Protokoll:
17211

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 211

  • date_rangeDatum: 29. November 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:59 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/211 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 211. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Vizepräsi- denten Dr. Hermann Otto Solms und des Staatssekretärs Harro Semmler . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 23, 27, 46 und 48 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energie- wirtschaftsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/10754, 17/11269, 17/11705) Dr. Philipp Rösler, Bundesminister  BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist migrationspolitisch nicht relativierbar – Konsequenzen aus dem Urteil des Bun- desverfassungsgerichts zum Asylbewer- berleistungsgesetz ziehen (Drucksache 17/11663) . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewer- berleistungsgesetzes (Drucksachen 17/1428, 17/10198) . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenwürdiges Existenzmi- nimum für alle – Asylbewerberleistungs- gesetz abschaffen (Drucksachen 17/4424, 17/10198) . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: 25629 A 25629 B 25631 C 25631 C 25631 D 25633 C 25635 A 25636 D 25638 A 25640 C 25642 A 25643 B 25643 D 25646 A 25647 B 25650 A 25651 C 25653 B 25653 C 25653 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Auf Flüchtlingsproteste reagieren – Re- sidenzpflicht abschaffen (Drucksache 17/11589) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller- Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Menschenwürdige Lebensbedin- gungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete sicher- stellen – Asylbewerberleistungsgesetz reformieren (Drucksache 17/11674) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Bewe- gungsfreiheit für Asylsuchende und Ge- duldete (Drucksachen 17/5912, 17/11716) . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 51: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012) (Drucksache 17/8989) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen der irischen Bevölke- rung bezüglich des Vertrags von Lissa- bon (Drucksache 17/11367) . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (Drucksache 17/11368) . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung versicherungsrechtli- cher Vorschriften (Drucksache 17/11469) . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts (Gemeinnüt- zigkeitsentbürokratisierungsgesetz – GemEntBG) (Drucksache 17/11632) . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltungs- bedingungen für Puten verbessern (Drucksache 17/11667) . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Havarie des Containerschiffs MSC Flaminia – Aus den Fehlern von Seeunfällen lernen (Drucksache 17/11668) . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verkehrs- trägerübergreifende Fahrgastrechte stär- ken (Drucksache 17/11375) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Steffen Bilger, Peter Götz, Armin Schuster (Weil am Rhein), weiterer Abgeordneter und der 25653 D 25653 D 25654 A 25654 A 25655 C 25656 C 25658 A 25659 B 25661 B 25664 A 25665 D 25667 B 25669 A 25670 A 25671 C 25672 B 25673 D 25675 A 25676 D 25681 D 25677 A 25677 A 25677 A 25677 B 25677 B 25677 C 25677 C 25677 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 III Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Werner Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Projektbeiratsbeschluss bei der Rhein- talbahn umsetzen (Drucksache 17/11652) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende (Drucksache 17/11665) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 52: Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Heinz Paula, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes an aktuelle Herausforderungen anpassen (Drucksache 17/11653) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dem Antrag Palästinas auf er- weiterten Beobachterstatus in der UNO zustimmen (Drucksache 17/11678) . . . . . . . . . . . . . . . b) – e) Beratung der Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss): An- trag auf Genehmigung zur Durchfüh- rung eines Strafverfahrens (Drucksachen 17/11618, 17/11619, 17/11620, 17/11621) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE)  (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . Tagesordnungspunkt 5: Wahl der Mitglieder des Beirates der Stif- tung Datenschutz (Drucksache 17/11637) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Auffassungen der Koalitionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gutscheinen für Haus- haltshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . . Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Max Straubinger, Peter Götz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Claudia Bögel, Dr. Edmund Peter Geisen, Heinz- Peter Haustein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zukunft für ländliche Räume – Regionale Vielfalt si- chern und ausbauen  (Drucksache 17/11654) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gutes Leben, Gute Innovationen, Gute Arbeit – Politik für ländliche Räume effektiv und effizient gestalten (Drucksache 17/11031) . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Raumordnungsbericht 2011 (Drucksache 17/8360) . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Bettina Herlitzius, Hans-Josef Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Energiewende (Drucksachen 17/9583, 17/11672) . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . 25677 D 25677 D 25678 B 25678 C 25678 C 25679 A 25679 D 25684 A 25684 B 25684 B 25685 C 25686 D 25688 B 25689 A 25690 B 25691 C 25693 A 25694 B 25695 C 25695 C 25695 D 25695 D 25696 A 25697 C 25698 C IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bögel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Uwe Beckmeyer, Gustav Herzog, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine zukunfts- fähige Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung des Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement (Drucksachen 17/9743, 17/11592) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrich- ten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwal- tung reformieren (Drucksachen 17/4030, 17/5548, 17/5056, 17/8330) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär  BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Drucksachen 17/10488, 17/11710) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Individuelle Ge- sundheitsleistungen eindämmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Patientenrechte wirksam verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Dr. Martina Bunge, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mehr Rechte für Patientinnen und Patien- ten – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen (Drucksachen 17/9061, 17/11008, 17/6489, 17/6348, 17/11710) . . . . . . . . . . . . . . . . . 25699 A 25699 C 25700 C 25702 C 25703 D 25705 A 25706 D 25707 B 25707 C 25709 A 25709 C 25711 B 25711 C 25711 D 25712 A 25712 D 25713 B 25714 C 25714 B 25715 A 25716 D 25718 B 25720 A 25721 A 25722 C 25724 B 25725 D 25726 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 V Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . Wolfgang Zöller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende sozial gestalten – Stromsperren gesetzlich untersagen (Drucksache 17/11655) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Strompreiserhöhung aus- setzen – Faire Strompreise für alle (Drucksache 17/11656) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Rolf Hempelmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energie- wende – Masterplan Energiewende – zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans- Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Kosten und Nutzen der Ener- giewende fair verteilen – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Verbraucherrechte (Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030, 17/11719) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Drucksachen 17/11314, 17/11717) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11718) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Klimakonferenz 25726 B 25727 C 25728 C 25729 C 25730 D 25732 B 25734 A 25735 D 25737 A 25737 C 25737 D 25739 A 25740 D 25740 D 25743 B 25743 C 25743 C 25744 A 25744 D 25746 C 25748 C 25749 B 25749 D 25750 A 25750 D 25751 D 25752 B 25753 A 25754 D 25756 A 25756 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Doha – Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter (Drucksache 17/11651) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Andreas Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die UN-Klimakonfe- renz in Doha – Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben (Drucksachen 17/11514, 17/11714) . . . . . c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawan- del (Drucksache 17/6550) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte bei der Unterstützung der gemeinsa- men Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Arti- kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikver- trags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen  (Drucksache 17/11466) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister  BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link, Staatsminister im  AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Karin Roth (Esslingen), René Röspel, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Für eine Ge- neration frei von Aids/HIV bis 2015 – An- strengungen verstärken und Zusagen in der Entwicklungspolitik einhalten (Drucksachen 17/10096, 17/11711) . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang zu Medikamenten weltweit ver- wirklichen (Drucksachen 17/8493, 17/9713) . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Drucksachen 17/10771, 17/11610) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, Daniela Ludwig, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU so- wie der Abgeordneten Patrick Döring, Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Schienenlärm wirksam 25756 C 25756 C 25756 D 25756 D 25758 C 25760 A 25761 A 25761 D 25762 D 25763 C 25763 D 25765 A 25766 A 25767 C 25768 C 25769 D 25770 D 25770 D 25771 B 25772 D 25773 D 25774 D 25775 B 25776 A 25777 A 25778 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 VII reduzieren – Schienengüterverkehr nachhaltig gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen neuen Infrastrukturkonsens – Schutz der Menschen vor Straßen- und Schienenlärm nachdrücklich verbes- sern – zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bürgerinnen und Bürger dauerhaft vom Bahnlärm entlasten – Alternative Güterver- kehrsstrecke zum Mittelrheintal an- gehen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz vor Bahnlärm ver- bessern – Veraltetes Lärmprivileg „Schienenbonus“ abschaffen (Drucksachen 17/10780, 17/5461, 17/6452, 17/4652, 17/11610) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Kapitalgesell- schaften mit kommunaler Beteiligung (Drucksache 17/11587) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Karin Evers-Meyer, Maria Michalk, Cornelia Behm, Serkan Tören und weiterer Abgeordneter: 20 Jahre Zeichnung der Eu- ropäischen Charta der Regional- oder Min- derheitensprachen (Drucksache 17/11638) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umwelt- freundlich, wirtschaftlich und zukunftswei- send umsetzen (Drucksache 17/11664) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Än- derungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (Drucksachen 17/10975, 17/11583) . . . . . b) Antrag der Fraktion der SPD: Universal Periodic Review – Menschenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsrates (Drucksache 17/11675) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsver- fahrens und zur Stärkung der Gläubiger- rechte (Drucksache 17/11268) . . . . . . . . . . . . . . . . . 25778 D 25779 B 25780 C 25782 B 25783 A 25783 D 25784 D 25786 C 25786 C 25786 D 25787 B 25787 D 25789 A 25789 D 25790 A 25791 B 25792 D 25794 B 25795 B 25796 B 25797 C 25797 D 25798 A 25798 A VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Negativ- bilanz nach zwei Jahren im UN-Sicher- heitsrat (Drucksache 17/11576) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frie- den und Abrüstung (Drucksachen 17/4863, 17/7397) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Die internationale Schutzverantwor- tung weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutzverantwortung wei- terentwickeln und wirksam umset- zen (Drucksachen 17/8808, 17/9584, 17/10902) Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Ge- setzes zur Änderung des Urheberrechtsge- setzes (Drucksache 17/11470) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär  BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jimmy Schulz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig), Sebastian Edathy, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema Rechtsextremismus (Drucksache 17/11366) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und wei- teren Fortentwicklung des Städtebau- rechts (Drucksache 17/11468) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bauge- setzbuch wirklich novellieren (Drucksache 17/10846) . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Woh- nen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Barrierefreies Bauen im Baugesetz- buch verbindlich regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Markus Kurth, Daniela Wagner, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Drucksachen 17/6295, 17/9426, 17/9406, 17/11646) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25798 B 25798 C 25798 C 25799 A 25799 B 25800 A 25800 C 25801 C 25803 C 25804 C 25805 C 25806 B 25807 C 25808 C 25809 C 25809 C 25812 B 25813 B 25814 B 25815 B 25816 C 25816 C 25816 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 IX Tagesordnungspunkt 32: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einführung einer Kenn- zeichnungspflicht für Angehörige der Bundespolizei – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Frank Tempel, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei massiv beschränken (Drucksachen 17/4682, 17/5055, 17/11263) . Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Drucksache 17/11726) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerliche Transparenz von multinationalen Unter- nehmen herstellen – Country-by-Country und Project-by-Project Reporting einfüh- ren (Drucksachen 17/11075, 17/11695) . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtli- cher Bestimmungen (Drucksachen 17/11294, 17/11354, 17/11677) Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Anerkennung und Wiedergutmachung des Leids der „Trostfrauen“ (Drucksachen 17/8789, 17/10084) . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes  (Drucksachen 17/11317, 17/11699) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Ur- heberrechtsgesetzes (Drucksachen 17/10087, 17/11699) . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 25817 B 25817 C 25818 D 25819 C 25820 B 25821 B 25822 B 25822 B 25822 C 25823 C 25824 C 25825 B 25825 D 25827 A 25827 B 25827 D 25828 C 25829 D 25830 C 25831 B 25831 B 25832 D 25834 A 25835 A 25836 A 25837 A 25837 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Schutz vor Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung sicherstellen (Drucksache 17/11365) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Matthias Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richt- linie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften be- stimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesell- schaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG) (Drucksachen 17/11292, 17/11353, 17/11702) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Thomas Gambke, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erleichte- rungen für Klein- und Kleinstkapitalge- sellschaften bei der Offenlegung der Jahresabschlüsse (Drucksachen 17/11027, 17/11702) . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 41: Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitsbedin- gungen und Berufsperspektiven von Pro- movierenden verbessern (Drucksache 17/11044) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär  BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Marcus Weinberg (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht- Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tagespflegepersonen stärken – Qualifi- kation steigern – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuen „Krippengipfel“ einbe- rufen – Ausbau der frühkindlichen Bil- dung und Betreuung voranbringen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahlfrei- heit gewährleisten, Kindertagesbetreu- ung ausbauen – zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein be- darfsgerechtes Angebot an Kinderta- gesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2010 (Zweiter Zwischenbericht zur Evalua- tion des Kinderförderungsgesetzes) – zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus für ein be- darfsgerechtes Angebot an Kinderta- gesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2011 (Drit- ter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes) (Drucksachen 17/9925, 17/5518, 17/9929, 17/5900, 17/9850, 17/11574) . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 25837 C 25837 D 25838 C 25839 C 25840 C 25841 A 25842 A 25843 C 25843 D 25844 A 25845 A 25845 B 25845 D 25847 A 25847 A 25848 C 25849 D 25851 A 25852 A 25853 A 25854 C 25855 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 XI Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Helga Daub, Joachim Günther (Plauen), Harald Leibrecht, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: „weltwärts“ wird Gemeinschaftswerk – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: „weltwärts“ – Ein Freiwilligendienst mit Zukunft (Drucksachen 17/9027, 17/8769, 17/10061) . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ökologische Bau- stoffe – Klima schützen, Energie sparen und Ölabhängigkeit reduzieren (Drucksache 17/11380) . . . . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit – zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Neue Impulse für einen wirksa- men und umfassenden Schutz der Afri- kanischen Elefanten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Josef Göppel, Marie- Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Michael Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Neue Im- pulse für einen wirksamen und um- fassenden Schutz der Afrikanischen Elefanten (Drucksachen 17/11554, 17/10110, 17/11715) Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Beate Müller- Gemmeke, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsbedingungen von Hausangestellten verbessern – ILO- Übereinkommen Nr. 189 ratifizieren (Drucksache 17/11370) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 25856 C 25858 A 25858 D 25859 C 25860 C 25860 D 25862 A 25863 B 25864 A 25864 D 25865 D 25866 A 25866 D 25867 D 25868 C 25869 B 25870 A 25871 C 25871 D 25872 D 25873 B 25873 D 25874 D 25875 D 25876 A 25876 D 25877 C 25878 D XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, Dorothee Bär, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Gabriele Molitor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Barrierefreies Filman- gebot umfassend ausweiten – Mehr An- gebote für Hör- und Sehbehinderte – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tabea Rößner, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortprogramm zur Ausweitung des barrierefreien Filmangebots auflegen (Drucksachen 17/7709, 17/8355, 17/10029) . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Taubblindheit als Behin- derung eigener Art anerkennen – Merkzei- chen Taubblindheit einführen (Drucksache 17/11676) . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förde- rung der Selbsttötung (Drucksache 17/11126) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: Antrag der Abgeordneten Jens Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sportförderung neu denken – Strukturen verändern (Drucksache 17/11374) . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 43: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diplomatische Be- ziehungen zu Palästina aufwerten – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zwei-Staa- ten-Perspektive für den israelisch- palästinensischen Konflikt erhalten – Entwicklung der C-Gebiete in der Westbank fördern – Abrissverfügungen für Solaranlagen stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zwei-Staa- ten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-palästinensi- schen Konflikts retten (Drucksachen 17/8375, 17/9981, 17/10640, 17/11452) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25879 C 25880 B 25881 B 25881 C 25882 D 25883 D 25885 A 25885 D 25886 C 25887 C 25887 C 25889 B 25890 B 25891 B 25892 B 25892 D 25893 A 25893 B 25894 C 25896 C 25897 B 25898 A 25899 A 25899 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 XIII Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Heinrich (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Aufhebung des Asylbewerberleis- tungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) zur Abstim- mung über den Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Zusatz- tagesordnungspunkt 5 b) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Tagesordnungs- punkt 8) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: 20 Jahre Zeichnung der Europäi- schen Charta der Regional- oder Minderhei- tensprachen (Tagesordnungspunkt 14) Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu den Änderun- gen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römi- schen Statuts des Internationalen Strafge- richtshofs vom 17. Juli 1998 – Antrag: Universal Periodic Review – Menschenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsra- tes (Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b) Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Energiewende im Gebäudebe- stand sozial gerecht, umweltfreundlich, wirt- schaftlich und zukunftsweisend umsetzen (Tagesordnungspunkt 17) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Tagesord- nungspunkt 18) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 25900 B 25901 C 25902 A 25903 A 25903 D 25905 C 25907 A 25907 C 25908 A 25908 C 25909 C 25910 C 25912 C 25913 B 25914 A 25914 D 25915 C 25917 D 25919 B 25920 C 25921 B 25922 C 25923 B 25924 B 25925 C 25926 B 25927 C 25929 C 25930 C XIV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,  Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Deutschland im VN-Sicherheits- rat – Impulse für Frieden und Abrüstung – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Die internationale Schutzverantwor- tung weiterentwickeln – Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen (Tagesordnungspunkt 20 a bis c) Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Bijan Djir-Sarai (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Ge- meinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts – Antrag: Baugesetzbuch wirklich novellie- ren – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Barrierefreie Mobilität und barriere- freies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – Barrierefreies Bauen im Baugesetz- buch verbindlich regeln – Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c) Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 29) Ansgar Heveling (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttö- tung (Tagesordnungspunkt 40) Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,  Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Einführungsgesetzes zum Strafge- setzbuch (Zusatztagesordnungspunkt 9) Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 25931 B 25932 B 25933 A 25933 D 25934 D 25935 D 25936 C 25938 B 25938 D 25940 B 25941 C 25942 C 25943 B 25944 D 25945 C 25946 B 25947 A 25948 A 25949 A 25949 D 25950 D 25951 C 25952 B 25953 B 25954 B 25955 C 25956 D 25958 A 25959 B 25960 A 25960 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 XV Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25962 A 25962 B 25962 D 25963 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25629 (A) (C) (D)(B) 211. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 Beginn: 10.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25907 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Heinrich (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 4 b) Asylbewerber in Deutschland müssen rechtlich besser gestellt werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz in sei- ner jetzigen Form wird weder der Lebenswirklichkeit von Flüchtlingen gerecht, wovon ich mir persönlich ein Bild bei Begegnungen mit Asylbewerbern machen konnte, noch den grundlegenden rechtlichen Rahmenbe- dingungen in der Bundesrepublik, wie das Urteil des BVG zeigt und die Expertenberichte bestätigen. Deshalb bedarf es einer gründlichen und bedarfs- gerechten Überarbeitung des Asylbewerberleistungsge- setzes bzw. einer grundlegenden gesetzlichen Neurege- lung. Hier stimme ich in der Sache dem Anliegen der Anträge zu. Die geforderte Sicherung des menschenwür- digen Existenzminimums wurde durch Bundesministerin von der Leyen ausdrücklich begrüßt und wird bereits umgesetzt. Eine gesetzliche Neuregelung ist im BMI sowie im BMSFJ in Arbeit. Die hier zu beschließenden Vorschläge einer bloßen Abschaffung des Gesetzes dagegen greifen für eine umfassende Gesetzgebung zu kurz. Zum Antrag in TOP 4 d der Fraktion der Linken noch eine grundsätzliche Bemerkung: Das Prinzip der Rechts- staatlichkeit lässt eine Gesetzgebung aus aktueller und situativer Betroffenheit nicht zu. Ich begrüße die erwähnte Demonstration der Asylbewerber und unter- stütze das Anliegen, die Residenzpflicht zu überdenken. Dies muss aber einem politischen Konzept folgen und  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 29.11.2012 Bulmahn, Edelgard SPD 29.11.2012 Canel, Sylvia FDP 29.11.2012 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.11.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 29.11.2012 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 29.11.2012 Hardt, Jürgen CDU/CSU 29.11.2012* Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 29.11.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 29.11.2012 Hirte, Christian CDU/CSU 29.11.2012* Humme, Christel SPD 29.11.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.11.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 29.11.2012 Mast, Katja SPD 29.11.2012 Maurer, Ulrich DIE LINKE 29.11.2012 Meierhofer, Horst FDP 29.11.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 29.11.2012 Nink, Manfred SPD 29.11.2012 Pieper, Cornelia FDP 29.11.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 29.11.2012 Rachel, Thomas CDU/CSU 29.11.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 29.11.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 29.11.2012 Schuster, Marina FDP 29.11.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 29.11.2012 Simmling, Werner FDP 29.11.2012 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 29.11.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 29.11.2012 Zypries, Brigitte SPD 29.11.2012  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 25908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) die rechtlichen Auswirkungen nach allen Seiten berück- sichtigen. Ein spontaner Impuls reicht für ein belastbares Gesetzgebungsverfahren nicht aus – und genau deswe- gen werden die Gesetze in den zuständigen Ministerien zur Zeit überarbeitet. Persönlich werde ich mich dafür einsetzen, dass Er- gebnisse zeitnah und konkret vorgelegt werden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Straf- verfahrens (Zusatztagesordnungspunkt 5 b) Ich habe den Anträgen auf Genehmigung der Durch- führung von Strafverfahren gegen meine Kolleginnen und Kollegen Sevim Dağdelen, Inge Höger, Jan van Aken und Dr. Diether Dehm nicht zugestimmt. Dazu will ich erklären: Erstens. Die Immunität von Abgeordneten gehört ebenso wie die freie und geheime Wahl, das Rede- und Stimmrecht und der Schutz der Person zu den elementa- ren Parlamentsrechten. Die Immunität aufzuheben, sie besteht konkret und grundsätzlich, bedarf es aus meiner Sicht drastischer Vorhaltungen. Die Genannten haben jedoch von ihren Bürgerrechten Gebrauch gemacht. Ihre Zivilcourage verdient Schutz und Anerkennung, nicht Verfolgung. Wer die Rechte von Parlamentariern ein- schränkt, schränkt das Parlament ein und damit die Volkssouveränität. Deshalb habe ich den Anträgen nicht zugestimmt. Zweitens. Art und Weise wie Form und Inhalt von Protesten und Demonstrationen unterliegen einem be- ständigen Wandel, so wie auch die Gesellschaft sich wandelt. Gleichermaßen bleibt das Prinzip der Gewalt- losigkeit. Denken Sie zum Beispiel an das Mittel der Blockade. Diese Protestform ist mit den Blockaden in Mutlangen aufgekommen und danach an vielen anderen Orten angewandt worden. Heute ist auch diese Protest- form gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, und Verfol- gungen wurden eingestellt bzw. gar nicht erst eingeleitet. Unrühmliche Ausnahme ist allerdings die Verfolgung der Naziblockierer und Naziblockiererinnen von Dres- den durch die sächsische Staatsanwaltschaft. Auch das „Schottern“ findet weit mehr gesellschaftliche Akzep- tanz, als den Behörden dieses Landes lieb ist. Weder die konkrete, öffentliche Aktion noch die öffentlich geäu- ßerte Sympathie darf aus meiner Sicht verfolgt werden. Deshalb habe ich den vorliegenden Anträgen nicht zuge- stimmt. Drittens. Auch die Provokation, die Überzeichnung von Zuständen, ist ein zulässiges Mittel des Protestes, der Politik und Kunst. Ohne die Provokation gäbe es heute zum Beispiel keine gesellschaftliche Mehrheit für eine Energiewende. Da ich für den Ausstieg aus der Kernenergie bin, kann ich einer Verfolgung von Atom- kraftgegnerinnen und -gegnern nicht zustimmen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 (Tagesord- nungspunkt 8) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Mit der derzeitigen Behandlung von Streubesitzdividenden ver- stößt das deutsche Steuerrecht gegen europäische Recht- sprechung. Es handelt sich um eine Benachteiligung von ausländischen Kapitalgesellschaften mit Sitz im EU/ EWR-Raum. Bisher wird eine Abgeltungsteuer auf Dividendenzah- lungen an ausländische Unternehmen bei einer Beteili- gung von unter 10 Prozent erhoben. Dabei wird eine Ka- pitalertragsteuer von 25 Prozent, bei Vorhandensein eines Doppelbesteuerungsabkommens von 15 Prozent, einbehalten. Auch bei inländischen Unternehmen wird die Kapi- talertragsteuer erhoben; sie wird jedoch mit der Körper- schaftsteuer verrechnet. So wird eine Mehrfachbesteue- rung vermieden. Bei ausländischen Unternehmen hat der Kapitalertragsteuereinbehalt hingegen grundsätzlich ab- geltende Wirkung. Der EuGH hat eine Korrektur dieser ungleichen Be- handlung von inländischen und ausländischen Kapital- gesellschaften gefordert. Dieser Forderung tragen wir nun Rechnung. Die Ungleichheit muss beseitigt werden. Das gehört zur Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit. Hierfür hat die Koalition einen Gesetzentwurf vorge- legt, der von einer großen Mehrheit der Sachverständi- gen begrüßt wurde, weil er eine korrekte, förderliche und gerechte Lösung präsentiert. Das Grundanliegen des Gesetzentwurfs ist es, die Be- stimmungen zur Erstattung der Kapitalertragsteuer an die Vorgaben des EuGH anzupassen. Wir erreichen die Gleichstellung von ausländischen und inländischen Ka- pitalgesellschaften dadurch, dass wir die ausländischen mit der bestehenden Freistellung der inländischen gleichstellen. So beseitigen wir den europarechtswidri- gen Zustand auch rückwirkend. Es ist richtig, dass dies erstens Steuermindereinahmen bedeutet und zweitens eine rückwirkende Erstattung deutscher Kapitalertragsteuer an ausländische Kapitalge- sellschaften mit Sitz im EU/EWR-Raum stattfindet. Der Steuergesetzgeber kann sich nicht von willkürlichen Steuermehreinnahmewünschen leiten lassen. Steuerpoli- tik benötigt auch die Akzeptanz der Wirtschaft. Natürlich ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Er- stattungsregelung – wie bereits bei unseren österreichi- schen Nachbarn – an klare Bedingungen geknüpft: Die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25909 (A) (C) (D)(B) Erstattung auf Antrag kommt nur dann infrage, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft nachweist, dass die deutsche Kapitalertragsteuer im Ausland weder ange- rechnet noch als Betriebsausgabe abgezogen worden ist. Es wird keine doppelte Entlastung geben. Wir setzen die Vorgabe des Europäischen Gerichts- hofs zugunsten der Steuerpflichtigen um, ohne dass deutschen Unternehmen zusätzliche Steuerlasten aufer- legt würden – im Gegensatz zu Teilen der Opposition, die neue Belastungen durch Steuererhöhungen durchset- zen will. Rot-Grün will die Gleichstellung dadurch schaffen, dass die inländische Steuerbefreiung aufgeho- ben wird. Sie müssen doch einsehen, dass deutsche Un- ternehmen bei dieser Variante erheblich belastet würden! Gerade junge Unternehmen in der Gründungsphase, Kleinanleger und vor allem auch Versicherungen wären betroffen. Junge Unternehmen wie Start-ups sind auf mehrere Investoren angewiesen. Wenn wir den Streube- sitz besteuern, dann wird diese Finanzierung erschwert. Der Vorschlag des Bundesrates würde dem Wirt- schaftsstandort Deutschland erheblichen Schaden zufü- gen. Die Steuerpflicht für Streubesitzdividenden würde zu einer systemwidrigen Mehrfachbesteuerung desselben Gewinns und damit zu drastischen Steuererhöhungen führen. Wird der Gewinn über mehrere Beteiligungsstu- fen ausgeschüttet, entsteht hierdurch ein Kaskadeneffekt. Das bedeutet, dass mit jeder Ebene, über die ein Gewinn innerhalb eines Unternehmens weitergereicht wird, auch die Besteuerungsstufen kulminieren. Bereits bei einer weiteren Tochterebene und damit zwei Ebenen würde die Steuerbelastung bei 64 Prozent anstatt bei der Normal- steuerlast von 49,5 Prozent liegen. Massiv und ungerechtfertigt getroffen durch den Kas- kadeneffekt wären insbesondere die Verbundstrukturen der Sparkassen sowie der Volks- und Raiffeisenbanken – aufgrund der dezentralen Struktur werden Regional- und Spitzeninstitute, Dienstleister und andere Verbundunter- nehmen von einer Vielzahl kleinerer Institute „getragen“, die somit zwangsläufig nur Minderheitsbeteiligungen halten –, Venture-Capital- und Private-Equity-Finanzie- rungen, der deutsche Aktienmarkt – denn es steht zu be- fürchten, dass sich private und institutionelle Anleger aus Renditegründen in erheblichem Umfang zurückziehen könnten; ich denke hier auch an mögliche panische Betei- ligungsverkäufe –, die betriebliche Altersvorsorge, da Pensionsverpflichtungen großer Arbeitgeber auch mit Streubesitzbeteiligungen unterlegt sind. Angesichts der gerade in der letzten Zeit geführten Debatte über eine aus- reichende Alterssicherung frage ich mich, wie die Bun- desländer ernsthaft über eine Aufhebung der Steuerbe- freiung von Streubesitzdividenden nachdenken können. Die Einführung einer Schedulenbesteuerung, wie sie vom Bundesrat vorgeschlagen worden ist, würde die Un- ternehmensbesteuerung erheblich verkomplizieren, was im Widerspruch zum Koalitionsvertrag steht. Würde der Vorschlag der Bundesländermehrheit umgesetzt, könnten sich Unternehmen entschließen, ihre Hauptniederlassung aus Deutschland hinaus zu verlegen. So würden dem deutschen Haushalt zukünftige Steuereinnahmen entge- hen. Die Diskriminierung von ausländischen Kapitalge- sellschaften wollen Teile der Opposition also dadurch beseitigen, dass zum einen deutsche Unternehmen er- heblichen Steuermehrbelastungen ausgesetzt werden und zum anderen der Wirtschaftstandort Deutschland seine Attraktivität einbüßt. Diese falsche Politik der Steuererhöhung lehnen wir entschieden ab. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelingt es uns, einen fiskalisch vertretbaren Weg einzuschlagen. So werden wir den Vorgaben des Europäischen Gerichts- hofs gerecht, ohne deutschen Unternehmen zusätzliche, sachlich nicht gerechtfertigte Lasten aufzubürden. Es ist der richtige Weg, um Investitionen und Unternehmen nicht aus unserem Land zu vertreiben, sondern sie hier zu halten. Dieser Grundsatz unserer Steuerpolitik dient dem Wachstum und den Arbeitsplätzen in Deutschland. Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Mit dem von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf setzen wir Vorgaben aus dem EuGH- Urteil vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 um. Der vom EuGH beanstandete unionsrechtswidrige Zustand wird, auch mit Wirkung für die Vergangenheit, beseitigt. Die von dem EuGH-Urteil betroffenen auslän- dischen EU-Körperschaften werden von der Kapitaler- tragsteuer bei Vorliegen der Voraussetzungen entlastet. Die Vorgaben des EuGH werden punktgenau umgesetzt. Eine Erstattung erfolgt allerdings nur, soweit nachgewie- sen wird, dass die deutsche Kapitalertragsteuer im Ausland weder angerechnet noch als Betriebsausgabe abgezogen worden ist oder zukünftig steuerlich berück- sichtigt werden kann. Durch die Umsetzung der Formulierungshilfe dürfte es in den Kassenjahren 2013 und 2014 zu einer Erstat- tung von Kapitalertragsteuer in einer Größenordnung von rund 1,5 Milliarden Euro kommen. Darin sind die Er- stattungen für die Altfälle enthalten. In den darauffol- genden Jahren wird das Volumen der jährlichen Erstattun- gen auf eine Größenordnung von bis zu 650 Millionen Euro pro anno geschätzt. Die Erstattungen belasten zur Hälfte den Bundeshaushalt. Die Steuerfreiheit von konzerninternen Dividenden ist keine Begünstigung von Unternehmen, sondern eine rein technische Umsetzung des Teileinkünfteverfahrens. Dieses Teileinkünfteverfahren ist mit der Unternehmen- steuerreform 2008 von der Großen Koalition eingeführt worden. Danach soll die Besteuerung von Kapitalgesell- schaftsgewinnen in einem ersten Schritt bei der Kapital- gesellschaft und in einem zweiten Schritt als Dividende erst bei Ausschüttung an den privaten Gesellschafter er- folgen. In Beteiligungsketten sollte sichergestellt sein, dass es bei einer Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerbelas- tung von zusammen 30 Prozent so lange bleibt, bis der Gewinn die Ebene der Körperschaft verlässt und an eine natürliche Person ausgeschüttet wird. Wenn Sie dieses System der Steuerfreiheit konzerninterner Dividenden aufmachen, würde das zu einer systemwidrigen Überbe- 25910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) steuerung führen, da Gewinne bereits vor Ausschüttung an den Gesellschafter auf der Ebene der Kapitalgesell- schaft mehrfach besteuert würden. Bei Ausschüttungen über mehrere Konzernebenen kann es dabei zu erheblichen Kaskadeneffekten kom- men. Bisher liegt die Gesamtbelastung bei 49,5 Prozent Steuern – 30 Prozent auf Ebene der Körperschaft und 29,5 Prozent auf der Ebene privater Gesellschafter – 25 Prozent Abgeltungsteuer plus 5,5 Prozent Soli. Bei dem Vorschlag des Bundesrates würden die Ausschüt- tungen konzernintern auf jeder Mutter-Tochter-Stufe im- mer wieder besteuert. Bei zwei Konzernebenen wären wir bei 64 Prozent Gesamtbelastung, bei drei Ebenen bei 76 Prozent und bei vier Ebenen bei 83 Prozent. Das Bun- desratsmodell würde deshalb eine Welle von gesell- schaftsrechtlichen Umstrukturierungen auslösen. Die Anhörung hat gezeigt, dass vor allem im Bereich der Fondsbesteuerung die entstehenden Nachteile ver- heerend wären: Insbesondere in der betrieblichen Al- tersvorsorge würden die zusätzlichen Belastungen die Kapitalerträge mindern und zwangsläufig zu einer Ab- senkung der betrieblichen Versorgungsleistungen führen. Von deutschen Unternehmen gegebene Pensionszusa- gen werden häufig mittels Wertpapieranlagen gedeckt. Diese Wertpapieranlagen bestehen dabei typischerweise auch aus Aktien. Aufgrund der vorgebenden und ange- strebten Risikostreuung werden regelmäßig nur Streube- sitzbeteiligungen gehalten. Diese langfristige und risiko- diversifizierte Aktienanlage steigert die Rendite des zur Deckung der Pensionszusagen dienenden Wertpapier- portfolios. Aufgrund der definitiven Vorbelastung wären zudem Fondsanlagen steuerbefreiter institutioneller Anleger – Kirchen, Stiftungen, steuerbefreite Pensions- und Un- terstützungskassen – generell benachteiligt. Der negative Anreiz von Minderheitsbeteiligungen unterhalb von 10 Prozent würde auch Start-ups in beson- derer Weise treffen. Oft werden in diesen Bereichen zur Festigung der Unternehmensbeziehungen, aber auch zur Stärkung des Eigenkapitals Beteiligungen von unter 10 Prozent eingegangen. Eine Steuerpflicht der Erträge aus diesen Beteiligungen würde ein solches Engagement deutlich unattraktiver machen. Dadurch würden erfolg- reiche Start-ups in ihren Investitionen ausgebremst. Um die vom EuGH konstatierte Europarechtswidrig- keit des derzeitigen Steuerrechts zu bereinigen, muss zwar die Ungleichbehandlung zwischen einem ausländi- schen und einem inländischen Anteilseigner beseitigt werden. Dies darf aber nicht dadurch geschehen, dass die Inländerbesteuerung verschlechtert wird. Stattdessen muss Deutschland die Besteuerungssituation ausländi- scher Anteilseigner verbessern. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass Deutschland die Kapitalertrag- steuer erstattet, die die ausschüttende deutsche Gesell- schaft an das Finanzamt abgeführt hat. In Österreich ist dieses Modell bereits Gesetz. So sollten wir es jetzt hier bei uns installieren. Unternehmensteuerrecht steht zunehmend im interna- tionalen Wettbewerb. Wir haben im Moment ein gutes, wettbewerbsfähiges Steuerrecht. Diesen Standortvorteil sollten wir nicht gefährden – nicht im Interesse von Unternehmen oder irgendwelchen Managern, sondern im Interesse der Arbeitsplätze und der Steuereinnahmen, die wir damit sichern. Das Steuermodell des Bundesrates würde dem Standort Deutschland massiv schaden. Zahl- reiche Unternehmen würden ihren Konzernsitz ins euro- päische Nachbarland verlegen. Solche Sitzverlegungen sind heute schnell gemacht. Massive Steuerausfälle wären die Folge. Dann hätten wir wirkliche Steueraus- fälle, die wir vermeiden, wenn wir den Entwurf dieser Koalition umsetzen. Deshalb sollten wir diesem Gesetz- entwurf zustimmen! Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute in abschließender Lesung den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Neuregelung der Besteuerung von Dividendenausschüttungen auf Unternehmens- anteile, die sich in Streubesitz befinden. Ich hätte mir ge- wünscht, dass wir die Beratungen zu diesem Gesetz heute noch nicht abschließen, da nach unserer Einschät- zung und der Meinung vieler Sachverständiger wichtige Fragen nicht geklärt sind. Die Koalitionsfraktionen ha- ben eine gute Gelegenheit vergeben, im Dialog mit den anderen Fraktionen und den Bundesländern zu einer Lö- sung zu kommen, die sowohl den Vorgaben der Ent- scheidung des Europäischen Gerichtshofs gerecht wird, als auch den fiskalischen Interessen von Bund und Län- dern dient. Da die Sachlage nicht ganz einfach ist, will ich einige einleitende Bemerkungen zur Erläuterung vorausschicken. Die Besteuerung von Streubesitzdividenden muss im Zusammenhang mit dem Körperschaftsteuersystem be- trachtet werden. Seit dem europarechtlich gebotenen Systemwechsel mit der Aufgabe des Vollanrechnungs- verfahrens sind in- und ausländische Beteiligungserträge bei Körperschaften steuerfrei. Diese Befreiung erfolgt, da die Steuerbelastung auf der Ebene der Körperschaften endgültig verbleibt und nicht mehr mit der Steuerschuld des Anteilseigner verrechnet wird. Ohne diese Befreiung würde es bei Unternehmensverbünden zu einer Mehr- fachbesteuerung kommen, wenn ein Gewinn über meh- rere Stufen von einer Konzerngesellschaft zu einer anderen Konzerngesellschaft ausgeschüttet wird. Wir sprechen vom Kaskadeneffekt, der die komplette Dividende bei wiederholtem Kapitalertragsteuerabzug auf die soge- nannte Schachteldividende schnell aufzehren würde. Hier sind also Verschonungen in großem Umfang – mit guter Begründung – vorgesehen. Die europäische Mutter-Tochter-Richtlinie schreibt vor, dass Schachteldividenden, die infolge einer strategi- schen Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an einer an- deren erzielt werden, vom Steuerabzug ausgenommen werden müssen. Außerhalb von Konzernverbünden ist eine solche Steuerbefreiung hingegen nicht gerechtfer- tigt. Folgerichtig ist bei sogenannten Streubesitzdividen- den, die durch eine Beteiligung von unter 10 Prozent ge- kennzeichnet sind und deshalb in Konzernstrukturen keine Bedeutung haben, eine Besteuerung zulässig. Die „Lücke“ zwischen Streubesitzbetrachtung und Schach- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25911 (A) (C) (D)(B) telbeteiligung entsteht leider infolge der EU-Regelungen in der Mutter-Tochter-Richtlinie – damit ist uns eine an- dere Definition von Streubesitz oberhalb der 10 Prozent nicht möglich. Anlass für den vorliegenden Gesetzentwurf ist die Beanstandung der in Deutschland bislang geltenden Be- steuerung von Streubesitzdividenden durch den Europäi- schen Gerichtshof. Der Kapitalertragsteuerabzug wird unabhängig von der empfangenden Körperschaft durch- geführt. Inländische Körperschaften können die einbe- haltene Kapitalertragsteuer im Rahmen der Körper- schaftsteuerveranlagung in voller Höhe anrechnen. Bei ausländischen Körperschaften ohne inländische Be- triebsstätte hat der Kapitalertragsteuerabzug hingegen grundsätzlich definitive Wirkung. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 20. Oktober 2011 entschieden, dass die Abgel- tungswirkung der Kapitalertragsteuer bei ausländischen Körperschaften eine nicht zu rechtfertigende Diskrimi- nierung und einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrs- freiheit darstellt. Auch die mögliche Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Empfängerland ist nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend, um die Diskriminierung zu heilen. Da bei Schachteldividenden an EU-Körper- schaften nach der Mutter-Tochter-Richtlinie kein Kapi- talertragsteuerabzug erfolgt, sind von der Problematik im Ergebnis nur Streubesitzdividenden betroffen. Bezo- gen auf die unterschiedliche Behandlung von inländi- schen und ausländischen Wagniskapitalbeteiligungsge- sellschaften hat der Europäische Gerichtshof, EuGH, entschieden, dass hier künftig eine Gleichbehandlung bei der Steuerbelastung der Dividenden erfolgen muss. Der EuGH lässt dabei allerdings die unterschiedliche Behandlung der Gewerbesteuer unberücksichtigt. Derzeit werden zwei Wege diskutiert, wie die unzu- lässige Diskriminierung beseitigt werden kann: Erstens. Die CDU/CSU-FDP-Koalition schlägt in ih- rer Gesetzesinitiative eine Steuerbefreiung auch für aus- ländische Streubesitzdividenden vor. Zweitens. Dagegen spreche ich mich – in Überein- stimmung mit dem Bundesrat – aus Gründen der Steuer- gerechtigkeit und auch aus fiskalischen Erwägungen für die Aufhebung der Steuerbefreiung für inländische Streubesitzdividenden aus. Einer solchen Besteuerung steht das Problem der Mehrfachbesteuerung in Konzern- verbünden nicht entgegen, denn Schachteldividenden, das heißt Beteiligungen oberhalb der 10-Prozent- Schwelle, bleiben weiterhin steuerfrei. Sie entspricht vielmehr dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirt- schaftlichen Leistungsfähigkeit. Außerdem würde eine Steuerbefreiung ausländischer Streubesitzdividenden zu hohen jährlichen Steuerausfällen führen. Diese Gründe haben auch andere Länder zu einer Be- steuerung von Streubesitzdividenden bewogen. Dies ist zum Beispiel in Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Polen, aber auch in den USA der Fall. Die Steuerfreiheit von Streubesitzdividenden finden wir hingegen in Eng- land, Estland, Österreich oder Ungarn. Mit neuen Belastungen müssen bei diesem zweiten Vorschlag zur Beseitigung der Steuerbefreiung inlän- discher Dividendenbezieher vor allem Wagnisbeteili- gungsgesellschaften rechnen. Dies gilt wohlgemerkt nur dann, wenn sie nicht schon – wie in vielen Fällen üblich – eine Beteiligung von über 10 Prozent halten oder sie über diese Grenze anheben können. Bei Wagnis- beteiligungsgesellschaften allerdings, die geringere Be- teiligungen halten, sind im Ergebnis höhere Steuern zu erwarten. Für diese Fälle müssen wir überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, die wichtige Gründerszene – ins- besondere in der Internetwirtschaft – zu unterstützen. Ich komme auf die Auswirkungen auf die Gründerszene spä- ter noch einmal genauer zurück. Statt nach einer europarechtskonformen Lösung für Deutschland zu suchen, die den deutschen Fiskus nicht belastet – und wir reden über eine Belastung von mehr als einer halben Milliarde Euro –, haben die Koalitions- fraktionen bzw. die Bundesregierung eilfertig einen Vor- schlag vorgelegt, der darauf hinausläuft, die ausländischen Wagnisbeteiligungen von der Dividendenbesteuerung freizustellen. Unter Verzicht auf mehr als eine halbe Mil- liarde Steuereinnahmen wird hier also eine scheinbare Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Wagniskapitalbeteiligungsgesellschaften hergestellt – und dies nur, weil der EuGH die gewerbesteuerliche Vorbelastung außer Acht lässt. Hier wäre es Aufgabe der Regierung und der Koali- tionsfraktionen von CDU/CSU und FDP gewesen, intel- ligente Lösungen zu suchen, die auf die besonderen Ver- hältnisse in Deutschland Rücksicht nehmen. Dabei geht es nicht nur um die Besonderheiten rund um die Grün- derszene, sondern auch um die Probleme, die sich im Zusammenhang mit kreditwirtschaftlichen Verbund- gruppen ergeben. Zunächst zu den kreditwirtschaftlichen Verbundgrup- pen: Wollen wir den enormen Steuerausfall von über ei- ner halben Milliarde Euro vermeiden, ist der Vorschlag des Bundesrats, die inländischen Wagniskapitalbeteili- gungsgesellschaften ebenso zu besteuern wie die auslän- dischen, ein sehr guter Vorschlag. Das hätte allerdings zur Folge, dass die damit zusammenhängenden Streube- sitzdividendenregelungen zu einer Doppelbesteuerung bisher im Verbund erzielter Gewinne führen würden. So- mit wären kreditwirtschaftliche Verbundsysteme – ich nenne als Beispiel Sparkassen – gegenüber Konzern- strukturen benachteiligt. Dies wäre eine Ungerechtig- keit, die doch einige Fantasie erfordert, um sie zu ver- meiden. Es würde sich lohnen, hier einmal nachzuschauen, wie andere Länder, die sich ebenfalls an der Entschei- dung des EuGH zu orientieren haben, solche Probleme lösen. Der Blick nach Frankreich zeigt uns, dass dort spezielle Ausnahmeregelungen für kreditwirtschaftliche Verbundgruppen helfen, solche Schwierigkeiten aufzu- lösen. Dort gibt es etwa Befreiungen für bestimmte Strukturen, die die erforderliche Mindestbeteiligungs- grenze von 10 Prozent nicht überschreiten. Ich möchte als Beispiel die Banken Crédit Agricole, Crédit Mutuel, Banque Populaire und Caisse d’Epargne nennen. Mit 25912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) diesem europarechtskonformen Ansatz könnten wir die besonderen Zusammenhänge in deutschen Verbundgrup- pen hinsichtlich Haftungsfragen, auch hinsichtlich von Fragen rund um den Werbeauftritt oder die Gemein- wohlorientierung, lösen. Auf diesem Weg könnten wir auch die Beteiligungen der Sparkassen an ihren Ver- bundunternehmen mit Blick auf die Besteuerung von Streubesitzdividenden entsprechend berücksichtigen. Eine ähnliche Aufgabe besteht im Zusammenhang mit der Gründerszene. Bedenken gegen eine Belastung von Existenzgründern sind dabei sehr ernst zu nehmen. Wollen wir den Industriestandort voranbringen, wollen wir die Innovationsdynamik beschleunigen, haben Exis- tenzgründer im Umfeld von guter Bildung, guter Arbeit und guter Forschung eine sehr wichtige Aufgabe. Mit Blick auf die unsicheren Aussichten vieler Banken fehlt es sicher an Risikobereitschaft bei der Kreditvergabe an Existenzgründer, und wir sind froh, wenn diese Lücke von sogenannten Business Angels oder Wagniskapital- gesellschaften geschlossen wird. Andererseits sind die Business Angels nicht nur Angels; ihr erhöhtes Risiko verbinden sie natürlich mit der Erwartung gewisser Er- träge, und es stellt sich die Frage, wie wir mit den mög- lichen Verlusten und Gewinnen aus diesem Engagement umgehen. Dabei ist es wesentlich, darauf zu achten, wie diese Begriffe definiert werden. Selbst in der Anhörung des Finanzausschusses wurde hier nicht sauber zwischen Business Angels und Wagniskapitalbeteiligungsgesell- schaften getrennt. In der Anhörung mussten wir zeitwei- lig den Eindruck haben, als ob auch private Geldgeber von dem Thema Streubesitzdividendenbesteuerung be- troffen wären. Das ist aber nicht der Fall, denn tatsäch- lich geht es hier nur um Beteiligungen zwischen Ge- sellschaften und damit um Dividenden, die an Körperschaften – Aktiengesellschaft, GmbHs etc. –, je- denfalls Unternehmen, ausbezahlt werden. Sorgen hinsichtlich der Auswirkungen der Aufhebung der Steuerbefreiung inländischer Streubesitzdividenden auf die Gründerszene sind somit nur teilweise begründet, da die Steuerpflicht nur für Beteiligungserträge von Körperschaften und nicht für Privatpersonen gilt. Bei Einkommensteuerpflichtigen, die Streubesitzerträge im Betriebsvermögen erzielen – Personengesellschaften, Einzelunternehmer – und bei Veräußerungen von Anteilen im Privatvermögen, die mindestens 1 Prozent betragen, gilt das Teileinkünfteverfahren mit einer Steuerpflicht von 60 Prozent der Erträge. Soweit die sogenannten Business Angels der Einkommensteuerpflicht unterlie- gen, sind sie von der Neuregelung nicht betroffen. Das Drama besteht darin, dass es weder Bundesregie- rung noch Koalitionsfraktionen für nötig befunden ha- ben, solche Besonderheiten der Unternehmenslandschaft in Deutschland bei gleichzeitiger Rücksichtnahme auf unsere fiskalischen Aufgaben – wir arbeiten immerhin im Finanzausschuss – zu berücksichtigen. Wie lohnend wäre es gewesen, wenigstens die nahe- liegendsten Fragen zu klären, bevor man einfach vor- schlägt, auf eine halbe Milliarde Euro Steuereinnahmen von ausländischen Gesellschaften zu verzichten. Mit Blick auf die Prüfung alternativer Lösungen wäre etwa die Klärung, ja die Beantwortung folgender Fragen wichtig gewesen: In welchen EU-Mitgliedstaaten ergibt sich aus dem oben genannten Urteil gesetzgeberischer Handlungsbe- darf, und welche Schlussfolgerungen werden in anderen Ländern gezogen, um die Europarechtskonformität her- zustellen? Welche EU-Mitgliedstaaten verfügen über steuer- rechtliche Regelungen, die den Vorgaben des Europäi- schen Gerichtshofs, EuGH, genügen, und wie sind diese ausgestaltet? Mit Antworten auf solche einfachen Fragen wären wir eine guten Schritt weiter. Zusammenfassend: Mit Blick auf die hohen Steuer- ausfälle lehnen wir Ihren Entwurf zur vollständigen Steuerfreistellung aller Dividenden auf Streubesitz ab und unterstützen die Vorschläge des Bundesrates zur Be- steuerung der Streubesitzdividenden. Mit unserer Ent- haltung wollen wir deutlich machen, dass wir mit Blick auf die oben beschriebenen Probleme für Beteiligungen an Verbundunternehmen und mit Blick auf die Gründer- szene nicht davon ausgehen, dass mit der heutigen Entscheidung der Regierungskoalitionen ein zukunfts- fähiges Besteuerungsmodell für Streubesitzdividenden gefunden wurde. Dr. Daniel Volk (FDP): Der Gesetzentwurf zur Um- setzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 klingt zwar nach einem steuer- technischen Gesetz, aber von diesem Gesetz sind viele Unternehmen und Bürger in Deutschland betroffen. Das EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011 stellt die Be- nachteiligung ausländischer Kapitalgesellschaften mit Streubesitzbeteiligung an einer deutschen Aktiengesell- schaft und damit einen Verstoß gegen die Kapitalver- kehrsfreiheit fest. Dies betrifft alle Beteiligungen unter 10 Prozent, also den sogenannten Streubesitz, und damit greift die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht. Bisher wurden 25 Prozent Kapitalertragsteuer plus Soli – bzw. 15 Prozent beim Vorliegen eines DBA – auf Dividenden an ausländische Unternehmen einbehalten, wohingegen bei reinen Inlandssachverhalten die Abgel- tungsteuer mit der Körperschaftsteuer verrechnet werden konnte. Da die ausländischen Unternehmen aufgrund ihrer Nichtveranlagung im Inland nicht möglich war, werden diese damit schlechtergestellt. Mit dem Gesetz soll die steuerliche Ungleichbehandlung von Zahlungen aus Streubesitzdividenden beseitigt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt den unions- rechtswidrigen Zustand. CDU/CSU und FDP streben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Erstattung der Kapitalertragsteuer für ausländische Körperschaften an, wenn keine Verrechnung im Anteilseignerstaat möglich ist. Damit wird die Steuerfreiheit der inländischen Streu- besitzdividenden auch auf Tatbestände mit Auslandsbe- zug angewandt. Allerdings orientieren wir uns an dem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25913 (A) (C) (D)(B) österreichischen Modell, bei dem eine Steuererstattung nur auf Antrag möglich ist, wenn keine Anrechnung der Steuer im Ausland zulässig ist. Wir verhindern damit eine Steuermehrbelastung für deutsche Unternehmen und kommen unserem Verspre- chen nach, ohne Steuererhöhung auszukommen. Des Weiteren ist die bisherige Regelung der Steuerfreistel- lung sinnvoll und hat sich bewährt. Die Besteuerung der Streubesitzdividenden ist eine systemwidrige Mehrfach- besteuerung desselben Gewinns und führt bei mehreren Beteiligungsstufen zu einem Kaskadeneffekt mit einer Steuerbelastung in Höhe von 75 Prozent, da sich die Steuerlast für denselben Gewinn bei der Verschachte- lung mehrerer Unternehmen immer weiter erhöht. Wei- terhin käme es zu einer Doppelbesteuerung der ausschüt- tenden Gesellschaft und der empfangenden Gesellschaft. Dies ist mit vernünftiger Wirtschafts-, Finanz- oder Steuerpolitik nicht zu vereinbaren. Was will die Opposition? Sie will Beteiligungserträge aus Streubesitz, und zwar Dividenden und Veräuße- rungsgewinne, auch im Inland steuerpflichtig machen. Der Vorschlag geht genau ins Gegenteil und würde vor allem die private und betriebliche Altersversorgung – Pensionsverpflichtungen sind mit Streubesitzbeteili- gungen unterlegt – treffen. Ebenso würde die Finanzie- rung von Start-up-Unternehmen – durch Minderheitsbe- teiligungen anderer Kapitalgesellschaften – schwieriger, und es entsteht eine Benachteiligung von Aktieninvesti- tionen gegenüber anderen Unternehmensfinanzierungen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Der vorliegende Ge- setzentwurf behandelt eine schwer verständliche steuer- liche Problematik. Es geht um die steuerliche Behand- lung von Dividenden zwischen verbundenen Kapital- gesellschaften, bei denen die Mutter im Ausland und die Tochter im Inland liegt. Die bisherige steuerrechtliche Behandlung in diesen Fällen auf deutscher Seite führte zu einem Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU gegen Deutschland und mündete letztlich in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, EuGH, vom 20. Okto- ber 2011. Der EuGH kritisierte die unterschiedliche steu- erliche Behandlung von inländischen und ausländischen Kapitalgesellschaften. Dies verstoße gegen die Kapital- verkehrsfreiheit. Daher verlangt der EuGH auch die rückwirkende Erstattung für alle noch nicht bestands- kräftig veranlagten Fälle. Da der EuGH die Niederlassungs- und Kapitalver- kehrsfreiheit über alles stellt, bemängelt er selbstver- ständlich in seiner Logik zu Recht die Ungleichbehand- lung von inländischen und ausländischen Kapitalgesell- schaften. Über den volkswirtschaftlichen Sinn und Nut- zen solcher Konstruktionen, verschachtelte Beteiligun- gen von Unternehmen, lässt sich sicher streiten. Aber auch wenn man das so akzeptiert, gäbe es trotzdem drei Lösungen. Bevor ich aber zu diesen kommen, noch einmal kurz, worum es konkret geht: Es geht um die steuerliche Behandlung ausgeschütte- ter Dividenden. Generell gilt, dass Dividenden, die von einer Kapitalgesellschaft an eine andere ausgeschüttet werden, auf der Ebene des empfangenden Unternehmens zu 95 Prozent von der Körperschaftsteuer befreit sind, § 8 b Abs. 1 und 5 KStG. Damit soll letztlich eine Mehr- fachbesteuerung durch die Körperschaftsteuer vermie- den werden. Jedoch unterliegen diese Dividendenaus- schüttungen zwischen Kapitalgesellschaften nach § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG der Kapitalertragsteuer, allgemein nur bekannt als Abgeltungsteuer. Dies stellt für inländische Kapitalgesellschaften keine endgültige Belastung dar, auch nicht für ausländische Kapitalgesellschaften, die im Inland über eine Betriebs- stätte verfügen. Steuerbelastend wirkt es nur für im Aus- land ansässige Kapitalgesellschaften, die über keine in- ländische Betriebsstätte verfügen. Beispielsweise wenn die empfangene Kapitalgesellschaft außerhalb des EU/ EWR-Raums ansässig ist oder wenn sie innerhalb der EU oder des EWR ansässig ist und ihre Beteiligung an der die Dividenden auszahlenden inländischen Tochter unter 10 Prozent liegt. Nun, welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Der erste Lösungsvorschlag ist der der Bundesregie- rung, welcher das Problem übrigens lange bekannt ist. Bereits im Dezember 2011 befragten wir die Bundesre- gierung zu dieser Problematik. Es war seit dem Urteil ausreichend Zeit, hier aktiv zu werden. Nun soll wieder einmal alles übers Knie gebrochen werden. Nach der Bundesregierung soll für alle EU/EWR-Kapitalgesell- schaften die Anrechnung und Erstattung der Abgeltung- steuer auf inländische Dividenden gewährt werden. Das kostet allein rückwirkend rund 2 Milliarden Euro und bedeutet für die kommenden Jahre eine Belastung zwi- schen 500 und 750 Millionen Euro. Außerdem betrifft die Regelung nur einen relativ kleinen Kreis von Unter- nehmen. Das ist für uns die schlechteste aller Lösungen. Denn mit dieser Regelung wird ein bereits bestehendes Steuerprivileg ausgebaut. Unserer Meinung nach gehört die heute bereits beste- hende körperschaftsteuerliche Befreiung für Kapitalge- sellschaften prinzipiell auf den Prüfstand, statt sie hier kritiklos auszubauen. Zwar sehen Sie im Gesetz gewisse Einschränkungen zur Gewährung der Steuerbefreiung vor, die gut gemeint sind. Jedoch werden sie in der Pra- xis sicher nicht wie gedacht funktionieren, da sie durch ihre Komplexität und Kompliziertheit gestaltungs- und streitanfällig sind. Das wurde auch in der Anhörung zu diesem Gesetz deutlich. Fakt ist damit: Sie ermöglichen mit diesem Gesetz neue Steuergestaltungsmodelle. Zwar unterliegen inlän- dische Dividenden, die an private Steuerausländer flie- ßen, grundsätzlich der Abgeltungsteuer. Zukünftig kann diese aber durch geschickte Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft leichter umgangen werden. Sie schaffen damit weitere Umgehungsmöglich- keiten. Der zweite Vorschlag ist der des Bundesrates. Dieser will die Steuerbefreiung für Kapitalerträge aus Streube- sitz bis zu einer Beteiligungshöhe von 10 Prozent gene- rell aufheben. Dies entspräche der Regelung nahezu aller 25914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) europäischen Staaten, wonach die Steuerfreiheit für Di- videnden und Veräußerungsgewinne nur bei Überschrei- ten einer Mindestbeteiligungsquote zu gewähren ist. Diese Lösung würde bei verschachtelten Beteiligungen zu einer Mehrfachbesteuerung führen und verringert so- mit die Attraktivität solcher verschachtelten Beteiligun- gen. Die dritte Möglichkeit, die wir Ihnen vorschlagen, ist die Rückkehr zum Vollanrechnungsverfahren, das heißt, jede beteiligte Kapitalgesellschaft muss Steuern abfüh- ren. Eine Mehrfachbesteuerung wird durch Anrechnung der bereits gezahlten Steuern verhindert. Die Abschaf- fung der Steuerfreiheit für in- und ausländische Beteili- gungserträge ist unseres Erachtens längst überfällig. Die Fraktion Die Linke lehnt den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen aus den eben genannten Gründen ab. Einige Bundesländer kündigten im Übrigen bereits ihren Widerstand gegen den Vorschlag der Bundesregie- rung an, sodass wahrscheinlich auch wieder der Vermitt- lungsausschuss angerufen werden muss; das ist bei Ihren Finanz- und Steuergesetzen ja derzeit fast die Regel. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu den Streubesitzdividenden kommt ein Gesetz daher, das uns in den nächsten beiden Jahren insgesamt 3 Milliarden Euro kosten wird und danach jährlich mindestens 600 Millionen Euro. Und dieses Geld geht an ausländi- sche Investoren; da kann auch die notorische Steuersen- kerpartei FDP nicht argumentieren, dadurch würde ja die Wirtschaft in Deutschland gestärkt. Schon aufgrund dieser Einnahmeverluste kann dieses Gesetz eigentlich nur abgelehnt werden! In der Anhörung im Finanzausschuss letzte Woche zum vorliegenden Gesetzentwurf wurden unsere Kritik- punkte noch einmal deutlich bestätigt: Der Gesetzent- wurf schafft Anreize zur Steuergestaltung, die Europa- rechtskonformität steht auf wackligen Füßen, und es kommt zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe. Ich habe bei der Einbringung des Gesetzes die Hoff- nung geäußert, dass die Bundesregierung hier noch ein- mal nachbessert. Der Bundesrat hat eine Alternative auf- gezeigt, die sicher auch Schwächen hat, aber die letztlich nicht zu den hohen Einnahmeverlusten führen würde. Sich hier hinzustellen und den Gesetzentwurf im glei- chen mangelhaften Zustand zur Abstimmung zu stellen, wie er auch vor drei Wochen eingebracht wurde, ist schlicht eine Zumutung. Und in der Anhörung haben wir ja die deutliche Kri- tik der Experten vernommen. Wichtigster Kritikpunkt war, dass das Gesetz neue Anreize zur Steuergestaltung bietet. Und das ist ganz einfach zu verstehen: Wenn Sie unterschiedlich hohe Steuerniveaus schaffen, wird ein Anreiz gesetzt, dorthin zu gehen, wo die Besteuerung am niedrigsten ist. Das ist die wirklich eklatante Schwäche dieses Gesetzes: Es stellt ausländische Unternehmen bei der Besteuerung von Streubesitzdividenden deutlich bes- ser. Denn ausländische Unternehmen zahlen im Gegen- satz zu inländischen keine Gewerbesteuer – das ergibt eine satte Differenz in der Steuerbelastung von 15 Pro- zent. Bei so einer großen Differenz ist doch die Steuerge- staltung vorprogrammiert. Dazu ist ja lediglich das Um- hängen der Beteiligung auf eine ausländische Holding erforderlich. Nun ist versucht worden, da Missbrauchsvorschriften einzubauen. Aber die Experten warnen: Diese Miss- brauchsvorschriften könnten sich als stumpfes Schwert erweisen. Dieser Gesetzentwurf ist nicht ausgereift. Dies zeigt sich auch noch an einer weiteren Stelle. In der Anhörung gab es deutliche Hinweise von Experten, dass der vorliegende Entwurf nicht europarechtskonform sein könne. Wegen der sogenannten Drittstaatenwirkung der Kapitalverkehrsfreiheit müsse womöglich die Steu- erbefreiung von Streubesitzdividenden auf europäische Drittstaaten ausgeweitet werden. Das würde dann zu weiteren Einnahmeverlusten führen. Diese Nachlässigkeit der Koalition könnte für uns noch sehr teuer werden, und das ist einfach nicht akzep- tabel. Grundsätzlich hätte es bei der Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes mehr Spielraum gege- ben, als uns Schwarz-Gelb hier glauben machen will. Das Urteil wurde vor über einem Jahr gefällt – in einem breiten Dialog hätte man Lösungsansätze prüfen müs- sen, die zumindest zu einer geringeren Belastung für die öffentlichen Haushalte geführt und nicht so klare An- reize zur Steuergestaltung gesetzt hätten. Wir Grüne haben den Vorschlag gemacht, eine Veran- lagungsoption für ausländische Gesellschaften in Deutschland zu schaffen. In Deutschland würde die aus- ländische Gesellschaft mit ihrer Dividende dann wie ein Inländer zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer veranlagt. Damit würde der Anreiz zur Steuergestaltung vermieden. Auch dieser Ansatz birgt Schwächen, aber ist dieser Vorschlag wirklich sorgfältig geprüft worden? Es liegt uns hier ein schwarz-gelbes Hauruck-Gesetz vor, das teuer für den Staat ist, handwerklich schlecht ge- macht ist und Anreize zu mehr Steuergestaltung setzt. Wir werden das Gesetz daher ablehnen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: 20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta Regional- oder Min- derheitensprache (Tagesordnungspunkt 14) Serkan Tören (FDP): Leve Herr Präsident, leve Fro- onslüüd un Mannslüüd, wi snackt hier vondoog in dit hoge Huus een miteenanner wegen de „Europäische Charta över de Reginol- oder Minnerheitensproken“. De is vör een poor Doog 20 Johr oolt worrn. Ziel vun de Charta is de Schuul un de Help vun de Regionol- un Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25915 (A) (C) (D)(B) Minnerheitensproken. Dit Ziel is wichtig, sünnerlich wenn man bedinkt, dat jümmer mihr Sproken in de glo- balisierte Welt verloren goht. Fachlüüd goht dorvon ut, dat in de tokomen Tiet een Drüttel von de 6 000 Spro- ken, de vondoog noch snackt warrt, verloren goht. No 20 Johr vun de Charta is dat nu an de Tiet, eenmol Bilanz to tehn. Wie süht dat in Düütschland ut. In miene norddüütsche Heimot hebbt 1984 5,6 Millionen Min- schen angeben, dat se „goot“ bit „sehr goot“ Platt- düütsch snacken künnt. Disse Tohl hett sik bit 2007 – dat is dat Johr von de letzte Erhebung – mihr as halbiert. Mit disse Halbierung is natürlich ok de Sprook ut den Alldag vun de Minschen verswunnen. In annere Regionen mit jümehr Regionol- un Minnerheitensproken warrt dat nich veel anners utsehn. Dissen Verlust vun dat Plattdüütsche mutt Inholt bo- den warrn. Sprook is Heimot un en Teken vun leevte Alldagskultur. Wenn wi disse leevte Alldagskultur ver- kümmern loot, verliert wi alltohoop wiet mihr as blots en Sprook. Dat Hochdüütsche is de Sprook, de uns Düüt- sche von Flensborg in’n Noorden bit no Füssen in’n Sü- den verbinnt. De regionolen Sproken goht in de Harten vun de Minschen un verbinnt se in jümehr Rebeet. Ik will dat mol so seggen, leve Froonslüüd un Mannslüüd, de düütsche Standardsprook is as en Antog, scheun ober en lütt beten stief. Dat Plattdüütsche is as mien leevsten Pullover: bequeem, villicht ok mol stoppt, ober kommo- dig. He warmt mien Hart un miene Seel un ik heff em leev un ik will em ok nich missen. Wat könnt wi dorför doon, dat de tonehmen Verlust vun de Regionol- un Minnerheitensproken nich wieder geiht? Grundsätzlich is Kultur jo Sook vun de Länner. Se sünd also in eerster Linie in de Plicht. Erfreulicherwies deit sik hier jo wat. So hebbt all de noorddüütschen Bundslänner Plattdüütsch in jümehr Lihrpläne inbuut. Wat wi ober nich vergeten dröfft, sünd de öörtlichen Verene, de dat Plattdüütsche dagdääglich pleegt. Hier warrt veel privotes Geld un ok Freetiet investiert. Disse Insatz bewiest ober ok, dat de Idee, de Regio- nol- un Minnerheitensproken to retten, keen dösigen In- fall vun de Kulturpolitiker is. In miene Heimot, in’n Landkreis Stood, gifft dat to ’n Bispill den Fördervereen för de Plattdüütsche Sprook „De Plattdüütschen“. Disse Vereen bringt Plattdüütsch in den Alldag vun de Minschen trüch. Disse Vereen an- gascheert sik afsünnerlich öber den Vörsitter Heinz Mügge, Börgermeester in de Gemeen Düdenbüttel, in Bildungsprojekten för de Sprookförderung, un disse Vereen leist dormit enen wichtigen Bidrag för dat Erho- len von uns kulturellet Gedächtnis. Disse kulturelle, bür- gerschaftliche Insatz verdeent an disse Steed afsünnerli- chen Dank. Leve Kolleginnen un Kollegen, dit is blots een Bispill dorför, dat de Börgerinnen un Börgers ehr Regionol- un Minnerheitensprook schützen un wieterhin quickleben- nig holen wüllt. Geevt wi jüm de Stütten öber de Parteigrenzen hin- weg. Een Verlust von de Sproken bedüüd ok enen Kultur- verlust, un dat dröfft wi nich toloten. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – Antrag: Universal Periodic Review – Men- schenrechtslage in Deutschland auf dem Prüfstand des UN-Menschenrechtsrates (Tagesordnungspunkte 16 a und b) Michael Frieser (CDU/CSU): Was bereits viel zu lange währt, wird nun hoffentlich gut. In dem Gesetzent- wurf zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 17. Juli 1998 wird nun das Verbrechen der Aggression definiert. Dies ist ein wesentlicher Schritt, damit in Zu- kunft die Strafandrohung durch den Internationalen Strafgerichtshof nicht nur eine leere Drohung ist. Es freut mich, dass in allen Fraktionen Einigkeit herrscht, dass es sich bei den Änderungen um einen Meilenstein des Völkerstrafrechts handelt, den es zu un- terstützen gilt. Auch wenn es sich bei der Normierung des Aggressionstatbestandes um einen Kompromiss han- delt, ist dieser von herausragender Bedeutung, um den Internationalen Strafgerichtshof als permanentes interna- tionales Gericht in die Lage zu versetzen, die Verant- wortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können. Um die Tragweite der geplanten Änderungen des Römischen Statuts zu erfassen, muss zunächst die histo- rische Entwicklung, die zu diesen Änderungen führte, betrachtet werden: Am 30. September und 1. Oktober 1946 verkündete das Internationale Militärtribunal in Nürnberg die Urteile gegen 22 Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges. Das Urteil von Nürnberg stellte einen Ausgangspunkt für weitere Bemühungen der Staaten- gemeinschaft um einen internationalen Strafgerichtshof dar. Nachfolgend bekräftigte die UN-Vollversammlung ausdrücklich die Rechtsprinzipien, die in Nürnberg zur Anwendung gekommen waren, als sogenannte Nürnber- ger Prinzipien. Was in Nürnberg seinen Anfang nahm, wurde stetig weiterentwickelt. Bereits 1950 legte die Völkerrechtskommission der UNO sieben Prinzipien vor, die den Anspruch darauf er- hoben, dass schwere Verstöße gegen die internationale Werteordnung geahndet werden. Diese Nürnberger Prinzipien haben im Römischen Statut des Internationa- len Gerichtshofs eine Weiterentwicklung erfahren. Das Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der das Völker- strafrecht kodifiziert, damit in internationalen Beziehun- gen keine rechtsfreien Räume verbleiben, in denen Men- 25916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) schen schutzlos den Gräueltaten von Kriegsverbrechern ausgesetzt sind. Jede Person, die eine Tat begeht, die nach dem Völkerrecht als Verbrechen bestimmt wurde, ist dafür verantwortlich und wird der Bestrafung zuge- führt, auch wenn das nationale Recht keine Strafe für eine Tat vorsieht. Um diese Prinzipien durchzusetzen, wurde mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Römischen Statut der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet. Der IStGH will die nationale Strafgerichtsbarkeit der Staaten nicht ersetzen und ist auch kein letztinstanzli- ches Rechtsmittelgericht, welches Verfahren der natio- nalen Strafgerichtsbarkeit überprüfen könnte. Der IStGH ergänzt vielmehr die innerstaatliche Gerichtsbarkeit bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, deren Vor- rang im Statut vielfach verankert ist. Der Internationale Strafgerichtshof ist damit Ausdruck des gemeinsamen Wunsches der Staatengemeinschaft, für Frieden und Ge- rechtigkeit auch außerhalb der nationalen Grenzen ein- zustehen. Das erste Urteil sprach der Internationale Straf- gerichtshof am 14. März 2012 im Verfahren gegen den früheren kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga, der wegen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten für schuldig befunden wurde. Er wurde dafür am 10. Juli 2012 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Dieses Urteil zeigt, dass die Nürnberger Prinzipien kein theoretisches Konstrukt sind, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden können. Doch die Entwicklung des Völkerstrafrechts ist durch die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs 2002 nicht zu einem Abschluss gekommen. Jetzt gilt es, zu beweisen, dass Deutschland aus seiner dunklen Vergangenheit gelernt hat und seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt. Das Völkerstrafrecht muss zu einem wirksamen Instrument der Friedenssicherung aufgebaut werden. Bereits die Strafandrohung muss Aggressoren in ihre Schranken weisen. Dazu ist die stetige Optimierung und Weiterentwicklung des Völker- strafrechts notwendig, die mit der vorliegenden Ände- rung unterstützt werden muss. Obwohl bereits im ursprünglichen Statut das Verbre- chen der Aggression als Straftatbestand angelegt gewe- sen war, hatten sich die Vertragsstaaten auf der Grün- dungskonferenz weder auf eine Definition des Verbrechens der Aggression einigen können noch auf die vorzusehende Rolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Eine Kodifikation des Tatbestands scheiterte auch an umstrittenen Fragen wie dem Umfang des Rechts auf Selbstverteidigung und die Zulässigkeit humanitärer Intervention. Nach Art. 5 des Statuts, wie es auf der Konferenz in Rom verabschiedet wurde, besitzt der Gerichtshof die sachliche Zuständigkeit für das Ver- brechen der Aggression. Da aber keine Definition der Aggression beschlossen werden konnte, bleibt die Norm eine „leere Hülle“, bis eine Definition in das Statut eingefügt wird. Dies ist angesichts der herausragenden Bedeutung des Aggressionstatbestands, dessen Zweck es ist, die Gewaltanwendung als solche auf internationaler Ebene zu pönalisieren, ein unhaltbarer Zustand. Vom 31. Mai bis zum 11. Juni 2010 fand in Kampala die erste Konferenz zur Überprüfung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs statt, in de- ren Mittelpunkt die Bemühungen um eine Einigung in Bezug auf das Verbrechen der Aggression standen. Mit den Änderungen des Römischen Statuts des Internatio- nalen Strafgerichtshofs werden nun eine Definition des Verbrechens der Aggression und die Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit in das Römische Statut eingefügt. Auch wird der Einsatz bestimmter Waffen und Geschosse, deren Verwendung in internationalen bewaffneten Konflikten bereits ein Kriegsverbrechen darstellt, auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt unter Strafe gestellt. Deutschland war maßgeblich an der Ausarbeitung der in Kampala gefundenen Einigung beteiligt. Dieser Einsatz für die Definition des Aggressionstatbestandes bedurfte nicht des Grünenantrages aus dem Mai 2010, dessen sie sich so rühmen. Dieser Antrag war weder Grund noch Unterstützung für die deutschen Anstren- gungen um eine Einigung. Die Bemühungen mit anderen gleichgesinnten Staaten für einen möglichst effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen und damit glaubwürdi- gen Internationalen Strafgerichtshof waren auch vor und ohne diesen Antrag deutlich sichtbar. Unter anderem ist Deutschland nach Japan der größte Beitragszahler für den IStGH und engagiert sich darüber hinaus mit freiwil- ligen Beiträgen für den sogenannten Opferschutzfonds und das Zeugenschutzprogramm des Gerichtshofs. Die Änderungen des Römischen Statuts sind die Früchte eines langwierigen Prozesses, in dem das Völ- kerstrafrecht geschaffen und weiter ausgestaltet wird. Einzelne Staaten sind in mühsamen Verhandlungen Kompromisse eingegangen, um das gemeinsame höhere Ziel voranzubringen: ein umfassendes System interna- tionaler Strafgerichtsbarkeit, die die nationale Straf- verfolgung wirksam ergänzt. Natürlich will ich nicht verschweigen, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. 121 von 193 Staaten haben die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs an- erkannt. Wichtige Staaten sind noch nicht Vertragspartei des IStGH, darunter China, Russland, Indien, Israel und vor allem die USA. Die USA sorgen sich, dass amerika- nische Staatsbürger durch das Gericht verurteilt werden könnten. Die Tatsache, dass sie dennoch fallweise Unter- stützer sind, wenn auch ohne Mitglied zu sein, zeigt aber, dass auch sie die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofs nicht verkennen. Die heutigen Änderungen sind nicht der Abschluss, aber ein bedeutender Schritt zu einer funktionierenden internationalen Strafgerichts- barkeit, der unbedingt unterstützt werden muss. Beson- ders die Normierung des Aggressionstatbestandes ist von herausragender Bedeutung. Nur durch diese kann eine wesentliche Lücke der völkerrechtlichen Straf- barkeit geschlossen werden. Der nun verabschiedete Tatbestand des Aggressions- verbrechens stellt einen ausgewogenen Kompromiss dar und trägt der Tatsache Rechnung, dass dieses Delikt im Vergleich zu den anderen im Römischen Statut aufge- führten Verbrechen durch die Kriminalisierung staatli- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25917 (A) (C) (D)(B) cher Angriffshandlungen und als Führungsverbrechen einen besonderen Charakter hat. Die individuellen Tathandlungen wurden fast wörtlich den Vorgaben des Statuts des Nürnberger Militärgerichtshofs zum „Verbre- chen gegen den Frieden“ entnommen. Von einem Verbrechen der Aggression wird ausge- gangen, wenn eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staa- tes zu kontrollieren oder zu lenken, eine Angriffshand- lung plant, vorbereitet oder ausführt, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt. Die Formulierung stellt klar, dass es sich um ein soge- nanntes Führungsverbrechen handelt, das hohe Anforde- rungen an die individuelle Täterqualität stellt. Es betrifft nicht die kleinen Befehlsempfänger, sondern zieht die Täter zur Rechenschaft, die tatsächlich für den Angriff auf den Frieden verantwortlich sind. Regierungsober- häupter dürfen nicht über dem Gesetz stehen. Eine Angriffshandlung stellt jede mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen anderen Staat dar, so zum Beispiel die Invasion des Hoheitsgebiets eines Staates oder der Angriff auf dieses durch die Streitkräfte eines anderen Staates. Auch eine militärische Besetzung, die sich aus einer solchen Invasion ergibt, sowie die Bom- bardierung oder Beschießung des Hoheitsgebiets sind umfasst. Neben der Blockade der Häfen oder Küsten ei- nes Staates ist auch der Einsatz von Streitkräften eines Staates, die sich mit der Zustimmung eines anderen Staates in dessen Hoheitsgebiet befinden, unter Verstoß gegen die in der entsprechenden Einwilligung oder Ver- einbarung vorgesehenen Bedingungen strafbar. Damit ist nicht jede völkerrechtswidrige staatliche Gewaltanwen- dung zugleich ein Aggressionsverbrechen. Rechtlich umstrittene Einsätze, die im Rahmen humanitärer Inter- ventionen durchgeführt werden, um das Leid von Menschen zu lindern und weitere Gewalt zu verhindern, werden so nicht erfasst. Auch Fälle von nicht hinrei- chender Intensität sollen gerade nicht berücksichtigt werden. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbre- chen der Aggression wird in den Änderungen geregelt. Der Gerichtshof kann seine Gerichtsbarkeit nur über Verbrechen der Aggression ausüben, die ein Jahr nach Ratifikation oder Annahme der Änderungen durch 30 Vertragsstaaten begangen werden. Die weitere wichtige Änderung betrifft die Straf- barkeit gewisser verbotener Waffen in nichtinternationa- len bewaffneten Konflikten. Die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen, die Verwendung erstickender, giftiger oder gleichartiger Gase sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Vorrichtungen, die Verwen- dung von Geschossen, die sich im Körper des Menschen leicht ausdehnen oder flachdrücken ist in internationalen bewaffneten Konflikten bereits strafbar. Der Zustand, dass der Einsatz von Giftgasen zwar in internationalen Konflikten bereits als Kriegsverbrechen geahndet wer- den kann, Machthaber aber ihr eigenes Volk mit diesen Waffen konsequenzlos angreifen können, ist unerträg- lich. Hier kommt es nun zu einer Angleichung, da eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den Konflikt- formen auf humanitärvölkerrechtlicher Ebene heute nicht mehr angemessen ist. Das Leiden und die Verlet- zungswirkung, die durch diese Waffen ausgelöst werden, sind verurteilenswert, gleich in welcher Art von Konflikt sie eingesetzt werden. Diese Änderungen liegen mir als in Nürnberg direkt gewähltem Abgeordneten besonders am Herzen. In Nürnberg entsteht ein Institut für die Durchsetzung der Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht. Es soll als Expertenforum dazu beitragen, Frieden mit den Mitteln des Rechts zu sichern, indem es interdisziplinäre For- schung betreibt und zielgruppenspezifisches Training zu völkerstrafrechtlichen Themen sowie Menschenrechts- bildung anbietet. Ziel der Akademie ist es, die Akzep- tanz des Völkerstrafrechts und der Nürnberger Prinzi- pien international zu fördern. Die Bundesrepublik Deutschland hat an der Ausarbei- tung des Römischen Statuts aktiv mitgewirkt. Wir müssen uns weiterhin aktiv dafür einsetzen, dass der In- ternationale Strafgerichtshof möglichst effektiv arbeiten kann und breite Unterstützung in der Staatengemein- schaft findet. Das Gesetz zu den Änderungen vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen Statuts des Internatio- nalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 ist dabei ein wichtiger und wirksamer Schritt, um Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit der Strafbarkeit zuzuführen. Christoph Strässer (SPD): Offenheit vor allem auch im Umgang mit eigenen Fehlern und Defiziten ist ein Überlebensprinzip für jedes politische System. Des- halb sollten auch wir Deutschen sehr darum bemüht sein, Kritik aus anderen Ländern offen gegenüberzuste- hen und sie ernst zu nehmen – egal woher sie kommt. Dies ist nicht zuletzt der Einsicht geschuldet, dass aus der eigenen Fehlbarkeit die Notwendigkeit des Dialogs und der Kooperation folgt. Genau diese fundamentale Erkenntnis ist der Kern des UPR-Verfahrens im Menschenrechtsrat der VN, des wohl wichtigsten und positivsten Ergebnisses aus den ansonsten ja eher wenig erfolgreich verlaufenden Bemü- hungen um die Reform der Vereinten Nationen. Alle Staaten überprüfen ihre menschenrechtliche Praxis zu- erst selbst, stellen die Ergebnisse vor und stellen sich dann der Kritik im Menschenrechtsrat – und das rich- tigerweise ohne Ausnahme und damit eben auf gleicher Augenhöhe, unabhängig von Wirtschaftskraft und/oder politischer sowie militärischer Macht. Allein das macht das UPR-Verfahren so interessant und einmalig. Alle Länder sind gleich, beraten auf gleicher Augenhöhe und stellen sich demselben Verfahren. Ein demokratisches Grundprinzip, das leider in der Struktur der UNO oft un- erreichbar erscheint und doch so wichtig wäre, ein Ver- fahren, dass eindrucksvoll die These widerlegt, dass westliche Staaten und Kulturen das Thema Menschen- rechte benutzen, um auf diesem Wege hegemoniale Strukturen auf- und auszubauen. 25918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Zur Demokratie gehört, das wissen wir spätestens seit Kant, auch die öffentliche Auseinandersetzung, die Öf- fentlichkeit. Deshalb hat auf unser Bestreben hin, die FDP-Fraktion zugesagt, zu beantragen, dass die heutige Debatte zum Tag der Menschenrechte an prominenter Stelle stattfinden soll, wie eigentlich immer in den letz- ten Jahren um den Internationalen Tag der Menschen- rechte am 10. Dezember. Nun gehen die Reden zu Proto- koll. Es ist ein Armutszeugnis für unsere demokratische Kultur, dass es nicht gelingt, wenigstens einmal im Jahr in diesem Hause zu einer Zeit über dieses Thema zu de- battieren, wo zumindest die Chance besteht, öffentlich wahrgenommen zu werden. Diese Koalition führt zwar gerne bei jeder Gelegenheit die Menschenrechte im Munde, schafft es aber noch nicht einmal, einen akzepta- blen Debattenplatz zu organisieren. Das sagt eigentlich alles! Der erste Zyklus der regelmäßigen Überprüfung der Staaten auf ihre Menschenrechtslage hin, UPR, ist abge- schlossen. Mit der Vorstellung des Staatenberichts vor dem UN-Menschenrechtsrat 2009 hat Deutschland sei- nerzeit durch Selbstkritik zwar einige überzeugt, aber der schriftliche Bericht der Regierung wurde von vielen als „zu glatt“ eingeschätzt, weil die offene Benennung von Problembereichen, die Darstellung von Maßnahmen zur Verbesserung der Situation, der Bericht über Erfolge, aber auch selbstkritische Anmerkungen und Aussagen über Zielsetzungen fehlten. Allerdings präsentierte sich die Bundesregierung in ihren mündlichen Einlassungen im UPR sehr viel selbstkritischer. Die Regierungsver- treter gaben wiederholt zu erkennen, dass – bei dem unbestritten hohen Standard von Rechtsstaatlichkeit in Deutschland – gleichwohl ernste menschenrechtliche Probleme zu bewältigen blieben. Der Zweite Zyklus wurde nun formal geändert, um ein besonderes Augenmerk auf die Umsetzung der ak- zeptierten Empfehlungen aus dem ersten Zyklus richten zu können. Das macht viel Sinn; denn nur so kann im weiteren Überprüfungszyklus aufmerksam geschaut wer- den, wie ein Staat in der Zwischenzeit die akzeptierten Empfehlungen in die Praxis umgesetzt hat und was da- rauf aufbauend in den zweiten Bericht Eingang finden sollte. Um das Voranschreiten im nationalen Follow-up auch im Menschenrechtsrat nachvollziehbar zu machen, sind die Staaten aufgerufen, nach zwei Jahren freiwillig einen schriftlichen Zwischenbericht – „mid-term report“ – zu erstellen. Deutschland hat nach seiner Überprüfung kei- nen solchen Zwischenbericht abgegeben. Das sollte sich ändern. Es ist, wie sich aus vielen Beispielen ersehen lässt, eine große Hilfe für das ganze Verfahren, wenn es einen staatlich initiierten Zwischenbericht gibt, der in der Mitte des Zyklus vorgelegt wird. Zwischenberichte zum UPR-Verfahren gehören inzwischen beim Rat zum guten Ton. Sie wurden vorgelegt unter anderem von Frankreich, Japan, den Niederlanden, Bahrain, Chile, Finnland, Ecuador, Kolumbien, Mauritius, Rumänien, der Ukraine. Deutschland gibt hier kein gutes Beispiel ab. Diese Forderung vieler NGOs an Deutschland halte ich für gerechtfertigt. Im Mai 2013 wird Deutschland zum zweiten Mal vom UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des UPR-Ver- fahrens auf seine Menschenrechtssituation hin überprüft werden. Das Forum Menschenrechte und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben dankenswerterweise ihre Analysen und Empfehlungen bereits abgegeben. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die Sicht dieser Organisationen ernst zu nehmen und in ihren Bericht einfließen zu lassen. Deshalb ist es auch zu be- grüßen, dass Markus Löning, der Menschenrechtsbeauf- tragte im Auswärtigen Amt, im Namen der Bundesregie- rung die „Zivilgesellschaft“ zum 5. Dezember zu einer Anhörung eingeladen hat – spät, aber hoffentlich nicht zu spät, um berechtigte Anliegen noch aufzunehmen. Bis zum Februar 2013 läuft die Frist für die Einrei- chung des Staatenberichts. Im April/Mai ist die 16. Sit- zung der UPR Working Group mit der Überprüfung Deutschlands, und circa im September 2013 gibt es die Stellungnahme Deutschlands zu den Empfehlungen. Im Oktober 2013 soll schlussendlich der Bericht zur UPR- Überprüfung Deutschlands in der 17. Sitzung des Men- schenrechtsrates erörtert werden. Einer der Hauptkritikpunkte an Deutschland 2009 war die fehlende Bekämpfung von Rassendiskriminie- rung und Fremdenfeindlichkeit. Wie die Vorfälle um die Terrorzelle NSU gezeigt haben, waren diese Empfehlun- gen geradezu prophetisch und wurden leider nicht ernst genug genommen. Im Gegenteil: Mittel für die nachhal- tige Bekämpfung dieses braunen Sumpfs wurden ge- kürzt, Menschen, die sich dort engagierten, wurde unter der Überschrift „Extremismusklausel“ ein Treuebekennt- nis zu unserem Grundgesetz abverlangt – absurd gegen- über denjenigen, die mit ihrer konkreten Arbeit mehr für die Werte unserer Verfassung tun, als dies in vielen Sonntagsreden geschieht. Deshalb muss dieser Bereich im neuen Bericht explizit näher beleuchtet und intensiver bearbeitet werden. Wir sollten offen ansprechen, dass wir hier vieles verschlafen haben und es nun besser ma- chen wollen. Ein weiterer Punkt, den Kanada und Ägypten seiner- zeit angesprochen haben und der immer noch problema- tisch ist, sind die Rechte der Kinder in Deutschland. Zwar gab es einen wichtigen Fortschritt, weil Deutsch- land die Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention zurückgenommen hat. Aber hinsichtlich der Kinder von Einwanderern und „Ausländern“ hat sich bisher kaum etwas verbessert. Besonders prekär ist immer noch die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlingskin- der. Sie werden immer noch zu oft routinemäßig in be- lastende, nicht kinderfreundliche Asylverfahren ge- drängt. Häufig verbleiben die Betroffenen im Status der Duldung und leben daher in ständiger Furcht vor der Ausweisung. Auch hier sollten wir die Empfehlungen ernst nehmen und das im aktuellen Zyklus ansprechen. Viel besser noch wäre es selbstverständlich, der Kinder- rechtskonvention entsprechende Gesetze zu schaffen, im Aufenthaltsrecht wie im Sozialrecht. Eine weitere wichtige Empfehlung bezog sich auf un- sere selektive Bildungspolitik, die zu einer strukturellen Diskriminierung bestimmter Gruppen von Kindern im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25919 (A) (C) (D)(B) deutschen Schulsystem führt. Zumeist sind Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial schwieri- gen Verhältnissen betroffen. Der Menschenrechtsstandard in unserem Land ist hoch, kein Zweifel. Aber wir können und müssen besser werden, gerade auch als neu gewähltes Mitglied im Menschenrechtsrat. Diese Wahl, über die wir uns sehr freuen, ist nicht nur Erfolg, sondern auch Verpflichtung. Dies gilt auch – um einen letzten Punkt anzusprechen – für die Stellung des Deutschen Instituts für Menschen- rechte. Wegen Untätigkeit der Bundesregierung und eines offenkundigen Streits innerhalb der Koalition besteht die Gefahr, dass diese hochangesehene unabhängige Institu- tion im Herbst dieses Jahres bei der Akkreditierungskon- ferenz ihren jetzigen A-Status verliert – und das nur, weil die Mehrheit in diesem Hause sich nicht darauf ver- ständigen kann, durch eine gesetzliche Grundlage die Unabhängigkeit der Arbeit des Instituts sicherzustellen. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Menschen- rechtspolitik und ihr Ansehen weltweit. Die SPD-Frak- tion jedenfalls ist bereit, auch kurzfristig gesetzgebe- rische Initiativen zu unterstützen, die den Erhalt des jetzigen Status des Instituts sichern. Zum Schluss möchte ich noch hervorheben, dass die SPD-Fraktion, wie schon in der ersten Lesung angekün- digt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den Änderungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 10. und 11. Juni 2010 in Kampala begrüßt. Die Ergebnisse der Konferenz von Kampala werden den Internationalen Strafgerichtshof langfristig stärken, was einerseits eine große Verantwortung und Herausforderung bedeutet, andererseits aber auch eine große Chance ist. Treten die Regelungen von Kampala 2017 wirklich in Kraft, kann jede Gewaltanwendung ge- genüber einem anderen Staat vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Dies wäre ein großer Schritt in Richtung einer starken und effizienten Ver- rechtlichung der internationalen Beziehungen. Deshalb werden wir diesem Gesetz zustimmen. Marina Schuster (FDP): Am 10. Dezember bege- hen wir jedes Jahr den Allgemeinen Tag der Menschen- rechte. Dann jährt sich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, eine Errungenschaft unserer Mensch- heitsgeschichte. Sie gibt uns das vor, für das wir welt- weit eintreten: den Schutz und die Wahrung der Men- schenrechte. Wie könnte es besser passen, dass wir heute in der zweiten und dritten Lesung die Änderung des Römi- schen Statuts im deutschen Recht beschließen werden? Einen Wermutstropfen gibt es dennoch: Leider findet die Debatte zu später Stunde statt. Jeder weiß, dass wir uns diese Debattenzeit nicht ausgesucht haben. Der ehemalige Menschenrechtskommissar der Ver- einten Nationen, José Ayala Lasso, bringt das Problem der Straflosigkeit auf den Punkt: Es ist wahrscheinlicher, dass ein Mensch für die Ermordung eines einzigen Men- schen verurteilt wird, als dass er für die Ermordung von 100 000 Menschen verurteilt wird. Während Verbrechen auf kleinster Ebene – und hier spreche ich noch gar nicht von Mord – meist zügig ver- folgt werden können, ist es nach wie vor eine große, langwierige und schwierige Aufgabe, Völkermörder, Kriegsverbrecher und Verbrecher gegen die Menschlich- keit zur Rechenschaft zu ziehen. Mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichts- hofs am 17. Juli 1998 in Rom setzte die internationale Gemeinschaft ein klares Zeichen, dass sie sich diesem Missstand entschieden entgegenstellen will. Sicherlich bleibt die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit eine Herausforderung. Sie ist aber eben keine Utopie mehr. Die Täter grausamster Völkerrechtsverbre- chen können nicht mehr auf ihre Immunität vertrauen, sondern müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass sie sich vor einem zentralen, überparteilichen Gericht für ihr Handeln verantworten müssen. Die universelle Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs ist eine bahnbrechende Errungen- schaft des internationalen Menschenrechtsschutzes. Die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen und der Kampf gegen die Straflosigkeit knüpfen an das Vermächtnis der Nürnberger und Tokioter Prozesse an. Seit den 1990er- und 2000er-Jahren führen die Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien, für Ruanda, Sierra Leone und Kambodscha diesen Leitgedanken fort. Dieser Leitgedanke hat bisher seinen Höhepunkt in der Überprüfungskonferenz von Kampala gefunden, bei der eine große Lücke im Völkerstrafrecht geschlossen wurde. Die Definition des Tatbestandes der Aggression bedeutet einen historischen Durchbruch. Ich wiederhole es gerne: Es handelt sich hier um einen Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit. Es ist dem Einsatz der deutschen Delegation in Kam- pala zu verdanken, dass Deutschland seine Konferenz- ziele erfolgreich durchsetzen konnte, auch gegen kriti- sche Stimmen aus Frankreich und Großbritannien. Wir Liberalen haben uns dafür starkgemacht, dass diese wichtige Lücke im Völkerstrafrecht geschlossen wird. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir ein Ziel des Koalitionsvertrages Wort für Wort umge- setzt. Das ist ein großer Erfolg! Die Förderung und Wah- rung der Menschenrechte ist ein ureigener liberaler Grundgedanke. Von Beginn dieser Wahlperiode an hat sich die FDP dafür eingesetzt, dass Deutschland im welt- weiten Menschenrechtsschutz nicht nur gegenüber sei- nen internationalen Partnern eine glaubwürdige Position vertritt, sondern auch eine Vorbildrolle übernimmt. Deutschland ratifiziert als einer der ersten Staaten die Änderungen des Römischen Statuts, die in Kampala be- schlossen wurden. Nun gilt es, dass bis Ende 2015 min- destens 30 Staaten das erweiterte Römische Statut ratifi- zieren. Nur dann treten die Änderungen auch bereits 2017 in Kraft. Liechtenstein und das Global Institute for the Prevention of Aggression leisten hier wertvolle Ar- beit. Unter ihrer Federführung wurde beispielsweise ein Handbuch erstellt, das Staaten bei der Implementierung 25920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) und Ratifizierung der Änderungen von Kampala unter- stützt. Die Position Deutschlands im Kampf gegen die Straf- losigkeit hat sich seit den Nürnberger Prozessen rich- tungsweisend und grundlegend gewandelt. Während die Rechtsprechung des Nürnberger Tribunals noch auf Ab- lehnung stieß, gestaltet Deutschland heute nicht nur die Ausformung universeller Normen aktiv mit, sondern nimmt in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle ein. Seit Mai 2011 läuft vor dem Oberlandesgericht Stutt- gart ein Prozess gegen Ignace Murwanashyaka, den ehe- maligen Präsidenten der ruandischen Rebellenbewegung FDLR, und gegen seinen Stellvertreter Straton Musoni. Murwanashyaka und Musoni wird als Vorgesetzten der FDLR eine direkte Verantwortung für deren Aktivitäten und die Völkerrechtsverbrechen im Kongo vorgeworfen. Dieser Prozess in Stuttgart ist der erste seiner Art. Das Pilotverfahren wird unter dem Völkerstrafgesetzbuch geführt, welches das Römische Statut in deutsches Recht überträgt. Unter dem „Weltrechtsprinzip“ des deutschen Völkerstrafgesetzbuches engagiert sich Deutschland hier im Sinne einer komplementären Arbeitsteilung mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Der Grundsatz der Komplementarität sieht vor, dass die strafrechtliche Ver- folgung von Völkerrechtsverbrechen auch durch die Mitgliedstaaten des Römischen Statuts erfolgen kann. Wir können bereits heute auf eine erfolgreiche Men- schenrechtsbilanz in dieser Legislaturperiode zurückbli- cken. Lassen Sie mich exemplarisch einige Beispiele ge- ben: Unter dem Vorsitz Deutschlands hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Juli 2011 eine Resolution zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten ver- abschiedet. Die Ächtung von Angriffen auf Krankenhäu- ser und Schulen durch die internationale Gemeinschaft wurde damit institutionalisiert. Dieses Engagement hat Deutschland im September noch einmal gefestigt und eine zweite Resolution eingebracht, die den Schutzme- chanismus und die Arbeit der VN-Sonderbeauftragten für Kinder und bewaffnete Konflikte, Leila Zerrougui, noch weiter stärkt. Ein weiteres wichtiges Thema für uns ist der Schutz des Menschenrechtes auf Wasser, für das wir uns mit verschiedenen Maßnahmen einsetzen. Die VN-Resolu- tion „Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sa- nitärversorgung“ sowie die deutsch-spanische Initiative im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen haben wir hier im Bundestag mit mehreren Anträgen flankiert. Durch meine Arbeit als Mitglied der Parlamentari- schen Versammlung des Europarates weiß ich aus eige- ner Erfahrung, wie wichtig regionale Menschenrechts- schutzsysteme sind. Auf der Konferenz zur Reform des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Brighton konnte sich Deutschland erfolgreich gegen die Vorschläge Großbritanniens durchsetzen, die eine drasti- sche Beschneidung der Kompetenzen des Gerichts be- deutet hätten. Die Ergebnisse von Brighton müssen nun schnell umgesetzt werden, damit der EGMR die Heraus- forderungen einer stetig wachsenden Zahl an Gesuchen bewältigen kann. Die Wahl Deutschlands in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bestätigt unseren Menschenrechts- kurs. Sie zeigt die Anerkennung und das Vertrauen in unser menschenrechtspolitisches Engagement. Gleich- zeitig ist die Wahl Ansporn und Verpflichtung. Am 5. Dezember findet die öffentliche Anhörung zum Menschenrechtsbericht der Bundesregierung statt. Nächstes Jahr im April durchläuft Deutschland die „Uni- versal Periodic Review“ des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen. Im Vierjahresrhythmus müssen sich die Mitgliedstaaten einer Überprüfung ihrer Menschen- rechtslage stellen. Die Bundesregierung bezieht hierbei die Zivilgesellschaft mit ein und diskutiert den Entwurf des Menschenrechtsberichtes, den sie in Genf vorlegen wird, im Vorfeld. Die Wahrung und Förderung der Menschenrechte ist Voraussetzung einer demokratischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung jedes Landes. Wir sind uns unserer Verantwortung im eigenen Land und für den men- schenrechtlichen Fortschritt unserer Partner bewusst. Deutschland ist – und bleibt – ein wichtiger Akteur im in- ternationalen Menschenrechtsschutz. Jan van Aken (DIE LINKE): Meine Fraktion wird dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. Mit dem Gesetz wird das veränderte Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes ratifiziert. Konkret geht es um die Aufnahme der Aggression, also eines An- griffskrieges, in den Katalog der Verbrechen, die vom In- ternationalen Strafgerichtshof geahndet werden können. Die internationale Verankerung eines Straftatbestands der Aggression wird seit den Nürnberger Prozessen ge- fordert. Dass es nach langen und durchaus kontroversen Diskussionen gelungen ist, sich auf eine Definition des Aggressionsverbrechens zu einigen und damit einen Straftatbestand zu schaffen, ist ohne Zweifel ein Erfolg, allerdings, wie so oft bei Kompromissen, ein Erfolg mit bitterem Beigeschmack. So konnte nicht durchgesetzt werden, dass schon die Vorbereitung und Planung eines unter den Begriff der Aggression fallenden Angriffs ein Strafverfahren auslösen können. Ein Angriff muss be- reits erfolgt sein, um vom Internationalen Strafgerichts- hof – nachträglich – geahndet zu werden. Ebenfalls konnte nicht durchgesetzt werden, dass der Straftat- bestand der Aggression auch für Nichtvertragsstaaten Anwendung findet. Zu ihnen gehören unter anderem die USA, Russland und China. Ebenso schwer wiegt, dass die Abhängigkeit vom Sicherheitsrat der Vereinten Na- tionen bestehen bleibt, dass der Strafgerichtshof also nicht von sich aus, unabhängig vom UN-Sicherheitsrat, tätig werden kann. Gerade mit Blick auf den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak ist bedauerlich, dass nur zukünftige Aggres- sionsverbrechen verfolgt werden können, also frühestens im Jahr 2017 und ein Jahr nachdem mindestens 30 Staa- ten die Änderungen ratifiziert haben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25921 (A) (C) (D)(B) Nun ist es, wie es ist. Die Änderung des Römischen Statuts spiegelt den Minimalkonsens wider. Mehr war auf der Überprüfungskonferenz 2010 im ugandischen Kampala nicht zu erreichen. Aber es spricht doch gar nichts dagegen, dass Deutschland bei der nationalen Umsetzung einen Schritt weitergeht – über den heute vorliegenden Gesetzentwurf hinaus. In Art. 26 des Grundgesetzes heißt es: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen wer- den, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stö- ren, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vor- zubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Bislang wurde in der deutschen Rechtspre- chung lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges als strafrechtlich relevant interpretiert, geregelt in § 80 des Strafgesetzbuches. Das Grundgesetz betrachtet aber alle Handlungen, die friedenstörend sind, als verfas- sungswidrig. In diesem Sinne müssen die direkte und in- direkte Beteiligung an der Durchführung von Angriffs- kriegen ebenso wie deren Planung und Vorbereitung unter Strafe gestellt werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Land, sa- gen wir: die USA, ein anderes Land, sagen wir: Irak, völkerrechtswidrig überfällt, dann darf Deutschland das nicht direkt oder indirekt unterstützen, sagen wir: durch BND-Agenten oder durch Überfluggenehmigungen. Wenn eine Bundesregierung, sagen wir: die rot-grüne Regierung von 2003, das unterstützt, muss sie sich straf- bar machen. Die Linke will deshalb eine rechtliche Klar- stellung auch im Strafgesetzbuch, also eine Präzisierung von § 80 Strafgesetzbuch. Eine entsprechende parlamen- tarische Initiative werden wir demnächst hier vorlegen. Es kann doch nicht sein, dass Deutschland militärisch mit Staaten kooperiert, die sich vorbehalten, Angriffs- kriege zu führen. Wir erwarten deshalb von Ihnen, dass Sie dafür sor- gen, dass kein Land – auch nicht die USA – jemals wie- der Stützpunkte in Deutschland oder deutsche Logistik für Angriffskriege nutzen kann. Wir erwarten aber auch, dass Sie den politischen Druck auf die drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, Russland und China erhöhen, den Internationalen Strafgerichtshof end- lich anzuerkennen und sich seiner Gerichtsbarkeit zu un- terwerfen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Von Deutschland soll nie wieder Krieg ausgehen, auch nicht in Form von Waffenlieferungen, die Kriegsführung anderswo mög- lich machen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am 10. Dezember werden wir den Tag der Menschenrechte feiern. Vor 64 Jahren haben die Vereinten Nationen an diesem Tag die Menschenrechte im internationalen Recht verankert. Bis heute ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das Wertegerüst der internationalen Gemeinschaft aller inzwischen 193 Staaten der Verein- ten Nationen. Menschen streben nach einem Leben in Würde, sozia- ler Sicherheit und Frieden. Wie keine andere Institution verkörpern die Vereinten Nationen dieses Streben. Die Vereinten Nationen besitzen inzwischen wichtige Mittel, um weltweit die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen und ihre Missachtung, wo dies möglich ist, zu ahnden. Da ist natürlich zu allererst der Internationale Strafge- richtshof, den die Vereinten Nationen 2002 ins Leben gerufen haben. Es ist erfreulich, dass wir den Gesetzent- wurf zur Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofes gemeinsam und hoffentlich einstimmig verabschieden werden. Die eigentliche Arbeit steht mit der Umsetzung in die nationale Rechtsordnung noch aus. Ich möchte mich heute aber noch auf ein anderes wichtiges Instrument beziehen, das den Menschen- rechtsschutz weltweit zum Ziel hat: das Verfahren des Universal Periodic Review. Es ist im Gegensatz zum scharfen Schwert des Gerichts eher eine Soft Power. Das UPR-Verfahren wurde im März 2006 durch die Resolu- tion 60/251 ins Leben gerufen. Beim Wandel von der VN-Menschenrechtskommission zum Menschenrechts- rat war es die wichtigste Weiterentwicklung; der Rat ist insgesamt ein Fortschritt gegenüber der vorherigen Kommission. Früher wurde nur eine kleine Auswahl an Staaten ge- prüft, heute müssen sich alle prüfen lassen. Alle Staaten sind dem Verfahren gleichermaßen unterworfen. Neben den Staaten selbst und VN-Expertenteams aus anderen Mitgliedstaaten wird auch die Zivilgesellschaft des zu prüfenden Staates in die Berichterstattung mit einbezo- gen. Daraus entsteht dann ein umfassender Bericht, der konkrete Maßnahmen empfiehlt, wie der Mitgliedstaat die Menschenrechte besser schützen, achten und ge- währleisten kann. Daraus ergeben sich zwei Chancen: erstens, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure in den Mitgliedstaaten besser miteinander kommunizieren, weil sie sich für den gemeinsamen Bericht vernetzen müssen; zweitens, dass die Regierungen – auch die Bundesregierung – weniger politisch voreingenommen berichten, indem sie die „Zi- vilgesellschaft stärker als bisher“ einbeziehen, wie dies die SPD fordert. Wir wollen, dass die Zivilgesellschaft systematisch und im Vorfeld mit einbezogen wird, sei es durch Anhörungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, sei es durch regelmäßige und verbindliche Konsultationen. Die größte Glaubwürdigkeit im weltweiten Bemühen um eine bessere Menschenrechtslage haben die Staaten, die sich auch um die Menschenrechte in ihrem eigenen Land kümmern. Will man Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten kritisieren, dann muss man selbst ver- bindlich, gar vorbildlich sein. Wir können nicht Staaten wie den Iran oder China kritisieren, wenn wir Vorwürfe ignorieren, Deutschland messe mit zweierlei Maß – „dou- ble standards“ – und sei voreingenommen. Zweierlei Maß, das mindert den Schutz der Men- schenrechte; Guantánamo hat es gezeigt. Deutschland soll bei Kritik an Missständen im Lande so viel Dialog- 25922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) bereitschaft und Engagement zeigen, wie wir es von an- deren Ländern wünschen. Was also hat die Bundesregie- rung getan, nachdem Deutschland zuletzt 2009 im UPR- Verfahren untersucht wurde? Der UPR-Bericht über Deutschland setzt Schwer- punkte in der Asyl- und Integrationspolitik, beim Schutz vor Folter, beim Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und beim Schutz vor Diskriminierung. Dji- bouti fordert zum Beispiel, dass Deutschland eine unab- hängige Institution schafft, die Beschwerden über Poli- zeigewalt untersucht. Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung diese Forderung zurückgewiesen. Die Bunderepublik hat 34 von 44 Empfehlungen des UPR- Berichtes von 2009 akzeptiert. Die SPD fordert zwar dazu auf, hinsichtlich der akzeptierten Empfehlungen detailliert die Umsetzungsschritte sowie die Erfolge und Probleme in diesem Prozess zu erläutern – das ist richtig –, ich finde aber, darüber hinaus müsste die Bun- desregierung erklären, warum zehn Empfehlungen nicht umgesetzt wurden. Das Zusatzprotokoll des Paktes über soziale, wirt- schaftliche und kulturelle Rechte, der WSK-Pakt, muss endlich ratifiziert werden. Das wurde bereits 2009 kriti- siert. 2013 wird es immer noch bemängelt – zu Recht –, nicht nur von uns Grünen, auch vom Deutschen Institut für Menschenrechte, DIMR. Die Bundesregierung muss sämtliche Empfehlungen ernst nehmen, sonst schwächt sie das Verfahren. Andere Staaten könnten sich daran ein schlechtes Beispiel neh- men. Im schlimmsten Falle werden einzelne unilateral aus dem Staatenüberprüfungsverfahren aussteigen, wie es Israel angedroht hat. Die Folgen für die Glaubwürdig- keit des Verfahrens wären verheerend. Doch der Umgang mit den VN-Empfehlung ist symp- tomatisch für ein tiefergehendes Problem: das schwache Engagement Deutschlands in den VN allgemein. Wir Grüne wollen, dass Deutschland über die VN globale Verantwortung übernimmt und sich in den VN weit akti- ver, engagierter und wirkungsvoller für Frieden und Menschenrechte einsetzt. Die VN sind nur so stark, wie ihre Mitgliedstaaten sie machen. Dies gilt besonders für den Schutz der Men- schenrechte. Nur wenn alle 193 ihren Beitrag leisten und einige vorbildlich sind, werden wir Fortschritte machen. – Dass Deutschland in den VN-Menschenrechtsrat wieder- gewählt worden ist, hat alle Mitglieder dieses Hauses ge- freut. Der Bundesaußenminister sprach von einem „Ver- trauensbeweis für Deutschland“. Doch für dieses Vertrauen muss sich Deutschland als würdig erweisen. Der nächste Zyklus 2013 des UPR-Überprüfungsverfah- rens bietet sich dazu an. Wir erwarten von der Bundesre- gierung, dass sie das Überprüfungsverfahren im Men- schenrechtsrat aktiv und glaubwürdig begleitet. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Energiewende im Gebäudebestand sozial gerecht, umweltfreund- lich, wirtschaftlich und zukunftsweisend umset- zen (Tagesordnungspunkt 17) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Klima- schutz, Energiewende und Effizienzsteigerung sind zen- trale Punkte der politischen Agenda in den kommenden Jahren. Wir müssen die Weichen für die Energiewende so stellen, dass sowohl wirtschaftliche als auch soziale Aspekte einfließen. Die christlich-liberale Koalition fährt mit Augenmaß und wirtschaftlichem Sachverstand. Die Energiewende braucht eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Auch dafür arbeiten wir als christlich- liberale Koalition. Der vorliegende Antrag der Grünen lässt das entwe- der vermissen oder beschreibt Maßnahmen, die wir be- reits umsetzen. Die Grünen wollen mit ihrer Regelungs- wut ideologische Forderungen zulasten von Mietern, Vermietern und Eigenheimbesitzern durchsetzen. Sie fordern mehr Transparenz und wollen an der Aus- gestaltung des Energieausweises herumfuhrwerken. Da- für haben wir schon sehr gute und strenge Regeln. Schon jetzt muss der Verkäufer auf Verlangen bei einem Eigen- tümerwechsel den Energieausweis parat haben. Sie wol- len den Energieausweis nun ab 2018 für alle Eigentümer zur Pflicht machen und koppeln dies an eine Zwangsbe- ratung. Das ist doch nur eine Arbeitsbeschaffungsmaß- nahme für Energieberater und Bürokraten. Wir haben hier bereits strikte Regeln, und die genügen. Die Grünen sollten daran denken, dass das auch je- mand kontrollieren muss. Dabei fordern Sie in dem An- trag den Abbau von Kontrolldefiziten, und gleichzeitig schaffen Sie mehr Kontrollbedarf. Das zeigt doch deut- lich, in welche Richtung Ihr Antrag geht: Bevormun- dung von Bürgern. Statt mehr Transparenz und Energie- einsparung stehen unter dem Strich komplizierte Kontrollmechanismen und mehr Bürokratie. Bündnis 90/Die Grünen fordern einen Energiespar- fonds von 3 Milliarden Euro jährlich. Das klingt beim ersten Hören gut. Jedoch scheinen Sie bei den Haus- haltsverhandlungen nicht dabei gewesen zu sein. Wir ha- ben große Anstrengungen unternommen, um die Mittel, die wir bereits bereitstellen, weiterhin bereitzustellen. Wir haben die Programme für die energetische Sanie- rung fortgeschrieben. 1,5 Milliarden Euro aus dem Ener- gie- und Klimafonds stehen nicht nur für 2012, sondern auch für 2013 und 2014 wieder für die CO2-Gebäudesa- nierung zur Verfügung. Das ist Planungssicherheit. Sie fordern mehr und mehr Geld, das Sie in einem Fonds von den kleinen Leuten einsammeln wollen. Las- sen Sie es bei den Hausbesitzern, damit die in ihr Ei- gentum investieren können. Die von SPD und Grünen regierten Länder lehnen Sonderabschreibungen für ener- getische Sanierungen ab. Auch das würde vielen Priva- ten helfen, die energetische Sanierung voranzutreiben. Wirken Sie auf Ihre Kollegen in den Ländern ein, damit wir hier endlich zu einem positiven Ergebnis kommen. Im vorliegenden Antrag fordern die Grünen Mindest- anteile für erneuerbare Energien, die gesetzlich festge- legt sind und regelmäßig angehoben werden sollen. Was Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25923 (A) (C) (D)(B) sagen Sie dem Hausbesitzer, der diese Erzeugungsart nicht wirtschaftlich nutzen kann? Was sagen Sie ihm, wenn er sich das nicht leisten kann? All dies sind Fra- gen, die Sie in Ihrem Antrag nicht beantworten. Der Antrag der Grünen zeigt eines deutlich: Die Grü- nen sind nicht nah am Menschen dran. Die Grünen wol- len ideologische Ziele über die Köpfe der Bürger in un- serem Land hinweg umsetzen. Sie denken nicht an die sozialen Folgen. Es hilft nicht, wenn im Antrag hier und da das Wort „sozial“ eingestreut wird. Genaue Angaben zur Ausgestaltung des Marktanreizprogrammes und zur Umgestaltung des Wohngeldes zu einem Klimawohn- geld machen Sie nicht. Es bleibt bei vagen Hinweisen. Eine sachliche Fundierung bleiben Sie hier schuldig. Lassen Sie mich noch auf einen Detailpunkt einge- hen: Die Grünen fordern, dass ab dem Jahr 2015 neue Ölheizungen durch Erneuerbare-Energien-Anlagen er- setzt werden. Wir halten an unserem Grundsatz fest, dass die Akteure selbst die für sie geeigneten Technologien auswählen. Wir haben als CDU/CSU mit dem Energiekonzept im Herbst 2010 die Ziele klar formuliert und werden sie in der christlich-liberalen Koalition umsetzen. Wir wollen maßvoll fordern und zielgerichtet fördern. Die Einhal- tung des Wirtschaftlichkeitsgebotes sorgt für soziale Ge- rechtigkeit. Technologieoffenheit in der Anwendung sorgt für Wirtschaftlichkeit. Wir wissen, dass unsere Ziele 20 Prozent weniger Pri- märenergie bis 2020 und 80 Prozent weniger bis 2050 sehr anspruchsvoll sind. Menschen aber mit überzoge- nen Maßnahmen zu verprellen und damit die gesamtge- sellschaftliche Akzeptanz für die Energiewende zu ge- fährden, ist nicht unser Weg. Wir werden die Bürger vor den überzogenen Forderungen der Grünen schützen. Ideologische Bevormundung von oben lehnen wir ab. Daher ist dieser Antrag für uns nicht tragbar. Wir lehnen ihn ab! Karl Holmeier (CDU/CSU): Ich denke, wir sind uns unter den Baupolitikern aller Fraktionen weitgehend ei- nig, dass die energetische Modernisierung des Gebäude- bestandes in der Wohnungs- und Städtebaupolitik oberste Priorität haben muss. Denn das Einsparpotenzial ist hier enorm. Der zur Debatte stehende Antrag betont insofern auch zu Recht, dass rund 40 Prozent des gesam- ten Energieverbrauchs in Deutschland auf das Heizen und Kühlen von Gebäuden entfällt. Dies müssen wir dringend ändern. Daher auch mein ständiger Appell: Energie, die gar nicht erst verbraucht wird, ist immer noch die beste; denn sie braucht erst gar nicht erzeugt zu werden. Wir sind uns sicherlich auch darüber einig, dass wir hier vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Wo wir uns aber ganz offensichtlich nicht einig sind, ist der Weg, auf dem das gemeinsame Ziel einer signifi- kanten Steigerung der Energieeffizienz im Gebäude- bestand erreichen wollen. Der Weg, den die christlich- liberale Koalition eingeschlagen hat, ist realistisch. Der Weg, den die Grünen beschreiten wollen und den sie mit dem vorliegenden Antrag untermauern, führt hin- gegen in die Irre. Sie wollen eine sozial gerechte und zu- gleich wirtschaftliche Bestandssanierung – und dies bei einer drastischen Verschärfung der Modernisierungs- standards. Hierzu fordern sie natürlich auch wesentlich mehr Geld aus dem Bundeshaushalt, obwohl ihnen an anderer Stelle die Haushaltskonsolidierung nicht schnell genug vorankommt. Meine sehr verehrten Kollegen von den Grünen, es ist zwar bald Weihnachten; davon sollten Sie sich aber nicht irritieren lassen. Wir sind hier im Deutschen Bundestag und nicht bei „Wünsch dir was“. Daher zurück zur Realität: Aus meiner und der Sicht meiner Fraktion müssen sich die Maßnahmen zur Steige- rung der Gebäudeeffizienz an drei wesentlichen Krite- rien orientieren: Erstens. Sie müssen vom Bundeshaushalt finanzierbar sein, ohne die nachfolgenden Generationen zu belasten. Zweitens. Sie dürfen die Menschen nicht überfordern, das heißt die Standards dürfen nicht zu hoch sein, und es darf keinen Sanierungszwang geben. Unsere Maxime lautet: Anreiz statt Zwang! Denn wir wollen die Bürge- rinnen und Bürger bei den Sanierungsmaßnahmen mit- nehmen. Und drittens müssen die Maßnahmen so angelegt sein, dass die Häuslebauer, Hauseigentümer und Mieter in der Lage sind, sich die Modernisierung auch leisten zu können. Das Energiekonzept der Bundesregierung und die da- rauf aufbauenden Maßnahmen folgen diesem Dreiklang. Darüber hinaus entwickelt Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer zurzeit einen Sanierungsfahrplan für den Ge- bäudebestand, der sich ebenfalls an diesen Kriterien orientiert. Außerdem kommt man auch nicht umhin, die bereits auf den Weg gebrachten Maßnahmen der christlich- liberalen Koalition anzuerkennen. Was haben wir bisher erreicht? Erstens. Wir haben beschlossen, das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm trotz schwieriger Haushaltslage von 2012 bis 2014 jeweils mit einem Pro- grammvolumen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro fortzu- setzen. Mit diesem Geld werden zinsverbilligte Kredite sowie Zuschüsse für die energetische Gebäudesanierung durch die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, bereitgestellt. Die Höhe der Investitionszuschüsse der KfW wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2012 auf bis zu 20 Prozent der Investitionssumme erhöht. Auch der Zuschuss für Einzelmaßnahmen ist von 5 Prozent auf 7,5 Prozent gestiegen. Dieses Programm ist eine klima- und wirtschaftspoli- tische Erfolgsgeschichte. Seit dem Jahr 2007 wurden da- mit über 1 400 Gebäude der sozialen und kommunalen Infrastruktur saniert. Jährlich wurden bis zu 300 000 Ar- beitsplätze im Mittelstand und Handwerk gesichert. Der Förderhebel öffentlicher Mittel zu privaten Investitionen beträgt hier durchschnittlich 1 : 12. Damit ist das CO2- Programm ein echter Wirtschaftsmotor. Unser Ziel ist es 25924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) daher, dieses Programm kontinuierlich weiterzuentwi- ckeln und gegebenfalls auch den Ersatzneubau für Ge- bäude der sozialen und kommunalen Infrastruktur zu er- gänzen. Zweitens. Darüber hinaus gibt es seit Januar ein neues KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“, für das der Bund 2012 rund 70 Millionen Euro und 2013 sogar 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Damit werden Maßnahmen zum Quartiersmanagement für die Steige- rung der Energieeffizienz vor allem in Altquartieren ge- fördert. Drittens: Außerdem haben wir als christlich-liberale Koalition im Deutschen Bundestag ein Gesetz zur steu- erlichen Förderung der energetischen Gebäudesanie- rung beschlossen. Hier sind es jedoch die rot-grünen Bundesländer, die sich aus der Verantwortung stehlen. Wenn es Ihnen, liebe Kollegen von den Grünen, mit der Gebäudesanierung wirklich ernst wäre, würden Sie auch dort Flagge zeigen und dem Gesetz zustimmen. Statt- dessen zeigen Sie nur mit dem Finger auf den Bund und wollen ausschließlich ihn die Lasten für die Energie- wende im Gebäudebereich tragen lassen. Verantwor- tungsvolle Politik und Glaubwürdigkeit sehen anders aus! Viertens. Auch im Bereich des Mietrechts fördert die christlich-liberale Koalition die energetische Gebäude- sanierung. Mit unserem Entwurf für ein Mietrechtsände- rungsgesetz sorgen wir dafür, dass das Mietrecht unter Wahrung seines sozialen Charakters für energetische Sanierungen investitionsfreundlicher wird. So sollen beispielsweise Mieter künftig für eine Zeit von drei Monaten energetische Modernisierungsmaßnahmen dul- den müssen, ohne die Miete mindern zu können. Außer- dem werden wir mit dem Gesetz Contracting-Modelle im Mietwohnungsbereich ermöglichen. Insgesamt sind wir also mit unseren Maßnahmen auf einem sehr guten Weg zur Schaffung eines klimaneutra- len Gebäudebestandes – und zwar ohne Zwang, ohne starre und unrealistische Zielvorgaben sowie mit Augen- maß und mit Rücksicht auf die nachfolgenden Genera- tionen. Der Antrag der Grünen erfüllt diese Kriterien leider nicht. Er ist ein unseriöses Sammelsurium von Wunsch- maßnahmen ohne Bezug zur Realität. Michael Groß (SPD): Die Schlagzeilen zum Thema Wohnen in den letzten Wochen spiegeln eindeutig die Ängste vieler Menschen wider: Aufruhr am Rhein oder drastische Mieterhöhungen in Neuperlach. Die Mieten steigen in Wachstumsregionen und zumindest die soge- nannte zweite Miete in ganz Deutschland. Eine Rentne- rin berichtet von zwei Mieterhöhungen in den Jahren 2008 und 2012 um jeweils 20 Prozent. Mietsteigerungen in Ballungszentren von 7 bis 10 Prozent sind keine Selten- heit, auch weil zumindest in Ballungsräumen zu wenige Wohnungen am Markt sind. Massiv steigende Stromkos- ten werden aktuell umgesetzt und weiterhin prognosti- ziert, aber auch für die Wärmeerzeugung benötigte Ener- gie wird teurer. „Stadtluft macht arm“ war in den letzten Wochen zu lesen. Legt man die Einkommensentwicklung der letzten zehn Jahre und den „Reichtums- und Armutsbericht“ der Bundesregierung in seiner nicht zensierten Fassung zu- grunde, sind inzwischen viele nicht mehr in der Lage, neben den Kosten für das Wohnen und die Mobilität große Sprünge zu machen. Circa 30 bis 50 Prozent des zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommens müssen durchschnittlich für das Wohnen aufgebracht werden, 15 Prozent für die Mobilität bei Fahrten zur Arbeit, zur Schule oder zu Freunden und in die Vereine. Nachhaltiges politisches Handeln hat den Gleich- klang von sozialen, ökonomischen und ökologischen Zielsetzungen zur Grundlage. Gesellschaftliche Verwer- fungen und ökologischer Nachholbedarf werden nicht allein über Wohnungsbaupolitik, Städtebauförderung und das Mietrecht zu korrigieren sein. Aber wir müssen soziale Trennung und Klimasegregation verhindern. Das Mietrecht ist auf keinen Fall der Hebel, um Kli- maschutzziele zu erreichen. Das Mietrecht muss in sei- ner sozialen Funktion erhalten bleiben. Das Mietrecht ist der Ort, um eine soziale Balance zwischen Vermietern und Mietern sicherzustellen. Investoren müssen dennoch ebenso motiviert wie der Mieter vor überhöhten Mieten und Mietsteigerungen ge- schützt werden. Die SPD-Fraktion hat dazu einen eige- nen Antrag vorgelegt. Wichtig ist, dass bei energetischen Gebäudesanierungen der Mieter Energieeinsparungen tat- sächlich feststellt und erst dann auch eine erhöhte Miete gerechtfertigt ist. Auf der Grundlage aller vorliegenden Berechnungs- modelle wird der Mieter allerdings nie so viel Heiz- und Nebenkosten einsparen können, wie ihn eine Mieter- höhung gegebenenfalls mehr belasten wird. Im Rahmen einer durchschnittlichen Mietdauer von sieben Jahren und bei durchschnittlichen Investitionskosten im durch- schnittlichen Wohnungsbestand wird sich eine größere Investition für den Mieter nicht amortisieren. Eine Voll- sanierung einer 60-Quadratmeter-Wohnung in einem in den 60er-Jahren gebauten Haus bedeutet eine Mietstei- gerung von 2,50 Euro pro Quadratmeter und damit eine um 150 Euro höhere Miete im Monat. Dem steht eine Energiekosteneinsparung von etwa 40 Euro gegenüber. Um diese große Differenz abzufedern, sind verläss- liche und planbare Förderprogramme des Bundes erfor- derlich. Die Mieter müssen vor zu hohen Kosten ge- schützt werden. Das Wohngeld ist anzupassen und der Heizkostenzuschuss wieder einzuführen. Auch diejeni- gen, die über wenig Einkommen verfügen oder von Transferleistungen leben müssen, dürfen nicht in energe- tisch unsanierte Quartiere verdrängt und müssen für das eigene Energiesparen belohnt werden. Gleichzeitig brauchen Vermieter und Investoren An- reize, um die oft nicht wirtschaftlichen Investitionen zu tätigen und sich daran zu beteiligen, Energieeffizienz und CO2-Reduzierung voranzutreiben. Daher fordern wir das energetische Gebäudesanierungsprogramm mit 2 Milliarden Euro im Haushalt fest zu verankern – ver- lässlich und planbar! Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25925 (A) (C) (D)(B) Eine weitere Verschärfung des Ordnungsrechts im Rahmen der Novellierung der Energieeinsparverordnung 2009 für den Bestand lehnt die SPD-Fraktion ab. Bereits jetzt sind Wohnungswirtschaft, Eigentümer und Mieter mit der Erfüllung der Anforderungen durch die beste- henden Standards im Bestand an die wirtschaftliche und finanzielle Belastungsgrenze gekommen. Vor diesem Hin- tergrund weise ich darauf hin, dass es auf einen ganz- heitlichen, technologieoffenen und quartiersbezogenen Ansatz ankommt. Das Ziel kann nicht heißen, das letzte Quäntchen aus den Gebäuden herauspressen, um für viel Geld noch ein Minimum an CO2-Einsparung zu generie- ren. Es ist wesentlich sinnvoller, die effizientesten Maß- nahmen mit der Versorgung durch regenerative Energien zu kombinieren. Grundsätzlich stellen sich Fragen an die Datengrund- lagen und die Technologien. Die theoretisch berechneten Verbräuche für Häuser und Wohnungen vor den Sanie- rungen sind höher als der tatsächliche Verbrauch. Aus- wertungen nach der energetischen Sanierung ergaben im Gegenzug, dass der tatsächliche Verbrauch höher war als der vorher rechnerisch kalkulierte Bedarf. Es richten sich außerdem noch offene Fragen an die Baustoffe hinsichtlich des ökologischen Fußabdrucks in Bezug auf Herstellung, Transport, Recycling, Brandge- fahren und Gesundheitsgefährdung. Es muss mehr Geld in die Forschung und städtebauliche Entwicklung inves- tiert werden, damit zielsicher, effizient und effektiv saniert werden kann. In einzelnen Städten liegen Erkenntnisse vor, dass bereits durch die Optimierung vorhandener Technik und kleinerer Maßnahmen 30 Prozent Energie- einsparung zu erreichen sind. Insgesamt müssen die Kommunen im Bereich der Stadtentwicklung und im Wohnungsbau unterstützt wer- den, um quartiersbezogene Ansätze gemeinsam mit an- deren wichtigen Akteuren vor Ort umzusetzen. Viele Städten und Gemeinden sind schon sehr weit. Sie wissen am besten über den Wohnungsbestand und die Leis- tungsfähigkeit der Vermieter und Mieter Bescheid. Sie müssen und können sich umsetzbare Ziele setzen. Neben der Energieeinsparung geht es aber auch um das soziale Leben, den altersgerechten Umbau, Barrierearmut und Inklusion. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben wer- den, und Immobilien und ihr Umfeld müssen aus wirt- schaftlichen Gesichtspunkten umfassend entwickelt wer- den. Deshalb wollen wir die energetische Stadtsanierung in die Städtebauförderung integrieren und diejenigen be- lohnen, die sich auf einen abgestimmten, realistischen Pfad einlassen. Einen großen Beitrag zur Energieeffi- zienz und CO2-Reduzierung kann und muss darüber hi- naus die dezentrale Energiegewinnung, -speicherung und -versorgung leisten. Wohnen ist Daseinsvorsorge. Die Menschen wollen bezahlbar wohnen und in den Städten und Gemeinden gut leben. Das ist die Aufgabe, der sich die SPD-Bun- destagsfraktion stellt. Wir werden ein Leitprogramm „Soziale Stadt“ mit einer wesentlich verbesserte Mittel- ausstattung und einem vernünftigen ressortübergreifen- den Ansatz weiterentwickeln sowie die Städtebauförde- rung mit mindestens 700 Millionen Euro verlässlich finanzieren und das Programm „Altersgerecht Um- bauen“ wieder in den Bundeshaushalt integrieren. Die Bezuschussungskomponente für diese Maßnahmen muss hier wieder enthalten sein. Die zweckgebundene soziale Wohnraumförderung ist auf dem jetzigen Niveau zu ver- stetigen und als Kompensationszahlung des Bundes bis 2019 fortzuführen. Sebastian Körber (FDP): Die heutige Debatte ver- danken wir einem langen Antrag der Grünen zur Ener- giewende im Gebäudebereich, von dem die Grünen selbst salbungsvoll im Titel behaupten, er wäre „sozial gerecht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunfts- weisend“. Sie behaupten darin unter anderem: „In allen Berei- chen gibt es gravierende Defizite und falsche Weichen- stellungen durch die Bundesregierung“. Also, liebe Kol- legen der Grünen, die einzigen Defizite befinden sich in Ihrer ideologischen Wahrnehmung und vor allem in Ih- rem Gedächtnis. Die Wahrheit ist: Wir stehen heute hier, weil diese Regierung nicht wie Sie nur geredet, sondern gehandelt hat, weil Schwarz-Gelb die Energiewende ein- geleitet hat und nicht Sie – und daran haben Sie bei den Grünen auch bis heute zu kämpfen. In dieser andauernden Sinnkrise ist Ihr Ansatz, um die Energiewende im Gebäudebereich „zukunftsweisend umzusetzen“, lediglich immer mehr Geld, Bürokratie und Überwachung. Das ist nicht „zukunftsweisend“, sondern selbst für grüne Verhältnisse mehr als rück- schrittlich. Besonders lächerlich wird es, wenn Sie am Anfang zunächst der Bundesregierung fehlendes Handeln und fehlende Konzepte vorwerfen und dann im Zuge des An- trags seitenweise auf die zahlreichen Initiativen dieser Regierung im Gebäudebereich kleinlaut eingehen und daran rumnörgeln. Wer hat also gehandelt und auch die Energiewende im Gebäudebereich voran-getrieben? Diese schwarz-gelbe Koalition! Sie wollen sich vor den Wahlen schnell den Mantel der bürgerlichen Mitte umhängen; in Wirklichkeit täu- schen Sie die Menschen: Sie sind nicht bürgerlich; Sie wollen den Einstieg in den ökologischen Überwachungs- staat – kaum ein Absatz in Ihrem Antrag ohne die Zu- sätze „verpflichtend“, „verbindlich“, „vorschreiben“, „Verschärfung“, „Kontrolle“, – und das lehnen wir ent- schieden ab. Aber der Gipfel ist: Sie betreiben die dreisteste, schlimmste Blockadepolitik im Bundesrat seit Lafontaine/ Schröder in den 90er-Jahren – im Bundestag immer mehr fordern und im Bundesrat alles blockieren! Und Sie wa- gen es, sich hier treuherzig hinzustellen und in diesen Antrag zu schreiben: „Hinzu kommt, dass die Verhand- lungen über den Steuerbonus für energetische Gebäude- sanierungen von der Bundesregierung ausgebremst und verzögert werden.“ Das ist ja geradezu grotesk. Wem wol- len Sie denn das ernsthaft erzählen? Sie wissen es natür- lich selbst besser. Seit einem Jahr blockieren Sie zusammen mit der SPD, vorneweg Herr Kretschmann und Frau Kraft – die SPD- 25926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) „Reserve-Kanzlerkandidatin“ der Herzen, falls Herrn Steinbrück die Luft endgültig ausgeht. Da weiß Deutsch- land, was ihm blüht, wenn nächstes Jahr Rot-Grün regie- ren sollte. Sie nehmen mit Ihrer Blockade alle Eigentümer und Hausbesitzer in Deutschland in steuerpolitische „Geisel- haft“. Ich fordere alle Hausbesitzer und Eigentümer auf, Protestschreiben und Protest-E-Mails an Rot-Grün zu schicken – insbesondere an Frau Kraft in Düsseldorf und Herrn Kretschmann in Stuttgart – dessen grüner Infra- strukturminister Hermann laut Bild gerade 200 000 Euro in Teekücheninfrastruktur investiert; das zeigt, wie „gut“ Sie mit Steuergeld umgehen können. Konzentrieren wir uns also auf die Fakten und nicht auf grüne Wunschträume: Auch in den Jahren 2013 und 2014 werden im Ener- gie- und Klimafonds Programmmittel von jährlich 1,5 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungspro- gramm zur Verfügung stehen. Mit dem erfolgreichen CO2-Gebäudesanierungsprogramm unterstützt die Bun- desregierung bereits die Kommunen finanziell bei der Finanzierung von energetischen Sanierungsmaßnahmen bei Gebäuden der kommunalen Infrastruktur. Zusätzlich werden mit dem von uns initiierten KfW- Programm „Energetische Stadtsanierung“ umfassende Maßnahmen mit Blick auf die Energieeffizienz und die Infrastruktur im Quartier angestoßen. Wir wollen so er- neuerbaren Energien breitere Einsatzmöglichkeiten in innerstädtischen Altbauquartieren bieten, weitere Inves- torengruppen in den Sanierungsprozess einbeziehen so- wie Energieeinsparung und Baukultur besser in Einklang bringen. Wieder so ein Fall: Sie lamentieren, wir würden nichts tun; ja, wer hat es denn eingeführt? Union und FDP! Übrigens: Alle Vorschläge zur Begrenzung des Mietanstiegs, die ich von Ihnen höre, gehen einseitig zu- lasten des Vermieters und sind ungeeignet, Mietsteige- rungen zu vermeiden und bezahlbaren Wohnraum zu er- halten. Vielmehr besteht die Gefahr der Verstetigung von Wohnraumknappheiten, wenn sich die Investitionsbedin- gungen für den Mietwohnungsbau verschlechtern. Der beste Mieterschutz ist, für ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Wir müssen die energetische Modernisierung des Ge- bäudebestandes stärker vorantreiben – aber nicht mit der „Zwangskeule“, sondern nach dem Motto „Unterstützen statt überfordern“. Die steuerliche Förderung von ener- getischen Modernisierungsmaßnahmen im Gebäudebe- stand ist zwingend. Wir werden Ihnen das so lange hier vorhalten, bis Sie Ihre Blockade aufgeben. Der Gebäu- debereich wird entscheidend zum Gelingen der Energie- wende beitragen. Union und FDP setzen – im Gegensatz zu den Grünen – die richtigen Rahmenbedingungen durch Planungssicherheit für gewerbliche Investoren und private Haushalte. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Der verantwortungs- volle Umgang mit unserer Umwelt, dem Klima und mit den begrenzten Ressourcen der Erde ist unsere Pflicht und unsere Schuldigkeit gegenüber unseren Kindern, Enkeln und deren Kindern. Er ist zugleich eine hoch- aktuelle, dringende Tagesaufgabe, weil schon viel zu viel Zeit ungenutzt verstrichen ist und die Zeichen der „menschgemachten“ Klimakatastrophe unübersehbar ge- worden sind. Die Linke bekennt sich programmatisch zu den inter- nationalen Klimaschutzzielen und fordert von der Bun- desregierung, ihre verbalen Verpflichtungen mit aktivem politischem Handeln dauerhaft und verlässlich zu unter- setzen. Wir unterstützen parlamentarische Initiativen, die die Erreichung der international vereinbarten Klima- ziele fördern wollen, wie der hier vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die GRÜNEN. Wir sagen aber auch: Ohne breite Akzeptanz in der Bevölkerung, ohne soziale Gerechtigkeit sind solche parlamentarischen Aktionen nicht tragfähig und werden daher unwirksam bleiben. Der Antrag führt zwar die Worte „sozial gerecht“ im Titel, wenn man ihn sich aber genauer anschaut, scheint das doch eher ein Feigenblatt zu sein in einem Wust von technischen, ordnungsrecht- lichen Forderungen und Regelungsvorschlägen. So rich- tig und berechtigt die Forderungen in ihrer Zielsetzung auch sein mögen, sie werden unerfüllbar bleiben, wenn sie den Betroffenen – das sind in diesem Falle 81 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner der Bundesrepublik – von „oben“ übergestülpt werden, ohne dass die sozialen Interessen aller Beteiligten ausgewogen berücksichtigt werden. Um es konkret zu machen: In keinem anderen Be- reich sind die Wohnkosten so schmerzhaft gestiegen wie bei den Kosten für Heizung, Strom und warmes Wasser. Die energiepolitische Wende ist daher schlicht auch not- wendig, um den Anteil der Wohnkosten an den Haus- haltseinkommen überhaupt noch schultern zu können – übrigens nicht nur der Mieterinnen und Mieter, son- dern auch sehr vieler Eigenheimbesitzer, für die ihr Häuschen aus der gedachten Altersvorsorge zu einem Armutsrisiko wird. Umsonst ist die Energiewende im Gebäudebestand nicht zu haben. Das wissen und akzeptieren wir. Wir ak- zeptieren daher auch, dass neben dem Staat und den Wohnungseigentümern auch die Mieterinnen und Mieter, die das wirtschaftlich tragen können, an den Kosten der Klimainvestitionen zu beteiligen sind. Um es mit dem DMB auszudrücken: „Die Mehrzahl der Mieter ist nicht arm. Aber die Menschen in den unteren Einkommens- gruppen sind fast ausschließlich Mieterinnen und Mieter.“ Die Folgerung aus dieser These darf aber nicht sein – wie man das gelegentlich aus der anderen Richtung der Wohnungswirtschaft hört –, dass man einen gewissen Teil unsanierten und damit angeblich preiswerten Wohn- raums für diesen Bevölkerungsteil vorhalten müsse. Die Forderung, man solle nicht „preiswerten Wohnraum wegsanieren“ ist nicht nur zynisch, sie ist auch wirt- schafts- und erst recht sozialpolitisch völlig inakzepta- bel. In den energetisch unsanierten Gebäuden wohnen die meisten Menschen mit niedrigen Einkommen. Wenn die Heiz- und Warmwasserkosten dort aufgrund steigender Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25927 (A) (C) (D)(B) Energiepreise das Niveau der Nettokaltmieten erreichen, dann sind es die Einkommensschwächsten, die die höchsten Rechnungen für eine unterlassene energetische Ertüchtigung zahlen müssen. Die energetische Wende kann nicht gelingen, wenn Menschen auf diese Weise ausgegrenzt werden oder wenn die Kosten von Moderni- sierungsmaßnahmen zu Armutsrisiken oder zu sozialer Spaltung in den Städten und Wohnquartieren führen. Ge- rade deshalb müssen alle Maßnahmen für einen konse- quenten Klimaschutz sehr ernsthaft mit flankierenden sozialen Maßnahmen verbunden werden. Die energeti- schen Sanierungsmaßnahmen sind in dem notwendigen und rechtsverbindlich vorgegebenen Rahmen ohne mas- sive staatliche Beteiligung völlig undenkbar. Schon deshalb müssen Fördermaßnahmen nicht allein an ihrem finanziellen Umfang bemessen werden, son- dern an ihren Wirkungen. Staatliche Förderung energeti- scher Sanierung muss in erster Linie an den erzielten Energieeinsparungseffekten orientiert sein, nicht an den Investitionskosten. Das heißt: Besonders effiziente ener- getische Sanierung muss auch besonders intensiv geför- dert werden. Die Forderung nach der Wirtschaftlichkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen muss für beide Seiten, für Vermieter und Mieter, gelten. Das heißt, vor- rangig solche Maßnahmen zu fördern, die die beste Kos- ten-Nutzen-Relation nachweisen. Warmmietenneutralität ist in der Regel nicht ohne öf- fentliche Förderung möglich. Das heißt: Was der Mieter bei der durch die Modernisierungsumlage steigenden Kaltmiete nicht aus Energiekostenersparnis „erwirt- schaften“ kann, muss durch öffentliche Förderung aufge- fangen werden. Wir unterstützen deshalb auch die – in diesem vorgelegten Antrag enthaltene – Forderung des Deutschen Mieterbundes nach Einführung eines „Klima- wohngeldes“, also einer zusätzlichen Kategorie im Wohngeld, die es berücksichtigt, wenn aufgrund einer energetischen Sanierung die Miete höher ist als ohne diese Sanierungsmaßnahme. Unterm Strich: Politik kann genaue Gesetze, Verord- nungen, Durchführungsbestimmungen, Regeln und Aus- nahmebestimmungen erlassen. Aber bei allem gilt: Jedes mit Gesetzen, Verordnungen usw. fixierte Ziel wird nur erreicht werden, wenn ihm eine adäquate Finanzausstat- tung zugrunde gelegt wird. Vermieter werden ihre Inves- titionsentscheidungen nicht von internationalen Klima- schutzzielen abhängig machen, sondern von der zu erzielenden Rendite an ihrem konkreten Investitions- standort. Mindestens aber wollen sie nicht draufzahlen. Mieter haben nicht plötzlich mehr Einkommen zur Ver- fügung, weil eine neue Energieeinsparverordnung in Kraft tritt. Nur die Politik, der Staat, kein anderer Betei- ligter kann diesen Interessenkonflikt wenn schon nicht auflösen, dann doch wenigstens ausgleichen. Dazu muss er aber zuallererst die soziale Dimension des Klima- schutzes im Auge haben und darf Förderung nicht nach Kassenlage, an Umfragewerten oder an Lobbyinteressen ausrichten. Wenn die finanzielle Ausstattung der Förder- programme einschließlich des EKF sich an den selbstge- steckten Klimaschutzzielen orientiert und der Einsatz der Fördermittel sich ausschließlich am Grad der erziel- ten Steigerung der Energieeffizienz ausrichtet, dann kann – und das muss es auch unter Klimaschutzerforder- nissen – Wohnen in Deutschland auf Dauer bezahlbar bleiben. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland hat sich international verpflichtet, den Aus- stoß von Klimagasen hierzulande um mindestens 40 Pro- zent bis 2020 und um 95 Prozent bis 2050 zu senken. Dennoch ist die Bundesregierung anscheinend in einem Winterschlaf gefangen. Ausreichende Förderung der energetischen Gebäudesanierung? Steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung? Mietrechtsnovelle? Baugesetzbuchnovelle? Soziale Wohnraumförderung? Städtebauförderung? Fehlanzeige! Zielführende Politik sieht so nicht aus. In der Summe führen die Defizite und Fehlsteuerun- gen bei der Gebäudesanierung dazu, dass Deutschland das EU-Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 weit verfeh- len wird. Die Bundesregierung hat nach Brüssel gemel- det, dass bis 2020 der Energieverbrauch gegenüber 2008 um lediglich 12,8 Prozent gesenkt werden könne. Damit fällt Deutschland deutlich hinter Länder wie Frankreich oder Spanien zurück. In ihrem eigenen Energiekonzept hat die Bundesre- gierung eine Senkung um 20 Prozent des Primärenergie- verbrauchs für den gleichen Zeitraum beschlossen. Eine Gesamtstrategie für die Energiewende im Gebäude- bereich ist dringend notwendig, sollen die Klimaschutz- ziele erreicht, die ökonomischen Potenziale erschlossen und die Sozialverträglichkeit gesichert werden. Die Bun- desregierung muss endlich eine konsistente Strategie für die sozialverträgliche Sanierung des Gebäudebestands mit dem Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050 entwickeln und konsequent verfolgen, wenn sie die Klimaziele erreichen will. Wir Grüne haben ein Maßnahmenpaket mit mehreren Aktionsbereichen vorgeschlagen. Im ersten Aktionsbe- reich ist dringend mehr Transparenz hinsichtlich des energetischen Standards von Gebäuden und Wohnungen herzustellen. Wir Grüne schlagen daher vor, die Energie- ausweise für Gebäude zu vereinheitlichen und auf den Bedarfsausweis zu beschränken, der den Energiebedarf des Gebäudes unabhängig vom Nutzerverhalten dar- stellt. Der Bedarfsausweis ist in seiner heutigen Form konzeptionell zu überarbeiten, zu erweitern und verbrau- cherfreundlicher und aussagekräftiger zu gestalten. Dazu sollte er auf sicheren, nachvollziehbaren und überprüf- baren Berechnungen basieren und zum Beispiel um die Angabe des Energieverbrauchs der letzten Verbrauchs- abrechnungen ergänzt werden. Der Bedarfsausweis sollte verpflichtend an eine Vor- Ort-Energieberatung geknüpft sowie um einen individu- ellen Modernisierungsfahrplan mit konkreten Moderni- sierungsempfehlungen für die Eigentümer ergänzt wer- den. Dieser Ausweis sollte bei Immobilieninseraten, Eigentümerwechsel, EnEV-relevanten Sanierungen so- wie zur Beantragung von Fördergeldern verpflichtend vorgeschrieben werden. Es sollte verbindlich vorge- schrieben werden, dass der Ausweis ab 2015 bei neuen 25928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Vermietungen und ab 2018 für alle Gebäude an Mieter ausgehändigt werden muss. Für die schrittweise Einführung des neuen Bedarfs- ausweises sollten entsprechend Fördermittel bereitge- stellt werden, wobei diejenigen, die früh aktiv werden, besonders von der Unterstützung profitieren sollen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die mithilfe der Bedarfsausweise ermittelten energetischen Kennzahlen unter Wahrung datenschutzrechtlicher Bestimmungen in einer Datenbank zu sammeln, um sukzessive den ener- getischen Zustand des Gebäudebestands zu erfassen und ein Monitoring zu ermöglichen. Diese Datenbank kann auch von Kommunen genutzt werden, etwa um Moder- nisierungsmaßnahmen zu planen oder ökologische Miet- spiegel, die den energetischen Zustand der Gebäude ent- halten, zu erstellen. Im zweiten Aktionsbereich sollten die Mindeststan- dards für die energetische Modernisierung angehoben werden. Der derzeit gültige Energiestandard von 90 bis 100 Kilowattstunden Energiebedarf für Wärme und Kühlung, Kilowattstunden pro Quadtratmeter und Jahr, soll bei Sanierung bis 2020 schrittweise auf 70 Kilowatt- stunden angehoben werden – 7-Liter-Haus. Bevor Sie jetzt wieder mit Zwangssanierung kom- men: Dieser Standard muss nur eingehalten werden – wie bereits heute in EnEG und EnEV vorgesehen –, wenn überhaupt saniert wird und die Sanierung wirt- schaftlich darstellbar ist. Die Umstellung auf erneuer- bare Energien bei der Einhaltung der Mindeststandards sollte mit Energieeffizienzmaßnahmen gekoppelt wer- den. Maßnahmen der energetischen Quartierssanierung sind leichter anzuerkennen, sofern diese mit Energieeffi- zienzmaßnahmen am einzelnen Gebäude einhergehen. Hinsichtlich des Erhalts von Baukultur sagen wir, dass Ausnahmeregeln für denkmalgeschützte Gebäude sowie für städtebaulich oder architektonisch besonders erhaltenswerte Gebäude weiterhin vorzusehen sind. Soweit es ihre städtebauliche Bedeutung zulässt, sol- len bei der Sanierung ökologische Ziele berücksichtigt werden; Ausnahmetatbestände für Bestandsgebäude, die nicht unter Denkmalschutz stehen oder als baukulturell erhaltenswerte Gebäude gelten, wollen wir auf den Prüf- stand stellen. Klar ist: Die Verschärfung der EnEV-Standards ist mit der gleichzeitigen Bereitstellung ausreichender Förder- mittel zu flankieren, um einen Modernisierungsstau zu vermeiden. Auch ist mittelfristig die Wirtschaftlichkeits- definition im Energieeinsparungsgesetz, EnEG, zu über- arbeiten, sodass die Anforderungen der EU-Gebäude- richtlinie zur Berechnung kostenoptimaler Niveaus berücksichtigt werden. Im dritten Aktionsbereich ist akut die Förderung des Energiesparens und der Effizienz neu auszurichten. Wir Grünen wollen die finanzielle Ausstattung der Förder- programme zur Gebäudemodernisierung auf 2 Milliar- den Euro per anno anheben, auf diesem Niveau versteti- gen und wieder in den Bundeshaushalt überführen. Die unsichere Finanzierung der CO2-Gebäudesanierungspro- gramme der KfW über den Energie- und Klimafonds bringen uns nicht weiter. Weiterhin ist ein neuer Energiesparfonds mit einem Finanzvolumen von 3 Milliarden Euro jährlich aufzule- gen sowie zu einer zielgerichteten und dauerhaften Effi- zienzinitiative auszubauen. Der Fonds soll dazu beitragen, den Strom- und Wär- meverbrauch zu senken und folgende Förderprogramme umfassen: Energieberatung und Informationen verbes- sern und die Erstellung von Energiebedarfsausweisen für jedes Wohngebäude fördern; energetische Modernisie- rung insbesondere in Wohnquartieren mit hohem Anteil einkommensschwacher und investitionsschwacher Haus- halte erhöhen; Stromeffizienz besonders sparsamer strombetriebener Geräte fördern, insbesondere in ein- kommensschwachen Haushalten; weitere Fondsmittel sollen für die Modernisierung öffentlicher Gebäude so- wie für die Einführung eines Klimawohngeldes zur Ver- fügung stehen, mit dem soziale Härten im Zuge der Mo- dernisierung verhindert werden. Zusätzlich ist eine steuerliche Förderung der energetischen Modernisierung so auszugestalten, dass sie sozial gerecht ist, einen zu- sätzlichen Modernisierungsanreiz für selbstnutzende Ei- gentümerinnen und Eigentümer darstellt, den Klimazie- len gerecht wird und die bestehenden CO2-Gebäude- modernisierungsprogramme der KfW sowie den grünen Energiesparfonds ergänzt. Auch sollte sich die Bundesregierung dafür einzuset- zen, dass auch zukünftig aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, EFRE, die Steigerung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien im Woh- nungsbestand förderfähig bleibt und die Begrenzung der Höchstsumme von 4 Prozent der nationalen EFRE-Mit- tel in eine Mindestsumme umgewandelt wird. Der vierte Aktionsbereich zielt darauf, endlich die Nutzung erneuerbarer Wärme voranzutreiben. Hierzu sollte die Bundesregierung das EEWärmeG über Neu- bauten hinaus auf den Gebäudebestand sowie auf öffent- liche Gebäude ausweiten. Die gesetzliche Verpflichtung zum Einsatz erneuerbarer Energien muss entsprechend beim Neubau sowie bei Modernisierungen und Aus- tausch bestehender Heizungsanlagen greifen. In den gesetzlichen Standard für den Einsatz erneuer- barer Energien ist ein Deckungsanteil von 20 Prozent bei Neubauten und 10 Prozent bei Bestandsbauten am jährli- chen Wärmebedarf festzuschreiben. Der Standard wird entsprechend der Marktentwicklung regelmäßig angeho- ben. Dazu ist im Gesetz alle fünf Jahre eine Steigerung um 10 Prozent bei Neubauten und 5 Prozent bei Altbau- ten vorzusehen; Es sollten jene Gebäude von der gesetzlichen Pflicht befreit werden, die die jeweils gültigen Bestimmungen der Energieeinsparverordnung um mindestens 50 Pro- zent übererfüllen, sowie sporadisch genutzte Gebäude und Gebäude mit einer Nutzfläche von unter 50 Quadrat- metern. In dem Gesetz sollte die maximale CO2-Reduktion in den Mittelpunkt gestellt werden und deshalb eine Ver- drängung neuer Ölheizungen ab dem Jahr 2015 durch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25929 (A) (C) (D)(B) Erneuerbare-Energien-Anlagen als Ziel gesetzt werden. Dies ist bei der Ausgestaltung der Förderrichtlinien zu beachten. Die Erschwernisse einkommensschwacher Haushalte und investitionsschwacher Eigentümerinnen und Eigen- tümer sind in dem Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, MAP, stärker zu berücksichtigen. Begleitend zum EEWärmeG sollte die Förderung der saisonalen Wärmespeicherung und des Ausbaus der Wär- menetze mit besonderem Augenmerk auf Nahwärmenetze ausgedehnt werden. Auch ist parallel zum EEWärmeG das Mietrecht so zu ergänzen, dass die Umstellung auf er- neuerbare Wärme mit Maßnahmen zur Effizienzsteige- rung einhergeht. Im fünften Aktionsbereich sollten die energetische Sanierung des Gebäudebestands wohnungspolitisch und mietrechtlich unterstützt sowie die soziale Entmischung in unseren Städten aufgehalten werden. Daher sollte die Bundesregierung im Rahmen der aktuellen Mietrechts- novelle die Modernisierungsumlage auf 9 Prozent absen- ken und auf die energetische Modernisierung sowie den altersgerechten bzw. barrierefreien Umbau konzentrie- ren. Die Bundesregierung sollte zusätzlich die Aufnahme der energetischen Gebäudebeschaffenheit in die ortsübli- che Vergleichsmiete stärker unterstützen. Wichtig wäre es, festzulegen, dass durch energetische Modernisierun- gen Primär- und Endenergie eingespart wird, damit Mieterhöhungen durch Heizkostenersparnisse refinan- ziert werden können. Ergänzend hierzu sollten energeti- sche Modernisierungen gegenüber anderen Modernisie- rungsmaßnahmen bei den Duldungsbestimmungen privi- legiert werden. Weiterhin wäre es zielführend, das Bürgerliche Ge- setzbuch, Mietrecht, Baugesetzbuch und Wirtschafts- strafgesetzbuch entsprechend den Anträgen auf den Drucksachen 17/7983 und 17/10120 zu ändern und wei- terzuentwickeln. Den Ländern ist endlich ein ernsthaftes und annehm- bares Angebot zu unterbreiten, das eine Verstetigung der Finanzhilfen nach Art. 143 c des Grundgesetzes für die soziale Wohnraumförderung bis zum 31. Dezember 2019 zweckgebunden vorsieht. Sie haben den Heizkostenzuschuss im Wohngeld ab- geschafft. Das wäre nur sinnvoll gewesen, wenn Sie ihn schrittweise in einen Klimazuschuss als Bestandteil des Wohngeldes weiterentwickelt hätten. Das Wohngeld ist endlich bedarfsgerecht weiterzu- führen und zu einem Klimawohngeld weiterzuentwi- ckeln. Im Rahmen des Klimawohngeldes wird ein Kli- mazuschuss für energetisch sanierte Wohnungen eingeführt, um einkommensschwache Haushalte zu un- terstützen. Der § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes, WiStG, sollte so ausgestaltet werden, dass er auf die bezirks- und quartiersspezifischen Entwicklungen der Kommunen stärker eingeht und die Wesentlichkeitsgrenze abgrenzt. Ergänzend hierzu sind die §§ 142 und 144 – Sanie- rungssatzung – sowie 172 – Erhaltungssatzung – des Baugesetzbuchs, BauGB, dahin gehend zu ergänzen, dass bei der Ausweisung von Sanierungs- und Milieu- schutzgebieten die Möglichkeit von Mietobergrenzen wieder zugelassen werden können. Herr Bundesbauminister, wachen Sie endlich aus Ih- rem bau- und wohnungspolitischen Winterschlaf auf! Schützen Sie Mieterinnen und Mieter vor steigenden Ne- ben- und Heizkosten sowie daraus folgender Energiear- mut. Bewahren Sie Immobilienbesitzerinnen und Immo- bilienbesitzer vor einer langfristigen kalten Enteignung ihrer unsanierten Gebäude über steigende Energiepreise. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfah- rens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (Ta- gesordnungspunkt 18) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Das Insolvenzrecht beschäftigt uns in dieser Wahlperiode als Daueraufgabe. Nach dem ESUG, das in den vergangenen Monaten den ersten Praxistest durchlaufen hat, haben wir kürzlich die Entfristung der Regelung zum Über- schuldungsbegriff beschlossen, um den Unternehmen an dieser Stelle die nötige Rechtssicherheit für die Zukunft zu geben. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ver- kürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte greifen wir nun ein Projekt aus dem Koalitionsvertrag auf. Eine Vereinbarung über eine schnellere Möglichkeit zur privaten Entschuldung findet sich hier, allerdings im Kapitel über die Wirt- schaftspolitik. Für uns als federführende Rechtspolitiker war das zunächst einmal überraschend. Das Anliegen, Unternehmen im Fall des Scheiterns ihrer Geschäftsidee einen schnelleren Fresh Start zu ermöglichen, ist aber auch für die Rechtspolitiker sicher nachvollziehbar. Wir haben alle ein Interesse daran, dass immer wieder Men- schen mit guten Geschäftsideen ein Wagnis eingehen, auch wenn ein Teil von ihnen mit dieser Geschäftsidee scheitert. Es ist gut, wenn sie die Chance erhalten, in an- gemessener Zeit wieder wirtschaftlich handlungsfähig zu werden und etwas Neues zu beginnen. Nun legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der sich über diese ursprüngliche Intention hinaus nicht nur auf Unternehmer, sondern auf alle privaten Schuldner erstreckt. Auch das ist plausibel; denn in der Tat ist eine verfassungsmäßig haltbare Abgrenzung zwi- schen den einen und anderen Schuldnern sehr problema- tisch. Wir wissen außerdem, dass auch unter den priva- ten Schuldnern vielfach schicksalhafte Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit Ursache der Überschuldung sind; oft auch Trennung und Scheidung – das möchte ich zwar nicht per se als „schicksalhaft“ bezeichnen. Es zeigt sich aber, dass die Probleme zumeist nicht in einem allzu leichtfertigen Umgang mit Geld liegen, sondern andere, oft einmalige Ursachen im Lebensverlauf haben. Oft ge- 25930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) hen dem Antrag auf ein privates Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung bereits Jahre voraus, in denen der Schuldner und gegebenenfalls auch seine Familie sich wegen der Schulden sehr stark einschränken müssen – mit allen Begleiterscheinungen für die Lebensgestal- tung, aber auch Ausweichreaktionen in Richtung Schwarzarbeit. Es ist deshalb ein richtiger Ansatz, wenn durch eine angemessene Regelung zur Restschuldbefrei- ung eine Perspektive für einen Neuanfang geschaffen wird. Es gibt aber auch die andere Seite: Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ hat ebenfalls eine hohe Bedeutung und verlangt grundsätzlich, dass eingegangene Ver- pflichtungen zu erfüllen sind. Beides muss gegeneinan- der abgewogen werden. Die Bundesregierung schlägt uns hier eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf drei Jahre vor, wenn im Insolvenzverfahren zumindest 25 Prozent der Schulden beglichen werden, auf fünf Jahre, wenn zumindest die Verfahrenskosten gedeckt werden. Die bereits vorliegenden Stellungnahmen zei- gen: Das ist den einen nicht weitreichend genug, den an- deren geht der damit verbundene Einschnitt in die Posi- tion der Gläubiger schon zu weit. Hier muss man gut überlegen, ob diese Hürde für alle Fälle sachgerecht ist, oder ob es weitere Möglichkeiten der Differenzierung geben sollte – etwa dort, wo auch der redliche Schuldner bei bestem Willen eine solche Quote nicht erfüllen kann oder wo auf der anderen Seite ein beschleunigtes „Frei- kaufen“ von leichtsinnig aufgehäuften Konsumschulden mit 25 Prozent allzu einfach erscheint. Der Ansatz, mit einer bestimmten Mindestquote einen Anreiz zu setzen, der zu einem frühzeitigen Insolvenzan- trag und unter Umständen auch zu überobligatorischen Bemühungen um die Erfüllung einer solchen Quote führt, die weit über den heute durchschnittlich erzielten Quoten liegt, erscheint jedenfalls zunächst einmal plau- sibel, und wir werden das konstruktiv prüfen. Das Gesetzgebungsverfahren greift weitere wichtige Punkte zur Verbesserung des Restschuldverfahrens auf. Eine wichtige Stärkung der Gläubigerrechte liegt darin, dass Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung künftig nicht mehr nur im Schlusstermin geltend ge- macht werden können. Entscheidend ist, dass sie bis da- hin zumindest schriftlich vorliegen müssen; bei später bekanntwerdenden Gründen ist auch die nachträgliche Geltendmachung noch möglich. Ärgerliche Fälle, in de- nen auch unredliche Schuldner Restschuldbefreiung er- langen konnten, weil die Gläubiger den Aufwand der Antragstellung im Schlusstermin scheuten, sind damit für die Zukunft ausgeschlossen. Eine Stärkung der Er- werbsobliegenheiten des Schuldners im Insolvenzver- fahren und seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten erscheinen ebenfalls gerecht und sinnvoll und stärken die Rechte der Gläubiger. Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs ist außerdem die Stärkung des außergerichtlichen Einigungsversuchs. Hier leisten die Schuldnerberatungsstellen oft eine sehr gute Arbeit, in der neben der Klärung der persönlichen Finanzlage auch viel Lebenshilfe geboten wird. Die Schuldnerberatungsstellen weisen allerdings darauf hin, dass das Ziel einer Stärkung der außergerichtlichen Eini- gung durch den Wegfall der gerichtlichen Zustimmungs- ersetzung aus ihrer Sicht gefährdet erscheint. Dies und die weiteren Vorschläge der sogenannten Stephan-Kom- mission sollten wir in den anstehenden Beratungen nochmals im Detail prüfen. Noch offen ist aus meiner Sicht die Regelung der funktionellen Zuständigkeit. Ursprünglich war im Refe- rentenentwurf die Übertragung der Verbraucherinsol- venz auf die Rechtspfleger vorgesehen, auch als Aus- gleich zur Übertragung von Zuständigkeiten auf den Richter im ESUG. Dies ist im nun vorliegenden Regie- rungsentwurf geändert, ohne dass uns das Ministerium dazu eine vertiefte Begründung liefert. Der Gesetzentwurf greift weitere Aspekte auf, die zu- sammen mit den genannten Änderungen dazu beitragen können, Gerechtigkeit und Akzeptanz des Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens im privaten Bereich zu verbessern. In den anstehenden Beratungen wird es unsere Aufgabe sein, für Schuldner und Gläubiger zu praktikablen Regelungen zu kommen, die einen ange- messenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden In- teressen ermöglichen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Nachdem wir im vergangenen Jahr die erste Stufe der Insolvenz- rechtsreform – das Gesetz zur weiteren Erleichterung von Unternehmen – erfolgreich abgeschlossen haben, sprechen wir heute über die zweite Stufe der umfassen- den Reform durch die christlich-liberale Koalition. Auch wenn der Schwerpunkt der letzten Stufe bei den Unternehmen und deren Erhalt im Falle einer Schieflage lag und der Schwerpunkt nunmehr bei den Verbrauche- rinnen und Verbrauchern liegt, gilt es auch in diesem Ge- setzgebungsverfahren, wieder einen angemessenen Aus- gleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu finden. Denn auch im Verbraucherinsolvenzverfahren gibt es Gläubiger, die ein berechtigtes Interesse daran haben, dass ihre ausstehenden Forderungen beglichen werden, und Schuldner, die nicht mehr alle ihre einge- gangenen Verbindlichkeiten bedienen können und daher auf eine zweite Chance setzen. Das geltende Recht enthält bereits einen Weg hin zu dieser zweiten Chance, zur Restschuldbefreiung. Dieser ist allerdings nicht nur im europäischen Vergleich ver- hältnismäßig lang, sondern auch in vielen Fällen nicht zielführend gewesen, da die ausstehenden Forderungen aufgrund fehlender Anreize für den Schuldner nicht be- glichen wurden. Der vorliegende Gesetzentwurf greift diese Fehlent- wicklung auf und sieht vor, die Dauer des Restschuldbe- freiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre zu halbieren. Allerdings setzt dies voraus, dass die betroffenen Ver- braucherinnen und Verbraucher einen Teil ihrer Schul- den begleichen, genauer gesagt: 25 Prozent, sowie die dazugehörigen Verfahrenskosten. Gelingt es dem Schuldner nicht, die Mindestbefriedi- gungsquote zu erreichen, so kann er zumindest, sofern er die Verfahrenskosten begleicht, die Wohlverhaltensperi- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25931 (A) (C) (D)(B) ode auf fünf Jahre verkürzen. Kann der Schuldner nicht einmal diese Kosten aufbringen, bleibt es bei der derzei- tigen Restschuldbefreiungsdauer von sechs Jahren. Da- mit wird deutlich, dass es auch in Zukunft nicht darum gehen kann, sich einen „schlanken Fuß“ zu machen. Wer eine Vielzahl von Verbindlichkeiten eingeht und diese dann nicht mehr begleichen kann, muss bereit sein, hier- für einzustehen. Ist er nicht dazu bereit, seine angehäuf- ten Verbindlichkeiten zumindest ansatzweise abzutra- gen, hat er auch weiterhin die Konsequenzen hierfür zu tragen und das Restschuldbefreiungsverfahren in vollem Umfang zu durchlaufen. Schließlich ist und bleibt ein solches Verhalten kontraproduktiv für alle Beteiligten und darf durch den Gesetzgeber nicht auch noch unter- stützt werden. Dies gilt es auch im weiteren parlamenta- rischen Verfahren nochmals deutlich herauszustellen. Das parlamentarische Verfahren sollte aus meiner Sicht aber auch dafür genutzt werden, an der einen oder anderen Stelle noch Veränderungen am Gesetzentwurf zu prüfen. Der Gesetzentwurf enthält zwar bereits einige Änderungen, die für eine höhere Effektivität bei der Um- setzung der gesetzlichen Vorgaben sorgen sollen. So soll beispielsweise zukünftig der außergerichtliche Eini- gungsversuch wegfallen, wenn dieser offensichtlich aus- sichtslos ist. Allerdings sehe ich durchaus auch noch Potenzial für weitere Verfahrensverbesserungen. So hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 21. Septem- ber 2012 angeregt, eine Länderöffnungsklausel in das Gesetz mit aufzunehmen. Die Landesregierungen sollen ermächtigt werden, das Verbraucherinsolvenzverfahren auf Rechtspfleger zu übertragen. Auch der erste Refe- rentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz sah eine Übertragung der Zuständigkeit für das Verbrau- cherinsolvenzverfahren auf die Rechtspfleger vor. Dem Rechtspfleger obliegen im Verbraucherinsol- venz- und im Restschuldbefreiungsverfahren bereits heute umfangreiche Aufgaben. Im Laufe des Verfahrens kommt es allerdings zu Zuständigkeitswechseln zwi- schen dem Rechtspfleger und dem Richter. Diese könn- ten durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm für die Länder behoben werden. Damit könnte man auch den unterschiedlichen personalwirtschaftlichen Belan- gen der einzelnen Länder Rechnung tragen. Zudem ist ausschließlich die funktionale Zuständigkeit betroffen, sodass ein mögliches Auseinanderfallen in den Ländern nicht weiter ins Gewicht fallen sollte. Auch wenn der Ausgleich widerstreitender Interessen nicht immer einfach ist, bietet der heute von der christ- lich-liberalen Koalition eingebrachte Gesetzentwurf hierfür bereits eine sehr gute Grundlage. Dennoch soll- ten wir das anstehende parlamentarische Verfahren dafür nutzen, ihn an der einen oder anderen Stelle noch zu ver- bessern. Sonja Steffen (SPD): Mit der Einführung der Insol- venzordnung im Jahr 1999 haben wir auch für natürliche Personen einen Weg aus den Schulden eröffnet. Die Überschuldung der privaten Haushalte ist immer noch ein großes Problem. Mittlerweile melden jedes Jahr mehr als 100 000 Privatpersonen Insolvenz an. Die soge- nannte Verbraucherinsolvenz ermöglicht es, dass per Ge- richtsbeschluss alle Restschulden erlassen werden, wenn der Überschuldete sich über mindestens sechs Jahre hin- weg an strenge Regeln hält. Diese Zeit bezeichnet man als „Wohlverhaltensperiode“ oder „Wohlverhaltens- phase“. Der nun vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass der Schuldner die Wohlverhaltensperiode von sechs auf drei Jahre verkürzen kann. Der Neustart in eine schul- denfreie Zukunft soll also wesentlich schneller möglich sein. Allerdings nur unter einer Bedingung: Der Schuld- ner muss innerhalb dieser drei Jahre mindestens ein Viertel seiner Schulden abgetragen und die Verfahrens- kosten beglichen haben. Die 25-Prozent-Quote, die bei Hinzurechnung der Verfahrenskosten auf circa 30 Prozent steigen wird, ist wissenschaftlich nicht hinterlegt. In den Zeiten vor der Insolvenzordnung gab es eine sogenannte Vergleichs- quote von 35 Prozent, die nur in jedem 500. Insolvenz- verfahren erreicht werden konnte. Die geplante Neuregelung kann daher nur eine Er- leichterung für die Fälle sein, in denen eine Erbschaft oder Hilfe aus der Verwandtschaft eintritt; denn es ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl der Insolvenz- schuldner mit Restvermögen in der Zwischenzeit gestie- gen ist. Nach Einschätzung der gerichtlichen Praxis und der Schuldnerberater wird der Großteil der Schuldner auch bei Ausschöpfung aller Arbeitsmöglichkeiten und eventuell vorhandener Drittmittel nicht in der Lage sein, die von Ihnen aufgestellten Tilgungsforderungen zu er- füllen. Es ist daher zu befürchten, dass mit der 25-Pro- zent-Regelung eine neue Zweiklassengesellschaft der In- solvenzschuldner geschaffen wird. Es muss außerdem verhindert werden, dass durch die- ses sogenannte Anreizsystem Missbrauch hervorgerufen wird, zum Beispiel durch die Zunahme von Schwarzar- beit. Es kann Ziel der Schuldner werden, rechtzeitig vor der Insolvenz die nötige Summe beiseitezuschaffen. Aber auch auf legalem Wege wird dazu eingeladen, bei knappen finanziellen Mitteln, die für die Begleichung der Quote noch reichen, vor der Insolvenz weitere Schulden zu machen, in dem Wissen, dass die Gesamt- schulden durch die Insolvenz um 75 Prozent reduziert werden und bereits nach drei Jahren ein Neustart erfol- gen kann. Zu Recht haben daher zum Beispiel viele Handwerks- betriebe die Sorge, dass sie zukünftig in noch größerem Umfang auf ihren Forderungen sitzen bleiben werden. Dennoch ist eine verkürzte Verfahrensdauer nicht per se abzulehnen. Der Gesetzentwurf bietet die Chance, in die Diskussion über die Verfahrenslänge einzusteigen. Hier ist zu fragen und zu untersuchen, welche Dauer für ein Leben unter dem staatlichen Zwang der Insolvenz angemessen ist, welche Anreize tatsächlich notwendig sind und wie ein vernünftiger Ausgleich zwischen den Interessen von Schuldnern und Gläubigern geschaffen werden kann. Über die Verkürzung der Restschuldbefreiung hinaus will das Bundesjustizministerium mit dieser Reform den 25932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) außergerichtlichen Einigungsversuch stärken. Überra- schenderweise sieht der Regierungsentwurf im Gegen- satz zum Referentenentwurf hierfür vor, „das mittlerweile weitgehend bedeutungslose gerichtliche Schuldenberei- nigungsplanverfahren abzuschaffen und stattdessen auch in den Verbraucherinsolvenzverfahren das bewährte In- strument des Insolvenzplans zuzulassen“. Mit diesem Vorhaben stoßen Sie nicht nur bei den Schuldnerberatern und Verbraucherschützern auf mas- sive Kritik; auch der Bundesrat hat hier erhebliche Zwei- fel angemeldet. Darüber hinaus soll bei offensichtlicher Aussichtslo- sigkeit künftig kein außergerichtlicher Einigungsversuch mehr unternommen werden müssen. Der Gesetzentwurf sieht für die aussichtslosen Fälle eine starre Definition vor: Ein Fall ist von vornherein aussichtslos, wenn die Gläubiger nur eine Befriedigungsquote von 5 Prozent oder darunter zu erwarten haben oder der Schuldner 20 oder mehr Gläubiger hat. Eine derart formale Vorgabe kann dazu führen, dass Schuldner automatisch in ein langwieriges Entschul- dungsverfahren geführt werden, obwohl die Aussicht auf eine außergerichtliche Einigung bestanden hätte. Laut Aussage der Verbraucherverbände lag bisher die außer- gerichtliche Einigungsquote bei 15 bis 20 Prozent. Dies ist auch der professionellen und umfassenden persönli- chen Beratungen durch die Schuldnerberatungen zu ver- danken. Wir müssen aufpassen, dass wir bei dem Versuch, den außergerichtlichen Einigungsversuch zu stärken, nicht letztlich genau das Gegenteil erreichen und dabei Türen nicht auf-, sondern zugeschlagen werden. Insbesondere dürfen hier nicht nur die Interessen der öffentlichen Haushalte im Vordergrund stehen. Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen leisten mit ihren teilweise sehr begrenzten Ressourcen eine sehr wichtige und gute Arbeit. Diese zu stärken und finanziell besser abzusichern, sollte eines unserer Ziele in diesem Gesetzgebungsverfahren sein. Als letzten Punkt möchte ich begrüßen, dass im Ge- setzentwurf Regelungen zum Schutz von Mitgliedern von Wohnungsgenossenschaften aufgenommen wurden. Zu dieser Problematik haben den Bundestag bereits viele Petitionen von Betroffenen erreicht. Wie die Regelung im Einzelnen ausgestaltet wird, werden wir sicher im Ausschuss noch diskutieren müssen. Aber ich denke, wir sind uns zumindest darin einig, dass der Verlust der Wohnung durch ein Verbraucherinsolvenzverfahren eine nicht zumutbare Härte darstellt. Insgesamt ist festzustellen, dass wir noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns haben. Aber ich freue mich auf die sicherlich konstruktiven Beratungen im Rechtsaus- schuss. Richard Pitterle (DIE LINKE): Der vorgelegte Ge- setzentwurf zur Verkürzung des Restschuldbefreiungs- verfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte zeigt eines sehr deutlich: Dieser Bundesregierung fehlt das so- ziale Bewusstsein. Entsprechend Ihrem Koalitionsvertrag und der Be- gründung Ihres Gesetzentwurfs hatten Sie ursprünglich nur gescheiterte Selbstständige zu einer Befreiung von ihren Schulden verhelfen wollen. Nachdem Sie gemerkt hatten, dass Sie eine Beschränkung nur auf diesen Perso- nenkreis aus Gründen der Gleichbehandlung rechtlich niemals hätten halten konnten, haben Sie den Kreis for- mell erweitert. Und so liest sich auch Ihr Entwurf. Der Vorschlag, Schuldner, die bereits voll erwerbstä- tig sind, durch Aufnahme von Zusatzjobs zu einer Erhö- hung ihres Einkommens zu bewegen, geht genauso an der Lebenswirklichkeit vorbei wie die Aufforderung, die Verwandten anzupumpen. Denn dadurch verringern sich keine Schulden, nur die Gläubiger werden ausgetauscht. Auch die genannten Quoten sind unrealistisch: Wenn mindestens 25 Prozent der Schulden bezahlt sind, kann nach drei Jahren die Befreiung von den restlichen Schul- den erfolgen. Zwar gibt es keine belastbaren Daten über die tatsächlich erzielten Befriedigungsquoten, doch häu- fig wird ein Wert von unter 10 Prozent genannt, wie die Regierung selbst schreibt. Wenn also nach sechs Jahren im Durchschnitt nur 10 Prozent aller Forderungen zu- rückgezahlt werden konnten, ist es nicht nachvollzieh- bar, wie die Bundesregierung dazu kommt, dass jemand zukünftig innerhalb von nur drei Jahren mindestens 25 Prozent zahlen können soll, um von seinen restlichen Schulden befreit zu werden. Darüber hinaus sehen wir bei dem außergerichtlichen Einigungsversuch noch erheblichen Nachbearbeitungs- bedarf. Er wird durch die Streichung des noch im Refe- rentenentwurf vorgesehenen gerichtlichen Zustimmungs- ersetzungsverfahrens erheblich geschwächt. Denn dann könnte beispielsweise bereits eine Minderheit der Gläu- biger eine außergerichtliche Einigung verhindern. Große Bedenken haben wir ferner bei der beabsichtig- ten erheblichen Ausdehnung der von der Restschuldbe- freiung ausgenommenen Forderungen – § 302 Nr. 1 InsO. Damit würde für viele Schuldner de facto die Möglichkeit der Restschuldbefreiung aufgehoben. Beispielsweise er- gehen häufig Unterhaltstitel, obwohl das betroffene El- ternteil finanziell nicht leistungsfähig ist. Doch das wurde nicht geprüft. Der Titel ist aber in der Welt. Nach Jahren kann ein Schuldner aber kaum mehr belegen, dass er trotz des Unterhaltstitels finanziell leistungsunfähig gewesen war. In diesen Fällen würden sich während der Wohlver- haltensphase mangels leistbarer Unterhaltszahlungen weiter erhebliche Schulden aufbauen, sodass für den Be- troffenen eine Befreiung von all seinen Schulden nicht in Sicht käme. Ähnlich wäre es bei der beabsichtigten Bevorzugung der Steuerforderungen. Damit wird wieder das Fis- kusprivileg eingeführt, also der Vorrang staatlicher An- sprüche gegenüber privaten, das aus guten Gründen vor einigen Jahren gestrichen wurde. Steuerschuldnern bliebe in der Praxis kaum noch Vermögen, um die For- derungen bei ihren nichtstaatlichen Gläubigern zu be- friedigen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25933 (A) (C) (D)(B) Der Bundesregierung fehlt der Blick zu den weniger Begüterten in diesem Land. Ihr geht es nur um ge- scheiterte Selbstständige, die – so haben Sie es in der Gesetzesbegründung ja auch geschrieben – der Koali- tionsvertrag bei der Verkürzung der Dauer des Rest- schuldbefreiungsverfahrens besonders im Blick hat. Diese Personengruppe ist häufig in der Lage, durch eine neue, oft gut bezahlte Tätigkeit in relativ kurzer Frist ei- nen Teil ihrer Schulden zurückzuzahlen. Für sie lohnt es sich, 25 Prozent der Forderungen zu zahlen, um die rest- lichen 75 Prozent nach drei Jahren loszuwerden. Hier lädt die Quote zum Missbrauch ein. Davon werden be- sonders die Kleingläubiger wie Handwerker, Einzel- händler oder kleine Dienstleister betroffen sein, deren Forderungen nicht extra besichert sind. Damit Sie mich nicht missverstehen: Auch gescheiterte Selbstständige verdienen unseren Schutz, aber eben nicht nur sie. Bei der Restschuldbefreiung geht es um den Aus- gleich der widerstreitenden Interessen: denen der Gläubi- ger an einer Rückzahlung möglichst vieler Forderungen und denen des Schuldners an einer möglichst schnellen Befreiung von seinen Schulden. In der Tat ist die allge- mein als lang empfundene Wohlverhaltensperiode von derzeit sechs Jahren bis zur Befreiung von den restlichen Schulden zu reformieren. Doch das Ergebnis sollte für alle Schuldnerinnen und Schuldner erreichbar sein, nicht nur für die Klientel der FDP. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Weit mehr als 100 000 Menschen melden pro Jahr mittlerweile in Deutschland Privatinsolvenz an. Die Gründe für eine private Insolvenz sind vielfältig. Oftmals sind sie sehr persönlich und hängen mit einer Krankheit, Arbeitslo- sigkeit oder einer Ehescheidung zusammen. Die Privatinsolvenz stellt die betroffenen Menschen für viele Jahre vor unüberwindbare Hindernisse. Für Menschen, die in Privatinsolvenz gehen müssen, ist schon die Suche nach einer Mietwohnung fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Teilnahme am gesellschaftli- chen Leben ist für diese Menschen deutlich erschwert. Klar ist auch, dass sie nicht erst mit dem Antrag auf Pri- vatinsolvenz Einschränkungen im täglichen Leben hin- nehmen müssen. Der Weg bis dahin ist häufig schon für viele Jahre mit Problemen finanzieller Art gepflastert. Die Privatinsolvenz ist immer nur der letzte Schritt. Sechs Jahre lang dauert nach derzeitiger Rechtslage die sogenannte Wohlverhaltensphase. Doch auch nach Ablauf dieser sechs Jahre können Menschen, die sich in der Privatinsolvenz befinden, nicht wieder uneinge- schränkt am Wirtschaftsleben teilnehmen. Weitere drei Jahre dauert es, bis der Eintrag bei der Schufa gelöscht wird. Dass Menschen so viele Jahre ihres Lebens solch weit- gehenden Einschränkungen unterworfen sind, lässt sich nicht rechtfertigen. Daher ist der Ansatz des Gesetzent- wurfs richtig, die Wohlverhaltensphase im Verbrau- cherinsolvenzverfahren zu verkürzen. Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit vor, die Dauer des Restschuldbe- freiungsverfahrens von sechs Jahre auf drei Jahre zu hal- bieren. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Schuldnerin oder der Schuldner während dieses Zeit- raums eine Mindestquote von 25 Prozent der bestehenden Schulden erfüllt und vorab die Kosten des Verfahrens be- gleicht. Wenn der Schuldner oder die Schuldnerin nur die Verfahrenskosten begleicht, soll sich das Restschuldbe- freiungsverfahren zumindest auf fünf Jahre verkürzen. Ansonsten bleibt es bei den bisherigen sechs Jahren. Darüber, ob die Schaffung eines Anreizsystems für eine schnelle Begleichung der Schulden sachgerecht ist, lässt sich diskutieren. Wie ein Schuldner oder eine Schuldnerin es allerdings bewerkstelligen soll, die vorgesehene Quote von 25 Pro- zent und die Verfahrenskosten innerhalb von drei Jahren zu befriedigen, ist mir ein Rätsel. Im Ergebnis werden nur wenige Schuldnerinnen und Schuldner von den Neu- regelungen profitieren. Ein wirtschaftlicher Neustart wird für die allermeisten wohl wie bisher erst nach fast zehn Jahren möglich sein. Da stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob wir hier nicht einen Luxusgesetzentwurf für Schuldner mit vermögenden Verwandten vor uns haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Anlie- gen des Entwurfs ist es, den außergerichtlichen Eini- gungsversuch entscheidend zu stärken. Im Regierungs- entwurf ist hierzu zu lesen, dass beim außergerichtlichen Einigungsversuch hohe Erfolgsquoten zu verzeichnen seien und dass außergerichtliche Einigungen der bessere Weg einer Entschuldung seien. Sie entlasteten die Insol- venzgerichte und führten so zu Einspareffekten in den Justizhaushalten der Länder. Außerdem ermöglichten außergerichtliche Einigungen eine einfachere, schnel- lere, kostensparendere und dem Einzelfall angemesse- nere Bewältigung der Insolvenzsituation. Eine umfassende Stärkung des außergerichtlichen Ei- nigungsversuchs wäre auch aus unserer Sicht richtig, wünschenswert und erfreulich gewesen. Vorschläge hierzu gab es genug. Leider stärkt der Gesetzentwurf den außergerichtlichen Einigungsversuch aber nicht ausrei- chend. Die Vorgaben zur Entbehrlichkeit des Einigungs- versuchs bringen die Gefahr mit sich, dass keine Einzel- betrachtung des konkreten Sachverhalts erfolgt. Dieser Gesetzentwurf ist noch nicht ausgereift. Im weiteren Verfahren werden wir Grünen uns dafür einset- zen, einerseits Schuldnerinnen und Schuldnern mehr und bessere Hilfestellungen zukommen zu lassen und ande- rerseits auch Gläubigerinnen und Gläubiger nicht unan- gemessen zu benachteiligen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- ministerin der Justiz: Vor 20 Jahren, am 3. Juni 1992, wurde dem Bundestag erstmals ein Entschuldungsver- fahren für natürliche Personen vorgestellt. Menschen, die unverschuldet, etwa aufgrund persönlicher Schick- salsschläge, in finanzielle Not geraten sind, sollten die Chance für einen Neuanfang erhalten. In den nachfolgenden Jahren zeigten sich auf der einen Seite die große Akzeptanz, die das Restschuldbe- freiungsverfahren bei den Bürgern erfahren hat, aber auf 25934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) der anderen Seite auch verfahrensrechtliche Hemmnisse für einen effektiven Neustart. Die hierzu eingeleiteten Reformvorhaben konnten in der vergangenen Legislatur- periode nicht umgesetzt werden. Mit dem heute vorgestellten Entwurf wollen wir die bestehenden verfahrensrechtlichen Hürden nun abbauen und verschuldeten Personen unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Gläubiger eine faire Chance für einen Neuanfang einräumen. Ein erster Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfes ist die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens. Der Entwurf eröffnet für alle Schuldner ein schnelles Ent- schuldungsverfahren, wenn sie besondere Anstrengun- gen unternehmen. Die derzeitige Laufzeit der Restschuldbefreiung von sechs Jahren soll daher künftig auf drei Jahre abgekürzt werden können, wenn der Schuldner innerhalb dieses Zeitraums sowohl die Verfahrenskosten als auch 25 Pro- zent der Forderungen der Insolvenzgläubiger erfüllt hat. Der Entwurf belässt es jedoch nicht dabei. Er lässt al- ternativ das Insolvenzplanverfahren in allen Insolvenz- verfahren, also auch im Verbraucherinsolvenzverfahren, zu. Dieses bewährte Instrument ermöglicht es künftig je- dem Schuldner, in Einvernehmen mit seinen Gläubigern flexibel und schnell zu einer Entschuldung zu gelangen. Ein weiterer Schwerpunkt des Entwurfs ist eine Ver- besserung der Position der Gläubiger. Quasi als Gegen- leistung für eine schnelle Entschuldung wird bei einer vorzeitigen Restschuldbefreiung eine Mindestbefriedi- gung der Gläubiger gefordert. Bislang können Gläubiger trotz der langen Wohlver- haltensphase leer ausgehen, da es sich für den Schuldner nicht lohnt, sich besonders anzustrengen. Ein solcher Anreiz wird erstmals mit der Mindestquote gesetzt. Die- ses System kann aber nur funktionieren, wenn bei der Festsetzung der Mindestquote einerseits die Interessen der Gläubiger im Blick behalten werden, sodass die Quote zu einer fühlbaren Gläubigerbefriedigung bei- trägt. Andererseits darf sie auch nicht unerreichbar hoch sein. Wir sind nach gründlicher Prüfung der Ansicht, dass die im Entwurf gewählte Quote von 25 Prozent diese Kriterien erfüllt. Eine weitere Neuerung findet sich in der Gestaltung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, das nun deutlich verschlankt wird. Ineffektive Bestandteile wie das ge- richtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren, das nicht einmal in 2 Prozent der Fälle genutzt wird, werden ge- strichen. Der Zwang zu einem außergerichtlichen Planverfah- ren entfällt, wenn eine Einigung mit den Gläubigern of- fensichtlich aussichtslos ist. Die in diesem Bereich über- aus wichtige Tätigkeit von Schuldnerberatungsstellen soll dagegen ausgebaut werden. Künftig sollen sie auch im gerichtlichen Verfahren den Schuldner begleiten und dort ihre bewährte Arbeit fortsetzen können. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen weiteren wichtigen Regelungsgegenstand eingehen: die Verbesse- rung des Schutzes insolventer Nutzer von Genossen- schaftswohnungen vor Wohnungsverlust. Unser Ziel, dem Schuldner eine neue Chance für ei- nen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, erfor- dert auch, dass er als Nutzer einer Genossenschaftswoh- nung ähnlich wie der Wohnungsmieter nach Möglichkeit seine Wohnung behalten kann. Nach bislang geltendem Recht muss der Insolvenzverwalter das Geschäftsgut- haben des Genossenschaftsmieters verwerten. Dieser verliert dadurch seine Mitgliedschaft, was wiederum die Genossenschaft meist zur Kündigung des Nutzungsver- hältnisses zwingt, weil die Genossenschaftswohnungen in erster Linie für die Nutzung durch Mitglieder be- stimmt sind. Künftig soll die Kündigung der Mitgliedschaft daher ausgeschlossen sein, wenn das Geschäftsguthaben be- stimmte Grenzen nicht übersteigt. Eine solche Begren- zung ist notwendig, damit nicht auch Anteile geschützt werden, die den Charakter einer Kapitalanlage haben. Dieses wichtige Gesetz sollte alsbald verabschiedet werden – die deutsche Wirtschaft und der gescheiterte Verbraucher verdienen eine effektive und schnelle Ent- schuldung und damit eine echte zweite Chance. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Sicherheitsrat – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse für Frieden und Abrüstung Beschlussempfehlung und Bericht zu den An- trägen: – Die internationale Schutzverantwortung weiterentwickeln – Schutzverantwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen (Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Die Mitgliedschaft Deutschlands in den letzten zwei Jahren im UN-Sicher- heitsrat ist ohne Frage eine Erfolgsgeschichte. Niemals zuvor konnte eine deutsche Regierung umfassendere neue Schwerpunkte und Impulse in das Gremium einbringen. Zudem haben wir unsere Präsidentschaft im Sicher- heitsrat der Vereinten Nationen erfolgreich genutzt und gute Ergebnisse insbesondere im Bereich des Schutzes von Kindern in Kriegsgebieten sowie im Klimaschutz erzielt. Endlich haben wir Instrumente im Rahmen der UN entwickeln können, die Kinder vor Gewalt und Misshandlung besonders schützen. Dies gilt vor allem in kriegerischen Auseinandersetzungen. Auf Initiative der Bundesregierung wurde daher am 12. Juli 2011 die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25935 (A) (C) (D)(B) Sicherheitsratsresolution zum stärkeren Schutz von Kindern in Kriegen und bewaffneten Konflikten verab- schiedet. Damit ist einstimmig beschlossen worden, gezielte Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser inter- national zu ächten und den Schutz von Kindern vor Missbrauch als Soldaten zu verstärken. Fortschritte konnten außerdem im Bereich des Klima- schutzes erzielt werden. Unter deutscher Präsidentschaft wurde das Thema Klimawandel und dessen mögliche Auswirkungen auf den Weltfrieden im Sicherheitsrat diskutiert und wurde eine einstimmige Erklärung ver- abschiedet. Im Zuge dessen ist UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gefordert, in seinen Berichten künftig Klimaas- pekte aufzunehmen. Erstmals wird damit in einer Erklä- rung, die von allen 15 Mitgliedern des Sicherheitsrates abgestimmt wurde, die Bedeutung des Klimawandels im Zusammenhang mit Frieden und internationaler Sicher- heit unterstrichen. Als 194. Mitglied wurde am 14. Juli 2011 der Südsu- dan als souveräner Staat anerkannt und als vollwertiges Mitglied in die Staatengemeinschaft aufgenommen. Da- mit konnte während der deutschen Ratspräsidentschaft erfolgreich der Fokus auf den afrikanischen Kontinent und die dortigen Herausforderungen gelegt werden. Bereits am 8. Juli 2011 hat der Deutsche Bundestag den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rah- men der Friedensmission der Vereinten Nationen im Südsudan (UNMISS) gebilligt. Damit wurde der Bedeu- tung, die der neugegründete Staat in den Friedensbemü- hungen in Nordostafrika einnimmt, Rechnung getragen. Deutschland hat mit der erfolgreichen Präsidentschaft im UN-Sicherheitsrat gezeigt, dass es seine internatio- nale Verantwortung mit großem Engagement ausübt und weltweit zur Lösung von Konflikten beiträgt. Ich sehe also die von der Opposition beschriebene Negativbilanz in keinster Weise. Ihr Antrag ist eher der klare Ausdruck von schlechtem politischen Stil, da die Opposition die Würdigung der von mir eben angespro- chenen Entwicklungen in ihren Anträgen verschweigt. Noch viel unverständlicher für mich ist, dass die Op- position die fehlenden Friedensinitiativen der Bundes- regierung kritisiert. Ich erinnere mich, dass unter der Präsidentschaft Schröders und Fischers im Sicherheitsrat der Irakkrieg verabschiedet wurde. Wo war dort Ihre Friedenspolitik? Ich erinnere mich, dass die Opposition in Libyen in den Krieg ziehen wollte. Wo war dort Ihre Friedenspolitik? Nein, Deutschland hat unter unserer Regierung seinen Beitrag zum Frieden, erstmals auch im Sicherheitsrat, umfangreich geleistet. Wir können uns sicher sein, dass die von uns geschaffenen Instrumente die jetzt abzu- schließende Mitgliedschaft überdauern werden. Natürlich ist es unerfreulich, dass die von uns ange- strebte Weiterentwicklung des Sicherheitsrates an den Vetokräften gescheitert ist. Trotzdem müssen wir weiter an einer modernen UN-Sicherheitsagentur arbeiten. Der Sicherheitsrat ist aus unserer Sicht in seiner heutigen Zusammensetzung überholt. Dies erleben wir nicht zuletzt in seiner Entscheidungsunfähigkeit beim Thema Syrien. Auch wenn Deutschland erst einmal aus dem Sicher- heitsrat ausscheiden wird, stehen wir vor weiteren Herausforderungen, die unsere Gestaltungsmacht erfor- dern. Die Post-MDG-Ära beginnt, und die CDU/CSU- Fraktion sieht die Ausgestaltung als eine der zentralen Herausforderungen der UN im nächsten Jahr an. Klar ist, dass die Welt sich seit der Jahrtausendwende dramatisch weitergedreht hat. Der beginnende Klimawandel zeigt uns drastisch die Begrenztheit unseres Lebensmodells und die globalen Verflechtungen. Unser Wirtschafts- und Lebensmodell als solches ist weder nachhaltig noch zu- kunftsfähig, noch entwicklungskonform, wenn wir mit „Entwicklung“ meinen, dass die, die Opfer unseres bis- herigen Treibens geworden sind, auch nur ansatzweise noch Rechte auf ein menschenwürdiges Leben verwirk- lichen sollen. Hinzu kommt, dass sich das Nord-Süd-Paradigma langsam auflöst. Deutlich wird das zum Beispiel an der G 20 oder den BRIC-Ländern, die nach vorne drängen. Noch weniger als früher können wir nur die Nord-Süd- Brille aufsetzen, sondern müssen eher von einer Arm- Reich-Dimension ausgehen. Das heißt zum einen, noch stärker als bisher gemeinsame Verantwortung sehen, und zum anderen, noch stärker als bisher nicht nur die Regie- rungsebene denken und sehen, sondern von der Perspek- tive derjenigen her denken, die schon heute und erst recht in Zukunft von den negativen Folgen einer falschen Politik und eines falschen Wirtschaftens betrof- fen sind. Hier geht es darum, wie Schwellenländer oder Mitteleinkommensländer, in denen die meisten Armen leben, ins Boot geholt werden, und auch um die Verant- wortung und Vorbildfunktion des Nordens. Diese Punkte werden von den bisherigen MDGs nicht berücksichtigt. Für die mögliche Post-2015-Agenda ist es aber un- bedingt notwendig, sich diesen komplexen Herausforde- rungen zu stellen und über das Denken der bisherigen MDGs hinauszugehen. Dies ist unser Ziel und unser Schwerpunkt für die Arbeit Deutschlands bei der UN. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Nächsten Monat gehen für Deutschland zwei außenpolitisch sehr erfolg- reiche Jahre als nichtständiges Mitglied des Sicherheits- rats der Vereinten Nationen zu Ende. Wie Außenminister Westerwelle in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung im September betonte, sind wir bereit, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Dementsprechend streben wir eine neue Kandidatur als nichtständiges Mitglied für den Sicherheitsrat für die Jahre 2019/2020 an. Außerdem werden wir unsere Be- mühungen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat weiter vorantreiben. Dieses Ziel haben wir in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben, und daran werden wir auch festhalten. Von einer „Negativbilanz nach zwei Jahren im UN- Sicherheitsrat“, wie von der Opposition behauptet, kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Wir haben eine ganze 25936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Reihe von Initiativen angestoßen und vieles erreicht. Im Folgenden möchte ich mich auf die meines Erachtens wichtigsten Errungenschaften konzentrieren. Vor dem Hintergrund der Umbrüche in der arabischen Welt war Deutschland im Sicherheitsrat sehr engagiert, um eine möglichst breite Unterstützung für einen friedli- chen Wandel zur Demokratie durch die internationale Staatengemeinschaft zu erreichen. So haben wir uns bei- spielsweise sehr früh dafür eingesetzt, dass sich der Si- cherheitsrat der Krise im Jemen angenommen hat und dass die internationale Staatengemeinschaft mit der ers- ten Sicherheitsratsresolution zu Jemen überhaupt mit ei- ner gemeinsamen Stimme gesprochen hat. Des Weiteren haben wir dazu beigetragen, Befassungen des Sicher- heitsrates zu Syrien und Libyen überhaupt erst möglich zu machen. Seither haben wir uns in den Vereinten Na- tionen aktiv für ein Ende der Gewalt in Syrien einge- setzt. Ferner hatte sich Außenminister Westerwelle wäh- rend des deutschen Vorsitzes des Sicherheitsrats im Sep- tember als Unterstützung des arabischen Frühlings auf seine Fahnen geschrieben, die Arabische Liga aufzuwer- ten, nachdem diese in vielen arabischen Ländern zu ei- nem wichtigen Akteur und Partner der UNO geworden war. Auch im Bereich der Afghanistan-Politik hat das deutsche Engagement im Sicherheitsrat einiges voran- getrieben. So wurde unter deutschem Vorsitz der Aus- schuss für die Al-Qaida-/Taliban-Sanktionen in jeweils einen Ausschuss für die Taliban und einen für al-Qaida geteilt – mit weitreichender Signalwirkung sowohl für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als auch für die afghanische Innenpolitik. Ein weiterer Themenkomplex, bei dem Deutschland einen großen Erfolg verbuchen konnte, war der Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten. Da Deutschland den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Kinder und bewaffnete Konflikte“ innehatte, kam uns eine besondere Verant- wortung bei der Verhandlung und der Annahme einer entsprechenden Resolution zu, durch die gezielte An- griffe gegen Schulen und Hospitäler völkerrechtlich ge- ächtet werden. Ferner konnte Deutschland erstmals das Thema „Si- cherheitspolitische Auswirkungen des Klimawandels“ auf die Agenda des Sicherheitsrats bringen. In der vom Sicherheitsrat einstimmig angenommenen Erklärung wurde festgehalten, dass der Klimawandel eine poten- zielle Bedrohung für den Weltfrieden und die internatio- nale Sicherheit ist. In Zukunft wird der Generalsekretär somit in seinen Berichten den Aspekt des Klimawandels mitberücksichtigen müssen – auch ein Erfolg für unser Anliegen, die Präventionsmechanismen von Krisen zu stärken. Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf die inter- nationale Schutzverantwortung zu sprechen kommen. Diese ist mit den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu Libyen zum ersten Mal als Begründung für Schutz- maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta herangezo- gen worden und hat somit einen erfolgreichen Eingang in die Praxis des Sicherheitsrats gefunden. Als Mitglied der „Freundesgruppe der Schutzverantwortung“ hat Deutschland von Beginn an die konzeptionelle Ausge- staltung der internationalen Schutzverantwortung geför- dert, sei es durch Förderung eines einheitlichen EU- Standpunkts oder auch durch einen engen Austausch mit dem UN-Sonderberater für die Schutzverantwortung. Besonders wichtig war und ist uns dabei die Stärkung der präventiven Aspekte, um ein Eingreifen mit militäri- schen Mitteln gar nicht erst nötig zu machen. Insofern haben wir uns, was Syrien anbelangt, seit Ausbruch der Gewalt kontinuierlich für ein entschiede- nes Vorgehen des Sicherheitsrats eingesetzt, vor allen Dingen um den Schutz von Zivilisten zu verbessern und um gegen massive Menschenrechtsverletzungen vorzu- gehen. Auch wenn diese Bemühungen bislang noch nicht erfolgreich waren, so werden wir weiterhin den UN-Sicherheitsrat als Gremium nutzen, um die Interes- sengegensätze mit Russland und China gezielt anzuspre- chen. Sie sehen also: Die Bilanz nach zwei Jahren im UN- Sicherheitsrat ist alles andere als „negativ“; sie ist viel- mehr beeindruckend! Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Ich bedaure es außerordentlich, dass ich gezwungen bin, diese Rede zu Protokoll zu geben. Ich selbst würde auch, wie vorgese- hen, um 1 Uhr oder 2 Uhr in der Nacht im Plenum spre- chen; aber das Thema „Zwei Jahre Bilanz der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat“ würde eine Kern- zeit dringend erfordern. Welch hehre Erklärungen gab die Bundesregierung zu Beginn ihrer zweijährigen Mitgliedschaft im obersten UN-Gremium, im UN-Sicherheitsrat, im Jahre 2011 ab. Sie wolle sich gemeinsam mit internationalen Partnern in so wichtigen Bereichen wie der Sicherheitsratsreform, dem Schutz der Menschenrechte, der Rüstungskontrolle und dem Nahostfriedensprozess engagieren. Kurz vor dem Ausscheiden Deutschlands aus dem UN-Sicherheitsrat muss man sich über das unterhalten, was die Bundesregierung als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat bewirkt hat – oder eben auch nicht. So ist aus ihren vollmundigen Ankündigungen, neuen Schwung bei der Reform des Sicherheitsrats erreichen zu wollen, nichts geworden. Weder gibt es eine grundle- gende Reform des UN-Sicherheitsrates, die der Realität des 21. Jahrhunderts entspricht, noch hat es die Bundes- regierung erreicht, einen ständigen Sitz im UN-Sicher- heitsrat für Deutschland mit anderen Partnern zusammen durchzusetzen. Es ist schön, dass Deutschland wieder Mitglied im UN-Menschenrechtsrat geworden ist; das kann aber das Versagen der Bundesregierung in der anderen Frage nicht ausgleichen. Die Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens fordern schon seit langem eine bessere Re- präsentation ihrer Kontinente, und dem müssen wir Nachdruck verleihen. Die Reform des UN-Sicherheits- rats bleibt eine zentrale Forderung, und sie muss auch die schrittweise Überwindung des Vetorechts der ständi- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25937 (A) (C) (D)(B) gen Ratsmitglieder zum Inhalt haben. Die unerträgliche Situation, die sich durch die Blockadehaltung von UN- Sicherheitsrats-Mitgliedern in Bezug auf Syrien gezeigt hat, macht das deutlich. Es ist völlig inakzeptabel, dass der UN-Sicherheitsrat dabei zur Handlungsunfähigkeit gepresst wurde und noch wird. Wie steht es um die Legitimation eines UN-Sicher- heitsrates, wenn fünf Staaten mit ihrem Veto sich als Mitglieder „erster Klasse“ gerieren und die UN blockie- ren können, obwohl es dringend einer gemeinschaftli- chen Aktion bedürfte? Jetzt werden Staaten wie Argenti- nien, Ruanda und Südkorea Deutschland in den Sicherheitsrat nachfolgen. Insgesamt ist das Verhalten der Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat eher von Einzelentscheidungen und nicht von einer Gesamtstrategie internationaler Politik geprägt. Das schwerste Versagen der Bundesregierung hat sich bei der Abstimmung über die Resolution 1973, der Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen, ge- zeigt. Mit dieser Sicherheitsratsresolution übernahm die internationale Gemeinschaft zum ersten Mal in einer UN-Resolution die Schutzverantwortung für die Zivilbe- völkerung in Libyen. Tausende Libyer verdanken dieser Resolution ihr Leben, da es galt, sie vor Muammar al- Gaddafi und den Gewalttaten seiner Gefolgsleute zu schützen. Und wie agierte die Bundesregierung in dieser Frage? Sie enthielt sich – und stellte sich damit gegen Partnerländer wie die USA, Frankreich, Großbritannien und Portugal. Wir alle wissen, wie dramatisch sich diese Enthaltung auf das Ansehen der Bundesregierung in der Welt ausgeübt hat. Ich sage: Notwendig wäre die klare Zustimmung gewesen, verbunden mit einem Monito- ring-Mechanismus, der die NATO-Mission überwachen sollte und dem UN-Sicherheitsrat jeweils aktuell berich- tet hätte und eine Überdehnung des Mandates hätte ver- hindern können. Aber noch schwerer wiegt: Bei dem Schutz von Men- schenrechten darf es keine Enthaltung geben! Denn die Norm der Internationalen Schutzverantwortung, die Res- ponsibility to Protect, wurde von der internationalen Ge- meinschaft im Jahr 2005 auf dem Weltgipfel verabschie- det, damit sich massive Menschenrechtsverletzungen wie in Ruanda und Srebrenica niemals wiederholen. Staaten haben demnach die Verantwortung, ihre Bevöl- kerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, systemati- scher Gewalt gegen Minderheiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Können oder wollen sie dies nicht leisten, geht die Verantwortung auf die inter- nationale Staatengemeinschaft über, die als letztes Mittel Schutzmaßnahmen nach Kap. VII der UN-Charta ergrei- fen kann. Die Diskussion um die Schutzverantwortung wird von Kritikern gern auf das militärische Element ver- kürzt. Die Schutzverantwortung wurde dabei als ganz- heitlicher Ansatz mit drei Säulen konzipiert: der Respon- sibility to Prevent, der Responsibility to React und der Responsibility to Rebuild. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Vorbeugung vor schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Um die Entscheidung für oder gegen einen militärischen Einsatz nachvollziehbar und überprüfbarer zu machen, müssen Leitkriterien aus- gearbeitet werden, wie sie von der Internationalen Kom- mission zur Intervention und Staatensouveränität im Jahr 2001 bereits formuliert wurden. Demnach soll ein mili- tärischer Einsatz nach dem Ernst der Bedrohung, der Redlichkeit der Motive, der Anwendung als letztes Mit- tel, der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Ange- messenheit der Folgen abgewogen werden. Ich möchte an dieser Stelle die Forderungen aufgrei- fen, wie sie in unserem Antrag und ähnlich auch im An- trag von Bündnis 90/Die Grünen, den wir nachdrücklich unterstützen, formuliert wurden: Die Bundesregierung muss für die Norm der internationalen Schutzverantwor- tung aktiv werben und darf nicht bloß Lippenkenntnisse abgeben. Sie muss dazu beitragen, dass ein nationales und regionales Frühwarnsystem für Menschenrechtsver- letzungen etabliert wird, indem bestehende Strukturen verbessert und regionale und subregionale Akteure bes- ser eingebunden werden. Und sie muss sich für die Aus- arbeitung von Leitkriterien, vergleichbar denen der In- ternationalen Kommission zur Intervention und Staaten- souveränität, starkmachen, die bei UN-mandatierten mi- litärischen Einsätzen zum Schutz vor massiven und sys- tematischen Menschenrechtsverletzungen herangezogen werden können. Zudem muss sie sich für einen Monito- ring-Mechanismus bei UN-Mandaten im Rahmen der Schutzverantwortung einsetzen, der beispielsweise eine zeitliche Begrenzung von Mandaten und klar bestimmte Berichtspflichten vorsieht. Die Weiterentwicklung der Internationalen Schutz- verantwortung hängt entscheidend vom Willen und En- gagement der Nationalstaaten ab. Hier muss die Bundes- regierung endlich durch Taten in Erscheinung treten! Der Antrag der palästinensischen Autonomiebehörde im UN-Sicherheitsrat, als vollwertiges Mitglied aufge- nommen zu werden, wurde durch die Androhung eines US-Vetos im Jahr 2011 praktisch zum Erliegen gebracht. Die Bundesregierung hatte sich mit ihren Äußerungen auf die Seite derer gestellt, die einen solchen Antrag nicht wünschen. Bei der Abstimmung zur Aufnahme Pa- lästinas als Mitglied in die UNESCO stimmte sie sogar mit Nein. Nun hat Präsident Abbas den Antrag in der UN-Generalversammlung gestellt, als Staat mit Be- obachterstatus – „non-member observer state“ – aner- kannt und somit im Status aufgewertet zu werden. Ich möchte das zum Anlass nehmen, das zu wiederholen, was ich bereits öffentlich geäußert habe. Das Anliegen der Palästinenser muss auch im Interesse Israels unter- stützt werden! Wie Weltbank und der Internationale Währungsfonds bezeugen, hat die palästinensische Autonomiebehörde alle Voraussetzungen für ihre Staatlichkeit geschaffen. Die enormen Preissteigerungen und sozialen Unruhen in der Westbank einerseits und die jüngste feindselige Aus- einandersetzung zwischen der Hamas und Israel anderer- seits haben die palästinensische Autonomiebehörde in ihrem Ansehen bei der eigenen Bevölkerung massiv ge- schwächt. Die Hamas geht aus all dem gestärkt hervor. Angesichts dieser Situation halte ich die Weichenstel- lung, mit der die Bundesregierung sich heute in der UN- 25938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Generalversammlung zu dem Antrag auf Aufwertung des Status von Palästina verhalten hat, für falsch. Es muss doch im Interesse der Europäischen Union und der internationalen Staatengemeinschaft sein, diejenigen zu stärken, die den multilateralen, friedlichen Weg über die Vereinten Nationen wählen, zumal eine große Zahl euro- päischer Regierungen für die Aufwertung stimmt. Die Schlussfolgerung muss sein, dem Antrag der pa- lästinensischen Autonomiebehörde zuzustimmen. Eine Aufwertung des palästinensischen UN-Status kann den Weg für einen neuen Nahost-Friedensprozess bereiten. Ein Nein hingegen würde von den Palästinensern als Nein zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung gewertet. Es braucht einen neuen Anlauf für einen wirklichen Friedensprozess, der die gesamte palästinensische Be- völkerung umschließt, damit endlich die Gewalt und der jahrzehntelange Konflikt im Sinne der Zwei-Staaten-Lö- sung beendet werden können. Angesichts der weitreichenden Umwälzungen in den arabischen Ländern muss doch jedem klar sein: Ohne eine derartige Lösung wird es immer möglich sein, dass Frustrationen, die aus inneren Konflikten in manchen arabischen Ländern resultieren, in Aggressionen gegen- über Israel gewendet werden können. Deshalb ist es ge- rade aus deutscher Verantwortung für Israel notwendig, eine klare Unterstützung zu dem Antrag von Präsident Abbas zu zeigen und deutlich ein Signal zur Rettung der Zwei-Staaten-Lösung zu geben. Besonders inakzeptabel finde ich es, wenn es europäische Länder gibt, die ihre Zustimmung zu dem Palästina-Antrag an die Forderung knüpfen, es müsse einen Verzicht auf ein mögliches An- rufen des Internationalen Strafgerichtshofes zu Protokoll geben. Eine derartige Forderung fällt in ihrer Grundhal- tung auf diese Staaten selbst zurück. Abschließend: Wir drängen darauf, dass der geplante Waffenhandelsvertrag, der nach langwierigen Verhand- lungen im Jahr 2012 nicht zustande gekommen ist, er- neut in der UN-Generalversammlung im Frühjahr 2013 auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die Bundesregierung muss darauf drängen, dass weiter verhandelt wird. Es braucht dringend völkerrechtlich verbindliche Standards für den Import, Export und Transfer von konventionellen Waffen, um weitere regionale Aufrüstungswettläufe und die Destabilisierung weiterer Regionen zu verhindern. Bijan Djir-Sarai (FDP): Am Ende der letzten Sicher- heitsratssitzung, die Außenminister Westerwelle leitete, ergriff der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, entgegen dem Protokoll das Wort. Er sagte fol- gende zwei Sätze: „Ich sage mehr als Dankeschön. Ich sage vielen, vielen Dank.“ Diese Worte könnten als Antwort auf den Antrag der Opposition eigentlich genügen. Der Generalsekretär dankt Deutschland für sein Engagement im Sicherheits- rat. Zuvor schon sagte der marokkanische Außenminis- ter zu Herrn Westerwelle auf Deutsch „Danke schön“. Anscheinend sind die Gesandten des Auslands alles an- dere als enttäuscht vom deutschen Vorsitz im Sicher- heitsrat der Vereinten Nationen, und zwar zu Recht. Ich werde Ihnen jetzt auch erläutern, warum. Hier einmal eine knappe Bilanz: Während unseres Vorsitzes hat Deutschland Initiativen zum Klimaschutz und zur globalen Abrüstung geleitet. Wir haben eine Re- solution zum Schutz von Kindern in bewaffneten Gebie- ten eingebracht. Das syrische Regime wurde weiter politisch isoliert, und Deutschland hat aktiv die Friedensbemühungen im Nahen Osten unterstützt. Wir haben eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga durch- gesetzt. Es wirkt schon realitätsfremd, wenn man der Bundes- regierung vorwirft, nicht genug für den Nahen Osten zu tun, wenn gleichzeitig Außenminister Westerwelle vor Ort Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Ha- mas führt. Genauso wirklichkeitsfremd ist die Klage, Deutsch- land habe bei einer Sicherheitsratsreform versagt. Natür- lich: Wir haben während unseres Vorsitzes keine Neu- strukturierung der Vereinten Nationen erreicht. Leider auch nicht den Weltfrieden. Aber wie es sogar in dem Antrag steht, wird solch eine Reform auch nicht im Si- cherheitsrat entschieden, sondern sie benötigt eine Un- terstützung von zwei Dritteln der 193 UN-Mitgliedstaa- ten. Und wie alle politischen Entscheidungsträger in diesem Saal wissen sollten, haben einige Staaten über- haupt kein Interesse, die verkrusteten Strukturen aufzu- brechen. Nichtsdestotrotz hat Dr. Guido Westerwelle ein Au- ßenministertreffen mit Indien, Brasilien und Japan orga- nisiert, um diesen Status quo zu ändern. Leider geht solch eine Revolution nicht blitzartig, auch wenn ich da- mit unsere werten Kollegen der Opposition nun enttäu- schen muss. Wir verfolgen das langfristige Ziel, ständi- ges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden. An dieser Prämisse hat sich nichts geändert. Wir haben daran gear- beitet, wir werden daran weiterarbeiten. Das Vertrauen in die deutsche Außenpolitik und deren friedensstiftenden Einfluss auf die internationalen Bezie- hungen ist groß. Und es wurde durch unseren Vorsitz im Sicherheitsrat noch verstärkt. Als Beweis der internatio- nalen Zustimmung zum Kurs der Bundesregierung wurde Deutschland vor wenigen Tagen in den UN-Men- schenrechtsrat gewählt – gegen Kandidaten wie Schwe- den. Das ist aller Ehren wert. Die zwei Jahre im Sicherheitsrat und der deutsche Vorsitz sind eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregie- rung. Wo die Opposition hier eine Negativbilanz er- kennt, ist mir fraglich. Daher wird die FDP-Fraktion die- sen Antrag ablehnen. Heike Hänsel (DIE LINKE): Heute stimmt die Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Antrag Palästinas auf Status eines Beobachterstaates bei der UN ab. Dies ist eine historisch wichtige Chance für den gesamten Nahen Osten. Mit der angekündigten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25939 (A) (C) (D)(B) Enthaltung Deutschlands gegen die große Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten, darunter auch EU-Länder wie Frankreich, Spanien, Schweden, Portugal, hat sich die Bundesregierung deutlich isoliert, auch in Europa. Zumal die Bundesregierung sogar versucht hat, die EU- Mitgliedstaaten von ihrem Ja abzuhalten. Die Aufnahme Palästinas als Beobachterstaat ist ein wichtiger Schritt, um eine Zweistaatenlösung überhaupt am Leben zu erhalten, denn in den von Israel besetzten Gebieten wer- den tagtäglich Fakten geschaffen durch immer neue Siedlungen, Vertreibungen und einseitige Grenzziehun- gen. Wir brauchen endlich ein Ende der Besatzung in der Westbank, die Aufhebung der Gaza-Blockade und eine Zwei-Staaten-Lösung! Die Bundesregierung verpasst am heutigen Tag diese historische Chance, und sie schwächt die palästinensischen Kräfte, die sich für eine Verhand- lungslösung aussprechen, die die Bundesregierung nach eigenen Angaben ja eigentlich unterstützen will. Das ist kontraproduktiv! Wir ziehen heute gleichzeitig Bilanz über fast zwei Jahre Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Und da zeigt sich, dass es die Bundesregierung in vielerlei Hinsicht verpasst hat, Friedensinitiativen zu befördern. Trotz Vorsitz in der Afghanistan-Arbeitsgruppe für das UNAMA-Mandat hat die Bundesregierung keine umfas- sende Friedensinitiative in der Region entwickelt; die Afghanistan-Konferenz im Dezember 2011 war ein Misserfolg, Pakistan nahm nicht daran teil, und die Zivilgesellschaft war nur symbolisch einbezogen. Sie verlässt sich stattdessen lieber weiterhin auf ihre be- währte Zusammenarbeit mit afghanischen Warlords und der korrupten Karzai-Regierung. Im Falle des syrischen Bürgerkrieges hat UN-Sonder- vermittler Lakhdar Brahimi ein schwieriges Mandat übernommen, nachdem sein Vorgänger Kofi Annan be- reits einen Sechs-Punkte-Plan für eine Verhandlungs- lösung des Konflikts vorgelegt hat. Dieser ist unter ande- rem daran gescheitert, dass Frankreich, die Türkei, Saudi-Arabien, Katar, die USA und andere Staaten ein- seitig auf Regime-Change setzen und die Rebellen aktiv unterstützen. Auch die Bundesregierung hat nicht zual- lererst das Ende der Gewalt von beiden Seiten im Blick, sondern unterstützt die Forderung nach einem Regime- Change von außen. Das manifestiert sich unter anderem in dem von der Bundesregierung mitfinanzierten Projekt „The Day after“. Frieden gibt es aber nur mit einem Dia- log, der alle Konfliktparteien mit einbezieht und zu ei- nem Interessenausgleich führt. Die UN-Charta und das Völkerrecht müssen oberste Priorität haben! Die Bundesregierung torpediert nun die schwierigen Bemühungen Brahimis um eine Verhandlungslösung im Syrien-Konflikt mit der geplanten Stationierung von Patriot-Raketen in der Türkei und setzt einseitig auf die militärische Eskalation durch die NATO. Eine solche Politik schwächt die UNO und fördert die Kriegsgefahr, nicht den Frieden. Wir brauchen eine Außenpolitik, die auf zivile und gerechte Konfliktlösungen setzt und die Vereinten Nationen in ihrer Rolle stärkt, statt sie durch NATO-Militärinterventionen zu marginalisieren. Hier ist auch der größte Unterschied zwischen den Positionen der SPD, der Grünen und unserer Fraktion: Zwar stellen Sie in den hier vorliegenden Anträgen fest, dass militärisches Eingreifen Konflikte nicht löst und letztes Mittel der Politik sein sollte. Aber in Wirklichkeit scheint die militärische Option immer mehr als erstes Mittel zu gelten. Denn für SPD und Grüne war die schwarz-gelbe Koalition beim Libyen-Krieg zu zöger- lich; die Enthaltung im Sicherheitsrat, die wir in dem Fall deutlich begrüßt haben, wurde von Rot-Grün scharf kritisiert. Wäre es nach Ihnen gegangen, dann wäre die Bundeswehr an den wochenlangen Luftbombardierun- gen Libyens beteiligt gewesen, die bis zu 50 000 Men- schen das Leben gekostet haben. Wo bleiben denn da Ihre friedlichen Konfliktlösungsstrategien? Die Bundesregierung weist als politischen Erfolg un- ter anderem die Verabschiedung einer Resolution für die Bekämpfung der Rekrutierung von Kindersoldaten auf. Durch die neue Resolution sollten die Angreifer von Schulen und Krankenhäusern aber nicht nur geächtet, sondern auch mit Sanktionen belegt werden. Beispiels- weise könnten Konten gesperrt oder Reiseverbote ver- hängt werden. „Diese Resolution ist nicht nur politisches Papier, sondern hat handfeste Konsequenzen“, sagte Außenminister Westerwelle. Mit keinem Wort und kei- ner politischen Konsequenz ging die Bundesregierung allerdings auf das Problem der Rüstungsexporte, speziell von Kleinwaffen, ein, die ja weltweit von Konflikt zu Konflikt weiterverkauft werden und womit die meisten Kindersoldaten gezwungen werden, zu kämpfen. Und darunter sind eben häufig auch deutsche Kleinwaffen, zum Beispiel Gewehre von Heckler & Koch. Solange sie Rüstungsexporte in Milliardenumfang selbst für Kon- fliktregionen genehmigen, sogar Lizenzen für eigene Waffenproduktion bewilligen, ist dieser Kampf gegen Kindersoldaten wenig glaubhaft! Die Linke ist für eine Reform und Demokratisierung der Vereinten Nationen: Die Struktur des UN-Sicher- heitsrats als bedeutendstem Entscheidungsgremium spiegelt alte Machtverhältnisse wider. Der Sicherheitsrat muss zugunsten der Länder Asiens, Afrikas und Latein- amerikas erweitert werden, und die UN-Vollversamm- lung muss die zentrale Rolle spielen. In diesem Kontext muss auch das Vetorecht neu diskutiert werden. Die Bundesregierung setzt sich in den stockenden Verhand- lungen darüber zu einseitig für einen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ein. Die Weltorganisation muss finanziell gestärkt, entsprechend ihrer Funktion politisch respektiert und zu einer handlungsfähigen Instanz zur Lösung internationaler Probleme ausgebaut werden, um weltweit Frieden und Entwicklung unter den neuen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen des 21. Jahrhunderts tatsächlich fördern und sichern zu können. Parallel zu einer Demokratisierung der UNO sollte der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zu einer gleichwertigen Instanz für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit aufgewertet werden, beispielsweise über die Festlegung von sozialen und ökologischen Normen für transnationale Unternehmen und generellen Rechten 25940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) und Pflichten von privaten Unternehmen. Hier fehlen ei- gene Initiativen der Bundesregierung völlig. Die Grünen stellen in ihrem Antrag die Umsetzung von „Responsibility to Protect“, R2P, als zentrale Herausforderung für einen wirksamen Menschenrechts- schutz im 21. Jahrhundert dar. Zwar verstehen die Grünen – wie die SPD – die Schutzverantwortung aus- drücklich nicht in erster Linie als militärische Aufgabe, aber diese Option müsse eingesetzt werden, wenn alle anderen R2P-Instrumente ausgeschöpft seien. Die Grü- nen fordern zwar die Verbesserung der Präventions- mechanismen von R2P und das genaue Festlegen von Kriterien für militärisches Eingreifen und dessen Länge, aber dass der Krieg dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen soll, ist zynisch. Mit dem Vorwand des Schutzes von Menschenrechten werden bereits Militärinterventio- nen geführt. Der Verweis auf die Schutzverantwortung liefert der internationalen Gemeinschaft nur weitere Gelegenheiten für Angriffskriege. Die Linke lehnt mili- tärische Interventionen unter dem Vorwand des Schutzes der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung konse- quent ab. Wir fordern stattdessen, dass die „Friedenskommis- sion zur Unterstützung von Staaten nach bewaffneten Konflikten“ in eine umfassende Friedenskommission erweitert wird, die nicht nur die Nachsorge, sondern auch konkrete Schritte zur Konfliktvorbeugung und nichtmilitärischer Konfliktlösung einschließlich präven- tiver Diplomatie zum Gegenstand ihrer Tätigkeit hat. Wir wenden uns strikt gegen die weitere Militarisierung der Vereinten Nationen, die bereits jetzt das Dreifache des UN-Haushalts für „Friedensmissionen“ ausgeben, während die humanitäre Hilfe, Armutsbekämpfung, Klimaschutz und zivile Konfliktlösungen unterfinanziert sind. Wir brauchen demokratisch reformierte Vereinte Nationen und die Auflösung aller Militärbündnisse. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir ziehen heute Bilanz aus zwei Jahren Deutschland im UN-Sicherheitsrat. Diese Bilanz ist, das will ich gleich vorabschicken, schlicht enttäuschend. So erfolgreich die Bewerbung um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat vor fast zwei Jahren war, umso erfolg- loser war leider das Wirken Deutschlands in der wich- tigsten Schaltstelle für Frieden und Sicherheit in der Welt. Für diese Bundesregierung zählte wieder einmal mehr die Verpackung und nicht der Inhalt. Das Dabei- sein war für sie wichtiger, als zu gestalten. Ziellos und ohne strategische Ausrichtung wurde das deutsche Mandat begonnen. Sie sind geradezu auf die Weltbühne am East River gestolpert. Deshalb verwundert es mich nicht, dass Deutschland kaum Akzente setzen konnte in Sachen UN-Reformen, nicht in Abrüstungsfragen und nicht in Sachen Nahostkrise. Keine Ideen haben, das ist die eine Sache. Das ist schlimm genug. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn die Bundesregierung dann auch noch beim Krisenmanage- ment wie in Libyen völlig versagt und ganz nebenbei das Prinzip der Schutzverantwortung, zu dem sich auch Deutschland 2005 auf dem Weltgipfel ausdrücklich ver- pflichtet hatte, missachtet. Es ist schlicht ein Skandal, dass ausgerechnet Deutschland sich im Sicherheitsrat gegen das Votum der Arabischen Liga bei der Frage ei- ner Intervention enthalten hat. Deutschland hat immer auch eine besondere historische Verantwortung, Men- schen vor Völkermord und schwersten Menschenrechts- verbrechen zu schützen. Dass ausgerechnet Deutschland den vielen in Bengasi eingekesselten Menschen, die in Todesangst auf das Massaker warteten, nicht ohne Wenn und Aber beistand und sich stattdessen an die Seite der ewigen Blockierer Russland und China stellte, war poli- tisch falsch und hat uns schweren Schaden zugefügt. Herr Westerwelle, die Bundesregierung hat sich bei Libyen schlicht aus der Verantwortung gestohlen. Selbst aus dieser offensichtlichen Fehlentscheidung haben Sie leider nichts gelernt. Statt nach Libyen die Schutzverantwortung zur Priorität zu machen, sind Sie einfach nur in die nächste Krise in Syrien gestolpert. Auch hier schwimmen Sie wieder nur mit und reden in „Freundesgruppen“, anstatt zu handeln. Noch immer warten wir auf eine selbstbewusste Krisendiplomatie und Initiativen zur Überwindung der russischen und chi- nesischen Blockade im Sicherheitsrat, und noch immer riegeln Sie die Grenzen Deutschlands für die syrischen Flüchtlinge ab, anstatt ihnen bei uns hier Schutz zu ge- währen. Das Mindeste, Herr Westerwelle, wäre doch, dass Sie denjenigen syrischen Flüchtlingen ein Visum gewähren, die bei ihren hier lebenden Familienangehöri- gen unterkommen wollen und könnten. Das wäre we- nigstens eine kleine humanitäre Geste. Noch nicht ein- mal die sind Sie bereit zu gewähren. Libyen und Syrien haben viele Fragen aufgeworfen, die an die Grundfesten der UNO rühren: wie wir zum Schutz von Menschen künftig Blockaden im Sicherheits- rat und den Missbrauch von Mandaten von Menschen verhindern können. Dennoch hat die Bundesregierung im Sicherheitstrat keine Lösung dieser zentralen Fragen vorangetrieben, die für die Ausbuchstabierung der Schutzverantwortung so wichtig sind. Nein, es waren wieder andere: Brasilien mit seiner Initiative „Responsi- bility while protecting“ und wir, die Opposition im Bun- destag. Wir haben die Anträge zur Schutzverantwortung vorgelegt, und wir Grüne haben die Experten zu einer Konferenz eingeladen, um nach Lösungswegen zu suchen. Sie haben offensichtlich noch immer nicht begriffen, dass die Schutzverantwortung die menschen- rechtspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist. Wir schon. Wir haben verstanden, dass wir im Sicher- heitsrat dringend Initiativen brauchen, wie wir bei Völ- kermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also bei schwersten Menschenrechtsverbrechen, Blockaden im Sicherheitsrat überwinden können. Wir bringen die Idee, die VN-Generalversammlung mehr in die Verantwor- tung zu nehmen im Sinne des „Uniting for Peace“. Und wir haben verstanden, dass wir dazu auch klare Leitplan- ken für Mandate brauchen. Dazu müssen wir die Vorschläge der Expertengruppe Kofi Annans weiterent- wickeln, das heißt etwa, auch enge zeitliche Beschrän- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25941 (A) (C) (D)(B) kungen und regelmäßige Überprüfungen von Mandaten voranzutreiben. Wir haben verstanden, dass es in Fragen schwerster Menschenrechtsverbrechen in erster Linie darum gehen muss, die vorbeugende Schutzverantwortung, die „Res- ponsibility to prevent“, in die Köpfe der Verantwortli- chen im Sicherheitsrat hineinzubekommen, um rechtzei- tig zu handeln, bevor Gewalt und Chaos regieren. Wir sollten Kofi Annans Vermächtnis nach Ruanda ernst nehmen und intensiv an einer zivilen und präventiven Schutzverantwortung arbeiten, um das Morden von mor- gen durch eine kluge Politik der Prävention von heute zu verhindern. Dazu brauchen wir in der Außenpolitik end- lich wieder eine neue Kultur der zivilen Krisenpräven- tion, wenn wir wieder als Zivilmacht ernst genommen werden wollen. Auch das hat diese Bundesregierung offensichtlich nicht verstanden. Sie entwickelt nicht etwa den Aktions- plan zivile Krisenprävention weiter und ergänzt ihn, etwa durch wichtige neue Instrumente zur politischen Vermittlung in Konflikten und Krisen, nein, stattdessen hat sie ihn einfach in die „Ablage P“, also in den Papier- korb, geschoben. Wichtige Institutionen wie das ZIF baut sie nicht aus, obwohl es immer mehr Aufgaben zu erfüllen hat. Und schließlich kürzt die Bundesregierung jetzt wieder die Mittel der zivilen Krisenprävention im Auswärtigen Amt und wartet ab, bis der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention“ ihr Ideen auf den Tisch legt. Wir schlagen dagegen den Aufbau ziviler Präven- tionsinstrumente, wie Pools für Mediations-, Polizei-, Verwaltungs- und Rechtsexperten vor. Wir wollen die Frühwarnung und Reaktionsfähigkeit in Sachen Schutz- verantwortung stärken durch die Einrichtung nationaler Kontaktstellen, sogenannter Focal Points, und wir wollen die Einrichtung eines Beirates zur Verhütung von Massenverbrechen. Da sind uns die Amerikaner mit ih- rem Mass Atrocity Prevention Board schon weit voraus. Liebe Bundesregierung, ich appelliere an Sie: Lassen Sie sich gerade in Sachen Schutzverantwortung nicht weiter nur treiben, sondern treiben Sie selbst etwas voran. Unser Antrag sollte Ihnen dazu Ansporn sein und Inspiration geben. Ich bitte deshalb hier im Parlament um eine breite Unterstützung. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der In- nenentwicklung in den Städten und Gemein- den und weiteren Fortentwicklung des Städ- tebaurechts – Antrag: Baugesetzbuch wirklich novellieren Beschlussempfehlung und Bericht zu den An- trägen: – Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung – Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch ver- bindlich regeln – Barrieren abbauen – Mobilität und Wohnen für alle (Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c) Peter Götz (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Ge- meinden und zur weiteren Fortentwicklung des Städte- baurechts wollen wir sowohl das Baugesetzbuch als auch die Baunutzungsverordnung ändern. Im Juni ver- gangenen Jahres haben wir in einem ersten Schritt zur Beschleunigung der Energiewende die notwendigen An- passungen im Baugesetzbuch vorgenommen. Mit dem jetzt vorliegenden zweiten Teil wollen wir uns im Wesentlichen auf die Stärkung der Innenentwick- lung in den Städten und Gemeinden konzentrieren: Wir wollen, dass in Zukunft die städtebauliche Ent- wicklung noch stärker als bisher durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgt. Die Umwandlung landwirt- schaftlich oder als Wald genutzter Fläche muss künftig besonders begründet werden. Wir wollen es durch eine Änderung der Baunutzungsverordnung den Kommunen erleichtern, in ihren Bebauungsplänen eine gewollte städtebauliche Verdichtung vorzusehen. Wir erleichtern den Kommunen die Steuerung der Ansiedlung von Ein- zelhandelsbetrieben. Ein weiterer Komplex sind Maßnahmen, die zu einer geordneten Entwicklung im Außenbereich des ländli- chen Raums beitragen sollen. Wir wissen, dass die bäu- erliche Landwirtschaft zu den tragenden Säulen der wirt- schaftlichen Entwicklung im ländlichen Raum gehört. Ihre bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten dürfen nicht beeinträchtigt werden. Allerdings sind durch die Ansiedlung von großen Tierhaltungsanlagen in den letz- ten Jahren zunehmend Fragen aufgeworfen worden, ob die Standorte städtebaulich verträglich sind oder der Ent- wicklung der Gemeinden entgegenstehen. Wir haben uns deshalb die Frage gestellt, wie die Ge- meinden trotz der privilegierten Zulässigkeit dieser Tier- haltungsanlagen im Außenbereich die Instrumente der Bauleitplanung zum Einsatz bringen können. Dabei geht es vor allem um die industrielle Intensivtierhaltung, die teilweise Ausmaße angenommen hat, die zu einer nach- haltigen Beeinträchtigung der Umwelt sowie der Le- bensqualität führen kann. Nur für diesen Bereich und nicht für den normalen landwirtschaftlichen Betrieb brauchen die Kommunen wirkungsvolle Steuerungs- möglichkeiten, die wir mit diesem Gesetz vorschlagen. Ich werde in den parlamentarischen Beratungen auf diese Unterscheidung großen Wert legen. Eine pauschale Verdammung landwirtschaftlicher Vorhaben im Außen- bereich tragen wir nicht mit. Zur Unterstützung des Strukturwandels in der Land- wirtschaft schlägt die Bundesregierung außerdem vor, den Begünstigungstatbestand für ehemals landwirt- schaftlich genutzte Gebäude maßvoll zu erweitern. 25942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Ein dritter Punkt sind jene Regelungsvorschläge, die darauf abzielen, konkrete Vorhaben in den Städten und Gemeinden durch aktives Handeln zu unterstützen. Dazu zähle ich insbesondere die Erweiterung des gemeindli- chen Vorkaufsrechts zugunsten eines Dritten. Diese Regelung wird zur Verfahrensvereinfachung und Verfah- rensbeschleunigung beitragen. Gemeinden und Investo- ren werden dadurch außerdem entlastet. Ein weiteres stadtentwicklungspolitisches Problem, das dem Ziel einer qualitätsvollen Innenentwicklung der Städte und Gemeinden widerspricht, greifen wir mit die- sem Gesetz ebenfalls auf: In den letzten Jahren prägen zunehmend verwahr- loste, nicht mehr wirtschaftlich nutzbare Gebäude das Bild vieler Städte, teilweise auch der Innenstädte. Solche „Schrottimmobilien“ stellen aufgrund ihrer negativen Ausstrahlung auf die Umgebung für viele Kommunen eine große Herausforderung dar. Nicht selten werden solche Immobilien als Spekulationsobjekte gehalten, die nach und nach dem Verfall preisgegeben sind. Struktur- schwache Regionen, die mit wirtschaftlich bedingten Bevölkerungsverlusten und auch mit den Folgen des de- mografischen Wandels kämpfen, sind davon besonders betroffen. Dies gilt sowohl für die Großstädte als auch für Gemeinden im ländlichen Raum. Erlauben Sie mir noch den Hinweis darauf, dass die Bundesregierung dem Wunsch nach einem verbesserten Vorschlag für die rechtliche Unterstützung des energie- effizienten und klimaneutralen Quartiersumbaus nachge- kommen ist. Wir wollen energieeffiziente Lösungen, die einerseits dem Klimaschutz Rechnung tragen, die aber auch wirtschaftlich sind und von den Haus- und Grund- stückseigentümern angenommen werden. Ordnungspoli- tische Zwänge sind der falsche Weg. Auch wollen wir durch eine Änderung des Städtebaurechts eine verbes- serte Steuerung von Vergnügungsstätten ermöglichen und für die Anwendung städtebaulicher Verträge klar- stellende Regelungen aufnehmen. Wir haben einen guten Gesetzentwurf. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Ge- setzentwurf einige interessante Punkte angesprochen, die wir in den Beratungen diskutieren werden. Im Bau- und Planungsrecht ist es eine gute und be- währte Tradition, im Vorfeld der parlamentarischen Be- ratungen zusammen mit ausgewählten Kommunen im Planspiel gesetzliche Auswirkungen zu testen. Die Er- gebnisse des Planspiels und der vereinbarten Sachver- ständigenanhörung fließen in unsere Entscheidungs- findung ein. Ich bin optimistisch, dass wir diesen Gesetzentwurf, so wie seine Vorgänger, im guten und of- fenen Gedankenaustausch beraten. Es wird für mich nach mehr als 20 Jahren wohl das letzte parlamentari- sche Verfahren zur Änderung des Baugesetzbuches sein. Mein persönlicher Wunsch ist es, dass wir es auch dieses Mal wieder quer durch alle Fraktionen schaffen, zu ei- nem breiten Konsens über die wesentlichen Änderungen des Baugesetzbuches zu kommen. Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum ist gerade im Baubereich für alle Akteure in den Rathäu- sern, aber auch für Investoren ein nicht zu unterschät- zendes hohes Gut. Deshalb sind Deutscher Bundestag und Bundesrat gut beraten, beim Baugesetzbuch und der Baunutzungsverordnung möglichst mit großer Mehrheit an einem Strang zu ziehen. Das erfordert Kompromisse in der Sache. Lassen Sie uns darüber reden. Ich wünsche uns fruchtbare Beratungen. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Heute machen wir einen wichtigen Schritt in Richtung der not- wendigen Novelle des Bau- und Planungsrechts. Das deutsche Baugesetzbuch ist seit Jahrzehnten ein bewährtes und verlässliches Planungsinstrument. Das Baugesetzbuch und die Bauordnungen der Länder haben mit dafür gesorgt, den enormen Nachholbedarf bei Infra- struktur und Siedlungsbau in Ostdeutschland zu stem- men. Dank gemeinsamer Anstrengungen des Bundes, der Länder und Kommunen ist es uns gelungen, die durch Plan- und Mangelwirtschaft verursachten Defizite zu beheben. Geänderte Lebensumstände und neue gewerbliche Strukturen erfordern eine Anpassung im Bebauungs- recht. Mit den demografischen Veränderungen und wei- teren Flächeninanspruchnahmen wächst die Forderung aus den Kommunen an den Gesetzgeber. Der Schutz landwirtschaftlicher Flächen vor weiterer Inanspruch- nahme durch Siedlung und Verkehr hat für die christlich- liberalen Koalitionspartner große Priorität. Wir haben auch Verständnis für den Unmut der Landwirte, wenn wertvolle Böden für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen geopfert werden. Wir verstehen die Kritik, wenn mehr und mehr Fläche im Außenbereich versiegelt wird. Wir nehmen Beschwerden der Bevölkerung über Belastun- gen durch Agrargewerbebetriebe vor der Haustür ernst. Wir sehen die Schwierigkeit, dass bei weiterer Sied- lungsausdehnung die Innenstädte zusehends strukturell verarmen. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Stär- kung der Innenentwicklung zur Reduktion der Flächen- inanspruchnahme als Ziel unserer Regierungspolitik fest- gehalten. Der vorliegende Regierungsentwurf zur Novelle des Baugesetzbuches setzt klare Signale für eine nachhaltige Flächennutzung und zukunftsgerechte Stadt- entwicklung. Der Regierungsentwurf zielt unmissver- ständlich auf eine Stärkung der Innenentwicklung in Städten und Gemeinden. Die Kommunen sollen mehr Ge- staltungsfreiraum durch bessere Unterstützung bei der städtebaulichen Entwicklung erhalten. Anstatt mehr Flä- che im Außenbereich zu nutzen, sollen Baulücken ge- schlossen, Brachen genutzt und leer stehende Gebäude durch Modernisierung attraktiver werden. Die christlich-liberale Koalition steht zur Privilegie- rung landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich. Wir wollen keine neuen Planungsinstrumente schaffen, son- dern vorhandene anwenden. Demografische Veränderun- gen und neue Methoden der Landwirtschaft erfordern vor allem praxistaugliche Regelungen. Bei Agrargewerbebe- trieben halten wir die Umweltverträglichkeitsprüfung deshalb für ein geeignetes Instrument der Kommunen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25943 (A) (C) (D)(B) Das Baugesetzbuch und die Bauordnungen der Län- der berühren in Verbindung mit der Baunutzungsverord- nung alle Bereiche des Lebens und der Wirtschaft. Des- halb sollten wir uns hier im Hause einig sein, einen möglichst breiten Konsens zwischen den Fraktionen ge- meinsam mit den Bundesländern zu finden. Die Menschen stellen neue Ansprüche an das Woh- nen. Dem müssen wir als Gesetzgeber folgen. Barriere- freiheit, aber auch Barrierearmut im Gebäude werden zusehends wichtige Themen. Die Belange von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen finden im Baugesetzbuch bereits Berücksichtigung. Wie ich bereits sagte, liegt die Ausgestaltung in der Zuständigkeit der Länder und der jeweiligen Bauordnungen. Das Bauge- setzbuch eröffnet dazu in § 1 die notwendigen Rechts- grundlagen. Die Bauordnungen der Länder können dazu weitere Regelungen treffen. Auch der Aktionsplan der Bunderegierung zur Um- setzung der Behindertenrechtskonvention sowie die För- dermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum alters- gerechten Umbau zielen in dieselbe Richtung. Auch der jüngst erzielte Kompromiss im Personenbeförderungs- gesetz zeigt, dass wir gemeinsam erfolgreich an einer sukzessiven Entwicklung hin zu mehr barrierefreien An- geboten arbeiten können. Aus diesen Gründen können wir den Anträgen der Opposition nicht folgen. Ich werbe um Zustimmung zum vorgelegten Regierungsentwurf. Hans-Joachim Hacker (SPD): Die Weihnachtszeit ist ja bekanntlich die Zeit der Geschenke. Heute erfüllt uns Herr Minister Ramsauer auch endlich einen Wunsch und legt die lang erwartete Novelle zum Bauplanungs- recht vor. Der Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts hat fast ein Jahr benötigt, um vom Referentenentwurf zum Kabi- nettsentwurf zu reifen. Bedenkt man, dass die Novellierung des Baupla- nungsrechts ursprünglich einmal 2011 abgeschlossen sein sollte und jetzt erst weit in 2013 in Kraft treten kann, ist die tatsächliche Verzögerung noch viel erhebli- cher. Für die durch die Energiewende notwendige Aufsplit- tung der Novelle kann ich die Bundesregierung nicht kri- tisieren. Das war wegen des Atomausstiegs richtig, und wir haben das auch im Konsens durchgezogen. Aller- dings hätte der zweite, ebenso wichtige Teil der Novelle längst umgesetzt werden müssen. Hier muss sich die Bundesregierung sehr wohl den Vorwurf gefallen lassen, wegen hausgemachter Probleme bei der Abstimmung zwischen den Ressorts unnötig Zeit verschwendet zu ha- ben. Es kann doch nicht sein, dass ein Streit zwischen dem Minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und sei- ner Kollegin aus dem Landwirtschaftsministerium die Novellierung des BauGB für Monate auf Eis legt. Und das auch noch wegen eines ganz zentralen Punkts des Entwurfs, der baurechtlichen Privilegierung der Inten- sivtierhaltungsanlagen. Und es ist noch verwunderlicher, dass am Ende sogar noch die unbedeutende Frage der baurechtlichen Einordnung von Kleintierzucht zu weite- ren wochenlangen Verzögerungen führte. Wir sind von der schwarz-gelben Koalition in Bezug auf Tierverglei- che ja schon einiges gewohnt – die Wildsäue und der Frosch lassen grüßen. Es erstaunt mich aber dennoch, dass der Bundesregierung eine Regelung für Rassegeflü- gelzucht in der Baunutzungsverordnung offenkundig so wichtig ist, dass sie die überfällige Weiterentwicklung des Bauplanungsrechtes dafür auf die lange Bank ge- schoben hat. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortent- wicklung des Städtebaurechts muss der Gesetzgeber eine Antwort auf Trends und Entwicklungen geben, die die Städtebaupolitik in den letzten Jahren maßgeblich be- stimmen. Diesen Ansatz unterstützt die SPD-Bundes- tagsfraktion ausdrücklich. Die demografische Entwicklung mit der Veränderung der Altersstruktur einerseits und dem Rückgang der Be- völkerung andererseits, die zudem auch noch regional sehr unterschiedlich ausfällt, hat erhebliche Auswirkun- gen auf die Entwicklung der Städte und Gemeinden. Das gilt es zu gestalten. Wir erleben derzeit, wie uns die damit verbundenen Probleme förmlich schon auf den Nägeln brennen. Der Zuzug von Menschen in die Städte und Ballungsgebiete führt zu Wohnraumverknappung und steigenden Mieten. Die Verdichtung des Innenbereichs, die sich in Zukunft noch weiter verstärken wird, macht eine Anpassung der bauplanungsrechtlichen Grundlagen unumgänglich. Üb- rigens auch da, wo wir die gegenteilige Entwicklung ha- ben. Auch in den Schrumpfungsregionen müssen Pro- zesse gestaltet werden, müssen Kommunen zusätzliche Steuerungsinstrumente erhalten, um mit den Folgen die- ser Schrumpfungsprozesse umgehen zu können. Die Verdichtung, etwa durch Erschließung von Freiflächen oder Möglichkeiten zur Aufstockung von Gebäuden in den Städten, und die Entwertung, etwa durch Leerstand oder durch Schrottimmobilien – das sind zwei Seiten derselben Medaille. Dazu gehören auch der Klimaschutz und die Gestal- tung der städtebaulichen Folgen der klimatischen Verän- derungen. Steigende Energiepreise und die damit ver- bundenen höheren Transportkosten führen zum Wegzug von Pendlern aus den Speckgürteln in die Innenstädte. Dort muss dann aber im Gegenzug auch die energetische Ausstattung der Wohnquartiere so sein, dass die wegfal- lenden Pendelkosten nicht anschließend durch die hohen Energiekosten schlecht gedämmter Wohnhäuser wieder aufgefressen werden. Das gilt aber auch für die Mieten, die durch überzogene energetische Maßnahmen und de- ren Kostenfolgen nicht noch weiter klettern dürfen. Zur Stärkung des Innenbereichs gehört es auch, die Infrastruktur auf die mit der Verdichtung zusammenhän- genden Entwicklungen einzustellen und dabei auch die Aspekte des Klimaschutzes mit zu berücksichtigen – zum Beispiel durch zentrale Versorgungseinrichtungen, 25944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) die unnötige Wege und unnötigen CO2-Ausstoß vermei- den. Und letztlich ergibt sich durch den Schwerpunkt der Innenentwicklung auch die Option, den Außenbereich stärker als bislang zu schützen. Verdichtete Innenstädte brauchen mehr denn je den Ausgleich durch die zu schützende sprichwörtliche „grüne Wiese“ im Außenbe- reich, die eben mehr ist als nur eine Fläche zur Ansied- lung von Einkaufszentren. Das sind – in groben Zügen – die Anforderungen an die Novelle des Bauplanungsrechtes, die mit dem Ge- setzentwurf im Großen und Ganzen auch umgesetzt wer- den sollen. Der Entwurf des Gesetzes, mit dem in Zukunft so- wohl SPD- als auch unionsgeführte Kommunen – ja so- gar Städte mit grünen Bürgermeistern – umgehen müs- sen, ist ja auch nicht im Elfenbeinturm des BMVBS entstanden. Er ist Ergebnis eines langen Dialogprozes- ses, in den die maßgeblichen kommunalen Akteure im Rahmen der Berliner Gespräche eingebunden waren. Herausgekommen ist ein Gesetzentwurf, mit dem die Koalition im Wesentlichen ihren Koalitionsvertrag abar- beitet und über die dort vereinbarten Punkte hinaus nur noch notwendig gewordene Anpassungen an die Recht- sprechung und an geändertes EU-Recht sowie Folgeän- derungen durch vorangegangene Änderungen in Fachge- setzen umsetzt. Lediglich mit den Regelungen zur Intensivtierhaltung und zu Vergnügungsstätten bzw. Spielhallen wird weiterer politischer Regelungsbedarf aufgegriffen. Einen großen Wurf kann man diese Novelle also nicht gerade nennen, eher Dienst nach Vorschrift – aber mehr war von dieser Koalition auch nicht zu erwarten. Der Umstand, dass dieser Punkt heute hätte um Mitternacht debattiert werden sollen und nicht in der Kernzeit, spricht ja Bände. Im Ergebnis präsentiert sich der Gesetzentwurf also als „Novelle light“. Eine revolutionäre Weiterentwick- lung des Bauplanungsrechts erfolgt nicht. Bereits die Formulierungen des Koalitionsvertrages hatten ja, wie gesagt, keine großen gestalterischen Absichten erkennen lassen. Auch bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs durch die Berliner Gespräche hat das BMVBS eher bremsend als reformbegeistert gewirkt. Konkretere Maßnahmen zum Bauen im Außenbereich etwa oder zur Minimierung des Flächenverbrauchs waren ausdrücklich nicht gewünscht bzw. wurden gar als „Investitions- hemmnis“ bezeichnet. Die von dieser doch sehr eindeutigen politischen Vor- gabe geprägten Vorschläge und Empfehlungen der Ex- perten wurden im weiteren Verlauf vom BMVBS auch nur in Teilen in den Entwurf aufgenommen. Weiterge- hende Regelungen wurden zudem währen der koalitions- internen Abstimmung weichgespült oder ganz fallen ge- lassen. Gleichwohl: Die Städte und Gemeinden warten hän- deringend auf die im Gesetz enthaltenen baurechtlichen Regelungen für ihre durch Zuzug und Wohnungsmangel geprägten Innenstädte. Sie brauchen verbesserte Durch- griffsmöglichkeiten im Umgang mit Schrottimmobilien, sie brauchen Regelungen zur Einschränkung der Flächeninanspruchnahme und zum Schutz des Außenbe- reichs. Die baurechtliche Zulässigkeit von Kinderbetreu- ungseinrichtungen in Wohngebieten ist ein ebenso wich- tiges Anliegen. Die SPD könnte daher auch diese nicht in allen Teilen zufriedenstellende Novelle mittragen, wenn die Bundesregierung den Entwurf in entscheiden- den Punkten nachbessert. Dazu gehören aus Sicht der SPD ganz klar Änderun- gen bei der nur halbherzig vorgenommenen Einschrän- kung der baurechtlichen Privilegierung der Intensivtier- haltung. Die Privilegierung der Tierhaltung muss nach Auffassung der SPD im Baurecht künftig schon bei Er- reichen des jeweils unteren Schwellenwertes im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen – und zwar ohne eine unnötige Vorprüfung und ohne zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung zu unterscheiden. Wir wollen, dass die kommunalen Steue- rungsmöglichkeiten deutlich verbessert werden, damit die zuständigen Stellen endlich die Probleme vor Ort lö- sen können. Die schwarz-gelbe Bundesregierung löst mit ihrer Novelle in der vorliegenden Fassung keines der drängenden Probleme im Bereich der Tierhaltung. Auch die im Entwurf enthaltenen Instrumente für Kommunen, gegen Schrottimmobilien vorzugehen, sind in der vorliegenden Form ein stumpfes Schwert. Es fehlt vor allem der politische Wille, Eigentümer dieser Schandflecken an den Kosten für deren Beseitigung zu beteiligen. Das ist ein zentraler Punkt, bei dem aus unse- rer Sicht der Entwurf nicht so die Ausschussberatung verlassen darf, wie er hineingeht. Ich will hier als weiteren Punkt die im Baugesetzbuch vorgesehenen Änderungen zum Schutz des Außenbe- reichs nennen, die sich im Wesentlichen auf gut klin- gende Sätze in § 1 und 1 a beschränken, ohne aber in der Praxis nennenswerte Auswirkungen zu haben. Im Ge- genteil, kuriose Einzelregelungen wie zum Beispiel die geplante Neufassung des § 35 Abs. 4 – Stichworte: Um- nutzung und Neubau von Höfen im Außenbereich – lau- fen sogar auf das Gegenteil hinaus und unterlaufen die Intention des Gesetzentwurfes. Hier gilt es also, in der weiteren Beratung unter Ab- wägung der Belange der Kommunen und unter Vermei- dung allzu großer bürokratischer Auflagen Regelungen zu finden, die den Schutz des Außenbereichs und die Er- reichung des 30-Hektar-Ziels tatsächlich sicherstellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfrak- tion, die kommenden Ausschussberatungen werden zei- gen, wie ernst Sie es mit der Stärkung der Innenentwick- lung der Städte und Gemeinden wirklich meinen. Petra Müller (Aachen) (FDP): Mit dem Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in Städten und Gemein- den und zur weiteren Fortentwicklung des Städtebau- rechts erfüllen CDU/CSU und FDP ihren Koalitionsver- trag weiterhin zielbewusst, konzentriert und erfolgreich. Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir zu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25945 (A) (C) (D)(B) gleich wesentliche Ziele einer zukunftsgerichteten und an den sich verändernden Lebensbedingungen ausge- richteten Stadtentwicklung und Raumplanung erreichen. Es ist dabei Ziel der FDP, den Menschen in Deutschland ein qualitativ hochwertiges, modernes und nachhaltiges Lebensumfeld zu schaffen. Die Ziele des Klimaschutzes und die notwendigen Schritte zur erfolgreichen Gestal- tung der Energiewende haben wir immer fest im Blick. Diesen Anforderungen wird das vorgelegte Gesetz gerecht: Mit einer Vielzahl von Maßnahmen in einer Vielzahl von Bereichen werden wir mit der Gesetzesvor- lage das Leben der Menschen erleichtern und verbes- sern, die kommunale Selbstverwaltung weiter stärken und zugleich die Ziele der nationalen Nachhaltigkeits- strategie konsequent verfolgen. So wird die Innenent- wicklung der Städte und Gemeinden in der städtebauli- chen Entwicklung weiterhin vorrangig erfolgen. Die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme ist im Koali- tionsvertrag vereinbart und wir setzen dieses Vorhaben mit diesem Gesetz fort. Sollten darüber hinaus zukünftig landwirtschaftlich oder als Wald genutzte Flächen einer Umnutzung zugeführt werden, so bedarf dies künftig ei- ner ausdrücklichen Begründung. So erhöhen wir die Schwelle der Neubebauung und fördern die Entwicklung eines bewussten Umgangs mit Freiflächen und Raum. Den Kommunen wird es im Zusammenhang mit der Innenentwicklung erstens erleichtert, in ihren Bebau- ungsplänen eine gewollte städtebauliche Verdichtung vorzusehen. Darüber hinaus wird mit diesem Gesetz zweitens durch die Schaffung einer neuen Darstellungs- möglichkeit im Flächennutzungsplan der Schutz zentra- ler Versorgungsbereiche nachdrücklich gestärkt werden. Und drittens erhalten die Kommunen Erleichterungen beim gesetzlichen Vorkaufsrecht der Gemeinden. All das wird den Kommunen einen neuen, einen wirkungsvollen Handlungsspielraum geben, die Städte und Gemeinden lebenswerter und wohnlicher zu gestalten und dabei die Umwelt und Natur zu schützen und zu erhalten. Mit dem Gesetz schaffen wir aber auch für den Ein- zelnen, für den Bürger sofort oder kurzfristig wirksame und wahrnehmbare Verbesserungen: So werden Kinder- tagesstätten zukünftig in einer den Bedürfnissen der Be- wohner angemessenen Größe auch in reinen Wohngebie- ten allgemein zulässig sein. Wir unterstützen damit Eltern, wir verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch kurze Wege und die Ermöglichung von Be- treuungsplätzen. Bereits im letzten Jahr hat die christ- lich-liberale Koalition klargestellt, dass Kinderlärm keine schädliche Umwelteinwirkung darstellt; jetzt wer- den wir das Recht der Kinder auf eine in ihr Lebensum- feld integrierte Außer-Haus-Betreuung weiter stärken. Nur zwei weitere Punkte aus dem Gesetz darf ich an- sprechen, die in der Bevölkerung berechtigterweise im- mer große Aufmerksamkeit und Resonanz finden und die dezidiertes Interesse liberaler Stadtentwicklungspoli- tik sind: Zur Steuerung der Ansiedlung von Vergnü- gungsstätten wird es zukünftig eine klarstellende Rege- lung geben. Gewerbliche Tierhaltungsanlagen sollen im Außenbereich nur dann privilegiert sein, wenn sie keine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung haben. Damit regeln wir sensible Bereiche der Baugesetzgebung nun endlich zum Wohle der Menschen und unter Berücksich- tigung auch berechtigter wirtschaftlicher Interessen. Ich darf an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinwei- sen, dass die Landwirte von diesen Regelungen nicht be- troffen sind, sondern ausschließlich und gewollt die ge- werbliche Tierhaltung. Insofern kann ich die Aufregung mancher Landwirte nicht nachvollziehen. Letztlich bleibt es aber immer die Eigenverantwortung der betrof- fenen Kommune, dass für ihre Region „Beste“ zu ent- scheiden. Mit der Vorlage dieses Gesetzes beweist die Koalition ihre politische Handlungsfähigkeit und setzt einen weite- ren wichtigen Stein auf dem Weg zu einer erfolgreichen und lebensnahen Politik für Bürgerinnen und Bürger, für Deutschland. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Wir debattieren heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Ge- meinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebau- rechts. Das Hauptanliegen des Gesetzentwurfs ist klar. Die Linke teilt die Forderungen nach Stärkung der Innenstädte und Ortskerne. Natürlich wenden wir uns gegen weitere Flächenversiegelung durch Zersiedelung. Da sind wir uns in diesem Hause wohl alle einig, und es wird allerhöchste Zeit, dass den Sonntagsreden der Bundesregierung auch Taten folgen: Der Flächen- verbrauch muss aus umwelt- und agrarpolitischen Grün- den dringend gestoppt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf krankt aber an zwei Punkten: Erster Punkt. Es fehlt das klare Bekenntnis, die 2009 beschlossene UN-Behindertenrechtskonvention auch beim Städtebau umzusetzen. Wir brauchen ein Grund- recht auf Barrierefreiheit. Das nützt nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern allen, die im Alltag behin- dert werden: Kindern, Alten, dem Vater mit dem Kinder- wagen, der Frau mit dem Lastrad. Die Linke hat dazu ei- nen Antrag eingebracht, den wir hier in dritter Lesung debattieren und dann abstimmen werden. Wir unterstüt- zen aber ebenso die Anträge von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen zur Barrierefreiheit. Die Oppositionsfraktio- nen sind sich hier, abgesehen von Nuancen, ziemlich einig. Im Gesetzentwurf der Regierung kommt die Bar- rierefreiheit allerdings überhaupt nicht vor. Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein? Hier müssen Sie drin- gend nachbessern! Zweiter Punkt. Ihre Änderung des § 35 Baugesetz- buch geht in die falsche Richtung. In diesem Paragrafen geht es um die Privilegierung landwirtschaftlicher Ge- bäude im Außenbereich. Nun sollen auch gewerbliche Tierhalter davon profitieren, solange die Stallanlagen nicht unter die Umweltverträglichkeitsprüfung fallen. Das klingt kompliziert. Sagen wir es deutlicher: Die Bundesregierung will jetzt sogar die Intensivtierhaltung besser behandeln als bisher. Das geht gar nicht und ist ein Schlag ins Gesicht der Bürgerinnen und Bürger in 25946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) den Regionen, die heute schon von einer extremen Konzentration der Intensivtierhaltung betroffen sind. Die Linke spricht sich generell für die Beibehaltung des Landwirtschaftsprivilegs im Baurecht aus. Die Linke hält es aber für unumgänglich, mehrere „Verträglich- keitskriterien“ für derartige Anlagen zu formulieren und gesetzlich zu regeln. Die Umweltverträglichkeitsprüfung allein reicht aber als Kriterium nicht aus. Viehdichte und Bodenverhältnisse einer Region müssen ebenso eine Rolle spielen wie Bevölkerungsdichte und die soziale Struktur. Auf der Ebene der Bundesländer sollten Eignungska- taster potenzieller Tierhaltungsstandorte entwickelt wer- den. Diese könnten im Rahmen der Raumordnung in den Regional- oder Landesplanungen berücksichtigt werden. Ein wesentlicher Vorteil läge darin, dass sich sowohl die Akteure als auch die Bevölkerung der Region frühzeitig auf mögliche Investitionsvorhaben einstellen und sie mit beeinflussen können. Unterschiedliche Standortbedin- gungen fänden damit zudem Berücksichtigung. Der klassische Naturkreislauf Boden–Pflanze–Tier– Boden muss auch in Hinblick auf die Neuansiedlung von Tierhaltungsanlagen Beachtung finden. Er ist Ausdruck regionaler Stoffkreisläufe, die im Gegensatz zum globa- len Umschlag von Stoffen und Energie zum Schutz der Umwelt und des Klimas beitragen können. Somit kann auch dem Anspruch, Transportaufwendungen so weit wie möglich zu minimieren, Rechnung getragen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ge- statten Sie mir diese Bemerkung: Es geht um regionale Stoffkreisläufe, nicht zwingend um innerbetriebliche. Abgesehen davon können betriebliche Flächen weit ver- teilt sein. Ihre Forderung, dass 50 Prozent des Futters aus dem eigenen Betrieb stammt, hört sich vielleicht gut an, ist aber derzeit realitätsfern und greift zu kurz. Futter muss aus der Region kommen, Gülle muss in ihr verblei- ben. Die Größe der Region ist von geografischen und kulturellen Faktoren abhängig und daher verschieden. Darum geht es aber nicht vorrangig. Es geht vielmehr darum, dass wir mittelfristig in der Lage sein müssen, unsere Futtermittel selbst anzubauen. Wir müssen Schluss machen mit dem Import von Soja, das in ande- ren Teilen der Welt unter katastrophalen sozialen und ökologischen Bedingungen produziert wird! Sie sehen, das Landwirtschaftsprivileg in § 35 Bauge- setzbuch ist ein komplexes Thema. Das Baugesetz allein kann die Frage nicht lösen, wie wir von der Intensivtier- haltung zu einer tiergerechten nachhaltigen Nutztierhal- tung kommen können. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist ärgerlich, dass dieses wichtige Thema zu so später Stunde aufgesetzt werden sollte, bewusst in Kauf neh- mend, dass dann keine politische Debatte mehr stattfin- det, sondern alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Dabei hat die Regierung die Novellierung des Bauge- setzbuches bewusst verschleppt und verzögert. Seit ei- nem Jahr warten wir auf Ihren Gesetzesvorschlag. Nun legen Sie ihn vor. Und was macht die Koalition? Sie ver- bannt die Debatte in die Nachtzeit, damit keiner etwas merkt. Dabei sind die Probleme der Menschen in unseren Städten und Gemeinden drängend. Kein Tag vergeht, ohne dass die Medien über steigende Mieten, viel zu hohe Nebenkosten, Verdrängung von Mietern aus ihren Vierteln, über Flächenfraß und über die unzumutbaren Zustände in den Immobilienbeständen der Hedge-Fonds, der sogenannten Heuschrecken, berichten. Aber anstatt zu handeln, legen Sie ein Gesetz vor, das nur ein baupo- litisches Trostpflaster für die Kommunen ist. Es ist schon bemerkenswert, wie viele Regelungen man in einem Gesetz unterbringen kann, ohne wirklich etwas zu bewegen. Sie gehen wirklich jedes aktuelle Thema an und schaffen dabei keine neuen Handlungs- spielräume für die Gemeinden. Einzig positiv sind die Änderungen bei den Spielhallen, die zwei Jahre nach un- serem Antrag zu dem Thema endlich angepackt werden. Aber nun zu der ganzen Reihe von Themen, die nur scheinbar anpackt werden. Herr Minister Ramsauer, unser Ankündigungsminis- ter, hat groß von Maßnahmen gegen die Intensivtierhal- tung gesprochen. Doch die Änderungen werden nichts an der aktuellen Praxis bewirken. Ein Betrieb mit 84 999 Hühnern fällt offensichtlich in Ramsauers Bild einer bäuerlichen Landwirtschaft. Auch für die energetische Sanierung von Quartieren gibt es ein Placebo. § 136 des Baugesetzbuchs wird ge- ändert, aber nicht in der von Fachleuten geforderten Fas- sung, sondern in einer abgeschwächten Variante, die in der Praxis ohne Auswirkung bleiben wird. Dabei wäre es so wichtig, Quartierssanierungen voranzubringen und dem neuen KfW-Programm zur Stadtsanierung einen si- cheren Rahmen zu geben. Ein weiteres Thema, in dem Sie Tätigkeit vortäu- schen, sind die Schrottimmobilien. Ihre redaktionelle Änderung in § 179 erweitert die Handlungsspielräume der Gemeinden nur unwesentlich. Solange die Gemein- den allein auf den Kosten sitzenbleiben, kann der Kampf gegen Schrottimmobilien nicht gelingen. Mit unserem Antrag schlagen wir ein Konzept vor, dass auch die Ver- ursacher in die Pflicht nimmt, ohne ihnen unzumutbare Lasten aufzubürden. Wenn Sie schon unserem Antrag dazu nicht folgen wollen, dann greifen Sie doch wenigs- tens die Initiative der Länder im Bundesrat auf. Die großen Worte zum U3-Kindergartenausbau sind ohne Substanz. Für Kindertagesstätten in reinen Wohn- gebieten wollen Sie die Hürden im Baurecht nicht ganz aufheben. Damit steht ihr Handeln wieder einmal im Ge- gensatz zur ihren Reden. Hier können Sie ganz konkret mit einem Bundesgesetz etwas für den Kitaausbau tun; doch Sie verweigern sich. Besonders ärgerlich ist Ihr Verständnis von Innenent- wicklung. In der Novelle zur Innenentwicklung eine Re- gelung unterzubringen, bei der der Abriss von Scheunen zugunsten von Ferienwohnungen begünstigt wird, ist einmalig. Das ist Klientelpolitik und führt zu weiterer Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25947 (A) (C) (D)(B) Zersiedlung. Das ist das Gegenteil von Innenentwick- lung. Stadtentwicklungspolitik wird auf der Ebene der Ge- meinden gemacht. Wir im Bundestag haben die Auf- gabe, den Werkzeugkasten zu geben. Wir stellen den Ge- meinden die Instrumente zur Verfügung, die Sie im Rahmen der Planungshoheit nutzen können. Für die an- stehenden Herausforderungen, wie den demografischen Wandel und den Klimawandel, stehen wir den Gemein- den gegenüber in der Verantwortung. Folgen Sie einfach unserem Antrag, den Stellungnahmen der Verbände oder dem Beschluss des Bundesrates. Liebe Koalitionsfrak- tionen, lassen Sie sich nicht mit der „Placebonovelle“ aus dem Hause Ramsauer abspeisen. Nutzen Sie das par- lamentarische Verfahren, um die zahlreichen guten Ideen aufzugreifen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 29) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Einen wesentlichen Markstein auf dem Weg zur Freiheit der Wissenschaft markierte im 16. und 17. Jahrhundert der Disput über die Frage, ob sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne drehe. Den machtvollen religiös motivierten Gegnern der Gedanken von Kopernikus und Galilei diente vor allem eine Stelle aus dem Alten Testament als schlagender Beweis. In Josua 10,12–14 heißt es: „Sonne, stehe still zu Gibeon.“ Und: „Die Sonne blieb stehen mitten am Himmel und beeilte sich nicht unterzugehen.“ Heute wissen wir es – dank des Freiheitsdrangs der Wissenschaften – eigentlich besser, wie es sich mit dem Lauf der Himmelskörper verhält. Der Gesetzgeber in- dessen meint bisweilen – so auch heute –, Sonnenauf- und -untergang immer noch beeinflussen zu können. Denn eigentlich war § 52 a des Urheberrechtsgesetzes 2003 – als erste Urheberrechtsvorschrift in Deutschland überhaupt – mit einer sogenannten sunset provision, ei- ner Sonnenuntergangsregelung, sprich Befristung, verse- hen worden. Ursprünglich sollte die Schrankenregelung Ende 2006 auslaufen. Heute schickt sich der Gesetzge- ber nun an, den Sonnenuntergang bereits zum dritten Mal zu verschieben. Diesmal bis zum 31. Dezember 2014. Zugegebenermaßen: Klarheit und eitel Sonnenschein werden damit nicht wirklich geschaffen. Vielmehr wird gezwungenermaßen ein Schwebezustand perpetuiert. Angesichts der Zeitabläufe eine Notwendigkeit – mir fällt dazu eine Vokabel aus dem Lateinunterricht ein, die mir aus endlosen Cäsar-Übersetzungsstunden ins Ge- dächtnis eingebrannt ist: necessitate coactus, durch die Notwendigkeit gezwungen. So steht der Gesetzgeber, sprich: das Parlament, nämlich zurzeit da. Wir, die christlich-liberale Koalition, haben uns als Fraktionen aus der Mitte des Parlaments daher entschie- den, § 52 a des Urheberrechtsgesetzes ein weiteres Mal für zwei Jahre zu verlängern. Damit verbinden wir das Ziel, diese Zeit zu nutzen, eine einheitliche Wissen- schaftsschranke zu formulieren. Das setzt zum einen voraus, dass in dieser Zeit end- lich auch valide Daten zur Inanspruchnahme von § 52 a Urheberrechtsgesetz vorgelegt werden. Der dritte Eva- luierungsbericht des Bundesjustizministeriums hat keine weiteren Erkenntnisse gegenüber dem zweiten und dem ersten Bericht gebracht. Das ist misslich, zumal es offen- sichtlich die mangelnde Bereitschaft der im Obligo ste- henden Beteiligten ist, die notwendigen Daten zu erhe- ben und bereitzustellen. Zum anderen – und auch damit verknüpft – ist die Be- reitschaft zur Zahlung einer angemessenen Vergütung als Conditio sine qua non. Während es im Schulbereich hier außer kleineren Problemen bei den Gesamtverträgen keine wirklichen Schwierigkeiten gibt, ist im Wissen- schaftsbereich dieser Punkt von maßgeblicher Bedeutung und hoch streitbehaftet. Hier werden wir als Gesetzgeber in den nächsten Jahren ganz genau hinzuschauen haben. Es wird für die künftige Gestaltung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke von entscheidender Bedeutung sein, wie die angemessene Vergütung gehandhabt wird. Wir rechnen zudem ja damit, dass die Rechtsprechung in den nächsten zwei Jahren entsprechende Hinweise geben wird. Die weitere Entwicklung bei diesen Faktoren wird maßgeblichen Einfluss auf die weiteren Überlegungen zur Schaffung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke haben. Dessen sollten sich insbesondere die Wissen- schaftsorganisationen ganz dringend bewusst sein. Denn auch die zukünftige Regelung einer einheit- lichen Wissenschaftsschranke wird nicht losgelöst und nach Tagesform der Politik erfolgen. Sie muss sich in die bestehende Systematik des Urheberrechts einfügen. Und deren Ausgangspunkt ist Art. 14 unseres Grundgesetzes, der das Eigentum garantiert. Schranken dieses Eigen- tumsrechts, also Freiheiten des Nutzers, lassen sich da nur als allgemeinwohlorientierte Ausnahmen begründen. Das ist aber der Maßstab, an dem sich das Handeln de- rer, die eine Schranke in Anspruch nehmen wollen, mes- sen lassen muss. Haushalterische Zwänge und das Ziel der Kosteneinsparung sind jedenfalls keine legitimen Allgemeinwohlbelange, die eine Schrankenregelung zu rechtfertigen vermögen. Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass es auf der Seite der Rechteinhaber auch Akteure gibt, die den Schutz des Eigentums dazu benutzen, illusorische Preis- vorstellungen realisieren zu wollen. Das ist bedauerlich, denn es schadet dem berechtigten Anliegen der ungleich größeren Zahl an Verlagen und Verlegern, die bei ihrer Preisgestaltung wie selbstverständlich dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns verpflichtet sind. Gerade für die hiesige deutsche mittelständisch geprägte Verlagsland- schaft gilt dies in besonderem Maße. 25948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Den Lauf der Zeit kann und will auch der Gesetzge- ber nicht aufhalten. Es ist unsere Aufgabe, die Zeiten zu gestalten. Das bloße Hinausschieben einer Befristung ist dabei eigentlich noch kein Mittel, das von Gestaltungs- kraft zeugt. Daher verbinden wir damit den Auftrag an uns selbst und an die Bundesregierung, die gewonnene Zeit zu nutzen, die widerstreitenden Interessen in einer eindeutigen Schrankenregelung zum Ausgleich zu brin- gen. Ein bloßes Auslaufen der gesetzlichen Regelung hätte dem ebenso wenig gedient wie eine dauerhafte Ent- fristung. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Bildung, Wissen- schaft und Forschung sind der Schlüssel, um unserem Land auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb ei- nen Spitzenplatz zu sichern. Deshalb haben wir uns die „Bildungsrepublik“ Deutschland zum Ziel gesetzt. Da- mit Forschung und Lehre Spitzenleistungen erzielen können, brauchen sie uneingeschränkten Zugang zu vor- handenem Wissen. Auch die Qualität des Unterrichts an Schulen und Hochschulen hängt maßgeblich von den zur Lehre und Ausbildung verwendeten Materialien ab. Um den Zugang von Forschung und Lehre zu beste- hendem Wissen zu erleichtern, haben wir im Rahmen des sogenannten ersten Korbs der Novellierung des Ur- heberrechts im Jahr 2003 den § 52 a ins Urheberrechts- gesetz eingeführt. Dieser § 52 a Urheberrechtsgesetz ge- währleistet, dass urheberrechtlich geschützte Werke für einen bestimmten, abgegrenzten Personenkreis in Schule, Hochschule und Forschung öffentlich zugäng- lich gemacht werden dürfen. Damit ist etwa das Kopie- ren von geschützten Werken geringen Umfangs oder von Werkteilen sowie das Einscannen und Einstellen ins Int- ranet der jeweiligen Einrichtung zu Unterrichts- oder Forschungszwecken möglich. Die Urheber erhalten da- für nach § 52 a Abs. 4 Urheberrechtsgesetz eine ange- messene Vergütung. Die Norm wurde seit ihrer Einführung mehrfach be- fristet und würde nun zum 31. Dezember 2012 auslau- fen. Daran kann aber aus den vorgenannten Gründen niemand ein ernsthaftes Interesse haben. Festzuhalten ist allerdings auch, dass in den vergangenen neun Jahren ei- nige Defizite des § 52 a Urheberrechtsgesetz zutage ge- treten sind. Sowohl die Praxistauglichkeit als auch die vertragliche Umsetzung in Kooperation mit einer Ver- wertungsgesellschaft werfen Fragen auf. Mit einer simp- len Entfristung der Regelung wäre es daher nicht getan. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie die öffentliche Zu- gänglichmachung von veröffentlichten „kleinen Teilen“ eines Werkes oder von Werken „geringen Umfangs“ füh- ren zu Rechtsunsicherheit aufseiten der Nutzer wie auf- seiten der Rechteinhaber bzw. der Verlage. Zwar soll der kopierte Teil eines Werkes jedenfalls dann als klein an- zusehen sein, wenn dieser im Vergleich zum Gesamt- werk so unbedeutend ist, dass er das Werk nicht ersetzen kann, aber allgemeingültige, konkret quantifizierbare Vorgaben existieren nicht. Auch der Versuch von Recht- sprechung und Lehre, diese unbestimmten Rechtsbe- griffe durch eine prozentuale Angabe für einen Werkteil zu konkretisieren, hat bislang keinen einheitlichen Be- wertungsmaßstab hervorgebracht. So schwankt die Defi- nition eines „kleinen Teils“ derzeit zwischen etwa 10 und 20 Prozent des Gesamtwerks. Darüber hinaus hat die Gestattung der Veröffentli- chung „zur Veranschaulichung im Unterricht“ zu einer unterschiedlichen Auslegung geführt. So wird geltend gemacht, dass damit die Zugänglichmachung nur inner- halb der zeitlichen und räumlichen Grenzen des Unter- richts erlaubt sei. Das Oberlandesgericht Stuttgart stellte hierzu hingegen klar, dass der Vorschrift vielmehr das Verständnis zugrunde liege, dass auch die Vor- und Nachbereitung von Hausarbeiten mit erfasst sein solle. Um die Zahlung einer angemessenen Vergütung zu si- chern, schließen die Länder Verträge mit den Verwer- tungsgesellschaften. Bei den Verhandlungen für den Hochschulbereich konnte bisher allerdings keine Eini- gung mit der Verwertungsgesellschaft Wort erzielt wer- den, die einen wesentlichen Anteil bei den Nutzungen nach § 52 a Urheberrechtsgesetz im Hochschulbereich hat. Die VG Wort hat daher, nachdem sie im Jahr 2005 aus den Vertragsverhandlungen ausgestiegen war, 2009 Klage beim Oberlandesgericht München gegen die Län- der erhoben. Dieser Rechtsstreit ist bis heute anhängig. Derzeit läuft auf Betreiben der Länder und der VG Wort ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof. Dass wir ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht benötigen, steht außer Zweifel. Als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion haben wir uns dazu in unserem Positionspapier zum Urheberrecht in der digitalen Ge- sellschaft deutlich bekannt. Ziel unserer Bemühungen muss es sein, die in den §§ 52 a ff. Urheberrechtsgesetz etablierten Schranken des Urheberrechts zugunsten von Schule, Studium, Wissenschaft und Forschung zu einer einheitlichen, praktikablen und rechtssicheren Bil- dungs- und Wissenschaftsklausel weiterzuentwickeln. Sicherlich ist die wiederholte Befristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz nicht der Weisheit letzter Schluss. Es besteht jedoch kein Anlass zur Eile. Eine dauerhafte Entfristung, ohne die angesprochenen Defizite anzuge- hen, wäre die deutlich schlechtere Lösung. Die letztma- lige Befristung um zwei weitere Jahre gibt Unterricht und Forschung die nötige Sicherheit, über den 31. De- zember 2012 hinaus ihre Informationsquellen gemäß § 52 a Urheberrechtsgesetz weiter nutzen zu können. Zugleich ermöglicht uns diese Befristung, die BGH-Ent- scheidung im Rechtsstreit mit der VG Wort abzuwarten und die daraus zu ziehenden Erkenntnisse in eine auf Dauer angelegte gesetzliche Regelung einfließen zu las- sen. Im Rahmen dieser Überlegungen sollten wir uns dann auch stärker den Fragen der OpenAccess-Veröffentli- chungen sowie der Verankerung eines verbindlichen Zweitveröffentlichungsrechts bei wissenschaftlichen Beiträgen und öffentlich geförderten Forschungsprojek- ten widmen. Für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland bleibt ein modernes, praxistaugliches Urheberrecht un- verzichtbar. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25949 (A) (C) (D)(B) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Was in aller Welt muss noch passieren, damit die Bundesregie- rung endlich vernünftig handelt und ihren ureigenen Aufgaben nachkommt? Selbst bei einem so eindeutigen Thema wie der Verlängerung des § 52 a des Urheber- rechtsgesetzes schafft sie es nicht, mit Vernunft und Au- genmaß zu handeln. Statt den Paragrafen unbefristet weiter gelten zu lassen, soll eine erneute Befristung be- schlossen werden. Selbst der Bundesrat hat sich in seiner Sitzung am 12. Oktober 2012 für eine Entfristung des § 52 a des Urheberrechts ausgesprochen; siehe Bundesratsdruck- sache 514/12 (Beschluss), Seite 4. Der Beschluss im Kul- turausschuss des Bundesrates am 24. September 2012 fiel im Übrigen einstimmig, also 16 : 0 aus. Die große Mehrheit der Akteure in Forschung und Lehre ist eben- falls für eine Entfristung. Nur die Bundesregierung und ihre Koalition haben das noch nicht erkannt. Was will man dazu noch sagen?! Vor rund neun Jahren, am 10. September 2003, wurde der § 52 a ins Urheberrechtsgesetz eingeführt. Zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2006. Danach folgten Befristungen bis Ende 2008 und schließlich bis zum 31. Dezember 2012, die aktuell noch gelten. In der Zwi- schenzeit gab es auch schon drei Evaluierungen. Jetzt verweigert die Bundesregierung eine dauerhafte Regelung mit dem Verweis auf noch ausstehende Ge- richtsurteile. So sieht doch kein verantwortungsvolles gesetzgeberisches Handeln aus! Der Vorschlag der Bun- desregierung provoziert nichts weiter als beschränkte Rechtssicherheit und Beschäftigungsmaßnahmen für die öffentliche Verwaltung, Ministerien und den nächsten Bundestag. Von den zusätzlichen Kosten durch dieses Wiedervorlageprinzip will ich gar nicht reden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf kurz vor Schluss auf den Weg bringt. Erhält er heute nicht die notwendige Mehrheit, droht uns ab 1. Januar 2013 ein Fiasko für den gesamten Bildungsbetrieb in Deutschland. Kein Lehrer bzw. keine Lehrerin wäre mehr in der Lage, Auszüge einzelner Werke als Kopie an Schülerin- nen und Schüler zu verteilen. Semesterapparate, wie sie an deutschen Hochschulen derzeit üblich sind, würde es von einem auf den anderen Tag nicht mehr geben. Alter- nativen wären entweder illegale Kopien oder zusätzliche Kosten für Schülerinnen und Schüler bzw. Studierende, weil sie sich die erforderlichen Auszüge im Original kaufen müssen. Um diese untragbare Situation zu verhindern und den Lehrenden an Schulen und Hochschulen zumindest für die nächsten beiden Jahre Rechtssicherheit zu gewähren, werden wir von der SPD dem vorliegenden Gesetzent- wurf der Koalition zustimmen. Ich halte aber ausdrück- lich fest, dass die Zustimmung nur geschieht, um den Wegfall des § 52 a und die damit verbundenen Probleme um jeden Preis zu verhindern. In keinem Fall heißen wir damit die Untätigkeit bzw. Unentschlossenheit der Bun- desregierung gut. Daher möchte ich es nicht unterlassen, gerade bei den Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU und FDP nochmals für unseren Entwurf eines Ge- setzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes werben. Sorgen sie mit dafür, dass dieser Entwurf eine Mehrheit im Deutschen Bundestag bekommt. Damit hätten wir dauerhafte Rechtssicherheit und würden für die Zukunft unnötige Arbeit und zusätzliche Kosten ersparen. Mit der Streichung des § 137 des Urheberrechtsgeset- zes würde der § 52 a des Urheberrechtsgesetzes dauer- haft entfristet. Der Wortlaut des § 52 a wird beibehalten. Mit wenigen Worten könnten wir eine vernünftige und vor allem dauerhafte Lösung auf den Weg bringen. Abschließend möchte ich es aber nicht versäumen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, auf eine ihrer Vereinbarungen im Koalitions- vertrag aus dem Jahr 2009 hinzuweisen: „Das Urheber- recht hat in der modernden Medien- und Informations- gesellschaft eine Schlüsselfunktion. Wir werden das Urheberrecht deshalb entschlossen weiterentwickeln ...“, heißt es dort auf Seite 103. Dass Sie unter entschlossener Weiterentwicklung lediglich eine erneute Befristung mit der Aussicht auf weitere Evaluationen verstehen, zeigt auf alarmierende Weise, wie schlecht dieses Land derzeit regiert wird. Drei Jahre hatten Sie Zeit, eine umfassende Urheber- rechtsreform auf den Weg zu bringen. Das Ergebnis hin- gegen ist nicht einmal mangelhaft. Es gibt schlichtweg keines. Das Schlimme ist, dass dies nicht nur beim Urhe- berrecht zu diagnostizieren ist. Es ist auch in vielen an- deren Bereichen der Fall. Somit können wir in der ver- bleibenden Legislaturperiode nur noch darauf achten, dass keine weiteren Missstände und Schieflagen entste- hen. Unter diesem Aspekt bekommen Sie diesmal für ein Gesetzesvorhaben meine Stimme. Ansonsten werde ich mich mit aller Kraft darum bemühen, dass dieses Land im Herbst nächsten Jahres eine bessere Regierung be- kommt. René Röspel (SPD): Als wir vor genau drei Wochen anlässlich der ersten Lesung zum vorliegenden Gesetz- entwurf der Koalitionsfraktionen die ersten Reden zu diesem Thema zu Protokoll gegeben haben, habe ich in einem kurzen Exkurs auf die besondere Funktion der in § 52 a Urheberrecht garantierten Wissenschaftsschranke hingewiesen. Daher soll in der nun folgenden Ausfüh- rung nicht noch einmal darauf eingegangen werden, wel- che bedeutende Rolle eine Wissenschaftsschranke für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Deutschland einnimmt. Vielmehr möchte ich zunächst einige Äußerungen von Kollegen der Koalitionsfraktionen aufgreifen, an- hand derer ich die Defizite in der Argumentation deut- lich machen möchte. Zunächst möchte ich auf die in der Rede des Kollegen Heveling geäußerte These eingehen, nach der mittels ei- ner weiteren Befristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz die Voraussetzung dafür geschaffen sei, dass es eine dau- erhafte und einheitliche Wissenschaftsschranke im deut- schen Urheberrecht geben könne. Dies scheint mir doch eine etwas abwegige Argumentation zu sein – nicht nur 25950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) vor dem Hintergrund, dass die Koalitionsfraktionen sich im vorliegenden Fall explizit gegen eine Entfristung zu- gunsten einer weiteren Befristung aussprechen. Dieses Vorgehen mit einem laufenden Gerichtsverfahren zu be- gründen, scheint umso bizarrer: Denn Recht wird nach geltender Rechtslage gesprochen. Das Verfahren wäre mit einer Entfristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz ab dem 1. Januar 2013 nicht gefährdet. Ich möchte – wie in meiner ersten Rede bereits erwähnt – darauf hinweisen, dass diese Koalition und Bundesregierung von den Wäh- lerinnen und Wählern einen Gesetzgebungsauftrag er- halten hat. Den gilt es anzunehmen und die hiermit ver- bundene Arbeit nicht auf den Bundesgerichtshof abzuwälzen! Weiterhin möchte ich noch auf die Äußerung des Kol- legen Heveling hinsichtlich der Evaluierung des Bundes- ministeriums der Justiz eingehen. Hier wird der Ein- druck erweckt, dass das Ministerium im Rahmen seiner Evaluationen – es waren insgesamt drei an der Zahl – sich stets gegen eine Entfristung ausgesprochen habe. Dem ist entschieden zu widersprechen! An dieser Stelle sei explizit die zweite Evaluierung des Justizministeri- ums vom 30. April 2008 zitiert: „Die Evaluierung hat keine Ergebnisse erbracht, welche die Entscheidung des Gesetzgebers bei Einführung der Norm als korrekturbe- dürftig erscheinen lassen. Folglich sollte die Befristung in § 137 k UrhG entfallen.“ Die Darstellung der Koalitionsfraktionen, dass eine Befristung derzeit alternativlos sei, ist schlichtweg falsch. Vielmehr möchte ich an dieser Stelle erneut für eine Entfristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz – wie in unserem Gesetzentwurf gefordert – werben. Wie in der bisherigen Debatte deutlich wurde, scheint sich zumindest zwischen den Wissenschaftspolitikern fraktionsübergreifend die Erkenntnis verfestigt zu haben, dass es im Sinne von Bildung, Wissenschaft und For- schung in Deutschland ist, eine umfassende Wissen- schaftsschranke im Urheberrechtsgesetz zu verankern. Die Erarbeitung einer solchen umfassenden Wissen- schaftsschranke ist in der Tat keine triviale Aufgabe. Ihre Bearbeitung hat sorgfältig, gründlich und nicht un- ter Zeitdruck zu erfolgen. Vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, wenigstens die bestehende, spezifische Wis- senschaftsschranke in § 52 a Urheberrechtsgesetz zu ent- fristen. Damit wäre zum einen den Betroffenen in den Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen die in dieser Frage dringend notwendige Rechtssicherheit geboten; zum anderen ließe sich auf diese Weise ohne unnötigen Zeitdruck eine Norm ins Urheberrecht inkorporieren, die den Belangen von Bildung und Wissenschaft in all ihren Facetten gerecht wird. Doch anstatt diese komfortable Lösung zu präferieren, die im Übrigen mit dem anhängi- gen Gerichtsverfahren beim BGH in keiner Weise in Konflikt stünde, entscheiden sich die Koalitionsfraktio- nen für die unsauberste aller Lösungen: eine erneute Be- fristung um zwei Jahre. Auf diese Weise wird nicht nur den Betroffenen eine dauerhafte Rechtssicherheit ver- wehrt, sondern auch unnötiger Zeitdruck aufgebaut, der dem weiteren Verfahren sicherlich nicht dienlich ist. Als wäre diese Taktik allein nicht schon genug der Zumutung für die Betroffenen in Bildung und Wissen- schaft, bleiben die Regierungskoalitionen nicht nur in ih- rer Handlungsunfähigkeit, sondern auch in ihrer Visions- losigkeit verhaftet. Zwar plädieren die Kollegen der Koalitionsfraktionen dafür, eine umfassende Wissen- schaftsschranke im Urheberrecht zu verankern. Allein die Frage, wie eine solche Schranke gesetzgeberisch auszugestalten ist, lassen sie unbeantwortet. Ironischer- weise wird etwa im Diskussionspapier der Unions- fraktion zum „Urheberrecht in der digitalen Gesell- schaft“ lediglich darauf verwiesen, dass die in § 52 a Urheberrechtsgesetz kodifizierte Wissenschaftsschranke ausgiebig zu evaluieren und zu überarbeiten sei. Der Vorschlag der Union besteht demnach darin, das durch das BMJ bereits dreimal durchgeführte Verfahren ein weiteres Mal zu wiederholen. Ein wirklicher Gestal- tungsanspruch wird hingegen nicht erkennbar. Man be- kommt den Eindruck, dass die schwach-gelbe Koalition solche Entscheidungen lieber der im Herbst 2013 ge- wählten neuen Bundesregierung übertragen möchte. Abschließend möchte ich noch darauf eingehen, wa- rum die SPD-Bundestagsfraktion im vorliegenden Fall dem Gesetzentwurf zustimmen wird, obwohl wir mit un- serem Gesetzentwurf eine bessere Lösung vorschlagen. Aufgrund der fahrlässigen Verzögerung der Koalitions- fraktionen ist nun eine Situation eingetreten, die erhebli- chen Handlungsdruck und eine für die Betroffenen fast unerträgliche Situation herbeigeführt hat: Denn der Um- stand, dass der § 52 a Urheberrechtsgesetz zum Ende des Jahres ausläuft, gepaart mit der Untätigkeit der Regie- rungsfraktionen in dieser Frage, hat dazu geführt, dass den Betroffenen in den Bildungs- und Wissenschaftsein- richtungen massive Rechtsunsicherheit droht. Diese gilt es aber unter allen Umständen abzuwenden. Nur deshalb unterstützen wir das kleinere Übel einer weiteren Befris- tung. Eine Solidarität, die diese Regierung eigentlich nicht verdient hat, wohl aber die Betroffenen in Bildung und Wissenschaft. Stephan Thomae (FDP): Das Urheberrecht und die Frage nach seiner Reformbedürftigkeit sind Themen, die uns in den vergangenen Monaten und Jahren am meisten beschäftigt haben und auch in Zukunft immer weiter beschäftigen werden. Viele Stimmen, die das geltende Urheberrecht für veraltet halten, argumentieren damit, dass neu entstehende Kreativität immer darauf angewie- sen ist, an Informationen zu gelangen. Es sei ein über- kommener Ansatz, denjenigen, der eine Idee zuerst ent- wickelt hat, stärker zu schützen als Dritte, die die Idee aufgreifen und weiterentwickeln wollen. Unabhängig davon, wie man zu dieser Frage steht, ist für die FDP- Bundestagsfraktion eins klar: Urheber sollen auch in Zukunft die Möglichkeit haben, für ihre Werke und In- halte eine angemessene Vergütung zu erhalten. Die FDP bekennt sich zu einem starken und modernen Urheber- recht. Es ist gleichzeitig völlig richtig, dass Kreativität auf Inspiration und Input von außen angewiesen ist. Wer nicht mit fremden Ansichten und Inhalten in Kontakt kommt, wird nur schwer die Anregungen und das Wis- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25951 (A) (C) (D)(B) sen erhalten, die als Grundlage für eigene Gedanken und Ideen unerlässlich sind. Daher bekennt sich die FDP auch dazu, dass das Urheberrecht nicht ohne Schranken auskommen kann. Es ist Aufgabe der Politik, beide Belange, den Schutz geistigen Eigentums und den Zugang zu Inhalten und Informationen, so auszugestalten, dass die Interessen der Beteiligten zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Zu diesem Zweck hat der deutsche Gesetzgeber durch das erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 den § 52 a in das deutsche Urheberrecht eingefügt. Nach dieser Vorschrift ist es zulässig, kleine Teile eines Wer- kes, Werke geringen Umfangs und einzelne Beiträge aus Zeitschriften oder Zeitungen zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen und weiteren Einrichtungen einem bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen öffentlich zugänglich zu machen. Faktisch sol- len die Schulen und Hochschulen also die genannten Werke und Werkteile ihren Schülern und Studenten im Intranet der jeweiligen Einrichtung zugänglich machen dürfen. Voraussetzungen hierfür sind, dass dies zu Unterrichts- oder Forschungszwecken geschieht, die Maßnahmen zu dem jeweiligen Zweck geboten und zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt sind. Der Einführung von § 52 a Urheberrechtsgesetz ging eine große Debatte voraus. Die Verlage befürchteten, un- term Strich für die Bildung von Schülern und Studenten aufkommen zu müssen. Dies hatte zur Folge, dass § 137 k Urheberrechtsgesetz eingeführt wurde, der die Wirkung des § 52 a Urheberrechtsgesetz zunächst bis zum 31. Dezember 2006 befristete. Bis zum Ablauf die- ses Datums sollten die Auswirkungen der Norm auf die Praxis anhand einer Evaluierung ermittelt werden. Da eine abschließende Beurteilung bislang nicht möglich war, wurde die Befristung bislang zweimal verlängert. Stand heute würde die Regelung des § 52 a Urheber- rechtsgesetz am 31. Dezember 2012 auslaufen, wenn der Deutsche Bundestag vorher nicht anders entscheidet. Im Großen und Ganzen hat sich § 52 a Urheberrechts- gesetz bewährt. Für den Bereich der Schulen haben die Bundesländer mit allen Verwertungsgesellschaften Gesamtverträge geschlossen, in denen die Nutzungs- bedingungen für die genannten Werke geregelt sind. Ähnliches gilt für die Nutzung an Hochschulen. Auch hier wurden mit nur einer Ausnahme zwischen den Län- dern und den Verwertungsgesellschaften Gesamtverträge geschlossen. Einzige Ausnahme ist die VG Wort, die zurzeit noch mit der Kultusministerkonferenz über die Höhe und die Berechnungsweise der angemessenen Vergütung verhandelt. Hierzu ist ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig. In diesem wird zusätzlich über die Reichweite der sogenannten Wissenschafts- schranke entschieden werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Zukunft von § 52 a Urheberrechtsgesetz aussehen soll. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird erst für 2013, also nicht vor dem bislang vorgesehenen Aus- laufen von § 52 a Urheberrechtsgesetz, erwartet. Eine Entfristung der Norm bereits zum jetzigen Zeitpunkt, wie es die SPD fordert, wäre daher verfrüht. Das Urteil des Bundesgerichtshofes sollte vielmehr abgewartet und anhand dessen geprüft werden, ob der rechtliche Rahmen bereits jetzt ausreicht, um die Interessen von Urhebern und Bildungsanstalten in Einklang zu bringen, oder ob hier gesetzgeberisch nachgebessert werden muss. Daher lehnt die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag der SPD ab. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP schlagen stattdessen eine nochmalige Verlängerung der Befristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz bis zum 31. Dezember 2014 vor. Parallel dazu fordern wir die Bundesregierung auf, bis spätestens sechs Monate vor Ablauf der erneuten Befristung einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit dem die Norm in eine dauerhafte Urhe- berrechtsschranke überführt werden kann. Dabei soll der Wissenschaft der digitale Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen durch eine Wissenschaftsschranke für den Fall gesichert werden, dass die Verlage keine Onlinean- gebote zu angemessenen Bedingungen bereitstellen. Diese Lösung wird den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht. Wir sind damit auf einem guten Weg, in absehbarer Zeit einen endgültigen Schlussstrich unter die Frage der Zukunft von § 52 a Urheberrechts- gesetz zu ziehen und Rechtssicherheit für alle Parteien zu schaffen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Liebe Freunde der Wissenschaft, § 52 a des Urheberrechtsgesetzes regelt die Zugänglichmachung von kleinen Teilen urheber- rechtlich geschützter Werke im Intranet von Hochschu- len. Die hauptsächliche praktische Anwendung ist der elektronische Semesterapparat, in dem die Lehrenden ihren Studierenden Aufsätze und Textauszüge oder an- dere Quellen zur Verfügung stellen. Der § 52 a wurde 2003 eingeführt und seither immer wieder befristet verlängert. Warum diese Befristungen? Weil die Wissenschaftsverlage gegen den Paragrafen lobbyieren. Sie halten Hochschullehrer für Raubkopie- rer. Sie glauben, sie würden viel mehr Bücher verkaufen, wenn an Hochschulen nicht so viel kopiert würde. Sie fordern die Abschaffung des Paragrafen. Die Verleger beklagen, dass die Hochschulen oder besser die zuständigen Bundesländer für die Nutzung der Werke in elektronischen Semesterapparaten nichts zah- len. Allerdings haben die Bundesländer für die Nutzung beispielsweise von Bild- oder Tonmaterial sehr wohl Verträge geschlossen und bezahlen auch Nutzungs- gebühren. Die Wissenschaftsverlage aber verlangen das 240- Fache dessen, was andere als angemessene Vergütung akzeptiert haben. Und sie wollen, dass alle Dozenten an allen Hochschulen für jedes Seminar neu jedes einzelne Buch auflisten sollen, aus dem sie ein paar Seiten für ihre Studierenden kopieren. Dabei sollen sie folgende Angaben machen: Name und Anschrift der Hochschule, Titel des Seminars, Zeitraum des Seminars, Teilnehmer- zahl des Seminars, Name und Mailadresse des Dozenten, 25952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) die Titel des Buches und des Aufsatzes, ISBN-Nummer, Anzahl der kopierten Seiten, Verlag, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr, Anzahl der Autoren. Sie können sich denken, wie lange es dauert, ein solches Formular aus- zufüllen. Und dann hat auch noch das Oberlandesgericht Stutt- gart verfügt, dass diese elektronischen Semesterapparate nicht ausgedruckt oder heruntergeladen werden dürfen, sondern nur am Bildschirm zu lesen sind. Ich stelle mir wissenschaftliches Arbeiten anders vor. Ich glaube, das Urheberrecht sollte die Verbreitung von Wissen erleichtern und nicht behindern. Jetzt hoffen die Verlage, dass auch der Bundes- gerichtshof den § 52 a so restriktiv auslegt wie die Ober- landesgerichte zuvor. Dann wäre der Paragraf sozusagen vor Gericht totgemacht. In der Folge müssten Hochschu- len einzeln privatwirtschaftliche Lizenzverträge mit den Verlagen abschließen, wenn sie modernes wissenschaft- liches Arbeiten weiter ermöglichen wollen. Das wird richtig teuer für die Bundesländer. Die Regierungskoali- tion riskiert mit ihrer hier zur Debatte stehenden zögerli- chen Fristverlängerung des § 52 a, die klammen Kassen der Bundesländer weiter zu strapazieren. Oder das Ende moderner Wissensvermittlung an unseren Hochschulen. Der § 52 a muss nicht befristet verlängert werden, sondern sein Anwendungsbereich muss so ausgeweitet werden, dass die Hochschulen tatsächlich etwas davon haben. Er muss Teil einer allgemeinen Wissenschafts- schranke werden, wie sie die Linke und unzählige Wis- senschaftsverbände immer wieder gefordert haben. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf, den die Regierungskoalition uns heute zur erneuten Befristung der Regelungen für Bildung und Wissenschaft im § 52 a des Urheberrechtsgesetzes vor- legt, ist wieder einmal eine Kleinstmaßnahme und Not- operation in allerletzter Minute. Statt im Interesse von Bildung und Wissenschaft für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu sorgen, hangeln Sie sich mit der jetzt schon dritten Befristungsregelung nur von einem Provi- sorium zum nächsten. Dabei verpassen Sie nebenbei auch noch die Chance, endlich klarzustellen, dass die Norm des § 52 a Urheber- rechtsgesetz nicht nur für den Einsatz urheberrechtlich geschützter Texte im Unterricht gelten soll, sondern für alle Zwecke des Unterrichts. Die Ursache dafür, dass Sie sich nicht haben durchringen können, die Befristung in § 52 a Urheberrechtsgesetz endlich aufzuheben, ist wie- der einmal eher im bedauernswerten Zustand der Regie- rungskoalition zu suchen als in rationalen Gründen. Denn die Entfristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz wird ja nicht nur seit Jahren von der Opposition und von Experten und Fachleuten aus dem Wissenschafts- und Bibliothekenbereich gefordert. Eine Entfristung verlangt auch der Bundesrat unter Beteiligung von CDU-geführ- ten Landesregierungen. Eine Befristung einer gesetzlichen Regelung mag ja manchmal sinnvoll sein, wenn man Neuland betritt und erst einmal Erfahrungen sammeln will. Aber wir wissen doch längst, dass eine Regelung, die es ermöglicht, urhe- berrechtlich geschützte Texte gegen Vergütung für Un- terrichtszwecke einzusetzen, vollkommen unverzichtbar ist. Mag sich denn hier irgendjemand ernsthaft vorstellen, der § 52 a Urheberrechtsgesetz werde irgendwann ein- fach ersatzlos auslaufen und alle Hochschulen müssten ihre Intranets für die Lehre abstellen? Das ist doch ein absurder Gedanke! Deshalb ist die Warterei, wann und ob die Mehrheitsfraktionen in diesem Haus diesmal kurz vor Weihnachten gerade wieder einmal knapp die Kurve kriegen, eine für Sie zunehmend peinliche Veranstal- tung. Noch nicht abgeschlossene Fragen hinsichtlich einer angemessenen Vergütung an die VG Wort werden dem- nächst einer gerichtlichen Klärung zugeführt. Das kann für Ihre Zögerlichkeit also nicht herhalten. Die Evalua- tion des § 52 a Urheberrechtsgesetz durch ihr eigenes Justizministerium hat aber längst ergeben, dass die dau- ernde Befristung nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich ist. Denn sie behindert und verzögert wichtige Investitionen in die digitale Infrastruktur von Hochschu- len und Bibliotheken. Niemand investiert Millionen auf der Basis einer unsicheren Rechtsgrundlage. Umso bedauerlicher ist es, dass diese Regierung nicht die Kraft findet, endlich den immer wieder versproche- nen dritten Korb zum Urheberrecht mit den notwendigen Schrankenregelungen für Bildung und Wissenschaft vor Ende der Legislaturperiode vorzulegen. Denn es gibt eine ganze Reihe von ungelösten Problemen und Rechts- unsicherheiten, die dem zeitgemäßen Arbeiten im Bil- dungs- und Wissenschaftsbereich entgegenstehen und wo transparente, rechtssichere und faire Regelungen überfällig sind. Dazu gehören Probleme der Langzeitar- chivierung und der Digitalisierungskompetenzen von Bi- bliotheken, die Regelungen über elektronische Lese- plätze und die Ausleihe von E-Books. Die Regelungen zum elektronischen Kopienversand haben sich als nicht praktikabel herausgestellt. Es ist schlicht ein Unding, wenn heutzutage wissen- schaftliche Hilfskräfte von Dahlem nach Mitte geschickt werden, weil von dort aus ein vorhandener Zeitschriften- aufsatz nicht zeitnah per elektronischer Fernleihe ver- schickt werden kann. Das ist aber leider Berliner Wissen- schaftsalltag. Genauso ist es Alltag, dass Menschen im Wissenschaftsbereich ganztägige Lehrgänge zu einzelnen Gesetzesnormen besuchen, weil keine Rechtssicherheit herrscht, was mit Texten, Forschungsdaten und anderen Digitalisaten gemacht werden darf. Dabei liegen konkrete Gesetzestextvorschläge zum Beispiel von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen längst vor. Das gilt auch für die Umsetzung der Forderung nach einem unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren, damit Publi- kationen, die aus öffentlich finanzierter Forschung ent- stehen, nach einer angemessenen Frist auch öffentlich frei zugänglich gemacht werden können und zum Bei- spiel von staatlichen Bibliotheken und Hochschulen nicht noch einmal bezahlt werden müssen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25953 (A) (C) (D)(B) Diese Forderung wurde auch von der Internet-Enquete des Bundestages einstimmig unterstützt und im aktuellen Bericht aufgenommen. Ich weiß, dass dies ohne die er- folgreichen Überzeugungsarbeiten der dort beteiligten Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition ge- genüber Ihren Rechtspolitikern nicht möglich geworden wäre. Das verdient auch ausdrücklich der positiven Wür- digung, aber ein großer Schritt für FDP und CDU/CSU ist eben noch kein großer Schritt für die Menschheit, wenn daraus keine Handlungen erwachsen. Das gilt übrigens auch für die Empfehlung der En- quete, eine allgemeine zusammengeführte Schrankenre- gelung im Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft zu prüfen. Auch für eine solche Regelung gibt es längst einen ausgearbeiteten Vorschlag der Allianz. Aber wenn Sie bei dieser Prüfung so zögerlich ans Werk gehen wie beim § 52 a Urheberrechtsgesetz, wird die Prüfung wohl noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern, von der Umsetzung ganz zu schweigen. Meine Damen und Herren von der Regierung, über- winden Sie endlich Ihre chronifizierte Mut- und Tatenlo- sigkeit. Sie wird den Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft nicht gerecht. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Tagesordnungspunkt 40) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Weniger als zwei Monate vor seinem eigenen Tod schrieb Franz Kardinal König, der beliebte Alterzbischof von Wien sowie sei- nerzeit wesentlicher Denker und Lenker des Zweiten Va- tikanischen Konzils, im Januar 2004 in einem Brief an den österreichischen Verfassungskonvent zu Fragen der Sterbehilfe: „Menschen sollen an der Hand eines ande- ren Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.“ Damit hat Kardinal König jenseits aller juristischen Kategorien sehr griffig und unmissver- ständlich auf den Punkt gebracht, wo die ethische Grenz- linie im Umgang mit dem Sterben für die Gesellschaft liegt. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist ein fundamentales Gebot unserer Verfassung. Sie zu achten und zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Dessen sollten wir uns sehr deutlich bewusst sein. Es mögen unabhängige Begründungswurzeln sein. Den- noch – in diesem Verständnis sind sich das christliche und das humanistische Menschenbild im Übrigen einig –: Bei beiden steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt. Seine Würde ist es, um die es geht. Natürlich hat der autonome Wunsch des Einzelnen, über sein Leben zu entscheiden, Respekt verdient. Auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen stellt sich demge- genüber schon die Frage: Wie ist es um die Würde des Menschen im Sterben bestellt, dass dem Einzelnen über- haupt der Wunsch entsteht, seinem Leben ein Ende zu setzen? Kardinal König spricht in diesem Zusammen- hang von einer „Kultur des Lebens“, um die es gehe und zu der auch eine „Kultur des Sterbens“ gehöre. Dabei formuliert er es so: „Das Leben des Menschen ist mehr als eine beliebige biologische Tatsache unter anderen.“ Auch dessen sollten wir uns als Richtschnur bewusst sein. Das Strafrecht kann dabei zwangsläufig nicht das erste Mittel sein, ethischen Aufträgen an die Gesell- schaft gerecht zu werden. Behutsamkeit, Verständnis für die körperlichen und psychischen Veränderungen, die etwa das Alter mit sich bringt, Sensibilität – alles das kann nicht der Staatsanwalt bescheren. Aber das Straf- recht ist gefordert, wo es darum geht, den besonderen Schutz der Würde des Menschen durchzusetzen, gegen Entwicklungen vorzugehen, die diesem Schutz zuwider- laufen. Selbsttötung ist in Deutschland straflos. Damit trägt unsere Strafrechtsordnung trotz der Schutzverpflichtung gegenüber der Würde des Menschen der individuellen Letztentscheidung des Einzelnen Rechnung. Systema- tisch sind deshalb auch Beihilfehandlungen straflos, so- lange es keine gesetzliche Regelung gibt. Lange Zeit be- stand hierzu auch kaum ein Anlass. Die Frage nach strafrechtlicher Verantwortung stellte sich im Wesentli- chen in Einzelfällen mit besonderen Konstellationen, die allesamt Ausdruck innerer Konflikte im zwischen- menschlichen Nahbereich sind. Davon haben wir uns indessen mittlerweile weit ent- fernt. Aus dem individuellen Konflikt ist durch das Auf- treten von Sterbehilfevereinen die Diskussion um ein Dienstleistungsangebot geworden. Es geht um All- inclusive-Pakete für den Tod. Das ist eine Entwicklung, der wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Wir beraten daher heute in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbst- tötung, dessen Ziel es ist, eine Korrektur dort vorzuneh- men, wo eine kommerzialisierte Suizidhilfe Menschen dazu verleiten kann, sich das Leben zu nehmen. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die christlich-liberale Koali- tion vereinbart, dagegen vorzugehen. Um den Schutz des Lebens am Lebensende zu gewährleisten, wollen wir „Geschäften mit dem Tod“ sichtbar und nachhaltig die Grundlage entziehen und damit der organisierten Suizid- beihilfe entgegenwirken. Wie der Gesetzentwurf festhält, nehmen auch in Deutschland die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid anzubieten. Dies geschieht beispielsweise durch das Verschaffen ei- nes tödlich wirkenden Mittels und das Anbieten einer Räumlichkeit, in der das Gift durch die suizidwillige Person eingenommen werden kann. Zu denken ist aber auch an Fälle, in denen von Deutschland aus die Gele- genheit vermittelt wird, im Ausland die für eine Selbst- tötung notwendigen Mittel und Räumlichkeiten zu erhal- ten. Im Vordergrund solcher Handlungen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven, sondern die rasche und sichere Abwick- 25954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) lung des Selbsttötungsentschlusses, um damit Geld zu verdienen. Diese Kommerzialisierung stellt eine qualita- tive Änderung in der Praxis der Sterbehilfe dar. Sie lässt befürchten, dass die Hilfe zum Suizid als eine normale Dienstleistung angesehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden. Ich will nicht verhehlen, dass sich auch mir die Frage stellt, ob die Begrenzung auf eine „gewerbsmäßige För- derung“ ausreicht, um das Vorgehen der Sterbehilfeorga- nisationen zu unterbinden. Wir müssen daher in der wei- teren Beratung genau überlegen, inwieweit die vorgesehene gesetzliche Regelung dazu Raum lässt, durch kleinere organisatorische und strukturelle Verän- derungen das „Geschäftsmodell Tod“ ohne Strafrechts- androhung aufrechtzuerhalten und inwieweit dadurch die Gefahr besteht, dass sich diese Organisationen ge- rade darauf berufen können, dass ihr Tun strafrechtlich nicht verboten ist. So lässt ein Verein, der den Dienstleis- tungstod anbietet, auf seiner Homepage unter „Häufig gestellte Fragen“ darauf hinweisen – ich zitiere –: „Be- steht nicht die Gefahr, dass der Verein verboten wird? – Das Bundesjustizministerium hat im April 2012 den ,Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmä- ßigen Förderung der Selbsttötung‘ auf den gesetzgeberi- schen Weg gebracht. Es ist damit zu rechnen, dass Bun- destag und Bundesrat … ein solches Gesetz verab- schieden. Unser Verein ist nicht betroffen, da wir den Mitgliedern Suizidbegleitung nicht gegen Honorar, also nicht gewerbsmäßig, anbieten.“ Das Verbot der gewerbs- mäßigen Förderung der Selbsttötung ist aber in jedem Falle ein erster, wichtiger Schritt, um der organisierten Suizidbeihilfe entgegenzutreten. Erstmals wird damit eine Form der Suizidbeihilfe überhaupt unter Strafe ge- stellt. Das ist gegenüber dem jetzigen Rechtszustand be- reits ein Fortschritt. Wir als Parlament haben einen klaren Verfassungsauf- trag. Es ist auch unsere Aufgabe, die Würde des Men- schen zu schützen. Diesem umfassenden Schutzauftrag müssen wir sorgfältig gerecht werden. Gerade die Rege- lung von Lebenssachverhalten, die sich mit dem Beginn und dem Ende des Lebens befassen, bedarf dabei einer besonderen Sensibilität. Das sind die Punkte, an denen, um nochmals Kardinal König zu zitieren, „das Leben in besonderer Weise gefährdet, ja ‚zerbrechlich‘ ist, wo die Gefahr droht, dass der Mensch ganz über den Menschen verfügt“. Dort liegt unser besonderer Schutzauftrag. Dort geht es nicht mehr um den Vorrang individueller Selbstbestimmung, sondern um das ethische Fundament einer ganzen Gesellschaft. Folgen wir der Maxime „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Men- schen“. Norbert Geis (CDU/CSU): Mit dem Sterben und dem Tod ist es eine merkwürdige Sache. Für gewöhnlich leben wir so dahin, als ob es immer so weiterginge und als ob es selbstverständlich sei, dass wir da sind. Manchmal allerdings tritt der Tod mitten in unser Le- ben. Wir sind erschüttert, wenn ein naher Angehöriger stirbt. Wir begreifen kaum, dass der Mensch, den wir gut gekannt haben, der uns vielleicht sogar sehr lieb war, plötzlich nichts mehr sagt und schweigend daliegt. Nichts ist mehr revidierbar, nichts kann mehr vorange- bracht werden. Das Leben, mit all seinen Begegnungen, mit allen Beziehungen, mit allen Vorhaben und Ideen, mit seinen Hoffnungen und Niederungen findet mit dem Tod unwiederbringlich sein Ende. Der Tod ist der Ernst- fall schlechthin. Unser Leben ist auf den Tod ausgerichtet, unser Le- benswille lebt aber gegen den Tod. Gerade angesichts des Todes erfahren wir, welche Bedeutung das Leben für uns hat, das wir leben dürfen. Deshalb ist es so unbegreiflich, dass sich jemand das Leben selbst nimmt. Wir sind sprachlos und finden keine Worte, fragen uns, ob wir seine Not nicht erkannt oder sie übergangen haben, die ihn dazu getrieben hat, sich selbst das Leben zu nehmen. Gegen solche Vorwürfe an uns selbst wenden wir aber schnell ein und beruhigen uns damit, dass der Betroffene ja schließlich aus freiem Willen gehandelt habe. Er habe sich frei entschlossen, seinem Leben ein Ende zu ma- chen, reden wir uns ein. Diese Autonomie, die die heutigen Menschen gerne für sich fordern, spielt gerade in unserer Zeit, in der wir so großen Wert auf Individualität legen, eine entschei- dende Rolle. Die freie Selbstbestimmung und damit das Recht, seinem Leben dann ein Ende zu setzen, wenn man es für richtig hält, gilt dem heutigen Menschen als Teil seiner Würde, als Ausfluss seiner Autonomie, deren Beachtung er von den anderen einfordert. Mit dieser Autonomie ist es aber oft nicht weit her. In 90 Prozent der Suizide ist die Ursache eine schwere De- pression, die geheilt werden kann, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Wer annimmt, die Autonomie sei das höchste Gut, das der Staat zu achten habe, irrt. Nicht der Schutz der Auto- nomie ist oberstes verfassungsrechtliches Gebot, sondern oberstes Gebot ist der Schutz des Lebens. Das ist der al- lererste Auftrag des Staates. Ist das Leben genommen, gibt es auch keine Autonomie und keine Würde mehr. Mit dem Tod gehen alle Rechte unter, auch die Autono- mie des Menschen. Folglich hat also der Staat vor allem den Auftrag, das Leben des Menschen zu schützen, unter Umständen auch gegen seinen Willen. Der Staat kann deshalb die Selbsttötung nicht billigen. Sie steht nicht im Einklang mit unserer Rechtsordnung. Es gibt ein Recht auf Leben, aber kein Recht auf Selbsttötung. Richtig ist, dass die Selbsttötung nicht bestraft wird. Dies hat aber einen rein praktischen Grund. Der, der sich selbst umgebracht hat, kann nicht mehr bestraft werden. Der, dessen Suizid misslungen ist, der also nur versucht hat, sich selbst zu töten, wird deshalb nicht bestraft, weil der Staat davon ausgeht, dass er mit sich selbst Schwierigkeiten genug hat und insofern gestraft genug ist. Weil aber der Selbst- tod nicht strafbar ist, sind nach dem bei uns geltenden Prinzip der Akzessorietät auch die Beihilfe und die An- stiftung nicht strafbar. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25955 (A) (C) (D)(B) Dieser Grundsatz der Akzessorietät in unserem Straf- recht scheint mir jedoch bei der Beihilfe zum Suizid höchst fraglich, vor allem dann, wenn diese Beihilfe ver- werflich ist. Derjenige, der den anderen auf dessen drin- gende Bitte hin tötet, wird nach § 216 StGB wegen Tö- tung auf Verlangen bestraft. Sein Verhalten ist hoch- verwerflich und deshalb strafwürdig. Dahingegen wird derjenige, der wissentlich und willentlich dem anderen die Pistole in die Hand gibt, damit er sich selbst tötet, nicht bestraft. Dies ist ein Widerspruch, der schwer zu erklären ist. In beiden Fällen wollen die Handelnden den Tod des Betroffenen herbeiführen. Es ist nicht nachvoll- ziehbar, dass die eine Handlung strafwürdig ist, die Strafwürdigkeit der anderen Handlung aber abgelehnt wird. Als Begründung für die Entscheidung wird die Tatherrschaft desjenigen angegeben, der den anderen tötet. Das erscheint mir zu wenig. Andere Länder stellen die Beihilfe zum Selbsttod un- ter Strafe, so Österreich, Italien, England, Irland, Portu- gal, Spanien und Polen. In diesen Ländern gilt die Bei- hilfe als verwerflich und strafwürdig. Diese Einsicht müsste auch in Deutschland Geltung haben. Die Beihilfe ist schon allein deshalb verwerflich und strafwürdig, weil dadurch das Leben eines anderen vernichtet wird. Das überragende Rechtsgut Leben wird durch die Bei- hilfe missachtet. Darin liegt der Grund der Strafbarkeit. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt aber dabei, dass die Beihilfe nicht strafbar ist. Der Grundsatz der Akzessorietät der Beihilfe zu einer Tat soll also auch beim Suizid gewahrt bleiben. Dies bleibt unverständlich und ist auch nicht logisch. Bei der geplanten Bestrafung der gewerbsmäßigen Beihilfe wird dieser Grundsatz allerdings nicht eingehal- ten. Das Dienstleistungsangebot der gewerblichen Bei- hilfe ist moralisch in einem solchen Maß verwerflich, dass der Staat an einer Bestrafung nicht vorbeikommt. Das kann aber nicht nur für die gewerbsmäßige Bei- hilfe gelten. Wir haben auch den Fall, dass Einzelperso- nen oder organisierte Personengruppen ein solches „Dienstleistungsangebot“ propagieren. Für diese Ange- bote, die nachweislich ohne gewerblichen Hintergrund betrieben werden, wird auch öffentlich geworben. Ein solches Verhalten ist ebenfalls verwerflich und ist des- halb, wie die gewerbliche Beihilfe, unter Strafe zu stel- len. Hinzu kommen muss aber auch der Fall, dass ein ein- zelner „Helfer“ die Selbsttötungsabsicht eines anderen aus völlig eigennützigen Motiven hervorruft. Er stiftet den Betroffenen zur Selbsttötung an. Ohne diese Anstif- tung kommt der Betroffene vielleicht gar nicht zu dem Entschluss, sich selbst zu töten. Solche „Helfer“ handeln nicht selten aus Eigennutz. Dies kann im ganz nahen Verwandtschaftsverhältnis oder Freundeskreis der Fall sein, wenn zum Beispiel die Pflege des alten Menschen zur unerträglichen Last geworden ist oder aber wenn diese „Helfer“ durch den Tod des Betroffenen auf eine große Erbschaft hoffen dürfen. Dieses Verhalten ist min- destens genauso verwerflich wie die gewerbliche Bei- hilfe. Deshalb ist auch ein solches Verhalten unter Strafe zu stellen. Aus all diesen Gründen ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung im parlamentarischen Verfahren zu überprüfen und zu ergänzen. Wichtig allerdings er- scheint mir die Ausweitung der Hilfe. Gerade die unmit- telbare Nachbarschaft ist insbesondere aufgefordert, mit älteren Menschen, bei denen die Suizidrate am höchsten ist, in Kontakt zu bleiben, ihnen mit kleinen Diensten bei der Bewältigung des Alltages zu helfen. Aufmerksam- keit, Freundlichkeit und Entgegenkommen können hel- fen, damit sich der Gedanke an die Selbsttötung bei dem Nächsten gar nicht erst festsetzt. Dr. Edgar Franke (SPD): In der Schweiz wird die Beihilfe zum Suizid durch Laien oder durch Ärzte nicht strafrechtlich verfolgt. Hier dürfen Suizidhilfe-Organisa- tionen mit Namen Exit oder Dignitas den vom Sterbe- wunsch Erfüllten eine Infusion mit tödlichem Gift anle- gen und so lange anwesend bleiben, bis der Tod eintritt. Der Sterbewillige muss diese allerdings selbst auslösen. Im Jahr 2011 sind 411 Menschen mithilfe von Exit aus dem Leben geschieden. Dies berichtet Bernhard Sutter, der Vizepräsident von Exit (Deutsche Schweiz), dem Evangelischen Pressedienst, epd, veröffentlicht am 14. Juni des Jahres. Nach Angaben von Exit sind rund 30 Prozent der Sterbewilligen „nicht todkrank“. In der kanadischen Provinz Ontario ist der assistierte Suizid übrigens ebenfalls erlaubt; dort lässt man den Pa- tienten jedoch mit dem Gift allein, was in 50 Prozent der Fälle dazu führt, dass dieser sich doch nicht tötet. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung wendet sich im Kern gegen private Suzidhilfe-Organisationen wie Exit und Dignitas, denen eine gewerbs- oder zumin- dest geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter- stellt wird. Die Selbsttötung und die Teilnahme sind in Deutsch- land nicht strafbar. Straffrei sind auch der gerechtfertigte Behandlungsabbruch – passive Sterbehilfe – und die so- genannte indirekte Sterbehilfe. Mit Strafe bedroht ist da- gegen die Tötung auf Verlangen, § 216 StGB. Der vor- liegende Gesetzentwurf schlägt die Schaffung eines neuen Straftatbestandes im Strafgesetzbuch vor, der die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Der gewerbsmäßigen, also der auf Gewinnerzielung ausgerichteten Förderung der Selbsttötung soll demnach durch ein strafrechtliches Verbot entgegengewirkt wer- den. Dazu soll ein neuer Straftatbestand, der § 217 StGB-E, geschaffen werden. Im Wortlaut: „Wer absicht- lich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld- strafe bestraft.“ Gewerbsmäßig handelt nach der Rechtsprechung des BGH, wer in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu ver- schaffen, wobei die Tätigkeit von der Absicht getragen werden muss, Gewinn zu erzielen. 25956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Den Suizidhilfe-Organisationen wird vorgeworfen, mit dem Leid verzweifelter Menschen Geschäfte zu ma- chen. Ob eine Gewinnerzielungsabsicht festgestellt wer- den kann, ist nicht sicher. Exit hat nach eigener Zählung rund 80 000 Mitglieder. Nach eigenen Angaben streben sie die gesicherte Finanzierung ihrer Aktivitäten an. In dem Gesetzentwurf sagen Sie, eine gesetzliche Re- gelung zur Strafbarkeit der Förderung der Sterbehilfe sei längst fällig. Ist es nicht vielmehr notwendig, die Sicht darauf zu richten, dass nicht nur die gewerbsmäßige, sondern auch die organisierte Förderung der Sterbehilfe als strafwürdiges Verhalten angesehen werden sollte? Die Abgrenzung einer gewerbsmäßigen zur organisier- ten Förderung der Sterbehilfe wird im Einzelfall sich nämlich eher schwierig gestalten. Das Entscheidende ist jedoch: Weder die Urteilsfähig- keit noch die genaue Krankengeschichte müssen oder können von den Laienhelfern geprüft werden. So werden gerade bei psychischen Erkrankungen oder psychischen Ausnahmezuständen die nötige therapeutische Erfah- rung und fachliche Voraussetzungen weitgehend fehlen. Das ist untragbar und betrifft mehr oder weniger die or- ganisierte Förderung der Sterbehilfe. So fordert die Bundesärztekammer, dann nicht nur die gewerbliche Suizidbeihilfe, sondern jegliche organisierte Sterbehilfe zu verbieten. Eugen Brysch, Vorstand der Patientenschutzorganisa- tion Deutsche Hospiz Stiftung, will, dass das konzeptio- nelle Vorgehen der Sterbehilfeorganisationen verhindert wird. Er drängt damit ebenfalls zum Verbot der organi- sierten Sterbehilfe. Meine Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat in ihrer veröffentlichten Stellungnahme recht: Wo ein kom- merzielles Interesse ist, gibt es auch Interessen, den Ge- winn zu maximieren. Diesbezüglich ist der Gesetzent- wurf der Bundesregierung richtig. Er ist aber nicht weitgehend genug. Denn auch die organisierte Sterbe- hilfe, die nicht kommerziell arbeitet, ist falsch. Eine Or- ganisation, die den Tod in einem bürokratischen Ver- fahren zuweist, passt nicht zu einer individuellen Entscheidung. Eine solche Organisation wird allein durch ihre Existenz Entscheidungen beeinflussen und wahrscheinlich auch in Gesprächen Einfluss nehmen. – Sie hat recht; dies spricht gegen die organisierte Sterbe- hilfe. Die Entscheidung für eine Selbsttötung kann doch sinnvoll nur im Einzelfall durch den Betroffenen mit- hilfe seiner Angehörigen und mit Beratung durch einen Arzt, möglichst mit therapeutischen Erfahrungen, erfol- gen. Hier haben Sie Ihren ursprünglichen Entwurf nach Protesten der Ärzteschaft entschärft. Der vorliegende Entwurf sieht nur noch vor, dass Angehörige oder andere nahestehende Personen einem Sterbenskranken straffrei Beihilfe leisten dürfen. Die Bundesärztekammer versucht, über berufsrechtli- che Regelungen und Regelungen der Berufsordnung sich zu entziehen. Und auch der Bundesverband privater An- bieter sozialer Dienste betont, dass Pflegekräfte den Menschen beim Leben helfen wollen, aber nicht beim Suizid. Der Begriff „nahestehende Personen“ ist allerdings eher unbestimmt und erlaubt, dass auch Ärzte und Pfle- gekräfte gemeint sein können. Aber der Kollege Spahn bemerkt zu Recht, dass es nicht sein kann, dass in solch einem „Nebensatz“ die Sterbehilfe durch nahestehende Ärzte und Pflegekräfte straffrei gestellt werden sollte. Hier werden Sie also nachbessern und erklären müssen, ob Sie in einem weiteren Gesetzentwurf die Rolle der Ärzte und Pflegekräfte neu ausrichten und die Sterbe- hilfe – unter gewissen Voraussetzungen – durch diese Berufsgruppen straffrei stellen wollen. Generell haben wir das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten mehr zu achten. Dafür muss auch Klarheit über die Verbindlichkeit und die Reich- weite von Patientenverfügungen herrschen. Wie schaf- fen wir die erforderliche Rechtssicherheit für alle Betei- ligten auch bei der passiven und indirekten Sterbehilfe sowie der Beihilfe zur Selbsttötung? Gesetzliche Regelungen zur Stärkung des Selbstbe- stimmungsrechts von Patienten können aber nur ein Baustein sein, um Menschen einen würdigen Umgang mit Leiden und Sterben zu ermöglichen. Wichtig ist der weitere Ausbau des Hospizwesens und der Palliativme- dizin. Schon meine Kollegin Brigitte Zypries hatte in ih- rer Zeit als Bundesjustizministerin die Vorstellung, dass dann auch die Diskussion über aktive Sterbehilfe in den Hintergrund treten würde. Es geht letztlich darum, die Patientenautonomie auch am Lebensende zu stärken und menschenwürdige Bedin- gungen für Kranke und Sterbende zu schaffen. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Wie die Menschen im Land diskutiert auch die Linksfraktion das Thema Sterbehilfe insgesamt kontrovers. Auch nach der geplanten Anhörung im Rechtsausschuss zum Inhalt des Gesetzentwurfs und zur abschließenden Lesung im Bun- destag ist keine einhellige Fraktionsmeinung der Linken zu erwarten. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich sind doch die Fragen, welche sich dem Thema Sterbe- hilfe widmen, nicht nur ethisch bzw. moralisch hochsen- sibel und differenziert zu betrachten, sondern bergen auch jede Menge Missverständnisse. Allein die Begrifflichkeiten wie „aktive Selbsthilfe“ und „passive Sterbehilfe“ oder auch „Beihilfe zur Selbst- tötung“ bzw. „assistierter Suizid“ werden häufig nicht eindeutig angewandt, abgesehen davon, dass sehr unter- schiedliche – auch medizinische – Vorgehensweisen in der Nähe des Lebensendes häufig als Sterbehilfe be- zeichnet und missverstanden werden. Insofern sei mir der Hinweis erlaubt, dass meine Hal- tung nicht den Standpunkt meiner Fraktion in ihrer Ge- samtheit wiedergibt, sondern vielmehr meine persönli- che Meinung zum Thema beinhaltet, die maßgeblich durch meine pflege- und gesundheitspolitische Arbeit geprägt ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25957 (A) (C) (D)(B) Insofern plädiere ich mit Nachdruck dafür, dass alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages frei und al- lein ihrem Gewissen verpflichtet und nach gründlicher persönlicher Abwägung zum Gesetzentwurf ihre Ent- scheidung fällen können und gegebenenfalls mittels fraktionsunabhängiger parlamentarischer Initiativen die Debatte befruchten. Meine Position ist es, sich ausdrücklich und entschie- den gegen jede Form der aktiven Sterbehilfe und jegli- cher Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung auszusprechen. Menschen, die aussichtslos erkrankt sind, dürfen weder sich selbst überlassen bleiben, noch einer organisierten oder gar kommerzialisierten Sterbe- hilfe oder Beihilfe zur Selbsttötung ausgeliefert werden, die teilweise dilettantisch von Nichtärzten durchgeführt wird und die ohne jegliches Empfinden für die Sorgfalts- pflicht Sterbewillige in ungeeigneten Räumlichkeiten oder gar auf Parkplätzen unwiederbringlich ihrem Schicksal überlässt. Weder von Ärzten noch von Pflege- personal noch von privaten Organisationen sollte eine aktive Unterstützung von Selbsttötungen angeboten oder ausgeübt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung greift das Verbot der gewerblichen Beihilfe zur Selbsttö- tung auf und geht somit in die richtige Richtung. Einmal abgesehen davon, dass der Gesetzentwurf in der Begrün- dung mit ungenauen Formulierungen hantiert – denn es geht hier um Beihilfe zur Selbsttötung, was etwas ande- res ist als Sterbehilfe, – greift er aber insoweit zu kurz, als eben nicht ausdrücklich jegliche Form der organisier- ten Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt wird, sondern nur die gewerbsmäßige Form. Jedoch ist eine Grenze in der Praxis nicht haarscharf zu ziehen, die strafrechtliche Ahndung daher äußerst schwierig, und sind Umgehungstatbestände faktisch vor- programmiert. Es reicht deshalb nicht aus, dass mit dem Gesetzentwurf eine nichtgewerbsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung dann straffrei bleibt, wenn der- oder dieje- nige, welche die Beihilfe leisteten, eine Angehörige oder ein Angehöriger oder eine nahestehende Person ist. Vor diesem Hintergrund ist anzumerken – und findet sich auch in der Begründung des Gesetzentwurfs –, dass Studien mehrfach gezeigt haben, dass ein kausaler Zu- sammenhang zwischen der Zulassung von kommerziali- sierter Beihilfe zur Selbsttötung und einem Anstieg ent- sprechender Selbsttötungen zwar nicht bewiesen ist, aber dennoch vermutet werden kann. Das allein rechtfertigt ein Verbot. Nachvollziehbar ist aber nicht, diesen Zusam- menhang allein für die kommerzialisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu vermuten. Die Vermutung muss auch für jede andere Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttö- tung gelten bzw. sie kann nicht ausgeschlossen werden und rechtfertigt insofern ebenfalls ein Verbot. Fakt ist, dass beispielsweise in den Niederlanden nicht nur Menschen durch die Einwirkung Dritter star- ben, die danach verlangt hatten, sondern jedes Jahr auch einige Hundert, die nicht darum gebeten hatten. Nach ärztlicher Einschätzung konnte keine Besserung ihres Zustandes mehr erzielt werden bzw. wurden medizini- sche Maßnahmen für sinnlos erachtet, wurde ihre Le- bensqualität als gering eingeschätzt oder hatten ihre An- gehörigen darum gebeten. Menschen wollen sterben, weil sie einsam sind, keine Hilfen bekommen, ihren Angehörigen nicht zur Last fal- len wollen, Schmerzen haben. Dies sind alles Problem- felder, auf die spezifisch und wirksam reagiert werden könnte, die aber in den Hintergrund gerückt sind. Be- zeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der Aus- bau der palliativmedizinischen Versorgung nur schlep- pend vorankommt. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Menschen mit unheilbaren Krankheiten ein Recht auf die bestmög- liche Versorgung haben. Es muss gewährleistet sein, dass für sie bis zum Lebensende alles getan wird, damit sie selbstbestimmt und in Würde bis zum Ende leben können. Eine gute palliativmedizinische Versorgung und die dazugehörige Pflege und Betreuung sind deshalb wichtige Bausteine, um dieses Ziel zu verwirklichen. Die palliativmedizinische Versorgung als Teil eines umfassenden Palliative-Care-Konzepts leistet hier Her- vorragendes, ebenso wie die Hospizeinrichtungen. Bei der palliativmedizinischen Versorgung geht es um die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkran- kung und einer begrenzten Lebenserwartung in dem Ab- schnitt, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kura- tive – also heilende – Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbe- schwerden, von psychologischen, sozialen und spirituel- len Problemen höchste Priorität besitzt. Die Palliativmedizin ist fester Bestandteil der hiesi- gen medizinischen Versorgung. Gerade in Hinblick auf die Diskussion zum Thema ist von größter Bedeutung, dass Palliativmedizin das Ziel hat, todkranke Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit zu betreuen. Das bedeutet, die Leiden umfassend zu lindern und dabei die Würde und Eigenständigkeit des Menschen zu achten. Hier zeigt sich der entscheidende Unterschied zur Sterbehilfe bzw. zur Beihilfe zur Selbsttötung, der darin liegt, dass bei der palliativmedizinischen bzw. Palliative- Care-Versorgung nicht der Leidende, sondern die Symp- tome des Leids wie Schmerz und Einsamkeit beseitigt werden. Die Palliative-Care-Versorgung macht Sterbe- hilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung dadurch weitge- hend überflüssig. Auch die verkürzte Sicht, welche die palliativmedizi- nische Versorgung auf die Gabe von Schmerzmitteln re- duziert und diese dann womöglich in die Nähe einer wie auch immer gelagerten Form der Sterbehilfe oder auch Beihilfe zur Selbsttötung rückt, ist irreführend. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir den Ausbau und die Sicher- stellung der palliativmedizinischen und Hospizversor- gung gerade im Zusammenhang mit der heutigen Debatte nicht aus den Augen verlieren dürfen. Es muss vielmehr Aufgabe des Gesundheitssystems sein, ungeachtet jegli- cher Marktmechanismen die Gesundheit jedes Einzelnen zu erhalten, Leiden zu verhindern, Schmerzen zu lindern, Menschen am Lebensende zu begleiten sowie beizuste- hen und nicht ihr Leben aktiv zu beenden. Notwendig 25958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) sind eine flächendeckende palliativmedizinische bzw. Palliative-Care-Versorgung und auch eine breitere Finan- zierung der Pflegeversicherung und ein entsprechender Ausbau ihrer Leistungen. Daneben muss die Hospizbe- wegung dringend weiter strukturell, finanziell und medial unterstützt werden, damit auch hier eine flächendeckende Versorgung – die nachweislich nicht gegeben ist – ge- währleistet werden kann. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Jahren wird in der Gesellschaft darüber diskutiert, ob Menschen ihrem Leben freiwillig und selbstverantwort- lich ein Ende setzen dürfen und ob es erlaubt oder gar geboten sei, den hierzu Entschlossenen dabei zu assistie- ren. Der Freitod steht nicht unter Strafe, auch die Bei- hilfe dazu – selbstverständlich – nicht. Es wäre sinnvoll, gesetzlich klarzustellen, dass straflose Beihilfe zum Sui- zid nicht durch die Hintertür wegen unterlassener Hilfe- leistung verfolgt werden kann. Leider legt die Bundesre- gierung hierzu keinen Gesetzentwurf vor. Stattdessen beschäftigen wir uns mit einem Vorschlag zur Strafbar- keit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Der vorliegende Gesetzentwurf scheitert bereits an der Darstellung der Lebenssachverhalte, die unter Strafe gestellt werden sollen. Ich zitiere aus der Begründung: „In Deutschland nehmen die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Men- schen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid an- zubieten. ... Im Vordergrund solcher Handlungen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbeja- henden Perspektiven, sondern die rasche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses, um damit Geld zu verdienen.“ Ich hätte erwartet, dass nunmehr einige Beispiele fol- gen, von Menschen oder Organisationen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Aber weit gefehlt, nicht ein einzi- ges konkretes Beispiel wird von der Regierung benannt. Ich will konkreter werden und die Fälle ansprechen, über die seit Jahren in der Öffentlichkeit kontrovers dis- kutiert wird: Es sind dies erstens die schweizerischen Vereine Exit und Dignitas und ihr deutscher Ableger Dignitate und zweitens die namensgleichen schweizerischen und deut- schen Vereine Sterbehilfe Deutschland e. V., hinter de- nen der frühere Hamburger Justizsenator Dr. Kusch und seine Gefolgsleute stehen. Man muss diese Vereine und die für sie handelnden Personen nicht mögen, aber eines ist klar: Gerade diesen Personen wird nicht nachzuweisen sein, dass bei ihren Suizidhilfeangeboten das Geldverdienen im Vorder- grund steht und dass sie deshalb ihr Beratungsangebot nicht vorrangig auf lebensbejahende Perspektiven aus- richten. Ein Blick auf die im Internet nachlesbaren An- gebote und die veröffentlichten Satzungen reicht hierfür aus. Auch der Hinweis auf die angeblich steigende Zahl von Suizidfällen in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz halten schon einer oberflächlichen Überprüfung nicht stand. In den Niederlanden und in Belgien ist seit 2001/2002 die aktive Strebehilfe unter bestimmten Be- dingungen nicht strafbar. In Deutschland ist sie aber strafbar, und zwar als Tötung auf Verlangen. Dies will auch niemand ändern. Um uns von den Niederlanden und Belgien abzusetzen, bedarf es deshalb des vorgeleg- ten neuen Strafgesetzes gar nicht. Und in der Schweiz ist die Suizidhilfe strafbar, wenn sie aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ geschieht. Dies entspricht in etwa der vorgeschlagenen Gewerblichkeit; jedenfalls sind altruistische Motivationen straflos. Im Ergebnis würde der vorliegende Entwurf eine ähnliche Rechtslage wie in der Schweiz schaffen, obwohl die Be- gründung die Lage in der Schweiz gerade als einen Grund für den vorgelegten Entwurf benennt. Bezeich- nend ist in diesem Zusammenhang, dass die in der Schweiz legal tätigen Vereine als „quasi gewerbsmäßig auftretende Sterbehilfeorganisationen“ bezeichnet wer- den. So verschwimmt immer mehr, welche Personen ei- gentlich von der Strafbarkeit mit dem neuen Recht er- fasst werden sollen. Nur am Rande sei angemerkt, dass wir die Auffas- sung der Bunderegierung teilen, dass der Versuch, jegli- che – auch nicht gewerbsmäßige – organisierte Sterbe- hilfe zu verbieten, an verfassungsrechtliche Schranken stoßen würde. Was einem Einzelnen erlaubt ist, kann ei- nem Verein nicht verboten werden. Trotz also der ins Auge springenden Schwächen des vorgelegten Gesetzentwurfs gibt es Hinweise auf Vorge- hensweisen bei der Suizidhilfe, die strafwürdig sein könnten. Wir gehen von der Freiheit zur Selbstbestimmung aus. Diese beinhaltet auch die Freiheit, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wir wollen solche Entscheidungen nicht fördern, wir wollen niemanden hierzu anstiften oder ver- leiten, aber wir achten und respektieren auch diese Ent- scheidung, wenn sie frei von Einflüssen Dritter und au- tonom getroffen wird. Deshalb ist weder der Suizid noch die Beihilfe hierzu unter Strafe gestellt. Der Staat ist aber – was völlig unbestritten ist – auf den Schutz menschlichen Lebens verpflichtet. Diese Schutzpflicht ist nicht vorrangig und nicht ausschließlich mit dem Mittel des Strafrechts zu erfüllen. Vor allem an- deren müssen wir mehr tun, um den Menschen die Angst vor unerträglichen Schmerzen und vor einem qualvollen Tod zu nehmen. Dazu gehört, die Palliativmedizin und die Hospizbewegung zu stärken und deren Angebote als Alternative zum Suizid bekannt zu machen. Zum staatlichen Schutzauftrag gehört aber auch, die Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, von or- ganisierter Fremdbestimmung und Beeinflussung frei zu halten. Sollte hier eine evidente und eklatante Schutzlü- cke bestehen, ist diese zu schließen. Was sagt nun der Regierungsentwurf hierzu? Wir le- sen: „Diese Kommerzialisierung“ – der Sterbehilfe – „stellt eine qualitative Änderung in der Praxis der Ster- behilfe dar. Sie lässt befürchten, dass die Hilfe zum Sui- zid als eine normale Dienstleistung angesehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25959 (A) (C) (D)(B) ohne ein solches Angebot nicht tun würden.“ Der Ent- wurf schlägt deshalb vor, „die gewerbsmäßige Förde- rung der Selbsttötung unter Strafe zu stellen“. Die Förderung von Suiziden – insbesondere dadurch, dass Menschen, die noch gar nicht zur Beendigung ihres Lebens entschlossen sind, die über Schmerzlinderung am Lebensende, über die Angebote der Hospize, über die Abfassung entsprechender Patientenverfügungen nicht aufgeklärt sind, verleitet werden, Suizid zu bege- hen – kann das Rechtsgut Leben in einer Art und Weise verletzen, dass an einen strafrechtlichen Schutz gegen solche Verletzungen zu denken wäre. Untersuchungen, die darüber Aufschluss geben könn- ten, ob es wirklich Tendenzen zu einer so verstandenen Kommerzialisierung des Suizids gibt, bleiben im Ge- setzentwurf unerwähnt. Ja, noch schlimmer, wir müssen lesen, dass die Bundesregierung solche Untersuchungen gar nicht kennt. Wenn man aber die Aussagen im Gesetzentwurf zur Grundlage neuen Strafrechts machen will, dann muss gerade das Element der Fremdbestimmung, das Verlei- ten zur Selbsttötung, auch im Straftatbestand als das ent- scheidende Merkmal der Straftat auftauchen. Nicht die Verschaffung der Gelegenheit zum Suizid an sich, nicht die Erstattung von Kosten, die dabei entstehen, nicht die Entlohnung der bei der Suizidhilfe eingesetzte Arbeits- zeit und Energie, ja nicht einmal die Motivation an sich, sich damit eine Einnahmequelle zu verschaffen, ist straf- würdig, sondern – wenn überhaupt – im Kern die Verlei- tung noch unentschlossener oder mangelhaft informier- ter Menschen zur Selbsttötung und die dadurch bewirkte Förderung des Suizids. Die Thematik der Strafbarkeit bestimmter Formen der Beihilfe zum Suizid ist eine ernsthafte und überaus schwierige. Ich bitte die Koalition mit Nachdruck, hier mit Gründlichkeit vor Schnelligkeit vorzugehen. Es gibt keinen Grund zur Hast und Oberflächlichkeit. Der vor- liegende Entwurf muss gründlich nach dem sogenannten Struck’schen Gesetz bearbeitet werden. Er darf den Bun- destag nicht in der Form und nicht mit der Begründung verlassen, wie er in den Bundestag eingebracht worden ist. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- ministerin der Justiz: Ein breiter gesellschaftlicher Konsens über Umfang und Inhalt einer Regulierung zur in ethischer, moralischer und juristischer Hinsicht äu- ßerst komplexen Frage der Suizidhilfe wird sich kaum erreichen lassen. Einerseits wird die Forderung nach generellen Verbotsregelungen erhoben, andererseits sehen viele Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht nur dann ge- wahrt, wenn sie auch die uneingeschränkte Möglichkeit haben, Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Verzweifelte Betroffene in großer seelischer oder kör- perlicher Not benötigen vor allem menschliche Zuwen- dung und eine medizinische Versorgung, die eine lebens- bejahende Einstellung erleichtert und die ihnen bei Schmerzen die bestmögliche palliativmedizinische Behandlung zukommen lässt. Leider können aber weder Unterstützung noch mo- derne Palliativmedizin alle Schmerzen lindern; auch weiterhin werden Menschen die Entscheidung zur Been- digung ihres Lebens treffen. Wir müssen uns als Gesetz- geber deshalb immer wieder fragen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen wir in diesem sensiblen und schwierigen Bereich vorgeben wollen. Ausgangspunkt ist die grundsätzliche Straffreiheit der Suizidhilfe im deutschen Recht, da auch die Selbsttötung bekanntlich nicht strafbar ist. Es geht in der derzeitigen Diskussion also allein um die Frage, inwieweit Suizid- hilfe erstmals unter Strafe gestellt werden soll. Der Ent- wurf der Bundesregierung sieht dies nun für die Fälle vor, in denen Suizidhilfe gewerbsmäßig angeboten wird. Dort, wo sie kommerzialisiert wird, und wo sie sich zu einer Art „normaler Dienstleistung“ entwickeln kann, bestünde nämlich die Gefahr, dass sich vielleicht noch unentschlossene Menschen zum Suizid verleiten lassen oder dass bei den Suizidhelfern die Gewinnerzielung ei- gentliches Motiv des Handelns wird. Die Gewerbsmäßigkeit ist ein klares rechtliches Abgrenzungskriterium. Einer Kriminalisierung jeder or- ganisierten, konkret von Vereinen gewährten Suizidhilfe stünden dagegen auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Aufgrund der in Art. 9 GG garantierten Verei- nigungsfreiheit kann dem Verein nämlich grundsätzlich nicht verboten werden, was dem Einzelnen gestattet ist. Ähnlich schwer ließe sich für die sogenannte ge- schäftsmäßige – also für die lediglich auf Wiederholung angelegte und ohne Gewinnabsicht durchgeführte – Suizidhilfe begründen, weshalb ein an sich erlaubtes Verhalten allein dadurch strafbar sein sollte, dass es wie- derholt wird. Nach dem Entwurf der Bundesregierung soll die Suizidhilfe deshalb nur dann unter Strafe gestellt wer- den, wenn sie gewerbsmäßig, also aus kommerziellen Gründen angeboten wird. Dort, wo Suizidhilfe in einer emotional schwierigen Konfliktsituation im Familienkreis und aus rein altruisti- schen Gründen gewährt wird, soll dagegen bewusst nicht gesetzlich eingegriffen werden; in diesen intimen zwischenmenschlichen Beziehungen muss sich der Staat auch zukünftig zurückzuhalten. Der Gesetzentwurf stellt daher sicher, dass Angehörige und etwa langjährige und sehr enge Freunde von der Strafbarkeit ausgenommen werden, wenn sie an der Tat des Suizidhelfers lediglich teilnehmen, ohne selbst gewerbsmäßig zu handeln. Dies wird also weiterhin straffrei bleiben – wie es das Straf- gesetzbuch ja bereits jetzt vorsieht. Es geht dabei über- haupt nicht – auch das möchte ich noch einmal betonen – um den Beruf, den die Angehörigen oder engen Freunde ausüben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trifft eine maßvolle Wertentscheidung in dem sehr sensiblen Bereich der Sterbehilfe. 25960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (Zusatztagesordnungs- punkt 9) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Das Recht der Sicherungsverwahrung beschäftigt seit Ende der 1990er- Jahre fortwährend den Gesetzgeber und die Rechtspre- chung. Das ist einerseits aus der Interessenlage der Betroffenen nachzuvollziehen, die, was ihr gutes Recht ist, jedwedes Rechtsmittel und sämtliche Instanzen nut- zen bis hin zu Bundesverfassungsgericht und Europäi- schem Gerichtshof für Menschenrechte. Andererseits ist es aus dem Blickwinkel des Gesetzgebers zur Dauerauf- gabe geworden, die Entscheidungen der Rechtsprechung im Hinblick auf den durch den Gesetzgeber wahrzuneh- menden Schutzauftrag gegenüber der Bevölkerung in entsprechende gesetzliche Regelungen zu übersetzen. Mit dem Therapie- und Unterbringungsgesetz, ThUG, hat die christlich-liberale Koalition zusammen mit der SPD-Fraktion eine gesetzliche Lösung für eine große Zahl von Fällen geschaffen, bei denen aufgrund der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009, rechtskräftig ge- worden im Mai 2010, sowie nachfolgend des Bundes- verfassungsgerichts im Mai 2011 eine Unterbringung nicht mehr auf der Grundlage des Rechts der Siche- rungsverwahrung erfolgen konnte. Außerdem ist der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen erst durch die Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Beachtung des Abstandsgebotes dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts aus seiner Ent- scheidung von Mai 2011 nachgekommen. Wir nehmen den Schutzauftrag gegenüber der Bevöl- kerung ernst und haben die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zügig auf den Weg gebracht. Aufgrund der zeitlichen Lücke zwischen der Entscheidung des Euro- päischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember 2009, dass die Sicherungsverwahrung vom Verbot der Rückwirkung nach Art. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK, erfasst sei, und der Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichts im Mai 2011, dass trotz des Rück- wirkungsgebots in einigen Fällen besonders hochgradi- ger Gefährlichkeit eine Freiheitsentziehung weiterhin möglich sei, ist es allerdings in wenigen Einzelfällen möglich, dass eine Regelungslücke besteht. Es geht hierbei um Fälle, in denen ein Antrag auf An- ordnung einer solchen Sicherungsverwahrung vor dem 4. Mai 2011 ausschließlich deshalb abgelehnt wurde, weil das zuständige Revisionsgericht dies aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, namentlich aufgrund der am 10. Mai 2010 bestandskräftig gewordenen Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 – Nr. 19359/04 –, wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot von Art. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK, für zwin- gend ansah, unabhängig von sonstigen Kriterien wie insbesondere dem Grad der Gefährlichkeit des Täters, vergleiche namentlich BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010, 4 StR 577/09. Diese Konstellation konnte dadurch entstehen, dass bis zum obengenannten Urteil des Bundesverfassungs- gerichts vom 4. Mai 2011 noch nicht abschließend geklärt war, ob die Vorgaben der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR den nationalen Gerichten von vornherein jede rückwirkend verschärfende Rechts- anwendung im Recht der Sicherungsverwahrung aus- schlossen oder dies – unter erhöhten Voraussetzungen – doch noch möglich war. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, EGStGB, soll diese Lücke nun rasch geschlossen werden, um keine Schutzlücke entstehen zu lassen. So bedauerlich es einerseits ist, dass dies nun in einem eigenen Gesetz- gebungsverfahren geschehen muss und eine Regelung nicht schon mit dem vor einigen Wochen verabschiede- ten Gesetz zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung erfolgte, so wichtig ist es andererseits, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren nun zügig durchführen. Hier gilt mein Dank allen Fraktionen, die sich konstruktiv in das Verfahren einbringen. Abschließend möchte ich, da dies in der vorbereiten- den Diskussion bereits Erwähnung gefunden hat, darauf hinweisen, dass eine Regelung der nachträglichen Siche- rungsverwahrung die mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf zu erfassenden Fälle nicht umfasst hätte. Ohne Frage: Wir hätten uns im Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung als CDU/CSU- Fraktion auch für die Zukunft die Möglichkeit der nach- träglichen Sicherungsverwahrung gewünscht. Dies ist nach wie vor nicht geregelt. Die Fälle, die Grundlage dieses heute beratenen Gesetzentwurfs sind, wären aber – ich betone dies noch einmal – von der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht erfasst. Lassen Sie uns nun aber mit dem vorliegenden Gesetz die entstandene Lücke schnell schließen. Norbert Geis (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetz- entwurf hat seinen Grund vor allem darin, dass der EGMR und das Bundesverfassungsgericht das Recht der Sicherungsverwahrung für verfassungs- und konven- tionswidrig erklärt haben. Genauer gesagt, hat der EGMR die Sicherungsverwahrung, SV, als Strafe qualifiziert, für die auch das Rückwirkungsverbot Anwendung fin- det. Die SV war zunächst auf zehn Jahre begrenzt. Diese zeitliche Begrenzung der SV wurde jedoch später aufge- hoben. Bis zu dem Urteil des EGMR war es möglich, dass ein Gericht auf entsprechenden Antrag hin die zu- nächst auf zehn Jahre befristete SV eines gefährlichen Täters nachträglich aufheben und verlängern konnte. Da diese Regelung vor dem EGMR keinen Bestand hatte, war die Folge, dass alle Täter, deren SV über die Zehn- jahresfrist hinaus verlängert worden war, nun freigelas- sen werden mussten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25961 (A) (C) (D)(B) Dann hat der Bundestag mit dem Gesetz zur Thera- pierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalt- täter eine neue gesetzliche Regelung geschaffen, um sol- che Täter dann doch noch in Therapieunterbringung halten zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 festgestellt, dass die SV keine Strafe ist. Die nachträgliche SV bleibt also zulässig, wenn durch Freilassung des Täters von einer konkreten hoch- gradigen Gefährdung der Öffentlichkeit durch schwerste Gewalt oder Sexualverbrechen auszugehen ist und wenn bei dem Täter eine psychische Störung im Sinne des ThUG vorliegt. Im Juli 2012 stellte aber der BGH fest, dass das ThUG nach dem derzeitigen Wortlaut nicht auf Personen anwendbar ist, die nur vorläufig gemäß § 275 a StPO, alte Fassung, nicht aber endgültig in der nachträg- lichen SV untergebracht sind. Für diese Fälle, so der BGH, war keine Unterbringung nach dem ThUG mög- lich. Deshalb kam der Wunsch aus dem Bundesrat, diese Sicherheitslücke zu schließen. Der Deutsche Bundestag hat am 8. November 2012 das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Ab- standsgebotes im Recht der SV beschlossen. Allerdings wurde der Wunsch der Länder, durch eine Erweiterung des ThUG die Sicherheitslücke zu schließen, nicht er- füllt. Die Regierung war der Auffassung, dass dies nicht notwendig sei. Dagegen hat sich der Bundesrat gewehrt. Er wollte veranlassen, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Deshalb gab die Bundesregierung eine Protokollerklärung ab, in der sie zusichert, dass diese oben bezeichnete besondere Problematik im Rahmen ei- ner Übergangsregelung zu lösen sei. Dazu, so heißt es in der Protokollerklärung, werde die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine Ergänzung von Art. 316 e EGStGB vorschlagen. Die Koalition hat diesen Gedanken, der in der Proto- kollerklärung zum Ausdruck gekommen ist, aufgenom- men und hat nunmehr das vorliegende Gesetz ausgear- beitet und vorgelegt, um damit die erwähnte Sicherheitslücke zu schließen. Mit der vorgesehenen Übergangsregelung im EGStGB wird also der Anwendungsbereich des Thera- pieunterbringungsgesetzes, ThUG, nachträglich ergänzt. Das ThUG soll zukünftig auch für die besonderen Fälle anwendbar sein, in denen der Täter zwar noch nicht oder nur vorläufig in der SV untergebracht ist, gegen den aber bereits im ersten Rechtszug die SV angeordnet worden war. In einem solchen speziellen Fall hatte der BGH mit Urteil vom Mai 2010 auf die Revision hin das erstinstanz- liche Urteil aufgehoben, weil die Norm, auf die die An- ordnung gestützt worden war (§ 66 Abs. 3 StGB, alte Fassung), zum Tatzeitpunkt noch nicht in Kraft war. Deshalb, so der BGH, konnte die Anordnung nicht rechtskräftig erfolgen. Der BGH stützte sich dabei auf die Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009. Allerdings lag zum Zeitpunkt des Urteils des BGH noch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 vor, das die nachträgliche SV für zulässig erklärt, wenn eine konkrete, hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen besteht und wenn bei dem Täter eine psychische Störung im Sinne des ThUG vorliegt. Folglich wäre das damalige Urteil des BGH nicht ergangen, wenn zum Zeitpunkt der Ent- scheidung das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes schon vorgelegen hätte. Die Rechtskraft der Entscheidung über die Ableh- nung der Anordnung der SV ist also deshalb entstanden, weil die Grundsätze des Urteils des Verfassungsgerichtes vom 4. Mai 2011 noch nicht vorlagen und daher nicht berücksichtigt werden konnten. Daraus geht nämlich hervor, dass trotz des Rückwirkungsverbotes eine An- ordnung der nachträglichen SV unter bestimmten Um- ständen eben doch erfolgen kann. Der BGH führt nun in seinem Urteil vom Juli 2012 aus, dass das ThUG nach seinem derzeitigen Wortlaut nicht auf Personen anwendbar ist, die nur vorläufig ge- mäß § 275 a StPO, alte Fassung, und nicht endgültig in der nachträglichen SV untergebracht waren. Der Gesetzentwurf will nun diese Lücke schließen. Die Regelung sieht vor, dass § 1 ThUG auch dann an- wendbar ist, wenn der Betroffene noch nicht rechtskräf- tig in der SV untergebracht war, gegen ihn aber bereits SV im ersten Rechtszug angeordnet worden war, eine Revisionsentscheidung vor dem 4. Mai 2011 (Entschei- dung des BVerfG) ergangen ist, in dieser Revisionsent- scheidung festgestellt wurde, dass die nachträgliche SV allein wegen eines Verbotes der rückwirkenden Ver- schärfung im Recht die SV nicht rechtswirksam ange- ordnet werden konnte, sodass es auf die Gefährlichkeit des Täters gar nicht mehr ankam. Dieser Gesetzentwurf der Koalition schließt eine zwar kleine, aber sehr wohl existierende Regelungslücke im Anwendungsbereich des ThUG, die ein hohes Risiko darstellt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 12. Juli 2012 hat gezeigt, dass aufgrund der zeitli- chen Abfolge zwischen dem Inkrafttreten des ThUG am 1. Januar 2011 und der Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichtes vom 4. Mai 2011 sowie den vorhergegan- genen Urteilen des EGMR in den Jahren 2009 und 2010 ein „anwendungsfreier Bereich“ für hochgefährliche Straftäter entstanden ist. Diese Gesetzeslücke wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf geschlossen. Ein Gericht kann nun die Unterbringung von solchen hochgradig gefährlichen Personen, die aufgrund dieser Gesetzeslücke trotz ihres hohen Rückfallrisikos hätten freigelassen werden müs- sen, in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung an- ordnen. Die Anordnung setzt voraus, dass der Täter ge- mäß § 1 Abs. 1 ThUG an einer psychischen Störung leidet. Zudem muss eine Gesamtwürdigung der Persön- lichkeit, des Vorlebens und der Lebensverhältnisse des Täters ergeben, dass infolge der psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die se- xuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigt werden könnte. Ebenfalls muss die Unter- bringung in der SV aus den zuvor genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit notwendig sein. 25962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Burkhard Lischka (SPD): Steter Tropfen höhlt den Stein. Zumindest im Bereich der Sicherungsverwahrung sind unsere mahnenden Rufe gehört worden – wenn auch nur teilweise und in letzter Minute. Seit der Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Siche- rungsverwahrung vom Mai 2011 haben sowohl die SPD- Bundestagsfraktion als auch die Länder immer wieder auf die Notwendigkeit einer möglichen nachträglichen Therapieunterbringung gefährlicher Gewalt- und Sexual- straftäter hingewiesen. Die Anhörung des Rechtsaus- schusses hat unsere Forderung eindrücklich bestätigt. Die von den Sachverständigen zur Illustrierung genann- ten Beispiele aus der gerichtlichen Praxis gingen wahr- lich unter die Haut. Die Bundesjustizministerin hat sich jedoch aus nicht nachvollziehbaren Gründen bis zuletzt gesträubt, die nachträgliche Therapieunterbringung zu ermöglichen. Und die Union? Sie hat sich zähneknirschend wider bes- seres Wissen der Koalitionsdisziplin gebeugt. Mulmig wurde der Koalition, als kurz vor dem längst überfälligen Abschluss der parlamentarischen Beratun- gen des Regierungsentwurfs ein BGH-Beschluss publik wurde, nach dem ein hochgefährlicher Sexualstraftäter im Saarland hätte entlassen werden müssen, da der Ge- setzesvorschlag keine Handhabe zu seiner Unterbrin- gung bietet. Aber auch hier endete das Koalitionsgezerre wie in den vielen Monaten zuvor: Es wurde viel debat- tiert, aber ohne Ergebnis. Erst im Bundesrat ist die Bundesregierung dem Druck der Länder gewichen und hat per Protokollerklärung eine teilweise Nachbesserung zugesichert. Anstatt diese jedoch mit offenem Visier zu präsentieren, versteckte die Koalition die Änderung zunächst verschämt als Anhang im Bilanzrechtsänderungsgesetz. Zu peinlich war ihr wohl das Eingeständnis, bereits wenige Wochen nach Verabschiedung ihres Gesetzes zur Neuregelung der Si- cherungsverwahrung die ersten Nachbesserungen vor- nehmen zu müssen. Aber jetzt ist die – hoffentlich – letzte Schleife ge- dreht; die Koalition hat die Nachbesserung in Form eines eigenen Gesetzentwurfs präsentiert. Wir begrüßen dies im Ergebnis, da diese Regelung ein Mehr an Schutz be- wirkt. Es bleibt die Frage: Warum nicht gleich so? Und es bleibt die Forderung nach Ermöglichung einer nach- träglichen Therapieunterbringung, denn diese ist mit dem Änderungsantrag noch nicht realisiert. Die Bundes- justizministerin tut dies lapidar mit der Bemerkung „Die Wirkung der nachträglichen Therapieunterbringung wird überschätzt“ ab. Wir können nur hoffen, dass ihr dieser Kommentar nicht noch um die Ohren fliegt. Christian Ahrendt (FDP): Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung einer Protokollerklärung, die im Zuge des Abschlusses der Reform der Sicherungsverwahrung vor dem Bundesrat abzugeben war. Die Länder befürch- teten aufgrund eines Einzelfalls aus dem Saarland das Bestehen einer Schutzlücke. Mit diesem Gesetz soll dem Anliegen der Länder nun Rechnung getragen werden, auch wenn davon auszugehen ist, dass es derzeit tatsäch- lich keine weiteren Anwendungsfälle für die vorgeschla- gene Änderung gibt. Im Saarland gibt es den einzigen Fall, in dem die vor- geschlagene Änderung des Therapieunterbringungsge- setzes, ThUG, virulent wurde. Dieser Einzelfall beruht auf dem Umstand, dass der Bundesgerichtshof, BGH, im Mai 2010 unmittelbar nach der Rechtskraft der Entschei- dung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen- rechte, EGMR, vom Dezember 2009 eine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung abgelehnt hatte. Kernpunkt der Entscheidung des EGMR war, dass rückwirkende gesetzliche Verschärfungen der Siche- rungsverwahrung nicht zulässig waren. Folglich könnte dies grundsätzlich zur Entlassung von Untergebrachten führen. Erst am 4. Mai 2011 hat das Bundesverfassungs- gericht in seinem Urteil schließlich entschieden, die An- ordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mit entsprechenden Maßnahmen doch zuzulassen. Bis dahin war noch nicht abschließend geklärt, ob die Vorgaben der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR den na- tionalen Gerichten von vorneherein jede rückwirkend verschärfende Rechtsanwendung im Recht der Siche- rungsverwahrung ausschlossen oder dies unter erhöhten Voraussetzungen noch möglich war. Vom Anwendungsbereich des Therapieunterbringungs- gesetzes sind daher ebenfalls solche in diesen Zeitraum fallende Fälle nicht erfasst, in denen gegen einen hoch- gradig gefährlichen Betroffenen zwar noch keine Siche- rungsverwahrung vollstreckt wurde, diese aber bereits in erster Instanz angeordnet und in der Revisionsinstanz we- gen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, aufgehoben wurde. Denn nach § 1 Abs. 1 ThUG kann die Therapieunterbringung nur ge- gen Betroffene angeordnet werden, die sich in Siche- rungsverwahrung befinden oder bereits befunden haben. Für diese sehr beschränkte Fallkonstellation soll im Wege einer Übergangsregelung der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes insofern durch ei- nen neuen Abs. 4 in Art. 316 e des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, EGStGB, erweitert werden. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir erleben ge- rade ein Kuriosum. Eine Rede zu Protokoll, ohne dass zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Rede der zu bere- dende Gesetzentwurf überhaupt eine Drucksachennum- mer hat bzw. vorliegt. Was ist passiert? Der Bundesrat hat in der vergangenen Woche das Gesetz zur Regelung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwah- rung beschlossen. Die Linke lehnt dieses Gesetz ab, hat aber erfreut zur Kenntnis genommen, dass CDU und SPD sich mit ihrer Forderung nach Einführung der nach- träglichen Therapieunterbringung nicht durchsetzen konnten. Dem Rechtsausschuss am Mittwoch dieser Woche lag nun ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum MicroBilG vor, mit welchem das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch geändert werden sollte. In diesem Antrag – Ausschussdrucksache 17(6)219 – hieß es: „§ 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 25963 (A) (C) (D)(B) sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwah- rung untergebracht, gegen ihn aber bereits Sicherungs- verwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revi- sionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Siche- rungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechts- kräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfun- gen im Recht der Sicherungsverwahrung dem entgegen- stand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlich- keit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.“ Es wird sofort deutlich, dass diese Änderung nichts mit dem eigentlichen Gesetz, um das es im Ausschuss ging, zu tun hat. Die Linke hatte deshalb angekündigt, im Rechtsausschuss eine Abstimmung darüber herbeizu- führen, ob der nach § 62 Abs. 1 Satz 2 Geschäftsord- nung notwendige unmittelbare Sachzusammenhang ge- geben ist. Die Koalitionsfraktionen haben daraufhin diesen Änderungsantrag zurückgezogen. Das ist die ein- zig richtige Entscheidung gewesen, auch wenn so die Welt nie erfahren wird, worin der angeblich unmittelbare Zusammenhang zum MicroBilG besteht, und wir heute über einen Gesetzentwurf reden, der zum Zeitpunkt der Erstellung der Rede noch nicht vorliegt. Es steht zu vermuten, dass die noch unbekannte Drucksache, über die wir reden, dem Änderungsantrag im Rechtsausschuss entspricht. Mit der – zumindest im Rechtsausschuss vorgelegten – Änderung an § 1 Thera- pieunterbringungsgesetz wird der Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes erweitert und so die rückwirkende Verschärfung im Recht der Sicherungs- verwahrung perpetuiert. Mit diesem Gesetzentwurf soll ein Mensch, gegen den die Sicherungsverwahrung erstinstanzlich angeordnet wurde, bei dem die ent- sprechende Entscheidung aber nicht rechtskräftig gewor- den ist und der sich deshalb derzeit nicht in Sicherungs- verwahrung befindet, nunmehr nach dem Therapieunterbringungsgesetz in einer „geeigneten ge- schlossenen Einrichtung“ untergebracht werden. Dies lehnen wir als Umgehung des Urteils des Euro- päischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Dezember 2009 ab. Die richtige Konsequenz aus dem Urteil, die nachträgliche Sicherungsverwahrung, unab- hängig von einer neuen Betitelung als Therapieunter- bringung, für Alt- und Neufälle abzuschaffen, wird so umgangen. Wir halten das Therapieunterbringungs- gesetz außerdem für verfassungswidrig. Es versieht menschenrechtlich problematisch bisher nicht als psy- chisch krank befundene Menschen nun mit dem unbe- stimmten Begriff „psychisch gestört“, und zwar allein mit dem Ziel, sie weiterhin der Freiheit berauben zu kön- nen. Neben dieser unzulässigen Umetikettierung ergeben sich kompetenzrechtliche Bedenken. Diese Änderung wird von uns daher abgelehnt. Es kommt aber noch ein weiteres Problem hinzu. Im Rechtsausschuss wurde den Abgeordneten erklärt, dass die Regelung notwendig sei, weil im Bundesrat – ver- gleiche Protokoll der Bundesratssitzung vom 17. De- zember 2010, Seite 538 – eine Erklärung des Saarlandes zu Protokoll gegeben wurde. Darin heißt es: „… geht das Saarland bezüglich des Anwendungsbereiches des § 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psy- chisch gestörter Gewalttäter davon aus, dass die Fälle noch fortdauernder oder bereits beendeter Freiheitsent- ziehung der verurteilten Personen in Vollzug eines Unterbringungsbefehls gemäß § 275 a der Strafprozess- ordnung vom Anwendungsbereich mit umfasst sind.“ Da dies – wie auch bereits der Bundesgerichtshof feststellte – nicht der Fall zu sein scheint, wurde wohl die vorlie- gende neue Regelung verfasst. Im Rechtsausschuss wurde ausdrücklich erwähnt, dass die angedachte Geset- zesänderung einen derzeit bekannten Fall betreffe. Mithin würde nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung die Gesetzesänderung konkret bei ei- ner Person zur Anwendung kommen. Angesichts dessen liegt dieser Vorschlag trotz abstrakt-genereller Formulie- rung ziemlich nah an einem unzulässigen Einzelfall- gesetz. Die Linke hat bereits das Therapieunterbringungs- gesetz abgelehnt; einer Verschlechterung eines schlech- ten Gesetzes können wir unmöglich zustimmen. Das Ge- setzgebungsverfahren ist darüber hinaus intransparent, sodass auch aus demokratietheoretischen Gründen eine Zustimmung unmöglich ist. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch soll wieder einmal eine angebliche Lücke im Recht der Sicherungs- verwahrung geschlossen werden. Gleichzeitig erfüllt die Bundesregierung damit eine Zusage gegenüber dem Bundesrat. Der Wunsch der Länder Hamburg und Bayern, der Bundesrat möge in der Beratung über das Gesetz zur Reform der Ausgestaltung der Sicherungs- verwahrung den Vermittlungsausschuss anrufen, fand im Bundesrat keine Mehrheit – vielleicht auch, weil die Bundesregierung sich zu der Vorlage verpflichtete, über die wir heute zu diskutieren haben. Wir Grüne haben die Reform des Rechts der Siche- rungsverwahrung, obwohl die von uns eingebrachten ge- wichtigen Änderungsanträge von der Koalition leider abgelehnt worden sind, im Grundsatz befürwortet. Denn mit der Reform werden wichtige Urteile des Europäi- schen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundes- verfassungsgerichts umgesetzt. So wird die nachträgli- che Sicherungsverwahrung – wenigstens für zukünftige Fälle – abgeschafft, und für den Vollzug gelten endlich die menschenrechtlich notwendigen Vorgaben. Auch wir wollen, dass die Gesetzgebung endlich zu einem Abschluss kommt und die Länder auf gesicherter Grund- lage an die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungs- verwahrung gehen können. Aus diesem Grund stellen wir uns nicht gegen die Erfüllung des im Bundesrat ge- gebenen Versprechens durch die Bundesregierung. Andererseits sind wir in der Sache entschieden ande- rer Auffassung. Wir haben schon bei der Reform im Jahre 2010 dafür geworben, mit dem Grundsatz des Rückwirkungsverbots Ernst zu machen, und, aus der 25964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012 (A) (C) (D)(B) Sicht der Betroffenen, Verschlechterungen der Rechts- lage nur und ausschließlich für die Zukunft wirken zu lassen. Das galt und gilt sowohl für den Wegfall der Zehnjahresfrist, für den Wegfall von Vergünstigungen für Verurteilte in der früheren DDR als auch für diejeni- gen, die von den Verschärfungen des Rechts der Siche- rungsverwahrung bei Begehung von Sexualdelikten be- troffen waren. Die gegenteilige Auffassung, die sich bis in die heutige Vorlage zur Änderung des Einführungs- gesetzes zum Strafgesetzbuch durchzieht, glaubt, jede auftauchende angebliche Schutzlücke durch Nachbesse- rungen und Sonderregelungen schließen zu müssen. Wer dieser Logik erliegt, für den gibt es auf der Rutschbahn vom Rechtsstaat zum präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat kein Halten. Das Recht der Siche- rungsverwahrung kodifiziert Grenzen, jenseits derer eine Sicherungsverwahrung nicht infrage kommt, egal wie gefährlich der jeweilige Rechtsbrecher auch sein mag. Ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit und Streben nach absoluter Sicherheit vertragen sich nicht. Die andau- ernde Ausweitung der Sicherungsverwahrung in den Jahren ab Anfang 1998, an der alle Regierungen beteiligt waren und die gerade in den Reihen der Union besonders laut und aggressiv gefordert wurde, hat dazu geführt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland Nachhilfe in Rechtsstaatlichkeit und der Beachtung von Menschenrechten erteilen musste. Auch das ThUG, das Therapieunterbringungsgesetz, ist ein solcher Ausdruck fortwährenden Schutz- lückenschließens. Jeder noch so kleine Türspalt, den die Urteile des Bundesverfassungsgerichts öffnen, wird ge- nutzt, um die Sicherungsverwahrung auszuweiten. Das Gericht hat das ThUG bisher noch nicht an den Normen des Grundgesetzes geprüft – 2 BvR 2365/09, Anmer- kung 173! Wenn nicht das Bundesverfassungsgericht, dann wird der schon mehrfach erwähnte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem ThUG vielleicht den Garaus machen. Die für das ThUG zentrale neue Begrifflichkeit einer psychischen Störung wird von den meisten psychiatrischen Praktikern wie Sachverständi- gen als eine völlig amorphe und untaugliche Kategorie menschlicher Persönlichkeitsstrukturen bezeichnet, die lediglich dazu dient, mit ihrer Hilfe zukünftig angeblich hochgefährliche Straftäter zu identifizieren. In einem Antrag der SPD hierzu wird mehr als 50 Prozent der heutigen Gefängnispopulation in Deutschland als „psy- chisch gestört“ bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat es zwar nicht für schlichtweg verfassungswidrig angesehen, mit dem Be- griff der „psychischen Störung“ im Rahmen von kurzen Übergangsregelungen zu arbeiten, aber muss der Gesetz- geber zu jedem Mittel greifen, das gerade so dem Ver- dikt der Verfassungswidrigkeit entkommen ist? Da wir Grünen schon seit Jahren die Abschaffung des ThUG fordern, können wir der jetzt vorgelegten weite- ren – wenn auch kleinen und in sich folgerichtigen – Ausweitung des ThUG nicht zustimmen. Weil wir aber der Gesamtreform des Rechts der Sicherungsverwah- rung nicht im Wege stehen wollen, werden wir uns in der Abstimmung enthalten. 211. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 2 Energiewirtschaftsrecht – Offshore-Stromerzeugung TOP 4, ZP 3 Asylbewerberleistungsrecht TOP 51, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 52, ZP 5 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 5 Wahl zum Beirat der Stiftung Datenschutz ZP 6 Aktuelle Stunde zu Gutscheinen für Haushaltshilfen TOP 3 Raumentwicklungspolitik TOP 7 Wasser- und Schifffahrtsverwaltung TOP 6 Patientenrechte TOP 9, ZP 7 Verteilung der Kosten der Energiewende TOP 8 Umsetzung EuGH-Urteil -freier Kapitalverkehr- TOP 11 UN-Klimakonferenz in Doha TOP 10 Bundeswehreinsatz (Operation Active Endeavour) TOP 13, ZP 8 Weltgesundheitspolitik TOP 12 Reduzierung von Schienenverkehrslärm TOP 24 Kapitalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung TOP 14 EU-Charta der Regional- und Minderheitensprachen TOP 17 Umsetzung der Energiewende im Gebäudebestand TOP 16 Statut des Internationalen Strafgerichtshofes TOP 18 Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens TOP 20 Deutschland im UN-Sicherheitsrat TOP 19 Urheberrecht (Presseerzeugnisse im Internet) TOP 22 Forschung zum Thema Rechtsextremismus TOP 21 Fortentwicklung des Städtebaurechts TOP 32 Kennzeichnungspflicht für Bundespolizei ZP 9 Therapieunterbringung TOP 26 Steuertransparenz bei multinationalen Unternehmen TOP 25 Agrarmarktrechtliche Bestimmungen TOP 28 Leid der „Trostfrauen“ TOP 29 Urheberrecht (Nutzung für Unterrichtszwecke) TOP 30 Schiffsunfallvorsorge am Fehmarnbelt TOP 31 Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrecht TOP 41 Bedingungen für Promovierende TOP 33 Kindertagesbetreuung TOP 34 Freiwilligendienst „Weltwärts“ TOP 35 Ökologische Baustoffe TOP 36 Schutz der Afrikanischen Elefanten TOP 37 Arbeitsbedingungen von Hausangestellten TOP 38 Barrierefreies Filmangebot TOP 39 Taubblindheit TOP 40 Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung TOP 44 Sportförderung TOP 43 Israelisch-palästinensischer Konflikt Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721100000

Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung.

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte
ich dem Vizepräsidenten Dr. Hermann Otto Solms zu
seinem 72. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen
Tagen gefeiert hat. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kol-
lege Solms. Im Namen des Hauses alle guten Wünsche.


(Beifall)


Im Übrigen feiert heute der Direktor beim Deutschen
Bundestag, Staatssekretär Semmler, seinen 65. Geburts-
tag.


(Beifall)


Das ist eine schöne Gelegenheit, ihm vor dem Hohen
Hause nicht nur zum Geburtstag zu gratulieren, sondern
für seine langjährigen Dienste in der Bundestagsverwal-
tung und nun an der Spitze derselben zu danken, verbun-
den mit allen guten Wünschen für den bevorstehenden
Ruhestand.


(Beifall)


Nun mache ich Sie darauf aufmerksam, dass es eine
interfraktionelle Vereinbarung gibt, mit Ausnahme des
Antrages des Bundesministeriums der Finanzen auf der
Drucksache 17/11669, die Tagesordnung um die in der
Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP:

Ökonomische und verfassungsrechtliche Aus-
wirkungen der Vermögensteuerpläne von SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN


(siehe 210. Sitzung)


ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschafts-
rechtlicher Vorschriften

– Drucksachen 17/10754, 17/11269 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)

– Drucksache 17/11705 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Menschenwürdige Lebensbedingungen für
Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie
Geduldete sicherstellen – Asylbewerberleis-
tungsgesetz reformieren
– Drucksache 17/11674 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit,
Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende
und Geduldete
– Drucksachen 17/5912, 17/11716 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 51

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte
stärken

– Drucksache 17/11375 –





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Tourismus 
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen

(Weil am Rhein)

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner
Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn
umsetzen

– Drucksache 17/11652 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Finanzausschuss 
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für Tourismus 
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag
zur weltweiten sozialen Wende

– Drucksache 17/11665 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 52

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Be-
obachterstatus in der UNO zustimmen
– Drucksache 17/11678 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)

Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
– Drucksache 17/11618 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)

Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
– Drucksache 17/11619 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

– Drucksache 17/11620 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

– Drucksache 17/11621 –

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:

Unterschiedliche Auffassungen der Koalitions-
fraktionen über ihre Pläne zur Einführung
von Gutscheinen für Haushaltshilfen

ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strom-
preise für alle

– Drucksache 17/11656 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt
Duin, Hubertus Heil (Peine), Rolf
Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bun-
desregierung bei der Energiewende – Mas-
terplan Energiewende

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kosten und Nutzen der Energiewende fair
verteilen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bezahlbare Energie sichern durch Einspa-
rung, Erneuerbare und mehr Verbraucher-
rechte

– Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030,
17/11719 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen –
Zugang zu Medikamenten weltweit verwirkli-
chen

– Drucksachen 17/8493, 17/9713 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I)
Karin Roth (Esslingen)
Helga Daub
Niema Movassat
Uwe Kekeritz

ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einfüh-
rungsgesetzes zum Strafgesetzbuch

– Drucksache 17/11726 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss 
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Gesundheit

ZP 10 a)Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen

Fortschritte beim Anpassungsprogramm für
Griechenland

b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Änderungen im bestehenden Anpassungspro-
gramm für Griechenland – Änderung der
Garantieschlüssel;

Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1
i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes (StabMechG)


– Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11469,
17/11669 –

ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel
Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Korruption im Gesundheitswesen wirksam be-
kämpfen

– Drucksachen 17/3685, 17/9587 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Edgar Franke

ZP 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und

Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören
Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Wohnungspolitische Verantwortung bei Über-
tragung der bundeseigenen TLG-Wohnungen
sichern

– Drucksachen 17/9737, 17/10717 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Götz

Über die Aufsetzung des von mir gerade genannten
Antrages werden wir morgen früh vor Eintritt in die Ta-
gesordnung abstimmen.

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Des Weiteren werden die Tagesordnungspunkte 23,
27, 42, 46 und 48 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es
zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Än-
derungen des Ablaufs. Sind Sie damit einverstanden? –
Das sieht so aus. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschafts-
rechtlicher Vorschriften

– Drucksachen 17/10754, 17/11269 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/11705 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler,
das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Montag haben wir den
Netzentwicklungsplan vorgelegt. Gestern hat das Bun-
deskabinett eine Verordnung für mehr Versorgungs-
sicherheit in Deutschland beschlossen. Und heute
diskutieren wir abschließend über das Energiewirt-
schaftsgesetz. Allein dies zeigt: eine gute Woche zur er-
folgreichen Umsetzung der Energiewende in Deutsch-
land.





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)



(Lachen bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Notstandsgesetzgebung!)


Diese Umsetzung, anders als bei Rot-Grün zu ihrer Re-
gierungszeit, ist bei dieser Regierungskoalition aus
CDU, CSU und FDP ausdrücklich in guten Händen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wer glaubt das denn?)


Wie war es denn zu Ihrer Zeit? Sie haben den Aus-
stieg aus der Kernenergie beschlossen, aber keinerlei
Pläne vorgelegt zum Netzausbau, zum Ausbau der er-
neuerbaren Energien oder für mehr Speichertechnolo-
gien.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen Vorschläge machen!)


Kollege Altmaier hat berichtet: In seinem Ministerium,
das von Rot und Grün geführt wurde, gab es nicht einen
einzigen Plan zur erfolgreichen Umsetzung der Energie-
wende. Jetzt gegen das Energiewirtschaftsgesetz zu sein,
ist unsolide, unglaubwürdig und unseriös.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist ein billiger Brüderle-Verschnitt da vorne!)


Es geht um den Ausbau der erneuerbaren Energien, ganz
konkret der Offshorewindenergie. Da muss man sich
schon sehr wundern: Es stehen Milliardeninvestitionen
an, die nicht nur Versorgungssicherheit durch eine neue
Energieerzeugungsform, sondern auch viele Hunderte,
vielleicht Tausende neue Arbeitsplätze im Norden unse-
res Landes schaffen, und die Grünen sind gegen dieses
Gesetz.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Also halten wir doch zuerst einmal fest: Die Grünen
sind gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind gegen Offshorewindenergie. Das ist das wahre
Gesicht der Grünen in der deutschen Energiepolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbst für Sie unterkomplex, Herr Rösler!)


Bei den Roten sieht es leider nicht viel besser aus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Die waren auch immer dagegen!)


In seinem letzten Redebeitrag hat sich der Kollege noch
darüber beschwert, es würde bei der Offshorewind-
energie nicht vorangehen. Jetzt liegt das Gesetz vor. Wir
machen den Weg frei für ebendiese Milliardeninvestitio-
nen, und Sie sind dagegen! Gehen Sie doch einmal zu
den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Schles-
wig-Holstein, Hamburg, Bremen oder Niedersachsen!

Gehen Sie doch einmal an die Werkstore und sagen Sie
den Menschen dort, Sie seien gegen diese neue Form der
Industrie, Sie seien gegen die Unternehmen, Sie seien
gegen die Menschen, Sie seien gegen die Arbeitsplätze
zum Beispiel in Niedersachsen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen die doch kaputt!)


Ich bin sehr gespannt, ob Sie den Mut haben, hier Nein
zu sagen. Aber den Menschen hier vorzumachen, Sie
seien für erneuerbare Energien,


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn vermeldet?)


ist unehrlich, Frau Steiner. Sie kommen auch aus Nieder-
sachsen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie die Menschen doch mal!)


Wenigstens ist hier richtig Stimmung, wenn sie da ist.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Getroffene Hunde bellen!)


Ja, der Ausbau der erneuerbaren Energien kostet
Geld. Wenn man Kernkraftwerke abschalten will,
braucht man Ersatzkapazitäten, konventionelle Kraft-
werke – Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke –, aber eben
auch Offshorewindenergie. Das wird zu bezahlen sein.
Weil es viel Geld kostet, weil Investitionen notwendig
sind, teilen wir die Belastungen gerecht auf: auf die Off-
shorewindparkbetreiber, auf die Übertragungsnetzbetrei-
ber und auch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Weil wir wissen, dass die Risiken zwar klein, aber die
Kosten im Schadensfall vergleichsweise hoch sind, ha-
ben wir dafür gesorgt, dass die Belastungen für die Bür-
gerinnen und Bürger auf 0,25 Cent je Kilowattstunde ge-
deckelt werden. Das ist gerade einmal 1 Prozent des
aktuellen Strompreises.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihr macht Strom teurer! Sag das doch!)


Das, was im Haftungsfall die Industrie an Erstattung
bekommt, wird am Ende der Förderlaufzeit genau dieser
Industrie auch wieder abgezogen. Das ist ein gerechtes
Verhältnis zwischen dem Investitionsnutzen und den
Kosten. Wir stellen fest: Dies ist erstmals eine Regelung,
die die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher
begrenzt. Aber Rot und Grün sind gegen diese Begren-
zung bei den erneuerbaren Energien.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die Verbraucher zahlen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die Verbraucher sollen zahlen!)


Wir wissen: Erneuerbare Energien werden nur dann
wirtschaftlich werden können, wenn wir genügend Spei-
cherkapazitäten zur Verfügung haben.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)






Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)


Deswegen unterstützen wir Pumpspeicherkraftwerke,
weil wir Speicherkapazitäten brauchen, die auch indus-
triell nutzbar sind. Sie sagen: Ja, wir brauchen erneuer-
bare Energien. Ja, wir brauchen Speicher. – Das ist alles
sehr wolkig und unscharf formuliert; denn wenn es kon-
kret wird, sind Sie wiederum dagegen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blockiert Ihre Partei in NordrheinWestfalen!)


Wir wissen, wir brauchen beides: erneuerbare Energien
und Speicher. Deswegen handeln wir und schlagen mit
dem Energiewirtschaftsgesetz den richtigen Weg ein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zum Energiewirtschaftsgesetz gibt es ein Winterge-
setz. Hierbei geht es ganz konkret um die Versorgungs-
sicherheit in den nächsten beiden Wintern. Ja, wir wis-
sen, das sind ordnungspolitisch und wirtschaftspolitisch
durchaus streitige Maßnahmen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Planwirtschaft!)


Aber in der Abwägung zwischen diesen streitigen Maß-
nahmen auf der einen Seite und der Versorgungssicher-
heit für die Menschen in Deutschland in den nächsten
beiden Wintern auf der anderen Seite haben sich diese
Regierung und diese Koalition völlig zu Recht für die
Versorgungssicherheit der Menschen und Unternehmen
in Deutschland entschieden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Warum müssen wir solche Maßnahmen auf den Weg
bringen, Frau Höhn? Weil es ein Gesetz zur Förderung
der erneuerbaren Energien, das EEG, gibt, das zum Bei-
spiel durch den Einspeisevorrang konventionelle Kraft-
werke immer unwirtschaftlicher werden lässt. Deswegen
muss man im Interesse der Versorgungssicherheit solche
Maßnahmen ergreifen. Sowohl unsere Maßnahmen im
Bereich der Offshorewindenergie als auch die Maßnah-
men, die jetzt im Rahmen des Wintergesetzes notwendig
werden, zeigen nur eines: Wenn wir beim Ausbau der er-
neuerbaren Energien, bei der umweltfreundlichen Pro-
duktion, bei der Versorgungssicherheit und der Bezahl-
barkeit der Energie weiter vorankommen wollen, dann
brauchen wir eine grundlegende Reform des Gesetzes
zur Förderung der erneuerbaren Energien.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir andere ranlassen, aber nicht Sie!)


Wir sind in dieser Woche einen großen Schritt voran-
gekommen durch neue Netze, durch Versorgungssicher-
heit und durch dieses EnWG.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Legt doch einmal was vor!)


Weitere Schritte werden folgen müssen. Ein nächster
großer Schritt ist die Reform des EEG. Anders wird die
Bezahlbarkeit der Energie in Deutschland nicht sicher-
zustellen sein.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innovation durch Plattitüden, das ist Wirtschaftspolitik à la Rösler!)


Dieses Gesetz, Frau Steiner, führt genau in die richtige
Richtung – zu notwendigen Reformen für eine bessere
Energieversorgung in Deutschland.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine fantastische Rede!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721100100

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1721100200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Bundesminister Rösler, die Energiewende bie-
tet, wenn man sie richtig betreibt, in allererster Linie
eine Riesenchance für das Industrieland Bundesrepublik
Deutschland. Wir können, wenn wir es richtig machen,
unseren Beitrag dazu leisten, dass wir auf diesem Gebiet
Ausrüster der Welt sein können: mit Energieeffizienz,
mit modernen Formen von Energieproduktion durch er-
neuerbare Energien. Wir haben in Deutschland das inge-
nieurwissenschaftliche Know-how dazu, wir verfügen
über die notwendigen Fähigkeiten. Was wir allerdings
nicht haben, ist eine Bundesregierung, die diese Chance
nutzt. Deshalb gerät die Energiewende, die eine Opera-
tion am offenen Herzen unserer Industriegesellschaft ist,
durch die Unfähigkeit und das Chaos in Ihrer Regierung
zu einem Riesenproblem. Sie fahren gerade die Energie-
wende an die Wand, Herr Rösler.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wir können Vorreiter sein, auch in Bereichen, wo wir
Neuland oder wie in diesem Fall See betreten, gar keine
Frage. Offshorewindenergie ist nicht nur ein zentraler
Eckpfeiler einer stabilen Energieversorgung der Zu-
kunft, sondern Offshore ist eine neue Technologie. Da
gibt es erhebliche Risiken. Da ist vieles technisch noch
nicht gelöst. Gleichwohl ist dieser Weg richtig. Wir be-
kennen uns dazu. Wir wollen, dass Stromerzeugung mit-
tels Windkraftanlagen auf See einen wichtigen Beitrag
für den Energiemix der Zukunft leistet. Offshoreanlagen
erreichen eine höhere Volllaststundenzahl als andere An-
lagen und sind Teil einer stabilen Energieversorgung
durch Erneuerbare. Aber ich sage noch einmal: Es ist das
Chaos in dieser Bundesregierung, das zu einer Situation
geführt hat, die sich folgendermaßen beschreiben lässt:
Noch vor ein, zwei Jahren waren immense Investitionen
von großen EVUs, aber auch von Stadtwerken im Be-
reich Offshore geplant. Heute jedoch müssen wir erle-
ben, dass diese Unternehmen ihr Investment Stück für
Stück canceln, weil diese Bundesregierung die Aufgabe,
erneuerbare Energien offshore auszubauen, schlicht und
ergreifend unterschätzt hat. Sie sind dieser Aufgabe





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


nicht gewachsen, und deswegen gehen die Investitionen
jetzt den Bach herunter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat Folgen für Arbeitsplätze in unserer nieder-
sächsischen Heimat, in Norddeutschland insgesamt.
Wenn man es richtig macht, bietet Offshore eine Chance
für Industrialisierung an den Küsten des Nordens, für
Wertschöpfungsketten beispielsweise im Schiffbau. Sie
haben Planungs- und Investitionsunsicherheit geschaf-
fen. Sie versuchen jetzt, das mühsam zu reparieren durch
ein Gesetz, das neue Ungerechtigkeiten schafft. Das al-
les gefährdet Beschäftigung, Arbeitsplätze und eine si-
chere Energieversorgung in diesem Land. Herr Rösler,
Sie sind der Aufgabe nicht gewachsen. Das ist genau das
Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es nicht oft genug sagen!)


Was machen Sie jetzt mit diesem Gesetz? Flickschus-
terei! Sie wälzen im Wesentlichen die Haftungsrisiken
auf die Verbraucher ab. Herr Rösler, Sie sollten keine
Krokodilstränen über höhere Strompreise vergießen, wie
Sie es heute im Morgenmagazin getan haben, wenn Sie
gleichzeitig den Verbrauchern mit diesem Gesetz höhere
Strompreise bescheren. Das ist unglaubwürdig, Herr
Rösler.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Verursacher! – Genau so ist es!)


Eine faire Lastenteilung in der Energiewende sieht an-
ders aus. Marktwirtschaftliche Instrumente, Herr
Brüderle, sehen völlig anders aus als das, was Sie mit
diesem Gesetz vorhaben. Das ist ja reine Planwirtschaft,
nichts anderes. Das muss man einmal feststellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo sind denn Ihre Vorschläge, die dafür sorgen, dass
wir beim Netzanschluss – denn das ist die Hauptaufgabe –
trotz aller technisch ungelösten Probleme wirklich vo-
rankommen? Wir hatten in Deutschland eine Riesen-
chance, in den Jahren 2008 und 2009 beim Unbundling
durch die Schaffung einer deutschen Netz AG mit öf-
fentlicher Beteiligung, aber im Wesentlichen privatwirt-
schaftlich organisiert, die Feuerkraft für Investitionen in
diesem Bereich zu organisieren. Damals waren es der
Bundesminister Michael Glos, meine Damen und Herren
von der CSU, und später Ihr famoser Herr Guttenberg,
die sich einer solchen vernünftigen Lösung verweigert
haben. Das Ergebnis sehen wir eben heute. Wir sehen
heute, dass die Investitionen, die notwendig wären, nicht
mobilisiert werden können: Investitionen in den Netzan-
schluss – da gibt es Probleme – und in Leitungen an
Land, die benötigt werden, um Strom vom Norden in
den Süden zu bringen.

Lassen Sie uns doch eine Diskussion über eine deut-
sche Netz AG führen. Sogar Herr Homann von der

Bundesnetzagentur hält sie für eine Möglichkeit, das
Problem vernünftig zu lösen; Herr Rösler, Sie haben ihn
im Wesentlichen mit ins Amt gebracht, wenn ich mich
recht entsinne. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob
es nicht vernünftig wäre, das Problem der Offshorean-
bindung zu nutzen, um den Nukleus einer deutschen
Netz AG zu schaffen. Unser Vorschlag ist konkret. Wir
wollen, dass wir uns auf diesen Weg machen. Wir könn-
ten dann von öffentlicher Seite, über die Kreditanstalt
für Wiederaufbau, einsteigen, um Haftungsrisiken abzu-
sichern und sie nicht auf die Verbraucher abzuwälzen.
Herr Rösler, das ist eine Alternative zu dem, was Sie hier
vorlegen.

Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Rösler: Sie tra-
gen persönlich Verantwortung für das, was im Moment
scheitert. Sie schaffen es nicht, mit Herrn Altmaier wirk-
lich zu Lösungen zu kommen, sondern markieren ledig-
lich für den Bundestagswahlkampf. Die Rede, die Sie
eben gehalten haben, war ein beredter Hinweis auf Ihre
Position im Wahlkampf; aber Sie werden Ihrem Amt
nicht gerecht. Ein Bundeswirtschaftsminister, der eigent-
lich für eine sichere, saubere und bezahlbare Energiever-
sorgung für die Wirtschaft und für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in diesem Land zuständig ist, muss
mehr bieten als die Rede, die wir eben gehört haben. Ich
habe heute Morgen gehört, dass Sie im Morgenmagazin
einen Masterplan zur Energiewende gefordert haben.


(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Super! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bravo!)


Da kann ich nur sagen: Gute Idee, Herr Minister! Wie
viele Jahre haben Sie eigentlich gebraucht, um auf diese
geniale Idee zu kommen?

Tatsache ist: Wir brauchen eine bessere Koordinie-
rung. Es mag sein, dass Sie die Versorgungssicherheit im
nächsten Winter so garantieren müssen, wie Sie es jetzt
mit Ihrem Zwangsanschaltgesetz machen. Wir sind in
einer Lage, in der die Versorgungssicherheit im Winter
nicht mehr garantiert ist, weshalb Sie Zwangsmaßnah-
men ergreifen müssen, die mit Marktwirtschaft nun
wirklich nichts zu tun haben. Sie zwingen die Unterneh-
men, konventionelle Kraftwerke im Süden anzuschalten,
die sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen. Das
wird in den nächsten drei oder vier Wintern möglicher-
weise notwendig sein; vielleicht gibt es gar keine Alter-
nativen mehr, weil Sie uns in diese Situation gebracht
haben.

Sie haben aber auch keine Idee, wie es danach weiter-
gehen soll, wie ein Strommarktdesign der Zukunft aus-
sieht, wie wir die erneuerbaren Energien vernünftig aus-
bauen, sie Stück für Stück in die Vermarktung
überführen und sie mit Reservekapazitäten koppeln. Sie
haben keinen Vorschlag vorgelegt, aus dem hervorgeht,
wie ein solches Strommarktdesign aussehen könnte. Da-
für hatten Sie eigentlich genug Zeit.

Ich sage Ihnen, Herr Bundesminister: Für den Off-
shorebereich und für die Versorgungssicherheit sind Sie
nicht der Experte.


(Patrick Döring [FDP]: Sie sind die wandelnde abschaltbare Last!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Sie haben es in den letzten Jahren nicht geschafft, die
Chancen Norddeutschlands und Deutschlands insgesamt
im Bereich der erneuerbaren Energien zu nutzen. Sie
schimpfen in einer Tour über die erneuerbaren Energien,
anstatt sie vernünftig auszubauen und zu fördern. Sie
sorgen nicht für die notwendige Planungs- und Investi-
tionssicherheit. Sie sorgen nicht für eine sichere und be-
zahlbare Stromversorgung. Sie verspielen die Chancen,
die für das Industrieland Deutschland in der Energie-
wende stecken, auch die Chancen im Export unserer
Technologien. Sie schaffen keine Planungs- und Investi-
tionssicherheit und vernichten dadurch Arbeitsplätze.
Wir müssen nach der Bundestagswahl mit diesem Chaos
aufräumen. Wir können Energiewende, und Sie nicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wegen Ihnen haben wir ja das Desaster!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721100300

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege

Dr. Joachim Pfeiffer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1721100400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! In der Tat geht es heute um
zwei zentrale energiepolitische Vorhaben beim Umbau
der Energieversorgung, die wir im Übrigen im letzten
Jahr mit großer Mehrheit und fraktionsübergreifend hier
in diesem Hause beschlossen und auch im Bundesrat
einmütig auf den Weg gebracht haben.

Um was geht es konkret? Es geht zum einen um Pla-
nungssicherheit im Offshorebereich, um den Offshore-
windbereich dorthin zu bringen, wo wir ihn gemäß unse-
rer Ziele haben wollen; ich werde gleich noch darauf
eingehen. Es geht zum anderen um die Übergangsphase,
in der die erneuerbaren Energien aufgrund von Fixkos-
tenvergütungen, Einspeisegarantien und anderen Rege-
lungen eine Dimension erreicht haben, die im Winter zu
der Problematik führt, dass die Erneuerbaren nicht den
Beitrag leisten können, den sie leisten sollen, weil die
Sonne nicht so scheint und der Wind nicht so weht, wie
wir uns das wünschen.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Küste ist das anders, aber das wissen Sie ja nicht, Herr Pfeiffer!)


– An der Küste ist es auch nicht anders; da scheint
nachts auch nicht die Sonne. Das wird trotz fortschrei-
tendem Klimawandel auch nicht anders werden. Mit
dem Wind verhält es sich ähnlich; das wissen Sie genau.

Wir stehen vor folgender Situation: In diesem Jahr
werden über 25 Prozent des Stroms durch erneuerbare
Energien erzeugt. Im Winter werden wir wieder die Si-
tuation haben, dass nicht genug installierte Kapazität zur
Verfügung steht. Wir mussten deshalb im letzten Winter

insbesondere in Süddeutschland auf Strom aus Öster-
reich zurückgreifen und zeitweise Reservekraftwerke
zur Stromlieferung verpflichten, um die Versorgung si-
cherzustellen.

Lassen Sie mich auf folgenden Effekt eingehen. Der
Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien wird immer
größer, aber im Spitzenlastbereich muss zusätzlich
Strom aus konventioneller Energie eingesetzt werden.
Wenn die konventionellen Kraftwerke aber über das Jahr
so wenig zum Einsatz kommen, dann sind sie nicht mehr
rentabel. Das betrifft nicht nur neu gebaute, sondern
auch bestehende Kraftwerke. Im nächsten Winter wer-
den wir zusätzlich 2,6 Gigawatt, also 2 600 Megawatt
– das entspricht der Leistung von drei Kernkraftwerken –,
als Reserve brauchen, um die Energieversorgung zu ge-
währleisten.

Durch eine Übergangslösung bis 2017 – das fällt uns
nicht leicht, weil es in der Tat ein Eingriff in den Markt
ist – wollen wir ausreichend Reserven für den Winter si-
cherstellen. Für Mitte des Jahres 2014 ist eine Überprü-
fung vorgesehen. Des Weiteren haben wir gestern im
Bundeskabinett eine Verordnung zu abschaltbaren Las-
ten auf den Weg gebracht. Das ist eine Möglichkeit, ge-
nug Strom zu erzeugen. Die andere Möglichkeit ist, dass
man bei Spitzenlast Lasten insbesondere im industriellen
Bereich vom Netz nimmt, und zwar dort, wo es möglich
ist. Für die Übergangszeit ist das wichtig. Wir finden
hier eine Balance, um schwierige Situationen zu über-
brücken.

Wir haben auch ein Problem bei den Pumpspeicher-
kraftwerken. Dort haben wir eine ähnliche Situation. Auf
der einen Seite brauchen wir mehr Speicherkapazität,
um den diskontinuierlich erzeugten Strom aus erneuer-
baren Energien zu speichern. Auf der anderen Seite werden
Pumpspeicherkraftwerke durch den Wegfall der Mittags-
spitze über das Jahr hinweg zunehmend unrentabel. Das
heißt, dass sich nicht nur neue, sondern auch bestehende
Pumpspeicherkraftwerke nicht mehr rechnen. Mit dem
Gesetz versuchen wir Anreize zu setzen, um durch den
Einsatz neuer Technik die Effizienz der bestehenden
Pumpspeicherkraftwerke zu erhöhen. Das ist die eine
Seite der Medaille.

Offshore ist ein weiteres Thema. Ich darf daran erin-
nern: Wir haben uns gemeinsam das Ziel gesetzt, bis
2020 10 Gigawatt und bis 2030 25 Gigawatt durch Off-
shoreanlagen zu produzieren. Leider wurden bisher nur
2 Prozent davon umgesetzt.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, warum!)


Was sind die Gründe? Die Gründe liegen in der Vergan-
genheit. Wir können uns jetzt darüber streiten, wer dafür
Verantwortung trägt oder nicht. Als das auf den Weg ge-
bracht wurde, war Herr Gabriel Umweltminister.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie regieren schon seit drei Jahren!)


Wir können jetzt sagen: Der ist schuld. – Das mache ich
aber nicht. Bei einer neuen Technologie sind die Gründe





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)


vielfältig. Es gibt technische Gründe – beispielsweise
bei der Gründung –, es gibt Engpässe bei den entspre-
chenden Spezialschiffen, die notwendig sind; es gibt
nicht genug Kabel,


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verkaufen das Ganze an kapitalschwache Anbieter! Das ist es!)


es gibt den Tidenhub, und es gibt logistische Herausfor-
derungen. Das alles sorgt dafür, dass es nicht so umge-
setzt werden konnte, wie wir uns das vorgestellt haben.

Wir haben zeitliche Verzögerungen, insbesondere
beim Netzanschluss. Wir stehen vor der Situation, dass
beispielsweise Windparks einsatzfähig sind, aber der
Strom nicht abtransportiert werden kann.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum?)


In den Jahren 2010 und 2011 haben wir bereits zwischen
20 Millionen und 35 Millionen Euro für produzierten
Strom ausgegeben, der nie beim Verbraucher ankam.
Das ist natürlich nicht Sinn der Sache.

Manche sagen: Dann machen wir halt nichts; dann
fährt das alles gegen die Wand. – Aber die Offshoreener-
gie hat großes Potenzial. Es besteht die Chance, bis 2020
8 bis 10 Prozent und bis 2050 25 bis 30 Prozent des ge-
samten Stroms offshore zu produzieren.

Offshorewindenergie leistet auch einen Beitrag zur
Systemstabilität. Die Sonne scheint eben, wie gesagt,
nicht Tag und Nacht, und auch der Wind weht onshore
nicht so kontinuierlich wie offshore. Daher haben wir in
diesem Bereich nur eine Verfügbarkeit von 2 bis 5 Pro-
zent. Demgegenüber haben wir offshore eine Verfügbar-
keit von ungefähr 4 500 Stunden. Neueste Zahlen bele-
gen, dass die Windparks in der Ostsee im letzten Jahr
über 4 200 Volllaststunden erbracht haben. Insofern kön-
nen sie einen guten Beitrag zur Systemstabilität leisten.

Offshorewindenergie kann mittelfristig auch zur Sen-
kung des Energiepreises beitragen. Jetzt, am Anfang, ist
die Vergütung zwar vergleichsweise hoch. Die Vergütung
im Bereich Offshorewindenergie wird aber im Gegen-
satz zu der Vergütung in den Bereichen Onshorewind-
energie und Photovoltaik nur neun Jahre lang gezahlt.
Dann läuft die Förderung aus. Das heißt, wir haben keine
20-jährige Bindung. Nach dem Ablauf von neun Jahren
beträgt die Vergütung 4,5 Cent pro Kilowattstunde, was
absolut wettbewerbsfähig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Exportpotenzial ist bereits angesprochen worden.
Offshorewindenergie zählt nämlich nicht zum Bereich
Lowtech, sondern zum Bereich Hightech, und zwar hin-
sichtlich der Anlagen, der Leitungen und des sonstigen
Know-hows, das damit verbunden ist.

Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, die zeitlichen Ver-
zögerungen zu berücksichtigen und die ungeklärten Haf-
tungsfragen, die sich daraus ergeben, dass es sich hier
um eine neue Technologie handelt, zu klären. Bei der
Offshorewindenergie ist es nicht so wie bei der Nutzung
der Windenergie an Land oder der Nutzung anderer

Technologien, bei denen das Risiko auf dem Markt ver-
sicherbar ist. Wir müssen eine Lösung finden, damit die
bestehenden Projekte fortgeführt und zum Erfolg geführt
werden können, und gleichzeitig müssen wir für die
neuen Projekte zukunftsfähige Regeln finden. Diesen
Gordischen Knoten gilt es zu durchschlagen. Deswegen
unterbreiten wir heute diesen Vorschlag, der einen guten
Ausgleich darstellt. Damit schaffen wir einerseits Pla-
nungssicherheit für die Investoren, und andererseits wird
der Verbraucher nicht über Gebühr strapaziert.

Wie machen wir das? Wir definieren Fahrlässigkeit
klar. Die Haftungssumme bei leichter Fahrlässigkeit soll
17,5 Millionen Euro pro Projekt betragen. Das war der
große Streitpunkt: Wie hoch muss dieser Betrag sein,
damit trotzdem noch Investitionen ausgelöst werden?
Wichtig ist, dass nicht nur die Umlage ausgelöst wird,
sondern wirklich neue Projekte entstehen und auch pri-
vate Investoren dabei sind. Auf der anderen Seite sehen
wir einen Selbstbehalt von 110 Millionen Euro pro Jahr
für die Netzbetreiber vor, die in diesem Bereich auf dem
Markt aktiv sind.

Jetzt geht es darum, einen Ausgleich zu schaffen. Wir
müssen nicht nur die bestehenden Projekte umsetzen,
sondern auch dafür sorgen, dass es zukünftig neue Pro-
jekte gibt. Deshalb synchronisieren wir im Offshorenetz-
entwicklungsplan den Ausbau der Offshorekapazitäten
mit dem Kapazitäts- und Netzausbau. Damit bringen wir
beides zusammen; das ist bisher unterlassen worden. Vor
dieser Aufgabe stehen wir heute. Heute drücken wir den
Startknopf. Ich bin gespannt, ob der Bundesrat, in dem
auch Vertreter der Oppositionsparteien vertreten sind,
diesen vernünftigen Weg mitgeht und ob Sie hier und
heute bereit sind, diesen vernünftigen Weg mitzugehen,
oder das Ganze gegen die Wand fahren lassen und damit
die Arbeitsplätze und die Energieversorgung gefährden.
Damit würden Sie letzten Endes das Gegenteil dessen er-
reichen, was Sie hier immer so schön propagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721100500

Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721100600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was ist der Anlass für die Debatte? Die Netzanbindung
von Windparks im Meer – dazu wird meine Kollegin
Johanna Voß sprechen –


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Habt ihr euch das aufgeteilt?)


und die Tatsache, dass Energieversorgern verboten wer-
den soll, Kohle- und Gaskraftwerke stillzulegen unter
Zahlung einer Entschädigungsleistung. Warum? Ener-
giekonzerne drohen momentan damit, dass sie eine
Reihe von Kraftwerken stilllegen müssen, weil sie sich
angeblich nicht mehr rentieren. Diese Woche berichtet
Der Spiegel von einer vertraulichen Studie des Umwelt-
ministeriums von Nordrhein-Westfalen, nach der allein





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


in diesem Bundesland die Stilllegung von 29 Kraftwer-
ken droht, und zwar vorzeitig; denn ihre technische Le-
bensdauer liegt noch bei 20 bis 30 Jahren.

Nun fragt sich natürlich jeder, warum das so ist. Die
Mengen an Wind- und Solarstrom hätten so stark zuge-
nommen, dass die Großhandelspreise sinken würden. Das
mache den Betrieb von Kohle- und vor allem von Gas-
kraftwerken zunehmend unwirtschaftlich, so die Energie-
konzerne. Sinkende Strompreise durch erneuerbare Ener-
gien – ich glaube, ganz viele Bürgerinnen und Bürger sind
nun ein bisschen verwirrt. Vor zwei Wochen erhielten sie
die Nachricht ihres Stromversorgers, dass die Strom-
preise wegen der Förderung der erneuerbaren Energien
zum 1. Januar 2013 steigen müssen. Die Strompreise sol-
len um durchschnittlich 12 Prozent ansteigen. Einige Ver-
sorger verlangen mit einem Aufschlag von bis zu 20 Pro-
zent sogar deutlich mehr. Man fragt sich wirklich: Wie
passt das zusammen?

Richtig, die Umlage für erneuerbare Energien steigt
im nächsten Jahr um 1,7 Cent pro Kilowattstunde. Damit
wird die Strompreisexplosion begründet. Diese Aussage
bestimmte in den letzten Wochen die Titelseiten der Zei-
tungen. Nun muss man aber wissen, was nicht in den
Zeitungen steht, nämlich dass die EEG-Umlage nicht
nur deshalb erhöht wird, weil wir einen Zubau von So-
lar- und Windstromanlagen wollen, sondern weil unter
anderem die Ausnahmeregelungen für Industrien stark
ausgeweitet wurden. Man kann sagen, dass die Industrie-
rabatte mindestens 1 Cent ausmachen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Gegenrufe von der LINKEN)


Es wird verschwiegen, dass der Zubau von erneuerba-
ren Energien zu sinkenden Preisen an der Strombörse
führt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: 10 Cent, Frau Kollegin!)


Das ist richtig; denn Ökostrom dämpft den Preisanstieg,
und zwar derzeit um 0,9 Prozent. Jedes Solardach und
jedes neu angeschlossene Windrad führen tendenziell
dazu, dass der Strom preiswerter wird.

Aber die Energiekonzerne klagen, dass alles so
schlimm sei. Die Preise an der Börse seien so niedrig, es
lohne sich also nicht mehr, insbesondere Gaskraftwerke
zu betreiben. Warum? Der Profit ist entscheidend und
nicht die Versorgungssicherheit. Das ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Einerseits sagt die Bundesnetzagentur, es gebe genü-
gend Kraftwerke, um die Stromversorgung im nächsten
Winter sicherzustellen, andererseits ist die Drohkulisse
durch die Energiekonzerne so groß, dass der Bundes-
wirtschaftsminister sagt: In diesem Bereich verzichte ich
auf marktwirtschaftliche Mechanismen, jetzt gibt es ei-
nen Plan, ein Verbot der Stilllegung. – Dieses Stillle-
gungsverbot ist aber nicht umsonst. Der Staat soll dafür
zahlen, dass die Energiekonzerne ihre Kraftwerke wei-
terbetreiben.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied zur Zwangsenteignung, die Sie immer wollen!)


Als Finanzpolitikerin frage ich mich: Welche Stillle-
gungsankündigung der Energieversorger ist berechtigt?
Wobei handelt es sich vor allem um eine Drohkulisse,
und wann ist es so, dass die Kraftwerke tatsächlich nicht
rentabel sind?


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die beklagt sich darüber, dass sie entschädigt wird! – Gegenruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Weiterer Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])


Dann gibt es noch die angedrohten Abschaltungen.
Hier muss ich fragen: Was wäre denn Ihrer Meinung
nach eine angemessene Entschädigung? – Herr Rösler,
es ist schön, dass Sie versuchen, zuzuhören, während Sie
von der Seite angesprochen werden. – Ich frage mich
wirklich: Wollen wir heute einen Blankoscheck ausstel-
len? Es soll einfach verabschiedet werden, dass die
Energiekonzerne eine Prämie zur Verhinderung der Still-
legung erhalten. Über die Höhe dieser Stilllegungsprä-
mie reden aber nicht wir hier im Bundestag, sondern die
Festlegung soll auf dem Verordnungsweg, also am Parla-
ment vorbei, geschehen. Das ist ein zusätzlicher Skan-
dal.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch!)


Sie machen wieder einmal Politik am Parlament vor-
bei. Noch am Montag stand dieser Gesetzentwurf nicht
auf der Tagesordnung des Bundestages. Er wurde erst
am Dienstag auf die Tagesordnung gesetzt.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sind Sie nicht flexibel?)


Am Dienstagabend erhielten die Abgeordneten des Wirt-
schaftsausschusses 60 Seiten mit Änderungsanträgen.
Erzählen Sie mir nicht, dass Sie sich alle intensiv damit
auseinandersetzen konnten.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Vorher schon!)


Das glaubt Ihnen niemand. Wir von der Opposition
konnten das auch nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Manche Energieversorger sagen, das Geschäft lohne
sich nicht mehr, alles sei so schlimm. Schauen wir uns
doch einmal an, wie es konkret aussieht: RWE hat in den
ersten drei Quartalen dieses Jahres eine Gewinnsteige-
rung um ein Drittel auf 1,88 Milliarden Euro erzielt. Eon
hat für 2013 seine Gewinnerwartung nach unten korri-
giert. In diesem Jahr geht man von einem Gewinn von
4,1 bis 4,5 Milliarden Euro aus. Auch Eon schreibt im
nächsten Jahr noch keine roten Zahlen. Sie verzeichnen
also eine Verringerung des Profits, aber sie schreiben
keine roten Zahlen, sondern machen weiterhin Profit. Es
geht ihnen nur um Profitmaximierung, aber nicht um
Versorgungssicherheit. Das macht doch den Grundkon-
flikt deutlich.





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wie sollen sie denn investieren, wenn sie keinen Gewinn machen?)


Der Grundkonflikt ist folgender: Den privaten Unter-
nehmen geht es um Gewinnmaximierung und nicht um
Versorgungssicherheit. Das kann nicht die Zielsetzung
sein. Energieversorgung ist ein Gut, auf das wir alle an-
gewiesen sind. Deshalb gehört sie in öffentliche Hand.

Noch eines: Wenn Sie hier schon solch einen Gesetz-
entwurf verabschieden wollen, frage ich mich, warum
Sie zu allem Überfluss wieder viele kommunale Stadt-
werke benachteiligen. Diese können nicht einfach ab-
schalten. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Heizung
im Winter läuft und warmes Wasser da ist. Die Wärme-
versorgung ist der Auftrag der Kommunen. Damit fallen
sie nicht unter das Gesetz. Das heißt, Sie wollen hier
wieder ausdrücklich die privaten Kraftwerke sponsern.
Dafür machen Sie Druck und beugen sich den Drohku-
lissen. Wir werden uns damit nicht einverstanden erklä-
ren und lehnen das ab.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721100700

Das Wort erhält nun der Kollege Oliver Krischer für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721100800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Wirtschaftsminister Rösler, der Gesetzent-
wurf, den Sie hier vorlegen, ist keine energiewirtschaftli-
che Großtat, wie Sie es hier gerade vorgetragen haben,
sondern eine Bankrotterklärung. Das muss hier so ein-
mal gesagt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn man es mit Ihnen gut meint, kann man sagen: Es
ist die Beseitigung der Trümmer, die Sie verursacht ha-
ben. Aber selbst das bekommen Sie nicht hin. Sie schaf-
fen es nicht, die eigenen Fehler an dieser Stelle zu besei-
tigen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Komm!)


Das zeigt sich daran, dass Sie monatelang gestritten und
gezetert haben, um zu diesem Gesetzentwurf zu kommen.
Frau Aigner hat sich vor Sie geschmissen, hat die ver-
braucherpolitische Ankündigungsministerin gemacht,
und dann ist sie als Bettvorlegerin gelandet.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


– Ich merke, das Bild mit Frau Aigner und der Bettvorle-
gerin gefällt Ihnen. – Letztendlich sind Sie erst gestern
Morgen mit dem Gesetzentwurf fertig geworden. Das
zeigt, welche Qualität er hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: So ein Quatsch! Deutsche Sprache, schwere Sprache!)


Man muss sich einmal klarmachen, was beim Thema
Offshore los ist. Das, was Sie produzieren, ist Schilda
live. In Deutschland, in der Nordsee werden Windparks
gebaut, obwohl dort kein Netzanschluss ist, und dort, wo
ein Netzanschluss ist, haben wir keine Windparks. Wer
trägt die Verantwortung dafür? Das ist der Wirtschafts-
minister, der für Netzausbau zuständig ist.


(Ulrich Kelber [SPD]: Er trägt sie leider nicht! Er hat sie nur!)


Von ihm habe ich zu diesem Thema lange nichts gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jörg van Essen [FDP]: Das tut ja weh!)


Das, was wir von Rösler im Zusammenhang mit die-
sem Thema gehört haben, ist: Das sollen die Unternehmen
für sich regeln, das sollen sie untereinander regeln. – Das
Problem ist ja nicht vom Himmel gefallen. Er hat es ge-
schehen lassen, er hat die Dinge so laufen lassen, und
jetzt ist das Chaos da. Die Zahlen zeigen, dass es nicht
nur um Probleme geht, die in der Zukunft auf uns zu-
kommen. Schon jetzt sind Schäden entstanden. Es geht
um 1 Milliarde Euro, wahrscheinlich sogar 2 Milliarden
Euro. Für diese Schäden tragen dieser Wirtschaftsminis-
ter und diese Bundesregierung die Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Folgen dieser Politik kann man sich in Nieder-
sachsen ansehen. Dort werden reihenweise Windparkpro-
jekte abgesagt. Eine ganze Industrie droht uns verloren zu
gehen. Die hochfliegenden Pläne von 10 000 Megawatt,
von denen Herr Pfeiffer eben noch gesprochen hat, sind
schon lange nicht mehr realisierbar. Dieses Ziel werden
wir bis 2020 nicht erreichen. Sie haben aber bewirkt, dass
Sie nach der PV nun die zweite Industrie im Bereich der
erneuerbaren Energien kaputtmachen. Das ist das Resul-
tat Ihrer Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollte die FDP schon immer!)


Statt selber Verantwortung zu übernehmen, tun Sie
das, was Sie immer tun.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir wollen privates Kapital mobilisieren!)


Sie laden die Verantwortung bei den Verbraucherinnen
und Verbrauchern ab. Sie sollen für Ihre Fehler, für die
Schäden, die Sie verursacht haben und auch in Zukunft
weiter verursachen werden, zahlen. 0,25 Cent pro Kilo-
wattstunde soll jeder Privatverbraucher zahlen. Alle Ver-
braucher, die mehr als 100 000 Kilowattstunden verbrau-
chen, sind wieder größtenteils ausgenommen; so kennen
wir das. Es geht nicht mehr nur um die energieintensive





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


Industrie – da könnte man das vielleicht noch nachvoll-
ziehen –, sondern praktisch um alle Unternehmen. Jede
mittlere Sparkassenfiliale ist ausgenommen. Sie laden die
Probleme wieder allein bei den Privatverbrauchern, beim
Kleingewerbe und beim Handwerk ab.


(Patrick Döring [FDP]: Unfassbare Lüge!)


Das ist Ihre Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: 730 Unternehmen sind befreit! Mehr nicht!)


Das passt zu alledem, was wir bei der EEG-Umlage, bei
den Netzentgelten und bei der Stromsteuer erleben: Die-
ser Wirtschaftsminister erteilt Befreiungen und verteilt
Privilegien wie Kamellen im Kölner Karneval. Das ist
die Realität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit des Abg. Rolf Hempelmann [SPD])


Meine Damen und Herren, die sinnvollste Lösung
wäre, Sie würden hier die Verantwortung übernehmen,
sprich: der Bund würde für die Haftung einstehen. Da
könnten wir einen guten Weg gehen – der Kollege Heil
hat ihn eben schon erläutert –: Wir könnten, wenn wir
die Haftung für TenneT übernehmen und dem Unterneh-
men das Risiko abnehmen würden, die Chance nutzen,
um Anteile von TenneT zu übernehmen und eine Deut-
sche Netz AG zu gründen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Oh! Wollen Sie etwa enteignen? Interessant!)


Dies haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart;
aber Sie haben nichts gemacht. In Ihren Antworten auf
Anfragen schreiben Sie, dass die Deutsche Netz AG
nicht mehr kommen wird, weil die Übertragungsnetzbe-
treiber sie nicht wollen. An dieser Stelle hätten Sie die
Chance, eine Deutsche Netz AG zu gründen, um diesen
Bereich zu ordnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie haben es versemmelt!)


Es kann ja nun wirklich nicht sein – das muss man sich
auf der Zunge zergehen lassen –, dass der wichtigste deut-
sche Netzbetreiber, die Firma TenneT, von der Bundes-
netzagentur keine Zertifizierung bekommt. Wenn man
sich anschaut, was dazu auf der Homepage der Bundes-
netzagentur steht, dann erfährt man, dass der Netzbetrieb
von TenneT eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Das muss
man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Der
wichtigste deutsche Netzbetreiber begeht beim Netzbe-
trieb eine Ordnungswidrigkeit. Das ist die Realität Ihrer
Politik. So kann man eine Energiewende nicht machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer hat es zu verantworten? Minister Rösler!)


In Ihrem Gesetzentwurf geht es allerdings nicht nur
um Offshore und den Anschluss an die Netze, sondern
auch um das Thema, das Sie beschönigend „Winterre-
serve“ nennen. Wir sagen dazu: Das ist ein Kraftwerks-
zwangsbetrieb. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich
hätte mir nicht vorstellen können, dass eine christlich-li-
berale Koalition – so nennen Sie sich ja – in der Energie-
wirtschaft eine Planwirtschaft einführt, bei der Herr
Honecker – Gott hab ihn selig – im Grab hüpfen würde.
Das ist genau das, was Sie da gemacht haben. Das ist
doch wirklich ein Armutszeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das zeigt, dass Sie beim Thema Energiewende jeden
Kompass verloren haben.

Herr Brüderle, Sie reden ja neuerdings immer so
gerne vom Mao-Jäckchen. Ich glaube nur, Sie ver-
schweigen uns, wer in Wirklichkeit das Mao-Jäckchen
trägt.


(Patrick Döring [FDP]: Ihr Thema! Da kennen Sie sich ja aus!)


Das ist nämlich der Wirtschaftsminister; denn er führt in
der Energiewirtschaft die Planwirtschaft ein.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ei, ei, ei! Jetzt ist aber langsam Schluss!)


Das, meine Damen und Herren, ist die Realität.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich könnte mir ja noch vorstellen, dass man eine sol-
che Lösung für ein bis zwei Jahre vorsieht. Aber Sie
wollen, dass diese Lösung bis 2017 gilt. Ursprünglich
hatten Sie sogar vor, sie bis 2019 zu verankern. Das ist
keine kurzzeitige Lösung. Das ist eine auf Dauer ange-
legte Lösung.

Geht es um die Frage, wie wir bei der Versorgungssi-
cherheit marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen,
verweigern Sie sich der Debatte vollständig. Wir brau-
chen in diesem Land Kapazitätsmärkte, um die Versor-
gungssicherheit marktwirtschaftlich zu regeln. Schauen
Sie einmal ins europäische Ausland: Die Briten reden
über Kapazitätsmärkte, in Holland wird über Kapazitäts-
märkte geredet, die EU-Kommission bereitet eine Ver-
ordnung zum Thema Kapazitätsmärkte vor. Was erleben
wir? Die Bundesregierung hat zu diesem Thema wieder
einmal keine Meinung. Sie verpennen auch dieses
Thema. Sie versagen, wie auch bei der Energiewende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun noch ein Wort zur Lastabschalt-Verordnung. Sie
ist im Prinzip ein richtiges Instrument. Über dieses
Thema streitet man sich – das hat, wie ich habe lernen
müssen, wohl schon in der Großen Koalition angefan-
gen – seit mittlerweile vier Jahren. Jetzt legen Sie auf
einmal einen Entwurf vor. Wir werden ihn uns sehr ge-
nau ansehen und prüfen, ob er ein Instrument ist, das ge-
eignet ist, die Lasten zu verschieben. Aber eines sage ich





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


Ihnen: Wir werden nicht dabei mitmachen, eine neue
Subventionsmaschine für eine Handvoll Industriebe-
triebe zu schaffen. Wir werden uns Ihren Entwurf, wie
gesagt, sehr genau ansehen. Für uns gilt das Prinzip:
Wenn es eine Förderung und eine Entlohnung gibt, dann
muss dem auch eine Leistung gegenüberstehen. Anders
kann es nicht gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte abschließend einen Punkt ansprechen, der
nicht so sehr im Fokus der Debatte steht: den § 46 des
Energiewirtschaftsgesetzes, in dem es um die Kommu-
nen und um Konzessionsverträge geht. Das Ziel meiner
Fraktion ist – ich weiß, dass dies auch für die Kollegen
von den Sozialdemokraten ein wichtiges Thema ist –,
den Kommunen zu ermöglichen, selbst zu entscheiden,
was mit den Verteilnetzen vor Ort passiert und wer sie
betreibt. Wir wollen hier Entscheidungsfreiheit für die
Kommunen.


(Zuruf von der FDP: In Baden-Württemberg nicht mehr!)


Was Sie machen, haben Sie 2011 im Energiewirtschafts-
gesetz schon schlecht geregelt. Sie sind leider unseren
Vorschlägen nicht gefolgt, das besser zu machen. Sie ha-
ben eine völlige Rechtsunsicherheit produziert, die dazu
führt, dass Kommunen heute nicht entscheiden können,
weil sie in jedem Fall Angst haben müssen, sie müssten
einen Prozess gegen Energiekonzerne führen. Das ist
nicht in Ordnung. Das ist gegen die Kommunen gerich-
tet. Das ist gegen die Interessen der Energiewende. Das
kann so nicht sein. Das sollten Sie ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen eines sagen: Spätestens im September
2013 wird das einer der ersten Punkte sein, die wir än-
dern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden § 46 des Energiewirtschaftgesetzes so ge-
stalten, dass das eine kommunalfreundliche Regelung
wird, der Sie sich die ganze Zeit verweigern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann
man sagen: Dieser Gesetzentwurf ist kein Beitrag zur
Energiewende. Er ist untauglich, er ist Flickschusterei,
um eigene Fehler und Unvermögen dieser Bundesregie-
rung zu kaschieren. Er löst kein einziges Problem, er be-
antwortet keine einzige Frage der Energiewirtschaft und
der Energiewende.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück! Das stimmt nicht!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721100900

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Klaus Breil für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1721101000

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Was Herr Heil – wo ist er, ist er nicht mehr da? – für
wünschenswert hält, ist bereits Realität. In vielen Teilen
der Welt wird deutsche Erneuerbare-Energien-Technolo-
gie angewendet – bis hin zu den Antipoden, zum Bei-
spiel in der Atacama-Wüste in Chile. Ich bin gern bereit,
Ihnen nähere Auskünfte zu erteilen. Das können wir
gern bilateral machen.

Die Koalition beschließt heute im Wesentlichen zwei
bedeutende Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz.
Erstens. Wir lösen das Problem bestehender Rechtsunsi-
cherheiten beim Ausbau der Offshorewindenergie – im-
merhin eine der Grundfesten bei unserem Ausstieg aus
der Kernenergie und auf unserem Weg hin zu 80 Prozent
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Jahr
2050. Wir haben uns in unserem Energiekonzept dazu
bekannt, bis 2020 rund 10 Gigawatt Stromerzeugungs-
kapazitäten an den Küsten unseres Landes anzuschlie-
ßen. Bis 2030 sollen es 25 Gigawatt werden.

Bedingt durch Lieferengpässe der Industrie, die nicht
vorhersehbar und nicht beeinflussbar gewesen sind,
konnten Fristen nicht eingehalten werden. In der Folge
wackelten mit den Finanzierungszusagen auch die Aus-
bauziele. Es drohte eine Situation, in der Windparks in-
stalliert sind und der dort produzierte Strom aufgrund
fehlender Anschlüsse nicht abtransportiert werden kann.
Herr Krischer, Offshorewind ist komplizierter als
EUROSOLAR.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wie war das mit der Wüste?)


Wer hätte da noch investieren sollen?

Zur Rettung der Situation wird jetzt ein Teil der aus-
fallenden Vergütung durch die Verbraucher getragen.
Dabei bleibt das Geschäft attraktiv für Genossenschaf-
ten, Bürgerfonds, Kapitalsammelstellen wie zum Bei-
spiel Pensionfonds, Versicherungen und Energieversor-
ger. Eigentümer dieser Institutionen ist eine große
Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern.

Im Gesetzgebungsverfahren haben wir versucht, den
Zeitraum der Belastung für die Verbraucher so kurz wie
nötig zu halten. Ich persönlich gehe davon aus – Herr
Krischer, hören Sie gut zu! –, dass diese Umlage in Höhe
von 0,25 Cent pro Kilowattstunde nur für die kommen-
den drei, vielleicht maximal vier Jahre erhoben wird.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Davon gehen aber nur Sie aus!)


Um dem gerecht zu werden, haben wir keinem der Wün-
sche der Branche, die die Umlage in die Höhe getrieben
hätten, nachgegeben.





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)



(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben jetzt schon 2 Milliarden Schäden! Wie soll das denn gehen?)


Es wundert mich nicht, dass ich all diese Forderungen in
den Entschließungsanträgen der Opposition wiederfinde.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Planwirtschaftler!)


Zum Beispiel sollen – eine Forderung der Grünen – aus-
gefallene Vergütungen auch dann, wenn die zentrale An-
schlusskomponente noch nicht installiert ist, bereits
kompensiert werden. Zum Beispiel soll – eine Forderung
der Grünen – eine Vermaschung der Anschlüsse die Ab-
sicherung jedes einzelnen Windparks erhöhen, auch
wenn damit jede teure Anbindungsleitung doppelt er-
richtet würde.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fallen aber weniger Schäden an!)


Zum Beispiel soll – eine Forderung der SPD – das Stau-
chungsmodell im EEG verlängert werden, auch wenn
dadurch die EEG-Umlage nochmals erhöht wird.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Durch Sie sind doch zwei Jahre verloren worden!)


Herr Krischer, Sie fordern mehr Markt, andererseits aber
auch Kapazitätsmärkte. Wie Sie diesen Widerspruch auf-
lösen wollen, müssen Sie mir einmal erklären.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt schon das Wort „Kapazitätsmärkte“! Haben Sie das nicht verstanden?)


Das darf es alles nicht geben. Die Politik muss verant-
wortungsvoll mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger
umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rolf Hempelmann [SPD]: Genau!)


Darum, Herr Heil – hören Sie gut zu! –, sind die Bürge-
rinnen und Bürger froh, dass wir regieren und nicht Rot-
Grün.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo leben Sie denn?)


Zweiter wesentlicher Punkt. Wir sorgen mit der Ge-
setzesänderung dafür,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dass die Strompreise teurer werden, dafür sorgen Sie!)


dass in Deutschland die Lichter nicht ausgehen. Der
hohe Grad der Versorgungssicherheit trägt bedeutend zu
unserem Wohlgefühl bei und ist ein wichtiger Standort-
faktor für die ansässigen Unternehmen. Die Verlässlich-
keit der Stromversorgung ist ein wesentlicher Grund
dafür, warum sich Unternehmen trotz der hohen Strom-
preise weiter bevorzugt in Deutschland niederlassen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das gefährden Sie!)


Es ärgert mich sehr, wenn ich in den Medien Worte
wie Kraftwerkabschaltverbotgesetz lesen muss.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber richtig! Das trifft es!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Politik
gibt es immer einen sauren Apfel, in den man beißen
muss.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es tut Ihnen weh! Klar!)


Wir haben es nämlich bis heute nicht geschafft, die er-
neuerbaren Energien mit steuerbaren Back-up-Kapazitä-
ten unter einen Hut zu bringen. Ebenso wenig haben wir
es schon erreicht, den Netzausbau und den Ausbau der
erneuerbaren Energien aufeinander abzustimmen. Hier
stehen wir noch am Anfang.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Sie haben noch gar nicht angefangen!)


Die ersten Schritte sind in dieser Legislaturperiode ge-
macht worden.

Solange wir aber kein neues Marktdesign unter Ein-
beziehung der fluktuierenden erneuerbaren Energien mit
Systemverantwortung haben, also eine Reform des EEG,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr wolltet doch etwas vorschlagen!)


so lange gleicht der Schritt, den wir mit diesem Gesetz
gehen, einem minimalinvasiven Eingriff.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Noch regieren Sie ja!)


Die Notwendigkeit liegt auf der Hand: Selbst neuere
Gaskraftwerke, deren Betrieb durch die wenigen Be-
triebsstunden im Jahr nicht mehr rentabel ist, waren und
sind Gegenstand von Stilllegungsankündigungen. In
Bayern, wo ich herkomme, haben Ankündigungen wie
diese manche Politiker auf einen Schlag um Jahre altern
lassen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721101100

Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Zeit.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1721101200

Der Stromausfall in München vor wenigen Tagen sitzt

den Münchenern noch gut im Gedächtnis: 450 000 Bür-
gerinnen und Bürger ohne Strom, das zeigt die Verwund-
barkeit unserer Gesellschaft.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer regiert da?)


Zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger und zum
Wohle unserer Industrie mussten wir handeln. Mit dem
neuen Gesetz werden Betreiber verpflichtet, die Stillle-
gung eines Kraftwerks mit einer Leistung von mehr als
50 Megawatt ein Jahr im Voraus anzukündigen. Wird
dieses Kraftwerk als systemrelevant eingestuft, kann es
durch die Bundesnetzagentur in eine Netzreserve über-
führt werden.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721101300

Herr Kollege.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1721101400

Ich komme zum Schluss. – Damit laufen diese Anla-

gen bei regionalen Engpässen auf Anweisung des zu-
ständigen Übertragungsnetzbetreibers. Vom Prinzip her
ist das nichts Neues, es ist nur transparenter


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhören!)


und hat eine vom Deutschen Bundestag legitimierte
Grundlage.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721101500

Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1721101600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich bin ein wenig entsetzt über den Stand der Er-
kenntnis, den dieser Bundeswirtschaftsminister uns
heute und in den letzten Tagen vermittelt hat. Man fragt
sich eigentlich: Wo war er die ganzen letzten drei Jahre?
War diese Bundesregierung in dieser Frage in den letzten
drei Jahren auch nur irgendwie aktiv? Was muss eigent-
lich alles passieren, damit die Windkraftbranche, die
Offshorebranche in Deutschland überhaupt noch eine
Zukunft hat?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme aus einer Stadt, in der mindestens 25 Un-
ternehmen in der Windkraftbranche tätig sind: REpower
Systems, PowerBlades, Areva Wind, WeserWind, alles
große Unternehmen. All diese Unternehmen haben in
den letzten fünf, sechs Jahren dreistellige Millionenbe-
träge investiert. Die setzen darauf, dass sie in der Bun-
desrepublik Anlagen zur Erzeugung von Offshorewind-
energie unter guten Rahmenbedingungen entwickeln,
bauen und verkaufen können. Für die Rahmenbedingun-
gen sind ausschließlich Sie, Herr Bundeswirtschafts-
minister, in dieser Regierung zuständig.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es!)


Aber wo sind diese Rahmenbedingungen? Wer hat ei-
gentlich diese Rahmenbedingungen in den letzten Jahren
nicht geschaffen? Das ist diese Bundesregierung.

Wir haben inzwischen Insolvenzen von großen Unter-
nehmen an der Küste, die dort bisher in der Windkraft-
branche tätig waren. Das zarte anfängliche Anklopfen
der Ministerpräsidenten ist in diesem Herbst inzwischen
zu einem Sturm geworden, weil die Unternehmen dort
oben an der Küste erkennen: Diese Regierung handelt
nicht. Diese Regierung verschläft das Problem. Sie sind
ein Planlosigkeitsminister, nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich darf an dieser Stelle ganz zurückgenommen sa-
gen: Wir haben eine enorme Chance in diesem Feld. In
den nächsten Jahren können locker Investitionen von
mehreren Milliarden, manche reden von 75 Milliarden,
getätigt werden. Aber was erleben wir? Da kündigt
EnBW an, dass der dritte Windpark jetzt im November
gestoppt wird, weil unsichere Rahmenbedingungen vor-
handen sind. Da fragt man sich doch: Sind das eigentlich
noch nicht genügend Weckrufe, damit diese Bundesre-
gierung endlich handelt?

Das Problem TenneT ist seit mindestens zwei Jahren
in der Szene bekannt. Die haben zu wenig Kohle und zu
wenig Investitionskraft. Jetzt kommt die Bundesnetz-
agentur und attestiert das, was gerade vom Kollegen der
Grünen gesagt worden ist. Und was macht diese Bundes-
regierung? Gar nichts. Wo sind Ihre Gespräche mit
TenneT? Wo sind Ihre Initiativen, dass TenneT seine
Aufgaben als Investor für die Netze auch im Offshore-
bereich wahrnehmen kann? Wo sind sie?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie zur niederländischen Regierung fahren und
dort erfahren, dass sie den TenneT-Leuten nicht unter die
Arme greifen will, dann müssen Sie als Bundeswirt-
schaftsminister für Deutschland doch selbst tätig wer-
den, um in dieser Frage endlich Klarheit zu erringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie produzieren hier Trümmer, eine Trümmerland-
schaft der Energiepolitik. Ich finde, das ist unverzeih-
lich; denn es gibt Tausende von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die hoffnungsvoll in diese Branche einge-
stiegen sind und die sich hier engagieren, junge Inge-
nieure, die darin eine Zukunft sehen. Alle Menschen dort
werden zurzeit verunsichert, weil sie genau sehen, was
in ihrem Betrieb los ist. Sie fahren momentan auf Voll-
last und wissen, dass sie Mitte nächsten Jahres aufgrund
von nicht erfolgten weiteren Bestellungen in eine Unter-
beschäftigung geraten. Da kann ich nur fragen: Wer trägt
dafür die Verantwortung? Diese Bundesregierung
schweigt zu diesem Problem. Diese Bundesregierung ist
nicht einmal in der Lage, das Instrument der KfW-För-
derbank so einzusetzen, dass sie auch tatsächlich helfen
kann. Nein, Sie nehmen dieser Förderbank auch noch die
letzten Reserven.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei diesem Punkt merkt man: Das, was Sie mit dieser
Politik betreiben, passt nicht zusammen. Alle Bauteile,
die ordentlich zusammengestellt werden müssen, wer-
den von Ihnen zerstört. Die einzelnen Instrumente, die
eine Regierung hat, die sie schärfen und einsetzen kann,
werden von Ihnen leider nicht genutzt.

Ich bin traurig darüber,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das brauchen Sie nicht!)






Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


weil die Menschen bei uns im Grunde etwas Besseres
verdient haben. Sie haben die Phase des Niedergangs der
deutschen Werften erlebt. Sie sehen jetzt plötzlich die
Chance, eine Industrie zu etablieren, die wieder eine Per-
spektive bietet. Aber gleichzeitig setzt diese Bundesre-
gierung Rahmenbedingungen, die das alles wieder in-
frage stellen. Sie sind in dieser Frage – ich sage einmal –
kein verlässlicher Partner. Sie sind in dieser Frage von
der Bevölkerung inzwischen als unzuverlässig, als nicht
nach vorne gerichtet identifiziert worden. Zwei Drittel
der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik trauen
Ihnen nichts mehr zu. Das ist leider Gottes eine so ernste
Situation, dass man nur hoffen kann, dass die Monate bis
zum September wirklich schnell vergehen, damit wir
endlich einmal wieder eine ordentliche Orientierung be-
kommen, eine Industriepolitik, die stimmig ist, eine
Politik, die nach vorne weist und die auch in der Ener-
giefrage endlich Klarheit schafft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Themen
Wirtschaftswachstum, Versorgungssicherheit und Strom-
kosten sind bei Ihnen ausgesprochen schlecht aufgeho-
ben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721101700

Thomas Bareiß ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721101800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Nach den Rednern von Rot, Grün und ganz links
außen möchte ich doch ein paar wenige Vorbemerkun-
gen machen.

Sie haben mir den Vorwurf gemacht, dass wir plan-
wirtschaftlich vorgehen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Absolut!)


Ich habe mir jetzt einmal kurz aufgeschrieben, was Sie
alles in Ihren Anträgen fordern und was wir heute zu
späterer Zeit auch noch diskutieren.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Okay, wir nehmen das zurück! Planunsicherheit ist das Problem!)


Sie wollen Kapazitätssubventionen und eine dauer-
hafte Zementierung des EEG für die nächsten Jahre. Sie
wollen – das haben wir heute gehört – eine staatliche
Netzgesellschaft


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie im Koalitionsvertrag stehen! Steht in Ihrem Koalitionsvertrag! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Keine staatliche!)


und dafür die Netzbetreiber anscheinend enteignen. Sie
wollen eine Stromflatrate, staatliche Stromtarife und
Zwangsquoten hinsichtlich der Energieeffizienz. Das,
was Sie wollen, ist Planwirtschaft und Staatswirtschaft,
und das wollen wir eben nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Planlosigkeit; das merken wir schon!)


Zu Beginn dieser Debatte ist es für mich wichtig,
noch einmal zu sagen: Wir haben uns enorm hohe Ziele
gesetzt, die Sie sich so nicht gesetzt haben. Wir wollen
den Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom-
versorgung bis 2020 auf 35 Prozent und bis 2030 auf
50 Prozent erhöhen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ökohippies!)


Wir wollen das mit Ziel und Maß sowie mit Markt und
Wettbewerb erreichen. Von diesem Geist ist auch die
Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes getragen.

Deshalb glaube ich auch, dass wir den richtigen Weg
für die nächsten Jahre eingeschlagen haben und dass das
die richtige Grundlage für den Offshorenetzausbau ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721101900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Krischer?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721102000

Ja gerne, natürlich.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721102100

Bitte schön.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721102200

Herr Kollege Bareiß, Sie haben sich hier eben gegen

eine deutsche Netzgesellschaft ausgesprochen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Hat er doch gar nicht! Hat er nicht gesagt! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zuhören!)


Können Sie mir erklären, wie es möglich ist, dass im
Jahre 2009 im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb ver-
einbart worden ist, eine solche deutsche Netzgesellschaft
anzustreben? Können Sie mir auch erklären, warum Sie
jetzt, da wir Probleme mit TenneT haben, nicht die Gele-
genheit ergreifen, wie 2009 vereinbart, in eine solche
deutsche Netzgesellschaft einzusteigen?

Was ist Ihre Alternative? Sie kritisieren das, was wir
vorschlagen, haben aber keine Alternative. Sie lassen zur
Lösung dieser Frage allein die Verbraucher zahlen.


(Beifall der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(D)(B)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721102300

Lieber Herr Krischer, im Gegensatz zu Ihnen respek-

tieren wir die Eigentumsrechte. Wir haben im Koali-
tionsvertrag zwar gesagt, wir wollen prüfen, ob eine
Netzgesellschaft möglich und sinnvoll ist – das haben
wir auch getan –, aber wir können nicht in Eigentums-
rechte eingreifen und sagen: Wir nehmen den Eigen-
tümern die Netze weg und überführen sie in staatliche
Hände. Das ist nicht unser Modell.


(Zuruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit den Vorgaben, die wir jetzt im Energiewirt-
schaftsgesetz eingebaut haben, werden wir es, wie ich
glaube, schaffen, die Offshorewindparks, die wir brau-
chen, aufzubauen; und mit dem Netzentwicklungsplan,
den wir in dieser Woche gemeinsam im Beirat in der
Bundesnetzagentur besprochen haben, werden wir es
schaffen, ebenfalls die Netze Stück für Stück aufzu-
bauen, die wir brauchen – und das nicht in staatlicher
Hand, sondern in privatwirtschaftlicher Hand. Ich
glaube, das ist der richtige Weg, und er wird langfristig
auch zum Erfolg führen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721102400

Kollege Bareiß, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, dieses Mal des Kollegen Heil?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721102500

Nein, ich glaube, das Thema haben wir jetzt durch.

Ich möchte jetzt nicht weiter auf die Netze eingehen,
sondern zu dem eigentlichen Punkt kommen, nämlich
zum Thema Offshoreausbau, und mich der Frage wid-
men, welche Rolle die Offshorewindparks in den nächs-
ten Jahren spielen werden. Das ist nämlich die zentrale
Frage, die wir heute diskutieren müssen.

Die Offshorewindparks – ich glaube, es ist wichtig,
das auch noch einmal herauszustellen, weil das vorhin
teilweise falsch dargestellt worden ist – sind enorm leis-
tungsfähig und haben das höchste Potenzial in Deutsch-
land.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, bestreitet doch keiner!)


Sie sind viermal leistungsfähiger als Photovoltaikanla-
gen, also die Solarenergie, und sie sind zweimal leis-
tungsfähiger als Onshorewindräder. Das muss man doch
noch einmal sagen, Herr Heil, weil es in dieser Woche
im Ausschuss durchaus auch andere Stimmen gab, und
zwar aus Ihrem Lager,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht von der SPD!)


die gesagt haben: Wir brauchen diesen Ausbau der Off-
shorewindkraft, den sich die Koalition vorgenommen
hat, nicht. – Wir brauchen ihn aber doch, weil wir auch
in den nächsten Jahren leistungsfähige Stromerzeu-
gungsanlagen brauchen und weil wir die Kostendegres-
sion in den nächsten Jahren Stück für Stück stärker ange-
hen wollen, als wir das bisher getan haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben die Aufgabe unterschätzt! Das ist es!)


Offshorewindenergie – auch das wird in der Debatte
immer falsch dargestellt – ist eine relativ günstige Art
der Energieerzeugung und wird in den nächsten Jahren
noch günstiger werden. Wir sind schon heute, wenn man
das einmal mit den Kosten für die Förderung von Solar-
energie und anderen Energiearten im Rahmen des EEG
vergleicht, bei 9,7 Cent je Kilowattstunde. Im Vergleich
zur Onshorewindenergie mit 9,2 bzw. 9,3 Cent je Kilo-
wattstunde sind wir fast schon wettbewerbsfähig und
fast auf gleichem Niveau. Wenn man das einmal mit den
Preisen für den Ausbau der Solarenergie vergleicht, die
Sie, Herr Krischer, ständig zu verteidigen versuchen,
stellt man fest, dass wir sogar bei der Hälfte der Kosten
liegen. Ich glaube, allein das zeigt schon, dass wir im
Bereich von Offshorewindenergie und im Bereich von
Windenergieausbau ganz allgemein mehr tun müssen.

Weil wir davon überzeugt sind, dass das die richtige
Energieart ist, um zu einer Säule unserer Energieversor-
gung zu werden, wollen wir bis 2020 – auch das muss
noch einmal gesagt werden – eine Leistung von 10 Giga-
watt bei Offshorewindanlagen erreichen. Das heißt, in
zehn Jahren werden 8 bis 9 Prozent unserer Stromerzeu-
gung von Offshorewindenergieanlagen kommen. Bis
2030 wird knapp ein Viertel unserer kompletten Strom-
erzeugung von Windrädern in Nord- und Ostsee erzeugt
werden. Das wird eine große Herausforderung werden.

Um diese große Herausforderung meistern zu können,
müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen setzen, um
entsprechend schnell voranzukommen. Wir stehen ja
– auch das müssen wir verstehen – noch ganz am An-
fang dieser Technologie. Derzeit haben wir 40 Wind-
räder in Nord- und Ostsee stehen. Das heißt, wir brau-
chen hier relativ zügig eine richtige Rahmensetzung,
damit wir hier schneller vorankommen. In den nächsten
sieben Jahren müsste jeden Tag ein neues Windrad in der
Nord- und Ostsee gebaut werden, damit wir überhaupt
die Ziele erreichen können, die wir erreichen müssen,
um unser Energiekonzept erfolgreich umzusetzen.

Herr Heil, Sie haben es am Anfang Ihrer Rede richti-
gerweise gesagt, dass dies ein zentraler Bestandteil der
Wachstums- und Wohlstandsstrategie für unseren
Industriestandort sein muss und dass die Offshoretech-
nologie gerade für unsere Wirtschaft ein enormes Poten-
zial bietet.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie uns nicht katholisch! Kriegen Sie es hin!)


– Warum machen Sie denn nicht mit, wenn Sie sagen:
„Das ist gut“?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil das Unsinn ist, was Sie machen!)


– Dann hören Sie einmal auf Ihre Ministerpräsidenten.
Auch das ist ein Punkt: Sie müssen einmal mit Ihren
Ministerpräsidenten reden.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Herr McAllister ist nicht mein Ministerpräsident! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Thomas Bareiß Hören Sie einmal auf das, was Herr Sellering gestern gesagt hat!)





(A) (C)


(D)(B)


– Lesen Sie doch einmal den Brief Ihres Bremer Ober-
bürgermeisters, der uns geschrieben hat, dass wir diese
Regelung dringend brauchen, damit es mit der Offshore-
technologie vorangeht und damit sie in den nächsten
Jahren zu der Erfolgsstory wird, die wir in diesem Be-
reich haben wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD])


Insofern: Machen Sie mit! Wenn Sie sich heute ver-
weigern und die Neuregelungen zum EWG ablehnen,
gefährden Sie 15 000 Arbeitsplätze,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja marxistische Dialektik, was Sie machen!)


nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in den von
Ihnen regierten Bundesländern. Ich sage ganz bewusst
als Baden-Württemberger: Ein großer Teil der Arbeits-
plätze, die in den nächsten Jahren entstehen werden,
gerade aufgrund des Ausbaus der Offshorewindanlagen,
wird nicht nur in den Küstenregionen entstehen, sondern
vor allen Dingen auch bei den starken Anlagen- und Ma-
schinenbauern im Süden unseres Landes, die die Tech-
nologie liefern, um diesen Ausbau zu bewerkstelligen.

Ich sage noch einmal: Machen Sie mit dabei, jetzt den
Rahmen für diese Technologie zu setzen, damit wir mit
dieser Technologie, bei der wir am Anfang stehen, los-
legen können,


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch nicht im richtigen Film! Offshore gibt es seit zehn Jahren!)


indem die Risiken so verteilt werden, dass die nächsten
Jahre auch entsprechend investiert wird. Das ist doch der
Grund, warum wir dieses Gesetz machen, damit in den
nächsten Jahren investiert wird.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht in der Bibel: Du sollst nicht lügen!)


Deshalb haben wir – jetzt machen wir es einmal kon-
kret – erstens dafür gesorgt, die Netzanschlüsse besser
zu koordinieren. Es wird jetzt einen Netzentwicklungs-
plan für Offshore an Nord- und Ostsee geben.

Deshalb haben wir zweitens dafür gesorgt, dass es für
beide Seiten, für den Windparkbetreiber auf der einen
Seite, aber auch für die Netzbetreiber auf der anderen
Seite, klare Fristen gibt, wann wer was machen muss.
Das war notwendig, um hier schnell voranzukommen.
Auch hier haben wir klare Regelungen geschaffen.

Ein dritter Punkt. Wir haben versucht, die Risiken fair
auf die unterschiedlichen Akteure zu verteilen. Es gibt in
den nächsten Jahren Risiken; diese können wir nicht
wegdiskutieren. Diese Risiken können nicht allein von
Windparkbetreibern und Netzbetreibern übernommen
werden.

Der Windparkbetreiber wird seinen Teil dazu beitra-
gen, indem er auf einen Teil seiner Vergütung verzichtet.
Der Netzbetreiber wird durch einen entsprechenden
Selbstbehalt im Rahmen der Haftungsregelungen in der
Haftung sein und wird nach meiner Prognose in den
nächsten zwei Jahren 10 bis 15 Prozent der Risiken tra-
gen. Der Verbraucher allerdings wird – das tut auch uns
weh – in den nächsten vier bis fünf Jahren einen Großteil
übernehmen müssen. Dies geschieht durch eine Umlage,
die aber, wie es Minister Rösler gesagt hat, auf 0,25 Cent
pro Kilowattstunde gedeckelt ist.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wo ist eigentlich der Minister? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist der Minister geblieben? Er interessiert sich nur halb!)


Das ist aber wesentlich günstiger als viele andere Aus-
baukosten, die auf uns in den nächsten Jahren zukom-
men werden. Auch hier wird der Verbraucher von uns
geschützt, und wir versuchen, diese Kosten in den nächs-
ten Jahren erträglich auf alle Schultern zu verteilen.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten lieber den Geldbeutel der Verbraucher schützen!)


Wenn die Risiken beherrschbar und auch versicherbar
sind, wollen wir von dieser Umlage wegkommen. Dass
sich das System selbst trägt, das muss das Ziel sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es muss das Ziel sein, dass sich ein Markt bildet und
sich die Kosten durch Wettbewerb selbst tragen, zum
Beispiel indem sich entsprechende Kapitalgeber finden,
die in die Bereiche investieren, ohne dass wir staatliche
Umlagemechanismen brauchen. Nur dann macht Off-
shore langfristig Sinn, wenn die Technologieförderung,
die wir jetzt einbauen, auch zu einem langfristig tragfä-
higen System führt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist doch gegen alle Überzeugungen, die Sie sonst so vertreten!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte
jetzt noch viel zu Maßnahmen sagen, die wir im Bereich
Netzstabilität ergriffen haben. Auch hier haben wir
Dinge getan, die uns nicht immer nur Freude gemacht
haben, die auch durchaus Markteingriffe verlangten. Wir
haben auch im Bereich der Pumpspeicherkraftwerke
etwas gemacht,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder nur halb!)


was zu etwas mehr Kosten führen wird, dann aber auch
dafür sorgen wird, dass Pumpspeicherkraftwerke in den
nächsten Jahren weiter am Netz belassen werden.

Aber all die Maßnahmen, lieber Herr Krischer,
zeigen, dass wir uns jetzt Zeit nehmen müssen, um in
den nächsten Monaten gemeinsam zu überlegen, wie wir
die Systeme, die wir unter Ihrer und unserer Ägide auf-
gebaut haben, zusammenbinden. Wir müssen also Mög-
lichkeiten finden, wie wir das Energiewirtschaftsgesetz





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


und das Erneuerbare-Energien-Gesetz verbinden, wie
wir die fossile, die konventionelle Welt mit den erneuer-
baren Energien verbinden, um daraus einen Gesamt-
markt im Wettbewerb zu machen. Denn nur so wird die
Energiewende gelingen: mit mehr Markt und mehr
Wettbewerb.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Märchenstunde? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das doch und keine Planwirtschaft!)


Das muss unser Ziel sein für die nächsten zwölf Monate.

Deshalb: Packen wir das gemeinsam an! Dazu ist das
Energiewirtschaftsgesetz ein kleiner Baustein, den wir
jetzt brauchen.

Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721102600

Das Wort hat nun Johanna Voß für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Johanna Voß (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721102700

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolle-

ginnen und Kollegen! Die ergebnislose Investorensuche
des Netzbetreibers TenneT hat gezeigt: Trotz der garan-
tierten Rendite von 9,05 Prozent finden sich keine
privatwirtschaftlichen Lösungen für den Bau von Strom-
netzen. Anstatt dieses Scheitern aber einzugestehen,
setzt die Bundesregierung alles daran, auf Biegen und
Brechen doch noch eine privatwirtschaftliche Lösung zu
finden.

Bei natürlichen Monopolen wie den Stromnetzen
kann es aber keinen Wettbewerb geben. Diese privat-
wirtschaftlichen Lösungen gehen zulasten der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher. Das darf nicht sein!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber genau so ist es. Die kleinen Verbraucher, sie allein
– nicht die Großverbraucher – dürfen noch eine Umlage
zahlen: Noch einmal 0,25 Cent pro Kilowattstunde, noch
einmal 10 Euro mehr pro Familie im Jahr; bei 1 Million
Kilowattstunden wird die Umlage auf 0,05 Cent ge-
deckelt.

Immerhin, die Politik der Regierung ist konsequent.
Befreiungen für die großen Unternehmen, wo man nur
hinschaut: EEG, Netzentgelte, KWK-Umlage, Öko-
steuer – da sind Sie wirklich konsequent. Und die Bun-
desregierung weitete die Befreiungen auch noch aus.
2011 mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher
allein wegen der Netzentgeltbefreiung 229 Millionen
Euro mehr bezahlen. Vor dieser Ausweitung waren es
33 Millionen Euro. Die Befreiung der Industrie von der
EEG-Umlage macht nun schon 1 Cent vom Strompreis
aus. Das tragen die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Konsequent, aber trotzdem falsch. Das ist die Politik der
Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den Entschädigungszahlungen: Im ersten Entwurf
waren es noch 100 Millionen Euro Eigenbehalt für die
Netzbetreiber, jetzt sind es gerade einmal 17,5 Millionen
Euro. Das Lobbying der Netzbetreiber war also höchst
erfolgreich. Das erhöht natürlich die Kosten für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Aber das ist ja auch
wiederum nur konsequentes Handeln der Regierung.

Die Bundesregierung sagt, die jetzige Lösung sei
alternativlos.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Fast alles, was wir machen, ist alternativlos!)


– Hören Sie einmal auf Ihren Kommissar Günther
Oettinger. Er forderte nämlich zumindest eine Teilver-
staatlichung der Stromnetze, die auch – das hat Oliver
Krischer schon gesagt – Bestandteil des Koalitionsver-
trags war.

Es ist langsam auch für die krampfhaft an Marktdog-
men Festhaltenden offensichtlich: Stromnetze gehören
in die öffentliche Hand.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie lassen sich nicht effizient im Wettbewerb betreiben.
Handeln Sie endlich!

Stattdessen versuchen Sie nun, irgendwelchen Inves-
toren bzw. der Allianz den Einstieg in renditesichere
Stromnetze so angenehm wie möglich zu machen – wie-
derum auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Unternehmensrisiko wird auf die Verbraucher um-
gelegt; die Gewinne bleiben natürlich beim Unterneh-
men. Das machen wir nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN)


Das eigentliche Problem ist aber die Fixierung der
Bundesregierung auf die Offshoreparks. In der Anhö-
rung zur Gesetzesänderung wurde klar, dass die Ausbau-
ziele der Bundesregierung für die Offshoreparks nicht
mehr einzuhalten sind. Und nicht nur das: Sie gehören
dringend überarbeitet.

Der Zubau von Onshorewindenergie im Süden hat
schon zugenommen und wird noch erheblich zunehmen.
Das wird bisher im Energiekonzept der Bundesregierung
überhaupt nicht berücksichtigt. Solange im Netz an Land
Engpässe herrschen – auf See braucht niemand Strom –
und solange Abregelung droht, sind weitere Offshore-
parks ohnehin nicht sinnvoll.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem ist die Offshorewindenergie teuer. Die
Baukosten sind viermal so hoch wie die Baukosten für
die Onshorewindenergie. Damit ist sie nur für die großen





Johanna Voß


(A) (C)



(D)(B)


Energiekonzerne interessant. Offshorewindparks erfor-
dern riesige Investitionen. Die Technik ist nicht erprobt,
zum Teil nicht einmal vorhanden, und von daher sehr
teuer. Deshalb muss man noch abwarten.

Offshorewindkraft wird auch noch mit einem höheren
Satz gefördert als die Onshorewindkraft, nämlich bis zu
19 Cent pro Kilowattstunde. An Land sind es gerade ein-
mal 9 Cent pro Kilowattstunde.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zwölf Jahre, Frau Kollegin! Sie müssen sich das Modell angucken, damit Sie es verstehen!)


Bei der Onshorewindkraft bezahlt man die Leitung zur
Anbindung an den nächsten Einspeiseknotenpunkt auch
selbst.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Neun Jahre! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Neun Jahre! – Gegenruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch nur von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken, Herr Pfeiffer!)


Bei der Offshorewindkraft braucht man nicht für die ei-
gene Leitung zu bezahlen. Und sie trägt massiv zum ge-
planten Netzausbau bei.

Wir setzen stattdessen auf den Ausbau der erneuerba-
ren Energien, und zwar dezentral. Es geht nicht darum,
den vier großen Energiekonzernen die Profite zu sichern.
Die Stromversorgung gehört demokratisiert. Dazu ge-
hört auch die Überführung der Stromnetze zurück in die
öffentliche Hand. Wenn dann die dezentrale Erzeugung
in naher Zukunft durch Speichertechnologien und
Schwarmstrom ergänzt wird, dann minimiert das den
Netzausbaubedarf ungemein.


(Beifall bei der LINKEN)


Solche Ansätze gibt es bei der Bundesregierung nicht.
Sie macht weiter Politik zugunsten großer Unternehmen
auf Kosten aller.

Lernen Sie von unserem Projekt „PLAN B – für den
sozialökologischen Umbau“! Mit PLAN B kommen Sie
weiter.


(Ulrich Kelber [SPD]: Hat nicht Greenpeace PLAN B geschrieben?)


Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721102800

Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er erklärt uns jetzt erst einmal den Unterschied zwischen Planwirtschaft und FDP!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721102900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kolle-

gin Voß hat mein Weltbild wieder ein bisschen zurecht-

gerückt. Nachdem verzweifelt versucht wurde, es zu er-
schüttern und der Seite des Hauses, zu der ich gehöre,
Planwirtschaft zu unterstellen, hat die Linke immerhin
klar gezeigt, dass sie für Staatswirtschaft ist.

Aber in einem Punkt, liebe Kollegin Voß, war Ihre
Rede sehr ehrlich. Daran können sich insbesondere die
Grünen ein Beispiel nehmen. Sie haben nämlich gerade
gesagt, dass die Befreiungen nach dem EEG, um die in
jeder energiepolitischen Debatte heftig gestritten wird,
1 Cent von den 5,227 Cent EEG-Umlage ausmachen.


(Zuruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist ein Punkt, den Sie endlich einmal ehrlich for-
muliert haben. Insbesondere die Grünen tun nämlich im-
mer so, als würden die 5,227 Cent praktisch komplett
auf unsere Befreiungen zurückgehen.


(Beifall der Abg. Dr. Max Lehmer [CDU/ CSU] und Judith Skudelny [FDP])


Wenn man das noch weiter detailliert, lieber Herr
Krischer, dann muss man sagen, dass 0,1 Cent von dem
1 Cent auf unsere zusätzliche Ausweitung zurückzufüh-
ren ist und der Rest auf eine Befreiung, die Sie damals
gesetzlich geregelt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD])


Außerdem möchte ich darauf verweisen, dass Sie da-
mals bei einer EEG-Umlage von 0,2 Cent gesagt haben,
dass wir eine Härtefallregelung brauchen, weil wir sonst
die Industrie aus dem Land vertreiben. Wenn wir uns da-
rüber einig sind, dass das richtig ist, dann füge ich hinzu:
Es war richtig, die Härtefallregelung auszudehnen, weil
wir jetzt beim 26-Fachen dieser Umlage sind,


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war in Ihrer Verantwortung! – Weiterer Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und auch, noch ein paar andere Unternehmen mit einzu-
beziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


730 Unternehmen sind von der EEG-Umlage befreit,
weil sie in einem internationalen Wettbewerb stehen.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Wenn Sie sagen, der internationale Wettbewerb ist das
Kriterium, dann erklären Sie bei der Gelegenheit auch,
inwieweit die Straßenbahnen, der Schienenverkehr im
internationalen Wettbewerb um Strom stehen.


(Zurufe der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ulrich Kelber [SPD])


Das sollten Sie einmal erklären, wenn Sie über diese
Kriterien diskutieren.

Sie gerieren sich jetzt an einer Stelle als Marktwirt-
schaftler, an der es nicht um Marktwirtschaft geht – das





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


muss man klar sagen –, sondern darum, das zu korrigie-
ren, was letztendlich hier seine Ursache hat. Es war
Sigmar Gabriel – das meine ich nicht einmal als Vor-
wurf; ich möchte nur den Zusammenhang darstellen –,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie mal zum geplanten Gesetz!)


der in der Großen Koalition ausgehandelt hat, dass man
den Windparkprojektanten die Anschlussverantwortung
abnimmt und zu den Übertragungsnetzbetreibern verla-
gert.


(Ulrich Kelber [SPD]: Waren Sie anderer Meinung?)


– Moment, ich kritisiere es nicht. Mit Blick auf das Ziel
war das vielleicht richtig. Aber wir haben uns damit ein
Problem eingehandelt, das ich hier gerade beschreibe.
Und das lösen wir nun. Ich würde mich dann freuen,
wenn die SPD, die diese Problematik mit verursacht hat,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unsinn!)


an unserer Seite stehen würde und sich dafür einsetzen
würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Aber nicht, wenn Sie die falsche Lösung beschließen! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie gerne so! Das ist aber falsch!)


Das ist der Punkt. Sie müssen doch sagen: Jawohl, wir
haben den Schnitt gemacht; statt des Projektanten ist
jetzt der Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, den An-
schluss bereitzustellen. Jetzt schafft die Koalition die
Voraussetzungen dafür, dass der Übertragungsnetzbe-
treiber das ohne Insolvenzrisiko machen kann.

Es kann doch nicht sein, dass wir Übertragungsnetz-
betreiber zu etwas verpflichten und sie über diese Ver-
pflichtung in die Insolvenz treiben. Es kann aber auch
nicht sein, dass wir für die Beteiligten in dem Bereich ei-
nen Business Case schreiben, der für jeden aufgehen
muss, nur nicht für den Verbraucher. Die Grünen haben
hier heute, wie immer, große Töne gespuckt. Aber wenn
man Ihren diesbezüglichen Antrag liest,


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist nämlich gut! Ein super Antrag!)


stellt man fest, sie haben sich von den Übertragungsnetz-
betreibern die Feder führen lassen. Dort stehen haarklein
die Forderungen, die Ihnen die Übertragungsnetzbetrei-
ber diktiert haben. An Ihrer Stelle wäre ich ganz, ganz,
ganz kleinlaut.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An Ihrer Stelle wäre ich auch kleinlaut!)


Zu Ihrem großartigen Vorschlag, dass nicht die Ver-
braucher am Schluss die von uns gedeckelte Umlage von
0,25 Cent tragen sollten, sondern der Staat, sage ich Ih-
nen: Das sind am Ende auch wieder die Steuerzahler.
Wir alle werden es am Schluss wieder bezahlen müssen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kriegen doch einen Gegenwert!)


– Ihre Rede vom Gegenwert basiert doch auf dem genia-
len Vorschlag, in diesem Rahmen eine kalte Enteignung
zu organisieren. Das ist doch Ihre Idee.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! – Zuruf von der SPD: Quatsch! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen: Treibt die Übertragungsnetzbetreiber, organi-
siert eine kalte Enteignung und zieht die Netze an euch!


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann ist kaufen Enteignung, bitte schön?)


– Kaufen? Sie sagen: Übernehmt ein Risiko! Wenn das
Risiko nicht bedient wird, wofür man staatlich vielleicht
sorgen kann,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ein Angebot!)


dann gehören uns die Netze wieder. Sie geben auch zu,
dass Sie diese Netze haben wollen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Lesen Sie den Vorschlag doch ein einziges Mal! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie doch nicht so einen Unsinn!)


Der entscheidende Unterschied zwischen dem, was Sie
wollen, und dem, was in unserem Koalitionsvertrag zur
deutschen Netzgesellschaft steht,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was haben Sie gemacht in der Sache?)


besteht darin, dass wir eine kapitalmarktfähige Gesell-
schaft wollen,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)

an der nicht der Staat die Mehrheit hält,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Staatliche Beteiligung!)


sondern die Übertragungsnetze organisiert zusammen-
fasst. Das ist bislang am Widerstand derjenigen geschei-
tert, die die Netze haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wurden doch verkauft in der Zeit!)


Das steht klipp und klar in unserem Koalitionsvertrag.
Sie dürfen davon ausgehen, dass ich weiß, was in unse-
rem Koalitionsvertrag steht.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wissen auch, wann Sie verkauft haben!)


Das müssen Sie mir nicht sagen. Das, was die Grünen
wollen, ist etwas anderes, nämlich eine staatliche Gesell-
schaft; denn sonst könnten Sie einen solchen Finanzie-
rungsvorschlag nicht machen.


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde einmal den Antrag lesen!)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Nein, meine Damen und Herren, ich entgegne Ihnen:
Wir haben einen wohlüberlegten Entwurf vorgelegt,


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


aber keinen garantierten Business Case. Er war hart um-
kämpft, insbesondere in der Frage, wie man die Altfälle
mit einbezieht. Das wurde in der Koalition hart disku-
tiert. Wir haben gesagt: Die Unternehmen haben auf an-
derer Grundlage investiert und sind ein Risiko eingegan-
gen. Wir liefern jetzt gesetzlich eine neue Grundlage
nach. Darüber muss man reden.

Den Fall, dass die pleitegegangen wären, dass damit
das Projekt ins Stocken gekommen wäre – Sie hätten
dann natürlich plötzlich ganz anders argumentiert, sich
an der Stelle wie das Fähnlein im Wind gedreht und ge-
sagt: Da sieht man wieder mal, die wollen gar keine
Energiewende, die machen alles kaputt –, mussten wir
also berücksichtigen. Deshalb haben wir die Altfälle mit
einbezogen, aber nicht so, wie Sie es gerne hätten. Wir
haben es nicht bar jeder Haftung gemacht. Vielmehr ist
einfache Fahrlässigkeit als Haftungstatbestand weiterhin
gegeben, um Anreize für die Übertragungsnetzbetreiber
zu schaffen, eben keine Schadensfälle zu produzieren
oder diese, wenn es sie schon gibt, schnell zu beheben.

Irritiert hat mich auch das – das muss ich ganz ehrlich
sagen –, was hier zur Winterreserve gesagt wurde. Es ist
ein untauglicher Versuch, uns hier in die Ecke der Plan-
wirtschaft zu drängen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Ein sehr zutreffender!)


Diese Winterreserve ist eine Notreserve. Sie ist unum-
stritten ein markiger Eingriff. Was wir in der Energie-
wende aber jetzt gar nicht gebrauchen könnten – das
müsste doch auch in Ihrem Interesse liegen –, wäre ein
Blackout. Über die Winterreserve stellen wir sicher, dass
es dazu nicht kommt. Das sage ich als bayerischer Abge-
ordneter in vollem Bewusstsein, wen es am Ende treffen
würde, nämlich Süddeutschland, wo der Strom ge-
braucht wird.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann stellen Sie die doch einmal die Stromtrassen in Bayern fertig!)


Aber dass Sie, Herr Krischer, nun sagen, dass man
jetzt plötzlich das Umlagesystem aufgeben sollte, weg
vom Umlagesystem, hin zum Bundeshaushalt, finde ich
bemerkenswert. Sie waren doch bisher einer der Prota-
gonisten des Umlagesystems des EEG. Man sollte doch
seine bisherige Argumentation nicht schlagartig ins Um-
gekehrte drehen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht für Ihre Fehler!)


insbesondere dann nicht, wenn es um den kleinen Split-
ter im Auge geht und nicht um den großen Balken, über
den wir hier reden. Der große Balken ist die EEG-Um-
lage. Dazu habe ich das Nötige vorhin schon gesagt.


(Zurufe der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Hier muss es uns darum gehen, das Ganze wieder in die
richtige Richtung zu bringen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ist der Ruf erst ruiniert, …!)


Im Übrigen: Sie sagen, wir brauchen einen Kapazi-
tätsmarkt. Ja, lassen Sie uns darüber reden. Ich habe von
Ihrer Seite allerdings noch keine Vorschläge dazu ge-
hört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen bildet!)


Außer Subventionen fällt Ihnen nichts ein. Ich sage Ih-
nen, wir müssen Folgendes tun: Wir müssen in Zukunft
diejenigen, die große, fluktuierend einspeisende EEG-
Anlagen bauen, dazu verpflichten, Ersatzkapazitäten in
einem noch zu definierenden Umfang bereitzuhalten.
Das werden die Nachfrager sein. Die müssen Zertifikate
an den Gaskraftwerken kaufen. Auf diese Art und Weise
kriegen wir auf der einen Seite eine marktgerechte Lö-
sung – für die waren Sie; ich bin gespannt, ob Sie auch
dann noch dafür sein werden, wenn man die zwei Dinge
zusammenbringt – und auf der anderen Seite eine Kom-
bination von erneuerbaren Energien und fossilen Ersatz-
kapazitäten. Letztere brauchen wir, auch wenn die Grü-
nen so tun, als ob das morgen zu 100 Prozent mit
erneuerbaren Energien zu schaffen wäre.

Wir stellen uns den Problemen, die es an der Stelle
gibt. Ich würde mich freuen, wenn Sie es auch tun; Sie
haben es lange genug nicht gemacht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721103000

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721103100

Herr Präsident, schlagartig. – Ihre Energiewende be-

stand aus der Formulierung dessen, was Sie nicht wol-
len, nämlich die Kernenergie,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wollen Sie denn die Kernenergie?)


und dem undifferenzierten und extrem teuren Aufbau
von erneuerbaren Kapazitäten. Ansonsten haben Sie
dazu bisher keinen Beitrag, außer Verweigerung, geleis-
tet. Hören Sie damit auf!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe der Abg. Rolf Hempelmann [SPD] und Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721103200

Das Wort hat nun Rolf Hempelmann für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1721103300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

habe mal gelernt, Herr Nüßlein: Wer so laut schreit wie
Sie, der hat eigentlich erkannt, dass er einen Fehler ge-
macht hat. Das ist ja dann immerhin schon mal ein Fort-
schritt. Das ist auch eine Basis, auf der wir uns verstän-
digen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Bei den Zwischenrufen! Ich habe ein wenig Herzblut eingebracht!)


Sehr geehrter Herr Minister Rösler, Sie haben hier
heute noch einmal das gesagt, was auch der ehemalige
Bundesumweltminister Röttgen hier mehrfach behauptet
hat. Aber auch bei ihm hat es nicht zur Steigerung seiner
Glaubwürdigkeit beigetragen. Sie beide sagten nämlich,
dass Rot-Grün mit Energiewende nichts am Hut gehabt
habe, jedenfalls mit dem Systemumbau nicht begonnen
habe, und dass Sie jetzt damit anfingen, die richtige Ar-
beit zu leisten.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Stimmt doch!)


Richtig ist: Die Energiewende hat im Jahre 2000 be-
gonnen, und zwar mit einem nie beklagten einvernehm-
lichen Ausstieg aus der Atomenergie, im Einvernehmen
auch mit den betroffenen Unternehmen, und mit dem
gleichzeitigen Aufwuchs der erneuerbaren Energien, der
dank des EEG möglich wurde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Systemumbau – das heißt im Wesentlichen der
Ausbau der Netze, aber sicherlich auch ein erster Aus-
bau von Speicherkapazitäten – und der Ausbau des Last-
managements, also die Sicherstellung von Flexibilität
mit Blick auf die Nachfrageseite, konnten damals nicht
erfolgreich beginnen. Warum? Weil Ihre Vorgänger von
Schwarz-Gelb damals ankündigten: Wenn wir an die Re-
gierung kommen, dann sorgen wir für eine Laufzeitver-
längerung der Atomkraftwerke.


(Zuruf von der SPD: Genau! – Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch!)


Unsere Fraktion hat in den letzten Wochen Gespräche
unter anderem mit den Betreibern von Atomkraftwerken
geführt. Dabei haben wir interessante Einschätzungen ge-
liefert bekommen. In nuce: Es wäre besser gewesen – so
sagen die Vertreter dieser großen Unternehmen –, man
hätte nicht auf diese im Jahr 2000 hingehaltene Wurst
geschaut, sondern man hätte zu dem gestanden, was man
unterschrieben habe, nämlich den Atomausstieg.


(Beifall bei der SPD)


Es hätte im Ergebnis dazu geführt, dass diese vier
Energieversorgungsunternehmen schon im Jahr 2000 da-
mit begonnen hätten, einen konstruktiven Beitrag für
eine Energiewende zu leisten, ihr Geschäftsmodell zu
überprüfen, in Speicher, in Netze, in Lastmanagement zu

investieren. Das ist nicht geschehen. Dafür tragen Sie
und Ihre Vorgänger die Verantwortung.


(Beifall bei der SPD)


Dann haben Sie im Jahr 2010 etwas beschlossen, von
dem Sie damals überzeugt waren und von dem viele von
Ihnen auch heute noch überzeugt sind, nämlich die Lauf-
zeitverlängerung für die Atomkraftwerke. Ein halbes
Jahr später ist genau das Gegenteil passiert. Wenn ich
heute mit einigen von Ihnen rede – manche sind ja bei
einem Glas Bier oder einem Glas Wein ehrlich –, dann
erfahre ich, dass viele von Ihnen nach wie vor der Auf-
fassung sind, dass der Beschluss von 2010 richtig und
der von 2011 falsch war.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist jetzt entschieden!)


Wenn dem so ist, wenn also so wenig Überzeugung
hinter der Energiewende steht, dann dürfen wir uns nicht
wundern, dass Sie kein Konzept haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben kein energiepolitisches Konzept, kein Konzept
zum Systemumbau. Deswegen reagieren Sie nur; Sie
agieren nicht. Immer dann, wenn sich ein Problem auf-
tut, betreiben Sie Flickschusterei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das zeigt sich beispielhaft an dem Gesetzentwurf, den
Sie uns heute vorlegen. Bei Offshore – einer Technolo-
gie, zu der wir stehen und von der wir sagen, dass wir sie
brauchen – haben Sie den Karren vor die Wand gefahren.
700 Arbeitsplätze werden beispielsweise bei den Nord-
seewerken wegfallen. Viele Hundert Arbeitsplätze sind
gefährdet, weil Unternehmen Insolvenz anmelden muss-
ten. Das hat mit den Rahmenbedingungen zu tun, die Sie
gesetzt haben und die Sie jetzt durch Flickschusterei zu
ändern versuchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, diesen Schuh müssen Sie
sich schon anziehen. Wir haben ein Gespräch mit dem
Bankenverband geführt. Der sagt: Was Sie in den letzten
Jahren gemacht haben, führt jetzt dazu, dass Kapital für
die Projekte im Offshorebereich aus Deutschland abge-
zogen wird und zum Beispiel an die britische Küste ge-
lenkt wird, also dahin, wo der Staat offenbar Rahmenbe-
dingungen setzt, die attraktiver sind als das, was Sie
unternommen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt versuchen Sie, Lösungen anzubieten, bei denen
wieder einmal insbesondere der Kunde zur Kasse gebe-
ten wird. Wir haben vorgeschlagen – erinnern Sie sich
einmal daran, was in Ihrem Koalitionsvertrag steht –, die
Basis für eine deutsche Netz AG zu schaffen. Dabei geht
es nicht um Enteignung. Ihre Reaktion ist doch der Ver-





Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)


such, einen Vorschlag zu desavouieren, der eigentlich
schon einmal Ihr eigener war.


(Beifall bei der SPD)


Die Union, insbesondere Ihre beiden Wirtschafts-
minister in der damaligen Legislaturperiode, war nicht
kraftvoll genug, diesen Vorschlag in der Großen Koali-
tion voranzutreiben. Anschließend haben Sie diesen Vor-
schlag trotzdem in Ihren Koalitionsvertrag hineinge-
schrieben. Jetzt wollen Sie das Ganze wiederum nicht
umsetzen, obwohl Herr Homann von der Bundesnetz-
agentur am letzten Montag deutlich gemacht hat, dass
eine Netz AG mindestens Plan C ist. Wenn Ihr Vorhaben
scheitert, dann muss man ernsthaft darüber reden, dass
der Staat über die KfW an einer solchen Netzgesellschaft
sukzessive beteiligt wird. Stellen Sie sich dieser Auf-
gabe!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Johanna Voß [DIE LINKE])


Auch die Art und Weise, wie Sie mit Blick auf die
Versorgungssicherheit im Kraftwerkspark vorgehen, ist
genau die gleiche Reaktion auf Probleme, die Sie offen-
bar gar nicht erwartet haben. Wie Sie hier agieren, das ist
schon erstaunlich. Das müssen sich die Liberalen schon
anhören: Wenn es in diesem Zusammenhang um Stillle-
gungsverbote geht, also um einen Zwangsbetrieb, dann
ist das eine Handschrift, die man gerade von den Libera-
len nicht erwartet hätte. Das wird man in diesem Hause
wohl sagen dürfen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie dürfen alles sagen!)


Es gab bei Ihnen sogar Überlegungen, den Unterneh-
men in die Vertragsgestaltung reinzureden: Sie wollten
Gaskraftwerksbetreiber zwingen, von relativ lukrativen
Verträgen mit unterbrechbarem Gasbezug Abstand zu
nehmen und auf eine konstante Belieferung umzu-
schwenken, die nun einmal teurer ist. Die Koalitions-
fraktionen haben Gott sei Dank erkannt, dass dies keine
Problemlösung gewesen wäre, sondern nur eine Pro-
blemverlagerung in jeweilige Nachbarregionen, weil
nämlich die Transportkapazitäten im Gasnetz überhaupt
nicht gereicht hätten, um alle Gaskraftwerke konstant
mit Gas zu beliefern. Zumindest ist dieser Unsinn jetzt
aus dem Gesetz heraus.

Herr Rösler, Sie selbst haben heute Morgen gesagt:
Wir brauchen einen Masterplan für die Energiewende. –
Herzlichen Glückwunsch, dass Sie das jetzt, nach Jah-
ren, feststellen. Wir haben ihn seit Jahren gefordert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Legen Sie einen solchen Masterplan dann auch vor!
Schlagen Sie der Bundeskanzlerin bitte gleichzeitig vor,
eine Stelle einzurichten, die die Energiewende koordi-
niert.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie es doch selber!)


Das können Sie nicht, das kann Herr Altmaier nicht;
denn Sie verstehen sich als Konkurrenten. Das kann
auch kein anderer Bundesminister. Das muss der Kanz-
leramtsminister machen, der die Koordinierung der
Energiepolitik im Kanzleramt übernimmt, der die Regie-
rung in dieser Frage zusammenhält, der mit den Bundes-
ländern dafür sorgt, dass es eine stimmige Energiepolitik
in unserem Land gibt, und der in Brüssel in Sachen
Energiepolitik mit einer Stimme für Deutschland spricht


(Beifall bei der SPD)


und damit dafür sorgt, dass unsere und die europäische
Energiepolitik zusammenpassen. Passiert dies nicht,
werden nicht mehr Sie Energiepolitik machen, sondern
dann macht Brüssel das für Sie. Das konnten wir in die-
ser Woche schon eindrücklich nachlesen. Also handeln
Sie endlich! Kündigen Sie nicht nur an und reden nicht
nur!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721103400

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist

Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1721103500

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Als letz-

ter Redner hat man die Chance, mit ein paar Unwahrhei-
ten aufzuräumen; denn es gibt Punkte, die sich als offen-
sichtlich völlig falsch erwiesen haben und die daher
nicht zu einer redlichen Argumentation passen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Jetzt fall aber deinem Minister nicht in den Rücken!)


Herr Hempelmann, Sie glauben ja wohl selbst nicht,
dass im rechten Teil dieses Hohen Hauses Kollegen sit-
zen, die der Meinung sind, dass der Ausstiegsbeschluss,
also der Beschluss zur Energiewende, vom 30. Juni ver-
gangenen Jahres rückgängig zu machen ist. Das ist nicht
der Fall, und wenn ich das sage, dann können Sie mir
das auch glauben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Breil [FDP])


Kolleginnen und Kollegen, es wurde auch schon mit
dem Märchen aufgeräumt, welches die Grünen hier in
der vergangenen Debatte verbreitet haben. Herr
Krischer, hoffentlich haben Sie jetzt verstanden, dass Ihr
Argument falsch ist; denn die Befreiung der mittelstän-
dischen Unternehmen von der EEG-Umlage spielt bei
der Erhöhung dieser Umlage auf 5,277 Cent je Kilowatt-
stunde so gut wie keine Rolle.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht verstanden!)


– Sie werden es auch nicht verstehen, weil Sie es nicht
verstehen wollen. –





Franz Obermeier


(A) (C)



(D)(B)



(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Ihren Satz habe ich nicht verstanden!)


Das, was Sie betreiben, ist Volksverdummung in Rein-
kultur.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nach neuesten Berechnungen fallen nur 0,1 Cent je Ki-
lowattstunde aufgrund der Tatsache an, dass 730 mittel-
ständische Unternehmen, die überwiegend im internatio-
nalen Wettbewerb stehen, eine Vergünstigung erhalten –
mehr nicht. Was Sie erzählen, ist einfach nicht seriös.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es ist falsch! Eine Lüge!)


Kolleginnen und Kollegen, wenn ich die ganze De-
batte Revue passieren lasse, dann fällt mir Folgendes
ein: Die gesamte Opposition hat am 30. Juni 2011 der
Energiewende zugestimmt


(Rolf Hempelmann [SPD]: Nein, dem Atomausstieg!)


und stiehlt sich jetzt, wo die Folgen sichtbar werden, aus
der Verantwortung gegenüber den Bürgern; die Strom-
preiserhöhungen und weitere negative Effekte waren da-
mals absehbar.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es dann vorgeschlagen? Was ist denn bei Ihnen los?)


Es war doch nicht so, dass wir nicht wussten, wie sich
alles entwickeln wird.

Wir wussten doch, dass wir mit den Märkten größte
Probleme bekommen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mit der Marktwirtschaft Probleme! Das ist mir auch schon klar!)


Wir wussten, dass die Betreiber fossiler Kraftwerke auf
Basis von Gas und Kohle Probleme bekommen werden;
denn wenn sie aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren
Energien nur zeitweise ihren Betrieb aufnehmen müssen,
dann geraten sie in existenzielle Nöte.


(Ulrich Kelber [SPD]: Trotzdem haben Sie nichts gemacht!)


Das alles wussten wir, und trotzdem haben wir dem zu-
gestimmt, weil wir der Überzeugung waren und heute
noch sind, dass es – wenn auch nur unter Opfern – mög-
lich ist, den Umstieg von der herkömmlichen Energie-
erzeugung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu
schaffen. Wenn wir aber den Bürgerinnen und Bürgern
den Eindruck vermitteln, dass die Umstellung billig
wird, dann ist das falsch. Das zeigt sich jetzt an den ge-
stiegenen Energiepreisen.

Lassen Sie mich etwas Thema Bundesnetzagentur sa-
gen. Die Probleme, die zum Beispiel TenneT hat, sind
zum Teil ökonomischer Natur,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und lange bekannt!)


sie sind zum Teil aber auch technischer Natur. Wenn die
Lieferanten nicht liefern können, weil die Produktion der
Leitungen nicht vorankommt, dann kann man das
schlecht dem Betreiber anlasten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie die Netzan-
schlüsse für die Offshorewindparks gewährleistet wer-
den können.

Nebenbei bemerkt, Herr Beckmeyer: Wir sind der
Überzeugung, dass die Energiewende nur gelingen kann,
wenn wir den Ausbau der Offshorewindparks so hinbe-
kommen, wie die Kollegen der CDU/CSU das vorhin
beschrieben haben. Deswegen haben wir im Gesetzent-
wurf für Planungssicherheit für diejenigen gesorgt, die
Offshorewindparks bauen wollen. Ihnen müssen wir die
Unsicherheit nehmen. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis,
dass eine Garantie über einen Zeitraum von vier oder
fünf Jahren den planenden Unternehmen wenigstens
mittelfristig hilft, ihre Anlagen in Betrieb nehmen zu
können.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie eigentlich schon einmal am Meer?)


Mit Sicherheit werden in diesem Bereich keine Ar-
beitsplätze wegfallen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das passiert schon! – Ulrich Kelber [SPD]: Schauen Sie aufs Papier! Sie haben den Faden verloren!)


Was haben Sie uns nicht schon alles über die Gefähr-
dung von Arbeitsplätzen erzählt! Herr Heil, lesen Sie
nach, welchen Unfug Sie in Bezug auf den Photovoltaik-
ausbau behauptet haben. Dabei wurde in den Zeiträu-
men, in denen wir die Reduzierung der Vergütungssätze
vorangetrieben haben, der Bereich Photovoltaik in ei-
nem Ausmaß ausgebaut wie noch nie zuvor.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Ausbau hat sich deutlich verstärkt. Trotzdem
kommen Sie mit Ihrem Argument von den Arbeitsplät-
zen. Ich sage Ihnen: Wer von der produzierenden deut-
schen Wirtschaft nur auf den deutschen Markt, auf die
deutsche Gesetzgebung und möglicherweise auf eine
rot-grüne Mehrheit setzt, der setzt auf das falsche Pferd.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, Sie rechnen auch schon damit!)


Zu einer rot-grünen Mehrheit wird es aber nicht kom-
men.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da fallen Arbeitsplätze in Niedersachsen weg! Jetzt schon! – Zuruf von der FDP: Zuhören!)






Franz Obermeier


(A) (C)



(D)(B)


Ich bin felsenfest davon überzeugt: Das Gesetz, das
wir heute beschließen, gibt der Industrie Planungssicher-
heit. Dieses Gesetz steigert die Versorgungssicherheit für
den deutschen Verbraucher. Herr Minister, es ist ein gu-
tes Gesetz, und deswegen werden wir es jetzt beschlie-
ßen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721103600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung energiewirtschaftlicher Vorschriften. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11705,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sachen 17/10754 und 17/11269 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Beratung angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag
der SPD auf Drucksache 17/11720. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Lin-
ken abgelehnt.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/11721. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den gleichen
Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d sowie
die Zusatzpunkte 3 a und b auf:

4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet
Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Menschenwürde von Flüchtlingen ist
migrationspolitisch nicht relativierbar – Kon-
sequenzen aus dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Asylbewerberleistungsge-
setz ziehen

– Drucksache 17/11663 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz
Kuhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asyl-
bewerberleistungsgesetzes

– Drucksache 17/1428 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 17/10198 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Markus Kurth

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Ulla Jelpke, Jan Korte, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Menschenwürdiges Existenzminimum für alle –
Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen

– Drucksachen 17/4424, 17/10198 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Markus Kurth

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Auf Flüchtlingsproteste reagieren – Residenz-
pflicht abschaffen

– Drucksache 17/11589 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss 
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Anette Kramme, Elke Ferner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Menschenwürdige Lebensbedingungen für
Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie
Geduldete sicherstellen – Asylbewerberleis-
tungsgesetz reformieren

– Drucksache 17/11674 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Innenausschuss 
Rechtsausschuss 
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Gesundheit 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 
Haushaltsausschuss





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit,
Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende
und Geduldete

– Drucksachen 17/5912, 17/11716 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu ihrem
Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag eingebracht,
über den wir später namentlich abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721103700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem

Sommer war es wie so oft: Initiativen der Bundesregie-
rung finden beim Bundesverfassungsgericht meistens
keine Unterstützung. Das ist gut so. Im Juli dieses Jahres
hat das Bundesverfassungsgericht in einer bahnbrechen-
den Entscheidung ganz klar gesagt: Auch für Asylbe-
werber gilt, dass das menschenwürdige Existenzmini-
mum irgendwelchen migrationspolitischen Zielen nicht
zugänglich ist. Es sagte auch: Die Menschenwürde darf
migrationspolitisch nicht relativiert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das heißt: Das menschenwürdige Existenzminimum ist
immer das gleiche, egal ob es sich um Deutsche, Nicht-
deutsche, Flüchtlinge oder um wen auch immer handelt.

Ich fand diese Entscheidung beachtlich. Ich meine,
dass der Grundsatz der Nichtrelativierbarkeit der Men-
schenwürde auch für viele andere flüchtlingsrechtliche
Fragen gelten muss. Diesem Grundgedanken trägt unser
heutiger Antrag Rechnung.

Ich will des Weiteren die Residenzpflicht nennen, ein
in Europa einzigartiges System. Angesichts der deut-
schen Geschichte kann man zu einer solchen Aufent-
haltsbeschränkung, die mit Blick auf Gesundheitsver-
sorgung, kulturelle Feste und Religionsausübung eine
Einschränkung darstellt, nur sagen: So geht man mit
Flüchtlingen nicht um.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das muss man schon feststellen: In Deutschland unter-
liegen die Schutzsuchenden und Flüchtlinge wirklich
einschneidenden Beschränkungen.

Was mich dabei besonders ärgert, ist, dass Frau
Merkel, die Bundeskanzlerin, immer mal wieder so tut,
als sei das nicht so. Bei der Eröffnung des Mahnmals für
die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
sagte die Bundeskanzlerin – ich zitiere –:

Sinti und Roma leiden heute erneut unter Ausgren-
zung und Ablehnung. Nicht nur die Politik, jeder
Einzelne ist aufgerufen, sich jedweder Art von Dis-
kriminierung zu widersetzen.

Folgen wir doch diesen Sätzen, und fangen wir hier und
heute bei der Politik an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bundesinnenminister war wieder ignorant. Er hat
nämlich faktisch am gleichen Tag diesen Sätzen zuwi-
dergehandelt. –


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute ist er nicht ignorant, sondern abwesend!)


Wie ich sehe, hat er es nicht nötig, heute hier zu sein – er
ist ja auch „nur“ für Flüchtlinge zuständig –; das wun-
dert uns bei diesem Bundesinnenminister kaum, oder?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dazu gehört schon ein gehöriges Maß an Chuzpe.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da sitzt der Staatssekretär!)


– Ja, aber der Staatssekretär ist der Staatssekretär, und
der Bundesinnenminister ist der Bundesinnenminister.
So viel darf schon sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das sage ich auch, weil Herr Friedrich zeitgleich am Tag
der Rede von Frau Merkel Flüchtlingen aus Serbien und
Mazedonien, die zum überwiegenden Teil der Minder-
heit der Roma angehören, pauschal Asylmissbrauch vor-
geworfen hat.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat er ihnen nicht vorgeworfen!)


Fangen wir bei der Politik an. Ich sage Ihnen: Den
Worten müssen auch Taten folgen. Man kann nicht argu-
mentieren, das Boot sei voll, wie Herr Friedrich das tut.
Man kann auch nicht behaupten, bei den Sinti und Roma
handele es sich um Wirtschaftsflüchtlinge.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Doch, natürlich!)


Das ist nicht nur falsch, es ist auch verfassungswidrig,
wenn er daraus ableiten will, dass die Rechte dieser





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


Menschen, anders als das Bundesverfassungsgericht es
gesagt hat, beschränkt werden sollen.

Schauen wir uns doch einmal an, wie es den Men-
schen dort geht. Wir wissen, dass Europas Institutionen
tatsächlich sagen: Wenn man wegen seiner Herkunft dis-
kriminiert und verfolgt wird, dann ist das auch ein Asyl-
grund. – Der Dritte Bericht zur Visaliberalisierung der
Europäischen Kommission hat erneut festgestellt, dass
die Roma in der EU und auch außerhalb der EU in Ser-
bien und Mazedonien ständigen Diskriminierungen aus-
gesetzt sind.

Meine Damen und Herren, gucken Sie sich das ein-
mal an: Kindern und Jugendlichen wird der Zugang zu
Bildung verweigert. Menschen leben in irgendwelchen
Hütten, die garantiert nicht würdevoll sind und – beson-
ders im Winter – kein gesundes Leben zulassen. Da gibt
es Menschen, die von Arbeit ausgeschlossen werden.
Die Diskriminierung von Roma geht in Europa so weit,
dass man sagen kann: Es gibt pogromartige Ausschrei-
tungen gegen diese Minderheit.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist glatt falsch! Wo gibt es das denn?)


Wer dann noch sagt, das sei Asylmissbrauch und es
seien Wirtschaftsflüchtlinge, der liegt schlicht und ein-
fach falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich gönne Ihnen eine Reise nach Serbien und Maze-
donien. Fahren Sie in östliche EU-Mitgliedstaaten. Dann
erleben Sie, was Menschen dort widerfährt. Ich habe
ganz normale Bürger aus diesem Land erlebt, die gesagt
haben, dass ihnen die Tränen in den Augen standen, weil
so etwas in Europa möglich ist. Ursache für diesen Miss-
stand ist die Herkunft dieser Menschen.

Deshalb ist eines klar: Das Asylbewerberleistungsge-
setz relativiert in der Praxis die Menschenwürde. Es
muss weg. Denken Sie allein daran, dass Gutscheine
ausgegeben werden, mit denen Asylsuchende nur in be-
stimmten Läden einkaufen dürfen, wobei sie nicht ein-
mal das Wechselgeld zurückerhalten. Denken Sie daran,
dass Asylsuchende bei akuten Erkrankungen zwar eine
ärztliche Notfallversorgung bekommen, aber in dem
Fall, dass sie traumatisiert sind, keine entsprechende
Grundversorgung erhalten. So geht man mit Menschen
nicht um.

Deshalb muss dieses Asylbewerberleistungsgesetz
weg. Asylsuchende sind Menschen mit gleicher Würde
und mit den gleichen Bedürfnissen, was das Existenz-
minimum angeht. Sie sollen sich in diesem Land bewe-
gen können. Sie sollen eines Tages auch erwerbstätig
sein. Man muss ihnen eine Perspektive bieten. Wem sage
ich das? Sie haben das „C“ für „christlich“ in Ihrem Par-
teinamen. Lassen Sie dem auch Taten folgen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721103800

Das Wort hat nun Peter Tauber für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1721103900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Künast, Dinge werden meistens nicht richtiger, wenn
man sie pauschal formuliert und einfach so in den Raum
stellt. Diesen Eindruck hatte ich bei vielen Ihrer Ausfüh-
rungen, denen ich eben zuhören durfte. Ehrlich gesagt,
man hat nicht immer den Eindruck, dass Sie hier Red-
lichkeit an den Tag legen und dass es Ihnen wirklich nur
um die Flüchtlinge und um die Asylbewerber geht. Sie
machen hier eine ganz schöne Show; das müssen Sie
sich an dieser Stelle deutlich sagen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung misst diesem Thema allein des-
halb eine hohe Bedeutung bei, weil nicht nur der Staats-
sekretär aus dem Innenministerium anwesend ist, son-
dern auch die für das Asylbewerberleistungsgesetz
zuständige Ministerin. Das zeigt, dass wir das Thema
sehr ernst nehmen und uns diesem Thema mit Sachlich-
keit zuwenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Damit bin ich bei meinem ersten Punkt. Es ist klar:
Unsere Verfassung, das Grundgesetz, gibt uns den Hand-
lungsrahmen vor. Das Recht auf Asyl für Menschen, die
aus Gründen der Herkunft, aus religiösen oder politi-
schen Gründen verfolgt werden, hat nicht nur für uns in
der Bundesrepublik historisch einen hohen Stellenwert.
Diesen Stellenwert hat es auch in Europa. Es ist ein
Grundrecht, das wir Menschen gemeinsam in Europa ge-
währen wollen, die aus den genannten Gründen unter
Verfolgung leiden oder von Verfolgung bedroht sind.

Ich glaube – an der Stelle haben Sie vielleicht recht –,
dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwar-
ten, dass wir, wenn wir den Rahmen setzen, dieses
Grundrecht ernst nehmen und die Rahmenbedingungen
dafür schaffen, dass Menschen, auf die diese Vorausset-
zungen zutreffen, in Deutschland Hilfe finden. Die Bür-
ger erwarten aber eben auch, dass wir eine Antwort da-
rauf geben, was wir mit Menschen machen, die sich zu
Unrecht auf das Asylrecht berufen.


(Elke Ferner [SPD]: Eigentlich reden wir heute über das Asylbewerberleistungsgesetz!)


Deswegen muss man sich genau anschauen, wie eine
Regelung aussieht, die den betroffenen Menschen auf
Dauer hilft – das ist ganz wichtig –, aber die darüber hi-
naus eine Antwort auf diese von mir formulierte Frage
gibt.

Es tut ganz gut, sich einmal an den Ursprung der jetzt
gültigen Regelung zurückzuerinnern. Warum gibt es das
Sachleistungsprinzip? Warum gibt es die Residenz-





Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)


pflicht? Sie ist zum Teil bereits gelockert und wurde in
manchen Bundesländern abgeschafft. Das Sachleis-
tungsprinzip gibt es, weil wir Anfang der 90er-Jahre, als
fast eine halbe Million Asylbewerber pro Jahr zu uns ka-
men,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wo denn?)


festgestellt haben, dass das an sie ausgezahlte Geld nicht
von den Flüchtlingen und Asylbewerbern selbst genutzt
wurde, sondern dass sie es an diejenigen, die sie ins
Land geschleppt hatten, abgeführt haben.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: So ein Unsinn!)


Es waren oft Menschen, die sich nicht auf das Asylrecht
berufen konnten, weil die entsprechenden Gründe nicht
vorlagen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bodenlos!)


– Sie können „Bodenlos“ dazwischenrufen, so oft Sie
wollen.

Reden Sie einmal mit den Kommunalpolitikern, die
Anfang der 90er-Jahre dafür zuständig waren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Reden Sie einmal mit denjenigen, die sich damals in den
Kommunen bemüht haben, für Asylbewerber und
Flüchtlinge menschenwürdige Rahmenbedingungen zu
schaffen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Reden Sie mal mit den Flüchtlingen!)


Reden Sie einmal mit denjenigen, die sich in den 90er-
Jahren ehrenamtlich um Flüchtlinge bemüht haben.


(Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Präsident, ich glaube, jemand möchte eine Zwi-
schenfrage stellen. – Reden Sie einmal mit diesen Perso-
nen. Dann werden Sie genau das berichtet bekommen.
Wie viele Menschen haben damals ehrenamtlich gehol-
fen, weil die staatlichen Leistungen, die wir den Flücht-
lingen gewährt haben, gar nicht bei ihnen ankamen, weil
sie das Geld an andere abgeliefert haben? Das gehört zur
Wahrheit dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Was haben Sie denn getan gegen Schlepperbanden außer Diffamieren?)


Jetzt so zu tun, als ob das Sachleistungsprinzip ein reines
Gängelungsinstrument sei, ist falsch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721104000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Beck?


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1721104100

Ja, gerne. – Vielleicht könnten Sie jetzt einmal Ihre

Zwischenrufe unterlassen, damit ich die Zwischenfrage
verstehen kann. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine Anmerkung fürs Protokoll!)


Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Kollege, manchmal tut es dem Deutschen Bun-
destag ganz gut, wenn es noch ein paar ältere Kollegen
im Haus mit einem historischen Gedächtnis gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben von der Situation zu Beginn der 90er-Jahre
gesprochen. Ist Ihnen bewusst, dass die großen Zugangs-
zahlen von Flüchtlingen, die wir in der Tat Anfang der
90er-Jahre hatten, eine Folge des Zerfalls und der krie-
gerischen Auseinandersetzungen auf dem Westbalkan
waren,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Rumänien! Bulgarien!)


und insofern diese hohen Zugangszahlen in Deutschland
eine Folge des Krieges vor der eigenen Haustür waren


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


und nicht etwa der regelmäßig, jährlich wiederkehrende
Zugang von Flüchtlingen aus aller Welt in Größenord-
nungen von Hunderttausenden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD] – Dr. HansPeter Uhl [CDU/CSU]: Schwarzafrika!)



Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1721104200

Frau Kollegin, ich bin für die Frage sehr dankbar.

Auch ich habe durchaus ein gewisses historisches Wis-
sen, das ich einbringe, weil ich in der Zeit ehrenamtli-
cher Kommunalpolitiker war. Ich kann mich daran erin-
nern, dass es in meiner Region nicht nur in den
Kommunen sehr große Bemühungen gab, Flüchtlinge
und Asylbewerber unterzubringen, sondern dass es auch
große zentrale Sammellager gab.


(Rüdiger Veit [SPD]: Überflüssigerweise!)


Ich kann zumindest nicht in Abrede stellen, dass Ihre
Ausführungen für einen Teil dieser Menschen zutreffen,
aber eben nur für einen Teil. Ein ganz großer Teil kam
aus anderen Regionen dieser Welt. Insofern stimmen Ih-
ren Ausführungen nicht ganz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!)


– Wir können nachher gern die Zahlen nebeneinander le-
gen und vergleichen, Frau Kollegin. – Ich kann also das
nicht bestätigen, was Sie hier ausgeführt haben. Sie ver-
suchen, damit einen bestimmten Eindruck zu erwecken.





Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)


Worum geht es jetzt? Jetzt geht es darum, dass wir et-
was tun,


(Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn?)


um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – es
geht um ein Urteil aus dem Juli dieses Jahres – umzuset-
zen. Das Arbeits- und Sozialministerium hat sehr gute
Erfahrungen damit gemacht, Regelbedarfe zu entwi-
ckeln, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
entsprechen. Sie hätten das alles unter Rot-Grün machen
können; Sie haben es aber nicht gemacht.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sehr richtig! – Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn? Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag?)


Insofern sollte man sich, wenn man mit dem Finger auf
andere zeigt, immer auch fragen, wie viele Finger der ei-
genen Hand auf einen selbst zurückzeigen.


(Elke Ferner [SPD]: Was ist denn Ihr konkreter Vorschlag?)


Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Ministerin ge-
meinsam mit den Koalitionsfraktionen eine Regelung
vorlegen wird,


(Elke Ferner [SPD]: Wann denn?)


die den Vorgaben des Gerichts gerecht wird, sodass wir
dann einen Regelsatz haben werden, der die Bedarfe der
betroffenen Menschen genau abbildet


(Elke Ferner [SPD]: Wann denn genau?)


und der – ich glaube, das kann man schon jetzt sagen –
deutlich höher sein wird als der bisherige.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721104300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Veit?


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1721104400

Nein, jetzt nicht; herzlichen Dank.


(Elke Ferner [SPD]: Feigling!)


Es bleibt dabei: Was das Asylbewerberleistungsrecht
betrifft, werden wir Ihnen eine Regelung vorlegen,


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wann denn endlich? Wie lange soll das denn noch dauern?)


die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ent-
spricht und die Bedarfe der Menschen genau abbildet.
Wir wollen ermöglichen, dass die Menschen für die
Dauer ihres Asylverfahrens in Deutschland Zuflucht fin-
den und ein Auskommen haben.

Aus meiner Sicht mangelt es Ihnen in dieser Debatte
an Redlichkeit. Sie erwecken nämlich permanent den
Eindruck, als ginge es Asylbewerbern und Flüchtlingen
in Deutschland schlechter als in den Ländern, aus denen
sie zu uns gekommen sind.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber das ist doch nicht der Maßstab!)


Das geht, wie ich finde, an der Wirklichkeit vollkommen
vorbei. Nach wie vor gibt es unheimlich viele ehrenamt-
liche Initiativen, die Flüchtlinge begleiten. Die Bürger-
meister und die kommunalen Verantwortlichen, die ich
kenne, kümmern sich mit großer Mühe und Sorgfalt da-
rum, die notwendigen Rahmenbedingungen in ihrer
Kommune zu schaffen, dabei auch die Bevölkerung mit-
zunehmen und für die notwendige Sensibilität und das
entsprechende Bewusstsein vor Ort zu sorgen; auch das
ist, glaube ich, ein wichtiges Signal. In der Diskussion
ist ja ständig die Rede davon, dass hier verschiedene
politische Ebenen ineinandergreifen: Auf der einen Seite
dürfen wir die Kommunen bei der Bewältigung der He-
rausforderungen, die mit steigenden Flüchtlingszahlen
einhergehen, nicht alleine lassen, auf der anderen Seite
müssen auch wir die richtigen Rahmenbedingungen set-
zen.

Am Ende bleibt es dabei: Wir bemühen uns, für die
Menschen, die aus rassischen, religiösen oder politi-
schen Gründen zu uns kommen und um Asyl bitten, die
richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Es gibt auf
diesem Globus nicht viele Länder, die solch gute Rah-
menbedingungen schaffen und mit so viel Empathie für
diese Menschen einstehen wie Deutschland.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Empathie? Und das aus Ihrem Mund!)


Wenn man Empathie für diese Menschen empfindet
und sich um sie kümmert, gehört dazu auch, dass man
auch über diejenigen redet, die sich fälschlicherweise
auf das Grundrecht auf Asyl berufen und die, wenn in ei-
nem Verfahren festgestellt wurde, dass kein Asylgrund
vorliegt, in ihre Heimat zurückgeführt werden.


(Elke Ferner [SPD]: Wo war denn Ihre Empathie nach dem Verfassungsgerichtsurteil 2010?)


Das, liebe Frau Künast, sollte man nicht als unchristlich
brandmarken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es! – Elke Ferner [SPD]: So ist es aber! – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal die Kirchen, was die machen!)


– Da können Sie sich aufwallen und schreien, so viel Sie
wollen, liebe Frau Künast; das finde ich immer hoch-
spannend. – Ich glaube, ich als Christ brauche von je-
mandem, von dem ich nicht weiß, wie intensiv er sein
Christsein lebt – wenn er denn überhaupt Christ ist –,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Au weia! – Peinlich!)


an dieser Stelle keine Nachhilfe.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ist es!)






Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Frau Künast, diese Frage in die politische Diskus-
sion hineinzuziehen, ist Parteipolemik und unredlich.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Unanständig ist das!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721104500

Das Wort hat nun Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1721104600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute
mit den schwierigen Lebensbedingungen von mehr als
150 000 Flüchtlingen in Deutschland, und wir geben
Antworten auf das vernichtende Urteil der Bundesver-
fassungsrichter zum bestehenden Asylbewerberleis-
tungsgesetz. Es gibt dazu sieben Anträge und Gesetzent-
würfe der Opposition. Das ist viel und zeigt, wie wichtig
uns dieses Thema ist.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider haben weder die Bundesregierung noch Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb,
auch nur einen einzigen Buchstaben zur Lösung beige-
tragen. Dabei hatten Sie verdammt viel Zeit. Deutsch-
land wartet seit fast drei Jahren auf Ihre Taten –


(Elke Ferner [SPD]: Ja!)


seit fast drei Jahren vergeblich. So, meine Damen und
Herren, sieht die traurige Wirklichkeit aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Vertane Zeit!)


Schon im Februar 2010 hat das Bundesverfassungs-
gericht festgestellt: Die Regelsätze der Grundsicherung
sind zu niedrig und müssen transparent und nachvoll-
ziehbar neu berechnet werden.

Dies betraf natürlich auch damals schon das Asylbe-
werberleistungsgesetz. Wir haben Sie immer wieder da-
rauf hingewiesen. Menschen erster und zweiter Klasse
darf es nach dem Karlsruher Richterspruch von 2010 bei
der Sicherung des Existenzminimums in unserem Staat
nicht mehr geben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU
und FDP, nehmen diese Verfassungswidrigkeit jedoch
bis heute billigend in Kauf. Das ist für Sie und für Ihre
Regierung ein beschämendes Armutszeugnis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben es noch nicht einmal für nötig befunden, auf
den zweiten Bugschuss der Verfassungsrichter zu reagie-

ren. Im Juli dieses Jahres legten die Karlsruher Richter
ihr vernichtendes Urteil über die derzeitige Existenzsi-
cherung von Asylbewerbern in Deutschland auf den
Tisch. Die Richter forderten eine sofortige Heraufset-
zung der Regelsätze und eine unverzügliche Neurege-
lung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Doch immer
noch stehen die niedrigen verfassungswidrigen Regel-
leistungen im Gesetz.

Es ist allein dem Engagement der Bundesländer zu
verdanken, dass es nicht zum offenen Verfassungsbruch
kam. Die Länder haben sich als Zwischenlösung ohne
bundesgesetzliche Regelung untereinander auf einheitli-
che neue Sätze verständigt. Sie, meine Damen und Her-
ren von Schwarz-Gelb, hingegen haben nichts getan und
damit die Länder voll im Regen stehen lassen. Es ist
schlimm, wie Sie unsere Verfassung mit Füßen treten.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sogar Ihre eigene Beauftragte für Migration, Flücht-
linge und Integration, Frau Böhmer, hatte das Sozial-
ministerium zu raschem Handeln aufgefordert. Bereits
im Herbst 2011 verlangte sie wegen des verfassungswid-
rigen Zustands des Asylbewerberleistungsgesetzes eine
schnelle Reform. Geholfen hat auch das nichts. Deshalb
frage ich Sie, Frau Ministerin von der Leyen: Wann wer-
den Sie die vom Verfassungsgericht geforderte unver-
zügliche Neuregelung des Asylbewerberleistungsgeset-
zes endlich umsetzen?


(Beifall bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Wir warten auf Antwort! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Abschaffen!)


Da Sie selbst in dieser Sache offensichtlich nichts auf
die Reihe bringen, haben wir Ihnen in unserem Antrag
aufgeschrieben, wie ein verfassungskonformes Gesetz
aussehen könnte. Die Initiative der von SPD und Grün
regierten Länder zur Abschaffung der Asylbewerberleis-
tungsgesetzes im Bundesrat


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Initiative!)


ist ja gerade gescheitert. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von Linken und Grünen, Ihren gleichlautenden An-
trägen wird es heute hier im Bundestag genauso ergehen.

Wir setzen uns deshalb für eine Reform des Asylbe-
werberleistungsgesetzes ein. Wir wollen die Lebensbe-
dingungen der Flüchtlinge in unserem Land verbessern.
Wir fordern verfassungsfeste Regelsätze. Wir wollen die
Dauer des Leistungsbezugs wieder auf zwölf Monate zu-
rückführen. Der Kreis der Leistungsberechtigten muss
wieder auf die Personen beschränkt werden, für die das
Asylbewerberleistungsgesetz 1993 einmal geschaffen
wurde, nämlich auf Asylsuchende und Geduldete.

Die Residenzpflicht muss gekippt werden. Asylsu-
chende sind schließlich keine Gefangenen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Es ist unmenschlich, was hier passiert.

Wir wollen den Arbeitsmarktzugang erleichtern.





Gabriele Hiller-Ohm


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Das diskriminierende Sachleistungsprinzip einschließ-
lich der Gemeinschaftsunterkünfte muss beendet werden.
Denn weder Essenspakete noch Gutscheine für Kleidung
oder Lebensmittel sind ein würdiger Umgang mit den
Hilfebedürftigen und darüber hinaus teuer.

Unmenschlich ist auch die Zwangsunterbringung in
Gemeinschaftsunterkünften. Hierfür sind ja die Länder
zuständig. Ich habe mir einmal die bayerische Asyl-
durchführungsverordnung angesehen. Da steht, dass die
Unterbringung in Sammelunterkünften – ich zitiere –
„die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland för-
dern“ soll. So, meine Damen und Herren, sehen die Un-
terkünfte dort auch aus. Beschämend ist das.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Asylsuchende und ihre Kinder brauchen eine bessere
Gesundheitsversorgung. Das gilt insbesondere für die
psychologische Behandlung der oftmals traumatisierten
Flüchtlinge. Die UN-Behindertenrechtskonvention muss
natürlich auch für Flüchtlinge gelten, und natürlich müs-
sen alle Kinder und Jugendlichen einen Rechtsanspruch
auf das Bildungs- und Teilhabepaket erhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Forde-
rungskatalog zeigen wir einen Weg auf, wie sich erstens
die Lebensbedingungen von schutzsuchenden Menschen
in unserem Land verbessern lassen, wie wir zweitens
wieder zu den Buchstaben unserer Verfassung zurück-
kommen und wie wir drittens die Zustimmung der Län-
der erreichen können. Diese brauchen wir; ohne sie geht
nichts.

Herr Tauber, Sie haben auf die vergangenen Jahre
hingewiesen. Dass sich da nichts bewegt hat, lag daran,
dass Sie damals mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat alles
ausgebremst haben, was man für die Flüchtlinge und für
die Asylsuchenden in unserem Land positiv hätte verän-
dern können.


(Beifall bei der SPD)


Das Asylbewerberleistungsgesetz muss endlich auf
verfassungsfeste Füße gestellt werden. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen der Regierungsfraktionen, tun Sie es
endlich!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721104700

Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier

von SPD, Linken und Grünen immer wieder vorgetra-
gene Unterstellung, die Koalition relativiere in irgendei-
ner Weise die Menschenwürde,


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Was? – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


ist schlicht eine Unverschämtheit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Die Grünen und die SPD haben in sieben Jahren Re-
gierungszeit selbst kein einziges Mal den Versuch unter-
nommen, die jetzt von ihnen bemängelten angeblichen
Menschenrechtsverletzungen durch deutsches Recht zu
ändern.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Warum denn wohl?)


Das Asylbewerberleistungsgesetz – Frau Beck, Sie wis-
sen ganz genau, wovon ich rede – existiert seit 1993.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es! – Elke Ferner [SPD]: Wer hat da regiert?)


Was hat denn der in Ihrer Regierungszeit zuständige
Bundesarbeitsminister, Herr Müntefering, unternom-
men? Nichts.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: So ist es!)


Wenn es den Grünen tatsächlich so um Humanität geht,
muss man fragen: Was hat denn die damalige Fraktions-
vorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, unter-
nommen? Was hat Frau Künast unternommen? Nichts.
Da sieht man: So wichtig war Ihnen das, worüber Sie
hier und heute im Zusammenhang mit Ihrem Antrag
Krokodilstränen vergießen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber ihr macht es auch nicht besser!)


Fortschritte unter der Regierung von SPD und Grü-
nen, zum Beispiel beim Arbeitsmarktzugang für Auslän-
der, waren nicht existent. Hier herrschte in rot-grüner
Zeit Arbeitsmarktprotektionismus.

Im Gegensatz dazu handelt die christlich-liberale Ko-
alition.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Elke Ferner [SPD]: Wo denn?)


Die Residenzpflicht, die der rot-rot-grüne Block zur Zeit
der rot-grünen Regierung immer unangetastet gelassen
hat, hat die Koalition aus Union und FDP in Hessen ge-
rade abgeschafft.


(Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]: Warum dann nicht auf Bundesebene? – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg auch!)


Meine Damen und Herren, weitere Verbesserungen
im Ausländer- und im Asylrecht sind immer wieder zu
erwägen und auch zu prüfen. Auch hier wird es noch
Veränderungen und Verbesserungen geben.


(Elke Ferner [SPD]: Wovon träumen Sie denn nachts?)


Dabei darf es aber nicht allein um die gefühlte gute Ab-
sicht gehen, sondern wir müssen immer auch die Folgen,
die das für alle Beteiligten hat, im Blick haben.


(Elke Ferner [SPD]: Aha!)






Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



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In diesem Zusammenhang kann ich feststellen: Diese
Regierungskoalition hat die Weichen für eine Kultur des
Willkommens gestellt.


(Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP] – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem denn? – Elke Ferner [SPD]: Weiß das Ihr Innenminister auch?)


In der christlich-liberalen Koalition haben wir gemein-
sam wichtige Weichenstellungen in der Zuwanderungs-
und Integrationspolitik vorgenommen.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Da bin ich aber gespannt! Können Sie das mal ausführen?)


Aber auch hier gilt: Fördern und Fordern gehören zu-
sammen.

Offenkundig passt das einigen aus dem Oppositions-
lager nicht. Aber wir haben in den vergangenen Tagen ja
mehrfach gehört, wie die Oppositionsfraktionen sich
einfach nur gegen das stellen, was die Koalition macht –
unabhängig davon, ob die eigene Position kürzlich noch
eine andere war.


(Elke Ferner [SPD]: Wo denn? – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Mir kommen die Tränen!)


Wir halten Wort.


(Elke Ferner [SPD]: Das wäre etwas Neues!)


Die christlich-liberale Koalition eröffnet Perspektiven
für Menschen, die in unser Land gekommen sind.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Setzen Sie doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts um!)


Im Vergleich zu den Vorgängerregierungen schneidet
diese Koalition auf diesem Politikfeld sehr gut ab.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie? Reden Sie nicht über Zuwanderung, sondern über das Existenzminimum!)


Wir haben die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungs-
pflichten öffentlicher Stellen geändert, um den Schul-
und Kindergartenbesuch von Kindern zu gewährleisten.
Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asyl-
bewerber auf Bundesebene gelockert,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nicht abgeschafft!)


um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Aus-
bildung zu erleichtern. „Bildung ermöglichen“ heißt hier
das Stichwort, meine Damen und Herren.

Wir haben die Stabilisierungszeit für Opfer von Men-
schenhandel auf drei Monate ausgedehnt – ein dringen-
des Petitum gerade von Opferverbänden und auch der
Polizei. Wir haben es ermöglicht, dass Abschiebehäft-
linge auf ihren Wunsch hin Nichtregierungsorganisatio-
nen hinzuziehen können. Zudem haben wir die Bedin-
gungen für die Abschiebehaft signifikant verbessert.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Liebe Kollegen von den Grünen, wir haben erstmals
ein eigenständiges Wiederkehr- und Rückkehrrecht für
ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen geschaf-
fen und auch den eigenständigen Straftatbestand der
Zwangsheirat eingeführt. Das ist aktiver Opferschutz
und ein klarer Appell an unsere freiheitliche Werteord-
nung.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Bedingungen verschärft! Man muss sich noch länger tyrannisieren lassen! Sehr christlich!)


Im Gegensatz zu Rot-Grün, Frau Künast, gibt es dank
dieser Koalition inzwischen eine dauerhafte bundesge-
setzliche Bleiberechtsregelung. Erstmals wurde für min-
derjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein
vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleibe-
recht in einem Bundesgesetz geschaffen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ja super!)


Das nenne ich humanitäre Rechtssicherheit.

Ich habe mich über die Einigung der Unionsinnenmi-
nister zu einer weiter gehenden ständigen Bleiberechts-
regelung gefreut. Ich bin mir sicher, dass wir auch hier
noch fruchtbare Gespräche führen werden. Wir hoffen
auf die Konstruktivität der A-Länder, darauf, dass sie
endlich aufhören, im Bundesrat zu blockieren, und sich
bei der Bleiberechtsregelung konstruktiv einbringen.

Nichts dergleichen hat seinerzeit die rot-grüne Koali-
tion zustande gebracht.


(Elke Ferner [SPD]: Warum reden Sie nicht zum Thema?)


Die rot-grüne Regierung war bei diesen Themen gera-
dezu inaktiv, obwohl sie im Grunde genommen schon
damals akut waren. Frau Hiller-Ohm, das sollten Sie ei-
gentlich wissen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721104800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Hiller-Ohm?

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Frau Hiller-Ohm, Sie hatten gerade die Gelegenheit,

Ihre Positionen darzustellen. Daher brauchen Sie jetzt
keine Zwischenfrage zu stellen. – Dass Sie jetzt noch
mehr fordern, obwohl Sie selber so inaktiv waren, wirft
wirklich ein sehr schräges Bild auf Ihre damalige Regie-
rungszeit und auch auf Ihre jetzige Lage.

Die Landesregierungen mit rot-rot-grüner Beteiligung
halten sich bei allen Forderungen, die Sie hier jetzt vor-
tragen – das ist nicht wirklich überraschend –, bedeckt.
Das, was Sie hier vortragen, hat keine wirkliche Rück-
kopplung.

Die christlich-liberale Koalition hingegen tut etwas:
Wir haben die Zuwanderung für Fachkräfte deutlich ra-
tionaler gestaltet und die Verfahren entbürokratisiert.


(Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn beim Asylbewerberleistungsgesetz?)






Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



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Wir werden alsbald auch die Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsge-
setz umsetzen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erzählen Sie schon seit zwei Jahren! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wann denn?)


Wir haben mit dem Bundesinnenminister schon erreicht,
dass die Dauer der Asylverfahren deutlich verkürzt wird.
Damit schaffen wir Klarheit für die Betroffenen.


(Elke Ferner [SPD]: Was hat das jetzt mit den Leistungen zu tun?)


Wir Liberalen haben uns immer dafür eingesetzt, dass
jeder, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhält, hier
arbeiten und lernen kann. Je früher gearbeitet wird, je
schneller gelernt werden kann, desto besser, solange
keine Anreize für Asylmissbrauch geschaffen werden.


(Thomas Oppermann [SPD]: Warum setzen Sie das nicht um?)


Arbeit statt Stütze, liebe Kollegen von den Sozialde-
mokraten, also arbeiten zu dürfen, nicht zur Untätigkeit
verdammt zu sein und nicht zahlungsabhängig zu sein,
ist gerade für ein selbstbestimmtes Leben wichtig und
kann zudem die Kostenträger entlasten.


(Elke Ferner [SPD]: Lesen Sie doch mal unseren Antrag, bevor Sie hier so reden!)


Diese Koalition hat gehandelt. Diese Koalition hat
Deutschland mit Fördern und Fordern gerade in der Inte-
grationspolitik vorangebracht. Deutschland verändert
sich. Diese Bundesregierung gestaltet dies. Die Opposi-
tion hingegen macht nur wohlfeile Vorschläge.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721104900

Das Wort hat nun Ulla Jelpke für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721105000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein

Flüchtling kommt nach Deutschland ohne Not. Kein
Flüchtling kommt aus Spaß hierher.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Flüchtlingsleben in Deutschland bedeutet Sammel-
lager, die weit weg vom gesellschaftlichen Leben einge-
richtet werden, keine Individualität, weil die Räume in
der Regel überbelegt sind, keine Bildung, keine Arbeit
und ein menschenunwürdiges Dasein mit Gutscheinen,
zum Teil mit 1-Euro-Jobs oder ähnlichen Dingen. Ich
meine, dass diese Schikane und diese Abschreckungs-
politik gegenüber Flüchtlingen in Deutschland endlich
aufhören müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich der Residenzpflicht gibt es eine Länder-
initiative. Es gibt einige Bundesländer wie Brandenburg,
Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und andere, die
endlich dazu übergegangen sind, die Residenzpflicht we-
nigstens in den Ländern aufzuheben.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber was heißt denn das? Wenn für Menschen in einem
Land die Residenzpflicht besteht, müssen sie zur Be-
hörde gehen und fragen, ob sie einen Verwandten in ei-
nem benachbarten Bundesland besuchen dürfen. Sie
haben einen unglaublichen Aufwand an Bürokratie usw.
Selbst die Referatsleiter der Ausländerbehörden, die in
der letzten Woche den Innenausschuss besucht haben,
haben gesagt: Die Residenzpflicht führt vor allen Dingen
zu Verwaltungsaufwand, zu Bürokratie, zur Beantwor-
tung von Klagen usw. Sie sind der Meinung, sie gehört
abgeschafft. Das sollte sich die Regierung einmal hinter
die Ohren schreiben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann als Fazit sagen: Fachlich ist die Residenz-
pflicht überflüssig, politisch ist sie eine entwürdigende,
diskriminierende Schikane der Schutzsuchenden. Sie ge-
hört im Namen der Menschenwürde ersatzlos abge-
schafft.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch 20 Jahre nach der faktischen Abschaffung des
Asylrechts gibt es in der Asylpolitik leider weitere Schi-
kanen. Wir haben schon vom Asylbewerberleistungsge-
setz gehört.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Sommer bestä-
tigt, dass dieses Gesetz die Menschenwürde verletzt,
weil es zu geringe Leistungen vorsieht. Das war für uns
schon lange klar, aber die Regierung tat nichts. Frau
Hiller-Ohm hat es eben schon angesprochen: Es gab eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Eckpunkte für einen
Gesetzentwurf vorlegen sollte. Auf Ihre Taten warten
wir seit drei Jahren. Gestern ist uns das letzte Ergebnis
mitgeteilt worden. Es lautet: Ein abschließendes Eck-
punktepapier ist wieder nicht beschlossen worden.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist unmöglich!)


Meine Damen und Herren von der Regierung, ich bin
der Meinung: Das, was Sie sich hier leisten, ist eine un-
glaubliche Ignoranz gegenüber den Asylbewerbern und
durch nichts mehr zu überbieten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundesinnenminister hat sogar angekündigt, ge-
gen das Urteil des Verfassungsgerichts zu verstoßen. Das
Verfassungsgericht hat gesagt:





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)


Auch migrationspolitische Erwägungen … können
… kein Absenken des Leistungsstandards unter das
physische und soziokulturelle Existenzminimum
rechtfertigen.

Herr Friedrich fordert dagegen, Asylbewerbern aus
vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten das Taschengeld
komplett zu streichen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Pfui!)


– Genau. – Dieses Geld brauchen sie aber, um ihr sozio-
kulturelles Existenzminimum zu decken.

Aus diesem perfiden Grund wollen Sie hier wieder er-
neut Abschreckungspolitik betreiben. Dabei nehmen Sie
sogar in Kauf – und das mit Ansage –, Verfassungsbruch
zu begehen. Ich kann Sie hier nur auffordern, von diesen
populistischen Plänen endlich Abstand zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und das vom Verfassungsminister! Das ist eine Schande!)


Eine weitere Schikane ist zum Beispiel das Arbeits-
verbot. Die EU-Kommission sagt immerhin: Asylbewer-
ber sollen nach einem halben Jahr Aufenthalt arbeiten
gehen dürfen. Auch das macht Deutschland nicht mit.
Durch die Regelung eines nachrangigen Zugangs zum
Arbeitsmarkt und die Residenzpflicht wird diesen Men-
schen praktisch keine Chance gegeben, eine Arbeit zu
finden. Sie bleiben von Sozialleistungen abhängig, und
das wird ihnen dann wieder vorgehalten, wenn sie ein
Bleiberecht beantragen. So kann es meiner Meinung
nach nicht gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Gerade bei den sogenannten Geduldeten führen die
Rechtslage und die Praxis immer wieder zu regelrechten
Familientragödien. Familien, die seit Jahren in Deutsch-
land leben und sich trotz aller Widrigkeiten ein Zuhause
geschaffen haben, müssen in ständiger Angst leben, mit-
ten in der Nacht von einem Polizeiaufgebot aus den Bet-
ten gerissen und 30 Minuten später, nachdem sie ihre Sa-
chen gepackt haben, zum Flughafen gebracht zu werden.
Besonders Kinder werden durch diese Art und Weise der
Abschiebepraxis traumatisiert.

Ich will hier ganz deutlich sagen: Das findet nicht nur
in CDU- und CSU-regierten Ländern und unter Beteili-
gung der FDP, sondern leider auch in SPD-regierten
Ländern statt. Das ist wirklich ein Skandal!


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen fordert die Linke ein humanitäres Bleiberecht
und kein bürokratisches Bleiberecht, wie wir es bislang
haben.

Das Verfassungsgericht hat verboten, dass die Men-
schenwürde zum Zweck der Flüchtlingsabschreckung
unterlaufen wird. Das Regime der Schikanen und der
systematischen Ausgrenzung gegenüber Flüchtlingen
muss jetzt ein für alle Mal beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, kommen wir noch einmal
zu den Fakten; denn die Presse und die Bundesregierung
sprechen in der Öffentlichkeit gerne sehr unsachlich
über die Zahlen. Zweifellos gibt es in diesem Jahr mehr
Flüchtlinge: Im Jahr 2003 sind knapp 20 000 Flüchtlinge
nach Deutschland gekommen, 2010 waren es 41 000,
und 2011 waren es 45 000 Flüchtlinge. Die Zahlen stei-
gen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Dieses Jahr werden es 70 000 sein!)


Aber erstens steigen sie nicht dramatisch, Herr Grindel,
und zweitens steigen die Zahlen bei den Asylanträgen
insgesamt. Das hat auch etwas mit Ihrer Politik zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser leichte Anstieg ist zum Großteil hausgemacht,
nicht weil Flüchtlinge das Asylrecht missbrauchen, son-
dern weil der Westen immer mehr Fluchtgründe schafft.
Die Flüchtlinge kommen zum Beispiel aus dem Balkan,
aus Afghanistan, aus dem Irak. Diese Herkunftsländer
der Flüchtlinge waren vom sogenannten Krieg gegen
den Terror am stärksten betroffen. Ich erinnere an das
Gespräch mit Flüchtlingen vorige Woche, in dem ein
Flüchtling gesagt hat: Ich bin ein Produkt eurer Politik,
auf unser Land fallen NATO-Bomben. – Das gilt übri-
gens für viele Flüchtlinge.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Deswegen kommen sie ausgerechnet nach Deutschland?)


Von dort, wo Kriege geführt werden, kommen auch
Flüchtlinge. Kriege sind Fluchtursachen, die Sie mit
schaffen, Herr Grindel.


(Beifall bei der LINKEN)


Die reichen Staaten beuten die sogenannte Dritte
Welt aus, halten sie in Armut und Abhängigkeit, und na-
türlich kommen von dort Flüchtlinge. Die ODA-Quote,
der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttonationalein-
kommen – wir haben es letzte Woche hier im Bundestag
diskutiert –, wird nicht, wie vereinbart, auf 0,7 Prozent
erhöht, sondern die Mittel sind wieder einmal gesenkt
worden, und damit liegt die Quote unter 0,4 Prozent.
Ihre Entwicklungspolitik ist einfach ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Also, wundern Sie sich nicht, wenn Flüchtlinge kom-
men. Sie, meine Damen und Herren, tragen dazu bei,
Fluchtursachen zu schaffen, statt sie abzustellen. Das ist
eine ewige Debatte hier im Haus; es passiert nichts. So-
lange Sie Panzer und Maschinenpistolen exportieren und
eine entsprechende Politik betreiben – davon können wir
immer wieder in den Zeitungen lesen –, haben Sie kein
Recht, Flüchtlinge zu Kriminellen zu erklären. Es ist
wirklich ein Skandal, dass das hier überhaupt versucht
wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Ganz nebenbei: Deutschland ist bei weitem nicht das
Land, das am meisten Flüchtlinge aufnimmt. In Deutsch-
land kommen auf 100 000 Einwohner 65 Flüchtlinge. In
Schweden sind es schon 315 Flüchtlinge; in Malta, Zy-





Ulla Jelpke


(A) (C)



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pern und Luxemburg sind es schon 450. Auch Italien
und Griechenland nehmen, bezogen auf die Bevölke-
rung, mehr Flüchtlinge auf als Deutschland. Das heißt,
wer behauptet, das Boot sei voll, redet meines Erachtens
Unsinn.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wer behauptet das denn? Das ist doch veraltet!)


Wir werden vielmehr in die Pflicht genommen werden,
in Europa solidarische Hilfe zu organisieren, eine ver-
nünftige Umverteilungspolitik zu machen, was die
Flüchtlingsprobleme angeht, und vor allen Dingen die
Ursachen zu bekämpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zur aktuellen Debatte zum Asylmiss-
brauch – hierzu sind schon einige Punkte genannt wor-
den –: Das Problem sind nicht die Asylbewerber, wie be-
stimmte Politiker behaupten, um damit ganz gezielt
Ängste zu schüren und bestimmte Vorurteile zu bestäti-
gen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zum Asylbewerberleistungsgesetz sagte Bundesinnen-
minister Friedrich:

Das wird dazu führen, dass die Asylbewerber-Zah-
len noch weiter steigen,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da hat er recht gehabt!)


denn es wird für Wirtschaftsflüchtlinge noch attrak-
tiver zu uns zu kommen,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da hat er auch recht!)


und mit Bargeld wieder abzureisen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da hat er auch recht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er hat nicht recht!)


Ihr Innenminister Schünemann aus Niedersachsen
legte noch eins drauf:

Das ist klarer Asylmissbrauch. Ganze Dörfer kom-
men …

Ich darf Ihnen etwas verraten, was Ihnen bestimmt
nicht gut gefallen wird: Mit diesen Zitaten – Sie sehen es
hier auf diesem Flugblatt – warb die NPD für den 9. No-
vember zu einem Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch
und nutzte Ihre Stellungnahmen,


(Zuruf von der LINKEN: Pfui!)


um das rechte Potenzial zu mobilisieren. Ich kann dazu
nur sagen: Kommen Sie zu einer sachlichen Debatte zu-
rück, und hören Sie auf mit dieser puren Stimmungs-
mache, die Sie seit Wochen betreiben. Sie liefern damit
den Neofaschisten die Munition für rassistische Hetze.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und das vom Verfassungsminister! Unglaublich! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch unglaublich! Eine Frechheit!)


Was sich hier anbahnt – darauf hatten schon einige
hingewiesen –, ist im Grunde genommen eine Neuauf-
lage des Szenarios von 1992. Es werden Ängste ge-
schürt. Es wird mit Unterstellungen gearbeitet. Es wird
gehetzt. Damals brannten am Ende die Wohnheime für
Asylbewerber. Meine Damen und Herren, wir müssen
alles tun, damit das nicht wieder geschieht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke sagt auch deswegen ganz klar, dass das Asyl-
recht reformiert werden muss.

Gerade zu dem Beispiel Roma kann ich jetzt keine
weiteren Ausführungen machen – Frau Beck hat es aber
schon gesagt –, aber so viel: Sie sind nicht einfach Wirt-
schaftsflüchtlinge, wie Sie das hier darstellen wollen.
Die EU, die UN, der Europarat sprechen von massiver
Diskriminierung.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist Quatsch!)


Ich will Sie daran erinnern, dass die Flüchtlinge, die zur-
zeit aus dem Balkan kommen, zur Hälfte Kinder sind –
Kinder und ganze Familien!

Zum Schluss möchte ich sagen, dass die Linke mit
den vorliegenden Anträgen zum Asylbewerberleistungs-
gesetz und zur Residenzpflicht die Konsequenzen aus
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen hat.
Beides gehört sofort abgeschafft!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen die Würde der Asylsuchenden genauso
schützen, wie wir die Würde aller Menschen in der Bun-
desrepublik schützen wollen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721105100

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721105200

Ja.

Eine wichtige Besonderheit in unseren Anträgen ist
– ansonsten werden wir allen Anträgen zustimmen –:
Wir wollen auf die Wohnortzuweisung verzichten. Unse-
rer Meinung nach ist es wichtig, für Flüchtlinge Woh-
nungen und keine Lager zu schaffen. Es gibt ja das Mel-
degesetz; sie sind erreichbar.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721105300

Frau Kollegin!


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721105400

Es ist nicht nötig, dass wir diese Einschränkung ha-

ben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721105500

Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1721105600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Frak-
tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen! Mit Ihren
Anträgen fordern Sie – das haben Sie in den Reden auch
deutlich gemacht – faktisch die Aufhebung des Asylbe-
werberleistungsgesetzes.


(Beifall bei der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Sehr richtig!)


– Da können Sie ruhig schon einmal klatschen, das passt
schon. Das Klatschen wird Ihnen gleich vergehen.

Zunächst ist es in dieser Diskussion erforderlich, dass
man auf den Tatbestand schaut, auf Art. 16 a unseres
Grundgesetzes. Darin steht, dass politisch Verfolgte Asyl
genießen. Das heißt aber auch – auch das haben die Vä-
ter unseres Grundgesetzes bedacht –, dass nicht politisch
Verfolgte keinen Anspruch auf Asyl haben.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Art. 1 des Grundgesetzes ist interessanter! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das haben Sie eingeführt in den 90er-Jahren, vergessen Sie das nicht! – Weiterer Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Liebe Frau Künast, in unserem Grundgesetz steht
nichts von Diskriminierung. Da muss man die Kirche et-
was im Dorf lassen – im wahrsten Sinne des Wortes –
und sagen: Es kann auch nicht sein, wie Sie am Ende
Ihrer Rede ausgeführt haben, Frau Künast, dass die Men-
schen berufstätig sein oder einen Beruf erlernen sollen,
weil sie ohnehin später bei uns arbeiten werden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!)


Unser Asylrecht geht davon aus, dass die Prüfung
zeitnah stattfindet – da ist sicher noch Luft drin, da kann
man sicher noch manches verbessern –, dass aber dieje-
nigen, die keinen Anspruch auf politisches Asyl haben,
tatsächlich auch wieder zurückgeschickt werden müs-
sen.


(Elke Ferner [SPD]: Was ist, wenn es Abschiebehindernisse gibt?)


– Ja, dass sie abgeschoben werden müssen.

Frau Jelpke, wenn Sie, wie Sie ausführen, ein dauer-
haftes Bleiberecht einführen wollen, würde das – auch
das muss man den Leuten klar sagen – in der Konse-
quenz dazu führen, dass wir die Zuwanderung über das
Asylrecht regeln. Das kann doch niemand ernsthaft wol-
len. Das ist doch nicht der richtige Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte ganz klar betonen, dass wir dem aus
Art. 16 a des Grundgesetzes folgenden Grundrecht auf
Asyl für Menschen, die aus politischen, religiösen oder
rassistischen Gründen verfolgt werden, gerecht werden.
Menschen, die unseren Schutz wirklich brauchen, kön-
nen sich darauf verlassen, dass ihnen bei uns geholfen
wird. Das war so in der Vergangenheit, und das wird
auch in Zukunft so sein.

Im europaweiten Vergleich steht Deutschland bei den
Asylanträgen ganz vorn an erster Stelle. In den vergan-
genen Jahren haben wir immer mehr Asylsuchende auf-
genommen. Sie wissen, dass sie sich bei uns auf den
Rechtsstaat verlassen können, anders als in vielen ihrer
Herkunftsländer.

Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt für die Asyl-
suchenden in jedem Fall ein menschenwürdiges Dasein
sicher.


(Zuruf der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE])


Der notwendige Lebensbedarf einschließlich der Unter-
bringung, erforderlicher medizinischer Behandlungen
sowie etwaiger persönlicher Bedürfnisse wie denen von
Kindern wird befriedigt.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie schon mal mit Flüchtlingen gesprochen?)


Aber das verfassungsrechtlich garantierte Asylrecht
soll weder wirtschaftliche noch soziale Unterschiede
ausgleichen – das kann es nicht – und somit auch keine
Inanspruchnahme aus wirtschaftlichen Erwägungen för-
dern – auch die muss angesprochen werden –, sondern es
soll umfassenden Schutz vor Verfolgung jeglicher Art
bieten.

Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde im Jahr 1992
von den Fraktionen CDU/CSU und FDP sowie SPD ge-
meinsam verabschiedet, da im besagten Jahr 95 Prozent
der Asylsuchenden überhaupt nicht politisch verfolgt
waren, sondern andere, häufig auch wirtschaftliche Be-
weggründe für den Aufenthaltswunsch in Deutschland
ausschlaggebend waren. Diesem somit in vielen Fällen
bestehenden Missbrauch des Asylrechts mussten und
müssen wir entgegentreten. Die Zahl der Asylbewerber
aus Mazedonien und Serbien beispielsweise – es wurde
bereits darauf hingewiesen – steigt seit einiger Zeit
sprunghaft an. Zusammenhänge mit der seit 2009 erfolg-
ten Visaliberalisierung und dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts vom Juli dieses Jahres sind nicht von
der Hand zu weisen, zumal die Anerkennungsquote in
diesem Bereich nahe null liegt, da diese Menschen ge-
rade nicht politisch verfolgt werden.

Ich will nicht verkennen, liebe Frau Künast, dass die
Lebensverhältnisse in vielen Herkunftsregionen unter
hygienischen, gesundheitlichen wie auch unter beschäf-
tigungspolitischen Aspekten schlicht nicht hinnehmbar
sind. Es müssten die Probleme indes in den Herkunfts-
ländern gelöst werden.

Die Lage in den Asylbewerberunterkünften ist ange-
spannt und stellt die Kommunen vor eine große Belas-
tungsprobe. Diese Entwicklung gibt Anlass zur Sorge.





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


Wir von der christlich-liberalen Koalition wollen ein zü-
giges und effizientes Asylverfahren gewährleisten,


(Elke Ferner [SPD]: Was verstehen Sie unter „zügig“? – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Was verstehen Sie unter „christlich-liberal“? Das ist die Frage!)


das zu sachgerechten Entscheidungen führt. Dies ist im
Sinne der Asylsuchenden selbst und berücksichtigt
gleichzeitig auch die Bereitschaft der Bevölkerung in
Deutschland zur Aufnahme.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher sage ich ganz deutlich, dass zu einer erfolgreichen
Integrationspolitik der unionsgeführten Bundesregierung
als wichtige Bausteine die Residenzpflicht und das Sach-
leistungsprinzip gehören, was in den Verantwortungsbe-
reich der Länder gehört.

Die Residenzpflicht – das wurde bereits von einigen
Vorrederinnen und Vorrednern kritisiert – ist mitnichten
eine Schikane der Asylsuchenden, wie Sie es hier darzu-
stellen versuchen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch! Sehr wohl!)


Sie dient vielmehr der Beschleunigung des Asylverfah-
rens und entlastet zeitgleich die Kommunen.

Mit der von Ihnen geforderten Aufhebung der Resi-
denzpflicht würden Sie nicht nur die ohnehin schon an-
gespannte Lage in den Unterkünften vor Ort in den
Kommunen verschärfen, sondern auch die dringend be-
nötigte Verkürzung des Asylverfahrens beeinträchtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen sie in Sammelunterkünften verschimmeln?)


Im Gegenteil: Sie würden sogar die Aufnahme verlang-
samen. Denn eine problemlose Erreichbarkeit ist Grund-
voraussetzung für ein zügiges und effektives Verfahren.

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass wir im
Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach
dem SGB II von den Leistungsempfängern fordern, dass
sie erreichbar sind. Nichts anderes kann daher nach mei-
ner Meinung auch für Asylsuchende gelten.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die dürfen aber am Wochenende in die Nachbarstadt fahren!)


Zudem wurde die Residenzpflicht in der Vergangen-
heit bereits an verschiedenen Stellen – der Kollege Wolff
hat schon darauf hingewiesen –, zum Beispiel in den Be-
reichen Beschäftigung, Ausbildung und Schulbesuch,
gelockert. Meine sehr geehrten Damen und Herren von
den Linken und den Grünen, Sie sollten daher bei Ihren
Anträgen die Realität nicht aus den Augen verlieren und
kein Szenario an die Wand malen, das überhaupt nicht
existiert.

Der Antrag der SPD, der eine Änderung des Asylbe-
werberleistungsgesetzes vorsieht, enthält sicherlich das

eine oder andere Erwägenswerte, insbesondere zu Bil-
dung bzw. frühkindlicher Bildung und zu Sprachkursen.
Das sollten wir uns genau anschauen, um zu sehen, wie
wir Verbesserungen insbesondere für die bei uns leben-
den Asylbewerberkinder erreichen können. Denn es soll
kein Nachteil sein, wenn ein Asylbewerberkind bei uns
Deutsch lernt – selbst in dem Fall, dass seine Eltern ab-
geschoben werden und es wieder in sein Herkunftsland
zurück muss.

Im Bereich Bildung bin ich also gerne gesprächs-
offen,


(Elke Ferner [SPD]: Das wäre ja mal sehr spannend!)


im Übrigen auch bei den Gutscheinen und bei Gut-
scheinlösungen, die in die Zuständigkeit der Länder fal-
len. Auch da ist schon einiges passiert.

Im Übrigen – Sie haben vorhin danach gefragt, Frau
Ferner – arbeitet die Bundesregierung derzeit mit Hoch-
druck an einem Gesetzentwurf,


(Elke Ferner [SPD]: Wenn das Hochdruck ist, dann fragt man sich, was Langsamkeit ist! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Drei Jahre!)


um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, auf die
Sie schwerpunktmäßig Ihren Antrag stützen, zügig um-
zusetzen und für den Anwendungsbereich des Asylbe-
werberleistungsgesetzes eine Neuregelung zu treffen.

Die Diskussion wird mit großer Aufmerksamkeit von
unserer Bundesarbeitsministerin verfolgt.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Aber Sie sollen handeln!)


Sie sieht den dringenden Handlungsbedarf natürlich
auch, liebe Frau Ferner. Wir werden das in der von der
christlich-liberalen Koalition gewohnten Zügigkeit und
Gründlichkeit – auch hier geht Gründlichkeit vor
Schnelligkeit – auf den Weg bringen


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Drei Jahre sind aber eine lange Zeit!)


und ein ordentliches Asylbewerberleistungsgesetz hin-
bekommen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721105700

Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1721105800

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Spätestens nach dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts zu den Regelsätzen im Frühjahr 2010 hätte es der
Bundesregierung klar sein müssen, dass auch das Asyl-
bewerberleistungsgesetz einer Überprüfung durch das
Verfassungsgericht nicht standhalten wird.





Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)



(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber lesen alleine reicht nicht! Man muss auch verstehen!)


Dafür, Frau von der Leyen, brauchte man keine Hell-
seherin zu sein. Sie haben bisher aber nichts getan,
nichts nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 2010,
nichts bis zum Verfassungsgerichtsurteil 2012 und auch
danach nichts.

Das Verfassungsgericht hat offenbar eine Ahnung von
der Geschwindigkeit und dem – wie sagten Sie, Herr
Lehrieder? – Hochdruck, mit dem diese Bundesregie-
rung arbeitet. Denn es hat vorsorglich verfügt, dass es
Übergangsregelungen gibt, und klar Recht angeordnet,
weil es weiß, dass die christlich-liberale Bundesregie-
rung es nicht so eilig hat, wenn es um die Achtung der
Menschenwürde geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ach, Frau Ferner! Das stimmt doch nicht!)


Wir haben vom Verfassungsgericht eine klare Rege-
lung vorgegeben bekommen. Alle Leistungsberechtig-
ten, die bisher Leistungen nach dem Asylbewerberleis-
tungsrecht bekommen haben, erhalten jetzt Leistungen
nach dem SGB II bzw. nach dem SGB XII. Das Verfas-
sungsgericht hat sogar für die nicht rechtskräftigen Be-
scheide eine Rückwirkung zum Januar 2011 verfügt. Das
ist einmalig. Frau von der Leyen, so etwas kann man nur
als ordentliche Klatsche bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Leitsätze des Verfassungsgerichts lassen an
Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Würde des
Menschen ist nicht nur unantastbar; sie ist auch nicht
teilbar, weder nach Nationalitäten, weder nach Aufent-
haltsstatus noch nach Dauer des Aufenthaltes. Die Höhe
des menschenwürdigen Existenzminimums darf nicht
evident unzureichend sein und muss realitätsgerecht in
einem transparenten und sachgerechten Verfahren be-
stimmt werden. Da Sie damit schon bei der Festsetzung
der Regelsätze nach dem SGB II Probleme hatten, frage
ich mich, wie Sie ein Verfahren für nur 150 000 Leis-
tungsberechtigte hinbekommen wollen. Da sind wir ge-
spannt.

Wichtig ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht
gesagt hat: Wenn für unterschiedliche Personengruppen
unterschiedliche Methoden für die Feststellung des Be-
darfs angewandt werden, muss dies sachlich begründet
sein. Das Existenzniveau muss sich an den hiesigen Le-
bensverhältnissen orientieren und nicht an denen des
Herkunftslandes. Das Verfassungsgericht sagt weiter:
Das menschenwürdige Existenzminimum

umfasst sowohl die physische Existenz des Men-
schen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur
Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein
Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen,
kulturellen und politischen Leben.

Das sind nach Auffassung des Bundesverfassungsge-
richtes einheitlich zu sichernde Bedarfe.

Das Ob und das Wie der Festsetzung eines geringeren
Bedarfs bei existenznotwendigen Leistungen für Men-
schen mit einem vorübergehenden Aufenthaltsrecht in
Deutschland hängt allein davon ab, ob wegen eines kurz-
fristigen Aufenthaltes konkrete Minderbedarfe gegen-
über Hilfeempfängern und Personen mit dauerhaftem
Aufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemes-
sen werden können. Das Verfassungsgericht sagt auch
ganz klar, dass diese Minderbedarfe dann nicht mehr ge-
rechtfertigt sind, wenn der tatsächliche Aufenthalt länger
dauert. Wie lange die Aufenthaltsdauer ist, wissen Sie
besser als ich. Insofern braucht man diesen klaren Ansa-
gen des Bundesverfassungsgerichtes nichts hinzuzufü-
gen.

Man fragt sich natürlich: Warum handelt diese Regie-
rung nicht? Warum verstecken Sie sich hinter Nichtstun?
Es ist wahrscheinlich wie immer, dass sich die schwarz-
gelbe Koalition nicht auf eine gemeinsame Position ver-
ständigen kann. Dann ist es Ihnen auch relativ egal, ob
das Grundgesetz und die Grundrechte damit mit Füßen
getreten werden.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: So ist das!)


Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde – Herr
Lehrieder, das ist richtig – 1993 im Rahmen der Reform
der Asylgesetzgebung eingeführt – auch mit unseren
Stimmen; mit meiner persönlichen nicht, aber die Mehr-
heit meiner Fraktion hat damals zugestimmt. Allerdings
ist es auch richtig, dass der von der Union und der FDP
damals eingebrachte Gesetzentwurf zunächst einen un-
befristeten Bezug von Leistungen nach dem Asylbewer-
berleistungsgesetz vorgesehen hat und es auf unsere In-
tervention zunächst auf zwölf Monate begrenzt wurde.
Dann haben 1997 CDU/CSU und FDP gegen die Stim-
men der SPD-Bundestagsfraktion beschlossen, dass der
Betroffenenkreis ausgeweitet wird und dass die für eine
Dauer von drei Jahren eingeführte Kürzung der Sachleis-
tungen und die Unterbringung in Gemeinschaftsunter-
künften sogar unbefristet vorgenommen werden können.
2007 – da waren wir leider auch mit dabei – ist diese Re-
gelung auf Ihren Wunsch von 36 auf 48 Monate ausge-
weitet worden. Wir haben nur deshalb mitgemacht, weil
im Gegenzug Verbesserungen bei Altfallregelungen und
der Erteilung von Arbeitserlaubnissen erzielt wurden.
Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht die
Leitplanken in diesem Jahr ganz klar beschrieben hat.
Ich bin auch froh, dass es künftig nicht mehr möglich ist,
die Bezugsdauer der Verfahrensdauer anzupassen und
eine Sozialleistung, die das Existenzminimum absichert,
nahezu 20 Jahre unangepasst zu lassen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben in unserem Antrag die Vorgaben des Ver-
fassungsgerichtes aufgegriffen. Wir fordern die Bundes-
regierung auf, dass die Leistungen nach den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichtes neu ermittelt werden.
Wir warten auf die Vorlagen. Wir fordern, dass Kinder
bis zur Volljährigkeit aus dem reduzierten Leistungsbe-
zug auszunehmen sind. Die Kinder können am wenigs-
ten dazu, dass sich ihre Eltern, aus welchen Gründen





Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)


auch immer, auf die Reise in ein fremdes Land gemacht
haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Wir wollen, dass alle Kinder, Jugendlichen und jun-
gen Erwachsenen einen Rechtsanspruch auf die Bedarfe
von Bildung und Teilhabe bekommen. Ich finde – Herr
Lehrieder hat das ja schon angedeutet, und ich hoffe,
dass das auch eine Mehrheitsmeinung in Ihrer Fraktion
ist –, dass zumindest für Kinder und Jugendliche das
Gebot der christlichen Nächstenliebe ausreichen sollte,
um ihnen eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe zu
gewähren.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen die medizinische Versorgung sicherstellen
– das betrifft auch die psychologische Behandlung von
durch Vergewaltigung oder durch schwere Gewalttaten
traumatisierten Flüchtlingen –, und wir wollen den Kreis
– Frau Kollegin Hiller-Ohm hat das eben gesagt – der
Leistungsempfänger auf den ursprünglichen Kreis der-
jenigen, die um Asyl nachsuchen, eingrenzen und
beschränken. Außerdem wollen wir die Unterbringung
in Gemeinschaftsunterkünften nicht mehr zur Regel,
sondern zur Ausnahme machen. Schließlich wollen wir
den Arbeitsmarktzugang erleichtern, weil es in der Tat
besser ist, dass sich die Menschen durch ihrer Hände
Arbeit ernähren können statt durch eine soziale Trans-
ferleistung.


(Beifall bei der SPD)


Im Übrigen, Frau von der Leyen, wollen wir auch die
Bezugsdauer auf zwölf Monate begrenzen.

Ich finde, es ist ziemlich peinlich, dass alle Opposi-
tionsfraktionen eigene Vorschläge machen, während sich
die Regierung mal wieder in die Büsche schlägt. Ich
kann Ihnen nur zurufen: Wenn Sie nicht regieren
können, dann hören Sie einfach auf, so zu tun, als wenn
Sie regieren würden. Lassen Sie es bleiben. Ab dem
Herbst nächsten Jahres wird das sowieso nicht mehr der
Fall sein.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721105900

Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Hartfrid Wolff [RemsMurr] [FDP]: Guter Mann!)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1721106000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

reden am heutigen Vormittag in der Kernzeitdebatte über
das Asylbewerberleistungsgesetz.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gut so!)


Ich glaube, dies ist eine gute Gelegenheit, noch einmal
dankbar festzustellen, dass wir alle, die wir hier sitzen,
in einer Zeit leben, in der es glücklicherweise keine
Gründe gibt, ins Ausland zu gehen, um Asyl zu beantra-
gen, weil es politische Verfolgung, rassische Verfolgung
oder religiöse Verfolgung in Deutschland gäbe.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es gibt aber eine historische Verantwortung Deutschlands!)


Das sollte uns alle verbinden, und dafür sollten wir
dankbar sein. Das war nicht immer so in Deutschland.

Ich glaube, wir sind auch dankbar für jeden Einzel-
nen, der aus Deutschland hat fliehen müssen und der in
einem anderen Land Aufnahme gefunden hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb ist das Asylbewerberleistungsrecht ein sensibles
Thema. Es eignet sich auch nicht für pauschale Vor-
würfe, vereinfachte Betrachtungen oder parteipolitische
Profilierung,


(Elke Ferner [SPD]: Dann lesen Sie doch mal die Zeitungen von 1993!)


auch deshalb nicht, Frau Ferner, weil Sie ebenso wie wir
alle – mit Ausnahme der Linken, die glücklicherweise
noch nie Gestaltungsmöglichkeiten auf Bundesebene
hatten – an der Gesetzgebung, so wie sie gegenwärtig
vorliegt, aktiv beteiligt waren und wir alle den jetzigen
Zustand zu verantworten haben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Danke für die Klarstellung! – Elke Ferner [SPD]: Ich habe das Asylbewerberleistungsgesetz damals abgelehnt!)


Zur Wahrheit, liebe Frau Ferner und liebe Grüne, ge-
hört doch auch, dass es diese Bundesarbeitsministerin
Frau Dr. Ursula von der Leyen war, die mit Unterstüt-
zung dieser Regierungskoalition schon vor dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts aktiv auf die Länder
zugegangen ist,


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Aber es ist nichts dabei rausgekommen! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nichts auf den Weg gebracht!)


um mit ihnen eine Neuordnung des Asylbewerberleis-
tungsgesetzes auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Hört! Hört! So sehen Sie in den Ländern aus!)


Es ist ein Ausweis von Fairness dieser Bundesarbeits-
ministerin und dieser Regierungskoalition, dass wir das
Gespräch mit den Ländern vorab gesucht haben; denn es
ist ja beim Asylbewerberleistungsgesetz so: Der Bund
beschließt, die Kommunen zahlen. Es ist ein Ausweis
von Fairness, das Gespräch mit den Ländern zu suchen,
um gemeinsam zu einer Regelung zu kommen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Natürlich! Aber man muss zu Ergebnissen kommen! – Elke Ferner [SPD]: Was ist denn Ihr Vorschlag?)






Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


Mir ist nicht zu Ohren gekommen, Frau Ferner, dass
ausgerechnet die Roten und die Grünen in den Ländern,
in denen sie Verantwortung tragen, versucht hätten, die
Gespräche durch konstruktives Mitwirken an Geschwin-
digkeit zu befördern und einer Lösung zuzuführen.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Hört! Hört!)


Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, und
wir als Regierungskoalition haben klargestellt, dass wir
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeitnah umset-
zen werden.


(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD] – Aydan Özoğuz [SPD]: Was ist denn zeitnah?)


Frau Ferner, der Unterschied zwischen dieser Regie-
rungskoalition mit dieser Bundesarbeitsministerin und
Vorgängerregierungen ist allerdings, dass wir die Dinge
gründlich tun.


(Elke Ferner [SPD]: Für die Regelsätze haben Sie über ein Jahr gebraucht!)


Gerade wenn es um Verfassungsgerichtsurteile und ver-
fassungsrelevante Fragen geht, ist es notwendig, dass
man intensiv darüber berät


(Elke Ferner [SPD]: Wir können ja Wetten darüber abschließen, wann Sie eine Vorlage machen!)


und eine Lösung zustande bringt, die nicht wenige
Wochen oder Monate später wieder vom Bundesverfas-
sungsgericht kassiert wird.


(Elke Ferner [SPD]: Ach!)


Sie, liebe Frau Ferner, erinnern sich doch ganz beson-
ders gut an die Debatte um das Arbeitslosengeld II.
Auch dazu gab es ein Bundesverfassungsgerichtsurteil,
und auch damals haben Sie immer auf Geschwindigkeit
gedrängt.


(Elke Ferner [SPD]: Und wie lange hat es gedauert, bis Sie was vorgelegt haben? Mehr als ein halbes Jahr!)


Wir haben gesagt: Hierüber muss man lange und klug
beraten, damit man kein Risiko eingeht und dem Willen
des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird.

Tatsache ist, dass bisher noch kein Gericht in
Deutschland die Lösung, die wir gefunden haben, kriti-
siert hat. Diese Lösung wurde allerseits begrüßt. Auch
das ist Zeichen einer guten Regierungspolitik – wie diese
Regierungskoalition sie zu leisten in der Lage ist –, näm-
lich dass wir uns ausreichend Zeit nehmen, dann aber
auch zu substanziellen Lösungen kommen, die Bestand
haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Klar ist – wir sind dem Bundesverfassungsgericht
dankbar, dass es das klargestellt hat –, dass das Asylrecht
ein Grundrecht ist und nicht durch migrationspolitische
Erwägungen relativiert werden darf. Das war auch nie

die Absicht dieser Bundesregierung. Dem werden wir
uns selbstverständlich verpflichtet fühlen.

Wir werden in Kürze Regelsätze zu Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz vorlegen, die trans-
parent und nachvollziehbar berechnet sind und die jeder
Debatte und jeder Diskussion standhalten werden. Diese
Regelsätze werden hier beraten werden. Sie werden
sehen, dass das, was wir Ihnen vorlegen werden, in der
Sache überzeugend sein wird.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Überzeugender wäre es gewesen, sie jetzt schon zu haben!)


Wichtig ist aber auch – auch dazu bekennt sich diese
Bundesregierung –, dass die Gewährung von Asyl im-
mer nur die zweite Wahl ist, wenn Sie so wollen.
Entscheidend ist vielmehr, dass wir die Situation der
Menschen in ihren Heimatländern so gut wie möglich
verbessern.


(Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Auch da hat diese Bundesregierung mit Außenminister
Guido Westerwelle und Bundesentwicklungsminister
Dirk Niebel entscheidende Wegmarken gesetzt. Sie hat
die Entwicklungszusammenarbeit gerade unter
Menschenrechtsgesichtspunkten neu gestaltet und neu
ausgerichtet


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und gekürzt!)


und ist in einer Weise für die Menschenrechte in dieser
Welt verantwortlich tätig, wie es bisher jedenfalls nicht
der Fall war.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir werden im Zuge der Reform des Asylbewerber-
leistungsgesetzes auch über den Arbeitsmarktzugang
sprechen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass auf der euro-
päischen Ebene eine Frist von neun Monaten im Grunde
schon konsentiert ist. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die
Staatsministerin Frau Böhmer sich auch eine kürzere
Frist beim Arbeitsmarktzugang vorstellen kann. Wir
werden das in der Koalition diskutieren und dann eine
Lösung vorschlagen, die allen Beteiligten gerecht wird.


(Elke Ferner [SPD]: Viel Spaß bei Ihrem Innenminister!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind
hier auf einem guten Weg, so wie es diese Bundesregie-
rung in allen politischen Fragen ist.


(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden diese Regierungskoalition in Ruhe und mit
der notwendigen Sachlichkeit zu Ende bringen und ab
September auch wieder die Regierung stellen und die
gute Arbeit fortsetzen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt viel zu tun!)






Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


– Lieber Herr Trittin, dass Sie sich jetzt plötzlich zu
Wort melden, zeigt doch, dass Sie nervös werden. Das
freut mich. Wir machen eine gute Politik, Herr Trittin.


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden noch länger von der Opposition aus zu-
schauen.

Vielen Dank.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721106100

Das Wort hat nun Markus Kurth für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721106200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was wir hier von den Rednern der Regierungsfraktionen
hören, offenbart ein wirklich historisches Ausmaß von
Verletzungen von Rechtstreue und von Ignoranz gegen-
über dem Bundesverfassungsgericht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dieses Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz ist
von einer Klarheit, wie man sie nur selten antreffen
kann.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das war außerordentlich gut!)


Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die Leistun-
gen sind evident unzureichend. Es hat sofortigen Hand-
lungsbedarf angemeldet. Das Bundesverfassungsgericht
hat eindeutig klargestellt, dass die Grundaussage unserer
Verfassung: „Die Menschenwürde ist unantastbar“ für
den gesamten Geltungsbereich des Grundgesetzes gilt.
Das ist die entscheidende Rechtsgrundlage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Dass Sie, Herr Lehrieder, hier wiederum mit dem
Asylrecht aus Art. 16 Grundgesetz als Grundsatz argu-
mentieren, dass die Zwischenrufe von den Innenpoliti-
kern der Union – ich habe sie gehört – einfach ignorie-
ren, dass migrationspolitische Gründe für die
Bemessung des Existenzminimums keine Grundlage
sein dürfen – es ist wirklich unerhört, wie Sie mit der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umge-
hen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich sind unsere Länder tätig geworden. Die rot-
grün regierten Länder haben einen Antrag zur Abschaf-
fung des Asylbewerberleistungsgesetzes in den Bundes-
rat eingebracht. Daraus kann man Sätze zitieren, denen
eigentlich nichts hinzuzufügen ist – ein entsprechender
Entschließungsantrag wird nachher zur namentlichen
Abstimmung stehen –:

Auch wenn sich das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts … in erster Linie zur Verfassungsgemäß-
heit der Höhe der Grundleistungssätze geäußert hat,

lassen die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts
nur den Schluss zu, dass die Abschaffung des Asyl-
bewerberleistungsgesetzes überfällig ist …

Vorher heißt es:

Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
außerhalb der Sozialgesetzbücher für Leistungen an
Asylbewerber … besteht nicht mehr.

Wir reden hier nicht nur über Asylbewerber, die Bür-
gerkriegsflüchtlinge sind. Wir reden über Geduldete, bei
denen es handfeste Abschiebehindernisse gibt. Wir
reden über einen großen Kreis von Personen, deren
Menschenwürde Sie durch das fortgesetzte Ignorieren
des Verfassungsgerichtsurteils herabsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Aydan Özoğuz [SPD])


Über eine Sache müssen wir hier noch einmal reden;
ich kann Ihnen diesen wichtigen Punkt nicht ersparen:
Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz bekommen, haben keinen Zugang zu unse-
rem Gesundheitssystem. Nur bei akuten Erkrankungen
und Schmerzzuständen gibt es Hilfe. Konkret heißt das:
keine Prävention, keine Untersuchungen; es muss schon
so schlimm sein, dass ein Krankenwagen kommt. Dann
erst gibt es Hilfe.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Skandal!)


Überlegen Sie einmal, welche Situationen in Ihrem
Leben bei einer solchen medizinischen Versorgung ganz
anders hätten ausgehen können.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles sehr christlich!)


Vielleicht hätten dann einige gute Chancen, diese
Debatte aus dem Jenseits zu betrachten.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es das gibt! Ja!)


Besonders unmenschlich ist, dass die Bundesregie-
rung die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie bewusst
nicht umsetzt. Auch deshalb wird von physischer,
psychischer oder sexueller Gewalt Betroffenen kein
Therapieanspruch garantiert; es soll ihn nur geben. Die
Menschen sind also auf den guten Willen angewiesen.

Knapp 20 Jahre nach Inkrafttreten des Asylbewerber-
leistungsgesetzes ist es Zeit, einen Schlussstrich zu
ziehen, Schluss zu machen mit einem Gesetz, das
Menschen ausgrenzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch Sie von den Sozialdemokraten haben die Chance,
dem Entschließungsantrag zuzustimmen, der den Text
der rot-grünen Landesregierungen eins zu eins wieder-
gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann tatsächlich nicht verstehen, warum Sie das
nicht machen wollen; das ist mir wirklich unerklärlich.





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben uns seit Inkrafttreten des Asylbewerber-
leistungsgesetzes für eine Änderung eingesetzt. Wir
standen in bestimmten Situationen, auch zu der Zeit, als
wir regiert haben, gegen eine komplette gesellschaftliche
Mehrheit. Wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten während
der rot-grünen Regierungszeit nichts gemacht – –


(Zuruf des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP])


– Herr Wolff, Sie wissen, wie die Bundesratsmehrheiten
waren. Sie haben überhaupt nichts unternommen, und
jetzt stellen Sie sich hier hin und machen wohlfeile Vor-
würfe. Das ist unredlich und schäbig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Die Würde des Menschen ist unan-
tastbar. Berücksichtigen Sie das!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721106300

Das Wort hat nun Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-

Fraktion.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1721106400

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Das linke Lager hier im Hause fordert mit lau-
tem Gebrüll: Das Asylbewerberleistungsgesetz muss
weg.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Ja, richtig!)


Das war sehr eindrucksvoll.

Vielleicht ist es gut, dass es in diesem Parlament ei-
nige gibt, die sich noch daran erinnern können, wie die-
ses Gesetz entstanden ist,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind verfassungstreu, im Gegensatz zu Ihnen!)


ungetrübt und nicht von einem etwas selektiven Wahr-
nehmungsvermögen geprägt wie bei Frau Marieluise
Beck; sie kann sich nur noch an einen Teil erinnern.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn dazu, dass die Linke verfassungstreuer ist als Sie?)


Ich erinnere mich deswegen sehr genau, weil ich in den
90er-Jahren für die Unterbringung von Zehntausenden
Asylbewerbern in München verantwortlich war. Ich
weiß noch, wie der SPD-Oberbürgermeister Kronawitter
und ich beieinandersaßen und gerätselt haben: Wie
schaffen wir es, dass es zu einer Grundgesetzänderung
und zur Schaffung des damit zusammenhängenden Asyl-
bewerberleistungsgesetzes kommt?


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da war ich aber nicht mit dabei! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die Grundgesetzänderung war schon falsch!)


Wir, ein vernünftiger SPD-Oberbürgermeister und ich,
wir von der CSU waren uns einig. Erst als es ihm gelang,
meine Damen und Herren von der SPD – Frau Ferner
kann sich daran erinnern; das habe ich gerade bei ihrer
Rede gemerkt –, dass Oberbürgermeister aus den Rhein-
Ruhr-Städten mit ihm zusammen an einem Strang zogen
und gesagt haben: „So kann es mit dem ungelösten
Problem des zehntausendfachen Asylmissbrauchs nicht
weitergehen; die Republikaner sind in den Landesparla-
menten erstarkt; so kann es nicht weitergehen; wir arbei-
ten ja den Rechtsradikalen zu“, erst als der vernünftige
Teil der SPD das erkannt hat, kam es zum Asylbewer-
berleistungsgesetz, und das wollen Sie abschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und dafür haben Sie die Verfassung verletzt! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das waren aber nicht die Grünen!)


Ich möchte nicht das Geschäft der Rechtsradikalen
betreiben.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich bei Frau Ferner, dass sie an die Gene-
sis dieses Gesetzes erinnert hat. Die Grünen fordern:
Wer diskriminiert wird auf dieser Welt, muss nach
Deutschland kommen dürfen – das hat Frau Künast hier
gesagt –, und das – nach Abschaffung des Asylbewer-
berleistungsgesetzes – mit Anspruch auf die volle So-
zialhilfe. Es wäre gut, Sie würden den Wählern mittei-
len, was sie bekommen, wenn sie Grün wählen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Residenzpflicht ist von uns gesetzlich geändert
und in die Obhut der Länder gelegt worden. Auch in die-
sem Zusammenhang ist es gut, mit der Heuchelei aufzu-
hören und die Dinge beim Namen zu nennen. Die Resi-
denzpflicht ist gelockert worden. Das heißt, die Länder
können mit ihren Nachbarländern Abkommen darüber
schließen, dass ein Asylbewerber ins Nachbarland gehen
kann.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das tun sie ja auch!)


– Das tun sie auch. – Aber als Brandenburg den Antrag
stellte, dass Brandenburger Asylbewerber auch nach
Berlin gehen können, hat Herr Wowereit darauf mit ei-
nem schroffen Nein geantwortet.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist längst geregelt! – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da sehen Sie es mal!)


So viel zum Thema Heuchelei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: SPD-Politik live!)






Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)


Als Niedersachsen beim Hamburger Bürgermeister Olaf
Scholz angeklopft hat: „Dürfen unsere Asylbewerber an-
gesichts der Lockerung der Residenzpflicht auch in die
Nachbargroßstadt Hamburg kommen?“, hat Herr Scholz
darauf mit einem schroffen Nein geantwortet. So viel
zum Thema Heuchelei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da sieht man es mal! Das ist SPD!)


Auch der sofortige Zugang zum Arbeitsmarkt ab dem
ersten Tag, ab Ankunft in Deutschland, wird im linken
Lager diskutiert. Es gibt Menschen, die sich Sorgen um
unsere Arbeitslosen machen, die sich freuen, dass es
nach neuesten Zahlen nur noch 2,7 Millionen sind. Aber
auch das ist zu viel. Wir haben eine Schutzfunktion ge-
genüber unseren Arbeitslosen. Wir dürfen nicht zulas-
sen, dass Billiglöhner aus aller Herren Länder zu uns
kommen, um hier zu arbeiten.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie betreiben das Geschäft der Rechten! – Anette Kramme [SPD]: Gegen Billiglöhne kann man etwas anderes machen! Mindestlohn zum Beispiel!)


Die Gemeinschaftsunterkunft ist eine vernünftige
Einrichtung, und zwar deswegen, weil bei einem Asyl-
verfahren nicht klar ist, ob der Bewerber bleiben kann
oder nicht. Die derzeitigen Zahlen besagen, dass 99 Pro-
zent der Ankommenden aus Mazedonien oder Serbien
nicht bleiben dürfen. Deswegen ist es wichtig, dass sie
sich in der Gemeinschaftsunterkunft aufhalten, nicht un-
tertauchen können und von der Verwaltung dort sofort
angetroffen werden können, um ausgewiesen zu werden.


(Elke Ferner [SPD]: Das ist lächerlich! Sie können auch aus einer Gemeinschaftsunterkunft untertauchen! Was ist denn das für ein Unsinn!)


Das ist der Sinn der Gemeinschaftsunterkunft. Diese Re-
gelung ist vernünftig.

Auf das Thema Sachleistungen wird sicher noch ein-
gegangen.

Ich meine, wir sollten das Asylbewerberleistungsge-
setz nicht abschaffen. Wir sollten klarmachen, dass jeder
Rechtsstaat Ausländergesetze hat und zwischen Inlän-
dern und Ausländern unterscheidet. Er regelt, wer aus
dem Ausland ins Land kommen darf und wer aus dem
Ausland bei uns bleiben darf. Die Ausnahme von dieser
Regel ist das Asylrecht; denn der zivilisierte Rechtsstaat,
der die Menschenwürde achtet, sagt: Wer politisch, ras-
sisch oder religiös verfolgt ist, der darf ausnahmsweise
kommen und bleiben.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721106500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Frau Kollegin Bulling-Schröter?


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1721106600

Ja, von mir aus.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721106700

Sie haben die Formulierung gehört. Das hat übersetzt

ein Ja bedeutet.


(Heiterkeit)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1721106800

Ein lustloses Ja.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721106900

Danke schön, Herr Uhl. – Sie haben gesagt: Wir wol-

len unsere Jugendlichen vor den Billiglöhnern aus dem
Ausland schützen. Ich habe genau zugehört, und ich
kann auch bayerisch.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das hört man!)


Ich glaube, wir alle wollen Jugendliche vor Billiglohn
schützen; im Übrigen möchte ich auch Ältere davor
schützen. Ich frage Sie daher: Wieso führen wir dann
nicht gemeinsam einen Mindestlohn oder zumindest eine
Mindestlohnuntergrenze ein?


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Oh Mann! – Lachen bei Abgeordneten der FDP)


Sie wissen genauso gut wie ich, dass sich Menschen,
die illegal bei uns arbeiten, nicht wehren können. Sie ha-
ben keine Chance. Es gibt immer mehr davon. Auch in
der Oberpfalz gibt es viele Vorfälle mit ausländischen
Firmen, zum Beispiel aus Ungarn, die Menschen dazu
bringen, für 3,50 Euro zu arbeiten. Das ist den Behörden
bekannt; sie tun aber nichts dagegen. Warum gehen Sie
nicht auch gegen solche Dinge vor, wenn Sie so viel kri-
tisieren?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1721107000

Wenn ich gewusst hätte, dass Sie diese alte, etwas ab-

gegriffene Schallplatte vom flächendeckenden Mindest-
lohn bringen, hätte ich die Frage natürlich nicht zugelas-
sen.


(Elke Ferner [SPD]: Oh!)


Ein flächendeckender Mindestlohn ist mit Sicherheit
nicht die Lösung unserer Probleme auf dem Arbeits-
markt. Im Einzelfall können Mindestlöhne sinnvoll sein.
Ein flächendeckender Mindestlohn, den Sie fordern, ist
aber nicht die Lösung.

Im Übrigen wissen wir doch genau, wie die Dinge
laufen, Frau Kollegin. – Wenn Sie bitte stehen bleiben,
dann kann ich kurz auf den Irrglauben, dass der Mindest-
lohn das Allheilmittel ist, eingehen. – Die Wirklichkeit
sieht doch ganz anders aus: Wir haben einen ständig
wachsenden Schwarzarbeitsmarkt, auf dem eine Viel-
zahl von Menschen, die unqualifiziert oder schlecht qua-
lifiziert sind, unangemeldet arbeitet. Da können Sie mit
Ihren Mindestlohnregeln überhaupt nichts erreichen.


(Anette Kramme [SPD]: Kontrolle!)


Man muss vielmehr dafür sorgen, dass auf den Großbau-
stellen eine bessere Überwachung stattfindet. Selbst im
Bereich der öffentlichen Hand wird mit Schwarzarbei-





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)


tern gearbeitet. Dieses Problem müssen wir angehen,
aber nicht mit Ihrem Mindestlohn; denn der würde im
Grunde nur auf dem Papier existieren. Das ist nicht das
Thema.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, wir sollten uns daran erinnern, dass es Zei-
ten gab, in denen wir nicht nur annähernd 100 000 Asyl-
bewerber hatten – in diesem Jahr werden wir wohl annä-
hernd so viele Asylbewerber haben –, sondern über
400 000 Asylbewerber.


(Elke Ferner [SPD]: Sagen Sie das einmal Ihrem Innenminister!)


Wir sollten uns daran erinnern, dass wir aus diesem
Grund das Grundgesetz geändert haben. Aus diesem
Grund haben wir auch dieses Gesetz geschaffen. Das
Gesetz war segensreich für Deutschland, es war segens-
reich für den sozialen Frieden, und es hat uns von SPD,
CDU/CSU und FDP den Rechtsextremismus gemeinsam
bekämpfen lassen. Deshalb sollten wir daran festhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721107100

Vielen Dank, Kollege Hans-Peter Uhl. – Nächster

Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser
Kollege Rüdiger Veit. Bitte schön, Kollege Rüdiger Veit.


(Beifall bei der SPD)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1721107200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst einmal will ich eine Sache klarstellen: Der Kol-
lege Dr. Uhl hat von den vernünftigen SPD-Kommunal-
politikern gesprochen. Er meinte damit diejenigen, die
für den Asylkompromiss gewesen sind. Im Sinne Ihrer
Definition war ich damals ein unvernünftiger Kommu-
nalpolitiker,


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Nicht nur damals!)


weil ich dafür Sorge getragen haben, dass sich der SPD-
Landesparteitag in Baunatal gegen den Asylkompromiss
ausgesprochen hat.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da gibt es mehr Beifall bei den Linken als bei den eigenen Leuten!)


Zu der praktischen Seite kommen wir nachher, Herr
Grindel.

Man langweilt sich ja schon fast selber, wenn man Ih-
nen hier immer das Gleiche erzählen muss.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es wird aber nicht richtiger!)


Ich habe aber gehört, dass die Pädagogik es als ganz
wichtiges Element der Vertiefung ansieht, den Lernstoff
zu wiederholen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Versuchen Sie es einmal!)


Auch wenn ich kein Pädagoge bin, muss ich das einmal
mehr tun und Ihnen zur Residenzpflicht Folgendes sa-
gen: Am letzten Mittwoch haben wir Parlamentarier ein
Gespräch mit etwa 40 Sachbearbeitern und Leitern von
Ausländerbehörden geführt; das war kurz nach dem Ge-
spräch mit den Flüchtlingen. Ihre erste Frage lautete:
Wann schafft ihr endlich die Residenzpflicht ab?


(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Warum sie das gefragt haben? Das haben sie uns gleich
gesagt: Sie sehen es in der Praxis als unnötigen Verwal-
tungsaufwand an, jede Entfernung eines zur Residenz-
pflicht verpflichteten Ausländers aus dem Zuständig-
keitsbereich ihrer Ausländerbehörde extra genehmigen
zu müssen. Die Praktiker haben das abgelehnt, weil das
umständlich und zu teuer ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das sehen offenbar auch einige Bundesländer so – das
ist hier vielleicht noch nicht bekannt –: Von den 16 Bun-
desländern haben mittlerweile 10 die Residenzpflicht ab-
geschafft bzw. innerhalb des jeweiligen Bundeslandes
gelockert. Herr Kollege Grindel, Ihnen sage ich mit be-
sonderer Bitte um Aufmerksamkeit: Ihr Bundesland Nie-
dersachsen, bekanntlich nicht von Rot-Grün regiert, hat
diese Änderung zum 30. Januar 2012 beschlossen. Es
hat gesagt: Die Betreffenden dürfen sich im gesamten
Land aufhalten. – Letzte Woche Mittwoch hat sogar
Hessen beschlossen – das ist eines der zehn Länder –,
die Residenzpflicht von den Regierungsbezirken auf das
ganze Land auszudehnen.

Einige Ausführungen muss ich bei dieser Gelegenheit
noch einmal richtigstellen, obwohl das, wie gesagt, lang-
sam mühsam ist. Viele von Ihnen verwechseln die Frage
der Wohnsitznahme mit der Residenzpflicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das kann man doch nicht trennen!)


– Natürlich kann man das trennen, Herr Kollege Grindel.
Das offenbart Ihre Sachunkenntnis. – Wenn ich Men-
schen eine Wohnung in einem bestimmten Bundesland,
in einem bestimmten Kreis, in einer bestimmten Ge-
meinde zuweise, dann ist das das eine. Dort ist dann die
ladungsfähige Anschrift, dorthin kann ich Bescheide zu-
stellen. Gleichzeitig aber zu sagen: „Ihr dürft niemals
diesen Landkreis oder diese kreisfreie Stadt verlassen,
egal aus welchem Grund“, ist das andere. Das ist unnö-
tig, und das ist Schikane.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch einige Worte zum Asylbewerberleis-
tungsgesetz verlieren. Wir können dem Antrag der Grü-
nen leider deshalb nicht zustimmen, weil wir eine Modi-
fikation des Gesetzes vorschlagen, mit der aber möglich
bleibt, dass die Betreffenden in den ersten sechs Wochen





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)


bis maximal drei Monaten in Gemeinschaftsunterkünf-
ten bleiben. Wir tun das nicht aus Schikane, sondern
weil wir glauben, dass es für Menschen dann, wenn sie
aus einem völlig anderen Kulturkreis kommen, besser
ist, sich zunächst einmal unter zeitnaher und räumlich
enger Beratung und Anleitung zu orientieren.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da stimmen Sie gegen Ihre eigene Landesregierung! Das verstehe ich nicht!)


Im Übrigen erleichtert dies die spätere Verteilung auf
normale Wohnquartiere. – Damit das klar ist: Wir haben
einen eigenen Gesetzentwurf. Deshalb stimmen wir Ih-
rem Antrag nicht zu.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sogar Hamburg ist dabei!)


Herr Tauber, wir sind aber ganz klar dagegen, dass
Menschen ausgebeutet werden. Gestern waren wir mit
einer Delegation aus unserer Fraktion in Neukölln. Wis-
sen Sie, was wir dort zum Thema Ausbeutung gehört
haben? Dort gibt es jemanden, der in Neukölln in erheb-
lichem Umfang Häuser erworben hat, um sie vorzugs-
weise an Roma zu vermieten und einen maßlosen Profit
zu erzielen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja!)


– Der Kollege Grindel sagt Ja. Vorsicht! Ich komme
noch dazu, wer das war. – Der Betreffende vermietet so-
zusagen Matratzen für teures Geld. Zum Thema „Wahr-
haftigkeit und Heuchelei“ will ich Ihnen jetzt sagen, wer
das ist. Der Mann heißt Thilo Peter. Er war CDU-Ver-
ordneter in der Bezirksversammlung Charlottenburg, bis
er dieses Mandat unter dem öffentlichen Druck, sich an
Flüchtlingen bereichern zu wollen, niedergelegt hat.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


So viel zu den Fingern der eigenen Hand, die auf einen
selbst zeigen.


(Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn damit sagen? Dass wir alle so denken?)


– Nein, Sie werden nicht alle solche Mietshäuser haben.
Das macht aber deutlich, in welcher Weise das Schicksal
von Flüchtlingen ausgebeutet werden kann.

Herr Grindel, zum Thema Sachleistungen will ich Ih-
nen noch einen anderen Widerspruch vorhalten. Laut
Verlautbarungen der Passauer Neuen Presse vom
23. November hat es den bayerischen Innenminister,
Herrn Herrmann, umgetrieben. Er hat gesagt: Asylbe-
werbern Geldleistungen zu gewähren, wäre wie Benzin
ins Feuer gießen. Die Abschaffung oder Modifikation
des Asylbewerberleistungsgesetzes wäre politischer
Wahnsinn. – Ich frage Sie: Wer hat das verfasst? Das wa-
ren doch keine Wahnsinnigen. Das ist die Koalitionsver-
einbarung von FDP und CDU/CSU.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da steht sehr viel Gutes drin!)


Da steht sinnvollerweise:

Das Asylbewerberleistungsgesetz werden wir im
Hinblick auf das Sachleistungsprinzip evaluieren.

Das ist eine gute Idee. Machen Sie das! Sie werden zu
den gleichen Ergebnissen kommen wie wir.


(Beifall bei der SPD – Hartfrid Wolff [RemsMurr] [FDP]: Wir sind schon dabei, Herr Kollege! Sie werden staunen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf einen
Gesichtspunkt muss ich aufgrund eigener Erfahrungen
aus der Zeit Anfang der 90er-Jahre, als die drei großen
Migrationswellen Asylbewerber, Spätaussiedler und
Übersiedler aus der vormaligen DDR zu uns ins Land
kamen, hinweisen: Die Unterbringung in Wohnungen
und die Gewährung von Geldleistungen statt Sachleis-
tungen, Gutscheinen und anderem Unsinn, den es da
gab, ist allemal billiger. Diese persönliche Erfahrung
habe ich als Landrat im Haushalt meines Kreises ge-
macht. Wenn aus Ihren Reihen jetzt der Wunsch kommt,
man möge das beibehalten, die Gemeinschaftsunter-
künfte seien gut und richtig und man bräuchte sie in
Bayern zur Abschreckung vielleicht in ganz besonderem
Maße, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ich halte es nicht
für verantwortbar, öffentliches Geld vermehrt und über-
flüssigerweise dafür einzusetzen, um Menschen zu schi-
kanieren. Deshalb gehört dieses Gesetz modifiziert oder
sogar abgeschafft.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721107300

Vielen Dank, Kollege Rüdiger Veit. – Nächster Red-

ner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Reinhard Grindel. Bitte schön, Kollege Reinhard
Grindel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1721107400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Künast, Sie haben den Bundesinnenminis-
ter wegen seiner Äußerungen zum Asylmissbrauch
durch Roma angegriffen


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Da haben Sie recht!)


und haben gesagt, das seien böse Unterstellungen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Die Bundesregierung fälscht doch auch den Armutsbericht!)


Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, und
die Wirklichkeit ist, dass von den Asylbewerbern dieses
Jahres, die aus Serbien zu uns gekommen sind, 95 Pro-
zent Roma sind; bei den Bulgaren beträgt der Anteil
85 Prozent. Die Ablehnungsquote liegt bei über 99,5 Pro-
zent. Asylmissbrauch in diesem Bereich ist Realität. Ich
sage Ihnen: Die Integration in Deutschland – das muss
eine der Lehren aus der Debatte sein – gerät in Gefahr,
wenn wir uns durch eine ungesteuerte Zuwanderung zu-
sätzliche Probleme im Bereich der Integration nach
Deutschland holen. Dadurch werden wir auch insgesamt
unserer Verantwortung gegenüber den Ausländern, die





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)


seit Jahren bei uns leben und ein Anrecht auf Integration
haben, nicht gerecht. Das sage ich ganz deutlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Künast, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Na-
türlich ist das Leben von Roma auf dem Balkan be-
schwerlich. Deswegen hat die EU sowohl für Rumänien
und Bulgarien als auch für Serbien und Mazedonien Hil-
fen in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt. Das Pro-
blem ist, dass diese Hilfen viel zu zurückhaltend in An-
spruch genommen werden. Wir als Union sagen: Hilfe
für die Roma und Sinti ist richtig; aber die Hilfe muss
vor Ort in ihrer Heimat stattfinden. Das können wir nicht
in der Bundesrepublik Deutschland leisten. Das ist der
falsche Weg.

Sie, Frau Kollegin Beck, haben gesagt, die Zugangs-
zahlen der Asylbewerber 1992 beruhten auf der Situa-
tion auf dem Balkan. Das ist nicht richtig. Im Jahr 1992
– ich habe mir die Zahlen gerade noch einmal angese-
hen – kamen 103 000 Asylbewerber aus Rumänien und
31 500 Asylbewerber aus Bulgarien. Fast alle von ihnen
waren Roma. Das viel Wichtigere ist: 1995, nur drei
Jahre später, kamen 3 000 Asylbewerber aus Rumänien
und 1 000 Asylbewerber aus Bulgarien zu uns, obwohl
sich an der politischen Situation in diesen Ländern nichts
ernsthaft geändert hatte. Die Gründe waren die hier
schon angesprochene Grundgesetzänderung


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die falsche!)


und ein Rückführungsabkommen mit Rumänien. Kür-
zere Verfahren haben geholfen. Es hatte sich vor Ort he-
rumgesprochen, dass es nichts bringt, Schleppern und
Schleusern Geld zu geben, weil man sich nur wenige
Wochen in Deutschland aufhalten kann. Das muss die
Lehre für die aktuelle Debatte sein. Mich besorgt der Zu-
strom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien.
Wir brauchen kurze Verfahren. Es muss sich in der Hei-
mat herumsprechen, dass es keinen Sinn macht, Schlep-
pern und Schleusern das Geld in den Rachen zu werfen;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn man kann nicht lange in Deutschland bleiben. Das
ist die richtige Reaktion.

Nun will ich Ihnen eines sagen: Frau Jelpke hat hier
im Zusammenhang mit der Diskussion über das Sach-
leistungsprinzip die Kinder angesprochen. Bei dem
Thema können wir gerne einmal bleiben und uns die
Frage stellen, wie es denn den Kindern aus diesen Fami-
lien, die zu uns kommen, geht. Seien wir ehrlich: Wir
brauchen nur einmal in die Großstädte in unserem Land
zu schauen. Dort sehen wir, wie die Kinder – das haben
Journalisten recherchiert – zum Teil vollgepumpt mit
Psychopharmaka ihr Dasein fristen. Das Sachleistungs-
prinzip wollen auch wir; denn es sichert, dass die ganze
Familie versorgt wird. Die Sozialleistung, Frau Jelpke,
ist nicht nur für Väter und Schleuser. Wir müssen alle,
die in unserem Land sind, anständig versorgen. Das ist
Menschenwürde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das schließt gerade Kinder und Frauen mit ein; sie profi-
tieren vom Sachleistungsprinzip. Das ist die Wahrheit.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie betreiben das Geschäft der Rechten!)


Angesichts der Forderungen nach Abschaffung des
Asylbewerberleistungsgesetzes und der Residenzpflicht
in Deutschland möchte ich auf eines aufmerksam ma-
chen: Natürlich hätte dies Konsequenzen für die Lasten-
verteilung. Natürlich wäre die Folge, dass die Asylbe-
werber in die Städte gehen, die ohnehin besonders
belastet sind; der Zustrom würde nicht mehr gesteuert
werden. Was nicht geht, ist, dass im Lokalteil der Zei-
tungen steht, dass rot-grün regierte Kommunen den
Bund auffordern, jetzt etwas zu tun, um bei den Unter-
bringungsproblemen zu helfen und den ungesteuerten
Zustrom von Asylbewerbern zu begrenzen, und im Bun-
desteil der Zeitungen steht, dass Rot-Grün fordert, das
Asylbewerberleistungsgesetz und die Residenzpflicht
abzuschaffen


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! Das ist unredlich!)


und damit die Zuwanderung noch weniger zu steuern.
Diese Doppelzüngigkeit ist nicht in Ordnung, und sie
kritisieren wir.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Natürlich ist es richtig: Wenn wir die Residenzpflicht
nicht hätten, dann gäbe es keine Nachfragemöglichkei-
ten der Ausländerbehörden, dann gäbe es keine kurzen
Verfahren, und dann gäbe es Probleme bei der Rückfüh-
rung. Ich sage das nicht in Richtung der SPD, sondern
insbesondere an Herrn Kurth und die Vertreter der Lin-
ken gerichtet: Ihnen geht es in Wahrheit um eine unge-
steuerte Zuwanderung. Sie wollen eine Politik nach dem
Motto: Wer politisch verfolgt ist, der darf in Deutschland
bleiben, und wer nicht politisch verfolgt ist, der darf
auch in Deutschland bleiben. – Das macht Integrations-
politik unmöglich, um Ihnen das einmal ins Stammbuch
zu schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, ja! Und sonntags erzählen Sie mir was vom demografischen Wandel und von der Bedeutung der Zuwanderung!)


Wir müssen das Umfeld unserer Debatte betrachten.
Wir haben – darüber ist in dieser Diskussion überhaupt
noch nicht gesprochen worden; Herr Veit hat dieses
Thema mit dem Beispiel aus Neukölln gestreift – einen
Zustrom von Roma aus Rumänien und Bulgarien zu ver-
zeichnen. Leute kommen mit vorgefertigten Kindergeld-
anträgen und Anträgen auf Gewerbezulassung nach
Deutschland, und sie haben einen Schlafplatz. Das ist or-
ganisierte Kriminalität, die sich in Deutschland täglich
abspielt,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Was? Unerhört!)






Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)


der wir wegen der Freizügigkeit aber kaum etwas entge-
gensetzen können.

Ich sage Ihnen: Wenn wir jetzt nichts gegen den Zu-
strom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien
tun, die wegen der Visafreiheit ungesteuert zu uns kom-
men können, dann wird die Integrationspolitik schwie-
rig. Dann werden wir insbesondere Schwierigkeiten ha-
ben, die Roma und diejenigen aus Rumänien und
Bulgarien, die bei uns sind und auf Dauer bei uns blei-
ben werden, so zu integrieren – das gilt gerade für die
Kinder und die Mütter –, wie es ihrem Anspruch ent-
spricht und wie es soziale Verpflichtung in unserem
Land ist. Wir müssen uns der ganzen Tragweite des Pro-
blems ein bisschen sachlicher nähern, als es insbeson-
dere Grüne und ganz Rote hier gemacht haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie sollten aus der Kirche austreten nach der Rede!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721107500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die nächste

Rednerin, Kollegin Heike Brehmer, verdient unsere Auf-
merksamkeit. Sie ist die letzte Rednerin vor der Abstim-
mung. Ich bitte Sie sehr herzlich, ihr zuzuhören. – Bitte
schön, Frau Kollegin Heike Brehmer.


Heike Brehmer (CDU):
Rede ID: ID1721107600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, so
steht es in Art. 16 a Abs. 1 unseres Grundgesetzes ge-
schrieben. Lassen Sie mich deshalb gleich zu Beginn
meiner Ausführungen etwas Entscheidendes deutlich
machen: Das Recht auf Asyl – darüber dürften sich alle
Anwesenden in unserem Hohen Haus einig sein – ist ein
wesentliches Grundrecht unserer Verfassung. Menschen,
die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt
werden, sollen sich in Deutschland auf das Asylrecht be-
rufen können. Allein im Zeitraum von Januar bis Okto-
ber 2012 wurden in Deutschland 50 344 Erstanträge auf
Asyl gestellt; das sind 13 761 Anträge mehr als im Vor-
jahr. Das geht aus dem aktuellen Bericht des Bundesam-
tes für Migration und Flüchtlinge hervor. Im EU-weiten
Vergleich liegt Deutschland damit an der Spitze.

Dem Recht auf Asyl begegnen wir mit einem hohen
Maß an politischer Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, den
Grünen und den Linken, aus dem Kern Ihrer Anträge
geht diese politische Verantwortung nicht hervor. Im
Kern Ihrer Anträge stehen die Reformierung oder Ab-
schaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die
Aufhebung der Residenzpflicht für Asylsuchende und
Geduldete.

Wir haben hier im Deutschen Bundestag in den ver-
gangenen Monaten bereits viele umfassende Debatten zu
diesem Thema durchgeführt. Sie kritisieren das Asylbe-

werberleistungsgesetz bereits, seit es 1993 eingeführt
wurde. Zur Wahrheit gehört, dass es zu Zeiten der rot-
grünen Bundesregierung von 1998 bis 2005 keinerlei
Initiativen zum Asylrecht gegeben hat.


(Beifall der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


In diesen sieben Jahren haben Sie das Asylbewerberleis-
tungsgesetz unangetastet gelassen. Das sollte hier einmal
gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Verehrte Kollegen von den Grünen, Sie bezeichnen
das Asylbewerberleistungsgesetz in Ihrem Antrag als
diskriminierend. Ich möchte noch einmal betonen, dass
Sie sich in der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung
trugen, nicht um die Regelsätze für die Asylbewerber
und Geduldete geschert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mein Kollege Dr. Uhl hat bereits darauf hingewiesen
– zur Erinnerung wiederhole ich es –: Das Asylbewerber-
leistungsgesetz ist kein überflüssiges und unverhältnis-
mäßiges Gesetz, wie Sie es in Ihrem Antrag bezeichnen.
Im Gegenteil: Das Gesetz wurde 1992 auf den Weg ge-
bracht, zu einer Zeit, als erstmals über 400 000 Menschen
einen Antrag auf Asyl stellten. 95 Prozent dieser Anträge
wurden damals abgelehnt. Um einem Missbrauch des
Asylrechtes vorzubeugen, einigten sich CDU/CSU, FDP
und SPD gemeinsam im Dezember 1992 im damaligen
Asylkompromiss auf Regelungen zum Mindestunterhalt
von Asylbewerbern. Kurz darauf folgte das Asylbewer-
berleistungsgesetz. Dieses Gesetz war ein richtiger und
wichtiger Ansatz.

Nun wollen Sie die bestehenden Regelungen nicht
nur ändern, sondern sich selbst übertreffen. Sie wollen
das Asylbewerberleistungsgesetz aufheben und be-
währte Regelungen für Asylsuchende und Geduldete ab-
schaffen. Sie wollen sich – ganz einfach – in einem
1 000-Meter-Lauf dreimal selbst überholen. Das wurde
in Ihren Redebeiträgen mehr als deutlich.

Der Antrag der SPD ist wohl der am weitestgehenden
ausformulierte Antrag. Darin gehen Sie auf das Urteil
des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012 ein.
Sie formulieren zunächst richtigerweise:

Der Gesetzgeber hat ein Einschätzungsvorrecht. Er
muss aber alle existenznotwendigen Aufwendun-
gen in einem transparenten Verfahren ermitteln. Die
zugrunde liegenden Berechnungen muss er nach-
vollziehbar offenlegen.

Ich kann mich noch ganz genau an die Erarbeitung
der Hartz-IV-Regelsätze und des Bildungs- und Teilha-
bepaketes erinnern, als es darum ging, wie das Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt werden kann. Es
waren damals sehr zähe und lange Verhandlungen, bei
denen sich die Kollegen der Grünen – anders als die Kol-
legen der SPD – am Ende aus der Verantwortung gestoh-
len haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)






Heike Brehmer


(A) (C)



(D)(B)


Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht am
18. Juli 2012 ein wichtiges Urteil im Asylrecht gefällt.
Die SPD hat dazu in der Begründung ihres Antrags wei-
ter ausgeführt:

Das Verfahren muss sachgerecht, realitätsgerecht
sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässli-
cher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren
bemessen sein. Insbesondere muss er offenlegen,
auf Grundlage welcher Zahlen er ein im Grundsatz
taugliches Berechnungsverfahren gewählt hat und,
falls er im Einzelnen von diesem Verfahren ab-
weicht, dies rechtfertigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Urteil
der Karlsruher Richter umsetzen und dazu einen entspre-
chenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Verantwortung
liegt vor Ort in den einzelnen Bundesländern. Diesem
Gesetz – das wurde schon gesagt – muss der Bundesrat
zustimmen.

Ich erinnere noch daran, dass die rot-grün geführten
Bundesländer derzeit im Bundesrat die milliardenschwe-
ren Steuerentlastungen blockieren, welche unsere Bürge-
rinnen und Bürger um 6 Milliarden Euro entlasten wür-
den. Sie müssen den Bürgern erklären, warum Sie das
Asylbewerberleistungsgesetz im Eiltempo einbringen
wollen und die steuerlichen Entlastungen für unsere Bür-
ger blockieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721107700

Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit? Bitte

kommen Sie zum Schluss.


Heike Brehmer (CDU):
Rede ID: ID1721107800

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum

Schluss kurz auf die Residenzpflicht eingehen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721107900

Zum Schluss!


Heike Brehmer (CDU):
Rede ID: ID1721108000

Liebe Frau Künast, Sie sind in Baden-Württemberg in

der Regierungsverantwortung. Dort ist die Residenz-
pflicht teilweise gelockert. Fangen Sie doch dort an, wo
Sie Verantwortung haben!

Meine Damen und Herren, wir lehnen die Anträge
von den Linken, von den Grünen und von der SPD ab.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721108100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksache 17/11663, 17/11589 und 17/11674 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Die Vorlage auf Drucksache 17/11663 – Tagesord-

nungspunkt 4 a – soll federführend an den Innenausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen,
kommen wir noch zu einer anderen Abstimmung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhe-
bung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Der Ausschuss
für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10198, den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/1428 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Handzei-
chen. – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das
sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der So-
zialdemokraten. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/11707. Wir stimmen über den Entschlie-
ßungsantrag auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh-
men. Ich weise darauf hin, dass zur Abstimmung auch
schriftliche Erklärungen vorliegen.1)

Vorne links fehlen noch Schriftführer. – Nun sind alle
Plätze an den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstim-
mung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2) – Darf ich Sie jetzt herzlich bitten, die
Plätze wieder einzunehmen?

Wir setzen die Abstimmungen fort.

Tagesordnungspunkt 4 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Menschenwürdiges
Existenzminimum für alle – Asylbewerberleistungsge-
setz abschaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/10198, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/4424 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen
und die Fraktion der Sozialdemokraten. Gegenprobe! –
Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Zusatzpunkt 3 b. Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem
Titel „Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und
Geduldete“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-

1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 25681 D





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


schlussempfehlung auf Drucksache 17/11716, den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5912 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das
sind die Sozialdemokraten und die Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 51 a bis 51 g sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:

51 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012)


– Drucksache 17/8989 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss 
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen
der irischen Bevölkerung bezüglich des Ver-
trags von Lissabon

– Drucksache 17/11367 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Auswärtiger Ausschuss 
Rechtsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes

– Drucksache 17/11368 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung versicherungsrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 17/11469 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entbü-
rokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts

(Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz – GemEntBG)


– Drucksache 17/11632 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss 
Sportausschuss 
Rechtsausschuss 
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Kultur und Medien 
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Haltungsbedingungen für Puten verbessern

– Drucksache 17/11667 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Dorothea
Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Havarie des Containerschiffs MSC Flaminia –
Aus den Fehlern von Seeunfällen lernen

– Drucksache 17/11668 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss 
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Markus Tressel, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verkehrsträgerübergreifende Fahrgastrechte
stärken

– Drucksache 17/11375 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Tourismus 
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen

(Weil am Rhein)

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Werner
Simmling, Birgit Homburger, Ernst Burgbacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Projektbeiratsbeschluss bei der Rheintalbahn
umsetzen

– Drucksache 17/11652 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Finanzausschuss 
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für Tourismus 
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag
zur weltweiten sozialen Wende

– Drucksache 17/11665 –





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der
die Federführung strittig ist.

Zusatzpunkt 4 a. Interfraktionell wird Überweisung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/11375 zu verkehrsträgerübergreifenden
Fahrgastrechten an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist je-
doch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
wünschen Federführung beim Rechtsausschuss. Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung
beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtwicklung,
abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist
abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, also Federfüh-
rung beim Rechtsausschuss, abstimmen. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Op-
positionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Über-
weisungsvorschlag ist angenommen.

Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen.
Das sind die Tagesordnungspunkte 51 a bis 51 g sowie
die Zusatzpunkte 4 b und 4 c. Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ha-
ben wir dies so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 52 sowie die Zu-
satzpunkte 5 a bis 5 e auf. Es handelt sich um Beschluss-
fassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache
vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 52:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Heinz Paula,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Ag-
rarstruktur und des Küstenschutzes an ak-
tuelle Herausforderungen anpassen

– Drucksache 17/11653 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Fraktion
der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind
die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke.
Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Der Antrag ist abgelehnt.

Zusatzpunkt 5 a:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Dem Antrag Palästinas auf erweiterten Be-
obachterstatus in der UNO zustimmen

– Drucksache 17/11678 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Frak-
tion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Sozialde-
mokraten. Der Antrag ist abgelehnt.

Zusatzpunkte 5 b bis 5 e:

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

– Drucksache 17/11618 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

– Drucksache 17/11619 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

– Drucksache 17/11620 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

– Drucksache 17/11621 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen

Zunächst erteile ich nach § 31 der Geschäftsordnung
unserem Kollegen Dr. Diether Dehm das Wort. Bitte
schön, Kollege Dr. Diether Dehm.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721108200

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich werde gegen den Antrag zur Durchführung ei-
nes Strafverfahrens gegen meinen Fraktionskollegen Jan
van Aken und andere stimmen und mich auch weiterhin
dagegen einsetzen; denn der Vorwurf, wonach das Un-
terzeichnen der „Castor Schottern!“-Erklärung einen
Aufruf zu einer Straftat darstellt, ist juristisch unhaltbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern
offensichtlich auch die der Staatsanwaltschaft Lüneburg,
die den Unterzeichnern, unter anderem Jan van Aken,
Inge Höger, Sevim Dağdelen und mir, zwischenzeitlich
angeboten hat, gegen Zahlung einer Spende das Ermitt-
lungsverfahren einzustellen.

Den anderen Fraktionen im Hause bietet sich hier
aber offensichtlich die Möglichkeit, einen Akt von zivi-
lem Ungehorsam durch Linke zu kriminalisieren.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nur um Gleichbehandlung!)


Da sie nicht anerkennen, dass die breite Mehrheit in un-
serem Volk für den Atomausstieg und gegen die lebens-
gefährlichen AKW ist, dem nun Sie alle und auch Frau
Merkel beigetreten sind, dass dieser Ausstieg ohne den
zivilen Ungehorsam und den Protest gegen die strahlen-
den Castortransporte nie möglich gewesen wäre,


(Beifall bei der LINKEN)


dass die Atomenergie noch längst nicht Geschichte ist.
Weil sie nicht einmal damit angefangen haben, die Ge-
schichte dieser Proteste, zum Beispiel in Gorleben, auf-
richtig zu schreiben. So besteht die Gefahr weiterhin.

Den Energiekonzernen wird noch ordentlich Steuer-
geld zugeschustert, Euratom fördert AKW auf EU-
Ebene, die Deutsche Bank, die mit 12 Prozent an Tepco,
dem Betreiber des Atomkraftwerks in Fukushima betei-
ligt ist, kreditiert in einem westindischen Erdbebenge-
biet gerade eben ein neues AKW, und die Zeitbombe
Asse II tickt weiter. Niedersachsen ist weiterhin ein
Atomklo. Solange die Endlagerfrage ungelöst ist, wer-
den mit jedem weiteren Castortransport Fakten geschaf-
fen. Es sind nach wie vor Protest und ziviler Ungehor-
sam bitter nötig.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Grünen haben im Immunitätsausschuss auch für
unsere Strafverfolgung gestimmt und werden das hier
jetzt auch wieder tun, mit dem wohlfeilen Argument, wir
linken Abgeordneten sollten doch nicht das Privileg der
Abgeordnetenimmunität ausnutzen.


(Zuruf von der LINKEN: Pfui!)


Wohlgemerkt: Der Vorwurf des Staatsanwalts gegen uns
lautet „Gefahr für Leib und Leben“. Was bedeutet mehr
Gefahr für Leib und Leben, die lebensgefährdenden
Atomkonzerne oder die Fortführung der Proteste dage-
gen


(Beifall bei der LINKEN)


bzw. ein Schottern, das nicht einmal stattgefunden hat?
Schottern bedeutet laut Duden übrigens „Aufhäufen von
Schotter“.

Die politische Immunität von Abgeordneten ist in der
Parlamentsgeschichte ja gerade dafür da, dass sich Ab-
geordnete mehr an unbequemen politischen Wahrheiten
auch gegen „die da oben“ leisten können als jemand, der
in einem Abhängigkeitsverhältnis steht und vielleicht
um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Deswegen ge-
währt das Europäische Parlament bei jedem Fall des Pro-
tests – bei jedem Fall des Protests! –, selbst bei der ille-
galen Demonstrationsanmeldung, generell Immunität.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Antrag zur Änderung des Immunitätsrechts?)


Ihr Mittun, liebe Grüne, im Immunitätsausschuss ist
damit immer auch ein Stück Beteiligung an Kriminali-
sierung und Einschüchterung der Proteste.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage es gerne noch einmal: Ihre Beteiligung im
Immunitätsausschuss daran, dass nun die Strafverfol-
gung gegen meine Kollegen und mich stattfinden kann,
ist immer auch ein Stück Kriminalisierung und Ein-
schüchterung der Proteste.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie noch weiter schreien, dann werde ich es noch
ein drittes Mal sagen.

So oder so: Mein Gewissen als Abgeordneter käme
nicht zur Ruhe, wenn der Widerstand gegen die skrupel-
losen Atomkonzerne zur Ruhe käme.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721108300

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegt noch die

Erklärung unseres Kollegen Wolfgang Gehrcke nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor. 1)

Nun erteile ich das Wort dem Vorsitzenden des
1. Ausschusses, dem Kollegen Thomas Strobl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1721108400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Als Vorsitzender des Immunitätsausschusses möchte ich
ein paar Punkte klarstellen. Das Immunitätsrecht hat den
Zweck, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit unseres
Parlamentes als Ganzes sicherzustellen. Es ist nicht da-
für da, einzelne Abgeordnete vor ihrer gerechten Strafe
für begangene Straftaten zu bewahren.

1) Anlage 3





Thomas Strobl (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagen Sie einmal Heinrich Böll für seinen zivilen Ungehorsam gegen die Atomraketen!)


Wir Abgeordnete sollen also durch das Immunitäts-
recht, Herr Kollege Dehm, nicht besser gestellt werden
als alle anderen Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das klingt wohlfeil!)


Es gibt keine Privilegien eines Abgeordneten gegenüber
normalen Bürgerinnen und Bürgern, wenn er Straftaten
begeht, und es darf solche Privilegien auch nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagen die, die Sie alle mitklatschen, die ZivilenUngehorsams-Leute!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn eine
Staatsanwaltschaft gegen Mitglieder des Hauses wegen
des Verdachts einer Straftat ermitteln möchte, prüft der
Immunitätsausschuss daher, ob der beim Präsidenten
eingereichte Antrag nachvollziehbar und begründet ist.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721108500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vorhin war es ruhig,

als die Erklärung vom Kollegen Dehm abgegeben
worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es war auf allen Seiten ruhig. Ich glaube, es ist eine
Frage der Fairness, dass auch der Vorsitzende des Aus-
schusses in Ruhe seine Erklärung abgeben kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Unruhe war da auch!)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1721108600

Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident. – Insbeson-

dere prüft der Ausschuss, ob es sich um einen Akt staats-
anwaltschaftlicher Willkür aus politischen Motiven
gegen einen Abgeordneten handelt, also ob ein Kollege
Beschuldigter durch eine Staatsanwaltschaft deswegen
wird, weil er Abgeordneter ist, und nicht, weil er sich
möglicherweise einer Straftat schuldig gemacht hat.

Dies hat der Ausschuss, wie immer, auch in jedem
einzelnen der vorliegenden Fälle und nach dem seit
langem bewährten Verfahren getan. Diesem Verfahren
haben übrigens zu Beginn der Legislaturperiode alle
– ich betone: alle! – Fraktionen zugestimmt, auch Ihre
Fraktion.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wenn es eine Straftat wäre, würde Lüneburg es nicht zurückziehen!)


Sie können das in Anlage 6 der Geschäftsordnung nach-
lesen, Herr Kollege Dehm. Danach achtet der Ausschuss
bei der Prüfung der Anträge vor allem darauf, dass das
Vorgehen der Staatsanwaltschaft in jedem einzelnen Fall
frei von sachfremden Erwägungen, frei von politischen
und frei von willkürlichen Motiven ist. Das hatten wir
auch in diesem Fall getan.

Weiter ist im Übrigen geregelt, dass der Ausschuss
nicht in eine Beweiswürdigung eintritt und dass die Ent-
scheidung über die Aufhebung oder Wiederherstellung
der Immunität auch keine Feststellung von Recht oder
Unrecht, von Schuld oder Unschuld bedeutet. Das ist
nicht Sache des Immunitätsausschusses, sondern das ist
nach unserer Verfassung aus guten Gründen den Gerich-
ten vorbehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich betone es noch einmal: Wir urteilen nicht darüber,
weder im Ausschuss noch hier, ob sich die betroffenen
Kolleginnen und Kollegen tatsächlich strafbar gemacht
haben. Wir stellen lediglich fest, dass die Staatsanwalt-
schaft im konkreten Fall nicht willkürlich handelt, wenn
sie ein Verfahren anstrebt, das auch gegen jeden Bürger
und gegen jede Bürgerin so angestrengt worden wäre.
Wer die Aufhebung der Immunität in diesem Fall als
„Kriminalisierung“ bezeichnet,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich ist es das!)


der hat unseren Rechtsstaat nicht verstanden, Herr Kol-
lege Dehm.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dieser Beifall ist der Abschied vom Protest! So sieht der aus!)


Im konkreten Fall hat der Ausschuss die Anträge wie
üblich ausführlich beraten und die Staatsanwaltschaft
darüber hinaus sogar um zusätzliche Informationen zum
Sachverhalt und zur rechtlichen Begründung der An-
träge gebeten. Im Ergebnis bestand im Immunitätsaus-
schuss Einigkeit bei den Fraktionen CDU/CSU, SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dass die Bewertung
des Verhaltens der betroffenen Abgeordneten als Straftat
nach § 111 des Strafgesetzbuches – Öffentliche Auffor-
derung zu Straftaten – durch die Staatsanwaltschaft
nachvollziehbar und willkürfrei begründet worden ist.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist die Willkür von Ihnen! Illegitim!)


Da also keine immunitätsrechtlichen Gründe für eine
Wiederherstellung der Immunität der Betroffenen vorlie-
gen, hat der Ausschuss entschieden, dass – wie üblich –
die Frage der Strafbarkeit und die Frage der Schuld oder
Unschuld durch die zuständigen Gerichte zu klären ist.
Dafür haben wir den Weg jetzt freigemacht.





Thomas Strobl (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daher hat der Ausschuss – wie üblich – die Be-
schlussempfehlungen so vorgelegt, für die ich um Ihre
Zustimmung bitte.

Herr Kollege Dehm, ich muss Ihnen schon klar entge-
genhalten: Die Aufforderung, Gleisanlagen der Bahn zu
schottern, also das Gleisbett der Bahn auszuhöhlen,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das heißt es nicht! Es heißt „Aufhäufen von Schotter“! Schauen Sie im Duden nach!)


ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat nach § 111
des Strafgesetzbuches, die in Fällen wie den hier vorlie-
genden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren
bestraft werden kann.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist Vorverurteilung!)


Insofern muss ich auch darauf hinweisen, dass im
Ausschuss allgemein von allen Fraktionen – mit
Ausnahme der Fraktion Die Linke –


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


die Überzeugung herrscht, dass Kollegen, die bewusst
diese Art der Aufforderung zur Begehung von Straftaten
wählen, sich dann auch der strafrechtlichen Konsequenz
stellen müssen und nicht über das Immunitätsrecht privi-
legiert werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie können und dürfen nicht besser behandelt werden als
andere Bürgerinnen und Bürger auch.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie werden auf der politischen Anklagebank sitzen bei dem Verfahren!)


Was wäre das auch für ein Signal an die Bürgerinnen
und Bürger, beispielsweise an die über 1 000 Bürgerin-
nen und Bürger, gegen die im Zusammenhang mit dem
Castortransport durch die Staatsanwaltschaft Lüneburg
ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren einge-
leitet wurde?


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Auch falsch! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das eine ist falsch, das andere ist falsch!)


Über 1 000 Bürgerinnen und Bürger! Was wäre das für
ein Signal, wenn diese Bürgerinnen und Bürger straf-
rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, der Kollege
Dehm aber nicht, nur weil er ein Abgeordneter ist? Wer
hätte für eine solche Vorzugsbehandlung eigentlich Ver-
ständnis? Wir würden kein Verständnis ernten, und zu
Recht würden wir kein Verständnis ernten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum hat die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens angeboten?)


Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte
ich um Zustimmung für die mit großer Mehrheit im
1. Ausschuss gefassten Beschlüsse, es bei der Auf-
hebung der Immunität der betroffenen Kollegen zu
belassen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Traurig!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721108700

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen jetzt

zur Abstimmung über die vier Beschlussempfehlungen.
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung empfiehlt in seinen Beschlussempfeh-
lungen, die Genehmigung zur Durchführung eines Straf-
verfahrens jeweils zu erteilen.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11618? – Das sind die Koalitionsfraktionen,
Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Die
Linke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11619? – Das sind die Koalitionsfraktionen,
Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer
stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltun-
gen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11620? – Koalitionsfraktionen, Sozialdemo-
kraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dage-
gen? – Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11621? – Koalitionsfraktionen, Sozialdemo-
kraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dage-
gen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Keine.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme nun zu
dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelten Ergebnis unserer namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des
Asylbewerberleistungsgesetzes: abgegebene Stimmen
579. Mit Ja haben gestimmt 131, mit Nein haben ge-
stimmt 438, Enthaltungen 10. Der Entschließungsantrag
ist abgelehnt. So weit das Ergebnis dieser namentlichen
Abstimmung.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon

ja: 131
nein: 438
enthalten: 11

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost

Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn

Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos

Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)


Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann

Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert

Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann

Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Jörg von Polheim

Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk

Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthalten

SPD

Elvira Drobinski-Weiß
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groß
Petra Hinz (Essen)

Dietmar Nietan
Michael Roth (Heringen)

Frank Schwabe
Dr. Carsten Sieling
Christoph Strässer
Heidemarie Wieczorek-Zeul

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung
Datenschutz

– Drucksache 17/11637 –

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11637? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. – Wer stimmt dage-
gen? – Das sind die Fraktionen der Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion
Die Linke. Der Wahlvorschlag ist angenommen. Vielen
herzlichen Dank.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 6 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion der SPD

Unterschiedliche Auffassungen der Koalitions-
fraktionen über ihre Pläne zur Einführung
von Gutscheinen für Haushaltshilfen

Erste Rednerin unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Caren Marks. Bitte schön, Frau Kollegin Caren Marks.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1721108800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch
wenn der Vorschlag zu Gutscheinen für Putzhilfen von
der Fraktionsspitze am Dienstag im wahrsten Sinne des
Wortes einkassiert wurde, so bleibt Ihnen, meine Damen
und Herren von Schwarz-Gelb, nicht die Kritik an der
Konzeptlosigkeit Ihrer Familienpolitik erspart.


(Beifall bei der SPD)


Die Diskussion der letzten Tage zeigt erneut, dass dieser
Bundesregierung, in diesem Falle insbesondere der

Union, der Kompass in der Familien- und der Gleichstel-
lungspolitik komplett fehlt.


(Beifall bei der SPD)


Das nervige Betreuungsgeld, das einen Anreiz setzt,
Kinder von öffentlich geförderten Kitas und Einrichtun-
gen der Kindertagespflege fernzuhalten, ist kaum durch
den Bundestag, da kommen Sie mit einem Vorschlag um
die Ecke, der Anreize genau in die entgegengesetzte
Richtung setzen soll. Wir finden: Das ist mehr als
absurd.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wie widersprüchlich Ihre Familienpolitik ist, erleben
wir bei vielen Themen immer wieder. Mal kündigt die
Bundesfamilienministerin an, das Elterngeld weiterent-
wickeln zu wollen, kürzt dann aber stattdessen munter
drauflos. Mal behauptet die Bundesfrauenministerin, die
sie ja auch sein sollte, Frauen mehr Chancen im Beruf
und in Führungspositionen eröffnen zu wollen, steht
dann aber der gesetzlichen Frauenquote entgegen und
definitiv auf der Bremse. Mal gibt Frau Schröder vor,
sich für den Ausbau der Krippen einzusetzen, führt dann
aber ein Betreuungsgeld ein, das diesen Ausbau konter-
kariert.

Die Koalition hat in wichtigen gesellschaftspoliti-
schen Bereichen definitiv keinen Fahrplan. Sie sagt mal
hü und mal hott und wundert sich dann, dass jeder über
diese Politik nur noch den Kopf schüttelt. Dabei ist ge-
rade für Familien Verlässlichkeit ein hohes Gut, damit
Familien in diesem Land ihren Alltag und ihre Zukunft
planen können.


(Beifall bei der SPD)


Verlässlichkeit brauchen Familien vor allem bei der
sozialen Infrastruktur. Erfahrungen in den skandinavi-
schen Ländern zeigen im Übrigen, meine Kolleginnen
und Kollegen von Schwarz-Gelb, dass eine solche Infra-





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


struktur eine wirklich wichtige Voraussetzung für ein gu-
tes Aufwachsen von Kindern und für eine gelingende
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist.

Ein bedarfsgerechtes Angebot an Krippenplätzen und
an Ganztagsangeboten für kleinere und größere Kinder
ist in unserem Land längst noch nicht vorhanden. So-
wohl die EU als auch OECD mahnen immer wieder an,
dass es in Deutschland einen dringenden Nachholbedarf
gibt. Das in der Union nun diskutierte Gutscheinmodell
für Haushaltshilfen soll offensichtlich von diesem Nach-
holbedarf ablenken. Oder sollten mit dem Vorschlag
vielleicht schnell ein paar Wahlgeschenke an eine gut-
verdienende Klientel verteilt werden, die sich ohnehin
schon Haushaltshilfen leisten kann?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, glauben
Sie ernsthaft, diese billigen Taschenspielertricks be-
kommt niemand mit?

Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union, ab-
gesehen davon, finde ich bemerkenswert, dass Sie an Ge-
dächtnisverlust zu leiden scheinen, was die Rechtslage
angeht; denn es gibt längst Steuervorteile für haushalts-
nahe Dienstleistungen. Es gibt sie längst für haushalts-
nahe Beschäftigungsverhältnisse und auch für Kinderbe-
treuungskosten. Beispielsweise gibt der Staat jährlich
etwa 400 Millionen Euro dafür aus, dass Dienstleistungen
wie Hausreinigung, Fensterputzen oder Bügeln steuer-
lich gefördert werden können. Ist Ihnen von der Koali-
tion das alles ganz plötzlich entfallen? Oder wollen Sie
mit Blick auf die Bundestagswahl den Wettbewerb „Wer
fordert mehr?“ eröffnen? Viel Spaß!

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns hof-
fentlich alle einig darüber, dass Frauen nach der Geburt
eines Kindes, wenn sie es wünschen, bald wieder die
Chance auf den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben ha-
ben müssen. Doch wir unterscheiden uns bereits bei der
Analyse der Situation von Familien ganz deutlich; denn
wir haben Mütter und Väter im Blick.


(Beifall bei der SPD)


Die Union dagegen hat nur Mütter und keine Väter im
Blick,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Oh! Das stimmt doch nicht!)


wenn es um die Organisation des Haushalts und des Fa-
milienalltags geht. Ihr Haushaltshilfenvorschlag bezieht
sich nur auf Frauen. Wir dagegen sehen nicht allein die
Frauen in der Verantwortung, sich den Kopf über die
Vereinbarkeitsfrage zu machen. Diese Frage geht auch
Männer etwas an. Putzhilfegutscheine nur für Frauen
wären schon aus diesem Grund der falsche Weg. Wir
bauen bei der Familienpolitik auf Gleichberechtigung
und Partnerschaftlichkeit. Das haben wir beim Ausbau
der Betreuungsangebote, bei Arbeitszeitmodellen und bei
der Weiterentwicklung des Elterngeldes im Blick. Uns
geht es darum, dass Mütter und Väter bei der Vereinbar-
keit von Familie und Beruf Unterstützung brauchen so-

wie dass Frauen und Männern gleiche Chancen im Er-
werbsleben einzuräumen sind.

Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinwei-
sen: Art. 3 unseres Grundgesetzes zielt darauf ab, die
Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu för-
dern. Ich hoffe sehr, dass auch diese Koalition nicht wei-
tere Überraschungen in der Schublade hat, die genau
diesem Ziel elementar zuwiderlaufen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721108900

Vielen Dank, Frau Kollegin Caren Marks. – Nächste

Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
der CDU/CSU unsere Kollegin Ingrid Fischbach. Bitte
schön, Frau Kollegin Ingrid Fischbach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1721109000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich habe Germanistik studiert und glaube, zu verste-
hen, was ich lese. Da ich mich auf diese Aktuelle Stunde
und meine Rede vorbereiten wollte, habe ich den Titel
der Aktuellen Stunde mehrfach gelesen. Aber, liebe Frau
Marks, mir war gar nicht klar, worüber Sie reden wollen.
Ihre Rede hat zur Erhellung auch nicht beigetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben zur Familienpolitik der Bundesregierung gere-
det. Darüber kann man reden. Ihre Aktuelle Stunde trägt
den Titel „Unterschiedliche Auffassungen der Koali-
tionsfraktionen über ihre Pläne zur Einführung von Gut-
scheinen für Haushaltshilfen“.


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


– Jetzt sagen Sie Ja. – Mich hat verwundert, dass Sie
über die Pläne Bescheid wussten, aus dem Antrag zitiert
haben, obwohl selbst die Regierungsfraktionen diesen
Antrag nicht kennen.


(Elke Ferner [SPD]: Sie haben ihn doch begrüßt!)


Das ist wunderbar.


(Elke Ferner [SPD]: Sie haben doch den Vorschlag gemacht!)


– Ich habe ihn geschrieben. Das ist ein Unterschied. –
Man muss immer überlegen: Worüber redet man, und
was will man mit einer Aktuellen Stunde erreichen? Ich
finde es schön, in 15 Jahren endlich einmal eine Aktuelle
Stunde zu verantworten zu haben. Das ist mir bisher
noch nie gelungen. Sie haben mir dazu verholfen. Das
mache ich besonders gerne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann Ihnen auch erklären, warum es keine einheit-
lichen Auffassungen geben kann. Das liegt daran, dass
dieser Antrag noch gar nicht eingebracht worden ist.


(Elke Ferner [SPD]: Aber die Ministerin begrüßt ihn schon mal!)






Ingrid Fischbach


(A) (C)



(D)(B)


Dieser Antrag stammt von einer kleinen Gruppe. Das
unterscheidet uns von der SPD, Frau Ferner: Wir dürfen
auch in kleineren Gruppen denken.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben in einer kleinen Gruppe darüber nachgedacht,
wie man Eltern unterstützen kann. Deswegen stimmt
das, was Sie, Frau Marks, sagen, nicht. Den Antrag kön-
nen Sie gar nicht haben; den haben Sie auch nicht. Darin
ist außerdem nicht nur von Frauen, sondern auch von
Vätern die Rede.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen genauso wie andere Fraktionen, dass Eltern,
die zum Beispiel längere Zeit aus dem Beruf heraus sind,
die 30, 40 Jahre und älter sind und nun in den Beruf zu-
rückkehren wollen, eine Hilfe bekommen.

Dass haushaltsnahe Hilfen und haushaltsnahe Dienst-
leistungen gar nicht so falsch sind, haben zum Beispiel
die Grünen mit einem Antrag im Landtag NRW belegt.
Jetzt habe ich bei Ihrer Rede, Frau Marks, den Eindruck
gewonnen, das alles sei nur eine Idee von FDP und
CDU/CSU. Kennen Sie die Arbeitsgemeinschaft der
Frauen der SPD Unterfranken?


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


Diese haben zum Beispiel auf einem Parteitag der SPD
gefordert – ich zitiere –:

Haushaltsnahe Dienstleistungen, die über Wohl-
fahrtsverbände, Agenturen und die Kommune …
angeboten werden, sollen vom Land Bayern für
max. 20 Stunden im Monat gefördert werden.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Die Forderung muss an sozial Schwache weiterge-
geben werden, damit die Inanspruchnahme der
Dienstleistungen durch Familien, Alleinerziehende
und SeniorInnen finanzierbar bis zu kostenfrei ist.


(Elke Ferner [SPD]: Das ist aber etwas anderes als das, was wir in den Zeitungen von Ihnen gelesen haben!)


Die Frauen sind klug, Frau Ferner. Wissen Sie, warum?


(Elke Ferner [SPD]: Nein!)


Weil die steuerlichen Entlastungen, von denen Ihre Kol-
legin Marks eben gesprochen hat, nur denjenigen zugu-
tekommen, die viele Steuern zahlen.


(Elke Ferner [SPD]: Das ist doch das, was Sie fordern!)


Wir denken auch an die Familien mit kleinen und mittle-
ren Einkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Sie haben doch selber
– selbst Frau Ferner, deren Homepage ich hier zitieren

könnte – die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen
gelobt,


(Caren Marks [SPD]: Ja!)


die wir in der Großen Koalition auf den Weg gebracht
haben, weil sie Entlastung bringt.


(Caren Marks [SPD]: Das scheinen Sie nur vergessen zu haben!)


– „Wer schreit, hat noch lange nicht recht“, hat meine
Mama immer gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir reden heute in einer
Aktuellen Stunde über ein Problem, das gar keines ist.
Wir haben in einer kleinen Runde Ideen gehabt, haben
den Finanzpolitikern schon vor einiger Zeit unsere Ideen
vorgetragen und haben gemerkt, dass sie im Moment
nicht finanzierbar sind. Auch darin unterscheiden wir
uns von Ihnen: Wir wollen den Menschen helfen, wir
wollen ihnen aber auch eine Zukunft geben. Wer nur
Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe aufstellt,
Frau Marks, ohne zu sagen, wie es finanziert werden
soll, der tut den Menschen keinen Gefallen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der sorgt auch dafür, dass gerade unsere Familien, un-
sere Jugend, unsere Kinder keine Zukunft haben. Wir
stehen dazu.


(Elke Ferner [SPD]: Sie stehen offensichtlich nicht zu Ihren Vorschlägen!)


Wir sind die Partei, wir sind die Regierungskoalition für
Familien. Wir haben alle Familien im Blick. Wir haben
die Väter und Mütter im Blick, und – das erfreut mich
am meisten – wir dürfen noch frei denken


(Caren Marks [SPD]: Sie dürfen auch Unsinn denken!)


und unsere Ergebnisse in die Öffentlichkeit bringen.

Vielleicht, Frau Marks, sollten wir einmal darüber
nachdenken, ob es – den Vorschlag werde ich meiner
Fraktion unterbreiten – einen Bildungsgutschein für die
SPD geben kann, damit sie in Zukunft Aktuelle Stunden
so tituliert, dass jeder weiß, worum es geht.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721109100

Vielen Dank, Frau Kollegin Ingrid Fischbach. –

Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist unser
Kollege Jörn Wunderlich. Bitte schön, Kollege Jörn
Wunderlich.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721109200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Warum die SPD auf dieser Aktuellen Stunde besteht,
kann auch ich nicht ganz nachvollziehen; denn aktuell ist
das Thema ja nicht mehr. Ausgelöst hatte die Debatte





Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Frau Fischbach als stellvertretende Fraktionschefin der
CDU/CSU. Sie hat in einer Art Vorlaufantrag gefordert,
dass monatlich bis zu 15 Stunden für die Beschäftigung
einer Haushaltshilfe mit bis zu 6 Euro pro Stunde bezu-
schusst werden, und zwar für die Dauer von 18 Monaten.
Dies war in etwa der Inhalt, wenn ich richtig informiert
bin. Frau Schröder fand das ganz toll.


(Elke Ferner [SPD]: Auch wenn sie den Inhalt nicht kennt, aber toll findet sie es!)


Das Ganze sollte für junge Eltern gelten, die wieder in
den Beruf zurückkehren. Warum nur für junge Eltern,
das weiß ich nicht. Frau Schröder fand es jedenfalls ganz
toll. Das kommentiere ich jetzt lieber nicht weiter, sonst
flippt Frau Bär wieder aus und vergreift sich im Ton. Je-
denfalls hat Frau Fischbach gesagt:

Wenn wir wollen, dass insbesondere Frauen ver-
mehrt in den Beruf zurückkehren, müssen wir sie
unterstützen.

Das Gutscheinmodell sei deshalb ein guter Ansatz. So
hat sie es gesagt.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Inzwischen ist das Betreuungsgeld verabschiedet
worden.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)


Zunächst sollen Frauen – denn es betrifft ja zunehmend
Frauen – mit 100 Euro monatlich dazu gebracht werden,
zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu küm-
mern,


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Schwachsinn!)


und dann sollen sie – jetzt werden noch einmal 90 Euro
draufgelegt – zurück an den Arbeitsplatz gelockt werden.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist doch Schwachsinn!)


Diese Denkweise hat sich auch gestern im Familienaus-
schuss bestätigt. Dort war nur von jungen Frauen die
Rede. – Herr Pols, waren Sie gestern dabei? Wenn ja,
dann haben Sie nicht aufgepasst.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Granold hat es gesagt.

Man fragt sich: Warum immer nur Frauen? Gibt es
denn in CSU- und CDU-Familien keine Männer, die ihre
Frauen im Haushalt unterstützen können?


(Elke Ferner [SPD]: Nein, die gibt es nicht!)


Oder helfen CDU/CSU-Männer grundsätzlich nicht im
Haushalt?


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Oder ist es bei CDU/CSU-Familien so, dass die für eine
Familie überhaupt keine Männer brauchen? So etwas hat
es schon einmal vor circa 2 000 Jahren gegeben.

Der Bundesfinanzminister hat sich skeptisch zu dem
Vorstoß geäußert. Am Montag gab es bereits harsche

Kritik aus den eigenen Reihen. Da hieß es, es handele
sich um eine theoretische Diskussion, geschuldet dem
anstehenden Parteitag, aber nicht um reale Politik, so
Patrick Döring, Generalsekretär der FDP. Rainer
Brüderle nannte das Modell „nicht voll durchdacht“.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ist es auch noch nicht!)


Der Vorsitzende der Seniorenunion der CDU/CSU, Otto
Wulff, warnte: Wir neigen zu Schnellschüssen, und ich
würde gern erst einmal fundierte Daten darüber haben,
um wie viele Frauen – wieder einmal Frauen – es hier
geht und wer Hilfe benötigt.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn jetzt eigentlich sagen?)


– Ihr seid euch alle uneinig. Dazu komme ich aber noch.
Zuhören! Aufpassen!

Was ich nicht verstehe, ist, dass sich die SPD zumin-
dest zum Teil mit dem Modell angefreundet hat. Das
kann man nachlesen. Frau Humme hat als Sprecherin
des Arbeitskreises „Gleichstellung“ in der SPD gesagt,
das könne ein gangbarer Weg für Geringverdiener sein.
Das hat sie in der taz gesagt.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gefunden!)


Sie hat des Weiteren gesagt, Menschen, die eine Haus-
haltshilfe nicht von der Steuer absetzen können, hätten
nun ebenfalls eine Subvention für den Haushalt.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wo ist denn die Frau Humme?)


So war ihre Argumentation.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Zitieren Sie nur andere, oder haben Sie auch eine eigene Meinung?)


Also ist es toll, wenn arme Frauen – da sie keine Steuern
zahlen – prekäre Beschäftigung schaffen? Immerhin hat
Frau Marks die Konzeptionslosigkeit der Regierung er-
kannt.


(Beifall bei der LINKEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie haben nicht alles gelesen! Sonst wüssten Sie, dass es nicht nur um Haushaltshilfen geht!)


– Frau Fischbach, bleiben Sie ruhig.

Mit der Subventionierung von Haushaltshilfen für auf
ihren Arbeitsplatz zurückkehrende Mütter zeigt die Bun-
desregierung, dass sie eben nicht bereit ist, dieses Geld
für eine gute öffentliche Infrastruktur für Familien aus-
zugeben. Statt den Kitaausbau voranzutreiben


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Die braucht die 35-Jährige nicht mehr, und auch die 40-Jährige nicht! Die brauchen keinen Kitaplatz!)


oder Verbesserungen im Unterhaltsvorschuss zu ermög-
lichen, werden die gesellschaftlichen Probleme priva-
tisiert und Minijob- und Niedriglohnsektor gefördert.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es ist nicht zu glauben!)






Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Ich sage Ihnen: Schlecht bezahlte Haushaltshilfen zu
subventionieren, ist sozialer und familienpolitischer
Schwachsinn.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Familienfreundliche Arbeitsbedingungen und gute
Kitaplätze sind der Schlüssel, um Familie und Arbeits-
welt erfolgreich zu kombinieren. Die Führung der
Unionsfraktion hat am Dienstag letztlich das Ganze ab-
geschossen. „Keine Chance für die Umsetzung“, so hat
es Grosse-Brömer ausgedrückt.

Ich will zusammenfassen: Laut tönen, sich nicht ab-
stimmen, Quatsch verkünden und alles anschließend
wieder schnell in die Tonne kloppen – das ist gegenwär-
tig die Politik dieser Regierung. Im Grunde erleben wir
derzeit ein Sternstündchen. Mist zu planen, ist ja nichts
Neues bei der Koalition. Den Mist dann aber doch zu
lassen – da hat dann vielleicht das freie Denken, das
Frau Fischbach immer wieder betont, endlich einmal
eingesetzt. Immerhin!


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Wunderlich, Sie werden immer wunderlicher! – Zuruf von der FDP: Ich weiß nicht, was Sie zu Mittag gegessen haben!)


Das ist ein Weg in die richtige Richtung.

Danke.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721109300

Vielen Dank, Kollege Jörn Wunderlich. – Nächste

Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin
Miriam Gruß. Bitte schön, Frau Kollegin Miriam Gruß.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1721109400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Ak-

tuelle Stunde soll nach § 106 unserer Geschäftsordnung
zu einem „Thema von allgemeinem aktuellen Interesse“
stattfinden. Dass kein allgemeines aktuelles Interesse be-
steht, sieht man schon daran, dass ungefähr zwölf Kolle-
gen von der SPD anwesend sind


(Elke Ferner [SPD]: Bei Ihnen gerade noch weniger!)


und der Bundestag insgesamt auch nicht gerade vor Inte-
ressierten überquillt. Suchen Sie sich aktuellere und ge-
eignetere Themen für Aktuelle Stunden, die Sie beantra-
gen; das ist jedenfalls keines, meine Damen und Herren
von der SPD.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gestern waren noch weniger im Plenum bei der Aktuellen Stunde!)


Zum Inhalt kann man nur sagen: Haushaltsnahe
Dienstleistungen werden schon jetzt gefördert. Wir sind
uns inhaltlich eigentlich einig darüber, dass das gut und
richtig so ist. Auf Seite 87 des Wahlprogramms der Grü-
nen und auf Seite 40 des Wahlprogramms der SPD von

2009 steht die Forderung nach einer Förderung der haus-
haltsnahen Dienstleistungen.


(Caren Marks [SPD]: Die fördern wir ja schon!)


Ich habe, weil sich die Debatte hinzieht, darauf verzich-
tet, mein Skript mitzunehmen; aber ich kann Ihnen die
Zitate bei Bedarf gerne nachreichen.

Es handelt sich also um eine absurde Debatte zu einer
Zeit, zu der man wirklich Besseres diskutieren könnte
als das, was Sie jetzt hier angezettelt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich halte es im Zuge der Anstrengungen, die wir als Par-
lamentarier zur Vermeidung von Politikverdrossenheit
unternehmen, für eine Zumutung,


(Elke Ferner [SPD]: Dann setzen Sie sich mal ganz schnell hin!)


dass Sie ständig versuchen, hier Diskussionen zu be-
stimmten Themen anzuzetteln und die Familienpolitik
dieser Regierung schlechtzureden.


(Elke Ferner [SPD]: Das haben wir doch nicht erfunden!)


Wir haben hier eine Erfolgsbilanz vorzuweisen, und
wir haben sie Ihnen eigentlich schon in der letzten Sit-
zungswoche präsentiert.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr habt doch keine Erfolge!)


– Doch! – Wir haben die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie verbessert durch die größte Investition in Infra-
struktur, die jemals eine Regierung getätigt hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben uns darum gekümmert, dass die Familien Zeit
bekommen. Wir haben uns mit dem Bundesprogramm
„Perspektive Wiedereinstieg“ auch um den Wiederein-
stieg in den Beruf gekümmert; die BA und die Länder
sind da übrigens auf einem guten Weg. Wir haben uns
darum gekümmert, dass die Familien entlastet werden.
Last, but not least – meine Kollegin Fischbach hat es
schon angesprochen – bedenken wir im Gegensatz zu Ih-
nen bei all dem, dass wir einen Haushalt aufstellen wol-
len, der insgesamt generationengerecht und nachhaltig
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU])


Im nächsten Jahr erfahren wir die Ergebnisse der Ge-
samtevaluation der familienpolitischen Leistungen. Dies
wird ein Anlass sein, zu schauen: Was brauchen die Fa-
milien? Es widerstrebt mir völlig, im Vorfeld Denkver-
bote auszusprechen; das sollte man nicht tun. Denn Fa-
milienpolitik muss diskutiert werden. Da gehören auch
solche Debatten dazu; das ist richtig. Allerdings ist es
wirklich Unsinn, diese Debatte in das Parlament zu tra-
gen. Wir sollten über wichtigere Themen diskutieren.
Dazu sind wir gerne bereit, aber nicht zu dem Unfug,
den Sie hier angezettelt haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721109500

Vielen Dank, Frau Kollegin Miriam Gruß. – Nächste

Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist un-
sere Kollegin Kerstin Andreae.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721109600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

hatten gestern eine Aktuelle Stunde zur Vermögensteuer.
Dazu lagen Konzepte der Grünen und der SPD vor.
Wenn ich mich richtig erinnere, waren da weniger Kolle-
ginnen und Kollegen anwesend, zumindest seitens der
Koalition.

Wir sollten Aktuelle Stunden schon ernst nehmen und
jetzt hier über eine Idee sprechen, die nun einmal zumin-
dest im Raum steht. Es müssen andere beurteilen, ob es
sich um eine Nebelkerze handelt, die schon verraucht ist.
Aber die Idee der Gutscheine für Haushaltshilfen steht
im Raum. Es ist gar nicht unser Problem, dass es jetzt
seitens der Koalition als nicht umsetzbar, als nicht voll
durchdacht oder als eine theoretische Diskussion darge-
stellt wird, die wohl eher dem anstehenden Parteitag der
CDU geschuldet ist. Ich finde, man darf darüber nach-
denken, man soll sich etwas überlegen. Das Thema der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sehr wichtig.

Das, was bleibt, ist, dass die Bundesregierung – da-
rüber reden wir – kein Konzept und keinen nachvollzieh-
baren, durchdachten Plan beim Thema Familienpolitik
und bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Erst beschließen Sie den Kitaausbau und schaffen einen
Rechtsanspruch, damit mehr Mütter arbeiten gehen kön-
nen. Dann haben die Regierung und die Koalition – das
werden Sie sich immer und immer wieder anhören müs-
sen, Frau Fischbach, Sie hatten da eine andere Position –
gegen den erbitterten Widerstand der Fachleute das Be-
treuungsgeld beschlossen, das dazu führt, dass zahlrei-
che Mütter dann doch lieber zu Hause bleiben.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Es gibt auch Fachleute, die das anders sehen!)


Und jetzt kommen Sie mit einem Vorschlag, dessen Um-
setzung eine weitere Milliarde kosten würde, und wollen
dafür sorgen, dass Mütter wieder arbeiten gehen. Das ist
kein Plan; das ist keine geradlinige Position.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Ich würde dringend empfehlen, Konzepte, die man
entwickelt, tatsächlich einmal an ein paar Punkten zu
überprüfen. Zum einen besteht die große Gefahr von
Mitnahmeeffekten. Das wäre bei den Gutscheinen der
Fall. Mitnahmeeffekt bedeutet, dass jemand eine Leis-
tung in Anspruch nimmt, obwohl er sich sowieso eine
Haushaltshilfe genommen hätte. Er macht etwas geltend,
was er sowieso schon geplant hat. Diese Mitnahmeef-

fekte sind in weiten Teilen teuer. Wir müssen unser Geld
für andere Sachen ausgeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Es geht um haushaltsnahe Dienstleistungen!)


Zum anderen müssen Sie sich überlegen – das ist ein
weiteres Kriterium –, ob die Leistungen unabhängig von
Einkommen und Vermögen in Anspruch genommen
werden können. Wir haben nicht mehr so viel Geld, dass
wir die Subventionen mit der Gießkanne verteilen kön-
nen. Wir müssen uns nach der Bedürftigkeit richten. Wir
müssen uns überlegen: Wer braucht es? Wo kann es ziel-
gerichtet eingesetzt werden? Ihr Konzept greift nicht,
weil die Gutscheine unabhängig von Einkommen und
Vermögen in Anspruch genommen werden können.

Sie müssen sich auch überlegen, was das an Bürokra-
tie nach sich zieht. Sie haben ein Bildungs- und Teilha-
bepaket auf den Weg gebracht, das für Kinder aus ein-
kommensschwachen Familien gedacht ist. Aber die
Leistungen kommen bei vielen bedürftigen Kindern
nicht an. Stattdessen wurde ein Verwaltungsapparat auf-
gebaut mit dem Ergebnis, dass ein eingesetzter Euro
30 Cent Bürokratie- und Verwaltungskosten nach sich
zieht.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Das ist wieder ein Konzept, das unlogisch und nicht
durchdacht ist und das Kriterium „bürokratiearm“ nicht
erfüllt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Es geht doch um Gutscheine und nicht um Dienstleistungen!)


Sie fordern ein Nachdenken ein. Ich entwickele meine
Gedanken weiter und frage: Welche Kriterien müssen
zugrunde gelegt werden? Wo versagen Sie im Bereich
der Familienpolitik?


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!)


Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der ent-
scheidende Punkt. Wir müssen uns fragen: Wie bekom-
men wir es in den nächsten Jahren hin, dass sich junge
Mütter und Frauen für beides entscheiden: für Familie
und für den Beruf?


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Da bin ich doch bei Ihnen!)


Aber die Maßnahmen, die Sie von der Koalition ergrei-
fen, reichen nicht aus. Sie sind teilweise auf dem fal-
schen Weg und setzen falsche Anreize wie mit dem Be-
treuungsgeld. Wir erkennen keine Linie.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie haben ein Erkenntnisproblem!)


Es ist nicht zu erkennen, dass Sie sich wirklich dafür ent-
schieden haben: Wir wollen den jungen Müttern, den
jungen Eltern eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben.





Kerstin Andreae


(A) (C)



(D)(B)



(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Zeit geben für ihre Kinder, Zeit für ihre Familie!)


Wir wollen sie unterstützen, die Vereinbarkeit von Fami-
lie und Beruf wirklich zu leben. – Das können wir bei Ih-
nen nicht sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Wir wollen ihnen Zeit geben!)


Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas zur
Forderung des Arbeitgeberpräsidenten Hundt sagen, die
Elternzeit auf ein Jahr zu begrenzen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat mit Haushaltshilfe nichts zu tun!)


Das ist absoluter Blödsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herrn Hundt muss man sagen: Die Arbeitswelt hat sich
an den Familien zu orientieren, und nicht die Familien
an der Arbeitswelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesem Sinne: Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721109700

Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin Kerstin

Andreae. – Nächste Rednerin für die Fraktion der So-
zialdemokraten: unsere Kollegin Elke Ferner. Bitte
schön, Frau Kollegin Elke Ferner.


(Beifall bei der SPD)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1721109800

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich

habe es kaum für möglich gehalten, dass die Fernhalte-
bzw. Herdprämie noch zu toppen ist, aber das scheint lo-
cker zu gehen. Jetzt kommt eine Putzprämie, zumindest
wenn es nach Frau Fischbach geht. Wir dürfen gespannt
sein, welche Prämien Ihnen bis zum Herbst nächsten
Jahres noch einfallen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ihr Diskussionsniveau haben Sie auch getoppt!)


Frau Fischbach, ich hätte mir gewünscht, dass Sie we-
nigstens Frau genug gewesen wären, Ihr Konzept zu er-
läutern, doch das haben Sie nicht getan. Sie haben nur
Nebelkerzen geworfen. Noch peinlicher finde ich es,
dass für Ihre Fraktion außer Ihnen niemand das Wort er-
greift.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Schröder hat den Vorstoß ganz eilig unterstützt mit
den Worten:

Bezahlbare Hilfe im Haushalt erleichtert Familien
das Leben und insbesondere Frauen nach der El-
ternzeit die Rückkehr in den Beruf. Außerdem kön-

nen hierdurch neue sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze in Privathaushalten entstehen.

Ich frage mich, ob hier noch alle richtig ticken. Zuerst
werden die Frauen mit dem Betreuungsgeld bzw. der
Herdprämie von der Arbeitswelt ferngehalten, dann sol-
len sie mit der Putzprämie wieder in das Erwerbsleben
geschickt werden.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was haben Sie denn dagegen, dass Müttern geholfen wird, wenn sie Familie und Beruf vereinbaren wollen? Sie sind so weit weg von der Wirklichkeit!)


Ich glaube, dass Sie wirklich keine Ahnung haben, was
die Menschen in unserem Land bewegt; denn für die
Rückkehr in den Beruf ist für junge Mütter und Väter
doch nicht entscheidend, ob eine Putzhilfe subventio-
niert wird oder nicht. Viel entscheidender ist doch, ob es
eine gute und verlässliche Kinderbetreuung gibt, ob es
Unterstützung gibt, wenn ein Elternteil krank ist oder
wenn das Kind krank ist, ob es familienfreundliche Ar-
beitszeiten gibt und ob es sich finanziell unter dem
Strich, also nach Abzug aller Kosten, lohnt, arbeiten zu
gehen oder nicht. Das ist doch die entscheidende Frage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich ist auch die Frage wichtig: Kann ich mir
eine Putzhilfe leisten, oder kann ich mir keine leisten?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Zuschuss von
6 Euro pro Stunde die Entscheidung beeinflusst. Für die-
jenigen, die wieder in den Beruf einsteigen, sind steuerli-
che Fragen – Steuerklasse V, Ehegattensplitting – viel
entscheidender als die Frage, ob sie 6 Euro pro Stunde,
maximal 90 Euro pro Monat, als Putzhilfenzuschuss be-
kommen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Gucken Sie in das europäische Ausland oder nach Hessen! Das läuft sehr gut!)


Ich glaube auch nicht, dass dadurch mehr sozialversi-
cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entste-
hen. Man muss wissen, worüber man redet, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen –


(Patrick Döring [FDP]: Das gilt vor allen Dingen für den Redner!)


damit meine ich vor allen Dingen Frau Schröder, die heute
wieder einmal nicht hier ist –: Um ein sozialversiche-
rungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis überhaupt be-
gründen zu können, muss die Beschäftigte ab dem nächs-
ten Jahr mehr als 450 Euro Einkommen haben. Sonst ist
das Beschäftigungsverhältnis nämlich nicht sozialversi-
cherungspflichtig. Das bedeutet, dass man bei 15 Arbeits-
stunden pro Monat einen Stundenlohn von 30 Euro ver-
dienen muss.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist ein Zuschuss!)


So viel Geld dafür hat diejenige oder derjenige, die bzw.
der wieder in den Beruf zurückgeht, aber nicht. Erst





Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)


recht bekommt keine Haushaltshilfe einen Stundenlohn
von 30 Euro.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: 30 Euro pro Stunde? Wo leben Sie denn?)


Schauen wir uns einmal an, wie das ist, wenn man die
Dienstleistung bei einer Firma einkauft. Dann legt man
locker 25 Euro die Stunde hin, inklusive Mehrwert-
steuer. Wenn es eine Subvention von 6 Euro gibt, dann
sind wir bei 19 Euro. Ich glaube, diese Subvention hilft
den Familien nicht wirklich weiter.

Ich finde es richtig, sich über die Frage auszutau-
schen, wie wir diejenigen, die sich eine Haushaltshilfe
nicht leisten können – ich meine nicht nur junge Eltern,
sondern auch ältere Menschen, die keine steuerliche För-
derung in Anspruch nehmen können –, in die Lage ver-
setzen können, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das ist sicherlich eine sehr verdienstvolle Diskussion.
Eine solche Diskussion fängt man aber nicht so an, wie
Sie das gemacht haben. Ich glaube, dass diesbezüglich
Diskussionsbedarf besteht. Die Diskussion können Sie
doch nicht mit der Frage beginnen, wie wir es schaffen
können, dass junge Frauen wieder in den Beruf zurück-
kehren, nachdem Sie sie zuvor mit der Herdprämie aus
dem Beruf herausgelockt haben.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Kennen Sie Frauen, die älter sind, außerhalb des Berufslebens stehen und nicht wieder in den Beruf zurückkommen? 30, 40 Jahre alt und keine Chance, in den Beruf zurückzukommen!)


Ich will noch etwas zu der Bemerkung sagen, die Sie,
Herr Kollege Wunderlich, zu Frau Humme gemacht ha-
ben. Frau Humme hat gesagt: Hinsichtlich der Inan-
spruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen könnte
so etwas von Vorteil sein. Sie hat aber auch ausdrücklich
gesagt – ich glaube, sogar im selben Interview –, dass das
für die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit überhaupt keine
Rolle spielt und sie das Vorhaben nicht gut findet. – Ich
wünsche von dieser Stelle aus Frau Humme nach ihrer OP
gute Genesung.

Letzter Punkt. Ich finde, dass diese Debatte zeigt, wie
die Arbeitsteilung durch die Brille der Union aussieht:
Im 21. Jahrhundert sind die Frauen immer noch zustän-
dig für den Herd und für das Putzen und nicht für andere
Dinge. Ich kann Ihnen nur entgegenhalten: Wir wollen
eine partnerschaftliche Teilung der Arbeit zwischen
Männern und Frauen,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr habt ja nicht einmal eine Kanzlerkandidatin!)


und zwar in der Familie und im Beruf, und das auf Au-
genhöhe. Dafür werden wir im nächsten Jahr die Mehr-
heiten bekommen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721109900

Vielen Dank, Frau Kollegin Elke Ferner. – Nächster

Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Florian Bernschneider. Bitte schön, Kollege Florian
Bernschneider.


(Beifall bei der FDP)



Florian Bernschneider (FDP):
Rede ID: ID1721110000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann es sich
in dieser Aktuellen Stunde sehr leicht machen, indem
man sagt, dass allein der Titel Ihrer Aktuellen Stunde
weit an der Realität vorbeigeht und es sich deswegen ei-
gentlich gar nicht lohnt, darüber zu diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Das, was Sie der Koalition unterstellen – Streit und Un-
einigkeit –, gibt es eigentlich gar nicht.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Das wird deutlich, wenn man sich die Äußerungen der
Fraktionen und die Äußerungen der Ministerien in den
letzten Tagen anschaut.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ein Herz und eine Seele!)


Diesen Streit gibt es gar nicht. Es gibt Einigkeit in der
Koalition, zum Beispiel hinsichtlich des Ziels, einen aus-
geglichenen Haushalt zu erreichen, weil es nichts Gene-
rationengerechteres gibt, als zukünftigen Generationen
nicht ständig neue Schulden zu hinterlassen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihr aber sehr erfolgreich!)


Es gibt Einigkeit in der Koalition über eine familienpoli-
tische Notwendigkeit, nämlich über die Notwendigkeit,
die familienpolitischen Leistungen zu evaluieren und
nach dieser Evaluierung zu überprüfen, wie man sie effi-
zienter aufeinander abstimmen kann.

Über eine Frage diskutieren die Kolleginnen und Kol-
legen in der Union, wir in der FDP und, wie ich hoffe,
auch Sie in der Opposition: Wie erreichen wir es, dass
Männer und Frauen nach einer Familienphase schnellst-
möglich wieder in den Beruf zurückkehren können? Das
ist völlig legitim. Das ändert aber nichts daran, dass sich
die Antworten an den beiden genannten Kriterien orien-
tieren müssen, nämlich an dem Ziel eines ausgegliche-
nen Haushalts und einem effizienten System familien-
politischer Leistungen.

Insoweit gibt es eigentlich gar keinen Grund, länger
über dieses Thema zu sprechen. Der wahre Hintergrund,
warum Sie diese Aktuelle Stunde anzetteln, ist auch gar
nicht dieses Thema. Der wahre Hintergrund ist, dass Sie
sich darüber ärgern, dass Ihre familienpolitische Kritik
an uns nicht gezündet hat. Das haben Sie in der Haus-
haltswoche nicht geschafft. Deswegen wollen Sie Ihr
Theater in dieser Woche einfach fortsetzen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Genau!)






Florian Bernschneider


(A) (C)



(D)(B)


Das ist Ihr gutes Recht als Opposition. Das ist nicht be-
sonders kreativ. Ihre Kritik wird in dieser Woche ge-
nauso wenig zünden wie in der Haushaltswoche.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Jeder hat natürlich eine zweite Chance verdient. Die
wollen wir auch Ihnen lassen, aber ich sage Ihnen: Es ist
auch das Recht der Koalitionsfraktionen, Sie an den An-
sprüchen zu messen, die Sie uns hier Woche für Woche
vorhalten.

Gehen wir die Punkte doch einmal durch. Schauen
wir uns das Thema Betreuungsgeld an, mit dem die SPD
krampfhaft versucht, zu skandalisieren. Es ist nur blöd,
dass die Menschen noch wissen, dass die SPD in der
Großen Koalition der Verankerung des Betreuungsgel-
des im SGB zugestimmt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Ohne irgendeine Rechtsfolge!)


Das versuchen Sie jetzt vergessen zu machen. Sie sagen
den Menschen: Wenn wir jetzt die Bundestagswahl ge-
winnen, dann schaffen wir das Betreuungsgeld sofort ab.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Das ist das Versprechen einer Partei, die in Thüringen
Regierungsverantwortung trägt. Dort gibt es das Betreu-
ungsgeld.


(Elke Ferner [SPD]: Das gab es schon, bevor wir dort an die Regierung kamen!)


– Frau Ferner, ich frage Sie: Was haben Sie in Thüringen
eigentlich gemacht, um das Betreuungsgeld abzuschaf-
fen?


(Elke Ferner [SPD]: Was haben Sie denn gemacht, obwohl Sie gegen das Betreuungsgeld sind?)


Sie mit Ihren Genossen haben in Thüringen darauf ge-
wartet, dass wir das Betreuungsgeld hier in Berlin verab-
schieden, damit Sie es in Thüringen endlich abschaffen
können, ohne jemandem dabei wehzutun.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


In Thüringen wird die spannende Frage sein, ob Sie
Ihr zweites Versprechen, das Sie hier abgeben, halten,
nämlich die Einsparungen aus dem Betreuungsgeld in
den Ausbau und in die Verbesserung der Qualität der Ki-
taplätze zu investieren.


(Elke Ferner [SPD]: Darauf können Sie wetten!)


Ich sage Ihnen schon jetzt: Ich glaube es Ihnen nicht.
Ein Blick nach Schleswig-Holstein reicht. In Schleswig-
Holstein profitieren die Kommunen von einem wichti-
gen Schritt, den wir als christlich-liberale Koalition ge-
gangen sind, nämlich von der Entlastung der Kommunen
durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter. Was
machen Sie in Schleswig-Holstein?


(Elke Ferner [SPD]: Klittern Sie nicht die Geschichte!)


Sorgen Sie dafür, dass die Kommunen diesen zusätzli-
chen Spielraum für den Ausbau und für die Qualitätsver-
besserung von Kinderbetreuung zur Verfügung haben?
Nein, Sie kürzen den Länderzuschuss.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist ja fies!)


Meine Damen und Herren, wenn man die Gelegenheit
hat, Spielraum für den Ausbau der Kinderbetreuung zu
lassen, dann sollte man ihn auch geben. Es ist nicht das
erste Mal, dass Sie auf dem Rücken der Familien Ein-
sparungen vornehmen und trotzdem keinen ausgegliche-
nen Haushalt hinkriegen.

Schauen wir nach Hamburg. Dort sparen Sie gerade
kräftig an der Jugendsozialarbeit. Schauen wir nach Ba-
den-Württemberg. Dort wollen Sie in den kommenden
Jahren 11 600 Lehrerstellen streichen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie so einen Haushalt hinterlassen haben!)


Wie passt das zu der vorsorgenden Politik von
Hannelore Kraft, die 1 Euro lieber zu früh als zu spät
ausgeben will? Ich sehe das – ehrlich gesagt – nicht. Das
müssen Sie sich vorhalten lassen, wenn Sie uns jede Wo-
che erklären, unsere Familienpolitik sei nicht konsistent.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten 50 Jahre CDU!)


Da wir beim Thema sind: Hannelore Kraft stellt lieber
2 000 neue Beamte ein, als sich um das drängende
Thema des Ausbaus der Kinderbetreuung zu kümmern.
Man muss gar nicht nach Nordrhein-Westfalen gucken,
ein Blick nach Berlin reicht aus. Ihr Partybär Klaus
Wowereit schafft es nicht einmal, das Elterngeld, die fa-
milienpolitische Leistung des Bundes, an die Familien
auszuzahlen. Die Familien warten monatelang darauf,
das Geld zu erhalten, das ihnen zusteht.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: So sind Sie!)


Wo auch immer man in Deutschland hinsieht: Wenn
Familien sich auf Sie verlassen müssen, dann sind sie
verlassen. Schauen Sie dagegen auf diese Koalition. Auf
uns können sich die Familien verlassen.


(Elke Ferner [SPD]: Dann sind sie verlassen!)


In einem Punkt können Sie sicher sein: Diese Koalition
ist sich zu 100 Prozent einig, alles dafür zu tun, dass Sie
nach der Bundestagswahl keine familienpolitische Ver-
antwortung in diesem Land tragen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Sie werden gar nicht mehr hier sein!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721110100

Vielen Dank, Kollege Florian Bernschneider. –

Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


ist unser Kollege Stefan Schwartze. Bitte schön, Kollege
Stefan Schwartze.


(Beifall bei der SPD)



Stefan Schwartze (SPD):
Rede ID: ID1721110200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die letzte Rede
hat eines bewiesen: Getroffene Hunde jaulen auf.


(Beifall bei der SPD)


Das Jaulen war sehr laut.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Auf Ihrer Seite!)


Ich glaube, so eine Aktuelle Stunde wie heute,


(Sibylle Laurischk [FDP]: Sollte man lassen!)


in der von der Union nur eine einzige Rednerin bereit ist,
hier nach vorn zu gehen, zeigt ganz deutlich: Die Union
hat eines erkannt. Sie haben nämlich keine Linie in der
Familienpolitik. Sie wissen überhaupt nicht, wo Sie hin-
wollen. Es gibt keinen, der erklären kann, worum es ei-
gentlich geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Für den wichtigen Rechtsanspruch auf die U3-Betreu-
ung fehlen in Deutschland noch 220 000 Plätze.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wo denn?)


Dazu sollten wir hier Vorschläge machen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, wo!)


– Ja, Sie tun definitiv viel zu wenig.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Schwartze, seien Sie mal ehrlich!)


Stattdessen geben Sie jetzt 2 Milliarden Euro jährlich für
das Betreuungsgeld aus, eine Leistung, die nur der CSU
hilft, die nur die CSU will und die niemand in diesem
Land braucht.


(Beifall bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Sagen Sie einmal ehrlich, wo die meisten Plätze fehlen!)


Den nächsten Coup landen Sie jetzt mit dem Thema
Dienstmädchen. Es geht um Dienstmädchen für alle
Gutverdienenden. Sie schlagen vor, noch einmal 1 Mil-
liarde Euro jährlich zur Verfügung zu stellen. Geld spielt
bei Ihnen keine Rolle.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Das ist reine Polemik!)


Frau Fischbach, Sie als stellvertretende Fraktionsvor-
sitzende haben die Debatte hier begonnen mit der großen
Verkündigung: Die Unionsfamilienpolitiker haben sich
geeinigt. – Allein das ist eigentlich eine Nachrichtenmel-
dung wert.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ach, die lesen Sie? Ich schicke sie Ihnen zu! Sie kommen in meinen Verteiler!)


Sie haben sich auf ein völlig unausgegorenes Gutschein-
modell für Haushaltshilfen geeinigt. Sie haben sich so
sehr geeinigt, dass man Sie hier heute allein im Regen
stehen lässt.


(Elke Ferner [SPD]: Peinlich! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wir sind alle da!)


Die Einzigen, die sozusagen gleich auf den Zug auf-
springen, sind die Familienministerin Schröder und Frau
von der Leyen. Frau Schröder findet das Vorhaben gut.
Sie ist der Meinung, dass es eine gute Maßnahme ist, um
dem Fachkräftemangel in diesem Land zu begegnen. Er-
staunlicherweise springt auch Frau von der Leyen auf
den Zug.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Gute Frau!)


Sie erklärt, dass es ein prima Vorhaben ist, durch das den
Menschen mehr Zeit für Familien ermöglicht wird. Es ist
sehr erstaunlich, dass sich die beiden einig sind.


(Elke Ferner [SPD]: Ja!)


Interessanterweise verwechseln sie ihre Ressorts, aber
das macht nichts.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wieso das? – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das ist typisch für die SPD! Sie kann nur ressortbezogen denken!)


Schon heute gibt es viele Möglichkeiten für den Um-
gang mit haushaltsnahen Dienstleistungen. Viele davon
sind steuerlich absetzbar. Bis zu 4 000 Euro können
Haushalte auf diese Weise sparen. Warum Sie da eine
zusätzliche Leistung einführen wollen, die im Wesentli-
chen Besserverdienenden zugutekommt, ist ein absolu-
tes Rätsel.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Schmalspurblick!)


Zu den 4 000 Euro Steuerersparnis gibt es dann – wenn
es nach Ihrem Willen geht, Frau Fischbach – obendrauf
1 080 Euro.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das versteht er doch nicht!)


Die alleinerziehende Kassiererin wird sich trotz
90-Euro-Gutschein pro Monat keine Haushaltshilfe leis-
ten können, und die Haushaltshilfe kann sich dies erst
recht nicht leisten. Die Regelung, die Sie vorschlagen,
ist schlichter Unsinn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Uns in der SPD-Bundestagsfraktion geht es darum,
eine wirkliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf hin-
zubekommen.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)






Stefan Schwartze


(A) (C)



(D)(B)


Wir wollen einen flächendeckenden Ausbau der Kinder-
betreuung, wir wollen einen Rechtsanspruch auf einen
Ganztagsbetreuungsplatz,


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: In NordrheinWestfalen zum Beispiel!)


wir wollen echte Wahlfreiheit und eine echte Vereinbar-
keit von Familie und Beruf. Das hilft allen, egal wie
hoch ihr Einkommen ist. Diese neue Maßnahme, die Sie
vorschlagen, ist keine Antwort auf die bestehenden Pro-
bleme.


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Jetzt stellen wir einen Antrag, Donald Duck soll für Sie reden! Dann glauben Sie das auch! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Für Sie müssten es die Panzerknacker sein!)


– Das zeigt, wie ernst Sie Familienpolitik nehmen. Mit
solchen intelligenten Zwischenrufen kommen wir be-
stimmt weiter.


(Beifall bei der SPD – Caren Marks [SPD]: Schlauer können die nicht!)


Wir brauchen eine Stärkung der Partnerschaft in allen
Lebensbereichen. Klar ist, dass Sie mit Ihrem Vorschlag,
Personal für 6 Euro pro Stunde einzustellen, definitiv auf
dem falschen Weg sind.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Schwartze, ist jetzt gut? Ende!)


– Ja, meine Redezeit ist gleich um. Ich kann Sie da beru-
higen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es tut halt weh, sich Wahrheiten anhören zu müssen.
Die Proteste aus Ihrer Fraktion kamen dann sehr schnell,
auch die aus dem Finanzministerium, von den Haushalts-
politikern, von der FDP und sogar von der familienpoli-
tischen Sprecherin. Das, was Sie vorgeschlagen haben, ist
nichts anderes als schwarz-gelbes Kasperletheater.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721110300

Vielen Dank, Kollege Stefan Schwartze. – Ich weise

darauf hin, dass der Kollege Rolf Schwanitz jetzt unser
letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist. Kollege Rolf
Schwanitz hat das Wort. Bitte schön.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1721110400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will

zum Schluss als Haushälter der SPD-Fraktion für den
Familienetat noch ein paar Sätze zu den haushaltspoliti-
schen Aspekten dieses Vorschlages sagen. Es ist erst we-
nige Wochen her, dass die Koalition dieses unsinnige
Betreuungsgeld beschlossen hat und dann mit einem Än-
derungsantrag die finanziellen Folgewirkungen dieser
verheerenden Entscheidung auf die Zeit nach der Bun-
destagswahl verschoben hat. Das, was wir da erlebt ha-

ben, war mit Blick auf den Herbst des nächsten Jahres
eigentlich schon die erste Operation Wählerbetrug.


(Caren Marks [SPD]: Ja!)

Der Gesamtumfang des Betreuungsgeldes liegt ab

2014 – wir werden das sehen, wenn Sie nicht gestoppt
werden – bei mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr. Jetzt
wollen Sie die Putzprämie quasi hinterherschieben. Zu-
gegeben: Wie hoch die damit verbundenen Kosten sein
werden, muss erst noch genau berechnet werden. In ers-
ten Kalkulationen, die schon zu lesen sind, ist von einem
Betrag zwischen 600 und 900 Millionen Euro pro Jahr
die Rede. Ich habe allerdings auch gelesen, dass sogar
mit Kosten von über 1 Milliarde Euro jährlich kalkuliert
wird. Es handelt sich also um eine weitere enorme Kos-
tenbelastung, die den Familienetat natürlich nicht unbe-
rührt lassen wird.

Allein die Herdprämie wird zu massiven Kürzungen
im Familienetat, bei den familienpolitischen Leistungen,
führen, wenn Sie nicht gestoppt werden.


(Elke Ferner [SPD]: Ja, genau! – Caren Marks [SPD]: Das ist ein Skandal!)


Wenn die Putzprämie mit einem Volumen von rund
1 Milliarde Euro hinzukommt, dann ist völlig klar, was
die Konsequenz für den Familienetat sein wird.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wie kommen Sie denn jetzt auf 1 Milliarde Euro?)


Ich sage es Ihnen schon jetzt voraus – denn ich bin fest
davon überzeugt, dass Sie daran schon arbeiten –:


(Elke Ferner [SPD]: Ja, klar! Das Elterngeld!)

Sie werden das Elterngeld zerschlagen.


(Elke Ferner [SPD]: Ja! – Caren Marks [SPD]: Genau! Zumindest in weiten Teilen!)


Das Elterngeld ist nämlich die einzige Maßnahme im Fa-
milienetat, die Sie zur Gegenfinanzierung heranziehen
können. Ich bin fest davon überzeugt, dass die FDP
schon an einem entsprechenden Modell arbeitet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sibylle Laurischk [FDP]: Wie bitte? So ein Unsinn! Das ist doch wirklich unerhört!)


Es ist wirklich perfide: Da hat sich Frau Schröder
noch vor wenigen Tagen einen Showkampf mit Herrn
Hundt geliefert


(Elke Ferner [SPD]: Oh ja!)

– unter anderem ging es um das Elterngeld;


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Herr Schwanitz, es ist Aktuelle Stunde! Sagen Sie doch auch mal etwas zum Thema der Aktuellen Stunde!)


sie hat sich für den Erhalt des Elterngeldes starkgemacht –,
aber hinter dem Rücken der Öffentlichkeit werden schon
längst Modelle formuliert, deren finanzielle Belastungen
zur Folge haben werden, dass das Elterngeld fällt. Ich
halte das für unverantwortlich.


(Miriam Gruß [FDP]: Das ist absurd, was Sie da erzählen! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Rolf Schwanitz Oh, kein Beifall? Fürs Protokoll: Kein Beifall bei der SPD!)





(A) (C)


(D)(B)


Genauso verheerend ist, dass die geplante Putzprämie
– ich sage es einmal so – das Ansehen der Familienpoli-
tik völlig zerstört.


(Elke Ferner [SPD]: Sehr wahr! Obwohl: Bei denen kann da nicht mehr viel zerstört werden!)


Ich will einige Aussagen, die teilweise schon erwähnt
worden sind, zitieren, da Kollegin Fischbach ja sagte,
das alles sei kein Thema. Der Parlamentarische Ge-
schäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Herr Grosse-
Brömer, sagte: Das, worüber hier diskutiert worden ist
und was vorgeschlagen worden ist, ist kein ernsthaftes
Thema.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Na und? Wir sagen eben etwas anderes! Das ist doch seine freie Meinungsäußerung!)


Der Vorsitzende der Senioren-Union sagte: Wir neigen
zu Schnellschüssen. – Der Kollege Barthle, Mitglied des
Haushaltsausschusses, sagte: Das ist nicht umsetzungs-
fähig. – Der FDP-Generalsekretär, Herr Döring, will das
System der Familienförderung insgesamt infrage stellen.
Das ist die Situation.


(Patrick Döring [FDP]: Nein! Wir wollen evaluieren!)


Mit Frau Schröder als Ministerin und durch solche Vor-
schläge wird die Familienpolitik insgesamt zu einer
Lachnummer gemacht


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– und zwar auf einer nach oben offenen Richterskala –,
und die FDP packt schon die Abrissbirne aus, nach dem
Motto: Was kann ich in diesem Bereich nach der Bun-
destagswahl als Allererstes rasieren?


(Patrick Döring [FDP]: Ach was! So ein Quatsch! – Elke Ferner [SPD]: Die machen nach der Bundestagswahl gar nichts!)


Mir persönlich ist es langsam egal, ob Frau Schröder
aus Berechnung oder aus Unfähigkeit so handelt. Das
gesamte Auftreten, das Frau Schröder und ihre Helfers-
helfer in der Familienpolitik an den Tag legen, wirkt al-
lerdings wie ein Satz Treibminen: Jeder weiß, dass das
Ganze explodieren wird; nur die Schadensausmaße sind
noch unklar.


(Elke Ferner [SPD]: Ja, genau!)


Das ist die Situation.
Ich kann am Ende dieser Aktuellen Stunde nur an un-

sere Zuschauerinnen und Zuschauer appellieren: Sie ha-
ben es im nächsten Herbst in der Hand. Stoppen Sie bei
der nächsten Bundestagswahl diese Wahnsinnspolitik
der Koalition! Es geht um sehr viel.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721110500

Kollege Rolf Schwanitz war der letzte Redner in un-

serer Aktuellen Stunde, die damit beendet ist.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Max Straubinger, Peter Götz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-
wie der Abgeordneten Claudia Bögel, Dr. Edmund
Peter Geisen, Heinz-Peter Haustein, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Zukunft für ländliche Räume – Regionale
Vielfalt sichern und ausbauen

– Drucksache 17/11654 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi
Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Gutes Leben, Gute Innovationen, Gute Arbeit –
Politik für ländliche Räume effektiv und effi-
zient gestalten

– Drucksache 17/11031 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss 
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Gesundheit 
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus 
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 
Ausschuss für Kultur und Medien 
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Raumordnungsbericht 2011

– Drucksache 17/8360 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Hans-Josef
Fell, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz
und Energiewende

– Drucksachen 17/9583, 17/11672 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Müller (Aachen)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Es sind alle damit





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so be-
schlossen.

Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in un-
serer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU Kol-
lege Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-
Fraktion. Bitte schön, Kollege Volker Kauder.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1721110600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir legen heute einen Antrag zur Entwicklung der länd-
lichen Räume vor. Die Bundespolitik ist für die Entwick-
lung der ländlichen Räume nur begrenzt zuständig. Ei-
gentlich liegt diese Aufgabe bei den Ländern und den
Kommunen. Es gibt eine ganze Reihe von Förderpro-
grammen, mit denen Einfluss auf die Politik – die, wenn
es gut läuft, ausgewogene Politik – und die Entwicklun-
gen in der Stadt und auf dem Land genommen werden
kann.

Wir wollen mit unserem heutigen Antrag keinen Keil
zwischen ländliche Räume und urbane Entwicklungs-
zentren bzw. Ballungsgebiete treiben. Beide haben ihre
Berechtigung und ihre Besonderheiten. Deshalb gibt es
nicht nur die Koalitionsarbeitsgruppe „Ländliche
Räume“ – ich war sehr froh darüber, dass wir gleich zu
gemeinsamen Ergebnissen kommen konnten –, sondern
auch eine Arbeitsgruppe, die sich mit den besonderen
Herausforderungen der großen Städte beschäftigt. Auch
darüber werden wir reden. Ein Unterschied zwischen
den ländlichen Räumen und den großen Städten ist aller-
dings, dass die großen Städte mit ihren Sorgen eher ge-
hört werden, weil es dort mehr Menschen gibt als in den
ländlichen Räumen.

Warum sind wir jetzt in besonderer Weise mit dem
Thema ländlicher Raum befasst? Von der demografi-
schen Entwicklung sind die ländlichen Räume viel stär-
ker betroffen als die großen Ballungsgebiete. Deshalb
sind besondere Antworten nötig.

Für unser Land war kennzeichnend, dass wir immer
gleichwertige Lebenschancen, Arbeitschancen und
Ausbildungschancen in Stadt und Land hatten, dass es
eben kein Gefälle gab, das von eigentlich unbewohnba-
ren, unzumutbaren Gebieten bis hin zu den bevorzugten
Ballungsgebieten reichte, dass wir keine Situation wie in
Frankreich haben, wo eine zunehmende Entleerung
ländlicher Räume stattgefunden hat; bei uns sind die
ländlichen Räume vielmehr stark und bieten Lebens-
chancen für Generationen.

Aufgrund der immer geringer werdenden Zahl junger
Menschen stehen die ländlichen Räume jetzt vor beson-
deren Herausforderungen. Mit der demografischen Ent-
wicklung werden wir die nächsten 30 Jahre leben müs-
sen; denn so lange wird es auf jeden Fall so bleiben, wie
es jetzt ist. Deswegen müssen wir auf die Fragen, die
sich in diesem Zeitraum stellen, Antworten geben.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann machen Sie doch mal!)


Wenn wir wollen, dass es gleichwertige Lebensverhält-
nisse in den ländlichen Räumen und den Ballungsgebie-
ten gibt, müssen wir alles dafür tun, um die Lebensmög-
lichkeiten zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Es ist sehr schön, dass aus den Reihen der Grünen ein
zustimmendes Nicken kommt. – Ich muss aber sagen:
Für die ländlichen Räume ist es nach wie vor unerläss-
lich, dass wir dort Straßen bauen. Das machen wir nicht
zum Spaß. Die Menschen können dort nur über gut funk-
tionierende Straßen zu den Einrichtungen kommen, die
sie für ihr Leben brauchen. Wissen Sie, die Grünen sind
eine typische Großstadt- und Universitätsstadtpartei.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Bei uns gibt es nicht in jedem Dorf eine U-Bahn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich lade Sie gern einmal zu mir auf die Schwäbische Alb
ein. Da können Sie im Winter nicht mit Ihrem Fahrrädle
von einem Dorf zum anderen fahren. Da brauchen Sie
etwas Anständiges.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, zum Beispiel eine gute Bahnverbindung!)


– Ich will Ihnen jetzt einmal Folgendes sagen:


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, sagen Sie mal!)


Auf der Schwäbischen Alb eine Bahnverbindung – hin
und her –, das ist geradezu lächerlich. Machen wir uns
doch nichts vor.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Einen schöneren Beweis als diesen einen Satz dafür,
dass Sie keine Ahnung vom ländlichen Raum haben,
gibt es gar nicht.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Überhaupt nicht!)


Wir brauchen die Straßenverbindungen, und wir brauchen
etwas, worum wir uns wirklich bemühen – das steht in
diesem Antrag, zu dem nachher gesprochen wird –, näm-
lich die modernen „Straßenverbindungen“, das schnelle
Internet. Wir wollen junge Menschen im ländlichen
Raum halten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– Wenn Sie einen Posten als Brüllaffe brauchen, können
Sie sich nachher bei mir bewerben. Seien Sie jetzt ein-
mal ein bisschen friedlich.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen diese schnelle Internetverbindung, da-
mit sich junge Menschen selbstständig machen können.
Der ländliche Raum lebt stark vom Mittelstand. Für
viele mittelständische Unternehmen ist es in den
Ballungsgebieten zu teuer, Grund und Boden zu kaufen.





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)


Ein großer Teil des Mittelstandes besteht aus der Zulie-
ferindustrie. Er braucht heute eine schnelle Internetver-
bindung, um mit dem Betrieb, den er beliefern will, zu
kommunizieren. Da gibt es junge Menschen, die sich als
Konstrukteure selbstständig machen und das schnelle
Internet brauchen. Da sind wir in der Koalition auf dem
richtigen Weg; aber es muss noch schneller und konse-
quenter daran gearbeitet werden, dass dies zum Erfolg
führt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Antrag
erfolgreich gearbeitet haben, werden nachher noch auf
die Einzelheiten eingehen. Ich will ein Thema heraus-
stellen, bei dem wir, wie ich finde, im Verlauf der
Diskussion der nächsten Monate doch noch etwas kon-
kreter werden müssen.

Eine große Sorge der Menschen im ländlichen Raum
betrifft die Gesundheitsversorgung. Gerade die älter
werdenden Menschen fragen sich: Wird es noch eine
entsprechende Gesundheitsversorgung geben? Deswe-
gen müssen wir Antworten darauf geben: Wie können
wir erreichen, dass auch in Zukunft Ärzte bereit sind, im
ländlichen Raum eine Praxis aufzumachen? Ich will die
freie Praxis nach wie vor unterstützen; aber es wird
Situationen geben, wo wir ohne Medizinische Versor-
gungszentren nicht weiterkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU])


Deswegen müssen wir Alternativen anbieten. Beides
muss möglich sein. Wir müssen uns fragen, ob die Zahl
der Mediziner, die wir ausbilden, wirklich ausreicht oder
ob nicht mehr Mediziner ausgebildet werden müssen.
Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass heute
80 Prozent der Absolventen von medizinischen Fakultä-
ten Frauen sind, die eben andere Wünsche und Vorstel-
lungen haben als der typische Landarzt früherer Jahre.

Wir sind die Partei des ländlichen Raumes und der
Großstädte.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die Partei des ländlichen Aufräumens!)


Wir werden in beiden Fällen die richtigen Antworten ge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich danke allen, die in dieser Arbeitsgruppe die
konkreten 105 Vorschläge gemacht haben. Das zeigt:
Die wahre Partei des ländlichen Raumes und der Groß-
städte, das ist die Union


(Patrick Döring [FDP]: Die Koalition!)


– und die FDP, diese Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721110700

Dies war unser Kollege Volker Kauder für die Frak-

tion der CDU/CSU. Nächster Redner für die Fraktion

der Sozialdemokraten ist unser Kollege Willi Brase.
Bitte schön, Kollege Willi Brase.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1721110800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kauder, wenn das
so schön wäre mit der Union in den Großstädten, dann
wären die letzten Wahlergebnisse – schauen Sie sich
diese einmal an – anders ausgefallen; die sprechen für
sich.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um die ländlichen Räume! Falsche Rede!)


Man sollte manchmal den Mund nicht zu voll nehmen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es geht um die ländlichen Räume!)


– Sie haben einen Vergleich gezogen.

Ich finde es sehr gut, dass wir hier über die Entwick-
lung der ländlichen Räume diskutieren. Ich kann nur
sagen, dass wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehr in-
tensiv darüber beraten haben und heute auch einen ent-
sprechenden Antrag vorlegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber dünne Suppe!)


– Nein, der ist besser als Ihrer; aber dazu kommen wir
noch.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ländlicher
Raum nicht gleich ländlicher Raum ist. Ländlicher
Raum heißt auch nicht automatisch Landwirtschaft. Auf
der einen Seite haben wir ländliche Räume, die indus-
triepolitisch sehr stark sind, die strukturpolitisch hervor-
ragend dastehen, auf der anderen Seite haben wir ländli-
che Räume, in denen Entvölkerung und demografischer
Wandel schon teilweise brutal zugeschlagen haben.

Darauf müssen Antworten gegeben werden: Wie ist
es mit der Daseinsvorsorge? Wie ist es mit der medizini-
schen Versorgung? Wie ist es mit den Möglichkeiten,
Bildung für die jungen Leute zu organisieren? Wie ge-
hen wir damit um, dass, vor allen Dingen aus bestimm-
ten Ländern, aus bestimmten ländlichen Regionen, viele
junge Frauen wegziehen, in die Metropolen ziehen? Da
vermisse ich Antworten. Die gibt es auch noch nicht.
Deshalb sollte man vorsichtig sein und bei aller Kritik
nicht meinen, man habe das allein selig machende Kon-
zept.


(Beifall der Abg. Ulrike Gottschalck [SPD])


Wir sind der Auffassung, dass wir einen Ansatz brau-
chen, bei dem die Dinge im Zusammenhang betrachtet
werden. Derzeit wird in Brüssel eine Debatte über die
Weiterentwicklung der Gemeinsamen europäischen
Agrarpolitik geführt. Dort ist vorgeschlagen worden, die
verschiedenen Fonds, die es gibt – Sozialfonds, Kohä-
sionsfonds, Agrarfonds, Regionalfonds –, stärker zusam-
menzuführen. Wir sagen: Jawohl, dieses muss stärker
miteinander verbunden werden, damit wir eine entspre-
chende Politik in den Regionen umsetzen können. Wir
sind der Auffassung, dass auch die GAK und die GRW





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)


zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Entwicklung ländlicher
Räume“ zusammengeführt werden müssen.


(Beifall bei der SPD)


Des Weiteren wollen wir den Menschen in den Regio-
nen eine Perspektive geben, und zwar dadurch, dass wir
Zivilgesellschaft, Politik vor Ort, Kommunalpolitik,
Verbände und Institutionen zusammenbringen, damit
über die regionale Entwicklung diskutiert wird und die
Regionen sich fragen: Wo stehen wir? Wohin wollen
wir? Wo haben wir unsere Schwerpunkte? – Dies möch-
ten wir mit einem Regionalbudget versehen, bei dem die
Regionen aber selbst entscheiden, wo ihr Weg ist, wohin
sie gehen wollen und wie sie möglichst viele mitneh-
men.

Ich kann Ihnen aus meinem Bundesland Folgendes
berichten: Wir haben so etwas Ende der 80er-, Anfang
der 90er-Jahre mithilfe eines regionalen Entwicklungs-
konzepts auf den Weg gebracht. Vom Bauernverband
über die Gewerkschaften und Arbeitgeber bis zur
Kommunalpolitik haben alle zusammengesessen. Heute
tragen wir die Frucht davon: Wir haben blühende ländli-
che Regionen, in denen sich die Menschen, die dort le-
ben, zusammengetan und gesagt haben, wo es langgeht.
Da wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion hin.


(Beifall bei der SPD)


Es ist richtig, dass in ländlichen Regionen Infrastruk-
turpolitik eine wichtige Rolle spielt, dass wir eine ver-
nünftige Finanzierung der Kommunen brauchen – ohne
die geht es nicht –, dass wir eine Weiterentwicklung des
Breitbandsektors brauchen und vieles mehr.

Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der
Debatte häufig zu kurz kommt. Wir haben auch ländli-
che Regionen, wo es eine Veränderung in der Agrarwirt-
schaft gibt. Damit spreche ich die großen Schweinemast-
betriebe an. Ich habe dieser Tage die wunderbare
Überschrift „Protest am Hähnchen-Highway“ gesehen.
Das betrifft die Gegend um Celle und Uelzen. Wir
bekommen mit, dass sich mittlerweile sowohl die katho-
lische als auch die evangelische Kirche dagegen wehren,
dass in Schlachthöfen, in Schlachtbetrieben, in Groß-
schlachtbetrieben vor allen Dingen Werkvertragsarbeit-
nehmer teilweise für 3, 4 oder 5 Euro die Stunde be-
schäftigt sind.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ausbeutung! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Unverschämt!)


Ich will es einmal so sagen: Das ist Dumping. Mittler-
weile ist diese Region zum Dumpingland der europäi-
schen Schlachtbranche geworden. Es ist nicht akzepta-
bel, dass wir zulassen, dass Menschen in Deutschland, in
einem der reichsten Länder der Welt, für 3,50 Euro die
Stunde arbeiten und ihnen vom Lohn auch noch Geld für
Kost und Logis abgezogen wird. Es gibt noch viele
andere Beispiele mehr. Sie können das inzwischen fast
wöchentlich in den Zeitungen lesen. Da vermisse ich
eine Reaktion der Bundesregierung. Was tut sie da-
gegen?


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721110900

Kollege Brase, Sie haben gemerkt, es kommt eine

Zwischenfrage aus der Fraktion der CDU/CSU.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1721111000

Bitte.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721111100

Bitte schön, Kollege.


Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1721111200

Sehr geehrter Herr Kollege Brase, Sie haben gerade

für die SPD-Fraktion eine Lobhudelei für Ihre Politik in
den ländlichen Räumen betrieben. Was sagen Sie denn
dazu, dass Ihr Spitzenkandidat in Niedersachsen den
Flächenfaktor aus dem kommunalen Finanzausgleich
herausnehmen möchte? Dies würde dazu führen, dass
gerade die ländlich geprägten Landkreise Mindereinnah-
men von zum Teil mehr als 7 bis 8 Millionen Euro zu
verkraften hätten. Wie verträgt sich das mit dem, was Sie
hier in diesem Hause gerade den Koalitionsfraktionen
immer vorwerfen, nämlich dass sie angeblich nicht ge-
nug für den ländlichen Raum tun würden?


(Ulrich Kelber [SPD]: Wir werfen Ihnen die Kürzung in der Gemeinschaftsaufgabe schon vor! Das stimmt!)


Ich glaube, hierzu sollten Sie sich einmal äußern. Wie
stehen Sie dazu?


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1721111300

Ich habe den Koalitionsfraktionen nicht vorgeworfen,

dass sie nichts für den ländlichen Raum tun. Ich habe nur
gefragt: Was macht diese Koalition bezogen auf die un-
zumutbaren Zustände von Werkvertragsarbeitnehmern
in der Schlachthofindustrie in Deutschland? Das habe
ich massiv kritisiert. Ich werde nicht aufhören, das auch
weiterhin zu kritisieren.


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Aber die Schlachthofindustrie ist kein Problem des ländlichen Raums!)


– Das ist unredlich, Herr Kauder. Wenn wir über den
ländlichen Raum reden, dann reden wir auch darüber, in
welchen Bereichen, in welchen Betrieben Menschen
beschäftigt sind, und dort werden sie unter unwürdigen
Zuständen beschäftigt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721111400

Das war die Beantwortung der Frage des Kollegen

Andreas Mattfeldt. – Jetzt gibt es eine weitere Zwischen-
frage von der Fraktion der Grünen. Herr Kollege Willi
Brase, gestatten Sie diese?


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1721111500

Ja, gerne.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721111600

Sie ist auch gestattet. Bitte schön, Frau Kollegin.






(A) (C)



(D)(B)



Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721111700

Herr Brase, nur eine Frage: Anfang Januar steht das

Bauordnungsgesetz auf der Tagesordnung. Dann haben
wir die Möglichkeit, die Massentierhaltung einzudäm-
men. Bringen auch Sie einen entsprechenden Vorschlag
dazu ein?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1721111800

Wir haben, wenn ich das richtig im Kopf habe, einen

Vorschlag in die Debatte eingebracht. Wir werden diesen
Vorschlag vervollständigen und die Debatte weiter-
verfolgen.

Wenn Sie mit den Menschen vor Ort reden, auch in
den ländlichen Regionen, wo es eine starke Landwirt-
schaft und auch immer mehr Einrichtungen für Massen-
tierhaltung gibt, dann merken Sie, dass die Menschen
diese Einrichtungen nicht wollen. Wenn ich sehe, was
sich in Niedersachsen in den letzten Jahren teilweise ent-
wickelt hat, dann muss ich sagen, dass das schon eine
Menge ist.

Die Menschen wollen ein Stück weit mitgestalten. Sie
wollen wissen: Was wird dort angebaut? Wie viel haben
wir schon? Müssen noch mehr Massentierbetriebe dazu-
kommen oder nicht? Deshalb sagen wir: Wir wollen ih-
nen die Chance geben, mitzugestalten, und zwar sowohl
über das von Ihnen angesprochene Bundesbaugesetz als
auch dadurch, dass sie sich in den Regionen mit anderen
zusammensetzen und überlegen, wie sie dies auf den
Weg bringen können. Das halten wir für richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir gehen davon aus, dass wir gleichwertige Lebens-
verhältnisse in unserem Land insgesamt weiter voran-
bringen werden. Das bedeutet keine Gleichheit, sondern
das ist das Erzielen und Aufrechterhalten von Mindest-
standards im ländlichen Raum. Wir brauchen vernünf-
tige Daseinsvorsorge, Infrastruktur und Erwerbsmög-
lichkeiten.

Eines dürfen wir jedoch nicht vergessen: Die demo-
grafische Entwicklung zwingt uns in unterschiedlichen
Bereichen zu unterschiedlichen Reaktionen und unter-
schiedlichen Verhaltensweisen in Bezug auf das, was
dort politisch zu machen ist. So haben wir auf der einen
Seite starke industriell geprägte ländliche Regionen, die
gut nach vorne marschieren und in denen es sogar Be-
völkerungszuwachs gibt. Auf der anderen Seite haben
wir Regionen, aus denen immer mehr Menschen wegge-
hen und in denen die Löhne nach unten abweichen. Da-
gegen wollen und müssen wir vorgehen. Deshalb freuen
wir uns auf die Debatte mit Ihnen, aber wir können es Ih-
nen nicht ersparen: Das, was im Bereich der Schlachtbe-
triebe läuft, können und wollen wir als SPD nicht akzep-
tieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721111900

Das Wort hat nun Claudia Bögel für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Bögel (FDP):
Rede ID: ID1721112000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Für mich ist Provinz nichts Negatives“ – das
ist ein Zitat von Rainer Brüderle zur Eröffnung unseres
Kongresses „Ländliche Räume, regionale Vielfalt – wie
gestalten wir die Zukunft?“ mit über 500 Teilnehmern.
Meine Heimat ist das Münsterland, und für mich gilt
auch: „Provinz ist nichts Negatives“; denn ich weiß, wie
lebens- und liebenswert das Landleben ist.

Die ländlichen Regionen sind auf der einen Seite Le-
bens- und Wirtschaftsraum, auf der anderen Seite stecken
ihre Potenziale in Kultur, Tradition und einer lebendigen
Bürgergesellschaft. Das ist also weit mehr als das stark
ideologisch geprägte Bild der grünen Auen und glück-
lichen Kühe. Sie sind geprägt von mittelständischer
Wirtschaftsstruktur, von den Hidden Champions, die mit
ihren Unternehmen ohne viel Aufhebens zur Regiona-
lität beitragen und sehr nah am Menschen sind. Dies
zeichnet diese Unternehmen aus, und sie bieten Arbeits-
plätze in der Region und erhalten somit soziale Struktu-
ren.

Aber gerade auch die ländlichen Regionen sind durch
den demografischen Wandel, die ökonomischen Anfor-
derungen und die ökologischen Bedingungen der Gegen-
wart vor große Herausforderungen gestellt. Erfreulich
ist, dass viele ländliche Räume diese Probleme eigen-
ständig bewältigen können. Sie sind attraktive Lebens-
und Wirtschaftsräume mit guten Zukunftsperspektiven.
Anderen Regionen hingegen fällt es sehr schwer, diese
Herausforderungen zu bewältigen, vor allem struktur-
schwachen Gebieten mit starkem demografischem Wan-
del. Wir dürfen es nicht zulassen, dass aus diesen Regio-
nen am Ende karges, verödetes Niemandsland wird.
Daher dürfen wir nicht nur auf Veränderungen reagieren,
nein, wir müssen sie aktiv mitgestalten. Es ist Aufgabe
der Politik, dass die Attraktivität ländlicher Räume er-
halten bleibt.

Die schwarz-gelbe Koalition hat schon viele wichtige
Punkte für die ländlichen Regionen umgesetzt.


(Zurufe von der LINKEN)


Wir haben das Landärztegesetz auf den Weg gebracht.
Wir haben das KWK-Gesetz auf den Weg gebracht. Wir
haben die landwirtschaftliche Sozialversicherung neu
geregelt. Wir haben das Telekommunikationsgesetz no-
velliert.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ja!)


Ein Meilenstein; denn investitionsfreundliche Regelun-
gen, ein wettbewerbsorientierter Ausbau, Hochleistungs-
netze und die Funktechnik LTE sind gerade für ländliche
Räume von großer Bedeutung. Damit haben wir vielen
mittelständischen TK-Unternehmen gerade in der Fläche





Claudia Bögel


(A) (C)



(D)(B)


Investitionssicherheit gegeben. Dies trägt regional deut-
lich zur Arbeitskräftesicherung bei.

Wir bleiben am Ball. Wir haben erkannt, dass noch
vieles getan werden muss, damit die ländlichen Regio-
nen nicht abgekoppelt werden. Sie sind vielfältig, indivi-
duell und von unterschiedlicher Struktur und politischer
Historie geprägt. Deshalb ist es nicht eine Maßnahme,
die ergriffen werden muss. Aber es gibt ein klares Ziel:
Wir stärken die ländlichen Räume! Wir müssen dafür
sorgen – und diese Forderung in unserem Antrag ist ein
Novum –, dass zuständigkeitsübergreifend Bund, Län-
der, Kreise und Kommunen gemeinsam die Maßnahmen
umsetzen.

Als mittelstandspolitische Sprecherin meiner Fraktion
freut es mich besonders, dass wir unter anderem in den
Bereichen wirtschaftliche Entwicklung und Telekommu-
nikation gute und praktikable Handlungsoptionen zu-
sammengestellt haben. Die Breitbandversorgung ist ein
wichtiger Standortfaktor, vor allem für die Wirtschaft.
Es ist daher unser Ziel, eine flächendeckend gleichwer-
tige Teilhabe von städtischen und ländlichen Regionen
am schnellen Internet zu erreichen. Die digitale Spaltung
müssen wir verhindern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Wirtschaftsstruktur in ländlichen Regionen
Deutschlands ist vom Mittelstand geprägt. Viele Hand-
werksbetriebe, viele landwirtschaftliche Betriebe, oft in
traditionsreichem Familienbesitz, sind dort zu Hause,
viele IT-Unternehmen sind hinzugekommen. Wir wollen
die Kooperation von Wirtschaft und Forschung fördern.
Wir wollen ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit
sicherstellen und, wenn möglich, verbessern. So setzen
wir uns dafür ein, dass die GRW- und GAK-Mittel mit
entsprechender Zweckbindung verstetigt werden. Das stei-
gert die Innovationsfähigkeit vor allem mittelständischer
Unternehmen.

Meine Damen und Herren, Provinz ist nichts Negati-
ves. Mit dem vorliegenden Antrag zeigen wir, dass uns
die ländlichen Regionen am Herzen liegen, dass wir uns
in unserer politischen Arbeit für starke, lebenswerte
ländliche Räume und eine gleichberechtigte Entwick-
lung von Stadt und Land einsetzen. Wir nehmen die Pro-
bleme der ländlichen Bevölkerung ernst. Wir schwelgen
nicht in ideologischen Fantasien. Wir setzen in unserem
Antrag konkrete handlungsorientierte Impulse. Der An-
trag der SPD hingegen ist unkonkret, verwässert, ideolo-
gisch und fantasielose Prosa. Das, was Sie hier vorgelegt
haben, ist zu dünn.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Provinz ist alles andere als ein Schimpfwort. Im Ge-
genteil: Unser Land profiliert sich durch Regionalität,
durch kommunale Selbstverwaltung, durch starke länd-
liche Regionen. Diese Potenziale gilt es zu unterstützen;
denn sie reflektieren positiv auch auf die Ballungszent-
ren, die oftmals hoch verschuldet sind.

Meine Damen und Herren, wir lassen unsere Zukunft
nicht durch ideologische Mauern verbauen. Wir lassen

unsere Zukunft nicht durch kurzfristige Denke zerstören.
Unser Antrag denkt Zukunft für ländliche Räume. Wenn
auch Sie so denken, müssen Sie einfach nur zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721112100

Das Wort hat nun Alexander Süßmair für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt er wieder auf die Eisenbahn zu sprechen! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die schwäb’sche Eisenbahne!)



Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721112200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich den Antrag
der Koalition zu den ländlichen Räumen das erste Mal
durchgelesen habe, habe ich mir auf gut Bayerisch ge-
dacht: Ja, is’ denn heut scho’ Weihnachten?


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ja! Wirklich schön, nicht?)


Man weiß wirklich nicht so genau, ob man jetzt la-
chen oder weinen soll. Sie legen in Ihrem Antrag über
100 Forderungen zum ländlichen Raum vor und wollen
das Ganze in einer Sofortabstimmung durchs Parlament
peitschen, anstatt uns darüber in Ruhe und in den Aus-
schüssen des Deutschen Bundestages gemeinsam fach-
lich beraten zu lassen. Das finde ich keine ernsthafte par-
lamentarische Arbeit; das muss ich ganz ehrlich sagen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Daran sieht man vielleicht auch, was Ihnen der ländliche
Raum und die Menschen, die dort leben, wirklich wert
sind.

Aber wahrscheinlich sind Sie getrieben von der Angst
vor den anstehenden Wahlen. Bisher hatten Sie in den
Debatten zum ländlichen Raum ja nicht mehr als ein
paar warme Worte übrig und vertraten ansonsten die
Auffassung, die Menschen und die Kommunen im länd-
lichen Raum sollten selbst sehen, wo sie bleiben.

In Ihrem Antrag schreiben Sie nämlich zum Beispiel,
dass Bund, Länder, Kommunen und nichtstaatliche Ak-
teure in einer gemeinsamen Verantwortung stehen. – Ja,
das mag schon sein. Nur, das Problem ist, dass vor allem
Kommunen und nichtstaatliche Akteure ihre Verantwor-
tung überhaupt nicht mehr wahrnehmen können, und
zwar deshalb, weil die Kassen leer sind und weil die Ein-
kommen niedrig sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik, aber leider auch der
Politik der vergangenen Bundesregierungen von Rot-
Grün und Schwarz-Rot.

Dann machen Sie noch einen Vorschlag, den ich be-
sonders eigenartig finde. Sie schreiben in Ihrem Antrag,





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)


dass Kommunen zur Kofinanzierung von Fördermitteln,
zum Beispiel der Europäischen Union, private Gelder
oder Mittel aus Bürgerfonds akquirieren sollten, um
diese Kofinanzierung aufzubringen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig! Das ist sinnvoll!)


Meine Damen und Herren, ich finde es wirklich
dreist, dass die Kommunen bei den Menschen auf dem
Land, die sowieso schon ihre Steuern bezahlen und im
Verhältnis zu den Menschen in den städtischen Zentren
weniger verdienen, auch noch entsprechende Gelder ein-
treiben sollen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die würden es sogar machen! Die sind bereit dazu! Die Unternehmen möchten es machen! Thema nicht verstanden!)


Sie sollten stattdessen lieber die Kriterien für Förderpro-
gramme so umgestalten und den Bundesländern so hel-
fen, dass sie diese Förderung auch wahrnehmen können,
weil sie diese Förderung am dringendsten brauchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nein, was machen Sie? – Sie verpulvern lieber die
Milliarden, um Zockerbanken zu helfen, statt den Men-
schen in den ländlichen Räumen und den Kommunen
mit den leeren Kassen.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, so ist es! – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Die alte Leier!)


– So ist es aber.

Ich möchte Ihnen nicht absprechen – das gilt übrigens
auch für den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur
Entwicklung ländlicher Räume vom Bundesministerium
von Frau Aigner –, dass die Analyse der Probleme rich-
tig ist. Die Analyse ist bei Ihnen häufig richtig, aber die
Konsequenzen, die Sie daraus ziehen, sind häufig falsch,
ebenso wie die Maßnahmen, die Sie einleiten.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Erstaunt uns das jetzt?)


Ich möchte hier einige Beispiele bringen.

Erstens. Sie wollen zum Beispiel die Bundesverkehrs-
wege ausbauen. Nun ist es meiner Meinung nach nicht
so, dass wir nicht schon genügend Straßen hätten!


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das sehen wir anders!)


Das Problem ist aber doch, dass es sich sowohl Bürger
als auch Kommunen leisten können müssen, auf diesen
Straßen etwas fahren zu lassen. Dazu kommt eben noch,
dass durch die Privatisierung der Deutschen Bahn – wo ist
Herr Kauder? – in den vergangenen Jahren viele Strecken
im ländlichen Raum stillgelegt wurden. So schaut es
doch aus. Dann ist Schluss mit der „schwäb’sche Eise-
bahne“. Das ist die Wahrheit, so schaut es aus im länd-
lichen Raum.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als zweiten Punkt möchte ich erwähnen, dass auch
Sie Forschung und Wissenschaft im ländlichen Raum er-
halten und fördern wollen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!)


Dann muss ich Sie fragen: Warum gibt es dann immer
noch das seit 1996 existierende und unter Helmut Kohl
eingeführte Konzept der Zentralisierung von Ressortfor-
schung? Das haben Sie auch nicht abgeschafft. Stattdes-
sen haben Sie in den vergangenen Wochen bei den Haus-
haltsberatungen auch noch gesagt, das Bundesinstitut für
Risikobewertung komme nicht nach Neuruppin in Bran-
denburg, also in den ländlichen Raum. Das ist doch un-
glaubwürdig, was Sie hier machen!


(Beifall bei der LINKEN)


Dritter Punkt: Sie wollen den Fahrradtourismus und
das Fahrradwegenetz erweitern.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!)


Da frage ich Sie, warum Sie die Mittel dafür im Haus-
halt gestrichen haben. Das ist doch absurd, wenn Sie das
dann hier hineinschreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann geht es noch um das Ehrenamt bzw. die Förde-
rung des Ehrenamtes.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig!)


Sie wollen das Rentenrecht ändern, damit Rentnerinnen
und Rentner etwas mehr dazuverdienen können, wenn
sie ehrenamtlich engagiert sind. Was ist aber mit den
ALG-II-Empfängern? Da wird nämlich bei ehrenamtlicher
Tätigkeit das ganze Einkommen voll auf die Bezüge an-
gerechnet. Das könnten Sie auch einmal ändern, das gilt
nämlich auch für kommunale Ämter.


(Beifall bei der LINKEN)


Da tun Sie aber nichts. Diese Menschen haben genauso
das Recht, sich ehrenamtlich zu engagieren.


(Zuruf von der FDP: Das können sie doch!)


Dann gibt es noch Forderungen zum Ehrenamt gene-
rell, zur freiwilligen Feuerwehr und zum Katastrophen-
schutz. Da könnten Sie auch einmal etwas ändern, denn
ehrenamtliche Tätigkeit – auch bei der Feuerwehr – ist
bei Arbeitgebern nicht so gern gesehen und teilweise so-
gar ein Einstellungshinderungsgrund. Da könnten Sie
auch einmal aktiv werden, anstatt hier nur warme Worte
zu finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Eines ist wirklich dreist: Was machen Sie, nachdem
Sie Ihre über 100 Forderungen aufgestellt haben? – Sie
stellen das Ganze ganz unverschämt wegen der Haus-
haltslage sofort unter Finanzierungsvorbehalt. Man
müsse die Konsolidierung berücksichtigen, den Fiskal-
pakt, 1 Prozent maximal für die EU. Warum stellen Sie
denn keine Mittel ein, wenn Sie 100 Vorschläge ma-
chen? Sie müssen doch auch sagen, wie Sie die Vor-
schläge umsetzen wollen! Das ist völlig unglaubwürdig.





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wie viel darf’s denn sein?)


Dann kam noch der absolute Kracher. Da könnte man
fragen: Is’ denn heut scho’ Silvester? Sie haben gesagt,
einer der Parlamentarischen Staatssekretäre solle Koor-
dinator für die ländlichen Räume werden. Ist das wirk-
lich Ihr Ernst? – In anderen Ländern beschäftigen sich
ganze Ministerien mit der Entwicklung des ländlichen
Raums. Aber vielleicht ist ja der Parlamentarische Staats-
sekretär einer der Weihnachtswichtel, die am Nordpol
die Geschenke zusammenbauen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie sind hier doch der Oberwichtel!)


A
Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1721112300
Ziehen Sie sich schon
einmal warm an!


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Förderung von bürgerschaftlichem Engage-
ment in der Zivilgesellschaft möchten Sie eine Akade-
mie oder eine Bundesstiftung gründen. Dazu habe ich ei-
nen guten Vorschlag an Sie. Anfang September haben
die Kollegin Frau Behm und ich im Auftrag des Deut-
schen Bundestages als Abordnung das 12. Dorfparla-
ment in Schweden besucht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schade ums Geld!)


Von der FDP, CDU und CSU war leider niemand dabei.
Sie hätten dort vor Ort sehen können, dass uns andere
Länder Lichtjahre voraus sind. Dort sind über 700 Men-
schen zusammengekommen, die die Interessen des länd-
lichen Raumes vertreten und über dessen Anliegen bera-
ten haben. Minister haben sich die Klinke in die Hand
gegeben, und die Beschlüsse, die dort gefasst werden,
werden direkt in die Ministerien eingespeist. So etwas
gibt es in vielen anderen europäischen Staaten. Auch in
Deutschland gibt es schon Initiativgruppen, zum Bei-
spiel in Brandenburg. Das sollten Sie unterstützen: ein
Dorfparlament und eine Dorfbewegung für zivilgesell-
schaftliches Engagement in den ländlichen Räumen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721112400

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721112500

Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Her-

ren, es tut mir leid: Ihre Wunschliste ist für die Men-
schen im ländlichen Raum leider nichts wert. Es bleibt
dabei: gute Arbeit, gute Löhne, eine lebenswerte Um-
welt und eine öffentliche Daseinsfürsorge, die nicht un-
ter finanziellen und fiskalischen Vorbehalten steht – da-
für ist die Linke; das brauchen die Menschen im
ländlichen Raum. Warme Worte reichen nicht.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721112600

Das Wort hat nun Cornelia Behm für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721112700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Zustimmung schwindet – nicht nur für die
FDP, sondern auch für die Union, nicht nur in den Städ-
ten, sondern auch im ländlichen Raum.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da waren die Bauern seit Jahren die treuesten Partei-
gänger, die die schwarzen Regierungen im Sattel hielten,
und nun das: Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen,


(Claudia Bögel [FDP]: Was? 20 Prozent in der Landwirtschaft! Man kann es ja mal behaupten!)


Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein werden rot-
grün und Baden-Württemberg gar grün-rot regiert. Das
war wohl der Anstoß dafür, in der Koalition mal über
eine Strategie für den ländlichen Raum nachzudenken.

Dass die Ursachen für die verlorenen Wahlen in der
verfehlten Politik der letzten Jahre liegen könnten,


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Drehen wir das Thema um!)


wurde dabei wohl offensichtlich völlig außer Acht gelas-
sen: verzweifelte Milchbauern, Imker, die ihren Honig
nicht vermarkten können, weil Gentechnik drin ist,
Mais, soweit das Auge reicht, und Schweine- und Geflü-
gelställe im Fabrikdesign.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Uckerländische Reiterin!)


Das ist nicht Schicksal. Das ist auch nicht dem erbar-
mungslosen internationalen Wettbewerb geschuldet. Das
ist einzig und allein Folge einer völlig verfehlten Agrar-
politik und einer fehlenden Strategie für den ländlichen
Raum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während manche Medien und große Nahrungsmittel-
konzerne mit ihrer Werbung ein romantisches Bild vom
Landleben malen, verlassen junge, kreative und flexible
Menschen das Land und fliehen in die Städte, Gott sei
Dank nicht überall; es werden aber immer mehr.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die ersten kommen schon wieder zurück!)


Die Ursachen habe ich Ihnen beschrieben.

Wer das Land nur als Produktionsstandort für die
Agrarindustrie statt als Lebensraum sieht, der stellt von
vornherein die Weichen falsch.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Von wem reden Sie denn?)


Die grüne Bundestagsfraktion will die Weichen umstel-
len. Anknüpfend an die rot-grüne Regierungszeit und





Cornelia Behm


(A) (C)



(D)(B)


mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre haben wir
an Konzepten für den ländlichen Raum gearbeitet, die
den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt
stellen: den Menschen, seinen Lebensraum und seine
Lebensgrundlage.

Was wir in den letzten Jahren im Detail dazu erarbei-
tet haben, kann man nachlesen. Ob es unser Handlungs-
konzept zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung ist
oder die Positionierungen zur Gesundheitsversorgung,
zur sozialen und technischen Infrastruktur oder zum
Tourismus in ländlichen Räumen sind: Sie funktionieren
nur mit einem Politikwechsel.


(Beifall der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nicht mehr Investitionen in Beton, sondern in Köpfe,
nicht mehr Alimentierung, sondern Unterstützung für
Forschung und Bildung, Innovation und Kooperation,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


nicht mehr Wachsen oder Weichen, sondern Chancen für
Gründerinnen und Gründer, auch in der Landwirtschaft.

Der Green New Deal soll auch auf dem Land stattfin-
den.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das Plattdeutsch, oder was?)


Wir haben dafür Maßnahmen vorgeschlagen, und wir
haben sie durchgerechnet. Wir versprechen nichts, was
wir nicht halten können, wenn wir wieder regieren. Das
beweisen Grüne aktuell in den Ländern, in denen sie das
Ressort für den ländlichen Raum besetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach den zahlreichen Wahlschlappen in der Vergan-
genheit hat die Koalition nun auch erkannt, dass sie im
ländlichen Raum etwas tun muss. Sie hat im März dieses
Jahres eine Koalitionsarbeitsgruppe „Ländliche Räume,
regionale Vielfalt“ eingesetzt. Die Kolleginnen und Kol-
legen haben schnell gearbeitet. Schon heute legen sie ei-
nen elfseitigen Antrag zur sofortigen Abstimmung vor.
Hut ab vor so viel Selbstvertrauen!


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wir waren im Juni mit unserem Abschlussbericht fertig!)


Elf Seiten und um die 100 Maßnahmen.

Wir sehen – hier stimme ich dem Kollegen Süßmair
zu – durchaus einige Übereinstimmungen hinsichtlich
der Analyse der Situation, auch bei den Herausforderun-
gen und bei den Maßnahmen. Die allerdings haben bei
Ihnen meist empfehlenden Charakter und stehen unter
Haushaltsvorbehalt.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Richtig! Das ist das Problem!)


Zu so viel Selbstvertrauen hätte auch mehr Mut gepasst.
Es mangelt nicht nur an Mut, sondern auch an Ehrlich-
keit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Interessant ist beispielsweise, dass die Kolleginnen
und Kollegen der Koalition die GAK zu einem Förder-
instrument für den ländlichen Raum entwickeln wollen.
Unseren Antrag dazu haben sie seinerzeit abgelehnt.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Der war auch nicht so gut wie unserer! Das ist auch eine Qualitätsfrage!)


Und: Was soll die Vergabe von Prüfaufträgen bewirken,
wenn gehandelt werden muss?

Das schnelle Internet für alle bleibt ein Traum, wenn
wir uns auf diese Koalition verlassen. Breitband als Uni-
versaldienstleistung wie Post und Telefon – also die Ver-
pflichtung der Telekommunikationsanbieter, einen An-
schluss mit einer Bandbreite von vorerst 6 Mbit pro
Sekunde bereitzustellen – hätte aus dem Traum Wahrheit
werden lassen.


(Claudia Bögel [FDP]: 90 Milliarden Euro Steuergelder hätte das verschlungen, und Arbeitsplätze hätte das gekostet, Frau Behm!)


Unser Antrag hierzu – von Schwarz-Gelb abgelehnt.

Heute lehnen wir ab; denn wir brauchen keine Ver-
sprechungen, sondern Politik. Politik für die Menschen
im ländlichen Raum heute und für die, die dort künftig
leben wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721112800

Das Wort hat nun Ingbert Liebing für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ingbert Liebing (CDU):
Rede ID: ID1721112900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

ländlichen Räume in Deutschland stehen vor einer be-
sonderen demografischen Herausforderung. In den
nächsten 40 bis 50 Jahren wird Deutschlands Bevölke-
rung nicht nur älter werden, sondern auch deutlich
schrumpfen. 12 bis 17 Millionen Menschen weniger in
Deutschland: Das ist die Bevölkerung von ganz Nord-
rhein-Westfalen oder den neuen Ländern. Alle weg.
Menschenleer. Diese Entwicklung findet nicht überall
gleichermaßen statt. Während manche Städte, manche
Metropolen noch wachsen, drohen ländliche Regionen
leerzulaufen.

Manche empfehlen ein einfaches Rezept. Die Starken
stärken, heißt es oft genug, gerade bei den Sozialdemo-
kraten. Man müsse die Metropolen stärken, und das
helfe automatisch dem ländlichen Umland. Oder: Dem
ländlichen Raum sei ohnehin nicht zu helfen.


(Zurufe von der SPD)


Das, meine Damen und Herren, kann nicht unsere Ant-
wort sein. Wir haben ein anderes Ziel. Unser Ziel ist es,
auch die ländlichen Regionen lebensfähig und zukunfts-
fähig zu halten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)


Dabei ist das kein Gegensatz zu den Anforderungen,
die die Städte an die Politik stellen. Natürlich brauchen
wir auch für die Probleme der großen Städte, der Metro-
polen, passgerechte Antworten auf bevorstehende Ver-
änderungen. Es kann aber auch nicht im Interesse der
Städte liegen, wenn die ländlichen Räume ausbluten.
Schließlich klagen wir heute schon über steigende Im-
mobilienpreise und steigende Mietkosten in den Städten.
Ungesteuerter Zuzug vom Land in die Städte würde
diese Probleme in den Städten noch mehr verschärfen.
Also ist es doch allemal sinnvoller, den Menschen dort
Zukunft zu geben, wo sie heute leben, als sie abzuschrei-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Machen!)


Dafür brauchen wir eigenständige Entwicklungsstra-
tegien für die ländlichen Räume. Dazu haben wir mit un-
serem Antrag und unserem Maßnahmenprogramm einen
wesentlichen Beitrag geleistet. Die Entwicklung der
ländlichen Räume werden wir nicht allein von der Bun-
desebene gestalten können. Wichtig sind die Kräfte vor
Ort, die wir wecken und unterstützen wollen. Wir brau-
chen starke Partner vor Ort. Wir brauchen auch die
Kommunen als Partner. Sie müssen zunehmend Aufga-
ben übernehmen,


(Willi Brase [SPD]: Sie geben den Kommunen aber nicht die Finanzen!)


gerade im Bereich der Daseinsversorgung, weil der
Markt es allein nicht mehr regelt.

In vielen Dörfern stellt sich doch heute gar nicht mehr
die Frage, ob etwas privat oder kommunal angeboten
werden soll. Die private Wirtschaft hat sich schon längst
aus manchen Bereichen zurückgezogen. Der Kaufmann
im Dorf hat schon lange dichtgemacht, und der Landarzt
findet keinen Nachfolger. Aus einem als unattraktiv
empfundenen Umfeld ziehen junge Familien weg in die
Stadt. Die Folge: keine Kinder, keine Schulen, keine
Kindergärten. Dies ist die Teufelsspirale, die wir durch-
brechen wollen. Wir wollen alles tun, was möglich ist,
um das Leben auf dem Lande zu stärken und attraktiv zu
halten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Fangen Sie einmal an! Sie regieren seit drei Jahren!)


Ein Schlüsselthema ist hierbei die Telekommunika-
tion. Wir brauchen schnelles Internet, und zwar überall,
auch im kleinen Dorf. Denn gerade dann, wenn Straßen
und Schienen nicht direkt vor der Haustür liegen, kommt
dem Internet, kommt der Datenautobahn eine besondere
Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat sich das Ziel ge-
setzt, bis 2018 Deutschland flächendeckend mit Breit-
band mit mindestens 50 MBit pro Sekunde zu versorgen.
Dieses Ziel wollen auch wir erreichen. Aber dafür
braucht es neue Anstrengungen. Viele regionale und
kommunale Initiativen haben sich bereits auf den Weg
gemacht, und die wollen wir mit zielgerichteten Förder-
programmen noch unterstützen.

Ein weiteres zentrales Thema für die ländlichen
Räume ist auch die Landwirtschaft, die auch heute noch
die Landschaft und die Menschen prägt. Wir wollen ge-
rade jungen Menschen Mut machen, Familienbetriebe
fortzuführen. Aber die Landwirtschaft kommt heute
auch unter Druck: Siedlungsbau, Verkehrsinfrastruktur,
in jüngster Zeit insbesondere die Energiegewinnung auf
der Fläche schaffen neue Konkurrenz zur produzieren-
den Landwirtschaft. Pachtpreise steigen, Eigentümer er-
zielen höhere Preise durch Verkauf von Ausgleichsflä-
chen als über die Landwirtschaft. Hier wollen wir helfen,
indem wir Flächenkonkurrenz abbauen, und wir wollen
bei der Ausgleichsthematik mit bundeseinheitlichen
Standards und Flächenaufwertung statt Flächenstillle-
gung der Landwirtschaft Zukunftsperspektiven sichern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die ländlichen Räume dürfen nicht zur Ausgleichsfläche
für wirtschaftliche Dynamik in den Städten missbraucht
werden. Die ländlichen Räume sind auch Wirtschaftsre-
gion, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerade die Energiewirtschaft bietet den ländlichen
Räumen neue Chancen. Unsere Energiewende bedeutet
dezentralere Strukturen bei der Energieerzeugung. Wenn
wir das alles gut organisieren, dann bietet dies gerade
den Menschen in den ländlichen Räumen neue Chancen
der Wertschöpfung. In meiner Heimat in Nordfriesland
haben wir das mit den Bürgerwindparks seit inzwischen
mehr als 20 Jahren praktiziert. Wir haben gute Erfahrun-
gen gesammelt; denn so bleibt Wertschöpfung in der Re-
gion, und dies steigert die Akzeptanz.

Wir haben insgesamt 105 Maßnahmen in unserem
Antrag aufgeführt, ein gutes kompaktes Bündel.

Nun hat aber auch die SPD-Fraktion einen Antrag
vorgelegt.


(Florian Pronold [SPD]: Einen besseren!)


Dieser Antrag zeigt jedoch, dass die SPD wenig mit den
ländlichen Räumen anzufangen weiß. Das ist eine ganz
dünne Suppe, die Sie da servieren, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Wenn Ihnen zum Thema Breitband nichts anderes ein-
fällt als ein einziger Satz, Sie aber nicht einen einzigen
Vorschlag parat haben, was man denn tun kann, um den
Ausbau zu forcieren, dann zeigt das nur Ihre Ideen- und
Konzeptionslosigkeit.

Wir als Koalition haben uns an die Arbeit gemacht
und haben geliefert. Etliche Punkte sind schon im Ge-
setzgebungsgang über verschiedenste Gesetze. Heute hat
der Deutsche Bundestag die Chance, mit dieser Debatte
und mit einer klaren Beschlussfassung ein klares Be-
kenntnis zu den ländlichen Räumen abzulegen. Wir re-
den nicht nur über dieses Thema, wir handeln auch.





Ingbert Liebing


(A) (C)



(D)(B)



(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dies tun Sie nicht! – Weiterer Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Tun Sie dies auch, stimmen Sie unserem Antrag zu.
Dann geben wir den Menschen gemeinsam Zukunft auf
dem Lande.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721113000

Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1721113100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ländliche Räume sind für viele Men-
schen Heimat und sind Orte der Verwurzelung. Gerade
in Zeiten, in denen das Leben immer schneller wird, in
denen die Menschen immer mehr dazu gezwungen wer-
den, der Arbeit hinterherzuziehen, ist es besonders wich-
tig, dass man ländliche Räume stärkt, dass man diese
Heimat erhält, dass man Menschen nicht dazu zwingt,
von dort wegzugehen, wenn sie von dort nicht wegwol-
len.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben in dieser Debatte ein paar Punkte über die
Unterschiedlichkeit von ländlichen Räumen gehört, dass
es welche gibt, die mit den Herausforderungen gut um-
gehen können, die gute Bedingungen haben, und dass es
welche gibt, die vor wirklich großen Herausforderungen
stehen. Der ländliche Raum ist eben vielschichtig. Auch
die Probleme und Herausforderungen, die es dort gibt,
brauchen unterschiedliche Antworten. Man muss auch
aufpassen, dass man ländliche Räume nicht schlechtre-
det.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Ich war vor kurzem bei mir zu Hause in Niederbayern
bei einem Hidden Champion, einem kleinen Unterneh-
mer, der aus München in den ländlichen Raum gezogen
ist. Er hat gesagt: Ich kann dort arbeiten, wo andere Ur-
laub machen. – Das ist toll, das ist schön und das macht
Spaß. Das ist eine Stärke von ländlichen Räumen, die
man auch hervorheben muss. Ländliche Räume sind at-
traktiv und bedeuten eben nicht nur Problemfelder.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Trotzdem gibt es Herausforderungen, denen man sich
zuwenden muss.

Ich hatte gedacht, dass dieses Thema jetzt endlich
ernst genommen würde.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Wie kommen Sie denn auf die Idee?)


Die Debatte wurde zunächst innerhalb der Kernzeit
angesetzt. Herr Kauder hat gesprochen.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Gute Rede! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Er hat aber nichts gesagt!)


Es hat sich dann aber mit seinen Kollegen unterhalten
und die Debatte nicht mehr weiter verfolgt.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


– Doch, die ganze Zeit hat er geredet; ich habe ihn
beobachtet.

Außerdem vermisse ich einen Minister hier.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal auf die Regierungsbank! Da ist der zuständige Minister!)


Am Anfang der Legislaturperiode, 2009, hat die CSU
darüber gestritten, welcher Minister die Zuständigkeit
für die ländlichen Räume erhalten solle. Ilse Aigner will
ich loben; sie ist anwesend. Aber derjenige, der die Zu-
ständigkeit für die ländlichen Räume für sich reklamiert
hat, war Dr. Peter Ramsauer. Er hat sogar eine eigene
Abteilung für diesen Bereich gegründet, aber er ist heute
nicht hier.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da frage ich mich schon: Wo bleibt denn da die Wertig-
keit für die ländlichen Räume, wenn der Minister, der für
sich die Zuständigkeit am lautesten reklamiert hat, in der
Debatte heute nicht einmal anwesend ist?


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Können Sie auch mal was zur Sache sagen?)


Sie haben in Ihrem Antrag 105 Forderungspunkte
aufgestellt. Die wenigsten davon betreffen den Bund sel-
ber. Viele sind einfach nur nette Anregungen und Ideen
hinsichtlich geänderter Zuständigkeiten für Länder und
Kommunen. Das ist auch schön, das kann man machen.
Die spannendste Frage ist jedoch: Was haben Sie denn
für die ländlichen Räume in diesen drei Jahren getan, in
denen Sie die Verantwortung getragen haben? Was
waren Ihre Worte, und was sind Ihre Taten?


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nur warme Worte!)


Herr Liebing, Sie haben gerade das Thema „Breit-
bandausbau“ angesprochen. Das ist wirklich ein großes
Problem in ländlichen Räumen. Ich habe einige Presse-
mitteilungen von Wirtschaftsministern dabei, die für
diesen Bereich zuständig waren – angefangen von Glos
über zu Guttenberg bis hin zu den FDP-Wirtschafts-
ministern – und die seit 2007 jedes Jahr eine neue
Initiative für den Breitbandausbau ankündigt haben, um
den ländlichen Raum mit Breitbandanschlüssen zu
versorgen.





Florian Pronold


(A) (C)



(D)(B)


Dann stellt sich zum Schluss der Herr Brüderle hin
und sagt: Die Probleme sind schon gelöst; 98,5 Prozent
der Bevölkerung in den ländlichen Räumen haben doch
einen Breitbandanschluss. – Ja, aber nur mit 1 Megabit
pro Sekunde. Wissen Sie, wie die Realität im Bayeri-
schen Wald ausschaut? Da bin ich schneller, wenn ich
meine Daten auf eine CD brenne und sie von Haus zu
Haus trage, als wenn ich versuche, sie über das Internet
zu verschicken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dann machen Sie es doch, wenn Sie so viel Zeit haben!)


Das ist die Realität in vielen ländlichen Räumen. Das
liegt in Ihrer Verantwortung. Das haben Sie verpennt.

Sogar der Herr Kauder hat noch 2012 erklärt: Wenn
man die Stromversorgung in den ländlichen Räumen ge-
nauso angepackt hätte wie den Breitbandausbau, dann
gäbe es heute Tausende von Höfen im Schwarzwald, die
noch mit einer Kerze für Licht sorgen müssten, weil sie
keine Stromversorgung haben.


(Beifall bei der SPD)


Das ist ein Zitat von Herrn Kauder, das Sie nachlesen
können. Da hat er recht. Dort, wo Sie Verantwortung ge-
tragen haben für ländliche Räume, haben Sie versagt.

Ein weiterer Punkt: Stärkung der Kommunen.
Nehmen Sie die Städtebauförderung. Sie haben einen
Extratopf für ländliche Räume geschaffen. Das schaut
zunächst gut aus. Aber wenn man sich einmal ansieht,
wohin die Mittel fließen, dann erkennt man: 40 Prozent
der Mittel für Städtebauförderung gehen wie bisher in
ländliche Räume. Aber diese Regierung hat im Vergleich
zu sozialdemokratisch geführten Bauministerien die
Städtebauförderung um 120 Millionen Euro gekürzt.
Das heißt: Unter dem Strich steht heute weniger Geld für
ländliche Räume zur Verfügung, obwohl es jetzt einen
eigenen Topf dafür gibt. Das ist Voodoo-Ökonomie, aber
keine Unterstützung für ländliche Räume, die eine
solche dringend benötigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viele Menschen wollen gerne in den ländlichen
Räumen wohnen bleiben, müssen aber leider ihren Ar-
beitsplätzen hinterherziehen. Was ist die Antwort des
Bundesverkehrsministers, der heute nicht da ist? Seine
glorreiche Idee seit über drei Jahren ist eine Pkw-Maut,
die die Pendlerinnen und Pendler insbesondere in den
ländlichen Räumen, die lange Wege zur Arbeit in Kauf
nehmen, zusätzlich bestrafen würde. Wir müssen aber
doch die Menschen unterstützen, die in der Heimat blei-
ben wollen und dafür lange Wege zur Arbeit auf sich
nehmen. Man darf sie doch nicht noch zusätzlich bestra-
fen. Das ist aber Ihre Idee.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir uns mit Problemregionen beschäftigen und
mit der Frage, was man gegen diese Probleme tun kann,

dann ist der Dreh- und Angelpunkt die Verbesserung der
Infrastruktur, zum Beispiel der Ausbau bei der Breit-
bandversorgung. Außerdem stellt sich die Frage, wie es
mit Arbeitsplätzen aussieht.

Wenn man heute Fachkräften einen Arbeitsplatz an-
bietet, muss man ihnen, um sie zu gewinnen, auch eine
gute Kinderbetreuung bieten.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Deswegen machen wir das auch! Keiner hat so viel für Kinderbetreuung getan wie wir!)


Wenn die Kinderbetreuung nicht gut ist, dann gewinnt
man auch keine Fachkräfte. Es geht also um die Kinder-
betreuung, um Fachhochschulen und Universitäten. Wir
müssen die Bildung wieder in die ländlichen Räume
tragen


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und dürfen nicht alles in den Metropolen bündeln. Mit
Ihrem Betreuungsgeld nehmen Sie aber wieder einen
Anschlag auf die ländlichen Räume vor; denn damit
verschlechtern Sie die Infrastruktur in den Bereichen
Bildung und Kinderbetreuung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


Damit erweisen Sie den ländlichen Räumen wieder ei-
nen Bärendienst.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der schwarz-gelben Koalition, Sie
werden im nächsten Jahr mit der Kanzlerin einen großen
Kongress durchführen, um das Thema ländliche Räume
gemäß seiner Wichtigkeit zu behandeln.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Nicht nur einen!)


Wenn Sie diesen Kongress so wichtig nehmen wie die
heutige Debatte, dann können Sie ihn gleich absagen.


(Beifall des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Nehmen Sie das Thema ernst! Bieten Sie echte Lösun-
gen an, nicht nur 105 Punkte aus dem Wolkenkuckucks-
heim!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721113200

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-

gen Volker Kauder.


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1721113300

Herr Pronold, ich habe ja für vieles Verständnis; aber

Sie müssen den Frust, den Sie wegen Ihrer SPD in
Bayern haben, nicht hier abreagieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind so primitiv!)


Kümmern Sie sich erst einmal um Ihre eigenen Sachen.





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)


Ich wollte nur eine Bemerkung zu einem total fal-
schen Satz von Ihnen machen. Jemandem, der einen so
falschen Satz in seiner Rede sagt, kann man unterstellen,
dass auch der Rest nicht richtig ist. Sie haben nämlich
geäußert, dass dort, wo wir für ländliche Räume Verant-
wortung getragen hätten, nichts passiert sei. Es ist nun
einmal Fakt – das bestreiten nicht einmal die Sozis –,
dass wir in Baden-Württemberg unter der CDU-geführ-
ten Landesregierung eine super Politik für ländliche
Räume gemacht haben; das Gleiche gilt für Bayern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind ja auch abgewählt worden! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Hören Sie einmal zu; es wird noch besser. – Jetzt
haben Sie das große Problem, dass der stellvertretende
Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der ein Sozi
ist, gesagt hat, es sei für die ländlichen Räume völlig
wurscht, „ob es einen Bauern mehr oder weniger“ gebe.
Er hat damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Dort, wo Sozialdemokraten über die Entwicklung von
ländlichen Räumen entscheiden, geht es so aus wie in
Baden-Württemberg: verheerend, furchtbar. Die Sozial-
demokraten im ländlichen Raum schämen sich für den
stellvertretenden Ministerpräsidenten, der Mitglied der
Sozialdemokraten ist. – So viel zur Verantwortung für
ländliche Räume.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721113400

Kollege Pronold, wollen Sie darauf reagieren? – Bitte

schön.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1721113500

Herr Kauder, wenn Sie anderen vorwerfen, dass sie

falsch zitieren, sollten Sie selber richtig zitieren. Ich
habe hier gesagt, dass Sie dort, wo Sie auf der Bundes-
ebene für ländliche Räume Verantwortung tragen – das
habe ich an mehreren Beispielen deutlich gemacht –, das
Gegenteil gemacht haben: Sie haben in der Städtebauför-
derung die ländlichen Räume benachteiligt. Sie haben
bei der Breitbandversorgung der ländlichen Räume ver-
sagt; das ist so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Überhaupt nicht!)


Das gilt auch für viele andere Bereiche. Nehmen Sie
die Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsge-
setz, also die Mittel für den ÖPNV im ländlichen Raum:
Die Zuschüsse werden jetzt um die Hälfte gekürzt. Das
wird in den nächsten Jahren in den ländlichen Räumen
Katastrophen auslösen, und dafür tragen Sie die Verant-
wortung.

Ich kenne mich mit den Details zu Baden-Württem-
berg nicht so gut aus wie Sie. Aber ich kann Sie bitten,
die Kollegen von der CSU zu fragen – Herr Hinsken

sitzt dort –, was Herr Seehofer mit der von ihm initiier-
ten „Zukunftskommission Landwirtschaft“ ausgelöst
hat. Er hat in diesem Zusammenhang genau das gefor-
dert, was uns Herr Liebing fälschlicherweise vorgehalten
hat; er hat nämlich gefordert, die Starken zu stärken.
Damit hat er einen Proteststurm in Niederbayern und im
ganzen ländlichen Raum ausgelöst. Herr Seehofer
musste extra fünf Stunden mit den Menschen dort spre-
chen, um die Gemüter zu beruhigen. Er hat dort einen
großen Forderungskatalog entgegengenommen, aber
nichts davon ist umgesetzt.

Insofern gilt: Nicht reden, sondern handeln! An ihren
Taten sollt ihr sie erkennen. Deswegen sage ich: Machen
Sie doch hier kein großes Buhei, sondern sorgen Sie
dort, wo Sie die Verantwortung tragen, dafür, dass wirk-
lich etwas für die Stärkung ländlicher Räume getan wird.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721113600

Das Wort hat nun Edmund Geisen für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1721113700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Verehrte Gäste! Die Bedeutung der ländlichen
Räume ist unschätzbar groß, und zwar viel größer als ge-
meinhin angenommen. Herr Pronold, Sie haben gesagt,
dass Sie hier einige Minister vermissen. Ich möchte Ih-
nen sagen: Ich vermisse Ihren Fraktionsvorsitzenden und
sogar Ihren Kanzlerkandidaten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


– Wenn Sie dem Thema eine entsprechende Bedeutung
beimessen, dann lassen Sie mich das ebenfalls tun.

Herr Pronold, ich muss Sie korrigieren: Die schwarz-
gelbe Regierung hat das getan, was Sie eben zu vermis-
sen meinten. Sie hat ein Städtebauprogramm für
Gemeinden und Kleinstädte aufgelegt, das bereits wirkt.
Das wussten Sie anscheinend noch nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Florian Pronold [SPD]: Es wurde doch gerade davon gesprochen! Hören Sie doch einmal zu!)


Es ist beispielhaft und zukunftsweisend, dass der
ländliche Raum durch den vorliegenden Antrag der
christlich-liberalen Koalition deutlich wie nie zuvor in
den Fokus gerückt wird. Wir setzen mit diesem Antrag
die Rahmenbedingungen für eine gute Zukunft. Wir
haben nicht wie andere Fraktionen schnell einen Antrag
geschrieben, wie Herr Süßmair oder wer auch immer es
eben erwähnte.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie lassen besonders schnell abstimmen!)


Wir haben seit dem Frühjahr 2012 in vielen Sitzungen
mehr als 40 oder 50 Experten angehört. Ich weise die





Dr. Edmund Peter Geisen


(A) (C)



(D)(B)


Unterstellung zurück, dass wir nicht sorgfältig gearbeitet
hätten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Warum lassen Sie uns nicht gemeinsam darüber debattieren?)


Die ländlichen Räume sind für mich die Stützpfeiler
und das Rückgrat unserer Gesellschaft.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


In funktionierenden ländlichen Räumen kann man noch
von einer intakten Gesellschaft sprechen. Hier überneh-
men die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung und
zeigen großes ehrenamtliches Engagement. In den länd-
lichen Räumen, die ich gut kenne, ist das so.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kurz gesagt: Die sozialen Probleme dort sind gering, es
gibt keine sozialen Brennpunkte und weniger Arbeits-
lose. Die Sozialbudgets werden hier am geringsten
belastet. Immerhin wohnen mehr als 50 Prozent unserer
Bevölkerung in den ländlichen Räumen.

Funktionierende ländliche Räume müssen attraktiv
bleiben, um einer Ausdünnung der Bevölkerung entge-
genzuwirken. Das heißt, die Multifunktionalität – Stich-
worte dazu sind: Nahrungsmittel- und Energieproduk-
tion, Wirtschaftsfaktor, Erholungsgebiet, Klimaschutz
usw. – muss erhalten bleiben. Die Landwirtschaft mit
ihren vor- und nachgelagerten Bereichen muss prospe-
rierend bleiben und zukunftsfähig sein. Mittelstand und
Tourismus sind zu erhalten und zu stärken. Die Daseins-
vorsorge ist selbstverständlich attraktiv und zukunfts-
fähig auszugestalten. Die Infrastruktur – Breitband,
Schienen- und Straßenverkehr – muss gleichwertig mit
der der Städte zukunftsgerecht ausgebaut werden.

Die Nahrungsmittel- und Energieversorgung wird in
Zukunft die wichtigste Anforderung an die ländlichen
Räume sein.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich das als Agrarier unserer Fraktion sagen.
Deshalb müssen wir besonders darauf achten, dass keine
weiteren wertvollen Flächen mehr aus der Produktion
genommen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb wendet sich meine Fraktion klar gegen die
unsinnigen Greening-Beschlüsse aus Brüssel, die uns
bisher vorliegen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Auch wir von der FDP-Fraktion plädieren schon lange
eindeutig dafür, dass im Bundesnaturschutzgesetz das
Ersatzgeld als gleichrangige Kompensationsmaßnahme
für den Flächenausgleich zu verankern ist.


(Ulrich Kelber [SPD]: So viel zum Thema Artenvielfalt! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie, wie die ländlichen Räume dann aussehen?)


Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, dass die
Symbiose von Land und Stadt erhalten und zukunftsfest
gemacht wird. Sie wissen, wovon ich spreche: Die
Städte geben dem Land etwas, das Land gibt den Städten
etwas. Statt für eine stetige Vergrößerung der Ballungs-
gebiete zu sorgen, sollten wir aus meiner Sicht vielmehr
dafür sorgen, dass die Menschen in attraktiven länd-
lichen Gebieten wohnen bleiben.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das tun sie doch!)


Dies dient der gebotenen Entzerrung und hat mit gesamt-
wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Vorteilen
zu tun, auch rechnerisch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721113800

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1721113900

Vielen Dank, Herr Präsident, für diesen Hinweis. –

Gestatten Sie mir noch einen Satz.

Bei der Zukunftsplanung – das merken Sie heute be-
sonders – drückt die christlich-liberale Koalition auf das
Tempo. Mit dem vorliegenden Antrag „Zukunft für länd-
liche Räume – Regionale Vielfalt sichern und ausbauen“ –
haben CDU/CSU und FDP den Grundstein gelegt. Erste
Schritte zur Umsetzung sind übrigens schon gemacht
worden: beim Ehrenamt, im TKG und im Baugesetz-
buch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721114000

Herr Kollege, Sie wollten doch nur einen Satz sagen.


Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1721114100

Verehrter Herr Präsident, was wir hier machen, ist Zu-

kunftspolitik. Deswegen kam ich nicht ganz so schnell
zum Schluss.


(Heiterkeit)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721114200

Das ist jetzt aber wirklich der letzte Satz.


Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1721114300

Das ist Zukunftspolitik der christlich-liberalen Koali-

tion. Ich bin sicher, dem können alle zustimmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721114400

Das Wort hat nun Bettina Herlitzius für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)



Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721114500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Liebing, Sie haben mit Ihrem Antrag und gerade mit Ihrer
Rede gezeigt, dass Sie ein paar grundlegende Sachen noch
nicht verstanden haben. Sie reden über Städte und über
ländliche Räume. So einfach ist das aber nicht. Mit einem
einfachen Schwarz-Weiß-Bild lassen sich ländliche
Räume und Raumentwicklung nicht mehr beschreiben.


(Claudia Bögel [FDP]: Gut zu wissen!)


Wir haben Siedlungsbereiche; wir haben Ballungsberei-
che. Schrumpfende und wachsende Regionen liegen oft
nur ein paar Kilometer auseinander. Sie polarisieren hier
beim Thema ländlicher Raum. Das, was Sie sagen, ent-
spricht aber nicht mehr der Realität in unserem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Gottschalck [SPD])


Da Sie den Raumordnungsbericht hier angehängt ha-
ben, könnte man denken, dass Sie es verstanden haben;
denn die Raumordnung ist das Instrument, mit dem Sie
steuernd eingreifen können. Mit diesem Instrument kön-
nen Sie versuchen, die Vorgabe des Grundgesetzes,
gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, umzuset-
zen. Sie können Raumordnungspläne für die Bereiche
Energie, Mobilität und Wohnen erstellen. Das machen
Sie aber nicht.

Sie bleiben bei Ankündigungen stehen, auch in die-
sem Antrag. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe,
habe ich gedacht, er kommt von der anderen Seite des
Parlaments.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nein! Damit wollen wir nichts zu tun haben! Nicht mit so einem Antrag!)


– Ich habe uns alle von der Opposition damit gemeint. –
Er enthält viele schöne anerkennende Worte, Sie machen
aber nichts. Sie reden über die Städtebauförderung, die
Sie auf hohem Niveau halten wollen. Ihr Minister kürzt
die Mittel aber. Sie sagen, das Programm „Altersgerecht
Umbauen“ solle verstetigt werden, der Mittelansatz solle
erhöht werden, und das Programm solle auch für den Be-
reich der öffentlichen Gebäude Anwendung finden. Ihr
Minister hat das Ganze aber schon wieder auf null ge-
setzt.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


– Natürlich! Das Ganze ist in den Haushaltsdebatten auf
null gesetzt worden. Erzählen Sie hier doch nicht irgend-
welchen Unsinn.

In Ihrem Antrag steht, dass im Bundesverkehrswege-
plan auch die ländlichen Räume berücksichtigt werden.
Sagen Sie das doch einmal Ihrem Minister. Der geht
streng nach dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Der ist nicht da! Den können wir nicht fragen!)


Entflechtungsgesetz, ÖPNV im ländlichen Raum – ge-
ben Sie Geld dazu. Erzählen Sie uns doch nicht das Ge-
genteil.

Genau das Problem haben wir hier: Dieser Antrag ent-
hält viele Ankündigungen. Das ist vielleicht ein Wünsch-
dir-was-Wahlprogramm für Niedersachsen, aber kein
Antrag, der dem Anspruch einer Regierung entspricht,
die handeln kann.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zwei Minuten Feuerwerk!)


– Zwei Minuten, das reicht für Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721114600

Das Wort hat nun Marlene Mortler für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721114700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! An Ihre Adresse, Herr Pronold, sage ich – das
gilt aber auch für meine Vorrednerin, Frau Herlitzius –:
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Bayern heute an der
Spitze steht,


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Blockierer!)


und zwar ohne Mithilfe der SPD. An der Spitze wollen
wir auch bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin im ländlichen Raum geboren, dort aufgewach-
sen, und ich stehe zum ländlichen Raum. – Dieser Satz
könnte von mir stammen, aber er stammt von unserer
Bundeskanzlerin Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin stolz, dass wir diese Debatte heute nicht nur er-
öffnen, sondern auch deutlich machen, dass wir die länd-
lichen Räume schätzen. Für uns sind sie ein wertvolles
Stück Deutschland mit wunderbaren Menschen.

Was sagt Kanzlerkandidat Steinbrück, der heute ab-
wesend ist, dazu?


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Der schreibt gerade Rechnungen für seine Reden!)


Ich zitiere aus der FAZ vom Sonntag. Dort wird
Steinbrücks Haltung zum ländlichen Raum wie folgt
wiedergegeben:

Die Cleveren gingen da weg, sagt er, das seien die
Frauen. Bleiben würden nur die doofen Männer.
„Die Frauen sagen: Ich gehe dahin, wo die besseren
Jobs sind und außerdem sind mir die hiesigen Kna-
cker eh zu blöd.“


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das war aus einer Studie!)


Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Ich
stimme damit überein, dass es nicht den ländlichen





Marlene Mortler


(A) (C)



(D)(B)


Raum gibt. Aber die Hälfte der Menschen wohnt dort.
Offenbar haben Ihr Kanzlerkandidat und Sie den ländli-
chen Raum schon abgeschrieben. Offenbar mangelt es
Ihnen auch an Respekt vor der Lebensleistung der Men-
schen im ländlichen Raum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)


Deshalb lautet mein dringender Rat: Schärfen Sie Ih-
ren Blick auch für Themen jenseits der Finanzmärkte!
Bevor nämlich mit Lebensmitteln an der Börse speku-
liert wird – das ist sicher ein Thema, über das man reden
muss –, werden sie immer noch produziert, und das pas-
siert Gott sei Dank noch immer in der realen Welt durch
unsere Bauern und Bäuerinnen.


(Willi Brase [SPD]: Unter verheerenden Bedingungen für die Beschäftigten! Werkverträge und niedrige Löhne!)


Dafür gebührt ihnen Respekt und Anerkennung. Wir
können in unserem Leben auf vieles verzichten, aber
nicht auf Essen und Trinken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist für mich jeden Tag Erntedank. Wir brau-
chen unsere Bauern als Garant für hochwertige und viel-
fältige Lebensmittel und als Garant für regionale Pro-
dukte,


(Willi Brase [SPD]: Es gibt immer weniger Bauern!)


aber auch als Garant für eine einmalige, vielfältige und
gepflegte lebens- und liebenswerte Kulturlandschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Behm, in der Opposition kann man natürlich al-
les versprechen.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nichts versprochen! Das ist Ihr Antrag! – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Versprechen?)


Es ist aber schon dreist, wenn Sie hier so tun, als könne
man die Gemeinsame Agrarpolitik zurückdrehen. Es ist
vielmehr so: Die Agrarpolitik ist die einzige vergemein-
schaftete Politik in Europa. Wir wollen, dass das auch so
bleibt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721114800

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus

den Reihen der SPD-Fraktion?


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721114900

Ich will erst meine Rede beenden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Bei einer Zwischenfrage kann man ja nicht mehr ablesen!)


Wir wollen konkret eine Imagekampagne pro Land-
wirtschaft starten. Warum? Hier reden Sie positiv über
die Landwirtschaft. In den nichtöffentlichen Ausschüs-
sen und anderswo schimpfen Sie über die Landwirte und

nennen sie „Massentierhalter“ und „Umweltverschmut-
zer“.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Mein Gott! Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Die Schlachtbetriebe, die Sie erwähnt haben, liegen in
den Ballungsräumen.


(Willi Brase [SPD]: Wie bitte? Sie müssen erst einmal Geografie lernen!)


Also sind hier eher die Städte gefordert als der ländliche
Raum. Pro Landwirtschaft heißt für uns: Mehr Nach-
wuchs für landwirtschaftliche Familienbetriebe. Das
heißt aber auch: Mehr Akzeptanz und Aufklärung inner-
halb unserer Bevölkerung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Was ist mit Waldkraiburg?)


Der Kollege Liebing hat angesprochen, dass wir in
Zusammenarbeit mit den Bundesländern das sogenannte
Grundstücksverkehrsgesetz anpassen müssen. Warum?
Es ist aus unserer Sicht dringend erforderlich, dass das
Vorkaufsrecht zugunsten aktiver Land- und Forstwirte
weiter gestärkt wird und dass sie noch vor Investoren
und Grundstückskäufern zum Zuge kommen. Das ist
eine absolute Zukunftsfrage.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721115000

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Behm?


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721115100

Herr Präsident, ich will erst meine Rede beenden.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Bereiten Sie doch ein paar Antworten schriftlich vor! Dann können Sie auch Zwischenfragen zulassen!)


Ich darf zum Schluss kommen. Zur Energie ist schon
viel gesagt. Ich sage noch: Der ländliche Raum ist der
Schauplatz der Energiewende. Uns ist der Rohstoff Holz
auch deshalb wichtig, weil er einen großen Beitrag zur
Biomasse und damit zur Energiewende, aber auch zur
Wertschöpfung in den ländlichen Räumen leistet.

Sie reden immer über Mais; das ist ein Kampfthema
für Sie. Mais ist für uns die Pflanze, die die meiste Ener-
gie liefert. Mais ist ein Superfuttermittel und eine
Pflanze, die am meisten CO2 speichert, nämlich mehr,
als dies 1 Hektar Buchenwald könnte. In meinem Land-
kreis beträgt der Anteil der Waldfläche 50 Prozent. Kein
Mensch käme auf die Idee, im Zusammenhang mit Wald
von „Verwaldung“ zu sprechen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721115200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721115300

Deshalb wollen wir hier als Reaktion auf den Klima-

wandel ein Forschungsprojekt für holzstandortgerechte
Baumartenwahl auf den Weg bringen.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721115400

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss

kommen.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721115500

Ich weiß, Herr Präsident.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721115600

Na, dann machen Sie es doch auch.


(Heiterkeit)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721115700

Ich schließe mich den Worten von Herrn Geisen an:

Wenn es um die Zukunft geht, dann lassen wir uns von
niemandem übertreffen. Ländliche Räume brauchen und
haben Zukunft. Die besten Zukunftsaussichten haben sie
mit der Politik der christlich-liberalen Koalition. Wir
sorgen dafür, dass Stadt und Land im Gleichgewicht
bleiben. – Herr Präsident, ich bitte vielmals um Ent-
schuldigung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Keine Zwischenfrage zulassen und dann so überziehen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721115800

Ich bin mir nicht sicher, ob es so wichtig war, auch

noch den letzten Satz abzulesen, und ob alle gleicherma-
ßen davon begeistert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Wort zu einer Kurzintervention hat Florian
Pronold.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1721115900

Frau Mortler, ein Tipp: Wir wollten mehrere Zwi-

schenfragen stellen, die Ihre Redezeit unheimlich ver-
längert hätten.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das war Vorlesezeit!)


Vielleicht wäre es das nächste Mal ganz klug, die Zwi-
schenfragen zuzulassen.

Erstens. Ich will im Zusammenhang mit dem Thema
Schlachthöfe auf Folgendes hinweisen: Schauen Sie sich
zum Beispiel die Probleme und die Arbeitsbedingungen
an, die beim Schlachthof in Waldkraiburg herrschen.
Hierbei handelt es sich nicht um einen Schlachthof in ei-
ner Metropolregion. Das wollte ich Ihnen an dieser
Stelle aufgrund meiner bayerischen Kenntnis sagen.

Zweitens. Wenn Sie den ländlichen Raum ernst neh-
men, dann würde ich Sie einmal einladen, mit mir dort-
hin zu gehen. Kommen Sie nach Niederbayern, kommen
Sie in den Bayerischen Wald, und reden Sie dort mit Un-
ternehmern und mit Landwirten, zum Beispiel über die
Politik auf der Landesebene, die für ungleiche Lebens-
verhältnisse in Bayern gesorgt hat. In keinem anderen
Flächenstaat in Deutschland sind die Lebensbedingun-
gen der Menschen und die wirtschaftlichen Bedingungen
so unterschiedlich wie in Bayern.

Bayern geht es gut. Darüber freue ich mich. Es gibt
dort viele Dinge, die positiv sind. Aber kommen Sie ein-
mal mit zu den Menschen, und hören Sie gerade den
Menschen im ländlichen Raum zu. Sie werden Ihnen sa-
gen, wo die Probleme liegen. Das betrifft die Bereiche
Kinderbetreuung, Fachhochschulstruktur und Bildung
sowie Fragen des Internetzugangs, der Hausärzteversor-
gung usw. Sie können nicht einfach sagen, dass dort alles
gut ist. Es gibt dort eine Menge Herausforderungen, auf
die Sie heute keine Antwort gegeben haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721116000

Frau Kollegin Mortler, Sie können reagieren.


Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1721116100

Herr Kollege Pronold, mit den Menschen zu reden,

das ist für mich nicht nur Daueraufgabe, sondern auch
Dauerzustand. Ich bin regelmäßig im Land unterwegs,
vor allem im ländlichen Raum. Seien wir ehrlich: Wir
fangen ja nicht bei Adam und Eva an. Unser Ziel mit
diesem Antrag heute ist, Lücken und Defizite, die es dort
gibt, im positiven Sinne zu korrigieren.

Noch einmal: Bayern ist und bleibt an der Spitze,
wenn es um die wirtschaftliche und die Arbeitsmarktent-
wicklung geht. Wenn Sie sich ab und zu an dieser Lan-
desregierung ein Beispiel nehmen, können Sie eigentlich
gar nichts falsch machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721116200

Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/

CSU-Fraktion.


Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721116300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Pronold, ich komme aus Mecklen-
burg-Vorpommern. Sie können mir eines glauben: Un-
sere Menschen würden sich einen Entwicklungsstand
der ländlichen Regionen wie in Bayern wünschen.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ja!)


Sechs Jahrzehnte zuvor war Bayern das rückständigste
Agrarland in Deutschland.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Und hat massiv vom Länderfinanzausgleich profitiert! Und jetzt?)


Heute ist es an der Spitze. Ihre Sorgen, Herr Pronold,
möchten wir in Mecklenburg-Vorpommern wirklich ein-
mal haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Kollege Süßmair, für die Länder und Kommu-
nen in Deutschland ist und war in den letzten vier Jahren
Weihnachten. Denn wir als CDU/CSU- und FDP-Koali-
tion haben dafür gesorgt,


(Zuruf des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])






Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


dass die Länder in den Jahren 2010 bis 2013 36 Milliar-
den Euro mehr an Steuereinnahmen hatten bzw. haben
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


36 Milliarden Euro in vier Jahren, das gab es noch nie in
der Bundesrepublik. Die Kommunen werden in diesem
Zeitraum ein Mehr an Steuern von 15 Milliarden Euro
haben. Zusammengerechnet sind das 51 Milliarden
Euro, die durch unsere gute Politik in Länder und Kom-
munen transferiert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721116400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Priesmeier?


Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721116500

Sehr gerne.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721116600

Herr Kollege Rehberg, ich bewundere ja die Zahlen,

die Sie genannt haben, und die Tatsache, dass Sie dafür
gesorgt haben, dass so viel Liquidität in die Länder und
Kommunen geflossen ist. Aber wie bewerten Sie denn
die Situation in Niedersachsen – vor zehn Jahren hat
man die Verbundquote im kommunalen Finanzausgleich
geändert; das hat dazu geführt, dass in zehn Jahren pro
Jahr ungefähr 300 Millionen Euro nicht in den kommu-
nalen Finanzausgleich und an die Kommunen geflossen,
sondern beim Land verblieben sind – und den Umstand,
dass die Kassenkredite der Kommunen vom Beginn des
Haushaltsjahres 2003 bis zum 30. Juni des Haushaltsjah-
res 2012 von 2 Milliarden Euro auf 5 Milliarden Euro
gestiegen sind?


Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721116700

Herr Kollege, wenn ich die Situation in meinem eige-

nen Heimatland, wo SPD und CDU gemeinsam regieren,
betrachte, muss ich sagen: Die Finanzzuweisungen sind
massiv gesunken, die Steuereinnahmen aber massiv ge-
stiegen. Ich, der ich 15 Jahre Landespolitik gemacht
habe, weise immer wieder darauf hin: Egal in welcher
parteipolitischen Konstellation ein Land regiert wird,
entscheidend ist, dass die Steuermehreinnahmen, die der
Bund durch seine Politik generiert – die Steuerhoheit hat
nämlich der Bund –, letztendlich auch bei den Kommu-
nen ankommen.

Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich finde,
eine der wichtigsten Entscheidungen dieser Legislatur-
periode war, dass wir dafür gesorgt haben, dass der Bund
bei der Grundsicherung im Alter die Lasten der Kommu-
nen übernimmt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Noch einmal: Der Bund übernimmt die Lasten der Kom-
munen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Aber nur, weil wir das ge wollt haben! Weil wir den Druck gemacht haben, Herr Rehberg!)


Ich kann Ihnen Bundesländer mit Regierungen jeglicher
politischer Couleur nennen, in denen von den dafür vor-
gesehenen 4,5 Milliarden Euro nicht alles bei den Kom-
munen landet. Manche Länder haben klebrige Finger.


(Florian Pronold [SPD]: Sich mit fremden Federn schmücken, das können Sie!)


Ein weiteres Beispiel. Ich finde es gut, dass Frau
Ministerin Schröder so sehr dafür gekämpft hat, dass die
580 Millionen Euro, die für den Krippenausbau zur Ver-
fügung gestellt werden, von den Ländern verbindlich zu
diesem Zweck eingesetzt werden müssen. So lässt sich
verhindern, dass dieses Geld irgendwo in einem Landes-
haushalt verschwindet und die Mittel für den Krippen-
ausbau nicht bereitgestellt werden. Denn wir haben eine
Absprache getroffen: Ein Drittel der Kosten des Krip-
penausbaus trägt der Bund, ein Drittel tragen die Länder
und ein Drittel die Kommunen. Wenn Sie sich die Situa-
tion in den Ländern ansehen, können Sie feststellen, wie
viel von diesem Geld letztendlich wirklich bei den Kom-
munen angekommen ist. Die Länder machen sich hier
oft einen schlanken Fuß, Herr Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721116800

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, diesmal vom Kollegen Kelber?


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wenn er sich denn blamieren möchte!)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721116900

Sehr gerne.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1721117000

Sie haben gerade über die Grundsicherung im Alter

und die mit der getroffenen Regelung einhergehende
Entlastung der Kommunen gesprochen. In der Tat wird
es zu einer schönen Entlastung kommen. Meine Heimat-
stadt Bonn zum Beispiel


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: In der übrigens die SPD regiert!)


wird dadurch um fast 20 Millionen Euro im Jahr entlas-
tet.

Meine Frage an Sie lautet: Lügen denn die deutschen
Journalisten, wenn sie im Zusammenhang mit diesem
Thema berichten, dass die gefundene Regelung das Er-
gebnis des Vermittlungsausschusses zwischen Bundes-
tag und Bundesrat war und dass die Regelung, dass der
Bund die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter
übernimmt, dort von den SPD-regierten Bundesländern
vorgeschlagen wurde und Ihnen abgerungen werden
musste?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Herr Seehofer ist nicht Mitglied der SPD!)







(A) (C)



(D)(B)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721117100

Herr Kollege Kelber, Sie sind gut, wenn es darum

geht, Märchen zu erzählen und Legenden zu bilden.


(Willi Brase [SPD]: Nee, nee, nee! Das sind keine Legenden!)


Ich habe das ganz anders in Erinnerung. Das war eine
Initiative von CDU, CSU und FDP.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gustav Herzog [SPD]: Geben Sie doch mal eine Antwort!)


– Ja, klar. Das waren der Herr Kollege Kauder, die Frau
Hasselfeldt und der Herr Kollege Brüderle, und das wa-
ren unsere Fraktionen.


(Willi Brase [SPD]: Nee, nee, nee!)


Es wäre, glaube ich, besser – ehe wir uns über Märchen
und Legenden unterhalten –, wenn Sie mit dafür sorgen
würden, dass auch in dem Land, aus dem Sie kommen,
das Geld bei den Kommunen ankommt und die Landes-
regierung keine klebrigen Finger bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Nee, nee, nee! – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Der Kollege muss sich behandeln lassen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721117200

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer weiteren

Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Hinsken. Wollen
Sie sie gestatten?


Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721117300

Sehr gerne.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721117400

Das ist dann aber die letzte Zwischenfrage, die ich

diesem Redner zumute.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Die Frage ist bestellt!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1721117500

Verehrter Herr Kollege Rehberg, Sie haben einige

Persönlichkeiten genannt, die sich speziell dafür einge-
setzt haben, dass wir eine akzeptable Regelung zur
Grundsicherung im Alter hinbekommen haben. Einen
Namen haben Sie aber vergessen – derjenige, den ich
meine, war allerdings ausschlaggebend, weil er diesen
Vorschlag eingebracht hat –: den des bayerischen Minis-
terpräsidenten Horst Seehofer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh! – Bravo!)


Ich möchte Sie bitten, unseren sozialdemokratischen
Freunden ins Gedächtnis zu rufen, dass sich die Bayeri-
sche Staatsregierung – das zeigt sich an dieser Maß-
nahme, aber auch an verschiedenen weiteren Maßnah-

men – in Sachen ländlicher Raum von niemandem
übertreffen lässt,


(Lachen des Abg. Willi Brase [SPD])


dass verschiedene Teile Bayerns vom Armenhaus
Deutschlands zu einer Spitzenregion Europas geworden
sind – das gilt zum Beispiel für meinen Wahlkreis –


(Willi Brase [SPD]: Ja! Weil wir euch über 30 Jahre lang hochgepusht haben! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Genau! Geholfen wurde Ihnen von den Bundesländern, die Sie heute beschimpfen!)


und dass die SPD in den Teilen Bayerns, die in wirt-
schaftlicher Hinsicht so gut dastehen, bei Wahlen 9 bis
10 Prozent bekommt. Herr Kollege Pronold, kommen
Sie einmal dorthin und erklären Sie den Leuten, dass Sie
es besser machen wollen. Vielleicht bekommen Sie dann
1 oder 2 Prozentpunkte mehr; aber das bezweifle ich.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Dann sind sie wenigstens zweistellig!)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1721117600

Herr Kollege Hinsken, ich möchte mich bei Ihnen

ganz herzlich für die Sachdarstellung bedanken. Ich
habe dem überhaupt nichts hinzuzufügen. Herzlichen
Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, gelegent-
lich meint der eine oder andere – die Linken, die
Grünen –, es sei genug in Beton investiert. Dann kommt
immer wieder das Thema: Wir brauchen keine Räume
mehr zu erschließen. Ich komme aus einem Land, das
1939 von 1 Million Menschen bewohnt war. Nach
Kriegsende waren es 2 Millionen, 1989, zur Wende,
knapp 2 Millionen, und heute sind es 1,6 Millionen.
Wenn nicht zu Beginn der 90er-Jahre Entscheidungen
gefällt worden wären, bei denen die Erschließungsfunk-
tion des Raumes eine ganz wesentliche Rolle gespielt
hat, dann hätten wir erstens nicht die A 20, die Lebens-
ader von Mecklenburg-Vorpommern,


(Zuruf von der FDP: Genau!)


zweitens würde keine A 14 gebaut werden, und drittens
würden wir heute nicht die B 96 nach Rügen bauen. Des-
wegen sage ich für mein Land ganz deutlich – dies ist ei-
nes der wichtigsten Teile unseres Antrages –, dass die
Erschließungsfunktion bei zukünftigen Infrastrukturpla-
nungen eine ganz wesentliche Rolle spielen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ich den gesamten norddeutschen Raum be-
trachte, stelle ich fest: Viele Infrastrukturanbindungen
führen durch Räume, die nicht so hoch verdichtet sind
wie die in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württem-
berg. Aber dies sind Anbindungen an die Seehäfen, und
die Seehäfen haben nationale Bedeutung.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)






Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


Deswegen darf man im Zusammenhang mit Infrastruktur
nicht kurzfristig oder kleinkariert diskutieren, sondern
muss in größeren Dimensionen denken.


(Beifall der Abg. Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns wurde
immer wieder der Vorwurf gemacht, wir investierten
nicht in Forschung und Bildung. Wir werden in diesen
vier Jahren insgesamt 13,3 Milliarden Euro für Bildung
und Forschung ausgeben. Wir haben uns 12 Milliarden
Euro vorgenommen. Ich kann Ihnen Dutzende Beispiele
aus Mecklenburg-Vorpommern nennen, wo gerade be-
nachteiligte Jugendliche in Jugendschulen, in Produk-
tionsschulen, bei Bildungsträgern gefördert werden. Es
gibt bei jungen Menschen eine Quote von 14,4 Prozent,
die ihren Schulabschluss aus unterschiedlichen Gründen
nicht schaffen. Sie werden dort herangeführt. Es ist ge-
rade für den ländlichen Raum wichtig, dieses Segment
zu fördern; denn uns fehlen Arbeitskräfte. Uns fehlen im
ländlichen Raum mittlerweile nicht nur Fachkräfte, son-
dern auch Arbeitskräfte. Der ländliche Raum wird nur
dann eine Zukunft haben, wenn wir dieses Problem der
demografischen Entwicklung bewältigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich zum Schluss ein kommunales Pro-
blem ansprechen. Ich wohne in einer Stadt, die flächen-
mäßig die drittgrößte in Mecklenburg-Vorpommern ist:
4 700 Einwohner, 28 Ortsteile, nur noch ein Bürgermeis-
ter; dies ist eine freiwillige Entscheidung von acht Altge-
meinden Ende der 90er-Jahre.


(Zuruf von der SPD: Wie viele Katzen?)


Meine Erfahrung in den letzten 22 Jahren ist: Dort, wo
Menschen keinen Bezug mehr zu Verantwortung haben,
wo sie sich nicht zur Übernahme eines Ehrenamtes in die
Pflicht genommen fühlen, brechen viele Dinge auseinan-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das, was bei uns früher der ehrenamtliche Bürgermeister
gemacht hat, muss heute die Verwaltung tun. Deutsch-
land ist seit vielen Jahrzehnten – seit 1806, Freiherr vom
Stein – gerade auch vom Ehrenamt geprägt. Dies ist
nicht mit Geld zu bezahlen. Deswegen sind die sozialen
Strukturen im ländlichen Raum, wo der Bezug der Men-
schen zueinander viel stärker ausgeprägt ist als in den
Städten, deutlich besser.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721117700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
17/11654 mit dem Titel „Zukunft für ländliche Räume –
Regionale Vielfalt sichern und ausbauen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-

gen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkte 3 b und 3 c. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
17/11031 und 17/8360 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Beitrag der Raumordnung zu Klimaschutz und Ener-
giewende“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/11672, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9583
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Ko-
alitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von
Linken und Grünen angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr
die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Gustav
Herzog, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Für eine zukunftsfähige Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung des Bundes und ein moder-
nes Wasserstraßenmanagement

– Drucksachen 17/9743, 17/11592 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Lietz

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Heinz-Joachim Barchmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert
Behrens, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Kein Personalabbau bei der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an öko-
logischer Flusspolitik ausrichten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie
Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter,





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Netzstruktur für Wasserstraßen prä-
zisieren und die Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung reformieren

– Drucksachen 17/4030, 17/5548, 17/5056,
17/8330 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Matthias Lietz
Torsten Staffeldt

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann.


(Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP])


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1721117800


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Heute ist die Reform der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung hier im Deutschen Bundes-
tag das Thema. Ich nutze diese Gelegenheit, um zualler-
erst den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sehr herzlich für
ihre hervorragende Aufgabenerfüllung zu danken.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Mit Nord- und Ostsee sind wir Anrainer eines der am
meisten befahrenen Schifffahrtsgebiete der Welt. Sehr
viel Verkehr herrscht auch auf den deutschen Binnen-
wasserstraßen. Es läuft dort alles sehr problemlos, sehr
geordnet, so wie wir uns das wünschen. Dafür tragen die
vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung die Verantwortung, und sie ma-
chen das sehr gut.

Wir haben zu diesem Thema eine Reihe von Anträgen
der Oppositionsfraktionen zu beraten. Dazu muss man
feststellen, dass die Reform der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung, wie wir sie vorgeschlagen haben, im
Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages zustim-
mend zur Kenntnis genommen wurde, im Haushaltsaus-
schuss ebenso, mit der Maßgabe, die Reform umzu-
setzen, die Kosten- und Leistungsrechnung schneller
einzuführen und die Ämterstruktur bei der Trennung von
Verkehrsämtern einerseits und Bau- und Unterhaltungs-
ämtern andererseits noch einmal zu überprüfen. Das
werden wir tun.

Warum eigentlich haben wir diese Reform gemacht?


(Johannes Kahrs [SPD]: Das fragen sich alle!)


Seit über 20 Jahren wird über eine Reform diskutiert.
Passiert ist leider nichts,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist falsch!)


außer dass viele Gutachten in Auftrag gegeben wurden
und es viele Diskussionen gegeben hat. Keiner der Vor-

gängerverkehrsminister hatte den Mut, diese Reform an-
zugehen, weil sie in der Tat eine nicht ganz einfache Re-
form darstellt. Insofern wundere ich mich, lieber Uwe
Beckmeyer, dass diejenigen, die viele Jahre Verantwor-
tung getragen haben, diejenigen, die es nie geschafft ha-
ben, eine solche Reform ins Werk zu setzen, jetzt als die
größten Kritiker auftreten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Weil die Reform schlecht gemacht ist!)


Sicherlich kann man das eine oder andere kritisieren.
Man kann über das eine oder andere immer diskutieren.
Das ist ja keine feststehende Reform, sondern sie wird
sich bis 2020 entwickeln. Und keiner von uns behauptet,
dass alles, was wir gemacht haben, schon richtig ist.
Aber jahrelang gar nichts gemacht zu haben,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist falsch!)


alles verschlafen zu haben und dann nur zu kritisieren,
kann nicht die richtige Antwort sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie zehn Jahre geschlafen?)


– Ich bin leider noch nicht zehn Jahre in diesem Amt. Es
wäre Deutschland besser bekommen, wenn es so gewe-
sen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Aber was nicht ist, kann ja noch kommen.

Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes
hatte einmal 19 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Inzwischen sind es noch circa 13 500 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter auf etwa 12 500 Stellen. Dieser Abbau
hat sich vollzogen, wie sich der Abbau von Stellen in der
Verwaltung häufig vollzieht: relativ ungeordnet. Wo ein
Kollege in den Ruhestand gegangen ist, ist er nicht er-
setzt worden. So hat man nach und nach auch Kompe-
tenzen verloren. So wurde nach und nach auch die
Stärke der einzelnen Ämter geschwächt; denn wenn ei-
nige Abteilungen nur noch aus einer Person bestehen
– die irgendwann Urlaub machen muss und die auch ein-
mal krank werden darf –, dann ist das eben schwierig.
Deswegen ist es angezeigt, dass wir zu einer Reform der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung kommen.

Diese Reform hat ihre Grundlage in einer neuen Netz-
struktur. Das heißt, es ist, was für alle Verkehrsträger kom-
men wird – auch für die Schiene, auch für die Straße –, ein
Kernnetz, ein Hauptnetz, ein Nebennetz und ein Netz,
das wir als Bund so nicht mehr brauchen, zu definieren.

Die Europäische Union hat es uns vorgemacht. Auch
sie hat jetzt in ihren TEN-Leitlinien die Strukturen in ein
Kernnetz und ein Grundnetz – danach folgen nationale
Netze – eingeteilt. Dies ist sicherlich richtig und sinn-
voll. Dies wird eine Basis für den neuen Bundesver-
kehrswegeplan bei allen Verkehrsträgern sein.

Bei dieser Netzstruktur gibt es naturgemäß viele Dis-
kussionen: Was kommt hinein? Was kommt nicht hi-





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)


nein? Mit welchen Verkehren rechnen wir? Wir haben
das Ganze anhand der aktuellen Verkehrsdaten, aber
auch auf der Grundlage der Prognosen bis zum Jahr
2025 versachlicht. So haben wir das Ganze in ein A-, B-,
C- und D-Netz eingeteilt – allerdings nur nach der Maß-
gabe, was Güterverkehr und Logistik brauchen. Denn
die Hauptaufgabe unseres Ressorts ist, für Güterverkehr
und Logistik in diesem Land zu sorgen.

Daneben gibt es die touristischen Wasserstraßen.
Hierfür wird es ein gesondertes Konzept geben, weil die
Tourismuswasserstraßen andere Anforderungen und Vo-
raussetzungen haben als die Wasserstraßen, die haupt-
sächlich dem Güterverkehr und der Logistik zur Verfü-
gung stehen müssen.

Darauf haben wir die Verwaltungsstruktur aufgebaut.
Ich glaube, es ist sinnvoll und richtig, dass wir die Äm-
terstruktur etwa um ein Drittel reduzieren und dass wir
die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen von sieben auf
eine Generaldirektion zusammenlegen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Nach Bonn verlegen!)


Denn wir können mit weniger Personal wesentlich effi-
zienter und effektiver arbeiten.

In diesem Zusammenhang wird uns häufig der Vor-
wurf gemacht, man wäre dann zu weit von den Dingen
entfernt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Genau!)


Wenn Sie die Ämterstruktur stärken, dann können Sie
auch eine Zentraleinheit sehr gut darstellen. Wir werden
sie in Bonn haben. Auch das wird häufig kritisiert. Ich
finde, dass Bonn eine sehr schöne Stadt ist.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt am Rhein!)


Bonn war jahrelang Bundeshauptstadt und hat einen gu-
ten Job gemacht. Der überwiegende Teil meiner Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter ist in dieser schönen Stadt
beheimatet. Deswegen verstehe ich die Diskussion in
ganz Deutschland nicht, man dürfe in Bonn keine Be-
hörde schaffen.


(Iris Gleicke [SPD]: Es gibt eine Verabredung, dass neue Bundesbehörden in den Osten müssen!)


Wir finden den Standort sehr gut. Unsere Abteilung ist
schon dort. Vier Wasser- und Schifffahrtsdirektionen
sind im Umfeld von zwei Autostunden entfernt, sodass
wir dort ohne große Verwerfungen in den einzelnen Mit-
arbeiterschaften sehr schnell eine Generaldirektion zu-
sammenbekommen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
uns ist ein guter Wurf gelungen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Schlecht gemacht!)


Sicherlich wird es im Laufe der Zeit noch Diskussionen
geben. Aber ich glaube, dass die Reform angesichts der
viel zu knappen Ressourcen, die uns vom Parlament
über viele Jahre hinweg zur Verfügung gestellt wurden,
sinnvoll und richtig ist.

Wir haben Anlagen, die zum Teil 80, ja 100 Jahre alt
sind. Wir können nur froh und dankbar sein, dass damals
so gut gearbeitet wurde und die Anlagen heute noch be-
triebsbereit sind. Aber wenn wir sie einmal ersetzen
müssen, brauchen wir eine Priorisierung für Ausbau-
und Neubaumaßnahmen, weil wir nicht überall alles
gleichzeitig machen können.

Bevor Peter Ramsauer das Ressort übernahm, gab es
eine etwas unkoordinierte Investitionsstrategie. Heute
hingegen priorisieren wir und bilden mit einem ganz kla-
ren Konzept Schwerpunkte, um mehr Verkehr von der
Straße auf die Wasserstraße zu holen und diesen Ver-
kehrsträger, der noch die größten Reserven hat, viel effi-
zienter und besser zu nutzen. Dazu dient die Reform der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Dazu wird sie einen
wesentlichen Beitrag leisten.

Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar für die
kritische Begleitung, aber auch für die wohlwollende
Unterstützung unserer Reform. Ich bedanke mich aus-
drücklich auch bei den Grünen für das Verständnis für
unsere Reform. Von der SPD bin ich noch immer ent-
täuscht – von den Linken habe ich nichts anderes erwar-
tet –, wie sie auf unsere Reform reagiert. Insgesamt ist
festzustellen: Die Anträge der SPD, der Linken und der
Grünen müssen heute abgelehnt werden.

Ich freue mich auf eine weitere konstruktive Beratung
und Unterstützung und hoffe, dass wir alle zum Wohle
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung in diesem Lande
gemeinsam weiter um einen guten Weg ringen werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721117900

Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1721118000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wenn man die Begründung des Staatssekretärs für
das hört, was er hier verantwortet, dann denkt man, dass
alles in Ordnung ist.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Nur Schönrednerei! Nichts ist in Ordnung!)


Heute Nachmittag findet eine Sitzung statt, zu der Ihr
Chef, Herr Minister Ramsauer, alle Ländervertreter ein-
geladen hat. Weshalb eigentlich?


(Enak Ferlemann, Staatssekretär: Ich habe eingeladen!)


– Ach, Sie haben eingeladen. – Es wurden alle Länder-
vertreter eingeladen, weil aus allen Ländern dieser Re-
publik heftiger Widerstand und Zweifel an Ihrer Aktion
der Änderung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
gekommen sind.


(Iris Gleicke [SPD]: Zu Recht!)






Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich einmal vorle-
sen. Erstes Zitat:

Mit Erstaunen und Unverständnis habe ich zur
Kenntnis genommen, dass unter anderem eine zen-
trale Generaldirektion für Wasserstraßen und Schiff-
fahrt in Bonn geschaffen sowie über 2 600 Stellen
bei den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen abge-
baut werden sollen.

Zweites Zitat:
Das Abziehen wesentlicher Entscheidungsbefug-
nisse aus den betroffenen Regionen führt zu ein-
heitlichen, den örtlichen Gegebenheiten nicht mehr
optimal angepassten Entscheidungen.

Drittes Zitat:
Eine effiziente regionale und integrierte Aufgaben-
erledigung wird dadurch übermäßig erschwert und
schlimmstenfalls in vielen Fällen sogar unmöglich
gemacht.


(Gustav Herzog [SPD]: Wir wollen wissen, wer das geschrieben hat!)


Viertes Zitat:
Die Reform setzt nach meiner Einschätzung zu
große Erwartungen in die Privatisierung. Dabei hat
ja bereits die in den letzten Jahren in der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung zunehmend gepflegte
Vergabepraxis gezeigt, dass diese keine Einsparun-
gen zur Folge hätte.

(Matthias Lietz [CDU/CSU]: Wer sagt das? – Gustav Herzog [SPD]: Ja, genau: Wer sagt das?)


– Seehofer, Ministerpräsident des Freistaates Bayern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Minister-
präsident der CDU-Landesorganisation, der anzugehören
Sie, Herr Ferlemann, ja das Vergnügen haben, McAllister,
hat mit seiner Koalition – daran ist die Sozialdemokratie
nicht beteiligt – den Beschluss im Landtag herbeigeführt,
dass die beiden Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in
Aurich und Mitte erhalten bleiben müssen. Was sagen Sie
eigentlich dazu, Herr Ferlemann?


(Gustav Herzog [SPD]: Er hört nicht zu!)

Das scheint an dieser Bundesregierung und auch an

Ihnen als CDU-Mann in Niedersachsen völlig vorbeige-
gangen zu sein. Eine Landesregierung fordert den Bund
auf, dass diese Direktionen erhalten bleiben, aber Sie
machen genau das Gegenteil. So viel zu dem „doppelten
Ferlemann“, der auch hier wieder auftaucht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Verkehrsministerkonferenz hat am 4./5. Oktober

2012 in Cottbus beschlossen:
Nach Auffassung der Verkehrsministerkonferenz
wird die geplante organisatorische Umgestaltung
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung den Anfor-
derungen der Länder nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD)


Wir erleben, dass inzwischen nicht nur aus den Bun-
desländern und aus den Landesregierungen, sondern
auch aus der Wirtschaft zunehmend Widerstand kommt.


(Zuruf von der FDP: Die SPD will ja auch nicht sparen!)


Die Handelskammern im norddeutschen Raum, die ja in
der IHK Nord miteinander verbunden sind, haben sich
eindeutig gegen Ihre Reform – in Anführungsstrichen –
ausgesprochen. Die Wirtschaftsunternehmen am Mittel-
landkanal – dazu gehören unter anderem auch ganz
große, deren Einfluss man einfach einmal berücksichti-
gen muss, nämlich VW und andere – sagen: Halt, stopp,
liebe Freunde, was ihr macht, ist gefährlich.

Ich habe durch Zufall einen Zettel bekommen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721118100

Herr Kollege Beckmeyer, bevor Sie zitieren: Gestat-

ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Staffeldt?


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1721118200

Nein, jetzt nicht. Er hat gleich Zeit; er darf ja nach mir

reden. – Auf diesem Zettel steht, dass die liberale Frak-
tion dieses Hauses der Meinung ist, dass noch einmal
klargestellt werden muss, dass nach der Vergabe- und
Vertragsordnung auch langfristige Standardaufgaben
vergeben werden können, und insofern die pauschale
Behauptung, die derzeit noch im Entwurf steht, dass hier
keine rechtlichen Vorbehalte bestehen usw., richtig ist.

Genau das befürchten wir: Sie wollen auf Betreiben
des liberalen Partners die Wasser- und Schifffahrtsver-
waltung so umstrukturieren, dass Standardaufgaben am
Ende komplett vergeben werden können. Dadurch bauen
Sie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ab. Die ge-
samte Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird am Ende
des Tages eine Struktur haben, mit der sie ihren regiona-
len Aufgabenstellungen nicht mehr gerecht werden
kann.


(Beifall bei der SPD)


Zum nächsten Punkt. Dieser Vorgang, den Sie uns
hier präsentieren, ist kein Ergebnis einer ergebnisoffenen
Untersuchung gewesen. Es ist eine Bankrotterklärung
Ihres Ministeriums, dass Sie sagen, die Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung sei nicht funktionsfähig. Wes-
halb ist denn das so?


(Torsten Staffeldt [FDP]: Weil über Jahrzehnte nichts gemacht wurde!)


Geben Sie denen doch ein paar ordentliche Vorgaben!
Warum sagt dieses Ressort der Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung denn nicht, wie ein solches Steuerungsdefizit
aufgelöst werden kann? Geben Sie denen doch endlich
parlamentarische und administrative Vorgaben! Auch
das tun Sie nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe
noch eine Dreiviertelminute Redezeit.


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Sie sollen nicht so einen Quatsch erzählen!)






Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


Sie sagen, Sie hätten bei der Kategorisierung aktuelle
Verkehrsdaten berücksichtigt. Die Daten der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung in Nord, West und Mitte sind
aber zum Beispiel bei der Beurteilung der Kategorie der
Mittelweser und Unterweser komplett ausgeblendet wor-
den. Woher Sie Ihre Daten haben, weiß keiner. Die Da-
ten des eigenen Hauses nutzen Sie bei der entsprechen-
den Kategorisierung jedenfalls nicht. Ich sage es einmal
so: Die sträfliche Verbrämung von Interessen und gleich-
zeitig die Bewertung falscher Fakten haben dazu ge-
führt, dass Sie dies hier so auf den Weg gebracht haben.

Ich habe die Hoffnung, dass sich die Länder sehr genau
anschauen werden, was alles in Ihrem Artikelgesetz, das
irgendwann kommen muss – sonst können Sie diesen Re-
formprozess nicht fortsetzen –, steht. Wir als Sozialdemo-
kraten werden genau prüfen, in welcher Form wir uns
dazu einbringen werden. Diese Reform, die keine ist,
werden wir jedenfalls nicht akzeptieren. Wir werden sie
mit den Beschäftigten der Wasser- und Schifffahrtsver-
waltung in Deutschland weiterhin bekämpfen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721118300

Das Wort hat nun Torsten Staffeldt für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721118400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Kollege Beckmeyer wird nach der heutigen Debatte si-
cherlich als Zitatekönig in die Geschichte eingehen.


(Gustav Herzog [SPD]: Aber er hat recht!)


Nachdem er ein Zitat nach dem anderen geliefert hat,
kam mir der Gedanke: Er hätte von vornherein seine
ganzen Presseartikel kopieren, lochen und uns zum Ab-
heften geben können. Dann hätten wir es einfacher ge-
habt und hätten uns das alles nicht anhören müssen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte jetzt auf das Thema eingehen. Der Kol-
lege Ferlemann hat es eben schon richtig dargestellt:
Über Jahrzehnte hinweg wurden unter sozialdemokrati-
scher Führung


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Über Jahrzehnte?)


die notwendigen Schritte zur Erhaltung der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung nicht vollzogen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das glauben Sie doch nicht mal selber!)


Es wurden nur Gutachten erstellt. Aber die Vorgaben des
Bundesrechnungshofes wurden einfach ignoriert usw.


(Gustav Herzog [SPD]: Was machen Sie?)


Diese Bundesregierung und diese Koalition nehmen
sich der Aufgabe an, die sozialdemokratische Verkehrs-
minister über Jahrzehnte haben schludern lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir machen das, was Sie hätten tun müssen. Das ist
nicht ganz einfach, weil Sie eben über Jahrzehnte hin-
weg diese Aufgaben nicht in der Form angegangen sind,
wie es notwendig gewesen wäre. Aus diesem Grunde
brauchen wir dafür ein bisschen Zeit.

Bis 2020 – darauf hat der Kollege Ferlemann schon
hingewiesen – wird diese Reform, deren Zielsetzung es
ist, dafür zu sorgen, dass die Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung zukunftsfähig und demografiefest gestaltet
wird, dazu führen, dass diese Verwaltung handlungsfä-
hig bleibt. Die Ziele, die Sie im 5. Bericht zur Reform
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und auch in an-
deren Berichten nachlesen können, sind folgende: Siche-
rung einer leistungsfähigen, effizienten und vor allen
Dingen für die Steuerzahler kostengünstigen Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung und nachhaltige Absiche-
rung der Fachkompetenz – das ist ein wesentlicher und
wichtiger Punkt –, und zwar trotz Stellenabbau.

Die bisherige Vorgehensweise unter sozialdemokrati-
scher Führung in den letzten Jahrzehnten war, die Vorga-
ben des Stellenabbaus einfach über die natürlichen Ab-
gänge zu realisieren. Wir machen das so, wie es
vernünftig ist.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie entlassen jetzt!)


Wir schauen nämlich: Wo brauchen wir die Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter? Wo brauchen wir das Personal?
Wie schulen wir es entsprechend? Das ist ein wesentli-
cher Bestandteil unserer Vorgehensweise. Wir verschlan-
ken die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, indem wir


(Uwe Beckmeyer [SPD]: 2 700 Leute nach draußen schicken!)


unter anderem die fünf Direktionen, die es bisher gab, in
eine Generaldirektion übergehen lassen, die dafür sorgt,
dass die Aufgaben konzentriert, fokussiert und effizient
umgesetzt werden.

Zu der Frage, wohin die Generaldirektion kommt.
Bonn ist eine schöne Stadt; darauf hat auch der Kollege
Ferlemann hingewiesen. Ich sage Ihnen: Die schönsten
Städte der Welt fangen vorne mit B an und hören mit N
auf. Das ist Berlin. Das kann auch Bingen sein. Auch
Bremen, meine Heimatstadt, ist sicherlich eine von den
Städten, in denen man eine Generaldirektion ansiedeln
könnte.


(Patrick Döring [FDP]: Bremerhaven!)


– Okay, auch über Bremerhaven kann man noch reden.
Aber kommen wir lieber wieder zur eigentlichen Thema-
tik zurück.


(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit den vorliegenden Anträgen soll verhindert wer-
den, dass wir diese Reform zukunftsfähig gestalten. Das
ist der entscheidende Punkt. Von den Sozialdemokraten





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


und den Linken haben wir nichts anderes erwartet.
Schließlich waren sie jahrelang in der Verantwortung,
zwar nicht die Linken, aber die Sozialdemokraten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie auch inhaltlich etwas zu sagen?)


Dass die Sozialdemokraten, die über Jahre hinweg in der
Verantwortung waren und hier nichts geschafft haben,
schlecht eingestehen können, dass wir die Reform auf ei-
nen vernünftigen Weg bringen, ist klar. Insofern ist die
Abwehrreaktion in den vorliegenden Anträgen nachvoll-
ziehbar. Aber, wie gesagt, die Anträge werden heute mit
großer Mehrheit abgelehnt werden. Dann hat diese De-
batte hoffentlich endlich ein Ende,


(Iris Gleicke [SPD]: Das hat sie bestimmt nicht! – Johannes Kahrs [SPD]: Das wird leider nichts!)


sodass wir diese Reform so weiterführen können, wie es
notwendig ist.

Die Grünen haben aus meiner Sicht eine sehr gute
und interessante Position eingenommen und begleiten
diesen Reformprozess konstruktiv, was ich an dieser
Stelle ausdrücklich würdigen möchte. Es ist aber, wenn
man die Ergebnisse der Beschlussfassungen in den ein-
zelnen Ausschüssen betrachtet, an der einen oder ande-
ren Stelle schon ein wenig verwunderlich, dass die Grü-
nen unsere Anträge in fast allen Ausschüssen abgelehnt
haben.

Nur im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben die
Grünen diesen Anträgen zugestimmt. Insofern muss man
da vielleicht in der Grünenfraktion Überzeugungsarbeit
leisten und dafür sorgen, dass dort von allen Mitgliedern
erkannt wird, dass es vernünftig ist, was wir in diesem
Bereich machen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Mit dem Unsinn können Sie die Grünen nicht überzeugen, da brauchen Sie schon Argumente!)


Das ist übrigens auch einer der Punkte, der mir wich-
tig ist. Wir haben gerade über die Verkehrsministerkon-
ferenz gesprochen. Dass sie sagt, es solle sich nichts än-
dern, ist nachvollziehbar.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben immer noch kein Argument gebracht! Keine Inhalte!)


Nichtsdestotrotz ist es vielleicht auch eine Frage der
Kommunikation; es ist die Frage, wie man diese Reform
kommuniziert, wie man sie auch den Ländern gegenüber
kommuniziert.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wenn man keine Inhalte hat, kann man auch nicht kommunizieren!)


Ich kann mir vorstellen, dass das Verkehrsministerium
da noch Überzeugungsarbeit zu leisten hat, die wir als
Parlamentarier gerne begleiten wollen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Es hilft nichts, wenn Sie schneller reden, aber Ablesen hilft auch nicht!)


Wenn Sie, Herr Beckmeyer, als Zitatekönig in die
Geschichte eingehen wollen und die IHK Nord zitieren
– Sie wissen, dass ich auch Mitglied des Plenums der

Handelskammer Bremen bin –, dann sollten Sie nicht
nur die Teile zitieren, die Ihnen passen, sondern Sie soll-
ten es komplett zitieren. Es steht nämlich unter anderem
darin, dass die IHK die Reform der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung begrüßt, weil sie genau das macht, was
Unternehmerinnen und Unternehmer auch tun: Sie stellt
die Prozesse auf den Prüfstand; sie schaut, was verbes-
sert und effizienter gemacht werden kann, und dann setzt
sie das um.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das tun Sie aber nicht!)


Genau das macht die Reform. Deswegen sollten Sie
bei den Zitaten vorsichtig sein. Dass es in Ihren Medien
anders dargestellt wird, wundert mich persönlich nicht.

Zu den TEN-Leitlinien. Wir können jetzt noch auf die
Flüsse eingehen und auf das, was dort gemacht werden
muss.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Sagen Sie was zur Weser!)


Die Priorisierung ist ein Kind, dessen Vaterschaft
oder auch Mutterschaft – das sei dahingestellt – aus mei-
ner Sicht nicht ganz klar ist. Wir haben sie, und sie ist
auch sinnvoll; das ist gar keine Frage. An dem einen
oder anderen Fluss werden wir sicherlich noch nachse-
hen müssen, ob die Priorisierung dort dem entspricht,
was jetzt schon Tatsache ist. Vielleicht ist ja die Fakten-
lage schon eine andere als das, was durch die Prognose
vorhergesagt wird.


(Florian Pronold [SPD]: Auf den Heiligen Geist können Sie sich nicht rausreden in der Frage!)


Aber dafür haben vor allem wir als christlich-liberale
Koalition gekämpft und gearbeitet. Wir haben dafür ge-
sorgt, dass es auch Aufstiegs- und Abstiegsregelungen
für die einzelnen Flussabschnitte gibt.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber eben auch Abstiege!)


Aus dem Grunde bin ich zuversichtlich, dass wir zusam-
men mit dem Ministerium konstruktiv dafür sorgen
werden, dass die wesentlichen Aufgaben der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung sowohl auf See wie auch auf
den Binnenwasserstraßen,


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Vergabeverfahren!)


nämlich Schifffahrt zu ermöglichen, sie einfach und effi-
zient zu machen,


(Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen wird das privatisiert!)


in der Zukunft auch mit reduziertem Personal effizient
erledigt werden. Deswegen begrüßen wir die Vorgehens-
weise des Ministeriums an dieser Stelle ausdrücklich
und lehnen die Anträge der Opposition ab.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sehr inhaltsreich!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721118500

Das Wort hat nun Herbert Behrens für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721118600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Begrüßen einer Aktion oder einer Aktivität wäre ja ganz
sinnvoll, aber begründet sollte sie dann doch schon sein,
Herr Staffeldt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir stellen heute fest: Zwei Jahre debattieren wir über
den Sinn und vor allen Dingen über den Unsinn der Re-
form der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Ich finde,
es sind zwei verlorene Jahre für die Belegschaften, die
Jahr um Jahr Kolleginnen und Kollegen verlieren, weil
deren Stellen nicht wiederbesetzt werden. Das sind zwei
Jahre Unsicherheit auch für Unternehmen, die ganz gern
wissen wollten, mit wem sie künftig zusammenarbeiten
müssen. Da sind auch Unsicherheiten bei den Freizeit-
kapitänen, bei den Tourismusverantwortlichen in den
Kommunen, die nicht genau wissen, wie es weitergehen
soll.

Nur eines ist sicher für alle Beteiligten: Wer so Politik
macht, macht deutlich, dass Sachverstand hier nicht ge-
fragt ist. Meine Meinung ist: Wer so Politik macht, der
wird damit scheitern.


(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Das tun sie im September!)


Was hören wir von den Koalitionsfraktionen, von
Herrn Staatssekretär Ferlemann, von Herrn Staffeldt?
Starke Sprüche über Tatkraft und Reformwillen der
Bundesregierung. Aber das wollen die Kolleginnen und
Kollegen, die dieses tagtäglich hören müssen, nicht mehr
hören. Sie wollen, dass ihre Fragen und insbesondere
ihre Vorschläge für eine zukunftsfähige WSV ernst ge-
nommen und registriert werden.

Der Bundesverkehrsminister ist dabei, Strukturen zu
zerschlagen, die in den vergangenen Jahren gewachsen
sind, aufgebaut und immer wieder umgebaut worden
sind. Geschäftsführung und Belegschaften waren mit da-
bei. Direktion oder Personalräte, egal auf welcher Seite
man gestanden hat, Ämter, Betriebsteile und Personal,
haben es geschafft, dass beispielsweise die eben ange-
sprochenen 80 Jahre alten Schleusen noch funktionieren.
Sie haben auch dafür gesorgt, dass neueste Technologie
eingeführt worden ist und von Anfang an funktioniert
hat, und sie haben dafür gesorgt, dass junge Menschen
eine sehr gute Ausbildung bekommen konnten und gut
auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür haben sie Anerkennung verdient statt Bedro-
hung mit Versetzung oder dem Entzug von Aufgaben.
Ich will den Betroffenen allerdings keine Illusionen
machen, dass ab jetzt gute Argumente stark genug sind,
um den Bundesverkehrsminister überzeugen zu können.

Ich glaube, was wir zuletzt vom Kollegen Staffeldt ge-
hört haben, zeugt davon, dass das vergebene Liebesmüh
ist.


(Beifall bei der LINKEN – Torsten Staffeldt [FDP]: Ich fühle mich schwer getroffen!)


Wir haben festgestellt: In Niedersachsen werden Han-
noversch Münden, Verden, Rheine, Meppen, Uelzen,
Aurich und Hannover Kompetenzen und Know-how
verlieren. Sie werden zu Außenstellen, Betriebs- oder
Unterhaltungsämtern und müssen ihre Aufgaben und ihr
Personal mit anderen Dienststellen neu sortieren und
aufteilen.

Die CDU-Mitglieder vor Ort raufen sich die Haare
und die CDU/FDP-Landesregierung – das wurde vorhin
erwähnt – druckst zwar herum, hat sich aber zumindest
davon überzeugen lassen, einen entsprechenden Be-
schluss zu fassen und diese Reformpläne abzulehnen.

Ich habe ein Zitat mitgebracht:

Eine Reform, die ohne jede Rücksicht auf die spe-
ziellen Belange der Schifffahrt und Hafenbetreiber
eine Kategorisierung der Bundeswasserstraßen vor-
nimmt und auf dieser Grundlage alle betroffenen
Akteure vor vollendete Tatsachen stellt, kann nach
Auffassung

– hört! Hört! –

der Kreis-CDU

– also des CDU-Kreisverbandes Aurich –

auf Dauer keinen Erfolg haben.

Das sagte der dortige Kreisvorsitzende Sven Behrens.

Sven Behrens hat recht: Der Verkehrsminister und die
Regierungsfraktionen werden auf Dauer keinen Erfolg
haben. Schon am 20. Januar, dem Wahltag in Nieder-
sachsen, wird sich das zeigen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Linke macht Vorschläge, welche Aufgaben eine
zukünftige WSV übernehmen kann. Wir wollen nicht,
dass alles so bleibt, wie es ist. Das wäre dummes Zeug.
Im Gegenteil: Wir wollen, dass die Kolleginnen und
Kollegen vor Ort, mit denen wir auch gesprochen haben,
weitermachen können mit ihren Reformvorschlägen,
dass sie wirklich zukunftsfähige WSV-Arbeit machen
können. Sie haben sehr gute Vorschläge vorgelegt be-
kommen, egal ob in Schweinfurt, Berlin oder Magde-
burg. Das hört man auch in Emden oder Aurich.

Die Betroffenen haben keine Angst davor, sich zu
verändern. Sie nehmen diesen Veränderungsprozess auf
und wollen die Reform gestalten, wenn es denn eine
Reform wäre statt eines Projekts, das ausschließlich
darin mündet, die WSV zu zerschlagen. Was jetzt vorge-
sehen ist – in Bonn wird eine zentrale Bürokratie aufge-
baut, und es wird ein neues Organigramm erstellt, in
dem die Behördenstruktur neu zusammengestellt wird –,
reicht ihnen nicht aus.





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


Das sind keine Maßnahmen, die eine moderne Was-
ser- und Schifffahrtsverwaltung gestalten. Sie werden
nicht dazu beitragen, dass wir zu einer ökologischen Be-
wirtschaftung der wichtigen Schifffahrtswege kommen.
Unternehmen oder ökologische Ansprüche werden mit
dem, was Sie auf den Weg bringen wollen, nicht zufrie-
dengestellt werden.

Nein, der Umbau der WSV in dieser Weise bringt
überhaupt nichts auf den Weg. Sie soll lediglich darauf
reduziert werden, Aufträge zu vergeben. Das Stichwort
„Privatisierung“ wurde genannt. Das ist schlecht für die
Kompetenzen, die die WSV heute noch hat. Das ist
schlecht für eine ökologische Flusspolitik. Da gehen wir
nicht mit.

Ich vermute, spätestens ab September 2013 werden
die Karten neu gemischt. Darauf können die Kollegin-
nen und Kollegen vertrauen, die zurzeit mit der
Zerschlagung ihrer WSV zu tun haben. Ich freue mich
darauf, diese Prozesse mit zu begleiten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721118700

Das Wort hat nun Valerie Wilms für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721118800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte

Kolleginnen und Kollegen! Auf Sie mit Gebrüll, Herr
Beckmeyer: Ich glaube, wir sollten zu einer sachlichen
Debatte finden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)


Denn es geht immerhin um 12 000 unserer Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter in einer Behörde des Bundes und
um deren Arbeitsplätze. Das ist das Entscheidende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Beschäftigten sorgen vor allen Dingen auch dafür,
dass die Wasserstraßen instand gehalten werden, damit
wir sie nutzen können. Das ist die Aufgabe, die wir als
Staat erledigen müssen. Das ist Daseinsvorsorge.


(Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


Dazu gehört auch die Zurverfügungstellung der Infra-
struktur. Das ist eine der Aufgaben, die wir haben. Wir
brauchen unsere Wasserstraßen für die Bewältigung von
etwa 10 Prozent des gesamten Güterverkehrsaufkom-
mens.

Lassen Sie uns zu der Reform der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung zurückkehren. Wir haben 12 000 nach
meinem persönlichen Erleben hoch engagierte Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Ämtern vor
Ort, in den Außenstellen, Außenbezirken und anderen
Dienststellen. Ich habe das am Wochenende bei einer
Veranstaltung wieder erlebt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen, dass es
bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Probleme
bei der Abwicklung gibt, dann nämlich, wenn wir so
weitermachen wie bisher, wie es bestimmte Teile des
Hauses wollen. Wir haben eine Bremse vonseiten des
Haushaltsausschusses bekommen – Herr Kollege Kahrs
ist anwesend –, dass wir 1,5 Prozent der Stellen einspa-
ren müssen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Das ist doch alles Geschichte, gnädige Frau!)


– Herr Kahrs, Sie wissen es ganz genau. Dies führt dazu,
dass die Stellen mit dem Rasenmäher abgebaut werden;
das heißt, die Stellen derjenigen, die in Pension gehen,
werden nicht wieder besetzt. Irgendwann haben wir ein
System erreicht, das nicht mehr ausreichend leistungs-
fähig ist.


(Johannes Kahrs [SPD]: Eben!)


Da bewegen wir uns so langsam an der Grenze. Wenn
Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort
reden, dann stellen Sie das auch fest.

Wir brauchen also einen Reformprozess, sonst geht es
immer so weiter. Wenn wir mit diesen pauschalen Kür-
zungen so weitermachen, dann sind wir irgendwann bei
null. Dann hilft uns das gar nicht mehr. Deswegen müs-
sen wir uns darüber klar werden, was wir langfristig für
die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung erreichen
wollen, damit wir die Aufgabe, Wasserstraßen zur Verfü-
gung zu stellen, erfüllen können. Darum halten wir einen
Reformprozess für zwingend erforderlich. Dazu gehört
zum einen die Priorisierung. Wir haben nur begrenzte
Haushaltsmittel, und die müssen wir an der Stelle einset-
zen, wo es sinnvoll ist. Zum anderen – das ist ein Grund-
satzproblem – müssen wir unterscheiden zwischen den
hoheitlichen und den betrieblichen Aufgaben. Das wird
in vorliegenden Ansätzen auch getan. Vor allen Dingen
– das ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich bei meinen
Besuchen vor Ort immer wieder erlebt habe – müssen
wir endlich aus dem Wildwuchs herauskommen. Wir
sind weit entfernt von einer Standardisierung. Es gibt
Schleusentore, die von außen zwar gleich aussehen, sich
aber nicht tauschen lassen. Am Neckar sind die Schleu-
sentore nicht tauschbar. Jede Direktion hat ihr eigenes
Schleusenfernsteuerungssystem entwickelt, weil nicht
direktionsübergreifend zusammengearbeitet wird.


(Johannes Kahrs [SPD]: Was wollen Sie uns jetzt sagen?)


Das ist ein Problem. Das Ganze müssen wir in eine
moderne Verwaltungsstruktur überführen, wie wir sie
zum Beispiel aus dem kommunalen Bereich kennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)


Damit fangen wir jetzt an. Das Problem, das ich sehe
– jetzt wende ich mich an die Regierung; Herr
Ferlemann, Sie wissen das auch; wir haben schon oft ge-
nug darüber gesprochen –, ist: Man kann das Ganze
nicht von oben, „top down“, herunterbrechen. Das Ent-
scheidende bei einem solchen Modernisierungsprozess,





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


den wir überall erleben – auch in den Betrieben –, ist,
dass ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehme.
Ich muss es ihnen erklären. Es hilft überhaupt nichts,
wenn sie es von irgendwelchen Abgeordneten erfahren.
Es hilft auch nichts und ist sehr schädlich, wenn sie be-
stimmte Entscheidungen aus der Presse erfahren. Nutzen
Sie jetzt bitte die Möglichkeiten, die ein modernes
Change Management – um diesen Begriff einfach in den
Raum zu stellen; auch hier im altehrwürdigen Parlament –
bietet!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Regierung sollte sich eine Kommunikationsstrategie
überlegen, und nicht nur wir Abgeordnete sollten in den
Ämtern auftauchen; vielmehr sollten Entscheidungen
auch von der Verwaltungsseite nach unten weitergege-
ben werden.


(Florian Pronold [SPD]: Dann müssen Sie die Mitarbeiter bei der Reform mit einbeziehen!)


Nehmen Sie in der Verwaltungsspitze des Ministeriums
einmal den Blickwinkel der Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter ein. Das wäre sehr hilfreich.

Lassen Sie mich zusammenfassen, was ich bei einer
solchen Reform für wichtig erachte: Wir brauchen maxi-
male Transparenz nach innen, wenn wir den Startschuss
gegeben haben; das ist ja in den Ausschüssen passiert.
Wir müssen das Engagement der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aufgreifen. Wir müssen auf die Ängste der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort eingehen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Die haben mehr Angst vor der Reform!)


– Herr Kollege Kahrs, es hilft nichts, wenn Sie sich
echauffieren.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie müssen mal an die Mitarbeiter denken!)


Wir als Politiker müssen uns Gedanken darüber machen,
ob wir mit irgendwelchen neuen Aufregern in das
System hineingehen wollen. Wir sollten uns jetzt heraus-
halten und die Arbeitsgruppen, die eingerichtet worden
sind, arbeiten lassen. Dann schauen wir uns die Lösung
an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721118900

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721119000

Ich bin schon fast am Schluss, Herr Präsident. – In

dem Sinne würde ich gerne ernsthaft an einer modernen
Aufstellung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
weiterarbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das steht im Protokoll: Beifall bei CDU/CSU und FDP!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721119100

Das Wort hat nun Matthias Lietz für die CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Lietz (CDU):
Rede ID: ID1721119200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im

Dezember 2010 sowie im Mai 2011 stand ich hier an
diesem Pult und habe über die unterschiedlichsten An-
träge zur Zukunft der Reform der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung berichtet. Schon in meinen damaligen
Redebeiträgen habe ich einiges zur zeitlichen Entwick-
lung dieser Reform berichtet,


(Florian Pronold [SPD]: Dann können Sie ja Ihre Rede noch mal vorlesen!)


und auch heute ist unsere Debatte so begonnen worden.
Es war mir damals wie auch heute ein wichtiges An-

liegen, klarzustellen, dass eine Reformierung der Was-
ser- und Schifffahrtsverwaltung bereits über Jahrzehnte
hinweg aufgeschoben worden ist. In dieser Zeit hätten
alle Parlamentarier tatkräftig mitarbeiten können, um
tatsächlich eine Reform auf den Weg zu bringen.

So kam es denn auch, dass schließlich der Haushalts-
ausschuss im Oktober 2010 – ich sage: mit Rückenwind
des Bundesrechnungshofs – die Notbremse zog und das
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung aufforderte, einen Vorschlag für die Reformierung
zu machen.


(Gustav Herzog [SPD]: Der Bundesrechnungshof kritisiert Sie doch! – Florian Pronold [SPD]: „Rückenwind“ und „Notbremse ziehen“ sind aber ein merkwürdiges Unterfangen!)


Mittelpunkt des nunmehr fünften vom Ministerium
vorgelegten Berichtes hierzu ist vor allem eine Untersu-
chung des Netzes, der Personalstruktur und eine Aufga-
benkritik der Verwaltung. Einmal abgesehen von diesen
gutachterlichen Ergebnissen, die wir in diesem fünften
Bericht zur Kenntnis nahmen, möchte ich nochmals da-
rauf hinweisen, dass dieser Beschluss des Haushaltsaus-
schusses die Reformierung einer bundeseigenen Verwal-
tung anstieß, in der sich seit Jahrzehnten – auch das ist
heute mehrfach erwähnt worden – bis auf den planlosen
Stellenabbau nichts getan hat.

Vor allem mit Blick auf diesen Punkt frage ich mich,
was sich die Damen und Herren der Opposition an dieser
Stelle eigentlich vorstellen. Soll dies so weitergeführt
werden, oder was ist Ihre Alternative zur Reform? Ich
sage – und da stimme ich voll mit meiner Vorrednerin
überein –:


(Johannes Kahrs [SPD]: Aha!)

Wir müssen doch einmal ehrlich gemeinsam Politik ma-
chen und dürfen uns nicht gegenseitig Verschulden vor-
werfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Matthias Lietz


(A) (C)



(D)(B)


Ich sage das auch in Richtung der Bundesländer; denn
auch die Länder sind gefordert, sich am Prozess zu betei-
ligen. Das heißt für mich nicht nur Kritik an den Aufga-
ben, sondern möglicherweise auch Beteiligung an der
Finanzierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, uns liegen in dieser ver-
bundenen Debatte mehrere Anträge vor. Lassen Sie mich
auf einige Hauptkritikpunkte eingehen.

Ich beginne dabei mit der Netzkategorisierung. Das
ist ein Schuh – wenn ich es einmal so ausdrücken darf –,
der auch mich beim ersten Hinsehen deutlich drückte.
Man hört es, ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern.
Maritimwirtschaftlich gesehen haben wir sicherlich nur
kleinere Häfen und vor allem Marinas, deren Erhalt mir
allerdings ein großes persönliches Anliegen ist. Dennoch
muss auch ich den Tatsachen ins Auge sehen, dass ge-
rade die Flüsse in unserem Land hinsichtlich der Trans-
portmenge und der Umschläge in keinem Vergleich zum
Rhein-Main-Gebiet, der Donau oder der Mosel stehen.
Aber, meine Damen und Herren – wir haben es in der
Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt gehört –,
wenn ich über die Entwicklung der Strukturen der
Räume in unserem Land aus Sicht der Raumordnung
spreche, dann weiß ich: Wir werden sicherlich auch in
den kommenden Jahren gerade diese Prioritäten neu set-
zen müssen. Die Kategorisierung, die Priorisierung der
Wasserstraßen ist dennoch nicht falsch. Wenn das Geld
– auch das haben wir in der letzten Haushaltsberatungs-
woche wieder alle deutlich erkannt – nicht ausreicht für
alle Maßnahmen, für alle Wünsche, dann muss es letzt-
endlich nach Dringlichkeit vergeben werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Genau! Es geht alles nach Bonn!)


Sinnvoll erfolgt dies zukünftig vor allem durch den
Vorschlag – das lesen wir in dem fünften Bericht –, alle
fünf Jahre eine erneute Bewertung vorzunehmen, damit
das an sich ändernde Bedingungen angepasst werden
kann.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Dann sind Ihre Marinas platt!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei-
nen Blick zu meinen Kollegen zur Linken werfen. Sie
fordern in Ihrem Vorschlag nicht nur mehr Geld, sondern
wollen die Kategorisierung auch mit mehr Renaturie-
rung verbinden.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!)


Ich sage Ihnen: Wenn das Projekt eines Flusses, einge-
teilt in die Kategorien A, B, C oder D, auch noch mit ei-
ner Renaturierung verbunden werden soll, dann wäre das
für mich Stuttgart 21 auf dem Wasser.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Herr Lietz, da sollten Sie ein bisschen besser den Antrag lesen – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie reden das Plenum hier leer! Die Leute gehen schon nach Hause!)


Die Personal- und Verwaltungsstruktur ist ein weite-
rer Punkt. Hier möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es
ist kein Geheimnis, dass seit 1993 bei der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung Stelleneinsparungen erfolgen.


(Florian Pronold [SPD]: Sie sind der erste Redner, bei dem sich 9 Minuten wie 27 anfühlen!)


Der Staatssekretär hat deutlich darauf hingewiesen, dass
bereits eine Reduzierung auf etwa 12 000 Beschäftigte
erfolgt ist.

Ich habe mit den Verwaltungen vor Ort, vor allen Din-
gen an den WSV-Standorten, mit den Betreibern der
Häfen und den Binnenschiffern gesprochen. Ich kann be-
stätigen, dass die Menschen dort einer Reform offen ge-
genüberstehen


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber nicht dieser!)


und die Mitarbeiter daran interessiert sind, das Ganze
geregelt auf den Weg zu bekommen.

Das sage ich auch aus eigener Erfahrung: Ich selbst
habe in den letzten Jahren in meinem Land auf der kom-
munalen Ebene Reformen in der Verwaltung erlebt. Ich
könnte mir vorstellen, dass sich der eine oder andere Be-
trieb in meinem Bundesland, der nach 1990 reformiert
wurde, einen solchen Zeitraum, eine solche Umsetzung
und eine Begleitung der Personalräte und der Gewerk-
schaften gewünscht hätte.


(Johannes Kahrs [SPD]: Ihre Fraktion hat nicht ein einziges Mal geklatscht während Ihrer ganzen Rede! Macht Sie das nicht misstrauisch? Hört doch keiner zu!)


Die Umsetzung der Reform wird schrittweise bis in
das Jahr 2020 erfolgen. An dieser Stelle möchte ich noch
einmal ausdrücklich erwähnen: Es ist klar vereinbart,
dass es keine Kündigung und keine Versetzung gegen
den Willen der Mitarbeiter geben wird.


(Florian Pronold [SPD]: Schon schwierig, 9 Minuten mit nichts zu füllen!)


Es wird das Möglichste versucht, um die wichtigste Res-
source der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – das
sind die sachkundigen Mitarbeiter – nicht auf der Stre-
cke zu lassen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das Möglichste reicht nicht aus!)


Ein letztes Wort zur Vergabekritik. Ich sage deutlich:
Eine Privatisierung darf nicht zum Kompetenzverlust
des Staates führen. Die Privatisierung staatlicher Aufga-
ben findet ihre Grenze in der Verantwortung für das Ge-
meinwohl.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollen privatisieren, aber nicht die Nachteile haben! Das ist schon komisch!)


Das gilt auch für die Wasser- und Schifffahrtsverwal-
tung. Hoheitliche und sicherheitsrelevante Aufgaben
werden daher auch weiterhin von der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung des Bundes erledigt werden.





Matthias Lietz


(A) (C)



(D)(B)


Zur Frage der Finanzierung und der notwendigen Ein-
stellung der Mittel in den Haushalt: Auch hier kann ich
Ihnen deutlich sagen, dass allen klar ist, dass die Bun-
deswasserstraßen mehr finanzielle Unterstützung benöti-
gen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Deshalb zerschlagen Sie die Wasserund Schifffahrtsverwaltung!)


Das sollte für uns der Anlass sein, sich konstruktiv für
diesen Punkt einzusetzen. Es ist unumgänglich, den Ver-
kehrsetat in diesem Bereich in den nächsten Jahren zu
steigern,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


aber auch eine Prioritätensetzung und eine Effizienzstei-
gerung in der Verwaltung zu erreichen. Vergabepolitik
und Investitionen in der Binnenschifffahrt sind eindeutig
zu verbessern.

Der Verkehrsträger Wasserstraße verfügt über ein
enormes Kapazitätspotenzial. Um den Anforderungen
der nächsten Jahre gerecht zu werden, muss es endlich
verlässliche Konzepte geben. Wir aus der christlich-libe-
ralen Koalition wollen Platz für eine sichere und leis-
tungsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung schaf-
fen und gleichzeitig – das sei hier noch einmal versichert
– die Fachkompetenz der Wasser- und Schifffahrtsver-
waltung erhalten.

Ich appelliere an Sie: Stimmen Sie zu! Den Anträgen
der Opposition werden wir eine Ablehnung erteilen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721119300

Das Wort hat nun Gustav Herzog für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1721119400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

H
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1721119500
Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes leisten eine hervorragende Arbeit und haben un-
seren Dank verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Aber, Herr Ferlemann, der Beitrag der Bundesregierung
dazu, dass sie diese gute Arbeit leisten können, liegt im
negativen Bereich: Sie leisten keine Unterstützung, son-
dern erschweren den Kolleginnen und Kollegen die Ar-
beit, die sie draußen zu leisten haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt einen Unterschied zwischen den Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern der WSV einerseits und der

Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen anderer-
seits: Auf die WSV kann man sich verlassen, auf die
rechte Seite des Hauses eben nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Seit dem „Herbst der Entscheidungen“ im Jahr 2010
leisten Sie keinen Beitrag zur Stärkung des Verkehrsträ-
gers Wasserstraße, sondern schmeißen immer wieder
Steine in den Kanal und Bäume in den Fluss, um den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Leben noch
schwerer zu machen, als es so schon ist.

Ich will das an ein paar Beispielen belegen. Ich war
am Montag auf Einladung von Kommunalpolitikern, der
IHK, des Vereins „Weitblick“ und einer Reihe von Be-
trieben in Eisenhüttenstadt. Sie haben mir gesagt: Herr
Herzog, versuchen Sie doch einmal, uns zu erklären, wa-
rum die Bundesrepublik Deutschland 3 Milliarden Euro
in das ostdeutsche Wasserstraßennetz investiert und bei
den letzten 74 Millionen Euro, die für den Ausbau der
Schleusen in Fürstenwalde und Kleinmachnow und die
Hebung zweier Brücken benötigt würden, sagt: „Das
Geld gibt es aber nicht mehr“, weil die entsprechenden
Wasserstraßen in die Kategorie „Sonstige Wasserstra-
ßen“ eingruppiert worden sind. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, was das mit Wirtschaftlichkeit im volkswirt-
schaftlichen Sinne zu tun hat, ist mir völlig schleierhaft
und war nicht zu erklären.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Einfach unsinnige Politik!)


Natürlich stellt sich die grundsätzliche Frage: Warum
haben Sie mit all dem begonnen? Es ging nicht im Ver-
kehrsausschuss, sondern im Haushaltsausschuss los, wo
die FDP nun unbedingt eine große Privatisierung haben
wollte, worauf das Ministerium mit der Einführung der
Kategorien geantwortet hat. Murks und Murks ergibt zu-
sammen eben nur Murks und nichts Vernünftiges.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Torsten Staffeldt [FDP]: Murks und Murks ist Sozialdemokratie!)


Dann wurden wir hier im Parlament mit den Berich-
ten 1 bis 5 konfrontiert; ein Hin und Her hatten wir zu
erwarten. Ich will es am Beispiel des Wasser- und
Schifffahrtsamtes Hannoversch Münden deutlich ma-
chen. Herr Kollege Staatssekretär, Sie nicken mit dem
Kopf. Ja, Sie haben im April 2011 dortigen CDU-Kom-
munalpolitikern, auch einer Landratskandidatin, gesagt:
Der Standort ist nicht gefährdet. – Ich habe dann den
Staatssekretär Mücke hier im Plenum gefragt – er ist da –:
Herr Staatssekretär, ist die Organisationsüberprüfung er-
gebnisoffen, oder gibt es Vorfestlegungen? – Er hat mir
gesagt: Die Prüfung ist natürlich ergebnisoffen. – Der
eine schreibt also Briefe, und der andere erzählt hier im
Parlament: Alles ist offen. – Dann stand fest, dass das
Wasser- und Schifffahrtsamt zur Außenstelle wird:
Standort erhalten, Amt gestrichen. Irgendwann hörten
wir von Ihrem Abteilungsleiter: Die Außenstellen wer-
den bis 2020 dichtgemacht; sie bleiben noch ein biss-
chen, aber dann ist irgendwann Schluss. – Meinen Sie
denn, dass Sie mit einem solchen Verhalten Vertrauen
bei den Beschäftigten erwecken? Nein, das Gegenteil ist
der Fall: Sie verbreiten Unsicherheit.





Gustav Herzog


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will jetzt aus einem Brief, den uns Verdi vor die-
ser Debatte in die Hand gedrückt hat, zitieren:


(Oliver Luksic [FDP]: So ein Zufall!)


Die Beschäftigten der WSV haben Angst um ihre
Zukunft, Angst vor weiterem Personalabbau und
damit einhergehenden Schließungen von Dienst-
stellen. Die Beschäftigten wollen sich mit ihrer
Kompetenz und Erfahrung an einer nachhaltigen
Reform der WSV beteiligen.

Sie verhindern das mit Ihrem Hin und Her.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich ein schönes Bild bringen: Ein Woll-
knäuel ist im Verhältnis zu Ihrer Wasserstraßenpolitik
eine gerade Linie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um eine Re-
form, von der 12 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer betroffen sind; 1 800 Millionen Euro sind auszuge-
ben. Und hat es diese Koalition, hat es diese Regierung
bisher nötig gehabt, das Parlament mit einem Antrag
oder einem Gesetzentwurf zu befassen? Nein, Sie
wurschteln sich mit Berichten im Haushaltsausschuss
und Entschließungen dazu durch. Das ist keine Wert-
schätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Herr Abgeordneter Fischer, herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag.


(Beifall)


Ich frage mich, wie es ein gestandener Verkehrspolitiker
wie Sie schafft, sich drei Jahre lang so durchzuwursch-
teln. Sorgen Sie doch endlich dafür, dass in Ihrem Laden
vernünftige Politik gemacht wird und dass sich der Bun-
destag in angemessener Weise damit beschäftigt! Das
werden wir spätestens dann tun, wenn der Gesetzentwurf
beraten wird.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1721119600
Er befindet sich
in der Ressortabstimmung und wird bald eingebracht.
Sie wollten noch in diesem Herbst – es fängt bald an, zu
schneien –


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Es schneit schon!)


einen Infrastrukturbericht über die Wasserstraßen vorle-
gen. Sie haben zu liefern. Machen Sie es aber bitte nicht
so wie die FDP; denn sonst kommt das Päckchen nie an.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD – Torsten Staffeldt [FDP]: Irren ist menschlich! Immer irren ist sozialdemokratisch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721119700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine zu-
kunftsfähige Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes und ein modernes Wasserstraßenmanagement“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/11592, den Antrag der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/9743 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Fraktion der Grünen gegen die Stimmen von SPD und
Linken.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 17/8330. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/4030 mit dem Titel
„Zukunftsfähigkeit der Wasser- und Schifffahrtsverwal-
tung sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenver-
hältnis angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/5548 mit dem Titel „Kein Personalabbau bei
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an
ökologischer Flusspolitik ausrichten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustim-
mung aller übrigen Fraktionen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/5056 mit dem Titel „Neue Netz-
struktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung reformieren“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und Zustimmung aller übrigen Fraktionen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Diese Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen
und Patienten

– Drucksache 17/10488 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksache 17/11710 –





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Rüddel
Dr. Marlies Volkmer
Christine Aschenberg-Dugnus
Kathrin Vogler
Maria Klein-Schmeink

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Mechthild
Rawert, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Individuelle Gesundheitsleistungen eindäm-
men

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies
Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Patientenrechte wirksam verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Dr. Martina Bunge, Katrin Kunert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mehr Rechte für Patientinnen und Patienten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-
Schmeink, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte von Patientinnen und Patienten
durchsetzen

– Drucksachen 17/9061, 17/11008, 17/6489,
17/6348, 17/11710 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Rüddel
Dr. Marlies Volkmer
Christine Aschenberg-Dugnus
Kathrin Vogler
Maria Klein-Schmeink

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über
einen Teil des Antrags der Fraktion der SPD zu Patien-
tenrechten werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Mechthild Dyckmans von der FDP-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Mechthild Dyckmans (FDP):
Rede ID: ID1721119800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Die christlich-liberale Koalition bringt heute
ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zum Ab-
schluss: Wir verbessern die Rechte von Patientinnen und

Patienten. Mit diesem Gesetzentwurf erfüllen wir aber
auch Forderungen, über die seit langem diskutiert wird
und die sogar fraktionsübergreifend von allen Parteien
erhoben werden.

Der Opposition geht dieser Gesetzentwurf wieder ein-
mal nicht weit genug. Sie hat eigene, weiter gehende An-
träge vorgelegt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Immer schon gehabt!)


Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, ich
wundere mich nur, warum in den Jahren, in denen Sie
die Regierungsverantwortung trugen, in diese Richtung
nichts rechtlich Verbindliches geschehen ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den Koalitionsvereinbarungen von 1998 und 2002
wurden zwar entsprechende Forderungen aufgestellt.
Aber was ist geschehen? Zunächst haben Sie ein Sach-
verständigengutachten eingeholt. Dann haben Sie eine
Arbeitsgruppe beauftragt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Deren Ergebnisse Sie noch nicht einmal genutzt haben! So ein Pech aber auch!)


Aber haben Sie Rechtsverbindlichkeit hergestellt? –
Fehlanzeige. Das gilt auch für die Zeit der Großen Ko-
alition. Ich erinnere Sie von der SPD: Die SPD stellte so-
wohl die Justizministerin als auch die Gesundheitsminis-
terin. Es gab zwar einige Verbesserungen für Patienten-
vertreter auf institutioneller Ebene; aber den Forderun-
gen nach Zusammenführung der bislang zersplitterten
und undurchsichtigen Rechte der Patientinnen und Pa-
tienten in einem Gesetz, nach einer stärkeren Fehlerver-
meidung und nach einem Risikomanagement wurde in
Ihrer Regierungszeit nicht nachgekommen. Nach elf
Jahren Regierungsbeteiligung fand man diese Forderung
nur in Ihrem Wahlprogramm wieder.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist die Wahrheit!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese
christlich-liberale Koalition erfüllt mit dem Patientenbe-
auftragten – Herr Zöller, herzlichen Dank für die Arbeit,
die Sie bisher geleistet haben –,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Guter Mann, Herr Zöller!)


dem Gesundheitsminister Daniel Bahr und der Justiz-
ministerin Leutheusser-Schnarrenberger


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


auch Forderungen aus Ihrem Wahlprogramm.


(Mechthild Rawert [SPD]: Welche denn?)


Deshalb wird es niemand verstehen, wenn Sie diesem
Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.


(Beifall bei der FDP)






Mechthild Dyckmans


(A) (C)



(D)(B)


Künftig können Patientinnen und Patienten auf einen
Blick sehen, welche Rechte und Pflichten sie haben. Wir
haben dies im BGB, im Bürgerlichen Gesetzbuch, veran-
kert. Da gehört es hin. Wir haben uns an den Problemen
orientiert, die in der Praxis aufgetreten sind und anhand
von Einzelfällen gelöst worden sind. Künftig muss der
Patient aber nicht mühsam die obergerichtliche Recht-
sprechung durchforsten. Nein, alle Rechte sind klar und
transparent und für alle verbindlich geregelt. Das ist ein
ganz wesentlicher Fortschritt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben auch die Sachverständigenanhörung aus-
gewertet und infolgedessen einige, wie ich meine, ganz
wesentliche Änderungen vorgenommen. Dabei ist zu-
nächst einmal festzuhalten, dass die jetzt normierte Be-
weislastverteilung bei Haftung für Behandlungs- und
Aufklärungsfehler eine Weiterentwicklung durch die
Rechtsprechung gerade nicht ausschließt.

Ich komme jetzt zu den Änderungen. – Eine ganz we-
sentliche Änderung hat § 630 e BGB erhalten – hier geht
es um die Aufklärungspflicht –: Minderjährige, die noch
nicht in die Behandlung einwilligen können, und einwil-
ligungsunfähige volljährige Patienten sollen stärker in
das Behandlungsgeschehen einbezogen werden. Sie sind
immer Subjekt der Behandlung und daher immer über
Art und Umfang der Behandlung so zu unterrichten, dass
sie entsprechend ihrem Vermögen die Behandlung ver-
stehen können. Das ist auch Ausfluss der UN-Behinder-
tenrechtskonvention.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Bravo!)


Wir stärken auch noch einmal die Rechte von Patien-
tinnen und Patienten auf Einsicht in ihre Patientenakte.
Wurden dem Patienten in der Vergangenheit oftmals nur
Auszüge der Akte zugänglich gemacht, so schreibt das
Gesetz jetzt eindeutig und klar vor, dass ihm Einsicht in
die vollständige Akte zu gewähren ist. Wir regeln auch,
enger als in dem Regierungsentwurf, unter welchen Vo-
raussetzungen die Einsichtnahme versagt werden darf.
Wenn die Einsichtnahme versagt wird, ist das zu begrün-
den.

Das sind wesentliche Verbesserungen hinsichtlich der
Rechte von Patientinnen und Patienten. Wir schaffen
durch dieses Gesetz gute Voraussetzungen für Patientin-
nen und Patienten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721119900

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Marlies Volkmer

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1721120000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Dyckmans, ich sage es gerne noch einmal: Ohne
die SPD gäbe es das Amt des Patientenbeauftragten gar
nicht, und Herr Zöller könnte dieses Amt gar nicht wahr-
nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich finde es auch nicht falsch, wenn man ein Patienten-
rechtegesetz machen will, dass man erst einmal eine Ar-
beitsgruppe einrichtet und mit den Expertinnen und Ex-
perten sowie mit den Patientenvertretern spricht, damit
man weiß, was man in ein solches Gesetz schreiben
muss, damit etwas Besseres herauskommt als das, was
wir heute haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesundheits-
system orientiert sich immer noch nicht am tatsächlichen
Bedarf von Patientinnen und Patienten. Patientinnen und
Patienten fühlen sich häufig als Bittsteller, sei es, wenn
es um einen Arzttermin oder um einen Operationstermin
geht, wenn sie ihre vollständigen Unterlagen haben wol-
len oder wenn es um die Versorgung mit Hilfsmitteln
geht, weil sie gleichberechtigt am Leben teilhaben wol-
len. Auch im Konfliktfall sind Patientinnen und Patien-
ten gegenüber Ärzten, anderen Leistungserbringern und
den Krankenkassen häufig die Unterlegenen. Ebenso
sind die Mitwirkungsrechte von Patienten sowohl auf in-
dividueller als auch auf kollektiver Ebene nicht ausrei-
chend.

Ein modernes Patientenrechtegesetz muss an diesen
Stellen ansetzen. Es genügt bei weitem nicht, das Recht,
das bisher auf viele Gesetze verteilt war, in einem Gesetz
zu bündeln.


(Beifall des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das tun Sie aber. So ist es auch kein Wunder, dass zum
Beispiel der Präsident der Bundesärztekammer, Herr
Montgomery, festgestellt hat: Mit diesem Gesetz können
wir Ärzte gut leben. Es ändert sich nichts. – Wenn sich
für sie nichts ändert, dann ändert sich wahrscheinlich
auch für Patientinnen und Patienten nichts.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist eine eigenwillige Auslegung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, Sie versuchen, durch rhetorische Tricks über die
Tatsache hinwegzukommen, dass sich für Patientinnen
und Patienten substanziell nichts ändert. Dieser Gesetz-
entwurf ist wie eine schillernde Seifenblase, die zerplat-
zen wird. Zurück bleiben enttäuschte Patientinnen und
Patienten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Christine AschenbergDugnus [FDP]: Das wollen wir mal sehen!)


Wir haben deutlich weitergehende Vorschläge im In-
teresse von Patientinnen und Patienten in den Bundestag
eingebracht. Ich wende mich jetzt noch einmal extra an
die Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU: Sie





Dr. Marlies Volkmer


(A) (C)



(D)(B)


haben sicher manchen unserer Vorschläge für durchaus
sinnvoll gehalten, zum Beispiel unsere Ideen für mehr
Sicherheit bei Medizinprodukten oder für die Einfüh-
rung eines Härtefallfonds. Es fehlen Ihnen aber die Cou-
rage und das Durchsetzungsvermögen, solche neuen
Wege zu gehen.


(Beifall bei der SPD)


So finden sich im Gesetz nun keinerlei Regelungen
zur Verbesserung der Sicherheit bei Medizinprodukten.
Hier gibt es deutliche Missstände. Das betrifft nicht nur
die gegenwärtige Zulassungspraxis in Europa. Der briti-
sche Gesundheitsminister hat sich übrigens bereits dafür
ausgesprochen, diese gefährliche Schwachstelle anzuge-
hen. Von Ihnen von der Koalition hat man dazu leider
nichts gehört.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Kommt alles noch!)


Es ist aber auch in unserem Land dringend notwendig,
etwas zu tun. Wir haben mit unserem Antrag „Mehr Si-
cherheit bei Medizinprodukten“ den Weg aufgezeigt.
Zum Beispiel wäre ein verpflichtendes Register für alle
implantierbaren Medizinprodukte wie künstliche Ge-
lenke oder Stents für Herzkranzgefäße ganz wichtig für
die Versorgungsforschung. Damit würde die Qualität der
Patientenbehandlung deutlich verbessert. Erklären Sie
den Patienten und den Ärzten, warum Sie hier nichts
tun!


(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Das erklärt der Lauterbach!)


Wo ist Ihr Änderungsantrag geblieben, der beinhaltet,
dass Krankenhäuser künftig Bonusvereinbarungen mit
den Chefärzten bei Erreichung ökonomischer Zielgrößen
offenlegen müssen? Wir alle hören immer wieder, dass
in Krankenhäusern aus rein wirtschaftlichen Gründen
auch unnötige Operationen durchgeführt werden. Das ist
ein unhaltbarer Zustand.


(Zuruf von der FDP: Das ist eine grobschlächtige Behauptung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, noch
am Wochenende hat Ihr gesundheitspolitischer Sprecher
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung groß angekün-
digt, dass die Offenlegung der Bonusverträge in den
Qualitätsberichten der Krankenhäuser schon beschlos-
sene Sache sei. Sind Sie jetzt der Meinung, dass Patien-
tinnen und Patienten nicht mehr wissen müssen, ob in
dem Krankhaus, in das sie gehen, solche Bonusverträge
existieren? Oder war die Krankenhauslobby erfolgreich,
die gesagt hat: „Brauchen wir nicht“? Oder war es die
FDP?


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Quatsch!)


Was ist mit dem Härtefallfonds? Herr Zöller, Sie zie-
hen seit Jahren durch die Lande und fordern einen sol-
chen Fonds. Die Union fordert seit dem Frühjahr eine
entsprechende Stiftung. Trotzdem bekommen Sie keine
Regelung hin. Sie stellen sich vor die Presse und schie-
ben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Woran

lag es? Lag es an der Unfähigkeit, nach drei Jahren ein
Konzept zu präsentieren? Scheiterte es am Willen der
FDP, auch einmal etwas für Patientinnen und Patienten
zu tun?


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Haben Sie eines?)


– Wir haben sehr wohl eines. Sie haben unseren Antrag
anscheinend nicht gelesen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721120100

Frau Kollegin Volkmer, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Aschenberg-Dugnus?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1721120200

Immer gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721120300

Bitte schön.


Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1721120400

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Stimmen Sie mit mir

überein, dass das, was in Ihrem Antrag steht, mit dem
Wiener Härtefallfonds überhaupt nichts zu tun hat?
Stimmen Sie mit mir überein, dass sich der Wiener Här-
tefallfonds ausschließlich aus Beiträgen der Patienten
finanziert? Stimmen Sie mit mir überein, dass Haft-
pflichtversicherungen oder Steuergelder dort überhaupt
nicht vorkommen? Stimmen Sie mit mir überein, dass
dieser Fonds, den Sie in Ihrem Antrag als Modell heran-
ziehen, nur für Krankenhausaufenthalte gilt? Stimmen
Sie mit mir überein, dass er eine ganz andere Zielsetzung
hat, dass es da überhaupt nicht um Behandlungsfehler
geht? Sie haben diesen Wiener Härtefallfonds herange-
zogen, aufgebläht, ad absurdum geführt und wollen ihn
auf unser System übertragen, das aber ganz anders funk-
tioniert. In unserem Schadensersatz- und Haftungssys-
tem geht es um individuelle Verantwortung und um indi-
viduelle Haftung.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wiederholen Sie das in Ihrer Rede noch einmal?)


Stimmen Sie mit mir überein, dass das Placebo, das Sie
hier der Öffentlichkeit geben wollen, überhaupt nicht zu
unserem System passt?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1721120500

Liebe Frau Aschenberg-Dugnus, recht herzlichen

Dank für diese Frage. Dies gibt mir Gelegenheit, unser
Modell eines Härtefallfonds noch deutlicher zu erläu-
tern. Sie haben recht: Wir haben das Wiener Modell
nicht eins zu eins übernommen. Warum sollten wir das
tun? Uns geht es darum, dass wir bei bestimmten Härte-
fällen eine Entschädigung zahlen wollen.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Unbestimmten!)


– Die sind nicht unbestimmt. – Das Haftungsrecht ist da-
von überhaupt nicht betroffen. Die individuelle Haftung
eines jeden Arztes bleibt erhalten. Die Patienten sollen





Dr. Marlies Volkmer


(A) (C)



(D)(B)


sogar klagen. Wenn sie mit einer Klage erfolgreich ge-
wesen sind, zahlen sie Geld in den Fonds zurück.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Und wenn nicht?)


– Wenn nicht, dann entschädigt der Fonds.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Aha!)


– Ja. Das ist in dem österreichischen Fonds auch so; das
wüssten Sie, wenn Sie sich damit beschäftigt hätten. –
Aus diesem Grunde halten wir es für berechtigt, dass die
Patientinnen und Patienten an der Finanzierung beteiligt
sind.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Und wer zahlt noch?)


Ebenso halten wir es für berechtigt, dass diejenigen, die
einen solchen Behandlungsfehler verursachen – das sind
in der Regel die Leistungserbringer –, über die Haft-
pflichtversicherung in diesen Fonds einzahlen. Das ist
die Grundidee, und diese ist richtig.


(Beifall bei der SPD – Christine AschenbergDugnus [FDP]: Sie widersprechen sich selbst! – Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt wissen wir endlich, warum es nicht funktionieren kann!)


Sie haben im Grunde genommen noch einmal deut-
lich gemacht, dass Sie nicht willens sind, etwas zu tun.
Sie hätten ja etwas vorlegen können. Sie hatten Zeit. Die
CDU hat im Frühjahr über ein Stiftungsmodell disku-
tiert. Wo ist es denn? Es gibt nichts, worüber wir hätten
diskutieren können. Etwas mehr Mühe sollten Sie sich
bei Ihrer Argumentation schon geben, wenn Sie schon
nicht den Mut haben, die Wahrheit zu sagen. Die Wahr-
heit ist: Sie wollen etwas im Interesse der Versicherungs-
wirtschaft tun, und Sie wollen nichts im Interesse der Pa-
tientinnen und Patienten tun.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben leider die Chance verpasst, hier fraktions-
übergreifend etwas zu tun und ein wirklich modernes Pa-
tientenrechtegesetz vorzulegen; das wäre nämlich mög-
lich gewesen. Dadurch wäre von diesem Haus ein
starkes Signal ausgegangen: an alle Leistungserbringer
im Gesundheitssystem und an alle Patientinnen und Pa-
tienten. Dies hätte nicht nur die Rechte der Patientinnen
und Patienten verbessert, sondern wäre auch im Inte-
resse der Ärztinnen und Ärzte gewesen, deren übergroße
Mehrheit ein Interesse an einer guten Versorgung der Pa-
tientinnen und Patienten hat. Chance verpasst – leider.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721120600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Wolfgang Zöller.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1721120700

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Jeden Tag lesen wir Schlagzeilen und Be-
schwerden: Rollstuhl erst nach sechs Monaten geneh-
migt. Keiner half mir beim Behandlungsfehlerverdacht.
Ich darf als Arzt keinen Fehler melden, weil mir sonst
arbeitsrechtliche Sanktionen drohen. Ich weiß nicht, wo
steht, dass man ein Recht auf Einsicht in die Kranken-
akte hat. Ich erfuhr erst nach der Behandlung, dass ich
etwas zuzahlen muss, weil die Kasse die Kosten nicht
voll übernimmt. Man hat mich vor dem Eingriff nicht
richtig aufgeklärt, und Behandlungsalternativen wurden
keine benannt. – Das Patientenrechtegesetz schafft jetzt
für all diese Problemfälle eine gesetzlich verbindliche
Lösung. Das ist ein Mehrwert für die Patienten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So leider nicht!)


Deshalb ist heute ein guter Tag. Wir legen den Grund-
stein für eine neue Kultur in den Praxen und den Häu-
sern der Gesundheitsversorgung, für eine Kultur der
Partnerschaft, der Transparenz und der Rechtssicherheit.

Wie Sie wissen, wollen wir kein Gesetz gegen irgend-
jemanden, sondern ein Gesetz mit den Beteiligten, das
sich an den Problemlagen der Realität orientiert, sodass
praktikable Lösungen gefunden werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nach diesem Motto haben wir im Vorfeld über 300 Ge-
spräche geführt und einen Konsens ausgelotet. Ich erin-
nere mich noch an Äußerungen wie: Eine Kodifizierung
der bestehenden Rechte wird nie gelingen. Wir brauchen
kein Gesetz; eine Broschüre reicht. Wir wollen eine to-
tale Beweislastumkehr.


(Mechthild Rawert [SPD]: Davon steht aber nichts im Gesetz!)


Wir brauchen keine mündigen Patienten; wir brauchen
nur mehr Geld im System. – Es ist gelungen, zwischen
diesen Polen zu vermitteln und ein gutes, umsetzbares
Patientenrechtegesetz vorzulegen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Viel Status quo!)


Dafür möchte ich recht herzlich danken, und zwar dem
Gesundheitsminister, der Justizministerin und allen Mit-
arbeitern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich darf an dieser Stelle auch den persönlichen Referen-
ten ein recht herzliches Dankeschön sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Gesetz
verringert das Wissensungleichgewicht zwischen Be-
handler und Patient, stellt niemanden an den Pranger,
nimmt aber alle an unserem Gesundheitssystem Beteilig-
ten ausgewogen in die Pflicht. Das Vertrauensverhältnis
Arzt/Patient ist für uns ein sehr hohes Gut.





Wolfgang Zöller


(A) (C)



(D)(B)


Wenn man die Diskussion, die zurzeit geführt wird,
verfolgt, könnte man den Eindruck gewinnen, als gehe es
beim Patientenrechtegesetz nur um den sogenannten Här-
tefallfonds. Das Patientenrechtegesetz ist Gott sei Dank
– Gott sei Dank! – wesentlich mehr. Von der Kollegin ist
es schon angesprochen worden: Der Behandlungsvertrag
wird im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich veran-
kert. Patienten müssen demnach verständlich und umfas-
send informiert werden, etwa über erforderliche Unter-
suchungen, Diagnosen, beabsichtigte Therapien und
deren Alternativen; dies gilt im Übrigen auch für die
IGeL-Leistungen. In Zukunft muss auch die Höhe zu-
sätzlich anfallender Kosten im Voraus schriftlich fixiert
werden. Die Patienten erhalten das Recht auf Einsicht-
nahme in ihre Patientenakte; sie können auch elektroni-
sche Abschriften ihrer Patientenakte verlangen. Nach
diesem Gesetz besteht auch die Pflicht, nachträgliche
Änderungen und Ergänzungen in der Dokumentation
kenntlich zu machen. – Das alles sind Vorteile für die
Patienten.

Fehlt eine Dokumentation oder ist sie unvollständig,
geht dies im Falle eines Prozesses zulasten des Behan-
delnden. Besteht ein Behandlungsfehlerverdacht, müs-
sen die Kassen in Zukunft ihre Versicherten mit kosten-
freien Gutachten unterstützen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: „Müssen“ nicht! Sollen!)


Behandlungsfehlern möglichst vorzubeugen, hat bei uns
Priorität. Das Qualitätsmanagement im stationären Be-
reich umfasst künftig verpflichtend auch ein Beschwer-
demanagement. Es wird bei der Einführung von Fehler-
meldesystemen in Kliniken finanzielle Anreize geben.
Die Verpflichtung zur Veröffentlichung in den Qualitäts-
berichten wird flächendeckend eine neue Fehlerkultur
befördern. Ein sehr hoher Nutzen für die Patienten ist:
Die Wartezeit bei einer Entscheidung der Kassen zur Be-
willigung von Leistungen wird auf drei Wochen be-
grenzt. Das heißt, wird der Antrag nicht innerhalb von
drei Wochen bearbeitet, gilt er als genehmigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Patientenbeteiligung wird weiter ausgebaut. Pati-
entenorganisationen werden insbesondere bei der Be-
darfsplanung vor Ort einbezogen, damit die Strukturen
stärker an den Patientenbedürfnissen ausgerichtet wer-
den. Eingeführt werden auch Widerrufsmöglichkeiten
bei besonderen Versorgungsformen. Da unser Gesund-
heitssystem und die bestehenden Rechte und Pflichten
sehr umfassend sind, übernehme ich gerne die im Gesetz
verankerte Pflicht, dass der Patientenbeauftragte die
Bürger in Zukunft verständlich über ihre Rechte infor-
mieren muss.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)


So weit nur stichpunktartig eine Aufzählung neuer,
konkreter, praktischer Verbesserungen für unsere Patien-
ten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nur Vorteile!)


Bei der Einbringung des Gesetzes hatte ich den
Wunsch geäußert, die Patientenvertreter im Gemeinsa-
men Bundesausschuss zu stärken. Ich bin sehr froh und
dankbar, dass dieser Punkt aufgenommen wurde. Durch
die Fristsetzung für eine Beratung von Anträgen der Pa-
tientenvertreter wird künftig eine zügige Befassung si-
chergestellt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das glauben Sie selbst nicht!)


Wörtlich heißt es:

Für eine Beratung genügt ein … Aufsetzen auf die
Tagesordnung … nicht. Erforderlich ist eine mate-
riell-inhaltliche Auseinandersetzung mit dem An-
liegen der Patientenvertretung.


(Mechthild Rawert [SPD]: Die sind aber sehr unzufrieden mit Placebos!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine über
20 Jahre dauernde Diskussion ist damit nicht beendet;


(Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das stimmt!)


aber sie hat ein sehr gutes Ergebnis gefunden. Denn mit
all diesen Regelungen, die wir getroffen haben, stärken
wir die Position der Patienten auf dem Weg vom Bittstel-
ler zum Partner im Gesundheitswesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Auf dem Weg!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721120800

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin

Kathrin Vogler das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721120900

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Zöller, das, was Sie gerade erzählt
haben, glauben Sie doch selber nicht. Sie wissen alle,
was ein Placebo ist. Genau das ist leider dieses Patien-
tenrechtegesetz, das uns die schwarz-gelbe Bundesregie-
rung hier vorgelegt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, ein Medikament
ohne Wirkstoff. Leider fehlt Ihrem Patientenrechtegesetz
so mancher wichtige Inhaltsstoff im Sinne der Patientin-
nen und Patienten, der nützlich gewesen wäre. Ja, den
Krankenkassen erlegen Sie die eine oder andere neue
Pflicht auf. Manches bleibt aber vage. Zum Beispiel ist
die Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfeh-
lern nur eine Soll-Regelung und keine Muss-Regelung.
Selbst da bleiben Sie im Vagen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen! Das sollte man machen, wenn man darüber diskutiert!)


– Ja, ich habe es schon gelesen.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Scheinbar nicht!)






Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)


Die Frankfurter Rundschau schreibt heute völlig zu
Recht, das sei kein Patientenrechtegesetz, sondern ein
„Ärzteschutzprogramm“,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine Zeitung, die kurz vor der Insolvenz steht! Kein Wunder, dass sie so einen Unsinn erzählt!)


und die Aussage, die Beweislasterleichterung führe zu
einer Defensivmedizin, wie der Gesundheitsminister so
gerne sagt, sei barer „Unsinn“. Das kann ich nur unter-
schreiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Zöller, wenn Sie jetzt sagen, der Gesetzentwurf
sei mit den Beteiligten im Konsens ausgehandelt wor-
den, dann schließt Ihr Konsens wohl sehr viele Patienten-
organisationen aus; sie sind – das ist bei der Anhörung
sehr deutlich gesagt worden – mit dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung überhaupt nicht zufrieden.

Frau Dyckmans hat hier schon wieder einen Mythos
verbreitet, und zwar den, dass Sie die Patientenrechte in
einem Gesetz bündelten. Auch da Fehlanzeige: Statt dass
Sie ein Patientenrechtegesetzbuch aus einem Guss vorle-
gen, wird jetzt am Bürgerlichen Gesetzbuch, am SGB V,
an der Patientenbeteiligungsverordnung und am Kran-
kenhausfinanzierungsgesetz herumgedoktert. Das muss
einmal gesagt werden; das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie schreiben nur fest, was Richterinnen und Richter
bereits im Sinne der Patientinnen und Patienten entschie-
den haben,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind schon taub!)


Sie gehen kaum darüber hinaus.


(Marco Buschmann [FDP]: Was?)


Im Gegenteil, Sie riskieren, dass eine Weiterentwicklung
durch Richterrecht nicht mehr möglich ist.

Worüber reden wir hier eigentlich,


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Worüber Sie reden, frage ich mich auch!)


was sind denn die wichtigsten Dinge, die fehlen? Ange-
nommen, ein Patient bekommt einige Monate nach sei-
ner Hüftoperation Probleme, weil sich das künstliche
Hüftgelenk lockert, der Patient hat Schmerzen, kann sich
nicht mehr bewegen, kann nicht mehr laufen, kann nicht
arbeiten, muss neue Untersuchungen, neue Behandlun-
gen über sich ergehen lassen, muss wieder ins Kranken-
haus und vielleicht noch mehrfach operiert werden. In
dieser Situation ist doch der Betroffene, der Patient, oh-
nehin schon belastet. Und dann muss er noch selber die
Beweiskette führen. Sie besteht aus drei Elementen: ers-
tens dass er den Schaden hat, zweitens dass es einen Be-
handlungsfehler gegeben hat und drittens dass dieser Be-
handlungsfehler ursächlich für das lockere Hüftgelenk
ist. Als medizinischer Laie ist er gegenüber der Ärztin,
dem Arzt oder dem Klinikkonzern mit seiner juristischen
Abteilung hundertprozentig im Nachteil.

Deswegen sagen wir als Linke: Ein Patientenrechte-
gesetz, das diesen Namen verdient, muss für die Patien-
tinnen und Patienten bei der Beweislast deutliche Er-
leichterungen bringen. Das hat die Bundesregierung
leider versäumt. Deswegen ist ihr Gesetzentwurf für uns
nicht zustimmungsfähig.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben einen Entschädigungsfonds gefordert. Fast
alle Fraktionen des Hauses haben in irgendeiner Form
über einen solchen Entschädigungs- oder Härtefallfonds
nachgedacht. Wir haben unterschiedliche Auffassungen
darüber, wie er ausgestaltet werden könnte, sind uns aber
einig im Ziel: dass Patientinnen und Patienten in so einer
schwierigen Situation schnell und unbürokratisch gehol-
fen werden muss.

Das hat die FDP leider im Sinne der Ärztelobby ver-
hindert. Sie haben gemauert und damit einen weiteren
Fortschritt im Sinne der Patientinnen und Patienten ver-
hindert. Auch deswegen können wir dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch den SPD-Antrag zum Härtefallfonds halten wir
für politisch unverdaulich.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? – Mechthild Rawert [SPD]: Du sollst ihn auch nicht essen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie hat sich verschluckt!)


Wir unterstützen zwar Ihr Anliegen, die Diskussion über
den Härtefallfonds wiederzubeleben, halten aber Ihre
Finanzierungspläne für nicht ausgegoren und nicht ge-
eignet. Sie wollen, dass dieser Härtefallfonds unter ande-
rem über die Zuzahlungen der Patientinnen und Patien-
ten zum Krankenhausaufenthalt bezahlt wird.


(Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Mit bezahlt!)


Wir sind der Auffassung: Diese Zuzahlungen sind noch
unsozialer als die Praxisgebühr, die wir vor kurzem alle
gemeinsam abgeschafft haben. Deswegen können wir
auch Ihrem Antrag nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was wir allerdings gut finden und wofür ich der SPD
ausdrücklich danken möchte, ist der Antrag, die soge-
nannten individuellen Gesundheitsleistungen besser zu
regulieren und einzudämmen. Wir unterstützen das. Bei
den IGeL-Leistungen wird in den Arztpraxen allerlei
Schindluder und Beutelschneiderei betrieben. Davor
müssen wir – wir alle gemeinsam – die Patientinnen und
Patienten schützen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Auch bei der Sicherheit der Medizinprodukte wollen
wir etwas unternehmen. Auch dazu findet sich im Ge-
setzentwurf der Bundesregierung nichts wieder. Wir alle
erinnern uns an den Betrug mit defekten Brustimplanta-
ten. Vor kurzem hat eine britische Medizinzeitschrift
aufgedeckt, dass die 80 Zertifizierungsstellen in Europa,
die Medizinprodukte zertifizieren, doch nicht so gut ar-





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)


beiten, wie man es von ihnen erwarten müsste. Diese
Zeitschrift hat in mehreren Fällen herausgefunden, dass
diese Zertifizierungsstellen bereit waren, Hüftprothesen,
die offensichtlich unsicher waren und die Patienten-
sicherheit gefährdeten, zu zertifizieren. Das ist bei pri-
vatwirtschaftlichen Einrichtungen, die im Auftrag der
Industrie tätig werden und Aufträge akquirieren müssen,
auch kein Wunder.

Deshalb fordern wir mit unserem Entschließungs-
antrag eine EU-weite zentrale Behörde zur Zertifizie-
rung von Medizinprodukten. Denn es kann doch nicht
angehen, dass Medizinprodukte, die in den Körper ein-
gesetzt werden, unsicher sind. Dagegen müssen wir ge-
meinsam etwas unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ver-
spielen hier leider eine große Chance. Wieder einmal hat
Ihnen der Mut gefehlt, sich mit mächtigen Lobbygrup-
pen anzulegen. Stattdessen enttäuschen Sie die Patien-
tinnen und Patienten und ihre Selbsthilfeorganisationen.
Das machen wir nicht mit. Deswegen werden wir Ihren
Gesetzentwurf ablehnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721121000

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die

Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Patientenbeauftragter Zöller, ich habe mit In-
teresse vernommen, dass Sie durchaus mit Stolz über
dieses Werk geredet haben, aber durchaus auch mit ei-
nem, sagen wir einmal, gewissen verhaltenen Stolz;
denn Sie wissen im Grunde genommen am besten, dass
dieses Gesetz so, wie es heute verabschiedet werden
wird, eine Enttäuschung bleiben wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ich glaube, das sieht er anders!)


Das ist sehr deutlich. Sie haben viele Aspekte gelobt und
haben durchaus noch einige Verbesserungen im Gesetz-
gebungsprozess eingebracht. Aber der Kern der Auf-
gabe, der hier zu bewältigen war, ist nicht bewältigt wor-
den. Deshalb ist das Gesetz eine Enttäuschung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das liegt daran, dass Sie sich schon vorweg entschie-
den hatten, dass Sie für die Opfer von Behandlungsfeh-
lern keine durchgreifende Regelung im Gesetzbuch
schaffen werden. Das war im Koalitionsvertrag von
vornherein ausgeschlossen. Das war die große Hürde
und die schwere Last, die auf diesem gesamten Gesetz-
gebungsprozess gelegen hat.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Das steht alles im Gesetz!)


Es war völlig klar: Mit der FDP ist eine Besserstellung
von Patienten vor Gericht in Arzthaftungsprozessen
nicht zu machen.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Frau Kollegin, das Schadenersatzrecht ist bereits im BGB geregelt!)


Das war die Ausgangsvoraussetzung, mit der Sie umge-
hen mussten. Das heißt in der Konsequenz für die
Patienten und für die Patientenorganisationen: Es wird
bei den hohen Hürden vor Gericht bleiben. Es wird bei
den langen Prozesszeiten bleiben. Es wird bei den hohen
Prozessrisiken bleiben. Es wird dabei bleiben, dass sehr
viele ihr Recht vor dem Gesetz nicht durchsetzen kön-
nen, nicht weil die Richter nicht wollen, sondern weil die
Anforderungen an die Beweislast zu hoch sind. Das wird
leider so bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil Ihnen das alles klar war, haben Sie als CDU, ge-
rade Sie, Herr Zöller, den Vorschlag der Einrichtung ei-
nes Härtefallfonds durchaus wohlwollend aufgenom-
men, der von unserer Seite, von der SPD und von den
Linken in die Diskussion gebracht worden ist. Sie haben
den Vorschlag aufgenommen, weil Sie erkannt haben: Es
gibt Leute, die auf der Strecke bleiben, die mit ihren
Schäden ohne irgendeine Entschädigung, ohne irgend-
eine Unterstützung weiterleben müssen. Das war doch
der Punkt.

Dann haben Sie versucht, diesen Härtefallfonds
durchzusetzen, und dann ist er wieder an der FDP ge-
scheitert, wieder an den Gruppen wie den Haftpflicht-
versicherern, die genau diesen Fonds nicht haben woll-
ten.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie haben doch keine Ahnung!)


Das ist das Problem, und daran können Sie nicht vorbei-
reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Aschenberg-Dugnus, Sie haben gerade sehr
deutlich gemacht, dass es Ihnen letztlich nicht um den
Patienten geht,


(Dr. Florian Toncar [FDP]: Sie hat doch noch gar nichts gesagt!)


dass es Ihnen nicht um die Opfer von Behandlungsfeh-
lern geht, sondern dass es Ihnen um die schlichte Ab-
wehr eines Projekts selbst der CDU gegangen ist. Das
war eine ganz klare Argumentation.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist doch Quatsch!)






Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)


Kommen wir zur nächsten Enttäuschung. Es geht
auch in Ihren Papieren um Risikovermeidung. Es geht
um eine neue Fehlervermeidungskultur in den Kliniken.
Aber was tun Sie materiell dafür, außer den Krankenhäu-
sern einen Anreiz zu geben? Etwas anderes haben Sie
materiell nicht neu in die Gesetzgebung gebracht. Wir
meinen, das ist zu wenig. Bei unserem Kenntnisstand
von heute, da wir alle um die Risiken von hochkomple-
xen medizinischen Verfahren wissen, ist das zu wenig.
Wir meinen: Hier muss nachgebessert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kommen wir zu einem Bereich, der in der Sachver-
ständigenanhörung auch eine große Rolle gespielt hat.
Was ist mit den Menschen mit nicht ausreichenden
Sprachkenntnissen? Warum sind Sie nicht bereit, den
dann notwendigen Dolmetscherdienst auch kostenfrei zu
stellen? Ein Arzt wird doch in die Situation kommen,
eine Behandlung verweigern zu müssen, weil er sich si-
cher ist, dass der Patient das, was er zur Aufklärung ge-
sagt hat, überhaupt nicht verstanden hat. Muss er tat-
sächlich seine Putzfrau oder irgendeine andere Person
heranholen, die die Aufklärung, die ja eigentlich fach-
kundig vorgenommen werden muss, eventuell sicherstel-
len kann? Wieso sind Sie nicht bereit, hierfür eine ge-
setzliche Regelung zu schaffen? Das ist mir und uns
nicht verständlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich komme nun zu den Menschen mit psychischen
Erkrankungen und zum Bereich Zwangsbehandlung.
Warum ist es nicht möglich, den guten Vorschlag aufzu-
nehmen, eine Behandlungsvereinbarung als Pflicht für
die Krankenhäuser vorzusehen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wäre ein präventives Angebot, das die Behand-
lungssituation im Vorhinein entlasten würde. Warum ist
es nicht möglich, den Krankenhäusern ein solches In-
strument vorzuschreiben? Ich verstehe es nicht und kann
es nicht nachvollziehen.

Dies tun Sie nicht, obwohl wir alle wissen, dass eine
schwierige Diskussion über das Thema Zwangsbehand-
lung vor uns liegt. Hierbei wird es um einen schwerwie-
genden Grundrechtseingriff gehen. Alles, was wir im
Vorhinein tun können, um eine solche Härte zu vermei-
den, sollten wir auch tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu den Anträgen, die hier noch im Raum
stehen.

Es wäre schön gewesen, wenn wir die hier im Raum
vorhandene Mehrheit für einen Härtefallfonds tatsäch-
lich hätten nutzen können, um diesen auf den Weg zu
bringen. Eine Diskussion über die Ausgestaltung wäre ja
noch möglich gewesen. Darüber hätten wir uns doch ei-
nigen können. Wir hätten als Ausschuss nach Österreich

reisen und dort Anregungen aufnehmen und gucken kön-
nen, wie das eigentlich geht.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie wollen reisen! Aha! – Dr. Florian Toncar [FDP]: Ja, reisen! – Heinz Lanfermann [FDP]: Wir arbeiten hier!)


Wir hätten hier viele Dinge in Angriff nehmen können.
Er war aber nicht gewollt, und das ist ausgesprochen
schade.

Trotz unserer Bedenken aufgrund der konkreten Aus-
gestaltung, die die SPD hier vorgenommen hat, werden
wir diesem Antrag in der namentlichen Abstimmung zu-
stimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Christine AschenbergDugnus [FDP]: Habt ihr das euren Rechtspolitikern schon einmal vorgelegt?)


– Ja, wir haben das von verschiedenen Seiten prüfen las-
sen,


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das glaube ich nicht!)


und Sie wissen auch, dass sich die rot-grün regierten
Länder im Bundesrat ausdrücklich und ausführlich mit
diesem Ansatz beschäftigt haben.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, aber ohne Konzept!)


– Nein, es gibt ein Konzept, und es gibt sogar eine finan-
zielle Ableitung darüber, wie viel dieser Fonds letztlich
kosten würde.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, er funktioniert aber nicht!)


– Doch, er würde funktionieren; Sie wissen das auch.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Erzählen Sie es uns doch einmal!)


Sie versuchen nur, sich aus dieser Situation herauszu-
schleichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sagen Sie doch einmal Einzelheiten! Nichts mehr als Nebelkerzen!)


Wir müssen sagen: Es ist schade, dass Sie hier viele
gute Möglichkeiten, die wir über alle Fraktionen hinweg
zugunsten der Patienten hatten, zerschlagen haben.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Kein einziger Vorschlag!)


Man sieht: Wir müssen auf andere politische Verhält-
nisse warten, bis ein echtes Patientenrechtegesetz mit ei-
ner wirklichen Verbesserung gerade für die, die es am
deutlichsten brauchen, tatsächlich durchsetzbar ist.

Vielen Dank.





Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]: So wie damals!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721121100

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Jan-Marco Luczak

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1721121200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Kollegin Klein-Schmeink, Sie haben vor-
hin gesagt, dass der Kollege Zöller mit Stolz von diesem
Gesetzentwurf gesprochen hat. Ich sage: Ja, er kann auch
stolz auf diesen Gesetzentwurf sein; denn wir erreichen
hier wirklich einen großen Fortschritt für die Patienten in
unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Welchen?)


Wir setzen damit ein Ziel der christlich-liberalen Ko-
alition um. Wir stärken die Rechte der Patientinnen und
Patienten, wir fördern die Orientierung zwischen den
vielfältigen Gesetzen und unzähligen Gerichtsurteilen,
und wir schaffen Transparenz. Sie haben dagegen jahre-
lang, ja jahrzehntelang nur geredet. Wir handeln! Ihre
Kritik ist an dieser Stelle überhaupt nicht glaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Ihr Tun auch nicht!)


Man muss auch einmal sagen: Wir nehmen hier eine
umfassende Kodifizierung der Patientenrechte in einem
einheitlichen Rechtsrahmen vor, nämlich im Bürgerli-
chen Gesetzbuch. Dadurch erhält dort jeder verlässliche
Informationen über die vorhandenen Rechte und Pflich-
ten. Allein diese Transparenz, die wir hier schaffen, dass
jeder Patient seine Rechte nachlesen und sich informie-
ren kann, ist ein großer Mehrwert. Deswegen geht all
das, was Sie sagen, es handele sich um eine schillernde
Seifenblase, hier sei kein Wirkstoff vorhanden, sondern
das Ganze sei nur ein Placebo, und es würde sich nichts
ändern – das hat die Kollegin Volkmer gesagt –, mit Ver-
laub gesagt, an der Sache vorbei. Wir machen hier einen
großen Schritt in Richtung von mehr Rechten für die Pa-
tienten in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Trippelschritte bestenfalls!)


Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf vor allen Din-
gen das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stärken.
Wir tragen dazu bei, dass die Menschen frei und eigen-
verantwortlich über ihre medizinischen Behandlungen
entscheiden können. Damit setzen wir auf das Leitbild
des mündigen Patienten, der umfassend über seine
Rechte informiert ist und weiß, in welche Behandlung er
einwilligt. Das, möchte ich sagen, ist eines der Dinge,
die wir in den parlamentarischen Verhandlungen noch
geändert haben und die zu einem Fortschritt führen.

Ich möchte mit der Einsicht in die Patientenakte an-
fangen. Man muss klar sagen: Nur das, was in einer
Patientenakte hinreichend dokumentiert ist, lässt sich im
Nachhinein ohne Probleme nachvollziehen. Insofern soll
es so sein, dass die Patientenakte alle wesentlichen In-
formationen über den Patienten, über seine Beschwerden
und über die erfolgte Behandlung beinhaltet. Sie muss
zum Wohle des Patienten und auch zur Absicherung des
Behandelnden besondere Anforderungen erfüllen und
bedarf des Schutzes durch den Gesetzgeber. Deswegen
legen wir jetzt fest, dass die Patientenakte sorgfältig ge-
führt werden muss, dass sie vollständig sein muss und
dass vor allen Dingen nachträgliche Änderungen oder
Berichtigungen nur noch dann zulässig sind, wenn nicht
nur der ursprüngliche Inhalt erkennbar ist,


(Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das war schon immer so!)


sondern dass auch erkennbar ist, wann diese Änderun-
gen vorgenommen worden sind. Wenn man später in ei-
nem Prozess die Behandlung nachvollziehen möchte,
dann gibt es an dieser Stelle die meisten Schwierigkei-
ten.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist nichts Neues!)


– Diese Erkennbarkeit ist sehr wohl etwas Neues.

Wenn Sie sich die Rechtsprechung genau ansehen,
liebe Kollegin von der Opposition, dann werden Sie fest-
stellen, dass wir die Folgen dieser Rechtsprechung hier
klar und dezidiert festhalten, dass wir einen umfassen-
den Anspruch auf Einsicht verankern, der im Übrigen
nicht mehr ohne Weiteres vom Arzt abgelehnt werden
kann. Diese Einsichtnahme kann nur aus therapeutischen
Gründen abgelehnt werden oder wenn dem erhebliche
Rechte Dritter entgegenstehen. Der Arzt muss seine Ab-
lehnung begründen. Er kann sich nicht mehr hinter ir-
gendwelchen Floskeln verstecken. Das wird es dem Pa-
tienten in Zukunft ermöglichen, seine Rechte zur Not
vor Gericht durchzusetzen. Diese Regelung ist ein we-
sentlicher Fortschritt und geht weiter über das hinaus,
was wir derzeit haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Blanker Hohn!)


Mit diesem grundsätzlichen Anspruch auf Einsicht-
nahme erreichen wir erhöhte Akzeptanz und Nachvoll-
ziehbarkeit beim Patienten. Auch das führt letztlich
dazu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und
Patient, das wir alle miteinander wollen, gestärkt wird.

Da ich beim Vertrauensverhältnis bin, möchte ich
noch etwas anderes sagen. Es wurde hier von Fehlerkul-
tur gesprochen und davon, dass es hier keine Fortschritte
gibt. Auch an dieser Stelle regeln wir im Bürgerlichen
Gesetzbuch sehr klar, dass ein Arzt zukünftig Fehler ein-
gestehen kann, ohne dass er Angst haben muss, hinterher
von einem Staatsanwalt behelligt zu werden. Wir geben
ihm einen Anreiz, den Fehler anzugeben, ohne dass das
hinterher in einem gerichtlichen Verfahren gegen ihn
verwendet werden kann. Damit ermöglichen wir es ihm,
seine Fehler tatsächlich einzugestehen: zum Wohle des





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)


Patienten, sodass schnell gegen die Folgen möglicher
Fehler vorgegangen werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte etwas zur Stärkung des Selbstbestim-
mungsrechts sagen, die auch Ziel und Zweck dieses Ge-
setzentwurfes ist. Wir sind der Auffassung, dass auch
das Selbstbestimmungsrecht von Kindern und einwilli-
gungsunfähigen Personen Beachtung verdient; das hat
hier die Kollegin Dyckmans schon ausgeführt. Auch
wenn diese Personen natürlich formal nicht in eine medi-
zinische Behandlung einwilligen können – das müssen
immer die Eltern oder die Betreuer machen –, sollen sie
in das Behandlungsgeschehen einbezogen werden. Wir
legen deswegen mit diesem Gesetzentwurf fest, dass
auch Kindern und einwilligungsunfähigen Personen, die
eine Art natürliche Einsichtsfähigkeit haben, entspre-
chend ihren Verständnismöglichkeiten und entsprechend
ihrem Entwicklungsstand die wesentlichen Umstände
der medizinischen Behandlung erläutert werden müssen.
Wir erreichen einen wesentlichen Fortschritt für diese
Patienten, weil wir an dieser Stelle ihr Selbstbestim-
mungsrecht achten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben neben der Stärkung der Rechte von Patien-
tinnen und Patienten an vielen Stellen auch darauf ge-
achtet, dass wir den Anforderungen in der Praxis gerecht
werden. Wir haben sehr darauf geschaut, dass unsere Re-
gelungen, etwa im Alltag von Krankenhäusern, nicht zu
unnötigen Erschwernissen führen.

Deswegen haben wir zum Beispiel bei der Aufklä-
rung, die vor jedem Eingriff in verständlicher Weise er-
folgen muss, damit in die medizinische Behandlung ein-
gewilligt werden kann, festgelegt, dass diese nun auch
durch eine Person durchgeführt werden kann, die auf-
grund einer abgeschlossenen fachlichen Ausbildung die
notwendige theoretische Befähigung zur Durchführung
dieser Maßnahme hat.


(Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Was heißt das jetzt konkret?)


Das knüpft sozusagen an den Krankenhausalltag an, wo
es in aller Regel so ist, dass Assistenzärzte die Aufklä-
rung vornehmen, die tatsächliche Operation aber durch
Fach- oder Oberärzte erfolgt.


(Zuruf von der SPD)


Die haben aber natürlich im Krankenhausalltag nicht die
Zeit, alle Patienten aufzuklären. Deswegen sagen wir an
dieser Stelle: Auch Assistenzärzte, die aufgrund ihrer
medizinischen Ausbildung die fachliche Kompetenz ha-
ben, sollen die Aufklärung vornehmen dürfen. Sonst
würden unnötig Bürokratie und Erschwernisse im Kran-
kenhaus geschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Unter dem Strich – das muss man sagen – war es ein
gesetzgeberischer Drahtseilakt, den wir vornehmen
mussten, weil wir die vorhandene Judikatur – das

Richterrecht – kodifizieren wollten, aber wir wollten na-
türlich nicht verhindern, dass sich das Richterrecht auch
zukünftig fortentwickeln kann.


(Mechthild Rawert [SPD]: Es wird Klagen, Klagen, Klagen geben!)


Deswegen haben wir bei der Formulierung der einzelnen
Regelungen sehr darauf geachtet, dass wir Freiräume
und Möglichkeiten lassen, dass Gerichte im Einzelfall
sach- und interessengerechte Urteile fällen können.
Denn das Richterrecht ist eine wesentliche Stärke unse-
rer deutschen Rechtsordnung, und das soll in Zukunft
auch so bleiben.

Unter dem Strich sage ich: Es war ein Drahtseilakt, es
war schwierig, wir haben es aber geschafft, das Selbstbe-
stimmungsrecht des Patienten in wesentlichen Teilen zu
stärken. Wir schaffen klare und transparente Regelun-
gen. Das ist ein großer Fortschritt. Ich muss an dieser
Stelle auch einen Dank an die Ministerien, das Justiz-
ministerium und das Gesundheitsministerium, ausspre-
chen. Das waren gute Beratungen. Wir haben ein gutes
Gesetz vorgelegt. Ich bitte dafür um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721121300

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Mechthild

Rawert das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1721121400

Herr Luczak, das war ja wohl der Versuch des Scharf-

schießens. Er ist allerdings gescheitert. Ihre Ausführun-
gen zum Richterrecht haben ganz deutlich gemacht, dass
das Patientenrechtegesetz eigentlich wenig klärt. Denn
wenn Sie jetzt in der abschließenden Beratung schon da-
rauf setzen, dass die Zukunft aufgrund unklarer gesetzli-
cher Regelungen aus Urteil an Urteil an Urteil an Urteil
besteht, kann ich nur sagen: Gesetz gescheitert!


(Beifall bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie hätten mir einmal zuhören sollen, Frau Kollegin!)


Es ist das Gesetz der vertanen Chancen. Schwarz-
Gelb stellt sich nicht auf die Seite der Patientinnen und
Patienten, sondern es ist so – die Berliner Zeitung hat
heute so getitelt, es ist vorhin auch schon zitiert worden –,
dass hier ein Ärzteschutzprogramm verabschiedet wird.
Nicht, dass uns hinterher wieder vorgeworfen wird, wir
als Opposition seien gegen die Mediziner. Nein, dem ist
nicht so. Wir sind aber gegen Regelungen, die Patienten
nicht schützen und die vor allen Dinge ihre Rechte nicht
stärken.


(Beifall bei der SPD)


Denn wir müssen eines wahrnehmen, und zwar das
Leben und die Wirklichkeit des Lebens. Die Fehlerquote
liegt im Promillebereich, ja. Nach seriösen Schätzungen
sterben andererseits rund 17 000 Menschen im Jahr an





Mechthild Rawert


(A) (C)



(D)(B)


Kunstfehlern. Darauf gibt Ihr Gesetz null Komma null
Antwort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Minister Bahr, Sie selber haben es auch schon ange-
sprochen: Sie haben von einer generellen Beweislast-
umkehr gesprochen, die Sie nicht wollen. Frau
Aschenberg-Dugnus wird sicherlich gleich darauf noch
eingehen. Ich frage mich: Wo ist denn der Sturm der
Ärzte und Ärztinnen? Ich hätte erwartet, dass sich auch
die Mediziner viel stärker auf die Seite der Patienten und
Patientinnen gestellt hätten, um deren Rechte zu stärken.

Deswegen sage ich – auch als Antwort auf die erste
Rednerin –: Dieses Gesetz zerstört Vertrauen, und dieses
Vertrauen ist ein kostbares Gut. Hier haben Sie versagt.


(Beifall bei der SPD)


Ich komme auf einen speziellen Punkt zurück, näm-
lich auf die individuellen Gesundheitsleistungen. Wir
reden hier von einem Markt, der schon 2010 1,5 Milliar-
den Euro umfasste. Wir Sozialdemokraten hatten dies-
bezüglich einen Antrag zur Eindämmung der individuel-
len Gesundheitsleistungen vorgelegt. Es geht nicht nur
um 1,5 Milliarden Euro, sondern um 18,5 Millionen Ein-
zelgeschäfte in Praxen. Das ist also ein Markt, den es
sich genauer anzuschauen und vor allen Dingen zu regu-
lieren lohnt.

Was war am Anfang in Ihrem Patientenrechtegesetz-
entwurf zu IGeL-Leistungen enthalten? Null Komma
null. Nichts!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen ja beim Lesen Fehler!)


Insofern hat unser Antrag Sie noch ganz schön auf Trab
gebracht. Darüber bin ich froh, und darauf bin ich stolz,
auch aus der Sicht der Opposition heraus.


(Lachen der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/ CSU])


Denn die individuellen Dienstleistungen, für die nach Ih-
ren Vorstellungen in den Praxen gezahlt werden soll, be-
rühren das, was mancher Mann meint, wenn er sagt:
Man will nur mein Bestes, nämlich das Portemonnaie.

Wir wollten eine Bedenkzeit und die Trennung der
Leistungen insofern, dass IGeL-Leistungen nicht zusam-
men mit gesetzlich versicherten Leistungen verkauft
werden,


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das geht doch an den Erfordernissen der Praxen völlig vorbei!)


weil wir sicherstellen wollen, dass der Arzt oder die Ärz-
tin vertrauenswürdig bleiben und nicht plötzlich als An-
bieter von Selbstzahlerdienstleistungen auftreten.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Schwachsinn!)


Der Patient oder die Patientin soll nicht plötzlich zum
Kunden oder zur Kundin degradiert werden.

All das beantworten Sie ausschließlich damit, dass es
jetzt eine bessere Aufklärung hinsichtlich der Finanzie-
rung dieser individuellen Gesundheitsleistungen geben
soll.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein mündiger Patient, Frau Kollegin! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Haben Sie schon mal was vom mündigen Patienten gehört?)


– Ja, ich danke Ihnen für dieses Stichwort. – Das Stich-
wort mündiger Patient oder mündige Patientin hat bei
dem gesamten Theater, wie ich es nennen möchte, eine
große Rolle gespielt, als es darum ging


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Schreien Sie doch nicht so!)


– Sie können das noch besser –, dass das Wirtschafts-
ministerium die Schulungen für Ärzte und Ärztinnen be-
zahlt hat, damit auch das medizinische Fachpersonal
mehr Marketingschulungen erhält. In den Antworten des
Ministeriums auf meine Fragen war ständig vom mündi-
gen Patienten und der mündigen Patientin die Rede.
Aber davon, dass die einen geschult werden – sogar mit
öffentlichem Geld –, damit der Patient besser ausgenom-
men werden kann und mehr Abzocke möglich ist, sagen
Sie nichts, wenn es um Ihr Lieblingsbild des mündigen
Patienten und der mündigen Patientin geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein Schwachsinn!)


Ich glaube, ich bin eine mündige Frau. Wenn ich
krank bin, geht es mir aber nicht darum, vorher noch ein
medizinisches Studium in Kurzfassung abzulegen, son-
dern dann möchte ich geheilt werden.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Wenn Sie krank sind, dann brauchen Sie auch keine IGeL-Leistungen!)


Dann bin ich gerne bereit, nicht nur hilfsbedürftig zu er-
scheinen, sondern auch Hilfe in Anspruch zu nehmen.


(Abg. Dr. Erwin Lotter [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Mit anderen Worten: Das Vertrauensverhältnis zwi-
schen Arzt und Patient wurde leider auch von der Ver-
braucherschützerin verraten, um es so zu sagen. Frau
Aigner als oberste Verbraucherschützerin hat eine Studie
„Untersuchungen zum Informationsangebot zu Indivi-
duellen Gesundheitsleistungen“ vorgelegt. Wen wundert
es, dass in dieser Studie jede Kritik und jede Annahme,
die Grundlage für unseren Antrag „Individuelle Gesund-
heitsleistungen eindämmen“ war, bestätigt worden ist?
Auch Herr Zöller fordert eigentlich eine Bedenkzeit.
Was ist aus der Bedenkzeit geworden? Null Komma
null.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721121500

Frau Kollegin Rawert.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1721121600

Einen Moment.


(Heiterkeit bei der SPD)






Mechthild Rawert


(A) (C)



(D)(B)


Die Informationen in den Arztpraxen sind nicht aus-
sagekräftig genug und haben zu viele Defizite. Das ein-
zig Wertvolle ist derzeit der IGeL-Monitor. Darauf ver-
weisen wir alle. – Entschuldigung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721121700

Erlauben Sie jetzt noch eine Nachfrage, wie man in

diesem Fall sagen muss, des Kollegen Dr. Lotter von der
FDP?


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1721121800

Er steht ja schon.


(Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Erwin Lotter (FDP):
Rede ID: ID1721121900

Schon die ganze Zeit.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1721122000

Wir sind ja beide nicht so hochgewachsen.


Dr. Erwin Lotter (FDP):
Rede ID: ID1721122100

Ich bin ja so unscheinbar. Danke, dass Sie die Frage

noch zulassen. – Frau Kollegin Rawert, wenn ein Patient
zu mir kommt, um sich von mir behandeln zu lassen,
und er mich bei der Behandlung fragt: „Herr Doktor, ge-
gen meine Kniegelenksarthrose habe ich mal homöopa-
thische Spritzen bekommen, die mir hervorragend ge-
holfen haben. Könnte ich sie wieder bekommen?“ – das
ist eine sogenannte IGeL-Leistung –, dann muss ich ihm
sagen: Ja, das können wir machen, aber warten Sie bitte
erst 24 Stunden; kommen Sie morgen um 17 Uhr wieder,
dann kann ich es machen. – Dann denkt der Patient
doch: Ich glaube, mein Doktor spinnt jetzt völlig.

Würden Sie mir zustimmen, dass das, was Sie for-
dern, völlig unrealistisch ist?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das kann man mit Ja beantworten!)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1721122200

Ich bin sehr erfreut, dass Sie als Arzt einem Patienten

von heute auf morgen einen Termin um 17 Uhr anbieten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das ist eine absolute Ausnahme und hat überhaupt nichts
mit der alltäglichen Praxis zu tun. Die individuellen Ge-
sundheitsleistungen werden in der Regel – wir reden hier
nicht von sportmedizinischen oder reisemedizinischen
Untersuchungen – von Ärztinnen und Ärzten angeboten.
Das zeigt: Ihr Beispiel ist lebensfremd und nicht Grund-
lage dieser Diskussion.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Dass Sie überhaupt noch zum Arzt gehen, ist wirklich erstaunlich!)


– Herr Lanfermann, auch Ihnen wünsche ich noch viele
Arztbesuche und so gute Erfahrungen, wie sie Herr
Lotter gemacht hat.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721122300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Aschenberg-

Dugnus von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1721122400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das, was wir bisher von der Opposition gehört haben, ist
ein geradezu schicksalhafter Reflex. Wenn Vorschläge
von der Regierung gemacht werden, müssen Sie sie kri-
tisieren, egal ob etwas dahintersteckt oder nicht. Das ist
besonders eigentümlich für die SPD, die in ihrer Regie-
rungszeit eine kleine Broschüre zu den Patientenrechten
aufgelegt hat. Zehn dünne Seiten über die Patienten-
rechte! Auf ihnen steht nichts Großartiges. Wenn Sie von
vertanen Chancen sprechen, dann ist das lächerlich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie haben in Ihrer Regierungszeit überhaupt nichts ge-
leistet. Jetzt werfen Sie uns das vor? Das kann ja wohl
nicht wahr sein.

Liebe Frau Rawert, wenn Sie sagen, die Ärzte würden
nicht an der Seite ihrer Patienten stehen, dann ist das
eine Unverschämtheit. Die Ärzte stehen an der Seite
ihrer Patienten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, Sie sollten das zurücknehmen. Welches Bild
haben Sie überhaupt von den Ärzten in unserem Land?
Ich empfinde das als persönliche Beleidigung.

Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir endlich
zu den Inhalten unseres hervorragenden Patientenrechte-
gesetzes. Meine Kollegin Frau Dyckmans hat schon über
die Änderungen im BGB referiert. Ich möchte Ihnen auf-
zeigen, welche konkreten Verbesserungen das SGB V
für die Patientinnen und Patienten in unserem Lande
vorsieht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721122500

Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, Frau Kollegin

Klein-Schmeink würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
stellen.


Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1721122600

Ich habe zwar noch drei Minuten, aber machen Sie

mal.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721122700

Es ist mehr eine Anfangsfrage.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie waren gerade dabei, über das Verständnis der
Rolle des Arztes und über das Misstrauen den Ärzten
gegenüber zu sprechen. Ich habe heute in der Presse
gelesen, dass gerade Sie und auch Minister Bahr als ein
Argument gegen den Härtefallfonds angeführt haben,
dass dann der Anreiz für die Ärzte entfiele, sorgfältig





Maria Klein-Schmeink


(A) (C)



(D)(B)


und fehlerfrei zu arbeiten. Welches Verständnis von ärzt-
licher Kunst und der ärztlichen Rolle spricht daraus?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1721122800

Liebe Frau Kollegin, Sie haben wieder einmal etwas

völlig missverstanden. Es geht darum, dass jemand im
deutschen Schadensersatzrecht für sein individuelles
Handeln individuelle Haftung übernehmen muss. Das
führt dazu, dass er besonders rücksichtsvoll agiert.
Warum wir gegen den Härtefallfonds sind, ist eine ganz
andere Sache. Wir haben hier noch nicht gehört, wie es
rechtlich fundiert umgesetzt werden soll. Die SPD hat
einen Antrag vorgelegt, der grob vom Wiener Modell
ausgeht. Im Ergebnis ist es aber anders. So sollen alle
– Versicherte, Steuerzahler und Patienten – zur Finanzie-
rung herangezogen werden. Dann wird gesagt, dass es
gar nicht um Behandlungsfehler, sondern nur um Härte-
fälle geht. Es ist überhaupt nicht geklärt, wer das ent-
scheidet. Es ist überhaupt nicht geklärt, in welcher Zeit
das geschehen soll. Es ist überhaupt nicht geklärt, ob es
rechtlich angreifbar ist. Dazu hat niemand in diesem
Hohen Hause etwas vorgelegt. Wir sind ein Rechtsstaat
und können nur das ins Gesetz schreiben, was auch
wirklich umsetzbar ist. Solange Sie nichts Entsprechen-
des vorlegen, können Sie von uns nicht erwarten, dass
wir für einen Härtefallfonds sind. So viel zu diesem
Thema.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, jetzt würde ich gerne den
Patientinnen und Patienten erklären, welche positiven
Maßnahmen wir für sie im SGB V ergriffen haben. Der
erste Punkt, der mir persönlich ganz wichtig ist, ist die
Bewilligung von Leistungen durch die Krankenkassen.
Durch dieses Gesetz wird sie beschleunigt. Wir hören es
doch tagtäglich: Die Patienten beschweren sich darüber,
dass sie ewig auf eine Leistung ihrer Krankenkasse, auf
die sie angewiesen sind, warten und dass sie sich selber
darum kümmern müssen. Deswegen steht jetzt im
Gesetz: Wenn sich die Kasse nicht innerhalb von drei
Wochen nach Antragstellung meldet, kann sich der Pa-
tient beispielsweise das nötige Mittel oder den Rollator
selbst besorgen und bekommt die Kosten später erstattet.
Das heißt, die Leistung ist automatisch genehmigt, wenn
sich die Krankenkasse nicht rührt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das sind ganz konkrete
Verbesserungen im Alltag der Patienten und für unsere
medizinische Versorgung.

Auch der zweite Punkt ist sehr wichtig. Das Gesetz
sieht die Förderung einer Fehlervermeidungskultur in
der medizinischen Versorgung vor. Wir verpflichten per
Gesetz die Krankenhäuser zur Einführung eines
Beschwerdemanagements und zur Einführung eines
Fehlermeldesystems. Das ist ganz wichtig, weil wir den
Nährboden für Fehler weitgehend austrocknen wollen.


(Beifall bei der FDP)


Sicher, da, wo Menschen arbeiten, passieren auch
Fehler. Wir können Fehler nie ausschließen. Deswegen
geben wir den Betroffenen eine zusätzliche Hilfe an die
Hand. In Fällen, in denen Fehler passiert sind, werden
die Versicherten zukünftig auf die verpflichtende Unter-
stützung ihrer Krankenkasse bauen können. Das ist posi-
tiv für die Menschen in unserem Lande.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Eben wurde über IGeL gesprochen; dazu möchte ich
noch etwas sagen. Im Gegensatz zu Frau Rawert halte
ich IGeL nicht per se für schlecht. Man darf sie nicht als
reine Umsatzsteigerungsinstrumente der Ärzte abtun.
Ich finde, das wird dem überhaupt nicht gerecht und ist
absolut unredlich. Was man machen kann – da bin ich
wieder beim mündigen Patienten, Frau Rawert –, ist Fol-
gendes: Wir müssen den Patienten bestmöglich aufklä-
ren. Dann kann er auf der Grundlage der ihm gegebenen
Auskünfte seine Entscheidung treffen. Er wird darüber
informiert, was für ihn sinnvoll ist und was es kostet.
Dann kann er sich ausführlich darüber Gedanken
machen. Zum Beispiel die Kassenärztliche Bundesverei-
nigung, die unabhängigen Patientenberatungen und die
Kassen haben auf ihren Internetseiten Informationen
über IGeL. Alle verweisen auf den IGeL-Monitor. Es
gibt genügend Informationsmöglichkeiten für die Patien-
ten.

Natürlich kann der IGeL-Monitor auch kritisch be-
trachtet werden, Frau Rawert. So werden manche Maß-
nahmen als nicht nützlich bewertet, obwohl das nach
meiner Meinung nicht der Fall ist. Zum Beispiel wird die
professionelle Zahnreinigung als nicht nützlich bewertet.
Das ist natürlich völlig fragwürdig.


(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


– Das steht im IGeL-Monitor als IGeL.

Meine Damen und Herren, die von Ihnen geforderte
Regelung zur Bedenkzeit, um sich für eine IGeL zu ent-
scheiden, ist doch völlig unpraktikabel und unsinnig. Wenn
ein Patient eine Leistung nicht will, muss er sie ja nicht in
Anspruch nehmen. Aber als Regelfall eine 24-stündige Be-
denkzeit vorzuschreiben, ist doch völlig patientenfeind-
lich und praxisfern. Das ist doch gegen die Patienten.
Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Doch!)


Meine Damen und Herren, in unserem Gesetz stehen
der Patient und die Verbesserung seines ganz konkreten
Alltags im Mittelpunkt. Das erreichen wir. Das, was in
Ihrer kleinen, dünnen Broschüre skizziert war,


(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


haben wir jetzt in einem sehr guten Patientenrechte-
gesetz zusammengefasst. Ich glaube, die Patientinnen
und Patienten werden merken, dass das viel mehr wert
ist als diese kleine Broschüre.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721122900

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt das Wort der Kollege Erwin Rüddel von der CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Erwin Rüddel (CDU):
Rede ID: ID1721123000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Unsere erfolgreiche Gesundheitspolitik der ver-
gangenen drei Jahre


(Lachen bei der SPD)


wird heute mit einem Gesetz abgerundet, das die Rechte
der Patientinnen und Patienten stärkt und übersichtlich
zusammenfasst. Dabei haben wir sehr sorgfältig darauf
geachtet, dass das notwendige Vertrauensverhältnis zwi-
schen Arzt und Patient nicht beschädigt wird.

Mit dem Patientenrechtegesetz verankern wir das
Arzt-Patienten-Verhältnis erstmals im Bürgerlichen Ge-
setzbuch. Durch das Gesetz sind Betroffene künftig
nicht mehr davon abhängig, ob der jeweilige Richter in
einem möglichen Prozess sattelfest und mit der gesam-
ten bisherigen Rechtsprechung vertraut ist. Schon alleine
diese Tatsache bedeutet einen entscheidenden Fort-
schritt; denn der künftig im Bürgerlichen Gesetzbuch
normierte Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Pa-
tient garantiert klare Regeln bei möglichen Verstößen.

Zusätzlich werden die Informations-, Aufklärungs-
und Dokumentationspflichten für die Ärzte klar geregelt.
Das bringt mehr Sicherheit für die Patienten und stärkt
deren Position. Im Falle eines Behandlungsfehlers wer-
den Verfahren und Schuldfeststellung dadurch erheblich
erleichtert. Bei Rechtsstreitigkeiten ist die Patientenakte
das wichtigste Dokument. Wir regeln, dass Patienten in
ihre Akte Einsicht nehmen und Kopien anfertigen
können. Das darf nur in begründeten Ausnahmefällen
untersagt werden.

Bei groben Behandlungsfehlern muss der behan-
delnde Arzt darlegen, dass er alles richtig gemacht hat,
und nicht der Patient nachweisen, dass der Arzt einen
Fehler begangen hat. Die Krankenkassen werden ihre
Mitglieder künftig bei Verdacht auf Behandlungsfehler
unterstützen, um eventuelle Schadensersatzansprüche
durchzusetzen.

Ferner wird den Kassen bei der Genehmigung bean-
tragter Leistungen künftig eine kurze Frist gesetzt. Ent-
scheiden sie nicht innerhalb dieser Frist, gilt ein Antrag
automatisch als genehmigt. Diese Regelung haben wir
im Sinne der Patienten nochmals präzisiert und ver-
schärft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Eine generelle Beweislastumkehr lehnen wir ab. Der
Arzt soll zuerst an seinen Patienten denken und nicht an
seine Rechtsschutzversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Der denkt an sein Portemonnaie!)


Besonders bedeutend ist eine ausreichende Berufs-
haftpflicht für Ärzte. Wir schaffen klare Regelungen in
der Musterberufsordnung. Wichtig ist aber eine regel-
mäßige Überprüfung der Versicherung. Hier sind die
ärztlichen Zulassungsbehörden und die Bundesländer
aufgefordert, zeitnah Regelungen zu treffen, die dies er-
möglichen.

Stark ausgebaut wird das Beschwerdemanagement in
den Krankenhäusern. Gleiches gilt für das Risiko-
management und die Fehlerberichtskultur – Stichwort
„zielführendes Fehlermanagement ohne gleichzeitiges
Schuldeingeständnis“. Wer einen Fehler meldet, soll
dadurch keine Konsequenzen fürchten müssen. Das Ziel
ist, aus Fehlern zu lernen. Außerdem stärken wir die
Stellung der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bun-
desausschuss durch die Pflicht zur zeitnahen Beratung
ihrer Anträge.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die individuellen Gesundheitsleistungen werden
klare Vorschriften beschlossen. Damit ist zweifelsfrei
sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten ihre
Entscheidung für oder gegen eine individuelle Gesund-
heitsleistung ohne Druck und Zwang treffen können


(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt nun gar nicht!)


und wirkungsvoll vor unnötigen Maßnahmen geschützt
werden.

Eine Reihe von Vorschlägen aus der Opposition ha-
ben wir im Ausschuss ablehnen müssen, wie ich meine:
aus gutem Grund. Denn wir wären sonst unweigerlich an
einen Punkt gekommen, wo aus Verrechtlichung eine
Überreglementierung geworden wäre, mit möglicher-
weise fatalen Folgen für das Vertrauensverhältnis
zwischen Patient und Arzt,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


ganz abgesehen davon, dass ein deutlich höherer Ver-
waltungsaufwand mit einem erheblichen Zeitverlust und
damit zwangsläufig mit einer Einschränkung der eigent-
lichen Patientenversorgung einhergegangen wäre.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch ein Wort zum Thema Härtefallfonds. Auch
wenn man sich eine Stiftungslösung vorstellen kann, um
in Härtefällen zeitnah und unbürokratisch Unterstützung
zu leisten, ohne die Schuldfrage in den Vordergrund zu
stellen, vertrauen wir auf die verschärfte Überprüfung
der Berufshaftpflicht. Die Zukunft wird zeigen, ob und
inwieweit weiterer Handlungsbedarf für den Gesetz-
geber besteht. Meine Fraktion wird dies in jedem Fall
sehr genau im Auge behalten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Meine Damen und Herren, das Gesetz stellt insgesamt
einen Wendepunkt für unser Gesundheitswesen dar. Die
Patientinnen und Patienten werden ihre Rechte künftig
besser kennen und besser durchsetzen. Das bedeutet für
die Versicherten mehr Qualität, mehr Transparenz, mehr
Sicherheit und damit mehr Souveränität gegenüber
Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Wir halten unser





Erwin Rüddel


(A) (C)



(D)(B)


Versprechen und machen die Patientinnen und Patienten
zu Partnern auf Augenhöhe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mir ist es ein Bedürfnis, abschließend unserem Kolle-
gen Wolfgang Zöller zu danken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Als Patientenbeauftragter der Bundesregierung hat er
sich seit Jahren in unzähligen Gesprächen mit allen Be-
teiligten für dieses wichtige Gesetz engagiert. Dass wir
dieses Vorhaben, an dem frühere Bundesregierungen ge-
scheitert sind, nunmehr unter Dach und Fach haben, ist
nicht zuletzt ihm, seiner Arbeit und seinem ganz persön-
lichen Einsatz zu verdanken. Vielen Dank, lieber
Wolfgang.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721123100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patien-
ten. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11710, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksache 17/10488 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der
Grünen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11722.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken und
der Grünen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dem Antrag der Linken zugestimmt!)


– Das habe ich auch gesagt.


(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ich kann Sie nicht verstehen. Entschuldigung.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir Sie auch nicht!)


– Ich habe gesagt, dass die Koalitionsfraktionen und die
SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke und die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgestimmt haben.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir haben auch abgelehnt!)


– Dann wiederhole ich die Abstimmung. Ich bitte, aufzu-
passen, weil ich kaum noch Überblick habe. Sonst muss
ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Ich hoffe, dass es
auch so gehen wird.

Es geht um den Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/11722. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Genauso habe ich es vorhin festge-
stellt, aber ich bestätige es jetzt noch einmal. Dann ist
das so protokolliert.

Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache
17/11710 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9061
mit dem Titel „Individuelle Gesundheitsleistungen ein-
dämmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/11008 mit dem Titel „Patientenrechte wirksam
verbessern“. Die Fraktion der SPD hat beantragt, dass
über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags einerseits und
über den übrigen Antrag andererseits getrennt abge-
stimmt werden soll. Wir stimmen daher zunächst über Zif-
fer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags auf Drucksache 17/11008
ab. Die Fraktion der SPD hat dazu namentliche Abstim-
mung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Plätze einzunehmen? – Ich eröffne die
Abstimmung über Ziffer II Nrn. 2 bis 4 des Antrags.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das scheint
nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des
Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche
ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 18.24 bis 18.31 Uhr)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721123200

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich

bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen.

Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung zu dem Antrag der SPD-Fraktion
„Patientenrechte wirksam verbessern“ auf der Druck-
sache 17/11008 bekannt: abgegebene Stimmen 558. Mit
Ja haben gestimmt 195, mit Nein haben gestimmt 303,
Enthaltungen 60. Der Antrag ist abgelehnt.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 558;
davon

ja: 195
nein: 303
enthalten: 60

Ja

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner

Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit

Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele

Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen

Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif

Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann

Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger

Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Cornelia Möhring

Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke

Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

Wir kommen zur Abstimmung über den übrigen Teil
des Antrags auf Drucksache 17/11008. Wer stimmt da-
für? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung
von Linken und Grünen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit
unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/6489 mit dem Titel „Mehr Rechte für
Patientinnen und Patienten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei
Zustimmung der Linken und Enthaltung der Grünen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/6348 mit dem Titel „Rechte von Patientinnen
und Patienten durchsetzen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Grünen und der Linken bei Enthaltung der SPD-
Fraktion.


(Unruhe – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Beide Beschlussempfehlungen sind angenommen! – Weitere Zurufe)


– Ich glaube nicht, dass das falsch aufgenommen worden
ist, das war richtig.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie die Zusatz-
punkte 7 a und 7 b auf:

9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Energiewende sozial gestalten – Stromsperren
gesetzlich untersagen
– Drucksache 17/11655 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Federführung strittig

ZP 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strom-
preise für alle
– Drucksache 17/11656 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt
Duin, Hubertus Heil (Peine), Rolf
Hempelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bun-
desregierung bei der Energiewende – Mas-
terplan Energiewende

– zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kosten und Nutzen der Energiewende fair
verteilen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bezahlbare Energie sichern durch Einspa-
rung, Erneuerbare und mehr Verbraucher-
rechte

– Drucksachen 17/9729, 17/11004, 17/11030,
17/11719 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Caren Lay von der Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721123300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Stellen Sie sich das einmal vor: Sie kommen
heute Abend nach Hause, das Licht geht nicht an, und
Sie können sich weder einen Tee noch eine warme
Suppe kochen. Sie können weder fernsehen noch lesen,
und Sie waschen sich und Ihre Kinder mit kaltem Was-
ser. Die Wäsche waschen Sie mit der Hand. Das Telefon
funktioniert nicht, und an das Smartphone ist erst recht
nicht zu denken. Auch das Backen für Weihnachten
muss in diesem Jahr leider ausfallen. Das ist kein Film
über das Leben im 19. Jahrhundert, das ist für über
300 000 Haushalte in Deutschland leider bittere Realität;
denn diesen Haushalten wurde im letzten Jahr der Strom
gesperrt. Ich finde das einfach unmenschlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass in
Belgien und in Frankreich Stromsperren zumindest im
Winter verboten sind. Wir als Linke finden, dass diese
massenhaften Stromsperren auch in Deutschland endlich
ein Ende haben müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Presse berichtet über bereits acht Tote, die infolge
von Stromsperren ums Leben gekommen sind. Die Bun-
desregierung sieht tatenlos zu. Sie weigert sich sogar,
eine EU-Richtlinie umzusetzen, durch die zumindest
schutzbedürftige Kunden vor Stromsperren bewahrt
werden sollen. Ich finde, das ist einfach unmöglich. In
keinem anderen Bereich befinden sich die Anbieter in
solch einer starken Stellung wie die Stromanbieter. Nach
nur einer einzigen Mahnung und einer Ankündigung
kann der Strom gesperrt werden, und das ohne Gerichts-
beschluss. Wir finden: So geht es einfach nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen wollen wir, dass Hilfe für die Betroffenen im
Mittelpunkt steht. Deswegen wollen wir die Sozial-
behörden zwischenschalten.

Ich komme zu einem anderen Thema, das jeden und
jede von uns betrifft. Wir alle haben in den letzten
Wochen einen Brief von unserem Stromanbieter bekom-
men. Wieder einmal werden die Strompreise erhöht. Im
Schnitt werden sie um 12 Prozent erhöht, in einigen Fäl-
len sogar um 32 Prozent. Das ist nur der traurige Höhe-
punkt; denn die Strompreise sind in den letzten Jahren
explodiert. Seit dem Jahr 2000 haben sie sich verdoppelt.
Die Ausgaben für Strom, Heizung und Benzin belasten
das Haushaltsbudget, insbesondere von Haushalten mit
geringen Einkommen.

Darunter leiden vor allen Dingen die Langzeitarbeits-
losen. Im Hartz-IV-Regelsatz wurden gerade einmal
30 Euro für Energiekosten angesetzt. Der Durchschnitts-
verbrauch liegt deutlich höher. Das heißt, allein die
Strompreiserhöhung frisst die Erhöhung um lächerliche
8 Euro bei Hartz IV im nächsten Jahr wieder auf.

Während die einen im Dunkeln sitzen, gibt es woan-
ders Grund für eine Festbeleuchtung. Allein drei der vier
großen Energiekonzerne, Eon, RWE und EnBW, haben
in sieben Jahren über 100 Milliarden Euro Gewinne ein-
gefahren. In dieser Situation ist es ausgerechnet Bundes-
umweltminister Altmaier, der die Schuld für die Strom-
preiserhöhung allein auf die erneuerbaren Energien
schiebt. Er schweigt zu den massenhaften Gewinnen der
Konzerne. Auch hier sagen wir als Linke: So geht es ein-
fach nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Schnelle Hilfe ist nötig, und sie ist auch möglich. Wir
fordern, dass diese Strompreiserhöhungen ausgesetzt
werden, bis die Bundesregierung endlich ein vernünfti-
ges Konzept auf den Tisch legt. Wir haben unsere
Vorschläge eingebracht. Stoppen Sie zum Beispiel die
Stromgeschenke an die Industrie. Diese betragen über
9 Milliarden Euro, für die die Verbraucherinnen und Ver-
braucher aufkommen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Senken Sie die Stromsteuer in dem Ausmaß, in dem
die EEG-Umlage steigt. Hier könnten die Verbraucherin-
nen und Verbraucher endlich einmal von Ihrer Politik
profitieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Haben Sie den Mut, endlich einmal eine effektive
staatliche Preisaufsicht einzuführen. Das wäre das beste
Mittel, um an diese leistungslosen Konzerngewinne he-
ranzukommen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das hatten wir schon einmal!)


Strom ist kein Luxusgut, Stromversorgung ist ein
Grundrecht. Niemand darf davon ausgeschlossen wer-
den. Strom muss bezahlbar bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721123400

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Thomas Bareiß.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721123500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Liebe Kollegin Lay, Ihre Rede und Ihr Antrag
„Energiewende sozial gestalten – Stromsperren gesetz-
lich untersagen“ zeigen deutlich, dass Sie immer noch
nicht in der Marktwirtschaft angekommen sind.


(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Meine Güte! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Ihr Feldzug gegen die soziale Marktwirtschaft ist fast
schon unerträglich. Deshalb sage ich zu Beginn meiner





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


Rede: Wenn jemand in unserem Land eine Leistung in
Anspruch nimmt, muss er für diese Leistung auch zah-
len. Wenn er das nicht tut, dann wird ihm der Anspruch
auf diese Leistung versagt.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist ein Grundrecht!)


Außerdem verhält er sich gegenüber all denjenigen, die
für diese Leistung bezahlen, unsozial und unsolidarisch.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Warum bezahlen wir denn dann die Regierung? – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein solches Verhalten entspricht nicht unserem Bild von
einer sozialen Marktwirtschaft, und es entspricht auch
nicht unserem Bild von richtiger und sozialer Energie-
politik.

Wir wollen keinen Freifahrtschein erteilen, sondern
wir wollen einen Sozialstaat, der denjenigen, der sozial
schwach ist, in die Lage versetzt, seine Stromrechnung
zu bezahlen. Deshalb haben wir einen ausgedehnten
Sozialstaat.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ja, so ist das!)


Deshalb werden in Deutschland beispielsweise die
höchsten Sozialleistungen in ganz Europa gezahlt; sie
machen über 55 Prozent des Bundeshaushalts aus. Da
Sie immer davon reden, dass die Besserverdienenden
keinen Beitrag leisten, sage ich Ihnen: Die 10 Prozent
der Steuerzahler mit dem höchsten Einkommen tragen
über 55 Prozent zum gesamten Einkommensteuerauf-
kommen bei.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht der Mehrwertsteuer zum Beispiel! Das steht vielleicht so im Armutsbericht von vor vier Jahren! Aber wie ist die Situation denn heute?)


Wer trotzdem behauptet, dass die Besserverdienenden in
unserem Staat nichts für die Leistungsschwachen tun,
der ist auf dem Holzweg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist eine Milchbubenrechnung!)


Wir wollen den mündigen und freien Bürger.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Aha! Und deswegen soll er auf Strom verzichten?)


Deshalb steht die Energiepolitik bei uns im Zentrum.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal einer Familie mit Hartz IV! Zynisch ist das!)


Wir wollen die Bürger beispielsweise dazu bringen,
Strom zu sparen und sich effizienter zu verhalten, und
wir wollen, dass dies belohnt wird. Deshalb kann ich nur
begrüßen, dass Bundesumweltminister Peter Altmaier
die Stromsparinitiative auf den Weg gebracht und durch
ganz konkrete Maßnahmen verstärkt hat. Die Mittel wer-

den um weitere 30 Millionen Euro für die nächsten zehn
Jahre erhöht, sodass jeder Haushalt in die Lage versetzt
wird, sich zu überlegen, wo er Strom einsparen, sich effi-
zienter verhalten und damit Geld sparen kann.


(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Dadurch haben wir auch etwas für die Sozialpolitik
getan. Durch die Teilnahme am Stromspar-Check kann
jeder Haushalt mit geringfügigem Einkommen Strom
und somit Geld sparen. An 80 Standorten wurden rund
200 Langzeitarbeitslose zu Energieberatern ausgebildet.
Pro Haushalt investieren wir auf diesem Wege 65 Euro,
sparen aber jedes Jahr pro Haushalt 86 Euro ein. Das ist
ein Modell, das einerseits Langzeitarbeitslosen dabei
hilft, sich zum Energiesparer ausbilden zu lassen, das an-
dererseits aber auch Geringverdienern hilft, Strom und
somit Geld zu sparen. Das ist ein Modell, das, wie ich
glaube, Schule machen und in den nächsten Jahren sogar
ausgebaut wird; die Mittel sollen verdoppelt werden.
Das ist sinnvoll und richtig. Ich glaube, die Energiepoli-
tik ist der richtige Ansatzpunkt, um auch die Sozialpoli-
tik ein Stück weit mitzugestalten.


(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Eine weitere Maßnahme, mit der wir versuchen, dem
mündigen Bürger dabei zu helfen, Strom und Energie zu
sparen, ist das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das
wir weiter voranbringen werden. Der Eigentümer wird
für seine Anstrengungen Stück für Stück belohnt. Beim
CO2-Gebäudesanierungsprogramm haben wir schon viel
erreicht.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das reicht hinten und vorne nicht!)


In einem nächsten Schritt gehen wir die Mietrechts-
novelle an. Wir fordern Sie von Rot-Grün auf, in den
Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen, dafür zu
sorgen, dass die Möglichkeiten der steuerlichen Ab-
schreibung in den nächsten vier Wochen endlich auf den
Weg gebracht werden,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben hier einen Antrag eingebracht, und Sie haben ihm nicht zugestimmt, Herr Bareiß! Hören Sie endlich auf mit diesen Vorwürfen! Wir sind dafür, und Sie sind es nicht!)


damit die Investitionsblockade aufgelöst wird, sodass
wir beim Thema Energieeffizienz eine Politik aus einem
Guss machen und unsere Ziele erreichen können.

Eine weitere Maßnahme, mit der wir etwas für die
Verbraucher tun, ist die EEG-Umlage. In den letzten
Jahren haben wir – im Gegensatz zu Ihnen – den Kosten-
treiber Nummer eins angepackt. Wir haben dafür
gesorgt, dass die Kosten der Photovoltaik bzw. der So-
larenergie, die in den letzten Jahren massiv gestiegen
sind, Stück für Stück reduziert werden.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht die Photovoltaik ist der Kostentreiber, sondern Ihre verfehlte Politik! – Abg. Thomas Bareiß Karin Binder [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)





(A) (C)


(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721123600

Herr Kollege Bareiß, die Kollegin Binder von den

Linken würde gerne eine Zwischenfrage stellen.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721123700

Nein, danke.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721123800

Keine Zwischenfrage.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1721123900

Die grünen Umweltminister haben es in sieben Jahren

Rot-Grün nicht geschafft, die Kosten der Photovoltaik
zu senken.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hoch war denn die Umlage? Die lag 2005 bei unter 1 Cent! Jetzt ist sie bei 5 Cent! Sie haben sie in kürzester Zeit verfünffacht! Ein bisschen mehr Demut, Herr Bareiß!)


Die Einspeisevergütung haben Sie nur um knapp 10 Pro-
zent reduziert. Wir haben es geschafft, sie in drei Jahren
um über 50 Prozent zu reduzieren. So haben wir dafür
gesorgt, dass der Anteil der Solarenergie auf ein gesun-
des Maß zurückgeführt wurde. Für die Förderung, die
Sie damals aufgebaut haben, muss ein durchschnittlicher
Vier-Personen-Haushalt noch heute 100 Euro im Jahr
bezahlen. Das war der falsche Weg. Deshalb haben wir
dieses Thema angepackt.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es eine moderne Industrie mit vielen Arbeitsplätzen, die Sie jetzt wieder kaputt machen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum
Schluss möchte ich sagen: Markt und Wettbewerb loh-
nen sich. Jeder Stromkunde sollte sich seine Stromrech-
nung anschauen und die Möglichkeiten des Wettbewerbs
und des Marktes nutzen.

Ich kann nur jeden darauf aufmerksam machen: Die
Linken haben geschrieben, dass der Regelsatz für Strom
bei einem Verbrauch von 1 500 Kilowattstunden bei
30,42 Euro monatlich liegt. Wenn Sie den billigsten An-
bieter in Berlin nehmen, liegen Sie bei 27 Euro monat-
lich. Auch hier zeigt sich: Wenn man vergleicht, wenn
man den Wettbewerb auf dem Markt nutzt, dann steht
man auf der richtigen Seite und kann Geld sparen. Das
ist der richtige Weg.

Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721124000

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dirk

Becker das Wort.


Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1721124100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Frau Lay, in der Tat ist es ein ernstes Thema. Sie ha-
ben zu Beginn Ihrer Rede sehr plastisch dargestellt, wie
im Land die Realität für Familien aussieht. Umso bedau-
erlicher ist allerdings, dass Ihr Antrag Ihr Anliegen letzt-
lich auf eine einzige, sehr populistische Forderung ver-
kürzt, nämlich darauf, dass wir, der Deutsche Bundestag,
doch beschließen mögen, Strompreiserhöhungen auszu-
setzen. Das ist eine sehr einfache, eine sehr verkürzte
Antwort. Es ist der falsche Weg, den Menschen zu sa-
gen, es liege an uns. Wir müssen den Menschen doch
deutlich machen, was zum Beispiel diese Regierung ge-
macht hat, damit die Strompreise steigen und nicht sin-
ken. Das deutlich zu machen, sollte unsere Aufgabe sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Bareiß, bei all dem, was Sie sich schönrechnen
und schönreden – ich kann diese PV-Geschichte nicht
mehr hören –:


(Zuruf von der FDP: So ist es halt!)


Es gibt eine Reihe von politischen Entscheidungen die-
ser Regierung. Ich brauche nicht einmal die Vergangen-
heit zu bemühen. Was Sie hier heute Morgen beschlos-
sen haben, ist Röslers Preissteigerungsgeschenk an die
Wählerinnen und Wähler. Das ist Ihre Verantwortung.


(Beifall bei der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Preistreiber! – Zuruf von der FDP: Das steht in Relation zueinander!)


Frau Lay, ich finde es schade, dass Sie den Eindruck
erwecken, es liege an uns. Sie haben in Ihren Ausführun-
gen durchaus richtige Ansätze signalisiert.

Ich möchte eines in Richtung der Grünen sagen. Ich
finde die Passage in Ihrem Antrag, wie man mit dem
Thema Stromsperren umgehen muss, sehr gut. Wir un-
terstützen Ihren Antrag an dieser Stelle; denn er geht ins
Detail, er greift die Probleme auf und setzt auf die richti-
gen Lösungsansätze.


(Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


Aber, Kolleginnen und Kollegen, Strom bezahlbar zu
machen, heißt auch, erst einmal den Verbrauch in den
Griff zu bekommen. Ich kann die Sonntagsreden zu
Energieeffizienz nicht mehr hören. Hier werden uns ein
paar Miniprogramme schmackhaft gemacht, aber es
wird völlig verdrängt, dass es diese Regierung und die-
ses Wirtschaftsministerium waren, die alles unternom-
men haben, damit wir beim Thema Energieeffizienz
nicht vorankommen. Deutschland ist Bremser Nummer
eins in Europa.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])


Gerade das Thema Energieeffizienz – das weiß auch
so ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte wie Herr
Nüßlein – käme nicht nur den Privathaushalten zugute,
sondern auch der Wirtschaft. Darum kritisiert die Wirt-





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)


schaft Sie für Ihre Politik im Bereich der Energieeffi-
zienz.


(Zuruf von der FDP: Fangen Sie mit energetischer Gebäudesanierung an!)


– Dazu komme ich gleich. Das ist das Einzige, was Sie
haben.


(Zuruf von der FDP: Nein, wir haben noch mehr! – Weiterer Zuruf von der FDP: Die Leute hätten es gern!)


Wichtig für uns ist, dass wir das Thema Energieeffi-
zienz als Win-win-Situation zwischen den Verbrauchern
und der Wirtschaft begreifen. Die Wirtschaft fordert Sie
auf, mehr für die Energieeffizienz zu tun und


(Zuruf von der FDP)


ambitioniertere Ziele vorzusehen. Sie sagt: Wir sind
stark genug, wir haben die Technologie, ihr müsst uns
nur den Rahmen geben. – An der Stelle haben Sie total
versagt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Durch die Politik von Herrn Rösler zieht sich ein roter
Faden, angefangen beim Armutsgericht bis hin zur Ener-
gieeffizienz. Was aus seinem Haus kommt, ist einfach
regierungspolitischer Murks. Damit kommt dieser
Minister die Leute einfach teuer.

Ich sage Ihnen nur ein paar Punkte. Wir versuchen
seit längerem, Sie zu bewegen, etwas zu tun. Gebt den
Leuten nicht nur eine Energieberatung, sondern über Mi-
krokredite und Zuschüsse auch das Geld, um in Energie-
effizienz investieren zu können, habt aber auch den Mut,
die Befreiung der Unternehmen von gewissen Umlagen
an die Einführung von Energiemanagementsystemen zu
koppeln. Das alles sind Maßnahmen, die wir schon
längst hätten haben können,


(Beifall bei der SPD)


die unbestritten wirksam wären. Sie bremsen und blo-
ckieren.


(Zuruf von der FDP: Was sagen Sie jetzt zur Förderung der Energieeffizienz?)


Meine Damen und Herren, wir haben beim Thema
Energieeffizienz keine allzu gute Bilanz. Daher kommen
wir jetzt zum Strombereich.


(Zuruf von der FDP: Sagen Sie doch etwas zur Gebäudesanierung!)


Herr Bareiß hat ja versucht, deutlich zu machen, was
diese Regierung alles getan habe, um den Strompreis
oder die EEG-Umlage in den Griff zu bekommen. Doch
man kann das durchrechnen, Kolleginnen und Kollegen,
man kann sich anschauen: Wie kommen diese 5,2 Cent
EEG-Umlage zustande? Warum ist denn die EEG-Um-
lage für das laufende Jahr eigentlich geschönt worden?
Warum sind 2 Milliarden Euro nachzuholen? Warum hat
es eine Ausweitung der Befreiungstatbestände gegeben?
Das hat weder etwas mit internationalem Wettbewerb
noch mit Arbeitsplätzen zu tun,


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Aber mit dem Mittelstand!)


sondern war – das sage ich Ihnen – nur darauf angelegt,
die Basis derjenigen, die die EEG-Umlage zahlen müs-
sen, zu verkleinern. Sie wollen, dass die Leute von der
Energiewende angesichts steigender Preise irgendwann
die Nase voll haben. Das steckt doch bei Ihnen dahinter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!)


Auch aus Gründen der Energieeffizienz ist es einfach
widersinnig, beispielsweise die Obergrenze für die Be-
freiung von der EEG-Umlage von 10 Gigawatt auf 1 Gi-
gawatt abzusenken. Die Befreiung von der EEG-Umlage
hat zur Folge, dass Unternehmen heute mehr Strom ver-
brauchen, weil das für sie günstiger ist, als in Energie-
effizienz zu investieren. Ihre Politik wirft uns um vier
Jahre zurück; das ist einfach so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Klaus Breil [FDP])


– Vorsätzlich die Kosten hochtreiben? Wir müssen jetzt
nicht erneut über die Haftungsfrage bei Offshorewind-
parks und andere Dinge reden. Sie verlagern die Kosten
auf die Kleinen


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Ach was!)


und halten hier Sonntagsreden, was Sie für die Men-
schen tun. Das glaubt Ihnen doch keiner nach dem heuti-
gen Tag. Lesen Sie doch die Schlagzeilen der Zeitungen
über das, was heute Morgen hier beschlossen wurde! Le-
sen werden Sie noch können.


(Beifall bei der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was ist mit Ihrem Abstimmungsverhalten im Bundesrat?)


Jetzt zum Thema Gebäudesanierung.


(Beifall des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP] – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie wollten zu dem Thema nicht reden! – Zuruf von der FDP: Endlich!)


– Die FDP sagt: Endlich kommt er zum Thema Gebäu-
desanierung. – Dabei haben Sie bis heute verhindert,
dass im Wärmegesetz überhaupt etwas dazu vorliegt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie blockieren im Bundesrat!)


Sie bremsen beim Wärmegesetz von vorne bis hinten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt zum Thema Bundesrat. Die Bundesregierung sagt:
Wir geben weniger Geld aus für die Gebäudesanierung,
die Hälfte sollen künftig die Länder bezahlen; wir ma-
chen das über Abschreibungen, über Steuermodelle. –
Und dann wundern Sie sich, wenn die Länder sagen:
Stopp! Halt an der Bahnsteigkante! Könnt ihr vielleicht
vorher mit uns darüber reden?





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nein! Wir halten an der Politikkante!)


Jetzt frage ich Sie, welches Land, das von CDU bzw.
CSU und FDP regiert wird, hat denn an der Stelle ge-
sagt: „Das ist das böse Spiel der Sozis; die Roten blo-
ckieren“? Warum waren denn Ihre Ministerpräsidenten
dabei, als gesagt wurde: „Stopp! So geht es nicht“?


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das ist keine Frage der Farbenlehre, das hängt mit der
Art und Weise zusammen, wie Sie an das Thema heran-
gegangen sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das können die Länder insgesamt nicht mittragen. Es
passt hier nicht in dieses Wahlkampfgetöse, das sei eine
typische Aktion sozialdemokratisch regierter Länder.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: „Wahlkampfgetöse“, das passt zu Ihrer Rede, aber sonst zu nichts!)


Ich will zum Thema Gebäudesanierung eines ganz
klar sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in
Zukunft auch das Instrument der steuerlichen Abschrei-
bung prüfen müssen.


(Zurufe von der FDP: Ach! Machen!)


Ich bin dabei, wenn gesagt wird, dass wir einen Instru-
mentenmix brauchen werden. Aber dieser Instrumenten-
mix heißt auch, dass die anderen Instrumente, für die Sie
als Bundesregierung Verantwortung haben, ernst genom-
men werden.

Wie ist es denn mit dem Wärmegesetz? Sie haben den
Erfahrungsbericht bis heute nicht vorgelegt. Sie blockie-
ren die Fortentwicklung des Wärmegesetzes, weil Herr
Rösler, Herr Altmaier und Herr Ramsauer sich nicht ei-
nig werden. Das heißt, im Bereich der Fortentwicklung
des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ist null pas-
siert. Sie blockieren an dieser Stelle. Auch hier steht die
deutsche Wirtschaft, stehen die Unternehmen der Hei-
zungstechnologien Gewehr bei Fuß und sagen: Wann
kommt ihr endlich mit diesem Gesetz? Wir haben riesige
Potenziale. – Mit modernen, ökologischen Wärmesyste-
men können wir die Menschen von steigenden Kosten
für fossile Brennstoffe unabhängig machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle bremsen Sie die Menschen aus. Damit
tragen Sie Verantwortung dafür, dass die Menschen ihre
Heizkosten nicht in den Griff bekommen können.

Ich danke der Fraktion der Linken, dass wir über das
Thema debattieren können. Ihrem Antrag können wir,
wie ich schon sagte, leider nicht folgen. Ich werbe aber
für die Unterstützung des Antrags der SPD.

Mein dringender Appell an diese Regierung: Nehmen
Sie dieses Thema ernster, als Sie es hier eben getan ha-
ben!


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die SPD im Bundesrat, sage ich nur!)


Ein bisschen Larifari – ein Salatblatt hier, ein Salatblatt
da – reicht nicht, um den Menschen deutlich zu machen:
Wir nehmen euch mit euren Problemen bei den Energie-
kosten ernst.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721124200

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Professor Dr. Erik Schweickert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1721124300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Keiner wird abstreiten, dass
steigende Strompreise ein Problem sind. Natürlich wä-
ren niedrigere Strompreise besser. Aber, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von SPD und Grünen, die wahren
Strompreistreiber sitzen in Ihren Reihen;


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


denn die hohen Strompreise sind das Resultat einer ver-
fehlten Energiepolitik von Rot und Grün. Die EEG-Um-
lage ist Ihr Werk. Die Verbraucher müssen heute die Ze-
che dafür bezahlen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht so!)


Deshalb bin ich der Meinung: Das EEG ist nicht zu-
kunftsfähig. Wir müssen weg von der Überförderung der
erneuerbaren Energien; denn die Energiewende darf
nicht auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Ver-
braucher ausgetragen werden.


(Beifall bei der FDP)

Frau Lay, die Antwort auf die Überförderung der er-

neuerbaren Energien kann aber nicht sein, auf der ande-
ren Seite Sozialtarife für sozial schwache Verbraucher zu
subventionieren


(Caren Lay [DIE LINKE]: Super Idee!)

oder gar Stromsperren zu unterbinden; denn es kann
nicht sein, dass derjenige, der noch ordentlich bezahlt,
am Ende der Dumme ist. Es kann nicht sein, dass man
sich ohne Konsequenzen einen schlanken Fuß machen
kann. Das trifft die Mitte unserer Gesellschaft, jene Leis-
tungsträger, die jeden Tag ordentlich arbeiten, ordentlich
zahlen und das Land voranbringen.

Die Verbraucherzentrale NRW hat als Alternative zur
Stromsperre einen Prepaid-Zähler ins Gespräch ge-
bracht. Ich finde, diese Idee ist sehr überlegenswert;
denn dies würde nicht nur einen Betrag zur Kosten- und
Verbrauchstransparenz leisten, sondern es könnten auch
die Kosten für die Sperrung und die Wiederanmeldung
vermieden werden, die nicht selten deutlich höher sind
als die Stromschuld an sich.





Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


Von diesem besonderen Problem einmal abgesehen:
Wir wollen das System reformieren, um aus dieser Ener-
gieplanwirtschaft endlich eine effiziente und verbrau-
cherfreundliche Energiemarktwirtschaft zu machen.


(Beifall bei der FDP)


Für den weiteren Zubau an erneuerbaren Energien
muss dann klargestellt werden, dass sie sich am Markt
beweisen müssen und dass sie den Strompreis langfristig
über staatliche Dauersubventionen nicht künstlich ver-
teuern dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Vorschläge stehen bereit. Kurzfristig schlägt
Ihnen die FDP vor, die Stromsteuer in Höhe der auf die
EEG-Umlage entfallenden Mehrwertsteuereinnahmen
aufkommensneutral abzusenken. Das schafft dann eine
schnelle Entlastung für die Verbraucher.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann bringen Sie das doch einmal zur Abstimmung ein!)


Wir Liberale gehen aber noch weiter. Wir haben im
Gegensatz zu denen, die lauthals rufen, ein Alternativ-
konzept vorgelegt. Wir schlagen Ihnen die Umstellung
auf ein Mengenmodell vor; denn wir wollen, dass Ener-
gieerzeuger, Stromhändler und Endkunden verpflichtet
werden, einen festgelegten Anteil des Stroms aus erneu-
erbaren Energien zu erzeugen bzw. zu beziehen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1721124400

Herr Kollege Schweickert, Frau Kollegin Lay würde

Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1721124500

Selbstverständlich.


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721124600

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie haben ja von der

Energiemarktwirtschaft gesprochen. Ich möchte gerne
von Ihnen wissen, wie es sich mit der Energiemarktwirt-
schaft verträgt, dass die vier großen Energiekonzerne
noch immer über 80 Prozent des Marktes monopolisie-
ren. Wie verträgt es sich mit der Marktwirtschaft, dass
die Verbraucherinnen und Verbraucher für die massen-
haften Industrierabatte zugunsten der energieintensiven
Industrie aufkommen müssen? Wie verträgt es sich mit
der Energiemarktwirtschaft, dass jetzt die Unternehmen
von der Haftung – wir haben das heute Morgen im Zu-
sammenhang mit den Offshoreanlagen beschlossen – be-
freit werden und die Kosten ebenfalls den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern aufgebürdet werden? Wie
verträgt sich all das mit Ihren Vorstellungen von einer
Marktwirtschaft?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1721124700

Frau Kollegin Lay, nach Fukushima haben wir in die-

sem Haus mit einer sehr breiten Mehrheit die Energie-
wende beschlossen. Das war gesellschaftlicher Konsens.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das war auch schon vorher gesellschaftlicher Konsens!)


Diese Energiewende kann nur dann vorankommen,
wenn wir auch dafür sorgen, dass zum Beispiel Strom
aus Windkraft aus dem Offshorebereich, der grundlastfä-
higer ist als Strom aus dem Onshorebereich, in das Netz
kommt. Wir sehen, dass hier Risiken vorliegen. Wenn
wir wollen, dass dieser Umstieg gelingt, dann müssen
wir da herangehen.

Sie haben gefragt – das war Ihre zweite Frage –, wie
sich das Ganze mit den Ausnahmen verhält. Darauf sage
ich Ihnen ganz offen: Auch mir sind die Ausnahmen, die
es gibt, zu viele. Deswegen überprüft ja gerade die Bun-
desnetzagentur, inwieweit man hier die Kriterien neu be-
rechnen kann. Aber es waren doch nicht wir, die diese
Ausnahmen in das EEG geschrieben haben. Der Trittin-
Soli und die Ausnahmen vom Trittin-Soli wurden zu rot-
grünen Zeiten beschlossen.


(Beifall bei der FDP)


Ich sage Ihnen: Wir müssen dafür sorgen, dass die
Kunden kein unnötiges Geld ausgeben; denn wir haben
den Zustand, dass durch die Anlagen im Bereich der er-
neuerbaren Energien zwar Strom erzeugt wird, dieser
aber nie in das Netz eingespeist wird und nie bei den
Kunden ankommt. Das, liebe Frau Lay, wird der Punkt
sein, an dem wir ansetzen; denn dieser untragbare Zu-
stand muss beendet werden. Dann fallen die Probleme
weg, die wir hier oft genug beklagen und für die wir als
christlich-liberale Regierung die Lösungen haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721124800

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721124900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich

2005 in den Bundestag gekommen bin, habe ich gesagt:
Ich nehme mir die Energiepreise vor und gucke mir sehr
genau an, wie sich die Gewinne der großen Energiekon-
zerne entwickeln. Die Gewinne der großen Energiekon-
zerne, Herr Schweickert, sind in der Tat explodiert. 2002
erzielten die vier großen Energiekonzerne einen Gewinn
von insgesamt 6 Milliarden Euro, 2010 waren es 30 Mil-
liarden Euro. Das ist die Situation, das ist der Grund, wa-
rum die Preise gestiegen sind – nicht mehr und nicht we-
niger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])


Ich finde, wir mussten diesen Anstieg beenden, und es
ist gut, dass wir ihn beendet haben – gerade auch durch
den Ausstieg aus der Atomkraft.

Herr Schweickert, Sie haben sich hier hingestellt und
gesagt, das EEG sei durch uns so aufgebläht worden,
dass der Strom so teuer geworden sei. Gucken Sie doch





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)


einmal hin! 2005, als die rot-grüne Regierung beendet
worden ist, lag die EEG-Umlage bei unter 1 Cent pro
Kilowattstunde.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Preis mal Menge!)


Heute, unter Ihrer Regierung, liegt sie bei über 5 Cent
pro Kilowattstunde. Hören Sie also auf, uns für die über-
zogenen Kosten Ihres Wirtschaftsministers Rösler ver-
antwortlich zu machen! Dafür sind Sie allemal selbst
verantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Klaus Breil [FDP]: Kennen Sie die Wirkungszusammenhänge nicht?)


Deswegen will ich auch sehr wohl etwas zu den Ausnah-
men sagen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721125000

Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schweickert?


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Einer der Preistreiber!)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721125100

Ja, gerne.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1721125200

Frau Kollegin Höhn, vielen Dank. – Ich habe eine

Frage an Sie. Sie bekommen für Ihre Wohnung hier in
Berlin doch sicherlich auch eine Rechnung von Vatten-
fall; das ist ja hier ein großer Anbieter.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721125300

Nein, anders als Sie bin ich nicht bei Vattenfall.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1721125400

Okay. – Wenn Sie sie bekämen, könnten Sie anhand

einer Auflistung erkennen, wie sich die Stromkosten
aufteilen.

Deswegen lautet meine Frage an Sie: Ist es richtig,
dass die Ausnahmen, die Sie hier jetzt anprangern, einen
marginalen Anteil von 0,x Prozent an den Stromkosten
ausmachen, während im Gegensatz dazu die EEG-Um-
lage einer der Hauptpreistreiber ist? Stimmen Sie mir
hier zu, oder stimmen Sie mir nicht zu?


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721125500

Nein, da stimme ich Ihnen keineswegs zu. Als Rot-

Grün im Jahre 2005 die Ausnahmen eingeführt hat, gab
es für 250 Unternehmen Ausnahmen. Diese Zahl ist auf-
gebläht worden. Für nächstes Jahr haben über 2 000 Un-
ternehmen eine Ausnahme beantragt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Beantragungen!)


Die Zahl wird von 250 auf 2 000 steigen. Das ist der
Politik Ihres Wirtschaftsministers Rösler geschuldet –
nicht mehr und nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Preistreiber!)


Für 50 Prozent des Wirtschaftsstroms wird mittler-
weile keine EEG-Umlage mehr gezahlt, da die entspre-
chenden Unternehmen davon ausgenommen sind. Des-
halb ist das nicht mehr die Ausnahme, sondern die
Regel. Sie belasten die kleinen, mittelständischen Unter-
nehmen, die Handwerker.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es! Schämt euch! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Pfui!)


Das ist die Politik der FDP – nicht mehr und nicht weni-
ger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Beantragung und Genehmigung?)


– Es geht nicht um Beantragung und sonst etwas, son-
dern schon jetzt sind es 800 Ausnahmen, und im nächs-
ten Jahr werden es mindestens 1 800 bis 2 000 sein.

Deshalb sage ich zu den Durchleitungsgebühren für
die Nutzung der Netze: Auch das, was Herr Rösler in
diesem Punkt macht, ist eine absolute Unverschämtheit.
In diesem Jahr gibt es für 1 400 Unternehmen eine Aus-
nahme, für das nächste Jahr haben weitere 1 600 Unter-
nehmen eine Ausnahme beantragt. Ich sage: Hier erle-
ben wir eine Klientel- und Lobbypolitik zulasten der
Verbraucher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721125600

Kollegin Höhn, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, in diesem Fall von der Kollegin Homburger?


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721125700

Aber bitte, gerne, Frau Homburger.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragenstellen gilt nicht!)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1721125800

Frau Kollegin Höhn, meine erste Frage: Stimmen Sie

mir zu, dass es einen Unterschied zwischen einer Geneh-
migung und einer Beantragung gibt?

Meine zweite Frage: Sind Sie sich sicher, dass es der-
zeit 800 Unternehmen sind? Ist es nicht vielmehr richti-
ger, dass es exakt 735 Unternehmen sind?

Meine dritte Frage, Frau Kollegin Höhn: Trifft es zu,
dass diese 735 Unternehmen, für die derzeit eine ent-
sprechende Ausnahme gilt, ausschließlich auf der
Grundlage eines Rechts ausgenommen sind, das Sie be-
schlossen haben?


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721125900

Nein, Frau Homburger, da stimme ich Ihnen nicht zu;

denn das, was wir damals beschlossen haben, war etwas
wesentlich anderes. Wir haben damals wirklich nur die
energieintensiven Betriebe ausgenommen, indem wir ei-
nen Verbrauch von mindestens 10 Gigawattstunden und
einen Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöp-
fung von mehr als 20 Prozent gefordert haben. Sie haben
die Grenze von 10 Gigawattstunden dagegen auf 1 Giga-
wattstunde gesenkt und nur einen Anteil der Stromkos-
ten von über 14 Prozent verlangt. Das führt genau dazu,
was Herr Becker angesprochen hat. Wenn Unternehmen
merken, dass sie knapp unter der 14-Prozent-Schwelle
liegen, dann lassen sie die Motoren über Weihnachten
wirklich wie verrückt laufen, um über diese 14 Prozent
zu kommen. Dann können sie für beispielsweise 3,5 Gi-
gawatt, die sie verbrauchen, die Ausnahmen beantragen.
Das ist die Situation. Das ist der Punkt: Es geht nicht um
Energieeinsparung, sondern darum, Energie zu ver-
schwenden, um in den Genuss der Ausnahmeregelung
zu kommen. Dafür sind Sie verantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Pfui! Schämt euch! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist ja hanebüchen!)


Was wir nicht machen können, ist, dass wir bei jeder
Strompreiserhöhung hingehen und sagen: Wir werden
helfen, indem wir die Erhöhung durch Subventionen ge-
genfinanzieren. – Der Antrag der Linken scheint auf den
ersten Blick den Betroffenen zu helfen. Das wird aber
nicht funktionieren. Es wird sogar zu einem Effekt füh-
ren, der dem entgegengesetzt ist, den sie erzielen wollen.
In der Summe wird das dazu führen, dass die großen
Energieversorger genau das, was durch Subventionen
gegenfinanziert wird, in die eigene Kasse wirtschaften,
sich bei den Verbrauchern aber kein positiver Effekt ein-
stellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in mehreren Studien – ich freue mich, dass
Sie unsere Studien so gut lesen; Sie haben ja die entspre-
chenden Zahlen präsentiert – nachgewiesen, dass die
großen Energiekonzerne Ersparnisse aus Kostensenkun-
gen gerne für sich behalten, aber Kostenerhöhungen im-
mer gern an die Verbraucher weitergeben. Deshalb wird
eine solche Subventionierung nicht funktionieren. Sie
wird am Ende den Staat sogar überfordern;


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! – Widerspruch der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


denn nach der ersten Subventionierung wird sofort die
nächste Preiserhöhung kommen. Dagegen kommen Sie
nicht an. Die Lösung ist einfach: „Einsparen, einsparen,
einsparen“. Jede eingesparte Kilowattstunde ist besser
und billiger als eine verbrauchte Kilowattstunde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb muss ich auch sagen, Herr Bareiß: Das, was
Sie hier von der Bundesregierung Richtung Einsparun-
gen gemacht haben, ist unter aller Sau.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Kinderkram!)


De facto haben Sie das ganze Thema Energieeffizienz
nicht angepackt. Wir müssen ja im Prinzip davon ausge-
hen, dass es bei den Leuten, die von den Energiekosten
verstärkt betroffen sind, nicht nur um die Kosten für
Strom geht, sondern auch um die Kosten für Kraftstoff
und auch um die Kosten für Wärme geht. Wenn man
sich all das einmal ansieht, dann kann man nur sagen:
Sie haben die Energieeffizienzrichtlinie nicht richtig um-
gesetzt. Herr Rösler hat sie verwässert. Das ist der
Punkt. Die Energieeffizienzrichtlinie ist nicht ehrgeizig
umgesetzt worden.

Ein anderes Thema ist die Besteuerung des CO2-Aus-
stoßes bei Autos. Sie sind diejenigen, die für die
Spritschlucker aus Deutschland kämpfen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja, Baden-Württemberg!)


Und bei dem Energieeffizienzfonds, den Sie ein-
gerichtet haben, werden die Mittel noch nicht einmal
vollständig abgerufen. 2011 standen Haushaltsmittel in
Höhe von 70 Millionen Euro zur Verfügung, davon sind
3 Millionen Euro abgerufen worden. 2012 standen Haus-
haltsmittel in Höhe von 35 Millionen Euro zur Verfü-
gung, davon sind nur 3 Millionen Euro abgerufen wor-
den. Warum wurde nicht mehr abgerufen? Weil die
Förderrichtlinie nicht verabschiedet worden ist. Sie wol-
len keine Energieeffizienz. Das ist doch der Punkt. Das
geht so nicht weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch wir wollen in der Tat den Betroffenen helfen,
aber nicht mit Sozialtarifen, sondern wir wollen Spar-
tarife. Wir wollen immer eine Einsparkomponente da-
beihaben; denn wir werden nur dann das Problem lösen,
wenn wir wirklich sagen: Wir wollen einsparen. Wir
wollen weg vom Öl. Wir müssen uns von den teuren
Energiekosten abkoppeln. Das können wir nur dadurch,
dass wir wirklich Energie einsparen. Das muss der Weg
sein; denn nur er wird zum Erfolg führen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721126000

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721126100

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren!

Liebe Frau Höhn, „unter aller Sau“ ist nun nicht die For-
mulierung, die ich hier an diesem Pult wählen würde.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich komme aus dem landwirtschaftlichen Bereich!)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Aber wenn ich sie wählen würde, würde ich sie auf diese
Haltet-den-Dieb-Debatte beziehen, die die Grünen hier
abziehen, auf diese Feigenblattdiskussion, die Sie hier
führen. Uns die Kostensteigerungen aus dem Bereich der
erneuerbaren Energien einfach so mir nichts, dir nichts
in die Schuhe schieben zu wollen,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch so! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ist doch richtig! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ist doch so!)


das ist, wenn Sie so wollen, unter aller Sau.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zunächst einmal komme ich zu dieser Mär, die im
Zusammenhang mit der EEG-Umlage verbreitet wird:
Es geht um 5,227 Cent. Von diesen 5,227 Cent geht
1 Cent auf die Befreiungen von der EEG-Umlage zu-
rück. Von diesem 1 Cent geht 0,1 Cent zurück auf die
Befreiungstatbestände, die wir zum 1. Januar dieses Jah-
res neu beschlossen haben.


(Dirk Becker [SPD]: Das wissen wir doch!)


Die übrigen 0,9 Cent beziehen sich ausschließlich auf
die Rechtsgrundlage, die Sie seinerzeit unter Herrn
Trittin geschaffen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


So viel Anstand muss doch sein, dass man das zunächst
einmal zur Kenntnis nimmt und dass man dann sagt: Ja-
wohl, das haben wir richtig gemacht. – Im Übrigen ha-
ben das Herr Trittin und andere mehrfach so gesagt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721126200

Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Höhn?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721126300

Herzlich gerne.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721126400

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben zu Recht eben die

richtige Zahl genannt. Die Kosten für die gesamten Aus-
nahmen im EEG betragen 4,4 Milliarden Euro. Das ent-
spricht ungefähr 1 Cent. Geben Sie mir recht, dass die
Aufblähung um 4 Milliarden Euro auf jetzt 4,4 Milliar-
den Euro Wirtschaftsminister Glos, sein Nachfolger zu
Guttenberg, der Wirtschaftsminister Brüderle und sein
Nachfolger Rösler verursacht haben? Ist das richtig, ja
oder nein?


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Nein!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721126500

Wenn Sie formulieren, dass wir das nicht geändert ha-

ben, was Sie seinerzeit ins Gesetz geschrieben haben,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ja verändert!)


weil es richtig war, was Sie ins Gesetz geschrieben ha-
ben,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


dann würde ich das an Ihrer Stelle nicht beklagen. Da
geht es nicht um die Frage, wer verantwortlich ist. Wir
sind dafür, diese Befreiungen zu machen. Dahinter ste-
hen wir auch, mit Verlaub. Es ist doch richtig, die ener-
gieintensive Industrie in diesem Land zu befreien.


(Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)


– Sie dürfen gern noch stehen bleiben, ich bin immer
noch bei der Beantwortung Ihrer Frage.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie beantworten ja gar nicht mehr meine Frage!)


Es ist also richtig, die energieintensive Industrie von den
Kosten für die Umlage zu befreien. Wenn die Wirt-
schaftsminister das mittragen, ist es doppelt richtig. Das
ist Aufgabe eines Wirtschaftsministers, für entspre-
chende Befreiungen zu sorgen.

Sie geben auch zu, dass wir über diesen 1 Cent reden.
Sie tun aber so, als seien die 5,227 Cent Ausnahmetatbe-
ständen geschuldet. Das ist eben falsch. Geschuldet sind
diese 5,227 Cent im Wesentlichen eben der Tatsache,
dass Sie mit der Photovoltaik zu früh und zu teuer an den
Markt gegangen sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage nicht, dass die Photovoltaik darin nichts verlo-
ren hätte, aber Sie haben es zu früh und mit 50 Cent zu
teuer gemacht. Davon wieder herunterzukommen, ist das
mühsame Unterfangen, dem wir uns die ganze Zeit stel-
len mussten. Wir mussten dafür sorgen, dass das ging –
gegen Widerstände, gegen Schwierigkeiten.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Och, Sie Armer!)


Wir standen auch vor der Problematik, dass – das se-
hen wir selbst – man nicht mittendrin einen Stopp ma-
chen kann, weil dann, wenn man alles infrage stellt, man
die Branche an die Wand fahren ließe. Aber wenn Sie es
nicht zu früh und zu teuer gemacht hätten, wäre die Welt
in dieser Hinsicht eine ganz andere, und wir würden
nicht über die – wenn Sie so wollen – 4,2 Cent reden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721126600

Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Fell? Das hätte den Vorteil, dass
ich die Uhr wieder anhalten könnte, weil sich die Kolle-
gin Höhn hingesetzt hatte und ich die Uhr weiterlaufen
lassen musste.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721126700

Herzlich gern, aber ich wundere mich, dass sich die

Kollegin während der Beantwortung ihrer Frage einfach
hinsetzt und sagt: Aus meiner Sicht ist die Frage jetzt be-
antwortet. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben meine Frage ja nicht mehr beantwortet! – Olav Gutting [CDU/CSU]: Kein Stehvermögen!)


Lassen Sie mich den einen Gedanken noch formulie-
ren, dann darf der Kollege Fell die Frage stellen.

Sie haben eine Befreiung für die energieintensive In-
dustrie bei Differenzkosten von 0,2 Cent eingeführt.
Heute sind wir beim 26-fachen dessen. Und Sie lamen-
tieren, dass wir zusätzlich noch einen kleinen, energiein-
tensiven Teil des Mittelstands in die Ausnahmeregelung
aufgenommen haben.

Kollege Fell, jetzt freue ich mich auf Ihre Frage.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721126800

Dann hat jetzt der Kollege Fell das Wort.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721126900

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben gerade behauptet,

dass die Struktur des EEG, das damals unter Rot-Grün
gesetzt und verabschiedet wurde und das bis heute wei-
tergilt, die derzeitigen Preissteigerungen verursachen
würde.

Ist Ihnen bekannt, dass es, seitdem Rot-Grün nicht
mehr an der Regierung ist, mehrfach Gesetzesnovellen
gab? Unter anderem wurde beispielsweise der Umlage-
mechanismus 2009 verändert, was dazu geführt hat, dass
der Ökostrom an der Börse aufläuft und damit die Merit
Order sinkt. Indem also die Basis für die Berechnung der
EEG-Umlage um 0,9 Cent gesenkt wurde, kam es zu ei-
nem Aufschlag bei der EEG-Umlage um 0,9 Cent. Dies
ist nicht unter Rot-Grün gemacht worden.

Ist Ihnen bekannt, dass es eine Befreiung von Eigen-
stromerzeugungsanlagen gegeben hat, wodurch sogar
ganze Unternehmen Dreckschleudern wie Kohlekraft-
werke ans Netz genommen haben? Auch solche Befrei-
ungstatbestände haben zu einer deutlichen Erhöhung der
EEG-Umlage geführt.

Ist Ihnen bekannt, dass die Liquiditätsreserve auf ein
Maß erhöht wurde, das nicht notwendig ist, aber wo-
durch die EEG-Umlage nach oben getrieben wurde?

Es gibt eine große Menge zusätzlicher Folgen, die Sie
seit dem Ende von Rot-Grün in Ihren verschiedenen
EEG-Novellen verursacht haben. In einem Jahr ist die
EEG-Umlage nun um etwa 1,7 Cent gestiegen, wobei
der Zubau erneuerbarer Energien davon nur 0,5 Cent
ausmacht. Die restlichen 1,2 Cent gehen auf Ihre ver-
fehlten Novellierungen der EEG-Umlage zurück und
sind damit eindeutig der Preistreiberei der schwarz-gel-
ben Koalition geschuldet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1721127000

Herr Kollege Fell, ich hätte mich sehr gefreut, wenn

Sie den entscheidenden Punkt, den EEG-Berechnungs-
mechanismus, angesprochen hätten, ohne dabei unnöti-
gerweise Schuldzuweisungen vorzunehmen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Ihre Novelle gewesen!)


Ich bin nämlich der Überzeugung, dass der EEG-
Berechnungsmechanismus überarbeitet werden muss,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


weil mit dem zusätzlichen Aufkommen an erneuerbaren
Energien in der Tat der Druck auf die Börse wächst. Das
ist der Merit Order bzw. der Tatsache geschuldet, dass
wir bei Wind- und Solaranlagen keine variablen Kosten
haben. Der Druck auf die Börse, der dabei entsteht, führt
dann dazu, dass sich die Differenzkosten auch in
Zukunft auseinanderentwickeln, egal wie stark der
Druck ist, den wir auf die Vergütungssätze ausüben.
Deshalb muss in diesem Punkt in der Tat eine Überarbei-
tung stattfinden.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch schon seit Jahren! Warum haben Sie es nicht gemacht?)


– Wenn Sie das wissen, ist das schön. Der entscheidende
Punkt ist aber: Wir müssen es letztendlich auch machen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann machen Sie es auch endlich!)


Das ist nicht einfach, weil sofort die Sorge entsteht, wir
wollten an der Stelle tricksen. Das wollen wir nicht, son-
dern wir wollen letzten Endes, wie es der Kollege Fell,
den ich als sehr honorig schätze, die richtigen Differenz-
kosten benennen. Das muss unser Anliegen sein. Es darf
nicht automatische Strompreiserhöhungen durch die
Versorger geben. Deshalb nehme ich diesen Ball gerne
auf, spiele ihn weiter und sage: Lassen Sie uns das
Thema weiter verfolgen. Mit mir kann man immer re-
den, meine Damen und Herren, wenn man das Thema
fair angeht.

Aber uns wie heute Morgen in der Offshoredebatte in
die Schuhe zu schieben, wir seien erkennbar die Kosten-
treiber,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es ja! – Zurufe von der SPD)


ist – darin geben Sie mir doch sicherlich recht – Quatsch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wer hat denn, mit Verlaub, seinerzeit dafür gesorgt? Das
war doch Sigmar Gabriel. Ich war bei den Verhandlun-
gen dabei. Er hat dafür gesorgt, dass wir die Verpflich-
tung zum Anschluss von den Projektanten weg zu den
Netzbetreibern verlagert haben. Die Netzbetreiber wur-
den zwangsweise beauflagt, das zu tun. Jetzt können wir
doch nicht einfach darauf verzichten, Risikoteilungsre-
gelungen zu schaffen, und sie in Insolvenz gehen lassen.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Ich kann mir vorstellen, was Sie dann zu dem Thema
gesagt hätten. Ein Aufschrei wäre durch die Reihen ge-
gangen: Da sieht man es mal wieder! Die wollen die
Energiewende nicht! – So einfach machen Sie es sich
nämlich üblicherweise.

Das ist alles komplett Nonsens. Sie wissen, dass es
technisch sehr aufwendig ist, wenn man Offshorewind-
kraftanlagen bis zu 150 Kilometer vor der Küste errich-
tet – das macht übrigens niemand außer uns so –, und
Geld kostet. Wenn man dafür ist, die Anlagen so weit
draußen zu errichten, dann kann man doch nicht so tun,
als könne man nichts für die Kosten. Das muss man auch
in aller Klarheit sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was die ganze Debatte um Einsparungen beim Strom
angeht, sollten Sie einen Blick in die Statistiken werfen,
die die Realität zeigen. Die Einsparungen beim Strom
sind minimal und vernachlässigbar.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie mal Herrn Altmaier! Er erzählt etwas anderes!)


Ich bin froh, dass es uns gelingt, Wirtschaftswachstum
und Anstieg beim Stromverbrauch zu entkoppeln. Das
ist schon eine grandiose Leistung.

In der Tat – das stimmt – liegt das große Potenzial der
Energieeffizienz bei der Wärme. Ich will es nicht ständig
wiederholen – Sie haben es schon oft genug gehört –,
aber weil Sie offenkundig nichts tun, sage ich Ihnen:
Wenn Sie etwas für die Energieeffizienz tun wollen,
dann sorgen Sie dafür, dass sich die Länder an der Stelle
bewegen und dass das steuerlich endlich vorankommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch ein paar Sätze zu dem, was ich von der Linken
gehört habe. Ich hatte schon lange gewartet, dass die
Ideen kommen, was man jetzt alles tun müsste, etwa
Sozialtarife einzuführen und anderes. Jetzt kommt der
Druck von unten, von der anderen Seite. Auch da führen
wir eine Verteilungsdiskussion. Ich kann an Ihren Aus-
führungen nicht erkennen, nach welchen Kriterien Sie
regeln wollen, dass die einen den Strom bezahlen und
die anderen nicht.


(Zurufe von der LINKEN)


Vielleicht müssen diejenigen, die die Linke wählen,
nicht bezahlen. Ich weiß es nicht. Erklären Sie es mir!
Nach welchem Kriterium soll der eine Blödmann den
Strom bezahlen, während der andere sagen darf: Das
mag ich nicht; das kann ich nicht; das tue ich nicht. –
Das erschließt sich mir in keinster Weise.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Zum Steuerzahler sagen Sie „Blödmann“! Nüßlein, das geht doch nicht! Halten Sie die Steuerzahler für blöd? Wer sein Geld zahlt, ist doch kein Blödmann!)


– Ein Blödmann ist in dieser Geschichte der eine, der
zahlt, wenn der andere nicht zahlen muss. Das bezeichne
ich in meiner Sprache als Blödmann, und das ist er nur

nach Ihrem System. Ich bin der Meinung, dass diejeni-
gen, die ordnungsgemäß zahlen, die Anständigen sind.
Denjenigen, die eine Mahnung mit entsprechender An-
drohung bekommen – so ist nämlich die Rechtslage –
und nach vier Wochen immer noch nicht zahlen, klemmt
man in Deutschland kurzfristig den Strom ab. Ich sage
ausdrücklich „kurzfristig“, weil das relativ schnell zu-
rückgenommen wird.

Ich weiß nicht, warum Sie jetzt plötzlich Energie-
versorger zu Sozialhilfeträgern deklarieren wollen.


(Zurufe von der LINKEN)


Das erschließt sich mir in keinster Weise. Nach unserem
Verständnis ist der Sozialhilfeträger für diejenigen zu-
ständig, die nicht zahlen können. Das ist beim Arbeits-
losengeld II bzw. bei der Sozialhilfe einkalkuliert und
wird mit überwiesen. Mit dem Geld kann man dann den
Strom bezahlen.


(Zurufe von der LINKEN)


Die Energieversorger und andere sind dafür nicht verant-
wortlich.

Ich wünschte mir, dass wir zum Thema Zahlungs-
moral eine andere Einstellung entwickeln.


(Zuruf der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


Bei manchen Herrschaften in dieser Republik fehlt es da
gewaltig – das muss man einmal sagen –, weil man es
nicht sanktioniert. Die Versorger haben die Chance, die-
ses Verhalten zu sanktionieren, indem sie den Strom
kurzfristig abschalten. Dann wird bezahlt. Das zeigt die
Erfahrung. Das ist auch gut so, weil die anderen auch be-
zahlen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721127100

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Klaus Breil

das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1721127200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die Opposition versucht, uns mit ihrem Antrag
weiszumachen, dass allein die Befreiung für Unterneh-
men Grund für die hohen Strompreise ist.


(Dirk Becker [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht! Einmal lesen!)


Auch Herr Kelber – leider ist er nicht mehr anwesend;
vorhin saß er hier noch – hat das diese Woche schon wie-
der per Twitter in die Welt posaunt. Diese Causa Kelber
möchte ich Ihnen einmal erklären.

Herr Kelber vermischt – wahrscheinlich weil er es
nicht besser weiß – zwei Sätze in Abs. 2 der besagten
Verordnung. Der eine, der zweite Satz, räumt tatsächlich
eine komplette Befreiung für solche Unternehmen von
Netzentgelten ein, die bestimmte Voraussetzungen erfül-
len. Sie müssen 7 000 Stunden pro Jahr Strom abnehmen





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)


und das in einem Umfang von 10 Gigawattstunden. Da-
mit erbringen diese Unternehmen eine Dienstleistung.
Sie stabilisieren das Netz durch eine bessere Vorherseh-
barkeit. Durch das wiederholte Behaupten von Herrn
Kelber aber, dass der Golfplatz, von dem er immer
spricht, vollständig von den Netzentgelten befreit wäre,
glaubt heute jeder, ein Golfplatz verbrauchte so viel
Strom wie eine Aluminiumhütte.


(Dirk Becker [SPD]: Quatsch! Glauben Sie vielleicht! Meine Güte!)


Glauben sie mir: Das ist nicht so.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, was Herr Kelber meinte, wovon sein Golfplatz
Nutzen hatte, ist der erste Satz von Abs. 2 der Verord-
nung. Danach können die Unternehmen, die durch Last-
management bei ihrer Höchstlast Hochlastzeiten des
Netzes vermeiden, individuelle Netzentgelte mit ihren
Verteilnetzbetreibern aushandeln. Diese individuellen
Netzentgelte variieren je nach Spannungsebene und Bei-
trag zur Stabilisierung zwischen 20 und 99 Prozent der
veröffentlichten Netzentgelte.

Herr Kelber kann jetzt argumentieren, dass sein Ein-
wand bestehen bleibe und der Golfplatz keinem interna-
tionalen Wettbewerb ausgesetzt sei. Das trifft aber auf
das Amos-Comenius-Gymnasium in Bonn, den Caritas-
verband für die Stadt Bonn, das Seniorenheim ELIM in
Bonn und die Bonner Zeitungsdruckerei auch nicht zu.
Diese vier Unternehmen aus dem Wahlkreis von Herrn
Kelber haben ebenso wie besagter Golfclub einen An-
trag auf individuelle Netzentgelte gestellt. Ich möchte
sehen, was Herr Kelber als Aufsichtsratsmitglied beim
Mutterunternehmen SWB des Netzbetreibers, der diese
Verträge abschließt, den Menschen vor Ort sagen wird.
Sagt er wirklich: „Ihr, Schule, Kirche, Seniorenheim,
Printmedien, auch wenn ihr mit euren Maßnahmen zur
Stabilisierung des Netzes beitragt, bekommt keine Er-
mäßigung“? Wer ist denn immer für Dezentralität? Hier
können auch kleinere Einrichtungen oder Betriebe ihren
Beitrag zur Energiewende leisten.

Demjenigen, der sagt, dass er eigentlich nur die Kom-
plettbefreiung für Großverbraucher so unerhört findet,
dem sage ich, dass die städtische Abfallverwertung in
Bonn auch nicht im internationalen Wettbewerb steht.
Erstaunlich! Trotzdem profitiert sie von der Regelung
und damit jeder Steuerzahler der Stadt Bonn.


(Dirk Becker [SPD]: Aber das ist nicht Sinn und Zweck! – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Freuen Sie sich doch! Seien Sie nicht so doppelzün-
gig. Oder Herr Kelber stelle sich vor die 200 Mitarbeiter
im Glaswerk Weck in Bonn-Duisdorf und erkläre ihnen,
dass er deren Arbeitgeber ebenso verurteilt, wie er es mit
jedem anderen Unternehmen tut, das von dieser Rege-
lung profitiert.


(Zurufe der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Becker, bitte geben Sie meine Erläuterungen spe-
ziell an Herrn Kelber weiter.

Danke sehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk Becker [SPD]: Nein! Für den Mist können Sie mich nicht in Anspruch nehmen! Ist ja unterirdisch! – Weiterer Zuruf von der SPD: Zugabe!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721127300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11655 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie, die Fraktion Die Linke wünscht
Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung
beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Der Überweisungsvorschlag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11656 mit dem
Titel „Strompreiserhöhung aussetzen – Faire Strom-
preise für alle“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist
abgelehnt.

Zusatzpunkt 7 b: Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 17/11719.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9729 mit dem Titel
„Für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung
bei der Energiewende – Masterplan Energiewende“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/11004 mit dem Titel „Kosten und
Nutzen der Energiewende fair verteilen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/11030 mit dem Titel „Bezahlbare Energie
sichern durch Einsparung, Erneuerbare und mehr Ver-
braucherrechte“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des
EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der
Rechtssache C-284/09

– Drucksache 17/11314 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/11717 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Barbara Höll
Dr. Thomas Gambke

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/11718 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Interfraktionell ist vereinbart, die Reden zu Proto-
koll zu nehmen.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom
20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09. Der
Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/11717, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
17/11314 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
SPD-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel
Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimakonferenz Doha – Kein internationaler
Erfolg ohne nationale Vorreiter

– Drucksache 17/11651 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem

(Konstanz)

rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Horst
Meierhofer, Angelika Brunkhorst, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP

Die UN-Klimakonferenz in Doha – Globalen
Klimaschutz wirksam vorantreiben

– Drucksachen 17/11514, 17/11714 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Frank Schwabe
Michael Kauch
Dr. Hermann E. Ott

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Aktionsplan Anpassung der Deutschen Anpas-
sungsstrategie an den Klimawandel

– Drucksache 17/6550 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1721127400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen.1) Anlage 4





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)


Erste Vorbemerkung. Wir wollen einmal abwarten,
was bei der Konferenz in Doha herauskommt. Was auf
jeden Fall herauskommen wird, ist Kioto II, eine Verlän-
gerung des Kioto-Abkommens. Ich will an dieser Stelle
schon einmal für die Sozialdemokratie sagen: Wir wer-
den im nächsten Jahr eine Ratifizierung vornehmen müs-
sen. Unser Ziel ist sicherlich, dass das möglichst schnell
im deutschen Parlament geschieht. Wir werden vonsei-
ten der SPD alles tun, damit es schnell dazu kommt und
damit wir ein positives internationales Signal aussenden
können.

Umso absurder ist es – da sind wir uns jedenfalls bei
den Umweltpolitikern bestimmt einig –, dass keine De-
legation des Deutschen Bundestages in Doha dabei sein
wird. Es werden lediglich einzelne Abgeordnete vor Ort
sein. Ich finde es schon ziemlich absurd, was ich heute
dazu in der Presse lesen konnte, dass nämlich das Präsi-
dium des Bundestages behauptet, es handele sich um
eine Regierungskonferenz, bei der Parlamentarier an den
Verhandlungen gar nicht teilnehmen könnten. Das ist so-
zusagen die Begründung dafür, dass keine Delegation
des Deutschen Bundestages vor Ort ist.

Ich bin es langsam wirklich leid. Wir führen jetzt seit
sieben Jahren immer wieder dieselben Debatten. Wir
brauchen einmal eine grundsätzliche Diskussion da-
rüber, wann Reisen eigentlich sinnvoll sind. An dieser
Stelle wäre die Reise einer Delegation garantiert sinn-
voll. Die Debatten, die man in Doha führen könnte – sozu-
sagen im Hotspot der internationalen Klimadiplomatie –,
kann man sonst nirgends führen. Gerade weil dieses Par-
lament auch das Abkommen noch ratifizieren soll,
macht es doch erst recht Sinn, dass wir mit dabei sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zweite Vorbemerkung. Wir diskutieren hier über den
Begriff der Energiewende. Wir haben unterschiedliche
Interpretationen darüber, wer wann für welche Energie-
wende verantwortlich war. Ich will Ihnen trotzdem zusa-
gen, dass wir in Doha gemeinsam versuchen werden, die
deutsche Energiewende zu erklären. An dieser Stelle
hört allerdings die Gemeinsamkeit auf, weil ich glaube,
dass wir die Energiewende deutlich konsequenter und
eindeutiger vertreten, als Sie es in den Reihen der
schwarz-gelben Koalition tun.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch!)


Am Wochenende konnte man – ich kann jetzt nicht al-
les zitieren, was da geschrieben wurde – in der Süddeut-
schen einen Kommentar von Herrn Bauchmüller lesen.
Eine Zwischenüberschrift lautete: „Erderwärmung?
Nicht so dringend. Erst mal die FDP retten“. An dieser
Stelle möchte ich in Richtung der Freien Demokrati-
schen Partei sagen: Dieses Maß an Verantwortungslosig-
keit, mit der Sie ein so wichtiges Themas für Ihr partei-
politisches Interesse in Geiselhaft nehmen, hätte ich
selbst Ihnen nicht zugetraut.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!)


Es ist eine absurde Situation: Wir beraten hier im
Deutschen Bundestag Anträge zur Klimakonferenz in
Doha. Eigentlich müssten Sie von der Koalition Herrn
Altmaier den Rücken für die Reise nach Doha stärken.
Ich bin mir ziemlich sicher: Wenn er die Wahl hätte zwi-
schen den Anträgen, die auf dem Tisch liegen – dem rot-
grünen Antrag und dem Antrag der Koalition –, dann
würde er sich den rot-grünen Antrag aussuchen. Das ist
bezeichnend für Ihre Politik.

Sie stehen in der Europäischen Union für eine Blocka-
depolitik in allen Energiefragen und in allen Klimaschutz-
fragen. Sie blockieren die Energieeffizienzrichtlinie. Sie
blockieren das Zustandekommen einer vernünftigen Lö-
sung im Bereich der Teersande. Mittlerweile geht in
Europa das Wort um – zumindest bei klimapolitischen
Fragen –, dass Deutschland das Land der Enthaltungen
sei. Eine Vorreiterrolle, die wir alle einmal für Deutsch-
land reklamiert haben, ist längst passé. Das hat mit Ihrer
Regierung zu tun, mit der schwarz-gelben Blockadepoli-
tik und Ihrer Unfähigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man könnte die Themen jetzt weiter durchgehen. Es
geht hier aber um die internationale Klimapolitik. Auch
beim Fracking und anderen Themen gibt es Kleinkriege
zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministe-
rium; es sind keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. Ich
frage mich wirklich, wie Sie es verantworten können, ei-
nen Umweltminister wie Herrn Altmaier, der sich red-
lich bemüht – das will ich ihm unterstellen –, nach Doha
zu schicken und ihn dort sozusagen rückgratlos stehen
zu lassen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Er hat selber Rückgrat!)


Es gibt einen Zehn-Punkte-Plan von Herrn Altmaier,
mit dem man sich einmal im Einzelnen auseinanderset-
zen könnte. Vieles ist nicht eingehalten worden. Er hatte
angekündigt, dass es bis Ende September eine abge-
stimmte Haltung der Bundesregierung zu den Themen
Klimaschutz und Emissionshandel gebe. Ende Septem-
ber ist lange vorbei. Nun stehen Entscheidungen in der
Europäischen Union an, aber wir haben eine heillos zer-
strittene Bundesregierung.

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern – die Kanzle-
rin würde wahrscheinlich sagen: der kundige Thebaner
weiß es; sie selbst kann es übrigens auch wissen –: Der
Emissionshandel der Europäischen Union funktioniert
nicht. Er kann so auch gar nicht funktionieren. Dies ist
die Ursache dafür, dass Ihre dahingestolperte Energie-
wende vollkommen unterfinanziert ist. Er setzt keine
Anreize für eine effiziente Klimapolitik in Europa. Er
lässt die europäische Wirtschaft – wenigstens diese
müsste Ihnen eigentlich am Herzen liegen – zurückfallen
im weltweiten Wettbewerb um eine zukunftsfähige und
effiziente Energieproduktion.





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)


Wirklich pervers daran ist, dass Herr Rösler mit sei-
ner Art von Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik da-
für sorgt, dass die Zweifel an der Funktionsfähigkeit ei-
nes marktwirtschaftlichen Instrumentariums wie des
Emissionshandels generell wachsen.


(Judith Skudelny [FDP]: Quatsch! Er ist der Einzige, der es verteidigt!)


Der italienische Umweltminister ist mittlerweile so weit,
zu sagen: Der Emissionshandel ist gescheitert. Wir brau-
chen eine CO2-Steuer, um in der Europäischen Union
vernünftige Signale zu senden. – Das ist das Ergebnis
der Politik Ihres Umweltministers.

Ihr Haushalt ist unterfinanziert. Sie korrigieren stän-
dig Ihre eigenen Ziele. Der Handelspreis für ein Emis-
sionszertifikat liegt mittlerweile nur noch bei gerade ein-
mal 6 Euro. Sie hatten einmal 17 Euro veranschlagt,
dann 10 Euro, jetzt sind wir bei 6 Euro. Ihre Energie-
wende kann damit nicht vernünftig finanziert werden.

Am Ende geht es aber nicht um Herrn Rösler und
auch nicht um Herrn Altmaier, sondern es geht um die
Kanzlerin. Wir können uns alle an die Bilder erinnern,
wie sie mit Sigmar Gabriel im Eis war, wie sie Pirouet-
ten auf unterschiedlichen Gipfeln gedreht hat – dies alles
zu einem Zeitpunkt, als das Thema Klima ausreichend
öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat. Jetzt, zu ei-
nem Zeitpunkt, zu dem zugegebenermaßen die Öffent-
lichkeit nur noch bedingt hinschaut, ist ihr das Thema
ziemlich egal. Ich finde, das ist eine prinzipienlose Poli-
tik. Am Ende ist die Kanzlerin dafür verantwortlich, dass
Herr Altmaier als gerupftes Huhn nach Doha fahren
muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Absurd wird es, wenn mittlerweile Unternehmen die
Bundesregierung auffordern, tätig zu werden und für
eine effizientere und ambitioniertere Klimapolitik in der
Europäischen Union einzutreten.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


Ich bin weit davon entfernt, dass ich hier bestimmte
Energieversorger besonders loben möchte. Ich finde
aber, man sollte es schon einmal erwähnen: EnBW sagt,
dass es aus Sicht von EnBW wesentlich sei, das EU-Kli-
maziel für 2020 auf 30 Prozent anzuheben.

Es gibt ein gemeinsames Papier von einer Reihe von
Unternehmen, die für ein 30-Prozent-Ziel in der Euro-
päischen Union eintreten. Zu den Unterzeichnern gehören
unter anderem die Vorstandsvorsitzenden von EnBW,
Vattenfall Europe, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom,
Otto Group, Burda und Puma. Außerdem gibt es eine ge-
meinsame Position zum sogenannten Backloading. Ich
will das hier nicht ausführlich erläutern; denn das ist viel
zu kompliziert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das verstehen Sie nicht!)


Es ist zwar kein ausreichendes Mittel hinsichtlich des
europäischen Klimaschutzes, aber immerhin eine Maß-
nahme, um den Preis vorübergehend zu stabilisieren.

Das ist unterschrieben worden von Shell, Eon und
Alstom.

Bei Ihnen allerdings verfängt das nicht. Ich muss das
wirklich sagen. Herr Rösler führt sich auf wie ein kleiner
beleidigter Junge, dem man jedes Argument vortragen
kann, ohne dass es ihn interessiert. Es ist absurd, dass die
Kanzlerin ihn nicht zur Ordnung ruft und auch keine An-
stalten unternimmt, dies zu tun.

Ich sage es Ihnen noch einmal: Nehmen Sie den An-
trag von Rot-Grün, Herr Altmaier. Damit können Sie in
Doha mit gutem Gewissen auftreten. Mit dem Antrag
von Schwarz-Gelb werden Sie sich nur blamieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721127500

Das Wort hat der Kollege Andreas Jung für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1721127600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Weltklimakonferenz in Doha hat begonnen. Wir
können sagen: Es hat wieder einmal eine Weltklimakon-
ferenz begonnen. Wir stellen ein Stück weit mit Enttäu-
schung und Frustration fest, dass das rasante Fortschrei-
ten des Klimawandels einerseits nicht passt zu den
kleinen Schritten andererseits, die im internationalen
Klimaprozess in den vergangenen Jahren gemacht wer-
den konnten.

Für mich ist nur wichtig, dass diese Enttäuschung,
diese Frustration nicht in Resignation umschlägt, son-
dern dass wir sie in positive Energie umwandeln und da-
raus den Schwung mitnehmen und sagen können: Wir
wollen auch bei dieser Konferenz das Bestmögliche he-
rausholen.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Darum fahren wir doch hin!)


Wir wollen so große Schritte machen wie möglich. Das
kommt in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie dem Minister doch einen ordentlichen Antrag mit!)


Unterstützen wir den Bundesumweltminister Peter
Altmaier in dem, was er bei dieser Konferenz erreichen
will.

Erstens. Das Langfristziel bleibt in allererster Linie
der Abschluss eines international verbindlichen Abkom-
mens,


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch! Das funktioniert doch nicht, Herr Jung!)


bei dem alle mitmachen: die großen Emittenten, die In-
dustriestaaten, die Schwellenländer und die Entwick-





Andreas Jung (Konstanz)



(A) (C)



(D)(B)


lungsländer. Wir haben das letzte Jahr verstreichen las-
sen, ohne dass energisch genug verhandelt wurde. Jetzt
muss das Signal sein: Es muss mit Priorität verhandelt
werden. Es darf keine weitere Zeit verloren gehen. 2015
kommt schneller, als man denkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens geht es darum, kurzfristig dafür Sorge zu
tragen, dass es nach der ersten Kioto-Periode einen ge-
ordneten Übergang gibt. Wir brauchen die zweite Ver-
pflichtungsperiode. Sie muss acht Jahre dauern, damit
bis 2020 eine Brücke geschlagen werden kann. Es muss
eine Brücke sein, die durch Ambition und durch Um-
weltintegrität gekennzeichnet ist und nicht durch heiße
Luft. Deshalb dürfen überschüssige Zertifikate aus die-
ser Periode nicht in die nächste Periode mitgeschleppt
werden. Nur dann kann Klimaschutz mit dem notwendi-
gen Nachdruck fortgeführt werden. Auch dafür hat der
Bundesumweltminister unsere Unterstützung.

Drittens geht es um das Thema Finanzen. Der Klima-
fonds wurde auf den Weg gebracht, aber jeder Klima-
fonds ist nur so gut, wie das Geld, das drin ist. Deshalb
erwarten wir, dass auf der Konferenz klargemacht wird:
Die Industriestaaten stehen zu ihren Zusagen. – Damit
steht und fällt im Übrigen auch die Glaubwürdigkeit.
Deshalb muss sichergestellt werden, dass bis 2020
100 Milliarden US-Dollar tatsächlich in dem Topf ent-
halten sind. Da haben Deutschland und Europa eine be-
sondere Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Ott hat gerade auf die kontrovers diskutierten
Punkte hingewiesen. Die Bundesregierung hat unsere
Unterstützung. Gleichzeitig haben wir die klare Erwar-
tung an die Bundesregierung, dass die Vorreiterrolle, die
Deutschland und Europa immer hatten, konsequent fort-
geführt wird, und zwar mit glasklaren Positionen.

Ich will zwei Aufgaben nennen. Da ist erstens die An-
hebung des CO2-Zieles auf 30 Prozent in Europa. Dieses
Ziel wurde immer noch nicht vereinbart. Wir, jedenfalls
die Kolleginnen und Kollegen im Umweltausschuss,
werben seit langer Zeit dafür. Es muss jetzt passieren.
Wir haben jetzt schon 18 Prozent von 20 Prozent er-
reicht, das heißt, es geht um 2 Prozentpunkte in den ver-
bleibenden acht Jahren bis 2020. Das ist nicht ehrgeizig,
das ist nahezu lächerlich. Dieses Ziel würde man ohne
weitere Anstrengungen beim Klimaschutz erreichen. Es
muss jetzt etwas passieren. Deshalb unterstützen wir
Peter Altmaier und fordern die Bundesregierung insge-
samt auf, diesen Schritt zu tun. Er muss so schnell wie
möglich erfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Judith Skudelny [FDP])


Zweitens möchte ich den europäischen Emissions-
handel ansprechen. Wir waren uns über alle Fraktionen
hinweg einig, dass der europäische Emissionshandel das
Herzstück der Klimapolitik der Europäischen Union ist.
Frank Schwabe hat es angesprochen: Dieses Herz
schwächelt im Moment. Man ist von ungefähr 18 Euro

pro Zertifikat ausgegangen, jetzt sind wir am unteren
Ende der Leiter angekommen und liegen mittlerweile bei
8 Euro oder 6 Euro, Tendenz weiter fallend. Bei 4 Euro
– und das sind die Prognosen – wäre der Emissionshan-
del faktisch tot. Das wäre eine Katastrophe, weil auf in-
ternationaler Ebene nicht das Signal ausgesendet würde:
Wir wollen ambitionierten Klimaschutz, wir wollen un-
ser System mit den anderen verbinden. Vielmehr wäre es
ein Signal, dass der Klimaschutz möglicherweise weni-
ger wichtig ist.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bitte Sie, Herr Jung! Sie sind an der Regierung!)


Es wäre im Übrigen auch deswegen fatal, weil dadurch
die notwendigen Investitionsanreize für die Wirtschaft
fehlen würden,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie Herrn Rösler erklären, Herr Jung! Herr Rösler ist doch der Bremser!)


um tatsächlich in den Klimaschutz zu investieren.

Ein Scheitern des Emissionshandels wäre fatal, weil
wir aus diesen Einnahmen unsere Energiewende finan-
zieren. Der Energie- und Klimafonds – mit seiner Hilfe
werden die Gebäudesanierung und die Elektromobilität
finanziert und wichtige Aufgaben, die für das Gelingen
der Energiewende essenziell sind, umgesetzt – hat schon
jetzt Federn lassen müssen. Er würde infrage gestellt
werden. Deshalb brauchen wir jetzt ein klares Signal:
Wir wollen an diesem Emissionshandel festhalten.

Am 13. Dezember findet eine Tagung des europäi-
schen Klima-Komitees statt. Wie sich das im Moment
– noch – darstellt, müsste Deutschland sich enthalten,
weil der Bundesumweltminister und der Bundeswirt-
schaftsminister unterschiedliche Positionen vertreten.
Ich finde, die klare Botschaft muss lauten: Ein Vorreiter
enthält sich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Frank Schwabe [SPD])


Deshalb erwarten wir, dass Deutschland dort eine
klare Position vertritt,


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aber die richtige!)


auch weil wir wissen, dass andere europäische Staaten
auf uns schauen. Es wird gefragt: Wie verhält sich die
Bundesrepublik Deutschland denn jetzt? Deshalb brau-
chen wir ein klares Signal, das zeigt, dass wir bereit sind
und uns dafür einsetzen, dass ein Teil der überschüssigen
Zertifikate schon jetzt herausgenommen wird. Das ist
der erste, wenn auch minimale Schritt. Der zweite
Schritt ist, dass diese Zertifikate tatsächlich eingestampft
werden, sodass sie nicht wieder auf den Markt kommen
können. Der dritte Schritt sind die strukturellen Refor-
men, die ein Überleben des Emissionshandels garantie-
ren. Die Alternative – CO2-Steuer und Planwirtschaft
sind vorhin schon genannt worden – wäre nicht besser.





Andreas Jung (Konstanz)



(A) (C)



(D)(B)


Das kann auch nicht im Interesse des Bundeswirtschafts-
ministers liegen.

Unsere klare Botschaft lautet: Wir unterstützen Bun-
desumweltminister Peter Altmaier in all den Punkten,
die ich genannt habe. Er vertritt eine sehr konsequente
Position. Wir wünschen uns, dass die Bundesregierung
sehr schnell zu einer einheitlichen Position und zu einer
klaren Festlegung in diesen Fragen kommt. Das ist das,
was wir brauchen, um in der Klimapolitik weiterhin als
Vorreiter auftreten und wirken zu können.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721127700

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721127800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – so könnte
man diese vorweihnachtliche Klimadebatte überschrei-
ben. Die Koalition beschwört jedes Jahr im November
die Vorreiterrolle Deutschlands. Die Opposition rückt
das dann immer wieder gerade. Dann kommt die UN-
Klimakonferenz, die natürlich zum großen Durchbruch
führen soll, welcher in zwei bis fünf Jahren zu besichti-
gen wäre. Mitte Dezember wird dann allerorts das Schei-
tern bedauert.

Parallel dazu steigen Jahr für Jahr die globalen Treib-
hausgasemissionen. 40 Prozent mehr Klimakiller wer-
den heute in die Atmosphäre geblasen als 1990. Die Erd-
erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, ist leider kaum
noch zu schaffen. Was das an Hungertoten, Überflutun-
gen und Sturmschäden bedeutet, das wissen inzwischen
die meisten. Ich denke, nicht nur unsere Enkel, sondern
vor allem die Menschen im globalen Süden werden uns
irgendwann dafür verfluchen; denn nur wenige Prozent
der globalen Wirtschaftsleistung hätten ausgereicht, die-
sen Wahnsinn, der die Erde für immer verändern wird,
zu stoppen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen werden Banken und Spekulanten gerettet,
werden Reiche immer reicher und Arme immer ärmer. In
der Wachstums-Enquete-Kommission des Bundestages
ist weiterhin schillernder Exot, wer den profitgetriebe-
nen Wachstumswahn auch nur infrage stellt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was?)


Und jetzt kommen Sie mir nicht mit der tollen Ener-
giewende hierzulande und den steigenden Emissionen in
China auf der anderen Seite des Globus. Denn rund
80 Prozent aller CO2-Emissionen seit der Industrialisie-
rung gehen auf das Konto Europas und der USA. Letz-
tere interessiert das bis heute nicht; das wissen wir ja.

Vor diesem Hintergrund sollte sich die Bundesregie-
rung vielleicht einmal die Frage stellen, ob es bislang
eine gute Strategie Europas war, in den UN-Verhandlun-
gen ständig zu pokern.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Ob Minderungsverpflichtungen oder Klimaschutzfinan-
zierungen – die EU ging noch nie in Vorleistung. Es ist
also kein Wunder, dass ein umfassendes Klimaschutzab-
kommen immer noch in den Sternen steht und Vertrauen
zusehends verspielt wird. Wie ernst sollen uns denn die
anderen nehmen, wenn die EU weiter an dem lächerli-
chen Ziel einer Minderung um 20 Prozent festhält?
Schließlich sind gegenüber 1990 bereits 18 Prozent er-
reicht, mit meinem „geliebten“ CDM sogar über 21 Pro-
zent. Acht Jahre lang keinen Klimaschutz betreiben zu
wollen – bis 2020 sind es noch acht Jahre –, Herr
Altmaier, das ist kein Verhandlungsangebot, sondern
eine ganz brutale Provokation.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Ich sage es noch einmal: Die Verschärfung des EU-
Klimaschutzzieles auf 30 Prozent ist überfällig.
Deutschland verhindert das, weil sich die FDP der Re-
form des EU-Emissionshandels verweigert; wir haben es
gerade gehört. Es geht nicht um eine Reform, die die
Wirtschaft – das konnten wir hören – irgendwie erdros-
seln würde. Es geht schlicht um die Stilllegung über-
schüssiger Emissionsrechte, damit die CO2-Preise end-
lich aus dem Keller kommen.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zudem sind die jährlichen Minderungen der Anlagen
an das 30-Prozent-Ziel anzupassen. Doch genau dagegen
wenden sich die Liberalen. Für Wirtschaftsminister
Rösler kommt bereits die Stilllegung der 2 Milliarden
überschüssigen Emissionsrechte nicht infrage. Er will
das Versagen des Emissionshandels zementieren. Sie
sind also mit schuld.

Man muss es ganz klar sagen: Die Blockade der FDP
verhindert die Erreichung des Ziels und damit den Fort-
schritt. Man muss sich das einmal vorstellen. Dabei ist
die FDP eine Splitterpartei mit Wohlhabenden als Mit-
glieder, die es, wie Umfragen zeigen, seit Monaten nicht
mehr schaffen würde, im Bundestag vertreten zu sein.


(Lachen bei der FDP)


Ich kann nur hoffen, dass die Kanzlerin endlich auf-
wacht und ihren Koalitionspartner in die Schranken
weist.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721127900

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1721128000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die in-

ternationale Klimapolitik ist hier im Parlament eine Ge-
meinschaftsaufgabe. Wir haben sie immer so verstanden,
dass wir auf den internationalen Konferenzen gemein-
sam aufgetreten sind, unabhängig davon, wer gerade in
der Regierung und wer in der Opposition ist. Vor allen
Dingen aber haben wir in den letzten Jahren immer Prä-
senz gezeigt. Deshalb halte ich diesen Beschluss des Äl-
testenrates weiterhin für ein absolutes Missverständnis;
denn es wird nicht berücksichtigt, was auf solchen Kon-
ferenzen passiert.


(Zuruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD])


Wenn wir als Deutscher Bundestag eine immer stär-
kere Beteiligung an Entscheidungen der Europäischen
Union einfordern, wenn wir selbstbewusst in der Euro-
päischen Union auftreten, dann frage ich mich, warum
das Präsidium und der Ältestenrat dieses Parlaments
glauben, dass man dies auf UN-Konferenzen nicht tun
muss. Die Ergebnisse dieser Konferenzen muss am Ende
schließlich der Bundestag ratifizieren. Deshalb ist es
eine Frage des Selbstbewusstseins dieses Parlaments,
dass man offizielle Delegationen des Deutschen Bundes-
tags und nicht einzelne Abgeordnete zu den Konferen-
zen entsendet. Das muss sich in diesem Parlament wie-
der ändern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, was steht in Doha an? Das
erste Ziel ist das Arbeitsprogramm 2015 für das Abkom-
men, das 2020 in Kraft treten soll. Es ist also eine Zwi-
schenstation des Verhandlungsstranges.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ändert sich ab Herbst!)


Das zweite große Ziel, das wir in Doha erreichen
müssen, ist, dass Kioto II am Ende nicht allein aus der
Europäischen Union, Norwegen, der Schweiz und Aus-
tralien besteht; denn das wäre ein Kioto-Protokoll, das
aufgrund seines beschränkten Wirkungsbereiches auf
weniger als 20 Prozent der Emissionen definitiv keine
Wirkung in der Welt hätte. Deshalb muss es zentrales
Ziel der Bundesregierung sein, dass insbesondere die
großen Volkswirtschaften Russland und die Ukraine ins
Boot geholt werden. Das ist aus meiner Sicht eine zen-
trale Aufgabe, damit Kioto II zum Erfolg wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das dritte Ziel ist: Die In-
dustriestaaten müssen die Finanzierung des Klimaschut-
zes ernst nehmen. Hier sind wir beim Beitrag Deutsch-
lands. Die Umweltverbände haben im Vorfeld der
Konferenz im Gespräch mit den Abgeordneten des Deut-
schen Bundestages erfreulicherweise darauf hingewie-
sen, dass die klimarelevanten Ausgaben im Haushalt
2013 auch nach ihren Berechnungen gegenüber 2012 um
100 Millionen Euro gestiegen sind. Das heißt, Deutsch-

land nimmt seine Verpflichtungen ernst. Wir machen
nicht nur Zusagen, sondern wir schreiben sie auch in den
Bundeshaushalt. Das hat diese Koalition geschafft und
nicht die Opposition mit ihren Forderungen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben die Liberalen überhaupt keine Pro-
bleme, selbstbewusst in diese Konferenz zu gehen; denn
die meisten dieser Mittel sind im Haushalt von Bundes-
minister Niebel etatisiert. Das ist ein positives Zeichen
für Doha.

Das zweite positive Zeichen, mit dem wir nach Doha
gehen, ist die deutsche Energiewende. Nicht Prozentzah-
len von Ankündigungen sind faszinierend, sondern fas-
zinierend ist die Vision, die Deutschland in die Praxis
umsetzt, nämlich von dem nuklear-fossilen Zeitalter in
das regenerative Zeitalter überzugehen, und zwar ohne
das Wachstum abzuwürgen. Das macht die Energie-
wende sexy und im internationalen Kontext zu einer Er-
folgsgeschichte.

Der Bundesumweltminister fährt hier einen guten An-
satz. Er hat gesagt: Wir wollen mehr Staaten mitnehmen,
die im Bereich der erneuerbaren Energien vorangehen
wollen. Das ist mindestens genauso wichtig wie die an-
deren Verhandlungsstränge in Doha. Wir müssen mehr
Länder auf dem Weg der Energiewende, die wir in
Deutschland begonnen haben, mitnehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721128100

Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Ott für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Regierungs-
koalition! Herzlichen Glückwunsch, dass Sie pünktlich
zum Ende des Jahres das Klimathema wiederentdeckt ha-
ben! Der Umweltminister bekannte letzte Woche, endlich
habe die Klimapolitik wieder den Stellenwert, den sie
lange nicht hatte. Auch Ihnen sei gratuliert, lieber Herr
Altmaier, zu der Erkenntnis, dass der Klimaschutz kein
Kuschelthema alljährlich zur Adventszeit sein darf. Nein,
das Weltklima muss das ganze Jahr und die ganze Legis-
laturperiode über oberste Priorität haben. Das ist der An-
spruch, der heutzutage an jede Bundesregierung gestellt
wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


In Ihrem Antrag mit der Überschrift „Globalen Kli-
maschutz wirksam vorantreiben“ ist technisch so ziem-
lich alles enthalten; das ist keine Frage. Das BMU hat
gute Vorarbeit geleistet. Aber jenseits der Details, da, wo
die politische Musik spielt, ist Ihr Antrag schönfärbe-
risch und in den konkreten Maßnahmen absolut unzurei-
chend.





Dr. Hermann E. Ott


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es ist schon kaum mehr auszuhalten. Sie bezeichnen die
Bundesrepublik wider besseres Wissen als treibende
Kraft in den Klimaverhandlungen


(Michael Kauch [FDP]: Wer ist es denn? China oder die USA?)


und behaupten, Deutschland werde seine Vorreiterrolle
im Klimaschutz weiterführen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, Unwahrheiten werden nicht
dadurch wahr, dass man sie ständig wiederholt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie es mich ungeschminkt sagen: Ihr Antrag ist
eine unerträgliche klimapolitische Selbstbeweihräuche-
rung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn es nach den letzten Jahren der Klimadiplomatie
eine Lehre geben muss, dann die, dass es ein stupides
Weiter-so nicht geben darf. Denn damit kann die globale
Erwärmung nicht in Schach gehalten werden. Ihr Ziel im
Antrag, es müsse wieder ein umfassendes Klimaabkom-
men mit allen Emittenten verabschiedet werden, zeigt:
Sie befinden sich weiterhin sehenden Auges auf einem
Blindflug. Wenn Sie mit aller Kraft versuchen, es wieder
allen, vor allen Dingen den USA, recht zu machen, wer-
den Sie wie schon 2009 auf dem Klimagipfel in Kopen-
hagen scheitern. Das darf nicht sein. So etwas darf nicht
noch einmal vorkommen.

Grüne und SPD schlagen deshalb in einem gemeinsa-
men Antrag ein wirklich modernes Klimaregime vor. An
dieser Stelle vielen Dank den Kollegen von der SPD und
Dank an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei
uns ist der Begriff „modernes Klimaregime“ jedoch
keine bloße Worthülse wie bei Ihnen. Um die düsteren
Prognosen einer um 4 Grad wärmeren Welt nicht Wirk-
lichkeit werden zu lassen, sagen wir: kein internationaler
Erfolg ohne nationale Vorreiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber wie soll Deutschland mit einem Wirtschafts-
minister Rösler Vorreiter sein, der sich allen Ernstes ge-
gen eine Verknappung der Emissionszertifikate aus-
spricht, was nach Aussage der EU-Kommission zu einem
Zertifikatepreis von circa 4,50 Euro führen würde?
Meine Damen und Herren von der Koalition, das ist nicht
nur klimapolitischer, sondern auch ökonomischer Irrsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Nein, glaubwürdige internationale Klimapolitik fängt
zu Hause an. Sie geht damit weiter, dass man sich Part-
ner sucht, um gemeinsam voranzugehen. Wir fordern

deshalb, nicht länger auf die Langsamsten zu warten.
Herr Jung, Ihre Forderung von gerade eben ist absolut
widersinnig. Wir dürfen nicht auf die Langsamsten war-
ten, sondern müssen vorangehen und eine Klimapolitik
der unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorantreiben.
Anders werden wir nicht vorankommen.

Unsere Überzeugung ist, dass Deutschland und die
EU den Kern einer solchen progressiven Allianz, eines
Klimaklubs der Pioniere, bilden können. Anders werden
wir den Klimawandel nicht erfolgreich bewältigen
können. Die Zeit des Schönredens vor internationalen
Klimakonferenzen ist vorbei. Es ist an der Zeit, klima-
politisch zu handeln.

Noch eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU: Wenn Sie sich in dieser Schicksalsfrage
weiterhin von der FDP am Nasenring herumführen
lassen, werden Sie von ihr auch mit in den Abgrund ge-
zogen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ein schöner Gedanke!)


Lassen Sie es nicht dazu kommen. Sie sind zwar nicht
unbedingt für die Rettung der FDP verantwortlich. Aber
Sie sind ganz unbedingt für den Schutz der Lebens-
grundlagen unserer Zivilisation verantwortlich.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721128200

Das Wort hat der Kollege Josef Göppel für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1721128300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich frage mich: Wie stellen wir es an, dass der Klima-
schutz wieder den Stellenwert bekommt, den er ver-
dient? Lieber Kollege Altmaier, was die Konferenz in
Doha betrifft, haben Sie auf jeden Fall die Unterstützung
aller Mitglieder des Umweltausschusses. An dieser
Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei den Mitgliedern
der FDP-Fraktion bedanken,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


die in der gestrigen Sitzung deutlich zum Ausdruck ge-
bracht haben, dass sie die Position des Bundesum-
weltministers unterstützen. Selbstverständlich ist jetzt
das Kanzleramt gefordert.


(Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Und was sagt Rösler?)


Das Kanzleramt muss in einer Streitfrage zwischen zwei
Fachministerien die Richtlinien der Politik bestimmen.
Das bedeutet hier eine klare Vorgabe für den Klima-
schutz.





Josef Göppel


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anders geht es wirklich nicht.
Es ist komisch, dass gerade der Teil der Welt, der seit

1990 deutliche CO2-Einsparungen zu verzeichnen hat,
jetzt zu zaudern beginnt. Wegen der Energiewende steht
Deutschland in der Welt unter Beobachtung. Viele sind
davon fasziniert, manche sind skeptisch. Von 1990 bis
Ende 2011 haben wir den Ausstoß von Klimagasen um
26 Prozent reduziert. Dabei muss man natürlich berück-
sichtigen, dass zwei Drittel davon auf den Umbau der
Industrie in Ostdeutschland und ein Drittel auf das EEG
zurückzuführen sind; alles Übrige kann man fast verges-
sen.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)

Natürlich ist es für uns auch unter innenpolitischen
Gesichtspunkten wichtig, zu wissen, welche Faktoren
wirklich zu dieser Senkung geführt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Kollege Altmaier, bei einem Thema können Sie
schon jetzt sehr selbstbewusst auftreten – der Kollege
Kauch hat das zu Recht erwähnt –: 2012 haben wir im
Bundeshaushalt einen Betrag von 1,8 Milliarden Euro
für bilaterale Zusagen im Bereich des Klimaschutzes
und für Einzahlungen in internationale Töpfe bereit-
gestellt. In der letzten Woche wurden von uns 100 Mil-
lionen Euro zusätzlich bewilligt, wenn auch auf ver-
schiedene Ministerien verteilt. Deutschland kann in
Doha, was die finanziellen Verpflichtungen angeht, sehr
glaubwürdig auftreten; ich füge hinzu: wenigstens das.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein Zeichen für
den Durchhänger des Klimaschutzes ist natürlich die
Ablehnung der Delegationsreise durch den Ältestenrat.
Als Obmann der CDU/CSU im Umweltausschuss sage
ich: Da eine Delegationsreise von Abgeordneten zur
Klimakonferenz abgelehnt wird, erwarte ich, dass der
Ältestenrat in Zukunft immer dann, wenn ein Minister
irgendwohin fährt und verhandelt, aus keinem anderen
Fachbereich mehr Abgeordnete mitfahren lässt. Das
wäre die logische Konsequenz.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Daran zeigt sich, dass dieses Thema noch einmal über-
dacht werden muss.

Zusammenfassend kann man sagen: Wir Deutschen
können, was die Fakten angeht, gut und selbstbewusst
auftreten. Es ist deshalb politisch für Deutschland und
auch für die Zukunftschancen unserer Wirtschaft auf den
internationalen Märkten nur schädlich, wenn derjenige,
der von den anderen als Vorreiter angesehen wird, nun
selber zu zaudern beginnt. Deswegen – ich sage es noch
einmal – erwarten wir eine klare Festlegung des Kanz-
leramtes zur Rückenstärkung des Umweltministers für
die nächste Woche in Doha.


(Beifall im ganzen Hause)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721128400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/11651 und 17/6550 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen damit so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 11 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP mit dem Titel „Die UN-Klimakonferenz in
Doha – Globalen Klimaschutz wirksam vorantreiben“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/11714, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/11514 anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-
Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Ar-
tikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373

(2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-

nen

– Drucksache 17/11466 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Entgegen den verteilten
Redelisten erteile ich jetzt dem Minister der Verteidi-
gung, Herrn Dr. Thomas de Maizière, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Staatsminister Link und ich haben vereinbart, heute
innerhalb der Regierung die Rednerreihenfolge zu
tauschen. Daraus ist weiter nichts zu schließen, außer
dass wir beide das vereinbart haben.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Eine Regierung!)


– So ist das.





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Es ist eine einzige wunderbare Regierung!)


Allerdings ist das, was wir jetzt erörtern, kein Grund
zum Spaßen. Wir denken an den 11. September. Ich
glaube, es gibt wenige Daten, die wir so im Kopf haben
und zu denen jeder von uns weiß, was er da gemacht hat.
Dazu gehört der 9. November, dazu gehört der 11. Sep-
tember, dazu gehört sicherlich auch der eine oder andere
private Tag. Politisch gibt es ganz wenige solcher Tage.
Der 11. September gehört dazu.

Die terroristischen Anschläge in Washington und
New York haben unser Leben verändert, unser persönli-
ches, aber auch die Sicherheitslage. Auch das bis dahin
scheinbar ungefährdete Amerika und Europa haben ge-
lernt, dass das Leben täglich Gefahren ausgesetzt sein
kann. Einen Tag später, am 12. September 2001, und
etwas später, am 4. Oktober 2001, stellte der Nordatlan-
tikrat fest, dass die terroristischen Angriffe auf die USA
als Angriff auf alle Bündnispartner im Sinne des Art. 5
des NATO-Vertrages, als Bündnisfall, anzusehen seien.
Damit wurde erstmalig der Bündnisfall festgestellt, dem
auch Deutschland, damals unter Bundeskanzler
Schröder, zugestimmt hat.

Damit war auch die Bundesrepublik Deutschland auf-
gefordert, im Rahmen der kollektiven Selbstverteidi-
gung zu Maßnahmen der Bündnispartner gegen den Ter-
rorismus beizutragen. Dies begründete den Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen
die USA auf der Grundlage des Art. 51 der Satzung der
Vereinten Nationen und des schon genannten Art. 5 des
NATO-Vertrages. Dies begründet auch unser Engage-
ment im Rahmen der Operation Active Endeavour, die
wir heute diskutieren.

Der Einsatz hat zum Ziel, im Mittelmeerraum zum
Schutz vor möglichen terroristischen Aktivitäten beizu-
tragen. Es geht um die Verteidigung gegen den interna-
tionalen Terrorismus.

In diesem Rahmen übernimmt die Bundeswehr fol-
gende Aufgaben: militärische Präsenz in und über See;
Aufklärung, Überwachung und Lagebilderstellung in
und über See; Austausch und Abgleich von Lageinfor-
mationen mit anderen Akteuren; Kontrolle des See-
verkehrs und schließlich Unterstützung von NATO-
Operationen in Reaktion auf mögliche terroristische
Aktivitäten im Mittelmeer.

Über elf Jahre nach Erklärung des Bündnisfalls haben
wir uns natürlich die Frage zu stellen – das wird sicher
gleich diskutiert werden –, ob der Einsatz in seiner
derzeitigen Ausrichtung noch notwendig ist.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Im Bündnis besteht weiterhin Einigkeit darüber, dass der
Angriff im Sinne des Art. 51 der Satzung der Vereinten
Nationen mit den Anschlägen des 11. September 2001
nicht abgeschlossen war. Vielmehr fand dieser Akt des
Terrorismus in weiteren Anschlägen und Anschlags-
versuchen – in London, Madrid und Detroit – eine Fort-

setzung. Die Bedrohung dauert bis heute an. Wir gehen
von einer Fortsetzung der terroristischen Gefahr aus,
auch für uns.

Die Operation Active Endeavour leistet einen Beitrag
dazu, hier unser Lagebild zu verbessern. Sie entfaltet
durch ihre abschreckende Funktion auch eine präventive
Wirkung. Gerade deshalb erkennen wir weiterhin das Er-
fordernis einer bündnisgemeinsamen Präsenz im Mittel-
meer und die Notwendigkeit einer kontinuierlichen mili-
tärischen Aufklärung und Überwachung in dieser
Region.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir streben
eine Fortentwicklung dieses Mandats an. Angeregt
durch Deutschland wird über die Weiterentwicklung der
immer stärker netzwerkgestützten Active Endeavour in
der NATO diskutiert. Auch eine Diskussion über die
Notwendigkeit der Beibehaltung des Bündnisfalls als
Grundlage für diesen Einsatz wurde durch Deutschland
initiiert. Aber wenn wir den Bündnisfall gemeinsam er-
klären, dann werden wir den Bündnisfall auch gemein-
sam beenden –


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?)


und nicht einseitig; damit das ganz klar ist.

Die NATO begegnet dem internationalen Terrorismus
durch einen zunehmend netzwerkbasierten Ansatz mit ei-
nem Schwerpunkt auf Informationsgewinnung und -ver-
arbeitung. Dieser Ansatz soll ausgebaut werden.

Partner der NATO haben bereits das Angebot zur
Teilnahme an Active Endeavour genutzt. Die Operation
führt damit die Prinzipien der kollektiven Verteidigung
unter den NATO-Mitgliedern und der kooperativen
Sicherheit mit Partnern zusammen. Dies bietet einen
Ansatz zur kooperativen Umsetzung der aktuellen mari-
timen Strategie der NATO.

Die internationale Gemeinschaft darf in ihren umfas-
senden Anstrengungen zur wirksamen Beseitigung der
gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen
Umstände, die das Entstehen von Terrorismus begünsti-
gen, nicht nachlassen. Ein wichtiger Bestandteil dieser
Anstrengungen bleibt weiterhin die Bereitstellung
entsprechender militärischer Fähigkeiten, auch durch
Active Endeavour im Mittelmeer.

Dafür gebührt unseren Soldatinnen und Soldaten und
ihren internationalen Kameraden unser ausdrücklicher
Dank und unsere Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung beantragt eine Fortsetzung des
Einsatzes unter Beibehaltung der personellen Ober-
grenze von derzeit 700 Soldatinnen und Soldaten bis
zum 31. Dezember 2013, also um ein weiteres Jahr. Ich
bitte Sie – auch im Sinne unserer Soldatinnen und Solda-
ten – um eine breite Unterstützung für diesen in der
Weiterentwicklung befindlichen, aber immer noch und
weiterhin richtigen und notwendigen Einsatz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721128500

Der Kollege Dr. Rolf Mützenich hat nun für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1721128600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Angesichts einer außenpolitischen Debatte zu dieser Zeit
ist es schon notwendig, auch ein paar Blicke auf einen
anderen Ort zu richten. Heute wird vor der Vollver-
sammlung der Vereinten Nationen über den Antrag der
Palästinensischen Autonomiebehörde für einen Be-
obachterstatus abgestimmt. Die Bundesregierung hat
heute bekannt gegeben, dass sie sich in der Generalver-
sammlung der Stimme enthalten wird. Herr Staatsminis-
ter Link, ich glaube, das ist das Mindeste, was Sie tun
konnten, um Präsident Abbas in einer wirklich schwieri-
gen Situation nicht weiter zu schwächen. Jede andere
Entscheidung vonseiten der Bundesregierung hätte in
diesem Parlament mit Unverständnis quittiert werden
müssen. Eine etwas frühere Verlautbarung aus Ihrer
Sicht hätte vielleicht das eine oder andere innerhalb der
Europäischen Union besser ordnen können.


(Beifall bei der SPD)


Wir vonseiten der Sozialdemokratischen Partei hätten
uns schon gewünscht, dass alle 27 Mitgliedstaaten ein
gemeinsames Votum in der Vollversammlung der Ver-
einten Nationen abgegeben hätten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da hätte ich mir schon gewünscht, dass Deutschland
eine Führungsrolle übernommen hätte.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich gehe jetzt auf das Mandat ein, zu dem der
Bundesverteidigungsminister heute erneut einen Antrag
auf Fortsetzung eingebracht hat. Ich glaube, wir konnten
hier im Plenum spüren, wie er mit den Argumenten ge-
rungen hat, insbesondere als es um die Begründung der
Bündnissolidarität gegangen ist. Ihm war doch sehr un-
wohl, weil er wusste, dass auch der Bundesaußenminis-
ter in den letzten Debatten sein Unbehagen geäußert und
gegenüber dem Deutschen Bundestag verlautbart hat, er
würde im Bündnis für eine andere Rechtsgrundlage
streiten. Das hätte zu einer deutlichen, zu einer klaren
Außenpolitik gehört. Denn Sie können die Bündnissoli-
darität und das Vorliegen eines Bündnisfalls nicht endlos
wiederholen und mit den gleichen Worten begründen
– damit entkleiden Sie sozusagen das, was Art. 5 des
NATO-Vertrages hergibt –, weil Bündnissolidarität et-
was Besonderes ist. Sinn und Zweck ist, dies in einer be-
sonderen Situation zu nutzen.

Ich glaube, elf Jahre sind letztlich genug, um vonsei-
ten der Bundesregierung zu einer anderen Begründung
zu kommen. Bei einer selbstbewussten Außenpolitik und
insbesondere angesichts der Frage, wie der Terrorismus
bekämpft werden kann, hätte es letztlich einer anderen
Begründung bedurft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Bundesverteidigungsminister, im Grunde ge-
nommen haben Sie gar nichts über die Aktivitäten dieser
Mission im letzten Jahr berichtet. Wer einmal aufmerk-
sam in die Unterrichtungen des Parlaments geschaut hat,
hat feststellen müssen, dass es im Berichtszeitraum nur
einen Einsatz gegeben hat, nämlich im September, als
die Fregatte „Bayern“ einen Rettungseinsatz durchge-
führt hat. Ich finde es sehr anerkennenswert, dass auch
die Bundesmarine, wie es üblich ist, in solchen Fällen
aktiv wird. Aber ich glaube, Herr Bundesverteidigungs-
minister, das hat mit dem Mandat überhaupt nichts zu
tun, sondern das hat sozusagen etwas mit dem Recht auf
der hohen See zu tun. Ich meine, der Rettungseinsatz ist
richtig gewesen, aber dafür hätte es dieses Mandat nicht
gebraucht.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weiterhin hätten Sie dem Deutschen Bundestag be-
richten müssen, wieso alle paar Monate rund 600 Bun-
deswehrsoldaten für das Mandat benannt worden sind.
Wir haben einmal überprüft, warum das der Fall war.
Das war deswegen der Fall, weil Schiffe in Richtung der
Mission Atalanta gefahren sind und dann im Mittelmeer
für dieses Mandat umgewidmet wurden. Ich meine, ein
bisschen Zielgerichtetheit wäre für dieses Mandat not-
wendig gewesen. Ich finde, auch Ehrlichkeit gegenüber
dem Bundestag und gegenüber der Bundeswehr, der
Bundesmarine, wäre angebracht gewesen.

Nun zu einem weiteren Punkt, der in dieser Debatte
ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Da ist das Au-
ßenministerium gefordert; Herr Staatsminister Link, Sie
werden ja gleich reden. Ich würde mich wirklich darüber
freuen, wenn Sie uns etwas ausführlicher begründen
könnten, warum die Umbrüche in der arabischen Welt
– dies steht zu Beginn der Begründung des Antrages –
dafür genutzt werden, dieses Mandat zu rechtfertigen.
Ich habe die Diskussion im Deutschen Bundestag und
vonseiten der Bundesregierung immer so verstanden,
dass erst einmal die mutigen Menschen dort, die versu-
chen, ihre Regime zu stürzen und für demokratische Le-
gitimation einzutreten, von uns unterstützt werden sollen
und dass das nicht mit dem Terrorismus verwechselt
werden darf. Ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit die-
ses Mandates genauso dazu.

Wir wissen, das Risiko in Bürgerkriegen ist immens;
aber Sie können hier in einer allgemeinen Begründung
nicht die terroristische Gefahr sozusagen herbeireden.
Ich glaube, dieser Hinweis in der Begründung ist falsch
und wird den gesellschaftlichen Umbrüchen, der zeitge-
schichtlichen Erosion, gerade in der arabischen Welt
überhaupt nicht gerecht. Ich finde, das gehört nicht in ein
Mandat hinein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Bundesverteidigungsminister, Sie plädieren im-
mer für Mandatsklarheit; wir haben das in den letzten
Tagen bei der Diskussion über den Patriot-Einsatz und





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)


viele andere Dinge gehört. Ich glaube, genau bei diesem
Mandat hätten wir Klarheit und Wahrheit gebraucht. Das
haben Sie nicht geleistet. Sie haben das im letzten Jahr
angekündigt, aber auch in diesem Jahr waren Sie dazu
nicht bereit. Deswegen kann ich Ihnen vonseiten meiner
Fraktion nur sagen: Einem solchen Mandat können wir
nicht zustimmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Wirklich schade!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721128700

Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt,

Michael Link.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1721128800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich gehe zunächst auf die beiden konkreten Punkte ein,
die Herr Mützenich angesprochen hat.

Sie haben erwähnt, dass in der Begründung des An-
trags der Bundesregierung auf das Gesamtumfeld hinge-
wiesen wird. Die Umbrüche in der arabischen Welt sind
natürlich kein kausaler Grund für diesen Einsatz. Was
haben aber die Umbrüche gebracht? Sie haben natürlich
einen Gewinn an Demokratie gebracht. Nehmen wir das
Beispiel Libyen, wo die Wahlen erstaunlich gut verlau-
fen sind. Das war hinterher. Vorher war dort alles
schwierig; wir wissen das. Das war ein Gewinn an De-
mokratie.

Ich denke, wir alle sind uns einig, dass jetzt eine
enorme Anzahl von Waffen aus den Beständen der
Gaddafi-Armee auf dem Markt ist, die natürlich auch
von denjenigen genutzt werden, die in das Vakuum hin-
gestoßen sind, das dort nach dem Abtritt der diktatori-
schen Herrschaft teilweise entstanden ist. Mit diesen
Waffen sorgen sie jetzt verstärkt für Unsicherheit.

Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen
sagen: Hier ist zunächst einmal nicht mehr Sicherheit er-
reicht worden. In Mali ist das konkret geworden, aber
das gilt auch für andere Länder. Deshalb ist diese Be-
gründung sehr sinnvoll. Wir sagen ganz ausdrücklich:
Jawohl, es gehört zur Ehrlichkeit dazu – und ehrliche
Mandate erteilt diese Bundesregierung –, auf diesen Zu-
sammenhang hinzuweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wenn Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr in Auslandseinsätze geschickt
werden, dann haben sie einen Anspruch auf besonders
sorgfältig getroffene Entscheidungen unter Abwägung
aller Risiken und Härten; das ist entscheidend. Wir alle
wissen: Es gibt Mandate für Auslandseinsätze, die weit-
gehend unumstritten sind, und es gibt umstrittene Man-
date. Dieses OAE-Mandat, das Mandat für die Operation
Active Endeavour, dessen Verlängerung wir heute bean-

tragen, ist unter allen unseren NATO-Bündnispartnern
vollkommen unumstritten. Das muss man auch einmal
deutlich aussprechen.

OAE ist ein Überwachungseinsatz. Der Einsatz bringt
bei vergleichsweise geringem Aufwand einen großen Er-
trag. Durch OAE verdichten wir unser Lagebild insbe-
sondere zum südlichen Umfeld. Die militärische Präsenz
der OAE-mandatierten Schiffe im Mittelmeer entfaltet
eine stark abschreckende Wirkung gegen Terroristen.
Faktisch wirkt sie auch weit darüber hinaus stabilisie-
rend. OAE ist insofern zu einem präventiven Ordnungs-
faktor im Mittelmeer geworden und genießt gerade als
solcher auch bei den südlichen Mittelmeeranrainern wie
Marokko, Tunesien oder Algerien eine ganz hohe Ak-
zeptanz.

Insgesamt beteiligen sich gegenwärtig nicht weniger
als 63 Nationen am Austausch von Lagedaten im Rah-
men von OAE. Auch das ist ein wenig bekanntes Fak-
tum.

Die sicherheitspolitische Relevanz der NATO-Mis-
sion ist im Vergleich zum vergangenen Jahr ohne Zwei-
fel gestiegen. Ich habe das mit dem Hinweis auf die Um-
brüche in der arabischen Welt schon erwähnt. Die
Aktivitäten von al-Qaida sind ebenfalls bereits erwähnt
worden. Es besteht deshalb aus unserer Sicht weiter ganz
konkret die Gefahr, dass Al-Qaida-Ableger oder lokale,
der al-Qaida nahestehende Gruppen unkontrollierte Ge-
biete als Rückzugsräume nutzen. In Syrien und darüber
hinaus hat die Krise längst auch eine regionale Dimen-
sion angenommen. Terroranschläge sind Bestandteil der
bewaffneten Auseinandersetzung im syrischen Bürger-
krieg. Auch von al-Qaida anerkannte Terrorgruppierun-
gen profitieren zunehmend von der unübersichtlichen
Lage.

Nicht nur unsere NATO-Partner, sondern die gesamte
Völkergemeinschaft meint daher, dass der Schutz vor
und die Abwehr gegen den internationalen Terrorismus
weiter geführt werden muss. Der Sicherheitsrat bekräf-
tigt dies in aktuellen Resolutionen. International herrscht
Übereinstimmung: Eine defensiv ausgerichtete Mission
wie OAE, die vor allem dem Schutz, der Verteidigung
und der Abschreckung dient, trägt in legitimer Weise zur
Bekämpfung und Verhinderung möglicher Terroraktivi-
täten bei.

Unsere Bündnispartner – Verteidigungsminister de
Maizière hat darauf hingewiesen – schätzen die Mission
auch, weil es sich um eine vertrauensbildende Maß-
nahme im Sinne der kooperativen Sicherheit handelt. Ich
möchte darauf hinweisen, dass auch wichtige Nicht-
NATO-Mitgliedstaaten an der OAE bereits teilgenom-
men haben. Denken wir zum Beispiel an den russischen
oder den ukrainischen Beitrag.

Wir setzen uns – auch darauf hat Kollege de Maizière
hingewiesen – schon seit längerem dafür ein, dass in der
NATO eine Weiterentwicklung des Einsatzes diskutiert
wird.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)






Staatsminister Michael Link


(A) (C)



(D)(B)


Thema Bündnisfall. OAE ist bislang als robustes
Mandat ausgestaltet. Wir halten das für den Erfolg des
Einsatzes für nicht zwingend. Aus unserer Sicht könnte
und sollte OAE auf nichtexekutive Befugnisse be-
schränkt werden. Wir treffen mit dieser Forderung aller-
dings nicht auf die Zustimmung unserer NATO-Partner.
Wir können das nicht einseitig ändern. Wir bleiben aber
hartnäckig. Wir verzeichnen auch erste Erfolge.

Bislang ist rechtliche Grundlage für diese Mission
Art. 5 des NATO-Vertrages, also der erklärte Bündnis-
fall. Dieser Bezug kommt jetzt auf den Prüfstand. Wir
nehmen damit die Forderungen, die insbesondere in dem
Antrag der Fraktion der Grünen erwähnt sind, vorweg:
Ja, die Bundesregierung setzt sich aktiv und engagiert in
der NATO dafür ein, dass der Bündnisfall als Grundlage
für den OAE-Einsatz der NATO im Mittelmeer künftig
entfallen kann. Wir müssen aber erst unsere Partner da-
für gewinnen. Wir können und dürfen das nicht alleine
tun. Hier kann ich ebenfalls nur auf das verweisen, was
der Verteidigungsminister eben ausgeführt hat: Wir ru-
fen den Bündnisfall gemeinsam aus, und wir beenden
ihn gemeinsam.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Auf das Umfeld in Verbindung mit dem heutigen Ge-
schehen in New York ist hingewiesen worden. Ich selbst
hatte die Gelegenheit, gemeinsam mit dem Außenminis-
ter und teilweise in seiner Vertretung am letzten Außen-
ministerrat teilzunehmen. Ich möchte noch einmal ganz
ausdrücklich sagen: Wir haben, gerade der Außenminis-
ter selbst, wahrlich nichts unversucht gelassen, eine ge-
meinsame Position in der EU herbeizuführen.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist es! Das weiß die SPD auch! Das weiß Herr Mützenich auch!)


– Das wissen Sie; exakt. – Aber was tun Sie in einer Si-
tuation, wenn sich andere EU-Partner bereits lange vor
der Abstimmung öffentlich eindeutig auf ein Ja festle-
gen, und zwar nicht nur einer, sondern zwei oder drei,
und damit die Gelegenheit, dass die EU hier gemeinsam
auftritt, in den Wind schlagen? Das ist in der Tat ein Pro-
blem, was nun wahrlich nicht die Bundesregierung zu
vertreten hat.

Wir erinnern deshalb an der geeigneten Stelle alle
Partner in der EU sehr kritisch daran, dass sie durch ihre
frühe, einseitige Festlegung auf ein Ja exakt das verhin-
dern, was genau diese EU-Partner in Sonntagsreden im-
mer anmahnen, nämlich eine gemeinsame EU-Position.
Da gibt es eine bunte Schar von Staaten – Sie wissen das
genau –, die sich früh eindeutig auf ein Ja festgelegt ha-
ben und dadurch diese Abstimmung, die man mit gutem
Willen und mit einer koordinierten Aktion durchaus
noch einmal hätte verschieben können, zur Unzeit ohne
Not haben eskalieren lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung
beantragt die Fortsetzung der OAE. Auch namens des Aus-
wärtigen Amtes danke ich ausdrücklich unseren Soldatin-
nen und Soldaten für ihren Dienst im Rahmen dieses Ein-
satzes. Wir beantragen die Fortsetzung dieses Einsatzes.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721128900

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Paul

Schäfer das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721129000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Winston Churchill hat nach 1945
auf die Frage, was denn nun aus dem Münchener Ab-
kommen von 1938 werden solle – das war zwar schänd-
lich, aber völkerrechtlich gültig –, geantwortet: So tun,
als ob es das nicht gäbe!

Vor zwei Jahren habe ich den damaligen Vorsitzenden
des Militärausschusses der NATO, Herrn Di Paola, ge-
fragt, wann und wie denn die NATO den 2001 ausgeru-
fenen Bündnisfall beenden wolle. Er hat mich erstaunt
angesehen und lapidar geantwortet, das sei für die
NATO kein Thema, es habe sich schließlich um einen
auf die Situation bezogenen Akt der politischen Solidari-
tät gehandelt. Das klang nach „Schwamm drüber“ à la
Churchill, wenn nicht der kleine Nachsatz gefolgt wäre:
Außerdem bestünden ja doch die Gefahren des interna-
tionalen Terrorismus fort. – Manche sagen: Noch Jahr-
zehnte. – Der Minister hat es genauso wiederholt.

Das heißt, man kann nicht zur Tagesordnung überge-
hen. Wir müssen die Frage stellen, worum es eigentlich
heute bei der Militäroperation Enduring Freedom und
dem NATO-Einsatz Active Endeavour geht. Beide be-
ziehen ihre Legitimation aus den Anschlägen vom
11. September 2001. Der Punkt ist der: Die NATO beruft
sich auf den Verteidigungsfall gegen eine angenommene
globale Bedrohung und leitet daraus die grundsätzliche
Legitimation für den Einsatz von militärischer Gewalt
weltweit ab, präemptiv, präventiv, reaktiv – egal. Das ist
keine abstrakte Theorie, das ist kein linkes Hirngespinst,
das ist blutige Realität: Capture-or-Kill-Operationen in
Afghanistan, Einsatz von Kampfdrohnen in Somalia,
dem Jemen und Pakistan, maritime Taskforce im Indi-
schen Ozean, deren Auftrag völlig unklar ist, Piratenjagd
am Horn von Afrika oder die Jagdkommandos auf Al-
Qaida-Anhänger in Nordafrika im Rahmen von OEF
Trans Sahara.

Enduring Freedom und Active Endeavour sind – man
kann es so sagen – Instrumente zur Etablierung eines
Damoklesschwertes globaler Gewaltandrohung. Ich
finde, das kann so nicht weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man beruft sich auf Art. 51 UN-Charta und Art. 5 des
Nordatlantikvertrags, aber diese Einsätze in ihrer ganzen
Breite haben mit Verteidigung und Bündnisfall nichts
oder wenig zu tun. Der Schein der Rechtmäßigkeit soll
gewahrt werden, während man sich gleichzeitig unter
dem Vorzeichen dieses Antiterrorkampfes Pauschaler-
mächtigungen für eben diese geografisch nicht begrenz-
ten Militäreinsätze holt.





Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Wir sagen dazu ganz eindeutig: Der Krieg gegen den
Terror hat die Welt nicht sicherer gemacht, eher im Ge-
genteil.


(Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das ist totaler Unsinn!)


Er führt zur Fixierung auf militärische Scheinlösungen
und blockiert das Nachdenken über zivile Möglichkei-
ten, den Ursachen der Konflikte in der Welt zu Leibe zu
rücken.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Gefahr für die nationale Sicherheit!)


Das ist doch der Punkt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen: Terror muss man entgegentreten, lieber
Kollege Mißfelder, aber der sogenannte Krieg gegen den
Terror muss beendet werden.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal den Bürgern!)


Die Ausrufung des Bündnisfalls, die wirklich eine
Pauschalermächtigung für diese praktisch globalen Mili-
täreinsätze ist, muss ebenfalls zurückgeholt und beerdigt
werden.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU])


Deshalb werden wir auch dem Antrag der Grünen zu-
stimmen. Der greift eine Kernforderung auf, die wir
schon lange haben.

Was den hier zu verhandelnden Einsatz der Marine-
verbände im Mittelmeer betrifft, so war schon lange klar,
dass es mit Terrorabwehr nichts zu tun hat.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Nicht regierungsfähig, die Grünen!)


Es geht um eine umfassende Überwachungsmission,
zu der die NATO sich selbst mandatiert hat. Der Passus
im Mandat „Unterstützung spezifischer Operationen der
NATO oder weiterer Partner in Reaktion auf mögliche
terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ lässt genug
Spielraum zur Stützung möglicher NATO-Operationen
auch in Nordafrika. Das finde ich alles andere als harm-
los.

Jetzt haben Sie eine neue Begründung für die Mittel-
meermission entdeckt: die islamischen Terroristen in
Mali. Entschuldigung, das ist ein bisschen sehr weit weg
von der afrikanischen Mittelmeerküste. Und über die
maritimen Fähigkeiten von al-Qaida ist nichts bekannt.
Trotzdem sagen Sie, wir werden davon irgendwie be-
droht. Für wie dumm halten Sie eigentlich die deutsche
Öffentlichkeit? OAE ist und bleibt eine Amtsanmaßung
der NATO, der eine solche weltpolizeiliche Aufgabe
nicht zukommt.


(Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das macht die UNO!)


Dafür käme höchstens ein multilaterales Regime der
Anrainerstaaten unter dem Dach der Vereinten Nationen
infrage.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: In einer Selbstblockade!)


Aber die NATO agiert im Mittelmeer frei nach dem
Motto: Wir machen, was wir wollen, weil wir es können.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Die UNO ist in Syrien auch sehr „erfolgreich“!)


Dieser Art von Bündnispolitik, die auch noch gefähr-
lich werden kann, muss die Solidarität verweigert wer-
den. Der Antrag der Bundesregierung ist abzulehnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD] – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Totalausfall, sowohl die Rede als auch die UNO!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721129100

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Katja Keul das Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721129200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Alle Jahre
wieder kommt das OAE-Mandat, von dem wir sonst
über das Jahr wirklich nicht viel hören. Alle Jahre wie-
der fragen wir uns, was das eigentlich für eine bewaff-
nete Auseinandersetzung sein soll, für die wir 700 Sol-
daten mandatieren. In der letzten Woche waren
tatsächlich faktisch 5 davon im Einsatz. Was sind das für
terroristische Aktivitäten, die im Mittelmeerraum be-
kämpft werden? Informationsgewinnung ist völlig okay,
Herr Minister, aber dafür brauchen wir keinen bewaffne-
ten Einsatz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Völkerrechtliche Grundlage für das Mandat ist immer
noch das Selbstverteidigungsrecht der USA elf Jahren
nach den Angriffen auf das World Trade Center. Dieser
Angriff im Sinne des Art. 51 der Charta der Vereinten
Nationen soll angeblich – der Minister hat es gesagt –
bis heute andauern. Damit machen Sie sich die Auffas-
sung unseres Bündnispartners zu eigen, die lautet, seit
dem 11. September 2001 befinde man sich durchgehend
und weltweit im Krieg, im sogenannten War on Terror.

Vor diesem Hintergrund meint die amerikanische Re-
gierung, weltweit bewaffnete Einsätze ohne Mandat des
Sicherheitsrates durchführen zu können, inklusive der
gezielten Tötung verdächtiger Personen und ihrer Ange-
hörigen in Pakistan, im Jemen, in Somalia und überall,
wo man diese vermutet. So sehr wir uns alle über den
Wahlausgang in den USA gefreut haben – aber das müs-
sen sich unsere amerikanischen Freunde einfach sagen
lassen: Diese Auffassung ist keine Interpretation des
Völkerrechts; es ist die Negierung des Völkerrechts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)






Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)


Gerade unter Freunden und Bündnispartnern muss man
einmal ehrlich zueinander sein, auch wenn es schwer-
fällt.

Wie lange soll der Bündnisfall, der am 11. September
2001 festgestellt wurde, denn eigentlich noch dauern?
Niemand hat bisher darüber nachgedacht, wie ein sol-
cher Bündnisfall wieder beendet wird. Das war zu Zeiten
des Kalten Krieges vielleicht noch nachvollziehbar, da
man den Bündnisfall für abschreckend genug hielt, dass
er niemals eintritt. Jetzt, wo er eingetreten ist, muss er
aber auch wieder beendet werden. Das kann unseres
Erachtens nur durch einen entsprechenden Beschluss der
NATO geschehen.

Wir haben daher einen Antrag in den Bundestag ein-
gebracht, mit dem wir die Bundesregierung auffordern,
sich im Bündnis für einen solchen Aufhebungsbeschluss
einzusetzen. Diesen Antrag werden wir dann zur zweiten
Lesung dieses Mandats zur Abstimmung vorlegen.

Dem Mandat fehlt es aber nicht nur an völkerrechtli-
cher Legitimation, sondern auch an einer sinnvollen Be-
gründung. Letzes Jahr hieß es dazu noch, die Operation
Active Endeavour biete einen Ansatzpunkt zur Imple-
mentierung der aktuellen maritimen Strategie der NATO.
Offensichtlich ist Ihnen inzwischen selbst aufgefallen,
dass dies nicht zur Legitimierung eines bewaffneten Ein-
satzes geeignet ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Stattdessen werden jetzt die Lage in Syrien und die
Islamisten in Mali herangezogen. Wörtlich heißt es in
der Begründung:

In Nordafrika sind Aktivitäten terroristischer Grup-
pierungen festzustellen, insbesondere der al-Qaida
im Maghreb.

Außerdem habe die Krise in Syrien mittlerweile eine
regionale Dimension angenommen.

Diese Begründung macht es nicht besser: Wie sollen
der Bürgerkrieg in Syrien und die Krise in Mali mit U-
Booten im Mittelmeer bekämpft werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Es geht doch um Aufklärung!)


Weiter heißt es in der Begründung wörtlich:

Die Operation Active Endeavour … entfaltet durch
ihre abschreckende Funktion eine präventive
Wirkung.

Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Warum denn nicht?)


Die Tatsache, dass deutsche Fregatten auf dem Weg
zum Horn von Afrika auf ihrer Durchfahrt durchs Mittel-
meer vorübergehend unter OAE-Mandat fahren, hat in
den letzten Jahren offensichtlich wenig Abschreckung

auf die terroristischen Aktivitäten von al-Qaida in der
südlichen Sahara gehabt,


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Wieso? Wie würden Sie es denn machen?)


wo sie erstmals ein Gebiet kontrollieren, dass doppelt so
groß ist wie die Bundesrepublik.


(Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/ CSU]: Das ist doch absurd!)


Ohne eine sinnvolle Begründung und ohne eine
völkerrechtliche Legitimation fällt meiner Fraktion ein
geschlossenes Abstimmungsverhalten endlich einmal
leicht. Wir lehnen dieses Mandat ab. Wenn Sie Ihrem
Außenminister bei den erforderlichen Gesprächen mit
den Amerikanern den Rücken stärken wollen – dass
diese Gespräche stattfinden, haben wir gerade vom
Staatsminister gehört –, dann sollten Sie das vielleicht
auch tun.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721129300

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1721129400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Minister hat zu Recht mit der Erinnerung an
den 11. September begonnen. Ich möchte daran an-
schließen. Zwar war es nicht die Union, die den Begriff
„uneingeschränkte Solidarität“ im Munde geführt hat,
sondern es waren Vertreter anderer Parteien, aber nichts-
destotrotz müssen wir uns auch deshalb an diese
schrecklichen Ereignisse erinnern, weil wir die Ver-
pflichtung haben, präventiv tätig zu sein.

Deshalb haben wir diesen Aspekt auch in der
Mandatsbegründung besonders betont. Man kann nicht
einfach sagen: Der Bündnisfall ist erledigt. – Erstens ha-
ben wir das im Bündnis nicht alleine zu entscheiden. Es
ist schließlich ein Bündnis. Herr Staatsminister Link hat
deutlich dargestellt, weshalb die Situation im Bündnis
nicht so simpel ist.

Zweitens frage ich Sie: Woher wollen Sie wissen,
dass die Bedrohungslage nicht gegeben ist? Die welt-
politische Situation ist schwieriger geworden. Mali und
Syrien sind erwähnt worden. Der arabische Frühling hat
viel Gutes gebracht; er hat aber auch neue Herausfor-
derungen, insbesondere in der Region des Mittelmeers,
gebracht. Vor diesem Hintergrund schafft Präsenz
Sicherheit und verhindert sie nicht. Daher werben wir
für das Mandat, was wir uns gut überlegt haben. Wie bei
jedem Mandat – Herr Schäfer hat in einem Parforceritt
die Mandate miteinander verknüpft – stehen wir natür-
lich für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land ein. Natürlich sind auch wir froh, dass es





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)


keinen Terroranschlag gegeben hat. Aber warum sind
wir bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
in den letzten Jahren so erfolgreich? Gerade weil wir
aktiv sind und weil wir die Hände nicht in den Schoß
legen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die schwierige Situation in Mali wird uns in den
nächsten Wochen beschäftigen. Gerade weil die Situa-
tion in politischer Hinsicht, aber auch, was die Struktu-
ren in den einzelnen Ländern angeht, so kompliziert ist,
sind die Antworten, die wir geben, kompliziert und nicht
einfach. Der kleine Beitrag, den wir im Rahmen dieser
Mission aktuell leisten, passt zu dem Ansatz, den wir in
der Terrorismusbekämpfung insgesamt gewählt haben:
Präsenz und Abschreckung – auch das sind Mittel zur
Terrorbekämpfung. Für ein Land wie Deutschland, das
als Exportnation ein hohes und gesteigertes Interesse an
sicheren Seewegen hat, ist das ein wichtiger Aspekt. Vor
diesem Hintergrund kann ich Ihre Absage an das Mandat
überhaupt nicht verstehen. Ich bin sogar erstaunt, dass es
der Russischen Föderation leichterfällt, bei diesem Man-
dat mitzumachen,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann orientieren wir uns an Russland?)


dass es der Ukraine leichtfällt, bei einem NATO-Einsatz
mitzumachen, aber die Opposition hier das geschlossen
für Unfug erklärt. Deshalb sage ich: Wenn ein breiter
Konsens besteht, gegen den internationalen Terrorismus
vorzugehen, dann verstehe ich nicht, warum Sie sich aus
dieser guten Koalition verabschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum fallen Sie Ihrem Staatsminister in den Rücken?)


Gerade Sie haben den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus 2001 unter Rot-Grün, unter Schröder/Fischer
angeführt, indem Sie nach Afghanistan gegangen sind.
Wir sind bemüht, den Bündnisfall in Verantwortung wie-
der zu beenden und die Truppen abzuziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerade dieser Aufgabe fühlen sich die Regierungs-
fraktionen verpflichtet. Vielleicht sollte man sich gene-
rell – das gilt sowohl für diesen Einsatz als auch für an-
dere; es ist von den Regierungsvertretern ja auch kritisch
angesprochen worden – bei zukünftigen Einsätzen über-
legen, wie man Einsätze auch wieder beenden kann. Nur,
wir machen die Arbeit, die Sie nicht erledigt haben, um
das ganz deutlich zu sagen. Das Werben des Auswärti-
gen Amtes ist in dieser Debatte zur Sprache gekommen.

Meine Damen und Herren, ich bin der festen Über-
zeugung, dass die Präsenz der internationalen Gemein-
schaft, eine geschlossene Präsenz auch der NATO,
notwendig ist, um gegen den internationalen Terroris-
mus vorzugehen. Ich glaube, auch wenn unsere Soldatin-
nen und Soldaten nur zu einem geringen Teil dort betei-
ligt sind, gebührt ihnen Dank für das, was sie geleistet
haben. Unserer deutschen Marine – Vertreterinnen und
Vertreter sind heute anwesend – gebührt Dank dafür,

dass sie diese wichtige Aufgabe übernehmen, ob an Fei-
ertagen, ob an Geburtstagen, oder in schwierigen Lagen:


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die deutsche Marine leistet dort einen hervorragenden
Einsatz.

Es gehört zum Selbstverständnis einer immer erwach-
sener werdenden Nation wie unserer dazu, dass wir
bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, dass wir uns
nicht wegducken, sondern dass wir auch im Bündnis zu
unserer Verantwortung stehen und dann versuchen, poli-
tische Ansätze zu finden, um gemeinsam mit Bündnis-
partnern – vielleicht bei späteren und weitergehenden
Einsätzen – schon am Anfang zu überlegen, wie man
diese zu einem guten Ende führen kann, um nicht kopf-
los in Dinge hineinzugehen, aus denen man später nur
schwierig herauskommt, wie wir in Afghanistan sehen.
Das ist eine Lehre, die sowohl für die Regierungskoali-
tion als auch für diejenigen gilt, die diese Einsätze ange-
führt haben, nämlich für Sie von der Opposition.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721129500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11466 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatz-
punkt 8 auf:

13 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche

(19. Ausschuss)

Roth (Esslingen), René Röspel, Dr. Sascha
Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Für eine Generation frei von Aids/HIV bis
2015 – Anstrengungen verstärken und Zu-
sagen in der Entwicklungspolitik einhalten

– Drucksachen 17/10096, 17/11711 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I)
Karin Roth (Esslingen)
Helga Daub
Niema Movassat
Uwe Kekeritz

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Krista Sager, Birgitt Bender, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen –
Zugang zu Medikamenten weltweit verwirkli-
chen

– Drucksachen 17/8493, 17/9713 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I)
Karin Roth (Esslingen)
Helga Daub
Niema Movassat
Uwe Kekeritz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich würde jetzt zu gern die Aussprache eröffnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber?)


– Gut. Dann gehe ich davon aus, dass mir der Geschäfts-
führer der FDP-Fraktion bis zum Ende des Tagesord-
nungspunktes den Beitrag der Kollegin Helga Daub zu
Protokoll gibt.

Das Wort hat nun die Kollegin Karin Roth für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1721129600

Ja, Frau Präsidentin, so ist das mit der FDP: Das

Ministerium ist auch nicht da.

(Iris Gleicke [SPD]: Das wissen wir schon länger, dass die die Arbeit eingestellt haben! Aber sie müssen es nicht dokumentieren! Das ist eine Missachtung des Parlaments! – Zuruf von der FDP: Aber wir sind da!)


Es ist ja nicht nur die Berichterstatterin. Vielmehr sind
auch Herr Niebel, der Minister, und die Staatssekretärin
offensichtlich nicht in der Lage, diese wichtige Diskus-
sion hier mitzuverfolgen. Immerhin geht es um den
Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Das ist für uns ein guter
Anlass, beispielsweise auch über die parlamentarischen
Aktivitäten bei uns zu diskutieren und darüber, was das
Ministerium macht. Ich finde, das ist eigentlich nicht in
Ordnung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber so sind wir es bei diesem Minister gewohnt.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Na, na, na!)


Lassen Sie mich nach dieser schlechten Botschaft zu-
nächst die guten Botschaften nennen: Dank der gemein-
samen internationalen Anstrengungen in den letzten Jah-
ren von Regierungen in den Industriestaaten und den
Entwicklungsländern kann der UN-Aids-Bericht von
2012 feststellen, dass durch die Aids-Politik in den letz-
ten Jahren, seit 2005, ein Rückgang von Todesfällen um
24 Prozent zu verzeichnen ist. Das ist wahrlich eine gute
Botschaft. Immerhin mehr als 600 000 Menschen kön-
nen jetzt leben; ansonsten hätten sie sterben müssen.


(Beifall bei der SPD)


Dies ist vor allem auch dem verbesserten Zugang zu
den Medikamenten zu verdanken. Dies war auch nur
möglich, weil die Weltgemeinschaft für die Initiative des
Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose
und Malaria seit 2001 Milliarden Dollar zur Verfügung
gestellt hat. Auch Deutschland war von Anfang an dabei
und hat mit seinen Beiträgen Betroffenen geholfen. An
der Stelle ist auch ein Dank an den Globalen Fonds zu
richten; denn immerhin 3,6 Millionen Menschen wurden
mit lebensnotwendigen Aids-Medikamenten versorgt.
Das ist ein gutes Beispiel für internationale Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt noch eine weitere gute Botschaft. Die Neu-
infektionen sind weltweit auf dem niedrigsten Stand seit
dem Höhepunkt der Epidemie in den 90er-Jahren. Auch
das ist wichtig, dass man sieht: Man kann etwas bewir-
ken. Immerhin – das ist leider eine Tatsache – haben sich
noch immer 2,5 Millionen Menschen neu infiziert. Aber
in Malawi, Botswana und Äthiopien sind die Neuinfek-
tionsraten um 50 Prozent gesunken. Das ist für uns Er-
mutigung, um auf diesem Weg weiterzumachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt, die Präventionsmaßnahmen, die Aktionen
in den Ländern zur Verteilung von Kondomen, müssen
weiter unterstützt werden. Wir tun so lange, bis ein
Impfstoff entwickelt ist, gut daran, diese Kampagne
– übrigens auch in unserem Land mit 78 000 Infizierten –
weiter fortzusetzen und nicht nachzulassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist der Welt-Aids-Tag so wichtig: Wir sollen
von dieser Krankheit nicht ablenken und sollen sie nicht
vergessen. Ohne die von Deutschland aus weltweit agie-
renden Nichtregierungsorganisationen hätten wir diese
Erfolge jedoch nicht erreicht. Sie sind es, die uns immer
wieder darauf hinweisen und das oftmals verschwiegene
Thema HIV/Aids auf die Tagesordnung setzen. Darüber
sind wir sehr froh. Sie zwingen uns dadurch auch zum
Handeln, weil sie unermüdlich in der Sache kämpfen.
Das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])


Ich danke deshalb den ehrenamtlichen und den haupt-
amtlichen Akteuren dafür, dass sie mit diesen Aktionen
letztlich auch an unsere Verantwortung appellieren und
34 Millionen Menschen, die HIV-infiziert sind, immer
wieder zum Gegenstand von Debatten machen.

Sie rütteln auf, trotz Euro-Krise und trotz Nahostkon-
flikt, damit wir an dieser Stelle die Menschen nicht ver-
gessen. Ohne ein „Aktionsbündnis gegen Aids“ in
Deutschland und weltweit, ohne „Ärzte ohne Grenzen“,
ohne „ONE“, „World Vision“, die „Stiftung Weltbevöl-
kerung“ und viele andere Aktionsgruppen mehr hätten
wir diese Erfolge nicht erreicht. Das muss an diesem
heutigen Tag auch gesagt sein.





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ihre Expertise und ihre Kompetenz sind für wissen-
schaftliche und politische Debatten unerlässlich. Im Dia-
log mit ihnen und der Wissenschaft erhalten wir wich-
tige Impulse, und unsere Strategien und Maßnahmen
werden dadurch verbessert. Es ist auch kein Wunder,
dass der Globale Fonds Vertreter dieser Zivilgesellschaft
in das Board, also in die Entscheidungsgremien, aufge-
nommen hat. Wir können uns daran ein Beispiel neh-
men, indem wir und auch die Entwicklungsländer die
Kompetenzen dieser Zivilgesellschaft aufgreifen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu guter Letzt gibt es eine weitere gute Nachricht. Bis
2015 können wir eine aidsfreie Generation erreichen,
wenn wir alle Kräfte zusammennehmen und sie bündeln.
Weltweit leben 2,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit
HIV/Aids, weil Mutter und Kind nicht behandelt wur-
den. Immer noch sind 58 Prozent der Infizierten Frauen;
denn es gibt nicht genügend Medikamente für diese Per-
sonengruppen.

Deshalb geht es darum, dass wir die guten Medika-
mente, die jetzt entwickelt wurden, endlich einsetzen,
beginnend bei der Schwangerschaft über die Geburt bis
zur Stillzeit, also für den gesamten entscheidenden Zeit-
raum. Anschließend sind die Kinder aidsfrei. Was für
eine Chance, was für eine Möglichkeit! Wir dürfen diese
Chance nicht vertun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Bisher bekommen nur 28 Prozent der infizierten Kin-
der Medikamente. Das müssen wir ändern, und wir kön-
nen es ändern. Lassen Sie uns, so wie 2001 international
beschlossen, alles tun, um den Zugang der infizierten
Schwangeren zu medizinischer Versorgung zu verbes-
sern. Eine aidsfreie Generation ist keine Vision. Es ist
möglich. Es kann Wirklichkeit werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dafür tragen wir die Verantwortung.

Eine aidsfreie Generation bedeutet auch, dass wir die
Menschen nicht im Stich lassen. Ohne zusätzliche finan-
zielle Aktivitäten ist das nicht möglich. Ich bin froh,
dass meine Fraktion aus gutem Grund die Erhöhung der
Mittel für den Globalen Fonds von 200 Millionen Euro
auf 400 Millionen Euro jährlich vorgeschlagen und in
unseren Antrag eingebracht hat.


(Beifall bei der SPD)


Darüber freue ich mich sehr. Damit soll gewährleistet
werden, dass die drei großen Krankheiten – Malaria, Tu-
berkulose und Aids – bekämpft werden. Denn an diesen
drei großen Krankheiten sterben die meisten Menschen.

Hier hilft auch kein Kartenspielertrick vom Minister,
der nicht anwesend ist. Der Minister hat vor zwei Tagen
eine Presseerklärung mit der Ankündigung „1 Milliarde
Euro für den Globalen Fonds“ herausgegeben. Er hat le-
diglich vergessen, dazuzuschreiben, dass sich diese
Summe auf fünf Jahre erstreckt. Ich habe nachgeschaut:
Zum Glück ist kein Journalist darauf hereingefallen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


So klug sind in der Zwischenzeit auch die Journalisten,
etwas genauer hinzuschauen, wenn es um Herrn Niebel
geht, der mit Niebel-Kerzen wirft. Mit Seriosität hat das
nichts zu tun.

Es kommt darauf an, diese Geißel der Menschheit
ernst zu nehmen. Es geht immerhin um Millionen Men-
schen. Es geht um Kinder, die heute von dieser Krank-
heit betroffen sind oder es morgen sein können.

Wir wissen, dass es nach wie vor die Stigmatisierung
von bestimmten Gruppen gibt, insbesondere von Sex-
arbeiterinnen – das sind die Frauen – und Homosexuel-
len. Wir müssen alles tun, damit auch bei diesen Grup-
pen enttabuisiert und entkriminalisiert wird. Das ist eine
große Aufgabe, auch in den Entwicklungsländern. Dort
gibt es noch sehr große Vorbehalte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen daher
Sie unseren Antrag „Für eine Generation frei von Aids/
HIV bis 2015“! Dazu brauchen wir politische und finan-
zielle Unterstützung. Wenn wir das schaffen, tragen wir
Hoffnung in die Länder, in denen Aids-Waisen und Aids
Alltag sind. Enttäuschen wir deshalb diese Hoffnungen
nicht; denn sie sind das eigentlich Wichtige, das wir den
Menschen in diesen Zeiten bringen können.

Ich danke und hoffe, dass Sie unseren Antrag unter-
stützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721129700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mich erreichte ge-

rade die Nachricht, dass Frau Parlamentarische Staats-
sekretärin Kopp auf dem Weg hierher war, aber erkrankt
ist. Sie ist damit für diese Debatte entschuldigt. Das will
ich an dieser Stelle der Vollständigkeit halber sagen. Ich
denke, wir alle wünschen ihr gute Besserung.

Wir setzen die Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin
Sabine Weiss für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sabine Weiss (CDU):
Rede ID: ID1721129800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Das erste Mal ist mir so richtig bewusst gewor-
den, mit welch furchtbarer Kraft und auch Endgültigkeit
Aids Leben zerstört, als ich vor vielen Jahren als Rechts-
anwältin einen Fall für die Aidshilfe übernommen habe.
Ich habe damals die Verteidigung einer jungen aidskran-
ken Frau übernommen, die wiederholt vor Gericht stand.
In dem seinerzeitigen Verfahren ging es um den Dieb-
stahl eines Lippenstiftes. Da die junge Frau aber schon





Sabine Weiss (Wesel I)



(A) (C)



(D)(B)


mehrfach straffällig geworden war, drohte nun eine Haft-
strafe von insgesamt anderthalb Jahren. Mein Hauptargu-
ment in der Verteidigung war, dass die Verbüßung einer
nun anstehenden 18-monatigen Haftstrafe faktisch
gleichzusetzen sei mit einer lebenslänglichen Haft; denn
die Lebenserwartung der Frau betrug aufgrund ihrer
Aids-Erkrankung keine 18 Monate mehr.

Das alles ist mittlerweile deutlich mehr als 15 Jahre
her. Seitdem hat sich glücklicherweise viel getan. Dank
guter Therapien ist die Lebenserwartung von HIV/Aids-
Patienten um Jahrzehnte gestiegen. Dank einer Medika-
mentenkombination kann mittlerweile sogar die Übertra-
gung des HI-Virus von der werdenden Mutter auf das
Kind verhindert werden.

Dass diese lebensrettenden Medikamente nicht nur in
den reichen Industrieländern zur Verfügung stehen, son-
dern auch den Menschen in den Entwicklungsländern,
ist eine großartige Leistung. Solche Erfolge hätte vor
Jahren noch kaum jemand für möglich gehalten.

Auch die neuesten Zahlen der Vereinten Nationen
machen Mut und Hoffnung – Frau Kollegin Roth, Sie
haben es gesagt –, dass nach all den Jahren mit immer
höheren Zahlen von Neuinfektionen und Todesfällen
endlich ein Scheitelpunkt erreicht sein könnte. Damit
rückt die Vision einer HIV-freien Generation in erreich-
bare Nähe. Das sind endlich zunächst einmal gute Nach-
richten im Kampf gegen diese heimtückische Krankheit.

Doch: Jeder Aids-Tote ist natürlich einer zu viel. Der
Weg zu einer aidsfreien Generation ist noch lang und
steinig; denn die Gesamtbilanz der Krankheit ist nach
wie vor verheerend. Jedes Jahr infizieren sich immer
noch 390 000 Neugeborene durch die Mutter mit dem
Virus. Immer noch hat rund die Hälfte der Infizierten
keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. Und
jeden Tag infizieren sich 7 000 Menschen neu mit HIV.
Es gibt also noch viel zu tun.

Die schärfste und auch beste Waffe im Kampf gegen
diese heimtückische Krankheit ist die Infektionsvorbeu-
gung. Weitreichende Aufklärung über die Krankheit und
Ansteckungsvermeidung sind daher essenziell auf dem
Weg zu dem Ziel der Vereinten Nationen, null Neuinfek-
tionen, null Diskriminierung und null Todesfälle durch
Aids zu erreichen. Prävention ist daher ein zentraler
Punkt des deutschen Engagements.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deutschland gehört zu den größten Gebern im Kampf
gegen HIV/Aids. Ein wichtiges Instrument dabei ist der
Globale Fonds, dem wir viele der nun erreichten Erfolge
mit zu verdanken haben. Es ist gut, dass der Globale
Fonds mittlerweile seine Arbeitsweise reformiert hat.
Ich bin daher froh, dass Deutschland als drittgrößter Ge-
ber den Globalen Fonds mit 200 Millionen Euro jährlich
in seiner wichtigen Arbeit unterstützt.

Wir setzen aber in unserer Entwicklungszusammen-
arbeit nicht nur auf ein Pferd. Vielmehr engagiert sich
Deutschland auch sehr erfolgreich bilateral in der HIV-/
Aids-Bekämpfung. Einen großen Teil der 30 Forderun-

gen in Ihrem Antrag, Frau Roth, erfüllt die Bundesregie-
rung also bereits. Das kann man im Übrigen im Positi-
onspapier des BMZ zu diesem Thema nachlesen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Letzte Woche – ich hatte das im Ausschuss schon er-
wähnt – hat Ihr Kanzlerkandidat an dieser Stelle erklärt,
der Schuldenabbau komme nicht schnell genug voran
und mit ihm hätte es keine neuen Schulden gegeben.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Toller Hecht!)


Sie fordern einmal eben mehrere Hundert Millionen
Euro mehr. Woher das Geld kommen soll, dazu finde ich
in Ihrem Antrag leider nichts. Noch einmal: Niemand in
diesem Raum glaubt doch ernsthaft, dass der SPD-Kanz-
lerkandidat eine Erhöhung der Gelder für den Globalen
Fonds auch nur angedacht hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im Übrigen – das noch abschließend – versteht es sich
von selbst, dass ein Antrag mit Anwürfen, die jeglicher
Grundlage entbehren, nicht unsere Zustimmung finden
kann. Behauptungen wie die, die Bundesregierung ließe
im Bereich HIV/Aids ihren vollmundigen Ankündigun-
gen keine Taten folgen,


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: 1 Milliarde!)


sind schlicht und einfach falsch. Dazu gibt es nichts
mehr zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deutschland ist als einer der größten Geber im Kampf
gegen HIV/Aids sehr erfolgreich. Deutschland wird wei-
ter engagiert gegen diese Geißel der Menschheit kämp-
fen. Ihren Antrag lehnen wir aber ab.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721129900

Für die Fraktion der Linken hat nun der Kollege

Niema Movassat das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721130000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil wir

heute über das Thema HIV/Aids reden, möchte ich vorweg
allen Ärztinnen und Ärzten, Fachkräften der Entwick-
lungszusammenarbeit, Forschern, Krankenschwestern und
-pflegern, Hebammen, Nichtregierungsorganisationen,
dem Globalen Fonds und allen anderen danken, die so
unermüdlich dafür kämpfen, die Ausbreitung von Aids
zu beenden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es gibt Erfolge: Immer mehr Betroffene erhalten die
notwendigen Medikamente. Die Zahl der Neuinfektio-
nen geht seit Jahren zurück. – Der Kampf gegen Aids





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)


zeigt, wozu die Menschheit in der Lage ist, wenn sie sich
konsequent einem Problem stellt und Maßnahmen dage-
gen ergreift. Dasselbe Engagement brauchten wir bei der
Durchsetzung des generellen Menschenrechts auf Ge-
sundheit und auch und vor allem im Kampf gegen Armut
und Hunger.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Kampf gegen Aids ist noch nicht gewonnen.
Noch immer infizieren sich jede Minute fünf Menschen
mit dem HI-Virus. Insbesondere die Mutter-Kind-Über-
tragung, der fehlende Zugang zu Prävention, beispiels-
weise Kondomen, und eine fehlende Behandlung in den
ärmsten Ländern der Welt gefährden das Erreichte.

Der Drogengebrauch ist heute übrigens für durch-
schnittlich ein Drittel aller weltweiten HIV-Neuinfektio-
nen verantwortlich, Subsahara-Afrika ausgenommen.
Hierbei sagen wissenschaftliche Studien ganz klar: Je re-
pressiver die Drogenpolitik, desto höher das Aids-Ri-
siko. SPD, FDP und Union sollten deswegen ihre repres-
sive Drogenpolitik endlich überdenken. Auch das wäre
ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen Aids.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Karin Roth [Esslingen] [SPD] und Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun zum vorliegenden SPD-Antrag. Wir werden ihm
zustimmen. Viele ihrer Forderungen hat die Linke be-
reits im letzten Jahr in einem Antrag erhoben. Ich nenne
einige Beispiele: Um eine bezahlbare Medikamentenver-
sorgung auch der ärmsten Länder zu gewährleisten,
brauchen wir unbedingt Generika, die preiswerte Kopie
des Originals.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Forderungen nach den dafür notwendigen Flexibi-
litäten beim Handelsabkommen TRIPS im Bereich der
Eigentumsrechte sind im vorliegenden Antrag fast de-
ckungsgleich mit unseren. Auch unsere Forderung, die
Bundesregierung solle die Produktentwicklungspartner-
schaften auf die Bereiche HIV/Aids und Tuberkulose
ausdehnen, haben Sie übernommen – fast wortgleich
auch: Sie wollen die Vorgabe, dass nur ein Drittel der
Entwicklungshilfegelder für multilaterale Instrumente,
also beispielsweise Organisationen der UN, ausgegeben
werden darf, aufheben. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Ich bin froh, dass wir uns inzwischen in so vielen
Punkten einig sind. Aber gerade deshalb finde ich es
umso unverständlicher, dass Sie von der SPD sich ge-
weigert haben, unseren Antrag heute gemeinsam mit Ih-
rem zu debattieren. Man gewinnt den Eindruck, Sie wol-
len damit kaschieren, wie viel Sie eigentlich bei uns
abgeschrieben haben.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Schmeißt doch eure Sachen einfach zusammen! Das wäre doch einfacher!)


2010 haben wir hier einen Antrag mit der Forderung
eingebracht, die Steigerung der Entwicklungshilfequote
auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens verbind-

lich festzulegen. Sie von der SPD haben damals dagegen
gestimmt. Nun stellen Sie dieselbe Forderung in Ihrem
Antrag. Ein wenig schizophren ist das schon. Dank der
Koalition ist die Realisierung dieser Forderung inzwi-
schen leider unrealistisch.

Diese Bundesregierung gibt im globalen Kampf ge-
gen HIV/Aids eine klägliche Figur ab. Auf Worte folgen
wenige Taten. Ausgerechnet der deutsche Entwicklungs-
minister hat die Arbeit des Globalen Fonds, der einen
entscheidenden Beitrag zum weltweiten Kampf gegen
Aids leistet, torpediert. Zwischendurch wollte er den
deutschen Beitrag sogar gänzlich streichen. In den letz-
ten drei Jahren hat er das Geld nur mit großer Verzöge-
rung bereitgestellt und die finanziellen Mittel um keinen
Cent erhöht. Damit tappt Herr Niebel in die Falle, vor
der alle Experten warnen: Allein aufgrund der bisherigen
Erfolge sollte man nicht in den Anstrengungen nachlas-
sen.

Gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft und am
tatsächlichen Bedarf des Globalen Fonds wäre ein Bei-
trag von mindestens 400 Millionen Euro für Deutsch-
land angemessen; doch Sie bleiben auch dieses Jahr bei
nur 200 Millionen Euro. So werden wir Aids nicht end-
gültig besiegen. Statt warmer Worte brauchen wir mehr
Taten von dieser Regierung.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721130100

Uwe Kekeritz hat das Wort für Bündnis 90/Die Grü-

nen.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721130200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben jetzt sehr oft gehört, was wir alles leisten.
Frau Kollegin Weiss, es ist ja schön, dass Sie darauf hin-
gewiesen haben, dass wir der drittgrößte Geber für den
Global Fund sind.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist ja auch richtig!)


Wenn wir über das Thema Entwicklungszusammenar-
beit diskutieren, müssen wir aber auch auf die Prozente
schauen. Es ist klar, dass kleinere Länder nicht so viel
leisten können. Wenn ich auf die traurigen 0,38 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts schaue, die wir zurzeit zur
Verfügung stellen, wird mir bewusst, dass diese Regie-
rung weit hinter ihrem Versprechen zurückbleibt. Die
Kürzungen, die Sie jetzt durchgedrückt haben, ver-
schlimmern diese Situation sogar noch.

Ich denke, dass die Politik dieser Regierung alles an-
dere als positiv ist. Das verstehe ich überhaupt nicht. Un-
sere Vorlagen im AwZ werden regelmäßig von Ihnen,
den Kollegen der Koalition, gelobt und für richtig befun-
den. Am Schluss werden sie aber einfach abgelehnt.
Kein Wunder, dass Ihre Politik solche Schwächen auf-
weist.





Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])


Es ist aber nicht nur Ihre Weigerung, die Ideen der
Opposition aufzugreifen, die eine bessere Politik im
Hause Niebel verhindert. Wenn ein Minister durch seine
eigenen Parteifreunde im Haushaltsausschuss kaltge-
stellt wird, hat er es natürlich verdammt schwer. Da nützt
es ihm auch nichts, von einer „Lebenslüge“ zu sprechen.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)


– Es geht um Finanzen, Frau Kollegin Pfeiffer. – Es geht
um die Lebenslüge, die er heute Morgen als solche ent-
deckt hat. Herr Niebel ist aber kein Opfer eines süßen
Traumes, der sich jetzt plötzlich in Luft aufgelöst hat,
sondern Herr Niebel hat mit der Kanzlerin dieses Haus
und die Öffentlichkeit seit Jahren bewusst getäuscht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Sie haben nie daran gedacht, das 0,7-Prozent-Ziel auch
tatsächlich umzusetzen. Damit hängt aber zusammen,
wie viel Geld wir zur Verfügung haben oder eben nicht.

Dass Minister Niebel auch noch von seinem eigenen
Ausschuss gezwungen wird, der Kürzung seines Etats
zuzustimmen, zeigt, welchen Stellenwert die EZ in der
Koalition hat: einen ziemlich geringen. Dann kommt
von der Koalition immer wieder die Geschichte vom
halb vollen Glas.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist doch albern!)


– Frau Pfeiffer, wenn Sie den Mut dazu haben, dann stel-
len Sie doch eine Zwischenfrage.


(Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Aha.


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Ich muss doch quasi! – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Mutproben! Es geht um Mutproben! Mannhafte Mutprobe!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721130300

Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen? – Bitte

schön.


Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1721130400

Herr Kollege, es ist mir eigentlich zu albern, das im-

mer und immer wieder zu wiederholen:


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie es doch!)


Seitdem die Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt, ha-
ben wir den Haushalt verdoppelt.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Aha!)


Oder wollen Sie das abstreiten?


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Nein, das wollen wir nicht abstreiten. – Ich will das nur
noch einmal sagen, weil ich es definitiv nicht mehr hö-
ren kann. Ich brauche auch keine Antwort, Herr Kollege.
Ich stelle das nur fest, damit Sie nicht immer und immer
wieder dieselben Behauptungen aufstellen.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721130500

Frau Kollegin, so geht das nicht. Sie können hier

nicht Fragen stellen und dann sagen: Ich erwarte darauf
keine Antwort. Eine Kurzintervention macht man am
Schluss.

Sie wissen genau, dass das nicht stimmt. Der Haus-
halt des BMZ ist nicht verdoppelt worden, das ist defini-
tiv nicht der Fall. Wir sind jetzt bei 7 Milliarden Euro.
Früher lag er demnach bei 3 Milliarden Euro?


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Sie haben da einfach falsche Zahlen im Kopf. Das, was
ich Ihnen erzähle, hängt mit den Ausgaben zusammen.
Frau Kollegin Roth hat es gesagt: Das ist eine Frage der
Investitionen. Die Investitionen im Bereich HIV/Aids
sind die effektivsten Investitionen, die wir verzeichnen.
Können Sie mir irgendeinen anderen Bereich nennen, in
dem Geld produktiver investiert wird als in diesem Be-
reich? Darum sollten wir auch nicht darauf verzichten,
die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Bereich Prävention wurde schon angesprochen.
Das ist ein sehr effektiver Bereich, der nicht nur indivi-
duelle Auswirkungen hat. Eine rechtzeitige medikamen-
töse Behandlung reduziert zum Beispiel auch die Über-
tragungswahrscheinlichkeiten erheblich; das ist eine
relativ neue Erkenntnis. Zur HIV-/Aids-Prävention ge-
hören natürlich auch die Bereiche Bildung und Aufklä-
rung. Dazu gehört auch der Bereich Frauen- und Mäd-
chenrechte. Auch in diesem Bereich ist sehr viel
geleistet worden.

Meine Damen und Herren, die Anträge von SPD und
Grünen belegen, dass die Gläser halb voll sind. Wir müs-
sen jetzt zeigen, wie wir diese Gläser ganz voll machen –
im Interesse der einzelnen Menschen, aber auch im Inte-
resse der Nationen, in denen sie leben. Eine Aufstockung
des Global Fund wäre fundamental wichtig.

Bei so vielen Erfolgsmeldungen muss doch auch der
Koalition langsam der Verdacht kommen, dass die enor-
men Erfolge nur multilateral zustande gekommen sind.
Bilateral hätten wir diese Erfolge nie und nimmer errei-
chen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt Bereiche, in denen bilaterale EZ sinnvoll ist; aber
Ihr verbohrter und engstirniger Kampf gegen die multi-
lateralen Ansätze gehört einfach auf den Müllhaufen der
Geschichte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)


Entwicklungszusammenarbeit sollte kein Kampf sein,
sondern auf Kooperation, Transparenz und einer ge-
meinsamen Zielorientierung basieren. Nur so lässt sich
der Welt-Aids-Tag würdevoll und vor allem glaubwür-
dig begehen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721130600

Ich weise gerne darauf hin, dass es bei Zwischeninter-

ventionen möglich ist, keine Frage zu stellen.

Ich bitte jetzt Johannes Selle, für die CDU/CSU das
Wort zu ergreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1721130700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Lebenserwartung in den Entwicklungsländern liegt bis
zu 30 Jahre unter der in den Industriestaaten. Jedes Jahr
sterben Millionen Menschen an armutsbedingten ver-
nachlässigten Krankheiten, deren Behandlung möglich
gewesen wäre. Das ist eine traurige Realität.

Weltweit sind mehr als 1 Milliarde Menschen an Ma-
laria, HIV und Tuberkulose sowie an 15 weiteren bei uns
eher unbekannten Tropenkrankheiten wie Bilharziose
oder Elefantiasis erkrankt. Weltweit hungert eine gleiche
Anzahl von Menschen. Dabei wird Krankheit oft zur Ur-
sache von Armut und Armut oft zur Ursache von Krank-
heit.

Seit der Verabschiedung der Millenniumserklärung
im Jahr 2000 sind die Ausgaben für Gesundheit weltweit
stark gestiegen. Die Anstrengungen waren erfolgreich,
wie man an der Senkung der Zahl der HIV-Neuerkran-
kungen, aber auch an der gesunkenen Kindersterblich-
keit sehen kann. Anstrengungen lohnen sich; es bleibt
noch viel zu tun.

Gesundheit ist ein wichtiger Baustein unserer Politik
in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit und For-
schung. In Deutschland investiert das Bundesministe-
rium für Bildung und Forschung jährlich 11 Millionen
Euro in die Forschung an Universitäten und Forschungs-
einrichtungen, und zwar immer stärker auch in den Be-
reich wenig erforschter Krankheiten. Speziell für die un-
erforschten Krankheiten wurde das Deutsche Zentrum
für Infektionsforschung gegründet.

Auf das Problem der vernachlässigten Krankheiten
hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung
auch durch die Förderung von Produktentwicklungspart-
nerschaften, sogenannten PDPs, reagiert. Seit 2011 wer-
den bis 2014 jährlich 20 Millionen Euro ausgegeben.

PDPs sind internationale Non-Profit-Organisationen,
die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Impfstoffe, Me-
dikamente und – das ist ganz wichtig – Präventionsme-

thoden gegen armutsassoziierte und vernachlässigte
Krankheiten wie die genannten Krankheiten oder eben
auch Krankheiten mit hoher Mortalität bei Kindern wie
Meningitis oder Durchfall zu entwickeln, die dann kos-
tengünstig in den Entwicklungsländern auf den Markt
gebracht werden. Deutschland hat sich dazu verpflichtet,
an der Eindämmung der globalen HIV-Epidemie mitzu-
wirken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir gehören zu den größten Gebern weltweit, und dabei
machen wir keineswegs eine klägliche Figur.

Die Gewährleistung eines universellen Zugangs zu
Vorsorge, Behandlung und Pflege für alle Menschen ist
und bleibt uns wichtig. Der Globale Fonds, der einen
wichtigen Beitrag leistet, wird von uns mit 200 Millio-
nen Euro jährlich unterstützt. Wir unterstützen ebenfalls
die GAVI Alliance. Nicht unerwähnt dürfen die zusätz-
lichen bilateralen Projekte bleiben. Seit 2002 unterstützt
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit 47 Arbeits-
platzprogramme und -projekte, die der HIV-Prävention
und dem Zugang zur Behandlung dienen. Diese Vorha-
ben werden überwiegend als sogenannte Public-private-
Partnership-Programme in Zusammenarbeit mit der
Wirtschaft in 15 Ländern, vor allem im südlichen Afrika,
umgesetzt.

Es gibt noch viele andere positive Beispiele: die Un-
terstützung von staatlichen HIV-Test- und HIV-Bera-
tungsstellen und die Unterstützung von extrem armen
Haushalten in Malawi. Die von uns unterstützte Aufklä-
rung und Bildung zum Thema HIV hat in Uganda Wir-
kung gezeigt. Dies ist sozusagen Bildung als sozialer
Impfstoff, wie es Bundesminister Niebel einmal sagte.

Einige Punkte aus den Anträgen der Oppositionsfrak-
tionen verdienen es durchaus, verfolgt zu werden. Aber
nicht zu übersehen sind die Forderungen nach mehr
Geld. Im Antrag der Grünen sind es zum Beispiel
180 Millionen Euro, 80 Millionen Euro davon bei den
PDPs und 100 Millionen Euro beim Globalen Fonds.
Abgesehen von der im Haushalt nicht darstellbaren Er-
höhung sollten wir zunächst unser Engagement evaluie-
ren, das wir bei den PDPs eingegangen sind.

Im nächsten Jahr wird der designierte neue Chef des
Globalen Fonds, Mark Dybul, seine Arbeit aufnehmen.
Er hat angekündigt, Misswirtschaft entschieden zu be-
kämpfen. Immerhin ging es dabei um 34 Millionen Dol-
lar. Wir haben unser Engagement verstetigt.

HIV/Aids gehört ausgerottet; da sind wir uns einig.
Aber leider schaffen wir es nicht einmal in Deutschland,
die Zahl der Neuinfektionen auf null zu senken. In die-
sem Jahr liegt die Zahl der Neuinfektionen bei 3 400,
wie wir gestern in der Süddeutschen Zeitung lesen konn-
ten.

Insgesamt müssen wir die Anträge ablehnen. Die Dif-
famierung der Regierung durch die Grünen lässt erken-
nen, dass Sie es eigentlich auch gar nicht anders erwartet
haben.





Johannes Selle


(A) (C)



(D)(B)



(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das waren nicht wir! Das müssen Sie verwechseln, Herr Kollege!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721130800

Aus dem Protokoll in die Wirklichkeit auferstanden

ist die Rede von Helga Daub für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Helga Daub (FDP):
Rede ID: ID1721130900

Verehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kollegin-

nen! Spät, aber eben nicht zu spät. – Dem Ziel, bis 2015
eine Generation frei von Aids zu haben, ist zuzustim-
men. Das Ideal sollte man sich immer vor Augen halten,
um schließlich praktische Schritte einzuleiten. Zu den
praktischen Schritten komme ich noch.

Zunächst sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass es
durchaus nennenswerte Fortschritte bei der Bekämp-
fung von Aids und HIV gibt. Sie kennen sicherlich den
UNAIDS-Bericht, wonach die Zahl der Todesfälle in
den letzten fünf Jahren um 23 Prozent zurückgegangen
ist und die Zahl der Neuinfektionen weltweit auf dem
niedrigsten Stand seit dem Höhepunkt dieser Epidemie
ist. Das ist die gute Nachricht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wollte ich zur Einleitung sagen.

Der Antrag der SPD enthält 30 Forderungen. Viel
Richtiges ist dabei; aber manches scheint mir – Ent-
schuldigung, dass ich das so sage – ein bisschen an den
Haaren herbeigezogen. Eine kleine Kostprobe: Sie sa-
gen, dass viele Medikamente gekühlt werden müssen,
was in armen heißen Ländern schwierig ist. Deshalb sei
Forschung nötig.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja, klar! Aber andere Forschung!)


Liebe Kollegin Roth, zunächst einmal: Wir werden das
Problem, dass es in diesen Ländern heiß ist, nicht abstel-
len können. Also ist erst einmal Kühlung nötig; das ist
der erste Schritt. Weitere Forschung soll das natürlich
nicht ausschließen.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aber man kann auch an solchen Medikamenten forschen, die das nicht brauchen!)


Eines möchte ich ganz klar und deutlich feststellen:
Der Vorwurf, Deutschland erfülle seine internationalen
Verpflichtungen nicht, ist von der Hand zu weisen.


(Beifall bei der FDP)


Bestes Beispiel ist der Global Fund, bereits mehrfach
erwähnt. Deutschland ist drittgrößter Geber. Die von Ih-
nen geforderte Verdopplung der Mittel von 200 Millio-

nen Euro auf 400 Millionen Euro per annum ist nicht nur
aus finanziellen Gründen utopisch.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Na! Das könnten Sie schon schaffen!)


Es fehlt auch die Absorptionsfähigkeit in den Entwick-
lungsländern. Sie kennen die Schwierigkeiten, die der
Global Fund beispielsweise in Uganda mit der Vertei-
lung seiner Mittel hat.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Fragen Sie doch den Globalen Fonds! Haben Sie mit dem Globalen Fonds schon mal über das Geld gesprochen?)


Richtig ist: Der Eindämmung der HIV-Epidemie wird
in der deutschen Entwicklungspolitik eine herausgeho-
bene Stellung eingeräumt. Unser wichtigstes Ziel ist es,
die Mutter-Kind-Übertragung zu verhindern. Aktuell un-
terstützt Deutschland in der bilateralen Zusammenarbeit
15 Partnerländer und zwei Regionen in Sachen Gesund-
heit, Familienplanung und HIV. Ein besonderer Fokus
liegt dabei auf den Ländern des südlichen und östlichen
Afrika. So unterstützen wir auch Partnerschaften zwi-
schen afrikanischen und deutschen Krankenhäusern so-
wie Forschungseinrichtungen. Ganz konkret stärken wir
damit nationale Gesundheitssysteme. Diesen erfolgrei-
chen Weg wollen wir natürlich weitergehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher freut es mich sehr, dass wir solche Kooperationen
ab dem kommenden Jahr auch auf den Bereich der Müt-
ter- und Kindergesundheit ausdehnen werden.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Mit dem gleichen Geld?)


Prävention bedeutet aber nicht nur medizinische
Maßnahmen, sondern vor allem auch Aufklärung. Damit
hatten wir in Deutschland große Erfolge; auch dort müs-
sen wir das machen.

Wir wollen also neue Wege beschreiten. So werden
zum Beispiel subventionierte und daher für die Bevölke-
rung erschwingliche Kondome über den lokalen Einzel-
handel vertrieben.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist doch ein alter Hut!)


– Ach, Frau Roth. – Wir unterstützen im Rahmen der
entwicklungspolitischen Zusammenarbeit eine Vielzahl
dieser kleineren Projekte, und das mit sehr guten Ergeb-
nissen.

Die Erfahrung zeigt, dass zivilgesellschaftliche Grup-
pen von der Bevölkerung in Entwicklungsländern beson-
ders gut angenommen werden. Diese Expertise von Ver-
tretern der Zivilgesellschaft muss man einbeziehen. Das
werden wir seitens der Bundesregierung und des Minis-
teriums auch tun.

Mit der Aufklärung müssen wir uns vor allen Dingen
an junge Menschen wenden, da in dieser Gruppe leider
Gottes die höchste Zahl von Neuinfektionen zu verzeich-
nen ist. Sehr erfolgreich ist zum Beispiel eine Initiative





Helga Daub


(A) (C)



(D)(B)


in Mosambik, die ausgeweitet werden soll: Während des
Fußballtrainings werden junge Männer spielerisch über
Aids aufgeklärt; das kommt gut an. Mittlerweile soll
diese Initiative auch in anderen Provinzen durchgeführt
werden.

Wir wollen auch finanziell neue Wege gehen. Nur ein
Beispiel – im Ausschuss habe ich es schon erwähnt, Frau
Roth –: Deutschland setzt sich dafür ein – ich halte das
für eine großartige Idee –, dass Schuldnerländern Schul-
den erlassen werden, sofern die frei gewordenen Mittel
in die nationalen Gesundheitssysteme fließen; ich spre-
che von der Debt2Health-Initiative. – Ich könnte Ihnen
weitere innovative und erfolgreiche Initiativen vorstel-
len. Da wir im digitalen Zeitalter leben, empfehle ich Ih-
nen aber einen Blick auf die Homepage des BMZ. Übri-
gens sind viele Ihrer Forderungen in die Strategie des
BMZ eingeflossen.

Wir können zwar helfen, bessere Rahmenbedingun-
gen in den Entwicklungsländern zu schaffen, und wir
können die Entwicklungsländer dabei unterstützen, den
Kampf gegen HIV zu führen. Aber die Entwicklungslän-
der müssen auch selbst einen Beitrag leisten; da können
wir sie nicht ganz außen vor lassen.

Jetzt komme ich zur Finanztransaktionsteuer, die, wie
immer wieder gefordert, zur Finanzierung herhalten soll.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Richtig! Die FDP mag die aber nicht!)


Sie wissen, Frau Roth – ich habe es schon einmal ge-
sagt –: Das ist ein Knochen, an dem schon viele Hunde
sind; will heißen: Auch andere haben schon ihre begehr-
lichen Blicke darauf geworfen. Diese Einnahmen wür-
den also nicht nur dem Einzelplan 23 zufließen; das
muss uns leider Gottes klar sein.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721131000

Frau Daub, kommen Sie bitte zum Ende?


Helga Daub (FDP):
Rede ID: ID1721131100

Ich komme zum Ende, ja.

Weil Ihr Antrag ein bisschen den Charakter eines
Wunschzettels an das Christkind hat, werden wir Ihren
Antrag ablehnen.

Danke, Frau Präsidentin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721131200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem
Titel „Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 –
Anstrengungen verstärken und Zusagen in der Entwick-
lungspolitik einhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11711, den
Antrag auf Drucksache 17/10096 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussemp-

fehlung angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
alitionsfraktionen. SPD und Linke haben dagegen ge-
stimmt; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang
zu Medikamenten weltweit verwirklichen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/9713, den Antrag auf Drucksache 17/8493 ab-
zulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen haben da-
gegen gestimmt; Linke und SPD haben sich enthalten.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12 a und b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes

– Drucksache 17/10771 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/11610 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Daniela Ludwig
Gustav Herzog
Werner Simmling
Dr. Valerie Wilms

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer

(Hamburg), Arnold Vaatz, Daniela Ludwig,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick
Döring, Michael Kauch, Birgit Homburger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP

Schienenlärm wirksam reduzieren – Schie-
nengüterverkehr nachhaltig gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav
Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Für einen neuen Infrastrukturkonsens –
Schutz der Menschen vor Straßen- und
Schienenlärm nachdrücklich verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gustav
Herzog, Uwe Beckmeyer, Doris Barnett, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Bürgerinnen und Bürger dauerhaft vom
Bahnlärm entlasten – Alternative Güterver-
kehrsstrecke zum Mittelrheintal angehen





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter, Winfried Hermann, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz vor Bahnlärm verbessern – Veralte-
tes Lärmprivileg „Schienenbonus“ abschaf-
fen

– Drucksachen 17/10780, 17/5461, 17/6452,
17/4652, 17/11610 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Daniela Ludwig
Gustav Herzog
Werner Simmling
Dr. Valerie Wilms

Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP liegen ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke vor.

Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und bitte um erhöhte Auf-
merksamkeit, weil der Kollege Dirk Fischer uns jetzt
nicht nur mit seiner Rede beglücken wird, sondern auch
dadurch, dass er seinen Geburtstag, der nur noch wenige
Stunden andauert, anlässlich dieses Tagesordnungspunk-
tes mit uns begehen wird. Ihnen herzlichen Glück-
wunsch und Gottes Segen!


(Beifall)


Wir singen nicht. – Sie reden jetzt.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1721131300

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Vielen Dank, verehrte

Kolleginnen und Kollegen! Als exportorientiertes Land
braucht Deutschland ein leistungsfähiges Schienennetz,
auf dem Waren und Güter bestmöglich transportiert wer-
den können. Der Schienengüterverkehr ist in den ver-
gangenen Jahren stark angestiegen. Die Prognosen zei-
gen, dass diese Entwicklung anhalten wird. Ich sage
ganz deutlich: Wir wollen noch viel mehr;


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


denn das ist gut für Wachstum, für Wettbewerbsfähigkeit
und für Beschäftigung.

Mehr Schienengüterverkehr bringt aber auch mehr
Lärm für die Anwohner, insbesondere entlang viel be-
fahrener Strecken mit dichter Besiedlung und engen Tä-
lern, wie zum Beispiel im Rheintal. Dort haben wir er-
hebliche Probleme mit dem Schienenverkehrslärm, vor
allem weil diese Lärmbelastung nachts zwischen 1 und
5 Uhr an stark befahrenen Strecken besonders hoch ist,
weil dann besonders viel Güterverkehr ohne Einschrän-
kung durch den vertakteten Personenverkehr abgewickelt
wird. Das heißt, der lauteste Schienenverkehr erfolgt
ausgerechnet in der Tiefschlafphase der Bevölkerung.
Das ist bei einem Universalnetz nicht anders möglich,
weil wir am Tage den vertakteten Personennah-, Regio-
nal- und Personenfernverkehr haben. Aber das gefährdet

die Gesundheit der Menschen. Deswegen müssen wir
die zunehmende Lärmbelastung durch den Schienengü-
terverkehr sehr ernst nehmen. Sonst dürfen wir uns nicht
wundern, wenn in der Bevölkerung der Widerstand ge-
gen Infrastrukturprojekte zunimmt.

Zurzeit fließen jährlich 100 Millionen Euro in das
Bundesprogramm für die freiwillige Lärmsanierung an
bestehenden Schienenwegen. Durch das Pilotprogramm
„Leiser Güterverkehr“ fördert der Bund die Ausrüstung
von Güterwagen mit neuen und vor allem leiseren
Bremstechnologien. Da sind im Moment die etwas teu-
rere K-Sohle und die deutlich günstigere LL-Sohle im
Angebot. Letztere hat ihre Dauerfestigkeit noch nicht
hinreichend bewiesen. Deswegen sind die Anwender
hier eher zurückhaltend. Wir hoffen, dass diese Brems-
technologie in wenigen Monaten voll verfügbar sein
wird. Wenn alle in Deutschland eingesetzten Güterwa-
gen so umgerüstet werden, kann damit der Lärm an der
Quelle um 10 Dezibel (A) reduziert und damit der wahr-
genommene Schienenlärm faktisch halbiert werden. Das
wäre eine großartige Sache.

Wenn wir dann auch diese Umrüstungsverpflichtung
europaweit durchsetzen, indem die Verordnung, die
heute für neue und vollständig grunderneuerte Güterwa-
gen gilt, auch für umgerüstete verpflichtend gemacht
wird, werden wir nicht nur in Deutschland, sondern auch
in Europa eine deutliche Verbesserung erleben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!)


Zum nächsten Fahrplanwechsel – am 9. Dezember –
wird eine lärmabhängige Spreizung der Trassenpreise
eingeführt, um den Betreibern weitere Anreize zu geben,
ihre Güterwagen lärmtechnisch umzurüsten und zu
modernisieren.

Mit Mitteln des Konjunkturpakets II wurde in innova-
tive Lärmschutztechniken am Gleis investiert, wurden
neue Technologien ausprobiert, damit wir auch bei den
Weichen und in anderen Bereichen Verbesserungen er-
zielen. Bis 2014 wird die Entwicklung und Erprobung
technisch und wirtschaftlich optimierter Verbundstoff-
Bremssohlen für den Einsatz in Güterwagen gefördert.

Da Verkehrslärm nicht an den Grenzen haltmacht, ar-
beiten wir auch auf EU-Ebene an Lösungen für den
grenzüberschreitenden Güterverkehr. Hinzu kommt,
dass eine solche Entwicklung auch in der Schweiz und in
anderen Nachbarländern vonstattengeht, sodass laute
Güterwagen durch verschiedene Länder nicht mehr wer-
den fahren können. Auch deswegen ist eine Umrüstung
geboten.

Diese Beispiele zeigen, dass die Koalitionsfraktionen,
die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion, die Belastung
durch den Schienenlärm ernst nehmen und handeln.


(Florian Pronold [SPD]: Auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben!)


Mit der Abschaffung des Schienenbonus machen wir
heute einen weiteren wichtigen Schritt für einen verbes-
serten Lärmschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Dirk Fischer (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


Der Bonus von 5 Dezibel (A) bei der Berechnung der
Lärmwerte für den Schienenverkehr gilt seit 1990. Diese
Privilegierung des Verkehrsträgers Schiene ist wegen
des verdichteten Schienenverkehrs schon längst nicht
mehr sachgerecht und auch nicht mehr zeitgemäß. Das
Thema ist also nicht neu, es beschäftigt uns seit Jahren.

Ich muss hier deutlich sagen, dass mir manche Kritik
der Opposition schon etwas merkwürdig erscheint. Denn
Rot-Grün hatte schon bei der Aufstellung des letzten
Bundesverkehrswegeplans, des Bundesverkehrswege-
plans 2003, die Chance, den Schienenbonus abzuschaf-
fen.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!)

Dann brauchten wir uns mit diesem Thema heute gar
nicht mehr zu befassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Sie haben sich drei Jahre Zeit gelassen!)


Wenn die SPD, die Grünen und nun auch der Bundesrat
fordern, die Abschaffung deutlich früher – 2015 oder
schon früher – wirksam werden zu lassen, dann greifen
sie nach meiner Auffassung zu kurz. Ich habe das Ge-
fühl, da offenbart sich Ihr schlechtes Gewissen; denn Sie
hätten ja seinerzeit handeln können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Wie viel Geld nehmen Sie denn für mehr Lärmschutz in die Hand?)


– Herr Kollege Pronold, ein früheres Inkrafttreten wäre
ein Eingriff in laufende Planungen, mit dem erhebliche
bereits aufgewendete Mittel zerstört würden, und durch
die Wiederholung des Planungsverfahrens würde erneut
viel Zeit verloren gehen. Wenn dann aufgrund der erhöh-
ten Lärmschutzanforderungen das Nutzen-Kosten-
Verhältnis auch noch unter 1 fällt, dürften diese Projekte
ohne Nachbesserungschance gar nicht mehr realisiert
werden können.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721131400

Herr Kollege.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1721131500

Frau Präsidentin. – Die Koalition hat sich für einen

vernünftigen Weg entschieden: für eine logische
Abschneidegrenze. Die Neuregelung soll mit Inkrafttre-
ten des nächsten Gesetzes zur Änderung des Bundes-
schienenwegeausbaugesetzes mit Bedarfsplan Schiene
für Neu- und Ausbauprojekte gelten. Das wird 2016 der
Fall sein. Das ist vertretbar, das ist verkraftbar für die
Aufgabenträger.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721131600

Herr Kollege.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1721131700

Ich glaube, dass wir eine gute Regelung haben. Wir

sind stolz darauf, dass diese Koalition, jedenfalls beim
Lärmschutz Schiene, eine hervorragende Arbeit geleistet
hat.


(Florian Pronold [SPD]: Sonst nicht!)


Wir hoffen, dass der Bundesrat das Beratungsverfahren
jetzt auch so zügig durchführt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721131800

Gustav Herzog hat das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1721131900

Sehr geehrter Kollege Fischer, auch von meiner Seite

herzliche Gratulation zum Geburtstag! Ich hätte mir aber
gewünscht, dass Ihre Fraktion mit der Redezeit heute
Abend nicht ganz so geizig ist. Dieses Thema allein
hätte schon mehr Redezeit verlangt. So sind Sie nun ein-
mal. Aber das ist Ihre Sache.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die Zeit, zu
der sich manche Menschen schon zur Ruhe legen. Die
werden dann in der Nacht das eine oder andere Mal ge-
weckt, insbesondere wenn sie im Mittelrheintal, in Bonn
oder in den großen Städten des Ruhrgebietes leben, wo
in der Nacht der Güterverkehr auf der Schiene durch-
fährt. Das treibt die Menschen um, und die ganze Politik
ist gefordert.

Deswegen gibt es in der letzten Zeit sehr ungewöhnli-
che Koalitionen. Da gab es zum Beispiel am letzten
Freitag im Bundesrat sehr intensive und erfolgreiche
Bemühungen von Rheinland-Pfalz und Hessen. Rhein-
land-Pfalz rot-grün, Hessen schwarz-gelb. Gemeinsam
organisierten sie eine Mehrheit im Bundesrat. Auch der
rheinland-pfälzische Landtag hat in der letzten Wahl-
periode bei absoluter Mehrheit der SPD gemeinsam mit
der CDU und der FDP einstimmig einen Antrag be-
schlossen, den Schienenbonus abzuschaffen, den passi-
ven Lärmschutz zu verbessern, die Wagen umzurüsten
und nach einer alternativen, nach einer neuen Trasse zur
Entlastung des Mittelrheintals zu suchen. Wir Sozial-
demokraten haben diesen Antrag inhaltsgleich hier ein-
gebracht. Ich bedauere, dass Sie sowohl im Ausschuss
als auch wohl heute Abend im Plenum dieses klare
Votum der Rheinland-Pfälzer ablehnen.

Ich glaube, es gibt ein großes gemeinsames Ziel:
mehr Güter auf die Schiene. Aber wir werden das nur er-
reichen, wenn wir die Menschen vom Lärm entlasten
und auch für mehr Akzeptanz sorgen. Deswegen ist es
schade, dass es hier nicht mehr Gemeinsamkeit gibt. Die
gibt es zum Beispiel deshalb nicht, weil die rechte Seite
dieses Hauses drei Jahre gebraucht hat, eine Formulie-
rung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Sie haben
unsere Anträge im Verkehrsausschuss blockiert, sodass
wir sogar nach der Geschäftsordnung zum Thema debat-
tieren mussten.

Wir haben Hinweise bekommen, warum Sie sich so
schwer damit tun, nämlich weil sich Herr Ramsauer öf-
fentlich äußert, jedes Dezibel weniger Lärm koste ihn
1 Milliarde Euro, oder ihr Kanzleramtsminister Pofalla
sagt: In dieser Wahlperiode wird der Schienenbonus
nicht abgeschafft. – Er hat ja recht; denn nach Ihrer
Konstruktion, die Sie mit Ihrer Mehrheit heute Abend
durchsetzen werden, wird der Schienenbonus erst dann





Gustav Herzog


(A) (C)



(D)(B)


abgeschafft, wenn das Bundesschienenwegeausbauge-
setz nach dem Bundesverkehrswegeplan in Kraft tritt.
Das ist aber erst in der übernächsten Wahlperiode der
Fall. Dann nehmen Sie auch noch alle Projekte heraus,
bei denen das Planfeststellungsverfahren zu diesem Zeit-
punkt bereits eröffnet worden ist. Da sollten Sie den
Menschen ehrlich sagen, Ihr Versprechen im Koalitions-
vertrag, den Schienenbonus in dieser Wahlperiode abzu-
schaffen, haben Sie gebrochen.


(Beifall bei der SPD)


Frau Kollegin Ludwig, Sie werden nachher sicherlich
sagen: Jetzt redet die böse Opposition wieder alles
schlecht. – Was schlecht ist, kann man nicht schlechtre-
den. Sie sind nicht ambitioniert, und Sie haben auch kein
gutes Handwerk an den Tag gelegt.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben uns in unserer Fraktion nach intensiven
Beratungen mit unseren Haushältern, aber auch mit den-
jenigen, die die Sache letztendlich umzusetzen haben,
nämlich mit der Bahn, darauf verständigt, zu sagen: Das
Lärmprivileg der Schiene soll 2015 fallen, außer bei den
Maßnahmen, die im Planfeststellungsverfahren sind.
Wir glauben, dass das ein durchaus vertretbarer
Kompromiss zum Schutz der Menschen sowie für mehr
Planungssicherheit und Wirtschaftlichkeit ist. Der Bun-
desrat hat am letzten Freitag den Termin 2017 beschlos-
sen, allerdings ohne Ausnahmen für laufende Planfest-
stellungsverfahren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich
darauf, dass wir im Zusammenhang mit dem Eisenbahn-
regulierungsgesetz und den Vorschlägen des Bundes-
rates hier noch einmal intensiv zur Sache reden werden.
Ich will etwas zu den Anträgen sagen und freue mich da-
rüber, dass die Koalition so aufmerksam war, vieles Gute
aus rot-grüner Zeit und aus der Zeit der Großen Koali-
tion aufzuzählen. Herr Kollege Fischer, bekennen Sie
sich doch dazu, dass Sie mit uns in der Großen Koalition
waren, weil wir damals auch viele gute Dinge gemacht
haben.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)


Ich fange mit 1999 an. Wir waren die Ersten, die
Mittel für die Lärmsanierung an der Schiene im Bundes-
haushalt zur Verfügung gestellt haben. Wir haben mit
50 Millionen Euro angefangen. – Für das Protokoll: Der
Kollege Fischer nickt mir zu.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Ja!)


2007 haben wir die Mittel gemeinsam auf 100 Millionen
Euro erhöht.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das stimmt auch!)


Seitdem ist nichts mehr passiert.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Doch!)


– Sie haben die Mittel nicht erhöht. Wo ist denn die
Erhöhung? Die Haushaltsberatungen sind vorbei. Es

sind weiterhin 100 Millionen Euro; Sie haben es auch
erwähnt.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist viel passiert, Herr Kollege!)


Die Pilotprojekte „Leiser Güterverkehr“ und „Leiser
Rhein“ stammen auch nicht von der rechten Seite des
Hauses, sondern von sehr viel früher. Auch die
Lärmschutzpakete I und II, auf die Sie sich heute zu
Recht berufen, stammen aus einer Zeit sozialdemokrati-
scher Bundesverkehrsminister.

Ich habe mich einmal auf die Suche danach gemacht,
welche wegweisenden Anträge Sie früher gestellt haben.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine!)


Dabei bin ich auf einen von der FDP gekommen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der einzige!)


2006 haben Sie einen schönen Antrag gestellt. Ich lese
Ihnen jetzt einmal vor, wie fortschrittlich und mutig Sie
waren:


(Torsten Staffeldt [FDP]: Sind!)


Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, … in einer Studie zu prüfen, ob die
Anwendung des sog. Schienenbonus gemäß
Anlage 2 zu § 3 der 16. BImschV noch gerecht-
fertigt ist.


(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)


Das war der wegweisende Antrag der FDP.

Herr Kollege Fischer, wir haben im März 2007 ge-
meinsam einen Antrag eingebracht, in dem nichts von
einer Abschaffung des Schienenbonus steht; das ist
richtig. Aber auch von Ihrer Seite ist damals nichts
gekommen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir waren 2003 in der Opposition!)


Wenn Sie also schon mit dem Finger auf uns zeigen,
dann sollten Sie bedenken, dass drei Finger auf Sie zu-
rückzeigen.

Ich will gar nicht abstreiten, dass Sie auch etwas
Neues vorgebracht haben – schön und gut. Es gibt bei
der Rheintalbahn einen Projektbeirat. Hier stellen Sie
eine Menge Geld zur Verfügung. Dieses Geld haben aber
auch andere verdient. Es kann nicht sein, dass sich der
Bundesverkehrsminister Projekte in der Region aussucht
und das Geld nach Gutsherrenart verteilt. So nicht!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil Sie die lärmabhängigen Trassenpreise angespro-
chen haben, will ich zum Abschluss noch aus einer Mit-
teilung der Bundesnetzagentur vom 7. November 2012
zitieren. Auf die Frage: „Wie bewertet die Bundesnetz-
agentur die große Show, die Herr Ramsauer zusammen
mit Herrn Grube gefeiert hat, als sie im Juli letzten





Gustav Herzog


(A) (C)



(D)(B)


Jahres ihr Papier unterschrieben haben?“, schreibt die
Bundesnetzagentur:

Die EU-Kommission stimmt der Förderrichtlinie
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung nicht zu. Das vorgesehene Mo-
dell kann daher nicht starten. Die Deutsche Bahn
Netz AG plant ein Alternativmodell, das jedoch
wegen höherer Systemkosten nur einen schwachen
Anreiz bieten kann.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132000

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1721132100

Dann sage ich noch:

Die Inkraftsetzung, das Überarbeiten des Modells
wird sowohl im Hinblick auf das Modell als auch
auf die Einführung sehr eng getaktet sein.

Sie sehen: Das ist schlechtes Handwerk, und das haben
die Leute nicht verdient. Zu Ihnen kann man wie die
DVZ vom 6. November 2012 nur sagen: „Viel gewollt,
wenig erreicht.“ Schade für die Menschen, die den Lärm
weiter ertragen müssen.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132200

Michael Kauch hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1721132300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist

am heutigen Abend eine gute Nachricht für die
Menschen in Deutschland, aber vor allen Dingen für die
Menschen in Südbaden, im Mittelrheintal und am
Niederrhein; denn wir werden dafür sorgen, dass der
Lärmschutz bei den Planungen in der Zukunft stärker
berücksichtigt wird. Das ist eine gute Nachricht und ein
Erfolg dieser Koalition.


(Florian Pronold [SPD]: Wann tritt das in Kraft? – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Am Sankt-NimmerleinsTag!)


Der Lärmrabatt der Bahn wird abgeschafft. Die
Menschen haben bei einem Projekt der Bahn jetzt den
gleichen Anspruch auf Lärmschutz wie dann, wenn eine
Autobahn gebaut wird. Es war ja wirklich ein Treppen-
witz, dass bei gleicher Lärmbelastung die Menschen dis-
kriminiert wurden, die an Bahnstrecken und eben nicht
an einer Autobahn lebten.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich möchte an dieser Stelle hervorheben: Das ist eine
Parlamentsinitiative. Das zeigt, dass dieses Parlament
funktioniert.


(Florian Pronold [SPD]: Ab wann trifft das denn zu?)


Wir warten nicht nur darauf, dass die Regierung uns Vor-
lagen macht. Nein, wir handeln selbst. Das ist ein selbst-
bewusstes Parlament. Das ist eine selbstbewusste Koali-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Die handeln doch gar nicht!)


Die Opposition nörgelt jetzt. Das muss die Opposition
natürlich machen, weil sie uns den Erfolg nicht gönnt.


(Gustav Herzog [SPD]: Sie kritisiert, sie nörgelt nicht!)


Aber diese Koalition hat sich durchgesetzt. Was haben
Sie denn gemacht? Wenn ich die SPD so reden höre,
finde ich das schon erstaunlich. Ich erinnere mich näm-
lich daran, dass ich damals mit genau diesem Antrag bei
einem SPD-Verkehrsminister vor die Wand gelaufen bin.


(Oliver Luksic [FDP]: Pfui!)


Sie haben alle Anträge der FDP, auch den, den Sie ge-
nannt haben und in dem noch vorsichtig von einer Über-
prüfung die Rede war, aber auch die, die danach kamen
und in denen die Abschaffung des Schienenbonus gefor-
dert wurde, abgelehnt, und zwar ohne Alternative. Jetzt
stellen Sie sich hier hin und kritisieren uns dafür, dass
wir Initiativen in dieser Richtung ergriffen haben. Sie
haben nichts gemacht. Sie haben nichts erreicht. Deshalb
ist das an dieser Stelle ein Erfolg dieser Koalition und
der FDP.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich danke insbesondere der Kollegin Laurischk ganz
herzlich, die über viele Jahre in Südbaden dafür ge-
kämpft hat, was wir jetzt erreicht haben.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Auch vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ist es möglich,
ohne Schienenbonus zu bauen. Voraussetzung ist ein Fi-
nanzierungskonzept. Im Rheintal wird darüber verhan-
delt, wie hier ein Finanzierungskonzept aussehen soll.
Diese Koalition wird hier im Deutschen Bundestag einen
Antrag beschließen – wir haben ihn gerade eingebracht –,
mit dem die Finanzierung des Projekts Rheintalbahn ab-
gesichert werden soll.

Im Übrigen ist die Abschaffung des Schienenbonus
nicht das einzige Lärmschutzprojekt, das wir bereits
durchgesetzt haben. Auch das, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, was wir hier durchgesetzt haben,
haben Sie immer abgelehnt. Wir haben bereits in der ver-
gangenen Wahlperiode beantragt, lärmabhängige Tras-
senpreise einzuführen. Sie als SPD haben das abgelehnt.
Wir führen marktwirtschaftliche Anreize für guten Um-
weltschutz ein.

Das ist eben der Unterschied zwischen der Umwelt-
politik der FDP und der der SPD: Sie reden, wir machen.
Wir machen das mit Marktwirtschaft. Das schafft diese
Koalition, das schaffen Sie nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)


Ich glaube, heute ist ein guter Tag für den Umwelt-
schutz und ein guter Tag für die Verkehrspolitik in
Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132400

Sabine Leidig hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721132500

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Wir Linken sind der Überzeugung, dass
alle Menschen in diesem Land ein Recht darauf haben,
vor krank machendem Verkehrslärm geschützt zu wer-
den.

Es ist gut, dass eine Forderung der Bürgerinitiativen
gegen Bahnlärm nun endlich aufgegriffen wird. Die Re-
gierungskoalition will den sogenannten Schienenbonus
abschaffen, also den Bonus, dass der Lärm auf Bahnstre-
cken bisher lauter sein durfte als der auf Autobahnen.
Aber wir werden diesen Gesetzentwurf trotzdem ableh-
nen.


(Sebastian Körber [FDP]: Das ist ja ein Skandal!)


Dafür will ich drei Gründe nennen.

Erstens. Sie stehen derartig auf der Bremse, dass man
nicht einmal von Schneckentempo reden kann; der Kol-
lege hat es gerade schon angedeutet.


(Sebastian Körber [FDP]: Das ist ein Skandal!)


Erst nachdem der nächste Bedarfsplan Schiene verab-
schiedet ist, soll die neue Regelung gelten. Das wird
nicht vor 2016 der Fall sein. Realistischerweise wird vor
dem Jahr 2020 keine einzige Bahnstrecke in Betrieb ge-
hen, die leiser geplant wurde. Wir fordern, dass ab sofort
keine Planung mehr ohne besseren Lärmschutz zulässig
ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Das ist noch viel wichtiger: Sie lassen die
Betroffenen völlig im Regen stehen, die an den beste-
henden lauten Strecken wohnen. Da donnern immer
mehr, immer schwerere, längere und lautere Güterzüge
durch die Ortschaften, und zwar vor allem nachts; das
haben Sie richtig gesagt. Da sind viele am Rand der Ver-
zweiflung, weil normales Leben, weil Durchschlafen
kaum noch möglich ist, weil die Häuser Risse von den
Erschütterungen bekommen. Es gibt Ortschaften, die re-
gelrecht verkümmern – selbst übrigens am Fuß der schö-
nen Loreley –, weil viele wegziehen und immer weniger
Touristen kommen.

Die bestehende Rechtslage gewährt relativ anspruchs-
vollen Lärmschutz an Verkehrswegen nur bei Neubau
oder bei erheblichem Ausbau. Dieser Umstand wird üb-
rigens immer wieder als Druckmittel verwendet, wenn

sich Anwohnerinnen und Anwohner gegen den Ausbau
von Straßen und anderen Verkehrswegen wenden. Lärm-
schutz wird nur in Aussicht gestellt, wenn mehr Verkehr
akzeptiert wird.

Wir verlangen, dass alle Bürgerinnen und Bürger den
gleichen Anspruch auf Lärmschutz haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Konkret: In den nächsten 20 Jahren sollen alle Straßen
und Schienenwege so umgestaltet werden, dass niemand
mehr darunter leidet. Die 20 Prozent der lautesten Stre-
cken müssten innerhalb der nächsten fünf Jahre lärmsa-
niert werden. Damit hätten zum Beispiel die Menschen
im Rheintal absehbar eine Perspektive und Hoffnung auf
ruhigen Schlaf. Alles andere ist eigentlich unverantwort-
lich.

Mein dritter und letzter Punkt. Der zusätzliche Lärm-
schutz ist dieser Regierung keinen zusätzlichen Euro
wert. Großzügig stellen Sie den Ländern frei, die Kosten
dafür zu übernehmen. Natürlich begrüßen wir es, dass in
Baden-Württemberg ein Programm zur Entlastung der
Anwohner am Oberrhein finanziert wird. Aber für die
Leute am Niederrhein sieht es zum Beispiel ganz anders
aus, weil Nordrhein-Westfalen kein Geld dafür hat. Das
geht nicht.

Wir haben beantragt, dass der Bund das Lärmsanie-
rungsprogramm erheblich aufstockt. Das kostet ver-
gleichsweise wenig, wenn man es mit den Milliarden
vergleicht, die für die Zockerbanken überwiesen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Schienenwege brauchte man jährlich nur etwa
120 Millionen Euro. Das aber wären Investitionen in
mehr Lebensqualität.

Ich komme zum Schluss: Die Linke hat ein alternati-
ves Verkehrskonzept für Niedersachsen ausgearbeitet.
Das habe ich druckfrisch mitgebracht. Es ist sehr schön
geworden.


(Florian Pronold [SPD]: Es ist auch umsetzbar und bezahlbar?)


Es heißt „Sattelfest und bahnverwachsen“. Das ist der
programmatische Untertitel. Tatsächlich wollen wir viel
weniger schädlichen Lkw-Straßenverkehr, und wir wol-
len mehr und besseren Bahnverkehr im ganzen Land,
aber der muss leise sein.


(Zuruf von der FDP)


Im Zentrum unserer Verkehrspolitik stehen Mensch,
Umwelt und Klima anstelle von Beton, Sprit und Profit.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132600

Das Wort hat jetzt Valerie Wilms für Bündnis 90/Die

Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Werte Gäste, die Sie sich noch zu später Stunde bei





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


diesem doch gerade für die Anwohnerinnen und Anwoh-
ner von Schienenstrecken sehr wichtigen Thema hier
aufhalten! Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich
wirklich wundert, ist, dass wir bei Fragestellungen, bei
denen wir inhaltlich nicht weit auseinanderliegen, zu
keiner für die Bürger vernünftigen, tragfähigen Lösung
kommen. Das erschüttert mich wirklich bei der Debatte,
die wir hören. Wir sind uns alle darüber im Klaren – ich
habe mich hier einmal von der Linksfraktion bis hin zur
FDP-Fraktion mit Herrn Kauch umgesehen –, dass der
Schienenbonus abgeschafft gehört, dass dieses Privileg
einfach nicht mehr relevant ist, dass wir es nicht mehr
vernünftig begründen können. Wir müssen da heran. Ei-
gentlich war es bei der Belastung, die wir mittlerweile
auf der Schiene insbesondere durch den Güterverkehr
haben, falsch, was wir damals gemacht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Schienenbonus bedeutet, dass Züge 5 Dezibel lauter
sein können. Das bedeutet de facto: mehr als doppelt so
laut wie der entsprechende Straßenverkehr. Das wird
jetzt grundsätzlich anerkannt. Dann kommt ein Gesetz-
entwurf – auch wenn er aus den Koalitionsfraktionen
kommt, weil Ihre Regierung an der Stelle überhaupt
nicht reagieren wollte – mit einer Regelung, die im Prin-
zip dazu führt, dass wahrscheinlich erst 2040 das letzte
Neubauobjekt mit Schienenbonus gebaut ist. Denn Sie
müssen sich das einmal ganz genau ansehen. Sie machen
es am Bundesverkehrswegeplan fest, der sicherlich nicht
vor 2017 einigermaßen fertig sein wird. Dann kommt
das Schienenwegeausbaugesetz. Das braucht auch wie-
der eine gewisse Zeit, bis es vorliegt, und dann gilt es
nur für Planungen, die danach beginnen. Sie wissen sel-
ber, wie lange eine Planfeststellung gültig ist. Dazu, wie
Sie es hinbekommen können, das Projekt mit dem ersten
Bagger anzufahren, hat das BMVBS entsprechende Er-
fahrungen. Ich erinnere nur an den berühmt-berücksich-
tigten blankgeputzten Spaten in Brunsbüttel. Wenn Sie
das Projekt gestartet haben, dann ist gerade bei Schie-
nenprojekten mit Bauzeiten in einer Größenordnung von
20 Jahren zu rechnen. Das dauert also ewig.

Sagen Sie das den Menschen draußen vor Ort: Wir
lassen Sie noch so lange allein. – Stattdessen lassen Sie
sich feiern, als hätten Sie eine große Tat vollbracht.
Nichts haben Sie gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wenn Sie wirklich eine große Tat für die Menschen
draußen vor Ort vollbringen wollen, dann stimmen Sie
unserem Änderungsantrag zu, dass der Schienenbonus
sofort abgeschafft wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der eine Punkt, was Neubau und gegebenen-
falls Sanierung betrifft. Dann gibt es aber noch die an-
dere Nummer, bei der Sie uns auch wieder etwas vorgau-
keln. Sie sind als Supertiger mit der Ankündigung
gestartet: Wir wollen jetzt ein gespreiztes Trassenpreis-
system mit marktwirtschaftlichen Konzepten. – Herr
Kauch, ich stimme Ihnen durchaus zu, dass wir markt-

wirtschaftliche Instrumente nutzen müssen, um den lei-
sen Schienenverkehr zu bevorzugen bzw. in Gang zu set-
zen. Darin sind wir absolut d’accord: Das müssen wir
nicht alles über ein Regelwerk machen. Dazu gehört
aber auch, dass es wirklich wirksam ist, und dafür reicht
keine lächerliche Spreizung, wie sie jetzt vorgesehen ist,
sondern sie muss für diejenigen, die dort mit lauten
Fahrzeugen herumfahren, schmerzhaft zu spüren sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch in diesem Punkt gilt also: Sie sind als großer Ti-
ger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Das Ein-
zige, das Sie mit dem Gesetzentwurf, den Sie sozusagen
in Überspielung, wie Sie es genannt haben, Ihrer eigenen
Regierung hinbekommen haben, ist die Unwirksamkeit.
Sie machen eine reine PR-Show, ausschließlich deshalb,
um noch das letzte halbe Jahr der Regierung durchzuste-
hen.

Wenn Sie für die Menschen draußen vor Ort wirklich
etwas erreichen wollen, dann stimmen Sie unserem Än-
derungsantrag zu! Dann haben Sie wirklich etwas er-
reicht. Das gilt auch für alle anderen Kolleginnen und
Kollegen. Denn wir müssen Lärmschutz machen. An-
ders geht es nicht.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132800

Frau Kollegin.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721132900

Werte Frau Präsidentin, ich habe es vernommen. Ich

nehme jetzt den Lärmschutz wahr, auch hier am Mikro-
fon.


(Heiterkeit)


Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721133000

Ich hingegen gebe das Wort an Daniela Ludwig für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Bitte auch etwas mehr Lärmschutz, Frau Kollegin!)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1721133100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich habe Sie in der ersten Beratung unseres Gesetz-
entwurfs gefragt, wo Sie lieber wohnen würden: an einer
Bahnstrecke oder an einer Autobahn? Sehr richtig und
nicht überraschend kam zunächst die Antwort: Am liebs-
ten an keinem von beiden. Der geltenden Rechtslage zu-
folge hätten Sie aber antworten müssen – das hat Herr
Kauch auch dargestellt –: An der Autobahn wäre mir lie-
ber, weil die Autobahn im Zweifel leiser sein muss als
der Schienenverkehr.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich lasse es
nicht zu, dass Sie nur aus purem Neid darüber, dass wir
etwas vorwärtsbringen, und aus purer Missgunst, dass





Daniela Ludwig


(A) (C)



(D)(B)


wir Dinge tun, für die Sie Jahrzehnte lang Zeit hatten,
dieses kleinreden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Denn klar ist: Sie hatten lange Zeit, den Schienenbonus
abzuschaffen. Ich möchte ihn gar nicht als Privileg be-
zeichnen; er ist im Prinzip ein Dinosaurier, der eigentlich
beim Lärmschutz nichts zu suchen hat. Lärm von der
Schiene ist genauso unerträglich wie Lärm von der
Straße oder vom Flugzeug.


(Petra Müller [Aachen] [FDP]: Stimmt!)


Sie hatten lange genug Zeit.

Wir nutzen jetzt unsere Zeit, und wir machen es so,
wie wir es für logisch, vernünftig und – auch wenn bald
Weihnachten ist – insbesondere für finanzierbar und dem
Bundeshaushalt gegenüber für verantwortbar halten.


(Florian Pronold [SPD]: Wir waren aber eine Große Koalition, oder? Haben Sie deswegen Ihren Namen geändert, weil Sie Ihre Mitgliedschaft in der Großen Koalition verschweigen wollen?)


Denn wir sind nicht in der Wünsch-dir-was-Show, son-
dern wir müssen als verantwortungsbewusste Politiker
letztlich entscheiden, was wir verantworten und finan-
zieren können, was auch für die Vorhabenträger in Ord-
nung ist und wann sie welche politischen Entscheidun-
gen in ihre Planungen mit einbeziehen können. Ich
meine, dass unser Vorschlag, der jetzt vorliegt, der rich-
tige ist.

Natürlich ist es Ihr Job, zu sagen: Es muss noch mehr
gehen; es muss noch mehr Geld und noch mehr Lärm-
schutz geben usw. – Aber das brauche ich mir von nie-
mandem sagen zu lassen, der elf Jahre den Verkehrs-
minister gestellt hat und elf Jahre beim Schienenbonus
rein gar nichts vorwärtsgebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es so leicht gewesen wäre, dann hätten Sie es
längst machen können, und wir brauchten die Debatte
hier nicht mehr führen. Dann hätte es schon in den letz-
ten Jahren einen besseren Lärmschutz bei den Schienen-
projekten gegeben.

Die lärmabhängigen Trassenpreise und Systeme
treten selbstverständlich zum 9. Dezember, also zum
Fahrplanwechsel in wenigen Tagen, in Kraft.


(Lachen des Abg. Florian Pronold [SPD])


– Herr Pronold ist anscheinend nicht ausreichend infor-
miert. Das kennen wir von ihm nicht anders.

Es wird eine beihilferechtliche Überprüfung durch die
EU-Kommission geben, was völlig normal ist. Es hat
aber nichts damit zu tun, dass ab sofort die Anträge auf
Förderung gestellt werden können. Es ist ein ambitio-
niertes Vorhaben; aber auch wir sind wieder diejenigen,
die es anfangen.


(Gustav Herzog [SPD]: Eine Preiserhöhung! Da wird doch kein Antrag gestellt!)


– Hätten Sie es doch gemacht, Herr Herzog. Es ist ja
nett, wie Sie sich hier aufregen. Eigentlich wünsche ich
mir von Ihnen mehr Freude bei diesem guten Vorhaben,
das wir endlich anpacken,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und nicht dieses ständige Genöle und Gemeckere.
Hätten Sie es besser gemacht, würde ich klatschen und
sagen: Super!


(Gustav Herzog [SPD]: Sie waren doch dabei vier Jahre!)


Es ist das Beste für die Anwohner. Wir machen es. Wir
sind mutig. Wir schreiten voran. Wir führen lärmabhän-
gige Trassenpreise ein. Wir gestalten sie so, dass sie
funktionieren. Wir lassen uns dabei auch nicht von der
EU-Kommission hineinpfuschen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wird zum 9. Dezember in Kraft treten. Ein bisschen
mehr Mut!


(Gustav Herzog [SPD]: Bei Ihnen braucht man Mut!)


Sie sind duckmäuserisch und glauben im vorauseilenden
Gehorsam, dass das nicht klappt. Wir machen es. Wir
setzen es um. Der 9. Dezember ist der Stichtag. Die För-
derung kann ab sofort beantragt werden.


(Gustav Herzog [SPD]: Wir fragen nächstes Mal nach den Anträgen! Da wird keiner einen Antrag stellen!)


Das sind die guten Nachrichten, die wir den Leuten
überbringen können. Wer nur meckert, wird keinen
bleibenden Eindruck hinterlassen. Einen bleibenden
Eindruck hinterlassen wir.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721133200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11610,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/10771 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11708 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung
durch Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Die SPD hat
sich enthalten. Die Regierungsfraktionen haben abge-
lehnt.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen
bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die
Oppositionsfraktionen haben sich enthalten. Dagegen
gestimmt hat niemand.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zu-
vor angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/11709. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung
durch die einbringende Fraktion. Dagegen haben Regie-
rungsfraktionen und SPD gestimmt. Bündnis 90/Die
Grünen haben sich enthalten.

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung auf Drucksache 17/11610 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung die Annahme des Antrags der CDU/CSU und FDP
auf Drucksache 17/10780 mit dem Titel „Schienenlärm
wirksam reduzieren – Schienengüterverkehr nachhaltig
gestalten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch
CDU/CSU und FDP. Enthalten haben sich Bündnis 90/
Die Grünen. Dagegen haben gestimmt SPD und Linke.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/5461 mit dem Titel „Für einen neuen Infra-
strukturkonsens – Schutz der Menschen vor Straßen-
und Schienenlärm nachdrücklich verbessern“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitions-
fraktionen. Die Opposition hat dagegen gestimmt.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6452 mit dem
Titel „Bürgerinnen und Bürger dauerhaft von Bahnlärm
entlasten – Alternative Güterverkehrsstrecke zum
Mittelrheintal angehen“. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustim-
mung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositions-
fraktionen waren dagegen.

Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/4652 mit dem Titel „Schutz vor Bahnlärm verbessern –
Veraltetes Lärmprivileg ‚Schienenbonus‘ abschaffen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-

fehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Ko-
alitionsfraktionen. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grü-
nen und Linke gestimmt. Die SPD hat sich enthalten.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über Kapitalgesellschaften mit kommuna-
ler Beteiligung

– Drucksache 17/11587 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden hierzu zu Protokoll gegeben.


Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1721133300

Die Fraktion Die Linke beklagt in ihrem Gesetzent-

wurf einen Verlust der Steuerungsfähigkeit von Kapi-
talgesellschaften mit kommunaler Beteiligung zulasten
der kommunalen Vertretungskörperschaften.

Um dem entgegenzuwirken, fordert die Fraktion
Die Linke Änderungen im Gesellschaftsrecht. Der An-
trag geht jedoch fehl.

Der öffentlichen Hand ist es, sofern sie die maßgeb-
lichen verfassungsrechtlichen und verwaltungsrecht-
lichen Vorgaben beachtet, freigestellt, in welcher Rechts-
form sie ihre Unternehmen führt, entweder in den
Rechtsformen des öffentlichen Rechts oder in denen
des Privatrechts. Dies entscheiden die kommunalen
Gebietskörperschaften selbstständig.

Setzt die auch verfassungsrechtlich unterlegte Inge-
renzpflicht im konkreten Fall Schranken, die bei Rück-
griff auf Gesellschaftsformen des Privatrechts nicht
eingehalten werden können, ist die Konsequenz keine
Veränderung des Privatrechts. Vielmehr wird die Ge-
bietskörperschaft dann auf die ihr ohnehin zur Verfü-
gung stehenden Rechtsformen des öffentlichen Rechts
verwiesen.

Der von der Fraktion Die Linke postulierte Reform-
bedarf im Bereich des Privatrechts besteht nicht. Der
Gesetzentwurf ist deshalb abzulehnen.


Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1721133400

Die Linken sehen Defizite bei GmbHs, vor allem

aber bei Aktiengesellschaften mit kommunaler Beteili-
gung, weil sie befürchten, diese könnten von den
kommunalen Vertretungskörperschaften nicht richtig
gesteuert werden. Sie stellen fest, dass es bei den Akti-
engesellschaften nur Weisungsmöglichkeiten gegen-
über den kommunalen Vertretern in der Hauptver-
sammlung gibt, nicht aber gegenüber dem Aufsichtsrat
oder gegenüber dem Vorstand. Bei der GmbH könne
sich die Kommune immerhin im Gesellschaftsvertrag
Weisungsrechte und Zustimmungsvorbehalte gegen-
über den Geschäftsführern vorbehalten. Hier muss





Ingo Egloff


(A) (C)



(D)(B)


schon insofern widersprochen werden, als es auch
nach aktuellem Recht durchaus möglich ist, in der Sat-
zung einer hundertprozentig kommunalen GmbH die
Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen vorzuschrei-
ben, aber die Gemeinden tun das nicht – ein sicheres
Indiz dafür, dass sie es offenbar nicht wollen.

Der Gesetzentwurf will deshalb Auskunfts- und
Weisungsrechte zugunsten der Kommunen einführen,
Öffentlichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats vor-
schreiben und die Amtszeit des Aufsichtsrats mit der
Wahlperiode der kommunalen Vertretungskörperschaft
synchronisieren. Bei Beteiligung Privater an der Ge-
sellschaft soll das Ausbleiben von Überschüssen oder
zeitweiliger Wertverlust der Gesellschaftsanteile die
Interessen der Gesellschaft dann nicht verletzen, wenn
die Maßnahmen, die dazu führen, dem Zweck der Ge-
sellschaft dienen.

Wer Unternehmen mit kommunaler Beteiligung
kaputtmachen will, öffentliche Wohnungsunternehmen,
Energieerzeugungs- und -versorgungunternehmen,
Abfallwirtschaftsbetriebe, Krankenhäuser, Messege-
sellschaften und überhaupt die Rekommunalisierung in
Kernbereichen der Daseinsvorsorge verhindern und
behindern will, der muss solche Vorschriften in die Welt
setzen. Wer privates Kapital in Unternehmen mit öf-
fentlicher Beteiligung am liebsten ganz unterbinden
will, der denkt sich Regelungen aus, die den Wertver-
lust als im öffentlichen Interesse liegend definieren.

Die Linken können sich hier mit der FDP zusam-
mentun, die angeblich im Interesse der Transparenz öf-
fentliche Aufsichtsratssitzungen und weitgehende öf-
fentliche Berichtspflichten und Ähnliches mehr fordert.
Am Ende wird es keinen öffentlichen Unternehmens-
sektor mehr geben. Mit den kommunalen Interessen-
verbänden oder mit dem GdW haben die Linken offen-
bar nicht gesprochen.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1721133500

Der vorliegende Gesetzentwurf kommt im scheinbar

sachlichen Gewande daher. Aber dieses Gewand kann
nicht darüber hinwegtäuschen, dass er bloß die wirt-
schaftliche Enteignung aller privaten Aktionäre be-
zweckt, die Anteile an einem Unternehmen mit kommu-
naler Beteiligung halten.

Die Linke möchte der öffentlichen Hand hier Son-
derrechte einräumen, ungehinderte Plünderung der
Unternehmenskassen und auch noch Freistellung von
jedweder Haftung bzw. Verantwortung für solche Plün-
derungsaktionen per Gesetz möglich machen. Sollte
der Entwurf Gesetz werden, führte dies dazu, dass kein
Privater mehr Aktien einer einschlägigen Gesellschaft
halten oder erwerben möchte. Der Wert der Aktien
wird daher massiv fallen. Die Vermögensinteressen
der engagierten Privaten finden keinerlei Berücksich-
tigung. In meinen Augen verletzt der Entwurf daher
unter anderem die Eigentumsgarantie aus Art. 14 un-
seres Grundgesetzes.

Warum dieser harte Vorwurf zutreffend ist, möchte
ich Ihnen kurz anhand Ihres Entwurfes nachweisen:

Sie wollen jederzeit die Mitglieder der Leitungsor-
gane nach Gutdünken auswechseln und anweisen kön-
nen. Das sehen §§ 2 und 5 Ihres Gesetzentwurfes vor.
Eigenverantwortliche Geschäftsführung im besten In-
teresse der Gesellschaft brandmarken Sie. Aus Vor-
ständen sollen Erfüllungsgehilfen werden. Sie streben
an, dass die eigentliche Leitungsmacht aus dem Vor-
stand der Gesellschaft in die kommunalen Entschei-
dungsgremien wandert.

Das mag man wollen. Dann muss man aber auch
die Haftung für die unternehmerischen Entscheidun-
gen übernehmen. Denn die Kommune wird hierdurch
quasi zum herrschenden Unternehmen in einem fak-
tischen Konzern. Schadet hier das herrschende Unter-
nehmen dem beherrschten Unternehmen, so korres-
pondiert damit ein Haftungsanspruch – insbesondere
dann, wenn das herrschende Unternehmen die Vermö-
gensinteressen der beherrschten Gesellschaft und ih-
rer Aktionäre verletzt. Das normieren §§ 17, 317 AktG
ausdrücklich.

Genau diese Verantwortung, die mit jeder Leitungs-
macht korrespondiert, wollen Sie aber gerade mit Ih-
rem § 6 ausschließen. Denn darin soll quasi per Gesetz
ausgeschlossen werden, dass die tatbestandlichen Haf-
tungsvoraussetzungen von § 317 AktG erfüllt sind,
selbst dann, wenn die Kommunalpolitik sich an den
Überschüssen einer Gesellschaft bedient oder bewusst
verlustträchtige Maßnahmen anweist. Insbesondere
der Quersubventionierung sollen hier Tür und Tor ge-
öffnet werden.

Die privaten Aktionäre, die sich sonst mithilfe des
§ 317 AktG wehren könnten, werden schutzlos dem Zu-
griff der Kommunalpolitik auf das Vermögen der Gesell-
schaft ausgeliefert. Ob es jemals zu Dividendenaus-
schüttungen kommen kann, die vor dem Hintergrund
privater Investition völlig legitim sind und ja den
Grund für die Investition privaten Kapitals darstellen,
bleibt völlig offen. Der Wert von Anteilen an einer sol-
chen Gesellschaft tendiert – jedenfalls nach Ertrags-
wertmethode – gegen null. Genau das nenne ich eine
wirtschaftliche Enteignung der privaten Aktionäre.

Daher kann ich diesem Hohen Hause nur empfeh-
len, den Entwurf abzulehnen.


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721133600

Die Kommunen und ihre Bürgerinnen und Bürger

verlieren zunehmend den Einfluss auf ihre Unterneh-
men. Der Umstand, dass kommunale Unternehmen
mittlerweile überwiegend privatrechtlich betrieben
werden, hat zur Folge, dass es immer schwieriger
wird, diese Unternehmen demokratisch zu kontrollie-
ren und unternehmerische Entscheidungsprozesse
transparent zu machen. Häufig verfügen weder die
Bürgerinnen und Bürger noch die kommunalen Man-
datsträgerinnen und Mandatsträger über ausrei-

Zu Protokoll gegebene Reden





Katrin Kunert


(A) (C)



(D)(B)


chende Informationen, um die Aktivitäten der kommu-
nalen Unternehmen wirksam zu kontrollieren.

Dieses Thema war in der letzten Wahlperiode schon
einmal Gegenstand unserer Debatte. Seinerzeit hat so-
gar die FDP, die noch in der Opposition war, ein höhe-
res Maß an Transparenz für kommunale Gesellschaf-
ten gefordert und einen entsprechenden Antrag
eingebracht. Seitdem sie in der Regierung ist, verfolgt
die FDP dieses Anliegen aber offensichtlich nicht wei-
ter.

Mit dem derzeit zu beobachtenden Trend zu Rekom-
munalisierung wird die Bedeutung kommunaler Unter-
nehmen in Zukunft noch ansteigen. Dabei stellt sich
auch politisch verstärkt die Frage, welche kommuna-
len Unternehmen wir in Zukunft wollen und wie wir
mit den ganz unterschiedlichen derzeit bestehenden
Formen kommunaler Unternehmen umgehen.

Klar ist, dass öffentliches Eigentum allein nicht
zwingend zu mehr Transparenz und demokratischer
Kontrolle führt.

Wir als Linke streiten für transparente kommunale
Unternehmen, die in demokratisch legitimierte kom-
munalpolitische Strukturen eingebettet sind und bei
denen die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen
demokratischen Einfluss auf die Unternehmenspolitik
ausüben können. Diese Bedingungen ergeben sich
nach unserer Auffassung bereits aus dem öffentlichen
Zweck, den kommunale Unternehmen nach den ein-
schlägigen Landesgesetzen erfüllen müssen.

Betrachtet man die derzeitigen bundes- und landes-
rechtlichen Rahmenbedingungen für kommunale Un-
ternehmen, stellt man fest, dass es in Bezug auf Trans-
parenz und demokratische Kontrolle große qualitative
Unterschiede gibt. Eine große Rolle spielt dabei die
Frage, ob ein kommunales Unternehmen in öffentlich-
rechtlicher oder in privater Rechtsform betrieben
wird. Bei Regie- und Eigenbetrieben sowie bei Anstal-
ten des öffentlichen Rechts sind mit unterschiedlichen
Intensitätsgraden Einflussmöglichkeiten der kommu-
nalen Organe gesetzlich vorgesehen, die immerhin
eine gewisse demokratische Kontrolle ermöglichen.
Bei kommunalen Unternehmen, die als Aktiengesell-
schaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haf-
tung betrieben werden, vollzieht sich die unternehme-
rische Willensbildung in den jeweiligen Organen der
Gesellschaft. Der Einfluss der demokratisch gewähl-
ten kommunalen Vertretung ist im Vergleich zu den
kommunalen Unternehmen, die in öffentlich-rechtli-
cher Rechtsform betrieben werden, deutlich geringer.
Neben diesem Mangel an Einflussmöglichkeiten be-
steht bei privatrechtlichen Unternehmen auch ein
Mangel an Transparenz bei der unternehmerischen
Entscheidungsfindung. Die demokratische Kontrolle
scheitert in der Praxis daher auch an mangelnder In-
formation der kommunalen Mandatsträgerinnen und
Mandatsträger über die Vorgänge in den Unternehmen
und an der Verschwiegenheitspflicht. Die Bürgerinnen

und Bürger erhalten erst recht keine Informationen.
Auch wenn Vertreter der Kommune beispielsweise im
Aufsichtsrat einer kommunalen Aktiengesellschaft sit-
zen, unterliegen sie in vielen Fällen einer gesetzlichen
Verschwiegenheitspflicht. Darüber hinaus besteht bei
kommunalen Unternehmen, an denen Private beteiligt
sind, grundsätzlich ein Interessenkonflikt zwischen
dem von der Kommune in erster Linie verfolgten öf-
fentlichen Zweck und dem privaten Interesse, einen
möglichst hohen Überschuss zu erzielen.

Wegen der soeben dargestellten Nachteile von pri-
vaten Rechtsformen für kommunale Unternehmen for-
dern die Vertreterinnen und Vertreter der Linken in den
Kommunalvertretungen in der Regel, dass kommunale
Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Form betrieben
werden. Wir können aber nicht die Augen davor ver-
schließen, dass eine Vielzahl der bestehenden kommu-
nalen Unternehmen in privater Rechtsform betrieben
wird und eine Umwandlung in eine öffentlich-recht-
liche Form nicht immer ohne Weiteres möglich ist.
Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen Private
an den Unternehmen beteiligt sind. Es gilt daher, auch
für diesen Bereich ein Mindestmaß an Transparenz
und demokratischer Kontrolle zu schaffen.

Die sprichwörtliche Flucht ins Privatrecht darf
nicht zu einer Flucht vor den demokratisch gewählten
Gremien in den Kommunen und ihren Bürgerinnen und
Bürgern werden.

Abhilfe kann hierbei nur auf Bundesebene geschaf-
fen werden. Die Kommunalverfassungen der Länder
enthalten zwar bereits weiter gehende Anforderungen
an die Transparenz und die demokratische Kontrollier-
barkeit kommunaler Unternehmen, diese Regelungen
können aber wegen dem derzeitigen Gesellschaftsrecht
des Bundes nicht zur Anwendung kommen.

Die Linke fordert in dem vorgelegten Gesetzentwurf
die gesetzlichen Rahmenbedingungen von kommuna-
len Unternehmen in privater Rechtsform im Rahmen
des verfassungsrechtlich Möglichen in drei wichtigen
Fragen zu ändern:

Erstens. Die demokratisch gewählten kommunalen
Mandatsträgerinnen und Mandatsträger werden in ih-
ren Einflussmöglichkeiten auf die kommunalen Unter-
nehmen gestärkt.

Zweitens. Anstelle der bisher bestehenden Ver-
schwiegenheitspflichten treten höhere Transparenz-
anforderungen, um sowohl die kommunalen Mandats-
trägerinnen und Mandatsträger als auch die
Bürgerinnen und Bürger effektiv in die Lage zu verset-
zen, die Aktivitäten ihrer kommunalen Unternehmen
zu kontrollieren.

Drittens. Bei kommunalen Unternehmen, an denen
Private beteiligt sind, wird das Interesse des öffent-
lichen Zwecks gegenüber dem privaten Interesse,
Überschüsse zu erzielen, gestärkt.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721133700

Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen ist

ein elementarer Bestandteil des Wirtschaftslebens in
Deutschland. Die Kommunalwirtschaft steht für Stabi-
lität, regionale Wertschöpfung und eine sichere Da-
seinsvorsorge. Allerdings hat der Privatisierungswille
von Schwarz-Gelb oder auch der ökonomische Druck
in den letzten Jahren zu einer Reihe von Ausgründun-
gen geführt. Viele Aufgaben der Daseinsvorsorge von
der Wasserversorgung bis zur Abfallbeseitigung ha-
ben die Städte und Gemeinden in den letzten Jahren in
Gesellschaften privaten Rechts überführt. Von den
1 400 Mitgliedsunternehmen im VKU sind über 50 Pro-
zent GmbHs oder AGs. Gern werden dann die unter-
schiedlichen Gesellschaften unter einem Holdingdach
organisiert.

So werben die Potsdamer Stadtwerke mit ihrem An-
gebot: „Täglich greifen die Potsdamerinnen und Pots-
damer auf Leistungen der Stadtwerke zurück. Beim
Anschalten eines elektrischen Gerätes, beim Öffnen
des Wasserhahns, beim Gang zur Mülltonne, bei der
Fahrt mit Bus und Bahn, nachts auf dem Weg nach
Hause oder beim gemütlichen Bahnenziehen in der
Schwimmhalle oder im Freibad.“ Die Stadt Potsdam
hält 100 Prozent an den Stadtwerken. Diese sind zu
100 Prozent Eigentümer der Bäderlandschaft, des
Fuhrparks, der Stadtbeleuchtung GmbH und des Ver-
kehrsbetriebs. Mehrheitsbeteiligungen haben die Stadt-
werke an der Stadtreinigung und an der Energie und
Wasser GmbH.

Wie wirkt sich ein solcher Umbau der Kommunal-
verwaltung auf die Demokratie in der Gemeinde aus?
Ein tragender Grundsatz der Kommunalpolitik ist die
Öffentlichkeit der Sitzungen von Ausschüssen und Rat.
Genau diese Möglichkeit zur Information und letztlich
zur Bürgerbeteiligung ist eines der wesentlichen In-
strumente zur Kontrolle der Verwaltung. Eine ähnliche
öffentliche Kontrolle gibt es bei kommunalen Gesell-
schaften mit Verweis auf das Aktiengesetz grundsätz-
lich nicht. Die Öffentlichkeit fällt aus.

Der Gesetzentwurf der Linksfraktion greift zu Recht
diese fehlende Balance zwischen wirtschaftlicher Be-
triebsführung und öffentlichen Informations- und
Teilhabeansprüchen auf. Wir teilen die Sorge um den
Verlust von Auskunfts- und Weisungsrechten der kom-
munalen Parlamente. Deshalb ist eine Auseinander-
setzung mit zentralen Punkten des vorliegenden Ge-
setzentwurfs wichtig und richtig. Auch sind wir für
öffentliche Aufsichtsratssitzungen und für die Be-
schränkung der Verschwiegenheitspflicht von Auf-
sichtsratsmitgliedern. Hier besteht auch aus grüner
Sicht unbedingt Handlungsbedarf.

Ähnlich wie bei den gesetzlichen Grenzen für kom-
munales Wirtschaften ist aber auch bei Vorschriften
zur Sicherung von Transparenz und Weisungsbefugnis-
sen in kommunalen Unternehmen eine Abwägung zwi-
schen privaten und öffentlichen Interessen notwendig.
Eine solche Abwägung lässt der Gesetzentwurf vermis-

sen. Der Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist sehr
groß. Alle Unternehmen privaten Rechts, an denen
Kommunen direkt oder indirekt mit mehr als 25 Pro-
zent beteiligt sind, fallen unter die Regelungen des Ge-
setzentwurfes. Unter Beachtung dieses Anwendungs-
bereiches sind viele Vorschläge zu weitreichend.

In die richtige Richtung gehen die Änderungen zur
Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen und zur Be-
freiung von Verschwiegenheitspflichten der Aufsichts-
räte. Die Amtszeit und die Abberufung von Aufsichts-
räten an den kommunalen Wahlturnus auszurichten,
greift hingegen stark in die Organisation von Unter-
nehmen ein. Gerade bei kommunalen Minderheitsbe-
teiligungen ist dieser Eingriff sehr weitreichend. Auch
die starke Ausweitung der kommunalen Weisungsbe-
fugnis ist schwierig. Warum sollte nur einem Anteils-
eigner erlaubt sein, das Abstimmungsverhalten der ei-
genen Aufsichtsräte zu bestimmen?

Wirklich kritisch ist § 6. Ziel der Norm ist, „dass
auch unwirtschaftliche Geschäftsführungsmaßnahmen
durchgeführt werden können, wenn dies für die Errei-
chung des mit der Gesellschaft verfolgten öffentlichen
Zwecks erforderlich ist.“ Was heißt das? Hier sollten
Sie in den Ausschussberatungen einmal erläutern, was
das bedeuten kann. Laut Begründung des Gesetzent-
wurfes geht diese Norm in erster Linie „zulasten der
privaten Gesellschafter“. Erreicht wird dieses Ziel
durch die Aufhebung von Anfechtungsrechten und
Schadenersatzforderungen der Gesellschafter. Es führt
das aktuelle Recht ad absurdum. Der Schutz des Ei-
gentums ist hoch. Vorgesehen sind weitreichende Mit-
bestimmungs-, insbesondere Sperrungsmöglichkeiten
schon ab einem Anteil von mehr als 25 Prozent. Unter
anderem können Kapitalerhöhungen, Fusionen oder
Vermögensübertragungen an die öffentliche Hand ver-
hindert werden.

Der Gesetzentwurf ist nicht ausgereift und wird in
den Fachausschussberatungen intensiv zu diskutieren
sein.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721133800

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/11587 an die Ausschüsse vor-
geschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Dazu
gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist das so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Karin Evers-
Meyer, Maria Michalk, Cornelia Behm, Serkan
Tören und weiterer Abgeordneter

20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta
der Regional- oder Minderheitensprachen

– Drucksache 17/11638 –

Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1721133900

Leve Fru Vörsitter! Leve Liddmaten! Vör Dag un

Dau kreeg ik düsse feine Breef vun een grote Persönlich-
keit ut uns Land.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Nu gifft dat Erschwernistolage!)


De schreef:

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
ick heff mi bannig högt öwer den plattdütschen
Breif mit de goden Würd un de Glückwünsch.
Disse Breif hett ja een „Alleinstellungsmerkmal“,
denn ward ik mi upphangen.

Besten Dank ok, min leev Heer Börnsen, seggt Se
ehr …

Na, wer weer dat wohl?


(Zuruf von der FDP: Weet nich! Sech moal! – Kirsten Lühmann [SPD]: Jürgen! – Weitere Zurufe)


– Immer noch nich. Nee, de heet Joachim Gauck.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Donnerwetter! – Zurufe: Oh!)


Dat har ik nich dacht. Ik heff ehm schreven to sien Wahl:

Verehrter Herr Bundespräsident, leve Joachim
Gauck,

wenn dat todrapen deit, wat de Lüüd vertelln doon,
denn hemm wi mit de Präsident een Staatskaiser an
de Spitz vun uns Republik, de plattdüütsch snacken
deit.

Dat is groff gut!

Man, fast 3 Millionen Lüüd snackt noch de Spraak,
de in de Hansetiet in Nordeuropa de „Weltspraak“
weer.

Hartliche Gratulation to de Wahl mit dat imposante
Resultat. Wi Plattdüütschen hemm uns bannig freut.
Dat gelt uk för mien Mackers in de Düütsche Bun-
desdag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Vör Johrestied hemm wi Plattdüütschen en Bündnis
buut för de Tokunft vun den lütten Spraken. Wat
Sorbisch, Freesch, Romanes, dat Dänische un uk
dat Plattdüütsche angahn deit, dat sall plegt un för-
dert warrn.

Sönnerjüsk, leve Ingwer, ok. De Spraak – un dat is mi
ganz eernst –, dat is de Mensch sien Heimat.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Dat seggt wi ok!)


Un ohne Grund unner de Fööt verleert so manch een de
Wegwieser för sien Leben. Dat much uns gut gefallen,
wenn uns nüe Präsident ok en Hand un Woort för de lüt-
ten Spraken hebben deit. Un dat hett he, uns Präsident.
Schön is dat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Deutsche Bundestag bekennt sich mit dieser
Debatte zur Sprachenvielfalt in unserem Land. Spra-
chen, gleich welcher Art, sind ein kultureller sowie ein
gesellschaftlicher Reichtum. Das gilt für die traditionel-
len regionalen Sprachen und die Minderheitensprachen
genauso wie für über 160 verschiedene Sprachen der
Migranten und Zuwanderer.

Wir wollen, dass auch Kleinsprachen geachtet, ge-
schützt und gefördert werden. Wir wollen, dass es einen
bunten, vielfältigen, möglichst blühenden Sprachen-
garten in Deutschland gibt. Ausgangspunkt der heutigen
Sprachendebatte ist der 20. Jahrestag der Zeichnung der
Europäischen Sprachencharta, einer Art Magna Charta
für die kleinen Sprachen.

Dieses einzigartige Dokument kennzeichnet die
Bedeutung, aber zugleich auch die Bedrohung der Klein-
sprachen auf unserem Kontinent. Waren 1992 bereits
50 Sprachen in ihrem Bestand gefährdet, sind es heute,
20 Jahre später, bereits 75. Dabei geht es um Sprachen
mit einer mehrtausendjährigen Geschichte, die in unse-
rem Land gewachsen sind: Sorbisch und Friesisch,
Niederdeutsch, Dänisch und das Romani gehören bei
uns dazu.

Fast alle diese Sprachminderheiten waren in ihrer
Vergangenheit auch Verachtung, Verfolgung und anhal-
tender Diskriminierung ausgesetzt. Heute gehört
Sprachtoleranz zum Selbstverständnis unserer Gesell-
schaft. Trotzdem klagen Angehörige von Sprachminder-
heiten – ob von autochthonen oder allochthonen – immer
noch über einen Mangel an Respekt und Verständnis.

Ich begrüße es deshalb als Sprecher unserer Initiative,
dass sich der Deutsche Bundestag zum dritten Mal in
20 Jahren solidarisch an die Seite der Kleinsprachen
stellt und ihnen eine Bühne zu mehr Beachtung und
mehr Anerkennung bietet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zugleich stärken wir damit auch die Sprachminder-
heiten in aller Welt. Das gilt auch für die deutschen
Sprachminderheiten, ob in Slowenien, Moldawien,
Lettland oder Kasachstan – immerhin 1,4 Millionen
Deutsche leben in Sprachminderheiten außerhalb unse-
res Landes. Dazu gehören auch 20 000 Plattsnacker in
den Vereinigten Staaten und 60 000 Plattsnacker allein
in Paraguay.

Auch für sie, die in unserer Sprache ihre Heimat
haben, tragen wir eine Mitverantwortung, indem wir
beispielgebend handeln. Aussprachen und Beschlüsse
zum Thema „Sprache“ sind nicht nur ein Thema für uns,
für die Bundesberatung. Sie sollten viel häufiger auch in





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)


den Länderparlamenten praktiziert werden; denn Spra-
chenförderung gehört zu deren eigentlicher hoheitlicher
Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sprache ist der Schlüssel zum Weltverstehen. Sprache
ist die Basis für Partizipation, für Integration und für so-
zialen Aufstieg. Mehrsprachigkeit ist das Gebot der
Stunde. Die Muttersprache gilt als Kern für kulturelle
und persönliche Identität. Für viele Bürger von Minder-
heitensprachen ist ihre Volksgruppensprache zugleich
Muttersprache. Für sie wie für uns alle gilt das Recht auf
sprachliche Selbstbestimmung. Es ist ein Bürger- und
ein Menschenrecht.

Der Anspruch wird jedoch fragwürdig, wenn die Exis-
tenzgefährdung der Sprache zunimmt. So sagt eine ak-
tuelle UNESCO-Analyse: Jede Woche stirbt bei uns auf
der Welt eine Sprache. Noch haben wir 6 000 Sprachen;
in 50 Jahren werden 2 400 Sprachen nicht mehr auf un-
serer Welt sein. Nordfriesisch wie Saterfriesisch gehören
dazu. Das Romani der Sinti und Roma ist gefährdet. Das
Sorbische ist bedroht. Auf der Roten Liste befindet sich
jetzt auch die plattdeutsche Sprache. Alle diese Sprachen
haben an Vitalität eingebüßt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721134000

Herr Kollege.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1721134100

Ich merke schon hinter mir: Die Präsidentin rührt sich

bereits.

Leve Präsidentin, ik werd ok zum Afschluss kommen
doon. De Düütsche Bundesdag hett Masse doon för de
lütten Spraken. Wi hebbt en Staatssekretär, de is dorför
tostännig. Wi hebbt en egen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721134200

Herr Kollege.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1721134300

Un wi hebben ok en Gremium. Un ik much schon

hopen, dat wi all tosamen mehr doon för de lütten
Spraken. De hebben dat verdeent.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721134400

Karin Evers-Meyer hat jetzt das Wort für die SPD-

Fraktion.


Karin Evers-Meyer (SPD):
Rede ID: ID1721134500

Geacht Frau Präsidentin! Leve Maten! Dat is goot

15 Johr her, dor hebbt de Platt-Snackers över 20 000 Ün-
nerschriften sammelt. Dat weer de eerste grote Börger-
bewegung för Platt. De Ünnerschriften hebbt se in Kiel
un in Hannover bi de Präsidenten vun de Landdag in

Schleswig-Holsteen und Neddersassen aflevert. As Te-
ken för de Sprakencharta. De Lüüd, de ehrn Naam op
disse List sett harrn, wussen genau: Plattdüütsch is ehr
Moderspraak und ganz bestimmt en egen Spraak. Un dat
weer ok för se kloor: De Platt-Snackers wullen nicht
mehr ankeken warrn as Döösbarthels, de nix anners
köönt as appeldwatsch hoochdüütsch snacken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nee, se wullen sik insetten för de Spraak, de as keen an-
ner dat Leven, de Kultur un de Geschicht van dat nöörd-
liche Drüttel vun Düütschland ehr Stempel opdrückt
hett. Un se wollen wiesen: Platt hett heel veel mit Ideni-
tät to doon.

Vörher hebbt se de Minschen vele Johren lang de
plattdüütsche Spraak utdreven. Vun Amts wegen verba-
den weer Platt nich. Man in de Scholen un in de Behör-
den – also bi allens, wat offiziell weer, wat de Staat
weer –, dor hett dat heten: Plattdüütsch blifft buten. So
hebbt sik de meisten Platt-Snackers ganz lütt föhlt – ehr
Spraak weer nix weert. Ik weet noch, mien Grootöllern,
de snacken ünner’nanner platt. Mien Öllern kunnen dat
ok noch. Aber miene Grootöllern dröffen bloß mit mi
Platt snacken. Mien Öllern snacken immer hochdüütsch
mit mi, weil de Plattdüütschen ja doof weern, oder dat
maal mindestens doof. Also dat weer ganz vull mit vör-
ardeel. För düsse Lüüd weer de Sprakencharta en grote
Schangs.

Siet de Tiet is veel in Gang kamen. Kollege Börnsen
hett dat wirklich wunnebor vertellt. Bund un Länder
hebbt Plichten övernahmen. Plichten, dat se wat doot för
dat Plattdüütsche. Wi kennt de Staatenberichten, wo
Bund un 8 Länner rinschrievt, wat se denn nu daan hebbt
for de Minderheitssprachen: bi de Bildung, Justiz, Ver-
waltung, Medien, Kultur und dat soziale Leven.

Man mit disse Berichten is dat ja en ganz egen Saak.
Man weet nee: Nu güng dat nich mehr üm de Fraag:
Doot wi nix – oder dot wi gor nix. Nee, nu müss sik ja
wat bewegen. Wat hebbt wi för de Spraak in de Hand
nahmen, wo hebbt wi wat maakt, un wat is dorbi rutka-
men? Mi dücht: Mit de Charta stüert wi den richtigen
Kurs. Man ik weet ok, dat ok de Europarat to en Barg
Punkten seggt: „Dat langt nich. Wenn ji de Spraak
eernsthaftig Stütt un Stöhn geven wüllt, denn mööt ji
mehr doon.“


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Dat möten wie!)


Ick segg: Uns Schipp maakt noch nich längst noog
Fohrt.

Ik will dat an en Bispeel verkloren: Siet 2008 gifft de
Beopdragte för Kultur un Medien in’t Johr 50 000 Euro
an dat Institut för nedderdüütsche Spraak – dat is för
Projekten för de 2,5 Millionen Platt-Snackers in us Land
jüst nich veel.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich möchte die Reden mit Untertiteln!)


Hoochnödig is dat op jeden Fall.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Karin Evers-Meyer


(A) (C)



(D)(B)


Man ok dat is wohr: 2011 hebbt de Länner, de Geld an
dat Institut geevt – dat sünd Schleswig-Holsteen, Ned-
dersassen, Hamborg und Bremen –, de hebbt festleggt:
Wi spoort bi dat Institut 22 000 Euro in. Dat sünd 8 Per-
zent vun den Huusholt. Nee, Lüüd, so geiht dat nich na
vörn.

De Staatenbericht van der Ländersiet is ok unvollstän-
dig. De Informationen sind nicht systematisch to-
hoopstellt un man hett de Vertreter vun de enkelten
Spraakgruppen nich na ehr Menen fraagt. Wat en groten
Fehler is. De Länder müssen endlich dorför sorgen, dat
de tostännigen Ministerien ene Person benöömt, de sik
üm dat Flach kümmert un Informationen nach wissen-
schaftlichen Kriterien sammelt, damit de Staatenberichte
toverlässiger ward un se miteenanner to verglieken sünd.
Denn weet wi ok würklich genau, wat los is.

Wat de Plattdüütschen in Neddersassen, Schleswig-
Holsteen, Mecklenborg-Vorpommern, Hamborg un Bre-
men – ick meen also up Bundesebene – dringend bruukt,
is en hauptamtlichen Stöhnpahl.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Dat gifft woll den Bundesraat für Nedderdüütsch, man
de arbeit blots ehrenamtlich.

Mi dücht: In de Amtsstuven sitt noch jümmers to
vele, för de Platt keen Bildungs- und Kultur-Opdrag is,
mehr so’n beten folkloristischen Speelkraam.

Dat is de eerste wichtige Punkt: Wi all, un dat sünd
nich blots de Politikers in de Länner, nee, dat is ok de
Düütsche Bundesdag, wi mööt mithelpen bi’t Ümden-
ken. Blots so kriegt wi dat hen, de Sprakencharta leben-
nig to gestalten un Platt för de Tokunft fit to maken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


De twete Punkt aver is de, op den dat ünner’n Streek
ankamen deit. Un dat is: Platt mutt wedder mehr lehrt
warrn. De Familien schafft dat allen nich. Verene un Ver-
bänn överall in’t Land mit vele, vele Ehrenamtlers sünd
ünnerwegens in Scholen un Kinnergoorns, dat Platt wed-
der mehr Togo p kummt. Op lange Sicht mööt aver ganz
richtige Pädagogen ran. Noch jedenfalls hett Platt sien
Platz in de Bildung nich funnen. Noch schrievt de meis-
ten Länner in den Staatenbericht för de Spraakencharta
rin: En Ünnerrichtsfach Plattdüütsch – dat wüllt wi nich.
Un liekers: ok hier beweegt sik wat.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Un dat is richtig so!)


In Neddersassen gifft dat siet 2011 en Erlass, wo binnen-
steiht: To de Opgaven vun de School höört ok dat Platt-
Lehren mit to. En Stück wieder sünd se in Hamborg. Dor
hebbt wi siet 2010 en School-Fach Platt.

Wat hier heel un deel nee is un wat ok mi Ümdenken
to doon hett: Hier geiht dat um dat Lehren vun de Spraak
un nicht mehr üm dat Bemöten – Sprachbegegnung
hebbt wi op Hooch dor to seggt. Nee, hier geiht dat üm

dat Snacken un Verstahn. Hier geiht dat üm kognitive un
soziale Kompetenzen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Junge, Junge!)


Un üm regionalkulturelle Kompetenzen. Und wenn ich
das hier so auf Hochdeutsch sage, dann merkt man, wie
schön und einfach Platt eigentlich ist.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Man, vun de 8 Länner sünd 7 noch nich so wiet. Wi
hebbt noch en langen Weg vör us. De Snackers vun Platt,
Freesch, Sorbisch, Däänsch und Romaans – se all schüllt
weten, dat de Düütsche Bunnsdag sik för ehr Spraken un
ehr Kultur insetten deit. Dorüm segg ik: Stellt Se sik
achter uns Andrag. Un stimmt Se för us Forderungen.
Bavenan steiht mit Punkt 8: Mehr Platt in de Bildung.
Dorför bruukt wi frische Konzepte för dat Sprakenleh-
ren. Un de fallt nich vun’n Heven – vom Himmel fallen
die nicht. Hier mööt de Länner sik tohoopsetten. Un vil-
licht kann de Bund dat Afstimmen in de Hand nehmen.
Wi bruukt en Plaan för all 8 Länner, wi bruukt en Plaan,
de dorför sorgt, dat jeedeen Platt ok in’n Kinnergoorn un
in de School lehren kann.

Denn dat is man kloor: Een vun de besten Opgaven
vun uns Volksvertreters, dat is: dat wi uns üm de Saken
kümmert, de de Minschen an’t Hart liggt. Dat is nich
blots de Arbeitsplatz un dat Geld in de Knipp. Dat is ok
de Qualität vun dat Leven dor, wo man to Huus is, won
ik mi utkenn un wo ik kloor mien Menung segg. Platt is
Alldagsleven: Dor föhl ik mi wohl. Un ik denk, wi
schullen hier en Bidrag leisten, dat sik de Minschen wie-
ter in ehre Regional- un Minnerheitenspraken wohlföh-
len köönt.

Velen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721134600

Torsten Staffeldt hat das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721134700

Moin, verehrte Frau Präsidentin!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721134800

Moin, moin.


Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721134900

Hier kommt noch en Plattsnacker.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: So vull sünd wi nich!)


Leve Maten vun den Bunnsdag, Mannslüe und Frons-
lüe, ik beed Se, wenn Se wat to ropen wüllt oder Fragen
stellen wüllt, dat Se dat blots in Plattdüütsch maken
doot. Velen Dank.





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


Man seggt, dat de besten Plattsnackers in Sleswig-
Holsteen leevt.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


De Wolfgang Börsen hat uns das nu zeigt. Dor gifft dat
24 Perzent vun de Lüüdde in Sleswig-Holsteen seggt,
dat se goot Plattsnacken köönt. In Sassen-Anholt blots
4 Perzent un in Bayern keeneen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Da seechst du det Bildungsgefälle!)


Un Bremen und Mecklenborg-Vörpommern hefft enbe-
ten wat gemeen: Dor snackt 19 Perzent Platt. Ann düsse
Tallen seht se, leve Maten, dat de Spraakbruuk länger
besteiht as de Muur us Düütsche deelt hett.

„Die Sprache eines Volkes ist seine Seele“, schreev
Johann Gottlieb Fichte.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Un Recht hett er dormit!)


Un Ernst Moritz Arndt seggt: „Wer sich der Sprache sei-
nes Volkes entfremdet, entfremdet sich seines Volkes
selbst.“


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Junge, Junge!)


Dat weer also heer richtig un wichtig, dat Düütschland
1992 in Straßburg as een vun de eersten Verdragslüüd de
Europäische Charta der Regional- oder Minderheiten-
sprachen ünnerschreven hett. Se is siet 1998 in Kraft.
Dat Teel is, Regional oder Minderheitenspraken as en
Stück europääisch Kultur zu schützen.

Spraak is en geistig un kulturelle Heimat. Lengen un
Bangen, Hopen, Drööm un Troer, jo ok dat Dagdääg-
liche spegelt sik in de Spraak wedder. Veel kann op
Plattdüütsch klor un ohn Snörkeln seggt werrn. Als Bi-
spiel: Das ist illusorisch. – Dor ward nix vun.


(Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hau ab! – Maak dat du den Dreih kriggst! Und dat
Beste: Keine Angst! –


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Schietinnebüx!)


Schiet di man nich inne Büx!


(Heiterkeit)


Sprache is identitätsstiftend. In de Tiet vun de Hanse
weer Nedderdüütsch de allgemene Spraak in Noord-
düütschland. Se weer Hannelsspraak an de Küst vun
Oost- un Noordsee. De Lüüd spreken nich blots Platt-
düütsch, nee, Plattdüütsch wurr ok schreven, in de Justiz,
de Verwalten, de Wirtschopp von Noordeuropa. Twü-
schen London, Bergen, Danzig, Riga und Nowgorod
spreken de Kooplüüd un Kaptaine Platt; ok de Verdrääg
hett man op Platt maakt. De Sinnspröök vun de Bremer

Kooplüüd över de Hannelskamer wiest vundagen noch
darop hen: „Buten un binnen, wagen un winnen“.

Platt is en Tiefwurzler, miene Damen un Heren. Dat
heet, de Spraak hett Blädder laten, as en Boom in’n
Storm. Se hett aver ok, just so as de annern Spraken, de
wi vundagen hier to hören kriegt, depe Wutteln un över-
leevt siet Johrhunnerten.

So, nun hebb ik nich mehr ganz so veel Tiet.


(Heiterkeit – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ CSU]: Ach, hol noch mal Luft!)


Da mutt ik dat mal en beten körten. – Dor gifft dat en
ganze Menge an schöne Saken in Plattdüütsch. Dor gifft
dat Wettbewarbe in Dütschland, över 30 utloovt Priesen
för de nedderdüütsche Kultur. Dor heeb ik noch en poor
Bispill dorför, aber dat laat ik mal. Allens gode Saken.

Aber kennt Se Plattsounds? Dat is en Wettstriet för
Muskanten un Bands ut Neddersassen un Noordütsch-
land.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Un dat gifft noch Ina Müller!)


Bands as „Fettes Brot“ un „de Fofftig Penns“ hebbt
wiest, dat Plattdüütsch un moderne Musik goot tohoop
passen doot.


(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Torfrock!)


Dat is ok de Grund, worüm dat bi Plattsounds all Mu-
sikrichten gifft, vun Hip-Hop, Elektro, Rock, Indie, Me-
tal, Punk bit Reggae. Mit Reggae hebb ik en beten Pro-
bleme mit, aber – na ja.

Wi sünd Afordente, miene Damen un Heren, un wi
mööt dorför sorgen, dat man solke Verdrääg as de Euro-
päische Charta der Regional- oder Minderheitenspra-
chen ünnerschrievt. Vele Minschen sünd freewillig
dorbi, düsse Charta Leven to geven un se an’t Leven to
holen. Düsse Minschen stütten und föddern dormit jeden
Dag Toleranz. Se sünd de Grundlaag, dat Spraken be-
stahn blievt, wiel se in en Minnerheitenspraak snackt.
Dorüm schüllt wi düsse Minschen nich blots an een Dag
as hüüt Dank seggen, denn ehr Engagement is grootor-
tig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wat ik noch seggen will: Kinner, de neven Düütsch
noch een anner Spraak as Modderspraak lehren, hebbt
dat lichter, en Frömdspraak to lehren. – Ik heff dat sehn,
nich?


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721135000

Fein!


(Heiterkeit bei der FDP)



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721135100

De Stütt vun de Spraak is eenzig un alleen de Opgaav

vun de Länner un liggt in ehre Hannen. Sleswig Hol-
steen stütt dat Plattsnacken mehr as to’n Bispill de Bre-
mer Senat.






(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721135200

Herr Kollege.


Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721135300

Ik bin gleich sowiet. – Ok dat is en Grund för mi as

Bremer Afordenter, Beauftrafter für die nedderdüütsche
Spraak in miene Fraktion to sien.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721135400

Herr Kollege!


Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721135500

Ich bin sofort fertig. Da kommt nur noch ein Snack.

Dat wi dorto mehr Geld bruukt, dat is ok kloor. In
Bremen hefft wi en Spröök, de heet:

Bin en lütten König
giff mi nich so wenig
laat mi nich so lange stohn
denn ik mutt noch wietergohn
Halli Halli Hallo
So geiht‘t in Bremen to …

Dank di.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721135600

Raju Sharma hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721135700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das is ja

man een Fest för de Tohörer un Tokiekers, wenn een so
Plattdütsch schnackt as de Kollege Börnsen; un so
klook!


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Das Problem ist aber, dass wir so viele Sprachen ha-
ben, über die wir reden. Danske doli, und wenn ich jetzt
mit Sorbisch oder mit Friesisch anfange, dann versteht
sowieso keiner etwas. Ich versuche es mal auf Hoch-
deutsch:

„Sprache ist eine Waffe“, schrieb der Pazifist Kurt
Tucholsky, und das ist zweifellos richtig. Sprache kann
aber auch eine Brücke und eine Grundlage für eine ge-
lungene Verständigung sein. Sprache schafft Identität.
Wenn wir unsere Sprache verlieren, geht auch ein Stück
unserer Identität verloren. Das gilt ganz besonders für
Minderheiten. Sie zu schützen und damit einen Beitrag
zu Frieden und Völkerverständigung zu leisten, ist ein
wesentliches Anliegen der Europäischen Charta für Re-
gional- oder Minderheitensprachen,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


die vor nunmehr 20 Jahren vom Europarat zur Zeich-
nung aufgelegt wurde. Dass der vorliegende fraktions-
übergreifende Antrag dies würdigt, ist auch aus Sicht der
Linken ausdrücklich zu begrüßen.

Oft ist jedoch nicht entscheidend, was man sagt, son-
dern das, was man nicht sagt. So richtig die Ziele sind,
zu denen Deutschland sich mit der Unterzeichnung der
Europäischen Sprachencharta verpflichtet hat, so unzu-
reichend ist immer noch der Stand der Umsetzung. Man-
che der in den vier Kontrollberichten aufgezeigten Defi-
zite lassen sich mit zusätzlichen Anstrengungen und mit
zusätzlichem Geld beheben. Andere Probleme sind
strukturell. Wenn wir hier zu entscheidenden Verbesse-
rungen kommen wollen, müssen wir auch diese struktu-
rellen Mängel ansprechen und bereit sein, sie grundle-
gend zu verändern. Ich will das an drei Beispielen
deutlich machen:

Erstens. Der Minderheitenbegriff muss weiter ge-
dacht werden. Derzeit bezieht die Sprachencharta sich
nur auf nationale und autochthone Minderheiten. Es gibt
in Deutschland aber noch weitere Minderheiten, deren
Sprache gefährdet ist, die aber noch keinen Schutz ge-
nießen. Die Überlegung, auch die Sprache anderer Grup-
pen mit jüngerem Migrationshintergrund zu schützen,
mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen.
Wenn wir aber wissen, dass in Tschechien rund 60 000
eingewanderte sogenannte Gastarbeiter aus Vietnam als
nationale Minderheit geschützt werden, dann ist die
Idee, sich aktiv für den Schutz und die Förderung der
Sprache von über 800 000 in Deutschland lebenden Kur-
dinnen und Kurden einzusetzen, ganz sicher nicht mehr
so abwegig.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Keine Sprache ohne Sprecherinnen und
Sprecher. Wenn – wie in der Lausitz – infolge des
Braunkohleabbaus viele Menschen ihre Heimat und ihre
Arbeit verlieren, ist nicht nur die Region vom Ausster-
ben bedroht, sondern auch die sorbische Minderheit.
Wenn sorbische Dörfer umgesiedelt und abgebaggert
werden, werden auch die Kultur und die Sprache der
Sorben zurückgedrängt. Minderheitenschutz bedeutet
hier ganz konkret, dass die Wirtschaftsregion erhalten
bleiben und gefördert werden muss. Mit dem geltenden
Bergrecht ist das kaum möglich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Minderheitenschutz ist auch Sache des Bun-
des. Viele der Verpflichtungen, die Deutschland mit der
Unterzeichnung der Europäischen Sprachencharta einge-
gangen ist, müssen aufgrund unseres föderalen Aufbaus
von den Ländern umgesetzt werden. Minderheiten und
ihre Kultur sind aber eine Bereicherung für die ganze
Gesellschaft. Deshalb sollte sich der Bund auch ange-
messen an den damit verbundenen Kosten beteiligen.

Als die frühere schleswig-holsteinische Landesregie-
rung entgegen der mit den Bonn-Kopenhagener Erklärun-
gen eingegangenen Verpflichtungen die Zuschüsse für die
Schulen der dänischen Minderheit massiv gekürzt hat,


(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)






Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


ist es Regierung und Opposition auf Bundesebene gelun-
gen, durch gemeinsame Anstrengungen und viel Kreati-
vität die gravierendsten Folgen dieser Eingriffe abzu-
wenden.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Siehst mol, wie düchtig de sünd!)


Das war im Einzelfall gut und richtig. Anstelle von Not-
lösungen benötigen wir aber Regelungen, die den Bund
dauerhaft in die Lage versetzen, seiner Verantwortung
zum Schutz der Minderheiten gerecht zu werden.

Wenn das mit der Föderalismusreform eingeführte
Kooperationsverbot einem wirksamen Schutz der Min-
derheiten im Wege steht, so sollten wir das Koopera-
tionsverbot beseitigen und nicht den Minderheiten-
schutz.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am guten Willen der Länder sollte dies nicht scheitern.
Während der Schleswig-Holsteinische Landtag als erstes
Parlament mit den Stimmen aller Fraktionen einen An-
spruch der Sinti und Roma auf Schutz und Förderung in
der Landesverfassung verankert hat, hat der Verfas-
sungsminister des Bundes eine Debatte über einen an-
geblichen Asylmissbrauch von Sinti und Roma aus Ser-
bien und Mazedonien angestoßen. Hier kann der Kollege
Friedrich von seinen Parteifreunden im Norden noch ei-
niges lernen.


(Beifall bei der LINKEN)


Minderheiten sind eine Bereicherung für das ganze
Land. Deshalb braucht es eine Minderheitenpolitik, die
Sprachen und Traditionen von Minderheiten als Teil ei-
nes Ganzen und als Bereicherung im Zusammenleben
von Menschen begreift, fördert und schützt. Die Euro-
päische Sprachencharta hat hierzu einen wichtigen Bei-
trag geleistet. Dies zu würdigen, ist gut. Sie umzusetzen,
wäre noch besser.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721135800

Cornelia Behm hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Jetzt kümmt Cornelia!)



Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721135900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bekam dieser Tage diese Karte mit dem
Satz: „Nutze deine Zunge nicht nur zum Küssen!“ zuge-
schickt. Das ist eine witzige Aufforderung, die Sprache
als Ausdruck kultureller und nationaler Identität leben-
dig zu halten, und zwar durch Sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sprache zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist je-
doch nicht nur eine Angelegenheit der jeweiligen
Sprachgemeinschaft, sondern auch eine Sache der Poli-
tik. Sprachenpolitik ist insbesondere dort gefragt, wo
Sprache gefährdet ist und verloren zu gehen droht. Des-
halb gehört eine Sprachendebatte auch ins Parlament.

Mit unserer Kollegin Michalk wird eine Vertreterin
der sorbischen/wendischen Minderheit aus Sachsen in
dieser Debatte reden.


(Beifall des Abg. Robert Hochbaum [CDU/ CSU])


Im Gegensatz zum sächsischen Teil der Lausitz wird in
meiner Heimat, im brandenburgischen Teil, Niedersor-
bisch gesprochen. Niedersorbisch wurde 2008 vom Eu-
roparat als eine der bedrohtesten Sprachen Europas ein-
gestuft. Vor allem infolge von Sprachverboten,
fehlendem Sorbischunterricht und der kohlebergbaube-
dingten Umsiedlung ist etwa ab 1930 ein Sprachwechsel
vom Niedersorbischen zum Deutschen eingetreten.
Heute sprechen nur noch die älteren sorbischen/wendi-
schen Menschen und einige wenige Jüngere das Nieder-
sorbische auf muttersprachlichem Niveau. Eine fami-
liäre Weitergabe der Sprache ist so kaum möglich.

Damit aber die Kinder aller sorbischen/wendischen
Familien ihre Muttersprache erlernen können, gibt es das
sprachliche Revitalisierungsprogramm WITAJ – „Witaj“
heißt Willkommen – für Kinder in Kitas und Schulen.
Für die Ausbildung der Lehrkräfte aber, die auch für
Volkshochschulkurse und außerschulische Angebote
dringend gebraucht werden, fehlt das Geld. Hier erwarte
ich vom Land Brandenburg mehr Engagement. Ein Kurs
für fünf Erzieherinnen beispielsweise würde etwa
10 000 Euro kosten. Das sollte auch bei klammen Kas-
sen zu realisieren sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch über eine andere Sprachge-
meinschaft sprechen: die Sinti und Roma. Sie sind in
vielen Ländern Europas beheimatet. In Deutschland le-
ben geschätzt etwa 70 000, und das seit etwa 600 Jahren.
Die Bundesrepublik Deutschland hat 1995 die auf ihrem
Territorium lebenden deutschen Sinti und Roma als au-
tochthone nationale Minderheit anerkannt. Ihre Sprache,
das deutsche Romanes, hat viele regionale Dialekte. Es
wird mündlich weitergegeben. Lehrbücher gibt es nicht.
Für die Sprache Romanes gilt im Allgemeinen die Ma-
xime: nur von Sinti für Sinti. Auch das hat historische
Hintergründe, waren die Sinti und Roma doch in der
Vergangenheit schlimmster Verfolgung ausgesetzt. Im
Nationalsozialismus wurden sie ausspioniert, deportiert
und in Vernichtungslagern umgebracht. Seither achten
sie streng darauf, dass alle das deutsche Romanes betref-
fenden Angelegenheiten, also auch die Weitergabe der
Sprache, nur innerhalb der Sprachgemeinschaft geregelt
werden.





Cornelia Behm


(A) (C)



(D)(B)


Dennoch ist die Politik gefragt. Nach Art. 11 der
Charta verpflichten sich die Vertragsparteien, sicherzu-
stellen, dass die Interessen der Sprecher von Regional-
oder Minderheitensprachen innerhalb der Gremien, die
für die Gewährleistung von Freiheit und Pluralismus der
Medien verantwortlich sind, vertreten oder berücksich-
tigt werden. Doch die Beteiligung von Sinti und Roma in
Rundfunkräten und Landesmedienanstalten ist bisher
nur in Rheinland-Pfalz geregelt. Eine entsprechende Ini-
tiative auf Bundesebene wurde bisher lediglich für die
Deutsche Welle in Aussicht gestellt, jedoch nicht für ei-
nen bestimmten Zeitpunkt. Dabei wäre es außerordent-
lich wichtig, dass Sinti und Roma hier vertreten wären;
denn gerade diese Minderheit leidet heute erneut unter
Ausgrenzung und Ablehnung.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136000

Frau Kollegin.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136100

Einen Absatz bitte noch, Frau Präsidentin.


(Heiterkeit)


Das stellte jüngst bei der Eröffnung des Mahnmals für
die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
auch die Kanzlerin fest. Schleswig-Holstein hat jetzt ein
Zeichen für eine bessere Politik gegenüber den Sinti-
und Roma-Minderheiten in ganz Europa gesetzt. Erst-
mals wurde der Anspruch auf Schutz und Förderung für
die Sinti und Roma in einer Verfassung verankert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136200

Frau Kollegin.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136300

Dem sollten die anderen deutschen Bundesländer

baldmöglichst folgen. Sie sollten diesen Verfassungs-
auftrag wie auch die Sprachencharta mit Leben erfüllen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136400

Die Kollegin Maria Michalk hat jetzt das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1721136500

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich sage es in meiner Muttersprache: Dobry
wječor! Das heißt: Schönen guten Abend!

Die Muttersprache ist für jeden Menschen ein wert-
volles Gut und von besonderer Bedeutung. Das haben
wir heute schon sehr oft gehört, und man kann es nicht
oft genug wiederholen; denn sie ist aus der Historie he-
raus kulturelle Identität. Sie ist für jeden ein tief im Inne-
ren verwurzeltes Gefühl von Heimat. Sie ist eine feste
Bindung an die eigene Sprachgemeinschaft.

Gleichzeitig kommt der Mehrsprachigkeit in unserer
offenen Welt mehr und mehr Bedeutung zu; ich denke,
auch das müssen wir in dieser Sprachendebatte erwäh-
nen. Damit Sie sich ein bisschen in die sorbische Spra-
che hineinhören können, will ich Ihnen einen kleinen
Teil meiner Rede in sorbischer Sprache vortragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Moja maćeršćina, moja maćerna rěč je serbšćina.
Třeći raz rěču tu w Zwjazkowym sejmje serbsce.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Běchmy před 100 lětami, jako so Domowina – Zwjazk
Łužiskich Serbow załoži, po ličbje wjetši a wjetši lud.


(Beifall bei der FDP)


Ale přeco zaso so naši prjedownicy wo wuwiće
serbskosće prócowachu a dźensa sej kóždy z nas sam
wuwědomi, kajka bohatosć naša maćeršćina, naša
serbšćina je a kajke lěpšiny kóždemu dwurěčnosć
přinjese.

Jako serbski lud přeco hišće eksistujemy. Bohu dźak!
Wosebje wotewrjenosć našich młodostnych k serbskej
kulturje a serbskim słowam mje we wiziji skrući, zo tež
w přichodźe jako mały lud w Europje wobstać budźemy.
Běchmy, smy a budźemy!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir waren, wir sind und wir werden bleiben – das ist in
Zeiten, in denen der Wind dem sorbischen Volk so rich-
tig ins Gesicht blies, sehr oft unser Motto gewesen.

In der Lausitz, der Heimat der Sorben, heißt der Will-
kommensgruß „Witaj“; Frau Behm hat es schon gesagt.
Seit 14 Jahren ist „WITAJ“ auch die Bezeichnung für ein
Projekt, das den frühkindlichen Erwerb der sorbischen
und deutschen Sprache forciert. „WITAJ“ legt den
Grundstein für eine komplexe mehrsprachige Bildung
von der Kinderkrippe bis zur Universität. „WITAJ“ ist
das Eintauchen in ein sorbisches Sprachbad nach der be-
währten Immersionsmethode. Sprache ist an Personen
gebunden. Deshalb spricht die eine Kindergärtnerin nur
Sorbisch mit den Kindern und die andere nur Deutsch
mit den Kindern. Es ist bewundernswert, was sich daraus
entwickelt hat; in den entsprechenden Berichten kann
man das nachlesen. Daran müssen wir weiter arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das gilt auch für die anderen Sprachen!)


Ich will an die vorangegangenen Sprachendebatten in
diesem Hohen Haus erinnern. Beim letzten Mal, 2009,
haben wir gefordert, einen Sprachenkongress durchzu-
führen. Wir wissen heute, dass sich dieser Kongress
mittlerweile in der Vorbereitungsphase befindet. Es ist
doch interessant, zu erfahren, welche Rahmenbedingun-





Maria Michalk


(A) (C)



(D)(B)


gen Minderheiten beim Erlernen ihrer Sprache vorfin-
den, zum Beispiel die Deutschen in Polen und die Sor-
ben in Deutschland. Ich unterstütze das Vorhaben, einen
Sprachenkongress durchzuführen, der ein wichtiger
Baustein für das Haus Europa sein kann, ausdrücklich.


(Beifall der Abg. Karin Evers-Meyer [SPD])


Ich will auf einen anderen Aspekt hinweisen: eigene
Sprache, eigene Schriftzeichen. Die Muttersprache in
Wort und Schrift in der Lausitz zu verwenden, ist kein
Problem; alles ist da. Hat man es aber mit Institutionen
außerhalb dieses Gebietes zu tun – das ist zum Beispiel
dann notwendig, wenn es um die Eintragung in ein Ver-
einsregister geht –, ist das ein Problem. Die Vorsitzenden
unserer Vereine tragen nämlich häufig sorbische Namen
– wir definieren uns ja nicht über die Territorialautono-
mie, sondern über die Kulturautonomie –, und ihre Na-
men müssen in Sorbisch in das Vereinsregister eingetra-
gen werden. Zurzeit geht das aber noch nicht, weil in
dem Vereinsportal, das modernerweise für ganz
Deutschland eingerichtet worden ist, damit jeder Ver-
einsvorsitzende von seinem Schreibtisch zu Hause das
Vereinsregister einsehen kann, noch keine sorbischen
Zeichen zur Verfügung stehen. Hier erleben wir ein Bei-
spiel dafür, dass uns moderne Kommunikationstechnolo-
gien und Tradition immer wieder vor neue Herausforde-
rungen stellen. Ich bitte Sie ausdrücklich, uns dabei zu
unterstützen, dass wir im Rahmen des Programms Re-
gisStar die Buchstaben bekommen, die für die osteuro-
päische Sprachengemeinschaft und damit auch für Sor-
bisch wichtig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auf einen Punkt hinweisen, der mir ganz
wichtig ist. Ich sage es erst einmal auf Sorbisch: Wulke
wjerški, bohate nazhonjenja a wjesoła zhromadnosć
lětušeje EUROPEADY we Łužicy su Serbam znowa po-
kazali, kajka wulka swójba europske mjeńšiny su a zo je
sebjewědomje za rjanu serbsku rěč samozrozumliwa
wěc.

Das heißt: Die Europiade in diesem Jahr in der Lau-
sitz, wo die Minderheiten Europas ein kleines Fußball-
turnier gespielt haben, hat gezeigt, wie wichtig es ist,
dass sich die Minderheiten untereinander begegnen, in
fröhlicher Gemeinschaft ihre Kultur pflegen und ihr
Selbstbewusstsein stärken,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Richtig! Du bist ein gutes Beispiel dafür!)


das wir brauchen, um weiter zu existieren.

Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie mir zugehört
haben. Wutrobny dźak.


(Beifall im ganzen Hause)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136600

Unser Kollege Serkan Tören gibt seine Rede zu Pro-

tokoll.1)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag,
den Sie auf Drucksache 17/11638 finden. Noch einmal
der Titel: „20 Jahre Zeichnung der Europäischen Charta
der Regional- und Minderheitensprachen“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist angenommen. Enthalten hat sich
überwiegend die Fraktion Die Linke, zugestimmt haben
ein Abgeordneter der Fraktion Die Linke


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war ich!)

und das gesamte übrige Haus. Damit ist der Antrag an-
genommen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Energiewende im Gebäudebestand sozial ge-
recht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und
zukunftsweisend umsetzen
– Drucksache 17/11664 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu
geben. – Hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11664 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des

von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu den Änderungen
vom 10. und 11. Juni 2010 des Römischen
Statuts des Internationalen Strafgerichts-
hofs vom 17. Juli 1998
– Drucksache 17/10975 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe (17. Ausschuss)

– Drucksache 17/11583 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Christoph Strässer
Marina Schuster
Annette Groth
Volker Beck (Köln)


1) Anlage 5
2) Anlage 7





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Universal Periodic Review – Menschen-
rechtslage in Deutschland auf dem Prüf-
stand des UN-Menschenrechtsrates

– Drucksache 17/11675 –

Hier wird ebenfalls vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu geben. – Damit sind Sie einverstanden.1)

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache17/11583, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10975
anzunehmen. Wer stimmt für diesen Gesetzentwurf und
erhebt sich deswegen? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Wir stimmen über den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/11675 ab. Wer stimmt für den An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist bei Zustimmung von SPD und Grünen abgelehnt.
Die Linke hat sich enthalten. CDU/CSU und FDP waren
dagegen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkür-
zung des Restschuldbefreiungsverfahrens und
zur Stärkung der Gläubigerrechte

– Drucksache 17/11268 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss

Auch hier wird vorgeschlagen, die Reden zu Proto-
koll zu geben. – Damit sind Sie einverstanden.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11268 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn,
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Negativbilanz nach zwei Jahren im UN-Si-
cherheitsrat

– Drucksache 17/11576 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Impulse
für Frieden und Abrüstung

– Drucksachen 17/4863, 17/7397 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Egon Jüttner
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Rainer Stinner
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktion der SPD

Die internationale Schutzverantwortung
weiterentwickeln

– zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutzverantwortung weiterentwickeln und
wirksam umsetzen

– Drucksachen 17/8808, 17/9584, 17/10902 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Roderich Kiesewetter
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


Die Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben
werden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so be-
schlossen.3)

Die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11576
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
wird vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden.
Dann ist so beschlossen.

Ich komme zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD
mit dem Titel „Deutschland im VN-Sicherheitsrat – Im-
pulse für Frieden und Abrüstung“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/7397, den Antrag auf Drucksache 17/4863
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist bei Zustimmung durch CSU/
CSU, FDP und Linke angenommen. Dagegen haben
SPD und Grüne gestimmt.

Tagesordnungspunkt 20 c. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 17/10902. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a die Ablehnung des Antrags der Fraktion der

1) Anlage 6
2) Anlage 8 3) Anlage 9





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


SPD auf Drucksache 17/8808 mit dem Titel „Die inter-
nationale Schutzverantwortung weiterentwickeln“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP
und Linke. Dagegen haben SPD und Grüne gestimmt.
Enthaltungen gab es keine.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/9584 mit dem Titel „Schutzver-
antwortung weiterentwickeln und wirksam umsetzen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen, wiederum bei Zustimmung
durch CDU/CSU, FDP und Linke. SPD und Grüne ha-
ben wieder dagegen gestimmt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes
zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes

– Drucksache 17/11470 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien

Hierzu ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debat-
tieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundes-
regierung das Wort dem Kollegen Max Stadler.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


D
Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1721136700


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ein vieldiskutiertes Thema wie das Leistungs-
schutzrecht für Presseverleger verdient eigentlich eine
Debatte, die nicht im Schutze der Dunkelheit stattfindet.


(Beifall im ganzen Hause – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Andere Themen werden gar nicht debattiert!)


Aber das Internet schläft nicht. Dank der modernen
Kommunikationsmöglichkeiten wird sehr wohl auf-
merksam verfolgt werden, wie das Parlament den Regie-
rungsentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
bewertet.

Der Entwurf ist ja schon im Vorfeld im wahrsten
Sinne des Wortes verfolgt worden. Es hat eine etwas
schrille Begleitmusik gegeben, insbesondere durch die
gegen dieses Gesetz gerichtete Kampagne von Google.

In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung
hat Heribert Prantl die richtige Antwort gegeben: Er hat
Google als „Schein-Schutzengel des Internets“ bezeich-
net. Er hat betont, dass man natürlich Einwände gegen
dieses Gesetz haben könne, dass es aber jedenfalls nicht,
wie die Gegenkampagne es suggeriere, gefährlich sei.

Es ist nicht gefährlich für die Informationsfreiheit,
es ist nicht gefährlich für die Kommunikations-
grundrechte, es ist nicht einmal gefährlich für den
gewaltigen Geldbeutel von Google.

So schreibt Heribert Prantl zutreffend.

Meine Damen und Herren, bei dem bekannten Pro
und Kontra gibt es in der Abwägung ein entscheidendes
Argument: Das Urheberrechtsgesetz kennt schon jetzt
eine Vielzahl von anderen Leistungsschutzrechten. Es ist
daher im Sinne der Gleichbehandlung schwer einzuse-
hen, warum ausgerechnet Presseverlegern ein solches
Leistungsschutzrecht verweigert werden sollte.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Grundlage!)


Verlage sollen künftig im Onlinebereich nicht schlechter
gestellt sein als andere Werkvermittler. Nicht mehr und
nicht weniger leistet unser Gesetzentwurf.

Weil Frau Rößner schon so skeptisch schaut, will ich
neben diesem etwas formalen Gleichbehandlungsargu-
ment auch noch das materielle Gerechtigkeitsargument
in die Debatte einführen. Es gibt Geschäftsmodelle, die
in besonderer Weise darauf ausgerichtet sind, für die ei-
gene Wertschöpfung auch auf die verlegerische Leistung
zuzugreifen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: So ist das!)


Der Regierungsentwurf beschränkt sich genau auf diesen
Aspekt. Wir schaffen nur Regelungen, die zum Schutz
der Presseverleger im Internet wirklich erforderlich sind.
Dementsprechend soll mit dem neuen Leistungsschutz-
recht den Presseverlagen lediglich das ausschließliche
Recht eingeräumt werden, Presseerzeugnisse zu gewerb-
lichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu ma-
chen. Dieses Recht können Verleger nur gegenüber An-
bietern von Suchmaschinen geltend machen sowie
gegenüber den Anbietern von solchen Diensten im Netz,
die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufberei-
ten. Presseverlage können also nur von diesen Anbietern
künftig verlangen, Nutzungen zu unterlassen, oder sie
können mit ihnen Lizenzgebühren vereinbaren.

Gesetzlich zulässig und unentgeltlich bleibt die Nut-
zung durch andere, wie zum Beispiel die Nutzung durch
Blogger, durch Unternehmen der sonstigen gewerbli-
chen Wirtschaft, durch Verbände, Anwaltskanzleien oder
private bzw. ehrenamtliche Nutzer.

In seiner schlanken und ausgewogenen Fassung bildet
der Gesetzentwurf sicherlich eine sehr gute Grundlage
für die Debatte in den Ausschüssen. Deswegen hätten
wir den Schutz der Dunkelheit für diesen Gesetzentwurf
wirklich nicht gebraucht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Tabea Rößner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war’s schon? Das war alles?)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721136800

Für die SPD-Fraktion hat Martin Dörmann das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1721136900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die SPD lehnt das von der Bundesregierung vorgeschla-
gene Leistungsschutzrecht für Presseverleger ab. Drei
Jahre hat Schwarz-Gelb gebraucht, um hierzu nach vie-
len Volten hin und her überhaupt einen Gesetzentwurf
vorzulegen. Es waren drei verlorene Jahre für die Medi-
enpolitik. Am Ende ist ein Vorschlag herausgekommen,
der völlig kontraproduktiv ist.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Denn er wird der Medienlandschaft in Deutschland nicht
helfen, schafft neue Rechtsunsicherheiten und droht hilf-
reiche Suchmaschinenfunktionen faktisch einzuschrän-
ken.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Stimmen der Kritiker sind dementsprechend viel-
fältig. Namhafte Urheberrechtler warnen vor den negati-
ven Folgen. Der IT-Branchenverband BITKOM und der
BDI erwarten eine Schwächung des Innovations- und In-
vestitionsstandorts Deutschland. Der Vorsitzende der
Monopolkommission, Professor Haucap, den ich hier
ausdrücklich zitieren darf, hält das Ganze gar für eine
„Schnapsidee“. Selbst Junge Union und Junge Liberale
fordern heute mit den anderen Jugendorganisationen
politischer Parteien, den Gesetzentwurf abzulehnen, weil
sie darin einen Eingriff in die Freiheit des Internets se-
hen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Bei-
spiele der Frankfurter Rundschau und der Financial
Times Deutschland haben zuletzt ein schmerzliches
Schlaglicht auf die Probleme im Zeitungsmarkt gewor-
fen. Vor diesem Hintergrund möchte ich ausdrücklich
festhalten: Qualitativ hochwertige journalistische Ange-
bote sind von entscheidender Bedeutung für die Mei-
nungsvielfalt und unsere Demokratie.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Reden, reden, reden!)


Guter Journalismus erfordert engagierte Journalisten, die
von ihrer Arbeit leben können. Er erfordert zugleich Re-
cherche, Organisation und damit Geld, das letztlich von
den Presseverlegern verdient werden muss, und zwar
auch im Internet.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!)


Es ist daher folgerichtig, dass immer mehr Verleger ver-
suchen, Bezahlangebote im Netz zu etablieren, und dass
sie bereits heute bestehende Urheberrechte an Texten
schützen wollen.

Guter Journalismus hat einen Wert, den es zu respek-
tieren gilt. Es ist deshalb selbstverständlich nicht hinzu-
nehmen, wenn einzelne Portale urheberrechtlich ge-

schützte Zeitungsartikel ohne Zustimmung von Autoren
und Verlagen selbst vermarkten und auf deren Kosten
Geld damit verdienen.


(Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich sehe, es gibt möglicherweise eine Zwischenfrage
des Kollegen Jarzombek. Ich möchte die Präsidentin bit-
ten, diese Zwischenfrage aufzurufen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721137000

Das war eine gewunkene Zwischenfrage. Bitte schön.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1721137100

Herr Kollege Dörmann, ich muss Ihnen erst einmal

ein Kompliment machen: Sie sind frischer als das Präsi-
dium, was das Erkennen von Zwischenfragen betrifft.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Na, na, na! Keine Kritik an der Präsidentin!)


Ich habe zwei Fragen an Sie. Die erste Frage ist: Ich
würde gerne von Ihnen wissen, wo die Kollegin
Dr. Hendricks ist, die als Generalbevollmächtigte der
DDVG über, so glaube ich, 15 oder 20 Prozent des deut-
schen Zeitungsmarktes verfügt und Mitglied dieses Hau-
ses ist. Dass sie an dieser Debatte nicht teilnimmt, finde
ich – ich sage es einmal vorsichtig – bemerkenswert.
Also: Wo ist die Kollegin?

Die zweite Frage an Sie ist: Sie haben erklärt, Sie
lehnten dieses Leistungsschutzrecht rundweg ab. Ihre
Partei, die SPD, hat über die Holding DDVG eine ganze
Reihe von Beteiligungen an deutschen Zeitungen. Kön-
nen Sie heute eine Aussage darüber treffen, ob die Zei-
tungen, die der SPD gehören, Verhandlungen im Rah-
men des Leistungsschutzrechtes, wenn es beschlossen
wird, aufnehmen werden, um damit Erlöse von den
Suchmaschinen zu erzielen?


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1721137200

Herr Kollege Jarzombek, es ist bezeichnend, dass Sie

eigentlich nicht zum Thema reden möchten, sondern ein
bisschen Ablenkungsmanöver betreiben.


(Beifall bei der SPD)


Bezeichnend ist auch, dass wir diese Debatte, wie der
Kollege Stadler zu Recht gesagt hat, zu nachtschlafender
Zeit führen müssen, weil sich die Koalition für das
Ganze schon ein bisschen schämt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Total!)


Ihre Frage ist eine rein hypothetische Frage, die ich na-
türlich gar nicht beantworten kann. Sie wissen ganz ge-
nau, dass die DDVG in der Regel ganz kleine Minder-
heitsbeteiligungen hat


(Lachen bei der CDU/CSU)


und sich aus redaktionellen Dingen heraushält. Hier wer-
den also Äpfel mit Birnen verglichen. Ich kenne diese
Diskussion auch im Zusammenhang mit bestimmten
Zeitungen.





Martin Dörmann


(A) (C)



(D)(B)



(Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)


– Ich lasse gerne noch eine Nachfrage von Herrn Kolle-
gen Jarzombek zu, der aber eigentlich nicht zur Sache
reden will.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721137300

Das ist schön. Aber wir machen jetzt keinen Dialog,

sondern Sie fahren in Ihrer Rede fort.


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1721137400

Die SPD ist dafür, dass es dieses Leistungsschutz-

recht überhaupt nicht gibt. Insofern stellt sich diese hy-
pothetische Frage gar nicht.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde auch gern zum Leistungsschutzrecht reden!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721137500

Herr Kollege, fahren Sie doch in Ihrer Rede fort.


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1721137600

Okay. – Dort, wo es heute Probleme bei der Rechts-

durchsetzung gibt, sind wir für verbesserte Möglichkei-
ten der Presseverleger, damit diese effektiv gegen solche
illegalen Geschäftsmodelle, die ich vorhin genannt habe,
vorgehen können.

Das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht löst die be-
stehenden Probleme aber gerade nicht, sondern schafft
neue. Es geht letztlich darum, Suchmaschinen entgelt-
pflichtig zu machen und hierüber neue Einnahmequellen
zu generieren, und zwar auch dann, wenn sie nach heuti-
ger Rechtslage völlig legal verlinken und dabei kurze
Textteile anzeigen, damit man Artikel inhaltlich zuord-
nen kann.

Aus Sicht der SPD-Fraktion erfüllen Suchmaschinen
aber eine wichtige Wegweiserfunktion im Internet, die
wir erhalten wollen. Mit technischem und finanziellem
Aufwand erbringen Suchmaschinen eine eigene Leis-
tung, die für viele Internetuser hilfreich ist. Auch die
Verlage wollen nicht darauf verzichten, gelistet zu wer-
den – sie könnten das ja technisch heute schon verhin-
dern –; denn sie wollen ja Leser auf ihre werbefinanzier-
ten freien Angebote ziehen. Es ist deshalb niemandem
wirklich vermittelbar, dass nun Suchmaschinen, die das
heutige Urheberrecht nicht verletzen und den Verlegern
sogar finanzielle Vorteile bringen, über ein speziell auf
sie zugeschnittenes Leistungsschutzrecht ein Entgelt
zahlen sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion
hat vor wenigen Wochen einen umfassenden Antrag zur
Sicherung der Medienvielfalt und zu qualitativ hochwer-
tigem Journalismus in den Bundestag eingebracht. Lei-
der hat sich die Regierungskoalition verweigert, unsere
Vorschläge aufzunehmen oder zumindest ernsthaft zu
prüfen.

Gibt man heute in eine Suchmaschine den Begriff
„schwarz-gelbe Medienpolitik“ ein, findet man leider

keinerlei Konzepte, die den Herausforderungen wirklich
gerecht werden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Blödsinn!)


Insofern ist es, denke ich, notwendig, dass wir einen Re-
launch machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Bei einer Rede selber denken, nicht googeln! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721137700

Einen wunderschönen guten Abend! – Der nächste

Redner auf der Rednerliste ist der Kollege Ansgar
Heveling für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1721137800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Wir müssen die Märkte bändigen“



Sie

– gemeint sind die Bürger –

haben den Eindruck, dass ihre „gefühlte Ordnung“
aus dem Lot geraten ist … Viele Staaten und Regio-
nen der Welt werden auf Europa schauen, ob es in
der Lage ist, dem liberalen Kapitalismus Anglo-
amerikas auf der einen und dem autoritären Kapita-
lismus Chinas auf der anderen Seite sein Modell
des demokratischen Kapitalismus in Form der so-
zialen Marktwirtschaft gegenüber zu stellen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau!)


Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, stammt
nicht von mir,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das hätte mich auch gewundert!)


sondern ist einem Gastbeitrag von Sigmar Gabriel im
Handelsblatt vom 2. März 2012 entnommen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heveling zitiert Gabriel! Es muss sehr spät sein!)


und es geht dabei um das Bändigen der Finanzmärkte.

Was hat das nun mit dem Leistungsschutzrecht für
Presseverlage zu tun?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns alle seit mehreren Minuten!)






Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


– Ich habe mir schon gedacht, dass der Kollege von Notz
genau über dieses Stöckchen, das ich ihm hinhalte, jetzt
springen würde.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Er braucht halt länger!)


Vordergründig hat das erst einmal gar nicht viel damit zu
tun, aber es lohnt sich vielleicht, Herr Kollege von Notz,
auch einmal ein bisschen tiefer als nur auf die Oberflä-
che zu schauen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben noch zwei Minuten!)


Ein Großteil dieses Hauses ist mit der Situation auf
den Finanzmärkten nicht zufrieden. Kasinokapitalismus
und eine von der Realwirtschaft abgekoppelte Finanz-
wirtschaft haben uns seit 2008 eine Dauerkrise auf unter-
schiedlichen politischen Spielfeldern beschert.


(Lars Klingbeil [SPD]: Falsche Rede! Falscher Zeitpunkt! – Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Wucht der Ausschläge deregulierter Märkte über-
rollt gnadenlos die Gestaltungskraft der Staaten welt-
weit, vor allem aber Europas. Bis weit in bürgerliche
Kreise hinein – ich schließe mich hier selbst mit ein –
wird kritisch gesehen,


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass es kaum verbindliche internationale Regeln für
Finanzmärkte gibt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lesen aus Versehen die Rede von Frau Sitte vor! Was soll die denn gleich sagen?)


Zugeschrieben wird der Schwund staatlicher Gestal-
tungsspielräume dabei nicht zu Unrecht auch der fort-
schreitenden Globalisierung. Mit ihr ist das Spielfeld für
Deregulierung eröffnet worden. Deutschland beweist
zwar, dass es mit der sozialen Marktwirtschaft und damit
mit einem feinnervigen System der Balance zwischen
unterschiedlichen Rechten über eine leistungsfähige
Wirtschaftsordnung verfügt – unsere wirtschaftliche
Stärke zeigt das –, gleichzeitig ist die soziale Marktwirt-
schaft aber nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal.
Der liberale Kapitalismus Angloamerikas ist internatio-
nal weiter in der Vorhand.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Angloamerikas“!)


Insofern würden sicherlich viele den eingangs zitierten
Sätzen Sigmar Gabriels zustimmen.


(Martin Dörmann [SPD]: Das finde ich aber nicht! – Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir als Bundesrepublik sind doch schon immer mit dem
Willen zum schonenden Ausgleich der Interessen gut ge-
fahren.

Damit nun zum Leistungsschutzrecht für Pressever-
lage.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen einmal Argumente!)


– Es ist schön, dass Sie da schon applaudieren.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind mit wenig zufrieden!)


Letztlich ist die Diskussion um dieses Recht nichts ande-
res als ein Abziehbild der Diskussion um die Finanz-
märkte.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So ist das!)


Die Interessenlagen sind an dieser Stelle durchaus ver-
gleichbar.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da liefern Sie nicht!)


Interessant ist nur, wie verschoben die Wahrnehmung
bei der Auseinandersetzung um das Recht auf geistiges
Eigentum ist, insbesondere, wie ich jetzt merke, auf der
linken Seite des Hauses.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das liegt an der intellektuellen Überforderung dieser Seite!)


Letztlich geht es nämlich um das Gleiche. Es geht um
die Frage, wie dereguliert der Wirtschaftsraum Internet
– darum geht es eigentlich, trotz aller Camouflage – sein
soll. Sollen hier die Regeln des liberalen Kapitalismus
gelten, um in der Diktion Sigmar Gabriels zu bleiben,
oder ein auf Ausgleich bedachtes System der sozialen
Marktwirtschaft? Gerade nach den Erfahrungen mit den
Finanzmärkten fällt es mir nicht schwer, darauf eine
Antwort zu geben. Zumal das Urheberrecht in ökonomi-
scher Hinsicht soziale Marktwirtschaft par excellence
darstellt: Seine Grundlage bildet das Eigentumsrecht,
das dem Urheber oder Leistungsschutzberechtigten die
Freiheit ökonomischer Verwertung sichert. Gleichzeitig
sind aber Schranken zugunsten der Freiheit anderer es-
senzieller Teil der Urheberrechtsordnung. Schon seiner
Grundstruktur nach ist das Urheberrecht damit auf den
Ausgleich von Rechten und von ökonomischen Interes-
sen orientiert.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gut zuhören!)


In diese Systematik fügt sich auch das Leistungs-
schutzrecht für Presseverlage ein. Es ist keine neue Er-
findung. Leistungsschutzrechte gibt es bereits, seit es das
Urheberrecht gibt. Wir, die christlich-liberale Koalition,
haben uns lediglich entschieden, ein weiteres Leistungs-
schutzrecht einzuführen. Das Ziel ist dabei – so steht es
schon im Koalitionsvertrag –, dass Verlage im Online-
bereich nicht schlechter dastehen sollen als andere
Werkvermittler.

Das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presse-
verlage unterscheidet sich dabei massiv von anderen
bereits bestehenden, sogenannten verwandten Schutz-





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


rechten. Während andere Leistungsschutzrechte meist
ein weitreichendes Ausschließlichkeitsrecht für den
Rechteinhaber beinhalten, ist das vorgeschlagene Leis-
tungsschutzrecht für Presseverlage bewusst schmal aus-
gestaltet.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat große Auswirkungen!)


Es differenziert – das ist dem Urheberrecht ansonsten
eher fremd – zwischen privater und gewerblicher Nut-
zung, und es vermittelt dem Leistungsschutzberechtigten
seine Rechte nur für ein Jahr.

Daraus resultiert beinahe schon zwangsläufig, dass
der Gesetzentwurf auch Fragen aufwirft,


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, viele Fragen!)


die bei einer ebenso strengen Ausgestaltung des Leis-
tungsschutzrechtes wie bei anderen verwandten Schutz-
rechten nicht auftreten würden. Diesen Fragen werden
wir uns sicherlich in der Anhörung vertieft widmen kön-
nen. Während sowohl die Definition des Presseerzeug-
nisses als auch die des Presseverlages klar konturiert
sind, ist es sicherlich angezeigt, die juristische Validität
von Begriffen wie „Suchmaschine“ oder „gewerbliche
Anbieter“ noch einmal näher zu beleuchten.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir gespannt!)


Das wird die rechtliche Regelung des Leistungs-
schutzrechtes indessen nicht grundsätzlich infrage stel-
len.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leistungs-
schutzrecht für Presseverlage ist ein bereits im Vorfeld
der parlamentarischen Beratungen intensiv diskutiertes
Thema. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass es als
Chiffre für ganz andere Debatten dienen soll. Diese De-
batten müssen wir auch führen; das ist gar keine Frage.
Das Internet muss ohne Frage ein Freiheitsraum sein und
bleiben, so wie es im Übrigen die reale Welt in unserer
Bundesrepublik Gott sei Dank auch ist.

Markenkern unserer Freiheit ist dabei aber, nicht aus-
schließlich das Recht des ökonomisch Stärkeren zu be-
rücksichtigen, sondern einen sorgsamen Ausgleich zwi-
schen unterschiedlichen Interessen herbeizuführen. Das
sollten wir uns auch bewahren. Freiheit darf auch im In-
ternet keine einseitige Freiheit sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721137900

Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, jetzt für den Kapitalismus, Frau Sitte!)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721138000

Das ist nicht zu toppen, was er da geboten hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat-
tieren heute also zu später Stunde über den Sandkasten-
streit, wer wem welches Schäufelchen in der Medien-
welt aus der Hand schlagen könnte. Da schreien auf der
einen Seite die Verleger: „Google verdient Geld mit un-
seren Inhalten!“ und wollen deshalb Geld von Google.
Google kläfft nun seinerseits zurück und sagt: „Die Ver-
lage bekommen von uns ohne Ende Onlinekunden, sol-
len sie doch froh sein darüber, da nehmen sie ja auch
Geld ein.“ Gleichzeitig tun beide Seiten so, als wären sie
für Gemeinwohl, für Demokratie und Weltfrieden abso-
lut unverzichtbar. Aber letztlich streiten sich beide Sei-
ten nur um fette Profite.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun könnte man ja sagen, das sei alles kindisches Ge-
habe und kindisches Gezänk, das könne man eigentlich
auch ignorieren. Aber da gibt es eben sehr wohl das un-
genierte einseitige Parteinehmen der Bundesregierung
für Springer & Co. Und Herr Keese vom Springer-Ver-
lag war es, der das in den letzten Jahren vorangetrieben
hat. Deshalb gibt es also kurz vor Weihnachten hier
schon einmal eine schöne Bescherung, einerseits für den
Springer-Verlag, andererseits für das Parlament in Ge-
stalt des Gesetzentwurfes zum Leistungsschutzrecht für
Presseverlage. Das ist, ehrlich gesagt, nicht so ganz
leicht zu verstehen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Bemühen Sie sich ein bisschen!)


Warum ist das so schwer zu verstehen? Ganz einfach:
Weil es heute – ach, was heißt heute? Schon seit etwa
20 Jahren! – ganz einfache, problemlose, technische
Möglichkeiten gibt, mit denen die Verlage ihre Veröf-
fentlichungen wirksam vor Suchmaschinen schützen
könnten.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Alles oder nichts!)


Vor allem aber – das muss ich sagen, Herr Stadler – ist
das Gesetz denkbar schlampig formuliert.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei ist es der dritte Versuch!)


Niemand weiß nämlich am Ende, wer von diesem Ge-
setz begünstigt oder dadurch zu Zahlungen verpflichtet
wird. Niemand weiß genau, wie der Schutzgegenstand
aussehen soll, was er sozusagen ist.

Wir wissen aber, dass dieses Leistungsschutzgeld er-
folgreich Innovationen im Netz behindern wird, und
zwar immer dann, wenn es um Informationsaufbereitung
oder Informationsaggregation geht.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Haben Sie auch eine Position dazu, Frau Sitte?)


Die Linke hat zu den Rechtsunsicherheiten diese Wo-
che auch eine Kleine Anfrage gestellt.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Kraftvoll!)






Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Ich wette mit Ihnen, diese wird noch weit mehr als die
bisher bekannten Mängel des Gesetzes freilegen. Es
wird dann natürlich in dieser Anhörung, von der Sie ge-
sprochen haben, spannend, ob sich das erklären und sau-
ber beheben lässt.

Am Ende werden sich, wie ich glaube, die Abmahn-
anwälte die Hände reiben; das tun sie wahrscheinlich
schon heute angesichts des profitablen Geschäfts, das
auf sie zukommt.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun gibt es auch Gerüchte, dass der Gesetzestext ab-
sichtlich so schlecht geschrieben worden ist – nicht, weil
es den fleißigen Bienchen im Justizministerium an Intel-
lekt gefehlt hätte, nö, nö. Vielleicht wollten oder sollten
die sich schlicht und ergreifend keine Mühe geben.


(Lachen des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP])


Immerhin gibt es offensichtlich kaum jemanden in der
Behörde –


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Was kommt denn jetzt?)


bei den Anfragen im Unterausschuss Neue Medien ist
das ganz deutlich geworden –, der dieses Gesetz am
Ende tatsächlich für sinnvoll hält. Das, meine Damen
und Herren, sind natürlich – ich höre es schon – ganz,
ganz schlimme Oppositionsspekulationen.

Keine Spekulation ist beispielsweise die Stellung-
nahme von 16 hochangesehenen Professorinnen und
Professoren gegen das geplante Leistungsschutzrecht.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das können Sie doch gar nicht beurteilen!)


– Ich kann das sehr wohl beurteilen, aber Sie können ru-
hig weiter Ihren Jahrhunderttraum von den fetten Ge-
winnen träumen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es handelt sich bei dieser Gruppe um ausgewiesene Ur-
heberrechtsexperten. Diese stellen für das geplante Leis-
tungsschutzrecht fest – ich zitiere an dieser Stelle –, dass
die Gefahr, die von ihm ausgeht, unabsehbare negative
Folgen in sich birgt.

Ebenfalls keine Spekulation ist, dass es selbst in den
Reihen der Koalition offensichtlich eine ganze Menge
Leute gibt, die das Gesetz ganz und gar nicht so toll fin-
den. Im Gegenteil: Sie haben sich zu Wort gemeldet
– schwarze wie gelbe Kritiker, klug und prominent – und
in die Diskussion eingemischt.

Daher bleibt mir an dieser Stelle nur, an die Bundes-
regierung zu appellieren: Hören Sie einfach auf all die
schlauen Menschen! Hören Sie auf die Leute, die im In-
ternet zu diesem Thema diskutieren! Überwinden Sie
vor der Wahl Ihre Angst vor der Bild-Zeitung und ziehen
Sie schlicht und ergreifend dieses Leistungsschutzrecht
zurück!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ist Ihre Welt einfach! Wie früher!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721138100

Das Wort erhält nun die Kollegin Tabea Rößner vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721138200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

gebe zu: Ich habe mich geirrt; denn ich habe immer ge-
dacht, diesen Schwachsinn kriegen Sie nie durch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Schon damals, bei Abschluss des Koalitionsvertrages,
habe ich mich gefragt, wie Sie das angekündigte Leis-
tungsschutzrecht überhaupt umsetzen wollen. Drei Jahre
und drei Entwürfe später merke ich: Sie wissen es immer
noch nicht. Deshalb klatschen Sie uns einen halbherzi-
gen, einen halbgaren und einen halbfertigen Gesetzent-
wurf hin, der von der Ausgestaltung her nicht unklarer
sein könnte. Niemand – Ihre eigenen Leute übrigens
auch nicht – kann mit Sicherheit sagen, wie weit der Ent-
wurf greifen wird.

Sind Links nun geschützt oder nicht?


(Zuruf von der FDP: Sind sie nicht!)


Das weiß niemand. Ich weiß aber eins: Es wäre katastro-
phal, wenn es so wäre. Denn das Internet heißt nicht aus
Jux Netz, sondern weil es durch das Interagieren von
Menschen, durch Kommunikation, Verweise und den
Austausch von Informationen lebt. Eine Basis dafür sind
natürlich Links.

Die Kanzlerin hat das Leistungsschutzrecht als Ant-
wort auf die „Anforderungen einer modernen Informa-
tionsgesellschaft“ gepriesen. So wie es aussieht, kennt
sie nicht einmal die Frage.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Der Informationszugang wird nämlich durch das Leis-
tungsschutzrecht eingeschränkt. Warum? Weil Suchma-
schinen und Aggregatoren deutsche Presseerzeugnisse
und gewerbliche Blogs nicht mehr listen dürfen; es sei
denn, sie haben eine Lizenz. Sollen etwa Google oder
Rivva die Blogger alle selber abtelefonieren? Oder wie
stellen Sie sich das vor?

Apropos ahnungslos: Ganz groß war auch Ihr Auftritt
im Medienausschuss, Herr Kollege Müller-Sönksen, als
Sie für das Gesetz mit der Begründung geworben haben,
dass es den Qualitätsjournalismus in unserem Land und
die Pressevielfalt erhalten werde. Aber jeder, der für
zwei Minuten seinen Verstand hochfährt,


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Fangen Sie mal an!)


kann sehen: Sie bewirken das Gegenteil.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)






Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)


Da es für die Koalition jetzt vielleicht schon zu spät in
der Nacht ist, übernehme ich das Denken für Sie. Eine
Suchmaschine wie Google wird wohl kaum auf das kol-
lektive Springer-Angebot verzichten wollen. Also hat
Springer in Verhandlungen Oberwasser und kann für die
Lizenzen gutes Geld verlangen, auch wenn der Verlag in
den vergangenen zwei Jahren ohnehin schon Rekorder-
gebnisse eingefahren hat. Das Hintertupfinger Tageblatt
dagegen ist nicht so gefragt wie Bild. Denen zahlt
Google sicherlich wenig, vielleicht sogar gar nichts.
Ergo: Die Großen profitieren, die Kleinen verlieren, und
am Ende lacht Springer. Wenn Sie das wollen, dann sa-
gen Sie das bitte hier auch so, sehr verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Koalition.

Noch jemand wird durch das Gesetz verdienen: die
Abmahnanwälte. Denn Leistungsschutzrecht wird An-
walts Liebling. Wissen Sie, wer das Geld dringender nö-
tig hätte? Journalisten. Sie müssen heute nämlich Kne-
belverträge unterzeichnen, sofern sie überhaupt noch
Arbeit haben.

Aber an der einzigen Stelle, an der das Leistungs-
schutzrecht vielleicht etwas Gutes bewirken könnte,
nämlich bei der Verbesserung der Vergütung der Urheber
selbst, bleiben Sie seltsam im Vagen. Denn die Autoren
hatten Sie bestimmt nicht im Sinn, als Sie an den zig
Versionen des Gesetzentwurfs herumdokterten.

Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist ungenau
formuliert, rückwärtsgewandt und geht am Ziel vorbei.
Er sollte deshalb besser nie den Beratungsvorgang ver-
lassen, geschweige denn zur Abstimmung kommen.
Sonst erleben Sie vielleicht sogar ein peinlicheres Ergeb-
nis, als Ihnen lieb ist. Denn die Summe der Kritiker ist
groß, nicht nur auf der Oppositionsbank: Das Max-
Planck-Institut, Siegfried Kauder, Vorsitzender des
Rechtsausschusses,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


die JuLis und die Junge Union, Ihre Jugendorganisatio-
nen, haben zusammen mit den anderen Parteijugendor-
ganisationen gegen das Leistungsschutzrecht aufgeru-
fen. Das sollte Ihnen doch zu denken geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie alle werden sich bei der Abstimmung bekennen müs-
sen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Justizministe-
rin hat neulich auf einer Veranstaltung des BDZV –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721138300

Frau Kollegin, Sie hatten doch die Zusammenfassung

in Aussicht gestellt.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721138400

– ich komme zum Schluss – zum Leistungsschutz-

recht gesagt:

Aber es ist doch gut, wenn zu einem Thema auch
dann debattiert wird…



Man darf doch nicht so defensiv sein und bei The-
men, wo man sagt, da gibt’s auch Kritik, dann sich
zurückziehen ins Schneckenhäuschen …

Jetzt ist es 23.18 Uhr, und im Schneckenhäuschen
hätten wir schon Platz.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)


Würden wir bei Twitter über den Gesetzentwurf strei-
ten, hätte ich zwei schöne Hashtags für ihn: Fail und
Facepalm.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ganz starker Schluss!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721138500

Jetzt hören wir Thomas Silberhorn live für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1721138600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich spreche zwar live, aber der Umstand, dass
das nicht mehr live im Fernsehen übertragen wird, führt
dazu, dass ich meine Urheberrechte an dieser Rede nicht
mehr über die Verwertungsgesellschaft Wort geltend ma-
chen kann.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die streamen schon längere Zeit! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird gestreamt, Herr Kollege! Ich wäre vorsichtig!)


Ich spreche aber gerne über Leistungsschutzrechte,
die unserer Rechtsordnung ja nicht fremd sind. Es gibt
eine ganze Reihe von Leistungsschutzrechten: für Dar-
steller, für Produzenten, für Sendeanstalten, für Tonträ-
gerhersteller. Hinter diesen verwandten Schutzrechten
steckt die gemeinsame Überlegung, dass kreative Leis-
tungen von Darstellern und Produzenten, aber auch or-
ganisatorische und unternehmerische Leistungen schüt-
zenswert sind, die zwar kein neues Werk schaffen, die
aber der Vermittlung von Werken dienen. Dazu wird
künftig auch die verlegerische Leistung im Internet zäh-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir erweitern also das Portfolio der bereits verwandten
Schutzrechte um ein Leistungsschutzrecht für Pressever-
lage. Darauf haben wir uns schon im Koalitionsvertrag
verständigt. Unser Ziel ist, dass wir Presseerzeugnisse
und ihre Verwertung im Internet besser schützen können.

Der Gesetzentwurf sieht deshalb im Kern vor, dass
den Presseverlagen ein ausschließliches Recht einge-





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


räumt wird, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwe-
cken im Internet zugänglich zu machen. Es soll damit
schlicht sichergestellt werden, dass Verlage im Online-
bereich nicht schlechter gestellt werden als andere Werk-
vermittler. Es werden reine Verlinkungen weiterhin
entgeltfrei möglich sein. Das Zitierrecht des Urheber-
schutzes wird nicht beeinträchtigt. Die private Nutzung
bleibt möglich. Die Suchfunktion einer Suchmaschine
– anders als Sie, Herr Kollege Dörmann, es dargestellt
haben – wird in keiner Weise berührt. Es kann weiter ge-
sucht und gefunden werden.

Das neue Leistungsschutzrecht schützt nur den Zu-
griff auf die verlegerische Leistung durch gewerbliche
Anbieter von Suchmaschinen oder sonstigen Diensten,
die Inhalte entsprechend aufbereiten, wie die Newsag-
gregatoren. Diese Anbieter müssen künftig für die Nut-
zung von Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben. Der
Schutzbereich dieses Leistungsschutzrechts ist also sehr
klar definiert und begrenzt. Er umfasst das Presseerzeug-
nis in seiner konkreten Gestaltung und Festlegung durch
den Verleger. Es geht nicht um den Schutz der darin ent-
haltenen Texte, es geht nicht um Fotos oder Grafiken.
Für die gilt weiterhin das vorhandene Urheberrechtsge-
setz.

Noch einmal: Nicht erfasst von diesem Leistungs-
schutzrecht für Presseverlage – das wird in der öffentli-
chen Diskussion oft ausgeklammert – sind alle anderen
als die genannten gewerblichen Nutzer,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist doch nicht wahr!)


also: Blogger, Verbände, ehrenamtliche Organisationen
aller Art, private Nutzer, auch alle Unternehmen und
sonstige gewerbliche Nutzer,


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewerbliche Blogger schon!)


die nicht zu den Suchmaschinen oder den sonstigen
Diensten zählen, die Inhalte aufbereiten. All die werden
durch das neue Leistungsschutzrecht nicht berührt.
Wenn gerade im Bereich der gewerblichen Nutzung
noch Fragen zur Abgrenzung offen sind, werden wir ver-
suchen, sie auszuräumen. Ich will hier anmerken, dass
wir gerne bereit sind, im weiteren Gesetzgebungsverfah-
ren darauf ein besonderes Augenmerk zu richten, damit
das sichergestellt wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721138700

Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung

des Kollegen Notz?


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1721138800

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit würde ich zwar

gerne fortfahren, will aber keine Antwort schuldig blei-
ben. Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Kollege, für die Möglichkeit, eine
Frage zu stellen. Ehrlich gesagt, es sind zwei.

Die erste Frage ist: Sie sprachen an, dass das Vorha-
ben, ein solches Leistungsschutzrecht einzuführen,
schon im Koalitionsvertrag stand. Es haben sich viele
Leute darüber gewundert; denn das stand ja in keinem
Wahlprogramm. Vielleicht können Sie das Mysterium
einmal auflösen, wie der Punkt Leistungsschutzrecht in
den Koalitionsvertrag kam. Eine richtige Abstimmung in
Ihrer Partei hat es nach meinem Kenntnisstand nicht ge-
geben.

Die zweite Frage ist: Sie sprachen von Bloggern, die
nicht betroffen wären. Was ist der Unterschied zwischen
einem nichtgewerblichen Blogger und einem gewerbli-
chen Blogger? Ist jemand, der bloggt und ein kleines
Werbebanner schaltet, um die Kosten für seine Home-
page zu decken, ein gewerblicher Blogger? Ist er erfasst,
ja oder nein? Das sind jedenfalls die Fragen, die sich
viele Menschen stellen.


(Zurufe von der FDP: Nein!)


– Ihre Kollegen wissen es offensichtlich besser als Sie
selbst. Vielleicht haben sie eine Antwort auf diese Fra-
gen.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1721138900

Sie haben meine Antwort noch gar nicht gehört.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß, die rufen nur herein! Sie scheinen sich zu sorgen!)


– Sie sorgen sich um Ihre Fragen, aber ich will sie Ihnen
gerne beantworten.

Zunächst: Koalitionsverträge werden bei uns nach
den Wahlen verhandelt


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auf der Grundlage der Wahlprogramme! Oder?)


zwischen den Koalitionspartnern, die sich auf eine Re-
gierungsmehrheit verständigen konnten. Diese Koali-
tionsverhandlungen nehmen selbstverständlich die Wahl-
programme zur Grundlage. Wir sind aber, jedenfalls in
unseren Fraktionen, immer aufgeschlossen für Erkennt-
nisfortschritte, für Ideen, für Kreativität, für Neues.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wessen Idee war es?)


Deswegen schreiben wir in unseren Koalitionsverhand-
lungen nicht einfach bereits veröffentlichte Wahlpro-
gramme ab, sondern wir führen einen offenen demokra-
tischen Diskurs und präsentieren dann einen Vertrag, der
Grundlage für unsere Arbeit ist. Ich freue mich sehr,
dass es gelungen ist, die Ergebnisse dieses Koalitions-
vertrages in dem Punkt Leistungsschutzrecht nach langer
dreijähriger Diskussion auch in einen Gesetzentwurf zu
gießen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun zu der Frage: Wer ist erfasst? Noch einmal:
Wenn hier Abgrenzungsfragen offenbleiben, müssen wir





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)


das ganz offen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens
besprechen.


(Zuruf von der LINKEN: Trial and Error! Oder was machen Sie da?)


Alle gewerblichen Nutzer, die nicht Internetsuchmaschi-
nen oder andere Dienste sind, die fremde Inhalte ent-
sprechend aufbereiten, werden von dem Leistungs-
schutzrecht nicht erfasst. Alle gewerbliche Nutzung ist
möglich, die nicht in der Auswertung fremder Inhalte zu
eigenen wirtschaftlichen Zwecken besteht.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das denn abgegrenzt?)


Ich hoffe, dass ich damit zur Klärung beitragen konnte;
denn Ihre Frage macht deutlich, dass eine ganze Reihe
von Unsicherheiten bestehen, die aber jeglicher Grund-
lage entbehren. Ich hoffe, dass wir diese Debatte dann
im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fortsetzen kön-
nen.

Die Rechte der Urheber werden übrigens durch dieses
Leistungsschutzrecht in keiner Weise beeinträchtigt. Im
Gegenteil: Die Presseverlage können ihr Leistungs-
schutzrecht nicht zum Nachteil des Urhebers geltend
machen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch nicht geklärt! – Gegenruf des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Angemessene Beteiligung!)


Im Gesetzentwurf ist klargestellt, dass der Urheber an ei-
ner Vergütung, die durch die Lizensierung des Leis-
tungsschutzrechts generiert werden kann, angemessen
zu beteiligen ist.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das?)


Darüber sind sich im Übrigen die Verlegerverbände und
die Journalistengewerkschaften im Grundsatz seit lan-
gem einig.


(Martin Dörmann [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Darum geht doch der Streit!)


Wir werden in den weiteren Beratungen auch intensiv
die Vorschläge des Bundesrates prüfen, etwa die Frage,
inwieweit Vergütungen für die Einräumung von Nut-
zungsrechten am Leistungsschutzrecht über eine Ver-
wertungsgesellschaft eingezogen und verteilt werden
können. Da wird sicherlich auch die bevorstehende
Sachverständigenanhörung im kommenden Jahr Er-
kenntnisse beisteuern können.

Meine Damen und Herren, uns ist bewusst, dass die-
ses neue Leistungsschutzrecht national wie international
hohe Beachtung erfährt. Die hohe Aufmerksamkeit der
betroffenen Unternehmen liegt vielleicht auch darin be-
gründet, dass ein solches Leistungsschutzrecht für Pres-
severlage schnell Nachahmer finden kann, wenn es in
Deutschland funktioniert.

Die lautstarken Kritiker, die für die Freiheit im Inter-
net Sturm laufen, mögen sich bitte auch die Frage stel-
len, für wen sie hier in die Schlacht ziehen. Denn Frei-

heit im Internet kann doch nicht bedeuten, dass sich
jeder bei Leistungen, die andere erbracht haben, bedie-
nen kann. Wenn der eine seine Marktmacht ausspielt, um
Leistungen Dritter für eigene wirtschaftliche Zwecke zu
nutzen, während der andere, der diese Leistung erbracht
hat, in die Röhre schaut und damit die Leistung auf
Dauer gar nicht mehr erbringen kann, dann hat sich hier
ein Ungleichgewicht entwickelt, das so nicht mehr hin-
genommen werden kann. Deswegen schaffen wir ein
Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das hierfür ei-
nen angemessenen Ausgleich schafft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721139000

Nun hat der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1721139100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Heveling! Unmittelbar vor der
Diskussion über das Leistungsschutzrecht hat eine Kol-
legin in Sorbisch geredet. Ich habe diese Sprache noch
nie gehört, aber ich will offen sagen: Ich habe bei dieser
Rede mehr verstanden als bei Ihrem Beitrag zum Leis-
tungsschutzrecht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die letzten
Tage haben gezeigt, mit welcher Härte gestritten wird,
wenn es darum geht, das digitale Zeitalter zu erreichen.
Wir sehen, dass auf dem Weg in die digitale Gesellschaft
radikale Umbrüche stattfinden, und wir sehen, dass Ge-
schäftsmodelle infrage gestellt werden, dass sie aufge-
löst werden, dass Machtordnungen infrage gestellt wer-
den und sich neu sortieren.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wo sind denn Ihre Fraktionskollegen, Herr Klingbeil? Kommt da noch wer?)


Wir sehen eine riesige Verunsicherung, wenn es um
das Thema Urheberrecht geht. Sie alle kennen die Dis-
kussionen mit Schülergruppen, die hier sind und ganz
viele Fragen haben. Um das Parlament herum wird die
Frage Urheberrecht groß diskutiert. ACTA war beispiel-
haft für die gesellschaftspolitische Dimension, die das
Urheberrecht mittlerweile angenommen hat. Aber was
ist die Antwort von Schwarz-Gelb auf die Herausforde-
rungen, die es beim Urheberrecht gibt? Es ist das Leis-
tungsschutzrecht.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist das Einzige!)


Wie sieht eigentlich die netzpolitische Bilanz dieser
Regierung aus? Breitbandausbau? Wir liegen hinter Ru-
mänien. Verankerung der Netzneutralität? Fehlanzeige.
Modernisierung des Datenschutzes? Fehlanzeige. Auf-





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)


bruch in der Internetwirtschaft? Fehlanzeige. Die netz-
politische Bilanz dieser schwarz-gelben Regierung wird
vom Leistungsschutzrecht geprägt. Ich sage Ihnen: Das
ist eine traurige Bilanz. Wir von der SPD werden alles
versuchen, um dieses Leistungsschutzrecht zu verhin-
dern.


(Beifall bei der SPD)


Das Leistungsschutzrecht ist ein Irrsinn. Sie schaffen
Unsicherheit, Sie schaffen Unklarheiten, Sie greifen in
die Informations- und Kommunikationsfreiheiten ein,
und Sie gefährden die Kreativität und den Innovations-
charakter des Internets. Das Schlimmste aber ist: Sie
sind doch selbst nicht einmal überzeugt von dem, was
Sie da tun. Siegfried Kauder, der sicherlich alles andere
ist als ein Kämpfer für das freie Internet, hat bei einer
Veranstaltung des eco Mitte Oktober gesagt – so wird er
zitiert –, das Leistungsschutzrecht sei eine „Mogelpa-
ckung“ und ein „Taschenspielertrick“.

Die geschätzte Kollegin Dorothee Bär sagte in einem
Interview bei iRights.info, dass – ich zitiere – „das Leis-
tungsschutzrecht dem Standort Deutschland massiv
schaden würde“.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Recht hat sie!)


Weiter heißt es dort:

… im Hinblick auf die bisweilen unlösbare Frage,
ob jemand seinen Account beruflich oder privat
nutzt, beschränkt man die User in unverhältnismä-
ßiger Weise in ihrer Kommunikations- und Infor-
mationsfreiheit.

Heute haben sich die Jugendverbände der politischen
Parteien gemeinsam gegen das Leistungsschutzrecht
positioniert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren
nicht nur die Jusos und die Grüne Jugend, es waren auch
die Junge Union und die Jungen Liberalen. Ich frage Sie:
Warum hören Sie nicht auf die jungen Leute in Ihren
Parteien?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum hören Sie nicht auf die Netzpolitiker in Ihren
Parteien? Warum muss das Leistungsschutzrecht hier
mit allem Zwang und gegen jede Vernunft durch den
Deutschen Bundestag gedrückt werden?

Unabhängige Wissenschaftler am Max-Planck-Insti-
tut haben vor wenigen Tagen festgestellt: Es gibt kein
Marktversagen, es gibt keine Rechtslücke, es gibt keine
Notwendigkeit für ein Leistungsschutzrecht, und es gibt
keine Notwendigkeit für eine Lizenzpflicht bei Snippets.

Ich sage auch: Das Leistungsschutzrecht ist nicht nur
unnötig, es ist auch noch schlecht gemacht. Wenn man
zum Beispiel die Bezeichnung „suchmaschinenartige
Dienste“ liest und dann beim Justizministerium nach-
forscht, was das denn bedeutet, dann erhält man auf der
Homepage die Antwort: Eine juristische Einordnung
konkreter Dienste bleibt den Gerichten vorbehalten.

Hier sehen wir doch, dass Sie ein Gesetz auf den Weg
bringen, von dem Sie nicht einmal wissen, was das kon-

kret bedeutet. Hier wird Unsicherheit gestreut. Deswe-
gen darf dieses Leistungsschutzrecht niemals kommen.
Wenn es darum geht, den Qualitätsjournalismus zu stär-
ken, wenn es darum geht, eine angemessene Rechts-
durchsetzung im Internet stattfinden zu lassen, wenn es
um die Ermöglichung neuer Geschäftsmodelle geht,
dann sind wir als SPD dabei – aber ohne Leistungs-
schutzrecht.

Ich freue mich, dass jetzt sicherlich der Kollege
Jimmy Schulz erklären wird, dass auch er nicht zu-
stimmt.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721139200

Jedenfalls ist der Kollege Schulz der voraussichtlich

letzte Redner des heutigen Abends, und zwar für ganze
drei Minuten. Bitte schön, Sie haben das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jimmy Schulz (FDP):
Rede ID: ID1721139300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich begrüße ganz besonders herzlich auch die
Menschen an den Bewegtbildempfängern zu Hause oder
bei Public-Viewing-Veranstaltungen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Es gibt tatsächlich eine.
Lars Klingbeil, zur Bilanz der Netzpolitik der

schwarz-gelben Koalition kann ich sagen: Wir mussten
ja erst einmal aufräumen mit dem Scherbenhaufen, den
die SPD zu diesem Themenbereich hinterlassen hat. Wir
haben das Internetsperren-Gesetz wieder aufgehoben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, toll!)


Seitdem wir an der Macht sind, gibt es in Deutschland
keine Vorratsdatenspeicherung mehr. Wir haben ELENA
wieder abgeschafft, und wir haben ACTA verhindert.


(Beifall bei der FDP)

Kommen wir jetzt aber zum Thema. Die Digitalisie-

rung und die globale Vernetzung haben unser Leben dra-
matisch verändert, möglicherweise sogar revolutioniert.
Sie werden das auch noch weiter tun. Gerade im Bereich
des Urheberrechts sind diese Änderungen sichtbar, war
doch das Geschäftsmodell in der Vergangenheit das Ban-
nen von Inhalten, von Contents, auf einen physikalischen
Träger, den man dann verkauft, gehandelt, vermietet,
weggeschmissen oder im schlimmsten Fall verbrannt hat.

Dieses Geschäftsmodell ist tot. Es wird nicht mehr
funktionieren. Es war ein Geschäftsmodell, das über die
letzten Jahrhunderte funktioniert hat, seit Gutenberg, der
das Kopieren erfunden hat.


(Heiterkeit bei der FDP und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Jimmy Schulz


(A) (C)



(D)(B)


Aber dieses Geschäftsmodell ist tot. Deswegen diskutie-
ren wir seit Jahren intensiv insbesondere über das Pro-
blem, das die Presseverleger haben. In die Vorschläge
sind viele Verbesserungen eingeflossen. Nun hat die
Bundesregierung einen neuen Entwurf vorgelegt, den
wir hier zu diskutieren haben. Es ist die vornehmste Auf-
gabe des Parlaments, diesen Vorschlag zu diskutieren,
sich mit Experten zu beraten und – falls nötig – Optimie-
rungen und Verbesserungen vorzunehmen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dringend nötig!)


Dazu habe ich vor geraumer Zeit einen neuen Vor-
schlag gemacht. Es gibt bereits technische Möglichkei-
ten, genau zu bestimmen, wer wie automatisiert auf eine
Website zugreifen kann. Dieser technische Standard, die
sogenannte robots.txt, kann sehr fein steuern, wer wo
und wie auf etwas zugreifen kann.

Dieses Modell entspricht einem wunderbaren techni-
schen Standard, der seit ungefähr 15 Jahren existiert und
auch genutzt wird. Diesem Gentleman’s Agreement fehlt
jedoch ein rechtlicher Schutz. Deshalb schlage ich vor,
für einen solchen rechtlichen Schutz zu sorgen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber du redest nicht mehr vom Leistungsschutzrecht!)


Dieses Modell bietet den Vorteil, dass es nicht nur
ausschließlich für Presseverleger gilt, sondern es würde
für alle gelten können, also auch für Blogger, für jeden,
der Inhalte im Internet bereitstellt. Ein weiterer Vorteil
wäre, dass dies sogar dem Koalitionsvertrag entsprechen
würde; denn im Koalitionsvertrag steht, dass im Online-
Bereich Presseverleger nicht schlechter gestellt sein sol-
len als andere Werkvermittler.

Meine Haltung bleibt klar: Code is Law.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721139400

Ich schließe die Debatte, obwohl zweifellos noch

manches zu sagen und ganz sicher auch noch manches
nachzufragen wäre.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine wichtige Frage zu stellen wäre!)


Zu Beginn hatten sich aber alle Beteiligten auf die
Dauer der Debatte verständigt. Wenn dies gewünscht
wird, kann ich den Nachweis führen, dass die Debatte
nicht kürzer, sondern länger gedauert hat als vereinbart.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zweite Lesung machen wir zwei Stunden!)


Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11470 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist dies
unstreitig? – Immerhin ist dies der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Dann setzen wir die Abstimmungen fort. Ich mache
von vorneherein darauf aufmerksam, dass es reichlich
abzustimmen gilt.

Zunächst rufe ich Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Kolbe (Leipzig), Sebastian Edathy, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Hinschauen – Dunkelfeldforschung zum Thema
Rechtsextremismus

– Drucksache 17/11366 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die dazu angemeldeten Reden werden, wie in der Ta-
gesordnung ausgewiesen, zu Protokoll genommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1721139500

In Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen der SPD-Fraktion, beziehen Sie sich auf die Ent-
schließung „Mordserie der Neonazi-Bande und die

(Bundestagsdrucksache 17/7771)

res.

Diese Entschließung, die von allen Bundestagsfrak-
tionen gefasst wurde, hat für die christlich-liberale
Koalition einen besonderen Stellenwert. Er ist für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion kein bloßes Lippenbe-
kenntnis, sondern vielmehr die an uns selbst gerichtete
Verpflichtung, a) die NSU-Mordserie konsequent und
mit größter Sorgfalt aufzuklären und b) aus den Ergeb-
nissen der Untersuchung die notwendigen Verände-
rungen zur Verbesserung unserer Sicherheitsarchitek-
tur vorzunehmen.

Neben den notwendigen Reformen der Verfassungs-
schutzbehörden und der Optimierung ihrer Zusam-
menarbeit ist die Präventionsarbeit, zum Beispiel
durch die politische Bildung oder durch gesellschaftli-
che Projekte zur Förderung interkultureller Kompe-
tenz, ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den
Rechtsextremismus in unserem Land.

Seit der Entschließung hat sich auf dem Gebiet der
Bekämpfung des Rechtsextremismus vieles getan. Ich
will aus dem Bereich des Bundesinnenministeriums
zwei Beispiele benennen:

Erstens. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Be-
kämpfung des Rechtsextremismus hat die christlich-
liberale Koalition die Rechtsgrundlage für die Errich-
tung einer gemeinsamen und zentralen Rechtsextre-
mismusverbunddatei von Polizei und Nachrichten-
diensten des Bundes und der Länder geschaffen. Im
Gegensatz zur artverwandten Antiterrordatei aus dem
Bereich des islamistischen Terrorismus ermöglicht das
Gesetz unter engen Voraussetzungen eine Recherche
zur Aufdeckung von Tatzusammenhängen. Die schreck-
liche NSU-Mordserie hat uns vor Augen geführt, dass
eine Verbesserung des Informationsaustausches zwi-





Dr. Franz Josef Jung


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schen der Polizei und den Nachrichtendiensten von
Bund und Ländern zwingend notwendig ist. Mit diesem
Gesetz hat die Bundesregierung eine wichtige Konse-
quenz aus der Mordserie gezogen.

Zweitens. Gleiches gilt für die Eröffnung des Ge-
meinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzen-
trums, GETZ. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Be-
hörden unmittelbar zu bündeln und einen lückenlosen
und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Auch
aufgrund der Erfahrungen des Gemeinsamen Terroris-
musabwehrzentrums, GTAZ, und des Gemeinsamen
Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus, GAR, wel-
ches nunmehr in der GETZ aufgeht, ist ein deutlicher
Mehrwert, insbesondere in den Bereichen Bündelung
der Phänomenexpertise, Stärkung der Analysekompe-
tenz, Früherkennung möglicher Bedrohungen und bei
der Erörterung operativer Maßnahmen, zu erwarten.

Mit den benannten Beispielen zeigt sich, dass die
christlich-liberale Koalition anhand der bislang ge-
wonnenen Erkenntnisse und mit Nachdruck daran ar-
beitet, einen erfolgreichen Kampf gegen den Rechts-
extremismus in unserem Land zu führen.

Im Bereich der Präventionsarbeit und der politi-
schen Bildungsarbeit verweise ich auf die Ausgaben
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, BMFSFJ, das jährlich 24 Millionen Euro
für Bundesprogramme im Bereich der Präventions-
arbeit zur Verfügung stellt. Damit stellt diese Bundes-
regierung so viel Geld zur Förderung zivilen Engage-
ments, demokratischen Verhaltens und den Einsatz für
Vielfalt und Toleranz zur Verfügung wie keine Bundes-
regierung bisher.

Es hat sich seit dem Bekanntwerden der NSU-Mord-
serie in unserem Land vieles getan. Die christlich-libe-
rale Koalition wird diesen eingeschlagenen Weg konti-
nuierlich weiterverfolgen und sinnvoll ergänzen.

In Ihrem Antrag stützen Sie sich, sehr geehrte Kol-
leginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, auf eine
„Reportage“ der Amadeu-Antonio-Stiftung mit dem
Titel „Das Kartell der Verharmloser“. Ich will an die-
ser Stelle ganz deutlich sagen: Die darin beschriebe-
nen Vorfälle sind durch nichts zu entschuldigen.
Sollten einzelne Polizeibeamte das Vertrauen der Mit-
bürgerinnen und Mitbürger nachhaltig geschädigt ha-
ben oder gar ihren Pflichten nicht nachgekommen
sein, so muss dieses Verhalten Konsequenzen für die
betreffenden Beamten nach sich ziehen. Dies obliegt
dem Föderalismusprinzip entsprechend den jeweils zu-
ständigen Stellen.

Mit aller Entschiedenheit wehre ich mich aber ge-
gen die Formulierungen einer „systematischen Baga-
tellisierung“ oder einer „bundesweiten Mauer aus
Ignoranz und Verharmlosung“ im Zusammenhang mit
der Aufklärung rechtsextremistischer Gewalttaten. Die
überwältigende Mehrheit der deutschen Polizeibeam-
tinnen und Polizeibeamten verrichtet ihren Dienst ta-
dellos, mit großem persönlichem Einsatz und im Si-
cherheitsinteresse der Mitbürgerinnen und Mitbürger

in unserem Land. Die in Ihrem Antrag „mitschwin-
gende“ generelle Verurteilung des Umgangs deutscher
Polizeibeamter mit Vorfällen im rechtsextremistischen
Bereich weise ich mit Nachdruck zurück.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht zu den
deutschen Polizeibeamten. Wir haben Vertrauen in
ihre Ausbildung, in ihre Beurteilungsfähigkeit und
auch in ihre interkulturellen Kompetenzen.

Ihr heutiger Antrag fordert zwar einen Auftrag zur
Dunkelfeldforschung, doch ist aus meiner Sicht ent-
scheidender, dass Sie dabei ganz grundsätzlich die sta-
tistische Erfassung des Hellfeldes rechtsextremisti-
scher Gewalt- und Propagandadelikte infrage stellen.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, Fremdenfeindlichkeit
und Rassismus würden als Tatmotive von den Polizei-
behörden allzu oft negiert.

Im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldediens-
tes – Politisch motivierte Kriminalität – wurden dem
Bundeskriminalamt, BKA, bislang 63 Todesopfer rech-
ter Gewalt, einschließlich der zehn Todesopfer des
„Nationalsozialistischen Untergrunds“ gemeldet,
während die Amadeu-Antonio-Stiftung mittlerweile
über 182 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland
seit 1990 berichtet.

Wie entsteht diese Differenz? Meines Erachtens
liegt dies darin begründet, dass die geltenden Statisti-
ken deutlich trennschärfere Kriterien für die Erfassung
politisch motivierter Kriminalität und Gewalt bieten.
In den geltenden Statistiken ist die konkrete Tatmotiva-
tion entscheidend. Sie ist in Würdigung aller Um-
stände der konkreten Tat und der Einstellung des Tä-
ters zu ermitteln.

Nichtstaatliche Stellen nehmen als Anhaltspunkt für
das Vorliegen einer entsprechenden rechtsextremisti-
schen Tatmotivation, dass die Täter bzw. Tatverdächti-
gen aus einem rechten Milieu kamen, ohne aber zu dif-
ferenzieren, ob die Tat möglicherweise in Wirklichkeit
allgemeinkriminell motiviert ist. Der Polizei ist es auf-
grund ihres umfassenden und oftmals Dritten nicht zu-
gänglichen Wissens zu Tätern oder Tathergang besser
möglich, die tatsächliche Motivation der Tat zu erhel-
len.

Die Differenz der Zahlen ist aus meiner Sicht also
darauf zurückzuführen, dass einige nichtstaatliche
Stellen die Verortung des Täters im rechten Milieu als
einziges und ausschlaggebendes Kriterium für die Zu-
ordnung einer rechtsextremen Tat verwenden.

Zur Erfassung der Wirklichkeit ist es aus meiner
Sicht zwingend notwendig, weitere Kriterien zur Beur-
teilung und Verortung einer Straftat anzulegen, um so-
mit der Wirklichkeit einer Tat näherzukommen.

Bezogen auf Ihre erste Forderung zur Dunkelfeld-
forschung weise ich darauf hin, dass im Rahmen des
Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechtsextremismus,
jetzt GETZ, eine Überprüfung aller nicht aufgeklärten
Altfälle, insbesondere Banküberfälle, Sprengstoff-
anschläge und Morde, seit 1990 durchgeführt wird, die

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Franz Josef Jung


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entsprechend ihrer Begehungsweise für eine Täter-
schaft des NSU in Betracht kommen könnten. Auch bei
bisher nicht als politisch rechts motiviert eingestuften
Taten wird dort derzeit geprüft, ob diesen möglicher-
weise eine rechtsextremistische/-terroristische Motiva-
tion zugrunde liegt.

Geeignete Fälle werden dabei anhand eines Erhe-
bungsrasters identifiziert, das sich an bestimmten
Deliktkategorien sowie opferbezogenen Indikatoren
orientiert. Die Fälle werden dann im Ergebnis anhand
einer dafür eingerichteten Projektdatei auf Anhalts-
punkte für einen politisch rechts motivierten Hinter-
grund untersucht.

Ich betrachte es als sinnvoll, die Ergebnisse dieser
Auswertung abzuwarten und mit ihnen weiterzuarbei-
ten. Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse und
Materialien lassen sich die Prozesse der Zuschreibung
bzw. Nichtzuschreibung zum Phänomenbereich der
politisch motivierten Kriminalität – rechts – und der
dabei wirksam werdenden Faktoren näher analysie-
ren. Auf diese Weise eröffnet sich ein Ansatz, um den
Umfang des möglicherweise bislang entstandenen
Dunkelfelds zu ermitteln.

Darüber hinaus sei an dieser Stelle bemerkt, dass
das BKA im Bereich der Dunkelfeldforschung bereits
seit den 70er-Jahren aktiv ist und dazu unzählige Pu-
blikationen herausgegeben hat.

Derzeit arbeitet man dort am „Barometer Sicher-
heit in Deutschland“. Das BKA leistet in diesem
Zusammenhang einen Beitrag zur Gewinnung eines
Gesamtbildes der objektiven Bedrohung durch Krimi-
nalität und Terrorismus sowie eine Dunkelfeldfor-
schung im Bereich der individuell wahrgenommenen

(Un Auch wenn rechtsextremistisch motivierte Taten in dieser Studie nicht explizit untersucht werden, so sind die Aktivitäten des BKA im Bereich der Dunkelfeldforschung umfangreich. Im Kontext des Antrags sehe ich aufgrund der gegenwärtigen Arbeit des GETZ keine Veranlassung, eine Dunkelfeldforschung in Auftrag zu geben. Ihre zweite Forderung in diesem Antrag beinhaltet, „einen Forschungsauftrag zu erteilen, in dem Hindernisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus systematisch aufgedeckt werden“ sollen. Die bestehenden Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus verfolgen das Ziel, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus zu fördern, neue Ansätze in der präventiv-pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu erproben sowie aktive Beratungsnetzwerke als Ansprechpartner für von rechtsextremer Gewalt betroffene Gemeinden und Personen zu unterstützen. Dabei werden sie regelmäßig wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Dies beinhaltet eine Reflexion und Analyse über Hindernisse und Barrieren des Engagements ebenso wie über das Engagement unterstützende Faktoren. Darüber hinaus ist auf die Förderung der „Arbeitsund Forschungsstelle Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ hinzuweisen. Aufgabe der Arbeitsund Forschungsstelle ist es, den einschlägigen Forschungsstand und die Erfahrungen der pädagogischen Praxis in diesem Feld aufzubereiten, um vor diesem Hintergrund Anregungen für die Weiterentwicklung der Fachpraxis, Fachdiskussion und der aktuellen Bundesprogramme des BMFSFJ zu geben. Die vorhandenen Erfahrungen werden systematisiert und vor dem Hintergrund fachlicher Erkenntnisse analysiert, um so die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit in der Praxis zu klären und Herausforderungen für die Weiterentwicklung des Feldes zu benennen. Ein reger Austauschprozess mit den lokalen Akteuren findet überdies bereits heute statt. Die Rückkopplung der mit der Betreuung und Durchführung der Bundesprogramme beauftragten Stellen ist für dessen erfolgreiche Arbeit unabdingbar und wird bereits heute intensiv durchgeführt. Aus diesen Gründen halte ich auch Ihre zweite Forderung für entbehrlich. Ihre dritte Forderung scheint zunächst Ausdruck Ihres mangelhaften Vertrauens gegenüber den Ausund Fortbildungsmethoden in den Polizeibehörden von Bund und Ländern zu sein. Die Entwicklung interkultureller Kompetenz ist integraler Bestandteil der polizeilichen Ausund Fortbildung. Interkulturelle Kompetenz wird dabei in den verschiedensten Ausbildungsfächern geschult, wie beispielsweise im Staatsund Verfassungsrecht, im Eingriffsrecht, im Situationsund Kommunikationstraining oder aber der Psychologie. Verantwortlich für die Ausbildung und Fortbildung der Polizistinnen und Polizisten sind in erster Linie die Bundesländer. Ohne an dieser Stelle für alle Länder sprechen zu können, will ich einige Eckpunkte der hessischen Ausbildung skizzieren. Gleich im ersten Modul an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung werden unter den Stichworten „Gleichstellung und Diskriminierungsverbot“ sowie unter dem Stichwort „Leitbild“ interkulturelle Kompetenzen vermittelt. Im dritten Modul geht es sodann unter dem Oberthema „Polizeiliche Kommunikation und Interaktion“ um die Ausbildung der interkulturellen und sozialen Kompetenz. Noch konkreter wird es sodann in fortgeschrittenen Modulen. Dort gehören unter anderem folgende Themen zum Lehrplan: a)

sche Theorien erkennen können und als Grundlage
politisch motivierter Gewalt verstehen; b) sozioökono-
mische Hintergründe für das Entstehen von Extremis-
mus und Terrorismus kennen; c) grundlegende ethisch
relevante Elemente anderer Religionen kennenlernen

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Franz Josef Jung


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(D)(B)


und d) sich mit ethischen Aspekten des Umgangs mit
Angehörigen anderer Religionen und Kulturen aus-
einandersetzen.

Wie am Beispiel Hessens aufgezeigt, bauen die
Polizeibehörden eben nicht eine Mauer der Ignoranz
und Verharmlosung, sondern sind aktiv daran betei-
ligt, ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz zu
vermitteln. Daher wehre ich mich nochmals entschie-
den gegen die Wortwahl in Ihrem Antrag. Die nicht zu
akzeptierenden Beispiele aus der benannten Reportage
erlauben es aus meiner Sicht nicht, verallgemeinernd
über die Polizeibehörden in Bund und Ländern zu ur-
teilen.

Wie am Beispiel Hessens dargestellt, sehe ich kei-
nerlei Defizite bei der Aus- und Fortbildung unserer
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Bereich der
interkulturellen Kompetenz. Dennoch muss es unser
Bestreben sein, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen
auch in diesem Bereich kontinuierlich zu optimieren
und gegebenenfalls aufeinander abzustimmen.

Insofern trete ich einer bundesweiten Erhebung und
einem verstärkten Austausch zu den unterschiedlichen
Maßnahmen zur Entwicklung interkultureller Kompe-
tenz in Bund und Ländern positiv gegenüber. Ein sol-
cher Überblick ermöglicht es, voneinander zu lernen
und gegebenenfalls einzelne Ausbildungsstufen besser
aufeinander abzustimmen.

Das Thema Rechtsextremismus in unserer Gesell-
schaft und deren Bekämpfung eignet sich keineswegs
für parteipolitische Scharmützel. Es ist mir, es ist der
christlich-liberalen Koalition daran gelegen, zweifels-
frei notwendige Verbesserungen im Bereich der deut-
schen Sicherheitsarchitektur sowie im Bereich der
präventiv-pädagogischen Arbeit kontinuierlich vorzu-
nehmen.

Wenngleich ich einem Bericht über die bundeswei-
ten Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen
Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundes- und Lan-
desbehörden aufgeschlossen gegenübertrete und einen
Mehrwert darin erkenne, so ist Ihr Antrag in der Ge-
samtheit abzulehnen, da Ihre erstgenannten Forderun-
gen bereits heute Bestandteile der alltäglichen Arbeit
der Sicherheitsbehörden und Bundesprogramme sind
und darin zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Mehr-
wert zu erkennen ist.


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1721139600

Ein Jahr ist es nun her, dass wir vom Bestehen des

sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes,
NSU, erfahren haben.

Damals wie heute bin ich – so wie wir alle hier – zu-
tiefst beschämt und erschüttert, dass nach den unge-
heuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regi-
mes wieder rechtsextremistische Ideologie in unserem
Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten her-
vorbringen konnte.

Gemeinsam mit allen Fraktionen haben wir im
Deutschen Bundestag am 22. November 2011 daher ei-
nen Beschluss gefasst. Darin haben wir uns einen
Prüf- und Handlungsauftrag gegeben. Ich zitiere:
„Wir sind entschlossen … die unabdingbaren Konse-
quenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden rasch
zu ziehen. Dazu ist eine umfassende Fehleranalyse un-
verzichtbar. Aus Fehlern müssen die richtigen
Schlüsse gezogen und umgesetzt werden.“ Und: „Wir
müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen
stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremden-
feindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir wer-
den prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen.“

Diesen Prüf- und Handlungsauftrag nehmen wir in
der SPD-Fraktion ernst. Daher diskutieren wir heute
unseren SPD-Antrag: „Hinschauen – Dunkelfeldfor-
schung zum Thema Rechtsextremismus“. Wir wollen
das Dunkelfeld rechtsextremer Gewalt- und Propagan-
dadelikte beleuchten, damit wir auch offiziell ein reali-
tätsnahes Bild rechtsextremer Umtriebe in Deutsch-
land haben. Hier reicht die bisherige amtliche Statistik
nicht aus. Die Bundesregierung, Herr Minister
Friedrich, muss endlich aktiv werden und einen For-
schungsauftrag erteilen, bei dem statistisch ermittelt
wird, wie viele Menschen Opfer oder Zeuge rechts-
extremer Delikte geworden sind. In einem weiteren
Schritt müssen die Ergebnisse einer solchen Dunkel-
feldstudie mit der amtlichen Statistik politisch moti-
vierter Straftaten abgeglichen werden. Erst dann
haben wir eine Annäherung an die tatsächliche Zahl
rechtsextrem und rassistisch motivierter Straften. Und
diese Annäherung ist dringend notwendig.

Fakt ist: Die jetzige Datenlage rechtsextremistisch
motivierter Vorfälle und Fälle von Hasskriminalität in
Deutschland bildet die Realität nicht vollständig ab.
Zivilgesellschaftliche Akteure zählen regelmäßig mehr
rechtsextremistische Vorfälle und Fälle von Hasskri-
minalität als die amtliche Statistik. Während die amtli-
che Statistik 47 Todesopfer rechtsextremer Gewalt im
Zeitraum von 1990 bis 2009 zählte, geben Opferbera-
tungsstellen oder Journalistinnen und Journalisten für
die Zeit von 1990 bis 2009 bis zu 181 Todesopfer an.
Beide Zählweisen erfassen natürlich nur solche Fälle,
in denen durch Zeugenbeobachtungen ein rechtsextre-
mistischer Bezug herzustellen ist. Das Dunkelfeld ist
dagegen überhaupt nicht erfasst. Diese Lücke zwi-
schen amtlicher und zivilgesellschaftlicher Zählweise
muss aufgearbeitet und aufgeklärt werden. Einige
Bundesländer, beispielweise Brandenburg, haben be-
reits damit begonnen, Fälle auf einen rechtsextremen
Hintergrund neu zu prüfen und neu zu bewerten. Das
ist der richtige Weg.

Der statistische Abgleich alleine aber reicht nicht
aus. Die Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses
„Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund“ –
der im Übrigen eine fraktionsübergreifende, hervorra-
gende Arbeit leistet – hat mindestens diese Erkenntnis
geliefert:

Zu Protokoll gegebene Reden





Daniela Kolbe (Leipzig)



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Es gibt eine tiefe Kluft zwischen Politik und Ermitt-
lungsbehörden, zwischen Abgeordneten und Beamten
in den Sicherheitsbehörden, kurzum zwischen Legisla-
tive und Exekutive. Hier blicken wir in einen tiefen
Graben. Davon können die berechtigten Sachfragen
im Klein-Klein der politischen Aufarbeitung nicht ab-
lenken.

Das Vertrauen in Verfassungsschutz und Polizeibe-
hörden ist in unserer Bevölkerung, mit und ohne Ein-
wanderungsbiografie, tief erschüttert. Das hat mit dem
Umgang einzelner Ermittlungsbehörden mit den Ange-
hörigen und Opfern des NSU damals zu tun. Ich erin-
nere nur an die wiederkehrenden Aussagen unter-
schiedlichster Zeugen im 2. Untersuchungsausschuss,
man habe ergebnisoffen ermittelt, aber keine Anhalts-
punkte für einen rechtsextremen Hintergrund gehabt.
Hier müssen wir ansetzen. Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter in den deutschen Polizeibehörden kommen
aus der Mitte unserer Gesellschaft. Sie wollen gute Ar-
beit leisten. Trotzdem sind sie nicht ausgenommen,
wenn es um Vorurteile und Stereotype in der Gesamt-
gesellschaft geht. Vorurteile können die Bewertung
und Einbeziehung von Motiven und Hintergründen ei-
ner Tat beeinflussen. Allein die Bezeichnung „Soko
Bosporus“ ist hierfür beispielhaft. Die Arbeit des
2. Untersuchungsausschusses hat bis heute bereits ei-
nes sehr deutlich gemacht: dass wir die Ausblendung
rassistischer und rechtsextremer Tatmotive bei der Er-
mittlung von Straftaten strukturell in den Polizeibehör-
den angehen müssen.

Hierfür brauchen wir eine weitere Studie, die Hinder-
nisse und Barrieren im Engagement gegen Rechtsextre-
mismus, Rassismus und Antisemitismus systematisch
aufdeckt und benennt. In einer solch repräsentativen
Studie sollen die Erfahrungen von Engagierten, die
sich mit rechtsextremer Propaganda und rechtsextre-
mer Gewalt auseinandersetzen, transparent gemacht
werden. Diese neue Perspektive kann uns helfen, die
richtigen politischen Schlüsse zu ziehen und weitere
Schritte zu gehen, um entschlossen Boden gutzuma-
chen im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, ei-
nen Bericht vorzulegen, der einen bundesweiten Über-
blick über die Maßnahmen zur Steigerung der interkul-
turellen Kompetenz in sicherheitsrelevanten Bundes-
und Landesbehörden gibt. Denn sie sind ein Baustein
zur Sensibilisierung einer umfassenden und sachge-
rechten Polizeiarbeit in der deutschen Einwande-
rungsgesellschaft.

Täglich finden in Deutschland rechte Gewalttaten
statt. Oftmals werden sie gar nicht erst als solche be-
nannt. Sie tauchen allenfalls als einfache Schlägereien
in der Statistik auf. Immer ist die Rede von Einzeltätern
und Einzeltaten. Das müssen wir ändern. Daher bitte
ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1721139700

Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir im Ple-

num die Große Anfrage der Linksfraktion zu den Op-

ferzahlen rechtsextremer Gewalt beraten. Damals galt
die Anteilnahme aller Parlamentarier den Opfern von
extremistischen Gewalttaten und ihren Angehörigen.
Und auch heute ist es mir wichtig, zu betonen, dass wir
als Demokraten kein Opfer des Rechtsextremismus
vergessen werden. Sie verdeutlichen uns auf schmerzli-
che Weise, dass wir jeden Tag aufs Neue für ein demo-
kratisches, freiheitliches und tolerantes Miteinander
werben und kämpfen müssen.

Heute liegt uns der Antrag der SPD mit einem ähn-
lichen Schwerpunkt vor. Die Sozialdemokraten bekla-
gen zum einen, dass es ein Dunkelfeld in der Statistik
zum Rechtsextremismus gebe. Die journalistisch er-
mittelten Opferzahlen würden nicht den amtlichen
Zahlen entsprechen. Zum anderen moniert die SPD in
ihrem Antrag, dass es aufseiten der Polizei und Straf-
verfolgungsbehörden Ignoranz und Verharmlosung ge-
genüber dem Rechtsextremismus geben würde. Beide
Argumente haben wir in der Debatte vor einem Jahr
schon einmal von den Linken gehört. Damals war der
Eindruck, die Gefahren des Rechtsextremismus nicht
ernst genug genommen zu haben, unmittelbar nach
dem Bekanntwerden der Verbrechen des NSU noch
frisch.

Ein Jahr danach ist meine Empfindung aber, dass
unsere Gesellschaft reifer und sensibler im Umgang
mit dem Problem des Rechtsextremismus geworden ist.
Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung ha-
ben die Untersuchungsausschüsse und Gremien zur
Aufarbeitung der NSU-Verbrechen geleistet. Deren
Arbeit ist längst noch nicht abgeschlossen. Die not-
wendigen politischen Schlussfolgerungen müssen noch
gezogen werden. Dennoch haben sie spürbar zu einem
Bewusstseinswandel beigetragen. Dieser wird auch
anhand der gestiegenen öffentlichen Sensibilität für
rechtsextreme Straf- und Gewalttaten deutlich. Und
ich denke, auch bei Polizei und den Strafverfolgungs-
behörden hat es einen Lernprozess gegeben. Ich halte
es daher für falsch, den Behörden generell Ignoranz
und eine Verharmlosung des Rechtsextremismus vor-
zuwerfen.

Die Frage der statistischen Erfassung von rechts-
extremen Straf- und Gewalttaten haben wir vor einem
Jahr schon einmal debattiert. Zunächst bin ich den
Journalisten dankbar, die uns auf die Diskrepanz zwi-
schen offizieller und tatsächlicher Statistik beim
Rechtsextremismus hingewiesen haben. Aber es ist
auch richtig, dass sich das 2001 beschlossene Defini-
tionssystem, auf dem die amtliche Statistik beruht,
grundsätzlich bewährt hat. Es wird kontinuierlich eva-
luiert. Es ist jedoch entscheidend, dass das System
auch konsequent angewandt wird. Da sind vor allem
die Länder in der Pflicht. Denn die Bewertungshoheit
für Straftaten liegt grundsätzlich bei ihnen. Das Bun-
deskriminalamt ist nur für die bundesweite Zusammen-
führung und die Analyse der von den Ländern erhobe-
nen und gemeldeten Fälle zuständig. Insofern müssen
wir für eine verbesserte Wahrnehmung des Rechts-
extremismus bei den zuständigen Behörden der Länder

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)


werben. Ich bin überzeugt, dass sich dort das Bewusst-
sein für die richtige Einordnung von rechtsextremen
Straf- und Gewalttaten in letzter Zeit geschärft hat. In
den letzten Jahren hat sich die Lücke zwischen den in
der Presse genannten Fallzahlen und der offiziellen
Statistik wieder geschlossen. Daran sollte weiter gear-
beitet werden. Vorwürfe an die Behörden, wie sie die
SPD in ihrem Antrag bringt, halte ich hingegen für
falsch.

Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen zu den
beiden Forderungen der SPD nach staatlichen For-
schungsaufträgen im Bereich des Rechtsextremismus.
Als Liberaler war ich schon immer skeptisch, wenn der
Staat Forschungsaufträge an die Wissenschaft erteilt
hat. Für mich ist es viel wichtiger, die Freiheit der Wis-
senschaft durch verbesserte Rahmenbedingungen zu
stärken. Im Bereich des Rechtsextremismus sehe ich
diese Hindernisse aber grundsätzlich nicht. Hier wer-
den schon seit Jahren von zahlreichen wissenschaftli-
chen und auch zivilgesellschaftlichen Institutionen
hervorragende Studien veröffentlicht. Insofern bin ich
allgemein sehr zurückhaltend, was staatliche For-
schungsaufträge betrifft.

Im Konkreten sehe ich bei der ersten Forderung der
SPD viele Schwierigkeiten, wenn externe Personen zur
Erstellung einer vergleichenden Statistik Zugriff auf
sensible polizeiliche Falldaten bekommen sollen. Die
zweite Forderung der SPD, die Hindernisse und Bar-
rieren im Engagement gegen Rechtsextremismus, Ras-
sismus und Antisemitismus staatlich zu erforschen,
halte ich hingegen für nicht notwendig. Gerade in letz-
ter Zeit sind viele Studien in diesem Bereich erschie-
nen, die von Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen
werden. Warum sollte ein staatlicher Forschungsauf-
trag da notwendig sein? Über den dritten Punkt der
SPD, einen Bericht über interkulturelle Kompetenz bei
den Sicherheitsbehörden, können wir gern im Rahmen
der Ausschussberatungen diskutieren. Dazu wäre aber
ein ganzer Antrag mit einem falschen Duktus nicht
notwendig gewesen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721139800

Die generelle Stoßrichtung dieses Antrags, den an-

gesichts der NSU-Mordserie von allen Bundestags-
fraktionen gemeinsam beschlossenen Antrag vom No-
vember 2011 mit Leben zu füllen, ist richtig. Allerdings
sind die konkreten Vorschläge zwar sicher gut gemeint,
aber aus Sicht der Linken nicht unbedingt gut ge-
macht.

Ausgangspunkt des Antrags ist die umstrittene Da-
tengrundlage der rechtsextremen Straf- und Gewaltta-
ten. Für eine realistische Einschätzung der Gefahren
durch die extreme Rechte bedarf es einer realistischen
Grundlage, und das heißt auch: eines realistischen
Zahlenmaterials. Dass dieses vonseiten der Bundes-
regierung nicht erhoben wird, beklagt die Linke seit
vielen Jahren. Die vom Verfassungsschutz vorgelegten
Zahlen sind, wie jeder weiß, im besten Fall eine grobe
Annäherung an die Realität. Im Regelfall sind sie da-

gegen eine ideologisch motivierte Verschleierung der
realen Verhältnisse. Nicht zuletzt den seit Jahren regel-
mäßigen Anfragen der Linken und davor der PDS ist
es zu verdanken, dass die Bundesregierung zu be-
stimmten Phänomenbereichen wie antisemitischen
Straftaten, Naziaufmärschen oder Rechtsrockkonzer-
ten überhaupt Datenmaterial erhebt und zur Verfü-
gung stellt. Die von der Regierung zur Verfügung ge-
stellten Daten bilden jedoch nur einen Ausschnitt der
tatsächlichen Gefahr von rechts ab. Sie basieren
schließlich auf dem eingeschränkten und der unwis-
senschaftlichen Extremismustheorie verpflichteten
Blick der Verfassungsschutzbehörden.

Am eklatantesten ist die Differenz in der Einschät-
zung bei den rechtsextrem bzw. rassistisch motivierten
Tötungsdelikten seit 1990. Während die Bundesregie-
rung hier von 57 Todesopfern – unter Einschluss der
NSU-Opfer – ausgeht, haben unabhängige Einrichtun-
gen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung oder die Zeitun-
gen „Tagesspiegel“ und „Zeit“ zwischen 140 und
180 Todesopfer rechtsextrem oder rassistisch motivier-
ter Gewalt gezählt. Diese Differenz ist so erheblich,
dass man von einer völlig unterschiedlichen Einschät-
zung der tödlichen Gefahr von rechts sprechen kann.
Allein die Linke hat mit zwei Großen Anfragen zu die-
sem Thema in dieser und der letzten Legislatur die
Bundesregierung gezwungen, sich immer wieder neu
mit den Zahlen zu befassen.

Die SPD schlägt nun vor, die Bundesregierung solle
einen Forschungsauftrag erteilen, um zu ermitteln, wie
viele Menschen Opfer oder Zeugen von rechtsextremer
Gewalt und Propagandadelikten geworden sind. Nun
stelle ich es mir schon schwer vor, genau zu bestim-
men, wer Zeuge oder Opfer von Propagandadelikten
geworden ist. Was ist beispielsweise mit einem großen
Hakenkreuz im U-Bahnhof, an dem täglich Tausende
vorbeigehen? Und so bringt der SPD-Antrag insge-
samt eine etwas naive Wissenschaftsgläubigkeit zum
Ausdruck. Eine vermeintliche Objektivierung durch
die Wissenschaft soll an die Stelle der Auswertung
durch Praktiker aus Opferberatungen und Journalis-
mus treten. Was aber spricht gegen die Zahlen, die von
dieser Seite vorgelegt wurden? Sie sind einsehbar, und
über jeden einzelnen Fall und seine Beurteilung kann
öffentlich diskutiert und gestritten werden.

Letztlich wird es immer um die Frage gehen, welche
Kriterien für die Frage nach einer rassistischen bzw.
rechtsextremen Tatmotivation angelegt werden. Eine
wissenschaftliche Auftragsforschung, gar noch vonsei-
ten einer dem ideologisch motivierten Extremismusan-
satz ergebenen Bundesregierung, würde Ergebnisse
zutage fördern, die ganz im Sinne der Regierung sind.
Es macht eben einen Unterschied, ob ein sogenannter
Extremismusforscher wie Eckhard Jesse oder ein ernst-
hafter Sozialwissenschaftler wie Wilhelm Heitmeyer
eine solche Untersuchung durchführt. Warum sollten
dann aber nicht gleich diejenigen damit beauftragt
werden, die in ihrer alltäglichen beruflichen und eh-
renamtlichen Arbeit an der Basis mit den Fällen zu tun

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulla Jelpke


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(D)(B)


haben oder sich intensiv und seit vielen Jahren mit der
Beobachtung der Naziszene befassen? Die Linke schlägt
seit Jahren die Einrichtung einer aus Bundesmitteln
finanzierten unabhängigen Beobachtungsstelle Rechts-
extremismus, Rassismus und Antisemitismus vor. Eine
solche Stelle wäre der Ausgangspunkt für eine realisti-
sche Einschätzung der Gefahren von rechts. Natürlich
ließe sich hier auch wissenschaftliche Expertise inte-
grieren – aber eben nicht als Regierungsauftrag.

Auch die zweite Forderung, ein Forschungsauftrag
zur Aufdeckung der Hindernisse beim Engagement ge-
gen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis-
mus, ist gut gemeint. Er verkennt aber, dass es bereits
zahlreiche Arbeiten aus der Begleitforschung zu
„Civitas“ und anderen Bundesprogrammen gibt. Zu-
dem wäre es auch hier angebracht, zunächst die Prak-
tiker der Projekte selber zu hören, die Jahr für Jahr
ihre Beschwerden zu den vorhandenen Hindernissen
vorbringen.

Der Berichtswunsch zur interkulturellen Kompetenz
in den sicherheitsrelevanten Bundes- und Landesbe-
hörden ist sinnvoll und nützlich und findet unsere Un-
terstützung.

Alles in allem geht der SPD-Antrag zwar in die
richtige Richtung, er wählt aber einen aus Sicht der
Linken zu staatsfixierten Ansatz. Eine unabhängige
Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus
und Antisemitismus wäre der bessere Weg und würde
nach unserer Überzeugung bessere Ergebnisse brin-
gen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721139900

Wir müssen rechtsextreme Gewalt ganz klar beim

Namen nennen und die Opfer in jeder Hinsicht unter-
stützen und stärken. Das setzt voraus, dass menschen-
feindliche Motivationen bei Gewalttaten erkannt wer-
den. Die Statistik hängt stark von der politischen
Sensibilität der Ermittlungsbehörden und Meldestellen
ab. So kommt es, je nach Quelle, zu teilweise erhebli-
chen statistischen Abweichungen.

Die Zahl der Todesopfer extrem rechter Gewalt in
Deutschland variiert nach der Zählweise. „Tagesspie-
gel“ und „Die Zeit“ führen an, dass seit 1990 mindes-
tens 149 Menschen durch rechte Gewalt getötet wur-
den. 169 Todesopfer porträtiert die Wanderausstellung
„Opfer rechter Gewalt seit 1990“. Einige dieser
Schicksale bewegten die Öffentlichkeit; viele wurden
kaum zur Kenntnis genommen. Es ist ein Verdienst der
Ausstellung, die öffentliche Erinnerung an diese Men-
schen wachzurütteln und einzufordern. 182 Todesfälle
rechter Gewalt dokumentiert der Opferfonds Cura der
Amadeu-Antonio-Stiftung.

Unverständlich wirkt angesichts solcher zivilgesell-
schaftlichen Erhebungen die offizielle Statistik. Nur
47 Todesopfer erkannte die Bundesregierung bis 2009
an. Im Zuge der Untersuchungen zum NSU wurde die
Statistik leicht nach oben korrigiert. Im Februar 2012
galt laut Polizeilicher Kriminalstatistik immerhin als

erwiesen, dass von 1990 bis 2011 durch rechtsextrem
motivierte Täter 58 Menschen ihr Leben verloren.
Dennoch klafft zwischen staatlicher und zivilgesell-
schaftlicher Auflistung eine große Lücke, die auf ein
bedenkliches Erkenntnisproblem der staatlichen Be-
hörden hinweist.

Dieses Erkenntnisproblem wird leider von der
schwarz-gelben Koalition nicht kritisiert. Vielmehr er-
läutern manche Abgeordneten sogar, warum es gut sei,
auf dem rechten Auge blind zu bleiben. In besonders
unangenehmer Erinnerung ist mir dabei die Bundes-
tagsrede des FDP-Kollegen Hartfrid Wolff am 1. De-
zember 2011. Er bezeichnete die Statistiken aus der Zi-
vilgesellschaft als „unseriös“ und verstieg sich zu der
Behauptung, sie legten „bei ihren Bewertungen keine
rechtsstaatlichen Maßstäbe zugrunde“. Das Verfahren
der Bundesregierung hingegen hielt er für unantast-
bar, da diese nur die Straftaten als rechtsextrem zähle,
die „gerichtlich als solche verurteilt wurden“. Dass
dabei ein Problem auftritt, wenn weder Polizei noch
Justiz ausreichend für rechtsextreme Hintergründe
sensibilisiert sind, blendete er komplett aus. Seine Aus-
lassungen gipfelten in der unverschämten Anklage:
„Antifaschismusarbeit ist seit jeher Kernelement links-
extremistischer Aktivität.“ Wer mit solchen Parolen
den Rechtspopulisten in die Hände spielt, kann weder
gute Politik zum Schutz von Opfern von menschen-
feindlicher Gewalt machen noch eine realitätsgerechte
Opferstatistik fördern.

Hinzu kommt, dass in Statistiken nur die bekannt-
werdenden Fälle zum Tragen kommen. Die vorhan-
dene Dunkelziffer rechter Diskriminierungen und tätli-
cher Übergriffe wird überhaupt nicht erfasst. Dass sie
existiert, steht zweifelsfrei fest. Viele Opfer wagen es
nicht, Straftaten anzuzeigen. Einerseits befürchten sie,
dass ihnen nicht geglaubt wird und sie mit institutio-
nellem Rassismus oder anderen Vorurteilen konfron-
tiert werden könnten. Andererseits haben etliche auch
Angst vor der Rache der Täter. Diese Befürchtungen
sind leider nicht unberechtigt.

So wurden etwa die Angehörigen der NSU-Opfer
tatsächlich selbst verdächtigt, Gewalt ausgeübt zu ha-
ben, während man offenkundigen Spuren ins rechts-
extreme Milieu nicht nachging. Auf diese Art tragen
die betreffenden Behörden sogar eine Mitverantwor-
tung, indem sie weitere Straftaten des NSU nicht recht-
zeitig verhinderten.

Auch werden Angegriffene nicht immer angemessen
geschützt. Ein beschämendes aktuelles Beispiel gibt es
im sächsischen Hoyerswerda. Der Fall eines dort le-
benden Paares ging kürzlich durch die Medien. Die
beiden hatten rechte Aufkleber in der Stadt entfernt
und waren daraufhin von 15 Nazis im Treppenhaus ei-
nes Wohnblocks überfallen und bedroht worden. Die
Polizei traf verzögert ein und legte dem Paar nahe, aus
Sicherheitsgründen die Stadt zu verlassen. Das kommt
einer Kapitulation vor Nazigewalt nahe, die sich un-
sere Gesellschaft nicht leisten darf. Das späte Eintref-
fen wurde durch einen Mangel an Polizeikräften ge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Monika Lazar


(A) (C)



(D)(B)


rechtfertigt. Tatsächlich hat es in Hoyerswerda seit
2009 eine Reduzierung von Polizeibediensteten von
136 auf 104 gegeben. Doch nicht nur eine zahlenmä-
ßig ausreichende, sondern vor allem auch eine Polizei
mit Problembewusstsein für rechte Straftaten ist von-
nöten.

Die Behörden müssen stärker sensibilisiert werden.
Es genügt nicht, wenn das Bundesinnenministerium
erklärt, man habe es bei abweichenden Opferzahlen
mit einer „systemimmanenten Bewertungsbreite“ zu
tun. Das Erfassungssystem zur politisch motivierten
Kriminalität muss auf den Prüfstand. Derart gravie-
rende „Ermessensspielräume“ sind bei der Bewertung
von Tötungsdelikten nicht akzeptabel. Wir fordern
nachvollziehbare und transparente Bewertungsmaß-
stäbe für politisch motivierte Kriminalität. Diese müs-
sen dann von Polizei und Justiz konsequent angewandt
werden. Vor allem aber darf die Expertise der zivilge-
sellschaftlichen Stellen nicht ausgeblendet oder gar
als unliebsame Konkurrenz abgelehnt werden.

Im kürzlich beendeten Haushaltsverfahren für 2013
wurde der Härtefonds für Gewaltopfer im Bundesjus-
tizministerium um eine halbe Million Euro erhöht.
Dies war durch gestiegene Fallzahlen notwendig. Es
ist gut, dass mehr Opfer den Schritt, eine Entschädi-
gung einzufordern, wagen. Doch so lange ein rechts-
extremer Hintergrund der Tat nicht offiziell anerkannt
ist, erhalten die Antragsteller aus diesem Geldtopf kein
Geld. Auch deshalb muss der Blick der Behörden ge-
schärft werden.

Wir begrüßen den Antrag der SPD, die Forschung
im Bereich rechter Gewalt zu vertiefen. Die Erfassung
muss verbessert, die Dunkelziffer verringert werden.
Dabei ist es wichtig, dieses Vorhaben in den Kontext
einer gesamtgesellschaftlichen Demokratieoffensive
einzubetten. Mehr interkulturelle Kompetenz und spe-
zifische Weiterbildungen in sicherheitsrelevanten Be-
hörden gehören ebenso dazu wie Projekte zur Stärkung
von Menschen mit Migrationshintergrund und anderen
potenziellen Opfern rechter Gewalt.

Unverzichtbar sind ein Ausbau der Opferberatung,
besonders in Westdeutschland, sowie eine finanzielle
Verstetigung vorhandener Strukturen im gesamten
Bundesgebiet. Allerdings setzen wir nicht, wie die SPD
in ihrem Antrag, auf das „Frühwarnsystem“ Verfas-
sungsschutz. Denn dieser hat versagt. Wir setzen da
lieber auf ein zu gründendes „Institut Demokratieför-
derung“, wie unsere Bundestagsfraktion in dieser Wo-
che beschlossen hat.

Die schwarz-gelbe Koalition hat letzte Woche für
den Haushalt 2013 die Chancen zur langfristigen För-
derung von Initiativen gegen Rechtsextremismus aus-
geschlagen und unsere guten Konzepte abgelehnt.
Bündnis 90/Die Grünen setzten sich für ein 50-Millio-
nen-Programm gegen gruppenbezogene Menschen-
feindlichkeit ein, aus dem auch Opferberatungsstellen
unbürokratisch Mittel erhalten, um ihre wichtige Ar-
beit vor Ort leisten zu können.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721140000

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/11366 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist jemand damit
nicht einverstanden? – Es meldet sich niemand. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Innenentwicklung in den Städten
und Gemeinden und weiteren Fortentwick-
lung des Städtebaurechts

– Drucksache 17/11468 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina
Herlitzius, Daniela Wagner, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Baugesetzbuch wirklich novellieren

– Drucksache 17/10846 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Rechtsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Kirsten
Lühmann, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD

Barrierefreie Mobilität und barrierefreies
Wohnen – Voraussetzungen für Teilhabe
und Gleichberechtigung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch
verbindlich regeln

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter, Markus Kurth, Daniela Wagner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Barrieren abbauen – Mobilität und Woh-
nen für alle

– Drucksachen 17/6295, 17/9426, 17/9406,
17/11646 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Volkmar Vogel (Kleinsaara)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Reden
zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen dann zur Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/11468 und 17/10846 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Vorlage auf
Drucksache 17/10846 soll federführend vom Ausschuss
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beraten werden.
– Einwände gibt es keine. Dann ist das so beschlossen.

Unter Tagesordnungspunkt 21 c geht es um die Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksa-
che 17/11646.

Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss in seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/6295 mit dem Titel
„Barrierefreie Mobilität und barrierefreies Wohnen – Vo-
raussetzungen für Teilhabe und Gleichberechtigung“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enthaltung!)


– Die Beschlussempfehlung ist trotzdem angenommen.
Ich nehme aber den hartnäckigen Wunsch auf Festhalten
der Enthaltung gerne zu Protokoll.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/9426 mit dem Titel „Barrierefreies Bauen im
Baugesetzbuch verbindlich regeln“. Wer möchte sich
enthalten?


(Heiterkeit)


– Na also. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Dann ist die Beschlussempfeh-
lung angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 17/9406 mit dem Titel „Barrieren abbauen – Mobili-
tät und Wohnen für alle“. Wer stimmt dieser Beschluss-
empfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wiederum ein
paar Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Einführung einer Kennzeichnungspflicht
für Angehörige der Bundespolizei

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Karin Binder, Frank Tempel, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei
massiv beschränken

– Drucksachen 17/4682, 17/5055, 17/11263 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Baumann
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Frank Tempel
Dr. Konstantin von Notz

Die dazu vorbereiteten Reden werden zu Protokoll
genommen.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1721140100

In ihrem Antrag verfolgt die Fraktion Die Linke die

Intention, alle Bundespolizistinnen und Bundespolizis-
ten mit einer individuellen Kennzeichnung zu verse-
hen. Gefordert wird ein rechtlicher Rahmen zur Ein-
führung von Nummerncodes oder Namensschildern,
anzubringen an den Uniformen der Beamten. Diesem
Ansinnen trete ich entschieden entgegen. Eine Kenn-
zeichnungspflicht für die Angehörigen der Bundespoli-
zei hat meines Erachtens einer Stigmatisierung der Be-
amten zur Folge. Es wird der Eindruck vermittelt,
Beamte nutzen ihre Sonderstellung, um ungesühnt
Straftaten zu begehen. So zumindest argumentiert die
Fraktion Die Linke in ihrem Antrag. Ich frage Sie,
meine Damen und Herren der Linken: Wollen Sie wirk-
lich die Beamten der Bundespolizei unter diesen Gene-
ralverdacht stellen? Ich weise darauf hin, dass Sie mit
einer solchen Aussage nicht nur die Bundespolizei in
ein schlechtes Licht rücken, sondern auch unseren
Rechtsstaat. In einem Rechtsstaat werden alle Strafta-
ten entsprechend verfolgt und untersucht – auch die
Straftaten von Angehörigen der Polizei.

Die Aufgabe der Bundespolizei ist es, die Bürgerin-
nen und Bürger vor Gefahren zu schützen und die Si-
cherheit und Ordnung zu wahren. Dieser Aufgabe,
welche oberste Priorität besitzt, widmen sich die Be-
amten tagtäglich und setzen sich somit fortwährend
Gefahren für Leib und Leben aus. Wie sollen die Be-
amten dieser wichtigen und auch schwierigen Aufgabe
gerecht werden, wenn sie befürchten müssen, unge-
rechtfertigten Vorwürfen ausgesetzt zu werden bzw. sie
unter Umständen ihre eigenen Angehörigen in Gefahr
bringen? Zudem liegen keine ausreichenden Erkennt-
nisse vor, die belegen, dass Ermittlungsverfahren ge-
gen Polizeibeamte der Bundespolizei nicht aufgeklärt
werden konnten, weil es an einer individuellen Kenn-
zeichnung fehlte.

Sind Beamte mit individuellen Kennzeichnungen
– seien es Nummerncodes oder Namensschilder – ver-
sehen, besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass hie-
rüber ihre Namen und die ihrer Angehörigen ermittelt
werden. Somit besteht eine Gefahr sowohl für die Be-
amten als auch für ihre Familien. Mit der Gewichtung 1) Anlage 10





Günter Baumann


(A) (C)



(D)(B)


der Aufgabe, welcher sich die Beamten der Bundes-
polizei gewissenhaft widmen, erhöht sich auch die
Pflicht des Staates, seine Beamten entsprechend zu
schützen. Hieraus resultiert ein Anspruch der Beamten
auf Schutz der Persönlichkeitsrechte, der gegenüber
dem Interesse der Bürger an einer individuellen Kenn-
zeichnung höher zu bewerten ist. Zu bedenken ist zu-
dem, dass bei den heutigen medialen Möglichkeiten Vi-
deos und Bilder während Veranstaltungen gemacht
werden, welche sich sofort im Internet wiederfinden.
Wie schwer bzw. unmöglich es ist, einmal sich im Inter-
net befindliche Bilder und Daten zu entfernen, brauche
ich Ihnen nicht zu sagen. Mit anderen Worten: Die
Polizeibeamten, die während ihres Einsatzes zum
Schutze der Bürgerinnen und Bürger gefilmt oder in ir-
gendeiner anderen Form aufgenommen werden, sind
samt ihrer Kennung anschließend für jeden einsehbar
und auffindbar. Dieser Eingriff in die Persönlichkeits-
rechte der Beamten ist nicht vertretbar oder in irgend-
einer Form nachvollziehbar.

Auch trete ich dem Argument entgegen, dass eine
Kennzeichnungspflicht die Transparenz staatlichen
Handelns unterstreicht. Ich betone erneut, dass die
derzeitige Gesetzeslage der Transparenz staatlichen
Handelns bereits entsprechend gerecht wird. Alles
Weitere, darüber Hinausgehende ist unsinnig und
greift über die Maßen in das Persönlichkeitsrecht der
Beamten ein. Die Beamten müssen sich, auf Nachfrage
der von staatlichen Handlungen betroffenen Personen,
ausweisen. Bei geschlossenen Einsätzen kann über die
taktische Kennzeichnung der Einheit und die Einsatz-
dokumentation die Legitimation erreicht werden.

Alles in allem besteht mithin keine Notwendigkeit,
den Angehörigen der Bundespolizei eine Kennzeich-
nungspflicht aufzuerlegen. Die Gefahren für die Beam-
ten sind zu groß, und ein Generalverdacht in diesem
Sinne widerspricht der Fürsorgepflicht des Staates für
seine Beamten. Der Antrag ist abzulehnen.

Weiterhin kann die CDU/CSU-Fraktion auch dem
zweiten Antrag der Linken nicht zustimmen, mit wel-
chem sie den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei
massiv beschränkten wollen, um die erhöhte Gefahr für
Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen
oder Menschen, die unter Einfluss von Drogen stehen,
einzudämmen.

Pfefferspray ist ein Mittel, das zwischen dem
Schlagstock und der Schusswaffe liegt. Unbestritten
ist, dass der Einsatz von den vorgenannten Mitteln zu
erheblichen Verletzungen führen kann, aber nicht muss
das möchte ich betonen, wohingegen Pfefferspray le-
diglich ein kurzzeitiges Unwohlsein bei dem Betroffe-
nen hervorruft. Bei dem Einsatz von Mitteln zur Gefah-
renabwehr ist – und das sollten Sie wissen, sehr
geehrte Damen und Herren von den Linken – immer
auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip abzustellen. In
vielen Gefahrensituationen ist der Einsatz von Pfeffer-
spray jenes Mittel, dessen Einsatz im Einzelfall das
mildere und zugleich das effektivste ist. Gerade bei
Demonstrationen mit einer größeren Anzahl an Men-

schen kann Pfefferspray eine eskalierte bzw. eine zu
eskalieren drohende Situation am effektivsten beenden,
ohne erhebliche Schäden herbeizuführen. Eine mögli-
che Gefahr für Menschen mit gesundheitlichen Proble-
men möchte ich an dieser Stelle auch nicht unbedingt
abstreiten. Aber gäbe es diese Gefahr nicht auch, wenn
die Beamten anstelle des Pfeffersprays die anderen
Einsatzmittel nutzen würden? Es kann doch nicht Ihr
Ansinnen sein, den Einsatz der anderen – aus meiner
Sicht auch gefährlicheren Mittel – zu verstärken. Denn
das wäre die Konsequenz, wenn sie die Möglichkeit
zum Einsatz von Pfefferspray verhindern. Unter wel-
chen Möglichkeiten sollen die Beamten denn sonst
wählen, um die Ordnung und Sicherheit zu garantieren
bzw. wiederherzustellen? Für einen Polizeibeamten,
welcher eine Maßnahme vornehmen muss, ist es ein
psychologischer Vorteil, eine Auswahl an verschiede-
nen Einsatzmitteln zu haben. Darüber hinaus, meine
Damen und Herren von der Linken, sollten Sie mehr
Vertrauen in unsere Polizeibeamten haben. Diese üben
ihren Dienst mit höchster Vorsicht und gewissenhaft
aus. Ich verweise auch darauf, dass die Mittel zur Ge-
fahrenabwehr nur zum Einsatz kommen, wenn dies
auch erforderlich ist. Insoweit kann es bei friedlichen
Demonstrationen – und damit auch bei unbeteiligten
Dritten – nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen
kommen. Jeder, der die öffentliche Sicherheit und
Ordnung gefährdet, muss auch mit den Konsequenzen
leben können. Unsere Bürgerinnen und Bürger sind zu-
dem mündig genug, um sich der Konsequenzen ihres
Handels bewusst zu sein.

Abschließend bleibt zu sagen, dass auch dieser An-
trag abzulehnen ist. Die Polizeibeamten benötigen ent-
sprechende Mittel, um ihre Arbeit entsprechend und
verhältnismäßig durchführen zu können und um die
Gefahr für Leben und Leib des Bürgers zu minimieren.
Den Einsatz von Pfefferspray halte ich daher für mehr
als gerechtfertigt.

Wir wollen Polizisten schützen und setzen hohes
Vertrauen in ihre Arbeit. Mit den beiden Anträgen der
Linken wird Misstrauen gegen Polizisten geschaffen
und sollen Straftäter geschützt werden.


Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1721140200

Beide Anträge der Linken wurden in einer geson-

derten Anhörung des Innenausschusses des Deutschen
Bundestages im vergangenen Jahr ausführlich disku-
tiert.

Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht
für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte ist auch in
der SPD-Bundestagsfraktion schon länger Debatten-
gegenstand.

In einem Rechtsstaat darf es keine Gewalteskalatio-
nen durch die Polizei geben. Bei Straftaten durch Be-
amtinnen und Beamte sind umgehend strafrechtliche
Konsequenzen zu ziehen. Straftäter in der Polizei sind
sowohl für die Polizei als auch für ihr Image schlecht.

Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Gunkel


(A) (C)



(D)(B)


Dennoch verwahre ich mich gegen den eventuell
aufkommenden Eindruck, jede Demonstration werde
seitens der Polizei zu einem hemmungslosen Span-
nungsabbau genutzt. Es handelt sich hier um Einzel-
fälle, nicht um ein gesamtpolizeiliches Phänomen!

Die Kolleginnen und Kollegen sind an vielen Wo-
chenenden in der gesamten Republik unterwegs, in un-
terschiedlichsten Lagen, ob Castor, Fußballspiel oder
Demonstration. Oft üben sie ihren sehr verantwor-
tungsvollen Beruf unter schlechten Bedingungen aus.
Über die Zufriedenheit der Beamtinnen und Beamten
mit ihrem Beruf im Zusammenhang mit der Strohmeier-
Studie haben wir auch schon ausführlich im Innenaus-
schuss gesprochen.

Der Antrag der Fraktion Die Linke pauschalisiert
nach meiner Meinung an einigen Stellen zu stark. An-
dererseits fordert er auch Dinge, die bereits geregelt
sind. Als SPD-Bundestagsfraktion werden wir uns an
dieser Stelle enthalten.

Grundsätzlich hat die SPD-Bundestagsfraktion
nichts dagegen, eine Kennzeichnungspflicht für die
Bundespolizei einzuführen. In einigen Bundesländern
ist die Kennzeichnungspflicht schon Realität.

Bisher werden laut einer wissenschaftlichen Ausar-
beitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deut-
schen Bundestages von circa 58 Prozent der Polizeibe-
amten in Deutschland auf freiwilliger Basis im
Einzeldienst und auf Streife Namensetiketten getragen.

Das Tragen von Namensschildern – oder im Be-
darfsfall einer Identifikationsnummer – ist heute in ei-
ner modernen, weltoffenen und bürgernahen Polizei
ein selbstverständliches Element der Service- und
Kundenorientierung, die von den Bürgerinnen und
Bürgern erwartet werden kann. Zudem trägt es zur
Stärkung des Vertrauens in die Polizei bei, wenn die
Bürgerinnen und Bürger nicht einer anonymen Staats-
macht gegenüberstehen, sondern einer dialogbereiten
und individuell verantwortlich handelnden Polizei.

Es gibt aber auch gute Argumente gegen eine Kenn-
zeichnungspflicht: So kann man sie als Ausdruck eines
unberechtigten Misstrauens gegen die Polizeibeamtin-
nen und Polizeibeamten werten. Zudem birgt eine indi-
viduelle Kennzeichnung die Gefahr, dass Polizistinnen
und Polizisten sowie ihre Familienangehörigen Beläs-
tigungen und Sanktionen ausgesetzt werden. Dieses
Bedrohungspotenzial darf keinesfalls außer Acht ge-
lassen werden, gerade unter der weiter oben bereits
erwähnten Prämisse der hohen Anforderungen dieses
Berufes.

Die Fraktion Die Linke fordert in dem vorliegendem
zweiten Antrag „Einsatz von Pfefferspray durch die
Polizei massiv beschränken“, den Einsatz von Pfeffer-
spray gegen Menschen zu verbieten, die sich in An-
sammlungen, wie einer Demonstration oder bei einem
Fußballspiel, befinden. Das halte ich für übertrieben
und nicht zielführend. Schließlich erlaubt auch das
Gesetz über den unmittelbaren Zwang den Schusswaf-


(§ 10 Abs. 2 UZwG-Bund)

ein viel schärferes Mittel als der Einsatz von Pfeffer-
spray und mit deutlich größerer Gefahr für Leib und
Leben verbunden. Deshalb muss es auch möglich blei-
ben, unterhalb des Schusswaffengebrauchs über ein
polizeiliches Einsatzmittel zu verfügen.

Die Forderung nach einer massiven Einschränkung
geht zu weit. Bedingte Einschränkungen halte ich für
ausreichend. Diese sind aber in den Polizeigesetzen
der Länder bereits enthalten. Ferner ist im UZwG des
Bundes und der Länder der Einsatz von Zwangsmitteln
detailliert geregelt und unterliegt stets dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit, der über allen polizeilichen
Handlungen „schwebt“. Verstöße gegen diese Bestim-
mungen bei Einsätzen der Polizei sind natürlich zu
verfolgen und müssen gegebenenfalls strafrechtliche
Konsequenzen nach sich ziehen.

Ein Beschluss des Deutschen Bundestages mit dem
hier vorgelegten Inhalt ist deshalb nicht erforderlich.
Die SPD-Bundestagfraktion lehnt diesen Antrag ab.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1721140300

Im letzten Jahr gab es zur Kennzeichnungspflicht

für Angehörige der Bundespolizei eine Anhörung im
Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Anschei-
nend hat die Linke in dieser Anhörung nicht richtig zu-
gehört oder interessiert sich nicht für die Einschätzung
der Sachverständigen. Darin sprachen sich die befrag-
ten Sachverständigen nämlich mehrheitlich gegen den
Vorschlag der Linken einer solchen Kennzeichnungs-
pflicht für Angehörige der Bundespolizei aus. Die
FDP teilt die Bedenken der Sachverständigen.

Wir wollen nicht, dass Polizistinnen und Polizisten
sich unter Generalverdacht gestellt sehen und ihr Per-
sönlichkeitsschutz nicht gewahrt wird. Eine namentli-
che Kennzeichnung könnte dazu führen, dass einzelne
Beamte auf Demonstrationen und Ähnlichem von Ran-
dalierern gezielt herausgepickt und beispielsweise in
Internetforen an den Pranger gestellt werden oder auf
späteren Veranstaltungen gezielt angegangen werden.
Auch eine nicht namentliche Kennzeichnung durch
eine feste Nummer könnte eine Identifikation auf nach-
folgenden Veranstaltungen ermöglichen und die Ge-
fahr des persönlichen Ausforschens der Beamtinnen
und Beamten erhöhen. Ebenso könnten sie sich ver-
stärkt Falschanzeigen ausgesetzt sehen. Eine Kenn-
zeichnungspflicht steht also auch im Widerspruch zu
der Fürsorgepflicht des Dienstherrn.

Schon jetzt ist es möglich, Polizistinnen und Polizis-
ten bei Bedarf zu identifizieren: Auf Verlangen müssen
diese nämlich ihren Dienstausweis vorzeigen. Auch
werden Einsätze der Polizei bereits in starkem Maße
gefilmt und fotografiert, wodurch eine zusätzliche
Identifikation möglich ist.

Klar ist: Deutschland ist ein Rechtsstaat. Recht und
Gesetz gelten auch für die Polizei. Daher ist es selbst-
verständlich, dass Polizistinnen und Polizisten, die

Zu Protokoll gegebene Reden





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


sich im Dienst strafbar machen, wie jeder andere auch
zur Rechenschaft gezogen werden. Selbstverständlich
ist es auch, dass in solchen Fällen ebenso sorgfältig
ermittelt werden muss wie in anderen Fällen. Dass
dies auch wirklich passiert – woran die Linke ja zu
zweifeln scheint – zeigt beispielsweise die Verurteilung
eines Polizisten vor wenigen Wochen wegen Körper-
verletzung im Amt während eines Einsatzes im Rahmen
einer Demonstration gegen das Bahnprojekt Stutt-
gart 21. Für die Linke scheint dies aber keine Selbst-
verständlichkeit zu sein, wie ihr Antrag zeigt. Für die
FDP ist es unverständlich, warum die Linke den Ein-
druck erwecken will, in unserer Polizei gebe es eine
generelle Vertuschungskultur. Dadurch schürt sie nur
Misstrauen und Ängste innerhalb der Bevölkerung.

Ebenso verhält es sich mit dem Einsatz von Pfeffer-
spray. Die Linke erweckt in ihrem Antrag den Ein-
druck, als würden wir in einem Polizeistaat leben, in
dem Polizistinnen und Polizisten wahllos und willkür-
lich die Verletzung oder gar den Tod von Menschen in
Kauf nehmen würden. Der Pfeffersprayeinsatz unter-
liegt in jedem einzelnen Nutzungsfall einer Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung und wird beständig beobachtet.
Daher sprachen sich in der Anhörung im Innenaus-
schuss die Sachverständigen ausdrücklich gegen eine
weitere Beschränkung der Pfefferspraynutzung aus.
Zudem handelt es sich dabei um ein vergleichsweise
mildes Mittel, ohne dauerhafte Schädigung in be-
stimmten Situationen gegen Randalierer vorzugehen.
Der Antrag der Linken macht den Einsatz von Pfeffer-
spray praktisch unmöglich. Das würde der Polizei in
vielen Fällen diese Möglichkeit nehmen, unseren
Rechtsstaat zu schützen und darüber hinaus auch die
Gefahren für die eingesetzten Polizeikräfte erhöhen.
Daher halten wir es für wichtig und richtig, dass in-
nerhalb eines klaren Regelwerks nach Verhältnismä-
ßigkeitsprüfung die Polizei notfalls auch mit unmittel-
barem Zwang durch Einsetzung von Pfefferspray zur
Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols han-
deln kann. Eine Nachprüfbarkeit der Maßnahme – wie
es ja auch vorgeschrieben ist – ist natürlich unver-
zichtbar.

Wir als FDP lassen die Polizistinnen und Polizisten,
die sich für die Gewährleistung der Sicherheit in
Deutschland regelmäßig selbst in Gefahr bringen,
nicht allein, behalten dabei aber auch immer die Ver-
hältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel und die Wah-
rung der Rechte der Bevölkerung im Blick.


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721140400

Mit der Kennzeichnungspflicht für Angehörige der

Bundespolizei soll eine Rechtssicherheit sowohl für
das polizeiliche Gegenüber, sprich: der Bürgerin und
dem Bürger, als auch für Polizistinnen und Polizisten
geschaffen werden. Die Identifizierbarkeit von Amts-
trägern dient der Sachverhaltsaufklärung vor Gericht.
Mögliches polizeiliches Fehlverhalten und auch
Fehlanschuldigungen gegenüber Polizistinnen und
Polizisten werden so besser aufklärbar.

In der übergroßen Mehrheit der europäischen Län-
der sind vergleichbare Regelungen seit langem gang
und gäbe. Es ist beachtlich, dass Staaten wie Rumä-
nien oder die Slowakei, deren Polizeikräfte lange Zeit
unter starker Kritik von EU und Bürgerrechtsgruppen
standen, inzwischen fortschrittlicheren Regelungen
unterliegen als die Bundespolizei. Es ist unwahrschein-
lich, dass die 15 Regierungen und Parlamente der
europäischen Länder, die über eine Kennzeichnungs-
pflicht verfügen, damit einen Generalverdacht gegen-
über ihren Polizeien zum Ausdruck bringen wollten.

Die ablehnende Diskussion zur Kennzeichnungs-
pflicht hat leider stark irrationale Züge. Auch bei der
anonymisierten Kennzeichnung mit Richtervorbehalt
wird ein Gefährdungspotenzial für Polizistinnen und
Polizisten sowie deren Familien unterstellt. Wie Krimi-
nelle an die Namen gelangen könnten, wird gar nicht
mehr hinterfragt.

Die Kennzeichnung verletze angeblich die Würde.
Nun besteht seit einigen Monaten eine Kennzeichnung
von Einsatzkräften der Bundespolizei bis hin zur Grup-
penebene. Ich habe dazu keine einzige Beschwerde
vernommen. Warum das Hinzufügen einer weiteren
Zahl zur persönlichen Identifizierbarkeit die Würde
dann plötzlich verletzen sollte, ist unklar.

Dass CDU/CSU im Innenausschuss mit solcherlei
sachfernen Argumentationen aufwarten, überrascht
mich nicht. Dass allerdings auch die SPD unseren Vor-
schlag mit einer fadenscheinigen Begründung ablehnt,
hat uns schon enttäuscht. In unserem Antrag sei nicht
vorgesehen, dass Polizeibeamte zum Schutz ihrer Fa-
milien die Herausgabe ihrer Adressdaten an Dritte
durch die Meldeämter ohne Begründung sperren las-
sen können, so der Vorwurf. Das hat allerdings mit
dem vorliegenden Antrag nur indirekt zu tun. Aber
wenn Sie wollen, bringen wir dazu demnächst einen
gemeinsamen Antrag zur Änderung des Meldegesetzes
ein. Mit uns kann man reden. Stimmen Sie also zu!

Nun zum Pfeffersprayantrag: Unser Antrag zur Ein-
schränkung des Einsatzes von Pfefferspray will nicht,
wie uns immer wieder unterstellt wird, den Einsatz von
Pfefferspray verbieten. Aus meiner Zeit als Kriminal-
oberkommissar bei der Thüringer Polizei kann ich ein-
schätzen, dass Pfefferspray zum übergroßen Teil bei
Maßnahmen gegen häusliche Gewalt zum Einsatz
kommt. Und natürlich ist dessen Einsatz bei körperli-
cher oder zahlenmäßiger Überlegenheit der Täter
nach dem Versagen niederschwelliger Maßnahmen le-
gitim. Dieses Mittel wollen wir der Polizei also keines-
falls nehmen. Wir wollen es eben nur auf die Fälle be-
schränken, bei denen es zur Abwehr einer Gefahr für
Leib und Leben der Einsatzkräfte oder Dritter einge-
setzt wird.

Leider wird Pfefferspray allzu oft für die bloße
Durchsetzung staatlichen Willens, etwa zur Durchset-
zung von Platzverweisen, benutzt; dabei ist jeder Ein-
satzleiter und jede Einsatzleiterin beim Einsatz von
Gewaltmitteln zu einer Angemessenheitsprüfung ver-

Zu Protokoll gegebene Reden





Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)


pflichtet. Ein relativ niedrig stehendes Rechtsgut wie
der freie Verkehrsfluss kann in der Abwägung aber
auch nach jetziger Gesetzeslage nicht gegen das
Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit bestehen.
Auch der Einsatz zur Räumung einer Wiese zur Schaf-
fung von Baufreiheit dürfte angesichts des erheblichen
Schädigungspotenzials von Pfefferspray und schon
gar bei der Gefahr einer Schädigung Dritter nicht an-
geordnet werden. Die Realität ist eine andere, was
auch oft genug in Fernsehbildern dokumentiert wird.
Da hat sich im Laufe der Jahre ein sorgloser, teils ver-
antwortungsloser Umgang entwickelt. Insofern ist
unser Antrag nur eine Konkretisierung und eine Klar-
stellung der heutigen Rechtslage und kein neuer juris-
tischer Sachverhalt.

Es kommt in der polizeilichen Praxis nicht nur zu
unangemessenen, sondern auch zu einem zu häufigen
Einsatz von Pfefferspray. Richtlinien entsprechend den
Vorschriften des Schusswaffengebrauchs und eine vor-
geschriebene nachträgliche rechtliche Würdigung des
Pfeffersprayeinsatzes würden Einsatzkräfte sowie Ein-
satzleiter oder Einsatzleiterinnen sensibilisieren und
so die Einsatzhäufigkeit von Pfefferspray verringern.

Pfefferspray ist ein probates Mittel zur Abwehr von
Gewalttätern unterhalb der Schwelle des Schusswaf-
feneinsatzes. Es ist aber keine Allerweltslösung für ge-
sellschaftliche Probleme, die auf die Straße getragen
werden.

Bilder wie die vom völlig überzogenen Pfefferspray-
einsatz bei den friedlichen Demonstrationen zu Stutt-
gart 21 sollten nie wieder auf den Bildschirmen der
Bundesrepublik zu sehen sein. Das war selbst vielen
Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen, die das ver-
folgt haben – ich habe nach wie vor einen guten Kon-
takt zu den Kollegen, – unangenehm. Nehmen Sie un-
sere zwei Anträge ernst! Gehen Sie nicht leichtfertig
über diese berechtigten Anliegen hinweg und stimmen
Sie zu!


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721140500

Die Polizei übt – im Extremfall – unmittelbaren

Zwang aus. Sie tut das in Deutschland in aller Regel
im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Re-
geln. Die handfeste Durchsetzung des staatlichen Ge-
waltmonopols bleibt aber ein sensibler Bereich; denn
wenn staatliche Organe Gewalt gegen die Bürger aus-
üben, ist das für den freiheitlichen Rechtsstaat immer
der Extremfall. Hier wären Willkür und Fehlverhalten
besonders schrecklich. Deshalb ist strengstens darauf
zu achten, dass die Rechtsgrundlage immer völlig klar
ist und die Anwendung unmittelbaren Zwangs immer
in jedem Sinne verhältnismäßig bleibt.

Gerade das ist aber bei einem heute sehr üblichen
Mittel fraglich – dem Pfefferspray. Es gehört ja zur
Verhältnismäßigkeit, dass man immer dasjenige Mittel
wählt, das für die Zweckerfüllung geeignet ist, aber
eben auch jenes, das dafür notwendig ist. Sprich: Der
Zweck heiligt nicht alle Mittel, sondern nur dasjenige,
das nicht übers Ziel hinausschießt.

Das trifft auf das Pfefferspray – das muss man nach
jahrelanger Erfahrung damit wohl sagen – nicht im-
mer zu. Es ist eingeführt worden als die mildere Alter-
native, und bisher ist es das auch. Es ist milder als jede
Leberwursttaktik oder die alte Praxis, mit berittenen
Staffeln in Demos einzureiten und vom hohen Ross mit
dem Schlagstock loszudreschen. Und es ist milder als
die Chemiekeule CS-Gas.

Aber es ist deswegen noch lange kein problemfreies
Allzweckmittel. Wir sehen mit Sorge, dass es bei fast
jeder konfliktträchtigen Demonstrationslage einge-
setzt wird. Man muss schon den Eindruck haben: Das
geschieht zu früh und zu viel. Denn man darf sich nicht
täuschen: Pfefferspray ist aggressiv, es kann Verletzun-
gen auslösen und – für Asthmatiker oder Allergiker –
auch lebensbedrohlich wirken. Es ist zurzeit wohl das
mildeste Mittel; aber es ist höchste Zeit, den Einsatz
restriktiver zu handhaben und nach gesundheitlich un-
bedenklicheren Alternativen zu forschen. Das wäre
einmal eine Art der Sicherheitsforschung, die man un-
terstützen kann!

Pfefferspray ist ein Mittel für den Konfliktfall, und
um die Vermeidung und Lösung von Konfliktfällen geht
es auch beim zweiten Thema des heutigen Tages, bei
der Kennzeichnung von Polizeibeamten.

Die Forderung, dass jeder Polizist und jede Polizis-
tin eindeutig identifizierbar sein muss, erheben wir
schon seit langen Jahren. In manchen Bundesländern
hat dieses Bemühen inzwischen auch Früchte getra-
gen, zum Beispiel in Schleswig-Holstein. Und das
sollte auch bei der Bundespolizei endlich so sein.

Es geht darum, dass alle Vollzugsbeamten entweder
ihren Namen oder eine eindeutige, nach dem Einsatz
auch zuzuordnende Nummer gut sichtbar auf der Uni-
form tragen. Das erscheint uns wie eine Selbstver-
ständlichkeit, denn im Rechtsstaat kann es nicht sein,
dass die Staatsmacht gewissermaßen getarnt auftritt.

Die Kennzeichnung ist kein Misstrauensvotum ge-
gen Polizeibeamte. Es geht uns nicht darum, Beamte
zu drangsalieren und sie unter Verdacht zu stellen. Es
kann aber auch niemand verleugnen, dass es nach
manchen Großeinsätzen Vorwürfe gibt, dass Beamte
über das Ziel hinausgeschossen sind. Und es ist ein-
fach nicht gut, wenn diese Vorwürfe allzu oft im Raum
stehen bleiben, weil die betreffenden Personen nicht zu
identifizieren sind. Das führt erst zum Generalver-
dacht bei denen, die sich falsch behandelt fühlen, ge-
gen die sich polizeiliche Gewalt gerichtet hat. Sie müs-
sen ihr Gegenüber benennen können, damit dann die
Vorwürfe in rechtsstaatlicher Weise geklärt werden
können. Es nutzt doch auch der Polizei nichts, wenn
die Legende Platz greift, dass alle Beamten prügeln
und sich dann gegenseitig decken. Und es würde ihr
schon gar nichts helfen, einen Fall zu vertuschen, in
dem tatsächlich ein Kollege das Maß verloren hat und
eben in nicht angemessener Weise Gewalt ausgeübt
hat.

Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)


Viele Beamte fürchten Rache, wenn sie mit ihrem
Namen am Revers in vorderster Front einer brodeln-
den Großlage stehen müssen. Das kann ich nachvoll-
ziehen; es gibt ja leider Gewalttäter jeder Couleur, die
meinen, man müsste auf Internetseiten Namen und
Adressen von unliebsamen Polizeibeamten veröffentli-
chen, mit der Intention, gezielt gegen diese Beamten
vorzugehen. Dagegen muss der Staat als Dienstherr
vorsorgen. Das kann er aber tun, indem eben nicht der
Name auf die Uniform gedruckt wird, sondern eine
Nummer, und auch die kann von Einsatz zu Einsatz
wechseln.

Also zwei Fälle von sinnvoller Vorsorge: beim Pfef-
ferspray gegen unbeabsichtigte Verletzungen, bei der
Kennzeichnung gegen im Raum stehende Unterstellun-
gen. Beides sollte man angehen, denn es sind zwei
Schritte auf dem Weg zu einer bürgernäheren Polizei
im Rechtsstaat.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721140600

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-

schusses. Der Innenausschuss empfiehlt auf der Druck-
sache 17/11263 unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/4682. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
möchte sich der Stimme enthalten? – Bei zwei Enthal-
tungen ist die Beschlussempfehlung mit Mehrheit ange-
nommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/5055. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einfüh-
rungsgesetzes zum Strafgesetzbuch

– Drucksache 17/11726 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu geben. – Ich sehe, dagegen hat niemand et-
was einzuwenden.1) Zugleich wird die Überweisung des
Gesetzentwurfes auf der Drucksache 17/11726 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Proteste sind nicht erkennbar. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas

Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Steuerliche Transparenz von multinationalen
Unternehmen herstellen – Country-by-Coun-
try und Project-by-Project Reporting einfüh-
ren
– Drucksachen 17/11075, 17/11695 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Dr. Thomas Gambke

Auch hier werden die Reden zu Protokoll genom-
men.


Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1721140700

Mit dem vorliegenden Antrag soll die Transparenz

über die Steuerzahlungen von international tätigen
Unternehmen hergestellt werden. Große, global agie-
rende Konzerne wie zum Beispiel Apple, Google, Ama-
zon haben es mittlerweile geschafft, ihre Steuerschuld
so zu schmälern, dass sie mitunter nur noch die Hälfte
des üblichen im Heimatland geltenden Steuersatzes
zahlen.

Dies ist möglich, da die finanzielle Abwicklung der
Geschäfte auf Niedrigsteuerländer ausgelagert wurde.
Ein deutscher Kunde des Onlinekaufhauses Amazon
erhält zum Beispiel eine Rechnung der luxemburgi-
schen Tochter. Der Gewinn aus einem in Deutschland
oder anderen Land getätigten Geschäft wird dadurch
nicht im Geschäftsland, sondern nur in den Niedrig-
steuerländern versteuert.

Durch diese Methode entgehen den europäischen
Staaten nach Schätzung des EU-Kommissars Semeta
bis zu 1 Billion Euro Steuereinnahmen.

Um diesem Problem der legalen Steuerumgehung zu
begegnen, ist es erforderlich, die Fehler nicht nur bei
den Unternehmen selber zu suchen, sondern auch im
europäischen Steuersystem. Denn nur durch die sehr
unterschiedlichen Steuersätze und Steuergesetze in
Europa und den anderen Nationen ist solch eine Ver-
schiebung der Gewinne möglich.

Zu diesem Zweck hat sich die Bundesregierung be-
reits vor einigen Monaten selber auferlegt, sich auf eu-
ropäischer und internationaler Ebene verstärkt in die
Sache einzubringen. Denn eines ist klar: Allein durch
Schaufensteranträge, wie der vorliegende von den
Grünen, schaffen wir keine Harmonisierung und Lö-
sung dieses Steuerverteilungsproblems. Insbesondere
müssen deshalb die Richtlinienentwürfe der EU-Kom-
mission zur Änderung der Transparenzrichtlinie und
den Rechnungslegungsrichtlinien, welche die Einfüh-
rung eines Project-by-Project- und Country-by-Coun-
try-Reporting vorsehen, unterstützt werden.

Bundesfinanzminister Schäuble ist aber auch schon
auf dem Weg und versucht, neben europäischen Lösun-
gen auch gemeinsame Regelungen innerhalb der G 20
und der OECD zu finden. Die Experten des Committee 1) Anlage 13





Manfred Kolbe


(A) (C)



(D)(B)


on Fiscal Affairs, CFA, der OECD haben erst kürzlich
ein Arbeitspapier zu den Steuervermeidungsstrategien
großer internationaler Konzerne erstellt. IT-Firmen
wie Google, Amazon oder Apple erzielen Milliarden-
gewinne in Deutschland wie oben beschrieben, für die
der deutsche Fiskus aber keine Steuern erhält, weil der
Sitz der Onlinehändler in Niedrigsteuerländern liegt. In
dem Arbeitspapier werden verschiedene Probleme
– Verrechnungspreise, Finanzderivate – benannt, die
von den Regierungen angegangen werden sollten.

Die G-20-Staaten wollen nun auf ihrem Treffen
Ende Februar 2013 in Russland darüber beraten, wie
sie die Steuervermeidung der internationalen Kon-
zerne stoppen können. Mit seinem britischen Finanz-
kollegen George Osborne ist Finanzminister Schäuble
auch bereits in intensiven bilateralen Gesprächen, um
im Rahmen des eben erwähnten G-20-Gipfels in Mos-
kau den Staats- und Regierungschefs weitere Lösungs-
vorschläge zu unterbreiten. Es sollen Niedrigsteuer-
oasen ausgetrocknet werden und die Besteuerung in
dem Land erfolgen, wo auch der Gewinn entsteht.

Beide haben auch ihre volle Unterstützung für die
sogenannte BEPS-Initiative zugesagt. Mit dieser Maß-
nahme möchte die OECD die Aushöhlung der Besteu-
erungsgrundlagen und die Gewinnverlagerung zwi-
schen den Staaten eindämmen.

Sie sehen also, dass das Problem nur in Absprache
mit unseren internationalen Partnern gelöst werden
kann – nicht in nationalen Alleingängen.

Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch betonen,
dass es nicht nur zu Steuerverschiebungen von Indus-
trienationen in die Karibik oder nach Asien kommt,
sondern auch bereits innerhalb der Europäischen
Union.

Insbesondere das Großherzogtum Luxemburg hat
leider noch nicht die europäischen Mindeststandards
bei der Steuererhebung und bei Steuerkontrollen um-
gesetzt. Meiner Meinung nach kann Euro-Gruppen-
chef Juncker nicht nur die europäische Solidarität in
der Euro-Staatsschuldenkrise fordern, sondern muss
auch im eigenen Land Maßnahmen ergreifen, damit
Steuereinnahmen global und europäisch agierender
Konzerne auch in dem Land eingenommen werden, wo
sie entstehen, und nicht verlagert werden. Das wäre
wahre Solidarität und würde vielen Krisenländern in
der aktuellen Liquiditätskrise zu Mehreinnahmen ver-
helfen.

Wenn wir uns nämlich, auch unabhängig von OECD
und G 20, auf eigene Standards einigen, können wir als
Europäer noch geschlossener in diesen Gremien für
faire Lösungen streiten.

Die Bundesregierung ist nun zunächst am Zuge, um
auf internationaler Ebene das beschriebene Problem
anzugehen. Dieses als solches ist bereits mehr als er-
kannt und braucht keiner zusätzlichen Aufforderung
durch das Parlament. Deshalb wird die Unionsfrak-
tion den vorliegenden Antrag ablehnen. Vielleicht

könnten sich die Grünen dafür engagieren, dass in den
europäischen Ländern, in denen ihre Parteifreunde mit
in der Regierung sind, die Verhandlungen für gemein-
same Lösungen schneller voranschreiten.

Abschließend sei noch einmal erwähnt, dass die Be-
steuerung und deren Bemessungsgrundlage nicht rein
national gelöst werden, sondern einer internationalen
Kooperation bedürfen. Wir wollen diese in Europa,
den G 7, G 20 und der OECD stärken, damit so bald
wie möglich alle Gewinne, die in Deutschland erzielt
werden, auch hier besteuert werden.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1721140800

Wir beraten heute die Beschlussempfehlung und den

Bericht des Finanzausschusses zum Antrag der Grü-
nenfraktion „Steuerliche Transparenz von multinatio-
nalen Unternehmen herstellen – Country-by-Country
und Project-by-Project Reporting einführen“. Der
Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf, sich auf
europäischer Ebene dafür einzusetzen, bei multinatio-
nalen Unternehmen mithilfe von Offenlegungspflich-
ten auf Länderebene, Country-by-Country Reporting,
und auf Projektebene, Project-by-Project Reporting,
Transparenz herzustellen. In langfristiger Perspektive
sollen weltweit entsprechende Standards für die Roh-
stoffwirtschaft etabliert werden.

Die internationale Rohstoffwirtschaft hat vor kur-
zem eine echte „Elefantenhochzeit“ erlebt, wie die
„Börsen-Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 27. Novem-
ber 2012 schreibt, als der Bergbaukonzern Xstrata
durch den Glencore-Konzern übernommen wurde. Aus
der Akquisition ging ein Unternehmen mit einem Bör-
senwert von etwa 70 Milliarden US-Dollar hervor, das
die komplette Wertschöpfungskette von der Förderung,
der Verarbeitung, dem Transport bis hin zum Verkauf
zahlreicher Rohstoffe unter einem Konzerndach ver-
eint. Das neue Unternehmen betreibt Projekte in mehr
als 40 Staaten und generiert einen Umsatz von
210 Milliarden US-Dollar, unter anderem mit der För-
derung von Aluminium, Kohle, Zink, Kupfer und Blei,
mit dem Seetransport von Rohöl und mit dem Handel
mit Weizen, Mais, Baumwolle oder Zucker.

Wir beobachten – in dieser Branche, aber auch in
anderen Bereichen – die Reintegration von Großunter-
nehmen entlang der kompletten Wertschöpfungskette.
Aus Zusammenschlüssen und Übernahmen entstehen
riesige multinationale Konzerne, die in vielen unter-
schiedlichen Geschäftsfeldern und Zeitzonen, in unter-
schiedlichen Steuerjurisdiktionen und in sehr verschie-
denen Staats- und Rechtsordnungen agieren. Global
vernetzte Steuerabteilungen optimieren die gesamte
Konzernstruktur und Prozessabläufe auf eine mög-
lichst günstige Besteuerung.

Konzerne haben die Möglichkeit, international zu
agieren, während Staaten zunächst national begrenzt
sind. Aus diesem Widerspruch entstehen für internatio-
nal tätige Konzerne verschiedene Möglichkeiten, die
eine Neudefinition des Begriffs der Steueroasen, die

Zu Protokoll gegebene Reden





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


durch die strukturellen Möglichkeiten eines internatio-
nalen Konzerns entstehen, notwendig machen.

Nationale Steuerverwaltungen sehen sich mit dem
Problem konfrontiert, dass beobachtbare, quantifizier-
bare Transaktionen zwischen einzelnen Unternehmen
in ein konzerninternes Beziehungsgeflecht aus wech-
selseitigen Beteiligungen, Funktionsverlagerungen
und Verrechnungspreisen abwandern und nur noch auf
konsolidierter Grundlage gemäß der internationalen
Vorschriften der Rechnungslegung – International Fi-
nancial Reporting Standards, kurz: IFRS – auf Ebene
der Konzerngesellschaften ausgewiesen werden. In
welchen Ländern und mit welchen Projekten Umsätze
im Einzelnen generiert werden, erfahren wir nicht.
Zahlungsströme und finanzielle Transaktionen inner-
halb hochintegrierter multinationaler Konzerne sind
nicht transparent; die steuerrechtlichen Regelungen
hingegen, die den Bezugsrahmen für die konzerninter-
nen Transaktionen und Gestaltungen darstellen, sind
– richtigerweise – transparent. Eine Bewertung von
außen, ob Steuerzahlungen korrekt und vollständig
sind, ob sie angemessene Steuereinnahmen für Staaten
erbringen, in denen Konzerngesellschaften ansässig
oder tätig sind, ob sie unseren Vorstellungen von einer
gerechten Steuerlastverteilung zwischen inländischen
und internationalen Unternehmen entsprechen, ist un-
ter diesen Umständen kaum möglich.

Wir sind deshalb froh, dass diese Diskrepanz zwi-
schen den steuerlichen Möglichkeiten global agieren-
der Konzernen und nationaler Steuerverwaltungen zu-
nehmend als Problem für das finanzielle Fundament
vieler Staaten und für die Steuergerechtigkeit im Allge-
meinen erkannt wird. Es wird mittlerweile auf ver-
schiedenen Ebenen daran gearbeitet, Transparenz in
steuerlichen Angelegenheiten herzustellen. Ich denke
an die Regelungen im sogenannten Dodd-Frank Act
der USA von Juli 2010, und an die Vorschläge zur Än-
derung der Transparenz- und der Rechnungslegungs-
richtlinie, die auf EU-Ebene diskutiert werden.

Der Antrag spricht sich für eine Ausdehnung der Of-
fenlegungsvorschriften auf alle Branchen in der Euro-
päischen Union mit Ausnahmen lediglich für kleine und
mittlere Unternehmen aus, für die Umsetzung der pro-
jektbezogenen Offenlegungspflichten insbesondere im
Rohstoffbereich, für die Festlegung niedriger unterer
Schwellenwerte bei Zahlungen, deren Überschreiten
eine Pflicht zur Offenlegung begründet und für die Aus-
weitung des Katalogs der offenzulegenden konzernin-
ternen Kennziffern: Produktvolumen, Verkaufszahlen
und Gewinn, Lohnsumme, Zahl der Angestellten, Fi-
nanzierungskosten, Zahlungen an die Regierung.

Die SPD-Fraktion unterstützt diese Überlegungen
und stimmt daher dem Antrag zu. Wir arbeiten zeit-
gleich an einem eigenen Antrag mit dem Titel „Trans-
parenz in Zahlungsflüssen im Rohstoffbereich und
keine Nutzung von Konfliktmineralien“, an dem Wirt-
schafts-, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Finanz-
politiker beteiligt sind. Der Antrag der Grünen folgt
dabei der gleichen Denkrichtung wie unsere Überle-

gungen, um größere Transparenz zu erreichen und
Klarheit über das Handeln internationaler Konzerne zu
erhalten. Dabei ist Transparenz allein noch keine ab-
schließende Lösung, aber ein erster wichtiger Schritt.


Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1721140900

Die Antragsteller präsentieren hier eine in Teilen

durchaus korrekte Problembenennung. Die in der
Folge gebrachten Vorschläge tragen jedoch in keiner
Form zur Lösung der genannten Missstände bei. Es
wird die Illusion eines Zusammenhangs zwischen vor-
geblich mangelnder Transparenz und Steuervermei-
dung geschaffen.

Es geht hier nicht um windige Privatleute, die ihr
Kapital klammheimlich in Nacht-und-Nebel-Aktionen
über die Grenze bringen und in Steueroasen bunkern,
die man nur erwischen und vor Gericht bringen
müsste. Nein, hier handelt es sich um etablierte und
zigfach von Wirtschaftsprüfern durchleuchtete, was-
serdichte Steuervermeidungsstrategien von internatio-
nalen Großunternehmen. Alles mit Stempel und Siegel
von Finanzamt und EU abgesegnet!

Diese Modelle sind inzwischen so verbreitet, dass
sie im Fachjargon mit kreativen Namensschöpfungen
wie „Double Irish Arrangement with a Dutch Sand-
wich“ schon lange feststehende Begriffe sind. In die-
sem Fall bedeutet das auf Deutsch, dass eine irische
Tochtergesellschaft mit Sitz in einer beispielsweise ka-
ribischen Steueroase Inhaber von Marken, Patenten
oder Franchiselizenzen ist und für diese Lizenzgebüh-
ren über eine niederländische und eine weitere irische
Tochtergesellschaft von der eigentlichen geschäftsaus-
übenden Gesellschaft in Deutschland kassiert, sodass
hier auf dem Papier kein Gewinn entsteht.

Bei dieser Praxis handelt es sich zweifelsohne um
einen Missstand, der gegen jeden Gerechtigkeitssinn
strebt. Eine zwangsweise Offenlegung und Aufschlüs-
selung sämtlicher Einzelumsätze nach Ländern und
Projekten jedoch – noch über die aktuellen Rech-
nungslegungsstandards hinaus – würde sich in der ef-
fektiven Besteuerung überhaupt nicht niederschlagen.
Das von den Antragstellern beschriebene Problem und
die vorgeschlagene Lösung stehen in keinerlei Zusam-
menhang.

Um zu verstehen, wie es zu dieser Diskrepanz zwi-
schen Problem und Lösung kommen konnte, lohnt es
sich, einen Blick in den ursprünglichen EU-Entwurf zu
werfen, auf den Sie sich in Ihrem Antrag berufen. Hier
findet die Problematik der Steuervermeidung nämlich
überhaupt keine Berücksichtigung. Es geht einzig und
allein um Korruption in der Rohstoffbranche. Die Of-
fenlegung der Zahlungsströme soll Bestechungsgelder
an Regierungsmitglieder aufdecken und im besten Fall
verhindern. Besonders in Entwicklungsländern mit au-
toritären Regimen gehört Korruption in dieser Form
zum Regelfall und verhindert, dass die Bevölkerung
vom Ressourcenreichtum profitieren kann. Plötzlich
kann man auch wieder verstehen, was die ursprüng-
liche Motivation dieser Initiative war, welche die

Zu Protokoll gegebene Reden





Holger Krestel


(A) (C)



(D)(B)


Bundesregierung in dieser Form bisher auch stets un-
terstützt hat. Das plötzliche Umsatteln auf das Steuer-
thema durch die Grünen und die willkürliche Auswei-
tung, jetzt alle Branchen erfassen zu wollen, machen
das Vorhaben jedoch zu einem bürokratischen Mons-
ter, welches seine ursprüngliche Intention um Längen
verfehlt.

Die großen internationalen Konzerne, die sich der
genannten Steuervermeidungsstrategien bedienen, zu
denen unter anderem Google, Apple, Starbucks, Micro-
soft oder Pfizer zählen, sind bereits einer sehr genauen
Aufsicht unterworfen, und die Gewinnverlagerungs-
verfahren sind auch kein Geheimnis. Wen Sie wirklich
treffen, das ist der Mittelstand. Zahlreiche deutsche
Unternehmen sind wegen ihres einzigartigen Know-
hows international aktiv, aber nicht groß genug, um
die von Ihnen geforderten Aufschlüsselungen für die
interne Verwendung bereits aufgestellt zu haben. Hier
entstehen unnötige zusätzliche Kosten, die die inter-
nationale Wettbewerbsfähigkeit schmälern und der
Konkurrenz neugierige Blicke in Betriebsgeheimnisse
ermöglichen. Die Antragsteller gefährden damit
leichtfertig Arbeitsplätze in Deutschland, an denen
Familien, aber auch Steuereinnahmen hängen.

Dieser Antrag ist nichts als ein wenig apologetische
Kosmetik fürs Gewissen – ein moderner Ablassbrief
ohne praktischen Nutzen, der am Ende die Falschen
trifft. Sie schießen nicht nur meilenweit am Ziel vorbei;
Sie schießen in eine komplett falsche Richtung. Das ist
Ihnen aber egal, solange man sagen kann, man habe
irgendetwas getan. Wir werden den Antrag daher ab-
lehnen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721141000

Mit ihrem Antrag wollen die Grünen Steuerumge-

hung von international agierenden Unternehmen ein-
dämmen. Deshalb sollen diese verpflichtet werden, de-
taillierte länder- und projektbezogene Informationen
offenzulegen und in ihren Geschäftsberichten und Jah-
resabschlüssen aufzuschlüsseln. Das betrifft zum Bei-
spiel steuerrelevante Daten wie Umsatz, Gewinne,
Verluste usw. Dies ist bisher nicht der Fall, da die in-
ternational vereinbarten Rechnungslegungsstandards,
IRFS, Konzerne nicht verpflichten, ihre Geschäftsbe-
richte und Jahresabschlüsse detailliert aufzuschlüs-
seln. Somit bleiben konzerninterne Zahlungsflüsse so-
wohl den Finanzbehörden als auch der Öffentlichkeit
verborgen. Dies lädt geradezu zur Steuergestaltung
ein, Steuergestaltung mit dem Ziel, Steuerzahlungen zu
minimieren – zulasten der anderen Unternehmen und
der Allgemeinheit.

Die Erweiterung der Offenlegungspflichten auf die
Landes- und Projektebene, das heißt, das sogenannte
Country-by-Country Reporting und das sogenannte
Project-by-Project Reporting begrüßen wir. Der Vor-
schlag ist richtig und wichtig, und er sollte alle Bran-
chen einbeziehen, selbstredend auch Banken, Telekom-
munikation und Baugewerbe. Durch die Offenlegung
steuerrelevanter Daten, projekt- und länderbezogen,

ist eine bessere Vergleichbarkeit und eine effektivere
Kontrolle möglich. Das unterstützt die Linke.

Gleichzeitig möchte ich aber auch feststellen, dass
ich den im Antrag der Grünen versprühten Optimis-
mus, mit mehr Transparenz sei Steuerumgehung besei-
tigt, nicht ganz teilen kann. Mehr Offenlegungspflich-
ten sind richtig und wichtig, selbstverständlich für alle
Branchen. Aber sie sind eben nur ein Teil der Lösung,
wenn es um die Bekämpfung internationaler Steuer-
vermeidungsstrategien geht. Es braucht vor allem re-
gulatorisch ausgerichtete Maßnahmen, beispielsweise
die Einführung einer Anzeigepflicht für aggressive
Steuergestaltungsmodelle. Diese sollte alle Modelle
umfassen, die zu einer Nichtbesteuerung, einem Steu-
eraufschub oder einer Steueranrechnung bzw. Steuer-
erstattung führen.

Mehr Transparenz ist gut; jedoch stellen sich da
mitunter auch Probleme ein. Denn Handelsbilanz und
Steuerbilanz weichen immer mehr voneinander ab. In-
sofern führt mehr Transparenz bei der Handelsbilanz
nicht automatisch zu mehr Transparenz bei der Besteu-
erung. Deren Vergleichbarkeit wird durch unterschied-
liche Berechnungs- und Erfassungsgrundlagen sowie
Begrifflichkeiten mindestens erschwert, wenn nicht so-
gar oftmals unmöglich. Um dies zu beheben, ist eine
Vereinheitlichung bei den Bemessungsgrundlagen not-
wendig. Diese ist aber äußerst schwierig, wie an den
langjährigen ergebnislosen Verhandlungen zwischen
Deutschland und Frankreich zur Unternehmensteuer
gut zu sehen ist. Eine Vereinheitlichung im Sinne nied-
riger Steuersätze kann aber nicht das Ziel sein. Außer-
dem würde die Vereinheitlichung auch ein Einfallstor
für die grenzüberschreitende Verlustverrechnung dar-
stellen. So kann mehr Transparenz und Vereinheitli-
chung auch zu einer weiteren Verringerung der Be-
steuerung von transnationalen Konzernen führen. Das
ist definitiv nicht in unserem Sinne.

Kritisch stehen wir auch zur Forderung der Grünen
nach einer umfassenden Einführung von Offenle-
gungspflichten für die Rohstoffwirtschaft auf globaler
Ebene. Dies bedeutet einen Eingriff in die nationale
Souveränität der Rohstoffländer und stellt daher eine
gewisse Anmaßung dar. Eine Umsetzung von Offenle-
gungspflichten mag auf europäischer und OECD-
Ebene angemessen sein. Auf globaler Ebene fehlt es
aber an der notwendigen Gleichberechtigung der Roh-
stoffländer bei der Entscheidungsteilhabe.

Wir sehen, Transparenz ist einer von vielen Baustei-
nen zur Bekämpfung von organisierter Steuerumge-
hung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jedes Jahr entgehen den Mitgliedstaaten in der EU
1 000 Milliarden Euro an Steuereinnahmen durch Ge-
staltung und Betrug. Das sind unglaublich hohe Be-
träge, die den Staaten gerade in der aktuellen Schul-
denkrise schmerzlich fehlen. EU-Steuerkommissar
Semeta prangert dies an, und auch Bundesfinanz-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


minister Schäuble und der britische Schatzkanzler
George Osborne scheinen dieses Problem erkannt zu
haben. Beide haben gemeinsam erklärt, das Thema an-
zugehen. Auch in der gestrigen Finanzausschusssit-
zung herrschte in den Fraktionen Einigkeit über die
Pro-blemanalyse: Multinationalen Unternehmen wie
Starbucks, Apple oder Google gelingt es, ihre Steuer-
belastung auf ein paar Prozent zu drücken oder gleich
gar keine Steuern zu zahlen. Gewinne werden in
Steueroasen verschoben, dabei werden die Steuerlü-
cken verschiedener Länder auch in der EU ausgenutzt.
Seit Jahren kenne man das Problem, hieß es aus der
Unionsfraktion. Ich bin sehr erfreut, dass sich bis auf
die FDP, die zu diesem Punkt keine Aussagen getroffen
hat, alle in dieser Analyse einig sind. Man könnte also
erwarten, dass sich die Bundesregierung mit einigem
Enthusiasmus seit Jahren auf die Suche nach Instru-
menten begibt, die diese Steuergestaltung eindämmen.
Doch stelle ich leider fest: Das ist nicht der Fall – im
Gegenteil. Unser Antrag wurde im Finanzausschuss
von Schwarz-Gelb abgelehnt, unter anderem mit der
Begründung, man müsse erst einmal weitere Berichte
auf G-20-Ebene abwarten.

Fakt ist: Nur dann, wenn Fälle von massiver Steuer-
gestaltung zufällig bekannt werden – wie aktuell bei
Starbucks –, wird in hektisch einberufenen Pressekon-
ferenzen Empörung geäußert und „konsequentes Han-
deln“ angekündigt. Und dann? Dann passiert nichts!
Denn es kommen eben nur Einzelfälle ans Tageslicht;
eine allgemeine Übersicht fehlt. Die Steuerzahlungen
von Unternehmen sind nicht veröffentlichungspflich-
tig. Wir wissen daher in der Regel nicht, welche Kon-
zerne massiv Steuergestaltung betreiben und wie sie
dabei vorgehen. Wenn die Nationalstaaten Regelungen
beschließen, die die Steuergestaltung eindämmen sol-
len, werden flugs andere Steuergestaltungsmöglichkei-
ten ersonnen. Im Ergebnis müssen wir feststellen: Die
Nationalstaaten verlieren das Hase-und-Igel-Spiel mit
den multinationalen Konzernen, wenn es um die
Steuerzahlungen geht. Die Geschwindigkeit von Regu-
lierung und Ausweichreaktionen der Unternehmen
sind einfach zu unterschiedlich: Unternehmen können
rasch handeln und sind damit klar im Vorteil, die Na-
tionalstaaten dagegen müssen eine gemeinsame Posi-
tion in mühsamen Verhandlungen in der Zusammen-
arbeit in internationalen Organisationen, wie zum
Beispiel der OECD, erarbeiten und verabschieden.

Deshalb ist Transparenz doppelt wichtig: Zum einen
wird öffentlicher Druck auf Politik und Verwaltungen
ausgeübt, und zum zweiten werden auch multinatio-
nale Unternehmen unter einen gesellschaftlichen
Druck geraten, ihre Steuergestaltungen zumindest nicht
ausufern zu lassen. Wer will schon ein Produkt kaufen
bei einem Unternehmen, das sich vor einem angemes-
senen Beitrag zum Erhalt der Infrastruktur drückt?

Auf EU-Ebene befindet sich die Entscheidung, pro-
jektbezogene Offenlegungspflichten für den Rohstoff-
bereich im Zusammenhang mit der Änderung der
Transparenzrichtlinie und den Rechnungslegungs-

richtlinien einzuführen, in der abschließenden Phase.
Das Europäische Parlament setzt sich dabei stark für
die Ausweitung der Offenlegungspflichten auf weitere
Branchen ein. Dies unterstützen wir Grünen ausdrück-
lich. Leider hört man aus Brüssel, dass die Bundesre-
gierung bei diesen Verhandlungen zum Thema Trans-
parenz eher bremst und schon gar nicht die treibende
Kraft ist, wenn es um die Ausweitung der Offenle-
gungspflichten auf alle Branchen geht.

Ich möchte heute an die Bundesregierung, aber
auch an alle Fraktionen im Deutschen Bundestag ap-
pellieren, sich dafür einzusetzen, dass das Zeitfenster
genutzt wird, Country-by-Country Reporting ver-
pflichtend für alle Branchen in der EU einzuführen. So
entsteht öffentlicher Druck. So bekommen wir wichtige
Informationen, um weitere Instrumente gegen Steuer-
gestaltung einsetzen zu können. Nur so sind wir nicht
mehr abhängig von zufälligen Aufdeckungen von
ausbleibenden Steuerzahlungen wie aktuell im Fall
Starbucks. Es ist jetzt nicht die Zeit, weitere Berichte
abzuwarten, sondern zu handeln. Herr Schäuble, set-
zen Sie sich an die Speerspitze für Transparenz und ge-
gen Steuergestaltung. Bei den aktuellen Richtlinien-
verhandlungen auf EU-Ebene ist die Gelegenheit
dazu.

In Richtung der Wirtschaftsvertreter möchte ich
ebenfalls eine Botschaft loswerden: Auch für Sie ist
das Country-by-Country Reporting ein wichtiger Schritt
hin zu einem offenen, transparenten Unternehmen. So
können Sie zeigen, dass Sie durch Ihre Steuerzahlun-
gen einen Beitrag für die Infrastruktur leisten. Die ge-
forderten Informationen sind Standardinformationen,
die zur effektiven Steuerung der Konzernaktivitäten
konzernintern vorhanden sind. Die Offenlegung be-
deutet daher lediglich marginale Mehrkosten. Jeder
Mittelständler, der keine Möglichkeiten zu Steuerge-
staltung hat oder dies bewusst unterlässt, sollte ein In-
teresse an Transparenz haben. Denn an ihm bleibt
sonst am Ende die Steuerlast hängen und damit die Fi-
nanzierung von Straßen und Schulen.

Wir Grüne setzen uns für ein Country-by-Country
Reporting auf europäischer Ebene für alle Branchen
ein. Darunter verstehen wir neben den gezahlten Steu-
ern auf Gewinne auch Lizenzgebühren, Förderabga-
ben, ausgeschüttete Gewinne, Lohnsumme, Zahl der
Angestellten, Finanzierungskosten und Zahlungen an
die Regierung. Über Einzelheiten der Berichtspflicht
muss sicher geredet werden; aber es müssen schon
tragfähige Zahlen sein, die eine Bewertung der Unter-
nehmen zulassen. Natürlich ist es das mittelfristige
Ziel, diese Transparenz auf globaler Ebene herzustel-
len. Aber Europa sollte da die eigene Marktmacht als
größter Wirtschaftsraum der Welt nicht unterschätzen:
Es würde ein enormer Druck auf andere Länder ausge-
übt werden, in gleicher Weise zu informieren. Keiner
hindert Deutschland daran, eine Vorreiterrolle für
Transparenz einzunehmen. Wer de facto eine Führungs-
rolle in Europa spielt und – zu Recht! – auf seine wirt-
schaftliche Stärke stolz ist, der muss diese Führungs-
rolle auch dazu nutzen, Country-by-Country Reporting
auf europäischer und globaler Ebene durchzusetzen.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721141100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 17/11695, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf der Drucksache 17/11075 abzulehnen.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestim-
mungen

– Drucksachen 17/11294, 17/11354 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/11677 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Rief
Dr. Wilhelm Priesmeier
Rainer Erdel
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genom-
men.


Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1721141200

Ich freue mich, dass wir uns bei der Weiterentwick-

lung des Marktstrukturgesetzes innerhalb des Hauses
weitgehend einig sind. Auch von der Opposition gab es
im Ausschuss keine Gegenstimmen.

Mit dem Agrarmarktstrukturgesetz setzen wir EU-
Recht in deutsches Recht um. Das Marktstrukturge-
setz, das seit 1969 in Kraft ist und unter anderem den
Milchmarkt in Deutschland regelt, hat sich bewährt.
Das europäische Milchpaket, das nunmehr von der EU
mit Blick auf das Auslaufen der Milchquotenregelung
2015 beschlossen wurde, macht aber eine Anpassung
des Strukturgesetzes notwendig. Gleichfalls werden die
bisher 18 Durchführungsverordnungen zu nur noch ei-
ner verschlankt.

Neben den Erzeugergemeinschaften können jetzt
auch Branchenverbände anerkannt werden, die bisher
vom Marktstrukturgesetz nicht erfasst wurden.

Wir erhalten weiter die Möglichkeit zur Zulassung
von Doppelmitgliedschaften. Diese Freiheit müssen
wir den Erzeugergemeinschaften schon lassen, dass
sie selbst bestimmen, ob sie ihren Mitgliedern eine
weitere Mitgliedschaft ermöglichen. Dies wird auch
weiter dafür sorgen, dass die Chancen für die Milch-
erzeuger und die Gemeinschaften steigen.

Für die Erzeuger wird es keinen höheren bürokrati-
schen Aufwand geben. Durch die Zusammenführung
zu nur noch einer Durchführungsverordnung ist eben-
falls mehr Übersichtlichkeit gewonnen. Die wettbe-

werbsrechtliche Klarstellung der Tätigkeitsbereiche
von Erzeugerorganisationen und deren Vereinigungen
ist zu begrüßen. In Zukunft gibt es klare Regelungen
für Preisberichterstattung und Preisfeststellung. Da-
mit ist in dem in Bewegung befindlichen Milchmarkt
mehr Transparenz möglich. Dies hilft, den Wettbewerb
zu verbessern. Die Sektoruntersuchung Milch hat ge-
zeigt, dass kartellrechtliche Fragen nicht ausgeblendet
werden dürfen.

Wir verbessern durch das Agrarmarktstrukturgesetz
die Chancen für Erzeuger und Verarbeiter, sich am
Markt zu positionieren. Stärkere Bündelung ermög-
licht auch eine bessere Verhandlungsposition gegen-
über dem Handel. Dadurch erreichen wir ein höheres
Marktgleichgewicht und auch eine bessere Positionie-
rung der Erzeuger in der Wertschöpfungskette. Dass
dies notwendig ist, das sieht jeder, der mit offenen Au-
gen durchs Land fährt.

International gibt es immer größere Nachfrage
nach Milch und hochveredelten Produkten wie Käse.
Die diesjährige Trockenheit in den USA führte zu ho-
hen Schlachtzahlen bei Milchvieh. Weniger Kühe heißt
weniger Milch, und das merken wir auf dem Weltmarkt
durch steigende Preise. Wir müssen hier unseren Land-
wirten eine weitere Teilnahme ermöglichen. Auch
wenn in Europa die Milchquote derzeit um 4,3 Prozent
unterliefert wird und der Preis der Milchquote stark
rückläufig ist, bieten wir den deutschen Erzeugern
nach dem Ende der Milchquotenregelung 2015 neue
Möglichkeiten, die durch Zusammenschluss noch bes-
ser ausgenutzt werden können. Das gilt auch für die
anderen stark nachfragenden Regionen wie Asien,
Afrika und Indien. Wenn in China ein Liter Verkaufs-
milch teurer ist als in Deutschland, ergibt sich hier
Potenzial. Wir unterstützen die Milchbauern dabei, die
sich öffnenden Märkte besser zu nutzen.

Insgesamt treiben wir so die Weiterentwicklung vom
ehemals staatlich reglementierten Milchpreis über die
Milchquotenregelung zum Milchpaket voran.

Das neue Agrarmarktstrukturgesetz setzt konse-
quent die Regelungen des EU-Milchpakets um und
stärkt die Position von Erzeugern und Erzeugerge-
meinschaften. Es macht erstmals die Zulassung von
Branchenverbänden möglich und stärkt die Transpa-
renz auf dem Milchmarkt. Wir erhalten die Möglichkeit
von Doppelmitgliedschaften und sichern damit den Zu-
gang zu internationalen Märkten.

Die neuen Möglichkeiten müssen Bauern, Molke-
reien und der Handel nun aber auch nutzen, um die
Wertschöpfung für Milchprodukte und damit die Ein-
kommen der hiesigen Bauern und aller Marktbeteilig-
ten abzusichern.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721141300

Heute beraten wir in zweiter und dritter Lesung den

Gesetzentwurf zur Änderung agrarmarktrechtlicher
Bestimmungen. Mit diesem geplanten Gesetz wollen
Sie zukünftig die staatliche Anerkennung für Agrar-





Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)


marktorganisationen und deren Freistellung vom
Kartellrecht regeln. Damit setzen Sie endlich die
agrarmarktrechtlichen Regelungen des europäischen
Milchpakets in Deutschland um. Nicht zuletzt soll die-
ses Gesetz die Marktstellung der Milchviehhalter ver-
bessern – oder zumindest die Voraussetzungen dafür
schaffen. Sicherlich bildet dieses Gesetz eine gute
Grundlage für dieses Ziel. Wir dürfen aber nicht ver-
gessen, dass ein Gesetz allein nicht dazu beitragen
wird, dass die Milchviehhalter eine bessere Marktstel-
lung erhalten.

Die Angebotsmenge muss zukünftig stärker gebün-
delt werden. Damit lässt sich Marktmacht aufbauen,
um in den Preisverhandlungen entscheidenden Druck
zu erzeugen, damit die Milchviehhalter am Ende bes-
sere Preise erhalten. Dafür müssen die Erzeuger gut
organisiert sein. Sie müssen einen hohen Marktanteil
an der gesamten Milchmenge verhandeln dürfen. Be-
reits in der ersten Lesung bin ich auf die Kritik bezüg-
lich der nun festgelegten Obergrenze der Bündelungs-
menge eingegangen.

Ich weise nochmals darauf hin, dass gemäß dem
EU-Milchpaket die anerkannten Erzeugerorganisatio-
nen Verträge über die Lieferung von Rohmilch aushan-
deln dürfen, sofern die verhandelte Milchmenge unter-
halb von 3,5 Prozent der EU-Milcherzeugung liegt
und weniger als 33 Prozent der erzeugten Milchmenge
des Mitgliedstaates ausmachen. Zum jetzigen Zeit-
punkt sehe ich jedoch nicht, welche Nachteile dies den
deutschen Milchviehhaltern bringt. Noch lange nicht
haben wir die maximal zulässige Menge erreicht.
Selbstverständlich unterstütze ich alle Maßnahmen,
damit der Bündelungsgrad weiter steigt. Darüber hi-
naus erwarten wir ja Fortschrittsberichte in den Jah-
ren 2014 und 2018 für das bis zum Jahr 2020 laufende
EU-Milchpaket. Nach diesen Fortschrittsberichten
können wir gerne darüber sprechen, ob wir die erfor-
derlichen Anpassungen der Obergrenze der Bünde-
lungsmenge vornehmen.

Bis dahin aber haben Wirtschaftsbeteiligte und
Politik erst einmal ihre Hausaufgaben zu machen. Da-
für ist jetzt viel Engagement der Rechtsbetroffenen und
zum Beispiel auch die finanzielle Unterstützung des
Staates erforderlich. Deshalb begrüße ich, dass auch
in Zukunft die Bildung und der Betrieb von Erzeuger-
organisationen national über die Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ unterstützt wird.

In den letzten Jahren haben wir Sozialdemokraten
immer wieder mit eigenen Anträgen gefordert, dass die
Haushaltsansätze für die Unterstützung von Erzeuger-
gemeinschaften erhöht werden. Die Koalition hat diese
Anträge regelmäßig abgeschmettert. Am Ende können
sich die deutschen Michviehhalter bei dieser Bundes-
regierung bedanken; denn sie tut nichts dafür, dass das
Machtgefälle zwischen Milcherzeugern und Milchab-
nehmern endlich deutlich besser ausbalanciert wird.

Ohne starke Erzeugergemeinschaften werden die
Milcherzeuger auch keine auskömmlichen Marktbe-
dingungen gegenüber den privaten Molkereien durch-
setzen. Statt regelmäßig anständige Preisverhandlun-
gen in ihren Einzugsgebieten zu führen, schielen die
Privaten heute nur auf die Auszahlungspreise der ge-
nossenschaftlichen Molkereien, um sich ihnen anzu-
gleichen. Das hat mit Marktverhalten recht wenig zu
tun, und das muss sich in Zukunft ändern. Eine aktuelle
Studie des Instituts für Genossenschaftswesen der Ber-
liner Humboldt-Universität zeigt, dass die europäi-
schen Milcherzeuger im Durchschnitt ganz gut mit ih-
ren Milchgenossenschaften fahren. Sie legt dar, dass
genau dort hohe Auszahlungspreise gezahlt werden,
wo der Marktanteil aller genossenschaftlich organi-
sierten Molkereien am höchsten ist. Das macht Mut
und gibt Ansporn, sich in diesem Bereich stärker zu en-
gagieren.

Der heute vorliegende Gesetzentwurf hat leider das
Manko, dass die Durchführungsbestimmungen fehlen,
die am Ende darüber entscheiden, wie diese Rahmen-
bedingungen genau ausgestaltet sind. Daher wird sich
die SPD enthalten.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1721141400

Anfang dieser Woche haben mehrere Tausend

Milcherzeuger vor dem Europäischen Parlament in
Brüssel für höhere Milchpreise protestiert. An diesem
Ziel gibt es grundsätzlich nichts auszusetzen. Es ist be-
dauerlich und für die betroffenen Milcherzeuger teil-
weise existenzgefährdend, dass sie für ihr Qualitäts-
produkt Milch kaum kostendeckende Preise erzielen
können. Trotz gestiegener Produktionskosten ist es vie-
len Erzeugern und Molkereien nur bedingt gelungen,
angemessene Verbraucherpreise und Erlöse durchzu-
setzen. In der Definition des Problems herrscht weitge-
hende Einigkeit; die Diskussion entzündet sich jetzt
vielmehr an der Frage, mit welchen Instrumenten ein
Ausweg gefunden werden kann.

Nach langen Verhandlungen, Expertenrunden und
Fachdiskussionen haben das Europäische Parlament,
der Ministerrat und die Kommission im März das
Milchpaket – Verordnung EU/261/2012 – beschlossen.
Grundgedanke dieses Pakets war, dass einzelne Milch-
erzeuger gegenüber den Molkereien und letztlich dem
Handel keine ausreichende Marktmacht besitzen. Sie
sind daher nicht in der Lage, ihre eigenen Interessen,
wie in einem funktionierenden Markt unabdingbar, ge-
genüber den Vertragspartnern durchzusetzen. Diese
Verordnung ist ein wichtiger Schritt hin zu einem
markt- und wettbewerbsorientierten Milchsektor.

Die FDP setzt sich dafür ein, dass unsere Landwirte
ihr Einkommen am Markt erwirtschaften können. Da-
für benötigen sie eine gute Ausgangsbasis. Dazu zählt
insbesondere, die Einkommensseite zu stärken. Nach
unserer Ansicht sind Mengensteuerung und staatliche
Interventionen nicht geeignet, den Erzeugern langfris-
tig ausreichende Erlöse zu sichern. Die Milcherzeuger
und Molkereien können am internationalisierten Markt

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)


für Milch und Milchprodukte auf Dauer nur bestehen,
wenn sie hochwertige Produkte entwickeln, für die
eine Nachfrage existiert. Milcherzeuger müssen eben-
so wie Molkereien die neuen Möglichkeiten nutzen, die
Wertschöpfung aus einem Liter Milch zu erhöhen. Dies
geht nur über hochwertige und innovative Produkte,
die beim Verbraucher im In- und Ausland gefragt sind.
Unsere Nachbarn Italien und Frankreich zeigen uns,
dass mit bekannten Spezialitäten und einer guten Mar-
ketingstrategie eine höhere Wertschöpfung möglich ist.
Dann können auch höhere, befriedigende Milchpreise
gezahlt werden.

Das Milchpaket ermöglicht es Milcherzeugern erst-
mals, ihre Verhandlungsmacht zu stärken. Sie können
sich zu Erzeugerorganisationen und Branchenverbän-
den zusammenschließen und ihr Milchangebot bün-
deln. Sie können für ihre Mitglieder Verträge aushan-
deln und erhalten eine stärkere Stellung in der Wert-
schöpfungskette Milch. Das bringt sie ihrem Ziel nä-
her, über die Vermarktung ihrer Rohmilch mit den Mol-
kereien auf Augenhöhe zu verhandeln. Positiv sehen
wir auch die Möglichkeiten, sich zukünftig grenzüber-
schreitend zu Erzeugergemeinschaften zusammenzu-
finden.

Mit dem hier vorliegenden Gesetz zur Änderung
agrarmarktrechtlicher Bestimmungen werden die not-
wendigen Anpassungen für die Umsetzung des Milch-
pakets vorgenommen. Das bestehende Marktstruktur-
gesetz aus dem Jahr 1969 wird an den neuen Rechts-
rahmen angepasst, die national bewährten Regelun-
gen werden weiterentwickelt. Aus liberaler Sicht ist
dabei besonders die Rechtsvereinfachung sinnvoll,
welche das Zusammenfassen der bisher 18 Durchfüh-
rungsverordnungen in eine einzige bringt.

Durch das Milchpaket wird die Konzentration auf
Anbieterseite erleichtert und unterstützt. Dies ist sinn-
voll und richtig. Dennoch muss der Wettbewerb in aus-
reichendem Maße gesichert sein; Monopole müssen
ausgeschlossen bleiben. Kleine und mittlere Molkerei-
unternehmen sollen sich weiterhin am Markt behaup-
ten können. Deshalb gibt die EU-Verordnung vor, dass
die Angebotsbündelung nicht mehr als 33 Prozent des
nationalen und 3,5 Prozent des europäischen Marktes
umfassen darf. Dadurch, dass es keine generelle Ver-
tragspflicht gibt, bleibt die unternehmerische Ent-
scheidungsfreiheit des einzelnen Landwirtes gewähr-
leistet. Dies ist ein wichtiges Element für einen
funktionierenden Markt.

Weiter gehende Forderungen innerhalb der EU, re-
gulierend in den Markt einzugreifen, lehnt die FDP ab.
Hierzu gehört etwa das geforderte Verbot von Doppel-
mitgliedschaften in Erzeugerorganisationen für ein
und dasselbe Agrarerzeugnis. Erzeugergemeinschaf-
ten geben sich Satzungen, in denen auch die soge-
nannte Andienungspflicht geregelt wird. Sie dient
dazu, dass eine Erzeugergemeinschaft von einem
Landwirt eine möglichst große Menge des erzeugten
Produktes erhält, um diese dann gebündelt vermarkten
zu können. In fast allen derzeit bestehenden Erzeuger-

gemeinschaften beträgt diese Andienungspflicht 100 Pro-
zent des Agrarerzeugnisses. Es gibt aber bereits Aus-
nahmen für geringfügigen „Ab-Hof-Verkauf“. Ein
Landwirt kann aufgrund seiner Zustimmung zur Sat-
zung der Erzeugergemeinschaft nicht ein und dasselbe
Produkt an mehrere Erzeugergemeinschaften liefern.

Die Andienungspflicht sollte jedoch zukünftig in den
Satzungen der Erzeugergemeinschaften flexibler ge-
staltet werden können. Ein Verbot von vornherein lässt
später keine neuen Organisationsformen und keine
Flexibilität der Landwirte zu. Der Markt kann dies
selbst und ohne Vorgaben vom Gesetzgeber regeln.
Auch die Festlegung von Mindestmengen, Mindest-
marktwerten und Mindestanbauflächen sehen wir Li-
berale kritisch. Erzeugergemeinschaften brauchen
eine bestimmte Größe, um sich auf dem Markt etablie-
ren zu können; aber sie sind selbst dafür verantwort-
lich, tragende Strukturen aufzubauen. Hier ist ein wei-
terer Einsatz auf europäischer Ebene notwendig.

Das neue Agrarmarktstrukturgesetz schafft die Vo-
raussetzungen dafür, den Landwirt in seiner Position
als Erzeuger zu stärken. Es verbessert seine Verhand-
lungsmacht gegenüber der Verarbeitungsebene und
dem Handel. Wichtig ist, dass die Landwirte diese
Chance nutzen. Statt nach staatlichem Dirigismus und
Interventionen zu rufen, müssen sie sich zu schlagkräf-
tigen Gemeinschaften verbinden und gemeinsam an
hochwertigen und beim Verbraucher gefragten Pro-
dukten arbeiten. Sie können auch besser Möglichkei-
ten nutzen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern
ihre Leistungen und Produkte nahezubringen. Wir
schaffen einen Rechtsrahmen, um es den unternehme-
rischen Landwirten zu ermöglichen, am Markt erfolg-
reich sein.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721141500

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zu den agrar-

marktrechtlichen Bestimmungen werden Regelungen
des europäischen Milchpakets umgesetzt, die die Bil-
dung von Erzeugerorganisation und Branchenverbän-
den erleichtern und damit die Marktposition der
Milchbäuerinnen und Milchbauern verbessern sollen.
Aber ob das mit den heute geschaffenen Rahmenbedin-
gungen gelingen kann, bleibt fraglich.

Die Milchquotenregelung wird 2015 beendet, die
Globalisierung des Milchmarktes intensiviert sich, und
im Molkereisektor sowie dem Lebensmitteleinzelhan-
del schreitet die Konzentration zu immer weniger im-
mer größeren Unternehmen voran. Es ist deshalb
kaum zu erwarten, dass sich die Stellung des bislang
schwächsten Glieds in der Kette, den milcherzeugen-
den Betrieben, unter diesen Bedingungen wirklich ver-
bessern lässt.

Der Milchmarkt wird globaler, unübersichtlicher
und unkalkulierbarer. Länder wie Neuseeland, Kanada
oder Australien wollen ihre Milcherzeugung auswei-
ten, um zum Beispiel wachsende chinesische Importe
bedienen zu können. Gleichzeitig versuchen aber ge-
rade auch Länder wie China, massiv ihre eigene Er-

Zu Protokoll gegebene Reden





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)


zeugung zu steigern. Dazu kommen unkalkulierbare
Entwicklungen bei den Rohstoffpreisen oder Wechsel-
kursen, die das Exportgeschäft und damit die stark ex-
portorientierte Molkereiwirtschaft stören können. Die
Exportorientierung bedeutet kein automatisches
„Wachstumsmodell“, das allen zugutekommt und der
Stabilisierung der Milcherzeugerpreise dient.

Im Gegenteil, es funktioniert ausschließlich nach
dem kapitalistischen Wettbewerbsmodell, das heißt,
wer im Milchmarkt mit den geringsten Kosten produ-
zieren kann, holt sich Marktanteile im Weltmarkt.

Ökologische oder soziale Kriterien der Erzeugung
spielen dabei keine Rolle. Und genau hier liegt das
Problem in der Orientierung auf den Export. Solange
es keine reelle Chance gibt, einen Welthandel zu orga-
nisieren, der neben fairen Handelsbeziehungen ökolo-
gische und soziale Mindeststandards in der Erzeugung
sichert, ist die Außenorientierung das völlig falsche
Modell, um strukturellen Überschüssen in der Milcher-
zeugung zu begegnen.

Deswegen werden zur Lösung der andauernden
Milchkrise das europäische Milchpaket und die damit
verbundenen agrarmarktrechtlichen Regelungen nicht
ausreichen. Entscheidender Faktor ist, ob es künftig
wirksam möglich wird, auf die angebotene Milch-
menge Einfluss zu nehmen. Hier liegt ein wichtiger
Schlüssel zur Lösung des Milchmengenproblems, zu-
mindest solange die angebotene Milch in Deutschland
immer noch 125 Prozent des Verbrauchs ausmacht.

Die Angebotssteuerung kann nicht durch den einzel-
nen Milchviehbetrieb erfolgen, sonder funktioniert per
se nur durch Bündelung der Angebotsmenge und durch
eine möglichst effektive Organisation auf der Erzeu-
gerseite. Hierbei ist auch die Höhe des zulässigen
Marktanteils an der insgesamt produzierten Menge,
den eine Erzeugergemeinschaft auf sich vereinen darf,
von elementarer Bedeutung. Wenn es den Erzeugern
nicht gestattet wird, sich mindestens in einem gleich
hohen Grad wie die abnehmenden Molkereien zu orga-
nisieren, können sie keinen entscheidenden Druck bei
den Preisverhandlungen aufbauen. Eindrucksvoll be-
stätigt sich das durch eine aktuelle Studie des Instituts
für Genossenschaftswesen der Humboldt-Universität
zu Berlin. Die Studie konnte zeigen, dass, je größer in
einem Mitgliedsland der Europäischen Union der An-
teil an genossenschaftlichen Molkereien ist, desto
höher der Milchpreis für die Erzeuger ist. Wenn es also
gelingt, genossenschaftliche Organisation auch auf
die Produktion von Milch zu übertragen, wird ein
nachhaltig tragendes Konzept für den Milchmarkt ent-
stehen. Aber auch die Wünsche der Verbraucherinnen
und Verbraucher nach regionaler, umweltverträglicher
und tiergerechter Erzeugung müssen mit einbezogen
werden. Dann haben die Menschen in der europäi-
schen Milchwirtschaft auch eine Zukunftsperspektive,
zum Wohle aller.

Aber zurück zum Gesetzentwurf: In dem von der
Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf fehlen die

Durchführungsbestimmungen, und in diesen stecken
wesentliche Elemente für die Bestimmung der Rah-
menbedingungen. Daher ist eine realistische Beurtei-
lung des Gesetzentwurfs in der vorliegenden Fassung
unmöglich.

Die Linke wird sich deshalb enthalten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


3 000 Milchbauern haben diese Woche zwei Tage
lang in Brüssel für bessere Preise und für Nachbesse-
rungen am EU-Milchpaket demonstriert. Anders als
Frau Aigner bei ähnlichen Protesten in Deutschland
hat sich Agrarkommissar Ciolos dabei nicht lumpen
lassen und hat das direkte Gespräch mit den Milch-
bäuerinnen und Milchbauern gesucht – und das nicht
zum ersten Mal. Auch bei Anlässen in Deutschland,
etwa der Agrarministerkonferenz in Lübeck 2010, ist
der Kommissar auf die Milcherzeuger auf der Straße
zugegangen, während Frau Aigner lieber im Hotel
blieb.

Auch politisch hat der Agrarkommissar den Bäue-
rinnen und Bauern weit mehr zu bieten als die deutsche
Ministerin. So hat Ciolos diese Woche in Brüssel die
Schwächen des EU-Milchpakets offen angesprochen
und Schritte zu dessen Weiterentwicklung angekündigt.
Auch der Bundesrat hat in seiner Gegenäußerung zu
dem heute vorliegenden Gesetz Nachbesserungen beim
EU-Milchpaket gefordert.

Die Bundesregierung jedoch erklärt lediglich: „Die
Bundesregierung weist darauf hin, dass das EU-
Milchpaket erst 2012 in Kraft getreten ist und auf
Unionsebene breiter Konsens besteht, den lange aus-
gehandelten Kompromiss nicht umgehend wieder in-
frage zu stellen.“ Nachdem Frau Aigner lausig und
ohne jedes Interesse an einer Verbesserung der Situa-
tion der Milcherzeuger das Milchpaket verhandelt hat,
weigert sie sich jetzt, die offensichtlichen Schwächen
des Pakets wenigstens nachträglich zu beheben. Wa-
rum tut Frau Aigner das? Oder besser gesagt: Warum
tut sie nichts? Weil der Bauernverband es ihr verord-
net hat. Denn während die Milchbauern bis nach Brüs-
sel fahren, um für bessere Preise zu demonstrieren,
fällt der Generalsekretär des Deutschen Bauernver-
bands ihnen in den Rücken, indem er zeitgleich erklärt,
man befinde sich nicht im Jammertal, am Milchmarkt
sei alles wunderbar.

Den Vielfachfunktionären des Deutschen Bauern-
verbands in den Reihen der CDU/CSU sei gesagt:
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Ihr
Bauernverband sich um die Milchbauern einen Dreck
schert, Herr Dr. Born hat ihn diese Woche wieder ein-
mal erbracht. Sie und Ihr DBV vertreten in dieser Aus-
einandersetzung eben nicht die Milchbäuerinnen und
Milchbauern, sondern die andere Seite: die Interessen
der Molkereien. So erklärt es sich auch, dass Sie mit
dem ersten Entwurf dieses Gesetzes den Bauern Dop-
pelmitgliedschaften in Erzeugergemeinschaften und
Genossenschaftsmolkereien verbieten wollten. Damit

Zu Protokoll gegebene Reden





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)


wollten Sie nichts anderes als eine weitere Schwä-
chung der Milcherzeuger zugunsten der Molkerei-
industrie erreichen. – Zum Glück ist die Sache öffent-
lich geworden, und zum Glück gibt es im Bundesrat
offenbar weniger Lobbyisten des Bauernverbands als
in der Koalition.

Aber noch ist die Kuh nicht vom Eis; denn entschei-
dend ist nun die Ausformulierung der Rechtsverord-
nung. Der heute vorliegende Gesetzentwurf besagt ins-
gesamt ziemlich wenig, und wir als Bundestag werden
damit genötigt, über ein Gesetz abzustimmen, dessen
Umsetzungsdetails wir nicht kennen, auf die es aber
ankommt. Wir werden uns daher enthalten. Wir werden
aber auch sehr genau verfolgen, was am Ende in der
Rechtsverordnung stehen wird. Denn die Milchbäue-
rinnen und Milchbauern brauchen keine zusätzlichen
Steine im Weg, sondern endlich Marktbedingungen,
die ihnen das Überleben ermöglichen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721141600

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-

nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/11677, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksachen 17/11294 und 17/11354 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei zahlreichen Enthaltungen ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung mit Mehrheit angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit dem gleichen
gerade schon vorgetragenen Abstimmungsergebnis ist
der Gesetzentwurf angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim),
Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Anerkennung und Wiedergutmachung des
Leids der „Trostfrauen“

– Drucksachen 17/8789, 17/10084 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Angelika Graf (Rosenheim)
Pascal Kober
Niema Movassat
Volker Beck (Köln)


Auch hierzu werden Reden zu Protokoll genommen.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1721141700

Wir sprechen heute über den Antrag der Fraktion

der SPD zur Anerkennung und Wiedergutmachung des

Leids der „Trostfrauen“. Dabei sollten wir uns zu-
nächst noch einmal verdeutlichen, worum es in dieser
Diskussion geht: Der Begriff „Trostfrauen“ stellt eine
verharmlosende Bezeichnung für eine brutale Form
der Zwangsprostitution dar. Im Zweiten Weltkrieg wur-
den Hunderttausende Frauen und Mädchen von den ja-
panischen Streitkräften zur Prostitution gezwungen.
Der japanische Kaiser ließ damals für seine Soldaten
„Troststationen“ – nichts anderes als Militärbordelle –
einrichten. Damit begann für viele asiatische Frauen
ein Martyrium. Das Leid, das den „Trostfrauen“ wi-
derfahren ist, ist unermesslich. Hier war die Zwangs-
prostitution staatlich angeordnet und institutionali-
siert.

Der Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf,
die Vereinten Nationen in ihren Bemühungen zur um-
fassenden Umsetzung der Resolutionen 1325, 1820,
1888 und 1889 zu unterstützen. Japan soll zur Aner-
kennung der von seinem Militär während des Zweiten
Weltkrieges an den „Trostfrauen“ verübten Menschen-
rechtsverletzungen als Kriegsverbrechen bewegt wer-
den und sich bei den Überlebenden entschuldigen.
Dazu gehört auch die Aufarbeitung der Geschehnisse.
Die VN-Sonderberichterstatterin für sexuelle Gewalt
gegen Frauen bedarf dabei der besonderen Unterstüt-
zung.

Historiker schätzen die Zahl der Opfer auf 200 000
bis 300 000. Die meisten Opfer stammen aus Korea
und China, wo die japanischen Streitkräfte besonders
wüteten. Die Opfer stammen weiterhin aus den ande-
ren im Zweiten Weltkrieg von Japan besetzten Gebie-
ten wie Indonesien, Malaysia, den Philippinen und
Taiwan, aber auch aus den Niederlanden, Australien
und Japan. Viele von ihnen berichteten, wie sie durch
irreführende Arbeitsverträge in die Bordelle gelockt
wurden. Andere wiederum wurden verschleppt oder
entführt.

Bei den Kriegsverbrecherprozessen wurde die
Zwangsprostitution nicht thematisiert. Lange Zeit war
das Verbrechen tabu; erst in den 1980er-Jahren bra-
chen Betroffene ihr Schweigen. Schätzungen zufolge
überlebten nur etwa 30 Prozent der verschleppten
Mädchen und Frauen den Krieg. Die allermeisten von
ihnen schämten sich, hatten Schuldgefühle und erzähl-
ten nicht einmal den engsten Familienangehörigen von
ihren schrecklichen Erfahrungen. Es herrscht in Japan
heute immer noch kein Konsens über Kriegsverbre-
chen und Schuld. Eine öffentliche Diskussion begann
in den 1970er-Jahren. 1990 wurden die Geschehnisse
erstmals im japanischen Parlament behandelt und
1993 von der japanischen Regierung offiziell aner-
kannt. Historiker hatten ein Jahr zuvor in Militärdoku-
menten Beweise dafür gefunden, dass die japanische
Armee an der Zwangsrekrutierung der Frauen für die
Kriegsbordelle beteiligt war. Die japanische Regie-
rung hat sich seitdem mehrfach für die Verwicklung
der Armee in diese Taten entschuldigt. In einem weite-
ren Bericht im August 1993 räumte sie ebenfalls Ver-
flechtungen der japanischen Streitkräfte in dieses Netz





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


ein. Die Beweise drängten die Regierung auch dazu,
dieses Kapitel der Kriegsgeschichte 1994 in die Schul-
bücher aufzunehmen. Allerdings hat in den vergange-
nen Jahren eine Gruppe von Politikern erfolgreich
darum gekämpft, alle Hinweise auf das Verbrechen
wieder aus den Büchern zu entfernen.

1996 gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass
die Handlungen der japanischen Armee in den besetz-
ten Gebieten in den 1930er- und 1940er-Jahren als
Kriegsverbrechen zu bewerten seien. Im Februar 1997
veröffentlichte der VN-Sonderberichterstatter zur Ge-
walt gegen Frauen einen Bericht, in dem er die japani-
sche Regierung auf ihre Verantwortung gegenüber den
damaligen Zwangsprostituierten hinwies. Die Regie-
rung in Tokio wurde aufgefordert, die moralische und
rechtliche Verantwortung für die an den Frauen verüb-
ten Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, sich
bei ihnen offiziell zu entschuldigen, sie finanziell zu
entschädigen und diejenigen vor Gericht zu stellen, die
Frauen zwangsrekrutiert und misshandelt hatten.

Das Leid dieser Frauen ist kaum zu beschreiben.
Viele starben an den Folgen von Krankheit, Folter und
Hunger oder durch Erschöpfung. Diejenigen, die diese
Hölle der Zwangsbordelle überlebt haben, überstan-
den häufig ein Weiterleben nicht: Sie fühlten sich vol-
ler Scham und Schande und nahmen sich selbst das
Leben. Die Angehörigen der Toten und insbesondere
die Überlebenden brauchen unser Mitgefühl. Die
Menschenrechtsverletzungen an den „Trostfrauen“
sind allerdings mit Entschädigungszahlungen alleine
in keiner Weise zu heilen. Die Aufarbeitung, die in Ja-
pan inzwischen begonnen hat, muss ohne auswärtigen
Druck innerhalb der japanischen Gesellschaft erfol-
gen.

Auf internationaler Ebene wurde sexuelle Gewalt
gegen Frauen im Krieg immer wieder behandelt. Bei
der VN-Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien und
der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurde das
Thema aufgegriffen. Erst seit Juni 2008 ist allerdings
die Vergewaltigung in militärischen Konflikten von
den Vereinten Nationen offiziell als Kriegsverbrechen
eingestuft. Doch nur selten gibt es über den massen-
haften Missbrauch genaue Informationen. Systemati-
sche Vergewaltigung von Frauen in bewaffneten Kon-
flikten ist ein Verbrechen, das in dieser Form auch
heute noch hochaktuell ist; sprechen wir nur das Bei-
spiel Ostkongo an.

Weltweit wurde und wird noch das Mittel der Verge-
waltigung als Kriegsmittel eingesetzt. Sexuelle Gewalt
gegen Frauen nahm in den Kriegen des 20. Jahrhun-
derts erschreckende Ausmaße an. Dabei sollten wir
nicht nur nach Asien schauen: Während des Zweiten
Weltkrieges und unmittelbar danach wurden unzählige
Frauen und Mädchen in Europa Opfer von systemati-
schen Vergewaltigungen. In den 1990er-Jahren muss-
ten wir auf dem Balkan fassungslos beobachten, dass
diese Pest der Kriegsführung immer noch vorhanden
ist. Afrika ist heute ein negatives Beispiel dafür, was

sich auf diesem Felde abspielt. Damit trifft man die
Menschen, aber auch die Seele eines jeden Volkes.

Angesichts dieser Tatsachen verwundert es schon,
dass sich der Antrag der SPD nur mit Japan beschäf-
tigt. Bisher hat man sich, vor allem wenn es um Verge-
waltigung und Massenvergewaltigung von Frauen
gehandelt hat, mit Afrika befasst. In dortigen bewaff-
neten Konflikten ist dieses Thema sehr aktuell. Es geht
hierbei um ein generelles Thema und nicht um eine
spezifisch japanische Angelegenheit. Mahnungen al-
lein an Japan sind fragwürdig, solange man die Augen
davor verschließt, in welchen unvorstellbaren Dimen-
sionen auf unserem europäischen Kontinent Massen-
vergewaltigungen als Mittel der Politik und der
Kriegsführung im 20. Jahrhundert eingesetzt worden
sind. Nichts davon ist aufgearbeitet.

Gegenwärtig werden wir auch mitten in Europa mit
solchen Problemen konfrontiert. Wir sollten uns da-
rüber klarwerden, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen
nicht nur in Konflikten an der Peripherie Europas und
in benachbarten Kontinenten anzutreffen ist. Ganz be-
sonders nach dem Beginn des jugoslawischen Bürger-
kriegs und dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang
der 1990er-Jahre entbrannte in Europa der organi-
sierte Menschenhandel. In der EU werden jedes Jahr
schätzungsweise 200 000 Zwangsprostituierte durch
Menschenhändler an Zuhälter verkauft. Rechtsstaatli-
che Maßnahmen dagegen verschwimmen meist im
Dschungel aus Bürokratie, Korruption und Angst auf
der Opferseite. Weitere Probleme für die Strafverfol-
gungsbehörden sind der hohe Organisationsgrad und
die Professionalität der Täter. Die Vereinten Nationen
schätzen die Zahl der weiblichen Zwangsprostituierten
in Europa auf 500 000. Der Sklavenhandel soll dabei
einen Umsatz von 10 Milliarden US-Dollar gemacht
haben.

Zu fragen ist daher, weswegen der Antrag nur die
Verbrechen an den „Trostfrauen“ aufgreift und ak-
tuelle wie auch historische Entwicklungen in anderen
Ländern außer Acht lässt. Die Beschränkung des An-
trages auf ein konkretes historisches Verbrechen rela-
tiviert das Leid der anderen Opfer. Das kann nicht in
unserem Sinne sein.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig hilfreich, Ja-
pan von außen zu einer Veränderung seiner offiziellen
Regierungsposition bewegen zu wollen. Gerade wir
Deutschen haben doch gezeigt, dass eine ernstge-
meinte Aussöhnungs- und Aufarbeitungskultur im ei-
genen Land stärker zur Vergangenheitsbewältigung
und zur Verständigung mit den Nachbarstaaten führt
als Mahnungen aus dem Ausland.

Die Forderungen des vorliegenden Antrags sind in
der Sache nicht hilfreich und sind daher abzulehnen.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1721141800

Vergangenen Sonntag, am 25. November, haben wir

den Internationalen Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“
begangen. Dieser jährliche Gedenk- und Aktionstag

Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Graf (Rosenheim)



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soll auf Diskriminierung und Gewalt jeder Form ge-
genüber Frauen aufmerksam machen. Er soll uns da-
ran erinnern, dass Gewalt an Frauen viele Gesichter
hat und dass Gewalt vor Grenzen keinen Halt macht.
Jede dritte Frau wird einmal in ihrem Leben geschla-
gen, vergewaltigt oder anderweitig missbraucht, so die
erschreckende Erkenntnis einer Studie der UN.

Wir müssen jedoch darauf achten, dass Frauen
nicht nur in die Opferrolle gedrängt werden: Ihr Ge-
staltungspotenzial in Friedensprozessen ist wichtig,
und sie sind häufig Garanten für nachhaltige positive
Entwicklungsprozesse. Darauf weist die UN-Resolu-
tion 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ zu Recht
hin. Deshalb ist es Aufgabe unserer Menschenrechts-
politik, Frauen weltweit in ihren Rechten zu stärken,
ihnen dadurch mehr Selbstwertgefühl zu geben und sie
für die Auseinandersetzungen um ihre Stellung in der
Gesellschaft fit zu machen. Unser Engagement soll
dazu beitragen, dass mit mehr Bildung und eigenstän-
diger Verantwortung auch das Selbstbewusstsein der
Frauen steigt. Genauso ist es unsere Aufgabe, Frauen
aktiv zu ihrem Recht zu verhelfen. Das bedeutet, auf
Frauenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und
Frauen in ihren Forderungen nach Anerkennung und
Wiedergutmachung zu unterstützen. Denn nichts un-
tergräbt den Selbstbehauptungswillen und das Selbst-
vertrauen der Frauen, die Opfer geworden sind, so wie
die Straflosigkeit und Nichtanerkennung ihres Leides.

Um genau solche Frauen geht es in unserem An-
trag. „Trostfrauen“ nannten die Japaner die Zwangs-
prostituierten, die von japanischen Soldaten und Ge-
schäftsleuten zwischen 1937 und 1945 in der Zeit an
der Front im asiatisch-pazifischen Krieg missbraucht
wurden. Geschätzt 200 000 Frauen und junge Mäd-
chen, unter ihnen viele Kinder, aus Korea, China und
anderen Ländern wurden in Bordelle verschleppt. Da-
mit die Soldaten nicht wahllos Frauen aus den Dörfern
vergewaltigten, richtete das japanische Militär Tau-
sende solcher „Troststationen“ in seinen besetzten Ge-
bieten ein. Sie sollten den Kampfgeist der japanischen
Soldaten steigern. Doch eigentlich war es sexuelle
Sklaverei. „Trostfrauen“ – ein schönes, friedliches
Wort für eine schrecklich grausame Sache.

Dass Frauen in Kriegen vergewaltigt werden, das
hat es schon immer gegeben. Doch hier wurde die
Zwangsprostitution – ähnlich wie die durch die SS an-
geordnete Zwangsprostitution in den Konzentrations-
lagern im Dritten Reich – staatlich bestimmt und
institutionalisiert. Eine Pervertierung der Kriegsver-
brechen! Übrigens wurde auch das Leid der KZ-
Zwangsprostituierten nach dem Krieg nie anerkannt.

Feldärzte untersuchten die „Trostfrauen“ regelmä-
ßig auf Geschlechtskrankheiten – alles zum „Schutz“
der Truppe. Für die „Trostfrauen“ war es Vergewalti-
gung. Nach der Niederlage wurden sie wie Kriegsge-
genstände in den Bordellen zurückgelassen. Nur jede
vierte „Trostfrau“ überlebte das Martyrium und den
Krieg.

Aus Scham vor der eigenen Familie, aus Scham vor
der Gesellschaft bewahrten sie ihr Geheimnis für viele
Jahre, teilweise bis in den Tod, für sich. Fast fünfzig
Jahre Einsamkeit! Heute sind noch etwa 100 von ihnen
am Leben. Und noch immer müssen sie um Anerken-
nung kämpfen. Mit diesem Antrag bieten wir die Mög-
lichkeit, den verbliebenen Frauen eine Stimme zu ver-
leihen und ihnen dazu zu verhelfen, ihre Würde
wiederzuerlangen.

1997 veröffentlichte der UN-Sonderberichterstatter
zur Gewalt gegen Frauen einen Bericht, in dem er
über 50 Jahre nach Kriegsende die japanische Regie-
rung auf ihre Verantwortung gegenüber den „Trost-
frauen“ hinwies. Japan wurde aufgefordert, die mora-
lische wie rechtliche Verantwortung für die an den
Frauen verübten Menschenrechtsverletzungen zu
übernehmen, sich bei ihnen zu entschuldigen, sie fi-
nanziell zu entschädigen und diejenigen vor Gericht zu
stellen, die diese Frauen zwangsrekrutiert und miss-
handelt hatten. Japans Regierung kritisierte den Be-
richt scharf und zeigte sich wenig einsichtig. Seit
20 Jahren kämpfen die Betroffenen nun schon um ihre
Würde – seit 20 Jahren protestieren die Frauen für ihre
Rehabilitierung. Über tausend Mal standen sie mittler-
weile vor der japanischen Botschaft in Seoul. Aber die
japanische Regierung vertritt die Meinung, dass mit
dem 1965 mit Südkorea abgeschlossenen Reparations-
abkommen sämtliche Ansprüche abgegolten seien. Von
der Zwangsprostitution ist in dem Vertrag allerdings
nirgends die Rede.

Viele der Frauen, die 1992 zum ersten Mal das
Schweigen brachen, sind inzwischen gestorben. Die
Überlebenden sind mittlerweile alle weit über 80 Jahre
alt. Doch bis heute weigert sich die japanische Regie-
rung, die Verantwortung offiziell zu übernehmen. Es
scheint, dass Japan auf eine „biologische Lösung“ des
„Problems“ setzt.

Daher fordern wir die Bundesregierung auf, auf Ja-
pan einzuwirken, sich offiziell bei den Opfern zu ent-
schuldigen und die Menschenrechtsverletzungen als
Kriegsverbrechen zuzugeben. Außerdem fordern wir
von der Bundesregierung, die Bemühungen der UN für
Geschlechtergerechtigkeit umfassend zu unterstützen
und auch auf diesem Wege den Frauen zu ihrem Recht
zu verhelfen.

Verehrte Frau Steinbach, Sie sprachen bei der ers-
ten Lesung gegen unseren Antrag. Sie fanden eine
Fokussierung auf Japan „unanständig“ und grenzwer-
tig, in anderen Ländern habe es im Zweiten Weltkrieg
auch Massenvergewaltigungen gegeben, und außerdem
müsse man die aktuelle Lage Japans nach der Erdbe-
benkatastrophe bedenken. Ich denke, eine schreckliche
Naturkatastrophe im Jahr 2011 kann keine Rechtferti-
gung für das Verschweigen von Kriegsverbrechen von
vor 70 Jahren sein. Ist es nicht genau Ziel eines Antra-
ges, zwar die ganze Welt im Blick zu haben, aber auch
das Augenmerk auf eine bestimmte Menschenrechts-
verletzung zu richten und diese detailliert zu betrach-
ten, auch um dem Individuum und seiner Geschichte

Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



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gerecht zu werden? Mit den von Ihnen vorgetragenen
Argumenten können Sie natürlich jeden Antrag ableh-
nen und lächerlich machen. Sicherlich kann man auch
auf andere Massenvergewaltigungen im Zweiten Welt-
krieg hinweisen. Unser Antrag macht den Anfang.
Wenn Sie einen Antrag zu den Massenvergewaltigun-
gen unter Stalins Roter Armee schreiben, können Sie
sich unserer Unterstützung sicher sein. Sie sollten da-
bei allerdings nicht vergessen, dass sich auch die fran-
zösische Armee bei Stuttgart und Pforzheim brutal an
Frauen vergangen hat und dass auch die deutsche
Wehrmacht etwa 500 Bordelle betrieben hat, in denen
Russinnen, Französinnen und Jüdinnen als Zwangs-
prostituierte arbeiten mussten. Ich empfehle Ihnen
sehr, die Publikationen der Historikerin Dr. Birgit
Beck-Heppner zu lesen.


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1721141900

Schätzungsweise 200 000 Mädchen und Frauen

wurden im Zweiten Weltkrieg in den von Japan besetz-
ten Gebieten zur Prostitution für die Armee gezwun-
gen, teils mit falschen Versprechungen angeworben,
größtenteils aber entführt und verschleppt. In den be-
setzten Gebieten entstand so eines der größten histo-
risch bekannten und systematisch aufgebauten Netz-
werke von Zwangsprostitution.

Das schreckliche Schicksal und Leid, das die
„Trostfrauen“ erleiden mussten, ist unermesslich und
unbestritten. Genauso wie die Schuldfrage. Viele von
denjenigen, die die Gefangenschaft und Zwangsprosti-
tution überlebt haben, starben später an den Folgen
oder nahmen sich selbst das Leben. Die Menschen-
rechtsverletzungen, die hier ausgeübt wurden, sind mit
Entschädigungszahlungen in keinster Weise wieder-
gutzumachen.

Leider wurde und wird weltweit auch heute noch
sexuelle Gewalt gegen Frauen als Kriegsmittel einge-
setzt. Damit werden die Opfer traumatisiert. Man trifft
nicht nur die Menschen selbst, sondern auch das Volk.

Dass Frauen in Kriegen vergewaltigt werden, hat es
leider zu allen Zeiten gegeben und gibt es heute noch.
In Japan fand jedoch noch eine besondere Form dieser
Kriegsverbrechen statt, indem die Zwangsprostitution
staatlich angeordnet und institutionalisiert war.

In Japan begann eine Diskussion über dieses Thema
in den 1970er-Jahren. In Südkorea meldeten sich ab
Ende der 1980er-Jahre erstmals ehemalige Zwangs-
prostituierte in der Öffentlichkeit zu Wort, und 1992
begannen sie, jeden Mittwoch vor der japanischen Bot-
schaft in Seoul zu protestieren.

1995 wurde der Asian Women’s Fund eingerichtet.
Die Regierung betonte jedoch, Zahlungen aus diesem
Fonds – 360 ehemalige Zwangsprostituierte erhielten
Geld – seien für „medizinische Unterstützung und So-
zialhilfe“, nicht als Entschädigung gedacht. Die Zah-
lung war allerdings nur von einer inoffiziellen schrift-
lichen Entschuldigung des Premierministers begleitet.

Viele Betroffene erwarten hingegen eine direkte
Entschuldigung und Entschädigung durch den Staat.
Die japanische Regierung vertritt jedoch den Stand-
punkt, dass das Problem mit den Friedensverträgen
nach dem Zweiten Weltkrieg gelöst worden sei. Die ja-
panische Regierung hat auch nicht die Absicht, erneut
Gespräche mit der Regierung in Seoul zu führen, und
hält sämtliche Ansprüche mit dem Reparationsabkom-
men von 1965 für abgegolten. Dies ist in dem Zusam-
menhang zu sehen, dass es in Japan starke Kräfte gibt,
die Japans Verantwortung für diese Verbrechen leug-
nen, wie überhaupt die Aufarbeitung des Zweiten Welt-
kriegs in Japan sich sehr von jener in der Bundesre-
publik Deutschland unterscheidet. Siehe auch die
Äußerung des japanischen Premierministers Abe im
Jahr 2007, der sagte: „Es gibt keinen Beweis dafür,
dass Zwang auf Frauen ausgeübt wurde, wie es zu-
nächst geheißen hatte.“ Eine Behauptung, die er aller-
dings nach Protesten aus den ehemaligen besetzten
Staaten Südostasiens zurücknahm.

Massenvergewaltigungen in Kriegsgebieten auf der
ganzen Welt sind noch nicht richtig aufgearbeitet. Al-
lein Mahnungen an Japan zu stellen, ist unzureichend,
weil damit alle anderen Länder, in denen genau das
Gleiche geschehen ist oder geschieht, ausgeklammert
werden. Die FDP-Fraktion lehnt den Antrag unter an-
derem auch deshalb ab, weil er sich allein auf Japan
beschränkt. Das Thema ist richtig und wichtig, aber es
sollte uns um das Leid aller Frauen und Mädchen ge-
hen.

Der Antrag ist nicht falsch, aber wir halten es für
schwierig, angesichts der Empfindlichkeit, mit der die
japanische Seite gerade auf dieses Thema reagiert,
Forderungen von außen zu erheben. Wie empfindlich
die japanische Regierung reagiert, zeigt ein Ereignis
vom Juli dieses Jahres. Eine koreanische Zeitung be-
richtete unter Berufung auf eine diplomatische Quelle
in Seoul, Außenministerin Hillary Clinton habe wäh-
rend eines Informationsgesprächs über die japanische
Besetzung Koreas einen Beamten ihres Ministeriums
korrigiert, als dieser bei der Behandlung des Problems
von „comfort women“ gesprochen hatte. Clinton be-
merkte, es sei eher zutreffend, von „enforced sex slaves“
zu sprechen. Auf diesen Zeitungsbericht hin drückte
die japanische Regierung ihre Bedenken aus; der Au-
ßenminister sagte, Japan werde das US-Außenministe-
rium um Klarstellung der Clinton zugeschriebenen Be-
merkung bitten.

Die Aufarbeitung muss in der japanischen Gesell-
schaft selbst erfolgen. Daher meine ich, dass leise
Töne hier mehr bewirken können, und halte es für den
besseren Weg im Umgang mit diesem Problem, in bila-
teralen Gesprächen auf die japanische Seite einzuwir-
ken. Es wäre ein Thema, das man in die deutsch-japa-
nische Parlamentariergruppe einbringen sollte.

Die FDP-Fraktion ist der Ansicht, dass der Antrag
gut gemeint ist, aber im Hinblick auf die oben genann-
ten japanischen Befindlichkeiten eher kontraproduktiv
wirken wird.

Daher lehnen wir den Antrag ab.

Zu Protokoll gegebene Reden






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Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721142000

Das skandalöse Verhalten der Mehrheit des japani-

schen Parlaments und der japanischen Regierung ge-
genüber dem Schicksal der zwangsprostituierten Mäd-
chen und jungen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg
massenhaft von Mitgliedern der japanischen Armee
vergewaltigt wurden, ist leider ein typisches Beispiel
dafür, wie Staaten mit Unrecht und Verbrechen der
Vergangenheit umgehen.

Die Fraktion Die Linke unterstützt den Antrag der
SPD und fordert die Bundesregierung auf, sich bei der
japanischen Regierung dafür einzusetzen, dass die
vom japanischen Militär an den „Trostfrauen“ verüb-
ten Massenvergewaltigungen als Kriegsverbrechen
und sexuelle Sklaverei eingestuft werden. Ausdrücklich
erwartet die Fraktion Die Linke, dass sich die Regie-
rung von Japan bei den Überlebenden und deren An-
gehörigen offiziell entschuldigt.

Das Verhalten der japanischen Regierung ist jedoch
leider kein Einzelfall. Die Diskussion über die Aner-
kennung des Völkermords an den Herero und Nama
durch die deutschen Schutztruppen und die berechtig-
ten Forderungen der Nachkommen der Ermordeten
nach einer Entschädigung werden von der deutschen
Bundesregierung seit vielen Jahrzehnten abgewiesen.
Und auch die Forderungen von italienischen und grie-
chischen Gemeinden nach Entschädigung für die sys-
tematische Ermordung ihrer Bevölkerung in der Zeit
des Faschismus werden von der Bundesregierung über
Jahre hinweg nicht akzeptiert und gerichtlich be-
kämpft. Deshalb sollte bei der Debatte um die „Trost-
frauen“ auch ein klarer Appell an die Bundesregie-
rung gerichtet werden: Deutschland muss sich
ebenfalls seiner kolonialen und faschistischen Vergan-
genheit stellen und Verantwortung für die Opfer und
ihre Nachfahren übernehmen.

Wir erwarten deshalb von der SPD auch ein klares
Bekenntnis dazu, dass sie die Zeit ihrer Regierungsver-
antwortung kritisch aufarbeitet und sich für eine
schnelle und unbürokratische Lösung für Opfer der
Verbrechen Deutschlands einsetzt.

Der Umgang der japanischen Armee mit den
Frauen, die damals zwangsprostituiert wurden, ist ein
Beispiel für die Entmenschlichung durch Kriege und
ihre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Für ein
möglichst „problemloses Funktionieren“ der Kriegs-
maschinerie wurden junge Frauen aus Korea, China,
Taiwan, Burma/Myanmar, Malaysia, Vietnam, den
Philippinen, Niederländisch-Indien, Portugiesisch-Ti-
mor und Indonesien zu Prostitution gezwungen. Offi-
zielle „Begründung“ dieser menschenverachtenden
sexuellen Ausbeutung der Frauen war, dass der
„Kampfgeist der japanischen Soldaten gesteigert, sie
vor Geschlechtskrankheiten geschützt und Massenver-
gewaltigungen von Soldaten an die übrigen Frauen
verhindert“ werden sollten. Dieses völkerrechtsverlet-
zende Unrecht wurde von den Militärs und den japani-
schen Nachfolgeregierungen viele Jahrzehnte geleug-
net und damit den Opfern zusätzliches Unrecht getan.

Heute geht man davon aus, dass alleine aus Korea
200 000 Mädchen und junge Frauen in die Zwangs-
prostitution entführt wurden. Durch sexuelle Ausbeu-
tung wurden die jungen Mädchen dafür missbraucht,
die Soldaten für die Kriegszwecke Japans einsatzbereit
zu halten. Ein Unrechtsbewusstsein bei den Militärs
und den späteren japanischen Regierungen gab es
nicht. Vielmehr wurde versucht, geschichtliche Tatsa-
chen zu verdrehen. Die bewusste Verbreitung von Lü-
gen über die betroffenen Frauen war ein Beispiel da-
für, diese Verbrechen zu vertuschen.

Die Zwangsprostitution war für die betroffenen
Frauen traumatisch. Keine von ihnen erhielt nach dem
Krieg Hilfe vom Täterstaat. Der japanische Staat ver-
weigerte über Jahrzehnte den Angehörigen der ver-
storbenen Frauen eine Entschuldigung oder gar eine
Entschädigung. Von den betroffenen Frauen haben nur
etwa 30 Prozent ihr Martyrium überlebt. Viele begin-
gen Selbstmord, viele wurden durch die Militärs er-
mordet und körperlich zerstört. Viele Frauen wurden,
wenn eine Geschlechtskrankheit bei ihnen festgestellt
wurde, einfach ermordet.

Nach dem Krieg wurden die betroffenen Frauen
stigmatisiert. Die Prostitution, in die sie gezwungen
wurden, war ein gesellschaftliches Tabuthema und
wurde als Schande für die betroffenen Frauen angese-
hen. So wurden die Frauen gezwungen, über ihre Miss-
handlungen zu schweigen, um in ihren Heimatländern
nicht stigmatisiert zu werden. Deshalb begingen viele
Frauen nach ihrer Befreiung Selbstmord, weil sie mit
dieser gesellschaftlichen Stigmatisierung oder der
„Schande“ nicht leben konnten.

Die Fraktion Die Linke möchte den mutigen
Frauen, die dieses Unrecht endlich angesprochen ha-
ben, danken, allen voran der Südkoreanerin Kim Hak
Soon, die mit ihrem mutigen Einsatz diese Ungerech-
tigkeit öffentlich gemacht hat. Durch sie wurde eine
gesellschaftliche Aufarbeitung dieses Völkerrechtsver-
brechens erst möglich.

Völlig inakzeptabel ist, dass bereits 14-mal im japa-
nischen Parlament ein Antrag zur Entschuldigung
und Entschädigung für die „Trostfrauen“ abgelehnt
wurde. Dank gilt den Fraktionen der Kommunistischen
Partei, der Demokratischen Partei, der Sozialdemo-
kratischen Partei und den beteiligten Parteilosen, die
im Jahr 2008 wieder einen solchen Antrag eingebracht
hatten, der von der Mehrheit abgelehnt wurde. Es ist
nicht akzeptabel, dass sich die japanische Regierung
weigert, Entschädigungen für die Opfer zu leisten, und
mit dem von der Wirtschaft finanzierten Asian Wo-
men’s Fund versucht, von der eigenen Verantwortung
abzulenken.

Auch die Vereinten Nationen haben bereits 1998
festgestellt, dass die Regierung von Japan völkerrecht-
lich zur Entschädigung der Opfer verpflichtet ist. Da-
bei drängt die Zeit, da die Frauen heute alle schon in
einem sehr hohen Alter sind.

Zu Protokoll gegebene Reden





Annette Groth


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Sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit Mili-
täreinsätzen wird nach wie vor häufig verschwiegen.
Hier muss die gesellschaftliche und politische Aufar-
beitung deutlich vorangebracht werden. Weltweit wer-
den die Opfer stigmatisiert, und noch immer fehlt es an
einer umfassenden Sanktionierung dieser Gewalt. Wir
fordern deshalb die Bundesregierung auf, die systema-
tische Massenvergewaltigung von Frauen durch Mili-
tärs mehr als bisher in den Fokus ihrer Menschen-
rechtsarbeit zu holen und sich für ein internationales
Schutz- und vor allem auch Sanktionsregime einzuset-
zen, das den Opfern hilft und die Täter endlich wirk-
sam bestrafen kann.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721142100

„Wir kämpfen weiter darum, jeden Tag zu überste-

hen, um unsere zertretene Ehre wiederzuerlangen. Das
kann nur durch die Öffnung aller Archive, durch eine
offizielle Entschuldigung und Entschädigung entste-
hen.“ Mit diesen Worten hatte sich Won-Ok Gil, eine
damals 83-jährige Koreanerin, im Februar 2010 an
die japanische Regierung gewandt. Won-Ok Gils Brief
an den japanischen Außenminister wurde damals von
den 86 noch lebenden koreanischen Frauen unter-
zeichnet. Sie teilten Frau Gils Schicksal, ihre Verlet-
zungen und Traumatisierungen, ihre Wut, ihre Miss-
achtung und das erlittene Unrecht. Sie alle waren
Sexsklavinnen in japanischen Bordellen im Zweiten
Weltkrieg – und wurden „Trostfrauen“ genannt.

Schon der Begriff „Trostfrauen“ ist eine infame
Verschleierung. Aber noch viel schlimmer ist, dass bis
heute vonseiten der japanischen Regierung das Rück-
grat fehlt, diese Verbrechen anzuerkennen und sich an-
gemessen dazu zu verhalten. Bis heute dauern Igno-
ranz, Vertuschung und Verdrängung an.

Über 200 000 Mädchen und Frauen – genaue Zah-
len gibt es nicht – wurden in japanischen Kriegsbor-
dellen der Armee oder in Betrieben zur Prostitution
gezwungen. Manche von ihnen wurden durch falsche
Arbeitsverträge in die Bordelle gelockt, andere wurden
entführt oder verschleppt. Die jüngsten von ihnen elf,
zwölf Jahre alt. Ein Großteil dieser Frauen und Mäd-
chen haben die Zwangsprostitution nicht überlebt. Ver-
mutlich 70 Prozent der zwangsprostituierten und ver-
sklavten Frauen und Mädchen sind aufgrund der
massiven sexuellen Gewalt gestorben, wurden exeku-
tiert oder haben Selbstmord begangen. Die Überleben-
den dieses Martyriums sind zurückgekehrt mit unvor-
stellbaren seelischen und körperlichen Leiden.

Lange hat es gedauert, bis im Jahr 1991 die erste
Frau, die Südkoreanerin Kim Hak Soon, öffentlich
über ihre traumatischen Erlebnisse sprach. Durch ih-
ren Mut hat sie einen wichtigen Schritt der Befreiung
gemacht; ihrem Beispiel folgten mehrere Hundert
Frauen. Die öffentliche Reaktion Japans jedoch war
und ist beschämend und ein Schlag ins Gesicht jeder
einzelnen noch lebenden Frau, die in den Kriegsbor-
dellen zur Prostitution gezwungen wurde. Noch immer
hat Japan die Empfehlungen der Vereinten Nationen

nicht umgesetzt, hat weder die Opfer entschädigt noch
die Verantwortlichen bestraft.

Dazu fordern Sie, Kolleginnen und Kollegen der
SPD-Fraktion, in Ihrem Antrag auf, und dem stimmen
wir zu. Denn die Zeit, um den noch lebenden Frauen
zumindest ein Stück Anerkennung zu geben, rennt da-
von. Die politische, gesellschaftliche und juristische
Aufarbeitung, die dafür notwendige Veröffentlichung
der zum Teil immer noch verschlossenen Dokumente
und die von den „Trostfrauen“-Verbänden eingefor-
derte offizielle Entschuldigung sind mehr als überfäl-
lig.

Die Ablehnung des Antrags in den Ausschüssen
durch die Koalitionsfraktionen finde ich beschämend.
Aber sie ist konsequent in der frauenpolitischen Kon-
zeptlosigkeit von Schwarz-Gelb. Eine Forderung im
vorliegenden SPD-Antrag bezieht sich auch auf die re-
levanten UN-Resolutionen und fordert deren Unter-
stützung durch die Bundesregierung ein: Resolution
1325 zur Schlüsselrolle von Frauen bei gewalttätigen
Konflikten und beim Friedensaufbau; Resolution 1820
zu sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen und Gefahr
für Frieden und Sicherheit; Resolution 1888 zur Präzi-
sierung bisheriger Forderungen, Sonderberichterstat-
ter und Sanktionsmöglichkeiten und Resolution 1889
zur Rolle von Frauen in friedensstabilisierenden Maß-
nahmen in Postkonfliktsituationen.

In all diesen Bereichen zeichnet sich Schwarz-Gelb
durch Drückebergerei und ein fehlendes Konzept aus.
Aktuellstes Beispiel: der nationale Aktionsplan zur
UN-Resolution 1325. Von uns schon lange eingefor-
dert, von der Bundesregierung lange verschleppt. Der
Entwurf des Aktionsplans liegt jetzt vor; er soll noch
im Dezember vom Kabinett beschlossen werden.

Mitte Oktober haben wir einen Antrag dazu im Ple-
num debattiert. Da traten die Widersprüche innerhalb
der Koalition offen zutage. Während Sie, lieber Kol-
lege Jüttner, die Meinung vertreten haben, dass ein na-
tionaler Aktionsplan nicht erforderlich sei und „ge-
genüber dem bestehenden deutschen Engagement für
die Umsetzung der Resolution 1325 keinen entschei-
denden Mehrwert bedeuten“ würde, hat Kollege Djir-
Sarai von der FDP berichtet, dass der nationale Ak-
tionsplan von der Bundesregierung bereits erarbeitet
würde, und betont, dass dieser deutsche Aktionsplan
jetzt richtig gut werden müsse. Das ist mehr als pein-
lich; da haben Sie die Beliebigkeit Ihrer Argumente of-
fenbart.

Im Hinblick auf den vorliegenden Antrag zeigen wir
uns solidarisch mit diesen Frauen, mit ihrem Leid, der
erfahrenen Scham und Ungerechtigkeit. Frauenorga-
nisationen weltweit versuchen, Japan dazu zu bewe-
gen, diesen Frauen und Mädchen Gerechtigkeit wider-
fahren zu lassen und Entschädigungszahlungen zu
leisten. Und erst vor zweieinhalb Wochen haben meh-
rere japanische NGOs die Regierung in Tokio erneut
dazu aufgerufen, sich bei den ehemaligen Zwangspro-
stituierten zu entschuldigen und ihnen eine Entschädi-

Zu Protokoll gegebene Reden





Ute Koczy


(A) (C)



(D)(B)


gung zukommen zu lassen. Das unterstützen wir. Denn
das Schicksal dieser Mädchen und Frauen ist ein wei-
teres erschütterndes Beispiel dafür, welchen Gefahren
Frauen und Mädchen in Kriegen und Konflikten von
der Vergangenheit bis heute ausgesetzt sind.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721142200

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss emp-

fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/10084, den Antrag der SPD-Fraktion auf der Drucksa-
che 17/8789 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist von der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung
des Urheberrechtsgesetzes

– Drucksache 17/11317 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Frak-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines …
Gesetzes zur Änderung des Urheberrechts-
gesetzes

– Drucksache 17/10087 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/11699 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis
Ansgar Heveling 
Burkhard Lischka
Stephan Thomae
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag

Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch hier die Re-
den zu Protokoll zu nehmen.1)

Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 17/11699 – die Sie si-
cher alle zur Hand haben –, den Gesetzentwurf der
Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Drucksache
17/11317 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit Mehrheit wiederum mit einzelnen Ent-
haltungen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der
gerade beschlossenen Ausschussfassung zustimmen
möchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist an-
genommen.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11699, den
Gesetzentwurf der SPD-Fraktion auf Drucksache
17/10087 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Schutz vor Schiffsunfällen beim Bau der Feh-
marnbelt-Querung sicherstellen

– Drucksache 17/11365 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Leider werden alle dazu vorbereiteten Reden nicht
vorgetragen. Die Reden sind aber im Protokoll nachzu-
lesen.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Wenn Sie möchten, kann ich reden! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wäre da, Herr Präsident! Aber ich verzichte! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir hätten auch einen, der reden könnte!)


– Es gibt ja auch noch die Möglichkeit, durch individu-
elle Vorträge nach Abschluss der Sitzung einem massi-
ven Informationsbedürfnis gerecht zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1721142300

Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag zur

Sicherstellung des Schutzes vor Schiffsunfällen beim
Bau der Fehmarnbelt-Querung zeigt eines ganz deut-
lich: In der Bevölkerung und im Parlament überwiegt
die Zustimmung zur festen Querung über den Feh-
marnbelt. Wir sind inzwischen so weit in der Akzeptanz
dieses großen und wichtigen Bauvorhabens, dass wir
über Details beim Bau des Absenktunnels reden, nicht
mehr über die Frage, ob der Tunnel gebaut werden soll
oder nicht.

Seitens der SPD habe ich auch nichts anderes er-
wartet; schließlich hat der damalige Verkehrsminister
Tiefensee 2008 den Staatsvertrag zwischen Deutsch-
land und Dänemark über den Bau einer festen Feh-
marnbelt-Querung unterzeichnet. Anschließend haben
Bundestag und Bundesrat dem Gesetz zum Staatsver-
trag im Sommer 2009 zugestimmt, woraufhin dieser
am 14. Januar 2010 in Kraft trat. Trotz der demokrati-
schen Legitimation für den Staatsvertrag durch dieses
Parlament mussten wir jedoch am 26. April dieses
Jahres eine von Linken und Grünen losgetretene De-
batte führen. Beide Fraktionen zielten mit ihren Anträ-1) Anlage 11





Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)


gen auf einen Ausstieg aus dem Staatsvertrag mit dem
Königreich Dänemark ab.

Mir liegen zur heutigen Debatte über den Schutz vor
Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung
keine Anträge der beiden besagten Fraktionen vor. Ich
würde mich freuen, wenn dies als Zeichen der still-
schweigenden Zustimmung zum Bau der Querung sei-
tens der Linken und der Grünen zu deuten ist. Viel-
leicht hat unser Austausch von Argumenten im April ja
den einen oder anderen in Ihren Reihen von der Sinn-
haftigkeit des Vorhabens überzeugt. Sollte an dieser
Stelle noch Nachbesserungsbedarf bestehen, dann
führe ich Ihnen unsere Argumente für den Bau der fes-
ten Fehmarnbelt-Querung gern noch einmal aus.

Mit der festen Querung über den Belt schaffen wir
eine feste Direktverbindung zwischen Skandinavien
und Kontinentaleuropa. Die wirtschaftlichen, wissen-
schaftlichen und kulturellen Chancen dieses Verkehrs-
projektes sind immens. Daran dürfte spätestens seit
der Debatte dazu im April in diesem Hause kein Zwei-
fel mehr bestehen. Mit dem geplanten 17,6 Kilometer
langen Absenktunnel durch den Fehmarnbelt wachsen
Nordeuropa und Zentraleuropa enger zusammen, und
das ist ein nachvollziehbarer Wunsch unserer skandi-
navischen Nachbarn.

Die Forderung nach einem Ausstieg aus dem Staats-
vertrag zwischen Deutschland und Dänemark ist da-
her ein Affront gegen unsere nördlichen Nachbarn.
Davon ist heute glücklicherweise nicht die Rede. Für
die CDU/CSU-Fraktion möchte ich abermals bestäti-
gen:

Wir stehen uneingeschränkt zur festen Fehmarn-
belt-Querung. Wir wollen den deutsch-skandinavi-
schen Ballungsraum für Wirtschaft und Wissenschaft
in der Fehmarnbelt-Region.

Wir wollen die hierdurch entstehenden Arbeitsplätze
für die Menschen in Schleswig-Holstein und im Groß-
raum Hamburg während der Bauphase und nach Inbe-
triebnahme des Tunnels. Deshalb haben wir in der
Großen Koalition den Staatsvertrag zwischen Deutsch-
land und Dänemark über den Bau einer festen Feh-
marnbelt-Querung auf den Weg gebracht. Die Vorstel-
lung, dass man die Strecke von Kopenhagen nach
Hamburg künftig mit der Bahn in nur noch drei Stunden
zurücklegen kann, ist doch fantastisch. Derzeit nimmt
diese Fahrt noch viereinhalb Stunden in Anspruch. Die
Fahrt mit der Fähre ist derzeit noch alternativlos und
dauert exklusive Wartezeiten 45 Minuten.

Die Fehmarnbelt-Querung ist ein gutes Stück geleb-
tes Europa. Gefühlte Entfernungen werden sich verrin-
gern. Mehr kultureller Austausch wird stattfinden. Es
wird auch mehr Berufspendler zwischen Deutschland
und Dänemark geben. All das sind Chancen, denen wir
uns nicht verschließen dürfen. Die Stärkung des nord-
europäischen Wirtschaftsraumes ist auch im Interesse
künftiger Generationen, für deren Chancen wir die
Weichen stellen.

Mit dem Baubeginn der festen Fehmarnbelt-Que-
rung ist wohl im Sommer 2015 zu rechnen. Einen
schnelleren Beginn hätten wir begrüßt, aber die um-
fangreichen Detailplanungen haben die staatliche dä-
nische Planungsgesellschaft Femern A/S zu diesem
späteren Baubeginn gezwungen. Auf der anderen Seite
schafft der verspätete Baubeginn Luft auf der Zeit-
schiene für die rechtzeitige Fertigstellung der deut-
schen Hinterlandanbindung. Der späte Baubeginn
schafft auch Zeit, gegebenenfalls das maritime Sicher-
heitssystem während der Bauphase zu optimieren,
sollte es denn nötig sein.

Die Sicherheit darf bei einem solchen maritimen
Großbauprojekt natürlich nicht aus den Augen verlo-
ren werden. Wir werden den Antrag der SPD-Fraktion
daher im zuständigen Ausschuss prüfen. Ob die Sorgen
der SPD-Fraktion um die Schiffssicherheit beim Bau
des Tunnels unbegründet sind oder tatsächlich Hand-
lungsbedarf besteht, werden die Beratungen im Aus-
schuss zeigen.


Matthias Lietz (CDU):
Rede ID: ID1721142400

Der vorliegende Antrag der SPD-Bundestagsfrak-

tion spricht sich im Wesentlichen für den Schutz vor
Schiffsunfällen beim Bau der Fehmarnbelt-Querung
aus.

Zukünftig soll uns ein Tunnel mit dem Königreich
Dänemark verbinden. Nachdem insgesamt vier mögli-
che Querungsvarianten geprüft wurden und wir uns
am Rande des Plenums ausgiebig über das Ja zu dieser
Verbindung und über das Wie unterhielten, steht nun
fest, dass die feste Verbindung in Form eines Tunnels
gebaut werden soll. 20 Kilometer lang, 40 Meter breit
und an die 10 Meter hoch, wird er sich unter der Ost-
see entlangziehen. Zwei Spuren pro Fahrtrichtung so-
wie zwei Spuren für die Eisenbahn in die jeweilige
Fahrtrichtung, aus riesigen, an Land vorgefertigten
Betonelementen, die in einen Graben auf dem Grund
der Ostsee hinabgelassen werden: Wenn alles wie ge-
plant klappt, würde dies der längste Absenktunnel al-
ler Zeiten, ein Jahrhundertbauwerk.

Doch die Fehmarnbelt-Querung ist nicht unumstrit-
ten. Erst war es als gemeinsames Projekt von Deutsch-
land und Dänemark gedacht. Ein Staatsvertrag zwi-
schen den Dänen und Deutschland stieß vor allem in
meinem Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, nicht
nur auf Zustimmung. Mittlerweile sind es allerdings
die Dänen, die das Projekt finanziell verwirklichen.
Für Deutschland fallen aufgrund dessen nur die Kos-
ten für die Anbindung zwischen Puttgarden und Lü-
beck an.

Über die Notwendigkeit der Verbindung als solche
lässt sich streiten. Doch bezogen auf den Antrag der
SPD lässt sich feststellen, dass vor allem die Tunnellö-
sung langfristig gesehen die Freundlichste für die Bin-
nenschiffer ist. Denn eine Brücke wäre ein sehr viel
größerer Unfallfaktor, als ein unterirdischer Tunnel es
ist. Zusätzlich entfallen Kreuzverkehre in der Schiff-
fahrt, was den Wasserweg langfristig entlastet.

Zu Protokoll gegebene Reden





Matthias Lietz


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundes-
tagsfraktion, nur weil wir uns nicht finanziell am Tun-
nel beteiligen, bedeutet dies nicht, dass deutsche Pla-
nungsbehörden außen vor sind und deutsche
Vorschriften außer Kraft sind. Sowohl die Anbindun-
gen als auch der Tunnel werden von deutscher Hand
geplant und mit umgesetzt. Darüber hinaus gibt es
selbstverständlich Regularien, die die Schiffe während
des Baus vor Katastrophen bewahren werden. So wird
ein rund um die Uhr besetztes Radarsystem den
Schiffsverkehr in dieser Zeit überwachen und steuern.
Deutsche und dänische Schifffahrtsbehörden planen
den Einsatz eines gemeinsamen Vessel-Traffic-Service-
Systems, VTS, welches den Verkehr auf See rund um
die Baustelle zusätzlich absichern wird. Dies bedeutet,
dass der Schiffsverkehr während der circa siebenjähri-
gen Bauphase sehr gut abgesichert sein wird. Das Sys-
tem für eine derartige Überwachung und Steuerung
basiert auf einer Risikoanalyse und einer Reihe von
Untersuchungen und Analysen sowie vorgenommenen
Schiffszählungen, die im Vorfeld des Baus durchge-
führt worden sind. Das in Travemünde betriebene
VTS-System wurde zudem bereits erfolgreich beim Bau
der Querung über den Großen Belt und den Öresund
angewandt.

Es steht außer Frage, dass der tägliche Schiffsver-
kehr in dieser Zeit Vorrang und oberste Priorität ha-
ben muss. Die Seeleute müssen sich in der gesamten
Bauphase hundertprozentig auf die Sicherungsmaß-
nahmen auf See verlassen können! Neben dem Radar-
system VTS werden auch Wachschiffe und spezifische
Kennzeichnungen an der Baustelle eingesetzt. Auch
werden die dänischen und deutschen Sicherheitsbe-
hörden sowie die WSD Nord stetig darüber befinden,
was es im Sicherheitsbereich zu verändern oder gege-
benenfalls auch zu verbessern gilt. Auch der Katastro-
phenschutz auf beiden Seiten hat begonnen, Verfahren
für eine optimale Lösung auszuarbeiten. Ich vertraue
den zahlreichen Analysen und Bewertungen genauso
wie der Kommunikation mit dem Nachbarland. Ich
denke, dass angesichts dieser Vorkehrungen kein
Schiff mutmaßlichen Gefährdungen ausgesetzt wird.

Bereits vor Jahren, 2009, trafen sich die Dänen und
die Deutschen, um über die Sicherheitsangelegenhei-
ten zu beraten. Gemeinsam mit Polizei, Feuerwehr und
Rettungsdienst, Ministerien der Länder und Vertretern
des Kreises wurden Probleme und Visionen in regel-
mäßigen Abständen diskutiert. Daher frage ich mich
ernsthaft, warum die SPD-Fraktion nun einen solchen
Antrag zur Schiffssicherheit einbringt. In dem mageren
Papier fordern Sie eine Sicherheitszone an der Bau-
stelle, Ausweichrouten und zahlreiche Untersuchun-
gen. Aber diese wichtigen Angelegenheiten wurden
längst in Angriff genommen und geregelt. Aufgewacht,
liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestags-
fraktion! Sie sind etwas zu spät dran.

Man kann generell sogar feststellen, dass es ange-
sichts von 30 IMO-Konventionen, über 40 EU-Richtli-
nien und Verordnungen und über 100 Empfehlungen

der Helsinki-Kommission zum Schutz der Meeresum-
welt des Ostseegebiets, HELCOM, nicht an Vorschrif-
ten für den Schutz der Nord- und Ostsee mangelt.
Diese Regelungen sind erfreulich, und Deutschland ist
stetig um eine Umsetzung oder Anpassung bemüht.
Schiffssicherheit ist ein Thema, das vor allem der Ko-
alition von CDU/CSU und FDP am Herzen liegt.

Manchmal glaube ich, Sie wollen uns alle beschäfti-
gen, um sich am Ende der Legislaturperiode mit der
Anzahl der eingebrachten Anträge zu brüsten. Aber
dies ist keine effektive Oppositionsarbeit – so gern ich
die Mitarbeiter Ihrer Büros mit Arbeit unterstützen
möchte. Dieser Antrag ist überflüssig und muss daher
abgelehnt werden.


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1721142500

Mehr Fracht, größere Schiffe: Der Handel im Ost-

seeraum wächst stürmisch – und damit auch das Ver-
kehrsaufkommen auf Europas größtem Binnenmeer. Be-
reits heute entfallen auf den Ostseeraum knapp 15 Pro-
zent des Welthandels. Die Aussichten sind gut, dass
diese Wirtschaftsdynamik in Zukunft weiter anhält.

Eine der wichtigsten „Meeresautobahnen“ zwi-
schen Ost und West ist der Fehmarnbelt.
35 000 Schiffe passierten allein im Jahr 2010 die
knapp 19 Kilometer breite Wasserstraße zwischen der
Südküste von Lolland und Fehmarn in der westlichen
Ostsee. Hinzu kommen rund 38 000 Fährüberfahrten
zwischen Puttgarden und Rødbyhavn. In den kommen-
den Jahren wird die Meerenge vollends zum Nadelöhr.
Denn während der siebenjährigen Bauzeit des Absenk-
tunnels zwischen Dänemark und Deutschland wird der
Schiffsverkehr durch Bagger- und Arbeitsschiffe stark
ansteigen.

Der Bau der festen Querung ist nicht nur das wich-
tigste Infrastrukturprojekt des kommenden Jahrzehnts –
der Fehmarnbelt wird in den nächsten Jahren auch zur
größten Baustelle Europas werden. Baubeginn für den
Tunnel ist für 2015, die Fertigstellung für 2021 ge-
plant.

Bei einem Bauvorhaben von solcher Dimension
stellt sich unweigerlich die Frage der Verkehrssicher-
heit in einem Gebiet, das die International Maritime
Organization, IMO, im Jahr 2005 als „besonders emp-
findliches Meeresgebiet“, PSSA, ausgewiesen hat. Die
jetzt von der dänischen Regierung gewählte Bauva-
riante eines Absenktunnels berücksichtigt die Sicher-
heit der Seeschifffahrt und zeigt die geringsten Auswir-
kungen auf die Umwelt. Doch es handelt sich um ein in
vielerlei Hinsicht komplexes und einzigartiges Projekt.

Wir als SPD fordern die Bundesregierung mit unse-
rem Antrag daher auf, ihrer Verantwortung für dieses
internationale Großprojekt gerecht zu werden. Sie
muss sich für verstärkte Sicherheitsvorkehrungen in
der Bauphase einsetzen, um das vom Schiffsverkehr
ausgehende Gefährdungspotenzial für die Ostsee zu
verringern. Der Meeres- und Küstenschutz ist für die

Zu Protokoll gegebene Reden





Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


nachhaltige Entwicklung des maritimen Wirtschafts-
raums Ostsee unabdingbar. Käme es zum Worst Case,
wäre nicht nur das sensible Ökosystem Ostsee gefähr-
det, sondern auch der Tourismus als einer der wich-
tigsten Wirtschaftszweige in den Küstenregionen.
Wenngleich die Verantwortung für den Bau der Que-
rung gemäß Staatsvertrag bei Dänemark liegt, ist es
auch an der Bundesregierung, sich gegenüber dem
Partner in Kopenhagen, den Ostseeanrainern und im
Rahmen der IMO für ein Höchstmaß an Sicherheit ein-
zusetzen.

Experten gehen von einer Zunahme des Schiffsver-
kehrs in der Ostsee um 40 Prozent allein in den nächs-
ten drei Jahren aus. Immer stärker bestimmen die ganz
großen Pötte im Fehmarnbelt das Bild. Inzwischen
fahren die beiden weltweit größten Containerreede-
reien immer öfter mit Containerschiffen aus Asien oder
Nordamerika kommend bis in die Ostsee. Ein Grund
für diese Entwicklung sind die stetig wachsenden La-
dungsmengen für Osteuropa, die auch den Einsatz der
Megaliner bis in die Ostsee wirtschaftlich machen. Zu-
gleich steigt der Anteil der Fahrten russischer Öltan-
ker – die immer noch keinen Doppelhüllenstandard
haben, aber heute fast die dreifache Menge Öl laden
wie noch vor 15 Jahren.

Bei einem solchen Verkehrsaufkommen ist eine
Großbaustelle, wie sie der Absenktunnel erfordert,
eine Herausforderung. Der Tunnel wird – auf einer
Gesamtlänge von 17,6 Kilometern – aus Einzelelemen-
ten bestehen, die in einen ausgehobenen Graben im
Meeresboden gesenkt werden. Hinzu kommen die kur-
zen Anschlusstunnel bei Puttgarden und Rødbyhavn,
die der Landanbindung dienen und die auf künstlichen
Landaufspülungen erbaut werden.

Die Auswirkungen der geplanten Bauarbeiten auf
die Schiffssicherheit und die Kollisionswahrschein-
lichkeit müssen vorab eingehend untersucht werden.
Als Maßnahmen müssen Verkehrsleitsysteme, ver-
pflichtende Eskorten von Begleitschleppern und Lot-
senpflicht angeordnet werden können, um die Sicher-
heit des Schiffsverkehrs zu erhöhen.

Leider haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Lot-
senannahmepflicht nicht so leicht umzusetzen ist.
Deutschland und Dänemark können sie nicht im Al-
leingang einführen, und freiwillig werden die Lotsen-
dienste so gut wie nicht genutzt. Die Bundesregierung
muss sich daher im Rahmen der IMO nachdrücklich
für eine Lotsenpflicht für stark befahrene enge Gewäs-
ser wie den Fehmarnbelt oder die Kadettrinne einset-
zen.

Außerdem fordern wir eine festgelegte Transitroute
etwa für große Tanker und Containerschiffe zum Pas-
sieren des Baustellenbereichs – insbesondere dann,
wenn Schiffe mit gefährlicher Ladung unterwegs sind.

Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern sollte
den Bauablauf überwachen und sich eng mit dem
Baustellenmanagement der Planungsgesellschaft
Femern A/S sowie den dänischen Behörden abstim-

men. Auch der Ausbau, die Weiterbildung und Ausrüs-
tung der zuständigen Berufsfeuerwehren für seeseitige
Einsätze müssen Teil der Vorsorge sein ebenso wie die
Einbindung des Havariekommandos von Bund und
Küstenländern.

Wir müssen dringend Kurs auf mehr Sicherheit neh-
men, um eine reibungslose Realisierung des Großpro-
jekts Fehmarnbelt-Querung zu gewährleisten. Klar ist:
Das ist kein einfaches Fahrwasser. Eine Lösung für
den Ostseeraum erfordert ein eindeutiges Ziel und ei-
nen klaren Kompass. Aber fest steht auch: Maritime
Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Und: Die ökolo-
gischen und ökonomischen Kosten für einen Schiffsun-
fall im Fehmarnbelt wären ungleich höher.


Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1721142600

Die Ostsee ist eines der verkehrstechnisch am bes-

ten erschlossenen und dichtbefahrensten Gewässer der
Welt. Sie schlägt die Brücke von Skandinavien nach
Mitteleuropa und verbindet Westeuropa mit den balti-
schen Staaten bis hin nach Russland. Die Ostsee ist
gewerbliche Schifffahrtsstraße und Freizeit- und Er-
holungsgebiet. Hier kreuzen sich Güterverkehre mit
Fährverkehren und der Sportschifffahrt. All das macht
die Ostsee zu einem der attraktivsten, aber auch
schwierigsten Fahrtgebiete der Welt.

Um Europa noch stärker zu integrieren, sind die
Skandinavier – die es, wie auch die Balten, so ja gar
nicht gibt, da es sich um einzelne Nationen handelt –
schon seit einigen Jahren dabei, Verkehrsverbindun-
gen, die bisher mit Fähren verbunden waren, durch
Brückenbauten zu ersetzen. An Öresund und Storebaelt
ist dies bereits geschehen, die Fehmarnbelt-Querung
soll dem jetzt folgen.

Damit soll die Querung mit einer Länge von
19 Kilometern eines der größten nordeuropäischen In-
frastrukturprojekte dieser Dekade werden. Mit einer
kürzeren Reisezeit von bis zu 30 Minuten zwischen
Hamburg und Kopenhagen für Passagiere und die Ver-
meidung eines 160 Kilometer langen Umwegs für Gü-
terzüge soll eine wettbewerbsfähige Großregion ent-
stehen. Dies wird Vorteile für Beschäftigung und
Wohlstand in der Region mit sich bringen. Europa
wächst auch im Norden zusammen. Die einstmals tren-
nende Ostsee wird zur Verbindungsstelle. Das ist groß-
artig.

Dass es durch den Bau der Querung aller Wahr-
scheinlichkeit nach zu gelegentlichen Beeinträchtigun-
gen im Schiffsverkehr kommen kann, ist vorhersehbar.
Aber die Tunnellösung ist langfristig gesehen die beste
Realisierungsmöglichkeit mit den geringsten Folgebe-
einträchtigungen. Natürlich wird alles nur Mögliche
getan, um Unfälle zu vermeiden; das versteht sich von
selbst.

Der Tunnel hat im Übrigen noch einen weiteren
Vorteil. Die Beeinträchtigung durch ein Brückenbau-
werk hinsichtlich des Wasseraustauschs zwischen der
sauerstoffarmen Ostsee, zum Beispiel im Gotland-Tief,

Zu Protokoll gegebene Reden





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


und der sauerstoffreichen Nordsee wird minimiert.
Das ist auch für die Pflanzen- und Tierwelt wichtig.
Darum habe ich auch Probleme mit der Notwendigkeit
Ihres Antrags. Zum einen steht heute noch gar nicht
fest, wann genau Baubeginn sein wird. Zum anderen
vertrauen wir Liberale voll und ganz auf die Kompe-
tenzen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes und der dänischen Küstenwache. Beide verfü-
gen über ausreichend Know-how und Erfahrung, mit
den Herausforderungen fertigzuwerden.

Aber offensichtlich teilen Sie dieses Vertrauen in die
WSV nicht, weshalb Sie sich genötigt fühlen, einen
solchen Antrag in den Bundestag einzubringen. Aus
meiner Sicht handelt es sich um einen reinen Schau-
fensterantrag, den wirklich niemand braucht. Aber
vielleicht können Sie der geneigten Öffentlichkeit im
Laufe des parlamentarischen Verfahrens die Dring-
lichkeit dann doch noch näher bringen. Ich kann sie
nicht erkennen.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721142700

Die Ostsee gehört zu den meistbefahrenen Seege-

bieten der Welt. Es ist sinnvoll, Initiativen zur Verbes-
serung der Schiffssicherheit in der Ostsee zu diskutie-
ren. Doch dieses Thema allein auf eine Baustelle im
Falle eines möglichen Baus eines Tunnels durch den
Fehmarnbelt zu beschränken, wird weder dem Thema
Schiffssicherheit noch dem umstrittenen Großprojekt
einer festen Fehmarnbelt-Querung gerecht.

Die Linke hatte Ihnen im März dieses Jahres in ei-
nem Antrag dargelegt, wie das Projekt gestoppt wer-
den könnte. Wir haben eine eindeutige Position. An-
ders in Ihrer Fraktion, Kollegin Hagedorn: In der
ersten Lesung betonte Hans-Joachim Hacker für die
SPD-Fraktion, dass Ihre Partei „ohne Wenn und Aber“
zu dem Staatsvertrag zum Bau der Querung stehe und
er keine Grundlage sehe, mit Dänemark nachzuver-
handeln. Im Kieler Koalitionsvertrag zwischen SPD,
Grünen sowie SSW wird jedoch die Bundesregierung
zur Überprüfung der veränderten Bedingungen aufge-
fordert und ausdrücklich die Verhandlungsmöglichkeit
nach Art. 22 des Staatsvertrages betont. Kurz nach
seinem Amtsantritt spricht sich Schleswig-Holsteins
Ministerpräsident Torsten Albig, SPD, jedoch aus-
drücklich für den Bau eines Fehmarnbelt-Tunnels aus.
Die Verhandlungen zum Staatsvertrag wieder aufzu-
nehmen, halte er für „töricht“. Das Aktionsbündnis
gegen eine feste Fehmarnbelt-Querung kritisierte dies
zu Recht und schreibt: „SPD führt bei der festen Feh-
marnbeltquerung alle hinters Licht: Grüne düpiert,
Wähler getäuscht.“ Jetzt legen Sie uns einen Antrag
vor, in dem Sie sich um die Schiffssicherheit während
des Baus der Fehmarnbelt-Querung sorgen, ohne
überhaupt auf das innerhalb ihrer Landesregierung
umstrittene Großprojekt einzugehen. Das ist zu kurz
gesprungen. Wer mehr Sicherheit im Fehmarnbelt ha-
ben will, der muss das auch ohne das Tunnelprojekt
anstreben.

Übrigens, auch wenn es vielleicht später in Berlin
angekommen ist: Die dänische Regierung hat sich
nicht Anfang 2012 für einen Absenktunnel anstelle ei-
ner Schrägkabelbrücke entschieden, sondern im Fe-
bruar 2011. Auch die 35 000 Schiffspassagen im Feh-
marnbelt sind deutlich untertrieben. Eine Zählung von
2006/2007 ergab, dass etwa 47 000 Schiffe jährlich
den Fehmarnbelt passieren. Hinzu kommen jedes Jahr
etwa 38 000 Fährüberfahrten zwischen Puttgarden
und Rødbyhavn. Von der Internationalen Seeschiff-
fahrts-Organisation, IMO, wurde auch nicht nur der
Fehmarnbelt, sondern das ganze Ostseegebiet und
nicht in 2005, sondern bereits im März 2004 als beson-
ders empfindliches Meeresschutzgebiet, PSSA, ausge-
wiesen. Nicht nur im Fehmarnbelt sollte das „vom
Schiffsverkehr ausgehende Gefährdungspotenzial für
die Ostsee“ verringert werden, sondern an allen sen-
siblen Schifffahrtsrouten mit dichtem Verkehr. An meh-
reren sind bereits Verkehrstrennungsgebiete eingerich-
tet worden, um die Schiffe nach Fahrtrichtung zu
trennen, nicht jedoch am Fehmarnbelt. Durch eine
mögliche Baustelle würde die Situation noch ver-
schärft. Wir fordern, dass sich die Bundesregierung
bei der IMO dafür einsetzt, dass auch am Fehmarnbelt
ein Verkehrstrennungssystem eingerichtet wird.

Das elektronische System zur Überwachung des
Schiffsverkehrs, VTS, muss wie bei der Flugsicherung
nicht nur beraten, sondern auch Weisungsbefugnis er-
halten. Verbindliche Anweisungen an die Schiffsführer
würden die Sicherheit erhöhen, besonders an der Ge-
fährdungsstelle einer schwimmenden Großbaustelle.
Die bisherige Überwachung des Schiffsverkehrs sollte
durch eine dezentrale Radarüberwachung ergänzt
werden.

Einige Forderungen in Ihrem Antrag, wie zum Bei-
spiel der Einsatz von Verkehrssicherungsfahrzeugen
während der Bauphase, sind überflüssig, weil sie be-
reits bestehende Praxis sind. Dies bestätigte auch die
Betreibergesellschaft Femern A/S. Es reicht aber nicht
aus, wenn diese nur beobachtende Funktion haben. Sie
müssen ebenfalls im Notfall verbindliche Anweisungen
geben können. Was jedoch fehlt, ist eine Klarstellung,
wer für die Kosten der Sicherungsmaßnahmen wäh-
rend der Bauzeit und für die Einrichtung des notwen-
digen Geräts und Personals aufkommt. Dies ist auch
im Staatsvertrag nicht geregelt. Für die Linke ist klar,
dass der Betreiber, der die Baustelle zu verantworten
hat, auch selbstständig für alle Kosten aufkommt.

Endlich eine verbindliche Lotsenpflicht entlang
sensibler Schiffspassagen für große Frachter einzufüh-
ren, ist eine ebenso alte wie richtige Forderung und
wird auch von uns unterstützt. Dies kann aber nur bei
Zustimmung aller Anrainerstaaten von der Internatio-
nalen Seeschifffahrts-Organisation erlassen werden
und wird auch bereits von Deutschland vertreten, ist
aber bislang am Widerstand Russlands gescheitert.
Laut Auskunft der Lotsen nehmen bislang leider meis-
tens die gut ausgerüsteten Schiffe verantwortungs-
bewusster Reeder die Lotsen in Anspruch, während ge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


nau die alten Frachter, die es eigentlich am nötigsten
hätten, oft aus Kostengründen darauf verzichten.

Wir haben Ihre Vorschläge mit Vertretern der WSV,
der Lotsen und Nautiker beraten und dabei erfahren:
Viele Ihrer Forderungen sind bereits gängige Praxis,
während andere nicht ausreichend sind. Ihr Antrag be-
schränkt die dringenden Fragen zur Verbesserung der
Schiffssicherheit in der Ostsee leider allein auf die be-
sagte Baustelle, die im Falle eines möglichen Baus in
frühestens drei Jahren relevant wird. Das wird der
Schiffssicherheit nicht gerecht – ob mit oder ohne Bau-
stelle für eine unsinnige feste Fehmarnbelt-Querung.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit Jahren diskutiert dieses Hohe Haus über die
Sinnhaftigkeit einer festen Querung über den Feh-
marnbelt – leider, muss man an dieser Stelle sagen, in
einer Art und Weise, die dem Ansehen des Deutschen
Bundestages nur sehr bedingt nutzen dürfte. Die Kriti-
kerinnen und Kritiker der Querung verweisen seit lan-
gem immer wieder auf die ganz massiven ökologischen
und ökonomischen Probleme und Risiken des
Projekts – ohne dass die Befürworter der Querung hie-
rauf reagieren. Nach dem Motto „Augen zu und
durch“ halten sie weiter unbeirrt an den bisherigen
Planungen fest, ignorieren jegliche ökonomischen und
ökologischen Grunderfordernisse und lassen die Bür-
gerinnen und Bürger der Region mit ihren Sorgen wei-
ter alleine.

Wir erinnern uns: Bereits in der letzten Legislatur,
also noch vor der Verabschiedung des Begleitgesetzes
zum Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik und
dem Königreich Dänemark, wurden die Risiken des
Projekts in einer vierstündigen Anhörung des Ver-
kehrsausschusses des Bundestages am 6. Mai 2009
ausführlich diskutiert.

Obwohl schon damals auf die eklatanten Planungs-
mängel des Projekts und die dadurch kaum abseh-
baren Risiken für das hochsensible Ökosystem der Re-
gion, aber auch die öffentliche Hand hingewiesen
wurde, ignorierten CDU/CSU, SPD und FDP systema-
tisch die immer wieder auch empirisch untermauerten
Argumente der Kritiker und hielten an den Planungen
unbeirrt fest. Am 18. Juni 2009 verabschiedete der
Deutsche Bundestag das Gesetz zum Staatsvertrag
über den Bau einer Festen Fehmarnbelt-Querung ge-
gen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grü-
nen und Die Linke sowie von 16 Abgeordneten aus den
Fraktionen der SPD und CDU/CSU. Am 14. Juni 2010
trat der Staatsvertrag zwischen Deutschland und Dä-
nemark schließlich in Kraft.

Die eklatanten ökonomischen und ökologischen
Planungsmängel, auf die sowohl meine Fraktion als
auch die Fraktion Die Linke in zwei Anträgen, über die
wir hier erst vor wenigen Monaten gemeinsam disku-
tierten, noch einmal hinwiesen, sind auch anderen
nicht verborgen geblieben: Sowohl der Bundesrech-
nungshof als auch der Rechnungsprüfungsausschuss

des Deutschen Bundestages machen seit mehreren
Jahren in verschiedenen Stellungnahmen auf die völlig
unklaren Formulierungen des Staatsvertrags und die
sich daraus ergebenden Risiken aufmerksam.

Bereits vor Inkrafttreten des Staatsvertrags warnte
der Bundesrechnungshof in einer Stellungnahme nach
§ 88 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung, BHO, an
den Rechnungsprüfungsausschuss, einen Unteraus-
schuss des Haushaltsausschusses des Bundestages,
dass sich die bisher kalkulierten Kosten für den Aus-
bau der deutschen Hinterlandanbindung auf 1,7 Mil-
liarden Euro verdoppelt hätten – ohne dass weitere
Kosten wie der Ausbau des Knotenpunktes Hamburg
oder der zweigleisige Ausbau des Schienenteilstücks
von Lübeck bis Puttgarden überhaupt berücksichtigt
wurden. Mit Hinweis hierauf hat der Bundesrech-
nungshof wiederholt die Bundesregierung dazu aufge-
fordert, aktualisierte Kostenkalkulationen vorzulegen.

Genauso wenig wurden bisher die Kosten für eine
bei der Realisierung einer festen Fehmarnbelt-Que-
rung zwingend benötigten zweiten Brücke über den
Fehmarnsund berücksichtigt. Gleiches gilt für die
Kosten für eine immer wieder in Aussicht gestellte
Alternativtrasse der Hinterlandanbindung fernab der
Ostseebäder sowie dringend benötigte Lärmschutz-
maßnahmen. Addiert man alle bislang nicht berück-
sichtigten Kosten für die öffentlichen Haushalte, lan-
det man schnell bei einer Summe von mehreren
Milliarden Euro, wohlgemerkt für die Hinterlandan-
bindung einer Querung, die aller Wahrscheinlichkeit
nach weit unter 10 000 Autos und unter 100 Züge am
Tag nutzen würden und deren Grundlast damit unter
20 Prozent der üblichen Kapazität einer zweistreifigen
Schnellstraße mit 26 000 Autos am Tag läge.

Der Bundesrechnungshof hat in seiner Stellung-
nahme vom April 2009 folgerichtig bezüglich des Pro-
jekts vor „erheblichen Unsicherheiten für künftige
Bundeshaushalte“ gewarnt. Des Weiteren kritisierte
der Bundesrechnungshof zahlreiche unklare juristische
Formulierungen des Vertragswerks. So enthalte der
Staatsvertrag Klauseln, welche die Vertragspartner un-
ter nur unpräzise formulierten Voraussetzungen zu
Nachverhandlungen – auch über die Kostentragung –
verpflichte. Obwohl die Bundesregierung als verant-
wortliche Vertragspartnerin immer wieder mit Hin-
weis auf die eklatanten Planungsmängel, die extremen
Kostensteigerungen des Projekts und die in § 22 des
Staatsvertrags explizit vorgesehene Möglichkeit dazu
aufgefordert wurde, in Neuverhandlungen mit dem Kö-
nigreich Dänemark einzutreten, hat sie diese Ver-
pflichtung bisher ignoriert. Die Bundesregierung trägt
damit die volle politische Verantwortung für dieses mit
massiven Risiken verbundene Projekt.

Neben den enormen ökonomischen Risiken des Pro-
jekts wurde von den Kritikerinnen und Kritikern der
Querung auch immer wieder auf handfeste ökologi-
sche Gefahren einer festen Querung über den Feh-
marnbelt hingewiesen – darunter auch auf die noch
immer ungelöste Frage der Schiffssicherheit. Auch

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


diese Problematik wurde im Rahmen der Anhörung im
Verkehrsausschuss des Bundestages bereits am Ende
der 16. Wahlperiode ausführlich diskutiert – aller-
dings ging man damals noch von einer Brücke als
Querung aus. Heute wissen wir, dass das Projekt als
Tunnel realisiert werden soll. Während ein Tunnel
nach dessen Fertigstellung zweifelsfrei weniger Risi-
ken für die Schiffssicherheit als eine Brücke mit sich
bringt, ist dies während der Bauphase zweifellos nicht
der Fall. Daher haben wir auch in unserem Antrag
vom 25. April 2012 erneut auf die Problematik auf-
merksam gemacht und die Bundesregierung aufgefor-
dert, dies in ihre Abwägungen bezüglich der Bewer-
tung der Sinnhaftigkeit des Projekts einzupreisen.

Bereits in der Anhörung wurde durch verschiedene
Sachverständige darauf aufmerksam gemacht, dass
durch die Errichtung der Querung ein erhebliches Ge-
fahrenpotenzial für das hochsensible Ökosystem der
Ostsee entsteht, das Baugebiet sich direkt in mehrfach
ausgewiesenen Schutzgebieten befindet und es sich
beim Fehmarnbelt um eine der meistbefahrensten Was-
serstraßen der Welt handelt. In diesem Zusammenhang
wurde unter anderem auch darauf verwiesen, dass der
Begriff „Schifffahrt“ in dem vorliegenden Staatsver-
trag mit keinem Wort Erwähnung findet. Damit stellt
sich die Frage – auch hierauf haben wir bereits in
unserem Antrag vom 25. April 2012 aufmerksam
gemacht –, ob dringend benötigte Sicherungsmaßnah-
men in dem mit mehreren Zehntausend Schiffsbewe-
gungen jährlich zu den am meisten befahrenen Was-
serstraßen der Welt gehörenden Fehmarnbelt
eigenständig und durch Kostenteilung zwischen den
Vertragsstaaten finanziert werden müssen. Hierzu fehlt
jede zwischenstaatliche Vereinbarung im Staatsver-
trag, was auch hinsichtlich Haftungsfragen und Kos-
tenverteilungen bei zu prognostizierenden Havarien
nach Ansicht eines Sachverständigen der Anhörung
„eine grobe vertragliche Fahrlässigkeit“ darstellt.
Hoffentlich müssen wir niemals erleben, meine Damen
und Herren von CDU/CSU und FDP, wie Sie die poli-
tische Verantwortung für die Havarie eines Öltankers
in einem der sensibelsten Meeresgebiete Deutschlands
übernehmen.

Vor dem Hintergrund auch in dieser Hinsicht zahl-
reicher bislang ungeklärter Fragen begrüßen wir den
heute vorgelegten Antrag der SPD, der das Thema
noch einmal auf die Tagesordnung setzt und zahlreiche
wichtige Forderungen für eine verbesserte Schiffs-
sicherheit während der Bauphase der Fehmarnbelt-
Querung enthält.

Dass die Initiative es gleichzeitig verpasst, die zahl-
reichen anderen, vielfältigen Problemlagen, die sich
aus den bisherigen eklatanten Planungsmängeln be-
züglich der festen Fehmarnbelt-Querung ergeben,
auch nur stichwortartig zu erwähnen, und dringend
benötigte Nachbesserungen von der Bundesregierung
nicht einfordert, verwundert uns sehr. Wir bedauern es
ausdrücklich, dass die SPD-Fraktion mit der Vorlage

dieser Initiative ihr grundsätzliches Einverständnis zu
einem Verkehrsprojekt aus Zeiten des Kalten Krieges,
dessen tatsächliche Sinnhaftigkeit längt widerlegt ist
und dessen negativen Auswirkungen auf zahlreiche
schleswig-holsteinische Gemeinden und die Insel Feh-
marn ganz enorm sind, noch einmal dokumentiert.

Dass es der heute hier vorliegende Antrag der SPD
versäumt, zumindest mit Nachdruck Nachbesserungen
bezüglich einer zweiten Fehmarnsund-Querung, einer
Alternativtrasse der Hinterlandanbindung, zusätz-
licher Lärmschutzmaßnahmen und der Beseitigung
sonstiger durch die Querung entstehender Nadelöhre
wie dem Knotenpunkt Hamburg etc. einzufordern, ist
aus Sicht meiner Fraktion nur schwer verständlich und
wirklich bedauerlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721142800

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/11365 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu besteht of-
fenkundig Einvernehmen. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/
660/EWG des Rates über den Jahresabschluss
von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen

(Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG)


– Drucksachen 17/11292, 17/11353 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/11702 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Ingo Egloff
Marco Buschmann
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Dr. Thomas Gambke, Ingrid
Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapi-
talgesellschaften bei der Offenlegung der Jah-
resabschlüsse

– Drucksachen 17/11027, 17/11702 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Ingo Egloff





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Marco Buschmann
Richard Pitterle
Ingrid Hönlinger

Die Reden, die dazu noch verbleibende offene Fragen
erläutern, finden sich im Protokoll.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1721142900

Mit Erleichterungen im Bereich der Rechnungs-

legungs- und Offenlegungsvorschriften für Kleinst-
kapitalunternehmen treibt die christlich-liberale Bun-
desregierung den Bürokratieabbau voran und befreit
die Wirtschaft konsequent von entbehrlichen Verwal-
tungslasten.

Nachdem wir mit dem Bilanzrechtsmodernisie-
rungsgesetz, BilMoG, 2009 Einzelkaufleute von der
Pflicht zur Aufstellung von Jahresabschlüssen befreit
haben, werden wir nun in Umsetzung der Richtlinie
2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie
78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von
Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich
Kleinstbetrieben mit dem Kleinstkapitalgesellschaf-
ten-Bilanzrechtänderungsgesetz, MicroBilG, für Ent-
lastungen bei rund einer halben Million kleinster
Kapitalgesellschaften sorgen.

Die nach derzeitiger Rechtslage strikte, weil umfas-
sende Rechnungslegung wird von kleinsten Unter-
nehmen zu Recht als Belastung empfunden. So muss
beispielsweise die Vorjahresbilanz mit Anhang ver-
pflichtend jährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht
werden.

Künftig sollen alle Unternehmen mit geringem Ge-
schäftsumfang und geringer Mitarbeiterzahl auf den
umfangreichen Anhang zur Bilanz verzichten können.
Darüber hinaus wird es künftig ausreichen, wenn
Kleinstunternehmen ihre Jahresabschlüsse nurmehr
an ein Register übersenden, aus dem sie nur auf
Nachfrage zur Information an Dritte herausgegeben
werden.

Die Bundesregierung setzt die auf ihr Drängen er-
reichten Vorgaben aus Brüssel nicht nur zügig um,
sondern nutzt auch sämtliche Optionen, damit den
Kleinstkapitalgesellschaften die auf EU-Ebene verein-
barten Erleichterungen möglichst schnell und umfang-
reich zugutekommen können. Da das Bilanzgeschäfts-
jahr vieler Unternehmen zum Ende des Jahres endet,
wird ein Großteil der Kleinstkapitalunternehmen dann
bereits von diesem Gesetzentwurf profitieren. Zu die-
sem Zeitpunkt soll die Neuregelung bereits wirken.

Die schnelle Umsetzung der EU-Micro-Richtlinie
2012/6/EU ist nicht nur im Sinne des Bürokratieab-
baus ein Gewinn für die Kleinstunternehmer. Sie profi-
tieren zudem von der Rechtssicherheit.

Bereits in der ersten Lesung hatten wir angekün-
digt, kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zur Moderni-
sierung des Ordnungsgeldverfahrens im Handels-

gesetzbuch bei Durchsetzung der Offenlegungspflicht
zu prüfen. Die aktuellen Ordnungsgelder in Höhe von
bis zu 2 500 Euro, die Unternehmen drohen, die der
Offenlegungspflicht nicht oder nicht fristgerecht nach-
kommen, sind besonders für kleinste Gesellschaften
eine enorm hohe Belastung.

Dieser Problematik wirken wir zwar einerseits
bereits durch die neuen Regelungen des MicroBilG
entgegen. Denn mit dem Entfallen der Pflicht zur Er-
stellung eines Anhangs zur Bilanz fällt diese bei
Kleinstunternehmen in der Vergangenheit häufige
Fehlerquelle automatisch weg.

Darüber hinaus bitten wir die Bundesregierung,
weitergehende Maßnahmen zu treffen:

Da der Umfang der Offenlegungspflichten nach
dem Handelsgesetzbuch schon heute nach der Größe
des Unternehmens abgestuft ist und das MicroBilG da-
ran anknüpfend für Kleinstkapitalgesellschaften abge-
senkte Offenlegungspflichten vorsieht, soll auch bei
den Sanktionen wegen nichterfüllter Offenlegungs-
pflichten entsprechend differenziert werden. Folglich
sollten die Mindestordnungsgelder für Kleinstkapital-
gesellschaften von 2 500 Euro auf maximal 500 Euro
und für kleine Kapitalgesellschaften von 2 500 Euro
auf maximal 1 000 Euro abgesenkt werden. Eine sol-
che Regelung bedingt allerdings die Mitarbeit der Un-
ternehmen, die entsprechende, für die Einordnung in
die jeweilige Unternehmenskategorie relevante Kenn-
zahlen freiwillig und rechtzeitig zur Verfügung stellen
müssen.

Eine solche Staffelung sollte Bestandteil einer
grundsätzlichen Flexibilisierung des Ordnungsgeld-
verfahrens sein. Die Festsetzung eines Ordnungs-
geldes sollte an ein Verschulden bei der Säumnis der
Offenlegungspflicht geknüpft werden, dessen Kriterien
gegebenenfalls festzulegen sind. Aus der Praxis ergibt
sich die Notwendigkeit, den Behörden mehr Spielraum
einzuräumen, damit sie auf Situationen reagieren kön-
nen, in denen Unternehmen aus nachvollziehbaren
Gründen nicht in der Lage waren, ihre Offenlegungs-
pflicht rechtzeitig zu erfüllen. Nur auf diese Weise kön-
nen insbesondere Fälle höherer Gewalt ausgeschlos-
sen werden.

Zudem halten wir es für sinnvoll, zur Vermeidung
unbilliger Härten den Unternehmen im Falle eines un-
verschuldeten Fristversäumnisses auf Antrag eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzuräumen.

Ebenso müssen wir auch im Sinne der Rechtssicher-
heit eine Lösung dafür finden, dass die zwei Kammern
des am Sitz des Bundesamtes für Justiz zuständigen
Landgerichts Bonn bei Beschwerden gegen Ordnungs-
geldentscheidungen des Bundesamtes teils divergie-
rende Rechtsansichten haben.

Wir haben die Bundesregierung gebeten, entspre-
chende Regelungen zügig bis März 2013 vorzulegen.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1721143000

Die Erleichterungen sind dürftig. Sie werden auf

36 Millionen Euro beziffert; das sind pro Unterneh-
men 72 Euro im Jahr. Denn die Bilanzierungspflicht
bleibt bestehen; die Bilanz ist auch weiterhin dem Bun-
desanzeiger zu übersenden, und zwar fristgerecht und
ordnungsgeldbewehrt.


(statt Offenlegung)

nicht. Sie führt zu weniger Transparenz im Geschäfts-
verkehr und zu neuen Sonderregelungen, ohne dass
dies durch eine Bürokratieentlastung für die Betroffe-
nen aufgewogen würde.

Erfreulich ist, dass in der Entschließung die Anre-
gung des Bundesrates aufgenommen wurde, eine Be-
grenzung der Ordnungsgelder vorzunehmen. Nun wird
von der Bundesregierung verlangt, binnen drei Mona-

(Absenkung auf 500 Euro für Kleinstkapitalgesellschaften, 1 000 Euro für kleine Kapitalgesellschaften)

Ordnungsgeldverfahren (Verschulden erforderlich,
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglichen,
einheitliche Rechtsprechung gewährleisten) vorzule-
gen. Wir hätten uns eine tiefere Schwelle der Ord-
nungsgelder gewünscht, wie sie beispielsweise im
Antrag der Grünen vorgeschlagen wurde, werden dem
Gesetzentwurf aber trotzdem zustimmen, weil zumin-
dest in diesem Punkt unsere Forderungen berücksich-
tigt wurden.

Von der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung
sind wir weiterhin nicht überzeugt: Auf die Erleichte-
rungen im Ordnungsgeldverfahren für kleine Unter-
nehmen hätte sie auch selbst kommen können. Wir hat-
ten im Rechtsausschuss dazu bereits vor geraumer Zeit
einen mündlichen Bericht des Bundesamtes für Justiz.

Im Unterschied zu Kleinstkapitalgesellschaften blei-
ben Genossenschaften vergleichbarer Größe weiter
außen vor, obwohl wir auf diese Ungleichbehandlung
bereits in der ersten Lesung hingewiesen haben. In un-
serem Antrag zum Genossenschaftsrecht auf Drucksa-
che 17/9976 fordern wir auf Anregung der Genossen-
schaftsverbände die Umsetzung der Richtlinie 2012/6/
EU auch für die Genossenschaften, hätten uns aber
auch sehr gewünscht, dass diese Forderung Eingang in
die Entschließung der Koalitionsfraktionen findet.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1721143100

Unternehmer sollen sich so viel wie möglich auf ihr

Geschäft konzentrieren können und nur so viel Büro-
kratielast tragen, wie es unbedingt nötig ist. Dieser
Leitidee fühlen wir uns als FDP verpflichtet. Und diese
Leitidee verwandelt der vorliegende Gesetzentwurf ein
Stück weit in Rechtswirklichkeit.

Das Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsände-
rungsgesetz, MicroBilG, sieht einige sehr praktische
Erleichterungen für Kleinstkapitalgesellschaften durch
den Abbau bürokratischer Belastungen im Bereich des
Bilanzrechts vor. Deutschlandweit profitieren davon

mehr als 500 000 Unternehmen. Dazu gehören all jene
Gesellschaften, die höchstens 700 000 Euro Umsatz-
erlöse, 350 000 Euro Bilanzsumme und zehn Arbeit-
nehmer im Jahresdurchschnitt aufweisen und jeweils
zwei dieser drei Schwellenwerte an zwei aufeinander-
folgenden Abschlussstichtagen – also innerhalb eines
Jahres – unterschreiten.

Das MicroBilG erlaubt es diesen Unternehmen, bei
der Aufstellung des Jahresabschlusses auf einen An-
hang zu verzichten. Informationen, die aus Gründen
des Gläubigerschutzes erforderlich sind, wie zum Bei-
spiel die Haftungsverhältnisse, können künftig unkom-
pliziert unter die Bilanz geschrieben werden. Zudem
sind Ausnahmen von der Verpflichtung zum Ausweis
von aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungspos-
ten und eine Verkürzung der Aufgliederung von Bilanz
und Gewinn-und-Verlust-Rechnung möglich.

Hierdurch mindern wir nicht nur den Aufwand bei
der Aufstellung des Jahresabschlusses. Wir werden
vermutlich auch einen Großteil der häufig sehr streiti-
gen und zeitraubenden Ordnungsgeldverfahren nach
dem Gesetz über elektronische Handelsregister und
Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensre-
gister (EHUG) künftig vermeiden können. Denn von
diesem Verfahren sind fast ausschließlich Gesellschaf-
ten betroffen, die in den Anwendungsbereich des Ge-
setzes fallen, und in einem Großteil der Fälle geht es
um die Einreichung eines korrekten Anhangs. Da diese
Unternehmen künftig auf den Anhang verzichten kön-
nen, wird es künftig wohl auch nicht mehr zu entspre-
chenden Ordnungsgeldverfahren kommen.

Damit die begünstigten Gesellschaften möglichst
früh in den Genuss dieser Erleichterungen kommen,
wollen wir das Gesetzgebungsverfahren noch in diesem
Jahr abschließen; damit profitieren die Unternehmen
rechtssicher von den Vorteilen schon zum Abschluss-
stichtag 31. Dezember 2012.

Das Gesetz ist also eine gute Sache. Es trägt dazu
bei, dass sich gerade die Kleinunternehmer, die beson-
ders unter Bürokratie leiden, wieder ein Stück mehr
auf ihren Betrieb konzentrieren können. Ich werbe
daher um Ihre Unterstützung hier im Hause.


Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721143200

Wer seine Haftung aus seiner unternehmerischen

Geschäftstätigkeit beschränken will, muss sich höhe-
ren Anforderungen an Rechenschaft und Publizität
stellen. Diesen Grundsatz erfordert schon der Schutz
derjenigen, die etwas von dem Unternehmen zu
bekommen haben. Daher hat der Gesetzgeber auch
höhere Pflichten für Kapitalgesellschaften formuliert.

Wie ich bereits in meiner Rede am 8. November
2012 im Rahmen der ersten Lesung zu dem vorliegen-
den Gesetzentwurf im Einzelnen ausgeführt hatte,
bringen die von Ihnen vorgeschlagenen Erleichterun-
gen nichts, sobald eine kleine Kapitalgesellschaft
einen Kredit benötigt oder eine elektronische Bilanz,
E-Bilanz, für das Finanzamt erstellen muss, also ihren

Zu Protokoll gegebene Reden





Richard Pitterle


(A) (C)



(D)(B)


Gewinn nach § 4 Abs. 1, § 5 oder § 5 a EStG ermittelt
und das sind praktisch alle.

Ein großer Schritt wäre die Aufhebung der Bilanzie-
rungspflicht für Kleinstkapitalgesellschaften gewesen,
was insbesondere den vielen „ruhenden Gesellschaf-
ten“, also nicht mehr aktiv am Wirtschaftsverkehr teil-
nehmenden Unternehmen wirklich geholfen hätte,
doch da konnte sich die Bundesregierung auf europä-
ischer Ebene wieder nicht durchsetzen.

In der Gesamtbetrachtung fällt das von der Bundes-
regierung erreichte Ergebnis äußerst bescheiden aus –
erst recht, wenn man es mit ihren ursprünglichen Zie-
len vergleicht. Denn die Erleichterungen und Kosten-
einsparungen sind für die Wirtschaftspraxis marginal.
Die Bundesregierung selbst schätzt die Einsparungen
in Summe auf nur rund 20 bis 25 Millionen Euro für
die gesamte Wirtschaft, also alle am Wirtschaftsleben
Beteiligten.

Ich hatte bei meiner Rede in der ersten Lesung be-
reits die Schutzfunktion betont, die mit der Pflicht zur
Aufstellung des Jahresabschlusses verbunden ist, näm-
lich dass sich der Kaufmann einen Überblick über sei-
nen Betrieb machen soll. Das sehen offensichtlich
auch einige europäische Länder so, wie die erheblichen
Widerstände bei der Verabschiedung im Europäischen
Rat gezeigt hatten. Wir werden uns ihnen anschließen
und daher gegen den Gesetzentwurf stimmen.

Aus dem Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/
Die Grünen unterstützen wir die Härtefallregelungen,
also die Verlängerung der Frist zur Einreichung des
Jahresabschlusses und den Verzicht auf Ordnungs-
gelder.

Die anderen Forderungen aus dem Antrag, die Min-
desthöhen bei den Ordnungsgeldern zu senken, lehnen
wir dagegen ab. Zum einen müssen Kapitalgesell-
schaften wegen der beschränkten Haftung bestimmte
Publizitätspflichten erfüllen, damit sich Gläubiger ein
Bild über die finanzielle Lage machen können. Zum
anderen haben kleine Kapitalgesellschaften sechs Mo-
nate nach dem Geschäftsjahr Zeit, den Jahresab-
schluss zu erstellen. Aus meiner langjährigen Erfah-
rung weiß ich, dass das reicht – wenn man das nicht
immer wieder verschiebt. Wer es dann nicht schafft,
den vorliegenden Jahresabschluss innerhalb von wei-
teren sechs Monaten, also nach insgesamt zwölf Mo-
naten, elektronisch zu hinterlegen, sollte in seiner Büro-
organisation etwas ändern. Mit einer Androhung von
250 Euro Ordnungsgeld motivieren Sie keinen, die von
den allermeisten Kleinunternehmerinnen und Klein-
unternehmern als unangenehm angesehene Pflicht
zeitnah zu erfüllen.

Die Entschließung von der CDU/CSU und FDP ver-
stehe ich nicht. Warum machen Sie keinen Antrag wie
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? Warum lassen Sie sich
nicht vom Ministerium, wie sonst auch, einen Ände-
rungsantrag schreiben, wenn es Ihnen so wichtig ist,
wie Sie in der Entschließung darlegen? Dann könnten
wir hier heute darüber gleich abstimmen, und es könnte

demnächst für die von Ihnen so umsorgten Kleinst-
unternehmerinnen und Kleinstunternehmer Realität
werden. Oder wollen Sie eigentlich gar nichts ändern,
müssen aber etwas tun, um Ihre Lobbyisten zu befrie-
digen? Dabei können wir Sie nicht unterstützen, und
wir werden daher diese Entschließung ablehnen.

Dann hatten Sie von der Koalition noch einen Ände-
rungsantrag eingebracht. Damit wollten Sie an das Kleinst-
kapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz ei-
nen zusätzlichen Artikel anhängen, der Regelungen
zum Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch im Hin-
blick auf Therapieunterbringung und Sicherungsver-
wahrung enthielt. Erst versuchen Sie, es im Ausschuss
in die Beschlussempfehlung zu schmuggeln, dann
wollten Sie einen Änderungsantrag ins Plenum brin-
gen, und nun hat die Vernunft gesiegt und uns liegt ein
eigenständiger Gesetzentwurf mit Drucksache zu dem
Thema vor.

Es freut mich, dass nicht nur wir, sondern auch Sie
inzwischen eingesehen haben, dass sich kein Zusam-
menhang zwischen Kleinstkapitalgesellschaften, The-
rapieunterbringung und Sicherungsverwahrung konst-
ruieren lässt. Der von Ihnen dabei gewählte Weg eines
Omnibusverfahrens ist darüber hinaus verfassungs-
rechtlich und rechtsstaatlich – Stichwort „Transpa-
renz“ – mehr als bedenklich. Er wird auch nicht
dadurch verfassungsgemäß, weil es Rechtspolitiker
der FDP jetzt in der Regierungskoalition für „normale
Übung“ halten. Dabei waren es gerade diese Rechts-
politiker der FDP, die selbst noch in der letzten Wahl-
periode gegen diese Vorgehensweise gestritten und
rechtspolitische Prinzipien hochgehalten hatten. Ein
kleiner Beleg, wie Regierungsbeteiligung korrumpier-
bar machen kann!

Trotzdem brauchte es ja schon wieder zwei Anläufe,
um Sie davon abzubringen: das Verfahren um die Re-
gelung der Zwangsbehandlung und jetzt dieses Verfah-
ren mit der Ergänzung des Therapieunterbringungsge-
setzes. Wir warten ab und beobachten Sie, ob der
Lerneffekt auf Dauer ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721143300

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss

empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf der Drucksache 17/11702, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/11292 und
17/11353 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das Erste
war die Mehrheit. Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, bitte ich, sich von ihren Plätzen zu erheben. –
Diejenigen, die dagegen sind, haben jetzt Gelegenheit,
sich zu erheben. – Wer sich enthalten möchte, kann das
jetzt auch tun. – Die Mehrheit hat dem Gesetzentwurf
zugestimmt. Er ist damit angenommen.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11702 empfiehlt der Rechtsausschuss,
dazu eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist auch die Beschlussempfeh-
lung angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 b. Wir setzen die Abstim-
mung mit den Beschlussempfehlungen des Rechtsaus-
schusses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 17/11027. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Arbeitsbedingungen und Berufsperspektiven
von Promovierenden verbessern

– Drucksache 17/11044 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Die Reden werden zu Protokoll genommen.


Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1721143400

Wir debattieren heute einen Antrag der Linksfrak-

tion zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der
Berufsperspektiven von Promovierenden. Ich erkenne
an, dass dieses Papier eine deutliche Verbesserung ge-
genüber dem letzten Antrag der Linksfraktion zu dieser
Thematik, Bundestagsdrucksache 17/4423, darstellt.
Forderten Sie damals noch mehr Qualifikationsstellen
für Promovierende, erkennen Sie heute gleich zu Be-
ginn Ihres Antragstextes an, dass „Fördermaßnahmen
wie die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung
und Innovation in den vergangenen Jahren Tausenden
neue Möglichkeiten zur Promotion eröffnet haben“,
Bundestagsdrucksache 17/11044. Diese Entwicklung
ist positiv; ich begrüße sie deshalb ausdrücklich.

Sie stellen in Ihrem Antrag drei Kernforderungen
auf: verbesserte Standards in der Promotionsförde-
rung, die Novellierung des Wissenschaftszeitvertrags-
gesetzes sowie die Verbesserung empirischer Erkennt-
nisse über die Promotionstätigkeit im deutschen
Wissenschaftssystem. Lassen Sie mich hierzu im Ein-
zelnen Stellung nehmen.

Die Setzung von Standards in der Promotionsförde-
rung obliegt in erster Linie den Hochschulen und den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen selbst.
Die Rolle des Bundes muss sich darauf beschränken,
Impulse zu setzen und Veränderungen anzumahnen.
Genau dies haben wir mit unserem am 24. April 2012
eingebrachten Koalitionsantrag „Exzellente Perspek-
tiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwi-
ckeln“, Bundestagsdrucksache 17/9396, auch getan.

Da wir uns beim Verfassen unseres Antrags – genau
wie Sie – an der Stellungnahme des Wissenschaftsrates
vom 11. November 2011 orientiert haben, sind einige
Ihrer Forderungen deckungsgleich mit unseren.

Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten. Wir befür-
worten genau wie Sie den Ausbau von Modellen der
strukturierten Doktorandenausbildung. Auch sehen
wir in der Einführung von Betreuungsvereinbarungen
zwischen Doktorand und Betreuer den richtigen Weg,
um die Planbarkeit des Promotionsprozesses für beide
Seiten zu verbessern. Die Fortentwicklung weiterer
Karrierestufen nach der Promotion ist auch nach un-
serer Meinung zur Schaffung von mehr Planbarkeit
unabdingbar. Hier enden jedoch die Übereinstimmun-
gen.

Während Sie sich mit der Forderung nach unbefris-
teten Beschäftigungsverhältnissen begnügen, macht
unser Antrag sehr viel weiter reichende und deshalb
auch mutigere Vorschläge. Wir sehen in der Schaffung
einer neuen, unbefristeten Associate-Professur und
der Umwidmung der bisherigen Juniorprofessuren in
Assistenzprofessuren den richtigen Weg, um mehr Kar-
riereoptionen und Planbarkeit für Nachwuchswissen-
schaftler zu schaffen. Die TU München hat mit ihrem
neu geschaffenen TUM Faculty Tenure Track Modell
unlängst exakt diesen Weg eingeschlagen. Dies bestä-
tigt uns in der Auffassung, dass wir mit unserem
Antrag und der vorgeschlagenen Ergänzung der bishe-
rigen Stellenstrukturen genau auf dem richtigen Weg
sind. Mentoringprogramme spielen in Ihrem Antrag
keine Rolle. Dabei müssen sie durch die Hochschulen
dringend weiterentwickelt werden, um hervorragend
ausgebildeten Fachkräften künftig einen besseren
Übergang hin zu Aufgaben in Wissenschaft, Wirtschaft
oder in der Verwaltung zu ermöglichen.

Sollten Sie mit Ihrer Forderung nach einer deutli-
chen Erhöhung der Promotionsförderung von Fach-
hochschulabsolventen ein Promotionsrecht für Fach-
hochschulen ins Spiel bringen, lehnen wir dies
entschieden ab. Nach unserer Überzeugung muss das
Promotionsrecht auch künftig allein den Universitäten
vorbehalten bleiben. Dort erfahren die Absolventen
am stärksten eine wissenschaftsgetriebene Ausbil-
dung, während Fachhochschulen in erster Linie für
den nichtakademischen Arbeitsmarkt qualifizieren.
Fachhochschulabsolventen sollen deshalb auch in
Zukunft nur im Rahmen einer Kooperation ihrer Fach-
hochschule mit einer Universität promovieren können.

Kritisch sehe ich auch Ihre Forderung nach dem
vollständigen Verzicht auf „qualifikationsfremde Leis-
tungen“ bei Promotionen im Rahmen von Stipendien.
Zusätzliche Arbeit am Institut ist nicht automatisch
verlorene Zeit, sondern kann – so sie in geringem
Umfang anfällt – den Horizont der Stipendiaten über
das eigene Forschungsprojekt hinaus erweitern. Auch
Begabtenförderungswerke fördern schließlich nicht
nur die klügsten Köpfe, sondern fordern von ihren
Stipendiaten im Gegenzug etwas, nämlich gesell-
schaftliches Engagement. Hinzu kommt, dass die Sti-





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)


pendiensätze an einigen Einrichtungen, wie Sie selbst
ja auch anerkennen, zuletzt angehoben wurden.

Kommen wir zu Ihrer zweiten Forderung, der
Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.
Auch hier gibt es Forderungen, die wir schon vor Ih-
nen erhoben haben, andere lehnen wir hingegen ab.
Bei der Befristung von Beschäftigungsverhältnissen
kommt es in der Tat – so hat es die Evaluation dieses
Gesetzes durch das HIS gezeigt – viel zu oft zu Miss-
brauch und Übertreibungen. Deshalb haben wir
klargestellt: Befristungen von unter einem Jahr müs-
sen unterbleiben, ebenso das Stellensplitting in Einhei-
ten von weniger als einer halben Stelle. Wir fordern
weiter, die Laufzeit der Arbeitsverträge grundsätzlich
an die Laufzeit der Projekte zu koppeln, in denen die
Nachwuchswissenschaftler beschäftigt sind. Die HRK
haben wir aufgefordert, einen Leitfaden mit Vorschlä-
gen zur Behebung dieser Defizite vorzulegen. Es ist ein
ermutigendes Signal, dass sich die HRK in ihrer Ent-
schließung vom 24. April 2012 dazu bekannt hat, dass
„das Qualifikationsziel in der Befristungszeit erreich-
bar … sein muss“.

Die sehr gut nachvollziehbare Forderung der Nach-
wuchswissenschaftler nach planbaren Karriereper-
spektiven muss aber auch mit dem ebenfalls wichtigen
Anliegen der Hochschulen nach Flexibilität bei der
Ausgestaltung von Arbeitsverträgen in Einklang ge-
bracht werden. Es reicht nicht aus, nur die Interessen
der Wissenschaftler im Auge zu haben; verantwor-
tungsvolle Politik muss vielmehr beide Seiten in den
Blick nehmen. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
stellt hier einen vernünftigen Interessenausgleich her.
Es ist ein wirksames Instrument, um den Hochschulen
personelle Flexibilität im weitgehend nicht planbaren
Wissenschaftsprozess zu ermöglichen. Dies war eines
der zentralen Ergebnisse der Anhörung vom 28. März
2012. Die von Ihnen geforderte Aufhebung der Tarif-
sperre lehnen wir deshalb ab.

Drittens fordern Sie, die empirischen Erkenntnisse
über die Promotionsfähigkeit im deutschen Wissen-
schaftssystem deutlich zu verbessern. Auch diesen letz-
ten Punkt haben wir in unserem Antrag bereits deutlich
formuliert. Wir wollen allerdings auch, dass dieser
Schritt nicht nur der Statistik, sondern auch den Pro-
movierenden etwas bringt. Deshalb haben wir als ers-
ten wichtigen Schritt die Einführung eines einheitli-
chen Doktorandenstatus vorgeschlagen. Dieser soll
mit konkreten Rechten wie der Hochschulmitglied-
schaft und der Nutzung der Infrastruktur der Hoch-
schule, zum Beispiel der Bibliothek, einhergehen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Viele
unserer Forderungspunkte haben Sie in Ihrem Antrag
übernommen. Darüber freuen wir uns. Einige andere
Punkte, wie die stärkere Promotionsförderung an
Fachhochschulen oder den vollständigen Verzicht auf
qualifikationsfremde Tätigkeiten, lehnen wir aller-
dings ab. Bei der Weiterentwicklung unbefristeter Be-
schäftigungsmöglichkeiten bietet Ihr Antrag zu wenig;
konkrete Vorschläge zur Umsetzung werden nicht ge-

macht. Während Sie das Wissenschaftszeitvertrags-
gesetz grundlegend überarbeiten wollen, sehen wir in
ihm grundsätzlich einen guten Ausgleich zwischen
Hochschulen und Wissenschaftlern und wollen unzu-
lässigen Missbrauch vermeiden. Unterm Strich macht
Ihr Antrag an den entscheidenden Punkten keine
neuen Vorschläge und bietet insgesamt wenig Neues.


Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1721143500

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist das Funda-

ment wissenschaftlicher Hochschulausbildung und ei-
nes leistungsfähigen Forschungssystems. Deutschland
braucht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
Lehre an den Hochschulen gestalten und damit auch
Fachkräfte ausbilden, die Forschung betreiben. Die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist
also die Grundlage dafür, die Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands zu erhalten und zu stärken, sowohl als
Entwicklungs- und Produktionsstandort als auch als
attraktiver Forschungs-, Arbeits- und Lebensort.

Deutschland mangelt es nicht an hochmotiviertem,
engagiertem Nachwuchs. Rund 14 Prozent derjenigen,
die ein Studium absolvieren, promovieren. Damit liegt
Deutschland im Vergleich zu seinen Nachbarländern
an der Spitze. Die Köpfe, in die investiert werden muss,
sind also da.

Wenn uns der wissenschaftliche Nachwuchs so
wichtig ist, dann wäre es selbstverständlich, dass diese
Menschen unter guten Arbeitsbedingungen, mit einer
ordentlichen Bezahlung und mit einer Aussicht auf
gute berufliche Perspektiven arbeiten können. Hervor-
ragende Lehre und Forschung sind ohne gute Arbeits-
bedingungen nicht zu bekommen. Aber leider sieht die
Wirklichkeit anders aus.

Mit der Vorlage der HIS-Studie „Wissenschaftliche
Karrieren“ sowie des Evaluationsberichtes des Wis-
senschaftszeitvertragsgesetzes liegen genügend hand-
feste Daten und Fakten auf dem Tisch, die leider nur
allzu deutlich zeigen, in welchen prekären Beschäfti-
gungsverhältnissen Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler in unserem Land arbeiten müssen. Der drin-
gende Handlungsbedarf, die Beschäftigungssituation
in diesem Bereich zu verbessern, ist nicht von der
Hand zu weisen.

Immer mehr Leute wollen studieren – und das ist
wunderbar. Aktuell liegt für das Jahr 2012 wieder ein
Rekordwert von mehr als 490 000 Studienanfängerin-
nen und -anfängern vor. Dafür braucht es entspre-
chend Personal. Doch die Personalkapazität an den
Hochschulen wächst nicht in der gleichen Höhe wie
die Zahl der Studierenden. Der Großteil der neu ent-
standenen Belastungen in Lehre und Forschung wird
vom wissenschaftlichen Nachwuchs aufgefangen.

Während neben den Anforderungen und dem
Arbeitsaufwand die Anzahl der Beschäftigten im Wis-
senschaftsbereich stetig steigt, stagniert die Zahl der
Professuren. Für die jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler bedeutet dies, dass sie nur begrenzte

Zu Protokoll gegebene Reden





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)


Aufstiegschancen und geringe Aussicht auf eine
Dauerstelle haben.

Gleichzeitig verzeichnen wir einen stetig ansteigen-
den Trend zu befristeten Beschäftigungen in der Wis-
senschaft. Weniger als 10 Prozent der Nachwuchswis-
senschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler
haben eine unbefristete Stelle. Hinzu kommt, dass viele
der befristeten Stellen eine Vertragslaufzeit von einem
Jahr oder sogar weniger aufweisen. Viele der Beschäf-
tigten sind 40 Jahre oder älter. Befristete Arbeitsver-
träge sind heutzutage auf dem gesamten Arbeitsmarkt
leider zu einem Problem geworden. Im Wissenschafts-
bereich ziehen sich die Unsicherheiten bezogen auf die
Lebens- und Karriereplanung besonders lange hin.
Wünsche nach Verlässlichkeit, Stabilität und besserer
Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleiben oftmals
bis ins fünfte Lebensjahrzehnt unerfüllt.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies ist ein
Problem, von dem vor allem der weibliche wissen-
schaftliche Nachwuchs negativ betroffen ist. Für
Frauen ist es besonders schwer, Familie und Wissen-
schaft unter einen Hut zu bringen. Während rund die
Hälfte der Studierenden und Hochschulabsolventen
weiblich ist, nimmt ihr Anteil auf dem Weg über die
Promotion und Habilitation hin zu einer Professur
kontinuierlich ab. Wenn sich in unserer Gesellschaft
Begriffe wie „Frau Dr. Kinderlos“ prägen, dann müs-
sen wir uns Gedanken machen. Zum einen gehen uns
viele wichtige, kluge Köpfe verloren, wenn viele
Frauen nicht den Weg in die Wissenschaft gehen wol-
len. Zum anderen müssen wir gerade den weiblichen
Nachwuchs dabei unterstützen, Familie und Beruf ver-
einbaren zu können.

Wir thematisieren dieses Problem nicht, um einer
speziellen Gruppe etwas Gutes zu tun, sondern weil es
ein Problem für die gesamte Gesellschaft ist, wenn uns
diese hochmotivierten Leute verloren gehen. Entweder
sie entscheiden sich von vornherein gegen den Beruf
Wissenschaftler, oder sie gehen früher oder später ins
Ausland. Sie verlassen die Wissenschaft. Es ist
schlecht für Deutschland, diese klugen Köpfe zu ver-
lieren. Darum müssen wir gegensteuern. Wir brauchen
„gute Arbeit“, auch in der Wissenschaft.

Wir thematisieren dieses Problem heute nicht zum
ersten Mal. Studien, Berichte, Evaluationen sowie
Anregungen der Sachverständigen aus öffentlichen
Anhörungen liefern genug Material und lassen den
dringenden Handlungsbedarf erkennen.

Doch die Fraktionen CDU/CSU und FDP lassen
sich lediglich herab, einen blutleeren Alibiantrag ein-
zubringen. Wo die Bundesregierung handeln könnte,
will die Koalition nichts unternehmen; aber an die
Länder und Hochschulen werden großartige Forde-
rungen gestellt. Die Bundesregierung jedoch bewegt
sich gar nicht. Stattdessen ignoriert sie die Anträge
der Oppositionsfraktionen und lehnt sie vielmehr der
Reihe nach ab. Deshalb müssen wir dieses Thema
leider immer wieder auf die Tagesordnung setzen und

unsere Forderungen erneuern, bis auch endlich die
Bundesregierung aufwacht.

Wir fordern eine Personaloffensive für die Hoch-
schulen mit 2 500 Professuren bis 2020 für bessere
Karrierechancen, aber auch für eine bessere Betreu-
ung der Studierenden. Wir fordern 1 000 zusätzliche
Juniorprofessuren als Alternative zur Habilitation. Wir
wollen den Tenure Track stärken, um bessere Karriere-
wege an den Hochschulen zu schaffen. Wir brauchen
mehr strukturierte Promotionsprogramme und gleich-
stellungspolitische Programme sowie die Einführung
einer Frauenquote. Wir setzen uns ein für den Ausbau
von Kinderbetreuungsangeboten, damit die Vereinbar-
keit von Familie und Wissenschaft verbessert wird. Wir
wollen eine Erhöhung des Anteils unbefristet beschäf-
tigten Personals an den Hochschulen.

Zudem hat die Evaluation des Wissenschaftszeit-
vertragsgesetzes gezeigt, dass die Erweiterung des
Sonderbefristungsrechts für Wissenschaft und For-
schung 2007 richtig war. Doch es gibt auch Befunde,
die kritisch hinterfragt werden müssen. Um nur einige
Punkte zu nennen:

Zum einen ist es sachlich nicht zu rechtfertigen,
Abweichungen von den Bestimmungen durch tarifver-
tragliche Vereinbarungen zu untersagen. Die Tarif-
sperre muss aufgehoben werden, damit Arbeitgeber
und Arbeitnehmer gemeinsam Regelungen über das
Gesetzliche hinaus treffen können.

Zum Zweiten hat die Evaluation gezeigt, dass sehr
viele Arbeitsverträge in der Qualifikationsphase eine
sehr kurze Laufzeit haben – oftmals sind die Verträge
auf weniger als ein Jahr angelegt. Auch hier muss
gegengesteuert werden, indem insbesondere in der
Postdocphase eine Mindestbefristungsdauer festgelegt
werden sollte, von der nur in begründeten Fällen abge-
wichen werden darf.

Zum Dritten wurde festgestellt, dass sehr häufig
Arbeitsverträge auf Basis von Drittmittelbewilligun-
gen befristet werden, obwohl die Befristungsgrenzen
der Qualifizierungsphasen nicht ausgeschöpft sind.
Auch hier muss an den Stellschrauben gedreht werden,
um dem Schutzgedanken des Sonderbefristungsrechts
Rechnung zu tragen.

Der Antrag der Fraktion Die Linke enthält einige
wichtige, richtige Punkte, denen wir uns als SPD-
Fraktion anschließen könnten. Aber schon die Über-
schrift lässt erkennen, dass der Antrag zu kurz greift.
Sicherlich ist es richtig, die Arbeitsbedingungen und
Berufsperspektiven von Promovierenden verbessern zu
wollen. Doch dürfen wir in diesem Zusammenhang
nicht vergessen, dass es auch Probleme zu lösen gilt
– sowohl für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler, die sich in der Postdocphase befinden, als auch für
das wissenschaftsunterstützende Personal.


Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1721143600

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist ein Garant für

den Erhalt des erfolgreichen Forschungs- und Innova-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


tionsstandortes Deutschland. Deshalb verlangt die
Entscheidung eines jungen Menschen, sich der Wissen-
schaft in all ihren Herausforderungen und Unwägbar-
keiten hinzugeben, höchste Anerkennung und Förde-
rung durch die Gesellschaft. In der wissenschaftlichen
Karriere ist die Promotionsphase für jeden Wissen-
schaftler, wenn auch nur über einen kurzen Zeitraum,
eine überaus intensive Phase. Denn die Promotions-
phase legt den Grundstein für das weitere wissen-
schaftliche Wirken. Die Erfahrungen, die jeder Nach-
wuchswissenschaftler dabei sammelt, prägen sein
wissenschaftliches Engagement. Daher ist es richtig,
die Bedingungen, unter denen Doktoranden arbeiten
und forschen, stets einer kritischen Überprüfung zu
unterziehen und alles daranzusetzen, Bedingungen
und Umstände immer weiter verbessern zu wollen.

Der Antrag „Arbeitsbedingungen und Berufsper-
spektiven von Promovierenden verbessern“ von der
Linken leistet jedoch keinerlei geistreichen Beitrag zu
dieser politischen Herausforderung. Der Antrag taugt
eigentlich nicht einmal dazu, ihn zu debattieren. Denn
die Linke bleibt mit ihren Forderungen und Zielsetzun-
gen unkonkret. Es kommen keine Vorschläge oder
Ideen, wie denn die Probleme, die man sieht, gelöst
werden können. So fordert man beispielsweise die Bun-
desregierung auf, sich dafür einzusetzen, „die Bewer-
bungsphase zur Promotion – „Exposéphase“ – durch
entsprechende Fördermaßnahmen besser abzusichern“.
Oder sich bei den Forschungsorganisationen dafür
einzusetzen „die Promotionsförderung von Fachhoch-
schulabsolventinnen und -absolventen deutlich zu er-
höhen“.

Und selbst die Forderungen aus dem Antrag, die
man ansatzweise diskutieren könnte, verfehlen bedau-
erlicherweise ihr Ziel. Denn der im Antrag von der
Linken genannte Adressat, die Bundesregierung und
die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, sind
nur ein Partner. Das Promotionsrecht selbst jedoch
liegt einzig bei den Universitäten. Die gesetzlichen
Vorgaben zur Verleihung akademischer Grade fallen
unter das Landesrecht und die Promotionsordnung.
Aus diesem Grund sind Hochschulen und Bundeslän-
der in der Pflicht und Verantwortung, die Bedingungen
für Nachwuchswissenschaftler direkt zu verbessern.
Die Bundesregierung über den Umweg der außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen nun zum Handeln
aufzufordern, ist reichlich konstruiert. Das zeugt von
blindem Aktionismus und versucht – erfolglos –, von
eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Allein vor diesem Hintergrund erschließt sich dann
auch leicht, warum die Linke so denkt und diesen An-
trag gestellt hat. Ich lade deshalb jeden dazu ein, sich
die Wissenschaftspolitik in Brandenburg anzuschauen.
Dort, wo SPD und die Linke regieren und Wissen-
schaftspolitik direkt gestalten können, wird der An-
spruch ihrer Politik der Wirklichkeit ihrer Politik nicht
gerecht. Denn in Brandenburg habe ich bislang keine
politische Initiative von der Linken gesehen, mit der
man, wie in dem vorliegenden Antrag gefordert, den

Promovierenden eine Vollzeitstelle als Regelfall zu-
sichert. Auch ist mir nicht bekannt, dass man – wie im
vorliegenden Antrag gefordert – flächendeckend Pro-
motionsvereinbarungen eingeführt hätte. Oder dass
man – wie im vorliegenden Antrag gefordert – flächen-
deckend objektivierte Zugangsverfahren für die Pro-
motion eingeführt hätte.

Ich könnte mit jedem Punkt aus Ihrem Forderungs-
katalog fortfahren und Ihnen Ihre Untätigkeit vor-
halten. Stattdessen verweise ich auf das, was Sie in der
Hochschulpolitik in Brandenburg getan und zu verant-
worten haben. Sie haben im vergangenen Jahr den
Hochschulen in Brandenburg 10 Millionen Euro aus
der vertraglich zugesicherten Rücklage entnommen,
um Löcher im Landeshaushalt zu stopfen, obwohl die
Wissenschaft laut Ihrem vollmundigen Versprechen im
Koalitionsvertrag höchste Priorität genießt. Da frage
ich: Wie wollen Sie also gewährleisten, dass die Nach-
wuchswissenschaftler unter besseren Bedingungen ar-
beiten und forschen können, wenn Ihr linker Finanz-
minister in Brandenburg den Haushalt für das
Wissenschaftsressort an der kurzen Leine hält? Es gibt
eine Umschreibung für Ihre Politik in Bund und Land,
die es am besten trifft: politischer Opportunismus!

Sie haben einen Antrag vorgelegt, der in sich obso-
let ist und daher unserem Anspruch an eine verantwor-
tungsvolle Wissenschaftspolitik nicht ansatzweise ge-
recht wird. Deshalb verweise ich auf unseren Antrag,
den Antrag von FDP und CDU/CSU, „Exzellente Per-
spektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fort-
entwickeln“, den wir am 26. April 2012 in den Deut-
schen Bundestag eingebracht haben. In unserem
Antrag verfolgen wir mit 15 konkreten Forderungen
das Ziel, die Rahmenbedingungen für Nachwuchswis-
senschaftler an Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen sowie für alle weiteren Dok-
toranden stetig zu verbessern. In dem Antrag verlieren
wir aber nicht aus dem Blick, dass Wissenschaftspoli-
tik und damit auch die Problematik der Beschäftigung
von Nachwuchswissenschaftlern an Hochschulen und
Forschungseinrichtungen in erster Linie Ländersache
ist. Diesem Umstand tragen wir sehr klar Rechnung
und betonen, dass Bund und Länder gemeinsam eine
Verantwortung tragen und darum bemüht sein müssen,
die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Eine Verantwortung aber, die von der Linken gerne
unterschlagen wird. Im Antrag der Linken wird bei-
spielsweise das 2007 eingeführte Wissenschaftszeit-
vertragsgesetz kritisiert. Es wird mit dem Finger auf
den Bund gezeigt. Was aber unterschlagen wird, ist,
dass die Länder ihrer Verantwortung häufig nicht ge-
recht geworden sind. Der Bund hat seine Anstrengun-
gen bei der Finanzierung der Hochschulen erhöht, hat
seit Jahren Milliarden an Euro durch die Exzellenz-
initiative, den Qualitätspakt Lehre sowie den Hoch-
schulpakt 2020 zu einer besseren Ausfinanzierung
der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in
Deutschland beigetragen. Gleichzeitig aber haben ei-
nige Länder, wie das rot-rot regierte Brandenburg, die

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


Grundfinanzierung der Hochschulen zurückgefahren.
Wenn die Linke also mit dem Finger auf den Bund und
das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zeigt, zeigen gleich-
zeitig drei Finger auf die eigene verfehlte Hochschul-
politik. Wenn kritisiert wird, dass satte 84 Prozent der
wissenschaftlichen Mitarbeiter an unseren Hochschu-
len befristet angestellt sind, davon wiederum die
Hälfte mit einem auf unter ein Jahr befristeten Arbeits-
vertrag, dann vergisst die Linke ihren Beitrag daran
einzurechnen.

Den Antrag „Arbeitsbedingungen und Berufsper-
spektiven von Promovierenden verbessern“ der Linken
lehnen wir ab. Ich empfehle, unseren Antrag aufmerk-
sam zu lesen. Wir haben dort eine Vielzahl von guten
Vorschlägen gemacht. Unser Antrag ist ein Appell an
die Länder, in ihren Anstrengungen nicht nachzulas-
sen, insbesondere attraktive Beschäftigungsmöglich-
keiten und verlässliche Karriereperspektiven an ihren
Hochschulen zu schaffen. Der Bund kann unterstützen,
und wir Liberale werden diese Verantwortung immer
annehmen und dieser auch gerecht werden. Schaufens-
teranträge wie der vorliegende bringen niemanden
weiter und stehlen uns allen nur kostbare Zeit.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721143700

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – diese Re-

densart kann man so oder ähnlich öfter hören, wenn es
um die Arbeits- und Einkommensbedingungen von
Promovierenden in unserem Land geht. Ein Denkfeh-
ler in dieser Aussage besteht darin, Promovierende als
in der Lehre befindlich anzusehen. Das Gegenteil
stimmt: Wer promoviert, hat bereits einen überdurch-
schnittlichen Studienabschluss in der Tasche und sich
in einem Auswahlverfahren an die Spitze vorgekämpft.
Promovierende lehren, forschen und managen Wissen-
schaftsstrukturen.

Dass hierbei immer noch von wissenschaftlichem
Nachwuchs gesprochen wird, sagt mehr über die äu-
ßerst hierarchische Personalstruktur unserer Wissen-
schaftseinrichtungen und Hochschulen aus als über
die Qualifikation der Betreffenden. Um es klar zu sa-
gen: Die Promotion sehen wir als erste Phase einer
anspruchsvollen wissenschaftlichen Berufstätigkeit.
Wir reden von Höchstqualifizierten und Leistungsträ-
gern. Nicht selten stellt die Dissertation die innova-
tivste Schaffensphase einer wissenschaftlichen Kar-
riere dar. Diese Position vertrat wohl auch ein Kollege
der Unionsfraktion, allerdings unter anderen Vorzei-
chen. Er meinte im Ausschuss, wir redeten hier
schließlich von der wissenschaftlichen Elite, die dürfe
man nicht als Prekariat bezeichnen. Leider muss man
dies sogar, wenn man die Arbeitsbedingungen vieler
Promovierender beschreiben will. Knapp die Hälfte
hat laut dem Institut für Forschungsinformation und
Qualitätssicherung, iFQ, ein monatliches Einkommen
von unter 1 100 Euro, wobei auch Zuschüsse von
Familienangehörigen und Nebenjobs einfließen. Be-
sonders schwierig ist die Situation in den Sozial- und
Geisteswissenschaften, wo laut iFQ sogar ein Fünftel

der befragten Promovierenden unter der Armutsgrenze
lebt.

Ähnlich dramatisch ist es um die berufliche Sicher-
heit bestellt: Die Evaluierung des Wissenschaftszeit-
vertragsgesetzes brachte ans Licht, dass 57 Prozent
der Verträge in der Promotionsphase an außeruniver-
sitären Forschungseinrichtungen Laufzeiten von weni-
ger als einem Jahr haben. An Hochschulen laufen
53 Prozent der Verträge in der ersten Qualifikations-
phase weniger als ein Jahr, sogar 17 Prozent als Erst-
vertrag. Die Verträge der Promovierenden haben in
der Regel kürzere Laufzeiten, als dies zum Verfassen
der Dissertation nötig wäre.

Andersgelagerte Probleme ergeben sich, wenn die
Dissertation immer häufiger statt auf einer Stelle
durch ein Stipendium finanziert wird. Stipendiatinnen
und Stipendiaten ohne Stelle sind nicht über einen Ar-
beitgeber unfall-, kranken-, arbeitslosen- und renten-
versichert. Sie müssen diese Vorsorge aus dem Stipen-
dium finanzieren, das in der Regel zwischen 1 000 und
1 365 Euro plus kleinerer Zuschläge beträgt. Damit
stehen Stipendiatinnen und Stipendiaten in der Regel
noch schlechter da als ihre angestellten Kolleginnen
und Kollegen. Kein Wunder, dass in Umfragen die
meisten zwar einen Kinderwunsch bestätigen, aber
eine Familiengründung in weite Ferne schieben! Es
überrascht auch kaum, wenn angesichts dieser Bedin-
gungen nach Schätzungen im Rahmen des Bundesbe-
richtes zum wissenschaftlichen Nachwuchs zwei Drit-
tel der Promotionen nicht zu Ende geführt werden.

Diese Bedingungen nehmen viele Betroffene nicht
länger widerspruchslos hin. Petitionen wie die Fair-
Pay-Initiative sind von vielen unterzeichnet worden,
das Templiner Manifest und der Herrschinger Kodex
der GEW inzwischen den meisten ein Begriff. Und die
Initiativen zeigen erste Erfolge: Die Max-Planck-
Gesellschaft hob nicht nur den Stipendiensatz an, son-
dern führte vor allem eine explizite Begründungs-
pflicht ein, wenn statt einer Stelle ein Stipendium
vergeben werden soll. Die DFG hat sich bereits vor
längerem entschieden, statt der üblichen halben
Stellen mindestens 65 Prozent zu finanzieren.

Diese ersten guten Beispiele sind zu loben. Wir
brauchen nun jedoch ein politisches Umdenken auf
breiter Front, das bei der Koalition bisher nur im
Wünschen und nicht im Machen besteht. Union und
FDP hatten in einem Antrag erklärt, dass sie die Ver-
tragslaufzeiten an die Promotionsphase angleichen
und einen einheitlichen Doktorandenstatus einführen
wollen. Allein: Das waren nur Ankündigungen. Nicht
Ihr Druck, meine Damen und Herren von der Koali-
tion, hat die Max-Planck-Gesellschaft zur eben ange-
sprochenen Verbesserung der Situation gebracht, son-
dern der Protest der Promovierenden und eine Kleine
Anfrage unserer Fraktion! Das belegt das entspre-
chende Rundschreiben der Geschäftsführung.

Wir wollen, dass die 200 000 Promovierenden in un-
serem Land endlich die verdiente Anerkennung, gute

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Arbeitsbedingungen und sichere Karriereperspektiven
bekommen. Dazu gehört dann auch mehr als Bezah-
lung und Vertragsdauer: ein transparentes und offenes
Auswahlverfahren statt professoraler Rosinenpickerei
und eine echte und wirksame Öffnung der Promotions-
verfahren für Fachhochschulen und ihre Absolventin-
nen und Absolventen. Die Dissertation sollte zukünftig
nicht mehr als Freizeitvergnügen gewertet, sondern
als Teil der wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen einer
vollen Stelle vergütet werden. Die Betreuungsver-
pflichtung sollte flächendeckend in Promotionsverein-
barungen niedergelegt werden.

Die Promotionsphasen sind weder „Lehrjahre“
noch „Herrenjahre“. Es ist eine Zeit engagierter Ar-
beit im Dienste von Forschung und Wissenschaft, die
mehr Freiraum und mehr Sicherheit braucht. Unser
Antrag hat Vorschläge dazu unterbreitet.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721143800

Deutschland hat eine außergewöhnlich hohe Pro-

motionsquote. Dafür gibt es spezifische Gründe: In
Deutschland ist die Promotionsphase nicht nur die
erste Berufsstation in der Wissenschaftskarriere. Die
Promotion in Deutschland ist auch auf dem allgemei-
nen Arbeitsmarkt als Qualitätsauszeichnung aner-
kannt – und zwar nicht nur in den Sonderfällen Medi-
zin und Chemie. Dieser Doppelcharakter lässt sich
nicht ohne massive Verwerfungen auflösen, und wir
Grünen wollen ihn im Unterschied zur Linkspartei
auch gar nicht auflösen. Wir wollen vielmehr die Viel-
falt der Wege zur Promotion erhalten.

Externe Promotionen neben dem Beruf oder Promo-
tionen mit Stipendien haben genauso ihre Berechti-
gung wie Promotionen auf Qualifizierungsstellen.
Strukturierte Angebote in Kollegs und Graduierten-
schulen sind auszubauen, ohne die Möglichkeit zur
klassischen Einzelpromotion einzuschränken. Ent-
scheidend ist es, für jeden dieser Wege die Bedingun-
gen zu verbessern. Das hilft den Promovierenden, das
wird aber auch die Qualität der Promotionen weiter
erhöhen.

Durch die Exzellenzinitiative und die Graduierten-
schulen ist die Promotionspraxis in den letzten Jahren
in Bewegung gekommen. Die Universitäten überneh-
men immer mehr Verantwortung für die Promotion.
Von dieser Verobjektivierung können und sollen alle
Promotionsverhältnisse profitieren.

Das beginnt mit einem einheitlichen Gruppenstatus
für Promovierende, damit endlich transparent wird,
wie viele Menschen in Deutschland überhaupt promo-
vieren und wer, wo und bei wem promoviert oder auch
sein Promotionsvorhaben abbrechen muss. Ohne die-
sen Gruppenstatus ist auch eine effektive Interessen-
vertretung schlicht nicht möglich.

Verobjektivierte Verfahren braucht es auch beim Zu-
gang zur Promotion, damit er fairer wird und die Qua-
lität gesichert wird. Promotionsmöglichkeiten sollten
grundsätzlich in einem offenen und transparenten Be-

werbungsverfahren vergeben werden. Das gilt für Stel-
len wie für Stipendien oder die Betreuung Externer.
Die Chancen zum Promovieren dürfen nicht nur dieje-
nigen haben, die ihrem Doktorvater inhaltlich und ha-
bituell am ähnlichsten sind oder schon im Studium am
Rockzipfel ihrer Doktormutter hingen. Hierzu gehört
auch, dass sehr gute FH-Absolventinnen und -Absol-
venten eine faire Chance zu promovieren bekommen.
Hier müssen sich die Universitäten für Kooperationen,
zum Beispiel auch für kooperative Kollegs zwischen
Fachhochschulen und Universitäten, öffnen.

Wir wollen auch, dass es für jedes Promotionsvor-
haben eine individuell zugeschnittene – beide Seiten
bindende – Promotionsvereinbarung gibt. Promotions-
vereinbarungen helfen, die Promotionsphase zu struk-
turieren, und vergegenwärtigen den betreuenden Pro-
fessorinnen und Professoren, welche Verpflichtungen
sie gegenüber den Promovierenden eingehen.

Promovierenden auf Qualifikationsstellen muss da-
rüber hinaus ausreichend Zeit für die eigene Arbeit an
der Promotion zur Verfügung stehen. Wir wollen, dass
das im Arbeitsvertrag explizit festgehalten wird. Au-
ßerdem soll die Befristung in der Regel so terminiert
werden, dass die Qualifizierungsarbeit in diesem Zeit-
raum auch abgeschlossen werden kann.

Promovierenden ohne Qualifikationsstelle fehlt da-
gegen häufig die Anbindung an die Universität und
den Wissenschaftsbetrieb. Wir wollen, dass auch Pro-
movierende mit Stipendium oder im Beruf regelmäßig
an Forschungskolloquien teilnehmen können, dass ih-
nen Qualifizierungen angeboten werden und dass sie
die Gelegenheit bekommen, Lehrerfahrung zu sam-
meln. Reguläre Arbeitsleistungen im Labor oder in der
Lehre haben dagegen bei einer Stipendienfinanzierung
nichts zu suchen. Stipendiatinnen und Stipendiaten
sollten aber in jedem Fall wie Studierende in der ge-
setzlichen Krankenversicherung einen besonderen Ta-
rif erhalten. Auch dafür ist ein einheitlicher Status an
der Uni sinnvoll.

Bei allen berechtigten, sinnvollen und erforderli-
chen Maßnahmen zur Verbesserung der Promotions-
bedingungen: Die größten Probleme für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs bestehen heute aus meiner
Sicht nicht bei den Promotionen, sondern im Postdoc-
Bereich. Das kommt im vorliegenden Antrag der
Linkspartei viel zu kurz.

Entscheidend ist es, den hochmotivierten und aus-
gezeichneten Postdocs verlässlichere, berechenbarere
Anschlussperspektiven im Wissenschaftsbereich zu
geben, um tatsächlich die besten Köpfe in der Wis-
senschaft zu halten. Dazu brauchen wir keine
200 000 Vollzeitpromotionsstellen, wie es die Links-
partei vorschlägt, sondern ausgewogenere Personal-
strukturen – an den außeruniversitären Forschungs-
einrichtungen, vor allem aber an den Universitäten.
Nötig sind genügend mehrjährige Postdoc-Stellen, Ju-
niorprofessuren und Professuren. Nötig sind aber auch
neue Personalkategorien für selbstständige Forschung

Zu Protokoll gegebene Reden





Krista Sager


(A) (C)



(D)(B)


und Lehre neben der Professur, damit nicht jede erfah-
rene Wissenschaftlerin und jeder erfahrene Wissen-
schaftler, die oder der den Sprung auf eine der weni-
gen Vollprofessuren nicht oder nicht gleich schafft, gar
keine Perspektive an der Hochschule mehr hat. Denn
nur mit abhängigen Forschungs- und Lehranfängerin-
nen und -anfängern – und genau das sind die Promi-
vierenden – werden die gewachsenen Aufgaben der
Universitäten in Forschung und Lehre, Wissens- und
Technologietransfer, Weiterbildung oder Internationa-
lisierung nicht zu bewältigen sein.

D
Dr. Helge Braun (CDU):
Rede ID: ID1721143900


Der wissenschaftliche Nachwuchs ist der Garant ei-
ner guten Zukunft: Viele globale Herausforderungen,
etwa der Sieg über die Volkskrankheiten, die Bewäl-
tigung des Klimawandels oder die Sicherung der
Welternährung, werden wir nur bewältigen, wenn gute
Wissenschaftler auch in Zukunft weiter engagiert und
couragiert an deren Lösung arbeiten.

An dem Umgang mit unseren zukünftigen Talenten
und Leistungsträgern der Gesellschaft entscheidet
sich, wie unsere Hochschulen und unser Land im glo-
balen Wettbewerb von Wissenschaft und Forschung
dastehen werden. Deshalb sind eine ausgezeichnete
Ausbildung, gute Arbeitsbedingungen und kalkulier-
bare Berufsperspektiven des wissenschaftlichen Nach-
wuchses und im Besonderen von Promovierenden für
die Bundesregierung von großer Bedeutung.

Die Bundesregierung kümmert sich auf vielfache
Weise um die Zukunftschancen von Promovierenden im
Besonderen und von Nachwuchswissenschaftlern im
Allgemeinen:

So schaffen wir mit der Exzellenzinitiative 5 400
neue Beschäftigungsmöglichkeiten für den Nach-
wuchs; 45 Graduiertenschulen sind entstanden. Auch
in den großen thematischen Rahmenprogrammen, so
etwa aktuell im Rahmenprogramm der Geistes- und
Sozialwissenschaften, und im Gesundheitsforschungs-
programm sind Nachwuchsgruppen als wichtiges
strukturbildendes Element verankert.

Die Mittel für die Promotionsstudierenden in den
Begabtenförderwerken haben wir von 30 auf 50 Mil-
lionen Euro jährlich angehoben. Damit stehen jedem
Promovierenden monatlich 1 050 Euro zur Verfügung.

Die Programme „PhD-Net“ und „International
Promovieren“ sind große Erfolge. Die Mittel des
DAAD und für die Alexander-von-Humboldt-Stiftung
steigen im jüngst beschlossenen Haushalt 2013 erneut
an. Dies ermöglicht es, dass mehr Promovierende in-
ternationale Erfahrung sammeln können.

Mit dem KISSWIN-Netzwerk fördern wir den regel-
mäßigen Austausch und die Information Promovieren-
der über ihre Karriereoptionen.

Nicht zuletzt haben wir mit dem erstmals 2008 von
Bundesministerin Annette Schavan vorgelegten „Bun-

desbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen
Nachwuchses“ ein neues Instrument geschaffen, das
die Situation und die Fördernotwendigkeiten transpa-
rent macht. Im kommenden Jahr werden wir den
nächsten Bericht vorlegen.

Ich glaube, diese Bilanz ist beeindruckend, und den-
noch sage ich ausdrücklich: Es besteht an diversen
Stellen Verbesserungsbedarf, der jedoch vielfach nicht
durch den Gesetzgeber, sondern nur durch eine Verän-
derung der Kultur an den Hochschulen erreicht wer-
den kann. Auch der Wissenschaftsrat konstatiert, dass
es kein legislatives Defizit bei der arbeitsrechtlichen
Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse von
Promovenden gibt. Die Schaffung von zusätzlichen
Stellen statt der Ausgestaltung als Stipendium, die Ab-
kehr von unzumutbar kurzen Laufzeiten der Verträge,
bessere pädagogische Betreuung und ebenso die Plan-
barkeit und Flexibilität von Karriereverläufen kann
nicht gesetzlich verordnet, sondern nur durch die
Hochschulen gelebt werden.

Das bestehende Lehrstuhlsystem, in dem dem Lehr-
stuhlinhaber mehrere Assistenten unterstellt sind, re-
flektiert nicht mehr die Bedürfnisse einer modernen
Forschungspolitik. Damit Hochschulen auch für Spit-
zenforscher attraktiver werden, sollte man darüber
nachdenken, in Experimentalfakultäten mehr Selbst-
ständigkeit des Nachwuchses von Anfang an zu prakti-
zieren. Die Universitäten und außeruniversitären Ein-
richtungen müssen Qualitätsstandards für die Arbeits-
und Beschäftigungsbedingungen von Promovenden
genauso wie für deren Ausbildung definieren und um-
setzen.

Die im Antrag geforderte Datengewinnung über
Promovierende ist in der Tat erforderlich und wurde
von uns bereits in Angriff genommen. Wir benötigen
Daten über Promovierende auch zur Weiterentwick-
lung des Hochschul- und Wissenschaftssytems – und
zwar hinsichtlich seiner nationalen wie auch interna-
tionalen Bedeutung. Das Institut für Forschungsinfor-
mation und Qualitätssicherung, iFQ, stellt zu diesem
Zweck am 30. November 2012 die mit Mitteln des
BMBF geförderte „Machbarkeitsstudie zur Doktoran-
denerfassung und Qualitätssicherung von Promotio-
nen an deutschen Hochschulen“ vor. Wir versprechen
uns vergleichbare Informationen über Doktoranden
von dem Beginn ihrer Promotionsphase an, um auf der
Grundlage zuverlässiger Daten den notwendigen Re-
formprozess voranzutreiben. Zur Unterstützung der
Karriereforschung von Promovierten beteiligt sich
auch das Statistische Bundesamt auf Veranlassung des
BMBF an einer internationalen Studie von UNESCO,
OECD und Eurostat. Erste Ergebnisse für Deutsch-
land werden im Frühjahr 2013 vorliegen.

Datengewinnung über Promovierende ist nur ein
Element des Engagements der Bundesregierung. Das
BMBF hat vielfältige Initiativen gestartet, um Hoch-
schulforschung zu initiieren. Seit August 2012 läuft
unsere Ausschreibung „Forschung zu den Karriere-
bedingungen und Karriereentwicklungen des Wissen-

Zu Protokoll gegebene Reden





Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun


(A) (C)



(D)(B)


schaftlichen Nachwuchses“. Mithilfe der geförderten
Forschungsvorhaben werden wir dieses Feld systema-
tisch und kontinuierlich aus- und aufbauen.

Hinzu kommt, dass die Arbeitsgruppe des Wissen-
schaftsrates „Karrierewege im Wissenschaftssystem“
derzeit Empfehlungen erarbeitet, die sich auch mit
den Möglichkeiten einer aktiven Personalentwicklung
durch die Hochschulen und Forschungsinstitute be-
fasst. Dabei werden Karriereperspektiven jenseits der
ordentlichen Professur in den Blick genommen und
wird ermittelt, wie sie sich in Forschung und Lehre,
Administration und Management herausgebildet ha-
ben. Eine Erhöhung der Planstellen an unseren Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen kann aber nur
eine der Lösungen sein. Wir müssen den Promovenden
auch alternative Karrierewege außerhalb der Wissen-
schaft aufzeigen.

Die im Antrag geforderte Novellierung des Wissen-
schaftszeitvertragsgesetzes wäre kontraproduktiv: Die
sogenannte Tarifsperre des Wissenschaftszeitvertrags-
gesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG) gilt nur für den
Kernbestand der Befristungsregelungen und besagt
konkret, dass davon nicht durch Vereinbarung abgewi-
chen werden darf.

Unzulässig sind damit aber nur solche Vereinbarun-
gen der Tarifpartner, die den konkreten Befristungs-
tatbeständen zuwiderlaufen. Den Tarifparteien stehen
daher ausreichende Bereiche zur tariflichen Regelung
zur Verfügung. So könnten sie sich selbstverständlich
auf bestimmte Mindestvertragslaufzeiten verständigen
und sie an Qualifikationszeiten oder der Dauer von
Drittmittelförderung orientieren. Gesetzgeberische Maß-
nahmen wären hier nicht zielführend. Eine notwen-
digerweise allgemeine gesetzliche Regelung würde
zudem den spezifischen Verhältnissen in den unter-
schiedlichen Forschungsbereichen kaum Rechnung
tragen können.

Auf Initiative des BMBF wurde im Anschluss an die
Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in
der Allianz der Wissenschaftsorganisationen ein
Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der mit der im
Dezember 2011 erfolgten klaren Positionierung der
Allianz und den von der Mitgliederversammlung der
Hochschulrektorenkonferenz im April dieses Jahres
beschlossenen Leitlinien zu ersten Ergebnissen geführt
hat. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind
sich ihrer Verantwortung für die Nachwuchsförderung,
auch im Sinne von besserer Planbarkeit und Transpa-
renz wissenschaftlicher Karrierewege, bewusst. Dieser
eingeleitete Prozess muss jetzt zielgerichtet weiterge-
führt werden.

Gesetzliche Maßnahmen, wie sie in dem Antrag ge-
fordert werden, wären daher der falsche Weg und wür-
den das von uns angestrebte Ziel, für wissenschaftliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlässliche Rah-
menbedingungen zur Verfügung zu stellen, erheblich
beeinträchtigen.

Die Bundesregierung wird auch in Zukunft intensiv
für die Interessen von Promovierenden und Nach-
wuchswissenschaftlern eintreten. Jedem Einzelnen von
ihnen wünsche ich viel Erfolg. Denn jede Erkenntnis
eines jungen Forschers bringt unser Land voran: un-
seren Wohlstand, unsere Gesundheit, unsere Umwelt,
unsere Gesellschaft.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721144000

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/11044 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch ist
nicht erkennbar. Damit ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee

(Hamburg)

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Florian
Bernschneider, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Tagespflegepersonen stärken – Qualifika-
tion steigern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren
Marks, Petra Crone, Christel Humme, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Neuen „Krippengipfel“ einberufen – Aus-
bau der frühkindlichen Bildung und Be-
treuung voranbringen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Dörner, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wahlfreiheit gewährleisten, Kindertagesbe-
treuung ausbauen

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Bericht der Bundesregierung über den
Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes
Angebot an Kindertagesbetreuung für Kin-
der unter drei Jahren für das Berichtsjahr

(Zweiter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Bericht der Bundesregierung über den
Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes
Angebot an Kindertagesbetreuung für Kin-
der unter drei Jahren für das Berichtsjahr

(Dritter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


– Drucksachen 17/9925, 17/5518, 17/9929,
17/5900, 17/9850, 17/11574 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marcus Weinberg (Hamburg)
Caren Marks
Miriam Gruß
Diana Golze
Ekin Deligöz

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt werden die Re-
den zu Protokoll genommen.


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1721144100

Eine moderne Familienpolitik muss Antworten auf

die Frage liefern, wie Familien Berufsalltag und Fa-
milienleben in Einklang bringen sollen. An erster
Stelle steht dabei immer das Wohl der Kinder. Sie be-
nötigen Fürsorge, Zuwendung sowie eine angemes-
sene Betreuung und Bildung.

In der Zielsetzung einer hochqualitativen Betreuung
sind wir uns einig –das wurde in den zahlreichen De-
batten, die wir hier geführt haben, deutlich –: Es muss
uns gelingen, unseren Kindern die bestmögliche Be-
treuung zu bieten. Und dabei darf es keine Rolle spie-
len, wo die Betreuung stattfindet, ob in der Kinderta-
gesstätte, in der Tagespflege oder zu Hause.

Es ist unsere Aufgabe, Eltern die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf und somit eine echte Wahlfreiheit zu
ermöglichen. Auf keinen Fall dürfen wir und sollten
wir dabei die eine oder andere Form der Kinderbe-
treuung bevorzugen oder abwerten. Insbesondere ha-
ben wir uns nach den Bedürfnissen der Eltern zu rich-
ten.

Gerade immer mehr Frauen sind heutzutage er-
werbstätig und steigen nach der Geburt ihres Kindes
schneller wieder in den Beruf ein. Immer mehr Männer
nehmen Elternzeit in Anspruch. Familien, in denen
beide Elternteile Verdiener sind, sind keine Seltenheit
mehr. Das Angebot an staatlich geförderter Kinderta-
gesbetreuung wird daher immer bedeutender für die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für diejenigen
Eltern, die sich für die Betreuung in einer Einrichtung
entscheiden, wollen wir ausreichend hochqualitative
Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Wie viel Ge-
wicht wir diesem Anliegen beimessen, beweist, dass ab
dem 1. August 2013 für jedes Kind ein Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz geltend gemacht werden kann.

Die Verantwortung für den Krippenausbau liegt in
erster Linie bei den Ländern und Kommunen. Auf dem
Krippengipfel im Jahr 2007 haben wir uns jedoch da-
rauf verständigt, dass sich der Bund an der Länderauf-
gabe „Ausbau der Betreuungsplätze“ beteiligt. Der
Bund hält sich an diese gemachte Zusage: Er investiert
4 Milliarden Euro in den Ausbau von Kindertagesstät-
ten, ab 2014 weitere 770 Millionen in die Betriebskos-
ten. Darüber hinaus starten das Bundesfamilienminis-
terium und die KfW Bankengruppe Anfang 2013 zwei
neue Förderprogramme für den Ausbau von Kinderta-
gesstätten. Für die Kommunen und die anderen Träger

von Kindertagesstätten stehen dann KfW-Kredite in
Höhe von insgesamt 350 Millionen Euro zur Verfü-
gung.

Zielsetzung des Ausbaus war es, bis zum Jahr 2013
eine bundesdurchschnittliche Betreuungsquote von
35 Prozent zu erreichen und 750 000 Betreuungsplätze
bereitzuhalten. Allein 30 Prozent der neu zu schaffen-
den Plätze in der Kinderbetreuung sollen in der Tages-
pflege entstehen. Diese Zielmarke hat sich mittlerweile
aufgrund demografischer Entwicklungen und einer an-
deren Bedarfssituation auf 39 Prozent und 780 000 Plätze
erhöht. Der Bund erklärt sich deshalb bereit, den Län-
dern erneut unter die Arme zu greifen: Er stellt zusätz-
liche 580 Millionen Euro für Investitionen und 75 Mil-
lionen Euro für den Betrieb zur Verfügung.

Aber diese Mittel müssen die Länder auch abrufen.
Immer noch stehen 700 Millionen Euro der 4 Milliar-
den Euro Ausbaugelder zur Verfügung. Auch wenn wir
nicht verkennen, dass die Länder aufgrund der Schul-
denbremse sparen müssen, darf dies nicht dazu führen,
dass der Ausbau der Kindertagesstätten vernachläs-
sigt wird. In den vergangenen drei Jahren hätte viel
mehr passieren können und mehr passieren müssen.
Das wäre der Fall, wenn das vom Bund bereitgestellte
Geld zu 100 Prozent vor Ort in der Kindertagesbetreu-
ung ankommen würde.

Was wurde mit den Geldern bisher aber erreicht?
Der aktuelle Dritte Zwischenbericht zur KiföG-Eva-
luation zeigt, dass die Betreuungsquote im vergan-
genen Jahr im Bundesdurchschnitt um 2,3 Prozent
gestiegen ist. Wir erreichen mittlerweile eine durch-
schnittliche Betreuungsquote von 25,4 Prozent –
vielversprechende Resultate, die bestätigen, dass die
Ausbaubemühungen grundsätzlich in die richtige
Richtung gehen.

Der Bericht bescheinigt jedoch auch, dass es zwi-
schen den ost- und den westdeutschen Bundesländern
noch deutliche Unterschiede bei den Ausbauquoten
gibt. Regionale Differenzen bestehen darüber hinaus
auch in der Bedarfsbeschreibung zwischen Stadt und
Land: Hohe Bedarfe existieren beispielsweise mit je-
weils 61 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt und mit 57 Prozent in Brandenburg,
während in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schles-
wig-Holstein Betreuungsquoten zwischen 30 und
35 Prozent nachgefragt werden. Einige Länder werden
demnach mehr als andere Probleme haben, den Wün-
schen der Eltern nach einer Kindertagesbetreuung
nachzukommen. Hier muss rasch nachgebessert wer-
den.

Am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern ist beson-
ders bemerkenswert, dass die dortige zuständige So-
zialministerin Manuela Schwesig medienwirksam den
Ausbaustand in CDU-geführten Ländern kritisiert.
Aber es zeigt sich, dass es sinnvoller wäre, zunächst
vor der eigenen Haustür zu kehren. Mecklenburg-Vor-
pommern bildet das Schlusslicht aller ostdeutschen
Länder, wenn es um die Diskrepanz zwischen dem Be-





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


treuungswunsch der Eltern und der tatsächlichen Aus-
bauquote geht.

In den vergangenen Jahren ist nicht nur ausgebaut
worden, es ist auch gelungen, neue Fachkräfte zu ge-
winnen. Die Anzahl der pädagogischen Fachkräfte in
den Kindertageseinrichtungen ist um etwa ein Viertel
und die Zahl der Tagespflegepersonen um mehr als
40 Prozent gestiegen – auch wenn dies Prognosen zu-
folge nicht ausreichen wird.

Trotz vieler Initiativen in Bund und Ländern können
wir noch nicht vorhersagen, ob bis dahin die ausrei-
chende Anzahl von Tagespflegepersonen für die Kin-
derbetreuung zur Verfügung steht. Aber es ist nicht nur
Aufgabe des Bundes allein, für eine ausreichende Zahl
qualifizierter Tagespflegepersonen Sorge zu tragen.
Die Länder müssen in erster Linie dazu beitragen. Wir
fordern die Länder in unserem Antrag daher erneut
ausdrücklich dazu auf, ihre Verpflichtungen beim Kita-
ausbau einzuhalten. Der Bund handelt, auch die Län-
der müssen ihrer Verpflichtung nachkommen. Insbe-
sondere sollten sie die vom Bund bereitgestellte finan-
zielle Unterstützung direkt vor Ort nutzen, um die
Betreuungssituation weiter zu verbessern.

Weitere Zukunftsaufgabe ist die Sicherstellung der
Qualifizierung des Fachpersonals in Einrichtungen
und in der Tagespflege. Tagesmütter und Tagesväter
leisten einen sehr wichtigen Beitrag zum Ausbau, und
laut dem Dritten Zwischenbericht zur KiföG-Evalua-
tion nimmt die Zahl der Kinder, die von Tagespflege-
personen betreut werden, erfreulicherweise weiterhin
zu.

Neben der Bereitstellung finanzieller Mittel hat der
Bund die Länder auch mit Maßnahmen zur Qualifizie-
rung der Erzieherinnen und Erzieher unterstützt. Auf
den Weg gebracht wurden die Programme „Mehr
Männer in Kitas“, die Weiterbildungsinitiative Früh-
pädagogische Fachkräfte, WiFF, oder auch das Ak-
tionsprogramm Kindertagespflege. Initiativen wie
diese tragen dazu bei, dass die Qualifizierung der
Fachkräfte laut nationalem Bildungsbericht von 8 auf
22 Prozent gesteigert werden konnte. Ebenso hat sich
der Anteil der Tagespflegepersonen, die keinen Quali-
fizierungskurs absolviert haben, auf 14 Prozent und
damit auf die Hälfte reduziert.

Der von uns vorgelegte Antrag thematisiert die
Qualifikation von Tagespflegepersonen und die zum
Teil schwierigen Rahmenbedingungen für viele Tages-
mütter und Tagesväter. Weil sie zum großen Teil selbst-
ständig sind, müssen sie finanziell selbst für ihre Kran-
ken- und Pflegeversicherung sowie die Altersvorsorge
aufkommen. Darüber hinaus ist eine leistungsgerechte
Ausgestaltung der Vergütung für Tagespflegepersonen
erforderlich. Durch die EU-Hygieneverordnung und
deren Umsetzung in den Bundesländern ist unter Ta-
gesvätern und Tagesmüttern Unsicherheit darüber ent-
standen, inwieweit die Eigenschaft eines Lebensmittel-
unternehmers erfüllt wird, aus der umfangreiche
Dokumentationspflichten und Kontrollen folgen.

Wir wollen die Fachkräfte in der Tagespflege stär-
ken und sie dabei unterstützen, die eigene Qualifika-
tion zu steigern. Wir fordern daher zunächst, die recht-
lichen und finanziellen Bedingungen zu verbessern.
Dies betrifft vor allem eine Förderung von Festanstel-
lungsverhältnissen. Ein weiteres Anliegen ist eine an-
gemessene Vergütung, die Gegenstand einer gemein-
samen Initiative von Bund, Ländern und Kommunen
werden soll. Die Ergebnisse der Expertise zur leis-
tungsgerechten Vergütung von Kindertagespflegeper-
sonen als Grundlage für zukünftige Vergütungsmodelle
soll dabei hilfreich herangezogen werden. Ebenso
richten wir einen Appell an die Länder, die EU-Hy-
gienevorschriften für Tagesmütter und Tagesväter un-
bürokratisch auszulegen.

Unser Antrag greift damit die wesentlichen Punkte
auf und wird damit der Bedeutung der Tagespflege in
der Kindertagesbetreuung gerecht. Eine breite Unter-
stützung durch alle Fraktionen im Hause für unseren
Antrag wäre ein mehr als positives Signal.


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1721144200

Früher hieß es immer nur „the economy matters“,

also: Was zählt, ist die Wirtschaft. Heute ist die Gesell-
schaft einen Schritt weiter. Es ist bekannt, dass Fami-
lien-, Arbeits- und Wirtschaftspolitik miteinander ver-
zahnt und politische Maßnahmen nur dann erfolgreich
sind, wenn sie ressortübergreifend abgestimmt sind.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung aber scheint das
nicht begriffen zu haben. Wie sonst soll man sich erklä-
ren, dass ihre Politik komplett widersprüchlich ist?

Mal betonen Sie, meine Damen und Herren von
Schwarz-Gelb, die Notwendigkeit des Krippenausbaus
und einer höheren Frauenerwerbstätigkeit. Dann wie-
der setzen sie mit dem Betreuungsgeld sinnlose An-
reize für Frauen, um daheim zu bleiben. Dann wieder
überlegen sie sich – quasi als populistisches kleines
Bonbon vor der Wahl – eine Haushaltshilfenprämie,
die voraussichtlich vor allem denjenigen nützt, die sich
ohnehin schon eine Haushaltshilfe leisten können.

Was Sie sich offenbar nicht fragen, ist: Was wollen
die Menschen in diesem Land? Egal ob auf dem Land
oder in der Stadt, eines ist klar: Die allermeisten El-
tern wünschen sich mehr und bessere Angebote der
frühkindlichen Bildung und Betreuung für ihre Kinder.
Sie wollen, dass ihre Kinder sicher aufgehoben sind
und gefördert werden. Und sie wollen beruhigt ihrer
Arbeit nachgehen können. Hier gute Rahmenbedin-
gungen zu schaffen wäre vor allem die Aufgabe der zu-
ständigen Bundesfamilienministerin.

Es grenzt allerdings an eine Tragikomödie, wie
Frau Schröder jedes Mal den Schwarzen Peter an die
Länder und Kommunen abgibt, wenn es darum geht,
die familienpolitischen Herausforderungen in unserem
Land zu meistern. Von ihr ist dann zu hören: „Kitaaus-
bau?“ – „Die Länder müssen sich eben mehr anstren-
gen!“ – „Mehr Qualität in den Betreuungseinrichtun-
gen?“ – „Das ist Ländersache!“ – „Bessere Ausbildung
sowie bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzie-

Zu Protokoll gegebene Reden





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


her?“ Erneut lautet die Antwort Schröders: „Das müs-
sen die Länder und Kommunen hinbekommen!“

Es bleibt die Frage, worin die Familienministerin
eigentlich ihre eigene Aufgabe sieht. Es ist erschre-
ckend, dass die Bundesregierung seit Jahren eine Ant-
wort schuldig bleibt, wie sie mit Volldampf den quanti-
tativen und qualitativen Ausbau voranbringen will.
Das ist umso schlimmer, je näher das Inkrafttreten des
Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz für Kinder ab
dem ersten Geburtstag rückt. Es bleiben nur noch acht
Monate!

Die SPD-Bundestagsfraktion hingegen hat schon
lange ihre Hausaufgaben bei diesem Thema gemacht.
In unserem Antrag „Neuen Krippengipfel einberufen –
Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung vo-
ranbringen“, Drucksache 17/5518, zeigen wir die not-
wendigen Schritte auf, die gemacht werden müssen.
Auch hat die SPD einen umfassenden Aktionsplan zum
Kitaausbau und zur Sicherung des Rechtsanspruchs
vorgelegt.

Die SPD-Bundestagsfraktion fordert seit Jahren,
dass sich die Bundesregierung mit Ländern und Kom-
munen in einem Krippengipfel an einen Tisch setzt,
eine neue Bedarfsanalyse erstellt und konkrete Schritte
zur Forcierung des Krippenausbaus verabredet. Sol-
che Initiativen sind zusätzlich auch auf Landesebene
notwendig. Die SPD redet nicht nur, sondern handelt
auch: So hat Nordrhein-Westfalen nach der Regie-
rungsübernahme durch die SPD schnell einen Krip-
pengipfel einberufen, nachdem die CDU-geführte Vor-
gängerregierung den Krippenausbau verschlafen
hatte. Würde die Bundesfamilienministerin jetzt einen
Krippengipfel einberufen, wäre sie schon ziemlich spät
dran. Das Statistische Bundesamt hat mit Stichtag
1. März 2013 Zahlen vorgelegt, wonach bis zum Au-
gust 2013 noch rund 220 000 Plätze für Kleinkinder
geschaffen werden müssen. Der Betreuungsausbau
muss also weiter vorankommen, insbesondere in den
westdeutschen Ländern. All diese Probleme beim Kita-
ausbau sind nicht neu. Es ist daher unverständlich,
warum sich die Bundesregierung seit Jahren unserer
Forderung nach einem Krippengipfel verweigert. Die
Bundesregierung hat die Dringlichkeit, hier zu han-
deln, völlig ignoriert.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition,
Ihr Antrag zur Verbesserung der Qualität in der Kin-
dertagespflege kommt zu spät. Es ist bereits „fünf vor
zwölf“ und plötzlich kommen sie darauf, dass Sie noch
einiges zu erledigen haben. Grundsätzlich begrüßen
wir alle konstruktiven Initiativen, um die Qualität auch
in der Tagespflege zu verbessern. Deshalb lehnen wir
diesen Antrag auch nicht ab, sondern enthalten uns.
Problematisch finden wir, dass in diesem Antrag vor
allem auf bestehende Maßnahmen Bezug genommen
wird oder reine Prüfaufträge erteilt werden sollen.
Das ist uns nicht konkret genug.

Wir fordern: Der Bund soll in Zusammenarbeit mit
Ländern und Kommunen Maßnahmen zum Ausbau und

zur Qualifizierung der Tagespflege erweitern. Dabei
wollen wir Tagespflege und Kitas besser vernetzen und
die Übergänge gut gestalten. Klar ist aber auch: Zwi-
schen März 2009 und März 2012 entstanden zum Bei-
spiel in Westdeutschland lediglich 20 Prozent der
neuen Betreuungsplätze bei einer Tagesmutter oder ei-
nem Tagesvater. Die Bundesregierung sollte den Fokus
besonders auf die Kindertagesstätten legen; denn dort
wird der weit überwiegende Teil der Kleinkinder, die
sich insgesamt in der Kindertagesbetreuung befinden,
betreut.

Der Betreuungsausbau und die Verbesserung der
Qualität in den Einrichtungen kosten Geld – Geld, das
bald fehlen könnte. Die rund 2 Milliarden Euro, die
das Betreuungsgeld voraussichtlich Jahr für Jahr kos-
ten wird, gefährden den Kitaausbau noch weiter. Diese
Mittel müssen dringend und dauerhaft in den forcier-
ten Ausbau und in den Betrieb von Kitas und Tages-
pflege investiert werden. Rund 160 000 zusätzliche
Plätze könnten damit entstehen, und deren Betrieb
könnte damit finanziert werden. Das entspricht dem
Großteil der Plätze, die noch geschaffen werden müs-
sen, um den Rechtsanspruch zu erfüllen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
setzen auf Kitaausbau statt auf Fernhalteprämie. Un-
ser auf dem SPD-Bundesparteitag Ende 2011 verab-
schiedetes Konzept „Familienland Deutschland“
beinhaltet einen Stufenplan, mit dem flächendeckend
Ganztagskitas und Ganztagsschulen bis 2020 in
Deutschland ausgebaut werden sollen. Unsere Vor-
schläge sind übrigens mit einem Finanzierungskonzept
unterfüttert.

Es ist ein wichtiger Schritt, dass auf Druck der SPD
der Bund endlich seinen Finanzierungsanteil sowohl
bei den Investitionskosten als auch bei den Betriebs-
kosten ausweitet. Natürlich sind auch die Länder in
der Verantwortung, den Kommunen zügig und ausrei-
chend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Hier
sehen wir alle Ebenen in der Verantwortung. Mit dem
Schwarzer-Peter-Spiel der Ministerin Schröder muss
endlich Schluss sein. Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten im Bund genauso wie in Ländern und
Kommunen betrachten den Kitaausbau als nationale
Kraftanstrengung und nehmen ihre Verantwortung
ernst.

Dringend notwendig ist es zudem, dass die Bundes-
regierung in enger Zusammenarbeit mit Ländern,
Kommunen und Trägern eine bundesweite Fachkräfte-
initiative startet, um den steigenden Bedarf an Erzie-
herinnen und Erziehern zu decken. Dabei sind die
Bundesagentur für Arbeit sowie die Gewerkschaften
und Berufsverbände zu beteiligen. Die Länder sind ge-
fordert, Ausbildung, Umschulung und berufsbeglei-
tende Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern
unter Wahrung hoher Qualitätsstandards weiter zu
fördern. Der wachsende Fachkräftebedarf wird nur zu
decken sein, wenn die Arbeitsbedingungen im Erzie-
herberuf verbessert werden. Erzieherinnen und Erzie-
her müssen besser verdienen und brauchen bessere

Zu Protokoll gegebene Reden





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


Aufstiegschancen, damit dieses Berufsbild für Nach-
wuchs attraktiver wird. Wenn wir wollen, dass die Kin-
dertagespflege weiter qualifiziert und aufgewertet
wird, brauchen wir auch in diesem Bereich eine bes-
sere Bezahlung. In dem Antrag von CDU/CSU und
FDP ist hierzu übrigens keine einzige Forderung ent-
halten.

Wir werden nicht müde, deutlich zu machen: Ein
flächendeckendes Angebot an Kinderbetreuung ist die
beste Armutsprävention: Denn nur Erwerbstätigkeit
verhilft Familien zu einer eigenständigen Existenzsi-
cherung. Genauso wichtig ist: Gute Angebote der früh-
kindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sind das
Fundament für eine bestmögliche Förderung von Kin-
dern und ihre Inklusion in die Gesellschaft. Der Staat
muss mehr dafür tun, um den Ausbau dieser Angebote
voranzubringen. Versäumnisse im Bereich der früh-
kindlichen Bildung können zu einem späteren Zeit-
punkt nicht mehr aufgeholt werden.


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1721144300

Spätestens jetzt ist es amtlich: Diese Bundesregie-

rung hat für den Ausbau der Kindertagesbetreuung
mehr getan als jede andere Regierung zuvor. Der
zweite und dritte Zwischenbericht der Bundesregie-
rung belegen die beeindruckende Entwicklung der
letzten Jahre.

Unser Antrag zur Förderung der Kindertagespflege
zeigt, dass wir nicht nur von Vielfalt in der Betreuung
sprechen, sondern sie auch ganz konkret fördern.

Im März 2011 besuchten über 517 000 Kinder im
Alter unter drei Jahren eine Kindertageseinrichtung
oder wurden in der Kindertagespflege betreut. Im
März 2012 wurden dann sogar schon 558 000 Kinder
unter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung
oder öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut.
Es sind also in einem Jahr gut 40 000 zusätzliche
Plätze geschaffen worden.

Trotzdem fehlen noch immer rund 220 000 Plätze.
Das zeigt, was für eine Mammutaufgabe noch vor den
Ländern und Kommunen liegt. Aber die Dynamik ist
gut: Allein mein Heimatland Bayern hat zwischen
2006 und 2010 die Zahl der Betreuungsplätze mehr als
verdoppelt. Schleswig-Holstein hat sie sogar mehr als
verdreifacht. 97 Prozent der Bundesmittel sind bereits
verplant.

Die schwarz-gelbe Koalition hat aber noch weitere
Schritte unternommen, um die Ausbaudynamik zu stei-
gern:

Erstens haben wir den Ländern noch einmal
580,5 Millionen Euro Investitionszuschüsse und wei-
tere Betriebskostenzuschüsse zur Verfügung gestellt,
um die zusätzlich benötigten 30 000 Plätze zu finanzie-
ren.

Zweitens hat die Bundesregierung mit dem Zehn-
Punkte-Programm auf die noch nicht ausreichende
Dynamik beim Ausbau reagiert. Das beinhaltet ein

Festanstellungsprogramm für Tagespflegepersonen,
für das bis 2014 insgesamt 10 Millionen Euro zur Ver-
fügung stehen. Und es beinhaltet eine Werbekampagne
für die Tagespflege, die Sie gegenwärtig in ganz
Deutschland sehen können. Auch ein Programm zur
Unterstützung von Betriebskitas gehört dazu.

Ich freue mich, dass wir heute auch den Antrag „Ta-
gespflegepersonen stärken – Qualifikation steigern“
verabschieden. Damit geben die Koalitionsfraktionen
nicht nur ein klares Bekenntnis zur Tagespflege ab, die
ein wichtiger Baustein des U3-Ausbaus ist, sondern
wir machen auch ganz konkrete Vorschläge. So wollen
wir ergänzend zu „Mehr Männer in Kitas“ ein Pro-
gramm für die Gewinnung von Männern für die Tages-
pflege starten. Auch eine Initiative für faire Bezahlung
von Tagesmüttern und Tagesvätern fordern wir. Aber
auch bei der Kindertagespflege sind die Länder gefor-
dert. Sie müssen ihre Spielräume nutzen, zum Beispiel
bei einer unbürokratischen Auslegung und Anwen-
dungspraxis der EU-Hygiene-Verordnung.

Auch bei der Erzieherausbildung muss mehr ge-
schehen. Uns fehlen gut qualifizierte, liebevolle Erzie-
herinnen und Erzieher, Tagesväter und Tagesmütter.
Die kann man nicht von heute auf morgen einstellen,
sondern muss sie ausbilden. Das braucht Zeit. Dem
Erziehermangel muss man aber auch durch die Schaf-
fung von mehr Vollzeitstellen begegnen. Hier sind vor
allem die Kreise und Kommunen gefordert, Teilzeit-
stellen in Kitas in Vollzeitstellen umzuwandeln. Das
würde eine erhebliche Ausweitung der Betreuungsan-
gebote bedeuten und wäre auch der Wunsch vieler
Frauen im Erzieherberuf.

Wir ziehen trotz aller Bemühungen, die noch folgen
müssen, eine positive Bilanz. Wir haben dieses Land
umgekrempelt! Noch vor wenigen Jahren gab es vie-
lerorts – vor allem in den alten Bundesländern – kaum
Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Heute
dagegen gibt es ein fast flächendeckendes Angebot –
zwar sind es noch zu wenig Plätze, aber es gibt sie.

Wenn die Qualität der Betreuung stimmt, dann ist
diese neue Realität ein Gewinn für alle Seiten. Und ge-
nau deshalb werden wir Liberale uns auch weiterhin
für die Qualität der Kindertagesbetreuung einsetzen –
weil eine familienfreundliche Infrastruktur heißt, dass
Qualität und Quantität in der Kinderbetreuung stim-
men.


Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721144400

Kindertagesbetreuung ist ein Alltagsproblem. Noch

immer kommt vielerorts ein Kitaplatz für ein unter
dreijähriges Kind einem Lottogewinn gleich. Auch vier
Jahre nach der Einrichtung eines Sondervermögens
sind Betreuungs- und damit auch Bildungsangebote
für diese Altersgruppe in nicht ausreichender Menge
vorhanden. Von einem bedarfsdeckenden Angebot gar
kann bei Weitem keine Rede sein. Die Gründe mögen
regional unterschiedlich sein. Die Unterschiede ma-
chen sich zum einen an der Ausgangssituation fest.
Während 2008 in den ostdeutschen Bundesländern be-

Zu Protokoll gegebene Reden





Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)


reits Betreuungsquoten über dem angestrebten Aus-
bauziel von 35 Prozent vorhanden waren, war der
Nachholbedarf in den westlichen Ländern immens. Vor
allem im ländlichen und kleinstädtischen Raum muss
man wohl eher von einem Auf- als von einem Ausbau
sprechen. Jenseits davon, dass man gern und trefflich
darüber streiten kann, ob die Belange und Bedürfnisse
der Kommunen beim Krippengipfel 2007 wirklich in
notwendigem Ausmaß in die Ergebnisse mit
einflossen – meine Erinnerung sagt mir hier etwas an-
deres. Zum anderen aber hat die damalige Bundesre-
gierung bei der Einführung des Sondervermögens für
den Ausbau der Kindertagesbetreuungsangebote das
gemacht, was sie viel zu oft tut: Sie hat die Meinung
der Fachwelt, was die Fragen der tatsächlich benötig-
ten Betreuungsquote und das Fehlen qualitativer Min-
deststandards betrifft, genauso ignoriert wie die Be-
rechnungen des DJI, dass die Höhe dieses
Sondervermögens bei weitem nicht ausreichen wird,
um das angestrebte Ausbauziel zu erreichen. Was wir
seitdem erleben, ist eine Politik des „Nicht-sehen-Wol-
lens“ und des „Nicht-handeln-Könnens“. Man muss
sich nur die Zeitleiste anschauen, die anhand der heute
zu verhandelnden Vorlagen deutlich wird. Während im
Antrag der SPD herausgestellt wird, dass der Deut-
sche Städte- und Gemeindebund noch im April 2011
auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Fami-
lienministerium deutlich machte, dass in Sachen Aus-
bau „dringender Handlungsbedarf“ bestehe und sich
der Ausbau „aufgrund der kommunalen Haushaltslage
schwierig“ gestalte, kann man im Bericht der Bundes-
regierung aus dem Mai 2012 noch immer lesen, „dass
ein bedarfsgerechter Ausbau bis August 2013 noch im-
mer gelingen kann“. Im gleichen Bericht wird aufge-
rechnet, dass die Betreuungsquote im Zeitraum 2007
bis 2011 um 10 Prozent angehoben wurde. Wer soll ei-
ner Bundesregierung noch Glauben schenken, die sich
monatelang um ein Betreuungsgeld streitet, dieses
Projekt, das auf Dauer jährlich Milliarden Euro ver-
schlingen wird, gegen den Willen der Mehrheit in der
Bevölkerung durchpeitscht und gleichzeitig alle glau-
ben machen will, dass man für Kinderbetreuung mit ei-
ner einmaligen Einlage alle offenen Probleme lösen
kann? Eine realistische Politik sieht anders aus, ver-
antwortungsvolles Regierungshandeln setzt andere
Prioritäten.

Auch die Mahnungen, die unter anderem immer
wieder von der GEW kamen, dass man nicht nur über
einen Ausbau der Plätze, sondern auch über massive
Anstrengungen in der Fachkräfteausbildung diskutie-
ren muss, verhallten ungehört. Außer – für alle Betei-
ligten – zweifelhaften Weiterbildungsoffensiven, die
sich auf Nachfrage als Flop herausstellten, und klei-
nen Projektchen für soziale Brennpunkte habe ich hier
nichts gehört! Stattdessen bezahlen diejenigen, die
diese Unfähigkeit der Bundesregierung ausgleichen
sollen, auch die Zeche. Noch immer sind Tagespflege-
personen auf sich allein gestellt, schlecht bezahlt und
werden immensen privaten Risiken ausgesetzt, wenn

sie zum Beispiel ihre Wohnung für die Betreuung von
Kindern nutzen.

Man muss also konstatieren: Es ist zu großen Teilen
das Verschulden der Bundesregierung, dass in Sachen
Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige viel zu
wenig passiert. Ich würde mir wünschen, dass die
Kanzlerin hier ein genauso machtvolles Wort spricht
wie beim Betreuungsgeld. Wer das Wort „Wahlfrei-
heit“ im Munde führt, muss auch dafür sorgen, dass
sie in beide Richtungen möglich gemacht wird, und
zwar mit der gleichen Anstrengung und dem gleichen
Engagement. Ich erwarte, dass den Kommunen ein An-
gebot unterbreitet wird, das an andere Bedingungen
geknüpft ist – wie zuletzt beim Erkaufen des Ja zum
Fiskalpakt geschehen. Denn Schwarze-Peter-Spiele
helfen nicht weiter. Diese gehen zulasten der Kinder
und der Qualität von Kinderbetreuung. Wir brauchen
nicht nur einen neuen Krippengipfel – wir brauchen
einen Krippenkrisengipfel!


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721144500

Es ist eine Bankrotterklärung für die Politik der

Bundesfamilienministerin, dass wir heute – nur knapp
neun Monate vor dem Inkrafttreten des Rechts-
anspruchs auf einen Kitaplatz für die unter Dreijähri-
gen – wieder einmal über die fehlenden Plätze debat-
tieren müssen. Dass der U3-Ausbau nur schleppend
verläuft, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Ich erin-
nere an den ersten KiföG-Bericht, erschienen im Juni
2010. Da hieß es, die Ausbaudynamik müsse sich ver-
doppeln – verdoppeln! –, um das Ausbauziel zu errei-
chen. Im Juni 2011 mussten wir im zweiten KiföG-Zwi-
schenbericht lesen: „Um wie geplant bis 2013 eine
bedarfsgerechte Kinderbetreuung zu schaffen, muss
diese Dynamik weiter gesteigert werden“. Und auch
der dritte KiföG-Zwischenbericht attestiert: „Die Aus-
bauziele können nur erreicht werden, wenn die Ge-
schwindigkeit im Ausbau deutlich zunimmt.“

Drei klare Ansagen: Da muss Ministerin Schröder
gar nicht so erstaunt tun, wenn das Statistische Bun-
desamt Zahlen veröffentlicht, denen zufolge bundes-
weit immer noch 220 000 U3-Plätze fehlen. Denn was
hat die Ministerin in all den Jahren angesichts des
schleppend verlaufenden Kitaausbaus getan? Sie hat
alle Verantwortung weit von sich gewiesen und die
Schuld gebetsmühlenartig den Ländern in die Schuhe
geschoben. Diese Analyse kann ich zum Teil sogar tei-
len. Auch ich sehe, dass es Landesregierungen gab, die
keine eigenen Anstrengungen beim Kitaausbau unter-
nommen haben und die Bundesmittel nicht an die
Kommunen weitergeleitet haben. Hier spreche ich von
den früheren schwarz-gelben Landesregierungen in
Baden-Württemberg und NRW. Erst nach der Regie-
rungsübernahme durch Grün-Rot bzw. Rot-Grün ha-
ben diese Länder eine unvergleichliche Aufholjagd ge-
startet, um den Rechtsanspruch zu realisieren. NRW
hat zum Beispiel 440 Millionen Euro über die mit dem
Bund vereinbarten Investitionen hinaus zur Verfügung

Zu Protokoll gegebene Reden





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


gestellt. Hier wäre einmal Lob seitens der Bundesfami-
lienministerin angesagt.

Über Jahre haben die Oppositionsfraktionen im
Bundestag eingefordert, endlich eine solide Be-
darfsanalyse zu erstellen und darauf aufbauend eine
faire Finanzierungsvereinbarung zu erstellen. Passiert
ist nichts. Ministerin Schröder hat den Kopf in den
Sand gesteckt und billigend in Kauf genommen, dass
die Kommunen im August 2013 im Regen stehen. Das
späte Eingeständnis, dass 30 000 Plätze mehr benötigt
werden, haben ihr auch die rot-grün und grün-rot re-
gierten Bundesländer abgerungen. Die zusätzlichen
580 Millionen Euro haben mit Ministerin Schröder
nichts zu tun. Sie sind Erfolg der rot-grünen Bundes-
länder im Rahmen der Fiskalpaktverhandlungen. Es
ist peinlich, dass die Ministerin sich dreist mit fremden
Federn schmückt.

Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die
andere Seite ist die Qualität in den frühkindlichen Bil-
dungseinrichtungen. Auch hier möchte ich aus den
KiföG-Berichten zitieren. Im ersten mussten wir lesen,
dass in einigen Bundesländern der „Personaleinsatz-
schlüssel in einer Größenordnung liegt, die unter fach-
lichen Gesichtspunkten als bedenklich einzustufen“
ist. Wortgleich stand es im zweiten KiföG-Bericht. Wir
wissen also schon seit 2010, dass wir dringend pädago-
gisches Fachpersonal benötigen, um die Betreuungs-
qualität in den Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Ich
betone: aufrechtzuerhalten! Von einer Verbesserung
der Qualität wage ich bei dieser Bundesfamilienminis-
terin gar nicht zu träumen. Dabei wäre 2010 durchaus
noch Zeit gewesen, die dringend benötigten Fach-
kräfte auszubilden.

Ein weiteres Thema muss hier noch angesprochen
werden: die Kindertagespflege. Auch hier verläuft der
Ausbau nur schleppend. Ein Drittel der neuen Plätze
sollen hier entstehen. Aber auch in der Kindertages-
pflege sind wir meilenweit von dem selbstgesteckten
Ziel entfernt. Das liegt unter anderem daran, dass die
Bundesregierung es versäumt hat, frühzeitig eine Qua-
litätsoffensive in der Kindertagespflege zu starten.
Nach wie vor sind die Akzeptanz und die Nachfrage
der Eltern bei der Kindertagespflege nur sehr gering.
Darüber kann auch der Antrag der Koalition nicht
hinwegtäuschen, auch wenn hier einige gute Vor-
schläge formuliert sind. Solange Sie nicht bereit sind,
endlich Geld in die Hand zu nehmen, sind die Vor-
schläge nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie ge-
druckt stehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721144600

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
der Drucksache 17/11574 zu den Unterrichtungen durch
die Bundesregierung über den Zweiten und Dritten Zwi-
schenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgeset-
zes auf den Drucksachen 17/5900 und 17/9850.

Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der genannten Unter-

richtungen die Annahme des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 17/9925 mit
dem Titel „Tagespflegepersonen stärken – Qualifikation
steigern“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? –
Wer will dagegen stimmen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf der Drucksa-
che 17/5518 mit dem Titel „Neuen ‚Krippengipfel‘ ein-
berufen – Ausbau der frühkindlichen Bildung und
Betreuung voranbringen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/9929 mit dem Titel „Wahlfreiheit gewährleis-
ten, Kindertagesbetreuung ausbauen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Riegert, Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Helga
Daub, Joachim Günther (Plauen), Harald
Leibrecht, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Weltwärts wird Gemeinschaftswerk

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel
Kofler, Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding

(Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der SPD

Weltwärts – Ein Freiwilligendienst mit Zu-
kunft

– Drucksachen 17/9027, 17/8769, 17/10061 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dr. Bärbel Kofler
Joachim Günther (Plauen)
Heike Hänsel
Ute Koczy

Die Reden werden zu Protokoll genommen.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1721144700

Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst

„weltwärts“ umfasst gegenwärtig 6 639 anerkannte
Einsatzplätze und circa 200 aktive Entsendeorganisa-
tionen. Gegenwärtig sind 3 229 Einsatzplätze besetzt.

Seit Beginn des „weltwärts“-Programms im Jahre
2007 sind über 16 400 Freiwillige in 70 Länder ausge-





Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)


reist. 42 Prozent der Freiwilligen gehen nach Latein-
amerika, 37 Prozent nach Afrika, 20 Prozent nach
Asien, 2 Prozent nach Osteuropa und weniger als
1 Prozent nach Ozeanien. Die beliebtesten Länder
sind Südafrika, Indien und Peru, die wichtigsten Ar-
beitsbereiche der Bildungssektor, die Arbeit mit Kin-
dern und Jugendlichen, mit Menschen mit Behinde-
rung, der Gesundheitssektor und der Umwelt- und
Ressourcenschutz.

Ein Einsatz dauert durchschnittlich zwölf Monate.
62 Prozent aller Freiwilligen sind weiblich. Das
Durchschnittsalter liegt bei 20 Jahren.

Allein schon diese nackten Zahlen belegen: Das
Programm weckt nicht nur Interesse; es wird von jun-
gen Menschen angenommen.

Die im Oktober 2011 abgeschlossene Evaluierung
bescheinigt „weltwärts“ Relevanz, Effizienz und weit-
gehende Effektivität im Hinblick auf die Erreichung
der Ziele, insbesondere auf der Ebene der Freiwilli-
gen. Die Empfehlung der Evaluation lautet Fortfüh-
rung und weitere Schärfung des Programms: Stärkung
der Arbeit mit den Rückkehrern, fachlich-pädagogi-
sche Begleitung der Freiwilligen und Einbeziehung
bisher nicht erreichter Zielgruppen. Das Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, BMZ, führt das Programm weiter und hat
sich der Schärfung des „weltwärts“-Programms ange-
nommen.

Der von Vertretern der Zivilgesellschaft und des
BMZ gemeinsam geleitete und besetzte Programm-
steuerungsausschuss, PSA, hat den bisherigen Beirat
abgelöst und zwei dauerhafte Arbeitskreise, AK, zum
Thema Qualitätssicherung sowie Verfahren eingesetzt.
Darüber hinaus können je nach Bedarf weitere Ad-
hoc-Arbeitsgruppen zu Fachthemen vom PSA einge-
richtet werden.

Ein Katalog von Qualitätsanforderungen bildet die
Grundlage der Qualitätsentwicklung und -kontrolle im
Programm.

Der neu eingerichtete Arbeitskreis Qualitätssiche-
rung prüft die Programmqualität und entwickelt sie
weiter. Die Entwicklungsorganisationen sind ver-
pflichtet, sich einem Qualitätsverbund anzuschließen.
Diese Verbünde sind für die Qualitätsentwicklung ih-
rer Mitgliedsorganisationen verantwortlich und dem
BMZ und PSA gegenüber rechenschaftspflichtig. Die
Qualität wird regelmäßig von externen, unabhängigen
Prüfinstanzen kontrolliert, dem sogenannten „welt-
wärts“-TÜV, und die Freiwilligen werden durch Befra-
gungen in das Qualitätssystem einbezogen.

Die „weltwärts“-Richtlinie und der Mittelleitfaden
werden entsprechend der Ergebnisse des Follow-up-
Prozesses derzeit überarbeitet. Der Entwurf einer
neuen „weltwärts“-Richtlinie wird Ende 2012 vorlie-
gen. Wesentliche Änderungen betreffen Regelungen in
Bezug auf Spenden, Abbrüche und Gesundheitsvor-
sorge der Freiwilligen.

Weil „weltwärts“ vornehmlich Abiturienten und
Abiturientinnen aus akademischen Haushalten er-
reicht, soll nun ein Konzept zur Diversifizierung von
Zielgruppen im „weltwärts“-Programm, verbunden
mit einer Strategie zur sozialen Inklusion, den Adres-
satenkreis erweitern.

Wir rücken die Zielgruppen „Menschen mit laufender
oder abgeschlossener Ausbildung“, „Menschen mit so-
genanntem Migrationshintergrund“ sowie „Menschen
mit Behinderung“ in einer dreijährigen Pilotphase in
den Mittelpunkt.

Wir wollen doch alle, dass auch Jugendlichen mit
Behinderungen eine ehrenamtliche Tätigkeit in einem
Entwicklungsland ermöglicht wird. Wir wissen doch:
Gerade für Menschen mit Behinderungen ist der Ein-
stieg in dieses Berufsfeld bisher nicht immer einfach.
Das wollen wir ändern und mehr Jugendlichen mit Be-
hinderungen diese einmalige Chance geben. Deshalb:
Das BMZ arbeitet gezielt mit Organisationen zusam-
men, die einen direkten Zugang zu Menschen mit Be-
hinderungen haben, um die Jugendlichen zu erreichen.

Insgesamt sollen die in der Trägerlandschaft
vorhandenen Kompetenzen besser vernetzt werden.
Erfahrene Entsendeorganisationen können so ihr
spezifisches Wissen zur Zielgruppenerreichung an an-
dere Entsendeorganisationen besser weitergeben, bei-
spielsweise durch spezielle Beratung/Coachingange-
bote, Sammlung und Weitergabe guter Praxis,
Abstimmung mit Verbünden und Netzwerken, Einbin-
dung von weiteren Akteuren innerhalb und außerhalb
des Programms.

Wir richten die Förderung der Rückkehrarbeit stär-
ker an dem Bedarf der Rückkehrerinnen aus. Dazu
schaffen wir keine neuen Strukturen. Vielmehr sollen
die vorhandenen Entwicklungsorganisationen, Ver-
bände und Rückkehrvereinigungen qualifiziert werden,
die Freiwilligen bei der Beantragung von Fördermit-
teln zu beraten. Ein Konzept für einen Kleinstmaßnah-
menfonds soll den Zugang zu Fördermitteln für Rück-
kehrende flexibilisieren und stärker an deren Bedarfen
ausrichten.

Schließlich wird in einer dreijährigen Pilotphase
eine sogenannten Süd-Nord-Komponente, Reverse für
das „weltwärts“-Programm eingeführt. In einem zu-
nächst auf jährlich circa 100 Entsendungen begrenzten
Rahmen können Vertreter und Vertreterinnen der Part-
nerorganisationen einen Freiwilligeneinsatz durchfüh-
ren, der in Zusammenarbeit mit dem Bundesfreiwilli-
gendienst, BFD, in Deutschland durchgeführt wird.
Der BFD bietet einen rechtlich abgesicherten Rahmen,
der auch die Erlangung der erforderlichen Aufent-
haltsgenehmigungen ermöglicht.

Sie sehen: BMZ und Zivilgesellschaft handeln und
bringen „weltwärts“ weiter voran. Mit unserem An-
trag unterstützen und würdigen wir diese gemeinsame
Arbeit. Dies, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, sollte auch Sie veranlassen, unserem Antrag zu-
zustimmen.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Rede ID: ID1721144800

Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst

„weltwärts“ hat seit Beginn seiner Arbeit im Jahr
2007 eine positive Bilanz gezeichnet. Als im Dezember
letzten Jahres die Ergebnisse der Evaluierung von
„weltwärts“ vorlagen, bestätigte sich, dass der Frei-
willigendienst sein Ziel erreicht: Junge Menschen ler-
nen durch tatkräftiges Handeln und bringen ihre Er-
fahrung aus den Einsatzländern zurück in unsere
Gesellschaft.

Die Freiwilligen werden in Partnerorganisationen
in Entwicklungsländer integriert und lernen dort die
Arbeit im Kampf gegen Hunger und Armut hautnah
kennen. Eine solche Erfahrung schärft das Bewusst-
sein für globale Verantwortung und weltweite Solida-
rität sowie für Zukunftsfragen und bürgerschaftliches
Engagement in Deutschland.

„weltwärts“ bietet jungen Menschen, die ein großes
Interesse an Freiwilligenarbeit in Entwicklungsländern
haben, ein inhaltlich wertvolles und finanziell abgesi-
chertes Programm. Gleichzeitig wird ein wirkungsvol-
ler Beitrag zur Entwicklung in den Einsatzländern so-
wie zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in
Deutschland geleistet.

Bevor der „weltwärts“-Dienst eingeführt wurde,
haben kirchliche Einrichtungen und private Träger be-
reits Freiwillige mit hohem Engagement entsandt.
Diese Freiwilligenprogramme waren allerdings wegen
der begrenzten finanziellen Ressourcen der Entsender
nur einem relativ kleinen Teilnehmerkreis vorbehalten.
Die notwendige Kostenbeteiligung stellte für viele
junge Menschen eine hohe Hürde dar.

Mit „weltwärts“ gewährleisten wir jetzt, dass sich
junge Leute unabhängig vom Geldbeutel ihrer Fami-
lien in Entwicklungsländern engagieren können.

Der Evaluierungsbericht hat eine grundsätzlich
positive Bilanz gezogen, aber auch aufgezeigt, wo es
noch Verbesserungsbedarf gibt. Dazu wurde in diesem
Jahr ein Follow-up-Prozess des Entwicklungsministe-
riums gemeinsam mit den deutschen Entsendeorgani-
sationen durchgeführt. Dieser Prozess steht derzeit
kurz vor seinem Abschluss, und ab Januar 2013 sollen
die erarbeiteten Verbesserungsvorschläge in die Tat
umgesetzt werden.

Die deutschen Entsendeorganisationen haben sich
mit großem Einsatz in diesen Prozess eingebracht,
wofür ich sehr dankbar bin. Denn so fließen die Erfah-
rungen und das Fachwissen derjenigen in die Weiter-
entwicklung des Freiwilligendienstes ein, ohne die
eine solche Freiwilligenarbeit undenkbar ist. Diese
zentrale Stellung sollten die Entsendeorganisationen
auch in Zukunft bei der Umsetzung von „weltwärts“
innehaben. Dafür setzte ich mich ein. Die Ergebnisse
der jüngsten Trägertagung habe ich mit Interesse gele-
sen, und auch in Zukunft müssen Entscheidungen über
„weltwärts“ in enger Zusammenarbeit mit der Zivil-
gesellschaft getroffen werden.

Als Ansprechpartner für die Organisationen bedarf
es zugleich eines personell gut ausgestatteten Fachre-
ferats im Ministerium. Derzeit ist die Leitungsstelle
des „weltwärts“-Referats im BMZ vakant – ich hoffe
auf zügige Nachbesetzung.

Verschieden Themen wurden beim Follow-up bear-
beitet: Die Qualitätssicherung und Verbesserung der
Ressortabstimmung war Thema. Die Qualität der
Vorbereitung der jungen Menschen auf die Zeit in ei-
nem für sie kulturell neuen, fremden Umfeld muss auch
zukünftig auf hohem Niveau gewährleistet werden.
Dazu bedarf es vor allem ausreichender finanzieller
Mittel.

Einen Vorschlag für die Finanzierung der Verbesse-
rungsvorschläge des Follow-up-Prozesses habe ich
noch nicht gesehen. Im Haushalt 2013 sind für „welt-
wärts“ die gleichen Mittel wie seit Beginn der Evalu-
ierung zu finden. Die werden aber zur Fortführung von
„weltwärts“ auf dem jetzigen Niveau gebraucht. Ich
frage mich: Wo sind die Mittel, die man zur Umsetzung
der Verbesserungsvorschläge aus dem Follow-up-
Prozess braucht?

Daher fordern wir in unserem Antrag zu „welt-
wärts“ auch eine entsprechende Mittelerhöhung auf
70 Millionen Euro für das kommende Jahr. Die Zahl ist
nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern ent-
spricht dem Vorschlag des BMZ vom Dezember 2011.
Im BMZ-Evaluierungsbericht 056 zu „weltwärts“
heißt es dort: „… Das BMZ strebt mittelfristig an …
jährlich bis zu 70 Millionen Euro zur Verfügung zu
stellen.“

Unklar ist mir, warum weder der schwarz-gelbe
Antrag vom März 2012 zu „weltwärts“ Entsprechen-
des fordert, noch der Entwicklungshaushalt für 2013
eine Mittelerhöhung im „weltwärts“-Titel vorsieht.
Das sieht nicht nach „anstreben“ aus.

Denn neben einer Qualitätssicherung gibt es
weitere wichtige Verbesserungen, die nächstes Jahr in
Angriff genommen werden sollen.

„weltwärts“ wendet sich an alle jungen interessier-
ten Menschen, auch an Haupt- und Realschüler mit
abgeschlossener Berufsausbildung. Eine zentrale
Frage des Follow-up-Prozesses ist daher, wie man
eine breitere Gruppe dieser jungen Menschen errei-
chen kann. Auch für junge Menschen, die bereits im
Berufsleben stehen, soll „weltwärts“ eine Möglichkeit
zur Teilnahme aufzeigen. Eine entsprechende Forde-
rung findet sich auch in unserem SPD-Antrag zu
„weltwärts“ vom Februar dieses Jahres.

Das Problem ist erkannt: Oft haben junge Men-
schen nach Abschluss ihrer Ausbildung Bedenken,
dass sie den Berufseinstieg verpassen, wenn der Aus-
landsaufenthalt direkt an die Ausbildung anschließt.
Hier müssen neue Formate gesucht werden, gegebe-
nenfalls auch mit den Ausbildern gemeinsam.

Besonders wichtig ist mir auch, dass die Anregung
aus der Evaluation aufgegriffen wurde, eine soge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Bärbel Kofler


(A) (C)



(D)(B)


nannte Reverse-Komponente für den „weltwärts“-
Dienst einzurichten. Es handelt sich um eine Ergän-
zung des bestehenden „weltwärts“-Programms, die es
den deutschen Entsendeorganisationen erlaubt, junge
Freiwillige aus den Organisationen in Partnerländern
einzuladen.

Dazu soll es eine dreijährige Pilotphase in Zusam-
menarbeit mit dem Bundesfreiwilligendienst in
Deutschland geben; pro Jahr werden 100 Freiwillige
aus Partnerorganisationen im Ausland in die Arbeit
der deutschen Organisationen integriert, die seit
langen Jahren Erfahrung in der Entwicklungsarbeit
haben. Ich halte das für ein wichtiges Angebot; ein
Lerndienst wie „weltwärts“ darf keine Einbahnstraße
sein. Es muss Raum für eine gegenseitige Erfahrung
von Lebenswirklichkeiten in Nord und Süd geben. Das
Reverse-Programm eröffnet neue Chancen zum gegen-
seitigen Erfahrungsaustausch zwischen den Partner-
organisationen in Nord und Süd und bereichert auch
die Rückkehrerarbeit der deutschen Freiwilligen.

Denn auch die Inlands- und Rückkehrerarbeit soll
sich noch verbessern. Junge Menschen müssen im An-
schluss an ihren Auslandsaufenthalt die Möglichkeit
haben, von dem Erlebten auch anderen zu berichten
und ihre Erfahrungen mitzuteilen. Denn auch das war
und ist Sinn und Zweck von „weltwärts“. Dafür kön-
nen die Möglichkeiten der Neuen Medien genutzt wer-
den oder Veranstaltungsformate weiterentwickelt wer-
den, sodass die Freiwilligen ein Forum für ihre
Berichte und die Fortsetzung ihrer Unterstützerarbeit
haben.

Die uns bisher bekannten Handlungsempfehlungen
des Follow-up-Prozesses weisen in die richtige Rich-
tung. Ab Januar 2013 beginnt die Umsetzung durch
das Ministerium. Ob und wie das BMZ diese Empfeh-
lungen umsetzen wird – auch vor dem Hintergrund sta-
gnierender Haushaltsmittel –, bleibt kritisch zu
verfolgen. Nur wenn die Empfehlungen der Evaluie-
rung sowie wichtige Kernforderungen aus unserem
Antrag ernst genommen werden, ist „weltwärts“ ein
Freiwilligendienst mit Zukunft.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1721144900

Ich glaube, selten ist man sich hier im Hohen Hause

so einig wie über die Sinnhaftigkeit und den bislang er-
reichten Erfolg des Programmes „weltwärts“. So wird
im Ergebnis der im Herbst 2011 abgeschlossenen
Evaluierung dem Programm bescheinigt, dass es im
Hinblick auf die Erreichung der gesetzten Ziele, insbe-
sondere auf der Ebene der Freiwilligen, relevant, effi-
zient und effektiv arbeitet. Zu den Empfehlungen der
Weiterentwicklung des Programms werde ich mich
später äußern.

Zunächst einmal: Ob es sich um den Schutz des
brasilianischen Regenwaldes, Ackerbau in Vietnam,
Solarenergie in Burkina Faso oder ein Heim für
Straßenkinder in Ghana handelt – die Arbeitsfelder
des vom BMZ ins Leben gerufenen Freiwilligendiens-
tes „weltwärts“ sind so vielseitig wie das Themen-

spektrum der deutschen Entwicklungszusammen-
arbeit. Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst
„weltwärts“ ermöglicht es jungen Menschen zwischen
18 und 28 Jahren, sich mit finanzieller Unterstützung
in Entwicklungsländern zu engagieren. Die ehrenamt-
liche Tätigkeit kann für 6 bis 24 Monate erfolgen.
Durchschnittlich liegt der Einsatz bei einem Jahr. Die
jungen Leute können sowohl helfen als auch wichtige
internationale Lernerfahrungen für den eigenen weite-
ren Lebens- und Berufsweg machen.

Seit Beginn des Programms sind über 16 400 Frei-
willige in 70 Länder weltweit gereist, nach Lateiname-
rika, Afrika, Asien und Osteuropa. Die beliebtesten
Länder sind dabei Südafrika, Indien und Peru. Zusam-
menfassend kann man sagen: Die wichtigsten Arbeits-
bereiche sind der Bildungssektor, die Arbeit mit
Kindern und Jugendlichen, mit Menschen mit Behin-
derung, der Gesundheitssektor und der Umwelt- und
Ressourcenschutz.

Das „weltwärts“-Programm umfasst gegenwärtig
über 6 000 anerkannte Einsatzplätze. Die FDP begrüßt
das koordinierte Vorgehen, mit dem das Bundesministe-
rium gemeinsam mit den über 200 zivilgesellschaftli-
chen Trägern die Entwicklung des Gemeinschaftswerks
„weltwärts“ angeht und so einen wichtigen Beitrag
zur gesellschaftlichen Verankerung von Entwicklungs-
politik leistet. Das Programm ist ein wichtiger Impuls
für zivilgesellschaftliches Engagement und globales
Lernen.

Verbesserungsbedarf sehen wir im Hinblick auf eine
stärkere Einbindung von jungen Menschen zum Bei-
spiel aus dem Berufsbildungsbereich. Aufgrund der
Erkenntnis der Evaluierung, dass „weltwärts“ vor-
nehmlich Abiturienten vielfach aus akademischen
Haushalten erreicht, wurde ein Konzept zur Diversifi-
zierung von Zielgruppen im Programm erarbeitet, das
auch die Einbeziehung der sozialen Komponente
beinhaltet.

Ebenso soll die Rückkehrarbeit stärker am Bedarf
der Rückkehrenden ausgerichtet sein. Dazu sollen
keine neuen Strukturen, sondern vorhandene Institu-
tionen wie Entsendeorganisationen, Verbände und
Rückkehrvereinigungen qualifiziert werden, über
Möglichkeiten des entwicklungspolitischen Engage-
ments in ihrer Region besser zu informieren und die
Freiwilligen bei der Beantragung von Fördermitteln
zu beraten. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Entbüro-
kratisierung. Hier wurde vom BMZ in Anlehnung an
das Aktionsgruppenprogramm ein Konzept für einen
Kleinstmaßnahmenfonds erarbeitet.

Grundlage eines jeglichen Erfolges überhaupt ist
die Qualität der geleisteten Arbeit und deren
Kontrolle. Der neu eingerichtete Arbeitskreis Quali-
tätssicherung prüft die Programmqualität und ent-
wickelt sie weiter. Regelmäßig wird sie von externen,
unabhängigen Prüfinstanzen, dem sogenannten „welt-
wärts“-TÜV, kontrolliert.

Zu Protokoll gegebene Reden





Joachim Günther (Plauen)



(A) (C)



(D)(B)


Mir bleibt dabei nur viel Erfolg zu wünschen. Ich
freue mich über die bisher erreichten tollen Ergeb-
nisse.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721145000

Die Fraktion Die Linke unterstützt den Freiwilli-

gendienst „weltwärts“, der bisher mehr als 10 000
junge Menschen entsandt hat. Im Jahr 2011 gab es
eine erste Evaluierung des „weltwärts“-Programms,
diesen Monat lieferte das Entwicklungsministerium
einen Kurzbericht zum Follow-up-Prozess der Evalu-
ierung. Die neu entwickelten Qualitätsanforderungen
sind zu begrüßen, denn natürlich wollen wir, dass nicht
nur Quantität, sondern vor allem Qualität bei der Vor-
und Nachbereitung des Aufenthalts im Ausland eine
Rolle spielen. Die Bundesregierung hat leider in den
Haushalten seit 2010 einen finanziellen Aufwuchs für
„weltwärts“ abgelehnt, aber immer mit dem Hinweis
auf die ausstehenden Ergebnisse der Evaluierung. Wie
die Evaluierung, so fällt auch der aktuelle Kurzbericht
sehr positiv aus. Trotzdem gibt es im vorliegenden
Antrag der Koalitionsfraktionen wieder nur schöne
Worte, aber keine Mittelerhöhung. Die Mittel stagnie-
ren weiterhin bei 30 Millionen Euro jährlich. Die
Linke unterstützt deshalb ausdrücklich den Antrag der
SPD.

Wir haben für den Haushalt 2013 eine Aufstockung
der Mittel von 30 Millionen Euro auf 60 Millionen
Euro gefordert, bei den Verpflichtungsermächtigungen
haben wir statt der von der Bundesregierung geplan-
ten 26 Millionen Euro ebenfalls 60 Millionen veran-
schlagt. Diese Aufstockung ist wichtig, um die Weiter-
entwicklung des Freiwilligendienstes zu ermöglichen
und sowohl den involvierten Organisationen als auch
den Freiwilligen eine gewisse Planungssicherheit zu
ermöglichen. Die Nachfrage nach „weltwärts“-Pro-
grammplätzen, die momentan nicht befriedigt werden
kann, ist groß. Aufgrund der unsicheren Finanzierung
war es in den letzten Jahren oftmals so, dass viele inte-
ressierte Jugendliche abgewiesen werden mussten, die
einen solchen Dienst eigentlich gerne angetreten
hätten.

Für viele junge Menschen nämlich handelt es sich
oft um den ersten großen Auslandsaufenthalt in ihrem
Leben. Er kann prägend wirken für die weitere
Entwicklung. Deshalb ist eine verantwortungsvolle
Begleitung notwendig. Wir fordern zudem, dass die
Nord-Süd-Ausrichtung des Dienstes erweitert wird, um
von einem gleichberechtigten Dialog sprechen zu kön-
nen. Wir wollen, dass auch junge Menschen aus den
Ländern des Südens sowohl einen Freiwilligendienst
hier in Deutschland antreten können als auch vor Ort
in Projekten die Möglichkeit bekommen, gemeinsam
mit einem Jugendlichen aus Deutschland Freiwilligen-
arbeit zu verrichten. Dadurch würde nach unserer
Ansicht ein verbesserter direkter Dialog entstehen, mit
der Möglichkeit des gegenseitigen Verständnisses und
des Lernens voneinander. Auch wäre es wichtig,
verstärkt lokale Partner in den Ländern des Südens zu

finden, die Teil sozialer Bewegungen sind und die sich
vor Ort für soziale Rechte und Menschenrechte einset-
zen.

Hier komme ich zu unserer Kritik. Obwohl wir
„weltwärts“ für ein wichtiges Instrument halten, gibt
es doch einige Punkte, die einer Weiterentwicklung
bedürfen. Mit Blick auf das notwendige Eine-Welt-
Bewusstsein ist ein breiter aufgestelltes Reverse-Pro-
gramm überfällig. Die Bundesregierung hat allerdings
bisher nur eine sehr schwache Reverse-Komponente
mit nur 100 Entsendungen jährlich in einer dreijähri-
gen Pilotphase eingerichtet. Diesen Umfang halten
wir für viel zu gering.

Wir fordern außerdem, dass Jugendliche aus allen
sozialen Schichten, mit unterschiedlichen Schulab-
schlüssen und unterschiedlicher beruflicher Ausbil-
dung erreicht werden, zum Beispiel durch gezielte Vor-
stellung von „weltwärts“ an allen Schulen
einschließlich Berufsschulen, Jugendeinrichtungen
und Ausbildungsstätten. Bisher beschränkt sich der
Kreis der geförderten Jugendlichen nur auf Gymnasi-
asten; komplizierte Antragsverfahren und doch immer
noch hohe Kosten mögen ein Grund dafür sein. Daher
muss überlegt werden, ob Jugendliche, die keinen
Förderkreis zustande bekommen und für die eine
Finanzierung durch das Elternhaus nicht möglich ist,
zusätzlich unterstützt werden können, damit eben
nicht – wie leider bisher Praxis – der Geldbeutel der
Eltern über einen solchen Freiwilligendienst im Aus-
land entscheidet.

Ich bekomme oft Anfragen, ob ich mich einem sol-
chen Förderkreis anschließen will. Ich verfolge in
Weblogs, was junge Menschen vor Ort erleben und
was sie berichten. Ich glaube, das ist für alle berei-
chernd, auch für uns. Dieser Freiwilligendienst kann
einen konkreten Beitrag zu mehr Solidarität und welt-
weiter Verständigung leisten.


Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721145100

Für uns sind Freiwilligendienste eine wichtige

Form bürgerschaftlichen Engagements. Der Dienst im
Einsatz für eine gute Sache zeichnet sich wesentlich
durch sein Bildungs- und Lernprofil sowie den Per-
spektivwechsel aus. Besonders wichtig ist mir, dass die
Freiwilligendienste in zivilgesellschaftlicher Ausrich-
tung und Organisation weiterentwickelt werden.
Entsendeorganisationen, Einsatzstellen und Freiwil-
lige müssen in Prozesse der Profilschärfung der Frei-
willigendienste als Lern- und Orientierungsdienste
viel stärker eingebunden werden.

Erste Schritte zur stärkeren Einbindung zivilgesell-
schaftlicher Organisationen wurden im Aufbau der
Arbeitsgruppen und der Qualitätssicherung in „welt-
wärts“ gegangen. Wir hoffen, dass dies keine kurze
Episode bleibt und nicht zum Feigenblatt der Bundes-
regierung verkommt. Die negativen Erfahrungen mit
der ministeriellen Gründung einer „Servicestelle für
kommunales und bürgerschaftliches Engagement“
sind noch lange nicht vergessen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulrich Schneider


(A) (C)



(D)(B)


Ein großes Defizit gibt es in der einseitigen Fokus-
sierung auf die Vermittlung Freiwilliger aus Deutsch-
land in andere Länder. An fehlendem Austausch von
Freiwilligen leiden alle Freiwilligendienste, ob „welt-
wärts“, Internationaler Jugendfreiwilligendienst, An-
derer Dienst im Ausland, Kulturweit oder FSJ im Aus-
land. Die Koalition thematisiert in ihrem Antrag die
Reverse-Programme erst gar nicht!

Freiwilligendienste geben Einblicke in die vielfälti-
gen Facetten von Gesellschaft und Zivilgesellschaft
auf nationaler, europäischer und internationaler
Ebene. Kern der Freiwilligendienste ist aus meiner
Sicht genau dieser Perspektivwechsel, ein Austausch,
der auf Gegenseitigkeit beruhen muss. Nur so können
wir auf Augenhöhe in Dialog treten mit anderen Län-
dern, uns austauschen und voneinander lernen. Es gibt
weder Ansätze für Reverse-Programme, noch ist die
Visaproblematik für Freiwillige aus Nicht-EU-Staaten
tatsächlich gelöst. Aber gerade das muss unser Ziel in
der weiteren Gestaltung der Freiwilligendienste sein.

Seit Beginn des Programms „weltwärts“ sind die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer fast ausschließlich
Jugendliche mit Fachhochschulreife oder Hochschul-
reife. Bisher sind alle Versuche gescheitert, Azubis und
Menschen mit anderen Bildungsabschlüssen für
Weltwärts zu gewinnen. 97 Prozent der Freiwilligen
haben Abitur. Dabei qualifiziert ein Abitur doch nicht
automatisch für einen Freiwilligendienst im Ausland.
Gerade Menschen mit Berufsausbildung haben prakti-
sches Wissen, welches sie vor Ort einsetzen können.
Gerade deshalb müssen Freiwilligendienstplätze aus-
reichend finanziert sein, damit Jugendliche aus sozial
schwachen Elternhäusern einen Dienst leisten können.

Wir fordern, „weltwärts“ mit 5 Millionen Euro
jährlich zusätzlich zu fördern. Eine Verdopplung der
Mittel im „weltwärts“-Programm, wie es die SPD-
Fraktion fordert, halten wir unter Einhaltung qualita-
tiver Standards kurzfristig nicht für möglich. Die
schwarz-gelbe Koalition hat Vorschläge zur Mitteler-
höhung in den Haushaltverhandlungen blockiert. Die
Mittel für 2013 werden nicht erhöht. So werden gleiche
Zugangschancen unmöglich gemacht.

Problematisch ist auch, dass Auszubildende kein
Recht zur Rückkehr in ihre Betriebe haben, wenn sie
sich entscheiden, einen Freiwilligendienst zu leisten.
Hier muss der Gesetzgeber Nägel mit Köpfen machen.
Der Vorschlag der Koalition, Jugendliche mit berufli-
cher Qualifikation besser über Möglichkeiten aufzu-
klären und Entsendeorganisationen zu sensibilisieren,
kann nur ein erster kleiner Schritt sein.

Die Qualitätssicherung in den Freiwilligendiensten
ist entscheidend für deren Erfolg. Die Entsendeorgani-
sationen und Einsatzstellen tragen große Verantwor-
tung in der fundierten Vorbereitung der Freiwilligen.
Die Evaluation hat gezeigt, dass die Bereitschaft zur
Perspektivübernahme und das Verständnis des Diens-
tes als Lerndienst steigen, je zufriedener die Freiwilli-
gen mit dem Vorbereitungsseminar und mit der Betreu-

ung durch Mentorinnen und Mentoren sind. Hier ist es
Aufgabe des Staates, Mindeststandards zu setzen und
die Qualität in Freiwilligendiensten regelmäßig zu
evaluieren.

Die drei Schritte Vorbereitung auf den Einsatz,
Mentoring vor Ort und ausreichende Nachbereitung
sind alle gleichbedeutend zentral. Die Erfahrungen
der Träger und Einsatzstellen zeigen, dass das persön-
liche Engagement in der Phase vor Antritt eines
„weltwärts“-Freiwilligendienstes für den erfolgrei-
chen Abschluss eines Freiwilligendienstes wichtig ist.

In der Praxis greifen die Entsendeorganisationen
leider oft zur Sammlung von Geldern durch Freiwil-
lige. Spendensammeln für den eigenen Freiwilligen-
dienst halten wir für problematisch. Hier muss stärker
auf eine entindividualisierte Spendenpraxis gesetzt
werden. Finanzielle Eigenleistungen dürfen auf keinen
Fall zum Maßstab der Eignung für einen Freiwilligen-
dienst im Ausland gemacht werden. Eine Pflicht zum
Spendensammeln oder zur Gründung eines Unterstüt-
zerkreises darf es nicht geben, und es darf niemand
aufgrund dessen von einem Dienst ausgeschlossen
werden. Deshalb ist es auch so wichtig, genau zu über-
legen, wie staatliche Förderung sinnvoll zur Qualitäts-
sicherung und für faire Zugangschancen eingesetzt
werden kann.

Zukünftig müssen wir die unterschiedlichen
Dienste, die auf unterschiedlichen Ebenen – national,
europäisch, international – zusammenwirken sollen, in
ein Gesamtkonzept Freiwilligendienste einbetten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721145200

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung auf der Drucksache
17/10061. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksa-
che 17/9027. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/8769. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 35:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Ökologische Baustoffe – Klima schützen,
Energie sparen und Ölabhängigkeit reduzie-
ren
– Drucksache 17/11380 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Finanzausschuss





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Die vorgesehenen Reden werden zu Protokoll ge-
nommen.


Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1721145300

Das Gute vorweg: Wir alle hier sind uns einig, dass

der Klimaschutz ein elementarer Grundsatz unseres
politischen Handelns sein muss. Klimaschutz muss so-
zusagen ein unverzichtbarer Baustoff unserer christ-
lich-liberalen Politik sein. Ansonsten stimmt die Statik
unseres Politikgerüstes nicht.

Im Raum steht deshalb die Frage: Ist der Schutz des
Klimas bereits in einem ausreichenden Maße in unse-
rer Politik verankert, oder muss er es noch viel mehr
werden? Und wenn er ausreichend verankert ist, sind
unsere ergriffenen Maßnahmen zum Klimaschutz be-
reits ökologisch genug, oder müssen sie noch ökologi-
scher werden? Und: Wann geht Ökologie nicht mehr
Hand in Hand mit anderen Politikfeldern?

Hieraus wird ersichtlich: Der Schutz des Klimas
gehört zu den zentralen Herausforderungen unserer
Zeit. Alle Politikbereiche müssen dabei ihren Beitrag
leisten – natürlich auch der Bausektor. Wird diese Ver-
antwortung heute nicht wahrgenommen, führt dies
morgen zu Umwelt- und Gesundheitsschäden, einem
Verlust der biologischen Vielfalt und zu hohen wirt-
schaftlichen Belastungen.

Deshalb achtet unsere christlich-liberale Koalition
auf einen integrierten klimapolitischen Ansatz. Bei der
Umsetzung unserer Maßnahmen haben wir Politiker
der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion stets im Blick,
dass Wettbewerbsverzerrungen vermieden und die
Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sozialver-
träglichkeit beachtet werden. Ich behaupte, dass un-
sere Politik, gestaltet von einer christlich-liberalen
Koalition, dies alles bereits in einem überaus weiten
Maße praktiziert, ja, bereits vorbildlich umsetzt, ge-
rade auch im Baubereich.

Insbesondere der öffentliche Hochbau des Bundes
nutzt innovative Technologien und den Einsatz neuer,
hochwertiger und nachhaltiger Baustoffe schon jetzt
zielgerichtet. Mit innovativen Technologien und Mate-
rialien saniert unsere Bundesregierung bereits jetzt
vorbildlich energetisch. Genannt seien hier die Stich-
worte Unterschreitung der EnEV-Mindestgrenzen, der
Leitfaden für nachhaltiges Bauen und das Energieein-
sparprogramm Bundesliegenschaften. Des Weiteren
gibt es die Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung. Sie ist dafür da, bestehende Defizite insbe-
sondere im Bereich technischer, baukultureller und or-
ganisationstechnischer Innovationen aus der Welt zu
schaffen – und das ist genau das, was sich der vorlie-
gende Antrag zum Ziel setzt. Diese Forschungsinitia-

tive beschäftigt sich mit neuen Konzepten und Proto-
typen für das energiesparende Bauen, mit neuen
Materialien und Techniken sowie mit Themen der Bau-
qualität.

Sie sehen also: Bereits hier und jetzt gibt es im öf-
fentlichen Bausektor viele verschiedene stützende Eck-
pfeiler, die helfen, das Klima zu schützen, Energie zu
sparen und unsere Abhängigkeit von Rohstoffen zu re-
duzieren. Diese Vorbildfunktion des Bundes am Bau
wird gewiss auch unserer ganzen Republik Rechnung
tragen. Nach und nach wird diese Baukultur, werden
diese Prototypen Einzug in den privaten Bausektor
halten. Pilotprojekte des Bundes werden dank enga-
gierter Ingenieure, anwendungsorientierter Architek-
ten und umweltbewusster Bauherren Nachahmer fin-
den. So wird es sich auch bei der Entwicklung und dem
Gebrauch ökologischer Baustoffe verhalten. Diese
werden nach und nach mehr Anwendung finden.

Im Rückschluss heißt das auch: Unsere Politik im
Bausektor wird nach und nach mehr Nachahmer fin-
den. Und zwar nicht, weil wir sie durch gesetzliche
Vorschriften zum Klimaschutz dazu zwingen, sondern
weil sich die Menschen aus eigenem umweltpoliti-
schem und nachhaltigem Gewissen heraus gerne in
Gebäuden aufhalten wollen, die zu ökologisch verträg-
lichen Konditionen auf-, um- und abgebaut werden
können.

Dahinter steht auch unsere Idee – und, mit Verlaub,
der sehr viel sinnvollere und langfristigere Ansatz –,
die Einsparung von Energie und Ressourcen nicht
mehr als alleinigen Gradmesser für Wirtschaftswachs-
tum zu betrachten. Schließlich betreiben wir, die
christlich-liberale Koalition, die Stärkung von Ener-
gieeffizienzpotenzialen ja nicht in erster Linie aus
finanziellem Gewinnstreben heraus, sondern weil uns
unsere Welt, unsere Umwelt und unsere Natur am Her-
zen liegen. Dabei spielen die Schaffung von Wissen
über bereits vorhandene Klimaschutztechnologien
durch Forschung und Entwicklung sowie die Weiter-
gabe dieses Wissens eine entscheidende Rolle.

Auch eine wirklich gute Nachricht dabei ist: Unser
bislang gewählter Politikansatz – der Politikansatz ei-
ner Bundesregierung unter christlich-liberaler Füh-
rung – verbindet bereits jetzt ökologische Zielsetzun-
gen mit ökonomischen Aspekten.

Sie sehen also: Unsere Baupolitik basiert auf vielen
und auf vielfältigen klimaschützenden, energieeinspa-
renden und rohstoffreduzierenden Maßnahmen.

Unsere Klimapolitik ist – um im Bild zu bleiben –
auch innerhalb der Bausparte statisch gut verankert.
Deshalb ist dieser Antrag zwar gut gemeint, aber den-
noch überflüssig.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1721145400

Die Energiewende ist für diese Regierungskoalition

eines der wichtigsten Vorhaben, die wir in dieser
Legislaturperiode initiiert haben. Wir werden weiter-
hin einen großen Beitrag leisten, um den Anstieg der





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)


globalen Temperatur um mehr als 2 Grad zu ver-
meiden. Diese schwarz-gelbe Bundesregierung ist
weltweit an der Spitze der Bewegung für eine Reduzie-
rung des CO2-Ausstoßes. Bei allen Klimakonferenzen
kämpfen die Vertreter Deutschlands für dieses Ziel an
vorderster Front.

Die von uns in Deutschland eingeleitete Energie-
wende ist ein Mammutprojekt. Umso wichtiger ist es,
dass alle beteiligten Akteure gemeinsam an einem
Strang ziehen, um die anstehenden Aufgaben zu bewäl-
tigen. Bund, Länder, Kommunen, Unternehmen und
Bürger sind gefordert, ihren Teil zum Gelingen der
Energiewende beizutragen.

In ihrem Antrag geben sich auch die Grünen als
Kämpfer für die Reduzierung von CO2. Dann stellt sich
aber die Frage, warum diese Partei gemeinsam mit
der SPD im Bundesrat unser Gesetz zur energetischen
Gebäudesanierung blockiert. Sie reden zwar sonntags
von der Energiewende, tun aber nichts gegen den CO2-
Ausstoß. Umweltschützer und Handwerker dürften
sich verwundert die Augen reiben, liegen in der ener-
getischen Gebäudesanierung doch die größten
Energieeinspar- und Klimaschutzmöglichkeiten – und
heimische Arbeitsplätze sichert sie auch.

Die im Antrag aufgestellte Behauptung „Temporä-
res Bauen und somit leicht recyclebare Materialien
werden eine immer größere Rolle spielen, das Ideal
‚Bauen für die Ewigkeit‛ ist überholt“ entspricht we-
der den anerkannten Prinzipien der Nachhaltigkeit
noch den baukulturellen Grundsätzen in Deutschland.

Unsere christlich-liberale Bundesregierung hat
eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt und
mit Indikatoren untersetzt. Der Baubereich spielt da-
bei eine zentrale Rolle. Beim nachhaltigen Bauen geht
es – vereinfacht – darum, Gebäude so zu errichten,
umzubauen und zu betreiben, dass sie wirtschaftlich,
ökologisch, gesellschaftlich und städtebaulich glei-
chermaßen zukunftsfähig sind.

Dabei setzen wir in vielen Bereichen auf nachwach-
sende Rohstoffe, um die Inanspruchnahme von nicht
erneuerbaren Ressourcen im Bauwesen zu reduzieren.
Es gibt bereits eine Vielzahl von Bauprodukten auf
Basis nachwachsender Rohstoffe, deren Verwendung
sich im Bauwesen zunehmend etabliert. Der Bausektor
gehört in Deutschland und weltweit zu den ressourcen-
intensiven Wirtschaftssektoren. Die Bauwirtschaft leis-
tet bereits heute einen großen Beitrag zur Ressourcen-
schonung durch Wiederverwertung und das effiziente
Recycling von Bauabfällen. Eine Recyclingquote von
mehr als 90 Prozent zeigt dies sehr deutlich.

Die Bundesregierung unterstützt – wo dies sinnvoll
ist – im Bauwesen den Einsatz nachwachsender
Rohstoffe. Der Einsatz innovativer Bauprodukte, wie
beispielsweise Dämmstoffe oder Produkte für den
Innenausbau, die in der Gesamtbewertung Vorteile
gegenüber klassischen Bauprodukten auf Basis nicht
nachwachsender Rohstoffe haben, wird deswegen im

Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundes-
gebäude angemessen berücksichtigt.

Aber auch die Bauindustrie trägt ihren Beitrag zum
Umweltschutz bei. Auf freiwilliger Basis wird mit
Umweltproduktdeklarationen die Markttransparenz
auch auf Ebene der Bauprodukte verbessert, um
Planern die Möglichkeit zu geben, Ressourcenaspekte
bereits früh im Planungs- und Bewertungsprozess zu
berücksichtigen.

Die Förderprogramme der KfW zum energieeffizi-
enten Bauen und Sanieren sind auf der Grundlage der
Energieeinsparverordnung und der zugrundeliegenden
Normen des DIN auf Energieeffizienz ausgerichtet und
technologieneutral ausgestaltet. Da die Sanierungs-
förderung kostenbezogen ist, werden etwaige höhere
Kosten sogenannter ökologischer Baustoffe auch
durch entsprechend höhere Kredit- oder Zuschuss-
beträge gefördert. Die genannten KfW-Programme
werden ausgehend von der technischen Entwicklung,
den Marktbedingungen und den gesellschaftlichen
Anforderungen der Energieeinsparung und des Klima-
schutzes ständig weiterentwickelt.

Das Ressourceneffizienzprogramm hat die deutsche
Ressourcenpolitik schlüssig dargelegt. Das Programm
gibt einen Überblick über vorhandene Aktivitäten,
identifiziert Handlungsbedarf und beschreibt Hand-
lungsansätze und Maßnahmen zur Steigerung der Res-
sourceneffizienz. Die Bundesregierung wird bei der
Wahl der Instrumente auf eine auch im internationalen
Maßstab wettbewerbskonforme Ausgestaltung achten,
Anreizen und freiwilligen Lösungen den Vorzug vor
staatlichen Regulierungen geben und dabei Kostenbe-
lastungen der Wirtschaft, die die Ressourcennutzung
verteuern, vermeiden. Das Programm setzt dabei ins-
besondere auf Marktanreize, auf Information, Bera-
tung, Bildung, Forschung und Innovation sowie auf
die Stärkung freiwilliger Maßnahmen und Initiativen
in Wirtschaft und Gesellschaft.


Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1721145500

Deutschland ist ein Industrieland und muss es blei-

ben. Mit einem Anteil von etwa 23 Prozent an der Ge-
samtwirtschaft und 5,8 Millionen Beschäftigten ist die
chemische Gesamtindustrie ein wesentliches und wich-
tiges Standbein der deutschen Wirtschaft. Im interna-
tionalen Vergleich ist Deutschland der viertgrößte In-
dustriestandort der Welt. Allein der Chemiepark Marl
in meinem Wahlkreis stellt rund 10 000 Arbeitsplätze.
Die chemische Produktion von Basischemikalien,
Kunst-, Kleb- und Baustoffen beruht im Wesentlichen
auf höheren Kohlenwasserstoffverbindungen und ist
somit erdölbasiert. Noch immer ist die alternative Her-
stellung von Kohlenstoffen für die stoffliche Produk-
tion derzeit mit sehr hohem Energieaufwand verbun-
den. Hier ist die angestrebte Verbesserung der CO2-
Bilanz bisher noch infrage gestellt. Trotzdem oder ge-
rade deshalb ist es wichtig – schon um Versorgungs-
engpässe in der Zukunft zu vermeiden und den Produk-

Zu Protokoll gegebene Reden





Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)


tionsstandort Deutschland zu sichern –, notwendige
Forschung in diesem Bereich zu stärken.

Die Aufhebung der Steuerbefreiung für die stoffli-
che Nutzung von Erdöl, wie von Bündnis 90/Die Grü-
nen gefordert, sollte hier als langfristige Strategie ge-
dacht werden. Aber ein deutscher Alleingang würde
den Wettbewerb im europäischen und internationalen
Raum zurzeit nur verzerren. Gerade im Zuge der Ener-
giewende und mit dem Blick auf den erhöhten Energie-
aufwand für alternative Herstellung von Kohlenstoffen
und der ohnehin bereits oft energieintensiven Industrie
ist eine weitere Verschärfung der Wettbewerbsbedin-
gungen allein für den deutschen Markt nicht fördernd.
Die Alternativen werden außerdem aufgrund der ab-
sehbaren Rohstoffverknappung von der Chemieindus-
trie bereits seit geraumer Zeit intensiv erforscht. Ich
besuche in regelmäßigen Abständen die „kreative Ab-
teilung“ des Chemieparks Marl und kann Sie nur herz-
lich einladen, sich die hochinnovativen Ideen anzuse-
hen.

Für Bauprodukte sollte für eine konsequente CO2-
Bilanz die Lebenszyklusbetrachtung von der Herstel-
lung bis zur Entsorgung einbezogen werden. Dieses
Kriterium sollte dann auch Einfluss auf die Förderpro-
gramme zur energetischen Sanierung nehmen. So ist es
durchaus wünschenswert, wenn die Energiegesamtbi-
lanz stimmt. Die sogenannte graue Energie spielt zur-
zeit noch eine viel zu geringe Rolle bei der Bewertung
von Bauprodukten, aber nicht nur hier. In unserer heu-
tigen Betrachtung der Energieeffizienz und Energie-
einsparung wird oft nur das fertige Gebäude gesehen.
Weder die vorher zur Herstellung und zum Transport
genutzte Energie noch die Entsorgung werden in die
Berechnungen eingebunden, von Giftstoffen, Sonder-
müll, gesundheitsschädlichen Substanzen, die hier
ebenso zur Disposition stehen, einmal ganz abgese-
hen.

Ich stimme den Grünen gerne zu, wenn sie fordern,
dass ökologische Baustoffe in Brandschutzkategorien
gegenüber konventionellen Baustoffen nicht benach-
teiligt werden dürfen. So sieht die Bundesregierung
laut ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-
Bundestagsfraktion zwar Polysterol im Verbundsystem
als unproblematisch und nicht brennbar an, jedoch
wird die Latte für einige ökologische Baustoffe un-
gleich höher angesetzt. Hier sollte ein einheitliches,
transparentes Prüfverfahren aufgestellt werden.

Generell sollte beim Thema Baustoffe das Thema
Wohnqualität und Wohngesundheit wesentlich mehr in
den Vordergrund gerückt werden. Wohnen ist Leben,
und unsere Wohnumwelt trägt zu unserem Wohlbefin-
den bei. Eine rechnerisch exzellente Wärmedämmung
ist nicht alles, sondern wärmespeicherfähige Materia-
lien im Innenbereich sind eine sinnvolle Ergänzung. So
gibt es gute Kombinationen von Naturbaustoffen, de-
ren Qualität der von konventionellen Baustoffen in
nichts nachsteht. Durch die Einbeziehung von Schad-
stofffreiheit, Recyclingfähigkeit und Wohngesundheit
schneiden sie jedoch deutlich besser ab.

Aber auch ökologische Baustoffe sind im Gesamt-
bild zu betrachten. Es muss uns klar sein, dass auch
Biomasse nicht unbegrenzt verfügbar ist, Agrarflächen
nicht endlos sind und jeder nachwachsende Rohstoff
auch in Konkurrenz zu der Nahrungsmittelproduktion
tritt. Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen dürfen
nicht schlechtergestellt werden, trotzdem bleibt ein
energie- und ressourcenschonender Einsatz von Pro-
duktionsmitteln – egal ob Baustoffe oder andere Pro-
dukte – die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige
und zukunftsfähige Wirtschaft für den Standort
Deutschland.


Petra Müller (FDP):
Rede ID: ID1721145600

Die bürgerliche Koalition aus CDU/CSU und FDP

arbeitet konsequent an der erfolgreichen Umsetzung
der Energiewende und dem Erreichen der Klimaschutz-
ziele der Bundesregierung. Dabei sind alle Mittel und
Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz und
Absenkung von CO2-Emissionen in Betracht zu ziehen.
Angesichts des hohen Anteils der Wärmeemissionen
von Gebäuden an der Klimabilanz kommt dem Bauen
und der Verwendung von Baustoffen dabei eine hohe
Bedeutung zu. Betrachtet man das jährliche Hochbau-
volumen des Bundes im Umfang von 2,6 Milliarden
Euro, wird deutlich, dass es sich hier nicht nur um ei-
nen wesentlichen Konjunkturmotor von erheblichem
Wirtschaftspotenzial handelt. Der öffentlichen Hand
kommt zugleich eine Vorbildfunktion für die gesamte
Baubranche und private Bauherren zu, die die FDP-
Bundestagsfraktion zukünftig nachhaltig stärken will.

Um dies zu erreichen, fordert die liberale Fraktion
diesen Hohen Hauses, alle Baumaßnahmen des Bun-
des schrittweise vollständig hinsichtlich ihrer Nach-
haltigkeit zu bewerten. Erst wenn Klarheit über die
Energieeffizienz der verbauten Stoffe und eingesetzten
technischen Verfahren herrscht, wird ein Umsteuern
möglich sein. Zugleich sind die bestehenden Liegen-
schaften in Bezug auf die laufenden Energiekosten kri-
tisch zu evaluieren und bei Überschreiten von 100 000
Euro pro Jahr und Liegenschaft auf deren grundsätzli-
che Contracting-Eignung zu prüfen. Die Energieeffi-
zienz als Planungsgröße für Nichtwohngebäude in öf-
fentlicher Hand ist nach Meinung der FDP-Fraktion
noch unterentwickelt. Hier muss insbesondere auf eu-
ropäischer Ebene darauf hingewirkt werden, dass die
Sanierungsrate auf 2 Prozent erhöht wird. Eine auto-
matisierte, verpflichtende Sanierungsquote, die insbe-
sondere Fragen der Wirtschaftlichkeit und der Finanz-
kraft der öffentlichen Haushalte unberücksichtigt lässt,
lehnen wir jedoch ab.

All dies wird nicht umsetzbar sein ohne ein dezidier-
tes Wissen und validierte Daten über Energie- und
Ressourceneffizienz, innovative, neue Technologien
und Baustoffe, über Herstellungsmethoden und Trans-
portlogistik einzelner Materialien oder die Nachhal-
tigkeit der Baukonstruktion und Bauausführung. Kür-
zere Transportwege von Baustoffen senken die CO2-
Emissionen, bleiben jedoch unwirksam, wenn die Her-

Zu Protokoll gegebene Reden





Petra Müller (Aachen)



(A) (C)



(D)(B)


stellertechnologie veraltet und besonders energie-
intensiv ist. Baustoffe günstiger Energiebilanz in der
Herstellung und gebäudebezogenen Anwendung blei-
ben trotzdem ineffizient, wenn die Lebenszyklen zu kurz
sind. Der Einsatz von Faserzementen, von recyceltem
Glas oder von Kunst- und Verbundstoffen kann die
Energie- und Ökobilanz deutlich verbessern – viele
Verfahren und Baustoffe sind aber im traditionellen
Handwerk und Baugewerbe wenig bekannt und nicht
langzeitig evaluiert.

Deshalb ist es das Ziel liberaler Politik, den Einsatz
biogener oder technologisch innovativer Baustoffe
nicht nur zu fördern und voranzutreiben. Wir werden
die Bauforschung und die gebäudebezogene Anwen-
dungsforschung stärken. Es müssen darüber hinaus
Konzepte zur Energie- und Ressourcenschonung sowie
das Wiederverwenden von Baustoffen gezielt gefördert
werden. Auch hier hat der Bund als Bauherr eine Vor-
bildfunktion, der er im Leitfaden Nachhaltiges Bauen
gerecht wird, die in der praktischen Umsetzung jedoch
ausbaufähig ist.

Energieeffizientes und nachhaltiges Bauen sind
nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für unseren
Erfolg in der Klimawende. Sie sind darüber hinaus ein
Technologie- und Wettbewerbsvorteil unserer deut-
schen Bauwirtschaft. Energieeffizienz am Bau und
beim Bauen zu fördern und gesetzgeberisch zu unter-
stützen, hilft zugleich dem Wirtschaftsstandort Deutsch-
land und sichert uns eine exportorientierte Technolo-
gieführerschaft. Zugleich sieht es die FDP-Bundes-
tagsfraktion als Stärkung unserer spezifisch deutschen
Baukultur, die weltweite Anerkennung genießt auf-
grund ihrer Innovationsfähigkeit bei gleichzeitiger
Pflege des traditionellen Erbes.

Die Ziele der energetischen Sanierung sind nach
liberalem Verständnis deshalb unbedingt mit der
Architekturqualität, der Stadtbildpflege und dem
Denkmalschutz in Einklang zu bringen. Ökologie,
Ökonomie und soziokulturelle Belange sind Schutzgü-
ter und -ziele, die auch angesichts der politischen Ziele
„Nachhaltigkeit“ und „energieeffizientes Bauen“
keine Widersprüche bilden dürfen. Hier bietet das libe-
rale Modell der energetisch-dynamischen Stadtsanie-
rung einen zukunftsfähigen Entwurf der Bau- und
Stadtentwicklungspolitik von morgen.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721145700

Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/

Die Grünen stellt gewissermaßen einen Ergänzungs-
antrag zu dem ebenfalls heute zum Top 17 vorgelegten
Antrag „Energiewende im Gebäudebereich sozial ge-
recht, umweltfreundlich, wirtschaftlich und zukunfts-
weisend umsetzen“ dar, und er steht im Kontext zu dem
in der 198. Sitzung des Bundestages mit Zustimmung
aller Fraktionen verabschiedeten „Gesetz zur Anpas-
sung des Bauproduktengesetzes und weiterer Rechts-
vorschriften an die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zur
Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Ver-
marktung von Bauprodukten“.

Mit diesem Antrag sollen nun weitere Detailrege-
lungen zum privilegierten Einsatz ökologischer Bau-
stoffe eingeführt werden; die Subventionierung „her-
kömmlicher“, petrochemischer Kunststoffe und CO2-
intensiver Baustoffe dagegen soll abgebaut werden.

Dazu schlagen Bündnis 90/Die Grünen ein ganzes
Maßnahmenbündel vor, mit dem eine Vielzahl von An-
wendungsfällen erfasst und geregelt werden soll. Das
geht zum Beispiel bis hin zur Vorgabe von „mindestens
dreigliedriger Fruchtfolge, Sortimentsvielfalt, Bevor-
zugung von Kulturen mit geringem Nährstoffbedarf“
usw.

Und an der Stelle sage ich: Stopp! Nicht, weil ich
die Regelungen im Einzelnen für falsch hielte; sie mö-
gen ja in die richtige Richtung zielen. Ich frage mich
aber, wie die Akteure in der Bauwirtschaft – in der
Praxis – all diese Regelungen kennen und anwenden
sollen und wer am Ende deren Einhaltung überprüft,
Nichteinhaltung gegebenenfalls sanktioniert usw.

Ich wiederhole, was ich auch schon zum vorange-
gangenen Antrag gesagt habe: Die allerbesten Rege-
lungen, Normen und Vorschriften bleiben wirkungslos,
wenn sie bei denen, die sie umsetzen sollen, und bei de-
nen, die am Ende davon betroffen sind, keine Akzep-
tanz finden, schon, weil niemand absehen kann, wel-
ches Aufwand-Nutzen-Verhältnis hier erzeugt wird und
wer am Ende wie viel bezahlen muss. Im Gegenteil: Sie
erzeugen Verdruss, Widerstand, das Bestreben, Vor-
schriften zu umgehen, oder zumindest neue Forderun-
gen nach Ausnahme- und Befreiungsregelungen. Und
so verkehrt sich das Gewollte und gut Gemeinte in sein
Gegenteil.

Wir sind – meine ich – an einem Punkt angekom-
men, wo es nicht mehr darum gehen kann, das eigent-
liche Ziel, nämlich den Klimaschutz, mit immer mehr
Einzelvorschriften und Lösungsforderungen für jeden
Spezialfall zu überfrachten und ihn damit am Ende
möglicherweise zu diskreditieren. Vielmehr sollten wir
eine Bestandsaufnahme machen (lassen), die erfasst,
welche einschlägigen Gesetze, Vorschriften, Bestim-
mungen es zum Klimaschutz im Baubereich bereits
gibt. Wir sollten prüfen (lassen), wo es Parallelrege-
lungen gibt, wo Vorschriften sich möglicherweise wi-
dersprechen, wo sie sich konterkarieren.

Wir haben uns im Parlament bei der Abstimmung
zum Bauproduktengesetz darauf geeinigt, dass die
Überwachung der dort fixierten Regelungen dem
Deutschen Institut für Bautechnik obliegen soll. Das
halte ich für vernünftig. Ich hielte es auch für einen
lohnenden Auftrag an dieses Institut, eine Bestands-
aufnahme auf den Weg zu bringen und in einer Synopse
zusammenzufassen, die alles enthält, was an Klima-
schutzregelungen in der Bauwirtschaft bereits vorhan-
den ist. Ergebnisoffen! Das, was uns dann vorliegt,
sollten wir an den langfristigen Klimaschutzzielen
messen und daraus einen Fahrplan entwickeln, wann
in welchem Bereich welche Regelung greifen muss,
welche vielleicht überholt und verzichtbar ist.

Zu Protokoll gegebene Reden





Heidrun Bluhm


(A) (C)



(D)(B)


Für die Wohnungswirtschaft sind Zielvorgaben in
Etappen bis 2020 und 2050 formuliert. Auf solche Zeit-
räume muss sich die gesamte Wohnungswirtschaft ein-
stellen können, weil gerade dort Investitionsentschei-
dungen mit langer Laufzeit getroffen werden. Im
Ergebnis muss auch abgebildet sein, wann welche
Kosten auf wen zukommen. Schließlich muss ja auch
die Politik darauf eingestellt sein, dass Klimaschutz ei-
nen langen Atem braucht und die Kosten dafür in ei-
nem legislaturübergreifenden Finanzierungskonzept
festgeschrieben werden müssen, und zwar unabhängig
von politischer Coleur und unumkehrbar.

Wenn wir uns verlässlich auf einen solchen Rahmen
einigen können, brauchen wir nicht für jeden Spezial-
fall eine abschließende, dauerhaft verbindliche Rege-
lung. Stattdessen könnten wir zu einer partei- und
wahlperiodenübergreifenden politischen Rahmenver-
einbarung – im Sinne eines flexiblen, lernenden Pro-
gramms – kommen, die der Generationenaufgabe
„Klimaschutz“ wirklich gerecht wird. Das jedenfalls
ist mein Verständnis von Nachhaltigkeit.


Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721145800

Wie wir alle wissen, spielt der Gebäudebereich für

das Erreichen der Klima- und Energieeinsparziele
eine zentrale Rolle. Aber mit den Klimazielen gehen
auch Fragen der Versorgungssicherheit einher. Das
Gros der fossilen Energierohstoffe wird aus außereu-
ropäischen Ländern importiert, und es wird immer teu-
rer. Deutschland lag in 2008 mit einem Erdölver-
brauch von 118,1 Millionen Tonnen an sechster Stelle
der zehn Länder mit dem weltweit größten Erdölver-
brauch. Die deutsche Wirtschaft zahlte im Jahr 2010
allein für ihre Ölimporte 41,6 Milliarden Euro.

Um die Klimaschutzziele zu erreichen, den Energie-
verbrauch sowie die CO2-Emmissionen zu senken und
die Abhängigkeit von Erdölimporten zu reduzieren, ist
also die Steigerung der Ressourcen-, der Energieeffi-
zienz und der Nachhaltigkeit im Gebäudebestand ein
wichtiger Baustein.

In Bezug auf die Modernisierung der Wärmeversor-
gung von Gebäuden sind immerhin erste Schritte ein-
geleitet. Alternative Baustoffe haben aber trotz des
großen Substitutionspotenzials nur wenig Eingang in
die Aktionsprogramme zur Gebäudesanierung gefun-
den, und selbst im Neubau sind sie nur die Ausnahme.
Ein Großteil der in Deutschland benötigten energeti-
schen und nichtmetallischen, mineralischen Rohstoffe
wird im Land gewonnen. Bausande und -kiese sind mit
einem Abbauvolumen von etwa 239 Millionen Tonnen
die wichtigsten mineralischen Rohstoffe, auf die knapp
ein Drittel der heimischen Rohstoffproduktion entfällt.

Die Entnahme von Rohstoffen beeinflusst die Um-
welt negativ, unter anderem durch Veränderungen der
Landschaft, Abholzung der Vegetation für Tagebaue,
Absenken der Grundwasserspiegel, die Belastung des
Grundwassers mit Metallen oder durch Versauerung
sowie durch das Risiko von Bergschäden.

Die von Rot-Grün eingeführten Marktanreizpro-
gramme für ökologische Baustoffe wurden von den
nachfolgenden Bundesregierungen leider nicht weiter-
geführt. Die Absatzzahlen im Bereich der Dämmstoffe
auf Basis nachwachsender Rohstoffe konnten durch
die Marktanreizprogramme kurzfristig gesteigert wer-
den. Die Laufzeit der Programme war zu kurz, um
wesentliche dauerhafte Preissenkungen bei den Pro-
dukten zu erreichen. Diese konnten gegenüber den
Produkten aus der steuerbefreiten stofflichen Nutzung
von Erdöl keine gesteigerte Konkurrenzfähigkeit ent-
wickeln, obwohl die im Neubau und der energetischen
Gebäudesanierung üblicherweise verwendeten Bau-
stoffe hinsichtlich Energieverbrauch, CO2-Emissionen,
Haltbarkeit, Schadstofffreiheit und Recyclingfähigkeit
vielfach mangelhaft sind.

Obwohl die konventionellen organisch-synthe-
tischen Dämmstoffe über die Steuerbefreiung für die
stoffliche Nutzung von Erdöl bereits einen Marktvor-
teil haben, sind ökologisch nachhaltige Baustoffe in
der Fördersystematik der KfW mit Dämmstoffen auf
petrochemischer Basis gleichgestellt. Schaut man auf
die Zahlen der CO2-Gebäudesanierungsprogramme
der KfW, so erkennt man: Seit 2006 wurden der Neu-
bau und die energetische Sanierung von 2,4 Millionen
Wohnungen finanziert. Über die entsprechenden För-
dermittel wurden Investitionen mit einem Volumen von
74 Milliarden Euro angestoßen, circa 4,6 Millionen
Tonnen CO2 eingespart und 320 000 Arbeitsplätze ge-
schaffen oder gesichert.

Für die Verwendung ökologischer Baustoffe gäbe es
bei Betrachtung dieser Zahlen somit ein erhebliches
Potenzial. Die Bundesregierung sollte daher erwägen,
die Subventionierung petrochemischer Kunststoffe und
CO2-intensiver Baustoffe abzubauen und die Steuerbe-
freiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl abzuschaf-
fen. Die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von
Erdöl stellt eine Marktverzerrung zugunsten umwelt-
und klimaschädlicher sowie energieaufwendiger Pro-
dukte dar. Die steuerliche Gleichstellung würde einen
deutlichen ökonomischen Anreiz zur Nutzung nach-
wachsender Rohstoffe setzten.

Die Energie- und Stromsteuersubventionen für die
energieintensive Herstellung von Baustoffen wie Ze-
ment und Keramik sollten nur gewährt werden, wenn
die Produktion sonst nachweislich von der Verlegung
ins weniger stark regulierte Ausland bedroht wäre und
keine gleichwertigen Alternativbaustoffe mit besserer
Umweltbilanz bereitstehen. Auch ist es überlegens-
wert, das Bergrecht grundlegend zu reformieren, und
das auch aus weiteren Gründen, wie etwa mangelhaf-
ten Regelungen zu Transparenz und Bürgerbeteili-
gung.

In Deutschland kann von den Ländern nach dem
geltenden Bergrecht eine Förderabgabe von 10 Pro-
zent oder mehr des Rohstoffwertes auf sogenannte
bergfreie Bodenschätze erhoben werden. Allerdings ist
die derzeitige Aufteilung in bergfreie und grundeigene
Bodenschätze und damit die Aufteilung, für welche Bo-

Zu Protokoll gegebene Reden





Daniela Wagner


(A) (C)



(D)(B)


denschätze Förderabgaben grundsätzlich zu zahlen
sind und für welche nicht, willkürlich. Darüber hinaus
gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen, sodass in der
Regel überhaupt keine Förderabgabe gezahlt wird.
Diese Regelung ist wie weite Teile des übrigen deut-
schen Bergrechts nicht mehr zeitgemäß. Bis heute ste-
hen hier völlig einseitig die Interessen der Bergbau-
treibenden im Vordergrund, nicht die Schonung von
Ressourcen. Wir wollen das Bergrecht umfassend re-
formieren.

Die Zahlung einer Förderabgabe muss der Regel-
und nicht der Ausnahmefall in Deutschland sein. Wir
wollen daher eine Förderabgabe in Höhe von mindes-
tens 10 Prozent konsequent auch auf nicht erneuer-
bare Baustoffe wie Kies und Sand erheben. Dies ist ge-
rechtfertigt, da beim Rohstoffabbau in der Regel in
erheblichem Umfang Gemeingüter in Anspruch ge-
nommen werden. Jedenfalls sind die bestehenden
Förderabgaben nicht ausreichend, und die vielen Aus-
nahmen machen diese ineffizient. Die konsequente Er-
hebung einer Förderabgabe schafft Anreize für Res-
sourceneffizienz, gerade bei dem bisher nicht erfassten
Abbau von Massenrohstoffen der Bauindustrie wie
Kies, Sand und Gesteinen. Die Verpflichtung zur Zah-
lung wollen wir auf alle hierzulande geförderten Bo-
denschätze ausdehnen. Sie sollte nur in begründeten
Ausnahmefällen und zeitlich eng befristet erlassen
werden und weiterhin den Ländern zugutekommen.

Wir wollen Unternehmen, die nachweislich beson-
ders energieintensiv sind und in intensivem internatio-
nalem Wettbewerb stehen, weiterhin Erleichterungen
bei den Energiesteuern oder bei den Umlagen für er-
neuerbare Energien gewähren, um eine Abwanderung
von Unternehmen zu vermeiden. Allerdings müssen
diese Subventionen zukünftig an den im Einzelfall
nachgewiesenen Härten bemessen und an konkrete Ef-
fizienzverpflichtungen geknüpft werden, damit nicht
Verschwendung und technologischer Stillstand sub-
ventioniert werden.

Der Einsatz ökologischer Baustoffe sollte im Neu-
bau und in der energetischen Sanierung stärker geför-
dert und daher ein Modellprogramm für ökologische
Baustoffe initiiert werden. Die Standards für Baustoffe
sollten um den Energieverbrauch ergänzt werden und
den gesamten Lebenszyklus der Baustoffe, inklusive
des Energieverbrauchs bei Herstellung, Betrieb und
Entsorgung, berücksichtigen.

Die Energieausweise für Gebäude müssen dringend
um eine Nachhaltigkeitsbewertung mit Lebenszyklus-
betrachtung der Gebäude erweitert werden. Auch dür-
fen ökologische Baustoffe in den Bauordnungen des
Bundes und der Länder nicht länger diskriminiert wer-
den, wie etwa bei den Brandschutzkategorien.

Sehr sinnvoll wäre es, die Programme der KfW für
Neubau und Sanierung stärker auf den Einsatz ökolo-
gischer Baumaterialien auszurichten. Denn viele der
im Neubau und in der energetischen Gebäudesanie-
rung herkömmlich verwendeten Baustoffe erfüllen

Anforderungen an das Nachhaltigkeitsprinzip hin-
sichtlich ihrer Haltbarkeit, Schadstofffreiheit und Re-
cyclingfähigkeit nur mangelhaft. Die Grundlagenfor-
schung im Bereich der ökologischen Baustoffe und
Bauweisen, beispielweise durch ein Forschungspro-
gramm „Bauen mit Holz“, muss daher dringend inten-
siviert werden.

Zum Instrumentarium einer nachhaltigen Ressour-
cenpolitik gehören auch Ressourcensteuern und -ab-
gaben. Negative gesellschaftliche Umweltauswirkun-
gen, die durch den Abbau von Rohstoffen entstehen,
können durch Steuern und Abgaben internalisiert wer-
den. Nötig ist deshalb ein Forschungsprogramm, das
konkrete Möglichkeiten des Einstiegs in die Rohstoff-
besteuerung aufzeigt. Die vielfältige Diskriminierung
ökologischer Baustoffe in Deutschland muss endlich
ein Ende haben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721145900

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der

Drucksache 17/11380 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Impulse für einen wirksamen und um-
fassenden Schutz der Afrikanischen Elefan-
ten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian
Ruck, Josef Göppel, Marie-Luise Dött, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch,
Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Neue Impulse für einen wirksamen und um-
fassenden Schutz der Afrikanischen Elefan-
ten

– Drucksachen 17/11554, 17/10110, 17/11715 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Göppel
Dr. Matthias Miersch
Angelika Brunkhorst
Eva Bulling-Schröter
Dorothea Steiner

Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genom-
men.


Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1721146000

Ich freue mich besonders, dass wir heute einen in-

terfraktionellen Antrag zum Elefantenschutz beraten
und beschließen können.





Josef Göppel


(A) (C)



(D)(B)


Der Afrikanische Elefant ist seit 1989 als „unmittel-
bar bedrohte Art“ – also in der höchsten Kategorie –
im Washingtoner Artenschutzabkommen aufgeführt.
Dieses majestätische Tier erlitt durch Verfolgung und
Zerstörung seines Lebensraums einen starken Rück-
gang. Die Aufnahme in das Artenschutzabkommen war
eine erste Reaktion darauf und hat vor allem im südli-
chen Afrika Früchte getragen – ich komme noch da-
rauf zurück.

In einigen Regionen Afrikas jedoch haben Wilderei
und illegaler Elfenbeinhandel ein besorgniserregendes
Ausmaß erreicht und zu massiven Bestandseinbrüchen
geführt. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Tö-
tung von etwa 400 Tieren Anfang dieses Jahres im
Bouba-Ndjida-Nationalpark in Kamerun. Hier wie
auch in anderen Bereichen sind es oft große, militä-
risch ausgerüstete Wildererbanden aus Nachbarstaa-
ten, auf deren Konto diese Taten gehen. Aber auch ei-
nige afrikanische Staaten handeln illegal mit
Elfenbein. Der Kauf des „weißen Goldes“ finanziert
also korrupte Regime. Die meisten Kunden leben in
asiatischen Ländern, in denen Elfenbein als Status-
symbol und Luxusobjekt gilt. Vor allem in China und
Hongkong, aber auch in Malaysia, Vietnam, Thailand
und anderen Ländern hat die positive wirtschaftliche
Entwicklung die Nachfrage nach Elfenbein so weit an-
gefacht, dass 2011 ein Rekordjahr bei der Beschlag-
nahmung von illegalem Elfenbein war. Schätzungen
zufolge werden pro Jahr rund 38 000 Elefanten gewil-
dert; das sind etwa 10 Prozent des weltweiten Be-
stands. Die Tendenz ist steigend aufgrund steigender
Absatzpreise. Würde sich dieser Trend fortsetzen, wäre
in weiten Regionen Afrikas mit dem vollständigen Ver-
lust dieser Art zu rechnen.

Gesunde und tragfähige Elefantenpopulationen sind
jedoch entscheidend für viele Ökosysteme des afrikani-
schen Kontinents. Der Elefant leistet einen wichtigen
Beitrag zur Offenhaltung der typischen, afrikanischen
Savannen. Er reduziert den Baumbewuchs und erhält
so maßgeblich die Lebensgrundlage für zahlreiche
weitere Arten. Von einem konsequenten Elefanten-
schutz profitieren also auch andere Geschöpfe. Elefan-
ten steigern, als symbolträchtige Tiere der afrikani-
schen Steppe, in besonderem Maße die touristische
Attraktivität vieler Regionen für Safaris und Tierbe-
obachtungsreisen. Gesunde Wildtierbestände stellen
also eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage vieler
afrikanischer Kommunen dar und sind somit von mate-
rieller Bedeutung für die lokale Bevölkerung. Die zu-
nehmende Wilderei kann demnach nicht nur das Tou-
rismusgeschäft, sondern zugleich die wirtschaftliche
Stabilität der Region massiv gefährden. Auch aner-
kannten Projekten zur Armutsbekämpfung, die auf den
Einnahmen aus dem Tourismus basieren, kann durch
Wilderei die Grundlage entzogen werden. Ein erfolg-
reicher Schutz der Elefanten hat also positive Effekte,
die weit über den Artenschutz hinausgehen.

Der Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste und der
KAZA-Peace-Park im südlichen Afrika sind nur zwei

Beispiele der erfolgreichen deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit beim Schutzgebietsmanagement, die
die enge Verknüpfung eines wirksamen Natur- und
Waldschutzes mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen
der lokalen Bevölkerung belegen. Diese Projekte gilt
es fortzusetzen und weiter auszudehnen. Die Mittel da-
für stehen, auch dank deutscher Unterstützung, bereit.

Ich sagte es eingangs schon: In manchen Gegenden
wirkt sich das Artenschutzabkommen positiv auf die
Tierbestände aus. In den Bereichen Afrikas mit stabi-
len Elefantenpopulationen, wie Botswana, Namibia,
Zimbabwe und Südafrika, gibt es jedoch teilweise Pro-
bleme durch das Ausweichen von Elefanten aus den zu
engen verbliebenen Lebensräumen in menschliche
Siedlungen oder auf landwirtschaftliche Flächen. Hier
müssen die Schutzgebiete erweitert oder durch Korri-
dore vernetzt werden, sodass der Lebensraum der Ele-
fanten vergrößert und Konflikte zwischen Menschen
und Wildtieren verringert werden.

Auf internationaler Ebene gilt es, die afrikanischen
Staaten in ihren direkten Schutzbemühungen und die
Vollzugsorgane bei deren Umsetzung zu unterstützen.
Es müssen aber auch die Transit- und Abnehmerländer
deutlich auf ihre Verantwortung hingewiesen werden.
Und in der Bevölkerung der Zielländer muss das Be-
wusstsein für den Schutz der Elefanten gefördert wer-
den, um die Nachfrage nach Elfenbein zu reduzieren.
Nach einer Studie des IFAW glauben viele Chinesen,
dass Stoßzähne einfach abfallen würden wie Milch-
zähne oder ein Hirschgeweih. Aufklärung in den Ab-
nehmerländern ist für das Überleben der Afrikani-
schen Elefanten also eine wichtige Maßnahme. Wenn
die Absatzmärkte kleiner werden, wird sich die Wilde-
rei automatisch verringern.

Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregie-
rung klare Vorgaben bei internationalen Verhandlun-
gen auf all diesen Handlungsfeldern.


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1721146100

Nach Angaben von Natur- und Artenschutzverbän-

den wird erwartet, dass in diesem Jahr weit über
30 000 Afrikanische Elefanten gewildert werden. Da-
mit setzt sich der Trend der letzten Jahre fort, der die
Elefantenbestände in Afrika massiv einbrechen lässt
und alle Bemühungen, stabile Populationen zu erhal-
ten und dauerhaft zu schützen, konterkariert. Insbe-
sondere die ohnehin schon seltenen Waldelefanten sind
stark gefährdet.

Ursachen für die massive Wilderei sind die hohe
Nachfrage nach Elfenbein in China und anderen
asiatischen Ländern und die hohen Gewinne, die die
professionell organisierten Wilderer bei gleichzeitig
geringem Risiko gefasst zu werden, machen können.
Die neuen Regelungen im Rahmen der letzten CITES-
Konferenz haben diese Situation eher verschlimmert
als verbessert: Die Möglichkeit, kleinere Elfenbeinbe-
stände kontrolliert abzuverkaufen, führte zu einer mas-
siven Ausweitung des Handels. Zusätzlich erschweren
korrupte Regierungen, nicht funktionierende Justiz-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)


und Polizeistrukturen sowie Bürgerkriege den Kampf
gegen die Wilderei. Aktuell leiden die betroffenen afri-
kanischen Staaten in der Folge unter Einnahmeaus-
fällen aus dem nachhaltigen Naturtourismus.

Ich begrüße, dass wir nach langen Verhandlungen
einen interfraktionellen Antrag erarbeitet haben, der
den deutschen und europäischen Verhandlungsführern
auf der 16. Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner
Artenschutzabkommens im März nächsten Jahres eine
gute Verhandlungsgrundlage liefert. Unser Antrag hat
zum Ziel, dem Afrikanischen Elefanten den größtmög-
lichen Schutzstatus zukommen zu lassen.

Ich bin auch gerade deswegen froh, dass wir dies
geschafft haben, weil zwischenzeitlich die Koalition
und insbesondere die FDP die Konsenslinie verlassen
hat. Sie hat die Bundesregierung aufgefordert, „sich
für einen Abverkauf von Elfenbeinbeständen auszu-
sprechen, wenn sichergestellt ist, dass es sich aus-
schließlich um Elfenbein aus einer lokal erforder-
lichen Bestandsregulation handelt“.

Die FDP ließ außer Acht, dass durch diese Rege-
lung erst das Schlupfloch aufgemacht wurde, dass der
massiven Wilderei Vorschub leistete. Darüber hinaus
suggeriert der „ehemalige“ Koalitionsantrag, die Wil-
derei diene der Einkommenssicherung der lokalen Be-
völkerung. Auch hier irrte die Koalition. Bei den Wil-
derern handelt es sich um gut organisierte und
schwerbewaffnete Banden sowie marodierende ehe-
malige Soldaten. Die lokale Bevölkerung leidet viel-
mehr unter der Brutalität dieser Gruppen und unter
dem bereits angesprochenen Fernbleiben von Touris-
ten, die Interesse an naturnaher Erholung haben. Dan-
kenswerterweise haben sich in der Koalition beson-
nene Kräfte durchgesetzt, die dafür gesorgt haben,
dass dieser unsägliche Antrag, der bereits von den Ko-
alitionsfraktionen verabschiedet und in den Deutschen
Bundestag eingebracht war, zurückgezogen wurde.

Zum Schluss möchte ich die Hoffnung aussprechen,
dass unser Antrag dazu beitragen wird, die Afrikani-
schen Elefanten langfristig zu schützen. Der Afrika-
nische Elefant spielt eine wichtige Rolle in Savannen-
und Waldökosystemen; sein Verlust hätte weitreichende
Folgen auch für die anderen dort lebenden Arten. Es
geht daher nicht nur um die Rettung eines „Sympathie-
trägers“, sondern um den Erhalt der Biodiversität in
Afrika, des nachhaltigen Tourismus und der damit ver-
bundenen Einnahmemöglichkeiten für die lokale Be-
völkerung.


Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1721146200

Die FDP-Fraktion ist zufrieden, dass wir nach eini-

gen Verhandlungsrunden gemeinsam mit der Union,
der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen interfrak-
tionellen Antrag zum Schutz der Elefanten auf den Weg
gebracht haben.

Seit dem Verbot des kommerziellen Elfenbeinhan-
dels im Jahr 1989 haben sich die Elefantenpopula-
tionen auf dem afrikanischen Kontinent in zwei Rich-

tungen entwickelt. In Südafrika konnten sich die
Tierbestände nach einer herben Dezimierung in den
70er- und 80er-Jahren sehr gut erholen. Die Herden
haben sich hier teilweise derart gut entfalten können,
dass sie auf der Suche nach weiterem Lebensraum in
besiedelte Gebiete vordringen und Konflikte mit der
Bevölkerung verursachen. Ganz anders sieht die Si-
tuation in Ländern Zentralafrikas aus. Hier hat die El-
fenbeinwilderei in den vergangenen Jahren massiv zu-
genommen. Vor allem die starke Nachfrage aus
Ostasien heizt die Wilderei nach den wertvollen Stoß-
zähnen weiter an.

Der illegale Elfenbeinhandel ist ein lohnendes Ge-
schäft. Militärisch aufgerüstete Banden machen Jagd
auf die Großtiere und dezimieren die Elefantenpopula-
tionen dramatisch. Die Menge des beschlagnahmten
Elfenbeins erreichte im Jahr 2011 ihren bislang höchs-
ten Stand seit dem Handelsverbot im Jahr 1989. Wir
nehmen diese Entwicklung sehr ernst und fordern die
Bundesregierung auf, sich stärker für den Schutz der
Afrikanischen Elefanten einzusetzen. Wir wollen den
betroffenen afrikanischen Ländern dabei helfen, die
Lebensräume und Rückzugsgebiete der Elefanten
durch gezielte Vernetzung der Schutzgebiete zu verbes-
sern.

Vor allem in Zentralafrika stehen den Elfenbeinjä-
gern aufgrund teilweise schwacher Regierungsstruktu-
ren und der hohen Korruptionsanfälligkeit Tür und Tor
offen, und die betroffenen Länder stoßen im Umgang
mit den professionell handelnden Wilderern an ihre
Grenzen. Wir müssen dringendst gemeinsam mit den
entsprechenden afrikanischen Staaten effektive Maß-
nahmen gegen die ausufernde Elefantenjagd finden.
Hier können wir Hilfe und Know-how im Kompetenz-
aufbau der Polizei- und Zollbehörden anbieten. Paral-
lel gilt es, gemeinsam sowohl auf internationaler
Ebene als auch mit den Abnehmer- und Transitländern
des Elfenbeins Lösungen im Kampf gegen den illega-
len Handel zu entwickeln.

Im kommenden Jahr findet die 16. CITES-Vertrags-
staatenkonferenz statt. Hier wird das Elefantenthema
auf der Agenda stehen. Die Ausweitung und Vernet-
zung der Schutzgebiete sowie Maßnahmen im Kampf
gegen den illegalen Handel müssen diskutiert werden.

Zur Bekämpfung des illegalen Elfenbeinhandels be-
darf es sowohl einer konzertierten Aktion der Her-
kunftsländer als auch der Abnehmerländer. Wir for-
dern die Bundesregierung auf, die afrikanischen
Länder aktiv im Kampf gegen Wilderei und Elfenbein-
handel zu unterstützen und vor allem im Rahmen der
Verhandlungen des Washingtoner Artenschutzüberein-
kommens, CITES, auf einen besseren Schutz dieser
einmaligen Tiere zu drängen.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721146300

2013 findet vom 4. bis 13. März die 16. Vertrags-

staatenkonferenz zum Washingtoner Artenschutzüber-
einkommen – CoP16, CITES – in Bangkok statt. Dort
wird unter anderem über die Zukunft des Afrikani-

Zu Protokoll gegebene Reden





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)


schen Elefanten beraten. Dazu liegt bereits ein Antrag
Tansanias zur Herabstufung des Afrikanischen Elefan-
ten von Anhang I – unmittelbar bedrohte Arten, deren
Handel verboten ist – auf Anhang II – geschützte Ar-
ten, deren Handel mit Einschränkungen erlaubt ist –
vor.

Es ist Zeit, zu handeln und den Schutz der grauen
Riesen endlich konsequent voranzutreiben. 2009 wur-
den schätzungsweise 38 000 Elefanten in Afrika gewil-
dert. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Zahl
sich ohne weiteres Zutun der internationalen Gemein-
schaft in den nächsten Jahren ändert. Die Bundesre-
gierung sollte sich nicht nur auf der Konferenz, son-
dern auch schon im Vorfeld für den verstärkten Schutz
des Afrikanischen Elefanten einsetzen und diesen über
die Konferenz hinaus kritisch begleiten. Ich bin froh,
dass es zu einem interfraktionellen Antrag kommen
konnte und so von deutscher Seite der Versuch ge-
macht wird, Elefanten besser zu schützen.

Die Forderung zum Abverkauf von Elfenbeinbe-
ständen und die Bemerkung zur Wilderei als Sicherung
der lokalen ökonomischen Einkommensquelle sind
glücklicherweise gestrichen. Traurig bin ich darüber,
dass die Linke wiederum nicht in die Antragstellung
einbezogen wurde. Andererseits ergibt sich daraus für
uns die Chance, unsere Forderungen ohne Aufwei-
chung und konsequent für den Schutz des Afrikani-
schen Elefanten in die Debatte einzubringen. Eine He-
rabstufung von Anhang I auf Anhang II in CITES ist
nach unserer Meinung nicht nur kritisch zu prüfen,
sondern generell abzulehnen; denn daraus resultiert
zum Beispiel ein verstärkter Elfenbeinhandel. Derzeit
sind Afrikanische Elefanten in Botswana, Namibia,
Simbabwe und Südafrika in Anhang II gelistet. Zusätz-
lich treten wir gegen das sogenannte Culling ein, bei
dem im Rahmen von Bestandsregulierungsmaßnahmen
ganze Elefantenherden geschossen werden.

Für die Stabilität von Elefantenpopulationen, aber
auch für eine Vermeidung von Mensch-Elefant-Kon-
flikten sind der Erhalt, die Ausweitung und die Vernet-
zung von arttypischen Lebensräumen zwingend erfor-
derlich. Dabei ist die betroffene Bevölkerung von
Anfang an mit einzubeziehen, um den langfristigen Er-
halt der Biotope sicherzustellen. Über eine Ablehnung
der Herabstufung hinaus fordern wir eine generelle
Listung des Afrikanischen Elefanten in Anhang I von
CITES.

Da ein solches Uplisting aber lediglich das betref-
fende Land selbst beantragen kann, setzen wir uns
zusätzlich für ein Populationsmodell in CITES ein.
Dieses Populationsmodell steht dem bisherigen Län-
dermodell gegenüber, nach dem es erlaubt ist, eine Po-
pulation, die im einen Land nach Anhang I geschützt
ist, im anderen Land verstärkt zu schießen, sofern der
Afrikanische Elefant dort in Anhang II gelistet ist. Das
ist absurd. Im Populationsmodell hingegen wird eine
Elefantenpopulation in ihrem Gesamthabitat betrach-
tet und gleich bewertet. Dieses Populationsmodell

würde bei Änderung in CITES natürlich auch für alle
anderen dort gelisteten Populationen gelten.

Schon jetzt hinkt Deutschland seinem ODA-Verspre-
chen – ODA: Official Development Assistance – nicht
nur global, sondern auch für Afrika hoffnungslos hin-
terher. 0,7 Prozent des Bruttoinlandseinkommens soll-
ten für die Finanzierung der Entwicklungshilfe ausge-
geben werden. Aktuell sind es 0,4 Prozent. Die
Forderung, aus dem „bestehenden finanziellen Rah-
men der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“
Gelder für den Elefantenschutz und den Polizeiaufbau
zu verwenden, ist vor diesem Hintergrund geradezu
grotesk und wird von uns natürlich abgelehnt. Vielmehr
sollen für den Elefantenschutz Gelder unabhängig von
den Entwicklungshilfezahlungen fließen. Zusätzlich
müssen die verschiedenen Kontrollmechanismen ge-
fördert werden.

Tansania beantragt für die kommende Artenschutz-
konferenz eine Herabstufung seiner Elefantenbestände
und den Abverkauf von über 100 Tonnen Elfenbein.
Zimbabwe hat seine Ankündigung zum Glück nicht
wahrgemacht. In Tansania ist in den letzten drei Jah-
ren laut dortigen Presseartikeln der Elefantenbestand
um 42 Prozent zurückgegangen. Wilderei und Elfen-
beinschmuggel sind immer noch Hauptproblem. Der
Zoll in Hongkong hat erst vor wenigen Wochen eine
Rekordmenge an geschmuggeltem Elfenbein abgefan-
gen: Er stellte fast vier Tonnen im Wert von 3,4 Millio-
nen Dollar – das entspricht 2,6 Millionen Euro – si-
cher; die Hälfte der Ware stammte aus Tansania. Dass
das Land dennoch einen solchen Antrag stellt, bekräf-
tigt, wie klar nun die Botschaft der restlichen Welt sein
muss: nein zu jeglicher weiteren Lockerung, ein Stopp
jedes Elfenbeinhandels. Die Bundesregierung und die
EU sollten noch vor Beginn der internationalen Arten-
schutzkonferenz im März 2013 Tansania dazu auffor-
dern, diesen Antrag zurückzuziehen.

Diese und die vorher erwähnten Forderungen sind
Inhalt unseres Änderungsantrages, den sie ja schon im
Ausschuss abgelehnt haben.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich freue mich außerordentlich, dass wir uns in die-
sem Haus fraktionsübergreifend verständigt haben,
den Afrikanischen Elefanten weiterhin konsequent zu
schützen. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der
Koalitionsfraktionen – und namentlich Josef Göppel –
dafür, dass sie ihre erste Antragsversion weiter quali-
fizieren konnten.

Selten sind wir uns im Natur- und Artenschutz so ei-
nig wie bei der Einschätzung der Situation der Afrika-
nischen Elefanten. Grund dafür sind die immer neuen
und immer dramatischeren Zahlen zum illegalen El-
fenbeinhandel und zur grausamen Elefantenwilderei.
Schätzungen internationaler Natur- und Artenschutz-
organisationen zufolge sind allein im vergangenen
Jahr über 2 500 Elefanten illegal getötet worden, um
an ihr vermeintlich wertvolles Elfenbein zu gelangen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Undine Kurth (Quedlinburg)



(A) (C)



(D)(B)


Dies zeigt, dass ungeachtet des hohen Schutzstatus
durch das Washingtoner Artenschutzabkommen noch
immer keine Bestandserholung absehbar ist. Die Rote
Liste der IUCN ist Beleg für meine Aussage.

Um das drohende Aussterben der Elefanten zu ver-
hindern, wurde 1989 im Rahmen des Washingtoner Ar-
tenschutzabkommens ein weltweites Handelsverbot für
Elfenbein beschlossen und werden Elefanten in den
Anhang I des Abkommens aufgenommen. In der Kon-
sequenz sank der Elfenbeinhandel vorerst schlagartig,
und die Wilderei ging in vielen Ländern massiv zurück.
Doch Aufweichungen des Handelsverbots durch Her-
abstufungen einiger afrikanischer Elefantenbestände
auf Anhang II des Abkommens – was den Handel unter
bestimmten Auflagen möglich machte – sowie partielle
Handelserlaubnisse für Elfenbein führten seit Ende
der 1990er-Jahre zu einem Wiederanstieg der Wilderei
und einer wachsenden Bedrohung der Elefanten. Diese
Entwicklung ging unmittelbar mit den Lockerungen
des Elefantenschutzes bei CITES einher und führte zu
einer vermehrten Nachfrage nach Elfenbein.

Vor diesem Hintergrund wäre es verantwortungslos,
den Schutzauftrag erneut herabsetzen und den Abver-
kauf von bestehenden Elfenbeinbeständen ermögli-
chen zu wollen. Dies würde nicht zu einem Rückgang
des illegalen Elfenbeinhandels führen, sondern die
Nachfrage weiter anheizen und die ohnehin dramati-
sche Wilderei weiter verschlimmern.

Die Dickhäuter sind nicht einfach nur sympathische
Tiere, sondern sie spielen darüber hinaus eine Schlüs-
selrolle für die lokalen Ökosysteme. Die Schutzforde-
rungen für diese Tiere sind wegweisend für die Schutz-
bemühungen zu anderen bedrohten Tierarten und
Ökosystemen auf dem afrikanischen Kontinent.

Mit dem gemeinsamen Antrag senden wir ein deut-
liches und richtiges Signal für die kommenden Ver-
handlungen an unsere europäischen Partner, aber vor
allem auch an die internationale Vertragsstaatenge-
meinschaft des Artenschutzabkommens. Wir wollen
keine weitere Herabsetzung des Schutzstatus und set-
zen uns dafür ein, dass der Vorsorgegrundsatz zentra-
ler Baustein des zu entwickelnden Entscheidungsfin-
dungsmechanismus bleibt.

An die Adresse unserer Kolleginnen und Kollegen
der Linken frage ich vor diesem Hintergrund auch, wa-
rum sie gerade die Streichung des Vorsorgegrundsat-
zes und die Entwicklung eines „decision making me-
chanism“ fordern. Dies ist eine zentrale Forderung
des internationalen Artenschutzes, die wir unterstüt-
zen, da wir auf Verhandlungen setzen und überzeugen
wollen.

Schade ist auch, dass Sie sich erst spät in die inhalt-
liche Auseinandersetzung mit dem Elefantenschutz
eingebracht haben. Das nahm uns die Möglichkeit,
Ihre Forderungen konstruktiv und ausgiebig zu disku-
tieren und Ihnen die inhaltlichen Mängel aufzuzeigen.
So hätten wir Ihre Forderung nach der Existenzsiche-
rung für die lokale Bevölkerung diskutieren können

und Ihnen belegt, dass genau diese Forderung oft als
Begründung für den Abschuss lokaler Elefantenpopu-
lationen genutzt wird. Es braucht eine Ökosystemver-
netzung durch Wanderkorridore, damit übergroße re-
gionale Populationen nicht zu einem Problem oder
einer Gefahr für die lokale Bevölkerung werden.

Dennoch lehnen wir Ihre Position nicht vollends ab
und geben Ihnen recht, wenn Sie die Erfüllung der
ODA-Quote fordern. Zwar hat die Bundesregierung
das 0,7-Prozent-Versprechen nicht explizit gegenüber
Afrika gegeben, wie Sie behaupten; aber die Unter-
stützung der Entwicklungszusammenarbeit, die gefor-
derte Unterstützung beim Strukturaufbau gegen illega-
len Elfenbeinhandel oder die Förderung von Wald-
und Naturschutzprojekten kosten Geld, und hier muss
die Bundesregierung liefern. Ich kann ihnen versi-
chern, dass die Grünen in Regierungsverantwortung
dazu beitragen werden, diese ODA-Zielvereinbarung
schnellstmöglich umzusetzen.

Ich möchte mich aber auch an die Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen wenden. Bitte ver-
stehen Sie unsere Unterstützung für diesen Antrag
nicht als Ermutigung, sich nun zurückzulehnen und auf
diesem Antrag auszuruhen. Der Antrag allein bringt
den so wichtigen und nötigen Schutz der Afrikanischen
Elefanten nicht weiter. Wir verstehen ihn vor allem
auch als Aufforderung an Bundesminister Altmaier,
den internationalen Arten- und Biodiversitätsschutz zu
seinem persönlichen Anliegen zu machen und seine
Teilnahme an der kommenden Artenschutzkonferenz in
Bangkok abzusichern. Nur so wird die Bundesrepublik
auf internationaler Ebene als ernstzunehmender Ver-
handlungspartner wahrgenommen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721146400

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des zuständigen Ausschusses auf der Druck-
sache 17/11715. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des
Antrags der vorhin genannten Fraktionen auf der Druck-
sache 17/11554. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Dann ist die Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit,
wenn auch bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/10110 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlussemp-
fehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 37:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip
Juratovic, Anette Kramme, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke,
Uwe Kekeritz, Memet Kilic, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Arbeitsbedingungen von Hausangestellten
verbessern – ILO-Übereinkommen Nr. 189 ra-
tifizieren

– Drucksache 17/11370 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Was in diesem ILO-Übereinkommen Nr. 189 steht, ist
den Reden zu entnehmen, die zu Protokoll genommen
werden.


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1721146500

Der vorliegende Antrag von SPD und Grünen for-

dert eine rasche Ratifizierung des ILO-Übereinkom-
mens Nr. 189.

Die Übereinkunft wurde von der Internationalen
Arbeitskonferenz auf ihrer 100. Tagung im Juni 2011
angenommen. Einigen Kolleginnen und Kollegen ist
diese Tagung noch in besonders guter Erinnerung,
weil Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bedeutung
des ILO-Übereinkommens hervorgehoben hat. Es soll
die Rechte von Hausangestellten stärken und sie vor
Diskriminierung und Missbrauch schützen. Dazu sieht
es umfangreiche Regelungen unter anderem zur
Gewährung fairer und menschenwürdiger Arbeitsbe-
dingungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszeiten, zur
sozialen Sicherheit, zur Stärkung des Rechts auf
Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater
Arbeitsvermittler vor. Es hat somit vor allem große
Bedeutung für Entwicklungs- und Schwellenländer.
Auch die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des
Übereinkommens mitgewirkt. Die christlich-liberale
Koalition begrüßt die Ziele und Instrumente des ILO-
Übereinkommens.

Derzeit wird der Entwurf der Denkschrift zum ILO-
Übereinkommen noch geprüft. Nach sorgfältiger
Prüfung und Ressortabstimmung werden dann noch
vor der Kabinettsbefassung die Länder und die Sozial-
partner um Stellungnahme gebeten. Daher ist es mo-
mentan schwierig, einen konkreten Zeitpunkt für die
Ratifizierung zu nennen. Es entspricht aber geübter
Praxis der Bundesrepublik Deutschland, solche Über-
einkommen erst dann zu ratifizieren, wenn alle gesetz-
lichen Regelungen materiell umgesetzt sind – die Rati-
fizierung ist dann der Abschluss einer etwaig
notwendigen Rechtsanpassung, nicht der Beginn.

Auch wenn eine schnelle Ratifizierung des ILO-
Übereinkommens wünschenswert sein mag, müssen
wir uns die Frage stellen, was die Ratifizierung de
facto an der Situation der Hausangestellten in
Deutschland ändert. Denn: Grundsätzlich sind Be-
schäftigte in Privathaushalten Arbeitnehmer im Sinne
des deutschen Arbeitsrechts. Auch ist Deutschland,
was beispielsweise die Arbeitszeitregelungen angeht,

insgesamt weiter, als es das ILO-Übereinkommen ver-
langt. Hinsichtlich der Entlohnung würde die Ratifizie-
rung selbst auch keine Verbesserung für Hausange-
stellte bringen: Die Konvention sieht zwar die Zahlung
eines Mindestlohns vor, allerdings nur dort, wo ein
solcher auch bereits existiert. Übrigens, um es deutlich
zu machen: Der von Ihnen geforderte Mindestlohn von
8,50 Euro ist nicht Bestandteil des ILO-Übereinkom-
mens. Ich bin davon überzeugt, dass sich hier mithilfe
einer allgemeinen Lohnuntergrenze Lücken schließen
ließen.

Auch sollten wir uns über das ILO-Abkommen hi-
naus die geltenden Ausnahmeregelungen für Hausan-
gestellte einmal genauer anschauen: Möglicherweise
ließen sich weitere Verbesserungen beim Arbeitsschutz
für Hausangestellte schaffen. Ebenso sollten wir uns
genauer die unterschiedlichen Pauschalbeiträge in
der Sozialversicherung von geringfügig Beschäftigten
und geringfügig beschäftigten Hausangestellten anse-
hen. Diese haben bei Hausangestellten geringere An-
sprüche in der Rente zur Folge.

Doch selbst das beste Gesetz zum Schutz der Arbeit-
nehmer ist obsolet, wenn Arbeitgeber ihren
Meldepflichten nicht nachkommen, Stichwort:
Schwarzarbeit. Daher sollten wir Probleme der
Rechtsdurchsetzung sehr ernst nehmen. Dies verlangt
in erster Linie sicherlich eine möglichst unbürokrati-
sche Ausgestaltung der Regelungen für die Beschäfti-
gung in privaten Haushalten: Gesetze sollen Beschäf-
tigungsmeldungen erleichtern und befördern; sie
sollen keine Hürde darstellen. Welche Möglichkeiten
wir als Gesetzgeber darüber hinaus haben, werden wir
noch gemeinsam diskutieren müssen.

Das ILO-Übereinkommen Nr. 189 hat vor allem
große Bedeutung für Entwicklungs- und Schwellenlän-
der. Eine Ratifizierung Deutschlands hätte möglicher-
weise Signalwirkung an andere Länder. Für Hausan-
gestellte in Deutschland sollten wir den Fokus jedoch
vor allem auf folgende Punkte legen: auf die Einfüh-
rung einer Lohnuntergrenze, auf die Prüfung beste-
hender Ausnahmeregelungen und auf das Problem der
Schwarzarbeit.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1721146600

Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, hat

auf ihrer 100. Internationalen Arbeitskonferenz am
16. Juni 2011 das ILO-Übereinkommen 189 über men-
schenwürdige Arbeit für Hausangestellte und die Emp-
fehlung 201 betreffend menschenwürdige Arbeit für
Hausangestellte angenommen. Damit hat die ILO ein
grundsätzliches Problem aufgegriffen, namentlich das
der Arbeit hinter verschlossenen Türen: In vielen
Ländern fehlen verbindliche Regelungen für Hausan-
gestellte, und wo es sie gibt, werden sie nicht immer
beachtet.

Hausangestellte arbeiten im privaten Raum, sodass
Kontrollen kaum möglich sind. Auch Gewerkschaften,
die für ihre Rechte eintreten könnten, existieren prak-
tisch nirgends. Für viele Hausangestellte gilt nach wie





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


vor, dass ihre Arbeitsbelastung zu hoch ist und sie
unterbezahlt sowie ungeschützt sind. Die Arbeitsver-
hältnisse sind oft informell, und damit fehlt meist auch
jegliche soziale Absicherung – von Mutterschutz bis
zur Absicherung im Alter.

Die ILO will die Rechte von Arbeiterinnen und
Arbeitern auch im informellen Sektor festschreiben.
Ich begrüße das ausdrücklich und unterstütze das An-
liegen. Die ILO will über die bloße Ermittlung von
Verstößen gegen die Kernarbeitsnormen wie das
Zwangsarbeitsverbot hinausgehen. Sie will Orientie-
rung bieten bei der Ausgestaltung gesetzlicher Rege-
lungen zugunsten von Arbeitnehmern und Arbeitneh-
merinnen, die in besonderer Weise der Unterstützung
bedürfen. Die besonderen Charakteristiken von Haus-
arbeit stellen keinen Grund dar, Hausangestellte vom
Schutz durch internationale Arbeitsnormen auszu-
schließen.

Die Nachfrage nach haushaltsnahen Dienstleistun-
gen hat in den letzten Jahren zugenommen. Der starke
Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Alte-
rung der Gesellschaften und die vielfach unzurei-
chende Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragen zu
diesem Trend bei. Besonders in Entwicklungsländern
machen Hausangestellte einen beträchtlichen Teil der
Erwerbsbevölkerung aus. Die ILO schätzt ihren Anteil
an allen Beschäftigten dort auf zwischen 5 und 9 Pro-
zent, während der Anteil in den Industrieländern bei
lediglich bis zu 2,5 Prozent liegt.

Mit dem Übereinkommen will die ILO die Rechte
der Hausangestellten stärken und sie vor Diskriminie-
rung und Missbrauch schützen. Dazu sieht das
Übereinkommen umfangreiche Regelungen unter an-
derem zur Gewährung fairer und menschenwürdiger
Arbeitsbedingungen, zum Arbeitsschutz, zu Arbeitszei-
ten, zur sozialen Sicherheit, zur Stärkung des Rechts
auf Kollektivverhandlungen und zur Kontrolle privater
Arbeitsvermittler vor. Überdies sollen die gewerk-
schaftliche Vertretung von Hausangestellten und der
soziale Dialog gefördert werden. Das geplante Über-
einkommen und der damit verbundene globale
Aktionsplan sollen in den Mitgliedstaaten wirksame
Gesetze und Mittel zu deren Durchsetzung fördern.
Diese sollen auch strafrechtliche Sanktionen gegen
diejenigen beinhalten, die sich der Ausbeutung ihrer
Hausangestellten schuldig machen.

Die Bundesregierung hat an der Erarbeitung des
Übereinkommens und der begleitenden Empfehlung
konstruktiv mitgewirkt und steht den politischen Zielen
der Instrumente wohlwollend gegenüber. Die Bundes-
kanzlerin hat an der Sitzung der Internationalen
Arbeitskonferenz am 16. Juni 2011 teilgenommen – üb-
rigens als erste deutsche Regierungschefin über-
haupt – und hat in ihrer Rede die besondere Bedeutung
des Übereinkommens hervorgehoben.

Derzeit befinden sich der Entwurf einer Denkschrift
zum Übereinkommen und die Stellungnahme zur er-
gänzenden Empfehlung in der ressortinternen Prü-

fung. Eine abschließende Aussage hinsichtlich der
Ratifizierbarkeit lässt sich damit heute noch nicht tref-
fen. Nach Abschluss der Ressortabstimmung – und
noch vor der Kabinettsbefassung – werden die Länder
sowie die Sozialpartner um Stellungnahme gebeten.
Insoweit kann ein Zeitpunkt für den Abschluss des
Prüfungsverfahrens momentan noch nicht genannt
werden. Die Bundesregierung setzt aber alles daran,
die Prüfung so rasch wie möglich abzuschließen.

Wir haben keine Nachhilfe durch die Opposition
nötig. Der gemeinsame rot-grüne Antrag hat reinen
Symbolcharakter und macht deutlich: Die christlich-
liberale Koalition handelt, Rot-Grün begnügt sich mit
Schaufensteranträgen.


Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1721146700

Im vergangenen Jahr war ich bei der Konferenz der

Internationalen Arbeitsorganisation in Genf, als das
ILO-Übereinkommen Nr. 189 zum Schutz der Arbeits-
rechte von Hausangestellten verabschiedet wurde. Ich
konnte im Saal die Aufbruchstimmung miterleben.
Viele Organisationen, vor allem aus der weltweiten
Frauenbewegung, hatten jahrelang für dieses Über-
einkommen gekämpft. Die Freude war groß, als die
Delegierten der ILO-Konferenz das Übereinkommen
beschlossen.

Diese Aufbruchstimmung sollte für uns Antrieb
sein, das Übereinkommen ernst zu nehmen. Deswegen
fordern SPD und Grüne in dem heute vorliegenden ge-
meinsamen Antrag, dass das Übereinkommen so
schnell wie möglich ratifiziert wird. Ein juristisches
Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass für
die Ratifizierung zunächst keine rechtlichen Verände-
rungen in Deutschland notwendig sind. Von daher gibt
es keinen Grund, warum das Übereinkommen noch
nicht ratifiziert ist. Leider scheint es derzeit so, dass
die Ratifizierung durch die Bundesregierung verzögert
wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und
FDP, bitte setzen Sie sich dafür ein, dass das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales hier zügig voran-
kommt!

Wir haben leider schon oft genug bei ILO-Überein-
kommen miterleben müssen, dass die Ratifizierung
verschleppt wurde. Erst am Montag wurde bei der An-
hörung zum Seearbeitsgesetz deutlich, dass Seeleute
und Reeder Bedenken haben, dass es für sie in der in-
ternationalen Schifffahrt zum Nachteil wird, dass
Deutschland das ILO-Seearbeitsübereinkommen von
2006 noch immer nicht ratifiziert hat. Wir dürfen uns
also nicht so viel Zeit lassen bei den Ratifizierungen
der ILO-Übereinkommen, sondern müssen zügig hier
in Deutschland unsere internationalen Hausaufgaben
machen. Auch die Kanzlerin betonte 2011 in ihrer
Rede auf der ILO-Konferenz die Bedeutung der ILO
für die internationale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Diese warmen Worte reichen aber nicht aus, sondern
dieses Bekenntnis muss auch in der täglichen Arbeit
der Bundesregierung deutlich werden, insbesondere
bei der Ratifizierung von Übereinkommen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Josip Juratovic


(A) (C)



(D)(B)


Die Aufbruchstimmung 2011 in Genf war so groß,
weil das Übereinkommen ein Meilenstein ist, um
Hausarbeit gleichzustellen mit regulärer Erwerbsar-
beit. In vielen Ländern ist die Arbeit von Hausange-
stellten nicht als reguläre Lohnarbeit anerkannt. Wir
haben erst heute hier im Plenum über Haushaltshilfen
diskutiert. Es ist sehr wichtig, dass wir dabei auch im-
mer darüber sprechen, dass die Arbeit im Haushalt
auch gute Arbeit sein muss. Arbeitsbedingungen und
Lohn müssen auch für Hausangestellte gut und fair
sein!

Das Übereinkommen ist natürlich weltweit von gro-
ßer Bedeutung. Besonders in Entwicklungsländern
sind meist Mädchen und junge Frauen von Arbeitsaus-
beutung betroffen. Oft wird kein oder nur ein sehr ge-
ringer Lohn bezahlt, die Lebensbedingungen im Haus-
halt sind nicht menschenwürdig, es findet manchmal
sowohl psychischer als auch sexueller Missbrauch
statt. Aber wir dürfen unsere Augen nicht verschließen
und nur auf andere Länder zeigen. Auch in Deutsch-
land findet Missbrauch von Hausangestellten statt.
Viel Medienaufmerksamkeit haben die Fälle von mi-
grantischen Hausangestellten in Diplomatenhaushal-
ten erhalten, besonders der Fall einer indonesischen
Hausangestellten, die ihren Arbeitgeber, einen Diplo-
maten aus Saudi-Arabien, auf Zahlung von rund
70 000 Euro Lohn und Schmerzensgeld verklagt hatte.
Zunächst wurde die Klage in den ersten Instanzen ab-
gewiesen wegen der Immunität des Diplomaten. Kurz
vor der Verhandlung am Bundesarbeitsgericht teilte
der Anwalt des Diplomaten mit, dass dieser nicht län-
ger als Diplomat akkreditiert und zurück in Saudi-Ara-
bien sei. Damit ist das Bundesarbeitsgericht nicht
mehr zuständig; der Fall konnte nicht mehr verhandelt
werden. Erst gestern wurde der Fall einer boliviani-
schen Hausangestellten bekannt, die lange Zeit keinen
Lohn erhielt, überlange Arbeitszeiten hatte und kaum
aus dem Haus gelassen wurde. Hier hat das Auswär-
tige Amt mit den Betroffenen verhandelt; es kam zu ei-
ner Nachzahlung des Lohnes.

Das zeigt: Ausbeutung von Hausangestellten ist
auch in Deutschland kein Einzelfall. Es muss klar sein:
Menschenrechte gelten in Deutschland auch für Haus-
angestellte und auch in Diplomatenhaushalten. Wir
müssen insbesondere für Diplomatenhaushalte Rege-
lungen schaffen, um dem Missbrauch einen Riegel vor-
zuschieben. Unser Antrag schlägt dazu vor, dass die
Hausangestellten sowohl bei der Einreise als auch bei
der Verlängerung ihre Protokollausweise persönlich
im Auswärtigen Amt abholen müssen. So werden die
Hausangestellten aus der Isolation im jeweiligen
Haushalt herausgeholt. Nicht nur die Beratung von
Hausangestellten in Diplomatenhaushalten muss bes-
ser werden. Wir fordern daher, dass mehrsprachige
Broschüren nach dem Vorbild der NGO „Ban Ying“
erstellt werden. Nicht nur die Beratung, auch die Ar-
beitsverträge müssen den Hausangestellten in einer
Sprache vorgelegt werden, die sie verstehen.

Weiter fordern wir in unserem Antrag, dass für
Hausangestellte vergleichbare arbeitsschutz- und ar-
beitsrechtliche Regelungen gelten wie für andere Be-
schäftigte, dass ein allgemeinverbindlicher Branchen-
mindestlohn für Hausangestellte Geltung erlangt und
dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn
als Lohnuntergrenze eingeführt wird.

Da viele Hausangestellte hier in Deutschland Mi-
granten sind, sind zudem zwei weitere Forderungen
wichtig: erstens eine Regelung zur Heimschaffung. Es
gibt eine Heimschaffung für Seeleute, mit der geregelt
wird, wie Seeleute nach dem Ende ihres Vertrags zu-
rück in ihr Heimatland kommen. Eine analoge Rege-
lung ist auch für Hausangestellte notwendig. Zweitens
muss der Missbrauch durch private Arbeitsvermittler
wirksam verfolgt werden. Private Arbeitsvermittlung
ist problematisch, da hier oft Missbrauch geschieht mit
Gebühren oder gar mit Menschenhandel.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür handeln, dass
Missbrauch von Hausangestellten in Deutschland
stärker bekämpft wird als bisher! Lassen Sie uns ein
Zeichen setzen und das ILO-Übereinkommen Nr. 189
für die Rechte von Hausangestellten schnellstmöglich
ratifizieren! Ich freue mich auf die weitere Beratung
des Antrags von SPD und Grünen in den Ausschüssen.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1721146800

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales be-

findet sich derzeit mit den betroffenen Ressorts in der
Abstimmung bezüglich der Ratifizierung des ILO-
Übereinkommens Nr. 189. Der weitere Zeitplan steht
noch nicht fest.

Nach allen meinen Informationen hat das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales an der Erarbei-
tung des Übereinkommens und der begleitenden Emp-
fehlung konstruktiv und engagiert mitgewirkt.

Die Ratifizierung des Abkommens durch Deutsch-
land wird kommen; sie ist aber nicht drängend. Das
Übereinkommen tritt aufgrund der Ratifizierungen in
Ländern, die möglicherweise im Bereich Arbeitsrecht
und Arbeitsschutz noch größeren Handlungsbedarf als
Deutschland haben, auch so in Kraft – am 5. Septem-
ber 2013. Dem rechtlichen Verfahren bei der ILO steht
also nichts mehr im Weg. Damit wird in knapp einem
Jahr diese Konvention für alle 185 Mitgliedstaaten
gültig sein.

Worauf die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen selbst schon in ihrem Antrag hinweisen:
Die in dem ILO-Übereinkommen Nr. 189 gesetzten
Standards sind in Deutschland bereits erfüllt. Die
Hans-Böckler-Stiftung hat in einem Gutachten der
Jura-Professorin Dr. Eva Kocher von der Europa-Uni-
versität Viadrina Folgendes festgestellt: „Insgesamt
entspricht das deutsche Recht den Mindestvorgaben
der Konvention. Ein Anpassungsbedarf besteht nicht.“

Die Juristin, die dieses Gutachten erstellt hat, hat
übrigens im „Böckler-Impuls“, Ausgabe 12/2012, ge-
schrieben – ich zitiere in Auszügen –:

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


„Arbeitszeit. Im deutschen Recht unterliegen im
Haushalt Beschäftigte dem allgemeinen Arbeitszeit-
schutz. Sie haben zum Beispiel Anspruch darauf, pro
Woche mindestens 24 Stunden am Stück frei zu haben.
Bereitschaftszeiten sind ebenfalls als Arbeitszeit anzu-
sehen. Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz gelten nur
für Beschäftigte, die ’in häuslicher Gemeinschaft mit
den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und
diese eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder be-
treuen’ – etwa bei der Arbeit in SOS-Kinderdörfern
oder in betreuten Wohngruppen. Insgesamt ist das
deutsche Recht bei diesem Thema sogar schon weiter,
als es die Konvention verlangt …“

„Entlohnung. Aktuell bestehen Tarifverträge für die
Hausarbeit zwischen dem Deutschen Hausfrauenbund
auf Arbeitgeberseite und der Gewerkschaft Nahrung-
Genuss-Gaststätten. Einen gesetzlichen Mindestlohn
gibt es lediglich für die Pflegebranche. Pflegekräfte,
die von privaten Haushalten beschäftigt werden, sind
hiervon zumeist nicht erfasst. Die Konvention sieht nur
vor, dass ein nationaler Mindestlohn gezahlt wird,
wenn es einen gibt – ihre Ratifizierung bringt also
keine Verbesserung. Immerhin begrenzt das deutsche
Recht Sachleistungen des Arbeitgebers anstelle einer
Entlohnung in Geld – eine weitere Anforderung der
ILO-Konvention.“

„Schutz vor Missbrauch, Belästigung und Gewalt.
Aufgrund der mangelnden Sichtbarkeit und fehlenden
gesellschaftlichen Anerkennung ihrer Tätigkeit erge-
ben sich für Hausangestellte über die Gleichbehand-
lung mit anderen Beschäftigten hinaus besondere
Schutzbedürfnisse … Die Gefahr von Ausbeutung und
einer mangelnden Trennung von Erwerbsarbeit und
Freizeit ist groß. Wohnen sie mit im Haushalt, haben
Beschäftigte aber ein Recht auf Schutz ihrer Privat-
sphäre. Den Mindestanforderungen der Konvention
genügt das deutsche Recht.“

Sie sehen also, dass eine Ratifizierung nicht not-
wendigerweise ganz oben auf der Prioritätenliste des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stehen
muss.

Leider belassen Sie es bei Ihrem Antrag aber auch
nicht allein bei der Forderung, das Übereinkommen zu
ratifizieren. Wie nicht anders zu erwarten, nutzen Sie
diesen Antrag, um mal wieder die Dauerbrenner Ihrer
sozialpolitischen Forderungen unterzubringen.

Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro,
auf den Sie sich geeinigt haben, scheint also in Anse-
hung möglicher Koalitionsverhandlungen auch ein-
fach so politisch festgelegt werden zu können – ohne
Kommission, ohne Beteiligung von Wissenschaftlern
oder Sozialpartnern. Das wollen Sie aber doch eigent-
lich. Damit wissen die Wähler in Deutschland zumin-
dest jetzt schon genau, was bei einem Wahlsieg von
Rot-Grün auf sie zukommt – eine politische Lohnfest-
setzung für alle.

In einem Punkt widersprechen Sie allerdings allen
Ihren bisherigen Äußerungen: Sie fordern zwar die

Verstärkung von Anreizen, um bisher schwarz geführte
Hausarbeit zu legalisieren. Auf der anderen Seite ver-
teufeln Sie aber alle Flexibilisierungselemente auf
dem Arbeitsmarkt und haben unsere Verbesserungen
bei den Minijobs – das ideale Instrument für Hausan-
gestellte, die bei verschiedenen Arbeitgebern
arbeiten! – strikt abgelehnt. Gerade die Erleichterun-
gen für Hausangestellte machen es doch erst attraktiv
für einen Privathaushalt, der jemanden nur für wenige
Stunden in der Woche oder im Monat beschäftigt, die-
sen bei der Minijobzentrale anzumelden und Sozialab-
gaben zu zahlen. Das sind bereits starke Anreize. Dass
diese Anreize noch mehr kommuniziert werden können –
da stimme ich gerne mit Ihnen überein. Die Beschäfti-
gung von Schwarzarbeitern ist kein Kavaliersdelikt.
Damit wir Schwarzarbeit legalisieren, müssen Sie Ihr
Sperrfeuer gegen die Minijobs einstellen. Weiter ge-
hende Anreize brauchen wir nicht.

Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ab-
lehnen. Wir sind optimistisch, dass das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales die Ratifizierung des
Übereinkommens mit den anderen Bundesministerien
abstimmen und dann auch vornehmen wird.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721146900

„Wenn Hausangestellte wie Putzlumpen behandelt

werden“ – so titelte im November 2011 die „Süddeut-
sche Zeitung“. Damals sorgte der Fall einer indonesi-
schen Hausangestellten, die in der arabischen Vertre-
tung hier in Berlin beschäftigt war, für großes
Aufsehen. Der Vorwurf: unterbezahlt, misshandelt und
vergewaltigt. Dass der saudische Diplomat zunächst
davonkam, hatte er allein seinem Diplomatenstatus zu
verdanken, der ihn schützte. Mittlerweile hat das Bun-
desarbeitsgericht in diesem Fall geurteilt, dass dem
Diplomaten in Deutschland der Prozess gemacht wer-
den darf. Dass es sich bei dem geschilderten Fall
scheinbar um keinen Einzelfall handelt, beweist das im
Juni 2011 verabschiedete Übereinkommen Nr. 189 zum
Schutz der Rechte von Hausangestellten der Interna-
tionalen Arbeitskonferenz – der ILO – in Genf.

Seitdem sind bereits eineinhalb Jahre ins Land
gezogen. Selbst die Kanzlerin hielt das Thema für so
wichtig, dass sie es sich nicht nehmen ließ, in ihrer
Rede vor den Delegierten der ILO-Mitgliedstaaten zu
erklären, dass die ILO mit dem Abkommen einen
Meilenstein für faire und gerechte Beschäftigung in
ganz neuen Bereichen gesetzt habe.

Seit dem 7. August 2012 sind die Voraussetzungen
für das Inkrafttreten des Übereinkommens geschaffen.
Es war allerdings nicht die Bundesregierung, die
durch die Ratifizierung für die nötige Mindestzahl an
Staaten gesorgt hat, sondern es waren Uruguay und
die Philippinen! Damit tritt das Übereinkommen zwölf
Monate später, zum 5. September 2013, in Kraft. Mit
der zügigen Ratifizierung hätte die Bundesregierung
ein Beispiel für andere Staaten bei der weltweiten
Umsetzung von arbeits- und sozialrechtlichen Stan-

Zu Protokoll gegebene Reden





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


dards für Hausangestellte geben können. Allein sie hat
es bisher versäumt.

Dabei ist allein in 2,6 Millionen deutschen Haus-
halten mindestens eine regelmäßige Hausangestellte
beschäftigt. Angemeldet sind davon allerdings ledig-
lich 250 000. 90 Prozent aller Beschäftigungen in
Privathaushalten finden also irregulär statt. Ohne
Arbeitsvertrag, ohne Anmeldung der Beschäftigung
und vor allem ohne Sozialversicherung und Steuer-
abgaben. Die überwiegende Zahl der Hausangestell-
ten in Deutschland sind Frauen, oft im Pflegebereich
beschäftigt. Gerade die Anonymität in Privathaushal-
ten führt oftmals dazu, dass Migrantinnen ohne
gesicherten Aufenthaltsstatus in haushaltsnahen
Dienstleistungen landen. Sie sind somit nahezu recht-
los und müssen zudem unmenschliche Arbeits- und
Lebensbedingungen ertragen. Dem schiebt das ILO-
Übereinkommen einen Riegel vor.

Ein vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Auftrag
gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis,
dass eine Ratifizierung der ILO-Konvention auch ohne
aktuelle Rechtsänderungen möglich sei. Es ist aus
Sicht der Linken deshalb unverständlich, warum die
Bundesregierung noch immer damit beschäftigt ist, die
Umsetzung des Übereinkommens in deutsches Recht zu
prüfen.

Jeder Tag der Nichtratifizierung des Übereinkom-
mens ist deshalb ein verlorener Tag für die Betroffe-
nen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass das
Übereinkommen so schnell wie möglich dem Bundes-
tag vorgelegt wird. Wir werden die Kanzlerin beim Wort
nehmen und uns für eine rasche Ratifizierung im Inte-
resse der betroffenen Hausangestellten in Deutschland
und weltweit weiter starkmachen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In aller Regel kann ich den Einschätzungen und
Forderungen von Kanzlerin Merkel nicht zustimmen.
Am 14. Juni des vergangenen Jahres war ich aber bei
einer Rede von Angela Merkel anwesend und mit ihr in
allen wesentlichen Punkten einig. Merkel sprach auf
der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation
in Genf, und ich war dort mit einer Delegation des
Ausschusses für Arbeit und Soziales. Sie lobte die So-
zialpartnerschaft in Deutschland, die sie ansonsten
gerne mal vergisst. Ganz besonders lobte sie das ge-
rade verabschiedete Übereinkommen mit der Nr. 189
über „menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“.
Dieses Übereinkommen gelte, und ich zitiere hier die
Kanzlerin, „für einen Bereich, der sich oft im Schatten
der offiziellen Beschäftigung vollzieht und in dem nun
aber Schritt für Schritt Standards gesetzt werden, die
dem Prinzip entsprechen, dass die Würde jedes Men-
schen gleich ist“. Und sie hatte auch einen Wunsch –
auch der ist wichtig: „Ich wünsche für die Umsetzung
dieser Konvention – es wird ja eine ganze Weile dau-
ern, ehe sie alle Länder ratifiziert haben – viel Er-
folg!“

Wenn die Kanzlerin und die von ihr geführte Koali-
tion nicht nur Wünsche äußern, sondern selbst auch
zügig handeln würde, dann hätten wir den vorliegen-
den Antrag nicht stellen müssen. Doch knapp andert-
halb Jahre nach Annahme des ILO-Übereinkommens
zum Schutz der Hausangestellten liegt dem deutschen
Bundestag noch kein Entwurf dazu vor, die Konvention
auch umzusetzen. Mehr noch: Es gibt noch nicht ein-
mal eine Aussage, ob die Bundesregierung denn die
Ratifizierung empfiehlt oder nicht.

Um der Bundesregierung in dieser wichtigen Frage
zu mehr Schwung zu verhelfen, haben wir den Antrag
gestellt, das Übereinkommen nun zügig umzusetzen.
Wir haben das als Bundestagsfraktion von Bündnis 90/
Die Grünen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kol-
legen von der SPD getan. Der gemeinsame Antrag
zeigt auch: Es geht uns nicht um parteipolitisches Ge-
zänk, sondern um die Vorbildfunktion Deutschlands
bei der Umsetzung seiner internationalen Verpflich-
tungen. Eine zeitnahe Ratifizierung in einem wichtigen
Industrieland wie Deutschland könnte ein wichtiges
Signal für Entwicklungs- und Schwellenländer sein;
denn ratifiziert haben bisher nur Uruguay, die Philip-
pinen und Mauritius.

Das Schicksal der Hausangestellten ist keinesfalls
nur eine Randproblematik. Weltweit arbeiten nach
Schätzungen der ILO bis zu 100 Millionen Menschen
als Hausangestellte. Die meisten von ihnen sind
Frauen. Und weltweit werden ihnen häufig nicht die
gleichen Rechte wie anderen Beschäftigten gewährt.
Sie können sich oft nicht gewerkschaftlich organisie-
ren. Sie sind nicht renten- und krankenversichert. Sie
erhalten keinen Mutterschutz und werden zu überlangen
Arbeitszeiten gezwungen. Gleichzeitig sind sie – gerade
weil es sich häufig um Frauen und Migrantinnen han-
delt, die mit den Arbeitgebern unter einem Dach woh-
nen – von Missbrauch und Rechtsverletzungen be-
droht.

Natürlich sind in Deutschland der Arbeitsschutz
und die rechtlichen Regelungen für Hausangestellte
bereits auf einem sehr hohen Niveau. Realität in
Deutschland ist aber auch, dass den nur rund
250 000 angemeldeten Arbeitsverhältnissen in Privat-
haushalten nach Schätzungen die 10- bis 16-fache
Menge an informell Beschäftigten gegenübersteht. Da-
her fordern wir in unserem Antrag ausdrücklich auch
die Schaffung von Anreizen, um die Hausangestellten
aus der Illegalität zu holen. Denn gerade im Bereich
der Hausangestellten, deren Arbeit sich in der Privat-
sphäre der Arbeitgeber abspielt, können Arbeitsbedin-
gungen nicht überprüft werden. Deswegen schlagen
wir als ergänzende Maßnahme auch eine Aufklärungs-
kampagne über die Rechte der Beschäftigten vor. Wir
wollen die Umsetzung der Rechte nicht nur formal ab-
haken, wie es leider oft geschieht bei der Ratifizierung
internationaler Abkommen. Wir wollen die Hausange-
stellten, insbesondere jene mit Migrationshintergrund,
auch direkt erreichen und aufklären – und zwar in ei-
ner Sprache, die sie verstehen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


Gleichstellung und gleiche Rechte sind jedoch im-
mer auch eine Frage der gerechten Entlohnung. Auch
diesen Bereich sparen wir nicht aus. Die Situation der
Hausangestellten in Deutschland ist nur ein weiterer
Beleg dafür, dass ein flächendeckender gesetzlicher
Mindestlohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro über-
fällig ist. Es ist nicht einzusehen, dass die gewerbliche
Arbeit innerhalb von privaten Haushalten ein Bereich
sein soll, der ohne allgemeinverbindliche Lohnunter-
grenze auskommt. Hier sollte wie anderswo auch das
Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Der
Tarifvertrag für die Hausarbeit zwischen dem Deut-
schen Hausfrauen-Bund auf Arbeitgeberseite und der
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten bietet hier
eine gute Grundlage – aber er muss auch tatsächlich
zur Anwendung kommen.

Ich habe Stellen benannt, an denen Verbesserungen
nötig sind. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass der Ra-
tifizierung keine grundsätzlichen Probleme im Wege
stehen. Zu diesem Schluss kommt im Übrigen auch
eine umfassende Studie, die von der Hans-Böckler-Stif-
tung in Auftrag gegeben wurde. In diesem Sinne werbe
ich für unseren Antrag und um Beschleunigung des
Ratifizierungsprozesses.

Und an die Kanzlerin gerichtet sage ich: Werden Sie
Ihrer Vorbildfunktion gerecht und handeln Sie im Geist
Ihrer Rede von Genf, Frau Merkel!


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721147000

Wir kommen zur Abstimmung über den Vorschlag,

die Vorlage auf Drucksache 17/11370 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. –
Es gibt keine Einwände, es ist damit so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Peter Altmaier, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-
Sönksen, Gabriele Molitor, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP

Barrierefreies Filmangebot umfassend aus-
weiten – Mehr Angebote für Hör- und Seh-
behinderte

– zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth

(Augsburg), Tabea Rößner, Markus Kurth, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Sofortprogramm zur Ausweitung des bar-
rierefreien Filmangebots auflegen

– Drucksachen 17/7709, 17/8355, 17/10029 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Angelika Krüger-Leißner

Dr. Claudia Winterstein
Kathrin Senger-Schäfer
Claudia Roth (Augsburg)


Reden dazu gibt es, sie werden aber nicht gehalten,
sondern zu Protokoll genommen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1721147100

In unserem Land leben mehr als 9,6 Millionen Mit-

bürgerinnen und Mitbürger, die gehandicapt sind,
11,7 Prozent der Bevölkerung. Jeder Zehnte von uns
gehört dazu.

Darunter befinden sich 1,2 Millionen blinde und
sehbehinderte Menschen und weitaus mehr, die gehör-
los sind, schwerhörig, ertaubt oder die mit einer
Körper- oder Sprachbehinderung zu leben haben.

Spiel- oder Dokumentarfilme konnte dieser große
Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger bislang
nicht richtig ansehen oder anhören. Sie waren von die-
sem Kulturgenuss ausgeschlossen. Kaum eine Film-
produktion war bislang barrierefrei ausgestattet, und
nur 1 Prozent der Leinwände verfügte über die techni-
schen Abspielmöglichkeiten für audiodeskriptive Fas-
sungen.

Dieser Zustand schrie nach Veränderung!
Barrierefreiheit bedeutet mehr als rollstuhlgerecht.

Dieser Satz erhebt den Anspruch, dass Menschen trotz
ihrer Beeinträchtigung beim Hören, Sehen, Sprechen
oder durch Körperbehinderungen ungehinderte gesell-
schaftliche Teilhabe möglich wird. Davon sind wir
nach wie vor weit entfernt. Gesenkte Kantensteine bei
Gehwegen, behindertengerechte Toiletten, Fahrstühle,
spezielle Angebote auf Sportplätzen, Bus und Bahn
machen deutlich: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Aber es geht um mehr, wenn die freie gesellschaftliche
Partizipation das Ziel sein soll.

Um den Menschen mit Handicap gerecht zu werden,
haben die UN 2006 die weltweit geltende Behinderten-
konvention verabschiedet. Drei Jahre später trat sie
bei uns in Kraft. Für Kunst und Kultur ist besonders
der Art. 30 maßgebend. Er schreibt einen ungehinder-
ten Zugang zu Film und Fernsehen, zu Kino und Thea-
ter vor. Eine Zielvorgabe ohne Wenn und Aber. Hinder-
nisse für Behinderte gehören weggeräumt.

Teilhabe an Film, Kino und den audiovisuellen Me-
dien darf nicht nur Theorie sein, sondern muss Wirk-
lichkeit werden. Bereits bei der fünften Novellierung
des Filmförderungsgesetzes, FFG, 2009 unterstützten
alle die Initiative von Bernd Neumann, dem Staatsmi-
nister für Kultur und Medien, der die Schaffung von
Barrierefreiheit als Fördertatbestand in das Gesetz
eingebracht hatte. Parlament und Regierung hofften,
dass diese Kannbestimmung eine Signalwirkung für
die Filmwirtschaft haben würde, mehr für Behinderte
zu tun.

Das Resultat nach fast vier Jahren Laufzeit des Ge-
setzes ist mehr als ernüchternd. Der Deutsche Blin-
den- und Sehbehindertenverband stellte fest, dass kein





Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(A) (C)



(D)(B)


einziger Auftrag einer Hörfilmproduktion auf die Ge-
setzesänderung zurückzuführen war. Und auch bei vie-
len Kinomodernisierungen – nicht bei allen – waren an
Behinderten orientierte Umbauten nicht zu erkennen.
Der Eingang für große Rollstühle blieb zu eng, ein
Fahrstuhl wurde vergessen. Anlass genug für die Ab-
geordneten, im neuen Filmförderungsgesetz verbindli-
che Regelungen für Filme und Kinosäle zu fordern;
Barrierefreiheit für die fast 10 Millionen behinderten
Mitbürger.

Für Seh- und Hörbehinderte ist die Miterlebnistech-
nik ausgereift, und die Kosten sind überschaubar. Für
Blinde und Sehbehinderte bietet sich die Audiodeskrip-
tion an, für hörbehinderte Menschen die Untertitelung.
Die Audiodeskription eines 90-Minuten-Films kostet
circa 5 000 Euro, die Untertitelung circa 1 000 Euro.
Gemessen an den Produktionsbudgets vieler Kinofilme
sind dies sehr kleine Summen!

Es ist bei allen Akteuren ein noch größeres Pro-
blem- und Bedarfsbewusstsein notwendig. Deshalb hat
die christlich-liberale Koalition vor einem Jahr ihren
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, über
den wir heute abstimmen. Darin wurde eine verbindli-
che Regelung im FFG gefordert. Durch die Filmförde-
rungsanstalt, FFA, geförderte Filmproduktionen müs-
sen barrierefrei ausgestattet sein.

Heute, ein Jahr nach Einbringung unseres Antrags,
sind wir ein bedeutendes Stück weiter. Alle relevanten
Akteure der Filmbranche, vor allem Produzenten, Ver-
leiher, Kinobetreiber, die Videowirtschaft und die
Rundfunkanstalten, sind inzwischen in starkem Maße
für das Thema sensibilisiert worden. Wir haben den
berühmten Stein ins Wasser geworfen, und der zieht er-
freulich weite Kreise. Plötzlich fragt sich die gesamte
Branche, warum sie die Barrierefreiheit nicht schon
viel früher verwirklicht hat. Entsprechend der Auffas-
sung des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der
feststellte: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren
Zeit gekommen ist.“

Die Bundesregierung hat gemäß unserem Antrag
sachgemäß und problembewusst gehandelt. In den Re-
gierungsentwurf der Novelle des Filmförderungsgeset-
zes hat sie das neue Förderkriterium „Barrierefreie
Ausstattung eines Films“ aufgenommen. Zu den Allge-
meinen Förderungsvoraussetzungen (§ 15) zählt nun,
dass „wenigstens eine Endfassung des Films in jeweils
einer Version mit deutscher Audiodeskription und mit
deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte hergestellt
worden ist“. Obwohl dies eine zusätzliche Förderauf-
lage für sie ist, findet es die breite Zustimmung der
Filmwirtschaft.

Denn es geht um noch viel mehr für Film und Kino.
Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Allein
1,3 Millionen Menschen meiden das Kino, weil ihre
Augen und Ohren schwächer geworden sind. Die ver-
dienstvolle Initiative „Vision Kino“ geht von der zehn-
fachen Zahl von Menschen aus, die zwar nicht als be-
hindert gelten, aber sich von Film und Kino

ausgegrenzt fühlen, weil auf ihre Schwächen nicht ein-
gegangen wird. Hier kann der Kinobetreiber, wenn er
es denn will, mit der Digitalisierung nicht nur die Ab-
spielqualität verbessern, sondern durch die neue Tech-
nologie individuelles Hören und Sehen in noch nie
dagewesener Form ermöglichen. Wenn die Barriere-
freiheit im Kino Realität werden soll, sind Förderhilfen
angemessen, denn gerade die mittelständischen Anbie-
ter sind bereits jetzt durch die Digitalisierung finan-
ziell gefordert. Unterstützung ist notwendig, Darlehen
helfen, gehören dazu. Auch die Anhebung der Förder-
höchstgrenzen auf 350 000 Euro wird der Zielsetzung
Nachdruck verleihen. Beide Maßnahmen, die die Bun-
desregierung in die Bestimmungen zu den Förderungs-
hilfen für Kinos aufgenommen hat (§ 56), sind als Si-
gnal zum Handeln zu verstehen.

Der Beschluss des Präsidiums der FFA, bereits im
Spätherbst 2012 mit dem Ausbau der Barrierefreiheit
zu beginnen und nicht bis zum Inkrafttreten des FFG
2014 zu warten, ist begrüßenswert. Auch der Verwal-
tungsrat der FFA, das „Filmparlament“, hat beispiel-
gebend unter Vorsitz von Eberhard Junkersdorf dem
Handlungszeitplan von Vorstand Peter Dinges zuge-
stimmt. Auch der Deutsche Filmförderfonds, DFFF,
wird seine Richtlinien entsprechend zum 1. Januar
2013 anpassen.

Was für den Film gilt, gilt in Zukunft verstärkt auch
für das Fernsehen, besonders für die öffentlich-rechtli-
chen Sender. Wenn 2013 die Haushalts- und Betriebs-
stättenabgabe kommt, die auch von Seh- und Hörge-
schädigten gezahlt werden muss, müssen auch die
Fernsehsender barrierefreie Filme anbieten. Die Lan-
desmedienanstalten haben zudem gerade ProSieben-
Sat.1 und die Mediengruppe RTL aufgefordert, min-
destens eine Sendung pro Abend mit Untertiteln für
Hörgeschädigte auszustrahlen. Eine zutreffende For-
derung, die die Unterstützung der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion findet. Aber sie kann nur ein Anfang sein!

Doch Beschlüsse alleine reichen nicht aus. Es muss
zu einer verbesserten Wahrnehmung bei allen Beteilig-
ten und in unserer Gesellschaft kommen, dass für Men-
schen mit Handicap eine uneingeschränkte Teilhabe
auch an Kunst und Kultur möglich ist, so wie es die
UN-Konvention sichergestellt wissen will.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1721147200

Knapp 10 Millionen Menschen, also mehr als jeder

Zehnte in unserem Land, leben mit einer Behinderung.
Viele von ihnen begegnen im Alltag schwer überwind-
baren Hindernissen, die ihnen die Teilhabe an den ver-
schiedensten gesellschaftlichen Grundbedürfnissen
einschließlich der kulturellen, nicht nur erschweren,
sondern teils unmöglich machen.

Im Juni 2010 hat die christlich-liberale Bundes-
regierung ein umfassendes Maßnahmenpaket für alle
Lebensbereiche in einem über 200 Vorhaben, Projekte
und Aktionen beinhaltenden Aktionsplan zur Umset-
zung der UN-Konvention über die Rechte von Men-
schen mit Behinderungen vorgelegt. Darin wird der

Zu Protokoll gegebene Reden





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


Beseitigung von Barrieren im Bereich Film ein großer
Stellenwert beigemessen.

In Deutschland lebt mehr als 1 Million blinde und
sehbehinderte Menschen sowie weitere Millionen ge-
hörlose, schwerhörige und ertaubte Menschen. Knapp
300 000 Menschen sind aufgrund ihrer Hörbehinde-
rung schwerbehindert. Kunst und Kultur müssen, so-
weit es geht, ohne Abstriche auch für diese Menschen
zugänglich sein. Auch sie wollen und sollen an dem
Erlebnis Kino und Film teilhaben.

Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Film-
förderungsgesetzes haben wir in Umsetzung des Maß-
nahmepakets eine Reihe von Fördermöglichkeiten für
fast sämtliche Glieder der Produktions- und Verwer-
tungskette von Filmen in diese Richtung geschaffen. So
kann beispielsweise die Herstellung einer Endfassung
mit einer für Blinde und Sehbehinderte geeigneten Au-
diodeskription und der für Hörgeschädigte hilfreichen
Untertitelung als eines von drei notwendigen Kriterien
herangezogen werden, die für den kulturellen Eigen-
schaftstest erfüllt sein müssen. Ebenso können Kinos
nach dem Filmförderungsgesetz unterstützt werden,
die im Rahmen von Modernisierungsmaßnahmen zu-
sätzliche Plätze für Rollstuhlfahrer einrichten oder In-
duktionsschleifen für hörgeschädigte Menschen ein-
bauen.

Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen zum bar-
rierefreien Kino aus dem November 2011 mussten wir
leider konstatieren, dass die erste Resonanz auf diese
Förderangebote nicht unseren Erwartungen ent-
sprach. Dass bislang nur ein Prozent der Leinwände
bzw. Kinosäle für Audiodeskription geeignet sind und
laut Aussage der Filmförderungsanstalt, FFA, die An-
tragszahlen für eine Förderung ebenfalls gering sind,
ist schlichtweg unbefriedigend.

Im Rahmen der bevorstehenden Novellierung des
Filmförderungsgesetzes werden wir prüfen, ob es der
fehlenden Kenntnis der Förderungsmöglichkeiten oder
einem möglicherweise grundsätzlich fehlenden
Problem- und Bedarfsbewusstsein bei den jeweiligen
Akteuren geschuldet ist, dass gegenwärtig etwas einer
gesteigerten Verfügbarkeit deutscher Kinofilme mit
Audiodeskription und erweiterter Untertitelung ent-
gegensteht.

An den geringen Kosten pro Film kann es schwer-
lich liegen. Die Audiodeskription eines 90-Minuten-
Films kostet rund 5 000 Euro. Die vergleichbaren
Untertitelungskosten liegen bei rund 1 000 Euro.
Aufgrund steigender Nachfrage dürften alle am Pro-
duktions- und Verwertungsprozess Beteiligten von
ihrem zusätzlichen Aufwand profitieren und die Sorge
um eine Refinanzierung beseitigen.

Das Thema Barrierefreiheit wird von der christlich-
liberalen Koalition auch abseits gesetzlicher Handlun-
gen aktiv vorangetrieben, wobei über die Fraktions-
grenzen hinweg Konsens besteht, dass Verbesserungen
beim barrierefreien Film im Rahmen der anstehenden
Novellierung des FFG gesetzlich festzuschreiben sind.

Einer gemeinsamen fraktionsübergreifenden Initiative
ist es bereits zu verdanken, dass die Filmförderungsan-
stalt im Vorgriff auf die Novelle zum Filmfördergesetz
einen Grundsatzbeschluss zur Förderung barriere-
freier Filme gefasst hat. Demzufolge sollen nur noch
solche Produktionen gefördert werden, die mit zusätz-
lichen Bildbeschreibungen für blinde und sehbehin-
derte Menschen sowie mit Untertitelung ausgestattet
sind.

Als weitere kurzfristige Maßnahme ist positiv zu
erwähnen, dass im Herbst der Deutsche Filmförder-
fonds, DFFF, mit dem die Bundesregierung seit fünf
Jahren Kinofilmproduktionen unterstützt, von Kultur-
staatsminister Bernd Neumann zum zweiten Mal um
drei Jahre bis 2015 verlängert worden ist. Die entspre-
chend geänderten Förderrichtlinien sehen neu vor,
dass die unterstützten Produktionen auch barrierefreie
Fassungen zu erstellen haben. Die gut 100 Filme, die
der DFFF im Jahr fördert, werden dann auch als
Hörfilme, also als Kino- oder Fernsehfilme mit zusätz-
lichen akustischen Bildbeschreibungen auf einem eige-
nen Tonkanal, zur Verfügung stehen.

Für den barrierefreien Film wird aber ebenso wich-
tig sein, dass die Fernsehveranstalter Ihrer Verantwor-
tung nachkommen und diesem Beispiel folgend das
Angebot von Sendungen mit Audiodeskriptionen und
Untertitelungen deutlich ausweiten. Mögliche gesetzli-
che Maßnahmen lassen sich hier allerdings nicht auf
Bundesebene realisieren, da der Bund dafür keine
Gesetzgebungskompetenz hat.

Mit dem heute diskutierten Antrag geht es um die
konsequente Sensibilisierung für das Thema Barriere-
freiheit, damit auch blinde sehbehinderte Mitbürger in
unserem Land ihr Recht, an diesem unverzichtbaren
Teil unserer Kultur teilzuhaben, wahrnehmen können.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1721147300

Vor einer guten Woche hat das Europäische Parla-

ment wieder den LUX-Filmpreis vergeben, dieses Mal
für einen italienischen Film über das Schicksal einer
chinesischen Gastarbeiterin in Italien.

Das Besondere an diesem Preis: Das EU-Parlament
übernimmt beim Gewinnerfilm die Kosten für die Her-
stellung einer für Schwerhörige oder Sehbehinderte
barrierefreien Fassung. Deren Kopien können dann in
den Kinos gezeigt werden. Eine ganz tolle und wich-
tige Initiative, die bisher mitgeholfen hat, das mangel-
hafte Angebot an barrierefreien Filmen zu verbessern.

Ich freue mich, dass wir, was bei uns geförderte
Filme angeht, künftig weniger darauf angewiesen sein
werden. Denn bei uns hat sich inzwischen einiges ge-
tan. Darauf komme ich noch zurück.

Es ist nun schon das dritte Mal innerhalb von einem
Jahr, dass wir an dieser Stelle über Barrierefreiheit
beim Film beraten. Das zeigt, dass dieses Thema end-
lich ernst genommen wird. Und das war überfällig.
Denn es sind sehr viele unserer Mitbürgerinnen und
Mitbürger, die auf einen besonderen Zugang zum Film-

Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Krüger-Leißner


(A) (C)



(D)(B)


erlebnis angewiesen sind. Nach Angaben der Ver-
bände leben in Deutschland knapp 1,2 Millionen stark
Hörgeschädigte bis Gehörlose und ebenso viele Seh-
behinderte und Blinde. Wir haben es also mit rund
2,4 Millionen Menschen zu tun, die auf eine technische
Hilfestellung angewiesen sind, um einen Film im Kino
erleben zu können.

Meine Fraktion hat sich im ablaufenden Jahr in
ganz besonderer Weise der Aufgabe angenommen,
dass auch Menschen mit Behinderungen die Teilhabe
am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Le-
ben ermöglicht wird. Mit unserem Antrag „UN-Kon-
vention jetzt umsetzen – Chancen für eine inklusive
Gesellschaft nutzen“ haben wir alle Bereiche abge-
steckt und den Handlungsbedarf aufgezeigt.

Zudem haben wir mit einer Initiative dafür gesorgt,
dass auf der Website des Bundestages kürzlich Infor-
mationen in leichter Sprache für Menschen mit Lern-
schwächen und Leseschwierigkeiten freigeschaltet
wurden.

Schließlich haben wir eine eigene Vorlage für den
Kulturbereich gemacht: „Kultur für alle – Für einen
gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behin-
derung zu Kultur, Information und Kommunikation“.
Alle sollen ungehinderten Zugang zu den kulturellen
Angeboten und den Informations- und Kommunika-
tionskanälen haben.

Leider wurde unser Antrag mit den Stimmen der
Regierungsmehrheit abgelehnt. Die Begründungen
– Finanzknappheit und Bevormundung von Unterneh-
men – sind für mich nicht nachvollziehbar.

Aber immerhin haben alle Fraktionen inzwischen
begriffen, dass wir im Filmbereich an einem Strang
ziehen müssen, um rasch Fortschritte zu erreichen.
Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass wir im vergan-
genen Frühjahr im Kulturausschuss hierzu eine ge-
meinsame Entschließung verabredet haben, um das
barrierefreie Filmangebot schnell und nachhaltig zu
verbessern. Und ich habe mich gefreut, dass die Film-
branche gleich ihre Zustimmung und Unterstützung si-
gnalisiert hat.

In der Richtlinienkommission der Filmförderungs-
anstalt, FFA, habe ich an der Umsetzung mitgewirkt.
Auch bei den Förderbedingungen des Deutschen Film-
förderfonds, DFFF, ist das inzwischen eingebaut.

Nun wird es darum gehen, diese Bestimmungen
auch im Gesetz festzuschreiben. Im Gesetzentwurf zur
Novelle des Filmförderungsgesetzes, FFG, ist die For-
derung des Kulturausschusses umgesetzt, dass die
Herstellung von barrierefreien Fassungen als zwin-
gende Fördervoraussetzung aufgenommen wird. Und
wir werden mit der Novelle dafür sorgen, dass auch in
den Kinos die technischen Voraussetzungen geschaffen
werden können, damit Audiodeskription und verdeckte
Untertitelung zum Einsatz kommen.

Bisher gab es für solche Investitionen in den Kinos
Darlehen, künftig werden solche Gelder als Zuschüsse

gewährt. Ich hoffe, dass damit für die Kinos ein echter
Anreiz gesetzt wird, entsprechende technische Vorkeh-
rungen in den Vorführsälen zu treffen und notwendige
Anschaffungen wie spezielle Kopfhörer und besondere
Brillen für die Erkennung von Untertiteln zu machen.

Damit bietet sich für die Filmtheater auch eine
echte Chance, für viele Besucher ein Stück attraktiver
zu werden. Damit können ganz neue Zuschauerkreise
erschlossen werden.

Ich hoffe, die Kinos erkennen dieses bisher unge-
nutzte Potenzial. Denn was nützt es, wenn künftig alle
geförderten Filme mit Hörkommentaren und Unterti-
teln versehen werden, aber von den Kinos dann nicht
gezeigt werden? Das müssen wir genau beobachten
und nötigenfalls nachsteuern.

Die heute vorliegenden Anträge der Koalitionsfrak-
tionen und der Fraktion der Grünen sowie unser An-
trag „Kultur für alle“, der bereits abschließend bera-
ten wurde, waren die Grundlage, auf der wir unsere
gemeinsame Erklärung im Ausschuss beschlossen ha-
ben. Unsere Forderungen sind inzwischen, wie darge-
stellt, erfüllt. Von daher haben sich auch die Anliegen
der vorliegenden Anträge im Kern erledigt.

Interessanterweise ist inzwischen deutlich mehr
durchgesetzt, als im Antrag der Koalitionsfraktionen
nur allzu zögerlich gewünscht wurde. Alle wichtigen
Punkte werden darin aufgeführt, aber eben nur als
Prüfaufträge formuliert. Das bleibt zu unbestimmt.
Deshalb können wir uns zu diesem Antrag nur enthal-
ten. Hier hätte man mutiger mit mehr Verbindlichkeit
herangehen können. Die rasche Umsetzung auf der
Grundlage der Erklärung aller Fraktionen hat das
doch eindrucksvoll gezeigt.

Dem Antrag der Grünen stimmen wir zu. Die darin
enthaltenen Forderungen stimmen weitgehend mit dem
überein, was auch wir für sinnvoll und notwendig er-
achten und was inzwischen ja auch zum großen Teil
umgesetzt wurde.

Damit ist das Thema „Barrierefreier Film und bar-
rierefreies Kino“ allerdings nicht erledigt. Wir müssen
da weiter am Ball bleiben.

Die nächste Gelegenheit bietet sich, wenn wir dar-
angehen, unseren alten Filmbestand zu digitalisieren.
Gestern haben wir im Kulturausschuss über die Siche-
rung und das Zugänglichmachen unseres nationalen
Filmerbes beraten. Das ist eine große kulturpolitische
Aufgabe. Die Digitalisierung der Vorführtechnik in
den Kinos und der Zugang über das Internet erfordern
es, dass der Filmbestand, fast alles nur analoge Film-
rollen, nach und nach digitalisiert wird. Dabei muss
nach unserer Auffassung die Barrierefreiheit natürlich
gleich mitberücksichtigt werden. Das haben wir in un-
serem Antrag zum Filmerbe festgeschrieben. Denn mit
der Digitalisierung haben wir inzwischen kostengüns-
tige Möglichkeiten, eine weitere Tonspur einzurichten
oder Untertitel einzuspielen. Wenn man das nachträg-
lich macht, wird es nur teurer.

Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Krüger-Leißner


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb ist es mir ganz unverständlich, warum die
Kollegen der Koalitionsfraktionen diese Maßnahme
gestern als zu teuer abgelehnt haben. Warum gehen Sie
an dieser Stelle wieder drei Schritte zurück? Dies halte
ich für eine unverantwortliche Haltung gegenüber un-
seren hör- und sehbehinderten Mitmenschen. Warum
sollen sie vom Zugang zu unseren Filmschätzen, die zu
unserem nationalen kulturellen Erbe gehören, ausge-
schlossen werden? Das können Sie nicht wirklich wol-
len, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koali-
tionsfraktionen. Ich appelliere eindringlich an Sie,
Ihre Ablehnung im Interesse von Millionen Betroffenen
noch einmal zu überdenken. Die Beratung der Anträge
zum Filmerbe im kommenden Jahr hier im Plenum
wird Ihnen dazu Gelegenheit geben.


Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):
Rede ID: ID1721147400

Es kommt nicht oft vor, dass man bereits bei der

zweiten Lesung eines Antrags Erfolge benennen kann.
Dass wir seitens der Filmpolitiker fraktionsübergrei-
fend die Erfüllung gemeinsamer Kernforderungen ver-
melden können, ist sogar noch seltener. Anlässlich der
heute zu debattierenden Anträge zum Thema „barrie-
refreie Filme“ nehme ich diese seltene Gelegenheit
sehr gerne wahr und möchte mich bei allen Fraktionen
für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur
und Medien hinsichtlich der gemeinsamen Erklärung
bedanken. Jetzt sollten wir bei den noch offenen
Forderungen genauso eng zusammenarbeiten.

Im Ausschuss für Kultur und Medien waren wir uns
einig, dass es viel zu wenige Filme gibt, die auch
Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung erleben kön-
nen. In Deutschland leben 1,2 Millionen blinde und
sehbehinderte Menschen und weitere Millionen
schwerhörige und taube Menschen. Sie alle sind von
einer Teilnahme am soziokulturellen Erlebnis Film
ausgeschlossen, wenn der Film nicht auch in einer
barrierefreien Fassung vorliegt. Filme sollen aber als
Beitrag zur kulturellen Identifikation und zur demo-
kratischen Teilhabe für alle Menschen erlebbar sein.
Gerade deshalb werden sie mit öffentlichen Mitteln
gefördert.

Vor diesem Hintergrund lagen die Kernforderungen
fraktionsübergreifend auf der Hand und wurden auch
in einer gemeinsamen Erklärung zusammengefasst.
Für die FDP-Bundestagsfraktion begrüße ich sehr,
dass diese Kernforderungen unmittelbar von Bundes-
regierung und Filmförderungsanstalt, FFA, umgesetzt
wurden. So haben wir gemeinsam gefordert, die
Förderrichtlinien des Deutschen Filmförderfonds,
DFFF, anzupassen, damit kurzfristig ein Anreiz für
mehr barrierefreie Filmfassungen gesetzt wird. Diese
Forderung wurde umgehend umgesetzt.

Außerdem sollte eine verpflichtende Erstellung von
Filmfassungen mit Audiodeskriptionen und Untertite-
lung in der anstehenden FFG-Novelle gesetzlich fixiert
werden. Ebendies sieht der Gesetzentwurf zur FFG-
Novelle in § 15 Abs. 1 Ziffer 7 vor. Um weitere Förder-
instrumente zielgenau einzusetzen, haben wir einen

Prüfauftrag erteilt, um den Aufwand zu ermitteln, der
betrieben werden muss, um Kinos barrierefrei zum
Abspielen von Filmen mit Audiodeskription ausstatten
zu können. Als kurzfristig wirksame Maßnahme soll
auch die unmittelbare Bezuschussung von Maßnahmen
zur Modernisierung und Verbesserung der Barriere-
freiheit in Kinos in die FFG-Novelle aufgenommen
werden. Bislang wurden Darlehen gewährt, sodass in
diesem Zuschuss ein stärkerer Anreiz gesetzt wird.

Ein besonders wichtiger Punkt blieb aber noch
offen, und ich möchte ausdrücklich auch an die Oppo-
sitionsfraktionen appellieren, diese Forderung nicht
als Lippenbekenntnis stehen zu lassen, sondern ihr bei
ihren Parteifreunden in den Landesparlamenten
Nachdruck zu verleihen. Wir müssen die öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalten in die Pflicht nehmen,
ihre Inhalte allen Menschen zugänglich zu machen.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben
den Auftrag, allen Bürgerinnen und Bürgern ihr
Programmangebot zu eröffnen. Dies gilt umso mehr,
als dass Menschen mit Behinderungen die Teilnahme
an Informations- und Kulturangeboten verschlossen
bleibt und sie deshalb auf den Rundfunk angewiesen
sind. Wir fordern deshalb die Länder auf, ihre Zustän-
digkeit in dieser Frage ernst zu nehmen und die Rund-
funkanstalten zum verstärkten Ausbau barrierefreier
Angebote anzuhalten.

Aus § 3 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrags ergibt
sich, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio über ihr
bereits bestehendes Engagement hinaus entsprechend
ihren finanziellen und technischen Möglichkeiten bar-
rierefreie Angebote vermehrt aufnehmen sollen. Wenn
ab dem 1. Januar 2013 auch hör- und sehbehinderte
Menschen die Haushalts- und Betriebsstättenabgabe
als neue Form der GEZ-Gebühr zahlen müssen, wer-
den umfangreich neue Schuldnerkreise erschlossen.
Spätestens dann sollten finanzielle Gründe dem Aus-
bau nicht mehr entgegenstehen.

In diesem Sinne wünsche ich mir, dass nicht nur wir
hier im Bundestag für mehr barrierefreie Filmange-
bote als Gesetzgeber einstehen, sondern dass auch die
Landesgesetzgeber eine inklusive Kultur- und Medien-
politik einfordern. Nur mit gemeinsamem Engagement
kann es gelingen.


Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721147500

Die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag

spricht sich einhellig für die Verbesserung des barrie-
refreien Filmangebots aus. Ganz allgemein zeigen
beide Anträge, sowohl derjenige der Koalition als
auch der von Bündnis 90/Die Grünen, dass es auf dem
Feld der kulturellen Teilhabe und Gleichbehandlung
von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung Hand-
lungsbedarf gibt.

Meine Fraktion hat im Ausschuss für Kultur und
Medien der Protokollerklärung zugestimmt, wonach
die Filmförderungsanstalt, FFA, der Deutsche Filmför-
derfonds, DFFF, sowie die Rundfunkanstalten aufge-

Zu Protokoll gegebene Reden





Kathrin Senger-Schäfer


(A) (C)



(D)(B)


fordert sind, ihre Förderrichtlinien bzw. die Produk-
tions- und Sendemaßgaben dahin gehend auszurichten,
dass das Angebot an barrierefreien Filmen ausgeweitet
wird. Es herrscht hier Konsens, dass der Einsatz für die
Ausstattung von Film- und Fernsehwerken mit Audio-
deskription, Untertitelung und Gebärdensprache in
Zukunft selbstverständlich sein muss.

Dann allerdings endet für uns auch schon die Über-
einstimmung; denn wenn man sich die eingebrachten
Anträge genauer ansieht: Es gibt doch erhebliche
Misstöne, die im Detail der Lebenswirklichkeit von
Menschen mit Behinderung nicht gerecht werden.

So begrüßenswert die gestiegene Verantwortung der
Koalition für das Problembewusstsein gegenüber dem
barrierefreien Film ist, so enttäuschend ist die inhaltli-
che Ausrichtung des Antrags. Die Forderungen sind
rein appellativ und beschränken sich faktisch auf Prüf-
empfehlungen. Anstatt Barrierefreiheit in Film und
Rundfunk als gesamtstaatliche Aufgabe und als Verfas-
sungsgebot zu begreifen, wird einerseits der Maßnah-
mebedarf in die Zukunft delegiert und andererseits so-
gar einer Refinanzierung der Investitionen in die
barrierefreie Ausstattung durch Marktmechanismen
das Wort geredet, wohl wissend, dass die soziale Be-
nachteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit Hör-
und Sehbehinderung bei jenen bereits per se beträcht-
liche finanzielle Ressourcen bindet.

Durch die neue Rundfunkabgabe mit der Abschaf-
fung des Nachteilsausgleichs wird außerdem eine be-
hindertenungerechte Rundfunkpolitik sanktioniert,
durch die eine Aufforderung zur Verpflichtung der
Rundfunkanstalten, für ein verbessertes barrierefreies
Rundfunkprogramm zu sorgen, als reine Heuchelei
wirkt. Anreize zur deutlichen Erweiterung des barrie-
refreien Filmangebots können aber nach Ansicht der
Fraktion Die Linke nicht ökonomischer, sondern nur
politischer Natur sein.

Im Gegensatz zum Koalitionsantrag finden sich im
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zumindest zwei
konkrete Handlungsvorschläge, nämlich das Vorhaben
der Sofortprogrammfinanzierung sowie die Kriterien-
definition, die in die richtige Richtung zielen. Ob sich
allerdings dadurch die grundlegenden Defizite im Be-
reich des barrierefreien Filmangebots nachhaltig be-
heben lassen, ist zu bezweifeln. Auch in diesem Antrag
fehlt der Willen, Barrierefreiheit in Film und Rundfunk
als gesamtstaatliche Aufgabe zu begreifen. Darüber
hinaus erscheinen die angestrebte Höhe der jährlichen
Mittelausschüttung als willkürlich und die Gegenfi-
nanzierung als ungeklärt.

Ebenso wie bei der Koalition sind hier gleichfalls
eher diffuse Marktchancen für barrierefreie Filme er-
wähnt, die sich nicht mit der sozialen Stellung von
Menschen mit Hör- und Sehbehinderung vertragen.
Aus der Haushaltsabgabe der Rundfunkgebühren eine
Erleichterung der Finanzierung des barrierefreien
Programmangebots der öffentlich-rechtlichen Anstal-
ten zu erwarten, ist illusionär, da aus den Mehreinnah-

men vorzugsweise vermutlich eher Strukturanpassun-
gen und teure Rechteerwerbungen finanziert werden,
wie es bereits heute gängige Praxis des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks ist.

Zum Schluss möchte ich auch noch auf das hinwei-
sen, was mein Kollege Dr. Ilja Seifert in der ersten Le-
sung gesagt hat. Er betont zu Recht, dass Bundestag
und Bundesregierung bei der Bereitstellung barriere-
freier Angebote an Kultur und Information beispielhaft
vorangehen müssen. Dies sollte auf allen gesellschaft-
lichen Feldern grundsätzlich zwingende Verpflichtung
werden. Ein Rückgriff auf den Markt, in welcher Form
auch immer, ist hier besonders fehl am Platz.

Aus den genannten Gründen lehnen wir den Antrag
der Koalition ab und enthalten uns bei dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Als Mitglied der Jury des „Deutschen Hörfilmprei-
ses“ konnte ich eindrucksvoll erfahren, dass es manch-
mal relativ einfache Mittel sind, die eine inklusive
Politik ermöglichen, zum Beispiel Beschreibungen ei-
nes Filmgeschehens, die zur Tonspur des Films hin-
zugestellt werden. Die auf diese Weise entstehenden
Hörfilme richten sich an Menschen mit Sehbehinde-
rungen und ermöglichen es ihnen, den Film viel besser
zu verfolgen. Ähnliches gilt für Untertitelungen, die
den Zugang für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen
erleichtern. Die Kosten, die hierfür anfallen, sind rela-
tiv gering, nur circa 5 000 Euro für einen abendfüllen-
den Film.

Vor diesem Hintergrund hat es mich sehr verwun-
dert, wie klein das Angebot an barrierefreien Filmen
auf dem deutschen Markt ist und wie wenig man das
Millionenpublikum der Menschen mit Seh- und Hörbe-
hinderungen beachtet. Und es geht ja nicht nur um
Marktchancen, sondern um Teilhabe am Kulturleben
und um Rechte, die sich nicht zuletzt aus der Konven-
tion über die Rechte der Menschen mit Behinderungen
herleiten, die ganz eindeutig auch eine inklusive Kul-
turpolitik fordert.

Ich habe mich gefragt, wo es hier eigentlich klemmt.
Im Gespräch mit dem Deutschen Blinden- und Sehbe-
hindertenverband erfuhr ich, dass das in der letzten
Novelle des Filmfördergesetzes eingeführte Förderkri-
terium der Barrierefreiheit offensichtlich nicht zog.
Die mit der Erstellung von barrierefreien Filmen be-
fassten Institutionen und Unternehmen konnten jeden-
falls keinen Anstieg bei der Zahl von Produktionen mit
Audiodeskriptionen und Untertitelungen feststellen,
die auf das neue FFG-Förderkriterium zurückzuführen
wären.

Mit dieser Problemanzeige wandte ich mich im
März 2011 mit schriftlichen Fragen an die Bundesre-
gierung und auch an Kolleginnen und Kollegen im
Kultur- und Medienausschuss. Und ich freue mich,
dass im Weiteren eine ganze Reihe von Initiativen zu-

Zu Protokoll gegebene Reden





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)


stande kam, die das Problem thematisieren, unter an-
derem auch die beiden Anträge, die wir heute beraten.

Besonders wichtig war eine Initiative, die wir als
Filmpolitikerinnen und Filmpolitiker aller Bundes-
tagsfraktionen gemeinsam ergriffen haben, nämlich
ein Schreiben an die Filmförderanstalt des Bundes, in
dem wir auf die ungenügende Situation hinweisen und
um Vorschläge bitten, wie man Abhilfe schaffen kann.
Die Antwort der FFA hat uns positiv überrascht. Man
nahm dort sogleich eine Prüfung und Veränderung der
Förderrichtlinien in Angriff mit dem Ziel, die Erstel-
lung von Audiodeskriptionen und Untertitelungen bei
den mit Bundesmitteln geförderten Filmen verbindlich
zu machen. Auch für die Förderung aus dem Deut-
schen Filmförderfonds, DFFF, wurde Entsprechendes
getan.

Und was die Kostenseite anging, teilte man uns mit,
dass die Finanzierung aus laufenden Mitteln erfolgen
kann und keine zusätzlichen Mittel erforderlich seien.
Deshalb kann ich die in unserem Antrag, Drucksache
17/8355, aufgeführte zweite Forderung, nämlich ein
Sofortprogramm zur Förderung von barrierefreien Fil-
men aufzulegen, für erledigt erklären. Das Ziel lässt
sich mit vorhandenden Bordmitteln erreichen – und
das ist sehr erfreulich.

Und ein weiterer positiver Punkt ist schließlich,
dass im Entwurf zur jetzt anstehenden neuerlichen No-
vellierung des Filmfördergesetzes die Erstellung von
barrierefreien Kopien auch gesetzlich fixiert werden
soll, was eine weitere Forderung in unserem Antrag
ist. Das würde dem Anliegen endgültig das nötige Ge-
wicht verleihen. Wir werden zwar über einige Details
noch zu reden haben, zum Beispiel über den Sinn der
im Entwurf der FFG-Novelle vorgesehenen Ausnah-
meregelungen bei der Erstellung von barrierefreien
Fassungen, aber im Grundsatz gehen die Dinge in die
richtige Richtung.

Doch mit den absehbaren Verbesserungen bei der
Bundesfilmförderung sollten wir uns nicht zufrieden-
geben. Auch im Fernsehen brauchen wir viel mehr
barrierefreie Angebote. Auch die Fernsehveranstalter
sollten das Angebot von Sendungen mit Audiodeskrip-
tionen und Untertitelungen deutlich ausweiten. Hier-
für werben wir nachdrücklich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721147600

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
der Drucksache 17/10029. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache
17/7709 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenom-
men.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/8355 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-

fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Nun sind wir schon bei Tagesordnungspunkt 39:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Silvia
Schmidt (Eisleben), Gabriele Hiller-Ohm, Anette
Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Taubblindheit als Behinderung eigener Art
anerkennen – Merkzeichen Taubblindheit ein-
führen

– Drucksache 17/11676 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

Die Reden werden zu Protokoll genommen.


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1721147700

Gehörlose und blinde Menschen haben über die

Jahre und mithilfe intelligenter Unterstützungsmög-
lichkeiten gelernt, ihren Sinnesverlust zu kompensie-
ren und ihren Alltag weitgehend selbstständig zu meis-
tern.

Gehörlose nutzen zum Beispiel eine Lichtklingel,
die ihnen den Besuch ankündigt. Sie schauen auf ein
Bildtelefon, wenn sie jemanden anrufen wollen. Sie
können auch für Behördengänge einen Gebärdendol-
metscher beanspruchen oder zum Beispiel im Fernse-
hen durch Untertitel den Tatort am Sonntagabend ver-
folgen.

Für Blinde und Sehbehinderte wurden in der Ver-
gangenheit ebenfalls zahlreiche Hilfsmittel entwickelt,
um ihnen trotz des verlorenen Augenlichts ein weitge-
hend unabhängiges und selbstständiges Leben zu er-
möglichen. Mit einer Brailletastatur können sie den
Computer bedienen und sich mit einer entsprechenden
Sprachausgabe Internetseiten vorlesen lassen. Taktile
Bodenleitsysteme in Kombination mit einem Blinden-
stock erleichtern ihnen, sich in der Öffentlichkeit weit-
gehend ohne fremde Hilfe zu bewegen. Wer kulturell
interessiert ist, kann auf Hörbücher zurückgreifen
oder mithilfe der Audiountertitelung Spielfilme verfol-
gen. Es gibt auch spezielle Elektrogeräte, Uhren oder
Schreibgeräte, die den Alltag für Blinde und Sehbehin-
derte erleichtern.

Ich könnte an dieser Stelle noch sehr viel mehr auf-
zählen, und es zeigt einmal mehr, wie differenziert und
nutzerfreundlich die Hilfsmittelangebote für gehörlose
und blinde Menschen geworden sind. Doch was davon
können diejenigen nutzen, die nicht nur auf ein, son-
dern sogar auf zwei wesentliche Sinnesorgane verzich-
ten müssen? Was gibt es für Menschen, die blind bzw.
stark sehbehindert und gleichzeitig taub oder stark
hörgeschädigt sind?

Viele stellen sich die Welt eines taubblinden Men-
schen als still und dunkel vor. Für viele von ihnen trifft
dies wohl zu. Doch nicht jeder der rund 6 000 Betrof-





Maria Michalk


(A) (C)



(D)(B)


fenen in ganz Deutschland ist vollkommen taub und
vollkommen blind. Tatsächlich ist jedoch ihre Behinde-
rung, die von dem sogenannten Usher-Syndrom her-
vorgerufen wird, etwas sehr Besonderes. Sie sind in
gleich mehrfacher Weise eingeschränkt, was die Kom-
munikation und das Fortbewegen mit und in der Um-
welt angeht. Viele Taubblinde leben daher sehr zurück-
gezogen und abseits vom gesellschaftlichen Leben.

Auch in den vertrauten vier Wänden gibt es immer
wieder Herausforderungen, wie zum Beispiel gefahr-
los zu prüfen, ob das Wasser kocht, ob der Besuch das
Licht angelassen hat, wenn jemand an der Tür klingelt
oder anruft, welche Farbe die Kleidung hat etc. Die
meisten Menschen bleiben daher bei ihren Familien
wohnen, solange es geht. Häufig leben sie bei ihren El-
tern oder ziehen zu ihren Geschwistern. Einige leben
auch in Partnerschaften mit nichtbehinderten Men-
schen und können sich so stärker von der Familie lö-
sen. Selten kommt es vor, dass taubblinde Menschen
allein in eigenen Wohnungen den Alltag bestreiten.

Es gibt in Deutschland bisher nur wenige Einrich-
tungen, die taubblinden Menschen ein an ihren Be-
dürfnissen ausgerichtetes Umfeld bieten. Die größte
Einrichtung ist das Taubblindenwerk in Hannover. Ne-
ben Heimplätzen gibt es dort auch Wohnprojekte, in
denen mehrere taubblinde Menschen in Wohngemein-
schaften zusammenleben. Ein Betreuer schaut regel-
mäßig vorbei und bietet Unterstützung, wenn es nötig
ist.

Immer mehr Bundesländer schaffen neue, ambu-
lante Wohnformen für Menschen mit Behinderung. Aus
meiner Sicht sind diese Angebote auch für taubblinde
Menschen gut geeignet, die gerne mehr Kontakt zu an-
deren haben möchten und gleichzeitig so selbstständig
wie möglich ihren Alltag gestalten wollen. Es müssen
nur die Rahmenbedingungen stimmen, bevor ein taub-
blinder Mensch einziehen kann.

Wie kommunizieren taubblinde Menschen mit ande-
ren? Die Laut- und Schriftsprache kommt für Taub-
blinde als Verständigungsmöglichkeit nicht in Be-
tracht. Viele von ihnen nutzen das Tastalphabet, das
sogenannte Lormen. Diese Technik hat vielen Betroffe-
nen geholfen, ein Stück aus ihrer Isolation herauszu-
kommen. Diejenigen, die gehörlos geboren wurden
und die Gebärdensprache erlernt, doch im Laufe der
Jahre ihre Sehfähigkeit verloren haben, „erfühlen“ die
Gebärden. Man nennt das „taktiles Gebärden“. Dabei
müssen sich die Gesprächspartner zwangsläufig sehr
nahekommen. Betroffene berichten, dass dazu nicht
immer alle bereit sind. Auch das erschwert es, mit
neuen Menschen in Kontakt zu treten. Viele nutzen da-
her gerne das Internet, um den Dialog und den Aus-
tausch mit anderen zu pflegen oder sich mit Informa-
tionen zu versorgen. Voraussetzung ist natürlich auch
hier die entsprechende Technik.

Die bisher beschriebenen Kommunikationsformen
sind jedoch für Arzt- und Behördengänge, Absprachen
mit Handwerkern oder dem Postboten oder beim Ein-

kaufen im Supermarkt keine Hilfe. In diesen Situa-
tionen sind Taubblinde auf die Unterstützung einer
persönlichen Assistenz angewiesen, um ihre Angele-
genheiten regeln zu können. Nach geltendem Recht ha-
ben sie zwar im Rahmen der Sozialhilfe Anspruch auf
individuelle Teilhabeleistungen und Hilfen, etwa eine
persönliche Assistenz. Doch es gibt in Deutschland
derzeit nur sehr wenige ausgebildete Taubblinden-
assistenten. Dies liegt sicherlich zum einen daran,
dass die Zahl der Betroffenen insgesamt gering ist, und
zum anderen daran, dass dieses Berufsbild noch neu
ist.

In vielen Behörden und auch in Pflegeheimen sind
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bislang nicht
ausreichend mit der besonderen Situation von taub-
blinden Menschen vertraut. Hier ist noch deutlich
mehr Kompetenz nötig, damit diesen Menschen neben
den notwendigen Hilfen auch das angemessene Maß
an Empathie und Sensibilität entgegengebracht wird.
Entsprechende Schulungen könnten dazu beitragen,
diese Lücken zu schließen. Hier sind vor allem die
Bundesländer in der Verantwortung, aktiv vor Ort
Fachkräfte aus- und weiterzubilden. Mit all diesen An-
merkungen will ich bekräftigen, dass uns in der Union
die besondere Situation der taubblinden Menschen
sehr bewusst ist.

Taubblinde haben bislang in ihrem Schwerbehin-
dertenausweis die Merkzeichen „Bl“ für blind und
„Gl“ für gehörlos vermerkt. Die Betroffenen fordern,
dass für sie ein eigenes Merkzeichen „Tbl“ eingeführt
wird, damit ihre besonderen Einschränkungen vor al-
lem in den Bereichen Mobilität und Kommunikation
deutlich effizienter als bislang über entsprechende
Nachteilsausgleiche kompensiert werden können. Da-
rauf zielt auch der Antrag, mit dem wir uns heute be-
fassen.

Wie wir alle wissen, sahen in der Vergangenheit die
Bundesländer, unabhängig von der Regierungskons-
tellation, keinen Handlungsbedarf für ein eigenes
Merkzeichen. Grund dafür war, dass aus ihrer Sicht
ein eigenes Merkzeichen nur dann sinnvoll wäre, wenn
damit konkrete Rechte benannt würden, die über das,
was den Betroffenen über die anerkannten Merkzeichen
„Bl“ und „Gl“ an Hilfen zusteht, deutlich hinausgin-
gen. Nunmehr hat sich die Arbeits- und Sozialminister-
konferenz erneut mit dieser Frage befasst.

Es ist offensichtlich, dass sich diese Behinderung
nicht durch die Addition der Merkzeichen „Blind“ und
„Gehörlos“ abbilden lässt. Eins und eins ergibt in die-
sem Fall nicht zwei. Denn die Kombination aus einer
Hör- und Sehbehinderung führt zu einer völlig neuen
Form der Behinderung und damit auch zu neuen He-
rausforderungen, auf die die Umwelt und die Betroffe-
nen gleichermaßen eingehen müssen.

Die Union setzt sich seit längerem sehr ausführlich
und auf breiter Ebene mit der Frage auseinander, wie
der Gesetzgeber dieser Gruppe von Menschen mit Be-
hinderung in Zukunft noch besser gerecht werden

Zu Protokoll gegebene Reden





Maria Michalk


(A) (C)



(D)(B)


kann. So hat sich zum Beispiel bereits im Juni 2011 die
Bundesversammlung des CDA für ein eigenes Merk-
zeichen ausgesprochen. Auch auf europäischer Ebene
fand dazu eine Meinungsbildung statt. Aktuell liegt auf
dem Bundesparteitag der CDU nächste Woche in Han-
nover dazu ein Antrag zur Unterstützung vor, der zur
Annahme empfohlen wird. Einige Krankenkassen ha-
ben für Arztbesuche bzw. ambulante und stationäre
medizinische Versorgung per Satzung die Assistenz
festgeschrieben. Wir sehen also: Es ist bereits viel auf
unterschiedlichen Ebenen in Bewegung gekommen.
Das ist auch gut so.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass
der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Be-
hindertenrechtskonvention die Gruppe der Taubblin-
den ebenfalls berücksichtigt hat. Als eine Maßnahme
hat die Bundesregierung eine Studie in Auftrag gege-
ben, um mehr über ihre Situation und die besonderen
Bedürfnisse in Erfahrung zu bringen. Die Untersu-
chung soll im Frühjahr 2013 vorliegen. Wenn wir auch
diese Daten zur Hand haben, können wir auf einer fun-
dierten Grundlage entscheiden. Mit ausdrücklicher
Ermunterung durch das BMAS hat gestern die Sozial-
ministerkonferenz ein einstimmiges positives Votum
zur Einführung dieses neuen Merkzeichens gegeben.

Fakt ist bereits heute, dass ein eigenes Merkzeichen
„Tbl“ für die Betroffenen identitätsstiftend wirken und
auch ihr Selbstbewusstsein deutlich stärken wird.
Gleichzeitig wird auch mit großer Sicherheit Bürokra-
tie abgebaut. Nicht von ungefähr kommt es, dass ab
nächstem Jahr im Gegensatz zu allen anderen allein
die Taubblinden von der Rundfunk- und Fernsehge-
bühr befreit bleiben. Auf diese Weise gibt es ab 2013
schon einen eigenständigen Nachteilsausgleich für
taubblinde Menschen. Das steht mehr oder weniger im
Gegensatz zu der Feststellung, dass es bisher in
Deutschland keine konkrete, abgerundete und defi-
nierte Begriffsbestimmung von Taubblindheit gibt. Das
muss sich ändern. Beispielgebend können die skandi-
navischen Länder sein.

Wir sprechen uns ausdrücklich dafür aus, eine bun-
deseinheitliche Vorgehensweise einzuführen. Insofern
ist der Antrag der SPD ein Baustein in der Entschei-
dungsfindung. Wir wollen keine Schnellschüsse, son-
dern bereiten eine positive Entscheidung auf fundier-
ter Grundlage vor.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1721147800

Taubblinde Menschen sind immer noch vergessene

Menschen. Bereits am 12. April 2004 hat das Europäi-
sche Parlament erklärt, Taubblindheit als Behinde-
rung eigener Art anzuerkennen. Das Parlament fordert
die Mitgliedstaaten auf, die Rechte der hör- und sehbe-
hinderten Menschen anzuerkennen und ihnen Geltung
zu verschaffen. Dies soll zum Beispiel durch das Recht
auf Teilnahme am demokratischen Leben der Europäi-
schen Union, das Recht auf Arbeit und Zugang zur
Ausbildung mit entsprechenden Beleuchtungs-, Kon-
trast- und Anpassungsmöglichkeiten, das Recht auf

eine Gesundheits- und Sozialbetreuung, bei der der
Mensch im Mittelpunkt steht, das Recht auf lebenslan-
ges Lernen, gegebenenfalls mit Eins-zu-eins-Unter-
stützung in Form von Kommunikator-Begleitpersonen,
Dolmetschern und/oder Betreuern für Taubblinde ge-
schehen. 2005 folgte das spanische Parlament der Auf-
forderung.

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten
Nationen erwähnt in Art. 24 Abs. 3 UN-BRK neben
Blindheit und Gehörlosigkeit explizit die Taubblindheit
und unterstreicht damit deren eigenständige Bedeu-
tung. Dort heißt es: Die Vertragsstaaten stellen sicher,
„dass … taubblinden Menschen, insbesondere Kin-
dern, Bildung in den Sprachen und Kommunikations-
formen …, die für den Einzelnen am besten geeignet
sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die
bestmögliche schulische und soziale Entwicklung ge-
stattet.“ Die Konvention ist geltendes Recht in
Deutschland; sie muss endlich umgesetzt werden.

Taubblinde Menschen sind besonders von den ge-
sellschaftlichen Barrieren betroffen, die sie von der
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließen.
Bei ihnen kommen aber nicht nur die Gehörlosigkeit
oder die Blindheit zusammen; die Wechselwirkung po-
tenziert die Behinderung. Taubblinde Menschen sind
zumeist vollständig auf die Unterstützung durch Fami-
lienangehörige und nahe Vertrauenspersonen ange-
wiesen, um den Alltag überhaupt organisierbar zu ma-
chen und Grundbedürfnisse zu decken. Fallen diese
Personen und die enge Bindung zu ihnen weg, führt
dies nicht selten in die vollständige Isolation oder
nicht selten sogar zum Suizid.

Taubblinde Menschen sind für unser Hilfesystem
nahezu unsichtbar, ihre genaue Zahl kennt niemand.
Dies resultiert aus dem schwierigen Zugang zu den Be-
troffenen, der zumeist aufsuchend erfolgen muss, da
sie nicht zu den Beratungsstellen finden. Die Verbände
und Selbsthilfeorganisationen gehen von mindestens
6 000 Betroffenen bundesweit aus.

Wodurch bestimmt sich der besondere Bedarf? Die
Besonderheit der Taubblindheit wird vom Gemeinsa-
men Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind beim
Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband so
beschrieben, dass bei gleichzeitigem Vorliegen einer
akustischen und optischen Funktionseinschränkung
ein wechselseitiger, für eine Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft verwertbarer Ausgleich durch Sinnes-
reste nicht stattfindet und auch nicht entwickelt werden
kann. Taubblinde Menschen können den Verlust eines
Sinnes nicht durch den jeweils anderen ausgleichen.
Das macht die Besonderheit der Behinderung aus, und
deshalb muss man zunächst dafür sensibilisieren und
darüber aufklären.

Ohne spezielle Taubblindenhilfsmittel und eine As-
sistenz, die taktile Gebärden beherrscht, ist es den Be-
troffenen nicht möglich, sich selbstständig im öffent-
lichen Raum zu bewegen. Die Sichtbarmachung der
Behinderung ist ein Ziel unseres Antrags. Dazu würde

Zu Protokoll gegebene Reden





Silvia Schmidt (Eisleben)



(A) (C)



(D)(B)


die Einführung eines eigenständigen Merkzeichens
enorm beitragen, auch wenn sich daraus ohne Weite-
res keine Leistungen ergeben. Darüber hinaus ist es
unser Anliegen, dass taubblinde Menschen den beson-
deren und spezifischen Bedarf nicht nur deutlich ma-
chen, sondern auch Hilfsmittel und Assistenz zu dessen
Deckung erhalten können.

Die SPD-Bundestagsfraktion empfiehlt daher, dass
die Hilfsmittel-Richtline des Gemeinsamen Bundes-
ausschusses und das Hilfsmittelverzeichnis der gesetz-
lichen Krankenversicherung geändert werden mögen.
Dies kann die Bundesregierung nicht veranlassen, si-
cherlich aber befördern. Ein Bekenntnis zu dieser Not-
wendigkeit scheint uns in jedem Fall notwendig. Dies
wäre ein wichtiger Schritt, um auch Rehabilitations-
träger wie die Sozialhilfe dazu zu bewegen, entspre-
chende Bedarfe zu berücksichtigen und entsprechend
zu decken.

Wichtig erscheint es uns auch, eine aufsuchende Be-
ratung zu ermöglichen, damit die Bedarfslage erfasst
werden kann und die Betroffenen systematisch an ein
selbstständiges Leben herangeführt werden. Die
Hürde der Beratung würde so genommen. Ebenso
wichtig ist es, die Kommunikation mit taubblinden
Menschen analog zur Kommunikationsassistenz für
gehörlose Menschen bei Behördengängen und Arztbe-
suchen sicherzustellen und nicht nur anlassbezogen
auszugestalten. Dafür braucht es aber eine ausrei-
chende Zahl und Verfügbarkeit von Taubblindendol-
metscherinnen und -dolmetschern, die von der Ge-
samtheit der Gebärdendolmetscher qualifiziert werden
müssen.

In Nordrhein-Westfalen werden diese Dolmetscher
bereits ausgebildet. NRW wird noch in dieser Woche
einen Antrag einbringen, der sich unserer Forderung
anschließt. Es werden ein Beirat zur Überprüfung des
Bedarfs und eine Anerkennung der taubblinden Men-
schen gefordert. Zu diesem Antrag gratuliere ich
Hannelore Kraft.

Ich bin der Ansicht, dass wir alle diese Punkte in
den Ausschüssen diskutieren und am Ende zu einem
Beschluss kommen sollten, der die besondere Lebens-
situation von taubblinden Menschen herausstellt und
zu ihrer Verbesserung substanziell beiträgt.


Gabriele Molitor (FDP):
Rede ID: ID1721147900

Für die meisten Menschen ist ein Druck auf die

Fingerkuppe des Daumens eine bedeutungslose Be-
rührung. Für manche Menschen ist diese Berührung
die einzige Möglichkeit zu kommunizieren. Der Druck
auf die Fingerkuppe des Daumens ist das A im
Lormalphabet. So können sich taubblinde Menschen
verständigen.

Es gibt unterschiedliche Zahlen, wie viele Men-
schen taub und blind sind. Schätzungen besagen, dass
etwa 4 000 bis 6 000 Menschen mit Taubblindheit in
Deutschland leben. Während sinnesgeschädigte Men-
schen den Verlust eines Sinnes durch die Nutzung eines

anderen Sinnes kompensieren können, sind taubblinde
Menschen auf ganz besondere Hilfe angewiesen.

Zeitungsartikel und Fernsehbeiträge haben dem
Thema Taubblindheit in letzter Zeit mehr Aufmerksam-
keit verschafft. Betroffenenverbände und -organisatio-
nen haben auf die besondere Lage von taubblinden
Menschen aufmerksam gemacht. Ganz grundsätzlich
ist die Vorstellung, nicht mehr sehen und nicht mehr
hören zu können, mit großen Ängsten verbunden. Die
Stiftung „taubblind leben“ und die Bundesarbeits-
gemeinschaft der Taubblinden unterstützen mit ihren
Selbsthilfegruppen, ihrem Engagement und ihrem
Fachwissen taubblinde Menschen und ihre Angehöri-
gen.

Die Lebenslage taubblinder Menschen schnell und
unbürokratisch zu verbessern, ist mir ein wichtiges
Anliegen. Auch im Nationalen Aktionsplan der Bun-
desregierung wurde auf die Situation taubblinder
Menschen hingewiesen. Ich habe mich mit Vertretern
der Taubblinden ausgetauscht. Gerade bei der Hilfs-
mittelbewilligung gibt es immer wieder Schwierigkei-
ten mit den Rehabilitationsträgern, da Taubblindheit
nicht als eigenständige Behinderungsform anerkannt
wird.

Aus Gesprächen mit Mitgliedern der Stiftung „taub-
blind leben“ weiß ich, dass oft unzureichende oder für
taubblinde Menschen nutzlose Leistungen der Sozial-
versicherungsträger bewilligt werden. Es ist für die
Betroffenen und ihre Angehörigen oft sehr aufwendig
und schwierig, den Leistungsträgern den speziellen
Bedarf verständlich zu machen. So zeigt zwar eine
Lichtklingel gehörlosen Menschen, wenn das Telefon
klingelt. Für gehörlose Menschen, die blind sind oder
von Erblindung bedroht sind, ist eine Lichtklingel al-
lerdings keine Hilfe. Blinde Menschen wiederum profi-
tieren von einem Computer mit Sprachausgabe. Blin-
den Menschen, die ertaubt sind oder schwer hören,
nutzt eine Sprachausgabe aber wenig.

Ich denke daher, dass es sinnvoll ist, Sacharbeiter
zu schulen und zu sensibilisieren. In Nordrhein-
Westfalen wird überlegt, eine Handreichung für Sach-
arbeiter zum Thema Taubblindheit herzustellen. Ich
halte es für dringend erforderlich, dass die besonderen
Bedürfnisse taubblinder Menschen von den Leistungs-
trägern mehr berücksichtigt werden. Auch wenn es
viele verschiedene Formen von Behinderungen gibt,
bei denen mehrere Bereiche betroffen sind, zum Bei-
spiel körperliche und geistige Behinderungen, erfor-
dert die Behinderung Taubblindheit eine sehr spezifi-
sche Unterstützung. Dazu gehört zum Beispiel eine
persönliche Assistenz, die mit dem taubblinden Men-
schen kommunizieren kann. Mit dem Lormalphabet
werden Sätze in die Hand des anderen buchstabiert, so
dass sich taubblinde Menschen unterhalten können.

Der Antrag der SPD ist eine gute Initiative, weil er
auf die Situation von taubblinden Menschen hinweist.
Es ist jedoch nicht so, dass uns erst der Antrag auf die-
ses Thema aufmerksam gemacht hätte. Die Forderung

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Molitor


(A) (C)



(D)(B)


nach einem eigenen Merkzeichen im Behindertenaus-
weis unterstütze ich. Wir müssen gemeinsam mit den
Ländern prüfen, wie diese Forderung umgesetzt wer-
den kann. Weil wir dazu noch etwas Zeit brauchen,
müssen wir den Antrag heute ablehnen. Dennoch bin
ich sehr zuversichtlich, dass wir in absehbarer Zeit zu
einer Lösung kommen.

Um die Bedürfnisse von taubblinden Menschen
noch genauer kennenzulernen, hat das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales in Zusammenarbeit mit
dem Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange behinderter Menschen im März 2012 ein
Fachgespräch organisiert. Betroffene, Angehörige und
Verbandsvertreter konnten so die Problemfelder erör-
tern. Eine Studie im Auftrag des nordrhein-westfäli-
schen Sozialministeriums ist bereits angelaufen. Mit
ihr soll die Lebenslage taubblinder und hörgeschädig-
ter Menschen wissenschaftlich erfasst werden. Mit den
Ergebnissen ist Mitte 2013 zu rechnen. Ich denke, dass
die Ergebnisse zu der Frage, welche Maßnahmen not-
wendig sind, mit einbezogen werden sollten. In
Deutschland existiert bereits ein Bündel an Sach- und
Hilfeleistungen. Diese gilt es auch passgenau auf
Menschen mit Taubblindheit auszurichten.

Es ist erschütternd, wenn taubblinde Menschen in
einem Heim für geistig behinderte Menschen leben
oder in die Psychiatrie eingewiesen werden, weil nie-
mand ihre Taubblindheit erkennt. Hier wünsche ich
mir mehr Professionalität vor Ort: Welcher Hilfe-
bedarf liegt vor, und was ist der eigentliche Wunsch
des Betroffenen? Wichtig sind auch frühe Hilfen, um
Familien mit taubblinden Kindern oder Menschen, die
von Taubblindheit bedroht sind, zu unterstützen.

Für uns Liberale ist vor allem die persönliche Assis-
tenz ein Schlüssel zu mehr Selbstständigkeit. Perso-
nenzentrierte Hilfen wie die Hilfe einer Assistenz, die
über die Fähigkeit des Lormens verfügt, ermöglichen
taubblinden Menschen, ihren Alltag zu meistern. Hier
sollte geklärt werden, wie im Spektrum der Möglich-
keiten des persönlichen Budgets individuelle Hilfen
geschaffen werden können.

Wir alle sind sensibilisiert und wollen, dass sich die
Situation von Menschen mit Taubblindheit verbessert.
Daher begrüße ich einen Diskussionsprozess, der sich
damit befasst, wie die Lebensbedingungen von taub-
blinden Menschen verbessert werden können.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721148000

Die drei Affen haben – laut Wikipedia – ihren Ur-

sprung in einem japanischen Sprichwort und stehen
dort für den vorbildlichen Umgang mit Schlechtem.
Der Spruch „Nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hö-
ren, nichts (Böses) sagen“ ist Bestandteil der Lehre
des buddhistischen Gottes Wadjra. Er gelangte ver-
mutlich im 8. Jahrhundert von Indien über China nach
Japan und wurde dort als „mizaru, kikazaru, iwazaru“
bekannt.

Während die drei Affen in Japan eigentlich die Be-
deutung „über Schlechtes weise hinwegsehen“ haben,
werden sie in der westlichen Welt eher als „alles
Schlechte nicht wahrhaben wollen“ interpretiert. Auf-
grund dieses negativen Bedeutungswandels gelten die
drei Affen daher häufig als Beispiel für mangelnde Zi-
vilcourage.

Was aber haben nun die drei Affen mit dieser De-
batte zur Taubblindheit zu tun?

Vor genau acht Monaten, am 29. März 2012, gab es
ein Fachgespräch mit dem Bundesministerium für Ar-
beit und Soziales, dem Behindertenbeauftragten bei
der Bundesregierung und taubblinden Menschen und
ihren Organisationen zur Lebenssituation von taub-
blinden Menschen. Die Bundesregierung erhielt die
Forderung zur Einführung eines Merkzeichens
„TBl“ – eine Initiative der Betroffenen, die mit
14 000 Unterschriften unterstützt wurde.

Immerhin, es geht um die nicht gerade einfache Le-
benssituation von bundesweit circa 6 000 Menschen,
die weder sehen noch hören können, und deren Ange-
hörige. Diese Menschen haben aufgrund des Verlustes
zweier Sinnesorgane riesige Probleme bei der Kom-
munikation, beim Zugang zu Bildung, Arbeit und Teil-
habe am gesellschaftlichen Leben. Sie sind auf qualifi-
zierte Assistenz und spezielle Hilfsmittel angewiesen.
Insofern geht es nicht nur um ein neues Merkzeichen
im Schwerbehindertenausweis, sondern um Anerken-
nung der Besonderheiten, die aus der Taubblindheit
resultieren. Dies ist die Voraussetzung für wirkungs-
volle Hilfen und Nachteilsausgleiche.

Natürlich kann man nicht beliebig viele Merkzei-
chen auf dem Schwerbehindertenausweis vermerken.
Das geht nicht aus Platzgründen, und vor allem sieht
dann niemand mehr durch. Aber eins und eins ist nicht
immer zwei. Auch nicht in der Chemie. Wenn man zwei
Substanzen vermischt, entsteht manchmal eine dritte
Substanz mit völlig anderen Qualitäten. Und das wirk-
liche Leben hat es bewiesen: Es reicht nicht, wenn die
Merkzeichen für „blind“, Bl, und „gehörlos“, GL, ne-
beneinanderstehen.

Drei Wochen nach dem Fachgespräch, am 17. April
2012, antwortete der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Brauksiepe, CDU/CSU, auf meine zwei Fragen zu
den Erkenntnissen und Schlussfolgerungen aus dem
Fachgespräch für die Bundesregierung. In der Ant-
wort heißt es: „Das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales, BMAS, hat mit dem Fachgespräch die Er-
wartung verbunden, aus erster Hand zusätzliche Infor-
mationen über die Lebenssituation taubblinder Men-
schen zu gewinnen. Diese Erwartung hat sich erfüllt.
Deutlich wurde einerseits, welche Herausforderungen
Menschen zu meistern haben, die sowohl seh- als auch
hörbehindert sind und die deshalb Einschränkungen
bei der Nutzung des einen Sinnes nicht oder nur an-
satzweise durch die Nutzung des anderen Sinnes kom-
pensieren können. … Das BMAS hat … zugesagt, mit

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Ilja Seifert


(A) (C)



(D)(B)


den … Ländern zu erörtern … ob dafür ein eigenes
Merkzeichen erforderlich ist.“ (Drucksache 17/9352)


Diese Antwort ließ hoffen, dass sich nicht nur die
Erwartungen der Bundesregierung, sondern auch die
der Betroffenen erfüllen. Aber nichts geschah.

Spätestens seit Vorliegen der Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Grünen „Zur
Lage hörbeeinträchtigter Menschen in Deutschland“

(Drucksache 17/10371 vom 23. Juli 2012) war klar,

dass die Erwartungen der taubblinden Menschen und
ihrer Angehörigen nicht (so bald) erfüllt werden. An-
statt zu handeln, wird der Schlussbericht eines vom
Sozialministerium in NRW in Auftrag gegebenen Gut-
achtens abgewartet. Dieser Bericht soll Mitte 2013
vorliegen. Das heißt, vor der Bundestagswahl will die
Bundesregierung nichts mehr tun. Es soll eine Aufgabe
für die kommende Regierung – frühestens im Jahr
2014 – bleiben.

Deswegen danke ich der SPD für diesen Antrag,
den die Linke unterstützen wird. Taubblinde Menschen
brauchen das Merkzeichen „TBl“ jetzt. Sie brauchen
eine bedarfsgerechte sowie einkommens- und vermö-
gensunabhängige Teilhabesicherung, vor allem durch
qualifizierte Assistenz – so, wie es die Linke mit ihrem
Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz vorschlug.
Sie brauchen – nicht nur in den Verwaltungen – im
Umgang mit taubblinden Menschen aufgeklärte und
sachkundige Partnerinnen und Partner. Und sie brau-
chen auch eine bedarfsgerechte Versorgung mit Hilfs-
mitteln.

Übrigens: Das hier gezeigte Vorgehen der Bundes-
regierung kenne ich zur Genüge, zum Beispiel im Um-
gang mit den durch Contergan geschädigten Men-
schen. Auch hier geht es nur um ein paar Menschen
mit Behinderungen, nicht um milliardenschwere Ret-
tungspakete für Banken und deren Eigentümer. Also
lässt man sich Zeit – auf dem Rücken der Betroffenen.

Die Frage, wer die drei Affen sind, die „alles
Schlechte – in ihren Gesetzen und ihrem Handeln –
nicht wahrhaben wollen“, beantwortet sich hier von
selbst.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721148100

Ich freue mich, dass wir heute über Möglichkeiten

zur Verbesserung der Lebenssituation einer Gruppe
von Menschen sprechen, die gegenwärtig in ihrem All-
tag besonders behindert werden. Besonders vulnera-
ble Gruppen, also diejenigen, die stark benachteiligt
werden, dürfen wir bei den vielfältigen Herausforde-
rungen, die sich uns im Zuge der Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention stellen, nicht unberück-
sichtigt lassen.

Meine Fraktion wollte bereits im Sommer dieses
Jahres von der Bundesregierung wissen, was sie zur
Verbesserung der Versorgungssituation taubblinder
Menschen unternimmt. Die Antwort, die wir auf unsere
Kleine Anfrage erhielten, lässt darauf schließen, dass
die Bundesregierung zumindest erkannt hat, dass die
Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbei-

tern in den zuständigen Behörden notwendig ist. Ich
hoffe wirklich, dass sie dieser Erkenntnis auch Taten
folgen lässt.

In Hinblick auf weitere relevante Fragen – zum Bei-
spiel die Verfügbarkeit qualifizierter Assistentinnen
und Assistenten für taubblinde Menschen – zieht sich
die Bundesregierung leider darauf zurück, erst die Er-
gebnisse von Studien abwarten zu wollen. Ich möchte
mich gar nicht dagegen aussprechen, wissenschaftli-
che Gutachten zur Lebenssituation taubblinder Men-
schen zu erstellen. Um zu wissen, dass es diesem
Personenkreis unter anderem an qualifizierten Assis-
tentinnen und Assistenten mangelt, braucht man sie al-
lerdings nicht.

In Nordrhein-Westfalen fördert die Landesregie-
rung bereits seit 2008 die Ausbildung von Taubblin-
denassistenten. Da hat sich also schon einmal eine
schwarz-gelbe Regierung zu einer sinnvollen Sache
entschieden. Die nachfolgende rot-grüne Regierung
hat die Förderung gerne fortgeführt, sie hat zudem die
bundesweit erste Studie zur Lebenslage taubblinder
Menschen in Auftrag gegeben.

Allein in Nordrhein-Westfalen leben schätzungs-
weise 600 bis 800 taubblinde Menschen. Ende dieses
Jahres werden 40 qualifizierte Assistentinnen und As-
sistenten zur Verfügung stehen. Die Situation in den
anderen Bundesländern ist wesentlich schlechter. Es
ist offensichtlich: Damit taubblinde Menschen gleich-
berechtigt teilhaben können, ist noch viel zu tun. Meine
Fraktion stimmt dem Antrag der SPD daher gerne zu.
Ich möchte aber auch die Kolleginnen und Kollegen
der Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung
noch einmal ausdrücklich auffordern, tätig zu werden.
In NRW haben wir gesehen, dass auch schwarz-gelbe
Regierungen grundsätzlich in der Lage sind, Maßnah-
men zur Verbesserung der Lebenssituation taubblinder
Menschen zu treffen. Die Bundesregierung könnte sich
daran durchaus ein Beispiel nehmen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721148200

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der

Drucksache 17/11676 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Einwände gibt es
keine. Dann ist das so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 40:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Straf-
barkeit der gewerbsmäßigen Förderung der
Selbsttötung

– Drucksache 17/11126 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss

Interfraktionell wird vorgesehen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich
sehe, damit sind Sie einverstanden.1)

1) Anlage 12





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Vorgeschlagen wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 17/11126 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse. Anderweitige Vorschläge habe
ich nicht. Dann können wir so verfahren.

Bevor ich jetzt den nächsten Tagesordnungspunkt
aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass sich die Fraktionen ver-
ständigt haben, den Tagesordnungspunkt 42, der jetzt ei-
gentlich an der Reihe gewesen wäre – es handelt sich um
die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP mit dem Titel „Innovationen stärken und Lust
auf Technik wecken“ –, von der Tagesordnung abzuset-
zen.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist schade!)


Dies ist auch ein Thema, das sich für eine Behandlung
weit nach Mitternacht geradezu aufdrängen würde.
Gleichwohl habe ich Sie zu fragen, ob Sie mit der Ver-
einbarung einverstanden sind, diesen Punkt abzusetzen. –
Zögernd, aber erkennbar Zustimmung.


(Zuruf von der LINKEN: Wir haben uns enthalten!)


Der Tagesordnungspunkt ist bei hinhaltendem Wider-
stand der Fraktion Die Linke, deren Enthaltung zu Proto-
koll genommen wird, abgesetzt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 44 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Sportförderung neu denken – Strukturen ver-
ändern

– Drucksache 17/11374 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genom-
men.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1721148300

Die hinter dem Antrag stehende Idee und Initiative

der Fraktion Die Linke, der Sportpolitik in Deutsch-
land einen höheren Stellenwert beizumessen und eine
ebenenübergreifende Kompetenz für den Sport zu
schaffen, kann ich unterstützen. Nicht nur nach Groß-
sportereignissen, wie den Olympischen Spielen oder
Weltmeisterschaften, wird deutlich, wie stark bei-
spielsweise der Spitzensport mit dem Breitensport ver-
bunden ist. Auch hinsichtlich des Schulsports wünscht
man sich einen Bedeutungszuwachs, um Kindern und
Jugendlichen wichtige Normen und Werte des sozialen
Miteinanders oder eines gesunden und ausgeglichenen
Lebensstils mit auf den Lebensweg zu geben.

Bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung in
unseren Alltag und damit auch in den Sport erleben
wir derzeit ein Umdenken und befinden uns in einem
wichtigen gesamtgesellschaftlichen Lern- und Anpas-

sungsprozess in der Frage, wie der Weg im Einzelnen
künftig weiter beschritten werden kann. Die Bedeutung
des Sports für die Inklusion in Deutschland kann nicht
hoch genug eingeschätzt werden. Welche lebensbeja-
henden Wirkungen und Entwicklungschancen der
Behindertensport wie auch das gemeinsame Sporttrei-
ben entfalten können, haben wir nicht zuletzt bei den
Paralympics in London 2012 beobachten können.

Es geht dabei aber nicht immer nur um den Spitzen-
sport von Menschen mit Behinderungen, sondern auch
um die lokalen Sport- und Bewegungsmöglichkeiten
des Breitensports für jeden Einzelnen. Damit dies um-
setzbar ist, benötigen wir in Deutschland qualifizierte
Übungsleiter, Trainer, Sportlehrer und Sporttreibende,
die den örtlichen Anforderungen und persönlichen
Bedürfnissen gerecht werden. Der Gesprächskreis
Sport der CDU Deutschlands hat sich vor wenigen
Wochen mit diesem Thema tiefer gehend befasst und
dabei zusammen mit verschiedenen Experten und
Verbänden zielführende Strategien und innovative
Lösungsansätze formuliert. Der Sanierungs- und
Modernisierungsbedarf von vielen Sportstätten in
Deutschland ist ebenfalls anzusprechen.

Wie es nicht selten in politischen Diskussionen der
Fall ist, stimmen wir bei der Feststellung der gesell-
schaftspolitischen Probleme und Herausforderungen
überein. Ein deutlicher Unterschied zeigt sich jedoch
bei den Lösungsansätzen und der Kompetenz, diese
auch zu verwirklichen: Der Antrag der Fraktion Die
Linke greift mit der Forderung nach einem eigenstän-
digen Sportministerium einen alten Vorschlag der
sportpolitischen Diskussion auf. Gleichwohl besteht
seit langem Konsens, dass mit einer Auslagerung aus
dem Bundesministerium des Innern, BMI, ein deutli-
cher Bedeutungsverlust des Sports einhergehen würde.
Indes zeigt die Abteilung „Sport“ im Bundesministe-
rium des Innern mit den einzelnen, gutaufgestellten
Referaten, wie mit effektiven Strukturen und engagier-
ten Mitarbeitern der Sport in Deutschland vorange-
bracht werden kann. Die Arbeit und das Engagement
der Mitarbeiter der Abteilung „Sport“ und an der
Spitze natürlich unseres Bundesinnenministers sei an
dieser Stelle ausdrücklich gewürdigt. Im Blick auf eine
erfolgreiche Haushaltskonsolidierung, das Prinzip von
möglichst schlanken, unbürokratischen Strukturen
sowie eine starke Förderung des Sports selbst lehnen
wir die Forderung bezüglich der Einrichtung eines ei-
genständigen Sportministeriums ab.

Sosehr ich die Bedeutung des Schulsports eingangs
betont habe, muss andererseits die Kritik an den
Vorschlägen der Fraktion Die Linke diesbezüglich so
ausfallen: Die in dem Antrag genannten Forderungen
verstoßen allesamt gegen eine Vielzahl an zuwen-
dungsrechtlichen Bestimmungen sowie gegen die
grundsätzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund
und Ländern im Sport. Hiernach ist der Bund aus-
schließlich für die Förderung des Spitzensports und
sind die Bundesländer für die Förderung des Breiten-
sports zuständig. Ich will an dieser Stelle nicht die im





Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)


Bildungsbereich seit langem geführte Diskussion um
Kompetenzbereiche eröffnen, sondern lediglich auf
diese verweisen. Dies schließt die Forderungspunkte
bezüglich des Schulsports ausdrücklich ein und heißt
schließlich, dass Bund und Länder sich ressort- und
ebenenübergreifend künftig noch stärker gemeinsam
für den Sport einsetzen. Dafür bedarf es nicht einer
einseitigen Beschneidung der Kompetenzen der Bun-
desländer im Sport.

Der Antrag „Sportförderung neu denken – Struktu-
ren verändern“ der Fraktion Die Linke missachtet
ebenso die unterschiedlichen Kompetenzen und
Zuständigkeiten hinsichtlich der Sportstätten. Bei den
lokalen Sportstätten ist nicht der Bund, sondern sind
die Kommunen und die Länder zuständig. Die Sport-
stätten des Spitzensports entsprechen weitestgehend
den Anforderungen und der Art der Nutzung von be-
hinderten Athletinnen und Athleten. Im Rahmen des
Konjunkturpaketes II hat der Bund (2009/2010) sich
mit circa 1 Milliarde Euro für eine Modernisierung der
lokalen Sportinfrastruktur kraftvoll eingesetzt. Künftig
sind hinsichtlich des Erhalts, der Sanierung und des
Baus von Sportanlagen jedoch weitere wichtige Fakto-
ren zu beachten, wie beispielsweise der demografische
Übergang, die Urbanisierung oder die sich wandelnde
Sportnachfrage. Auch müssen Fragen der Finanzie-
rung und der Auslastung von Sportanlagen geklärt
werden, damit Kommunen oder Sportvereine nicht an
dem eigentlichen Bedarf vorbei planen und bauen. Wie
gesagt, dies sind allgemeine Voraussetzungen für ei-
nen nachhaltigen und verantwortlichen Sportstätten-
bau in Deutschland. Die CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion hat sich deshalb dafür eingesetzt, dass der
Sportausschuss des Deutschen Bundestages sich im
kommenden Jahr 2013 hiermit tiefer gehend beschäfti-
gen wird.

Der Deutsche Behindertensportverband, DBS, setzt
sich bereits für diverse Qualifizierungsmaßnahmen
von Trainern, Übungsleitern und Lehrkräften ein. Die
Bundes-Bildungs-Konferenzen des DBS verdeutlichen
dies auf übergeordneter Ebene. Trotz der beachtlichen
Initiativen des DBS und des zu würdigenden Engage-
ments der Involvierten stehen wir beim Thema Inklu-
sion und der Qualifizierung von verschiedensten
Personenkreisen erst am Anfang eines langen Weges.
Hierbei werden wir den DBS sowie seine Mitgliedsver-
bände kraftvoll unterstützen und begleiten sowie auf
verschiedenen Ebenen uns für die Sache starkmachen.
Ungeachtet der zuwendungsrechtlichen Fehler und
der Missachtung von Zuständigkeiten in dem Antrag
der Fraktion Die Linke sollten wir die einzelnen
Aspekte und sportfachlichen Ziele in der weiteren Dis-
kussion im Sportausschuss aufgreifen und diskutieren.

In Analogie zum Titel des Antrags sei abschließend
gesagt: Um den Sport in Deutschland weiter voran-
zubringen, müssen wir die Sportförderung nicht neu
denken oder alle Strukturen verändern, sondern uns
weiterhin für die Inhalte gemeinsam und ebenenüber-
greifend einsetzen.


Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1721148400

Ich muss offen und ehrlich zugeben, dass ich mit

dem Titel des Antrags der Fraktion Die Linke grund-
sätzlich übereinstimmen kann, zumindest ohne den da-
zugehörenden Antrag. Nachdem ich den Antrag jedoch
gelesen habe, war mir klar, dass der Titel wohl eher
hätte lauten müssen: „Sportförderung und Föderalis-
mus auf den Kopf stellen – planwirtschaftliche Struktu-
ren wieder einführen.“

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Fraktion Die Linke, der Titel Ihres Antrags findet
Anerkennung, der Inhalt jedoch Ablehnung bei mir
und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und deswegen
werden wir ihn auch ablehnen, und ich werde Ihnen
das auch begründen.

Grundsätzlich gesagt hat Ihr Antrag mit den derzei-
tigen Zuständigkeiten und Realitäten der deutschen
Sportpolitik absolut nichts zu tun. Als ob das noch
nicht genug wäre, greifen Sie mit Ihrem Wunschzettel
auch noch in die Autonomie des Sports ein.

Gleich zu Beginn Ihres Antrags kritisieren Sie die
Verteilung der Sportfördermittel als „intransparent
und nicht nachvollziehbar“. Da wundere ich mich
doch schon ein wenig; denn Sie waren doch auch im
Sportausschuss dabei, als wir in den vergangenen Wo-
chen, während der Haushaltsberatungen, die Mittel,
die der Bund für den Sport jährlich veranschlagt, in
mehreren Sitzungen beraten haben. Diesen Bundes-
haushalt haben wir im Übrigen nicht nur im Sportaus-
schuss, sondern in allen Ausschüssen und natürlich
auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages be-
raten und beschlossen. Von Intransparenz und man-
gelnder Nachvollziehbarkeit kann also keine Rede
sein.

Im gleichen Abschnitt wärmen Sie das Thema der
sagenumwobenen Zielvereinbarungen des Deutschen
Olympischen Sportbundes mit den einzelnen Sport-
fachverbänden wieder auf und behaupten, dass sich
dieses System in seiner bisherigen Form nicht bewährt
habe. Da frage ich mich doch: Woher wissen Sie das?

Natürlich hat es in diesem Jahr viel Kritik an den
erstmals in diesem Sommer veröffentlichten Zielver-
einbarungen gegeben, sowohl berechtigte wie auch
unberechtigte. Zwei Dinge müssen wir aber hier in al-
ler Klarheit sagen: Zum einen fallen die Zielvereinba-
rungen in die Autonomie des Sports, und zum anderen
kann niemand behaupten, dass sie sich nicht bewährt
hätten; denn es gibt kein alternatives System der Ver-
teilung von Fördergeldern innerhalb des Dachverban-
des des Sports, dem DOSB, und seinen Mitgliedsver-
bänden.

Kritik an den Zielvereinbarungen kann nicht kons-
truktiv sein, wenn diese grundsätzlich infrage gestellt
werden. Ich bin mir sicher, dass der DOSB konstrukti-
ven Vorschlägen zu einer Verbesserung dieses Instru-
ments immer aufgeschlossen gegenübersteht, und so
sollten wir es dann auch halten.

Zu Protokoll gegebene Reden





Eberhard Gienger


(A) (C)



(D)(B)


Einen konkreten Vorschlag, wie die Mittel in Zu-
kunft verteilt werden sollen und von wem, bleiben Sie
im Übrigen schuldig. Mehr als ungenaue Andeutungen
kann ich in Ihrem Antrag nicht erkennen. In jedem Fall
ist das System der Zielvereinbarungen dem Vorgänger-
system überlegen.

Es geht nur zusammen mit dem Sport und nicht ein-
fach ohne ihn. Die Autonomie des Sports ist ein hohes
Gut, und wir sollten es als Sportpolitiker schützen und
nicht durch die von Ihnen aufgestellten Forderungen
infrage stellen.

Das nächste Thema Ihres Antrags ist dann die Bil-
dungspolitik und das durch die Föderalismusreform
ausgehandelte Kooperationsverbot für Bund und Län-
der. Hier kritisieren Sie sich daraus angeblich erge-
bende nachteilige Auswirkungen auf die Nachwuchs-
findung und Nachwuchsförderung. Sie fordern daher
ein einheitliches Sportförderkonzept von Bund und
Ländern.

Ich frage Sie: Wo kommen da die Sportvereine und
Verbände vor? Ihnen obliegt die Nachwuchsförderung,
aber in Ihrem Antrag steht nichts davon. Bedeutet das
nun, dass Sie ein staatliches Förderprogramm haben
wollen, indem der Staat die Aufgaben der Sportvereine
übernimmt? Ich hoffe, dass Sie mit dieser Forderung
die Autonomie des Sports nicht ebenso verletzen wol-
len wie bei Ihrer ersten von mir erwähnten Forderung.

Den nächsten Punkt möchte ich an dieser Stelle be-
sonders hervorheben; denn er ist meiner Meinung
nach der negative Tiefpunkt Ihres Antrags. Er betrifft
die Spitzensportförderung des Bundes. Hier behaupten
Sie allen Ernstes, dass Athletinnen und Athleten sich
„aus der Not heraus“ für eine Laufbahn bei der Bun-
deswehr, der Bundespolizei oder dem Zoll entscheiden
müssten. Die Sportlerinnen und Sportler möchte ich
sehen, die gezwungen worden sind, in eine Sportför-
dergruppe zu gehen, weil sie ihren Sport sonst nicht
hätten ausüben können! Mir jedenfalls sind solche
Sportler noch nicht begegnet.

Ferner schreiben Sie, dass „gerade die Bundeswehr
im Anschluss an die sportliche Karriere auch keine
ausreichenden beruflichen Perspektiven“ bieten
würde. Hierbei blenden Sie aus, dass es gerade die
Stärke der Sportfördergruppe ist, dass die Athletinnen
und Athleten immer die Möglichkeit haben, ihren regu-
lären Dienst wieder aufzunehmen, und die Athletinnen
und Athleten – insbesondere bei der Bundeswehr –
während und nach ihrer Dienstzeit immer die Chance
haben, sich beruflich weiterzubilden, was von der Bun-
deswehr finanziert wird. So stehen sie nach einem Aus-
scheiden aus dem Dienst eben nicht mit leeren Händen
da.

Ob Sie, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle-
gen der Linken, diese Tatsachen einfach ignorieren
wollen oder vergessen haben, weiß ich nicht, aber un-
sere erfolgreichen Bemühungen zur Stärkung der dua-
len Karriere sollten Sie sich vielleicht noch mal anse-

hen, bevor Sie sie in einem solchen Antrag einfach
außer Acht lassen.

Nachdem ich Ihnen aufgezeigt habe, dass die von
Ihnen aufgestellten Forderungen mit der sportpoliti-
schen Realität in Deutschland wenig bis gar nichts zu
tun haben, habe ich dann doch noch zumindest einen
Satz gefunden, den meine Fraktion und ich mehr oder
weniger mittragen können. „Der Sport von Menschen
mit Behinderung ist grundsätzlich nach den gleichen
Kriterien zu fördern wie der Sport von Menschen ohne
Behinderung.“ Diesen Satz können wir, kann auch ich
im Großen und Ganzen mittragen – jedenfalls mehr als
den Rest Ihres Antrags.

Bevor wir jetzt aber von zu viel Annäherung unserer
Positionen sprechen, muss ich Ihnen sagen, dass wir
jetzt – unter Berücksichtigung genau dieses Satzes –
nochmals auf den von mir angesprochenen Tiefpunkt
Ihres Antrags zu sprechen kommen. Dabei kritisieren
Sie das System der Sportfördergruppen stark. Genau
dieses System ist aber eine große Chance für Men-
schen mit Behinderungen, die im Leistungssport aktiv
sind. Wir haben bei den Bundesbehörden neue Stellen
geschaffen, damit hier ein Schritt zu mehr Gleichbe-
handlung von Menschen mit und Menschen ohne Be-
hinderung vorangetrieben werden kann. Dieses System
dann in dem gleichen Antrag so zu kritisieren, lässt Ih-
ren Wunsch nach Gleichbehandlung aber gleichzeitig
verblassen. Das sollten Sie auch im Auge behalten,
wenn Sie diese Förderprogramme so sehr kritisieren.

Zum Schluss Ihres Antrags finden sich dann fünf
Forderungen an die Bundesregierung, von denen ich
einige hier ebenfalls noch kurz aufgreifen möchte;
denn unkommentiert können wir sie so nicht stehen
lassen.

Sie fordern die Einrichtung eines Sportministeriums
und meinen, dass sich die Mittelvergabe des Bundes
dann transparenter gestalten würde. Dazu möchte ich
Ihnen wiederum zwei Dinge mit auf den Weg geben.

Zum einen ist der Bundesinnenminister bereits ver-
antwortlich für den Sport, und der Sport ist dadurch in
einem starken Ministerium beheimatet. Der Minister,
sein zuständiger Staatssekretär und alle im Ministe-
rium für den Sport zuständigen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter nehmen diese Verantwortung ernst und
füllen ihre Aufgaben für den Sport sehr gut aus. Ein zu-
sätzliches Ministerium würde – außer mehr Kosten für
Bürokratie – daran nichts ändern.

Zum anderen hatte ich ja bereits zu Beginn meiner
Rede gesagt, dass die derzeitige Mittelvergabe des
Bundes an den Sport ausreichend transparent geregelt
ist. Wenn das in Ausnahmefällen nicht der Fall sein
sollte, dann bin ich mir sicher, dass das zuständige
Ministerium gerne für Aufklärung sorgt. Zu erinnern
ist hier auch nochmals daran, dass der Bund zwar die
Mittel kontrolliert, die er an den Sport übergibt, aber
nicht dafür zuständig ist, wie die autonom handelnden
Dachverbände des Sports die Aufteilung der ihnen zur

Zu Protokoll gegebene Reden





Eberhard Gienger


(A) (C)



(D)(B)


Verfügung gestellten Mittel regeln. Das fällt in die Au-
tonomie des Sports.

Dann plädieren Sie noch für die Aufhebung des Ko-
operationsverbots, und zwar mit der Begründung, dass
Schulwechsel erleichtert werden müssten, die einer
sportlichen Karriere sonst im Wege stehen könnten.
Auch wenn ich es bereits gesagt hatte, so wiederhole
ich mich doch gerne; es sind die Sportvereine, die der
Motor einer sportlichen Karriere sind, und nicht die
viel zu seltenen Sportstunden im Schulunterricht. Da-
ran würde auch eine Vereinheitlichung des Schulsys-
tems nichts ändern, wofür wir im Bund im Übrigen
auch gar keine Kompetenz haben.

Der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht es um die
Förderung des Spitzensports und Hilfen für die Sport-
vereine, wie das sich gerade in den Beratungen befind-
liche Gemeinnützigkeitsstärkungsgesetz beweist. Wir
unterstützen dort, wo wir zuständig sind. Diese Ziele
verfolgen wir kontinuierlich und fordern keine staatli-
che Talentfindung und Talentförderung.

Es ist mir ein Anliegen, nochmals ein paar grundle-
gende Tatsachen dazu festzuhalten, wie die Förderung
des Sports in Deutschland geregelt ist und welche
Rolle insbesondere der Bund darin spielt.

Den über 27 Millionen Menschen in unserem Land,
die in einem Verein oder Verband eine Mitgliedschaft
haben, wird ein grundrechtlich abgesicherter Frei-
raum gewährt. Die sich daraus ergebende Stärke des
deutschen Sports liegt darin, dass er sich selbst orga-
nisiert. Er regelt seine Interessen in eigener Verant-
wortung und wird dabei vom Bund unterstützt. Diese
Autonomie des Sports ist ein hohes Gut, und wir soll-
ten nicht versuchen, dieses auszuhebeln. Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion wird auch weiter an der Au-
tonomie des Sports festhalten und diese nicht infrage
stellen.

Nur die bestehende vertrauensvolle und aufeinander
abgestimmte Kooperation zwischen dem Dachverband
des Sports, dem DOSB, und dem Bund garantiert unse-
ren Erfolg bei der Sportförderung und auch bei Sport-
großveranstaltungen, wie Weltmeisterschaften oder
Olympischen Spielen. Natürlich haben wir ein großes
Interesse daran, dass deutsche Athletinnen und Athle-
ten auch in Zukunft bei internationalen Sportveranstal-
tungen gut abschneiden. Aus diesem Grund beteiligen
sich der Bund und andere an den Kosten der Vorberei-
tung und Entsendung der Mannschaften, aber für die
Umsetzung ist der Sport eigenverantwortlich und nicht
der Staat. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so
bleibt.

Ihren Antrag können wir daher nicht unterstützen
und werden ihn ablehnen. Wir wenden uns gegen eine
vollständige Verstaatlichung des Sports. Wir sehen die
Förderung des Sports in Deutschland auf einem guten
Weg und werden auch in Zukunft die Weiterentwick-
lung dieses Konzepts zusammen mit den Fachverbän-
den des Sports machen und nicht ohne oder gar gegen
sie.


Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1721148500

Als ich den Titel des Antrags der Linken gelesen

habe, war ich sehr gespannt: „Sportförderung neu
denken – Strukturen verändern“, das hört sich interes-
sant an, und wir sind gespannt, was sich die Kollegin-
nen und Kollegen überlegt haben. Leider muss ich
nach der Lektüre des Antrags sagen: Viel überlegt
haben Sie sich da nicht.

Natürlich haben wir im föderalen System in man-
chen Sportarten große Probleme, da die Vereinbarkeit
von Schule und Ausbildung mit Spitzensport nur über
eine enge Kooperation mit den Schulen geht. Und na-
türlich haben Sie recht, wenn Sie schreiben, dass das
Kooperationsverbot hier und da ein großes Hindernis
für unsere jungen Nachwuchssportlerinnen und Nach-
wuchssportler ist.

Aber: Sie müssen doch zunächst eine Grundlage für
Ihre Forderungen schaffen. Oder, um es in Ihrer Termi-
nologie auszudrücken: Man muss die Sportpolitik vom
Kopf auf die Füße stellen. Und das fängt mit der Auf-
nahme von Sport ins Grundgesetz an. Denn mit der
Aufnahme des Sports als Staatsziel kann der Bund
seine Kompetenz im Bereich des Sports deutlich besser
auf ungeschriebene Gesetzgebungs- und Verwaltungs-
zuständigkeiten aus der Natur der Sache oder kraft
Sachzusammenhangs gründen, wie es im 12. Sport-
bericht der Bundesregierung zutreffend heißt. Solange
wir den Sport nicht ins Grundgesetz aufnehmen, kann
der Bund kaum eine der von Ihnen geforderten Aufga-
ben übernehmen. Insofern fehlt es Ihrem Antrag an der
grundlegenden Basis für alle weiteren Forderungen,
die Sie hier heute stellen.

Der organisierte Sport und die SPD-Bundestags-
fraktion kämpfen seit vielen Jahren dafür, dass Sport
als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen wird und
dadurch eine grundgesetzliche Kompetenz des Bundes
für den Sport geschaffen wird. Wenn dies gelingt,
könnten wir besser über die Verzahnung der Förde-
rung von Breiten- und Nachwuchssport mit dem
Spitzensport nachdenken. Insofern bauen Sie von der
Linken Ihre Forderungen auf Sand. Die Aufnahme von
Sport ins Grundgesetz wäre der erste Schritt vor allen
anderen.

Wir werden im Sportausschuss noch hinreichend
Gelegenheit haben, miteinander Ihren Antrag zu dis-
kutieren. Daher will ich für die SPD-Fraktion nur
stichwortartig unsere Bedenken skizzieren: Zunächst
zu den berühmt-berüchtigten Zielvereinbarungen. Sie
schreiben: „Das Instrument der Zielvereinbarungen
hat sich in seiner bisherigen Form nicht bewährt.“ Ge-
nau das wissen wir ja nicht. Das ist doch das Problem
an den Zielvereinbarungen. Die Präsidenten der olym-
pischen Verbände haben zum Teil durchaus Sympathie
für dieses Instrument geäußert. Und kaum jemand be-
streitet, dass die Zielvereinbarungen auf jeden Fall
besser geeignet sind als die vorherige Förderung nach
dem Gießkannen-Prinzip. Das Problem ist nur, dass
wir als Haushaltsgesetzgeber diese Zielvereinbarun-
gen nicht kennen und uns deshalb kein Bild über die

Zu Protokoll gegebene Reden





Martin Gerster


(A) (C)



(D)(B)


Effektivität des Instruments machen können. Insofern
sind Sie mit Ihrer Schlussfolgerung etwas schnell bei
der Hand – auch wenn wir uns in der Kritik einig sind.

Zu Ihren etwas diffusen Forderungen zur Aufhe-
bung des Kooperationsverbots in der Bildung und der
Aufhebung der Kompetenzverteilung zwischen Bund
und Ländern: Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollen
den kooperativen Bildungsföderalismus stärken und
die Zusammenarbeit von Bund und Ländern zur
Verbesserung des Bildungswesens fördern, indem wir
einen neuen Art. 104 c in das Grundgesetz einfügen.
Damit würden dauerhafte Finanzhilfen des Bundes für
Bildung ermöglicht, ohne die Bildungshoheit der
Länder einzuschränken.

In Ihren Forderungen beschäftigen Sie sich in den
Nrn. 2, 3 und 4 mit dem Verhältnis der Sportförderung
von Bund und Ländern. Dabei ist vielleicht etwas
durcheinander geraten. Im Einzelnen möchte ich hier
kurz ansprechen:

Unter Nr. 2 fordern Sie, das Kooperationsverbot
aufzuheben, um den Schulsport einheitlich zu qualifi-
zieren und Schulwechsel zu ermöglichen. Das geht et-
was am Problem vorbei, denn nicht der Schulwechsel
ist das gravierendste Problem, sondern die Vereinbar-
keit von sportlicher und schulischer Ausbildung.

Unter Nr. 3 fordern Sie, dass Bund und Länder die
Talentsichtung in gemeinsamer Verantwortung wahr-
nehmen. Ich muss Ihnen sagen: Da klingeln bei mir die
Ohren. Denn wir wollen keinen Staatssport haben. Für
die Talentförderung und Talentsichtung sind die Sport-
fachverbände zuständig, und das ist auch gut so. Von
Staatssport haben wir in diesem Land genug!

Und schließlich fordern Sie unter Punkt 4 eine exis-
tenzsichernde Tätigkeit der hauptamtlichen Trainerin-
nen und Trainer. Ich glaube, Sie meinen eine existenz-
sichernde Bezahlung der hauptamtlichen Trainerinnen
und Trainer. Das würde Sinn ergeben und deckt sich
mit den Vorschlägen der SPD, zunächst den Trainer-
beruf besser zu bezahlen und erst dann über Prämien
nachzudenken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, gut
gemeint ist noch nicht gut gemacht. Ihrem Antrag fehlt
es an Substanz. Ich bin auf die Diskussionen im
Ausschuss gespannt.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1721148600

Der Sport und seine zahlreichen segensreichen Wir-

kungen liegen uns allen am Herzen. Deshalb begrüße
ich auch jeden Denkanstoß, der dazu führt, dass wir
diskutieren, wie wir noch mehr Menschen für Sport be-
geistern können. Denn meiner Meinung nach wissen
diejenigen, die nichts mit Sport am Hut haben, gar
nicht, was sie verpassen.

Aber: Ich bin Liberaler. Die Freiheit ist für mich das
höchste Gut. Daher werde ich niemanden zwingen
oder durch aufwendige Indoktrination dahin gehend

manipulieren, sich sportlich zu betätigen. Für Winston
Churchill galt „No sports“ als erfolgreiches Rezept,
um ein möglichst hohes Alter zu erreichen. Auch das
muss man akzeptieren.

Aus dieser Perspektive gruselt es mich – einmal
mehr – bei der Lektüre Ihres Antrags, liebe Kollegen
der Fraktion Die Linke. Ihnen schwebt die vollstän-
dige Erfassung aller Menschen unserer Gesellschaft
unter das Diktat Ihrer kollektivistischen Zielvorstel-
lungen vor. Sportförderung flächendeckend von der
Wiege bis zur Bahre – es gibt kein Entkommen. Das
kann doch keiner wollen!

Um ihre Ziele zu bewerkstelligen und – das ist der
Kracher! – bürokratische Hürden abzubauen, schla-
gen Sie als Erstes die Einrichtung eines Sportministe-
riums vor. Ich wüsste nicht, wann die Einrichtung ei-
nes neuen Ministeriums jemals zu weniger Bürokratie
geführt hätte. Das ist so falsch, dass man so etwas
auch einmal ganz offen als Murks bezeichnen muss.

Weiter geht’s mit der Aufhebung des Kooperations-
verbotes. Liebe Kollegen, das gibt es aus gutem
Grund. Wir wollen, dass die Länder auch weiterhin
über die alleinige Gesetzgebungskompetenz im Be-
reich der Bildung und damit im Bereich des Sports ver-
fügen. Nur so sind wir in der komfortablen Lage, dass
wir in Deutschland über eine vielfältige Bildungsland-
schaft verfügen und diese weiterentwickeln, statt sie
durch realitätsferne, zentralstaatliche Vorgaben zu er-
sticken. Sollte das Kooperationsverbot je gelockert
werden, dann nur, wenn sichergestellt ist, dass es beim
Bildungsföderalismus bleibt.

Außerdem wollen Sie auch die Aufhebung der Kom-
petenzteilung zwischen Bund und Ländern in allen an-
deren denkbaren sportlichen Fragestellungen. Ihr An-
trag trägt im Titel den Slogan „Sportförderung neu
denken“. – Ich frage mich: Haben Sie hier überhaupt
irgendetwas durchdacht? Oder haben Sie einfach zu-
fällig gewählte Worte aneinandergereiht? Was soll die
Aufhebung der Kompetenzteilung denn konkret bewir-
ken? Wäre damit irgendwas erreicht? Irgendetwas
praktisch verbessert? Nun ja, Papier ist geduldig.

Auch die Entwicklung einer flächendeckenden qua-
lifizierten Übungsleiter- und Trainerausbildung steht
auf Ihrem Wunschzettel. Wo ist da die Effizienz? Es
mag einige Punkte in unserer Sportförderpraxis geben,
die es zu optimieren gilt, aber die Konzentration der
Sportförderung auf bestimmte Leistungszentren und
Förderstützpunkte gehört mit Sicherheit nicht dazu.

Schließlich wollen Sie auch darauf hinwirken, dass
alle Sportstätten in Deutschland in einen barriere-
freien Zustand versetzt werden. Liebe Kollegen von der
Linken: Das wird doch Schritt für Schritt unternom-
men. Dafür brauchen wir Ihr „Hinwirken“ nun wirk-
lich nicht.

Aus all diesen Gründen lehnen wir den Antrag ab.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721148700

„Um der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports

auch politisch gerecht zu werden, braucht der Sport
ein eigenes Sportministerium.“ Dies ist nicht nur eine
der Forderungen unseres Antrags, der heute behandelt
wird, sondern eine Forderung, die auch der ehemalige
Tennisprofi Michael Stich, der unter anderem das
Turnier von Wimbledon und eine Goldmedaille bei den
Olympischen Spielen in Barcelona gewann, kürzlich in
einem Interview geäußert hat.

Nach unserem Verständnis von Sport muss dieser in
seiner Gesamtheit begriffen werden. Er umfasst Brei-
ten-, Leistungs-, Gesundheits- und Schulsport, und alle
diese Bereiche stehen in einem wechselseitigen Ver-
hältnis zueinander. Diese Wechselbeziehung muss ent-
sprechend gewürdigt werden, damit sich die positiven
Funktionen des Sports auch in der Gesellschaft aus-
wirken können. Ein eigenständiges Sportministerium
könnte dieser Aufgabe gerecht werden, indem es die
sportpolitischen Querschnittsaufgaben ohne Kompe-
tenzgerangel bündelt. Derzeit sind die Sportfördermit-
tel in neun Einzelplänen des Haushalts verteilt. Für
mich als Mitglied des Sportausschusses ist es absolut
inakzeptabel, dass die Vertreterinnen und Vertreter der
einzelnen Ressorts in den Haushaltsberatungen häufig
keine aussagekräftigen Informationen geben können
und die Zielvereinbarungen zwischen BMI und DOSB
erst durch den Druck von Journalisten im Rahmen ei-
nes Gerichtsverfahrens teilweise öffentlich gemacht
werden.

Das Fördersystem ist auch für sportpolitisch Inte-
ressierte nur schwer zu verstehen und in seiner Ge-
samtheit intransparent. Das führt häufig dazu, dass die
Beantragung von Sportfördermitteln mit hohen büro-
kratischen Hürden verbunden ist und die eine Hand
nicht weiß, was die andere macht. Durch eine Konzen-
tration der Kräfte und Fördermittel könnte das System
der Sportförderung transparenter und effizienter ge-
staltet werden.

Die Debatte um die Sportförderung in Deutschland
ist nach den diesjährigen Olympischen und Paralym-
pischen Spielen in London voll entbrannt, und es ist an
der Zeit, althergebrachte Strukturen auf den Prüfstand
zu stellen. Wir müssen nun unserer Verantwortung
nachkommen und den Worten auch Taten folgen lassen
und den Weg für notwendige Veränderungen bereiten!

Sport kann in die Gesellschaft wirken. Dies kann er
aber nur, wenn alle einen Zugang zum Sport haben,
wenn alle ihren Fähigkeiten und Wünschen entspre-
chend Sport treiben können und den Menschen die
große Bedeutung des Sports vermittelt wird. Die
Bevölkerung muss mitgenommen werden. Nur so kann
jeder für sich erkennen, wie wichtig Bewegung und
Sport für ein gesundes Leben sind. Und nur so ent-
scheiden sich junge Talente für eine anspruchsvolle
Laufbahn im Spitzensport. Wenn sich die Gesellschaft
mit dem Sport identifizieren kann und ihr dessen Werte
bewusst sind, wird es künftig auch leichter möglich

sein, Olympische und Paralympische Spiele in
Deutschland auszutragen.

Dafür ist es jedoch auch dringend notwendig, dass
Bund, Länder und Kommunen eine umfassende Sport-
und Bewegungsförderung vom frühkindlichen Alter
über den Kinder-, Jugend- und Breitensport hinaus in
gemeinsamer Verantwortung wahrnehmen. Es kann
nicht sein, dass eine umfassende Förderung den Zwän-
gen des föderalen Systems zum Opfer fällt und die
Möglichkeit sportlicher Betätigung davon abhängig
ist, in welchem Bundesland oder in welcher Kommune
man lebt. An dieser Stelle muss auch erwähnt werden,
dass es zwingend erforderlich ist, die Situation der
Sportstätten in Deutschland zu überprüfen. Eine
Vielzahl von ihnen ist in einem maroden Zustand und
muss dringend saniert werden. Der Sanierungsstau
wird immerhin auf 42 Milliarden Euro geschätzt, und
diese Zahl ist bereits einige Jahre alt. Bei der Instand-
setzung muss unter anderem auf Barrierefreiheit sowie
die Einhaltung energetischer Standards geachtet wer-
den. Hier steckt auch ein enormes Sparpotenzial.

Ein weiterer wichtiger Pfeiler des deutschen Sport-
systems ist der Nachwuchs. Es wird sehr oft das Fehlen
des sportlichen Nachwuchses beklagt. Dies hat vielfäl-
tige Gründe! Zum Teil kommen viele Kinder gar nicht
mehr mit den Freuden des Sports in Berührung.
Der Schulsport, der für viele die erste sportliche An-
laufstelle ist, fällt häufig aus oder ist qualitativ nicht
ansprechend. Hier müssen bundesweit einheitliche
Standards her, damit alle Schulkinder unter
gleichen Bedingungen Sport treiben können und auch
ein Schulwechsel keine Auswirkungen auf den sportli-
chen Weg hat. Außerdem müssen die Sportlehrerinnen
und -lehrer regelmäßig weitergebildet werden, damit
sie einen ansprechenden Sportunterricht durchführen
können und auch in der Lage sind, sportliche Talente
zu erkennen und diese an einen speziellen Sportverein
weiterzuempfehlen. Ebenso muss geklärt werden, wie
sichergestellt werden kann, dass Kinder und Jugend-
liche mit einer Behinderung entsprechend ihrem sport-
lichen Talent Sport treiben können und nicht pauschal
eine Sportbefreiung erhalten oder zum Schwimmen
geschickt werden.

Von ebenso großer Bedeutung für die Nachwuchs-
gewinnung sind natürlich auch die Trainerinnen und
Trainer sowie die Übungsleiterinnen und Übungs-
leiter. Sie müssen umfassend aus- und weitergebildet
werden, und vor allem müssen sie eine existenzsi-
chernde und faire Vergütung für ihre Arbeit erhalten.
Wenn man die Arbeit der Trainerinnen und Trainer
nicht angemessen wertschätzt, muss man sich nicht
wundern, wenn diese auf der Suche nach mehr
Anerkennung das Land verlassen und der Nachwuchs
trainerlos zurückbleibt.

Ich habe Ihnen nur einige Baustellen in der deut-
schen Sportlandschaft aufgezeigt. Aber glauben Sie
mir, es gibt wesentlich mehr, und mit jedem Tag des
Nichtstuns werden die Probleme drängender. Sicher-
lich, die Ergebnisse der Olympischen und insbeson-

Zu Protokoll gegebene Reden





Katrin Kunert


(A) (C)



(D)(B)


dere der Paralympischen Spiele können sich sehen las-
sen, und wir können stolz auf unsere Teams sein. Aber
es gibt keinen Automatismus und keine Garantie, dass
es auch in Zukunft so weitergeht. Wir haben gemein-
sam gejubelt. Lassen Sie uns nun auch gemeinsam et-
was für den Sport tun. Ich bitte Sie daher um Zustim-
mung zu unserem Antrag.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich mit einigen Bemerkungen zu ak-
tuellen Fragen der Sportförderung beginnen. In der
letzten Woche wurde der Bundeshaushalt 2013 verab-
schiedet. Er sieht eine Gesamtsportförderung von rund
250 Millionen Euro aus neun verschiedenen Bundes-
ministerien vor. Aus unserer Sicht steckt jedoch beson-
ders die Spitzensportförderung des Bundesinnenminis-
teriums voller Widersprüche.

Denn seit Olympia in London findet eine Debatte in-
nerhalb des Sports um die Grundsätze der Spitzen-
sportförderung statt. Es liegen interessante Anträge
vom Deutschen Tischtennisbund (DTTB) oder auch
vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vor.
Auch die Athletenvertreterinnen und -vertreter haben
diskutiert. Diese Debatte ist im Sport noch nicht abge-
schlossen. Jetzt müsste daher der richtige Zeitpunkt
sein, dass auch wir in der Sportpolitik die notwendigen
Schlussfolgerungen ziehen.

Aber: Schwarz-Gelb ignoriert diesen Sachverhalt
komplett und handelt nach dem Motto „Unbeirrt wei-
ter so!“. Die Regierungskoalition sattelt sogar noch
drauf: 1 Million Euro mehr für die Olympiastützpunkte
und 1 Million Euro mehr für die Verbandslehrgänge,
obwohl es für beides in einem Nach-Olympia-Jahr
keine sportfachliche Notwendigkeit gibt. Die bestehen-
den Probleme von fehlenden Synergieeffekten und vor-
handenen Doppelstrukturen werden mit Geld zuge-
kleistert. Stattdessen kürzen Sie bei den Trainerinnen
und Trainern um 1 Million Euro, also in einem Be-
reich, wo die Förderung dringend gebraucht wird.

Wer sich die Entwicklung der Spitzensportförderung
für Verbände, Olympiastützpunkte und Leistungssport-
personal seit 2007 genauer ansieht, der muss feststel-
len, dass es hier eine Abkoppelung vom Erfordernis
der Haushaltskonsolidierung gibt:

Wir haben bei den zentralen Maßnahmen einen
Aufwuchs um über 30 Prozent gesehen. Im Jahr 2007
waren noch 72 Millionen Euro veranschlagt. Für das
Jahr 2013 sind dagegen schon 95 Millionen Euro
vorgesehen.

In der Sportpolitik wurde bisher bedauerlicher-
weise keine kritische Debatte geführt über die Notwen-
digkeit einer Förderung von überteuerten Sportarten
wie Bob, Rodeln oder Skispringen oder auch von mit-
gliederschwachen Sportarten wie Eisschnelllauf.

Um es klar zu sagen: Wir Grüne wenden uns nicht
gegen die Ausübung dieser Sportarten. Wir erkennen
die Leistungen der Sportlerinnen und Sportler durch-

aus an. Aber wir kritisieren die fehlende Breitensport-
wirkung, und daher kann aus unserer Sicht die finan-
zielle Förderung durch den Bund nicht so weiterlaufen
wie bisher.

Unser Vorschlag: Wenn der Sport diese Sportarten
weiter als Aushängeschild hervorheben möchte, dann
sollte er die Skischanzen von Garmisch-Partenkir-
chen, Oberhof und Schonach selbst finanzieren oder
einen angemessenen Eigenbeitrag leisten. Gleiches
gilt für die vier Bob- oder Rodelbahnen in Deutsch-
land, also Winterberg, Königssee, Altenberg und
Oberhof. Im internationalen Wettbewerb werden wir
mit dieser staatlichen Gießkannenförderung nicht wei-
terkommen. Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit,
bis auch der Bundesrechnungshof die bestehende Viel-
fachförderung kritisch hinterfragen wird.

Die grüne Position ist klar: Spitzensportförderung
darf kein Selbstbedienungsladen von Sportfunktionä-
ren sein, die ständig eine Krise oder eine vermeintlich
fehlende Wettbewerbsfähigkeit des Spitzensports in
Deutschland reklamieren, um zur Finanzierung ihrer
Sportart oder ihrer Region die notwendigen Steuergel-
der bewilligt zu bekommen. Das ist häufig Regional-
marketing, aber keine professionell gemanagte Spitzen-
sportförderung. Wir benötigen hier mehr Transparenz
und Professionalität in der Sportförderung und brau-
chen dringend auch eine Überprüfung der Förderkri-
terien. Ein Anstoß zur weiteren Debatte kann sicher-
lich auch das neue Baukastensystem der Stiftung
Deutsche Sporthilfe leisten.

Durchaus kritisch zu hinterfragen sind allerdings
die vorliegenden Vorschläge der Fraktion Die Linke.
Der vorgenommenen Analyse kann ich mich zwar in
einigen Punkten anschließen, aber ihre daraus folgen-
den Vorschläge brechen mit der traditionellen Kompe-
tenzteilung des Grundgesetzes in Fragen der Sportför-
derung. Auch in die verfassungsrechtlich garantierte
Autonomie des Sports in Fragen von Trainerausbil-
dung oder Talentsichtung kann vom Bund nicht so ein-
fach eingegriffen werden, wie es sich die Fraktion Die
Linke vorstellt. Wir werden sicher in den parlamenta-
rischen Beratungen noch Möglichkeiten haben, die
aufgeworfenen Fragen umfassend zu diskutieren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721148800

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der

Drucksache 17/11374 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 43:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Diplomatische Beziehungen zu Palästina
aufwerten





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Zwei-Staaten-Perspektive für den israe-
lisch-palästinensischen Konflikt erhalten –
Entwicklung der C-Gebiete in der West-
bank fördern – Abrissverfügungen für So-
laranlagen stoppen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine
friedliche Regelung des israelisch-palästi-
nensischen Konflikts retten

– Drucksachen 17/8375, 17/9981, 17/10640,
17/11452 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Hörster
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


Auch hierzu werden die Reden zu Protokoll genom-
men.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1721148900

Diesen November ist der israelisch-palästinen-

sische Konflikt erneut in das Zentrum der internatio-
nalen Aufmerksamkeit gerückt worden. Nachdem
radikal-islamische Gruppierungen wie Hamas und Is-
lamischer Dschihad ihren Raketenbeschuss auf Israel
intensiviert hatten, machte Israel von seinem legitimen
Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch. Über
1 500 Raketen sind allein in diesem Jahr auf Israel ab-
gefeuert worden. Die Bedrohungslage für die israeli-
sche Zivilbevölkerung hat dabei eine neue Dimension
erreicht. Es war der Iran, der Raketen des
Typs Fadschr-5 in den Gazastreifen geliefert hat, die
über eine Reichweite von bis zu 75 Kilometern verfü-
gen.

Die Verantwortung für die Eskalation der Lage in
Nahost trägt eindeutig die Hamas. Es ist ihre feind-
selige Haltung gegenüber Israel, die einem dringend
benötigten Friedensprozess im Wege steht. Die Hamas
missbraucht die Menschen im Gazastreifen nicht nur
als Schutzschilde gegenüber dem israelischen Militär;
sie nimmt die dortige Bevölkerung insgesamt als Gei-
sel einer fanatischen Terrorstrategie mit dem Ziel der
Vernichtung Israels. Solange Hamas dieses Ziel ver-
folgt, ist ein Friedensschluss im Nahen Osten nicht in
Sicht. Hamas muss sich bewegen. Das Existenzrecht
des jüdischen Staates Israel muss anerkannt, die
Gewalt muss beendet und die Entwaffnung aller radi-
kalen Kräfte im Gazastreifen muss umgehend eingelei-
tet werden.

Wie will man eine Zwei-Staaten-Lösung verwirkli-
chen, wenn ein Teil der Palästinenser den Staat Israel
gar nicht anerkennt? Ein ebenso großes Problem ist
die tiefe Spaltung der Palästinenser selbst. Der Präsi-
dent der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert
nur in der Westbank, nicht aber im Gazastreifen. Die
Anliegen der Palästinenser werden nicht mit einer
Stimme vertreten – im Gegenteil. Fatah und Hamas,
Mahmud Abbas und Ismail Hanija, stehen einander
unversöhnlich gegenüber. In diesem Kontext macht
eine diplomatische Aufwertung der Palästinensischen
Autonomiebehörde, vor allem auf Ebene der Vereinten
Nationen, keinen Sinn. Deswegen werden die USA und
eine Reihe von EU-Staaten wie Italien, die Nieder-
lande, die Tschechische Republik und Bulgarien mit
Nein stimmen. In diesem Zusammenhang sei eine
Anmerkung erlaubt: Es ist sehr bedauerlich, dass trotz
aller Bemühungen der Bundesregierung innerhalb der
Europäischen Union kein Konsens in dieser Frage ge-
funden wurde. Ein Signal europäischer Geschlossen-
heit wäre besser gewesen.

In nahezu allen Friedensplänen, welche die inter-
nationale Gemeinschaft für den israelischen-palästi-
nensischen Konflikt erarbeitet hat, wird eines deutlich
herausgestellt: Die Frage über die letztliche Form
eines palästinensischen Staates ist den Endstatus-
verhandlungen vorbehalten. Das ist ein ganz entschei-
dender Punkt. Eine diplomatische Aufwertung der
Palästinenservertretungen kann erst dann erfolgen,
wenn die Friedensverhandlungen zwischen beiden Sei-
ten erfolgreich verlaufen sind. Alles andere wird Ver-
handlungen, die auf eine dauerhafte Zwei-Staaten-Lö-
sung abzielen, auf unzulässige Weise vorweggreifen.
Das sollte all jenen klar sein, die meinen, mit einer
Aufwertung des diplomatischen Status der Palästinen-
sischen Autonomiebehörde zur jetzigen Zeit werde ein
Schritt in Richtung Frieden getan – im Gegenteil! Ge-
rade nach den dramatischen Ereignissen der letzten
Wochen ist es zunächst wichtig, wieder Vertrauen
zwischen Israel und den Palästinensern herzustellen.
Einseitige Aktionen sind vor diesem Hintergrund sehr
schädlich.

Eine tragfähige Friedenslösung, welche die friedli-
che Existenz zweier Staaten ermöglicht, muss zudem
in einen viel weiteren Kontext eingebettet werden. Is-
rael ist geradezu eingekeilt zwischen mehreren Fron-
ten, an denen feindlich gesonnene Kräfte agieren: Im
Norden, an der israelisch-libanesischen Grenze, be-
findet sich die hochgerüstete Hisbollah-Miliz. Im
Nordosten grenzt Israel an das Syrien des Diktators
Baschar al-Assad. Im Südwesten liegt der Gazastrei-
fen, in dem Hamas und Islamischer Dschihad noch
immer über ein großes Raketenarsenal verfügen. Von
allen Seiten geht eine latente und nicht zu unterschät-
zende Gefahr für die Sicherheit Israels aus.

Hinzu kommt der Iran, der offen mit der Vernich-
tung Israels droht und sein Atomwaffenprogramm mit
Hochdruck vorantreibt. Eine Lösung des israelisch-
palästinensischen Konflikts kann nicht ohne die Ein-





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)


beziehung dieser Akteure gelingen; denn sie gießen be-
ständig Öl ins Feuer. Der Iran ist in großem Umfang
an der Bewaffnung palästinensischer Terrorgruppen
beteiligt. Gemeinsam mit Syrien unterstützt er die
Hisbollah, die jederzeit zu Angriffen auf Israel in der
Lage ist. Beide Staaten liefern nicht nur Waffen, son-
dern unterminieren mit massiver antiisraelischer und
antisemitischer Rhetorik jeden Versuch der Entspan-
nung. Dabei haben sie aber nicht das Wohlergehen der
Palästinenser im Sinne. Sie brauchen Israel als Feind-
bild für einen ideologischen Kampf, mit dem sie ihre
Macht im Innern stabilisieren wollen. Genauso wie
Hamas und Islamischer Dschihad ist die Situation der
Palästinenser ein willkommener Vorwand für eine
Gewaltstrategie, die jeglichen Ausblick auf eine fried-
liche Annäherung verdunkelt.

Ägypten hat 1979 einen Friedensvertrag mit Israel
geschlossen, Jordanien 1994. Auch ein Frieden Israels
mit Syrien und dem Iran, so unwahrscheinlich er unter
heutigen Bedingungen sein mag, wird zum Teil einer
umfassenden Friedenslösung im Nahen Osten gehö-
ren. So lange jedoch Baschar al-Assad und Mahmud
Ahmadinedschad die Geschicke dieser Länder führen,
muss die internationale Gemeinschaft durch empfind-
liche Sanktionen die Regime schwächen und auf einen
politischen Wandel in Damaskus und Teheran hinwir-
ken.

Ägypten wird eine entscheidende Rolle auf dem Weg
zu einer Zwei-Staaten-Lösung spielen. Staatspräsident
Mursi musste in den letzten Wochen einen regelrechten
Balanceakt leisten. Einerseits versuchte er, die Emo-
tionen in der Bevölkerung zu kanalisieren, die sich mit
den Einwohnern im Gazastreifen solidarisierten. An-
dererseits hat aber auch Ägypten kein Interesse daran,
einen offenen Konflikt mit Israel einzugehen. Der Frie-
densvertrag von 1979 ist bindend. Ägypten ist als Ver-
mittler unverzichtbar, gerade was den Dialog mit den
radikalen Kräften im Gazastreifen angeht. Dieser Ein-
fluss muss geltend gemacht werden. Zudem spielt
Ägypten die entscheidende Rolle bei der Sicherung der
Grenze zwischen Gazastreifen und dem Sinai, beson-
ders bei der Unterbindung des Waffenschmuggels
durch die Tunnelsysteme. Die internationale Gemein-
schaft könnte bei diesem Vorhaben unterstützend zur
Seite stehen. Der Erfolg der Zwei-Staaten-Lösung
hängt also nicht allein von palästinensisch-israeli-
schen Verhandlungen ab, sondern auch von der Einbe-
ziehung der eben genannten Akteure.

Die Vereinten Nationen können eine wichtige Rolle
spielen, wenn es darum geht, eine Zwei-Staaten-
Lösung völkerrechtlich abzusichern oder die Einhal-
tung eines Friedensvertrages zu überwachen. Die
Europäische Union kann ihre Beziehungen zu Israel
und der Palästinensischen Autonomiebehörde nutzen,
um beispielsweise beim Aufbau eines funktionierenden
palästinensischen Staatswesens zu helfen. Nicht zuletzt
werden es aber die USA sein, die als langjährige Ver-
mittler im Nahostkonflikt eine Schlüsselposition ein-
nehmen. Es ist begrüßenswert, dass die Obama-

Administration nach den Präsidentschaftswahlen ihre
diplomatischen Bemühungen im Nahen Osten wieder
verstärkt hat. Das ist vor allem bei der Vereinbarung
der Waffenruhe am 21. November in Kairo deutlich ge-
worden.

Die Herbeiführung der Zwei-Staaten-Lösung kann
nicht durch einseitige Maßnahmen gelingen, sondern
nur durch das gemeinsame Vorgehen Israels und der
Palästinenser. Eine tragfähige Zwei-Staaten-Lösung
braucht direkte Verhandlungen, in der beide Seiten
ihre berechtigten Anliegen vorbringen können. Sie
muss vor allem in einen regionalen Kontext eingebun-
den sein, in dem Staaten wie Syrien und der Iran und
Akteure wie die Hisbollah ihre Feindseligkeit gegen
Israel endgültig beenden.

Eines stimmt positiv: Nach jedem Rückschlag im is-
raelisch-palästinensischen Aussöhnungsprozess sind
auch wieder neue Verhandlungen aufgenommen wor-
den. Gescheitert sind sie jedoch immer an einem Aus-
bruch neuer Gewalt. Das muss den radikalen Kräften
im Gazastreifen klar sein: Ihre Gewaltstrategie hat in
eine Sackgasse geführt und versperrt den Weg zu einer
Zwei-Staaten-Lösung. Es liegt an ihnen, diesen Weg
endlich freizumachen – zum Wohle des Staates Israels
und der Palästinenser.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1721149000

Es war gut und richtig, dass die Bundesregierung

Anfang des Jahres der Forderung der SPD entspro-
chen und die palästinensische Generaldirektion zu einer
diplomatischen Mission aufgewertet hat. Der vorlie-
gende Antrag der Linksfraktion ist somit weitestge-
hend gegenstandslos. Allerdings möchte ich darauf
hinweisen, dass trotz der Aufwertung die Bundesregie-
rung immer noch davor zurückscheut, der legitimen
Vertretung des palästinensischen Volkes vollen Bot-
schaftsrang zuzugestehen.

Nun haben die gewaltsamen Auseinandersetzungen
zwischen Israel und der Hamas den Nahostkonflikt mit
einem Paukenschlag zurück in das Zentrum der inter-
nationalen Aufmerksamkeit gerückt. Während sich in
der gesamten Region Umbrüche historischen Ausma-
ßes vollziehen, scheint sich die Hoffnung, dass diese
Transformationen auch in der Auseinandersetzung
zwischen Palästinensern und Israelis zu einem Para-
digmenwechsel führen, zerschlagen zu haben.

Die Hamas wollte den Ruf der arabischen Jugend
nach wirtschaftlichen Perspektiven und politischer
Partizipation nicht hören und hat mit dem ständigen
Raketenbeschuss Israels eine harte Reaktion der israe-
lischen Armee provoziert. Israel hat die Chance ver-
passt, in dem regionalen Umbruch neue Akzente für
den Frieden zu setzen, und verlässt sich nach wie vor
auf seine militärische Stärke.

Dass die militärische Eskalation vor dem Einsatz
von israelischen Bodentruppen gestoppt und ein Waf-
fenstillstand erreicht werden konnte, ist eine gute
Nachricht für die Bevölkerung des Gazastreifens und

Zu Protokoll gegebene Reden





Günter Gloser


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die Menschen in Sderot, Aschkelon und Tel Aviv. Nun
gilt es, so nachdrücklich wie möglich für eine dauer-
hafte Lösung zu werben, die für alle beteiligten Par-
teien akzeptabel ist.

In dieser schwierigen und festgefahrenen Situation
ist es so wichtig wie nie zuvor, die moderaten Kräfte zu
unterstützen, die zu Verhandlungen bereit sind. Mit
Präsident Abbas haben wir einen solchen Partner.
Auch der jüngste Konflikt hat gezeigt, dass die Auto-
nomiebehörde, bei aller Solidarität mit ihren Brüdern
im Gazastreifen, eine Kraft des Dialogs ist. Diesen
Partner gilt es zu stärken und zu bestärken! Dazu ge-
hört natürlich der diplomatische Kontakt auf der
höchstmöglichen Ebene.

Gleichzeitig wird heute in der VN-Generalver-
sammlung der palästinensische Antrag auf einen
„Non-Member Observer State“-Status debattiert. Es
ist bedauerlich, dass hierzu keine gemeinsame Posi-
tion in Europa gefunden wurde. Umso wichtiger ist es
da, dass die Bundesregierung Präsident Abbas und
Ministerpräsident Fajjad nicht mit einer Ablehnung
der Initiative weiter schwächt.

Das Ziel bleibt eine faire Zwei-Staaten-Lösung, und
um es zu erreichen, braucht es starke Partner auf bei-
den Seiten.


Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1721149100

Genau heute vor 65 Jahren beschloss die Vollver-

sammlung der Vereinten Nationen den Teilungsplan
für Palästina. Dieser Plan wurde von der Mehrheit der
jüdischen Seite angenommen und von der Mehrheit der
arabischen Seite abgelehnt. Die Folge war Krieg und
ein bis heute andauernder Konflikt.

Heute, am Tage der Entscheidung der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen über den Antrag der
Palästinenser, können wir uns die Frage stellen, ob es
einen Fortschritt gegeben hat. Ich glaube aber, dass
wir alle eines aus dem bisherigen Konfliktverlauf ge-
lernt haben: Noch so gute und noch so durchdachte
Pläne von außen werden nichts helfen, wenn nicht die
Bevölkerung in der Region, und zwar auf beiden Sei-
ten, mitgenommen und von den Vorteilen eines Abkom-
mens überzeugt werden kann. Darauf müssen also alle
unsere Bemühungen gerichtet sein.

Nun stehen wir aber vor der konkreten Frage: Wie
gehen wir mit dem palästinensischen Antrag auf einen
Beobachterstatus in der Generalversammlung der Ver-
einten Nationen um? Ich habe nie verhehlt, dass ich
grundsätzlich für dieses Ansinnen großes Verständnis
habe.

Als ich das gesagt habe, lag mir allerdings der kon-
krete Resolutionsentwurf noch nicht vor. Das ist nun
der Fall. Um mit dem Positiven zu beginnen: Ich be-
grüße es sehr, wie deutlich sich die palästinensische
Führung hier für die Zwei-Staaten-Lösung ausspricht.
Es gibt aber auch einen ganz wichtigen Passus in dem
Dokument, über den ich nicht hinweggehen kann,
nämlich die Referenz auf eine Vollmitgliedschaft Pa-

lästinas in den Vereinten Nationen. So weit sind wir
wirklich noch nicht, und daher unterstütze ich die Ent-
scheidung der Bundesregierung. Die Entscheidung
Deutschlands ist nicht isoliert zu sehen, muss vielmehr
in einen europäischen Kontext gestellt werden.

Ich möchte auch hier noch einmal mein großes Be-
dauern ausdrücken, dass es nicht zu einem gemeinsa-
men europäischen Abstimmungsverhalten gekommen
ist. Das soll uns aber nicht den Blick dafür verstellen,
dass es natürlich eine große Einigung über das ge-
meinsame Ziel, nämlich die Zwei-Staaten-Lösung gibt.
Die Bundesregierung hat sehr intensiv daran gearbei-
tet, eine gemeinsame europäische Position zu finden.
Ich bedauere auch, dass die Hohe Repräsentantin für
die europäische Außenpolitik auch in diesem Falle
nicht als aktivierender Faktor vernehmbar geworden
ist.

Nun debattieren wir hier auch über einen Antrag
zur israelischen Siedlungspolitik. Diese Bundesregie-
rung braucht keinerlei Nachhilfe über den kritischen
Umgang mit dieser Politik. Die Äußerungen dazu sind
absolut eindeutig, und die Kritik daran wird klar und
deutlich, aber eben auf der Grundlage von Freund-
schaft und unseren besonderen Beziehungen zu Israel
ausgedrückt. Deshalb sind auch alle Vorwürfe,
Deutschland agiere einseitig, völlig aus der Luft ge-
griffen. Und wie gesucht Deutschland und der deut-
sche Außenminister als vermittelnder Gesprächspart-
ner sind, das haben die letzten Wochen ganz deutlich
gemacht. Wir danken Außenminister Westerwelle aus-
drücklich für seine Bemühungen um eine Waffenruhe
in Gaza. Und wir teilen völlig seine Auffassung, dass
Deutschland in dem Konflikt eine durchaus helfende,
aber eben auch nur begrenzte und unterstützende Rolle
spielen kann. Die Hauptanstrengungen müssen von
den Beteiligten vor Ort geleistet werden, und natürlich
wird ohne die ganz wesentliche Rolle der USA nichts
gehen. Ich bin optimistisch, dass Präsident Obama
sich in seiner zweiten Amtszeit diesem Feld intensiv
widmen wird.

Unverkennbar ist die Rolle Ägyptens massiv ge-
wachsen. Wir begrüßen die aktive positive Vermittler-
rolle Ägyptens in den letzten Wochen. Daran ändert
auch die „Machtübernahme“ Mursis in Ägypten ge-
genwärtig noch nichts. Meine Beurteilung erfolgt erst,
nachdem ich die neue Verfassung Ägyptens gesehen
habe und nachdem ich verstanden habe, wie sich
Mursi in diese neue verfassungsmäßige Ordnung ein-
findet.

Das alles sind schwierige, komplexe Fragen, die
von der Bundesregierung ein flexibles und pragma-
tisches Vorgehen verlangen. Dass die Bundesregie-
rung dazu in der Lage ist und dass sie genau deshalb
ein wichtiger Gesprächspartner ist, hat sie in der Ver-
gangenheit bewiesen. Und ich entnehme den Debatten
der letzten Woche auch, dass wir hier im Deutschen
Bundestag weiterhin, trotz Differenzen in Einzelfra-
gen, mit dieser grundsätzlichen Ausrichtung der Bun-
desregierung übereinstimmen. Wir wünschen ihr viel

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Rainer Stinner


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Erfolg bei diesen richtigen Bemühungen. Die heute
vorliegenden Anträge liefern dazu keinen Mehrwert,
und deshalb lehnen wir sie ab.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721149200

Heute hat die UNO-Generalversammlung beschlos-

sen, dass Palästina künftig einen erweiterten Beobach-
terstatus erhalten soll. Das ist ein historischer Be-
schluss auf dem Wege zu einem eigenständigen,
lebensfähigen, demokratischen Staat. Ich gratuliere
Präsident Abbas und seinem Ministerpräsidenten
Fajjad und freue mich über diesen Beschluss der Ver-
einten Nationen.

Gleichzeitig bin ich voller Ärger über das schwäch-
liche Verhalten der Bundesregierung, die ihre UNO-
Vertretung angewiesen hat, sich der Stimme zu enthal-
ten. Der Bundesregierung fehlt es an Mut, Charakter
und Rückgrat, sich positiv zum palästinensischen An-
trag zu verhalten.

Meine Fraktion Die Linke hatte noch heute, in letz-
ter Minute, versucht, die Bundesregierung darauf fest-
zulegen, in der UNO mit Ja zu stimmen. Leider hat die-
ses Ansinnen keine Mehrheit im Parlament gefunden.
Es bleibt aber dennoch richtig.

Die Entscheidung der Bundesregierung hat Deutsch-
land in eine außenpolitische Isolierung, in eine kleine
radikale Minderheit gebracht. Das Regierungsargu-
ment, dass bereits die Stimmenthaltung ein bedeuten-
der Schritt im Unterschied zu einer Neinstimme wäre,
ist nicht überzeugend. Auch nicht überzeugend ist das
Argument, dass man mit dieser Entscheidung den be-
sonderen Beziehungen zu Israel Rechnung getragen
habe. Besonders Beziehungen und die Freundschaft zu
Israel hätten es erfordert, alles einzusetzen, um die is-
raelische Regierung von weiteren Schritten in die ei-
gene Isolierung abzubringen. Freundschaft beweist
sich auch darin, mit den Freunden Klartext zu reden.
Auch dazu fehlt es der Bundesregierung an Mut und
Rückgrat.

Die Entscheidung der Bundesregierung, dem An-
trag Palästinas nicht zuzustimmen, schwächt den Pa-
lästinenserpräsidenten Abbas und Ministerpräsident
Fajjad. Die linksliberale römische Zeitung „La Re-
pubblica“ kommentiert das: „Sie – die Europäer –
müssen aber wissen, dass eine Stimme gegen die Pa-
lästinenser oder auch nur eine Enthaltung – mit dem
unweigerlichen Beigeschmack der Feigheit – eine Nie-
derlage für den Palästinenserpräsidenten Abbas be-
deuten wird.“ Dieser Vorwurf der Feigheit bleibt zu
Recht an der Außenpolitik der Bundesregierung hän-
gen.

Entgegen der amtlichen Feigheit wünschen wir uns
ein Signal des Deutschen Bundestages an Israel und
Palästina. Wir werden nicht müde, immer wieder da-
rauf aufmerksam zu machen, dass Sicherheit für Israel
und Gerechtigkeit für Palästina zusammengehören.
Viele Initiativen aus dem Bundestag, so auch unser An-
trag, waren ein Signal an die Friedensbewegung, an

die linken Parteien und Bewegungen in Israel, dass
wir sie selbstverständlich nicht gleichsetzen mit der
Rechtsregierung von Benjamin Netanjahu. Wir wissen,
dass in Israel viele Menschen für eine Politik der Ver-
nunft kämpfen.

Unser Antrag und viele Debatten im Bundestag sind
ebenso ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger in
Palästina: Wir wollen euch bestärken in der Gewalten-
losigkeit eures Kampfes und darin, dass euer Recht auf
einen eigenständigen, lebensfähigen Staat überall in
der Welt Widerhall und Rückhalt findet.

Ich bitte die Freundinnen und Freunde in Israel und
in Palästina: Setzt uns nicht gleich mit dem Verhalten
unserer Regierung!

Im Wesen stimmen der Antrag der Fraktion Die
Linke und die beiden Anträge von Bündnis 90/Die
Grünen überein. Damit endlich positive Bewegung in
die Nahostpolitik des Bundestages kommt, wäre es
sinnvoll, solche Anträge inhaltlich zu bündeln und mit
Charakterstärke, Mut und Rückgrat gemeinsam zu
vertreten.

Bitte bedenken Sie auch, dass der Tag der Abstim-
mung über diese Anträge nicht nur historisch ist ange-
sichts der Entscheidung in der UN-Generalversamm-
lung. Am 29. November 1947 entschieden die Vereinten
Nationen über die Errichtung zweier Staaten in Paläs-
tina. Und im Jahre 1977 wurde dieser Tag von den Ver-
einten Nationen zum Internationalen Tag der Solidari-
tät mit dem palästinensischen Volk erklärt. Vor diesem
Hintergrund bitte ich Sie um ihre Zustimmung zum vor-
liegenden Antrag.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Die jüngste militärische Konfrontation zwischen Is-
rael und der Hamas hat den Nahostkonflikt mit einem
Schlag wieder auf die internationale Tagesordnung zu-
rückgebracht und allen vor Augen geführt, wie schnell
die angespannte Lage zu einem Krieg eskalieren kann.
Und der Konflikt hat die politischen Verhältnisse in
Nahost etwas durcheinandergebracht.

In Kairo wird zwischen Israel und der Hamas ver-
handelt. Das geschieht zwar nicht direkt, sondern un-
ter ägyptischer Vermittlung, aber es geht um konkrete
Vereinbarungen.

Im Zusammenhang mit der am 21. November 2012
verkündeten Waffenruhe hat Israel bereits Erleichte-
rungen der Blockade des Gazastreifens insbesondere
für die Zivilbevölkerung verfügt. Sowohl für die paläs-
tinensischen Fischer und Bauern als auch für wichtige
Bereiche der palästinensischen Wirtschaft gibt es
wichtige Erleichterungen.

Mit denjenigen palästinensischen Kräften, die Is-
rael anerkannt haben und die explizit nach einer ver-
handelten Zwei-Staaten-Regelung streben, gibt es da-
gegen keine Verhandlungen, nicht einmal indirekte.
Das hat zur Folge, dass die jüngste Eskalation in Gaza

Zu Protokoll gegebene Reden





Kerstin Müller (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Präsident Abbas und seine Fatah noch weiter politisch
geschwächt hat. Fast scheint es so, als ob gerade die-
jenigen moderaten palästinensischen Kräfte, die auf
Kompromiss und Versöhnung setzen, die Verlierer der
politischen Verschiebungen im Nahen Osten sind. Dies
auch deshalb, weil Präsident Abbas gegenüber der pa-
lästinensischen Bevölkerung trotz seiner Kompromiss-
bereitschaft keine Erfolge vorweisen kann. Der Sied-
lungsbau wird weiter massiv vorangetrieben, und die
Infrastruktur für die in der Westbank lebenden Israelis
wird gebaut.

Die Stimmen, die eine Zwei-Staaten-Regelung nicht
mehr für realisierbar halten, werden mehr und lauter.
Nicht nur auf palästinensischer, auch auf israelischer
Seite. Dort erhalten sogar diejenigen zunehmend Zu-
spruch, die eine Zwei-Staaten-Regelung ganz offen ab-
lehnen. Die Ergebnisse der Wahl zur Listenaufstellung
des Likud sind nur ein Beispiel dafür.

Vor diesem Kontext muss die UN-Initiative von Prä-
sident Abbas gesehen werden. Sie ist ein Versuch, die
Zwei-Staaten-Perspektive zu retten sowie in die blo-
ckierten Verhandlungen eine neue Dynamik hineinzu-
bringen. Der Text des palästinensischen Antrages be-
legt, dass es hier gerade nicht um eine einseitige
Präjudizierung von Verhandlungen geht, sondern Ver-
handlungen werden direkt im Antrag gefordert.

Der Antrag spricht von einem Staat Palästina auf
der Grundlage der Grenzen bis 1967. Noch nie hat ein
palästinensischer Text sich derart weitgehend auf die
Anerkennung eines israelischen Staates festgelegt.

Umso unverständlicher ist mir, dass das von Israel
nicht gesehen wird: Auch Israel hat doch ein Interesse
daran, dass endlich die Grenzen seines Staates festge-
legt werden.

Die sehr weitgehenden Formulierungen des Antra-
ges bieten also eine große Chance auch für Israel. Sie
könnten eine gute Grundlage für die dringend notwen-
digen Verhandlungen über künftige Grenzen zwischen
dem Staat Israel und dem künftigen Staat Palästina
sein. Denn neue Verhandlungen über die endgültige
Festlegung der Grenzen sind im Interesse beider Kon-
fliktparteien. Aber es müssen ernsthafte Verhandlun-
gen sein, das heißt solche, die eine Beendigung der is-
raelischen Besatzung und damit der Kontrolle über die
Palästinenser zum Thema haben. Es müssen Verhand-
lungen sein, die die Schaffung eines Staates Palästina
neben dem Staat Israel zur Perspektive haben.

Was glaubt die Bundesregierung und was glauben
alle anderen Staaten, die die palästinensische Initia-
tive vor der UNO ablehnen, eigentlich, welche Wir-
kung ihr Verhalten haben wird? Sehen sie nicht die Ge-
fahr, dass dies zu einer weiteren Schwächung von
Abbas und denjenigen Kräften, die er führt, beiträgt?
Wer wird künftig überhaupt noch an eine Zwei-Staa-
ten-Regelung glauben und sie politisch verfolgen?

Die Blockade eines politischen Ausweges aus der
Konfrontation spiegelt sich in Umfragen in der israeli-

schen und palästinensischen Gesellschaft wider: Es
gibt Mehrheiten für eine Zwei-Staaten-Regelung.
Diese scheinen aber eher theoretisch. Denn gleichzei-
tig sind auch jeweils Mehrheiten davon überzeugt,
dass es nicht dazu kommen wird. Die Schuld wird der
jeweils anderen Seite und ihren politischen Vertretun-
gen gegeben.

Die palästinensische Initiative zur Erhöhung des
Status innerhalb der UN zu dem eines Nichtmitglied-
staates bietet daher eine große Chance, die gefährli-
che Blockade zu lockern. Vielleicht ist es sogar die
letzte Chance für Verhandlungen. Israel sollte sie nut-
zen und sie nicht leichtfertig vom Tisch wischen. Und
wir – die internationale Gemeinschaft – haben die Ver-
antwortung, unseren Partnern dies auch klipp und klar
zu sagen. Sonst stehen wir am Ende ohne Partner da,
und der Nahe Osten brennt wieder.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721149300

Ich stelle die Beschlussempfehlung des Auswärtigen

Ausschusses auf Drucksache 17/11452 zur Abstimmung.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8375 mit dem Ti-
tel „Diplomatische Beziehungen zu Palästina aufwer-
ten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/9981 mit dem Titel „Die Zwei-
Staaten-Perspektive für den israelisch-palästinensischen
Konflikt erhalten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/10640 mit dem Titel „Die Zwei-Staaten-Per-
spektive für eine friedliche Regelung des israelisch-pa-
lästinensischen Konflikts retten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
möchte sich enthalten? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.


(Beifall)


Erstaunlicherweise ist es noch vor Mitternacht, obwohl
die ausgedruckte Tagesordnung die Aussicht begründete,
dass wir bis 6.05 Uhr oder 6.10 Uhr hätten verhandeln
können.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss verzichten können!)


Das hätte gerade noch gereicht, durch den Saal zu gehen,
um für den Finanzminister, der eine Regierungserklä-
rung abgeben wird, alles herzurichten.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


So schließe ich die heutige Sitzung mit dem Dank an
alle, die so lange ausgeharrt haben. Es gibt verlässliche
Indizien, dass dies möglicherweise die bisher längste
Sitzung dieser Legislaturperiode war. Ganz sicher dürfte
das für die Anzahl der behandelten Tagesordnungs-
punkte gelten. Sie können sagen, dass Sie dabei gewesen
sind.


(Beifall)


Schön wäre, wenn Sie auch morgen früh wieder dabei
sind. Bleiben Sie dran.

Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag,
den 30. November 2012, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

Ich wünsche eine gute Nacht.