Protokoll:
17204

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 204

  • date_rangeDatum: 8. November 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:56 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/204 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 204. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Hans-Joachim Otto . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Kathrin Vogler als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 41, 46 a, 46 b und 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Entbürokratisie- rung des Gemeinnützigkeitsrechts (Ge- meinnützigkeitsentbürokratisierungs- gesetz – GemEntBG) (Drucksache 17/11316) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein (Drucksache 17/5713) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Jan Korte, Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umgang mit der NS-Vergangenheit (Drucksachen 17/4126, 17/8134) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: NS-Ver- gangenheit in Bundesministerien auf- klären (Drucksachen 17/3748, 17/9448) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter Uhl, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, 24675 B 24675 B 24675 C 24678 B 24678 B 24678 B 24678 C 24680 A 24681 D 24683 A 24684 C 24686 D 24688 C 24689 A 24689 B 24689 C 24690 D 24692 A 24693 C 24695 A 24697 A 24698 A 24699 A 24700 C 24700 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wissenschafts- und Forschungs- freiheit stärken, Rahmenbedingun- gen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staat- lichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Be- standsaufnahmen zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundes- ministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian Ströbele, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: NS- Vergangenheit von Bundesministe- rien und Behörden systematisch auf- arbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungs- arbeit koordinieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwort- lichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrich- tendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann (Drucksachen 17/11001, 17/10068, 17/4586, 17/11260) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln (Drucksachen 17/6128, 17/11261) . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Nešković, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen (Drucksachen 17/2201, 17/11262) . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundes- verfassungsgerichtes stärken (Drucksachen 17/4037, 17/11383) . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 49: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerli- che Transparenz von multinationalen Unternehmen herstellen – Country-by- Country und Project-by-Project Re- porting einführen (Drucksache 17/11075) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bedingungen bei Tiertransporten und in Schlachtbetrieben verbessern (Drucksache 17/11148) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen (Drucksache 17/11208) . . . . . . . . . . . . . . 24700 C 24701 A 24701 B 24701 B 24701 C 24703 D 24705 A 24706 C 24707 A 24707 B 24708 A 24709 C 24711 A 24713 A 24713 B 24713 B 24714 D 24715 C 24716 D 24717 B 24718 A 24719 C 24720 D 24723 C 24723 C 24723 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 III d) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland (Drucksache 17/11213) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbot des Fracking in Deutschland (Drucksache 17/11328) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bedingungen in Schlachthöfen verbessern (Drucksache 17/11355) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Bärbel Höhn, Markus Tressel, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unver- züglichen Stilllegung besonders gefähr- licher grenznaher Atomkraftwerke in Frankreich (Drucksache 17/11206) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der Leh- rerbildung (Drucksache 17/11322) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Finanz- transaktionsteuer im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit einführen (Drucksache 17/11321) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nationa- len Radverkehrsplan 2020 zum ambi- tionierten Aktionsplan der Radver- kehrsförderung weiterentwickeln (Drucksache 17/11357) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Residenzpflicht abschaffen (Drucksache 17/11356) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 50: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikani- schen Entwicklungsbank (Drucksachen 17/9697, 17/10920) . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen Entwicklungsbank (Drucksachen 17/9698, 17/10921) . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 19. November 1984 zur Errichtung der Interameri- kanischen Investitionsgesellschaft (Drucksachen 17/9699, 17/10922) . . . . . d) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenabkommen vom 10. Mai 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Korea an- dererseits (Drucksachen 17/10757, 17/11056) . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Luftver- kehrsabkommen vom 17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der Euro- päischen Gemeinschaft und ihren Mit- gliedstaaten (Vertragsgesetz EU- Kanada-Luftverkehrsabkommen – EU-KAN-LuftverkAbkG) (Drucksachen 17/10917, 17/11252) . . . . f)–l) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- sichten 487, 488, 489, 490, 491, 492 und 493 zu Petitionen (Drucksachen 17/11154, 17/11155, 17/11156, 17/11157, 17/11158, 17/11159, 17/11160) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europäi- sche Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwi- ckeln und stärker institutionell in der EU verankern (Drucksache 17/11329) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24723 D 24724 A 24724 A 24724 A 24724 B 24724 B 24724 C 24724 C 24725 A 24725 B 24725 C 24725 D 24726 A 24726 C 24727 A IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Terrorzelle – Zwischenbilanz der Ermittlungspannen- aufklärung und Stand des Kampfes gegen den Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/10748, 17/11055, 17/11382) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11397) . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Sabine Zimmermann, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 1 : 1 an Kommunen weiterreichen (Drucksachen 17/8606, 17/11382) . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Hans-Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Neubelebung und Stärkung der trans- atlantischen Beziehungen (Drucksachen 17/9728, 17/10169) . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Ulrich Klose (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid- Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2063 (2012) vom 31. Juli 2012 (Drucksachen 17/11036, 17/11389) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11398) . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24727 B 24727 B 24728 C 24730 B 24731 C 24732 C 24733 C 24734 D 24735 D 24736 C 24737 C 24738 C 24739 D 24740 D 24741 D 24742 A 24742 A 24742 B 24743 B 24744 A 24745 A 24746 A 24746 D 24747 C 24748 C 24749 D 24751 A 24751 B 24753 A 24754 B 24756 D 24758 B 24759 C 24761 A 24762 A 24763 A 24763 A 24763 B 24764 B 24765 B 24766 B 24767 A 24768 A 24769 A 24771 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 V Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Transparenz bei Neben- einkünften herstellen durch Veröffentli- chungspflicht auf Euro und Cent (Drucksache 17/11331) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Nebentätigkeiten transparent machen – Branchen kenn- zeichnen (Drucksache 17/11332) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 46: c) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Karenzzeit für ausgeschiedene Regie- rungsmitglieder (Drucksache 17/11204) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Transparenz und Unab- hängigkeit im Bundestag und in der Bundesregierung (Drucksache 17/11333) . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parteien-Spon- soring im Parteiengesetz regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Partei-Sponsoring transparenter gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Parteispenden begrenzen (Drucksachen 17/892, 17/651, 17/1169, 17/547, 17/6566) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktion der SPD: „Karenzzeit“ für ehemalige Bundesminister und Parla- mentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen (Drucksache 17/11318) . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolutionen 1996 (2011) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012) vom 5. Juli 2012 (Drucksachen 17/11037, 17/11390) . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11399) . . . . . . . . . . . . . . 24769 B 24769 B 24769 C 24769 C 24769 C 24769 D 24770 A 24773 B 24775 A 24776 C 24777 C 24778 B 24778 C 24779 D 24780 C 24781 C 24783 D 24782 B 24782 B VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) . . . . . . . . . . Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing- Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Struktur der Nationalen Anti Doping Agentur schaffen (Drucksache 17/11320) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Doping an Olympiastützpunkten, Bun- desleistungszentren und Bundesstütz- punkten konsequent bekämpfen (Drucksachen 17/8896, 17/10083) . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (Drucksachen 17/9874, 17/11388) . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuregelung des Rechts der Siche- rungsverwahrung – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung ei- ner Expertenkommission zur Siche- rungsverwahrung (Drucksachen 17/8760, 17/7843, 17/11388) Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kutschaty, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Men- schenrechte in Zentralasien stärken (Drucksachen 17/9924, 17/11287) . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ullrich Meßmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markt- transparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas (Drucksachen 17/10060, 17/10253, 17/11386) Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungs- gesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz (Drucksachen 17/2419, 17/8622) . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungs- gesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 24782 C 24786 A 24787 A 24788 B 24789 C 24790 C 24791 C 24794 D 24791 C 24791 D 24792 A 24793 C 24797 A 24798 A 24799 D 24800 D 24802 B 24802 B 24802 C 24803 D 24805 C 24806 D 24807 D 24808 D 24810 C 24810 D 24812 A 24813 A 24815 B 24816 B 24817 C 24818 A 24818 B 24819 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 VII über OTC-Derivate, zentrale Gegenpar- teien und Transaktionsregister (EMIR- Ausführungsgesetz) (Drucksache 17/11289) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flücht- linge in der Europäischen Union und in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Flüchtlinge aus Syrien aufneh- men (Drucksachen 17/10786, 17/10638, 17/11131) Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäsche- gesetzes (GwGErgG) (Drucksachen 17/10745, 17/10798, 17/11335, 17/11416) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteu- ergesetzes (Drucksachen 17/10744, 17/10797, 17/11387) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11400) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Keine Modernisierung der US-Nuklear- waffen in Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen (Drucksache 17/11323) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland (Drucksache 17/11225) . . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativpro- tokoll vom 19. Dezember 2011 zum Über- einkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Drucksachen 17/10916, 17/11392) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus der Havarie der MSC Flaminia ziehen – EU-Notfallpläne und Gefahrgutkon- trollen im Seeverkehr überprüfen (Drucksache 17/10819) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Euro- päisches Notfall- und Havariemana- gement wirksam und verbindlich weiterentwickeln (Drucksache 17/11324) . . . . . . . . . . . . . . Matthias Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der tech- nischen Vorschriften und der Geschäfts- anforderungen für Überweisungen und 24820 C 24820 D 24822 C 24823 D 24825 A 24825 B 24825 D 24825 D 24826 B 24826 B 24826 C 24827 D 24828 C 24829 C 24830 D 24831 B 24831 B 24831 C 24832 C 24833 C 24834 D 24835 B 24836 C VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA- Begleitgesetz) (Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren (Drucksachen 17/1142, 17/4726) . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensus- gesetzes 2005 (Drucksachen 17/10041, 17/11363) . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen regeln (Drucksachen 17/9567, 17/11229) . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller- Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und Fraktion der SPD: Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwor- tung herstellen – Unternehmerische Pflich- ten zur Offenlegung von Arbeits- und Um- weltbedingungen auf europäischer Ebene einführen (Drucksache 17/11319) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ullrich Meßmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Um- welt-Rechtsbehelfsgesetzes und ande- rer umweltrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/10957, 17/11393) . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dorothea Steiner, Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen nach der EG-Richt- linie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbe- helfsgesetz) (Drucksachen 17/7888, 17/8876) . . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Harald Koch, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Ausbau des Truppen- übungsplatzes Altmark sofort stoppen – Colbitz-Letzlinger Heide zivil nutzen (Drucksachen 17/10684, 17/11334) . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 24837 C 24838 A 24838 B 24839 B 24840 B 24841 A 24842 A 24842 D 24842 D 24843 D 24844 C 24844 D 24845 D 24847 A 24847 A 24847 B 24848 B 24849 A 24850 A 24850 D 24852 B 24854 B 24854 B 24854 C 24855 D 24856 D 24858 A 24858 D 24860 A 24860 B 24861 B 24862 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 IX Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (Drucksachen 17/10486, 17/11394) . . . . . . . . Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Sven-Christian Kindler, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anbindung deutscher Seehäfen verbessern – Alternati- ven zur Y-Trasse vorantreiben (Drucksache 17/11352) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung (Drucksachen 17/10772, 17/11307) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Uwe Beckmeyer, Johannes Kahrs, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Mariti- mes Bündnis fortentwickeln – Schiff- fahrtsstandort Deutschland sichern (Drucksachen 17/10097, 17/11307) . . . . . Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien (Drucksache 17/10820) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Inter- nationalen Privatrechts (Drucksachen 17/11049, 17/11384) . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbe- helfsbelehrung im Zivilprozess (Drucksachen 17/10490, 17/11385) . . . . . . . . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 24862 D 24863 C 24864 A 24865 A 24865 B 24867 B 24868 A 24868 D 24869 B 24870 B 24871 A 24871 B 24871 D 24873 B 24874 A 24874 D 24875 C 24876 D 24876 D 24877 A 24878 A 24879 B 24879 D 24880 C 24881 B 24882 D 24883 D 24884 A 24884 D 24885 C 24886 C 24886 D 24887 D 24888 B 24888 C 24889 D 24890 C 24891 C 24892 A 24893 A 24893 A 24894 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richt- linie 78/660/EWG des Rates über den Jah- resabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechts- änderungsgesetz – MicroBilG) (Drucksachen 17/11292, 17/11353) . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urhe- berrechtsgesetzes (Drucksache 17/11317) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr (Drucksache 17/11210) . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan Mayer (Altöt- ting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz na- türlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverord- nung) – KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 – hier: Stellungnahme des Deut- schen Bundestages gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (Drucksache 17/11325) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sech- zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (Drucksache 17/11293) . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsatz von Anti- biotika in der Tierhaltung reduzieren (Drucksachen 17/8348, 17/9972) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschafts- rechts (Drucksache 17/11127) . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24895 A 24895 C 24896 C 24897 B 24898 A 24898 B 24899 A 24899 D 24900 C 24901 B 24902 A 24902 A 24902 B 24903 A 24904 A 24904 D 24905 D 24906 D 24907 C 24908 C 24908 D 24910 D 24912 D 24914 D 24916 A 24917 D 24917 D 24918 B 24918 B 24920 A 24921 B 24921 C 24922 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 XI Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestim- mungen (Drucksachen 17/11294, 17/11354) . . . . . . . . Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Drucksachen 17/11051, 17/11364) . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Groß- handel mit Strom und Gas (Tagesordnungs- punkt 7) Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Beendigungsgesetz zum Berlin- Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 14) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC- Derivate, zentrale Gegenparteien und Trans- aktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Euro- päischen Union und in Deutschland; Be- schlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen (Tagesordnungspunkt 16) Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Tages- ordnungspunkt 17) Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Energiesteuer- und des Stromsteu- ergesetzes (Tagesordnungspunkt 18) Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24923 C 24923 C 24924 B 24926 A 24926 D 24927 C 24928 A 24928 C 24928 B 24929 A 24929 C 24930 C 24932 C 24933 C 24934 B 24934 D 24935 D 24936 A 24937 B 24938 A 24938 D 24939 C 24940 D 24941 D 24942 D 24943 C 24944 B 24945 B 24946 D 24948 A 24949 C 24950 C 24951 C 24953 C 24954 C 24955 D 24956 D XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Keine Modernisierung der US- Nuklearwaffen in Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstrei- chen lassen; Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland (Tagesord- nungspunkte 19 a und 19 b) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakulta- tivprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Tages- ordnungspunkt 20) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festle- gung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA- Begleitgesetz) (Tagesordnungspunkt 22) Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 35) Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Än- derung des Arzneimittelgesetzes; Beschluss- empfehlung und Bericht zu dem Antrag: Ein- satz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren (Tagesordnungspunkt 38) Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Zusatztagesordnungs- punkt 8) Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24958 B 24959 B 24960 A 24960 D 24961 C 24962 B 24962 C 24963 B 24963 D 24965 A 24966 C 24967 D 24969 C 24970 D 24971 B 24972 B 24973 C 24974 B 24975 A 24976 A 24978 A 24979 C 24981 A 24982 A 24982 C 24983 D 24984 C 24985 C 24986 D 24987 B 24987 C 24988 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24675 (A) (C) (D)(B) 204. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    1) Anlage 13 Berichtigung 203. Sitzung, Seite 24633 C, erster Absatz, erster Satz ist wie folgt zu lesen: „Ich habe Ihnen den Vorgang ein- gangs bestätigt und mache das noch einmal.“ Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24929 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas (Tagesord- nungspunkt 7) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Das Markttranspa- renzstellengesetz ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz auf den Energiemärkten. Die von uns eingeführte Marktbeobachtung auf den Kraftstoffmärk- ten und beim Handel mit Strom und Gas verhindert nicht nur Marktmissbrauch, sondern kommt vor allem dem Verbraucher zugute. Denn mehr Wettbewerb ist zwar kein Garant für sinkende Preise, aber der beste Garant dafür, dass Verbraucher nicht abgezockt werden. Des- halb war es auch richtig, sich etwas mehr Zeit zu lassen als vorgesehen. In den knapp zwei Jahren wurde die Aufgabe der Markttransparenzstelle nicht nur um den Kraftstoffmarkt erweitert, sie wurde auch in einen euro- päischen Kontext gesetzt, sodass Ineffizienzen und Dop- pelstrukturen vermieden werden konnten. Jeder Autofahrer kennt den Ärger: Immer ist dieje- nige Tankstelle günstiger, wo man selber gerade nicht getankt hat. Preisinformationen lassen sich nur schwer- lich besorgen und sind oft nicht aktuell und somit unzu- verlässig. Diese Preisunterschiede sind in einem freien Markt natürlich. Sie wird es auch weiterhin geben. Denn wir setzen auf Wettbewerb und nicht auf Preisfestlegungen und Preisregulierung, wie in Frankreich oder Westaustra- lien. Wir sind der Überzeugung, dass mehr Transparenz der Schlüssel zu mehr Wettbewerb auf dem Kraftstoff- markt ist. Deshalb soll zukünftig jeder Autofahrer wissen, wo in seiner Umgebung die günstigste Tankstelle ist. Alle rund 15 000 Tankstellen in Deutschland werden verpflichtet, ihre Kraftstoffpreise an die Markttranspa- renzstelle zu liefern. Diese Daten werden dann in einer Internetdatenbank gesammelt und dem Verbraucher über Dritte zur Verfügung gestellt. Damit wird nicht nur der Wettbewerb im Kraftstoffmarkt erhöht, sondern auch ein Innovationswettbewerb zwischen denjenigen ausgelöst, die die Daten aus der Datenbank verarbeiten. Ich bin da- von überzeugt, dass es bald Navigationssysteme mit ak- tuellen Spritpreisen oder Apps etc. gibt. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker, Dirk SPD 08.11.2012 Bellmann, Veronika CDU/CSU 08.11.2012 Bülow, Marco SPD 08.11.2012 Burgbacher, Ernst FDP 08.11.2012 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 08.11.2012 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 08.11.2012 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 08.11.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 08.11.2012 Granold, Ute CDU/CSU 08.11.2012 Griese, Kerstin SPD 08.11.2012 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 08.11.2012 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 08.11.2012 Kampeter, Steffen CDU/CSU 08.11.2012 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 08.11.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2012 Laurischk, Sibylle FDP 08.11.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 08.11.2012 Leidig, Sabine DIE LINKE 08.11.2012 Nietan, Dietmar SPD 08.11.2012 Nink, Manfred SPD 08.11.2012 Pawelski, Rita CDU/CSU 08.11.2012 Rachel, Thomas CDU/CSU 08.11.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 08.11.2012 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 08.11.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 08.11.2012 Schulz, Jimmy FDP 08.11.2012 Strothmann, Lena CDU/CSU 08.11.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 08.11.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 24930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Der Preisdschungel Tankstelle wird künftig durch- schaubar. Jeder Autofahrer wird die Benzinpreise in seiner Umgebung kennen und automatisch die billigste Tankstelle anfahren, was wiederum die Konkurrenz dazu animiert, ihre Preise auch anzupassen. Ich bin überzeugt, dass wir damit den richtigen Weg einschlagen. Auch im Gas- und Stromsektor sind mehr Transpa- renz und damit mehr Markt und Wettbewerb unser Ziel. Es darf keine unberechtigte Zurückhaltung von Kraft- werkskapazität geben, um Preise nach oben zu treiben. Mit einer zentralen und kontinuierlichen Marktbeobach- tung wollen wir dieses Problem effektiv beseitigen und das Vertrauen in Markt und Wettbewerb zum Wohle der Verbraucher stärken. Deshalb haben wir die Überprü- fung der Preisbildung auf den Großhandelsmärkten für Strom und Gas durch die Markttransparenzstelle schon 2010 als eine Sofortmaßnahme aus dem Energiekonzept auf den Weg gebracht. Verzögert wurde die Umsetzung dann durch die Ende 2011 in Kraft getretene europäische Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandels- markts – REMIT –, die ähnliche, aber nicht identische Verbote wie das Kartellrecht enthält. So werden unter an- derem Insiderhandel und Marktmanipulation verboten. Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, die Sanktio- nen für Verstöße gegen die Verordnung festzulegen. Sie müssen ihre nationale Regulierungsbehörde mit den nach REMIT passenden Befugnissen ausstatten. Es wird dabei ausdrücklich zur Unterstützung der europäischen Regulierungsbehörde ACER eine regionale Marktüber- wachung in den Mitgliedstaaten vorgesehen. Eine weitere wichtige Funktion hat die Markttranspa- renzstelle im Zusammenhang mit dem Monitoring zur Energiewende. Sie wird Daten erheben, um insbeson- dere Versorgungssicherheit zu garantieren. Dieses Vor- haben kann im Rahmen einer Verordnung bei Bedarf zu- sätzlich erhoben werden. Ich möchte gerne auf die drei Hauptkritikpunkte im Rahmen der Gesetzesnovelle eingehen. Zum einen wurde bemängelt, dass das Gesetz zu Dop- pelmeldungen und somit zu kostenintensivem und büro- kratischem Mehraufwand der Unternehmen führt. Wir haben uns dieses Anliegens angenommen und Doppel- meldepflichten gegenüber der Markttransparenzstelle und dem europäischen Regulierer ACER verhindert. Im Hinblick auf die noch zu konkretisierenden Meldepflich- ten nach der REMIT-Verordnung sieht der Gesetzent- wurf ausdrücklich vor, dass Marktteilnehmer, die ihren Meldepflichten nach der REMIT-Verordnung nachge- kommen sind, keine Meldepflichten nach dem Markt- transparenzstellengesetz haben. Die Markttransparenz- stelle wird also diese Daten von ACER erhalten und nicht zusätzlich erheben. Der zweite häufig genannte Kritikpunkt ist, dass zu viele Daten erhoben werden. Im Markttransparenzstel- lengesetz haben wir in der Tat die Möglichkeit zu einer weiteren Erhebung von Daten vorgesehen, die nach REMIT möglicherweise nicht abgefragt werden und zum Gelingen der Energiewende gebraucht werden. Doch diese Abfragen werden noch durch eine Rechts- verordnung konkretisiert. Soweit national zusätzliche Daten abgefragt werden müssen, sollen insbesondere die Formatwege für die Daten einheitlich gehalten werden. Auch eine zeitliche Konsistenz der Vorschriften ist ge- setzlich vorgesehen. Die Höhe der Abfrageschwelle von 10 Megawatt ist der dritte Kritikpunkt. Hier hätte ich mir persönlich auch durchaus eine Schwelle von 50 oder 100 Megawatt vor- stellen können. Ich finde es deshalb richtig, dass wir die Sinnhaftigkeit dieser von der Bundesnetzagentur ge- wünschten Schwelle prüfen werden und deshalb aus- drücklich eine Evaluierung nach drei Jahren im Gesetz vorgesehen haben. Auch die Markttransparenzstelle zeigt deutlich: Für uns ist Markt und Wettbewerb auch in Zukunft ein we- sentlicher Bestandteil der Energiewende. Trotzdem be- darf es auch in einer Marktwirtschaft einer gewissen Kontrolle marktmächtiger Marktteilnehmer. Dazu wird die Martktransparenzstelle einen entscheidenden Beitrag leisten. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wenn wir heute ein neues Gesetz zur Einrichtung einer Markttransparenz- stelle für den Großhandel mit Strom und Gas – ergänzen müssen wir eigentlich „und Mineralöl“ – debattieren und beschließen, sollten wir meines Achtens erst einmal darüber reden, für welchen Markt wir eigentlich Trans- parenz schaffen wollen. Betrachten wir zunächst mal den Strommarkt. 2011 hatten wir in Deutschland eine Bruttostromerzeugung von 615 Terawattstunden Strom; das sind 615 Milliarden Kilowattstunden. Man kann davon ausgehen, dass die vier großen Stromanbieter EnBW, Eon, RWE und Vat- tenfall davon einen Anteil von zusammen rund 80 Pro- zent auf dem Erstabsatzmarkt hatten. So geht es aus der Sektoruntersuchung „Stromerzeugung Stromgroßhan- del“ hervor, die das Bundeskartellamt im Januar 2011 vorgelegt hatte. Nach dieser Untersuchung hatte im Jahre 2009 EnBW eine Gesamteinspeisung von 14 Pro- zent, Eon von 21 Prozent, RWE von 31 Prozent und Vat- tenfall von 16 Prozent. Macht zusammen 82 Prozent. Auch wenn für das vergangene Jahr keine vergleichba- ren Zahlen vorliegen, kann man von etwa 80 Prozent ausgehen, wenn man berücksichtigt, dass – durch die als Folge der Energiewende eintretende Diversifizierung – kleinere Anbieter, aber vermehrt auch Stadtwerke 2011 einen etwas höheren Anteil einnahmen als noch 2009. Ich sage das hier auch mit Blick auf die Energiewende und den viel zitierten Markt. Auf dem Mineralölmarkt sieht es ähnlich aus: Die vom Bundeskartellamt in seiner Sektoruntersuchung vom Mai 2011 als Oligopol festgestellten fünf großen Mineralölkonzerne Aral, Shell, Jet, Total und Esso stel- len von den insgesamt 14 336 Tankstellen in Deutsch- land zusammen 7 286 Tankstellen – Stand: 1. Juli 2012 –, also etwa die Hälfte. Zusammen kommen die großen Fünf auf einen Kraftstoffabsatzmarktanteil von 69 Pro- zent am deutschen Markt, davon 22,5 Prozent Aral, 21 Prozent Shell, 10,5 Prozent Jet, 7,5 Prozent Esso und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24931 (A) (C) (D)(B) ebenfalls 7,5 Prozent Total. Die im Bundesverband Freier Tankstellen organisierten Unternehmen kommen mit ihren 2 206 freien Tankstellen in Deutschland auf ei- nen Absatzmarktanteil von 13 Prozent, die übrigen mit- telständisch geprägten Mineralölunternehmen haben mit Stand 1. Juli 2012 18 Prozent Absatzmarktanteil. Ob diese Struktur im Sinne von Wettbewerb und ver- tretbarer Preise zufriedenstellend ist, kann man zumin- dest diskutieren. Strom, Gas und Benzin sind nun einmal unverzichtbare Güter, auf die jeder von uns angewiesen ist, weswegen jeder auch den Preis zahlt, der nun einmal verlangt wird – auch unter Murren. In der Wirtschafts- theorie spricht man da von einer niedrigen Preiselastizi- tät der Nachfrage. Die Strom-, Gas- und Mineralölunter- nehmen haben gegenüber den Konsumenten eine erhebliche Angebotsmacht, die sie theoretisch auch aus- nutzen könnten. Spätestens kurz vor Weihnachten bzw. dann zu Ostern wird die Debatte um die Spritpreise wie- der einmal heißlaufen. Welche Möglichkeiten aber hat der Gesetzgeber, um Missbrauch bei der Preisentwicklung auf diesen Märkten entgegenzuwirken? Da schreien die Populisten von links gerne einmal sofort nach direkter oder indirekter Preisre- gulierung. Als überzeugte Vertreter der sozialen Markt- wirtschaft, die unserem Land erst dieses Wohlstandsni- veau gebracht hat, das wir heute gar nicht mehr anders kennen, lehnen wir solche sozialistischen Spielchen klar ab. Also müssen wir versuchen, mit den uns im Rahmen der Marktwirtschaft zur Verfügung stehenden kartell- rechtlichen Instrumenten Transparenz herzustellen, eventuellen Missbrauch aufzudecken und Vergehen ent- sprechend zu sanktionieren. Natürlich muss auch die Marktwirtschaft ihre Regeln und ihren Ordnungsrahmen haben; sonst kann das auch schnell einmal aus dem Ruder laufen, wie der Finanzsektor in den letzten Jahren gezeigt hat. Da haben wir im Bereich Mineralöl in der jüngst be- schlossenen GWB-Novelle schon ein nicht unerhebli- ches Schlupfloch geschlossen, indem wir das Verbot der sogenannten Preis-Kosten-Schere um weitere fünf Jahre verlängert haben. Damit verhindern wir, dass große Mineralölkonzerne mit eigenen Raffinerien ihren klei- nen und mittelständischen Wettbewerbern Kraftstoffe zu einem höheren Preis liefern als zu dem Preis, den sie von ihren eigenen Tankstellen verlangen. Die Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas ist als Maßnahme im Zehn-Punkte- Sofortprogramm des Energiekonzepts der Bundesregie- rung und schon in unserem Koalitionsvertrag vorgese- hen. Sie wird laufend und zeitnah die Strom- und Gasmärkte auf Auffälligkeiten untersuchen. Die Markt- transparenzstelle für Strom und Gas werden wir – statt wie ursprünglich vorgesehen beim Bundeskartellamt – nun bei der fachlich dafür geeigneteren Bundesnetzagen- tur ansiedeln. Damit wird ermöglicht, verbotene Ein- flussnahme auf die Großhandelspreise für Strom und Gas aufzudecken und zu sanktionieren. Denn wettbe- werbskonforme Großhandelspreise setzen die richtigen Investitionssignale und sorgen für das nötige Vertrauen der Strom- und Gaskunden. Sie kommen letztlich allen Verbrauchern zugute. Die organisatorische Neuzuordnung der Markttrans- parenzstelle im Energiebereich an die Bundesnetzagen- tur ist meines Erachtens – anders als SPD und Grüne es sehen – sachgerecht und entspricht auch dem Wunsch beider Behörden. Dadurch ist vor allem besser gewähr- leistet, dass die erforderlichen Daten nur einmal erhoben werden. Von Rot-Grün befürchtete Doppelstrukturen, also die künftige verpflichtende Meldung von Daten an die EU-Energietransparenzbehörde ACER gemäß der europäischen REMIT-Verordnung einmal und an die na- tionale Markttransparenzstelle außerdem, werden so ver- mieden, da die Bundesnetzagentur als Energieregulie- rungsbehörde bei ACER mitarbeitet und weiß, welche Daten schon an ACER gemeldet wurden. Wir haben also durchaus daran gedacht, Doppelmeldungen und unnöti- gen Mehraufwand für die Wirtschaft zu vermeiden. Die im Gesetz vorgesehenen Schwellenwerte für Mit- teilungspflichten im Strombereich bei Erzeugungskapa- zitäten von 10 Megawatt in § 47 g Abs. 2 GWB haben wir zunächst auf drei Jahre befristet. Zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes soll die Bundesregierung einen Vorschlag machen, welche Schwelle bei den Er- zeugungskapazitäten ab 2016 gelten sollte. Das haben CDU/CSU und FDP bewusst in die Beschlussempfeh- lung des Wirtschaftsausschusses geschrieben. Die SPD-Forderung, dass „nur solche Strukturen be- obachtet werden sollten, die reale Einflussmöglichkeiten auf die Preisbildung auf den Großmärkten haben“, und zwar „Stromerzeugungsanlagen ab einer Größe von 50 MW“ geht an der Sache vorbei. In der Summe haben die kleineren Anlagen eine nicht zu unterschätzende Be- deutung am Energiemarkt. Es soll ja auch um einen Ge- samtüberblick über die Entwicklung der Energiewende in Deutschland gehen. Dazu braucht man auch die Daten der kleineren Anlagen, die bei der weiteren Entwicklung unseres Jahrhundertprojekts Energiewende eine immer größere Gewichtung bekommen werden und kein Pap- penstiel sind, wie die Sozialdemokraten das sehen. Die beim Bundeskartellamt angesiedelte Markttrans- parenzstelle für die Entwicklung der Mineralölpreise ist ein echter, sichtbarer Fortschritt für die 54 Millionen Autofahrer in Deutschland. Den Gesetzentwurf der Bun- desregierung haben wir deutlich verbessert, indem die Verbraucher nun unmittelbar Transparenz über die ak- tuellen Spritpreise bekommen. Die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe wird zum einen laufend und zeitnah die Tankstellenpreise auf Auf- fälligkeiten untersuchen. Dadurch können die Kartell- behörden unzulässige Verdrängungsstrategien, zum Bei- spiel Preis-Kosten-Scheren, oder missbräuchlich erhöhte Preise der großen Mineralölkonzerne leichter aufdecken und verfolgen. Uns geht es dabei immer darum, den Wettbewerb auf den Kraftstoffmärkten zu stärken und die Position der mittelständischen und freien Tankstellen zu schützen. Um die Unternehmen aber nicht übermäßig zu belas- ten, haben wir im Rahmen der parlamentarischen Bera- 24932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) tungen die Meldepflichten gegenüber dem Regierungs- entwurf deutlich verschlankt. Zum einen verzichten wir auf Meldungen der Tankstellenbetreiber zu den abgege- benen Mengen. Zum anderen verzichten wir auf sämtli- che Meldepflichten der Raffinerie- und Großhandels- ebene, also zu Preisen und Absatzmengen. Hier sind wir den betroffenen Unternehmen ein ganzes Stück weit ent- gegengekommen. Nachvollziehbarerweise gab es in Reaktion auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung massive Kritik der Branche und des Normenkontrollra- tes wegen des Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft. Der Aufwand für diese Meldungen wäre in Relation zum Nutzen unverhältnismäßig hoch. Viel sinnvoller ist es, echte Transparenz auch für die Autofahrer zu schaffen. Deshalb sorgen wir dafür, dass die aktuellen Tankstellenpreise künftig lückenlos in Echtzeit veröffentlicht werden. Damit haben es die Au- tofahrer künftig leichter, die günstigste Tankstelle anzu- steuern. Gleichzeitig erhöhen wir dadurch den Preis- druck auf die großen Mineralölkonzerne. Dafür müssen die Tankstellen jetzt ihre Preise bzw. Preisänderungen in Echtzeit an die Markttransparenzstelle melden und nicht nur einmal wöchentlich en bloc, wie noch im ursprüngli- chen Gesetzentwurf geplant. Die Markttransparenzstelle stellt diese Daten dann sofort privaten Onlineportalen zur Verfügung. So können die Autofahrer alle Benzin- preise an allen Tankstellen bundesweit online und in Echtzeit abrufen, sei es am PC, über eine Smartphone- App oder über das Navigationssystem im Auto. Das schafft echte Vergleichsmöglichkeiten und erhöht den Preisdruck auf die Anbieter. Das ist echter Wettbewerb. Bewusst möchten wir keine staatliche Informations- stelle einrichten und in Konkurrenz zu bestehenden Ver- braucherinformationsportalen treten lassen. Damit wür- den wir Geschäftsmodelle auf privater Basis gefährden oder gar zerstören, die sich bereits mit Erfolg am Markt etabliert haben. Ich bin mir sicher, dass sich auf dem Markt ein vielfältiges Informationsangebot entwickeln wird. Die Details der Datenmeldung an die Markttranspa- renzstelle sowie zur Form der Datenweitergabe werden in einer Rechtsverordnung des Bundeswirtschaftsminis- teriums festgelegt. Für diese Rechtsverordnung haben wir uns für das Parlament ein Zustimmungsrecht er- wirkt. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren, dass sowohl die Verordnung als auch die technische Um- setzung rasch erfolgen, um der leidlichen Spritpreis- debatte noch vor Ostern zuvorzukommen. Weil wir die kleinen und freien Tankstellen schützen wollen, die kein automatisiertes System für eine Daten- meldung in Echtzeit haben, die ihre aktuellen Preistafeln immer noch mit der Leiter und händisch abändern müs- sen und die für eine neue elektronische Anlage etwa 20 000 Euro investieren müssten, haben wir in § 47 k Abs. 6 Satz 2 GWB eine Bagatellregelung eingebaut, nach der die Markttransparenzstelle solche Tankstellen von der Meldepflicht ausnehmen kann. Um die Auswirkungen des Gesetzes auf das Markt- geschehen, auf die Unternehmen und die Verbraucher bewerten zu können, haben wir schließlich festgelegt, dass die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht vorlegt – bei Strom und Gas fünf Jahre nach Inkrafttreten der Berichtspflich- ten, im Kraftstoffbereich drei Jahre nach Inkrafttreten. Hier „soll insbesondere auf die Preisentwicklung und die Situation der mittelständischen Mineralölwirtschaft“ eingegangen werden, wie wir das festgelegt haben. Eine Evaluierung der Markttransparenzstelle dauerhaft alle drei Jahre, wie von der SPD gefordert, halte ich für über- flüssig. Ich denke, dass wir mit diesem Gesetz in der Lage sind, das Geschehen auf diesen sensiblen Märkten nicht nur mit dem Fernglas, sondern mit der Lupe zu beobach- ten und da einzuschreiten, wo die Regeln für den Markt, die es zweifelsohne geben muss, bewusst nicht eingehal- ten werden. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Markttranspa- renz – das klingt gut. Landauf, landab ist Transparenz in aller Munde. Die Bundesregierung versucht den Koali- tionsvertrag umzusetzen und hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, um den Markt für den Handel mit Strom und Gas transparenter zu gestalten. – So weit so gut. Vertrauen im Markt ist notwendig. Wir begrüßen des- halb den Gesetzesvorschlag insoweit, dass Markttrans- parenzstellen eingerichtet werden. Ja, es ist jetzt nicht mehr eine beim Bundeskartellamt, sondern es sind jetzt gleich zwei: die für den Kraftstoffmarkt beim Bundes- kartellamt und die für Strom und Gas bei der Bundes- netzagentur. Wir hätten es für sinnvoller und effizienter gehalten, die MTS in das Bundeskartellamt zu integrieren und nicht „beim“ Kartellamt bzw. jetzt auch noch bei der Bundesnetzagentur anzusiedeln. Das hätte das Personal- problem gelöst und gleichzeitig dafür gesorgt, dass das Kartellamt direkt hätte tätig werden können. Das heißt, bei Verdacht auf Preismanipulation hätte unverzüglich ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden können. Kommen wir nun von der Organisation zur Funktion der Markttransparenzstellen: Es braucht Transparenz über Preisfindungsprozesse, damit Manipulationen und Marktmissbrauch verhindert werden. Denn 80 Prozent des Strommarktes werden von vier Unternehmen be- herrscht. Der Verdacht von Manipulationen im Markt konnte bislang nie vollständig ausgeräumt werden. Auf dem Kraftstoffmarkt sieht es auch nicht viel anders aus, dort gibt es ebenso nur wenige Anbieter. Wir haben dort auch eine oligopolistische Struktur. Aber was soll denn hier für wen transparent gemacht werden? Wird der Verbraucher von der Markttranspa- renzstelle profitieren? Oder zahlt er am Ende wieder die Zeche? Künftig werden Spritpreis-Vergleichsportale im Inter- net, Apps für Smartphones oder auch Navigationsgeräte in Autos auf die Daten zugreifen können. Die Preisdaten kommen damit nicht direkt vom Bundeskartellamt zu den Verbrauchern, sondern indirekt über private Ver- braucherinformationsdienste, die diese Preisvergleichs- seiten oder Apps betreiben. Jeder Tankkunde kann sich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24933 (A) (C) (D)(B) also informieren, welche Zapfsäule in seiner Nähe die günstigste ist. – Okay. Ob damit Preismanipulationen verhindert werden können bezweifle ich. Schlussendlich konnten sich die Ölkonzerne bei der Bundesregierung durchsetzen, und so müssen nun aus- schließlich Tankstellenpreise und nicht ebenfalls Groß- handelspreise an Raffinerien oder Tankanlagen gemeldet werden. Glaubt denn diese Bundesregierung wirklich, dass die großen Ölkonzerne auf einmal ein Herz für Ver- braucher gefunden haben. Der Unterschied zu früher ist nur, dass der Verbraucher in Zukunft auf einen Blick sieht, dass alle Tankstellen vor Ostern, den Sommerfe- rien usw. die Preise anziehen und er wieder den teuren Kraftstoff bezahlen muss. Ganz anders ist das bei Strom und Gas. Hier soll nur auf der Stufe des Großhandels die Preisbildung über- wacht werden. Richtig. Aber warum vollzieht die Bun- desregierung nicht die Einrichtung einer Markttranspa- renzstelle im Einklang mit der Europäischen Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhan- delsmarkts, REMIT? Wird mit dem Gesetz der Bundesregierung ein Schwarzes Loch entstehen, in dem Daten verschwinden und nie wiedergesehen werden, außer von Behördenmit- arbeitern? In diesem Zusammenhang muss auch die Frage gestellt werden, ob die Behörden genügend Perso- nal haben, um der zukünftigen Aufgabe nachzukommen. Ich befürchte einen erheblichen Bürokratieaufwuchs. Das sieht übrigens der viel geschätzte Normenkontrollrat ebenso. Er hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, die EU-Durchführungsakte abzuwarten. Ich frage mich, was die Eile jetzt soll. Wenn man das Gesetz gut macht, könnte Doppelaufwand vermieden werden. Die angestrebte Einrichtung einer Markttrans- parenzstelle in Deutschland muss im Einklang mit der Umsetzung der REMIT-Verordnung vollzogen werden. Das heißt, dass die jeweiligen Meldepflichten und -wege sowie die zu nutzenden Datenformate der Unternehmen aufeinander abzustimmen sind. Nur so lässt sich der Aufbau aufwändiger und kostenintensiver Doppelstruk- turen verhindern. Ein Erfüllungsaufwand, Personal, In- formationstechnologie, der über den durch REMIT ver- ursachten hinausgeht, hätte unbedingt vermieden werden sollen. Dann setzt die Bundesregierung noch eins drauf und bezieht kleine Erzeugungseinheiten ab 10 Megawatt ein. Zum Vergleich: REMIT bezieht erst ab 100 Megawatt ein. Wir fordern pragmatisch, Erzeugereinheiten erst ab 50 Megawatt mit einzubeziehen. Aber die Bundesregie- rung setzt auf noch mehr Bürokratie für kleine und mitt- lere Unternehmen und somit auch auf höhere Kosten. Was glaubt die Bundesregierung, wer am Ende die zusätzlichen Kosten für diesen Bürokratieaufwand trägt. – Klar, natürlich wird das umgelegt und schlägt sich in den Preisen nieder, und somit zahlt am Ende des Tages wieder der Verbraucher die Zeche. Gut gedacht – ist noch lange nicht gut gemacht. Dr. Erik Schweickert (FDP): Heue stärken wir den Wettbewerb im Energiebereich. Mit der Einrichtung der Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas werden Bundeskartellamt und Bundesnetzagen- tur zukünftig die Preisentwicklung im Energiegroß- handel rund um die Uhr genau beobachten. Sollte es zu verbotenen Beeinflussungen kommen, können diese zu- künftig noch effektiver sanktioniert werden. Mit dem neuen Gesetz geben wir den Wettbewerbs- behörden Instrumente in die Hand, um gegen kartellwid- riges und manipulatives Verhalten konsequenter vorge- hen zu können. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Unternehmen nicht durch zu viel Bürokratie belastet werden. Eine doppelte Datenerhebung wird es nicht ge- ben, da nach § 47 e Abs. 4 des Markttransparenzstellen- gesetzes die jeweiligen Mitteilungspflichten als erfüllt gelten, wenn den Meldepflichten nach REMIT nachge- kommen wurde. Gerade durch die organisatorische Ansiedlung der Markttransparenzstelle bei der Bundesnetzagentur wird sichergestellt, dass durch die Beteiligung der Bundes- netzagentur an dem REMIT-Umsetzungsprozess und die Mitarbeit in der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ACER, auf europäischer Ebene eine enge Abstimmung der Datenerhebungen der Markttransparenzstelle mit ACER gewährleistet werden kann. So können Doppelmeldungen von Daten auf natio- naler und europäischer Ebene vermieden werden. Mit der Markttransparenzstelle schaffen wir nicht nur mehr Transparenz bei Strom und Gas. Die Markttransparenz- stelle wird auch den Benzinmarkt revolutionieren. Um dem Entschließungsantrag der SPD gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wir entlassen das Bun- deskartellamt ausdrücklich nicht aus seiner Verantwor- tung, gegen kartellrechtliche Verstöße vorzugehen. Selbstverständlich wird der Missbrauch einer marktbe- herrschenden Stellung Konsequenzen nach sich ziehen. Gerade deshalb haben wir mit der Novellierung des Ge- setzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dafür gesorgt, das Verbot der Preis-Kosten-Schere dauerhaft im Gesetz zu verankern. Wir tun aber noch mehr. Zum ersten Mal werden die Verbraucher ohne großen Aufwand erfahren können, welche Tankstelle ihrer Region aktuell am billigsten ist. Dafür verankern wir eine Meldepflicht für Tankstellen, welche ihre Echtzeitpreise an die Markttransparenzstelle weitergeben müssen. Diese wiederum wird ihre Daten- bank dann für interessierte Anbieter zur Verfügung stel- len. Das bedeutet: Die aktuellen Tankstellenpreise wer- den künftig nicht nur im Internet, sondern auch per Handy-App oder Navi abrufbar sein. Wenn ich also künftig von Stuttgart nach Berlin über die Autobahn fahre, dann kann ich mir auf dem Navi die günstigste Tankstelle auf dem Weg anzeigen lassen und dort tan- ken. Wir versetzen die Verbraucher damit in die Lage, ihre Marktmacht an der Zapfsäule auszuüben. Bisher waren die Preise nur auf der Anbieterseite weitgehend transpa- rent. Wie das Bundeskartellamt in seiner Sektoranalyse zum Tankstellenmarkt herausgearbeitet hat, verfügte ins- 24934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) besondere das herrschende Oligopol aus den großen fünf Tankstellenketten über ein ausgeklügeltes System der Marktüberwachung. Damit waren sie in der Lage, den Tankstellenmarkt über den Preis zu dominieren. Das funktionierte aber nur, weil die Preise für die Ver- braucher nicht in gleichem Maße transparent waren wie für die Tankstellenbetreiber. Nur wenn zwei Tankstellen direkt beieinanderliegen, war ein valider Preisvergleich für die Verbraucher möglich. Deshalb vergleichen 25 Prozent der Autofahrer bislang überhaupt keine Preise. 40 Prozent tanken sogar immer an derselben Tankstelle. So kann Wettbewerb nicht funktionieren. Nun werden Verbraucher Preise für ganze Regionen ver- gleichen können. Sie können damit auch die günstigste Tankstelle aufsuchen und den Preiswettbewerb entfa- chen. Ich appelliere deshalb an die Verbraucher, diese Marktmacht auch zu nutzen. Durch die Preistransparenz stärken wir auch die kleinen Tankstellen am Markt, die ihren Sprit meistens günstiger anbieten als die fünf gro- ßen Oligopolisten. Letztlich bauen wir durch den stei- genden Preiswettbewerb auch mehr Druck auf das herr- schende Oligopol auf, ihr Benzin ebenfalls billiger anzubieten. Mehr Wettbewerb ist viel effizienter als irgendwelche staatlich verordneten Preisregulierungsmodelle, nach denen insbesondere die Oppositionsparteien immer wie- der rufen. Schauen wir uns doch einmal die Situation in Österreich an. Allen, die das österreichische Modell mit einer zugelassenen Preiserhöhung am Tag als so ver- braucherfreundlich preisen, sage ich: Nein, dieses Modell ist alles andere als verbraucherfreundlich. Denn die Benzinpreise sind seit der Einführung des Preisregu- lierungsmodells nicht gesunken, sondern auf neue Rekordhöhen geklettert. Das ist auch nicht überra- schend. Denn wenn man nur einmal am Tag den Preis er- höhen darf, erhöhen die Tankstellenbetreiber dafür eben immer umso deutlicher. In Österreich ist man über das eigene Modell deshalb so unzufrieden, dass man es schon wieder abschaffen möchte. Österreich ist also kein Vorbild für Deutschland. Wir haben eine bessere Alternative für die deutschen Autofahrer entwickelt. Indem wir in Deutschland Preistransparenz für die Verbraucher herbeiführen, schaffen wir die Grundlage dafür, dass sich die Benzin- preise wieder nach Angebot und Nachfrage richten und nicht mehr nach Feiertagen und Ferienzeiten. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Preise für Strom, Gas und Kraftstoffe steigen rasant. Der Buhmann ist schnell ausgemacht: Die Bundesregierung verweist wie die Energiekonzerne auf die Energiewende, die Mineralöl- konzerne auf die gestiegenen Rohölpreise. Doch die Wahrheit liegt etwas anders. Die erneuerbaren Energien führen zu Preissenkungen an der Energiebörse, die nicht an die Endkunden weitergegeben werden. Die Mineral- ölkonzerne treiben die Benzinpreise künstlich in die Höhe – so das Bundeskartellamt –, ohne zu formalen Preisabsprachen zu greifen. Das Problem ist in beiden Fällen dasselbe: die Marktmacht der beiden Oligopole. Diese Marktmacht muss beschnitten werden. Nur dann können die Extraprofite der Konzerne auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger endlich beendet werden. Doch anstatt die Marktmacht endlich wirkungsvoll aufzubre- chen, wollen Sie mit einer Markttransparenzstelle Han- deln demonstrieren, ohne den Konzernen wehzutun. Die Monopolkommission hat mehrfach festgestellt, dass bei den Kraftstoffpreisen vor allem die Raffinerie- preise beachtet werden müssen, wenn es um die Unter- suchung der Folgen von Vermachtung geht. Im Entwurf Ihres Gesetzes sollten die Großhandelspreise an Raffine- rien oder Tanklagern noch gemeldet werden. Jetzt sind Sie den Konzernen noch entgegengekommen und be- schränken die Meldung auf die Tankstellenpreise. Ver- stehen Sie uns nicht falsch: Wir sind keineswegs gegen Transparenz – wer ist das schon? –, aber Sie betreiben mit der Einrichtung einer Markttransparenzstelle einen riesigen Aufwand für wenig Ergebnis. Im Gegenteil, Professor Helmedag hat in der Anhö- rung darauf hingewiesen, dass im Kraftstoffsektor die Preise dadurch sogar steigen könnten: zum einen, weil die Mineralölkonzerne dadurch noch einfacher an die Daten ihrer Konkurrenten herankommen können, zum anderen, weil die Konzerne die Kosten für diesen neuen bürokratischen Aufwand auf die Endverbraucherpreise umlegen werden. Die Autofahrer dürfen sich auf Apps freuen, die ihnen bald den Weg zur günstigsten Tank- stelle weisen sollen. Doch das nützt nicht viel, wenn die Preise insgesamt weiter in dieser Rasanz steigen. Ver- braucherverhalten ist wichtig, kann aber staatliche Regu- lierung nicht ersetzen. Ganz abgesehen davon müssen endlich der öffentliche Personenverkehr ausgebaut und der Umstieg auf alternative Mobilitätsformen gefördert werden. Sonst können sich bald nur noch die Reichen Mobilität leisten. Strom und Gas müssen bezahlbar bleiben. Sie gehö- ren zu den Gütern des täglichen Bedarfs für die ganze Bevölkerung. Es muss damit Schluss sein, dass jährlich 800 000 Haushalten der Strom abgestellt wird, weil die Menschen ihn nicht mehr bezahlen können. Führen Sie eine staatliche Preisaufsicht ein! Verhindern Sie die Ex- traprofite der Energie- und Mineralölkonzerne! Ergreifen Sie endlich wirksame Maßnahmen gegen die Oligopole in beiden Branchen, und zwar durch Entflechtung! Die Markttransparenzstelle ist teure Augenwischerei. Daher lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Vergangenheit hat es eine Vielzahl von Hinweisen gegeben, dass Marktmissbrauch und -manipulation am Strom- und Gasmarkt stattfinden könnten. Man muss sich dazu den entsprechenden Bericht des Bundeskartell- amtes und der Monopolkommission ansehen. Das ver- wundert auch nicht bei Märkten, die von Oligopolen und großer Marktmacht einzelner Unternehmen geprägt sind. Dass in der Vergangenheit Missbrauch und Manipulation nicht nachgewiesen werden konnten, liegt auch daran, dass den Behörden wie dem Bundeskartellamt die not- wendigen Daten nicht vorlagen. Deshalb hat die schwarz-gelbe Koalition 2009 völlig richtig in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, eine „Markt- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24935 (A) (C) (D)(B) transparenzstelle für Strom und Gas“ einzurichten. Doch dann beschäftigte sich Schwarz-Gelb vor allem mit sich selbst statt mit dem Strom- und Gasmarkt. Erst heute – sage und schreibe drei Jahre später – beschließen wir im Bundestag die Einrichtung einer solchen Stelle. Das ist nicht nur langsam, das ist ein Bummelstreik einer Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. Wegen dieser dreijährigen Verzögerung blieben die Märkte nicht nur weiter unbeobachtet, nein – inzwischen hat die EU gehandelt und mit REMIT eine europäische Rechtsgrundlage für Marktransparenz geschaffen. Das ist gut; aber zu Recht gibt es nun seitens der Unterneh- men im Strom- und Gasmarkt, insbesondere der kleinen, denen die Markttransparenzstelle ja eigentlich helfen soll, Befürchtungen hinsichtlich Doppelerfassungen und un- nötiger Bürokratie. Statt Vorreiter in Europa zu sein, läuft Deutschland wieder einmal der Entwicklung hinter- her. Das ist ein weiteres europäisches Armutszeugnis für diese Regierung. Ohne Zweifel, die Markttransparenzstelle wird Daten sammeln, auswerten und auf Missbrauch überprüfen. Das ist gut so. Aber was ist mit der Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher? Da soll es alle paar Jahre einen Bericht geben, mehr nicht. Das reicht nicht. Das ist eine Transparenzstelle ohne Transparenz. Da be- steht die Gefahr, dass am Ende bei Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur Datenfriedhöfe geschaffen werden. So geht das nicht. Wir müssen die Daten zum Strom- und Gasmarkt zugänglich machen, soweit das mit den schützenswerten Interessen der Unternehmen vereinbar ist, damit auch alle interessierten und engagierten Men- schen sich ein eigenes Bild machen können. Das ist Transparenz und liefert am Ende vielleicht noch einmal ganz neue Erkenntnisse. Überhaupt scheinen Verbraucherinnen und Verbrau- cher bei den Überlegungen der Bundesregierung zu die- sem Thema keine Rolle gespielt zu haben. Dass Men- schen sich mit konkreten Hinweisen und Verdachts- momenten an die Transparenzstelle wenden können, ist erst gar nicht vorgesehen. Hier vergibt man jedoch eine Riesenchance, dass die 80 Millionen Strom- und Gas- kunden und Zehntausende Unternehmen mehr mitbe- kommen, als dass es gut zwei Dutzend mehr Mitarbeiter in einer Bundesbehörde gibt. Deshalb erwarten wir, dass Sie die Tansparenzstelle für die Verbraucherinnen und Verbraucher öffnen. Die Menschen im Land machen die Erfahrung, dass Strom- und Gaspreiserhöhungen von den Versorgern nicht seriös begründet werden. Aktuelle Fälle zeigen, dass Er- höhungen weitaus größer ausfallen, als steigende EEG- Umlage und Netzentgelte das rechtfertigen, und dass gleichzeitig auch noch die Börsenpreise sinken. Das sind Dinge, die die Transparenzstelle eigentlich im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher wird aufklären müs- sen. Doch ich fürchte, dass genau das nicht geschieht. Über die Anbindung der Stelle bei der Bundesnetz- agentur oder dem Bundeskartellamt kann man streiten. Was aber nicht sein kann, ist, dass die Markttransparenz- stelle durch die Hintertür eine andere Aufgabe bekommt, nämlich so eine Art Monitoringstelle für die Energie- wende. Das brauchen wir natürlich, und das tut gerade bei dieser Bundesregierung not; aber dann muss man es auch im Gesetz klar verankern mit klaren Aufgabenzu- weisungen. Aber das gibt Ihre per Änderungsantrag kurzfristig geänderte Anbindung an die Bundesnetz- agentur einschließlich der Stellenzuweisungen nicht her. Zum Schluss noch ein Wort zum Thema Kraftstoffe: Es ist schön, wenn es aufgrund des Gesetzes und der Verordnung demnächst eine App für Smartphones mit den aktuellen Spritpreisen der Tankstellen der Umge- bung geben wird. Das werden alle Autofahrer gut finden. Aber seien wir ehrlich: Das löst nicht das Problem stei- gender Spritpreise und steigender Marktkonzentration auf der Anbieterseite. Schon gar nicht ist es eine Ant- wort auf unsere fatale Ölabhängigkeit. Deshalb ist der regelmäßige Populismus von Ramsauer und Rösler zu Ostern und vor den Sommerferien nicht angebracht. Zusammenfassend kann ich sagen: Sie haben etwas Richtiges gemacht, was aber viel zu spät und viel zu dürftig umgesetzt wird. In einem Entschließungsantrag in den Ausschüssen haben wir konkrete Vorschläge ge- macht, die sie jedoch abgelehnt haben. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über das Gesetz enthalten. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 14) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Wir debattieren heute, wie in jedem Jahr, den Antrag der Linken zur Aufkündigung des Berlin-Bonn-Gesetzes. Zweck dieses Gesetzes ist es, den Beschluss des Deutschen Bundesta- ges zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 20. Juni 1991 umzusetzen. Kern ist ein auf Dauer ange- legter fairer Ausgleich für die Bundesstadt Bonn. Das Gesetz ist mit diesem Zweck ebenso singulär, wie es die Bundestagsdebatte 1991 war. Am 20. Juni 1991 war ich Bürgerin der Stadt Bonn, heute bin ich Bürgerin der Stadt Berlin. Damals habe ich als studentische Mitarbeiterin eines Berliner Bundes- tagsabgeordneten hautnah miterlebt, wie intensiv der Wettbewerb zwischen Bonn und Berlin im Vorfeld der Entscheidung gelaufen ist. Ich habe die sehr emotionale Debatte vor der Entscheidung im Wasserwerk in Bonn live miterlebt und weiß durch eigenes Erleben, dass ein ganz wesentlicher Aspekt für viele zweifelnde Abgeord- nete auch die zugesicherte Bedeutung Bonns als Bundes- stadt mit dem Sitz von Teilen der Exekutive gewesen ist. Die Gegner des Umzugs führten damals als ein Hauptargument an, in wenigen Jahren würde sich so oder so niemand mehr an die Zusage an Bonn erinnern, und man könne diesem föderalen Kompromiss nicht trauen. Viel Kraft wurde in die Beruhigung der Skeptiker gerade in diesem Punkt gesteckt. 24936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Politische Glaubwürdigkeit ist für mich immer eine ganz wichtige Basis für meine Überzeugungen gewesen. Deshalb habe ich dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zur Bildung dieser Regierung auch an dieser Stelle ohne Hadern zugestimmt. Sicherlich: Als Berliner Bundestagsabgeordnete würde ich mich natür- lich freuen, wenn die Regierung voll und ganz in die Bundeshauptstadt ziehen würde. Bonn ist eine sehr lebenswerte Stadt. In der Metropole Berlin spiegelt sich allerdings die neue Bedeutung des wiedervereinigten Deutschlands kraftvoll wider. Die Zeit wird kommen, zu der wir eine neue große Debatte führen. Jetzt haben wir allerdings drängendere Fragen zur Zukunft Deutschlands in Europa zu beantworten. Dr. Peter Danckert (SPD): Nach fast zwölfstündiger Debatte des Deutschen Bundestages fiel am 20. Juni 1991 die Hauptstadtentscheidung zugunsten Berlins. Im provisorischen Plenarsaal, einem ehemaligen Wasser- werk, gab Präsidentin Rita Süssmuth um 21.49 Uhr be- kannt, dass 337 Stimmen für den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin abgegeben worden waren. Dabei hatten sich 320 Mitglieder des Bundestages er- folglos dafür eingesetzt, zwar den Bundesrat und den Sitz des Bundespräsidenten nach Berlin zu verlegen, Parlament und Regierung aber in Bonn zu belassen. Die Grundlage der Hauptstadtentscheidung bildet Art. 2 Abs. 1 des Einigungsvertrages, wo es heißt: „Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parla- ment und Regierung wird nach der Herstellung der Ein- heit Deutschlands entschieden.“ Ausweislich einer Pro- tokollnotiz zum Einigungsvertrag sollten die weiteren Entscheidungen zur Hauptstadt Sache der gesetzgeben- den Körperschaften des Bundes sein. So wurde das Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Voll- endung der Einheit Deutschlands, kurz: Berlin-Bonn- Gesetz, am 26. April 1994 verabschiedet. Es regelt wie der Beschluss des Deutschen Bundestags zum Umzug des Parlaments- und Regierungssitzes von Bonn nach Berlin in die Praxis umgesetzt werden sollte. Die zentrale Regelung, § 4 Abs. 4 Berlin-Bonn-Ge- setz, legt fest, dass der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten werden soll. Auch zentrale Politikberei- che, wie zum Beispiel Verteidigung, Bildung, Umwelt, sollten in Bonn angesiedelt bleiben. Zudem bestimmte das Gesetz, dass Bonn einen Ausgleich für den Verlust von Parlament und Regierung erhielt, etwa durch neue Funktionen und die Ansiedlung neuer Institutionen. Durch die „Vereinbarung über die Ausgleichsmaßnah- men für die Region Bonn vom 29. Juni 1994“ wurden 1,437 Milliarden Euro für 90 Ausgleichsprojekte und weitere rund 210 Einzelmaßnahmen an Bonn gezahlt. Der Vollständigkeit halber muss hier erwähnt werden, dass auch Berlin Ausgleichszahlungen erhielt. Laut Antrag der Fraktion Die Linke wirkt das Gesetz seit 1994 und hat seinen Sinn erfüllt. Trotz der Vertei- lung der Arbeitsstellen zugunsten Berlins sei die Tren- nung der Regierungstätigkeit 20 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit überholt und unter dem Gesichts- punkt der Wahrnehmung der Hauptstadtrolle Berlins, der Koordinierung der Regierungsarbeit sowie der Bezie- hungen zwischen Parlament und Bundesregierung in höchstem Maße ineffizient. Zugleich behindere die Tei- lung der Bundesregierung auf zwei Standorte die not- wendige Nachwuchsarbeit in den Bundesministerien, da es junge Spitzenkräfte eher nach Berlin als nach Bonn ziehe. Durch die permanente Teilung seien operative Fä- higkeiten der Bundesregierung, zum Beispiel bei der Lö- sung der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, stark eingeschränkt. Meiner Meinung nach gilt grundsätzlich das Prinzip, dass Verträge eingehalten werden müssen. Andererseits stellt sich nach über 20 Jahren gesamtdeutschen Zu- sammenlebens die Frage, inwieweit dieses Gesetz noch sinnvoll ist. Als Jurist und Haushälter möchte ich dies einerseits in rechtlicher- und andererseits in haushalts- politischer Hinsicht bewerten. Ganz aktuell kommt das am 29.Oktober 2012 vorge- stellte Gutachten des Juristen Professor Dr. Markus Heintzen von der FU Berlin zu dem Ergebnis, dass seit vier Jahren gegen die Regelungen des Berlin-Bonn-Ge- setzes verstoßen wird. So arbeiten zurzeit weniger als 45 Prozent der Ministerialbediensteten in Bonn. Da das Berlin-Bonn-Gesetz keinen Verfassungsrang besitzt, hat dieser Rechtsbruch aber keine konkreten Folgen für die Bundesregierung. Gestattet sei mir hier die Anmerkung, dass derartige Rechtsbrüche durch die Bundesregierung seit der über- raschenden Aufkündigung der geplanten Ansiedlung der Abteilung 7 des Bundesinstituts für Risikobewertung in Neuruppin im Haushaltsausschuss zunehmend legitim erscheinen. Die Ansiedlung der Abteilung 7 des Bundes- instituts für Risikobewertung stand in einem unmittelba- ren Zusammenhang mit dem Beschluss der Unabhängi- gen Föderalismuskommission aus dem Jahr 1992, nach dem neue Bundeseinrichtungen und Bundesinstitutionen grundsätzlich in den neuen Ländern anzusiedeln sind. Darüber hinaus sollte diese Ansiedlung für Brandenburg auch ein Ausgleich sein, weil ein Forschungsstandort des Friedrich-Löffler-Instituts in Wusterhausen geschlossen werden soll. Argumente gegen die Abschaffung des Ber- lin-Bonn-Gesetzes, welche sich auf bestehende Verträge und darin getroffene Vereinbarungen berufen, verlieren vor diesem Hintergrund ihre Glaubwürdigkeit. Neben der besagten Studie möchte ich mich auf eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deut- schen Bundestages aus dem Jahr 2007 zur möglichen Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes und damit verbun- dener Maßnahmen für einen Komplettumzug nach Ber- lin beziehen. Diese kommt zu dem Schluss, dass für einen Komplettumzug nach Berlin das Berlin-Bonn-Ge- setz geändert werden müsse. Da die Gesetzgebungskom- petenz beim Bund liegt, ist der Gesetzgeber grundsätz- lich nicht gehindert, über ein Gesetz zu verfügen und dieses zu ändern. Diese Tatsache ergibt sich aus dem De- mokratieprinzip und gilt auch für das Berlin-Bonn-Ge- setz. Zudem trifft der § 1 Abs. 2 Nr. 3 Berlin-Bonn-Ge- setz keine Aussage, in welcher Form die genannten Politikbereiche in Bonn angesiedelt sein sollen, etwa als Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24937 (A) (C) (D)(B) Ministerien oder nachgeordnete Behörden. Auch die Sollvorschrift, dass laut § 4 Abs. 4 Berlin-Bonn-Gesetz der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten wer- den soll, schließt eine Reform der Ministerialverwaltung und damit einhergehende weitere Verlagerungen von Ministerien nach Berlin nicht aus. Soweit man davon ausgeht, dass die Region Bonn aufgrund bisheriger Ver- einbarungen Vertrauensschutz genießt, spricht dies nicht generell gegen einen Umzug. Denkbar ist nur, laut Aus- sage des Wissenschaftlichen Dienstes, dass hieraus die Pflicht zu weiteren Ausgleichsmaßnahmen resultiert. Hier ließe sich einwenden, dass derartige Pflichten, wie im Falle der Neuruppin-Entscheidung im Haushaltsaus- schuss, aber nicht unbedingt Bindungswirkung entfalten. Um die Kosten der durch das Berlin-Bonn-Gesetz ge- teilten Dienstsitze besser kontrollieren zu können, be- schloss der Haushaltsausschuss am 20. November 2008 die Vorlage jährlicher Teilungskostenberichte. Laut Tei- lungskostenbericht des Jahres 2012 belaufen sich die ge- schätzten Gesamtkosten der geteilten Dienstsitze für das Jahr 2013 auf 9,047 Millionen Euro. Im Vergleich zu 2012 erhöhen sich dabei die Ausgaben um 176 000 Euro. Den umfangreichsten Ausgabeposten stellen die Dienst- reisen mit 4,895 Millionen Euro in 2013 dar. Im Ver- gleich zum Vorjahr entspricht das einer Kostensteige- rung um rund 2,3 Prozent. Vor diesen fiskal- und rechtspolitischen Aspekten müsste die Frage, ob das Berlin-Bonn-Gesetz noch Sinn macht, abschlägig beantwortet werden. Andererseits ha- ben wir eine große Verantwortung für die Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer in der Region Bonn, die bei ei- nem Komplettumzug nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden dürfen. Hier stellt sich die Frage der Zumutbarkeit einer kompletten Verlagerung der Dienst- sitze nach Berlin für die dort lebenden Menschen und der Wirtschaftsregion Bonn als Ganzes. Vielleicht ließe sich hier eine Regelung finden, die über einen großzügig angelegten Übergangszeitraum einen sukzessiven Um- zug unter sozialverträglichen Aspekten umsetzen kann. Möglicherweise wird das Parlament in der nächsten- oder übernächsten Legislaturperiode beschließen, das Berlin-Bonn-Gesetz abzuschaffen. Heute ist der Zeit- punkt noch nicht gekommen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Deutsche Bundestag hat vor etwas mehr als 21 Jahren, im Juni 1991, beschlossen, das Parlament und Teile der Regierung von Bonn nach Berlin zu verlegen, aber eine dauerhafte – ich betone: „dauerhafte“ – Arbeitsteilung zwischen den beiden Städten vorzusehen. Dieser Be- schluss war denkbar knapp, er kam nach langer kontro- verser Debatte mit 38 zu 320 Stimmen, also einer Mehr- heit von gerade einmal 18 Stimmen, zustande. Und klar ist: Diese Mehrheit hätte es ohne die Zusage einer dauer- haften und fairen Arbeitsteilung zwischen der Bundes- hauptstadt und der Bundesstadt Bonn gar nicht gegeben. Die Linksfraktion belegt mit ihren permanenten Atta- cken gegen das Bonn-Berlin-Gesetz nur ihre Ostfixiert- heit und dass sie keinerlei Feeling und keinerlei Anerken- nung für die Leistungen der westdeutschen Demokratie während der Zeit der deutschen Teilung hat. Kollege Claus hätte sich mal besser mit der Landtagsfraktion der Linken im nordrhein-westfälischen Landtag unterhalten, als es eine solche noch gab; die hätte ihm nämlich erzählt, wie groß die Bedeutung des Bonn-Berlin-Gesetzes für die Stadt und die Region ist. Aber wir erleben ja auch im Haushaltsausschuss immer wieder, dass Anfang der 90er für den Osten getroffene Vereinbarungen von der Linken für sakrosankt erklärt und mit Zähnen und Klauen vertei- digt werden, während es bei Vereinbarungen, die den Westen und insbesondere Bonn angehen, mit einem Ach- selzucken abgetan werden. Der Stadt Bonn, der gesamten Region, den Menschen, die in den Ministerien und Behörden arbeiten, aber auch der gesamten Bevölkerung in Bonn und der Region wurde eine klare Zusage gemacht, und zwar die einer dauerhaften fairen Arbeitsteilung. Deshalb ist die Kern- aussage im Antrag der Linken, das Bonn-Berlin-Gesetz habe seinen Sinn erfüllt, einfach Humbug. Den Men- schen in Bonn und der Region wurde eine dauerhafte Absicherung zugesagt. Sie haben ein Recht darauf, dass diese Zusage eingehalten wird. Veränderungen kann es also nur im Dialog mit der Region geben. Das ist eine Frage von Verlässlichkeit und von Vertrauen, das Men- schen in die Politik haben können. Direkt und indirekt sind in Bonn und der Region rund 60 000 Arbeitsplätze von der im Bonn-Berlin-Gesetz verbürgten Arbeitsteilung abhängig. Zehntausende Men- schen und ihre Familien haben ihre Lebensplanung auf die Einhaltung von Zusagen aufgebaut, die die Politik ih- nen gemacht hat. Das ist der angeblich auch so arbeitneh- merfreundlichen Linken aber offensichtlich schnuppe. Was mich besonders wundert, ist, dass die Forderung nach einem Komplettumzug gerade von den Haushalts- politikern der Linken so forciert wird. Dabei sprechen die Zahlen eine glasklare Sprache – und gerade an den Zahlen sollten sich Haushälterinnen und Haushälter doch orientieren –: Der Bundesrechnungshof hat darge- legt, dass die Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin sehr gut funktioniert und dauerhaft – ich betone wieder: „dauerhaft“ – preisgünstiger ist als ein Komplettumzug. Die Teilungskosten sind in den vergangenen Jahren kon- tinuierlich gesunken. Der Komplettumzug würde rund 5 Milliarden Euro kosten – 5 Milliarden, die der Bund nicht hat und deshalb auf Pump finanzieren müsste. Al- leine die Zinsen wären höher als die Teilungskosten, von Tilgung ganz zu schweigen. Die nackten Zahlen zeigen: Die Forderung nach ei- nem Komplettumzug lässt sich mit den Teilungskosten nicht begründen. Einen weiteren Aspekt will ich anspre- chen: Die Anzahl der Dienstreisen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Ministerien nach Brüssel ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch deshalb wäre ein Umzug des BMZ, des BMELV, des BMU und auch der anderen Organisationen, für die die Nähe zu Brüssel wichtig ist, finanziell und auch ökolo- gisch kontraproduktiv. Von Berlin nach Brüssel wird ge- flogen. Von Bonn fährt man mit dem Zug. Von Berlin nach Brüssel kostet die eintägige Dienstreise 654 Euro, von Bonn 179 Euro. 24938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Bonn und die Region sind auf die Vereinbarungen aus dem Bonn-Berlin-Gesetz angewiesen. Es kann keine einseitige Aufkündigung fester Zusagen geben. Deshalb sollten wir die nervige, fruchtlose Debatte um eine ein- seitige Aufkündigung des Bonn-Berlin-Gesetzes endlich beenden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ausführungs- gesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungs- gesetz) (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wie stark sich Fi- nanz- und Realwirtschaft voneinander entkoppelt ha- ben, lässt sich leicht mit einigen Zahlen veranschauli- chen. Nach den letzten verfügbaren Daten ist der globale außerbörsliche Derivatehandel auf ein Volumen von 650 Billionen US-Dollar angewachsen – das Zehn- fache der jährlichen Weltwirtschaftsleistung. Dahinter stehen keine Absicherungsgeschäfte von Unternehmen, sondern in erster Linie Spekulationen. Vor dieser Ent- wicklung haben wir lange gewarnt. Welche Risiken sie birgt, mussten wir infolge der Finanzkrise schmerzhaft erfahren. Doch trotz Finanzkrise geht der Handel mit Derivaten schwungvoll weiter. Derivate versprechen als Hebelinstrumente hohe Ren- diten bei hohem Verlustrisiko. Fehlspekulationen mit Derivaten können leicht im Ruin enden. Noch gefährli- cher wird der Derivatehandel dadurch, dass bis zu 90 Prozent des Derivatehandels außerhalb regulierter Märkte stattfinden. Dort müssen keine Details wie Volu- men oder Preis offengelegt werden. Niemand weiß, wer welche Derivate hat und wie stark mit wem über Deri- vate verflochten ist. Dadurch konnte sich die US-Immo- bilienblase zu einer weltweiten Finanzkrise ausweiten. Viele komplexe Derivate dienen nicht dazu, Risiken auf viele Schultern zu verteilen und damit tragbar zu ma- chen. Risiken werden stattdessen verschleiert. Ein erster konsequenter Schritt wäre gewesen, den Dschungel der Derivatemärkte zu lichten und nur diejenigen Derivate zuzulassen, die offensichtlich einen gesamtwirtschaftli- chen Nutzen haben, verständlich sind und deren Risiken sich robust quantifizieren lassen. Dieser Schritt lässt weiter auf sich warten. Darüber hinaus muss der Deriva- tehandel sicherer und transparenter gemacht werden. Hier hat sich tatsächlich etwas getan. Mit EMIR hat die EU strengere Regeln für die Ab- wicklung des außerbörslichen Derivatehandels erlassen. Die Verordnung tritt 2013 in Kraft. Das hier debattierte Gesetz klärt nur noch kleinere Details. Zwischen Käufer und Verkäufer muss künftig eine Clearingstelle geschal- tet werden. Diese springt dann ein, wenn eine der Ver- tragsparteien ausfällt. Dies soll Ansteckungsrisiken min- dern. Es hat jedoch zur Folge, dass die Clearinghäuser eine systemische Funktion gewinnen. Die Pleite eines Clearinghauses wäre ein Schock ver- gleichbar mit einem Erdbeben. Sie sind systemisch rele- vant, weswegen der Staat sie notgedrungen auffangen müsste. Solange der Derivatedschungel weiterbesteht, müssen die Clearinghäuser unnötig viele Risiken schul- tern. Das ist für uns nicht akzeptabel. Ein weiteres Problem: Die Clearingpflicht ist unnötig löchrig, denn sie betrifft nur „standardisierte“ Derivate. Diese müssen lediglich an ein Transaktionsregister ge- meldet werden. Als „standardisiert“ soll ein Derivat dann gelten, wenn ein Clearinghaus eine zentrale Ab- wicklung dafür anbietet – der Markt setzt sich damit wieder einmal selbst die Standards. Eine Nebenbemerkung: Das erwähnte Transaktions- register hat neben Transparenz noch eine zweite Funk- tion: Es wird sehr einfach, die geplante Finanztransak- tionsteuer zu erheben. Fehlende Informationen oder Erhebungskosten werden kein Hindernis für die Finanz- transaktionsteuer sein. Ich betone das deshalb, weil die Finanzpolitiker der Koalition – FDP und Union – immer noch wenig Begeisterung und Einsatz für die Pläne von Finanzminister Schäuble für eine europäische Finanz- transaktionsteuer zeigen. Doch bisher haben sich Argu- mente gegen die Steuer immer als haltlos erwiesen. Zusammenfassend: Wir fordern, die Finanzmärkte auch in Bezug auf die Derivatemärkte drastisch zu schrumpfen und ihre Komplexität zu reduzieren. Nur diejenigen Finanzprodukte, die gesamtwirtschaftlich nützlich, verständlich und von den Risiken beherrschbar sind, sollten von einem „Finanz-TÜV“ zugelassen wer- den. Die dann übrig gebliebenen Derivate wären stan- dardisiert und könnten über regulierte Handelsplätze ge- handelt werden. Der außerbörsliche Derivatehandel wäre dann erst recht überflüssig. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zweifellos: Die Umsetzung der European Market Infra- structure Regulation, EMIR, gehört zu den wichtigen Reformbaustellen der Finanzmarktregulierung. Denn bisher ist der etwa 700 Billionen Dollar schwere Deriva- temarkt nahezu unreguliert, intransparent und daher stark missbrauchsanfällig. Daten sind Mangelware – bei Aufsicht wie bei den Regulierten selbst. Man erinnere sich nur an das Jahr 2010, als die deutsche Aufsicht auf Auskünfte eines privaten Anbieters in den USA ange- wiesen war, um die Position von auf Griechenland abge- schlossenen Kreditausfallversicherungen zu erfahren. Diese Intransparenz ist ein hohes systemisches Ri- siko. Auch deshalb konnte die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 zu einer derartigen Eskalation der Krise führen. Denn niemand wusste, wer welche Derivatekontrakte eingegangen war und deshalb von welchen etwaigen Dominoeffekten betroffen sein könnte. Das wäre jedoch nötig gewesen, um die Folge- wirkungen eines unkontrollierten Zusammenbruchs ab- schätzen zu können. Stattdessen herrschte gefährliche, krisenbeschleunigende Marktpanik. Die Grundziele von EMIR sind daher richtig: Es ist richtig, dass künftig sämtliche Derivate an sogenannte Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24939 (A) (C) (D)(B) Transaktionsregister gemeldet werden müssen, sodass die Aufsicht einen Überblick über Vernetzungen und Ri- siken, etwa zu hohe offene Position einzelner Akteure, im Derivatemarkt erhält. Und es ist richtig, dass standar- disierbare Derivate künftig über sogenannte Clearing- häuser abgewickelt werden müssen. Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Etliche Fragen der Umsetzung, aber auch der sich aus der Regu- lierung ergebenden künftigen Marktstruktur, sind noch offen. So stellt sich mir die Frage, welche Art von Deri- vaten wann überhaupt clearingpflichtig werden. Reden wir hier von 10, 30, 50, oder sogar mehr als 70 Prozent des Derivatemarktes? In der EMIR-Verordnung der Kommission habe ich jedenfalls Ausnahmen von der Clearingpflicht für große Teile der Realwirtschaft, für Pfandbriefbanken, Pensionsfonds, Lebensversicherun- gen und auch Landesbanken gefunden. Aus dem Markt höre ich, die Clearingpflicht werde sich zunächst auf be- stimmte Arten von Kreditausfallversicherungen sowie Zins-Swaps, also nur einen Teil des Marktes, konzentrie- ren. Die Frage des Umfangs der Clearingpflicht ist aber grundlegend und letztlich hochpolitisch. Denn vom An- teil künftig geclearter Derivate hängt ab, zu welchem Grad es gelingen wird, diesen billionenschweren Markt einem transparenten Preisfindungsmechanismus zuzu- führen. In den „dark pools“, in denen bisher relevante Teile des Handels stattfinden, bleibt transparente Preis- findung nämlich auf der Strecke. Einen Nutzen haben davon letztlich nur die wenigen Insider, weil sie aus den resultierenden Informationsvorteilen Profit schlagen können. Anderen Marktteilnehmern fehlen hingegen die sonst verfügbaren Preis- und Handelsinformationen. In der Folge wird der Marktprozess als Ganzes behindert – zulasten der Endkundinnen und Endkunden. Ferner frage ich mich: Wer erhält künftig überhaupt Einblick in die Transaktionsregister? Wie viele derartiger Register wird es geben? Wie wird technisch deren korrekte inter- nationale Konsolidierung sichergestellt? Es dürfte unstrittig sein, dass mit den Clearinghäusern neue „Risikoknoten“ systemischer Relevanz geschaffen werden. Bei der weiteren parlamentarischen Beratung dürfte vor diesem Hintergrund noch zu diskutieren sein, ob in der deutschen Umsetzung diesem neuen systemi- schen Risiko adäquat begegnet wird, und wie eigentlich die Behörden im Fall der Schieflage eines Clearinghau- ses vorgehen möchten. Mit der gerade erfolgten Ein- grenzung des Soffin auf die Kreditwirtschaft kommt das Finanzmarktstabilisierungsgesetz jedenfalls nicht mehr infrage. Werden daher die Clearinghäuser im Notfall Zu- gang zu Zentralbankliquidität erhalten? Auch werden wir noch kritisch hinterfragen, ob die Entscheidung der deutschen Bundesregierung eigentlich richtig war, die Aufsicht über die Clearinghäuser letzt- lich national zu organisieren. Ich habe da meine Zweifel. Das europäische Parlament forderte hier eine starke Rolle der ESMA. Denn Clearinghäuser werden grenz- überschreitendes Geschäft betreiben. Deshalb wäre hier eine grenzüberschreitende Aufsicht auch folgerichtig ge- wesen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Be- richt zu dem Antrag: Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutschland; Beschlussempfehlung und Bericht zu dem An- trag: Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen (Tages- ordnungspunkt 16) Helmut Brandt (CDU/CSU): Aus Anlass der anhal- tenden bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien soll nach den Anträgen der Fraktion Die Linke und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern, die Situation insbesondere syrischer Flüchtlinge durch diverse Maßnahmen zu ver- bessern. Es dürfte keine Überraschung sein, wenn ich Ih- nen sage, dass wir Ihre Anträge ablehnen. Ich wehre mich gegen den Eindruck, den Sie hier zu vermitteln versuchen, dass wir nicht genug Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen oder nicht genug Unterstützung leisten. In Deutschland sind die Asylbewerberzahlen aus Syrien deutlich angestiegen. 2011 gab es insgesamt 3 436 Anträge, von Januar bis September 2012 waren es 5 156 Anträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährt syrischen Staatsangehörigen im Rahmen der Asylverfahren zumindest einen sofortigen Schutz in Form eines einjährigen Aufenthaltstitels, der verlängert werden kann. Zudem werden bundesweit be- reits seit Ende April 2011 keine Personen mehr nach Sy- rien abgeschoben. Am Rande bemerkt: Diese Situation stellt unsere Kommunen schon jetzt vor große logisti- sche Probleme. Die ersten Bundesländer sind bereits an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen, auch wegen der im Übrigen stark ansteigenden Asylbewerberzahlen. Nun zu einigen Ihrer Forderungen im Einzelnen. Die von Ihnen geforderte Unterstützung der Anrainer- staaten wird von uns bereits geleistet. Die Bundes- regierung hat bislang humanitäre Soforthilfe für die Flüchtlinge in der Region in Höhe von insgesamt 23,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und ist damit eines der größten Geberländer. Auch Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks leisten Hilfe in der Region. Weiterhin fordern Sie, dass wir in Absprache mit den anderen europäischen Staaten ein bedeutendes Kontin- gent syrischer Flüchtlinge aufnehmen. Wie ich eingangs sagte, werden derzeit keine Abschiebungen nach Syrien vorgenommen. Vor der aktiven Aufnahme von Flüchtlin- gen hat für die Bundesregierung und die CDU/CSU- Fraktion die Hilfe vor Ort Priorität. Denn die Flüchtlinge wollen dort gar nicht weg, weil sie die Hoffnung haben, dass die Kämpfe in absehbarer Zeit zu Ende gehen. Zudem beabsichtigen auch die anderen EU-Mitglied- staaten zurzeit keine Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Ein nationaler Alleingang ist nicht sinnvoll. Auch wenn eine Aufnahme rechtlich allein auf nationa- ler Ebene grundsätzlich möglich wäre, so wäre die Durchführung eines Aufnahmeverfahrens – Auswahl- 24940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) missionen, Interviews mit Flüchtlingen, Transport – ohne Unterstützung des UNHCR logistisch sehr schwie- rig. Nun zu Ihrer Forderung, Visaanträge syrischer Staats- angehöriger, insbesondere von Familienangehörigen in Deutschland lebender Personen, schnell und wohlwol- lend zu bearbeiten. Die Auslandsvertretungen prüfen nach hiesiger Kenntnis jeden Einzelfall sorgfältig, müs- sen sich dabei aber an die geltende Rechtslage halten. Die Erteilung eines Kurzzeit-(Schengen-)Visums zu Besuchszwecken setzt unter anderem voraus, dass die Rückkehrabsicht des Antragstellers feststeht, er also nicht die Absicht hat, mithilfe eines Schengen-Visums nach Deutschland einzuwandern und sich hier niederzu- lassen. Angesichts der augenblicklichen Lage in Syrien wird die Rückkehrabsicht derzeit nur selten nachweisbar sein. Die Erteilung eines Langzeitvisums an Familienange- hörige außerhalb der Kernfamilie, also an Ehepartner und minderjährige Kinder, ist gemäß § 36 Abs. 2 Auf- enthaltsgesetz nur möglich, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Ungüns- tige Verhältnisse im Heimatstaat und ausschließlich hu- manitäre Gründe, die auf der Situation im Heimatstaat beruhen, sowie politische Verfolgungsgründe können nach der allgemeinen Anwendungspraxis nicht herange- zogen werden, um eine Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 zu begründen. Hiervon sollten wir auch nicht abweichen. Wir wollen kein Asyl durch die Hintertür. Nun zu Ihrer Forderung, sich für Regelungen einzu- setzen, mit denen der Studienaufenthalt hier lebender sy- rischer Studenten gesichert werden soll. Derzeit halten sich circa 2100 syrische Staatsangehörige mit Aufent- haltserlaubnissen nach § 16 und § 17 Aufenthaltsgesetz zum Studium, zur Promotion, zur Facharztausbildung etc. in Deutschland auf, die ihren Aufenthalt mit Stipen- dien oder privaten Mitteln aus Syrien finanzieren. Auf- grund der Situation in Syrien sind bei bislang 18 Perso- nen die Zahlungen ausgeblieben. Vorerst kann mit Mitteln des Auswärtigen Amtes über den Deutschen Akademischen Auslandsdienst in Einzelfällen geholfen werden. Dies kann aber keine dauerhafte Lösung sein, da der Zahlungsausfall bei weitaus mehr Personen zu er- warten ist. Vorrangiges Ziel ist, die syrischen Staatsangehörigen in dem bestehenden Aufenthaltsstatus zu belassen und ihnen Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit neben dem Studium anzubieten. In den Fällen, in denen eine eigen- ständige Lebensunterhaltssicherung dennoch nicht erfol- gen kann, wird das Bundesinnenministerium den Län- dern vorschlagen, über eine Länderanordnung nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz einen Aufenthaltstitel zu ertei- len, der dann zum Bezug von BAföG berechtigt. Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zu Ih- rer Forderung, das mit der Syrischen Arabischen Repu- blik geschlossene Rücknahmeabkommen aufzukündi- gen, sagen. Das bilaterale Rückübernahmeabkommen mit Syrien beschränkt sich, wie andere Rückübernahme- abkommen auch, auf rein prozedurale Regelungen und konkretisiert verfahrensmäßig die ohnehin bestehende völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Rück- übernahme eigener Staatsangehöriger. Es verpflichtet je- doch weder die für Abschiebungen zuständigen Bundes- länder zur Durchführung von Abschiebungen, noch hindert es sie daran, Abschiebungen in Gefährdungssitua- tionen auszusetzen. Die im deutschen Ausländerrecht vorgesehenen Möglichkeiten zur Aussetzung einer Ab- schiebung unter humanitären und menschenrechtlichen Aspekten werden von dem Abkommen in keiner Weise berührt oder gar eingeschränkt. Die Innenministerkonferenz hat im März 2012 be- schlossen, Abschiebungen nach Syrien für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen, und die Länder aufge- fordert, umgehend einen Abschiebungsstopp anzuord- nen. Der Bundesminister des Innern hat mittlerweile auf entsprechende Bitte des Vorsitzenden der Innenminister- konferenz sein Einvernehmen mit einer Verlängerung der Aussetzung der Abschiebung nach Syrien um wei- tere sechs Monate erklärt. Daher sehe ich für eine Kün- digung des Abkommens keine Veranlassung. Überdies hege ich immer noch die Hoffnung, dass dieser Bürger- krieg in absehbarer Zeit endet. Dann aber werden wir das Abkommen brauchen. Ich bin überzeugt, dass die Bundesregierung die ak- tuelle Situation aufmerksam verfolgt. Sollte es künftig einer Aufnahme von syrischen Flüchtlingen bedürfen, werden wir in Absprache mit dem UNHCR und unseren europäischen Partnern unsere Verantwortung wahrneh- men. Ich weise jedoch schon jetzt darauf hin, dass, falls Deutschland sich zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Aufnahmeprogramm entschließt, angesichts der Dimen- sion des syrischen Flüchtlingsproblems kein Resett- lement im technischen Sinn, also keine dauerhafte Auf- nahme in Deutschland, in Betracht kommen wird. Möglich wäre vielmehr eine vorübergehende humanitäre Aufnahme für die Dauer des Konfliktes in Syrien. Ute Granold (CDU/CSU): Wir debattieren heute über zwei Anträge der Fraktionen Die Linke und Bünd- nis 90/Die Grünen zur Situation der syrischen Flücht- linge. Sie sprechen damit ein Thema an, das mich gerade als Menschenrechtspolitikerin sehr beschäftigt. So hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen einer Delegationsreise Flüchtlingslager in Jordanien und im Libanon zu besu- chen und dort mit syrischen Flüchtlingen zu sprechen. Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal die Dimen- sion des Leides der syrischen Bevölkerung in Erinne- rung rufen: Mehr als 3 Millionen Menschen sind in Sy- rien von den Kämpfen betroffen. Über 360 000 Syrer sind bereits in die Nachbarländer Libanon und Jordanien sowie in den Irak und in die Türkei geflohen. Der Sy- rien-Koordinator des UN-Flüchtlingshilfswerks, Panos Moumtzis, hat davor gewarnt, dass die Zahl der Flücht- linge bis zum Jahresende auf 700 000 ansteigen könnte. Der herannahende Winter wird die humanitäre Lage in der Region weiter verschärfen. Doch was ist nun zu tun, um diesen Menschen in Not am besten zu helfen? Lassen Sie mich Ihnen erläutern, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24941 (A) (C) (D)(B) warum die von der Opposition in den beiden Anträgen geforderte umfangreiche Aufnahme von syrischen Flücht- lingen in Deutschland und in der EU zum jetzigen Zeit- punkt nach meiner Auffassung nicht der richtige Weg ist. In meinen Gesprächen mit syrischen Flüchtlingen vor Ort und mit Vertretern von Hilfsorganisationen und Kir- chen hier in Deutschland habe ich den Eindruck gewon- nen, dass die große Mehrheit der Betroffenen in der Re- gion bleiben und möglichst bald wieder in ihre Heimat zurückkehren will. Wir sollten daher diesen Wunsch der Flüchtlinge, nahe der Heimat zu bleiben, respektieren und zunächst Unterstützung vor Ort leisten. Darüber hinaus muss klar sein, dass die von der Op- position geforderten umfangreichen Resettlementpro- gramme Fakten schaffen würden, die ungewollt dem Assad-Regime in die Hände spielen könnten. Auch der UNHCR hat bislang nicht zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge außerhalb der Region aufgerufen und konzentriert seine Anstrengungen auf eine Verbesse- rung der Situation der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens. Deshalb steht für uns zurzeit die humanitäre Hilfe vor Ort im Zentrum des deutschen Engagements. Die Bun- desrepublik hat ihre Hilfen für die Opfer des Syrien- Konflikts um 12 Millionen Euro auf insgesamt 67,3 Mil- lionen Euro aufgestockt. Wir sind damit eines der größ- ten Geberländer. Von den 67,3 Millionen Euro werden 30,3 Millionen Euro durch das Auswärtige Amt für hu- manitäre Hilfe in Syrien und für die Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern finanziert. Auch Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks sind im Ein- satz und leisten Hilfe. So unterstützt das THW das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bei der Wasserversorgung sowie beim Aufbau der Sanitärver- sorgung von Flüchtlingslagern in Jordanien. Dieser Bei- trag des THW zur Versorgung der Flüchtlinge wird vom Auswärtigen Amt finanziert. Außenminister Westerwelle hat unseren Partnern in der Region, allen voran der Türkei, signalisiert, dass Deutschland den sy- rischen Nachbarländern auch weiterhin bei der Bewäl- tigung des Flüchtlingsstromes helfen wird. Die syrisch-orthodoxe Kirche in Deutschland und der Jesuitenflüchtlingsdienst in der Region Mittlerer Osten und Nordafrika haben mir davon berichtet, dass vor al- lem die syrischen Christen der verschiedenen Konfessio- nen oftmals zwischen die Fronten der Konfliktparteien geraten und so von Hilfsmaßnahmen abgeschnitten wer- den. Deshalb müssen wir besonders darauf achten, dass die von Deutschland in Syrien geleistete humanitäre Hilfe auch für alle Hilfsbedürftige uneingeschränkt zu- gänglich ist. Durch die Aufnahme einer wachsenden Zahl von Asylbewerbern leistet Deutschland darüber hinaus be- reits einen zusätzlichen Hilfsbeitrag. So sind die Asylbe- werberzahlen aus Syrien deutlich angestiegen: Während 2011 insgesamt 3 436 Anträge verzeichnet wurden, sind von Januar bis September 2012 bereits 5 267 Anträge gestellt worden, davon 3 721 Erstanträge und 1 546 Fol- geanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ge- währt syrischen Staatsangehörigen im Rahmen der Asyl- verfahren subsidiären Schutz. Zudem werden bundesweit seit Ende April 2011 auf Beschluss der Innenminister- konferenz hin keine Personen mehr nach Syrien abge- schoben. Die Bundesregierung geht davon aus und erwartet, dass die Mitgliedstaaten der EU bei der Durchführung von Asylverfahren die Rechtsakte zum EU-Flüchtlings- recht und die Gewährleistungen des internationalen und europäischen Rechts einhalten. Dazu gehören insbeson- dere die Einhaltung der Europäischen Menschenrechts- konvention und der Genfer Flüchtlingskonvention. Da- her besteht mit Ausnahme von Griechenland, an das derzeit ohnehin keine Dublin-Überstellungen erfolgen, und Malta, wohin keine besonders schutzbedürftigen Personen überstellt werden, keine Veranlassung, Über- stellungen syrischer Asylbewerber in andere Dublin- Staaten auszusetzen. Zunächst ist es also richtig, dass Deutschland und seine internationalen Partner versuchen, die Probleme vor Ort zu lösen, weil die ganz überwiegende Zahl der geflohenen Syrer in der Nähe ihrer Heimat bleiben und so schnell wie möglich zurückkehren möchte. Allerdings müssen wir die Lage weiterhin intensiv beobachten. Auch wenn im Augenblick eine Flüchtlingsaufnahme noch nicht ansteht, kann sich dies – wie von mir erläutert – bei gemeinsamen, abgestimmten Initiativen von UNHCR und EU ändern. Wie Sie sehen, arbeiten die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung intensiv daran, die syrischen Flüchtlinge zu unterstützen. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft konsequent bestreiten. Vor diesem Hin- tergrund lehnen wir beide Anträge der Opposition ab. Rüdiger Veit (SPD): Heute befinden sich nach An- gaben des Auswärtigen Amtes 340 000 Menschen aus Syrien auf der Flucht. Doch wie viele es genau sind, können wir nicht wissen. Stündlich werden es mehr. Viele der Flüchtlinge sind vor den Gewalttaten und Kampfhandlungen in ihrer Heimat in Nachbarländer ge- flohen. Die Türkei hat bislang rund 100 000 Flüchtlinge aufgenommen; zuvor hatte sie immer angekündigt, bei Erreichen dieser Marke die Grenzen zu schließen. Auch der Libanon hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes bis zu 100 000 Syrer aufgenommen. Andere Syrer sind nach Jordanien und in den Nordirak geflohen. Die Tür- kei hat mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge bislang Großes geleistet. Im Libanon wird den Flüchtlingen keine Infrastruktur zur Verfügung ge- stellt. In Jordanien werden sie in Camps untergebracht. Im Nordirak wird es nach Angaben der EKD bald mehr Flüchtlinge als Nordiraker geben. Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht abzusehen. Angesichts des Flüchtlingselends und des Ausmaßes der Katastrophe muss gehandelt werden, und zwar sofort. Natürlich wäre ein innerhalb der EU abgestimmtes ge- meinsames Vorgehen am besten. Aber wenn das nicht so schnell zu haben ist, dann muss Deutschland mit gutem 24942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Beispiel und im Sinne der dringend gebotenen Linde- rung von konkreter Not vorangehen. Wie die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sind auch wir dafür, neben der notwendigen Un- terstützung der Anrainerstaaten bei der Versorgung vor Ort syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Wir halten es dabei für notwendig, drei Gruppen zu un- terscheiden: Erstens gibt es die Gruppe der Flüchtlinge, die aus an- deren Ländern wie zum Beispiel dem Irak oder Somalia ursprünglich nach Syrien als Flüchtlinge gekommen sind und jetzt aufgrund der Entwicklung in Syrien selbst wei- terfliehen müssen. Für diese Flüchtlingsgruppe brauchen wir dringend ein Resettlementprogramm. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass wir schon lange für den Aufbau von langfristigen Resettlementpro- grammen mit einem bestimmten Kontingent sind. Be- grüßenswert ist daher dem Grunde nach der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 8. und 9. Dezember 2011 über den Einstieg Deutschlands in ein institutiona- lisiertes Resettlementprogramm. In diesem Rahmen ist in den Jahren 2012 bis 2014 die Aufnahme von 300 Per- sonen pro Jahr vorgesehen. 300 Menschen, das sind mei- ner Ansicht nach zu wenige. Angesichts unseres Wohl- stands und unserer wirtschaftlichen Lage als führende Nation in Europa ist es unsere Pflicht, das Elend und die Not von entwurzelten Flüchtlingen konkret zu lindern. Ich könnte mir daher europaweit sehr gut die Aufnahme von rund 100 000 Flüchtlingen pro Jahr vorstellen. Zweitens gibt es eine Gruppe von Flüchtlingen, die in Deutschland lebende Verwandte hat. Hier sollten die Einreisebestimmungen erheblich erleichtert werden, um eine großzügige Familienzusammenführung in Deutsch- land zügig möglich zu machen. Drittens gibt es die Gruppe der aus politischen Moti- ven aus Syrien geflohenen Menschen. Für diese ist ein längerer Aufenthalt in Europa eher nicht das Ziel, da sie zum Teil ein Interesse daran haben, bei einer sich in Sy- rien ändernden Lage schnell in das Land zurückkehren zu können. Schon 2010 haben wir in unserem Antrag „Syrien – Abschiebungen beenden, politischen Dialog fortführen“ auf Drucksache 17/525 die Bundesregierung aufgrund der massiven Verletzung von Menschenrechten in Syrien dazu aufgefordert, einen Abschiebestopp nach Syrien zu erlassen und das bilaterale Rückübernahmeabkommen mit Syrien zu kündigen. Das ist heute, zwei Jahre später, erst recht und weiterhin unsere Forderung, weil sich die Zustände dramatisch verschlechtert haben. Schließlich wollen und müssen wir uns im Rat der Europäischen Union dafür einsetzen, dass in allen Mit- gliedstaaten Abschiebungen nach Syrien ausgesetzt wer- den und eine europäische Lösung für die Flüchtlinge ge- funden wird. Der Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien war auch Thema des Rates der Justiz- und Innenminister am 25. und 26. Oktober dieses Jahres in Luxemburg. Die Kommission erklärte, dass mehr als die Hälfte der bishe- rigen Hilfen für die Region von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bereitgestellt worden sei. Auch wenn Deutschland und Schweden bisher rund 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge innerhalb der Union aufge- nommen haben, sind wir genauso wie die Justiz- und Innenminister der EU der Ansicht, dass ein Massenzu- strom nach Europa nicht ausgeschlossen werden kann und man daher über die Gewährung von vorübergehen- dem Schutz nachdenken muss. In den von mir dargelegten Forderungen stimmen wir mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zum Teil mit den Forderungen der Fraktion Die Linke überein. Die Kollegen und Kolleginnen der Fraktion Die Linke wollen über das hinaus jedoch ein dauerhaftes Bleibe- recht unabhängig von der Sicherung des Lebensunter- halts. Das ist zu weitgehend. Immerhin das Bemühen um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sollte nach- gewiesen werden. Auch der Forderung nach einer unein- geschränkten Öffnung der Grenzen in der Europäischen Union können wir so nicht zustimmen. Wenn die Linke mir ihrer Forderung nach Öffnung der Grenzen allerdings auf das Problem des fehlenden legalen Zugangs in die Europäische Union für Schutzsu- chende zielt, so ist das in der Tat ein wichtiges Problem. Dies betrifft jedoch nicht nur syrische Flüchtlinge, son- dern Flüchtlinge allgemein. Hier brauchen wir eine Lö- sung für alle. Wenn wir auch nicht alle Positionen der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke teilen, so teilen wir doch ihr Grundanliegen. Wir werden uns ihrem Antrag gegenüber daher der Stimme enthalten. Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir zustim- men. Auch die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU/CSU sollten dies tun. Angesichts der dramatischen Lage in Syrien hat es ja immerhin Gespräche zwischen Ihrem Fraktionschef Volker Kauder und dem Herrn In- nenminister gegeben, was doch ein Zeichen dafür ist, dass auch Sie sich um eine Lösung des Flüchtlingselends bemühen wollen. Auf dem Rat der Justiz- und Innenminister am 25. und 26. Oktober 2012 in Luxemburg hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schröder zwar den Vorrang der Unter- stützung und des Verbleibs der Flüchtlinge vor Ort betont, jedoch unter bestimmten Umständen eine weitere Auf- nahme von Flüchtlingen nicht ausgeschlossen. Anfang letzter Woche sagte der Kollege Ruprecht Polenz bei Phoenix – vor Ort, er begrüße Überlegungen, syrische Bürgerkriegsflüchtlinge bei Angehörigen in Deutschland aufzunehmen: „Es wäre eine Möglichkeit, wirklich zu prüfen, ob man diese Art der vorübergehenden Familien- zusammenführung nicht ermöglichen könnte. Das würde wahrscheinlich auch ein paar tausend Syrern helfen, und sie wären hier bei ihren Familienangehörigen in Deutsch- land untergebracht.“ Dann lassen Sie uns das machen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Menschen- rechtslage in Syrien hat sich in den vergangenen Mona- ten dramatisch verschärft. Die syrische Regierung be- kämpft ihr eigenes Volk. Der Bürgerkrieg bedroht alle Menschen in dem Land. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24943 (A) (C) (D)(B) Schon zuvor gab es erhebliche Probleme: Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren nicht gegeben, die In- landsopposition starken Repressionen ausgesetzt. Dies hat die Bundesregierung ebenso wie ihre Vorgängerin deut- lich benannt. Deshalb hat der Bundesinnenminister schon seit län- gerem den zuständigen Ländern empfohlen, derzeit nicht nach Syrien abzuschieben. Die FDP unterstützt die konsequente Haltung des Bundesinnenministers. Mehr kann auch eine Aufkündi- gung des Rückübernahmeabkommens nicht bewirken. Das Abkommen war bereits in Zeiten der Verhand- lung heftiger Kritik ausgesetzt. Flüchtlingshilfeorganisa- tionen haben Abschiebungen nach Syrien schon früher generell abgelehnt. Es war die Vorgängerregierung mit Vizekanzler Steinmeier, die sich dennoch für ein Ab- kommen mit Syrien entschieden hat. Wir alle hoffen, dass der Bürgerkrieg in Syrien mög- lichst bald beendet wird. Die Kündigung des Abkommens könnte auch so ver- standen werden, dass wir nicht mehr an einen baldigen Frieden in Syrien glauben. Wir sollten, meine ich, alles vermeiden, was als Zeichen der Hoffnungslosigkeit ge- deutet werden könnte. An der Sachlage, dass wir nicht nach Syrien abschie- ben, ändert sich durch die geforderte Kündigung ohne- hin nichts. Der Bundesaußenminister hat klargemacht, dass aktuell Hilfe vor Ort Priorität für die Bundesregie- rung hat. Gleichzeitig hat er klargestellt, dass die Auf- nahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland nicht vom Tisch ist. Diese Haltung unterstützen wir nachdrücklich. Auch die Bundesjustizministerin hat durch ihren Be- such in einem Flüchtlingslager in der Türkei in der letz- ten Woche gezeigt, dass die Bundesregierung keines- wegs – wie in den Oppositionsanträgen suggeriert – wegschaut. Ganz im Gegenteil hat sie genau hingesehen und ebenfalls eine Aufnahme von Flüchtlingen in der EU nicht ausgeschlossen. Auch UNHCR hat mittlerweile einen Aufruf gestartet und um Hilfe gebeten: Es gibt auch Flüchtlinge aus Sy- rien, die bereits in Syrien Flüchtlinge waren – Personen aus Somalia oder dem Irak, die nun ein doppeltes Verfol- gungsschicksal haben. Bei dieser Personengruppe sollte der Bundesinnenminister zusammen mit seinen Länder- kollegen in der Tat genauer hinsehen. Vielleicht bietet es sich an, das Resettlement-Kontingent entsprechend zu nutzen? Wir würden sie unterstützen. Der Ansatz der Bundesregierung ist richtig, den Men- schen nach Möglichkeit vor Ort zu helfen. Denn entge- gen dem, was auch von den Kolleginnen und Kollegen suggeriert wird, wünschen sich die meisten Flüchtlinge nicht eine Aufnahme in Deutschland, sondern eine Rückkehr in ein friedliches Syrien. Die Bundesregierung hilft mit 25 Millionen Euro zur Linderung der Not. Selbstverständlich greift bei persön- licher Verfolgung auch das geltende deutsche Recht. Für die FDP steht auch weiterhin die persönliche Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings im Vordergrund, nicht kollektive Gruppenmerkmale wie etwa die Reli- gionszugehörigkeit. Religiöse Verfolgung kann ein Grund für Schutzbedürftigkeit sein, ist aber sicher nicht der ein- zige. Selbstverständlich wird die Bundesregierung bei ei- ner Verschärfung der Lage gemeinsam mit den europäi- schen Partnern handlungsbereit sein. Die Dimensionen des Konflikts machen ohnehin eine enge internationale Abstimmung in EU und VN erforderlich. Wir Liberalen setzen uns dafür ein, die Entwicklung sensibel zu begleiten und im Zweifelsfall nicht primär einer Umsiedlungsideologie zu folgen, sondern dem praktisch und akut humanitär Gebotenen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Derzeit befinden sich schätzungsweise 400 000 Menschen aus Syrien auf der Flucht. Die meisten haben in den umliegenden Staaten Zuflucht gefunden, nur etwa 20 000 sind nach Europa gekommen. Davon befinden sich 5 500 in Deutschland. Viele warten allerdings noch auf ihre Entscheidung im Asylverfahren. Im Schnitt müssen sie derzeit fünf Mo- nate warten. Das ist aus Sicht der Fraktion Die Linke viel zu lang. Sie alle werden Flüchtlingsschutz erhalten, die Anerkennungsquote liegt derzeit bei 97 Prozent. Deshalb sollten die Verfahren deutlich beschleunigt wer- den. Es ist im Übrigen unglaublich demagogisch, wenn derzeit von den Innenministern der Union darauf verwie- sen wird, dass durch die vorgezogene Behandlung von aussichtslosen Asylanträgen aus Serbien und Mazedo- nien die syrischen Asylsuchenden noch länger warten müssen. Die Zunahme von Asylsuchenden aus Syrien war seit Monaten absehbar, ebenso die Zunahme aus dem Westbalkan. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hätte rechtzeitig seine Ressourcen entspre- chend planen können. Stattdessen machen Sie die Schutzsuchenden zu Opfern des Behördenchaos in der Bundesrepublik. In den vergangenen Wochen wurde von der EU- Grenzschutzagentur Frontex und Griechenland mit Stolz verkündet, dass die griechisch-türkische Landgrenze am Fluss Evros erfolgreich dichtgemacht ist. Dafür begeben sich die Flüchtlinge nun auf deutlich gefährlichere Rou- ten über das Meer. Mit dieser Grenzsicherung auf Kos- ten der Flüchtlinge muss Schluss sein. Die europäischen Grenzen müssen offengehalten werden. Das ist eine klare Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonven- tion. Dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen, statt noch mehr eigenes Personal zur Grenzsicherung nach Griechenland zu schicken. Seit Monaten fordern Pro Asyl und andere Flücht- lingsorganisationen, ein Programm zur Aufnahme be- sonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus den Anrainer- staaten Syriens zu starten, ein sogenanntes Resettlement. Der Bundesinnenminister wies diese Forderung zurück. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen habe noch kein Resettlement-Programm beschlossen, so der Minister. Das dürfte sich bald ändern, die Vorbereitun- gen des UNHCR laufen schon. Wenn der UNHCR zur 24944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Aufnahme von Flüchtlingen aufruft, müssen die EU- Staaten dazu umgehend in der Lage sein. Das ist ein wichtiges Signal der Solidarität an die Flüchtlinge und an die syrischen Anrainerstaaten, die bislang die ganze Last der Flüchtlingsaufnahme tragen. Doch dazu haben die Innenminister der EU bei ihrem Treffen Ende Okto- ber in Brüssel kein Wort verloren. Der gemeinsamen Asylpolitik der EU-Staaten haben sie einen weiteren Schandfleck hinzugefügt. Es ist selbstverständlich begrüßenswert, wenn die Bundesregierung die Nachbarstaaten Syriens bei der Flüchtlingsaufnahme finanziell unterstützt. Pünktlich zu dieser Debatte wurde die Hilfe auf 67 Millionen Euro aufgestockt, was die Redner der Koalition hier sicherlich ausführlich würdigen werden. Das darf aber keine Aus- rede dafür sein, keine Menschen aufzunehmen, die zu- nächst in diese Staaten geflohen sind. Bei den Resettle- ment-Programmen des UNHCR geht es um die Menschen, für die überfüllte Flüchtlingslager vollkom- men ungeeignet sind, die Erholung und psychologische oder medizinische Betreuung brauchen. Es geht um Traumatisierte, um alleinstehende Frauen und Kinder, um Verletzte und Kranke. Ihnen ist mit ein paar klimati- sierten Zelten oder Decken nicht geholfen. Sie brauchen eine Perspektive außerhalb dieser Lager, in denen die Lebensbedingungen sich durch den nahenden Winter noch einmal rapide verschlimmern werden. Diese Per- spektive wollen wir ihnen bieten. Ich bitte Sie daher alle, unserem Antrag zuzustimmen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im März 2011 hat die syrische Freiheitsbewegung ihren An- fang genommen. Seit nunmehr 19 Monaten schlägt das syrische Regime jeden Protest für Menschenrechte und Demokratie mit brutaler Gewalt nieder. Die systemati- sche Gewalt gegen Zivilisten ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ein Kriegsverbrechen. Der syri- sche Präsident Bashar al-Assad befehligt die Bombardie- rung von Wohngebieten, die Tötung von unschuldigen Zivilisten und Demonstranten, verhindert den Zugang zu humanitärer Hilfe und billigt offenbar Folter, sexuelle Gewalt und Misshandlungen, auch an Kindern. Syrerinnen und Syrer zahlen einen hohen Preis für ih- ren Wunsch nach Freiheit, Menschenrechten und Demo- kratie. Bisher sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 30 000 Menschen während des gewaltsamen Konflikts in Syrien ums Leben gekommen. 1,2 Millio- nen Menschen sind in Syrien auf der Flucht. Über 360 000 Menschen mussten das Land verlassen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht davon aus, dass bis zum Ende diesen Jahres die Zahl von syrischen Flüchtlingen auf 710 000 anwachsen wird. Ein Lösung des Bürgerkrieges in Syrien ist in abseh- barer Zeit leider nicht in Sicht. Ein militärisches Eingrei- fen würde die Situation der Menschen in Syrien vermut- lich nur verschlimmern. Im Rahmen der humanitären Hilfe ist jedoch noch vieles möglich. Die Vereinten Na- tionen – insbesondere UN OCHA und der UNHCR – und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz benö- tigen die Unterstützung der internationalen Gemein- schaft. Wir müssen dauerhafte Lösungen für die Flücht- linge aus Syrien finden. Die Türkei, Jordanien, der Libanon und Irak stoßen mit der Aufnahme und Versorgung der syrischen Flücht- linge an ihre Grenzen. Diese vier Staaten allein haben bisher 355 162 Flüchtlinge aufgenommen. Bei solchen Zahlen frage ich mich, wo wir in Deutschland mit unse- ren Maßstäben bleiben, wenn Bundesinnenminister Friedrich zum Beispiel bei 1 500 Asylanträgen aus Ser- bien und Mazedonien im September 2012 aufschreit und auf dem Rücken dort und hier diskriminierter Roma und Sinti eine hysterische Asyldebatte lostritt. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, die Anrainerstaaten Syriens bei der Aufnahme und Versorgung syrischer Flüchtlinge zu unterstützen. Wir begrüßen es, dass Bundesaußenminister Westerwelle gestern in New York den Vereinten Nationen weitere 12 Millionen Euro für die Syrien-Hilfe zugesagt hat. An- gesichts des bevorstehenden Winters ist diese Hilfe bit- ter nötig. Bisher sind nur 29 Prozent des Hilfeplans der Vereinten Nationen für syrische Flüchtlinge finanziert. Die Bundesregierung ist auch aufgefordert, Flücht- linge aus Syrien in Deutschland aufzunehmen. Die türki- sche „Politik der offenen Türen“ ist richtig. Daran soll- ten sich alle EU-Staaten ein Beispiel nehmen – auch Deutschland. Mehr als 360 000 syrische Flüchtlinge können nicht alle auf Dauer in Lagern in der Türkei, Jor- danien, dem Libanon oder Irak leben. Besonders für Kinder ist die Situation dort schwierig. Die Bundesregie- rung sollte sich mit den aufnehmenden Anrainerstaaten und mit den Flüchtlingen solidarisch zeigen und Syrerin- nen und Syrern in Deutschland Schutz gewähren. Es gibt auch Syrerinnen und Syrer, die von ihren An- gehörigen nach Deutschland eingeladen werden. Für sie muss die Visumsvergabe deutlich erleichtert werden, da- mit sie wenigstens für eine Zeit lang Schutz in Deutsch- land finden. Dies hat jüngst auch Integrationsbeauftragte Maria Böhmer gefordert. Das deutsch-syrische Rücknahmeabkommen sollte sofort aufgekündigt werden. Jedes völkerrechtliche Ab- kommen mit Syrien gibt Bashar al-Assad eine Legitima- tion, die er nicht verdient. Für die in Deutschland lebenden syrischen Flücht- linge, die bereits vor dem Krieg nach Deutschland geflo- hen sind, besteht zur Zeit zwar ein Abschiebestopp, der bis März 2013 verlängert wurde, sie leben hier aber nur unter Duldung. Das ist inakzeptabel. Sie müssen einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel bekommen. Ich möchte hier auch die Gelegenheit ergreifen, das Resettlement-Programm der Bundesregierung zu erwäh- nen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass auf der Innen- ministerkonferenz vor ungefähr einem Jahr beschlossen wurde, in den nächsten drei Jahren jeweils 300 Flücht- linge dauerhaft in Deutschland aufzunehmen. Wir mei- nen aber, dass Deutschland mehr kann und diese Zahl angesichts der vom UNHCR gesuchten 172 000 Resettle- ment-Plätze für das Jahr 2012 beschämend gering ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24945 (A) (C) (D)(B) Unter Resettlement versteht man die dauerhafte Neu- ansiedlung besonders verletzlicher Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat. Bisher gibt es inner- halb der EU nur 4 100 Resettlement-Plätze. Die USA nimmt jedes Jahr 55 000 solcher Flüchtlinge aus Erstzu- fluchtsländern auf. Die bisher in Deutschland aufgenom- menen Resettlement-Flüchtlinge erhalten noch nicht ein- mal einen Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Hier gibt es noch einigen Ver- besserungsbedarf. Es ist beschämend, dass Flüchtlinge kaum noch die Möglichkeit haben, Europa auf sicherem Weg zu errei- chen. Flüchtlinge gehen stattdessen lebensgefährliche Risiken ein, um vor Krieg und Verfolgung zu fliehen und Schutz in Europa zu finden. Letztes Jahr sind mehr als 1 500 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken oder verdurs- tet. 2011 war bisher das tödlichste Jahr in dieser Region seit Beginn der Aufzeichnungen des UN-Hochkommis- sars für Flüchtlinge im Jahr 2006. Dennoch gibt es kei- nerlei Anstrengungen der deutschen Bundesregierung, diese Situation zu beenden. Seit die Landgrenze zwischen der Türkei und Grie- chenland durch europäische Grenzsicherungsmaßnah- men kaum noch passierbar ist, wählen syrische Flücht- linge immer öfter die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer, um Zuflucht in Europa zu finden. Anfang September ertranken 61 Menschen, die meisten von ih- nen Kinder, als ein Boot mit Ziel Lesbos auf Grund ging. Die Opfer waren fast alle Syrer. Keine Regierung, die Menschenrechte ernst nimmt, kann das mit ansehen. Eine Lösung zu finden, ist eine deutsche und europäi- sche Herausforderung. Aber europäische Maßnahmen dürfen nicht mit dem Schutz der Grenzen und dem Verbarrikadieren der „Fes- tung Europa“ beginnen. Es geht zuallererst um den Schutz von Leib und Leben der Flüchtlinge an der Grenze. Die Europäische Union mit ihrem Wertekanon und Deutschland mit seinem Grundgesetz können es sich nicht leisten, sehenden Auges die Menschen im Mittel- meer ertrinken zu lassen. Europa muss sich entschieden, der Tragödie zuzusehen oder zu helfen. Wenn wir nicht handeln, werden uns nachfolgende Generationen zu Recht vorwerfen, dass Deutschland zwar die Menschen- rechte weltweit gepredigt, beim Drama im Mittelmeer aber tatenlos zugesehen hat. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Tagesordnungspunkt 17) Peter Aumer (CDU/CSU): Die Geldwäschepräven- tion in Deutschland ist und bleibt ein wichtiges Thema für die Sicherheit, Stabilität und Ordnung unseres gesell- schaftlichen Zusammenlebens. Wie die Berichterstat- tung in den Medien und der Ende Oktober von der BaFin und dem BKA vorgestellten Jahresbericht 2011 der Financial Intelligence Unit, FIU, zeigen, haben die Geld- wäscheverdachtsmeldungen im Jahr 2011 um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Diese Zahl macht deutlich, dass die Adressaten des Geldwäschege- setzes zunehmend sensibilisiert werden oder dies bereits sind. Unsere Aufsichtsbehörden nehmen hier eine wich- tige Rolle bei der Umsetzung und Einhaltung unserer Gesetze war. In den vergangenen Jahren haben wir eine Reihe neuer Regelungen zur Prävention und Bekämpfung von Geld- wäsche und Terrorismusfinanzierung auf den Weg ge- bracht. Immer wieder sind wir dabei auf neue Trends und technische Entwicklungen eingegangen, die Möglichkei- ten zur Geldwäsche eröffnet haben. Von zentraler Bedeu- tung ist dabei unser Gesetz zur Optimierung der Geldwä- scheprävention, das wir vor circa einem Jahr hier in diesem Hohen Hause verabschiedet haben. In diesem ha- ben wir vor allem die Geldwäschegefahren bei elek- tronischem Geld aufgegriffen. Die E-Geld-Industrie stellt eine stark wachsende Branche in Deutschland dar. Durch den immer weiter wachsenden e-Commerce sowie Online-Games und weitere zahlungspflichtige Angebote im Internet entwickelten sich diese Formen in den letzten Jahren immer weiter. Den positiven Effekten für den Kunden standen allerdings auch geldwäscherechtlich re- levante Risiken entgegen, denen wir mit diesem Gesetz begegneten. Durch höhere Identifizierungspflichten, ei- nem Verbot, mehrere Karten zu einer einzelnen Karte zu- sammenzuführen, und einer Beschränkung der Auszah- lung von E-Geld Karten begegneten wir umfangreichen Möglichkeiten zur Geldwäsche, hielten aber durch das Einziehen von Schwellenwerten die Benutzung für den „Normalkunden“ für praktikabel. Mit dem Gesetz zur Ergänzung des Geldwäschegeset- zes reagieren wir heute abermals auf einen in den letzten Jahren stark wachsenden Markt im Internet: dem Online- glücksspiel und den Onlinesportwetten. Nach Schätzun- gen der Europäischen Kommission lagen allein die Ein- nahmen der Onlineglücksspielanbieter innerhalb der Eu- ropäischen Union im Jahr 2008 bei über 6 Milliarden Euro. Die Kommission rechnet weiterhin, ausgehend von 2008, mit einer Verdopplung dieser Zahl bis zum kommenden Jahr. Das Onlineglücksspiel zählt somit zu einem der stark wachsenden Segmente im Onlinemarkt. In Deutschland war bis vor kurzem das Glücksspiel im Internet ausnahmslos verboten. Mit Auslaufen des Glücksspielstaatsvertrages aus dem Jahr 2007 und den in die Zuständigkeit der Länder fallenden Neuregelungen hat sich in diesem Bereich eine grundlegende Änderung ergeben. Als erstes Bundesland erlaubte das Land Schleswig-Holstein die Möglichkeit für Glücksspiel im Internet. Auch der Erste Glücksspieländerungsstaatsver- trag vom Dezember letzten Jahres eröffnet den unter- zeichnenden Ländern die Möglichkeit zur Erlaubnis der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im In- ternet. Ferner machte auch das öffentliche Fachgespräch, das wir vor kurzem im Finanzausschuss des Deutschen Bun- destages durchführten, deutlich, dass die Aufnahme des Onlineglücksspiels in das Geldwäschegesetz eine not- 24946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) wendige Maßnahme ist. Selbst die Vertreter der bisher in Deutschland lizensierten Anbieter begrüßten im Allge- meinen die Aufnahme ins Geldwäschegesetz. Mehrere Sachverständige bestätigten uns, dass Glücksspiel auf- grund seiner Struktur von beiden am Spiel teilnehmen- den Parteien dazu missbraucht werden kann, illegale Gelder reinzuwaschen. Auch die Vielzahl von Transak- tionen und die Möglichkeit, hohe Beträge in viele unauf- fälligere kleinere Einzelbeträge zu stückeln, macht das Online-Glücksspiel für Geldwäscher interessant. Durch das heute zu beschließende Gesetz zur Ergän- zung des Geldwäschegesetzes soll deshalb der Verpflich- tetenkreis zukünftig auf die Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet erweitert werden. Diese Erweiterung wird durch Sorgfalts- und Organisations- pflichten ergänzt. Ferner werden für die die Glücks- spielaufsicht zuständigen Länderbehörden die notwendi- gen Aufsichtsbefugnisse geschaffen. Schließlich sieht der Gesetzentwurf entsprechende Bußgeldvorschriften zur Sanktionierung von Verstößen der Pflichtigen vor. Das Onlineglücksspiel darf somit kein rechtsfreier Raum sein. Auch hier ist sicherzustellen, dass Geldwä- sche wirksam bekämpft wird. Entsprechend den europäi- schen Vorgaben haben wir daher den Anwendungsbe- reich des Geldwäschegesetzes entsprechend erweitert. Für Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im In- ternet gelten also künftig spezielle Sorgfaltspflichten. Identifizierung und Verifizierung eines Spielers er- folgt durch eine elektronisch versandte Kopie eines Aus- weisdokumentes. Die Identifizierung kann somit in Echtzeit vor Begründung der Geschäftsbeziehung abge- schlossen und ein Spielerkonto sofort eröffnet werden. Verstärkte Sorgfaltspflichten können durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen nach Begründung der Geschäfts- beziehungen wie etwa Post-Ident oder auf der Grundlage von zusätzlichen Dokumenten, Daten oder Informatio- nen, die von einer glaubwürdigen und unabhängigen Quelle stammen und für die Überprüfung geeignet sind, erfolgen. Mit dieser Regelung wird erstmals eine me- dienbruchfreie und zugleich sehr sichere Identifizierung eines Kunden möglich. Eine weitere Hürde für Geldwäsche stellt in diesem Zusammenhang die Verwendung der Zahlungsmethode dar. So sind alle unbaren Zahlungsmethoden wie etwa eine Lastschrift oder Kartenzahlung für die Einzahlung auf ein Spielerkonto erlaubt, sofern es sich um ein ord- nungsgemäß identifiziertes Zahlungskonto des Spielers handelt. Davon kann bei der Führung eines Zahlungs- kontos durch einen lizensierten Zahlungsdienstleister mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgegangen werden. Die Verwendung anonymer Pro- dukte wie etwa Prepaid-Karten, auf denen E-Geld ge- speichert ist, ist somit ausgeschlossen. So stellt der Dreiklang aus Übersendung eines gülti- gen Ausweisdokumentes, der zusätzlichen Sicherungs- maßnahme nach Begründung der Geschäftsbeziehung und des vollidentifizierten Kontos, das auf den Namen des Spielers lauten muss, einen hohen Schutz vor Miss- brauch und damit zur Verhinderung von Geldwäsche dar. Gleichzeitig halten wir aber den bürokratischen Auf- wand gering und verhindern damit die Abwanderung ins illegale Geschäft. Abschließend möchte ich noch auf den in den Medien sowie im öffentlichen Fachgespräch angesprochenen Sachverhalt der Nichtaufnahme von Spielhallen in das Geldwäschegesetz ansprechen. Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion haben sich hier zu einer Klarstellung im Bericht der Berichterstatter entschieden: Der Vorschlag der Aufnahme in das GwG wurde im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht weiterverfolgt, weil verfassungs- rechtliche Zweifel bestehen, ob eine ausreichende Bun- deskompetenz für diese spielhallenrechtlich konzipierte Regelung vorhanden ist. Um das Geldwäscherisiko wei- ter zu reduzieren, hat sich die Bundesregierung stattdes- sen auf die Änderung der Spielverordnung geeinigt. Wir fordern die Länder jedoch auf, eine flächendeckende ge- werberechtliche Beaufsichtigung im Bereich der Spiel- hallen sicherzustellen, bei der auch die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde untersagt wer- den kann, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzu- verlässigkeit des Spielhallenbetreibers oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun. Darüber hinaus wer- den die Länder aufgefordert, die Umsetzung des Geld- wäschegesetzes weiterhin zu verbessern, um eine effek- tive Beaufsichtigung und Verhinderung von Geldwäsche im Nichtfinanzbereich zu gewährleisten. Damit bewegen wir uns in unseren rechtlichen Möglichkeiten. Nun ist es an den Ländern, eine kompetente Vollziehung des Geset- zes sowie eine funktionierende Aufsicht sicherzustellen. Die Erfolge der Umsetzung des Geldwäschegesetzes wollen wir weiterhin durch eine Evaluierung des Geset- zes vornehmen. Wir fordern daher die Bundesregierung und die Bundesländer auf, die Evaluation in dem festge- legten Rahmen durchzuführen; denn nur so können wir die Wirksamkeit unseres Gesetzes überprüfen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greifen wir er- neut das Thema der Geldwäscheprävention in Deutsch- land auf und betonen abermals dessen Wichtigkeit. Die Koalition schließt damit eine noch bestehende Lücke in der Geldwäscheprävention. Die Geldwäschebekämp- fung wird dadurch konsequent ausgebaut, auch im Sinne der internationalen Standards. Wir machen damit deut- lich, dass für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Deutschland kein Platz ist. Ich bitte Sie daher, dem Gesetz zuzustimmen. Martin Gerster (SPD): „Wenn ich Mafiosi wäre, würde ich in Deutschland investieren.“ Das Zitat von Roberto Scarpinato, der als Staatsanwalt intensiv mit dem Kampf gegen das international vernetzte organi- sierte Verbrechen kämpft, lässt aufhorchen. Wie zahlreiche andere Sachverständige hat auch er im Zuge der Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf unterstrichen, dass unser Land gegenwärtig massiv im Visier von Kriminellen steht, die hierzulande Geld wa- schen wollen. Geld, das unter anderem aus Drogen-, Waffen-, und Menschenhandel, Betrug und illegalem Glücksspiel stammt und das in den legalen Geldkreislauf Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24947 (A) (C) (D)(B) eingespeist werden soll, um seine Herkunft zu verschlei- ern. Bis zu 57 Milliarden Euro im Jahr werden nach Schätzungen der OECD Jahr für Jahr in der Bundesrepu- blik gewaschen. Internationale Gremien, die sich dem Thema Geldwä- schebekämpfung widmen, thematisieren bereits seit län- gerem, dass mit dem Aufstieg der im Internet angebote- nen Glücks- und Kasinospiele auch ein massives Geldwäscherisiko einhergeht. Mittlerweile haben wir es hier mit einem viele Milliarden schweren Wirtschafts- zweig zu tun. Die Besonderheiten des Onlineumfelds, vor allem der fehlende persönliche Kontakt zwischen Spielern und Spielbetreibern, machen es findigen Krimi- nellen leicht, anonym Gelder zu transferieren und deren Spur zu verwischen. Bis vor kurzem war es in Deutschland nicht möglich, Onlineglücksspiele legal anzubieten, da der Glücksspiel- staatsvertrag dies ausschloss. Doch schon im vergange- nen Jahr war klar, dass sich dies mit dem Alleingang der abgewählten schwarz-gelben Landesregierung in Kiel ändern würde. Sie wollte Schleswig-Holstein auch virtu- ell zum Glücksspieleldorado machen – ohne Rücksicht auf Verluste. Vor dem Hintergrund dieser bedenklichen Entwick- lung haben wir seither konsequent auf die Notwendig- keit verwiesen, hier aktiv zu werden. Und obwohl klar abzusehen war, wie sich die Situation in Schleswig-Hol- stein entwickeln würde, spielte die Bundesregierung auf Zeit. Während in Kiel bereits im März erste Konzessionen vergeben werden sollten, verwies man von Regierungs- seite noch im Februar 2012 darauf, dass eine Überarbei- tung der europäischen Geldwäscherichtlinie anstehe und die Diskussion um die Ausführung des Glücksspiel- staatsvertrags abgeschlossen sei. Dann könne man im Forum Geldwäscheprävention diskutieren: „Das ange- sprochene Forum für Geldwäscheprävention wird sich mit Fragen des Onlineglücksspiels befassen, wenn erste Konzepte zur Ausführung dieses Staatsvertrags in den Ländern vorliegen bzw. von der Europäischen Kommis- sion gegenwärtig geprüfte Verschärfungen der geldwä- scherechtlichen Anforderungen an das Onlineglücks- spiel in einem Kommissionsvorschlag für eine vierte Geldwäscherichtlinie konturiert sind“, so die Antwort des Parlamentarischen Staatsekretärs Steffen Kampeter vom 14. Februar 2012. Mittlerweile wissen wir, dass das Thema Online- glücksspiel in der Überarbeitung der Geldwäscherichtli- nie voraussichtlich wohl nicht so klar geregelt wird, wie wir uns das wünschen. Seit Juli erlauben nun auch die restlichen Länder, Lotterien und bestimmte Formen von Onlinesportwetten über das Internet anzubieten. Insofern ist es vollumfänglich zu begrüßen, dass dieses Problem nun angegangen wird und die Anbieter von Online- glücksspielen als Verpflichtete in das GWG aufgenom- men werden. Erfolgreiche Geldwäscheprävention lebt davon, Geld- ströme nachvollziehbar zu halten und die an Transaktio- nen beteiligten Personen sowie die dahinter stehenden wirtschaftlichen Berechtigten klar identifizieren zu kön- nen. Hier geht das Gesetz in die richtige Richtung. Aber es geht nicht weit genug und in letzter Sekunde hat es Schwarz-Gelb sogar noch geschafft, die guten Ansätze zu verwässern. Wo ursprünglich eine frühzeitige und eindeutige Iden- tifikation vorgesehen war, wird nun ein zweistufiges Verfahren eingeführt, das die – ohnehin keineswegs un- problematische – Verifikation der potenziellen Spieler zeitlich hinter die Aufnahme der Geschäftsbeziehung mit dem Spieleanbieter verlagert. Dies erscheint uns nicht nur unter Aspekten der Geldwäscheprävention, sondern auch unter suchtpräventiven Aspekten nicht wünschenswert. Gerade die Debatte im Ausschuss war entlarvend, da es wieder die FDP war, die sich in ihren Beiträgen zum Sprachrohr der „Zockerlobby“ machte. Und das, obwohl die Partei im Umgang mit den Glücksspielanbietern erst in jüngster Zeit wenig For- tune hatte. So drängt sich auch hier der Verdacht auf, dass es bei der nachträglichen Änderung vor allem da- rum geht, die Hürden für eine Spielteilnahme zu senken und mehr Menschen mit den – mitunter hochgradig suchtgefährdenden – Onlinewetten in Kontakt zu brin- gen. Das zeigt ein Blick auf jene Aspekte, die der Gesetz- entwurf nicht angeht, obwohl sie auch in der Anhörung überdeutlich zur Sprache kamen. Als wir im Mai 2012 bei der Bundesregierung nachfragten, ob denn durch die geänderte Lage in Schleswig-Holstein eine Regelung notwendig sei, antwortete uns die Bundesregierung: „Die Landesverordnung über die Genehmigung des Glücksspielbetriebs (Glücksspielgenehmigungsverord- nung – GGVO) vom 11. Januar 2012 beinhaltet alle er- forderlichen Instrumente für eine wirksame Verhinde- rung der Geldwäsche in diesem Aufsichtssektor.“ Mittlerweile wissen wir: Die Bundesländer geben offen zu, dass sie sich mit der Beaufsichtigung des Nichtfinanzsektors tendenziell überfordert sehen. Die Stellungnahme des Bundesrates zum vorliegenden Ge- setzentwurf spricht da eine klare Sprache. Nun sollen sie zusätzlich die Aufsicht im Bereich On- lineglücksspiel übernehmen. Und ihre Behörden dürfen dank der Änderungsanträge der Koalition auch noch da- rüber entscheiden, ob überhaupt besondere Sorgfalts- pflichten anzuwenden sind, weil sie in bestimmten Be- reichen ein geringes Geldwäscherisiko vermuten. Es bleibt ein ungutes Gefühl, dass die seit langem be- kannten Probleme in Zukunft eher nicht abnehmen dürf- ten. Umso dringender stellt sich die Frage, wie die Pro- bleme einer mangelhaften Aufsicht im Nichtfinanzsektor endlich überwunden werden können. Wir unterstützen den gemeinsamen Appell, die Länder hier verstärkt mit ins Boot zu holen und eine transparente, strukturierte und effektive Aufsicht sicherzustellen. Leider konnte sich Schwarz-Gelb nicht entschließen, dieser Forderung durch Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag im Ausschuss mehr Nachdruck zu verleihen. 24948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Gerade mit Blick auf die Länder gilt es überdies anzu- merken, dass wir nach wie vor keine zufriedenstellende Lösung für den Umgang mit Spielhallen und Automa- tenkasinos haben. Die Mahnungen der Sachverständigen sollten deutlich gemacht haben, dass es noch immer dringend notwendig ist, auch im Sinne des Spieler- und Jugendschutzes eine effektive Gewerbeaufsicht der Be- treiber von Spielhallen sicherzustellen. Die angekün- digte Änderung der Spielverordnung und die Einführung einer personenungebundenen Spielerkarte sind keines- wegs der Weisheit letzter Schluss. Die Haltung der Bun- desregierung, die Aufnahme der Spielhallenbetreiber in das GWG aus verfassungssystematischen Gründen nicht weiterzuverfolgen, erscheint allerdings nachvollziehbar. Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich auch die Koali- tionsfraktionen der Brisanz des Themas bewusst sind. Auch hier wurde jedoch die Gelegenheit vertan, durch die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag ein deutlicheres Signal in Richtung der Länder zu geben. Ein Gesetz voller verpasster Chancen. Insofern setzen wir als Sozialdemokraten auf Enthaltung. Björn Sänger (FDP): Das vorliegende Gesetz ist erstens erforderlich, weil die Verhinderung von Geldwä- sche im Onlineglückspielsektor ein übergeordnetes Thema darstellt, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch verbrauchertechnisch in sicheres Fahrwasser ge- lenkt werden sollte. Die wirtschaftliche Bedeutung des Onlineglückspielsektors ist hoch und es bildet sich ein schnell wachsender Markt zugunsten der Glückspielin- dustrie. Laut einer Schätzung der EU-Kommission ha- ben die Onlineglücksspielanbieter 2008 innerhalb der Europäischen Union über 6 Milliarden Euro eingenom- men. Und das sind allein die legalen Zahlen. Erforderlich auch deshalb, da aufgrund der Neurege- lungen und des Auslaufens geltender Verträge das Glückspiel im Internet vom Gesetzgeber „neu“ zu be- werten ist. Es war also erforderlich, das Geldwäschege- setz nun auch auf die Onlinevarianten des Glücksspiels zu erstrecken und Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet in den Verpflichtetenkreis des Geldwäschegesetzes einzubeziehen. Was gibt dieses Gesetz vor? Was wird verändert? Wir müssen auf die Besonderheiten des Onlineglückspiels mit großer Vorsicht Rücksicht nehmen. Es finden tagtäg- lich, ja stündlich und minütlich Geschäftsbeziehungen zwischen Personen statt, die sich niemals persönlich ge- genüberstehen werden. Wir müssen hier den erhöhten Risiken in Bezug auf die Identifizierung des Spielers so- wie die Finanzströme gezielt Rechnung tragen. Gerade im Onlineglückspielsektor gilt es daher, dass künftig Be- treiber von Glücksspielen im Internet verstärkt ihre Sorgfaltspflichten nach dem Geldwäschegesetz erfüllen müssen. Insofern begrüßt die FDP die verstärkten Anfor- derungen, die der Gesetzentwurf aufstellt. Gleichwohl schauen wir mit Bedacht auch darauf, das legale Glücksspiel im Internet nicht derart zu regulieren und mit Vorsicht-Schildern zu versehen, dass keiner mehr die gut gepflasterten Straßen nutzt. So halten wir eine Zuordnung als Verpflichtete unter das GWG je nach Geldwäscheanfälligkeit für sachgerecht. Sofern sich ein geringes Geldwäscherisiko ergibt – wie beispielsweise bei Lotteriespielen, wo allein bei einem Maximaleinsatz von 1 000 Euro eine statistische Verlustquote von 80 Pro- zent gegeben ist –, soll eine Freistellung durch die Län- der stattfinden. Der Gesetzentwurf nennt in der Entwurfsfassung vier Wege der Spieleridentifizierung: Die Identifizierung an- hand eines Originalausweises, anhand einer beglaubig- ten Kopie des Ausweises, anhand des elektronischen Identitätsnachweises nach dem Personalausweisgesetz (Elektronischer Personalausweis) oder anhand einer quali- fizierten elektronischen Signatur. Das Problem ist für den Verbraucher: Wer bei einem Onlineglücksspielanbieter spielt, will dies in aller Regel unmittelbar tun und nicht erst deutlich später. Was ist die Folge? Nur die wenigsten Spieler werden wegen der Re- gistrierung bei einem Glücksspielanbieter gleich einen neuen (elektronischen) Personalausweis beantragen, und nur die wenigsten Spieler, die etwa auf ein Bundesliga- spiel wetten möchten, werden sich stattdessen auch mit einer Wette auf den übernächsten Spieltag zufrieden ge- ben. Vielmehr bedeutet der Gesetzentwurf derzeit noch ein Konjunkturprogramm für den unregulierten Markt, wo Spieler nach der Anmeldung sofort spielen können, aber jeglicher behördlicher Zugriff verwehrt ist und auch die internen Sicherheitsstandards der Anbieter alles an- dere als gewährleistet sind. Wir wollen keine leblose Wettbewerbssituation für die 20 konzessionierten Anbieter des regulierten Mark- tes entstehen lassen und die Angebote mehr als erheblich beschränken. Zudem müssen wir die konkurrierende An- gebote von nicht konzessionierten Anbietern im Online- bereich im Blick behalten, die weiterhin für jedermann erreichbar sind. Wir wollen kein Gesetz, welches Spieler ermutigt, den regulierten Markt zugunsten eines unregulierten Marktes zu verlassen. Leider wissen wir alle, dass die Verhinderung von unregulierten Angeboten aus dem Grau- oder Schwarz- markt sehr schwierig bis praktisch unmöglich zu verhin- dern ist. Erst recht bei Anbietern, die ihren Sitz in Über- see haben. Insofern haben wir nach praktikablen Lösungen gesucht, die den Spielern keinen Anreiz bie- ten, aus praktischen Erwägungen Anbieter aus dem un- regulierten Markt vorzuziehen – und den regulierten Markt dadurch zu schwächen. Da gerade bei Onlineglücksspielen Spieler leicht mit falschen Identitäten auftreten können, setzen wir uns für sinnvolle und sichere Vorgaben zur Spieleridentifizie- rung sowie Anforderungen an die Errichtung eines Spielerkontos ein. Wir schlagen daher eine Option vor, die erstmals die Identifizierung und Verifizierung an- hand einer elektronisch versandten Kopie des Passes oder Personalausweises nur für die sofortige Eröffnung von Spielerkonten, jedoch nicht etwa für Zahlungskon- ten und andere Geschäftsbeziehungen zulässt. Mit der vorgeschlagen Zulassung der elektronisch versandten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24949 (A) (C) (D)(B) Kopie kann die Identifizierung und Verifizierung des Kunden/Spielers anhand dieses Dokuments in Echtzeit vor Begründung der Geschäftsbeziehung abgeschlossen und ein Spielerkonto vom Verpflichteten sofort eröffnet werden. Die vom Gesetzeszweck verlangte Erfüllung ver- stärkter Sorgfaltspflichten durch zusätzliche Sicherungs- maßnahmen bei nicht physischer Präsenz des Vertrags- partners kann auch dadurch erbracht werden, dass die Zahlung von einem Kunden des Vertragspartners erfolgt und unverzüglich nach Begründung dieser Geschäftsbe- ziehung die Überprüfung der Identität etwa durch die Nutzung des Post-Ident-Verfahrens wiederholt oder aber auf der Grundlage von zusätzlichen Dokumenten, Daten oder Informationen vorgenommen wird, die von einer glaubwürdigen und unabhängigen Quelle stammen und für die Überprüfung geeignet sind. Es handelt sich beim letzteren Verfahren um Dokumente und Daten (Internet- adresse, Telefonnummer etc.), die ohnehin im Anschluss an die Kundenidentifizierung für die durchzuführende kontinuierliche Überwachung der Geschäftsbeziehung (Monitoring) mit herangezogen werden müssen. Insofern sichern wir die von einer Freistellung nicht betroffenen Verpflichteten und Spieler von einem Geld- wäscherisiko ab, indem wir ein doppeltes Sicherheits- netz aufspannen. Zunächst verfügt der Spieler bereits über ein Zah- lungskonto, welches ihn identifiziert und verifiziert. Zahlungskonten sind, soweit sie bei Kreditinstituten in Deutschland geführt werden, einer erfahrungsgemäß zu- friedenstellenden Überwachung unterworfen. Zudem erfolgt unmittelbar nach Übersendung der Kopie des Personalausweises an den Verpflichteten ein Identifizierungs- und Verifizierungsprozess, der bereits weitläufig angewendet und erprobt ist und keinerlei Un- sicherheiten über die Identität des Spielers offenlässt. Seit Inkrafttreten des Geldwäschegesetzes sind laut der bei der im Bundeskriminalamt, BKA, angesiedelten Financial Intelligence Unit, FIU, in Deutschland im Jahr 2011 12 868 Verdachtsanzeigen eingegangen. Das ist ein neuer Höchststand seit Inkrafttreten des Gesetzes 1993. Dass sich dieser Trend auch 2012 fortsetzen könnte, lassen die im ersten Halbjahr 2012 eingegangenen 6 798 Verdachtsanzeigen erwarten, ein Anstieg von circa 5 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeit- raum. Wir sehen also, wir sind auf einem guten Wege. Nun werden wir diesen Weg auch für den Onlineglücksspiel- sektor vorzeichnen. Wir wollen gemeinsam verhindern, dass Geld von illegaler Herkunft durch Transaktionen über mehrere Spielerkonten und Konten der Betreiber gewaschen werden kann. Die Illegalität muss bestmög- lich unterbunden werden, da gerade in der Glücksspiel- branche hohe Risiken der Geldwäsche bestehen. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, dass auch für den Onlineglücksspielsektor mit dem richtigen regula- tiven Rahmen ein Weg gezeichnet wird, der Geldwäsche in Deutschland die Stirn bieten wird. Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Fraktion Die Linke begrüßt die Schließung einer wesentlichen Lücke für die Verhinderung von Geldwäsche durch die Einbe- ziehung von Glücksspielen im Internet. Doch sind die daraus resultierenden praktischen Auswirkungen über- schaubar, denn es existiert kaum ein lizensierter und re- gulierter deutscher Onlineglücksspielmarkt, was wir auch nicht bedauern. Das Onlineglücksspiel findet fast ausschließlich im illegalen Bereich statt. Da sich daran auch nach Meinung von Sachverständigen in der Anhö- rung vom 22. Oktober 2012 aufgrund der vorhandenen Angebots- und Nachfragestrukturen in Zukunft kaum et- was ändern wird, ist eine Reduzierung der Geldwäsche bei Onlineglücksspielen kaum zu erwarten. Allerdings bleibt ein zentraler Ort für Geldwäsche weiter außen vor: Die Spielhallen und Spielotheken. Die Ausschüsse des Bundesrates haben in ihren Empfehlun- gen vom 11. September 2012 die Einbeziehung der Spielhallen in das Geldwäscheergänzungsgesetz befür- wortet, jedoch dabei übersehen, dass bei der letzten Fö- deralismusreform die Zuständigkeit an die Länder abge- geben wurde. Als Maßnahmenkatalog verwiesen sie analog auf die Instrumente der Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht (BaFin) im Rahmen der geldwä- scherechtlichen Aufsicht gemäß § 25 c Abs. 4 Kreditwe- sengesetz. Aufgrund der hohen Bargeldeinsätze sowie des großen Umsatzpotenzials der Automatenspielgeräte in den Spielhallen wäre deren Einbeziehung dringend geboten gewesen. Die Risikostruktur von Spielhallen und der Automatenspiele der Spielbanken rechtfertigen keine unterschiedliche geldwäschepräventive Beurtei- lung. Die Spielbanken sind Verpflichtete des Geldwä- schegesetzes mit erhöhten Sorgfaltspflichten, dagegen werden die Spielhallen dem Geldwäschegesetz weiter nicht unterliegen. Das offiziell von der Bundesregierung aufgeführte Gegenargument, dass in vielen Fällen die Betreiber der Spielhallen selbst die Geldwäscher seien, steht dem nicht entgegen, sondern den Betreibern der Spielhallen wären spezifische Maßnahmen zur Geldwä- scheprävention vorzugeben. Die Berücksichtigung der Spielhallen allein im Rahmen der Gewerbeordnung reicht nicht aus. An das Kernproblem der Geldwäschebekämpfung in Deutschland traut sich die Bundesregierung auch weiter- hin nicht heran: die völlig unzureichende Durchführung der Geldwäscheaufsicht und -kontrollen im Nichtfinanz- sektor – trotz umfassender Kritik von vielen Seiten, zum Beispiel des Bundes Deutscher Kriminalbeamter oder der Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF. Im Nichtfinanzsektor liegt die Zuständigkeit für die Aufsicht bei den Bundesländern. Diese gaben sie in vie- len Ländern an die Kommunen weiter. Mit der Zustän- digkeit der Länder und Kommunen ging allerdings keine (wesentliche) finanzielle Unterstützung einher. Darüber hinaus kommt es bei länderübergreifenden Fällen zu er- heblichem Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand. Dieser Auffassung ist auch der Bundesrat. Er hat in sei- ner Stellungnahme vom 21. September 2012 der Bun- desregierung mitgeteilt, dass die Länder nicht in der 24950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Lage sind, das Geldwäschegesetz umzusetzen. Das sind klare Worte. Der Bundesrat begründet seine Meinung unter ande- rem mit einer möglichst einheitlichen und effektiven Vor- gehensweise und verweist auf Positivbeispiele wie Ban- kenaufsicht (BaFin) und Zoll. Da der Gesetzgeber die Aufsichtsbehörden nicht spezifizierte, wurden in den Bundesländern die Zuständigkeiten unterschiedlich gere- gelt und verortet. Während einige Länder die Aufsicht auf ministerieller Ebene beließen, delegierten andere Länder die Zuständigkeit auf die Mittelinstanzen oder auf die ört- lichen Ordnungsbehörden. Die Erfassung von länder- übergreifenden Sachverhalten verursacht einen erhebli- chen Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand. Die Zersplitterung bei den föderalen Zuständigkeiten führt zu einer Vervielfachung der vorzuhaltenden Ressourcen und zu Vollzugsdefiziten. Den Bundesländern wurden zudem keine hinreichenden Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Eine Sachverständige hat aus der Praxis der Geldwäsche- prävention überzeugend dargelegt, warum die Geldwä- scheprävention im Nichtfinanzsektor bisher kaum erfolgt ist. Es fehlt an allem: Schulungen, Organisationsanwei- sungen, Fachkenntnissen, Koordination, Vorgaben zur Auslegung, Kapazitäten, Ressourcen. Die Linke schlägt eine Zentralisierung der Aufga- benwahrnehmung durch den Bund vor, zumindest der Geldwäscheprävention, zum Beispiel Auslegungs- und Anwendungshinweise, Konzernbezug, Auslandsbezug. Dass eine Aufsicht auf Bundesebene gut funktionieren kann, sieht man im Finanzsektor. Seitdem Geldwäsche- prävention und -bekämpfung der Bankenaufsicht über- tragen wurde, ist dieser Weg Geldwäschern weitestge- hend verschlossen. Eine Zentralisierung von Aufgaben lehnt die Bundesregierung jedoch ab. Darüber hinaus fehlt immer noch eine Gesamtstrate- gie, wie die weiter zunehmende Geldwäsche bekämpft werden kann. Doch die Bundesregierung bleibt ihrer be- kannten Politik der kleinen Tippelschritte treu. Es werden lediglich kleine, insgesamt als bescheiden anzusehende Anpassungen des Geldwäschegesetzes vorgenommen – allein 2011 wurden in diesem Gebiet drei Gesetze ver- abschiedet: das Gesetz zur Optimierung der Geldwäsche- prävention, das Gesetz zur Verbesserung der Bekämp- fung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung und das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten E-Geld-Richtlinie – und alles nur aufgrund des Drucks aus Europa. So ist es auch bei diesem Gesetz. Als Fazit ist festzustellen, dass das Geldwäschegesetz auch 20 Jahre nach Inkrafttreten nicht umgesetzt wird, Deutschland weiterhin die EU-Geldwäscherichtlinie ver- letzt und die FATF-Empfehlungen nicht umsetzt. Beim letzten Berichterstattergespräch hatte ich den Eindruck, dass sich alle Berichterstatter einig waren, dass vor allem im Nichtfinanzsektor hinsichtlich der Umsetzung des Geldwäschegesetzes weiterhin dringen- der Handlungsbedarf besteht. Wir waren uns einig, über das Bundesfinanzministerium die Länder zu bitten, uns die Daten zu liefern, um uns einen Überblick über den Vollzug der Geldwäschevorschriften in den Bundeslän- dern zu verschaffen. Wir sehen, dass auch die Regie- rungsparteien daran arbeiten wollen, dass Deutschland seinen Status als Europameister in der Geldwäsche nicht weiter erfolgreich verteidigt. Daher werden wir Ihren Gesetzentwurf auch nicht ablehnen, sondern uns enthal- ten. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heute vorliegende Geldwäscheergänzungsgesetz be- trifft nur einen kleinen Bereich im Gesamtkomplex Geldwäsche. Es ist aber vor allem dieser Gesamtkom- plex, der mehr Aufmerksamkeit braucht, als er derzeit bekommt. Genau deswegen hatten wir zur Anhörung zu diesem Gesetz im Finanzausschuss den italienischen Staatsanwalt Scarpinato als Sachverständigen benannt, der sehr eindrücklich den Zusammenhang zwischen Geldwäsche in Deutschland und Mafiaaktivitäten in Ita- lien darlegen konnte. Dies ist nur ein Beispiel für die problematische Auswirkung zu geringer Geldwäsche- prävention. Denn Geldwäsche macht Wirtschaftskrimi- nalität, Drogenhandel oder Menschenhandel möglich. Vor diesem Hintergrund sind wir uns ja auch einig, dass die Prävention gegen Geldwäsche gestärkt werden muss und dass das Ausmaß dessen, was in Deutschland an Geldern gewaschen wird, nicht hinnehmbar ist. Die Zahlen des Bundeskriminalamts von vergangener Woche haben dies erneut bestätigt. Vor allem aber ist es proble- matisch, dass wir feststellen müssen, wenn in diesen Ta- gen eine Untersuchung des Bundesnachrichtendienstes zu Geldwäsche in Zypern diskutiert wurde, dass Deutschland selbst bei den letzten internationalen Über- prüfungen in vielen Punkten nicht gut dastand. Die Fi- nancial Action Task Force, die international bei der OECD gegen Geldwäsche operiert, kam in ihrem Deutschlandbericht 2010 zu einem erheblich schlechte- ren Zeugnis, als es Zypern ein Jahr später erhielt. Damit lässt sich schwer Druck aufbauen. Man könnte die Be- richte und ihre Kriterien infrage stellen. Dann müsste man aber auch erklären, warum alle Novellen zur Geld- wäsche in Deutschland keinen Fingerbreit weitergehen als das, was von FATF oder EU eingefordert wird. Vor allem fehlt es in Deutschland nach wie vor an einer Ge- samtstrategie zur Geldwäsche. Das Abarbeiten interna- tionaler Kritik selbst ist noch keine Strategie. Es wird Zeit, dass wir vom Reagieren zum Agieren übergehen. Dass Deutschland sogar mehrfach von FATF und EU wegen der mangelhaften Geldwäschebekämpfung ange- mahnt wurde, hatte wiederum oft mit Missständen im Nichtfinanzbereich zu tun, der im Verantwortungsbe- reich der Länder liegt. Nicht zuletzt scheinen die perso- nellen Ressourcen, die der Geldwäscheprävention ge- widmet werden, zu gering zu sein. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit bei den Ausschussberatungen war des- halb erneut, die Umsetzung der bestehenden Normen der Geldwäscheprävention zu thematisieren. Deutschland hat seit 1993 die EU-Normen nicht umgesetzt, und noch immer bestehen massive Defizite in der Umsetzung. Zu- letzt hat eine Studie im Auftrag des Bundeskriminalam- tes zur Geldwäschethematik im Immobiliensektor dies deutlich gemacht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24951 (A) (C) (D)(B) Ich bin sehr dankbar, dass wir gemeinsam einen Im- puls geben, diese Defizite systematisch zu überwinden, indem wir als Berichterstatter aller Fraktionen gemein- sam deutlich gemacht haben, dass in Bezug auf die Um- setzung des Geldwäschegesetzes insbesondere im Nicht- finanzsektor weiterhin dringender Handlungsbedarf besteht. Dies hatte ja auch der Bundesrat in seiner Stel- lungnahme zum vorliegenden Gesetz hervorgehoben. Zweckmäßig ist dafür ein aussagekräftiges Benchmar- king. Wir haben uns deshalb im Finanzausschuss darauf verständigt, das Bundesministerium der Finanzen und die Regierungen der Länder zu bitten, vorhandene Ver- gleichszahlen zum Vollzug der Geldwäschenormen in den Ländern noch in diesem Jahr zu veröffentlichen. Dazu gehören etwa Personalaufwand in Vollzeitäquiva- lenten, Information von Verpflichteten, durchgeführte Kontrollen, insgesamt bearbeitete Fälle, Verdachtsanzei- gen von Verpflichteten, Beanstandungen und Ordnungs- maßnahmen gegen Verpflichtete etc. Soweit die für ein aussagekräftiges Benchmarking notwendigen Vergleichs- zahlen heute noch nicht vorliegen, wird gebeten, diese zeitnah zu erheben und zu veröffentlichen. Sinnvollerweise schließt der vorliegende Gesetzent- wurf mit dem Online-Glücksspielmarkt eine Lücke in der bisherigen Geldwäschegesetzgebung. Es wurde da- bei viel um Sorgfaltspflichten gerungen, was durch die Kombination von Non-face-to-face-Geschäften mit elek- tronischen Zahlungsmitteln eine schwierige Aufgabe bleibt, die uns weiter ständig beschäftigen wird. Das Ge- setz beinhaltet daher eine Rechtsverordnungsermäch- tigung, um auf den schnellen Wandel von Kundenan- nahmeprozessen reagieren zu können. Die Diskussion bestätigt, wie wichtig es war, dass die Berichterstatter bei der letzten Novelle fraktionsübergreifend eine Eva- luation der informationstechnischen Aspekte vereinbart haben. Es wird nicht nur die zuständigen Behörden, son- dern auch uns als Parlament weiter in Anspruch nehmen, wenn wir Geldwäscheprävention, zeitgemäße Geschäfts- abwicklung und Datenschutz in ein stabiles Gleichge- wicht bringen wollen. Beim Onlineglücksspiel kommt selbstverständlich die Suchtprävention hinzu. Als Finanz- ausschussmitglieder stehen wir vor der Herausforde- rung, diese Aspekte stets mit zu berücksichtigen. Im aktuellen Gesetzgebungsprozess wurde keine rechtlich wasserdichte Lösung für das Geldwäscherisiko der Spielhallen gefunden, die als allgemein befriedigend empfunden wird. Der im Referentenentwurf des Bundes- ministeriums der Finanzen vorgeschlagene Paragraf zur geldwäscherechtlichen Aufsicht über Spielhallen wurde laut Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen Grün- den fallen gelassen, da ein Eingriff in Länderkompeten- zen vorliege und außerdem die Kompetenzen der Phy- sikalisch-Technischen Bundesanstalt ausgehöhlt werden würden. Die Tatsache, dass der Finanzausschuss des Bundesrats den vorgeschlagenen Paragrafen jedoch befür- wortete, sollte als Anlass genommen werden, schnellst- möglich eine wirksame Lösung zu erarbeiten. Auch hier müssen Bund und Länder koordiniert von den gesetz- lichen Grundlagen bis zu einem praktikablen Vollzug zu- sammenarbeiten. Der Verweis auf Gesetzgebungskom- petenzen der Länder ist noch lange keine Lösung des Problems. Vor allem aber reicht der Verweis auf den neuen Entwurf der Spielverordnung nicht aus. Zum ei- nen liegt uns dieser Entwurf nicht vor. Ich weiß also nicht, ob er die Problematik der Zulassung manipulier- barer Geräte und manipulierbaren Zubehörs wirklich löst. Zum anderen reicht der Fokus auf die Geräte allein nicht aus. Notwendig sind deswegen, wenn die bundes- gesetzliche Regelung nicht funktioniert, landesgesetz- liche Regelungen. Vor diesem Hintergrund werden wir uns enthalten. Wir stellen uns darauf ein, dass schon bald die nächste Gesetzgebung im Geldwäschebereich kommen wird. Insbesondere werden die Defizite im Immobilienbereich anzugehen sein. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 18) Norbert Schindler (CDU/CSU): In zweiter und drit- ter Lesung wird heute der Gesetzentwurf der Bundes- regierung zur Änderung des Energiesteuer- und Strom- steuergesetzes abschließend beraten. Lassen Sie mich vorab noch einmal betonen, wie zwingend notwendig es war, eine Nachfolgeregelung für die bestehenden Steuerbegünstigungen für Unternehmen des produzierenden Gewerbes einzuführen, um einem ersatzlosen Wegfall ab dem 1. Januar 2013 zuvorzukom- men. Der bisherige Spitzenausgleich, der im Rahmen der ökologischen Steuerreform über die Parteigrenzen hin- weg eingeführt worden war, ist von der EU-Kommission beihilferechtlich nämlich nur bis 31. Dezember 2012 ge- nehmigt. Mit diesem Gesetzentwurf wird eine vernünftige und tragfähige Nachfolgeregelung eingeführt, die den in Deutschland energieintensiv produzierenden Unterneh- men ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält. Ge- mäß der Vorgaben der Europäischen Kommission war eine Eins-zu-Eins-Fortführung der steuerlichen Regelun- gen nur in Verbindung mit Energieeffizienzsteigerung möglich, was ich auch einhellig begrüße. Schlussendlich konnten wir damit sowohl den Kreis der Begünstigten als auch das Gesamtentlastungsvolumen erhalten. Zwei Ziele galt es bei der Gesetzgebung im Auge zu behalten, um auch die Notifizierung bei der Kommission zu gewährleisten: Erstens das Ziel, das produzierende Gewerbe von einem Teil der Strom- und Energiesteuer- erhöhungen im Rahmen der ökologischen Steuerreform zu entlasten. Zweitens das Ziel, die Unternehmen des produzierenden Gewerbes entsprechend der Vorgaben aus dem Energiekonzept der Bundesregierung zu ver- pflichten, einen größeren Beitrag zu Energieeinsparun- gen zu leisten. In der Umsetzung haben wir nun festgelegt, dass die Gewährung des Spitzenausgleichs nur noch dann mög- lich ist, wenn die Unternehmen Energiemanagement- 24952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) oder Umweltmanagementsysteme betreiben und mit die- sen nachweisen können, dass sie jährlich festgeschrie- bene Mindesteffizienzziele einhalten. Gleichzeitig wird der Geltungszeitraum dieser Nachfolgeregelung für den sogenannten Spitzenausgleich ab dem 1. Januar 2013 auf einen Zeitraum von zehn Jahren erweitert, was wir sehr begrüßen. Somit ergibt sich für die betroffenen Unter- nehmen Planungssicherheit in Bezug auf die Steuerent- lastung, aber auch auf die Kosten für Implementierung und Überwachung von Energie- und/oder Umweltma- nagementsystemen. Lassen Sie mich in einem kurzen Exkurs noch einmal auf die grundsätzliche Notwendigkeit der Entlastung der Unternehmen des produzierenden Gewerbes von der Energie- und Stromsteuer zurückkommen. Als die Steuer 1999, damals noch Ökosteuer (welch schönes Wort) genannt, von der rot-grünen Regierung eingeführt wurde, hatte diese schon damals ein Einsehen, dass die rund 25 000 energieintensiven Unternehmen in Deutsch- land eine Befreiung von dieser Steuer benötigen. Schon damals wurde eine Ökosteuerbefreiung bzw. -ermäßi- gung eingeführt. Wenn Rot, Grün und Links uns heute vorwerfen, die deutsche Industrie würde mit dem Spit- zenausgleich subventioniert, so entbehrt das jeder Grundlage. Es geht hier um nicht weniger als um den Er- halt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit energiein- tensiv produzierender Unternehmen in Deutschland. Anders als bei der von Rot-Grün eingeführten Vor- gängerregelung werden nun die Unternehmen, die einen Spitzenausgleich haben wollen, stark an die Kandare ge- nommen. Die zu erreichenden Zielwerte der jährlichen Reduzierung des Energieverbrauchs für die Antragsjahre 2015 bis 2017 belaufen sich auf jeweils 1,3 Prozent, da- nach auf jährlich 1,35 Prozent, was ambitioniert ist und sich von der „alten“ Regelung maßgeblich unterscheidet; denn nun sind die Unternehmen gezwungen, Systeme zur Verbesserung der Energieeffizienz einzuführen und diese entsprechend nachzuweisen. Gleichzeitig sind diese Zielwerte Grundlage für die beihilferechtliche Genehmigung durch die Europäische Kommissio bzw. für die Notifizierung bei der Europäi- schen Kommission. Abweichend vom Gesetzentwurf der Bundesregierung haben die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP mit dem Änderungsantrag zur Fort- schreibung der Zielwerte für die zu erreichende Reduzie- rung der Energieintensität für die Jahre 2019 bis 2022 diese Zielwerte über das Antragsjahr 2018 hinaus auch für die Antragsjahre 2019 bis 2022 bereits jetzt gesetz- lich fixiert. Damit kann die Prüfung für die oben angege- bene Genehmigung schon für die gesamte Laufzeit von zehn Jahren erfolgen. Es bleibt jedoch weiterhin bei der Überprüfung der Zielwerte im Jahr 2017 im Rahmen ei- ner Evaluation. Um kleinere und mittlere Unternehmen nicht über Gebühr zu belasten, sollen für diese die Möglichkeit be- stehen, alternative, kostengünstigere Systemen zur Ver- besserung der Energieeffizienz einführen zu können. Hierzu bedarf es einer praktikablen Lösung für den deut- schen Mittelstand, die jedoch hier im Energiesteuer- und Stromsteuergesetz nicht fixiert werden kann. Eine ent- sprechende, in Arbeit befindliche Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie soll demnächst in Kraft treten; für eine zeitnahe Umsetzung im Sinne des deutschen Mittelstandes mache ich mich hier noch einmal stark. Die kleinen und mittleren Unter- nehmen müssen bald den Aufwand für die Implemen- tierung und das Betreiben der oben angegebenen Über- wachungssysteme berechnen können, um über eine mögliche Inanspruchnahme des Spitzenausgleichs ent- scheiden zu können. Mit der Branchenlösung, die gerade auch auf die klei- nen und mittleren Unternehmen zugeschnitten ist, wer- den auch die Unternehmen berücksichtigt, die sich – auch aus wirtschaftlichen Gründen – schon in der Ver- gangenheit um Energieeinsparungen bemüht haben und zum heutigen Zeitpunkt so gut dastehen, dass weitere Energieeffizienzsteigerungen auf absehbare Zeit nicht mehr wirtschaftlich zu stemmen sind. Bei Einzelbetrach- tung des Unternehmens könnten sie nicht vom Spitzen- ausgleich profitieren, da sie die geforderte jährliche Ein- sparung nicht mehr erbringen; mit der Glockenlösung für ihre Branche sind sie jedoch als Vorreiter in Effi- zienzfragen mit dabei. Mit der Nachfolgeregelung für den Spitzenausgleich wurde ein sinnvoller Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie geschaffen, und die Wettbewerbsfähigkeit auch der kleinen und mittleren Unternehmen kann so ge- sichert werden. Gerade in meinem Wahlkreis, im Grenz- gebiet zu Frankreich gelegen, machen die circa 2 Cent Stromsteuer pro Kilowattstunde zahlen oder nicht zahlen einen großen Unterschied. Eine Zusatzbelastung um die- sen Betrag für ein auf deutscher Seite gelegenes Unter- nehmen, das ein Großverbraucher ist – und um die geht es hier ja –, führt dazu, dass sich dieses dem grenzüber- schreitenden Wettbewerb nicht mehr stellen kann. Denn neben den nicht existierenden oder niedrigen Stromsteu- ern in den Nachbarländern sind gerade in Frankreich die Strompreise deutlich niedriger als bei uns und auch nicht mit einer EEG-Umlage belastet. Aber das ist nicht das heutige Thema, auch wenn es dazu viel zu sagen gäbe. Neben den Regelungen zum „neuen“ Spitzenaus- gleich haben wir weitere Änderungen am Energiesteuer- und Stromsteuergesetz vorgenommen. Ein wichtiger Punkt ist die Steuerentlastung für die Stromerzeugung und die gekoppelte Erzeugung von Kraft und Wärme, KWK-Anlagen. Die Auszahlung der Steuerentlastung war seit 1. April 2012 eingestellt, da sich die beihilfe- rechtlichen Vorschriften des Unionsrechts geändert hat- ten und eine Fortführung im vorherigen Maße nicht mehr möglich war. Nach der Neuregelung kann die Aus- zahlung auch rückwirkend bis April 2012 vorgenommen werden. Die Steuerentlastung kann aber nur bis zum möglichen Auslaufen der Genehmigung durch die Euro- päische Kommission, die neue Kriterien dafür festlegt, erfolgen. Darüber hinaus wird nun im Gesetzentwurf eine Re- gelung zur Steuerbefreiung von verflüssigtem Erdgas, li- quefied natural gas – LNG, für die gewerbliche Schiff- fahrt getroffen. Da der Einsatz von verflüssigtem Erdgas als Kraftstoff für die Schifffahrt aufgrund umweltpoliti- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24953 (A) (C) (D)(B) scher Aspekte weltweit an Bedeutung gewinnt – im Ver- gleich zu herkömmlichem Schweröl lassen sich mit ver- flüssigtem Erdgas die Schwefel- und Partikel- Emissionen sowie der Stickoxidausstoß signifikant ver- ringern –, wurde der Kreis der Energieerzeugnisse, die steuerfrei in Wasserfahrzeugen für die gewerbliche Schifffahrt verwendet werden dürfen, deshalb auf ver- flüssigtes Erdgas ausgedehnt. Damit sollen insbesondere Wettbewerbsnachteile gegenüber den bestehenden Ver- sorgungsmöglichkeiten mit steuerfreiem Flüssigerdgas in anderen EU-Mitgliedstaaten vermieden werden. Lassen Sie mich als letzten Punkt noch auf die Erwei- terung des Gesetzentwurfes um die Änderungen des Luftverkehrsteuergesetzes eingehen: Natürlich räume ich ein, dass durch die Erweiterung der zu regelnden Tat- bestände im Luftverkehrsteuergesetz die Verabschie- dung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energie- steuer- und Stromsteuergesetzes verzögert worden ist. Da jedoch im Hinblick auf das Inkrafttreten des Luftver- kehrsteuergesetzes zum 1. Januar 2013 kein eigenständi- ger Gesetzentwurf mehr eingebracht werden konnte, war eine Ergänzung des vorliegenden Gesetzentwurfes not- wendig geworden. Die Entscheidung der Opposition, ein weiteres Fachgespräch zu verlangen, hat den Gesetzge- bungsprozess nun aber auch nicht gerade beschleunigt. Aber sei’s drum, das Ergebnis ist dafür aus meiner Sicht hochgradig zufriedenstellend. Mit der Anpassung des Luftverkehrsteuergesetzes werden die abgesenkten Steuersätze bei der Luftverkehr- steuer, die sich aus der Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel ergeben, dauerhaft fortgeführt. Die Anpassung ist deshalb notwendig, da im ersten Halbjahr 2012 keine Versteigerung von CO2-Zer- tifikaten stattgefunden hat, auf deren Grundlage die Steuersätze berechnet werden können. Damit wurde eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erhöhung der Gesamt- belastung der Luftfahrtunternehmen vermieden und diese bei etwa 1 Milliarde Euro im Jahr 2013 gedeckelt. Sicherlich lässt sich über den grundsätzlichen Sinn und die Wirkung der Luftverkehrsteuer trefflich streiten, so wie dies auch im Fachgespräch am letzten Montag passiert ist. Dabei ist zu konstatieren, dass die Änderun- gen den Umweltverbänden nicht weit genug gehen. Ih- nen wäre eine höhere Luftverkehrsteuer deutlich lieber, um damit eine größere Steuerungswirkung zu entfalten. Dies wäre im innerdeutschen Bereich der Umstieg auf die Bahn und im internationalen ein möglicher Verzicht auf Flugreisen und damit einhergehend auch eine Redu- zierung der Flugbewegungen in Deutschland. Die Luft- verkehrsunternehmen fühlen sich durch die Luftverkehr- steuer über Gebühr belastet und plädieren auf eine Reduzierung bzw. Abschaffung. Im Lichte dieser Anhörung und der diametral gegen- sätzlichen Positionen kann ich nur feststellen: Die Ände- rungen im Luftverkehrsteuergesetz sind genauso ausge- wogen und vernünftig wie die im Energiesteuer- und Stromsteuergesetz. Auch hier stehen die Maßnahmen im Einklang mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundes- regierung und der Europäischen Union, indem sie Anreize zu einem weniger extensiven Umgang mit Ener- gieressourcen bieten. Und auch hier ist uns ein ausgewo- gener und gelungener Schritt zum Erhalt der internatio- nalen Wettbewerbsfähigkeit gelungen. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Zum Ende einer Legislaturperiode wird im Parlament manches un- erfreulich. Die Regierung verabschiedet sich endgültig von all den großen Vorhaben, die sie mal im Koalitions- vertrag vereinbart hatte. Erinnern sich die Koalitionäre noch an den großen Wurf, mit dem sie das Chaos bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen beseitigen wollten? Gegen eigene Überzeugungen, sowohl haushalteri- scher, als auch inhaltlicher Natur werden nun noch ein paar Steuergeschenke gemacht. Diesmal nicht nur an die eigene Klientel als Dankeschön, sondern an möglichst viele Menschen in der Hoffnung, dass dies die ein oder andere Wählerstimme mehr bringt. Aber auch für uns in der Opposition wird es ungemüt- lich. In der Vergangenheit haben wir uns zwar auch nur über, nicht mit dieser Regierung amüsiert, aber jetzt will sie plötzlich die Versäumnisse der letzten Jahre nachho- len und noch schnell ganz ganz viel durchdrücken. Sie wählt dabei Verfahren, die eine ordentliche parlamenta- rische Prüfung unmöglich machen. Bei dieser Regierung muss man leider inzwischen davon ausgehen, dass sie so etwas auch ausnutzt. Wohl oder übel machen wir in der Opposition das Verfahren mit. Was bleibt uns anderes übrig? Wir könn- ten beleidigt nicht mehr mitarbeiten. Oder wir können, wie es unsere Aufgabe ist, die inhaltlichen Fehler und die Fehler im System benennen und auf den mündigen Wähler zählen. Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, eine mündige Wählerin, ein mündiger Wähler kann Sie doch nicht mehr ernsthaft wählen. Das Verfahren beim Jahres- steuergesetz 2013 und beim Verkehrsteueränderungsge- setz waren schlimm genug, aber hier mit dem Verfahren zum Energiesteuer- und Stromsteuergesetz setzen Sie dem ganzen doch die Krone auf. Oder wollen Sie das etwa in Zukunft noch mal steigern? An Ihrem eigentlichen Gesetzentwurf gab es bereits genug Kritik. Zum Beispiel die, dass er mit dem ersten fachlichen Referentenentwurf aus dem Bundesfinanz- ministerium nichts mehr gemeinsam hatte. Warum ist dieser erste Entwurf eigentlich verschwunden? Konnten Sie dem Druck der Wirtschaft nicht standhalten? Umso glücklicher war die Wirtschaft bestimmt, als die Bundes- regierung ihr vertraglich zugesichert hat, dass es so schlimm nicht werden würde, sondern dass sich die Wirtschaft auf moderate Einsparforderungen verlassen könne und – falls politisch mal anders regiert würde – der Vertrag ja eine gute Basis für Schadenersatzansprü- che darstellen würde. Glücklich war die Wirtschaft auch, als die Glockenlö- sung beschlossen wurde und als klar war, dass die Ein- sparungen an Energieeffizienz, die mit 1,3 Prozent jähr- lich erwartet werden, von selbst eintreten würden, ohne eigene Anstrengung der Wirtschaft. Es ist wirklich 24954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) schade, dass man dem Gesetz als verantwortungsvolle Politikerin einfach nicht zustimmen kann. Den Spitzenausgleich für energieintensive Wirt- schaftsunternehmen wollen wir nämlich. Energiema- nagementsysteme und Energieeffizienzsteigerung als Gegenleistung für den Spitzenausgleich sind richtig. Die Umsetzung, gemessen an den Energiesparzielen, ist aber mangelhaft bis ungenügend. Aber richtig schlimm wird es dann erst bei den Ände- rungsanträgen, die uns die Regierungskoalition vorlegt. Dass die Luftverkehrssteueränderung aus Zeitgründen mit ins Gesetz gezogen wird, mag man noch verstehen. Inhaltlich ist der Entwurf jedoch Mist. Die Deckelung der Einnahmen auf 1 Milliarde Euro ist pure Klientel- politik. Oder machen wir das in anderen Bereichen jetzt auch so? Die Einnahmen aus der Mineralölsteuer könnte man doch auch deckeln, oder? Wenn man das verkürzte Verfahren bei der Luftver- kehrsteuer akzeptiert, müsste man das nicht auch bei den Änderungen zur Kraft-Wärme-Koppelung tun? Das Ge- setz ist ohne Zweifel eilbedürftig. Der Clou liegt jedoch im Detail. Dass das Gesetz eilbedürftig ist, hat nämlich die schwarz-gelbe Bundesregierung zu verantworten, die sehr spät bei der EU den Antrag auf Verlängerung der Beihilfe gestellt hat. Der EU einen Knochen hinzuhalten und ihr zu sagen: „Nun spring aber bitte jetzt“, funktio- niert eben nicht. Die EU prüft in ihrem eigenen Rhyth- mus, und die Bundesregierung muss das auch wissen. Dass die Steuerbeihilfe für Kraft-Wärme-Koppelung seit März ohne beihilferechtliche Genehmigung im Ge- setz steht, ist die Schuld der Bundesregierung. Vor die- sem Hintergrund versteht man jetzt natürlich, dass Sie von der Koalition die Neuregelung nach erteilter Beihil- fegenehmigung schnellstens auf den Weg bringen wol- len. Und man kann Ihnen auch fast verzeihen, dass Sie den Antrag erst in der Woche der Beratung vorlegt. Im Vergleich zur letzten Sitzungswoche, wo über 30 Ände- rungsanträge erst am Dienstag um 20 Uhr vorlagen und andere erst Minuten vor Beginn der Ausschusssitzung, ist das ja auch fast geruhsam. Nicht nachgesehen werden kann Ihnen aber der Än- derungsantrag zur Fortschreibung der Zielwerte. Er wurde am Tag vor der Beratung dem Ausschuss über- reicht. Das war nach den Sitzungen der Arbeitsgruppen, die darüber beraten wollen und sollen. In diesem Fall ist das Verfahren aber noch die kleinere Unverschämtheit. Denn es geht Ihnen nicht um zeitliche Eilbedürftigkeit, sondern darum, durch die Hintertür und ohne großes Aufsehen die Wirtschaft noch besser abzusichern. Ich würde, wenn ich nicht per se gegen jede Art von Glücksspiel wäre, Ihnen eine Wette anbieten. Ich würde wetten, dass die Wirtschaft nach dem Fachgespräch zum Energiesteuer- und Stromsteuergesetz noch einmal auf Sie zugekommen ist. Denn wir hatten es in der Anhö- rung gewagt, die Möglichkeit anzudeuten, dass nach ei- nem Regierungswechsel die Energieeffizienzeinsparun- gen hinsichtlich der Höhe noch einmal überprüft werden könnten. Das muss wohl so sauer aufgestoßen sein, dass die Wirtschaft die Regierung gebeten hat, sie möge dann doch – Evaluierung 2017 hin oder her – lieber die Stei- gerungswerte bis 2022 festlegen. Sicher sei sicher. Ich müsste garantiert kein Fortuna-Düsseldorf-T-Shirt anziehen. Die Wette gewänne ich nämlich. Die Evaluie- rung wird dadurch fast eine solche Farce, wie Ihr gesam- tes Gesetzgebungsverfahren es ist. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Die EU-beihilferecht- liche Genehmigung des Spitzenausgleichs im Energie- und Stromsteuergesetz läuft am 31. Dezember 2012 aus. Um unseren energieintensiven produzierenden Unter- nehmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, besteht dringender Handlungsbedarf, um die Fortführung zum Jahreswechsel zu gewährleisten. Gemäß EU-Kommis- sion ist die beihilferechtliche Genehmigung nur noch in Verbindung mit dem Nachweis von Energieeffizienzstei- gerung möglich. Nach langen konstruktiven Gesprächen mit allen Be- teiligten beschließen wir heute eine sowohl für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland als auch für die Be- lange der Umwelt gute und praktikable Lösung. Die steuerlichen Regelungen der bisherige Spitzenaus- gleich, die ja erst 2010 abgesenkt wurden, werden eins zu eins fortgeführt: sowohl der Kreis der Begünstigten als auch das Gesamtentlastungsvolumen in Höhe von rund 2,3 Milliarden Euro bleiben gleich. Damit die beihilferechtlichen Voraussetzungen von der Europäischen Kommission bereits jetzt für insge- samt zehn Jahre abschließend geprüft werden können, schreiben wir die Zielwerttabelle bis 2022 fort. Damit schaffen wir Rechts- und Planungssicherheit für die Un- ternehmen. Eine eventuelle Verschärfung der Effizienz- ziele nach der Evaluation 2017 bleibt dennoch jederzeit möglich. Mit diesem Gesetzentwurf werden wir die Wettbe- werbsfähigkeit von rund 25 000 energieintensiven Un- ternehmen in Deutschland sicherstellen und gleichzeitig diesen Unternehmen Anreize geben, ihren Energiebedarf effizient zu gestalten. Solange wir die europaweit und international überdurchschnittlichen Belastungen durch die Ökosteuer haben, so lange brauchen wir die Entlas- tung durch den Spitzenausgleich. Die Industriestrom- preise in Deutschland bewegen sich im internationalen Vergleich am oberen Ende. Zusätzlich wird die Wettbe- werbsfähigkeit unserer Unternehmen durch die EEG- Umlage und den Zertifikatenhandel weiter geschwächt. Der durchschnittliche Strompreis im Jahr 2011 lag in Deutschland ohne Berücksichtigung von Abgaben und Steuern um 10 Prozent höher als im Mittel der EU. Unter Mitberücksichtigung von Abgaben und Steuern ist der Strompreis in Deutschland um 38 Prozent höher als im EU-Durchschnitt. Der Industriestrompreis liegt in Deutsch- land bei 12 Cent pro Kilowattstunde, im Vereinigten Kö- nigreich hingegen wurden weniger als 10 Cent pro Kilo- wattstunde fällig. Noch geringere Kosten haben die Unternehmen in Frankreich, wo der Strompreis bei etwa 8 Cent pro Kilowattstunde beträgt und somit rund ein Drittel unter dem deutschen Strompreis liegt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24955 (A) (C) (D)(B) Die Fortführung des Spitzenausgleiches bei der Stromsteuer ist daher notwendig, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutsch- land mit seinen 600 000 direkten Arbeitsplätzen und ins- gesamt 2,5 Millionen Arbeitsplätzen in der Wertschöp- fungskette nicht zu gefährden. Mit der Weiterführung des Spitzenausgleichs handeln wir im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie im Sinne der Unternehmen. Sie ist ein Gebot des so- zialen Friedens und der volkswirtschaftlichen Vernunft. Um dem EU-Beihilferecht zu genügen und weil es ökologisch richtig ist, setzen wir Anreize für Unterneh- men zu einem effizienten Energieverbrauch. Den Spit- zenausgleich gibt es nicht zum Nulltarif. Die betroffenen Unternehmen des Produzierenden Gewerbes müssen – wenn sie vom Spitzenausgleich profitieren wollen – Energie- und Umweltmanagementsysteme nach deut- lich anspruchsvollerer DIN-Norm einführen und die Ver- besserung der Energieeffizienz nachweisen. Um auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, vom Spitzenausgleich zu profitieren, werden von ihnen weniger kostenintensive alternative Manage- mentsysteme gefordert. Das war uns Liberalen ein gro- ßes Anliegen. Eine Überforderung wäre für viele kleine und mittlere Unternehmen existenzgefährdend. Auch die dreijährige Übergangsfrist ist eine vernünftige Zeit- spanne für solche kosten- und arbeitsintensive Einfüh- rungsphasen von Energie- oder Umweltmanagementsys- temen. Die Übergangsregelung ist auch deshalb notwendig, um die bisher nicht flächendeckend bestehende Infra- struktur für die Bereitstellung der Gutachter sowie die Zertifizierung aufzubauen. Stellen Unternehmen in den Jahren 2013 und 2014 Anträge, um den Spitzenausgleich zu erhalten, müssen sie nachweisen, dass sie mit der Einführung eines Ener- giemanagementsystems, EMS, begonnen haben. Ab dem Antragsjahr 2015 muss das EMS vollständig implementiert sein. Zusätzlich müssen die Unternehmen ambitionierte Effizienzziele von 1,3 Prozent in 2013 und von 1,35 Prozent pro Jahr ab 2016 erreichen. Wie ambitioniert die definierten Mindesteffizienz- ziele sind, war durchaus strittig unter den Experten. Ein Gutachten der Energy Environment Forecast Analysis, EEFA, vom April 2012 kommt zum Ergebnis, dass Un- ternehmen bei den jetzigen Vorgaben ihre Effizienz- anstrengungen künftig verdreifachen müssen. In der Zeit zwischen 2010 und 2020, so das Gutachten, würde die Energieeffizienz der Industrie als Ganzes im „business as usual“-Szenario lediglich mit einer durchschnittlichen Rate von 0,41 Prozent pro anno zunehmen. Den Grünen ist das dennoch nicht genug. So drohte Frau Paus offen im Finanzausschuss, den Spitzenaus- gleich bei einem eventuellen Regierungswechsel sofort abzuschaffen. Unglaublich! Damit nimmt sie billigend in Kauf, dass deutsche Unternehmen ins Ausland ab- wandern. Ein solches Risiko für die Arbeitsplätze in die- sem Land wollte seinerzeit nicht einmal Herr Trittin ein- gehen. Ein weiterer Bestandteil des Gesetzentwurfs betrifft die KWK-Anlagen. Die bislang vollständige Steuerentlastung für KWK- Anlagen wurde von der Europäischen Kommission nur bis 31. März 2012 genehmigt. Ausdrücklich begrüße ich, dass es gelungen ist, die steuerliche Förderung von KWK-Anlagen weiter sicherzustellen. Das ist wichtig vor dem Hintergrund, dass im Zuge der Energiewende die Bedeutung der KWK-Anlagen deutlich zugenommen hat. Nach der nun aufgenommenen Regelung können künftig alle KWK-Anlagen unter den bisherigen Voraus- setzungen eine Steuerentlastung bis auf die Mindeststeu- ersätze nach der Energiesteuer-Richtlinie erhalten. Eine vollständige Steuerentlastung bleibt künftig auf diejeni- gen KWK-Anlagen beschränkt, die zusätzlich das Hoch- effizienzkriterium der KWK-Richtlinie erfüllen. Dies wäre auf die Dauer der steuerlichen Absetzung für Ab- nutzung beschränkt. Mit der Anpassung des Luftverkehrssteuergesetzes schreiben wir die Steuersätze für das Jahr 2013 fort. Na- türlich gibt es über die Notwendigkeit dieser Abgabe diametral entgegengesetzte Aussagen. Über Sinn und Unsinn oder Lenkungswirkung einer solchen Abgabe lässt sich grundsätzlich diskutieren. Darum geht es heute jedoch nicht. Die vorgesehene Fortschreibung der Abgabenstaffe- lung wurde notwendig, da im ersten Halbjahr 2012 keine Einnahmen aus der Einbeziehung der Luftverkehrsteuer in den europäischen Emissionshandel vorhanden waren, auf deren Grundlage die Steuersätze hätten realistisch berechnet werden können. Daher werden die Steuersätze 2013 gedeckelt auf dem Niveau von 2012. Und das ist gut so. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Für die Linke bleibt auch nach der Anhörung festzustellen: Die Fort- führung des Spitzenausgleichs über das Jahr 2012 hinaus ist an keine relevante Anstrengung der Industrie ge- knüpft, die Energieeffizienz zu steigern. Darum lehnen wir sie ab. Der – erst ab dem Jahr 2015 – zu erreichende Zielwert für die Minderung der Energieintensität von 1,3 Prozent pro Jahr entspricht laut Trendprognose der EU exakt der ohnehin erwartbaren Effizienzsteigerung. Das BMU geht in Hauspapieren sogar von 1,6 bis 1,8 Prozent aus! Die Regelung ist also nichts anderes als ein Geschenk an die Wirtschaft. Im Übrigen wurde in der Anhörung ja deutlich, dass bei der Berechnung des Energieeffizienzindikators auch die Energieversorgungsunternehmen einbezogen wer- den. Das DIW machte klar, dass durch den Ersatz von fossilen und Kernbrennstoffen durch Solar- oder Wind- energie statistisch große Effizienzverbesserungen vorge- gaukelt werden, ohne dass bei der Industrie tatsächlich etwas passiert. Denn die alten Brennstoffe weisen in der Umwandlung Effizienzverluste von 45 bis 70 Prozent auf, für die Erzeugung von CO2-freiem Ökostrom dage- gen wird für diesen Zweck statistisch eine Effizienz von 100 Prozent unterstellt. 24956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Zudem werden in der Vorgabe keine individuellen Einzelnachweise der Unternehmen über erzielte Ener- gieeinsparungen verlangt. Das wurde ja auf Druck des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Den Nachweis muss nun nur noch der Wirt- schaftszweig insgesamt liefern. Ferner wird das Verfah- ren nicht vom Gesetzgeber geregelt, sondern über die am 1. August 2012 zwischen Bundesregierung und Industrie abgeschlossene „Effizienzvereinbarung“. Diese läuft am Parlament vorbei über zehn Jahre, in denen der Bundes- tag dreimal neu gewählt wird. Ohnehin sind die darin festgelegten Verpflichtungen zur Einführung und zum Betrieb von Energiemanage- mentsystemen bzw. zur Durchführung von Energieaudits bereits europarechtlich vorgeschrieben – die EU-Ener- gieeffizienz-Richtlinie wurde im Juni dieses Jahres ver- abschiedet! Insofern erfolgt der Spitzenausgleich auch in dieser Hinsicht ohne Gegenleistung, wie auch die Deut- sche Umwelthilfe in ihrer lesenswerten Stellungnahme feststellt. Das Ganze erfüllt also den Tatbestand einer reinen Subvention. Nicht zuletzt werden aufgrund der Architektur des Spitzenausgleichs einer bestimmten Gruppe von Unternehmen Vorteile bei der Steuerlast ein- geräumt, welche andere Unternehmen hingegen tragen müssen. Dies dürfte eine Wettbewerbsverzerrung dar- stellen. Das Vorhaben der Bundesregierung, den Spitzenaus- gleich bis 2022 ohne adäquate umweltpolitische Gegen- leistung zu verlängern, ist nur eine Facette unberechtig- ter Privilegien für die energieintensive Industrie. Weitere gibt es im EEG, bei den Netzentgelten oder beim EU- Emissionshandel, das hat Arepo Consult in seiner Stel- lungnahme noch einmal deutlich gemacht. In der Summe führen diese Begünstigungen zu enormen Umverteilun- gen von den privaten Haushalten und kleinen Firmen hin zu energieintensiven Unternehmen sowie zu zusätzlichen Haushaltsbelastungen, wie bereits der Antrag unserer Fraktion „Unberechtigte Privilegien der energieintensi- ven Industrie abschaffen – Kein Sponsoring der Kon- zerne durch Stromkunden“ auf der Drucksache 17/8608 feststellte. Wir haben darum heute einen Entschließungs- antrag in den Ausschuss eingebracht, der dies erneut the- matisiert. Die Bundestagsfraktion Die Linke will nicht leicht- fertig Arbeitsplätze auf Spiel setzen. Wir fordern jedoch, Privilegien abzubauen, die mit Standortsicherung nicht das Geringste zu tun haben. Unterstützung soll es künf- tig nur noch dann geben, wenn Unternehmen ansonsten nachweislich Wettbewerbsnachteile erleiden müssten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Produktionsverla- gerungen ins außereuropäische Ausland oder Schließun- gen führen würden. Zum Nachweis müssen zwei Krite- rien gleichzeitig erfüllt sein: Erstens. Sie produzieren trotz einer Produktion nach „Stand der Technik“ techno- logiebedingt überdurchschnittlich energie- bzw. CO2-in- tensiv. Zweitens. Sie stehen mit dem Hauptteil dieser Produkte im Wettbewerb mit außereuropäischen Unter- nehmen, welche keinen adäquaten umweltpolitischen Regelungen unterliegen. Zur Luftverkehrsteuer: Wir befürworten ihre Beibe- haltung, allerdings haben wir etliche Kritikpunkte zur derzeitigen Ausgestaltung dieser Steuer. Einige davon wurden auch in dem Fachgespräch am 5. November im Finanzausschuss durch Sachverständige bestätigt. Ange- sichts der Tatsache, dass der Luftverkehr einer der am meisten subventionierten Verkehrsträger ist – es fällt zum Beispiel keine Kerosinbesteuerung an, auch gilt für internationale Flüge eine Mehrwertsteuerbefreiung –, obwohl der Flugverkehr wesentlich zur Erderwärmung beiträgt, sollten alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, dieses Missverhältnis zu reduzieren. Das Um- weltbundesamt bezifferte diese fragwürdigen Subventio- nen auf rund 11,5 Milliarden Euro im Jahr 2010. Daher ist es absolut unverständlich, dass die Einnah- men aus dem Einbezug des Luftverkehrs in den EU- Emissionshandel mit denen aus der Luftverkehrsteuer verrechnet werden und die Gesamteinnahmen insgesamt auf nur 1 Milliarde Euro gedeckelt sind. Die Begrenzung ist paradox. Das bedeutet, je mehr Menschen fliegen, desto mehr müssten die Steuersätze entsprechend ge- senkt werden. Das Fliegen würde also tendenziell billi- ger werden. Das widerspricht der ökologischen Len- kungswirkung, die mit dieser Steuer ja eigentlich erreicht werden soll. Allerdings sind laut Gutachten der TU Chemnitz diese Lenkungswirkungen ohnehin marginal. Daher be- fürworten wir, eine Erhöhung der Steuersätze vorzuneh- men und ebenso eine Steuersatzgestaltung nach Sitzklas- sen, wie es zum Beispiel auch in Frankreich und Großbritannien gehandhabt wird. Ein höherer Steuersatz insbesondere für Kurzstreckenflüge wäre angebracht, das würde auch der Deutschen Bahn zugutekommen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bereits seit geraumer Zeit befindet sich das fossile ökonomische System international im Umbruch. Es ist jetzt eine vor- dringliche politische Aufgabe, die Blockade einer sol- chen Transformation zu beenden und den Übergang zu beschleunigen. Dies sagt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung“. Dass der Beirat damit recht hat, wissen oder ahnen mitt- lerweile alle. Doch die Transformation zu einer emis- sionsarmen und ressourcensparenden Wirtschaftsweise wird nur gelingen, wenn nicht gleichzeitig umweltschäd- liches Verhalten durch Steuervergünstigungen in Milliar- denhöhe gefördert wird. In Deutschland gibt es da noch einiges zu tun. Hier beläuft sich nach Erhebungen des Umweltbundesamtes die Summe der umwelt- und kli- maschädlichen Subventionen auf über 48 Milliarden Euro jährlich. Bei der Reform des 2,3 Milliarden Euro teuren Spit- zenausgleichs für 23 000 Unternehmen hat die Regie- rung die Chance vertan, zumindest einen kleinen Teil dieser Subventionen abzubauen. Unternehmen, die we- der besonders energieintensiv sind noch im internationa- len Wettbewerb stehen, brauchen keine Ausnahmen. Und die Voraussetzungen, die die Bundesregierung nun als Voraussetzung für die weitere Gewährung der Sub- ventionen stellt, sind kein echter Anreiz für einen sparsa- men Umgang mit Energie. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24957 (A) (C) (D)(B) Das von der Bundesregierung vorgegebene Effizienz- ziel von 1,3 Prozent ist deutlich zu unambitioniert und unterliegt einer völlig unzureichenden wissenschaftli- chen Überprüfung. Bereits in den vergangenen Jahren hat sich die Energieeffizienz der Industrie ohne beson- dere Anstrengungen bereits um 1,4 Prozent pro Jahr ver- bessert. In den Ausschussberatungen wurde zudem klar, dass Experten deutlich höhere Einsparziele für möglich halten und der Indikator ungeeignet ist, um zusätzliche Effizienzanstrengungen darzustellen. So werden die oh- nehin sehr niedrigen Effizienzzielwerte voraussichtlich allein durch autonome statistische Effekte aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Wahl der Basis- periode – Verzerrung der Statistik durch die Wirtschafts- krise 2008/2009 – und der Auswahl der betrachteten Wirtschaftssektoren übererfüllt. Das Berechnungsver- fahren ist bislang völlig intransparent und anfällig für politisch motivierte Beeinflussung. Das einheitliche Effizienzziel für das gesamte produ- zierende Gewerbe, die sogenannte Glockenlösung, ist ein völlig ungeeignetes Verfahren. Damit wird eine Art Gruppenhaftung für Unternehmen eingeführt. Wird das Effizienzziel erreicht, profitieren besonders die Unter- nehmen, die für die Erreichung des Zieles nichts geleis- tet haben. Wird das Ziel hingegen nicht erreicht, werden dafür auch die Unternehmen bestraft, die dies überhaupt nicht zu verantworten haben und die aktiv in die Errei- chung der Ziele investiert haben. Der Vorschlag des ersten Referentenentwurfs war an diesem Punkt deutlich besser, da er branchenindividuelle Effizienzziele vorgegeben hat, die unternehmensindivi- duell nachgewiesen werden mussten. Doch dieser erste Entwurf wurde im Gezerre innerhalb der Koalition zer- rieben. Am Ende hat sich die FDP – als Anwalt von alten, überkommenen Strukturen in der Industrie – weit- gehend durchgesetzt. Das geht auf Kosten von Energie- effizienz einerseits, aber auch auf Kosten der Teile der Wirtschaft, die die Herausforderungen des Klimaschut- zes bereits verstanden haben und entsprechend handeln. Die Pflicht zur Einführung von Energiemanagement- systemen wird durch umfangreiche Ausnahmeregelun- gen für kleine und mittlere Unternehmen aufgeweicht. Das hat keinen sachlichen Grund, da Energiemanage- mentsysteme nach DIN ISO 50001 geringere und ange- messene Anforderungen an kleine und mittlere Unter- nehmen stellen als an Großunternehmen. Der Verzicht auf unternehmensindividuelle Effizienznachweise min- dert die Anreize, im Rahmen von Energiemanagement- prozessen gefundene Einsparpotenziale auch umzuset- zen. In letzter Minute haben sich die Lobbyisten der ener- gieintensiven Industrie noch einmal durchgesetzt. Per Änderungsantrag werden die wenig ambitionierten Ziel- werte bis 2022 festgeschrieben, unter denen die Bundes- regierung 2,3 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen weiter gewährt. Doch keine milliarden- schwere Subvention darf für ein Jahrzehnt im Voraus be- schlossen werden. Die Industrie sollte nicht davon aus- gehen, dass der Gesetzgeber in den nächsten zehn Jahren den Spitzenausgleich nicht mehr antastet. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundes- tags im Auftrag meiner Fraktion kommt zu dem klaren Ergebnis, dass eine baldige Änderung des Spitzenaus- gleichs keinen Bruch des Vertrauensschutzes darstellt. Diese Möglichkeit sollte unbedingt genutzt werden, um diese Gesetzesnovelle so schnell wie möglich durch eine bessere Regelung abzulösen. Wie diese Neuregelung aussehen sollte, legen wir in einem Entschließungsantrag zu diesem Gesetz dar. Mit einer Konzentration der Energie- und Stromsteuersub- ventionen nur auf solche Unternehmen, die gleichzeitig energieintensiv sind und im internationalen Wettbewerb stehen, können dabei mindestens 2 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen abgebaut werden. Mehrere Gutachten zeigen, dass der Spitzenausgleich auch solchen Unternehmen zugute kommt, denen nicht der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit droht und bei de- nen es noch erhebliches Effizienzpotenzial gibt. Wir sind deshalb dafür, den Spitzenausgleich abzuschaffen, um ihn durch eine Härtefallregelung zu ersetzen, die nur sol- che energieintensiven Unternehmen unterstützt, die wirklich von einer Verlagerung in Drittstaaten bedroht sind. Daneben fordern wir eine Abschaffung der allgemei- nen Strom- und Energiesteuerrabatte für das produzie- rende Gewerbe und die Land- und Forstwirtschaft. Bislang profitieren 100 000 Unternehmen von dieser Subvention. Sie haben stärker von der Reduzierung der Lohnnebenkosten durch die Absenkungen der Renten- beitragssätze profitiert, als sie durch die Anhebung der Steuersätze auf Strom und Energie belastet wurden. Kaum ein Unternehmen, das diese Rabatte in Anspruch nimmt, ist energieintensiv, da in diesen Unternehmen die Wertschöpfung in hohem Maße durch das Personal ge- schaffen werden muss. Ungefähr 3 500 energieintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes profitieren heute von der 2006 eingeführten und 1,2 Milliarden Euro teuren Rege- lung, nach der die Steuern auf Strom, Gas und andere Energieträger vollständig erlassen werden, wenn sie für bestimmte energieintensive Prozesse und Verfahren ver- wendet werden, etwa bei der Metallherstellung, in der Papierindustrie, in Zementfabriken und der Chemie- industrie. Hier wollen wir das Energie- und Stromsteuer- recht so umgestalten, dass auch eine nach Wettbe- werbsintensität differenzierte Besteuerung möglich ist. Ein kleiner Lichtblick in diesem Gesetzgebungsver- fahren ist der erste Änderungsantrag der Koalition zu diesem Gesetzentwurf. Hier begrüßt die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen die Änderungen und wird deshalb dem Änderungsantrag zustimmen. Die Aufnahme von bestimmten Additiven in das elektronische EMCS-Ver- fahren macht Sinn ebenso wie die Steuerbefreiung von Flüssigerdgas für die gewerbliche Schifffahrt. Dies senkt die Hürden, Schiffe mit umweltfreundlichem Erdgas zu betanken. Auch die Neuregelung der Steuerentlastung für die gekoppelte Erzeugung von Kraft und Wärme ist vernünftig, weil dies eine dezentrale und effiziente Art der Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen fördert. 24958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Seit Monaten quengelt die Luftfahrtindustrie und for- dert von der Regierung die Abschaffung der 2011 einge- führten Luftverkehrsteuer. Dabei war die Verabschie- dung des Luftverkehrsteuergesetzes eine der wenigen klugen steuerpolitischen Entscheidungen der schwarz- gelben Koalition in dieser Legislaturperiode. Denn die Luftverkehrsteuer trägt dazu bei, wenigstens einen klei- nen Teil der Wettbewerbsverzerrung zwischen den Ver- kehrsträgern abzubauen. Während Dieselloks, Autos und Busse selbstverständlich versteuerten Kraftstoff tanken, müssen die Fluggesellschaften keine Kerosinsteuer zah- len. Bei Flügen ins Ausland verzichtet der Fiskus auf Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Die Steuerausfälle durch die Subventionierung des Luftverkehrs summieren sich so auf mehrere Milliarden Euro. Trotz der Einführung der Luftverkehrsteuer im letzten Jahr wuchs die Branche um 4,8 Prozent. 2012 werden voraussichtlich nochmal 2,7 Prozent mehr Tickets ver- kauft. Von einer echten Lenkungswirkung ist also nichts zu spüren; dies wurde bei der Expertenanhörung im Finanzausschuss sehr deutlich. Trotzdem hat sich die schwarz-gelbe Koalition entschieden, die Luftverkehr- steuern dauerhaft abzusenken. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung. Die Bundesregierung wollte mit der Einführung der Luftverkehrsteuer Anreize für umwelt- gerechtes Verhalten setzen. Wenn sie dieses Ziel ernst nimmt, darf sie die Ticketsteuern nicht senken und muss den Konstruktionsfehler bei der Einnahmedeckelung korrigieren. Laut Gesetz sind die Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer bei 1 Milliarde Euro gedeckelt. Die Bundesregierung argumentiert nun, die Steuersätze im- mer weiter absenken zu müssen, um bei steigenden Steu- ereinnahmen durch mehr Ticketverkäufe diese Vorgabe zu halten. Dieser perverse Wirkmechanismus gehört ab- geschafft, indem der Deckel aus dem Gesetz gestrichen wird. Alles in allem ist dieses Gesetz ein weiterer Beleg da- für, dass die Regierung zwar gerne über die Energie- wende spricht, aber wirklich jede Chance auslässt, kon- krete Schritte auch umzusetzen. Das ist enttäuschend; denn dieses Gesetz wäre eine sehr gute Gelegenheit ge- wesen, unsere Wirtschaft energieeffizient und damit fit für die Zukunft zu machen. Wir werden deshalb dieses Gesetz ablehnen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Keine Modernisierung der US-Nuklearwaf- fen in Europa und Deutschland – Abrüs- tungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen – Abzug statt Modernisierung der US-Atom- waffen in Deutschland (Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wir reden heute über zwei Anträge der Opposition, die das außen- politische Handeln der Bundesrepublik Deutschland in- frage stellen oder irritieren würden. Beides ist mehr als unnötig. Worum geht es? Niemand in diesem Hohen Hause wird die Abrüstung ablehnen, und auch die Bun- desregierung hat Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung als einen Pfeiler der Außen- und Si- cherheitspolitik ihres Handelns beschrieben. Das Kernanliegen der Unionsfraktion ist eine Frie- denspolitik, die auf Abrüstung setzt und regionale sowie internationale Sicherheit gewährleistet. Die Bürgerinnen und Bürger der USA haben die Obama-Administration wiedergewählt. Es war auch Barack Obama, der in Prag eine Welt frei von Atomwaffen forderte – eine Forde- rung, die wir vor 20 Jahren niemals für möglich gehalten hätten. Ich möchte hier betonen, dass Barack Obama mit dieser Forderung nicht allein dasteht. Seit seiner Prag- Rede hat auch ein Umdenken im Sicherheitsrat der Ver- einten Nationen und in der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag stattgefunden. Wir müssen aber frei von allen Ideologien in den Fraktionen zur Kenntnis nehmen, dass die Welt nach dem Ende des Kalten Krie- ges nicht sicherer geworden ist. Auch die nuklearen Ge- fahren sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Gefährdungen des globalen Nichtverbreitungsre- gimes und der regionalen Stabilität durch Staaten wie Iran und Nordkorea sind weiterhin ernst zu nehmen. Nicht zuletzt hier ist die Vision der Bundesregierung über eine nuklearwaffenfreie Welt begründet. Die CDU/ CSU-Fraktion begrüßt die Bemühungen der Bundesre- gierung bei ihren Abrüstungsbestrebungen. Wir begrü- ßen das Inkrafttreten des New-START-Vertrages zwi- schen den Vereinigten Staaten und Russland. Darüber hinaus setzt sich die Bundesrepublik gemeinsam mit ih- ren Partnern in der Initiative für Nichtverbreitung und Abrüstung für eine rasche Aufnahme von Verhandlun- gen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke und das Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen ein. Uns allen ist klar, dass die taktischen Nuklearwaffen ein Relikt des Kalten Krieges sind und dass sie keinen militärischen Zweck per se erfüllen. Wir werden dieses Problem jedoch nur gemeinsam mit unseren Verbünde- ten lösen können. Auch die europäische Ebene dürfen wir hier nicht aus den Augen verlieren. Unsere östlichen Nachbarn hegen in dieser Debatte andere Vorstellungen, und sie haben auch andere begründete Sicherheitsinte- ressen, die wir berücksichtigen müssen. Ein Abzug der Nuklearwaffen aus der Bundesrepublik wird eine Dis- kussion in Polen oder den baltischen Staaten auslösen. Diese Diskussion wiederum wird Russland auf den Plan bringen. Ich warne eindringlich vor diesen Debatten und vor einer Destabilisierung unseres Verhältnisses zu unse- ren östlichen Nachbarn. Auch die Türkei hat weiterhin ein vitales Interesse an den US-Nuklearwaffen. Wir müssen als Teil des NATO- Bündnisses auf diese Interessen eingehen, und wir dür- fen unsere Positionen nicht unnötig schwächen oder gar preisgeben. Nicht zuletzt möchte ich hier in Erinnerung rufen, dass die Modernisierung der US-Nuklearwaffen keinesfalls eine Aufrüstung bedeutet. Nein, es ist eine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24959 (A) (C) (D)(B) Anpassung der Bestände an die neuen technischen Vo- raussetzungen. Unsere Bundesregierung hat einen klugen Weg einge- schlagen. Man macht einen Schritt nach dem nächsten. Es war richtig, dass unsere Bundesregierung die Diskus- sion über die substrategischen Nuklearwaffen innerhalb des Bündnisses angestoßen hat. Der NATO-Gipfel in Chicago war ein Aufbruch in Richtung Abrüstung. Die NATO setzt massiv auf Abrüstung und hat diese zur ent- scheidenden Säule der Sicherheitsstrategie erklärt. Da- her ist eine Modernisierung und Lebensdauerverlänge- rung, die mit einer Abrüstung einhergeht, der einzig richtige Weg. Ungeachtet aller Abrüstungsbestrebungen ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Meinung, dass die Bundesrepublik zur Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger vorübergehend und nach wie vor auf eine Ab- schreckungskomponente angewiesen ist. Auch unsere Wahrnehmung durch unsere Verbündeten darf nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Bundesrepublik muss als NATO-Partner stark bleiben. Ich bin mir ganz sicher, dass die nukleare Teilhabe Deutschlands auch die Qualität und die Ernsthaftigkeit bestimmt, wenn es da- rum geht, wie die Bundesrepublik als internationaler Ak- teur wahrgenommen wird. Ihre Anträge schaden den sicherheits- und außenpoli- tischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die ein verlässlicher internationaler Partner ist und bleiben wird. Wir lehnen sie daher ab. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die SPD macht bei diesem Thema gemeinsame Sache mit der Fraktion Die Linke und wirft der Bundesregierung vor, sich von ihrer Zielsetzung, für weltweite nukleare Abrüstung ein- zutreten, verabschiedet zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Wie im Jahresabrüstungsbericht 2011 beschrieben, sind Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbrei- tung wichtige Pfeiler der deutschen Außen- und Sicher- heitspolitik. Während des letzten Jahres war das deut- sche Engagement vor allem auf Postkonfliktszenarien und präventive Krisenpolitik ausgerichtet. So hat Deutschland vor allen Dingen mit seinen aktiven Bemü- hungen, die Verhandlungen der internationalen Staaten- gemeinschaft mit dem Iran voranzutreiben, wesentlich dazu beigetragen, dass die Diplomatie in dem Konflikt um das iranische Atomprogramm bislang die Oberhand behalten hat. Nichtsdestoweniger besteht die Gefahr un- verändert fort, die von Staaten wie Iran oder Nordkorea ausgeht. Vor diesem Hintergrund ist die CDU/CSU-Fraktion ungeachtet aller Abrüstungsbestrebungen der Ansicht, dass wir zur Gewährleistung der Sicherheit Deutsch- lands nach wie vor auf eine nukleare Abschreckungs- komponente der NATO angewiesen sind. Zu dieser Ein- schätzung gelangten auch alle NATO-Partner anlässlich der Überprüfung des Verteidigungs- und Abschre- ckungsdispositivs der NATO. Über Monate hinweg hatten sich während dieses Überprüfungsprozesses dieses Jahr die NATO- Mitglied- staaten auf unterschiedlichen militärischen und politi- schen Ebenen intensiv mit der Frage beschäftigt, mit welchen strategischen Mitteln und Fähigkeiten die Si- cherheit der Allianz im 21. Jahrhundert am besten ge- währleistet werden kann. Als Ergebnis dieses Überprü- fungsprozesses sind alle NATO Partner, wie in der Gipfelerklärung von Chicago festgehalten, im Konsens zu dem Ergebnis gelangt, dass dem heutigen Sicherheits- umfeld am besten durch eine vorläufige Beibehaltung der nuklearen Abschreckungskomponente Rechnung ge- tragen werden könne. Wie es in der entsprechenden Er- klärung heißt, sind atomare Waffen eine zentrale Kom- ponente aller Kapazitäten und Fähigkeiten, mit denen die NATO die Sicherheit ihrer Mitglieder zu gewährleis- ten sucht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Frak- tion wirft der NATO in ihrem Antrag unter anderem vor, die Bedrohungen, die sie auf dem Gipfel von Chicago definiert hat, nicht mit Nuklearwaffen bekämpfen zu können. Natürlich können Atomwaffen nicht die Ant- wort auf Cybersicherheit, Terrorismus oder scheiternde Staaten sein. Aber im Falle eines Falles, der hoffentlich nie eintritt, können sie als Abschreckung gegen staatlich unterstützte Cyberkriege, Terrorangriffe oder Gewalt- akte korrupter Potentaten dienen. Unserer Meinung nach steht die Allianz gegenwärtig vor einer doppelten Herausforderung. Sie muss sowohl den neuen Sicherheitsrisiken begegnen als auch den her- kömmlichen Bedrohungen gewachsen sein. Vor diesem Hintergrund haben sich alle NATO-Partner dazu ver- pflichtet, sicherzustellen, dass alle Komponenten der nu- klearen Abschreckung der NATO sicher und effektiv bleiben, solange die NATO sich als nukleare Allianz ver- steht. Exakt in diesem Kontext ist die Modernisierung der US-Nuklearwaffen auf deutschem Boden zu sehen. Es handelt sich hierbei nicht, wie von der Fraktion Die Linke behauptet, um eine „Neustationierung“ von ato- maren Waffen, die „einen Wiedereinstieg in eine hoch riskante atomare Aufrüstungspolitik“ darstellt. Es geht hier um eine Modernisierung der atomaren Sprengköpfe und Trägersysteme, die zur Erhaltung der Einsatzfähig- keit der atomaren Waffen dient und somit in unser aller Interesse ist. Unabhängig von dieser Verpflichtung hal- ten die NATO-Mitgliedstaaten, wie in der Erklärung von Chicago vereinbart, weiterhin an ihrem Ziel fest, danach zu streben, geeignete Bedingungen und Optionen für weitere Reduzierungen nuklearer Waffen der NATO zu erwägen. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass wir an unserem im Koalitionsvertrag verankerten Be- kenntnis festhalten, uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einzusetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden, sobald die Bedingungen hierfür gegeben sind. Dies ist, wie die Opposition zu Recht bemerkt, eines der übergeordneten Ziele deutscher Außen- und Sicherheits- politik, das die außenpolitische Agenda auf absehbare Zeit prägen wird. 24960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes zum Fakultativprotokoll können wir das parlamentarische Verfahren zur Ratifika- tion heute abschließen. Ich freue mich, dass wir über alle Fraktionen dieses Hauses hinweg bei dieser Frage an ei- nem Strang ziehen und somit ein schnelles und reibungs- loses Verfahren ermöglichen. Auch die Aussprache im Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend in dieser Woche hat gezeigt, dass die Bundesregierung mit ihrem Engagement zur besseren Verankerung der Kin- derrechte auf internationaler Ebene die volle Rücken- deckung des Deutschen Bundestages hat. Dies ist sehr erfreulich, und dafür bedanke ich mich bei meinen Kol- leginnen und Kollegen des Fachausschusses. Ein Dank gilt gleichzeitig den Vertreterinnen und Vertretern des Bundesrats für ihre kooperative Zusammenarbeit. Mit der Ratifikation senden wir ein starkes Signal zum weltweiten Schutz der Kinder. Dieser Schritt reiht sich ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die christlich-liberale Bundesregierung auf den Weg ge- bracht hat, um die Stellung der Kinder in unserer Gesell- schaft zu verbessern. Ich nenne hier die Rücknahme der Vorbehaltserklärung gegenüber der UN-Kinderrechts- konvention genauso wie die Einführung des Kinder- schutzgesetzes, die Familienhebammen und die deutli- che Verbesserung der rechtlichen Stellung von Kindern bei Lärmstreitigkeiten. Hinzu kommen eine ganze Reihe sozialpolitischer Maßnahmen wie das Bildungs- und Teilhabepaket sowie die Erhöhung des Kindergelds. In- sofern können wir heute einen weiteren Erfolg dieser Koalition festhalten. Dies ist umso erfreulicher, da die Bundesregierung zu einer der Initiatoren dieses Vorha- bens zählt und der Deutsche Bundestag eines der schnellsten nationalen Parlamente bei der Ratifikation des Fakultativprotokolls ist. Mit der Ratifikation verbinden wir die Hoffnung, dass weltweit möglichst vielen Kindern die Chance eröffnet wird, sich an die Vereinten Nationen zu wenden, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist und dabei keine adäquate Abhilfe geschaffen wurde, um die indivi- duellen Rechte der Kinder zu wahren. Wenn die Kolle- gin der Linkspartei dann das Wort „Symbolpolitik“ im Munde führt, verkennt sie die Chancen, die in einem sol- chen Verfahren stecken, um die Rechte der Kinder welt- weit zu stärken. Ich empfehle hier einen Blick über den nationalen Tellerrand. Denn ein besonders dringender Bedarf besteht ja insbesondere dort, wo die Kinder nicht schon auf nationaler Ebene ein so hohes Schutzniveau haben wie bei uns in Deutschland. Wenn es beispielsweise darum geht, zukünftig eine bessere internationale Handhabe gegen die unsägliche Praxis des Einsatzes von Kindersoldaten zu haben, oder wenn es darum geht, die systematische sexuelle Ausbeu- tung von Kindern auch auf individueller Ebene zu be- kämpfen, bietet das Fakultativprotokoll neue Chancen. Für die Betroffenen ist dies insofern alles andere als Symbolpolitik. Es gilt daher, nun auf internationaler Ebene für die Ratifikation des Protokolls in möglichst vielen Staaten zu werben. Durch eine breite internatio- nale Akzeptanz wird das Gremium gleichzeitig gestärkt und erhält ein stärkeres Gewicht. Dies ist im Sinne unse- rer Politik, dies ist im Sinne der Kinder. Aber auch für die nationale Ebene hat die Ratifikation nichts mit Begriffen wie Symbolpolitik zu tun. Denn es handelt sich um die Einrichtung zusätzlicher Schutzme- chanismen, die die nationale Gerichtsbarkeit, aber auch exekutives Handeln auf den Prüfstand stellen können und somit staatliches Handeln in Deutschland überprüf- barer machen. Es bleibt festzuhalten: Mit der Ratifikation des Fakul- tativprotokolls unterstreicht diese Koalition, dass ihr der Schutz der Kinder ein wichtiges Anliegen ist – national wie international. Und sie zeigt, dass sie ganz konkret aktiv ist und vieles angegangen hat, was gerade die rot- grüne Bundesregierung nicht hinbekommen hat. Einige zentrale Beispiele habe ich genannt. Unser Einsatz für die Kinder darf mit diesem Schritt jetzt nicht aufhören. Ich bin zuversichtlich, dass es uns auch in Zukunft gelingen wird, durch konkrete Maßnah- men die Situation von Kindern in Deutschland und in der Welt zu verbessern und zu stärken. Norbert Geis (CDU/CSU): Die Kinderrechtskon- vention will den Kindern weltweit zu ihren Rechten ver- helfen. In vielen Teilen der Welt haben die Kinder keine Rechte. Sie leben in Armut. Sie müssen ihr tägliches Brot durch schwere Arbeit verdienen. Sie gehen in keine Schule, bekommen keine Bildung, bleiben Analphabe- ten. Sie werden missbraucht und werden sogar als Kin- dersoldaten in kriegerischen Auseinandersetzungen ein- gesetzt. Oft leben sie in der Gosse, schließen sich schon als Kinder zu gewalttätigen Banden zusammen und gera- ten schon sehr früh in die Kriminalität. Die Kinder- rechtskonvention will hier ein Bollwerk aufbauen, einen Beitrag zum Schutz der Kinder leisten. Sicher ist der Einwand richtig, dass dies vor allem für die Entwicklungsländer gilt. Aber auch wir gehören nicht zu den kinderfreundlichsten Ländern. Wir sind ein kinderarmes Land. Wir haben eine der niedrigsten Ge- burtenraten der Welt. Familien mit mehr als zwei Kin- dern tun sich bei der Wohnungssuche schwer. Wenn die Mutter ihre Kleinkinder selbst versorgt, verliert sie den Anschluss im Beruf, hat Nachteile am Arbeitsplatz und erhält obendrein später eine geringere Rente als ihre Kolleginnen, die keine Kinder haben. Die Erziehungs- leistung der Eltern für ihre Kinder wird bei uns gering geachtet. Auch wir sind in der Tat kein kinderfreundli- ches Land. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24961 (A) (C) (D)(B) Allerdings sind die Kinder bei uns nicht rechtlos. Sie haben die gleichen Menschenrechte wie die Erwachse- nen auch. Durch die Kinderrechtskonvention mit den beiden Fa- kultativprotokollen sollen den Kindern überall auf der Welt die Menschenrechte zugesprochen werden. Die Konvention fasst diese Rechte in vier Grundsätzen zu- sammen: das Recht auf Leben und Gesundheit, das Recht auf Entwicklung, das Verbot der Diskriminierung und die Wahrung der Interessen der Kinder sowie das Recht auf Beteiligung und Mitbestimmung. Zu dieser Kinderrechtskonvention mit den zwei Fa- kultativprotokollen kommt nun ein drittes Fakultativpro- tokoll hinzu. Dabei geht es darum, dass diese Rechte für die Kinder nicht nur auf dem Papier stehen, sondern die Kinder bzw. ihre Vertreter die Möglichkeit haben, sich direkt an den UNO-Ausschuss zu wenden, um ihre Rechte durchzusetzen, wenn dies im eigenen Staat nicht möglich ist. Voraussetzung ist, dass der nationale Rechtsweg erfolglos war. Dies ist auch anders nicht machbar, weil dies einmal die Achtung vor der Souverä- nität des jeweiligen Staates gebietet und weil aus prakti- schen Gründen natürlich eine Vorklärung durch die ört- lich zuständigen Gerichte zu erfolgen hat. Allerdings muss in dringenden Fällen der Zugang zum Ausschuss sofort möglich sein. Der Ausschuss kann auch von sich aus, ohne dass eine Beschwerde vorliegt, tätig werden, wenn besonders schwere Verletzungen von Kinderrech- ten in einem Staat bekannt werden. Der Ausschuss hat nur die Möglichkeit, in Staaten tätig zu werden, die dem Abkommen beigetreten sind. Deutschland ist auf Betreiben unserer Familienminis- terin einer der ersten Staaten gewesen, die dieses dritte Fakultativprotokoll, das wir heute ratifizieren wollen, unterzeichnet haben. In dieser Kinderrechtskonvention kommt klar zum Ausdruck, dass das Kind nicht nur eine Vorstufe des Er- wachsenen ist, sondern auch als Kind Mensch ist, dem die Menschenrechte in vollem Umfang zustehen. Die Kindheit ist eine eigene Lebensphase des Menschen. Das Kind ist nicht ein halber Mensch, nur weil es noch nicht selbstständig und noch unwissend ist, seine Fähig- keiten noch nicht entwickelt hat, noch schwach und un- erfahren und ungeschickt ist. Das Kind ist in seiner Kindheit ebenso vollständig Mensch wie der Erwach- sene auch. Diese Erkenntnis muss sich erst noch in den Entwicklungsländern durchsetzen, aber auch in der westlichen Welt. Der Mensch tritt, wie alles Lebendige, als Keim ins Dasein und macht verschiedene Phasen der Entwicklung durch. Er beginnt als Embryo. Schon dann hat er Würde und steht unter dem Schutz von Art. 1 und 2 GG. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 festgestellt und in seinem Urteil vom 23. Mai 1993 nochmals bestätigt. Diese Erkenntnis hat sich in den Gesellschaften des Westens noch nicht durchgesetzt. Es ist nicht erforderlich, Kinderrechte im Grundge- setz zu verankern. Für Kinder gilt das Grundgesetz ebenso wie für jeden Erwachsenen. Sie haben nach Art. 2 GG das Recht auf Freiheit, auf körperliche Unver- sehrtheit und auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Sie sind durch Art. 5 GG in ihrer Meinungsfreiheit ge- schützt. Nach Art. 6 GG haben zuerst die Eltern die Pflicht, die Kinder zu pflegen und zu erziehen. Daraus ergibt sich aber auch umgekehrt das Recht der Kinder gegen ihre Eltern auf Pflege und Erziehung. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. April 2008 klargestellt. Im Übrigen kann die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz keine Misshandlung von Kindern ver- hindern. Zielgenauer kann dies vielmehr durch einfach- gesetzliche Maßnahmen geschehen, so zum Beispiel durch das Strafrecht. Im Bildungsbereich haben wir jetzt schon die allgemeine Schulpflicht. Eine allgemeine Kin- dergartenpflicht für Kinder ab drei Jahren einzuführen, halte ich für übertrieben und entspricht auch nicht dem Kindeswohl. Diese Entscheidung sollten wir den Eltern überlassen. Die Betonung der Rechte der Kinder durch die Kin- derrechtskonvention hat in vielerlei Richtung Bedeutung auch für unser Land. Wir haben zu prüfen, wie wir den Anspruch der Kinder gegenüber unserer Gesellschaft auf Einhaltung und Gewährung ihrer Rechte noch besser durchsetzen können. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Die Stär- kung der Kinderrechte war und ist ein besonderes Anlie- gen der SPD-Bundestagsfraktion, und sie liegt mir als Kinderbeauftragter natürlich besonders am Herzen. Starke Kinderrechte müssen durchsetzbar sein. Wir haben ein Individualbeschwerderecht für Kinder lange gefor- dert und freuen uns ausdrücklich über die nun anstehende Ratifizierung des entsprechenden Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention. Dieses Instrument ist ein Rechtsmittel zur Durchsetzung der UN-Kinderrechtskon- vention. Denn Betroffene könnten sich an den UN-Aus- schuss für die Rechte des Kindes wenden, um auf die Ver- letzung ihrer Rechte aufmerksam zu machen. Bei anderen UN-Abkommen wie dem UN-Zivilpakt oder der UN-Frauenrechtskonvention gab es ein solches Beschwerderecht bereits. Endlich gibt es auch zur UN-Kinderrechtskonvention ein ergänzendes Beschwer- deverfahren. Die Einführung dieses Instrumentes in Deutschland ist weltweit ein wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Beschwerderecht hilft dabei, darauf hinzuwirken, dass die Vertragsstaaten ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konvention anerkannten Kin- derrechten anpassen und auf deren Einhaltung achten. Recht zu haben, reicht alleine nicht aus. Rechte müs- sen auch durchsetzbar sein. In einem Beschwerdeverfah- ren kann sich das Kind selbst oder eine Person in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden, der die Menschenrechtsverletzung untersucht. Auch wenn die Entscheidung des Ausschusses rechtlich nicht bindend sein wird, kann er auf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfalls eine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationalen Beschwerdeme- chanismen muss vorher der innerstaatliche Rechtsweg 24962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) ausgeschöpft sein. Was sich bei Erwachsenen mit einem etablierten System von Beschwerdemöglichkeiten be- währt hat, muss für Kinder erst mit Leben erfüllt werden. Auf allen Ebenen brauchen Kinder altersgerechte Möglichkeiten der Partizipation und auch der Be- schwerde. So setze ich mich auf Bundesebene für einen unabhängigen Kinderbeauftragten ein. Auf kommunaler Ebene wollen wir Ombudschaftsstellen für Kinder eta- blieren, um den Kindern da, wo sie leben, beim Vertreten ihrer Interessen direkt beizustehen. Kinderrechte müssen stärker bekannt gemacht wer- den. Wer nicht um die eigenen Rechte weiß, kann sich bei einem Verstoß gegen diese Rechte auch nicht be- schweren. Hier ist noch viel zu tun. Wir hätten uns eine Fortschreibung des nationalen Aktionsplans zur Umset- zung der UN-Kinderrechtskonvention gewünscht. Ich hoffe, dass die Bundesregierung die Stärkung der Kin- derrechte auch auf einem anderen Gebiet voranbringt. Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention ebenso sinn- voll und geboten wie das Individualbeschwerdeverfah- ren. Bisher scheiterte die Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz leider am Widerstand der Union. In letzter Zeit habe ich jedoch erfreuliche Signale vernommen. Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt, unsere Verfassung im Interesse unserer Kinder zu modernisieren. Kinder sind Rechtssubjekte und sollten als solche auch im Grundgesetz genannt und behandelt werden. Wer Kin- derrechte wirklich stärken will, kann sich dieser Forde- rung nicht verschließen. Miriam Gruß (FDP): Zugegeben, der Name dieses Gesetzes ist ein echter Zungenbrecher. Tatsächlich ist aber heute ein historischer Tag für die Kinderrechte in Deutschland; denn wenn dieses Hohe Haus dem Fakulta- tivprotokoll heute zugestimmt hat und der Bundesrat keine Einwände erhebt, dann gilt es als von Deutschland ratifiziert. Deutschland geht diesen Schritt als drittes Land welt- weit nach Thailand und Gabon – sobald sieben weitere Staaten folgen, tritt das Protokoll in Kraft. Dann be- kommt die UN-Kinderrechtskonvention endlich, als letz- tes von allen Menschenrechtsabkommen, ihren eigenen Beschwerdemechanismus. Das Fakultativprotokoll leis- tet einen wichtigen Beitrag zur besseren Umsetzung der Rechte der Kinder weltweit und bestätigt Kinder in ihrer Eigenschaft als Träger eigener Rechte. Deutschland wird durch seine Rolle in diesem Prozess zu einem echten Vorreiter unter den UN-Mitgliedstaaten. Am 28. Februar 2012 hat Deutschland – vertreten durch die Familienministerin Dr. Kristina Schröder – das Fakul- tativprotokoll als einer der ersten Staaten überhaupt ge- zeichnet. Ich war im Februar 2012 bei der Unterzeich- nung in Genf dabei. Dort konnte ich live erleben, wie bei den anderen Staaten noch gerungen wurde, ob man unter- schreibt oder nicht. Letztendlich haben dann 20 Staaten unterzeichnet – ein großer Erfolg auch für Deutschland und die schwarz-gelbe Regierung. Wir haben es aber nicht nur früh unterzeichnet, son- dern auch stark darauf hingewirkt, dass es überhaupt dazu gekommen ist. Ohne Deutschlands Werbung für diese Angelegenheit wäre das Protokoll kaum noch im Jahr 2011 von der UN-Generalversammlung angenom- men worden. Daher möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich auch dem Außenminister Dr. Guido Westerwelle für seinen Einsatz danken. Wenn Deutschland noch in diesem Jahr ratifiziert, wäre das die schnellste Zeichnung und Ratifikation eines Menschenrechtsabkommens der UN. Ich hoffe sehr, dass diese Formalität noch in diesem Jahr zu schaffen ist. Die Details des Fakultativprotokolls haben wir bereits vor zwei Wochen diskutiert; ich will mich daher nicht wiederholen. Dennoch möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Ohne die FDP an der Regierung wäre es nie dazu gekommen. Ich kämpfe seit langem für die bessere nationale und internationale Durchsetzung von Kinder- rechten. Deshalb haben wir Liberalen vor drei Jahren da- rauf bestanden, das Individualbeschwerdeverfahren in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Diesen Punkt kön- nen wir jetzt abhaken. Damit haben wir unsere Regie- rungsarbeit für Kinderrechte um einen wichtigen Erfolg erweitert. Diana Golze (DIE LINKE): Es steht außer Zweifel: Die Einführung des Rechts auf Individualbeschwerde für Kinder und Jugendliche ist ein weiterer wichtiger Schritt für die bessere Umsetzung der UN-Kinderrechtskonven- tion. Es steht auch außer Zweifel, dass das Engagement der Bundesregierung, die sich von Beginn an hinter die- ses Zusatzprotokoll gestellt hat und den Prozess der Er- arbeitung intensiv begleitet hat, von großer Bedeutung für das Gelingen des Vorhabens war. Und es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass das Gesetz zur Ratifizierung den Bundestag so zügig und mit großem Einvernehmen pas- sieren konnte. Schaut man sich aber an, welche Gründe für die Ein- führung einer Individualbeschwerde für Kinder und Ju- gendliche auch in Deutschland sprechen, wird schell deutlich, wie viel noch zu tun ist. Kinder müssen als schutzbedürftige Mitglieder unse- rer Gesellschaft mit allem zur Verfügung Stehenden ge- fördert werden, das ist zumindest in Talkshows, in Re- den und in Interviews wieder und wieder zu hören. In der Umsetzung allerdings muss ich feststellen, dass zum Beispiel Kindern ohne deutschen Pass nach wie vor nicht die gleichen Rechte eingeräumt werden, wie sie deutschen Kindern zur Verfügung stehen. Sie können auch nach der Rücknahme des letzten Vorbehaltes gegen die UN-Kinderrechtskonvention als Minderjährige abge- schoben werden, in Sammelunterkünften untergebracht und zu entwürdigenden Untersuchungsverfahren zur Al- tersfeststellung gezwungen werden. Für mich ein klarer Fall für die Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention und somit für eine anzustrengende Beschwerde. Noch immer ist in Deutschland der soziale Status der Eltern wie in keiner anderen europäischen Wirtschafts- nation ein entscheidender Faktor für die Schulbiografie von Kindern, für mich eine klare Verletzung der UN- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24963 (A) (C) (D)(B) Kinderrechtskonvention und einer anzustrengenden Be- schwerde würdig. Die Kinderarmut ist in einem reichen Land wie Deutschland trauriger Teil des Alltags geworden. Kinder gehen hungrig zur Schule, eine gesunde Ernährung ist vom bestehenden Regelsatz aus meiner Sicht unmöglich, Geld für Schulbücher und -materialien können von den Eltern in komplizierten Antragsverfahren nur zweimal im Jahr extra beantragt werden, obwohl Schule zum All- tag eines jeden Kindes gehört und somit auch alltägliche Kosten verursacht. Jeder weiß das – die Bundesregie- rung aber ignoriert dies genauso wie die Tatsache, dass Nachhilfe nur schwer über eine Arbeitsvermittlungs- agentur vermittelt werden kann. Für mich ist das Aus- grenzung vom Zugang zu Bildung und somit eine ein- deutige Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention und somit Grund genug für ein anzustrebendes Beschwerde- verfahren. Ja, ich bin sehr glücklich darüber, dass der Bundestag heute seine Zustimmung zu einem Individualbeschwer- deverfahren für Kinder geben wird. Denn eine solche Möglichkeit für Kinder, ihre Rechte einzuklagen, sorgt am Ende für eine bessere Umsetzung der Kinderrechte. Dazu muss viel getan werden. Wir brauchen mehr Anlauf- stellen, um Kinder über ihre Rechte zu informieren und ihnen da Unterstützung anbieten zu können, wo diese verletzt werden. Wir brauchen eine verbesserte Rechts- stellung von Kindern in unserer Gesellschaft, damit eine Individualbeschwerde für Kinder nicht an unüberwind- baren Hürden scheitert. Darum sage ich: Kinder stärken, heißt ihre Rechte stärken. Das Individualbeschwerde- recht für Kinder war überfällig. Die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz ist es leider immer noch. Es bleibt also viel zu tun. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden heute Abend voraussichtlich einen der seltenen Momente großer Einigkeit zwischen den Fraktionen er- leben, da wir alle durch die Bank weg die Einführung des Individualbeschwerdeverfahrens begrüßen und als einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Kinderrechte in Deutschland betrachten. Umso bedauerlicher ist es, dass die Bundesregierung ihrem Gesetzentwurf in beiden Le- sungen keinen Debattenplatz hier im Bundestag einge- räumt hat, der seiner Bedeutung angemessen gewesen wäre. Das Beschwerdeverfahren zu ratifizieren, ist ein wich- tiger Schritt. Aber er muss auch Folgen haben. Die Erfah- rungen, die wir mit der ursprünglich von allen Seiten – auch von uns – hochgelobten Rücknahme der Vorbe- haltserklärung gemacht haben, lassen mich skeptisch werden. Denn die Rücknahme der Vorbehalte ist bis heute ohne Konsequenzen geblieben, die relevanten Gesetze im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts wurden nicht geändert, und deshalb hat sich an der konkreten Lebens- situation minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge auch nichts verbessert. Weiterhin können Sechzehnjährige im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt werden, sie können in Sammelunterkünften – auch gemeinsam mit Erwachsenen – untergebracht werden, haben keinen An- spruch auf weitergehende Leistungen aus dem Gesund- heitssystem und der Kinder- und Jugendhilfe. Das wider- spricht eklatant der UN-Kinderrechtskonvention, die für alle Kinder, alle Minderjährige gilt, und es ist ein echtes Armutszeugnis für die schwarz-gelbe Koalition und für unser gesamtes Land. Die Einführung des Beschwerdeverfahrens muss Fol- gen haben, und diese notwendigen Folgen müssen be- inhalten, dass die Bundesregierung viel mehr dafür tut, dass Kinder ihre Rechte überhaupt kennen. Denn nur wer die eigenen Rechte kennt, kann sich auf diese bezie- hen und im Zweifelsfall auf das Individualbeschwerde- verfahren zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund war es eine grundfalsche Entscheidung der Bundesregierung, den Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland sang- und klanglos auslaufen zu lassen. Hier wäre eine Weiterentwicklung und Fortführung wichtig gewesen, insbesondere mit Blick auf die dringend notwendige Be- kanntmachung der Kinderrechte bei den Kindern selbst. Aber auch darüber hinaus darf die Bundesregierung sich jetzt keineswegs einen schlanken Fuß machen. Denn bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonven- tion in unserem eigenen Land sieht es längst nicht so ro- sig aus, wie Ministerin Schröder es gerne darstellt. Al- lem voran sollten wir endlich die Kinderrechte im Grundgesetz verankern und deutlich machen, dass bei allem staatlichen Handeln die Interessen der Kinder be- sonders zu beachten sind. Hier hat der UN-Ausschuss für die Rechte der Kinder der Bundesrepublik bereits mehrfach deutliche Hinweise gegeben, dass diese not- wendige Konsequenz der UN-Kinderrechtskonvention endlich angegangen werden sollte. Aber es geht auch um sehr konkrete, schnell umsetz- bare Maßnahmen: beispielsweise die Rechte von Kin- dern inhaftierter Eltern endlich in den Fokus zu nehmen und gemeinsam mit den Ländern die Verantwortung da- für zu übernehmen, dass die Haftbedingungen so gestal- tet sind, dass Kinder ihre Eltern regelmäßig besuchen können. Beispielsweise die freiwillige Rekrutierung von Minderjährigen in die Bundeswehr zu beenden und „Straight 18“ umzusetzen. Heute gehen wir gemeinsamen einen wichtigen Schritt. Wir lassen die Regierung aber nicht aus der Ver- antwortung, ihre weitergehenden Hausaufgaben zu ma- chen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überwei- sungen und Lastschriften in Euro und zur Än- derung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) (Tagesordnungspunkt 22) Peter Aumer (CDU/CSU): Heute beraten wir ab- schließend über das Begleitgesetz zur Umsetzung der SEPA-Verordnung in Deutschland. Mit ihm wird das 24964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) deutsche Recht an die europäische SEPA-Verordnung angepasst, die den bargeldlosen Zahlungsverkehr inner- halb der EU vereinheitlicht. Die Umsetzung ist eines der wichtigsten Gesetze der letzten Jahre zur Harmonisie- rung des europäischen Binnenmarkts für Zahlungs- dienstleistungen. Die SEPA-Verordnung ist ein essenzieller Bestandteil zur weiteren Integration in der Europäischen Union. Zahlungssysteme sollen damit an die Wirklichkeit grenzübergreifender Zahlungsströme angepasst werden. Einheitliche Regelungen auf europäischer Ebene sind gerade im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung bar- geldloser Zahlungen, wie Überweisungen und Last- schriften, sinnvoll. Die Verordnung beendet damit das kostenintensive Nebeneinander von inländischen Zah- lungsverkehrsprodukten. SEPA wird zu einer Vereinfa- chung und Vergünstigung für die Verbraucher und die Industrie führen. Der christlich-liberalen Koalition ist es gelungen, bei der Gestaltung des einheitlichen europäischen Zahlungs- verkehrs die deutschen Interessen bestmöglich einzu- bringen. Der Bundesregierung ist es bei den Verhandlun- gen auf europäischer Ebene gelungen, sich mit nahezu allen Forderungen der christlich-liberalen Koalition durchzusetzen. Die Trilog-Verhandlungen haben dabei ebenfalls gezeigt, dass sich kein anderes Mitgliedsland so vehement für die die Verbraucher- und Endnutzerinte- ressen eingesetzt hat wie Deutschland. Die europäische SEPA-Verordnung ist am 31. März 2012 in Kraft getreten. Sie sieht vor, dass Überweisun- gen und Lastschriften im europäischen Zahlungsraum ab dem 1. Februar 2014 einheitliche Anforderungen erfül- len müssen. Deshalb müssen auch die in Deutschland gebräuchlichen Überweisungs- und Lastschriftverfahren ab dem 1. Februar 2014 den SEPA-Formaten genügen. Mit dem SEPA-Begleitgesetz bringen wir nun wich- tige Regelungen auf den Weg, um eine reibungslose Um- stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Wirtschaft und der Kreditinstitute von den vertrauten Zahlverfahren auf die europaweit einheitliche SEPA- Lastschrift und SEPA-Überweisung zu gewährleisten. Mit dem Begleitgesetz machen wir nun von den Übergangsbestimmungen der EU-Verordnung, die auf- grund des Einsatzes der Bundesregierung erreicht wer- den konnten, Gebrauch. Um den Verbraucherinnen und Verbrauchern ausreichend Zeit zu geben, sich auf die Neuerungen einzustellen, erhalten sie die Möglichkeit, die ihnen geläufige Kontonummer und Bankleitzahl bis zum 1. Februar 2016 weiter zu verwenden. Banken und Sparkassen dürfen für ihre Privatkunden bis zu diesem Zeitpunkt die Kontokennungen bei Inlandszahlungen kostenlos in das neue IBAN-Format umwandeln. Wir er- warten von der Kreditwirtschaft, dass sie die Bürgerin- nen und Bürger sowie Unternehmen frühzeitig über die anstehenden Änderungen informiert und sie bei der Um- stellung auf SEPA aktiv unterstützt. Auch das im Handel übliche elektronische Last- schriftverfahren kann aufgrund einer Sonderregelung bis zum 1. Februar 2016 weitergeführt werden. Handel und Kreditwirtschaft sollten diese Übergangsfrist nutzen, um ein praktikables Nachfolgeprodukt für das elektronische Lastschriftverfahren auf Basis der SEPA-Lastschrift zu entwickeln. Von der Übergangsbestimmung sind eben- falls weitere elektronische Lastschriftverfahren erfasst, die durch anderweitige Verfahren, wie etwa Sign-Pads oder Fingerabdruck, wie sie bereits in einigen Super- märkten und Warenhäusern zu finden sind, initiiert wur- den. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens tauchten noch einige Unklarheiten bezüglich der telefonisch er- teilten Lastschrift und der Internetlastschrift auf. Die CDU/CSU und FDP haben sich hierzu entscheiden, eine Klarstellung vorzunehmen: Nach der SEPA-Verordnung und nach ihrem Inkrafttreten und auch nach dem SEPA- Begleitgesetz können weiterhin wirksame Lastschrift- mandate im Internet erteilt werden. Für die Nutzung der Übergangsregelung gemäß Art. 16 Abs. 4 der SEPA-Ver- ordnung (Nischenprodukte) fehlen nach unserer Auffas- sung jedoch die rechtlichen Voraussetzungen. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals an die deutsche Kreditwirtschaft appellieren, moderne ver- gleichbare Zahlverfahren zu entwickeln und zur Verfü- gung zu stellen, die nach Ablauf der Übergangsfrist an- stelle des elektronischen Lastschriftverfahrens zum Einsatz kommen können. Darüber hinaus steht vorrangig die deutsche Kredit- wirtschaft in der Pflicht, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen frühzeitig über die anstehenden Änderun- gen zu informieren und sie bei der Umstellung auf SEPA aktiv zu unterstützen. An das SEPA-Begleitgesetz hängen wir außerdem einige neue Regelungen für die deutsche Versicherungs- branche. Ursprünglich sollten diese Regelungen im Rah- men des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versiche- rungsaufsichtsgesetzes (VAG), mit dem vor allen Dingen die europäische Solvency-II-Richtlinie national umge- setzt werden soll, verabschiedet werden. Nun hat sich die Verabschiedung der Regelungen zu Solvency II auf europäischer Ebene weiterhin verscho- ben, sodass mit einer Umsetzung dieser Regelungen in nationales Recht nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen ist. Wir wollen daher einige Regelungen aus dem Zehn- ten Gesetz zur Änderung des VAG herauslösen und diese aufgrund ihrer Dringlichkeit bereits jetzt im Rahmen des SEPA-Begleitgesetzes umsetzen. Die vorgezogenen Regelungen betreffen zum einen die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtsho- fes zu Unisextarifen. Ab dem 21. Dezember 2012 dürfen die Versicherungsunternehmen bei Prämien und Leistun- gen ausnahmslos nicht mehr zwischen Männern und Frauen differenzieren. Zum anderen wollen wir dafür sorgen, dass im Be- reich der Lebensversicherung angesichts der anhalten- den Niedrigzinsphase in zwei Bereichen noch Änderun- gen erfolgen werden: Es soll sichergestellt werden, dass Bewertungsreserven auf Kapitalanlagen, die das Versi- cherungsunternehmen zur Sicherstellung der Garantien an die Versicherungsnehmer erworben hat und weiter be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24965 (A) (C) (D)(B) nötigt, bei sinkenden Kapitalmarktzinsen im Unterneh- men verbleiben können. Des Weiteren soll die bisherige Trennung der Überschussbeteiligung von vor und nach 1994 abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen aufgehoben werden. Damit stärken wir die Leistungsfä- higkeit der Lebensversicherungsunternehmen. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass sich der Einsatz der Regierungskoalitionen der CDU/CSU und FDP be- zahlt gemacht hat. Wir konnten für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie für unsere Unternehmen einen deutli- chen Erfolg bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene erreichen. Mit SEPA werden Zahlungen in Euro in das europäi- sche Ausland künftig genauso einfach und kostengünstig wie im Inland. Die europäische Integration geht nach der Euro-Bargeldeinführung mit der Vereinheitlichung des bargeldlosen Euro-Zahlungsverkehrs einen weiteren Schritt voran. Die vorzuziehenden Änderungen aus dem VAG ent- halten zudem wichtige und notwendige Regelungen für die Versicherungsbranche in Deutschland. Ich bitte Sie daher, dem Gesetz zuzustimmen. Martin Gerster (SPD): Eine der Erfahrungsweishei- ten des politischen Geschäfts lautet: Wo Gesetze, die ei- gentlich nichts miteinander zu tun haben, zu Paketen verschnürt werden, kommt selten das Optimum heraus. Diese Regel gilt auch im Falle des SEPA-Begleitgeset- zes. Eigentlich sollte das Werk der Umsetzung der am 31. März 2012 in Kraft getretenen SEPA-Verordnung dienen, mit der ein einheitlicher europäischer Zahlungs- raum geschaffen werden soll – eine Idee, die wir grund- sätzlich unterstützen. Indem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, das Vorhaben aber zum Huckepackgesetz für unausgewogene Ände- rungen im VAG gemacht haben, ist es uns leider nicht mehr möglich, dem Gesamtwerk zuzustimmen. Bevor ich auf die problematischen Zusatzpunkte ein- gehe, ein paar Worte zu SEPA. Ein harmonisierter Binnenmarkt für Zahlungsdienste stellt, wie Sie im Bericht zu den Gesetzesberatungen zu Recht unterstreichen, durchaus ein wirtschaftspolitisch sinnvolles Ziel dar. Dies setzt aber voraus, dass er ver- braucherfreundlich ausgestaltet und von allen Beteilig- ten entsprechend getragen wird. Da ist es wenig hilfreich, wenn prominente Unionspolitiker das Gesamtprojekt öf- fentlich und in höchst polemischer Art und Weise verun- glimpfen. Geben Sie mal in einer Internetsuchmaschine „CDU“ und „SEPA“ ein. Sofort stoßen Sie auf Ihren Kollegen Gunther Krichbaum, der als Vorsitzender des Europaausschusses SEPA mit den Worten kommentiert: „Das ist der größte Schwachsinn aller Zeiten“. Um diesen Eindruck aus der Welt zu schaffen, reicht es nicht, SEPA in Plenarreden und Ausschussdruck- sachen demonstrativ zu loben. Im Bericht zum vorlie- genden Gesetz betonen Sie, dass SEPA zu einer Verein- fachung und Vergünstigung für die Verbraucher und die Industrie führen dürfte. Bei allem Optimismus sollte man aber auch die Bemerkung des zuständigen Referats- leiters beim BMF berücksichtigten, der bei der zitierten Sitzung des Europaausschusses im Mai 2011 erklärte: „Es ist sicher kein Geheimnis, wenn ich verrate, dass vor allem international tätige Unternehmen, die grenzüber- schreitende Überweisungen tätigen, von SEPA profitie- ren werden.“ Sofern diese Einschätzung zutreffend ist, rückt das Ziel einer wirklich verbraucherorientierten Umsetzung der SEPA-Standards umso mehr in den Vor- dergrund. Wir alle kennen die zahlreichen Befürchtun- gen, mit denen wir uns im vergangenen Jahr angesichts der drohenden Komplikationen mit bestehenden Ein- zugsermächtigungen und der Änderung vertrauter Kon- tonummern konfrontiert sahen. Auch vor diesem Hintergrund haben wir Sozialdemo- kraten gemeinsam mit Ihnen die Entschließung vom 12. Mai 2011 mit dem Titel „Europäischen Zahlungsver- kehr bürgerfreundlich gestalten“ mitgetragen. Denn es war richtig und wichtig, als deutsches Parlament ein ge- meinsames Signal in Richtung Brüssel zu geben und vonseiten der profitierenden Wirtschaftszweige mehr öf- fentliche Unterstützung für das Projekt SEPA einzufor- dern. Insgesamt können wir mit den Ergebnissen zufrieden sein. Wir freuen uns, dass gerade mit Blick auf die Um- stellung von wiederkehrenden Lastschriftmandaten auf den SEPA-Standard eine Lösung über die AGBs gefun- den werden konnte, die alle Zweifel zerstreut haben dürfte. Sicher wäre es schön gewesen, auf dem Verhand- lungswege weitere bewährte Instrumente des deutschen Zahlungsverkehrs noch länger zu bewahren. Aber manchmal muss sich Politik auf das Mögliche und Durchsetzbare beschränken. Insofern begrüßen wir es, dass mit dem Gesetz die zeitlichen Spielräume zur Weiternutzung des elektroni- schen Lastschriftverfahren, ELV, genutzt werden. Auch die befristete Option für Zahlungsdienstleister, kosten- lose Konvertierungsdienstleistungen für Kontokennun- gen zur Verfügung zu stellen, damit Kunden ihre bis- herige Kontokennung für Inlandszahlungen weiterhin nutzen könnten, begrüßen wir ausdrücklich. Wo noch Schwierigkeiten bestehen, wenn es um SEPA-kompa- tible Nachfolgeprodukte für das ELV und die Nutzung des Internets für die Erteilung von Lastschriften geht, se- hen wir vor allem die Marktteilnehmer in der Pflicht. Vor allem die Kreditwirtschaft, die über den European Payments Council, EPC, die treibende Kraft hinter SEPA war, ist aufgefordert, zeitnah entsprechende Pro- dukte und Verfahren zu entwickeln, die auf die Bedürf- nisse des Handels, der Industrie sowie speziell der Ver- braucherinnen und Verbraucher abgestimmt sind. So viel zu dem, was im Gesetzentwurf in Sachen SEPA umgesetzt wird. Problematischer gestalten sich die mit Blick auf die Versicherungsbranche vorgenom- menen Änderungen. Wie wir wissen, verschieben sich die Verhandlungen um Solvency II, die auch die Versicherungsbranche ins- gesamt krisenfester machen soll, auf europäischer Ebene weit nach hinten. Mittlerweile ist von 2014 die Rede. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung 24966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist daher in großen Tei- len auf Eis gelegt; jedoch sind aus dem Gesetzentwurf einige Aspekte herausgelöst worden oder gehen auf die Stellungnahme des Bundesrates zurück und sind wiede- rum mit dem SEPA-Begleitgesetz verbunden worden. Die nunmehr aus dem Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes herausgelösten Ele- mente sollen noch dieses Jahr in Kraft treten. Wir begrü- ßen es, dass die Änderungen in § 8 die Rechtsschutzver- sicherungen betreffend von den Koalitionsfraktionen zurückgezogen wurden. Offensichtlich gibt es völlig un- terschiedliche Interessenlagen einzelner Unternehmen. Vorrang sollte der Schutz der Verbraucherinnen und Ver- braucher haben, und wir konnten feststellen, dass sich der Status quo durchaus bewährt hat. Unstrittig ist die Umsetzung des Urteils des Europäi- schen Gerichtshofs zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen auch beim Zugang zu und bei der Versor- gung mit Gütern und Dienstleistungen, des sogenannten Unisexurteils. Zudem sollen Maßnahmen ergriffen wer- den, die die Leistungsfähigkeit der deutschen Lebens- versicherer in einer Niedrigzinsphase betreffen. Wir haben hierzu am 17. Oktober 2012 ein Fachge- spräch geführt, in dem wir viele Punkte kritisch hinter- fragt haben. Insgesamt gibt es für uns hier Licht und Schatten im Gesetzentwurf. Die Änderungen im Hinblick auf die Unisexrecht- sprechung des EuGH sind für uns in Ordnung und sach- gerecht. Die Rahmenbedingungen für eine Umsetzung des Urteils müssen gesetzlich gestaltet werden. Im Hin- blick auf die Maßnahmen zur Risikotragfähigkeit der Lebensversicherungsunternehmen blieben bei uns auch nach der Anhörung noch Fragen offen. Es ist auch aus unserer Sicht wichtig, Lösungen zu finden, damit die Versicherungsunternehmen in der aktuellen Niedrigzins- phase die dadurch entstehenden Belastungen bewältigen können. Es ist aber trotz der kürzlich überreichten wei- teren Erläuterungen des Bundesfinanzministeriums vom 26. Oktober für uns nicht nachvollziehbar, dass der Rückgriff auf die Bewertungsreserven und die Trennung bei der Überschussbeteiligung die einzigen Mittel sind, um die aktuellen Probleme der Versicherer zu lösen. Aus unserer Sicht werden in recht einseitiger Weise die Pro- bleme, die im Grunde jedes vorausschauende Versiche- rungsunternehmen bei Langfristverträgen beachten muss, weil wir stets mit Konjunkturzyklen mit unterschied- lichem Zinsniveau konfrontiert sind, einseitig auf die Versicherten abgewälzt, und eine Kompensation wurde dafür offenbar weder geprüft noch angedacht. Sicherlich ist es eine Tatsache, dass die Versiche- rungsunternehmen im derzeitigen Kapitalmarktumfeld Probleme haben, die notwendigen Erträge zur Erfüllung ihrer langfristigen Garantien zu erwirtschaften. Das trifft aber auch die Versicherungsnehmer besonders massiv; denn ihre Überschussbeteiligungen gehen spürbar zu- rück und werden auch in den kommenden Jahren voraus- sichtlich noch weiter absinken. Wenn sie nun auch noch auf die Beteiligung auf Bewertungsreserven verzichten sollen, geht die aktuelle Kapitalmarktsituation einseitig zu ihren Lasten und insbesondere zulasten langfristig agierender Vorsorgesparer, deren Verträge jetzt fällig werden. Man hätte aus unserer Sicht bedenken können, dass es neben den kapitalmarktabhängigen Gewinnen ja auch kapitalmarktunabhängige Gewinnquellen, wie zum Bei- spiel Kostengewinne und Risikogewinne, gibt, und da- ran könnten die Versicherungsnehmer zum Ausgleich für den Verzicht auf einen Teil der Bewertungsreserven zum Beispiel stärker als bislang beteiligt werden. Wenn sich die Versicherungsnehmer vor dem Hintergrund der Ka- pitalmarktkrise nunmehr mit einer geringeren Beteili- gung an den mit ihren Beiträgen geschaffenen Vermö- genswerten zugunsten der langfristigen Finanzierbarkeit der Verträge begnügen müssen, sollten auch aus unserer Sicht die Unternehmen ihrerseits einen Beitrag leisten. Das wurde im Gesetz unter anderem nicht beachtet, so- dass wir diesem Teil nicht zustimmen können und uns, wie dargelegt, insgesamt enthalten werden. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke geht nach unserer Auffassung grundsätzlich in die rich- tige Richtung. Die sehr konkreten Forderungen werden jedoch nicht begründet, mögliche Konsequenzen für die Betroffenen werden nicht analysiert. Dies wäre aber dringend notwendig. Angesichts dessen lehnen wir den Antrag ab. Frank Schäffler (FDP): Wir begleiten mit dem vor- liegenden Gesetzentwurf die SEPA-Verordnung und sor- gen für ihre Einpassung in den nationalen Rechtsrah- men. Im Mittelpunkt der Verordnung steht die Schaffung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums. Das ist uns gelungen, der Grundstein ist gelegt. Eigenständiger Platz zum rechtlichen Manövrieren steht uns hier nicht zur Verfügung. Die meisten Fragen sind auf europäischer Ebene von den Regierungen im europäischen Gesetz- gebungsverfahren entschieden worden. Die Bundesregie- rung hat unsere Vorgaben, die wir mit dem Ihnen be- kannten Entschließungsantrag gemacht haben, zu ihrem Verhandlungsauftrag gemacht. Und es freut mich, zu sagen: Die Bundesregierung hat erfolgreich verhandelt. Ausge- füllt wird der durch die Verordnung beschriebene euro- päische Rechtsrahmen des Weiteren durch untergesetz- liche Standards, die vom SEPA-Rat gesetzt werden. In ihm sind die Nutzer und Anbieter von Zahlungsver- kehrslösungen versammelt. Im Gesetzgebungsverfahren hat uns vor allem ein Problem beschäftigt: Das ein wenig unglückliche Zu- sammenspiel von Verordnung und untergesetzlichen Standards führt zu Problemen bei der Form der SEPA- Mandatserteilung. Wir wollen nämlich Lastschriften ohne schriftlich erteiltes Mandat erhalten. Betroffen sind die telefonisch erteilte und die Internetlastschrift. Sie spielen bedeutende Rollen im deutschen Markt und sind ein günstiges Konkurrenzprodukt zu anderen Zahlungs- verfahren. Doch die von uns vorgefundene europäische Rechtslage stellt es nicht ins Ermessen des deutschen Gesetzgebers, an welche qualitativen Voraussetzungen die gültige Erteilung eines SEPA-Mandats geknüpft ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24967 (A) (C) (D)(B) Diese Entscheidung wird nach unserem Verständnis im SEPA-Rat getroffen. Wir haben sichergestellt, dass ein Verstoß gegen vom SEPA-Rat gesetzte Standards keine Ordnungswidrigkeit ist. Es gibt also keine ordnungswid- rigkeitsrechtlichen Konsequenzen, wenn die Standards aus welchen Gründen auch immer nicht eingehalten wer- den. Deswegen erinnere ich an die Aufgabe des SEPA-Ra- tes. Er soll die Akzeptanz der SEPA-Produkte fördern. Wir vertrauen darauf, dass die Nutzer und die Anbieter von SEPA-Produkten dort entsprechende Lösungen fin- den, mit denen die Erteilung eines Mandats bei mög- lichst geringen Transaktionskosten auch weiterhin ge- währleistet bleibt. Die im SEPA-Rat vertretenen Nutzer haben dieses Interesse ohnehin. Die Anbieterseite for- dern wir ausdrücklich auf, ihre Fachkenntnis einzubrin- gen, um dies zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist weiterhin daran zu erinnern, dass kartellrechtliche Bedenken gegen von den Kartensystemen vorgegebene Interbankenentgelte geltend gemacht worden sind. Die Existenz der elektronischen Lastschrift mit ihren niedri- gen Gebühren diente als wichtiges Argument dafür, dass hier bislang kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorgelegen hat. Während des Gesetzgebungsverfahrens haben wir die unproblematischen, aber zeitkritischen Elemente der VAG-Novelle angefügt. Es handelt sich einerseits um die fristgerechte Umsetzung des Unisex-Urteils des Eu- ropäischen Gerichtshofs. Das Geschlecht darf danach zukünftig kein Anknüpfungspunkt mehr für tarifliche Diskriminierung sein. Nun sind die Akteure gefordert, neue Tarife zu berechnen. Doch im Vordergrund stehen Maßnahmen zur Stär- kung der Leistungsfähigkeit der deutschen Lebensversi- cherer. Die Probleme der deutschen Lebensversicherer sind uns nicht verborgen geblieben. Sie leiden unter den aktuellen und voraussichtlich auch zukünftigen Niedrig- zinsen. Um es klar zu sagen: Wir haben es hier mit Pro- blemen zu tun, die eine unmittelbare Folge der Euro- Schuldenkrise von Banken und Staaten sind. Die Ret- tungseuropäer wollen weder Banken- noch Staatspleiten zulassen. Wenn dies die Prämisse allen Denkens und Handelns ist, dann ist eine Politik des billigen Geldes die zwangsläufige Folge. Man könnte auch sagen: Wer Staaten und Banken rettet, der schadet dem Sparer. Denn wir erleben eine Kollisionslage von Geld- und Fiskalpo- litik – die eine lässt die andere nicht unberührt. Die fis- kalischen Entscheidungen der Rettungseuropäer können für die Geldpolitik nicht folgenlos bleiben. Trotz aller Lippenbekenntnisse für höheres Wachs- tum, eine Sparpolitik und für ausgeglichene Haushalte sieht die Lage hier ganz, ganz düster aus. Gestern hat die Kommission ihre Herbstprognose vorgelegt. In diesem Jahr wird das Haushaltsdefizit der Euro-Zone 3,3 Pro- zent betragen. Die Maastricht-Latte wird kollektiv geris- sen. Das ist ein nahezu unglaublicher Vorgang, wenn ganz Europa unter einem angeblichen Spardiktat steht. Die ganze Misere macht der Schuldenstand im Verhält- nis zum BIP deutlich. 2012 beträgt die Schuldenquote des Euro-Raums 93 Prozent vom BIP. Nächstes Jahr soll sie 95 Prozent betragen. Der Punkt ohne Wiederkehr soll bei einer Staatsschuldenquote von 90 Prozent liegen. Aber dieses Mal könnte es ja anders sein. Diese ungesunde Fiskalpolitik dominiert die Geldpo- litik. Da auch die Europäische Zentralbank den schwar- zen Peter nicht haben möchte, sieht sie sich genötigt, niedrige Zinsen und eine Geldmengenausweitung zu ver- ordnen. Das nutzt den verschuldeten Staaten, schädigt aber alle Marktteilnehmer, die auf eine rentierliche Ver- zinsung ihrer Anlagen angewiesen sind. Es geht also ins- besondere um Gläubiger von Geldforderungen. Die Le- bensversicherungen als Inhaber von Staatsanleihen sind neben den Sparern am stärksten betroffen. Die Lebens- versicherer können die Renditen unter den bislang gülti- gen Rahmenbedingungen nicht halten. Zehnjährige Bun- desanleihen rentieren heute – ich habe nachgeschaut – bei 1,38 Prozent. Der Garantiezins für Neukunden liegt bei 1,75 Prozent. Altverträge versprechen gar 4 Prozent. Unter diesen Bedingungen ist das System gefährdet. Der daraus geborenen Not der Lebensversicherer begegnen wir, indem wir ihnen mehr Gestaltungsfreiheit bei der Verteilung der Bewertungsreserven einräumen. Das kommt letztendlich der Versichertengemeinschaft zu- gute. Eine echte Lösung der Problematik ist indes auch dies nicht. Wir operieren hier an Symptomen. Krankheitsaus- löser ist die staatliche Geld- und Fiskalpolitik. Inzwi- schen ist klar, dass die Unabhängigkeit der Notenbanken nur noch auf dem Papier besteht. Stattdessen sind sie vor den staatlichen Karren gespannt. In der Krise wird offen- bar, dass die rechtliche Unabhängigkeit der Notenbank nicht vor einer politischen Instrumentalisierung schützt. Wenn es überhaupt einen Schutz vor einer solchen Instrumentalisierung gibt, dann liegt er in einer entspre- chenden geldpolitischen Kultur. Es mag sein, dass die Bundesbank stärkere Widerstandskräfte gehabt hätte. Die Europäische Zentralbank hat diese Kultur innerhalb eines eng gesetzten Rechtsrahmens und innerhalb ihres Mandats, zu handeln, jedenfalls nicht. Auch daran haben die Rettungseuropäer eine Teilschuld. Sie haben Recht zur Beliebigkeit verkommen lassen. Regeln werden nach situativem Ermessen gebeugt und ausgelegt. Das begann mit dem kollektiven Rechtsbruch im Frühjahr 2010, als die Nichtbeistandsklausel verletzt wurde, um Griechen- lands Gläubigern helfen zu können. Es setzt sich bis heute fort, wenn die Konditionen für Hilfen aus den Ret- tungsschirmen an die Umstände angepasst werden. Nun zahlen die Kunden von Lebensversicherern einen ersten Preis. Spätestens jetzt kann es jeder wissen: Die Politik der Rettungseuropäer kostet uns nicht nur die Stabilität des Rechts, sondern wir bezahlen auch mit unseren Ver- mögen. Harald Koch (DIE LINKE): Ich finde es äußerst schade, dass dem SEPA-Begleitgesetz noch einige Rege- lungen der 10. Novelle des Versicherungsaufsichtsgeset- zes, VAG, beigefügt wurden. So werden jedenfalls zwei ganz unterschiedliche Themen miteinander verwurstet, wobei man am Ende aber nur ein einziges Votum abge- ben darf. Dies ist umso bedauerlicher, als die Linke zu den jeweiligen Themenkomplexen unterschiedlich ab- 24968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) stimmen würde. Wenn das schon so gemacht wird, hätte ich wenigstens erwartet, dass wir ausreichend Raum be- kommen, um über diese für Verbraucher wichtigen Neue- rungen im Plenum debattieren zu können, und zwar zu einer Tageszeit, zu der die Menschen draußen es mitbe- kommen können, dass hier auch entscheidende Weichen, die nicht in die richtige Richtung weisen, gestellt wer- den. Es scheint eher die Absicht der Bundesregierung zu sein, die Aufmerksamkeit der Verbraucher nicht allzu sehr auf die angestrebten Neuregelungen zu richten. Dies kann ich beim SEPA-Begleitgesetz nicht ganz verstehen. Wenn dieses heute allein zur Abstimmung stünde, hätte sich die Linke aufgrund durchaus positiver Entwicklungen enthalten. Es ist nämlich erfreulich, dass einige verbraucherschutzrelevante Regelungen auf dem Weg zu einem einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrs- raum umgesetzt wurden. Die bekannte, kurze Kontonummer kann bis 2016 weiter genutzt werden. Diese lange Übergangsfrist ist gut. Nun müssen den Menschen nur noch die Bedenken gegenüber den langen IBAN-Kontokennungen genom- men werden. Man muss vermitteln, dass lediglich vier neue Stellen hinzukommen, auch wenn das besonders für ältere Menschen sicher nicht gerade eine Vereinfa- chung darstellt. Aber Furcht erscheint fehl am Platze. Gut ist auf alle Fälle auch das bedingungslose, gebüh- renfreie Rückgaberecht für Abbuchungen vom eigenen Konto durch Lastschrift. Dies muss aus unserer Sicht aber weiterhin dauerhaft gewährleistet werden. Es war ebenfalls unbedingt erforderlich, zu regeln, dass Vereine nicht sämtliche Einzugsermächtigungen neu einholen müssen. Sinnvoll ist ferner, dass im deutschen SEPA-Rat Ver- braucherschützer, Wohlfahrtsverbände sowie Genossen- schaftsbanken oder Sparkassen sitzen. Schließlich unterstützen wir die Einführung von Nega- tivlisten bei Lastschriften: Der Verbraucher soll dem kontoführenden Institut anweisen können, wer auf keinen Fall auf sein Konto zugreifen darf. Zusammenfassend sage ich: Der gesamte Umstellungs- prozess muss einfach, transparent und verbraucher- freundlich erfolgen. Dies geschieht aber leider nicht durchgängig. Kritisch sehen wir am SEPA-Begleitgesetz unter an- derem dies: Das bewährte kartenbasierte elektronische Last- schriftverfahren hätten wir gerne länger als bis 2016 ge- nutzt. Noch steht in den Sternen, ob für die Zeit danach ein vergleichbares europäisches Produkt angeboten wird und wie dieses ausgestaltet ist. Ich bezweifle stark, dass ein lediglich schwacher Appell an die deutsche Kredit- wirtschaft, eine solche Produktentwicklung voranzutreiben (siehe Begründung der Änderung im Zahlungsdienste- aufsichtsgesetz (ZAG) zu § 7c, S.17 SEPA-BegleitG), fruchtet. Es ist einfach nur tragisch, wenn Sinnvolles, Be- währtes und Verbraucherfreundliches „wegharmonisiert“ wird. Des Weiteren sollte eine Pflicht – keine Kann-Rege- lung – bestehen, dass Kreditinstitute mit Verbraucher- konten Konvertierungsleistungen anbieten müssen. Nie- mand soll wegen Problemen im anfänglichen Umgang mit SEPA säumig werden müssen, wenn er in der Über- gangszeit noch die alten statt der neuen Kontokennungen verwenden muss. Nicht ganz geklärt ist nach wie vor, ob Konvertie- rungsdienstleistungen für die Kontokennungen den Ver- brauchern wirklich ganz kostenfrei zur Verfügung ge- stellt werden. Ich sage: Weder direkte noch indirekte Gebühren dürfen dafür erhoben werden! Die Linke stimmt mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfa- len überein, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht, BaFin, bis zum Ende des Konvertierungs- zeitraumes sicherstellen muss, dass die Kunden keinerlei Entgelterhöhung ausgesetzt werden. Eine effektive Kon- trolle der Kreditwirtschaft ist hier notwendig! Ein großes Problem stellt für uns der Punkt „Benach- richtigungsgebühren“ dar: Bislang dürfen Banken von ihren Kunden keine Gebühr verlangen, wenn sie bei einer Einzugsermächtigung eine Zahlung nicht ausführen und den Kunden hierüber benachrichtigen. So entschied auch der Bundesgerichtshof am 22. Mai 2012 (Az. XI ZR 290/11). Er wies aber zugleich darauf hin, dass nach den neuen Vorschriften zur SEPA-Lastschrift eine solche Gebühr wohl in Zukunft als zulässig angesehen wird; denn es soll sich die Abwicklung von Einzugsermächtigungen ändern. Mit SEPA muss im Gegensatz zur bisherigen Regelung bei Einzugsermächtigungen vorab eine Autori- sierung durch den Kunden erfolgen. Kann neuerdings eine Zahlung nicht ausgeführt werden, weil nicht genug Geld auf dem Konto ist, dürfen die Banken dank SEPA nun eine Benachrichtigungsgebühr verlangen. Seit dem 9. Juli gibt es solche Gebühren wieder! Ein Skandal! Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, dass Sie hingegen die Aufmerksamkeit der Verbraucher lieber nicht auf den zweiten Regelungskomplex im Rah- men des SEPA-Begleitgesetzes – sprich: Die Neurege- lungen im Versicherungsaufsichtsgesetz – lenken wol- len, kann ich hingegen voll und ganz nachvollziehen. Hier geht es ja nicht nur um die Umsetzung des Unisex- Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Sie wollen Rege- lungen verabschieden, die Versicherte, die Verbraucher ganz klar benachteiligen! Sie erliegen dem Gejammer der Versicherungsindustrie, unterwerfen sich zum wie- derholten Male finanzstarken Lobbyinteressen und be- treiben dadurch erneut Klientelpolitik zulasten der ver- sicherten Menschen in diesem Land! Die Linke steht aber an der Seite der Versicherten! An den geplanten Regelungen finden wir vor allem Folgendes bedenklich: Versicherungsnehmer sollen künftig nur noch An- spruch auf bestimmte Teile der Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren haben. Für alle Verträge im Bestand eines Versicherungsunternehmens, bei denen der Rechnungs- bzw. Garantiezins – dieser beträgt seit Anfang 2012 historisch niedrig 1,75 Prozent, ältere Ver- träge haben einen höheren Rechnungszins – oberhalb der Umlaufrendite – diese beträgt am heutigen Tag circa Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24969 (A) (C) (D)(B) 1,08 Prozent – im Zeitpunkt der Berechnung der Bewer- tungsreserven liegt, soll die Beteiligung ausgeschlossen werden. Ich wiederhole: …soll eine Beteiligung an den Bewertungsreserven ausgeschlossen werden. Sie benutzen einen üblen Taschenspielertrick und ver- letzen bewusst vertragliche Ansprüche der Versicherten! Dies ist für mich als Verbraucherschützer nicht hinnehm- bar! Letztlich zielen Ihre Regelungen darauf ab, die Über- schussansprüche insbesondere ausscheidender Altkunden zu reduzieren und möglichst viel von den Bewertungsre- serven aus festverzinslichen Papieren zu bunkern, um weniger Nachreservierungen vornehmen zu müssen. Da- mit will die Branche zulasten der bereits Versicherten, aber auch derjenigen, die einen Vertrag kündigen, das lahmende Neugeschäft stärker ankurbeln. Versicherer können und wollen die Ansprüche der Verbraucher aus bestehenden Verträgen reduzieren, um dafür künftigen Kunden mehr versprechen zu können. Da kann man als Verbraucherschützer doch nicht untätig bleiben! Es werden zudem mit den Änderungen des Versiche- rungsaufsichtsgesetzes präventive Regelungen geschaf- fen, die es Versicherungsunternehmen erlauben, auf noch nicht gutgeschriebene Überschussanteile inklusive der Beteiligung an den Bewertungsreserven zurückgrei- fen zu können, um im sogenannten Notstand die Zah- lungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern (vgl. § 56 b Abs.1 VAG neu). Neben der BaFin müssen unbedingt Verbraucherschutzverbände und andere mit einbezogen werden, um einen – vorher klar zu definierenden – „Not- stand“ feststellen zu können. Mit solch einem butterwei- chen Begriff wird doch sonst der Selbstbedienung der Versicherer Tür und Tor geöffnet. Man muss gewiss die Zahlungsfähigkeit der Versiche- rungsunternehmen im Auge haben, um massenhafte In- solvenzen zu verhindern, aber es kann nicht angehen, dass die Risikotragfähigkeit der Versicherer absolut ein- seitig nur dadurch finanziert wird, dass bestehende An- sprüche der Versicherten stetig vermindert werden. Auch hier sieht man: Die Bundesregierung hofiert nur die Versicherungswirtschaft und verringert auf diesem Weg das Eigentum der Versicherten! Die Linke hat deshalb für heute einen Entschlie- ßungsantrag zum Versichertenschutz vorgelegt. In dem fordern wir, die Beteiligung der Versicherungsnehmer am gesamten Rohüberschuss, Kapitalanlageergebnis plus Risikoergebnis plus Kosten und sonstiges Ergebnis, auf insgesamt 90 Prozent anzuheben. Die Mindestzufüh- rungsverordnung muss daneben auch so geändert wer- den, dass eine verbindliche Beteiligung der Versicherten an der freien Rückstellung für Beitragsrückerstattung, RfB, und dem Schlussüberschussanteilsfonds von min- destens 50 Prozent geschaffen wird. Wir werben daher für unsere Vorschläge zum Ver- sichertenschutz und müssen aus genannten Gründen das SEPA-Begleitgesetz – vor allem wegen der Neuregelun- gen im Versicherungsaufsichtsgesetz – insgesamt ableh- nen. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung den fi- nanziellen Verbraucherschutz endlich ernst nimmt und sich bedingungslos auf die Seite der Versicherten und ih- rer Rechte stellt. Wie lange wollen Sie denn noch Spiel- ball der Versicherungslobby bleiben? Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Grüne haben es stets befürwortet und unterstützt, den europäischen Zahlungsverkehr durch einen einheitli- chen Euro-Zahlungsverkehrsraum, Single Euro Pay- ments Area, SEPA, im Sinne der Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes zu vereinfachen. Gleich- zeitig war uns wichtig, dass die Umstellung auf die neuen Zahlungsverfahren rechtssicher und reibungslos, kurzum: so verbraucherfreundlich wie nur möglich, ver- läuft. Deshalb war es ein Erfolg, dass grüne Kernforderun- gen zu zentralen Themen wie Verbraucherschutz, Rechtssicherheit und Effizienz in den Verordnungstext aufgenommen werden konnten. Beispielsweise hatten wir uns auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die ihnen geläufige Kontonummer und Bankleitzahl statt der Zahlungskon- tonummer IBAN bis zum 1. Februar 2016 weiter ver- wenden können. Von dieser befristeten Option für Zahlungsdienstleister, kostenlose Konvertierungsdienst- leistungen für Kontokennungen anzubieten, und von an- deren Übergangsregelungen macht das SEPA-Begleitge- setz, das wir heute abschließend beraten, Gebrauch. Es ist damit im Großen und Ganzen geeignet, eine verbraucherfreundliche Umstellung der bisherigen natio- nalen Zahlungsverfahren auf die SEPA-Zahlungsverfah- ren sicherzustellen. Es kommt nun in den nächsten Mo- naten darauf an, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren und sie nicht mit den bevorstehenden Umstellungen auf SEPA alleinzulassen. Hier sehe ich die deutsche Kreditwirtschaft in der Pflicht. Ich möchte kurz auf das Thema Internetlastschriften eingehen. Im Laufe der Beratungen hatten sich Endnut- zer besorgt gezeigt, dass das Lastschriftverfahren im Internet nach der SEPA-Verordnung mit Ablauf der na- tionalen Regelungen bereits zum 1. Februar 2014 zu ent- fallen drohe. Nach Auffassung der Koalitionsfraktionen können allerdings sowohl nach der SEPA-Verordnung als auch nach dem Inkrafttreten des SEPA-Begleitgeset- zes wirksame Lastschriftmandate im Internet weiterhin erteilt werden. Die Banken in Deutschland sollten nach Auffassung der Koalitionsfraktionen das Internetlast- schriftverfahren ohne Schriftform auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen mit ihren Kunden oder in ähnlicher Weise gewährleisten. Verstehen kann ich hier jedoch die Unklarheit und die Unsicherheit aufseiten der Nutzer über die Zukunft der Internetlastschrift vor dem Hintergrund, dass die deut- sche Kreditwirtschaft nach Auskunft des Handelsver- bandes Deutschland e. V. gemäß ihrer Inkassobedingun- gen ausschließlich papierhafte Mandate bei der SEPA- Lastschrift akzeptiert. Es bleibt zu hoffen, dass das bei Verbraucherinnen und Verbrauchern beliebte Bezahlen mittels Internetlastschrift nicht durch andere, in der Re- 24970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) gel teurere Zahlungsweisen (beispielsweise Kreditkarte) ersetzt werden muss. Und auch mit Blick auf das elek- tronische Lastschriftverfahren möchte ich nochmals betonen, dass es insbesondere Aufgabe der deutschen Kreditwirtschaft ist, die Entwicklung eines dem elektro- nischen Lastschriftverfahren vergleichbaren Nachfolge- produktes aktiv voranzutreiben. Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen einen sachfremden Änderungsantrag eingebracht, mit dem im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum SEPA-Be- gleitgesetz Teile der geplanten Novelle des Versiche- rungsaufsichtsgesetzes vorgezogen werden. Im Wesent- lichen handelt es sich dabei zum einen um die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2011 in der Rechtssache C-236/09 (soge- nanntes Unisexurteil). Zum anderen handelt es sich um Maßnahmen zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der deutschen Lebensversicherer. Diese beinhalten unter an- derem eine aufsichtsrechtliche Neuregelung der Beteili- gung der Versicherten an den Bewertungsreserven der Lebensversicherer. Künftig sollen – in Abhängigkeit von der Umlaufrendite – nur noch bestimmte Teile der Be- wertungsreserven festverzinslicher Wertpapiere in der Überschussbeteiligung nach § 153 Versicherungsver- tragsgesetz in Ansatz kommen. Diesem erheblichen Ein- griff in die Ansprüche der Versicherten können wir aus den nachfolgenden Gründen nicht zustimmen: Es ist unbestritten, dass das Niedrigzinsumfeld für die Lebensversicherungsbranche eine große Herausforde- rung darstellt. Es ist auch richtig, darauf zu reagieren. Nachdem jedoch in den letzten Jahren bereits der Garan- tiezins gesenkt wurde und Steuererleichterungen in den Jahressteuergesetzen 2010 und 2013 in Bezug auf die Rückstellungen für Beitragsrückerstattung vorgenom- men wurden, wird heute zum vierten Mal eine Maß- nahme zur Stabilisierung des Lebensversicherungssek- tors beschlossen, ohne dass konkret dargelegt bzw. quantifiziert wird, welche Maßnahmen warum wirklich notwendig sind und zu wessen Lasten diese Maßnahmen erfolgen. Die Begründung des Bundesfinanzministeriums in ei- ner angeforderten Aufzeichnung, dass aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase nicht ausgeschlossen wer- den könne, dass einzelne Unternehmen künftig in Schwierigkeiten geraten können, ist alles andere als überzeugend. Die in der Aufzeichnung zitierte Studie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht aus dem Jahr 2011, aus der hervorgeht, dass die Kapital- erträge der Lebensversicherer nicht ausreichen, um die Garantie sowie die Zuführungen zu Zinszusatzreserven zu tragen, berücksichtigt beispielsweise nur Kapital- erträge und weder die anderen Ertragsquellen noch deren Reserven. Festzustellen ist vielmehr, dass die Lebensversiche- rungsbranche in der Summe immer noch sehr profitabel ist. Stärkere Unternehmen erzielen immer noch Eigenka- pitalrenditen von über 25 Prozent. Solange viele Versi- cherungsunternehmen aber gute Eigenkapitalrenditen, gute Ratings und hohe Ausschüttungen aufweisen und nur Teile der Versicherungsbranche vor wirtschaftlichen Problemen stehen, sollte doch lediglich dort spezifisch eingriffen werden, wo die Probleme tatsächlich liegen. Es ist schwer verständlich, weshalb die Profitabilität des gesamten Sektors zulasten der Versicherten angehoben werden soll, nur um wenige schwache Unternehmen zu schützen. Gleichzeitig ist nicht sichergestellt, dass die Maßnahmen zur Stärkung der Lebensversicherer auch wirklich deren Stabilisierung zugutekommen. Die Paral- lele zum Bankensektor zeigt doch eins: Mit Blick auf Ausschüttungen und Boni sind Auflagen und zusätzliche Regelungen notwendig. Nach alledem ist derzeit jedenfalls nicht erkennbar, dass der von der Bundesregierung gewählte regulatori- sche Ansatz der geeignetste ist. Berücksichtigt man nun noch, dass bereits das geltende Recht zur Beteiligung von Versicherten an den Bewertungsreserven bei Le- bensversicherungen nicht einmal geeignet ist, Transpa- renz herzustellen – wie es die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion offen eingesteht –, kann man diese Maßnahme nur ablehnen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 35) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung einen von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf zur Änderung des Ur- heberrechtsgesetzes. Konkret geht es um § 52 a UrhG, der die Nutzung geschützter Werke in Wissenschaft und Forschung regelt und eine in der Praxis bedeutsame Schranke des Urheberrechts darstellt. Mit dem Gesetzentwurf erreichen wir zwei wesentli- che Dinge: Zum einen erhalten wir vorläufig die für Wissenschaft und Forschung wichtige Geltung des § 52 a UrhG, zum anderen schaffen wir die Vorausset- zung für die Einrichtung einer dauerhaften einheitlichen Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht. Die Wissenschaft leistet in unserer Gesellschaft einen maßgeblichen Beitrag zur Erweiterung unseres Wissens- horizonts. Dabei sind Wissenschaftler wie Studenten, Lehrer wie Schüler auf die Nutzung urheberrechtlich ge- schützter Werke angewiesen. Deswegen ist mit den §§ 52 a ff. UrhG eine besondere Schranke für die Berei- che Schule, Studium und Lehre, Wissenschaft und For- schung geschaffen worden. Kleine Teile eines Werkes oder Werke von geringem Umfang sowie Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge können für Unterrichtszwecke ver- vielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Wissenschaftsschranke wurde seinerzeit jedoch bewusst befristet, da die Anwendung in der Praxis noch nicht absehbar war. Diese Befristung wurde nun bereits zweimal verlängert, und es wurde jedes Mal vorher ein Evaluierungsbericht vorgelegt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24971 (A) (C) (D)(B) Das Bundesjustizministerium ist leider auch in sei- nem dritten Evaluierungsbericht zu keinem Ergebnis ge- kommen und hat – außer einer weiteren Befristung der Schranke – ebenso wenig einen Lösungsvorschlag unter- breitet. Deshalb haben wir von CDU und CSU gemeinsam mit der FDP einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine erneute Befristung von § 52 a UrhG in § 137 k UrhG bis zum 31. Dezember 2014 vorsieht. Gleichzeitig fordern wir aber die Bundesregierung auf, bis spätestens sechs Monate vor Ablauf dieser Befristung einen Gesetzent- wurf vorzulegen, durch den § 52 a UrhG in eine dauer- hafte Urheberrechtsschranke überführt wird. Das Ziel sollte es sein, eine neue einheitliche Wissen- schaftsschranke zu schaffen. Damit ließe sich endgültig Rechtssicherheit für alle Beteiligten erreichen. Zudem sind viele der Regelungen in §§ 52 a ff. UrhG heute auf- grund der fortschreitenden Digitalisierung nicht mehr angemessen und teilweise überholt. Das Bundesjustizministerium hätte jedenfalls lange Zeit gehabt – drei Jahre, um genau zu sein –, eine Lö- sung vorzulegen. Da dies immer noch nicht geschehen ist, haben wir nun aus der Mitte des Parlaments heraus einen Gesetzentwurf eingebracht. Im Bereich der Schulen funktioniert die Anwendung des § 52 a UrhG bereits gut. Probleme gibt es jedoch an den Hochschulen. Es ist fatal, dass seit der Einführung des § 52 a UrhG noch kein einziger Cent seitens der Länder an die am stärksten betroffene Verwertungsge- sellschaft, die VG Wort, geflossen ist. Mit der Einrich- tung einer dauerhaften Wissenschaftsschranke muss ge- währleistet sein, dass die Urheber für die Nutzung ihrer geschützten Werke angemessen vergütet werden. Mit der letztmaligen Erneuerung der Befristung wol- len wir die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Vergütung sowie zur Reichweite der Schranke abwarten, damit dann die Erkenntnisse der Rechtsprechung in die Formulierung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke einfließen können und die Reichweite der Schranke auf das erforderliche Maß reduziert werden kann. Bis Ende 2014 sollten wir mit einer Entscheidung durch den Bun- desgerichtshof rechnen können. Nach diesem Urteil wird sich absehen lassen, wie die Regelung in § 52 a UrhG auf Grundlage der Entscheidung des BGH in den Hoch- schulen praktisch angewandt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf wird nicht nur den Unterricht an Schulen und Hochschulen sowie die wert- volle Arbeit von Wissenschaft und Forschung in unse- rem Land in den kommenden beiden Jahren sichern. Er ist vor allem eine solide Grundlage für die Einrichtung einer dauerhaften, einheitlichen Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für Lehre und Forschung in Deutsch- land und schaffen gleichzeitig einen Ausgleich zwischen Urhebern, Werkmittlern und der Wissenschaft. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Der Gesetzent- wurf, den wir heute in erster Lesung debattieren, sieht eine nochmalige Verlängerung des § 52 a UrhG um wei- tere zwei Jahre, bis zum 31. Dezember 2014, vor. Diese Regelung erlaubt es, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs und einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen und weiteren Einrichtungen ei- nem bestimmten abgegrenzten Kreis von Personen für Unterrichtszwecke oder für Forschungszwecke öffent- lich zugänglich zu machen. Nach derzeit noch gelten- dem Recht läuft diese Sonderregelung für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich zum 31. Dezember 2012 aus. Mit dieser Gesetzesänderung schaffen wir für weitere zwei Jahre Rechtssicherheit für alle betroffenen Akteure: für Lehrer und Wissenschaftler, für Forscher und Biblio- thekare, aber auch für Autoren und Verleger. Wir sind uns jedoch auch bewusst, dass sich die angesprochenen Akteure dauerhafte Rechtssicherheit wünschen. Lassen Sie es mich klar sagen: Auch wir streben eine dauerhafte Lösung an. Jedoch fehlt es derzeit noch an den notwen- digen Voraussetzungen für eine langfristige Lösung. Warum ist das so? Zwei wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs stehen noch aus. Die eine betrifft die Höhe der von den Ländern zu entrichtenden Vergütun- gen an die Verwertungsgesellschaft VG Wort, die andere die Reichweite von § 52 a UrhG. Im ersten Verfahren hat zunächst das OLG München am 24. März 2011 einen Gesamtvertrag zwischen Kultusministerkonferenz und der VG festgesetzt, gegen den beide Parteien Revision eingelegt haben. Nun befasst sich der BGH mit diesem Verfahren. Ein Termin für die Entscheidung steht noch nicht fest. Im zweiten Verfahren, basierend auf einer Entschei- dung des OLG Stuttgart vom 4. April 2012, erwarten wir eine Entscheidung über die inhaltliche Reichweite des § 52 a UrhG. Die Nutzung außerhalb des Semesterapparats oder außerhalb der Vorlesung sei von dieser Schranke ausdrücklich nicht erfasst, so das OLG Stuttgart – eine Auffassung, die meines Erachtens zu eng ist. Auch hier steht die Entscheidung des BGH noch aus. Solange wir kein auf Dauer belastbares rechtliches Fundament haben, können wir auch keine langfristigen politischen Richtungsentscheidungen treffen. Wir müs- sen als Gesetzgeber zunächst wissen, wie § 52 a UrhG auf der Grundlage der Entscheidungen des BGH künftig anzuwenden ist. Aus diesem Grund halten wir eine letzt- malige Verlängerung der Befristung für richtig. Deshalb erhält die Bundesregierung in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf auch den Auftrag, bis spätestens 30. Juni 2014 – sprich: bis ein halbes Jahr vor dem erneuten Aus- laufen der Befristung – einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die befristete Sonderregelung des § 52 a UrhG in eine neu gefasste, dann dauerhafte Wissenschafts- schranke überführt wird. Mit der Verlängerung der bestehenden Sonderrege- lung haben wir für Schulen und Hochschulen, Bibliothe- ken und Verlage ein wichtiges Etappenziel erreicht. Un- sere Arbeit geht aber weiter. Ziel ist es, bis Ende 2014 die in § 52 a UrhG geregelte Ausnahme zusammen mit anderen urheberrechtlichen Regelungen in den Berei- chen Unterricht und Forschung zu einer einheitlichen Wissenschaftsschranke im Urheberrecht zusammenzu- 24972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) führen. Ich werbe dafür, die notwendigen Diskussionen hierzu früh zu beginnen und im nächsten Koalitionsver- trag die Richtung für die nächste Legislaturperiode mög- lichst präzise festzuschreiben. Das von der CDU/CSU-Fraktion am 26. Juni 2012 veröffentlichte Diskussionspapier „Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft“ ist hierzu ein wichtiger erster Schritt. In diesem Papier hat meine Fraktion klarer und weitgehender als alle anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag Stellung zu vielfältigen Fragen des Urheber- rechts bezogen. Wir sind uns der maßgeblichen Rolle von Bildung und Wissenschaft zur Erweiterung unseres Wissens bewusst. Um diese Aufgabe zu erfüllen, sind Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen auf die Nut- zung urheberrechtlich geschützter Werke angewiesen. Als Bildungs- und Wissenschaftspolitiker bin ich überzeugt, dass die Bedeutung von Bildung und Wissen- schaft für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft in Zukunft nicht geringer werden wird; ganz im Gegenteil. Deshalb sollten Bildungs- und Forschungseinrichtungen auch in Zukunft im Sinne des jetzigen § 52 a UrhG eine Sonderstellung einnehmen. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen um die Unsi- cherheiten, die Sorgen und die Probleme, die in vielen Bildungs- und Forschungseinrichtungen im Hinblick auf das Urheberrecht vorherrschen. So hat die mediale Mo- dernisierung dazu geführt, dass § 52 a UrhG in Wissen- schaft und Forschung zunehmend als zu eng empfunden wird und auf eine deutliche Ausweitung gedrängt wird. Stark gestiegene Preise und die Bündelung in Daten- banken haben dazu geführt, dass es für die öffentliche Hand immer schwerer wird, wissenschaftliche Werke für Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu lizenzie- ren. Die Hochschulbibliotheken beschweren sich über Marktversagen und punktuelle Monopolbildung durch wissenschaftliche Großverlage. Die Länder wiederum be- klagen enorme Preissteigerungen bei wissenschaftlicher Literatur. Diese und weitere Punkte wurden bereits in der zweiten Anhörung des BMJ zum sogenannten Drit- ten Korb des UrhG am 13. Juli 2010 sehr deutlich. In den bevorstehenden Verhandlungen zu einer ein- heitlichen Wissenschaftsschranke gilt es, auch diese Pro- bleme zu berücksichtigen. Dabei muss es uns insbesondere gelingen, der wachsenden Bedeutung der elektronischen Kommunikation für Wissenschaft, Forschung und aka- demische Lehre Rechnung zu tragen. Nur so können wir ein modernes, zeitgemäßes und nutzerfreundliches Ur- heberrecht schaffen. René Röspel (SPD): Der hier zu debattierende Ge- setzentwurf der Koalitionsfraktionen stellt ein weiteres Mal ein Armutszeugnis für Schwarz-Gelb dar: Von Ge- staltungswille kann hier keine Rede sein. Der § 52 a des Urheberechtsgesetzes soll nach dem Willen der Koalitio- näre ein weiteres Mal um zwei Jahre verlängert werden. Damit vergibt die Bundesregierung – und mit ihr die Ko- alitionsfraktionen – die Chance, endgültig Rechtssicher- heit für die Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland zu schaffen. Aber warum ist eine solche Regelung im Urheberrecht von solcher Bedeutung für Bildung und Lehre in Deutschland? Die Bedeutung der in § 52 a Urheberrecht kodifizier- ten Wissenschaftsschranke für den Bildungs- und Wis- senschaftsstandort Deutschland ist nicht zu unterschät- zen. Nur durch diese Regelung ist es öffentlichen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutsch- land möglich, einen kleinen Teil eines geschützten Wer- kes zum Zwecke der Lehre einem begrenzten Personen- kreis zugänglich zu machen. Der von fast allen Hochschullehrern an deutschen Hochschulen zum Ein- satz kommende Semesterapparat – in analoger oder digi- taler Form – ist hierfür das beste Beispiel. Aber auch die vereinzelte Kopie eines Fach- oder Zeitungsartikels, die von Lehrern den Schülern als ergänzendes Unterrichts- material zur Verfügung gestellt wird, wird von dieser Regelung erfasst. Selbstverständlich erfolgt dies nicht gänzlich kostenfrei. Vielmehr sieht das Gesetz hierfür eine unbürokratische Lösung in Form der pauschalen Vergütung der Urheber mittels der Verwertungsgesell- schaften vor. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, welche zen- trale Rolle diese Ausnahmeregelung im Urheberrechts- gesetz für Einrichtungen der Bildung und Lehre hat. Ohne den § 52 a Urheberrechtsgesetz wäre eine effektive und qualitativ hochwertige Lehre in Deutschland kaum denkbar. Umso bedauerlicher ist es, dass den von dieser Rege- lung profitierenden Einrichtungen nicht dauerhaft Rechtssicherheit durch diese Bundesregierung geboten wird. Denn diese wichtige Regelung steht auf wackeli- gen Füßen: So wurde sie bei ihrer Einführung 2003 mit einer Befristung versehen, die den Zweck hatte, nach ei- ner angemessenen Frist – von damals drei Jahren – die Regelung zu evaluieren und dann gegebenenfalls anzu- passen bzw. zu entfristen. Nach erneuten Befristungen in den Jahren 2006 und 2008, das heißt nach nunmehr fast zehn Jahren, läuft die derzeitige Befristung zum Ende des Jahres aus. Dies hat die SPD-Bundestagsfraktion zum Anlass ge- nommen, um bereits vor der Sommerpause einen Ge- setzentwurf auf den Weg zu bringen, der eine endgültige Entfristung dieser in der Praxis wohl bewährten Rege- lung vorsieht. Denn nur auf diese Weise kann für die be- troffenen Akteure dauerhaft Rechtssicherheit geschaf- fen werden. Dabei folgt die SPD-Bundestagsfraktion mit ihrer Forderung nach einer Entfristung nicht nur der Empfehlung der Allianz der Wissenschaftsorganisatio- nen oder dem Bündnis für Urheberrecht. Vielmehr hat sich das Bundesministerium der Justiz bereits bei seiner Evaluation im Jahr 2008 für eine Entfristung der Rege- lung ausgesprochen. Umso verwunderlicher ist es, dass das gleiche Haus bei seiner dritten Evaluation erstmalig zur Auffassung kommt, von einer Entfristung zugunsten einer weiteren Befristung – es wäre die vierte in Folge – abzusehen, und dass es damit zu einem anderen Ergebnis kommt. Begründet wird diese abweichende Meinung mit der Empfehlung zur weiteren Befristung um zwei Jahre mit dem Hinweis, dass derzeit noch ein Revisionsverfah- ren beim Bundesgerichtshof anhängig ist, welches die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24973 (A) (C) (D)(B) Frage der Höhe der pauschalen Vergütung zwischen Nutzern im Hochschulbereich und den Rechteinhabern bzw. Verwertern endgültig klären soll. Diese Bewertung ist nur schwer nachvollziehbar. Würde man eine solche Begründung zu Ende denken, dann hieße dies, dass der Gesetzgeber in jeder Sach- bzw. Rechtsfrage, die derzeit vor deutschen Gerichten verhandelt wird, für die Dauer des Verfahrens seinen ge- setzgeberischen Gestaltungsanspruch aufgibt. Das zuständige Fachressort scheint demnach in dieser Frage der Rechtsprechung Vorrang vor der Rechtsetzung zu geben, mit der Folge, dass das Primat der Politik vor der Judikative zurücktritt. Zwar ist es grundsätzlich be- grüßenswert, wenn die Exekutive die verfassungsge- mäße Unabhängigkeit der Judikative anerkennt, doch sollte just jenes Haus, welches die gesamte juristische Fachkompetenz der Bundesregierung bündelt, sich da- rüber im Klaren sein, dass das Richterrecht lediglich dazu dient, Unklarheiten in der Gesetzgebung zu klären – nicht jedoch die tatsächliche Gesetzgebung der Exekutive zu ersetzen. Allerdings ist eher davon auszu- gehen, dass das zuständige Ministerium sich seiner Kompetenz und Aufgabe bewusst ist. Vielmehr scheint hier die politische Spitze des Fachressorts die Uneinig- keit zwischen Bildungs- und Rechtspolitikern der Koali- tionsfraktionen über die künftige Ausgestaltung des Ur- heberrechts mit fadenscheinigen Begründungen zu decken bzw. den durch Uneinigkeit geschwächten Koali- tionsfraktionen mehr Zeit zu verschaffen. Diese Uneinigkeit hat letztlich eine Handlungsunfä- higkeit zur Folge, die den Interessen der Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland nicht gerecht wird. Diese Handlungsunfähigkeit hat etwa dazu ge- führt, dass der vorliegende Gesetzentwurf nur in aller- letzter Minute seinen Weg ins Parlament gefunden hat. Abgesehen von dem Umstand, dass der vorliegende Ge- setzentwurf der Koalitionsfraktionen den Mitgliedern des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung erst unmittelbar vor Beginn der Aus- schusssitzung übermittelt und somit eine inhaltliche Auseinandersetzung im parlamentarischen Raum er- heblich erschwert wurde, werden die von der Regelung betroffenen Bildungseinrichtungen im Ungewissen ge- lassen, auf welcher rechtlichen Basis die Wissensver- mittlung ihrer Lehrtätigkeit ab dem 1. Januar 2013 be- ruht. Zudem birgt diese Vorgehensweise die Gefahr, dass eine mögliche unerwartete Verzögerung im parla- mentarischen Verfahrensablauf – man denke an dieser Stelle etwa an die Vorgänge rund um das Be- treuungsgeld – zu unabsehbaren Folgen für den Bil- dungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland führt. Dies scheint diese Regierungskoalition offenbar billi- gend in Kauf zu nehmen. Es ist daher mit angemessener Bestürzung festzustel- len, mit welcher Leichtfertigkeit diese Regierung und mit ihr die Koalitionsfraktionen das Wohl und Wehe der betroffenen Einrichtungen und der auf sie angewiesenen meist jungen Menschen in Bildungsfragen riskieren. Denn die Betroffenen haben in Fragen, die so grundle- gend für ihre Arbeit sind, Anspruch auf Rechtssicher- heit, sei sie befristet oder unbefristet. Aber es wird offenbar Prinzip dieser Koalition, selbst in eindeutigen Angelegenheiten so lange zu feilschen, bis Probleme für die Betroffenen entstehen. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Wie oft will uns die schwarz-gelbe Koalition noch beweisen, dass sie nicht regierungsfähig ist? Die Ergebnisse des letzten Koalitionsausschusses bildeten nur den Auftakt in dieser Woche für die Beweisführung. Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Urheber- rechtsgesetzes, die erneuten Befristung des § 52 a, ist ein weiterer Beleg für die Unentschlossenheit von Schwarz- Gelb. Statt eine längst überfällige umfassende Novellierung des Urheberrechtsgesetzes vorzulegen, wird jetzt schnell mit einem Einzelvorhaben reagiert, bevor in zwei Mona- ten die bisherige Regelung nicht mehr gültig ist. Jetzt müssen wir nur hoffen, dass bis zur zweiten und dritten Lesung des aktuellen Entwurfs nicht noch ein Koali- tionsgipfel ansteht, bei dem einer der Partner Verhand- lungsmasse braucht und den eingebrachten Gesetzent- wurf wieder infrage stellt. Das haben wir ja bei anderen Vorhaben in den letzten Monaten schon erleben dürfen – ich nenne hier nur das Betreuungsgeld. Im Sinne der Rechtssicherheit für Forschung und Lehre hoffe ich, dass uns wenigstens ein solcher Schild- bürgerstreich erspart bleibt. Denn dann müssten unsere Hochschulen im laufenden Semester ihren kompletten Lehrbetrieb über den Haufen werfen. Bildungspolitisch wäre dies ein Fiasko und rechtspolitisch ein endgültiger Todesstoß für diese Koalition. Nach der letzten Bundestagswahl hat Schwarz-Gelb vollmundig angekündigt, dass ab jetzt durchregiert werde, weil endlich die richtigen Partner zusammen seien. Wenn Sie diese Ansage nur in Ansätzen ernst neh- men würden, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, dann müsste zumindest der vorliegende Entwurf anders aussehen. Dann würden wir wenigstens über eine dauerhafte Entfristung des § 52 a diskutieren. Dann hätten wir endlich verlässliche und dauerhafte Regelungen für Unterricht, Lehre und Forschung. Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben wir bereits im Juni dieses Jahres – Drucksache 17/10087 – eingebracht. Wenn Sie mehr Mumm in den Knochen hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, dann hätten Sie einfach unserem Entwurf zugestimmt. Stattdessen verweigert die Koalition eine dauerhafte Lö- sung mit der Begründung, dass man noch ausstehende Gerichtsurteile abwarten wolle. Mit solider Gesetzge- bung und verlässlichem Regierungshandeln hat das we- nig zu tun. Wie dringend notwendig für Schulen und Hochschu- len eine dauerhafte verlässliche Regelung ist, zeigt schon die jüngste Evaluierung des Bundesjustizministe- riums. Im Vergleich zum Sommersemester 2007 wurden im Sommersemester 2011 doppelt so viele Werke nach Maßgabe von § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG genutzt – insge- 24974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) samt 1 142 939 Werke. 2007 waren es noch 597 400 Werke. In der Auswertung des BMJ wurde auch klar be- nannt, was passieren würde, wenn § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG dauerhaft wegfallen würde: „Nach Mitteilung der KMK für Hochschulen in öffentlicher Trägerschaft werde der Wegfall … zu Einschränkungen bzw. zur Abschaffung des Angebots von elektronischen Internetapparaten und damit zu spürbaren Beeinträchtigungen der Lehre füh- ren“, heißt es dort. Das ist nachzulesen in der Drucksa- che des Rechtsausschusses Nr. 17(6)201. Dies belegt doch mehr als deutlich, wie dringend wir eine dauerhafte verlässliche Regelung brauchen. Mit einer Entfristung, wie wir sie von der SPD mit unserem Gesetzentwurf for- dern, wäre dies gegeben. Bereits vor vier Jahren, damals noch unter anderer Führung, hat das Bundesjustizministerium eine dauer- hafte Entfristung empfohlen. Nachzulesen ist das in der Unterrichtung an den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages „Bericht zu den praktischen Auswirkungen des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes und Empfehlung zum weiteren Vorgehen“ vom 2. Mai 2008. Die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen hatten sich im September 2009 ebenfalls für eine Entfris- tung des § 52 a UrhG ausgesprochen. Darin wurde au- ßerdem darauf hingewiesen, dass sich die wiederholte Befristung der Regelung negativ auf den Ausbau netzge- stützter Lehr- und Forschungsstrukturen auswirke. Des Weiteren wurde darauf aufmerksam gemacht, dass mit einem Wegfall des § 52 a gerade ältere Literatur nur in einem sehr geringen Umfang auf elektronischen Lehr- und Forschungsplattformen zur Verfügung gestellt wer- den könnte. In den Reihen der Befürworter für eine Entfristung findet sich außerdem der Deutsche Bibliotheksverband e. V. Bereits 2008 hat er in einem Schreiben an unterschied- lichste politische Akteure dafür geworben. Warum also jetzt wieder eine zeitlich befristete Lösung? Liebe Abgeordnete der sogenannten christlich-libera- len Koalition: Aufgrund zahlreicher interner Querelen waren Sie nicht in der Lage, eine umfassende und zeitge- mäße Novellierung des Urheberrechts auf den Weg zu bringen. Leider fehlte Ihnen auch die Größe, unserem Entwurf für die dauerhafte Entfristung des § 52 a zuzu- stimmen. Ich appelliere daher an Sie: Bringen Sie jetzt wenigstens die Befristung für weitere zwei Jahre schnellstmöglich und ohne weitere Zankereien auf den Weg. Dann können die Akteure im Bereich Unterricht, Lehre und Forschung wenigstens darauf vertrauen, dass im nächsten Jahr eine von der SPD geführte Bundesre- gierung für mehr Rechtssicherheit sorgen wird. Stephan Thomae (FDP): Das Urheberrecht, dessen Änderung wir heute debattieren, wurde 1965 verabschie- det. Damals wie heute war und ist das Ziel des Urheber- rechts, den Urhebern und Inhabern verwandter Schutz- rechte eine angemessene Vergütung zu sichern. Dieses Ziel muss insbesondere in Deutschland immer wieder in Erinnerung gerufen werden: Das Urheberrecht soll in erster Linie den Urheber schützen. Wir haben in Deutschland wenige Bodenschätze. Umso mehr sind wir darauf angewiesen, dass die Menschen mit ihren Ideen, mit ihrem geistigen Eigentum ihr Auskommen verdienen können. Deswegen setzt sich die FDP für ein starkes Ur- heberrecht und einen starken Schutz geistigen Eigen- tums ein. Eine gute und umfassende (Aus-)Bildung ist für die Menschen von ebenso großer Bedeutung wie der möglichst weitreichende Schutz der Urheber. Bildung lebt davon und ist darauf angewiesen, dass die Menschen Zu- gang zu Inhalten und Informationen erhalten. An dieser Stelle treffen die beiden Belange des Schut- zes des geistigen Eigentums, durch den eine angemes- sene Vergütung der Urheber gesichert werden soll, und des Zugangs zu Informationen und Inhalten, um eine gute Bildung zu ermöglichen, aufeinander. Der deutsche Gesetzgeber hat durch das erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 den § 52 a UrhG in das deutsche Urheberrecht eingefügt. Ziel der Novellierung war es, beide Interessen in Einklang zu bringen. Die Norm ge- stattet es, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs und einzelne Beiträge aus Zeitschriften oder Zeitungen zur Veranschaulichung im Unterricht an Schu- len, Hochschulen und weiteren Einrichtungen einem be- stimmten abgegrenzten Kreis von Personen öffentlich zugänglich zu machen. Voraussetzungen hierfür sind, dass dies zu Unterrichts- oder Forschungszwecken geschieht, die Maßnahmen zu dem jeweiligen Zweck geboten und zur Verfolgung nichtkommerzieller Zwecke gerechtfer- tigt sind. Im Zuge der Einfügung der Norm wurden Bedenken laut, die Regelung könne zu nicht hinnehmbaren Beein- trächtigungen der Verlage führen. Hier ist zu berücksich- tigen, dass Schrankenregelungen schon begrifflich eine Beschränkung der Urheberrechte darstellen. Vor diesem Hintergrund wurde § 137 k UrhG eingeführt, durch den § 52 a UrhG zunächst bis zum 31. Dezember 2006 be- fristet wurde. Die Auswirkungen der Norm auf die Pra- xis sollten anhand einer Evaluierung ermittelt werden. Da eine abschließende Beurteilung bislang nicht mög- lich war, wurde die Befristung bislang zweimal verlän- gert. Stand heute würde die Regelung des § 52 a UrhG am 31. Dezember 2012 auslaufen, wenn der Deutsche Bundestag vorher nicht anders entscheidet. Für den Bereich der Schulen sind die Nutzungsbedin- gungen für die genannten Werke im Rahmen von Ge- samtverträgen zwischen den Ländern und den betroffe- nen Verwertungsgesellschaften geregelt. Auch für die Nutzung an Hochschulen wurden mit nur einer Aus- nahme zwischen den Ländern und den Verwertungsge- sellschaften Gesamtverträge geschlossen. Einzig die VG Wort verhandelt mit der Kultusministerkonferenz noch über die Höhe und die Berechnungsweise der angemes- senen Vergütung. Hierzu ist ein Verfahren vor dem Bun- desgerichtshof anhängig. Darin wird auch über die Reichweite der sogenannten Wissenschaftsschranke ent- schieden werden. Eine Entfristung des § 52 a UrhG zum jetzigen Zeit- punkt, wie es die SPD fordert, wäre daher verfrüht. Denn eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird erst für 2013, also nicht vor dem bislang vorgesehenen Auslau- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24975 (A) (C) (D)(B) fen von § 52 a UrhG, erwartet. Das Urteil des Bundesge- richtshofes sollte abgewartet und anhand dessen geprüft werden, ob der rechtliche Rahmen bereits jetzt ausreicht, um die Interessen von Urhebern und Bildungsanstalten in Einklang zu bringen, oder ob hier gesetzgeberisch nachgebessert werden muss. Aus diesen Gründen ist der Antrag der SPD abzulehnen. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP schlagen stattdessen eine nochmalige Verlängerung der Befristung von § 52 a UrhG bis zum 31. Dezember 2014 vor. Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert, bis spätestens sechs Monate vor Ablauf der erneuten Be- fristung einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit dem die Norm in eine dauerhafte Urheberrechtsschranke über- führt werden kann. Dabei soll der Wissenschaft der digi- tale Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen durch eine Wissenschaftsschranke für den Fall gesichert wer- den, dass die Verlage keine Onlineangebote zu angemes- senen Bedingungen bereitstellen. Diese Lösung wird den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht. Wir sind damit auf einem guten Weg, in absehbarer Zeit ei- nen endgültigen Schlussstrich unter die Frage nach der Zukunft von § 52 a UrhG zu ziehen und Rechtssicherheit für alle Parteien zu schaffen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Quasi in letzter Minute wollen die Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und FDP nun doch noch die Geltungsdauer des § 52 a Urheberrecht um zwei Jahre verlängern. Sollte das nicht noch in diesem Jahr geschehen, wird es 2013 an Schu- len, Hochschulen und anderen nichtgewerblichen Bil- dungsstätten unmöglich sein, beispielsweise Texte, Bil- der oder Filmausschnitte für den Unterricht zu vervielfältigen und für Lehr- und Forschungszwecke in digitalisierter Form zur Verfügung zu stellen. Sie bewah- ren damit, vorausgesetzt der parlamentarische Gang kommt nicht doch noch ins Stolpern, die Bildungsein- richtungen mit einer erneuten Befristungsverlängerung des § 52 a haarscharf davor, nach aktuellem technischen Standard arbeitsunfähig zu werden. Vor fünf Wochen al- lerdings sah es noch so aus, als ob Sie es genau darauf ankommen lassen wollen. Während mir die Justizministerin Anfang Oktober schriftlich versicherte, sie hätte bereits im Juli eine Frist- verlängerung vorschlagen lassen, meldete sich zeitgleich der CDU-Kollege Kretschmer in der Presse mit der Auf- forderung an das Justizministerium, endlich etwas vor- zulegen. Zu verstehen ist das alles nicht mehr. Selbst ei- nen zaghaften halben Schritt verstolpern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition. Kei- ner will Verantwortung übernehmen. Warum spreche ich von einem halben Schritt? Weil die neuerliche Befris- tungsverlängerung von § 52 a das absolute Minimum dessen ist, was unabdingbar notwendig ist, um Wissens- und Informationszugang an Bildungseinrichtungen nicht wieder in die Ära der Kopiergeräte zu beamen. Sie wis- sen das selbst ganz genau. Warum sonst fordern Sie die Bundesregierung in Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf auf, bis Mitte 2014 eine dauerhafte Lösung für die digi- tale öffentliche Zugänglichmachung von Lehr- und Lerninhalten zu erarbeiten? Mehr noch: Sie wollen sogar prüfen lassen, ob eine umfassende Bildungs- und Wis- senschaftsschranke im Urheberrecht, also besondere Nutzungsfreiheiten für die Wissensgesellschaft, hier die Lösung sein könnte. Genau das hat beispielsweise CDU- Kollege Tankred Schipanski vor wenigen Tagen selbst noch in einer öffentlichen Stellungnahme wieder einmal gefordert. Das begrüße ich sehr; denn im Kern nimmt Kollege Schipanski unsere Forderung, die Forderung der Linken, auf, die wir übrigens in mehreren Anträgen hier bereits vorgestellt haben. Zunächst einmal klingen diese Forderungen, die Ihren Gesetzentwurf begleiten, alle recht mutig und wissens- freundlich. Bei genauerem Hinsehen aber erhärtet sich der Verdacht, dass es sich doch um Verzögerung und Au- genwischerei handelt: Wie soll eine neue Bundesregie- rung, wie von Ihnen gefordert, Mitte 2014, neun Monate nach der Wahl und ungefähr ein halbes Jahr nach Auf- nahme der Amtsgeschäfte, ein solch umfassendes Pro- jekt stemmen können, wenn es Ihnen in drei Jahren nicht gelingt? Doch wohl nur, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP nicht mehr betei- ligt sind. Oder wie soll ich Ihre Zeitvorgaben verstehen? Eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke lässt sich nicht von heute auf morgen ins Urheberrecht schreiben. Dazu bedarf es nicht zuletzt dank europarechtlicher Vor- gaben sehr detailreicher Arbeit. Es wäre also angebracht gewesen, den bestehenden Paragrafen mindestens zu entfristen, um Zeit zu gewinnen für die längst überfälli- gen Änderungen am Urheberrecht für Bildung und Wis- senschaft. Diese hätten ja – daran will ich Sie erinnern – ursprünglich in einem sogenannten dritten Korb in dieser Legislaturperiode kommen sollen. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD waren so freundlich und haben einen entsprechenden Gesetzentwurf bereits im vergangenen Juni eingebracht. Dem müssten Sie, verehrte Kollegin- nen und Kollegen der Regierungsfraktionen, nur zustim- men. Eine solche Entfristung wäre zwar immer noch weitaus weniger als eine echte Bildungs- und Wissen- schaftsschranke, wie sie uns Linken und Tankred Schipanski vorschwebt, aber sie hätte immerhin Pla- nungssicherheit für die Bildungs- und Forschungspoli- tik, vor allem aber für unsere Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten gebracht. Oder meinen Sie all die Lyrik zum vorliegenden Gesetzentwurf gar nicht ernst? Sie verweisen auf die laufenden Rechtsstreitigkeiten rund um § 52 a, die noch abzuwarten sind. Hier klagen Verlage gegen Universitäten auf Grundlage des beste- henden und nun einmal unzureichenden § 52 a, in der Hoffnung auf möglichst restriktive Auslegung dieses Pa- ragrafen, um ihn damit de facto vor Ende der neuen Frist für seine Geltungsdauer für gescheitert erklären zu kön- nen. Statt also, wie von Ihnen angedeutet, gegen alle selbstverschuldete Blockiererei eventuell doch noch auf umfassende und notwendige Privilegien für Bildung und Wissenschaft im Urheberrecht zu setzen, können Sie auch einfach die laufenden Klagen abwarten, um dann am Ende sogar den kleinen § 52 a zumindest für die Hochschulen doch wieder abzuschaffen. Auch diese schäbige Option lassen Sie sich mit ihrem vorliegenden Last-Minute-Gesetzchen peinlicherweise offen. 24976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir haben es hier heute allein deshalb mit einer Protokolldebatte zu tun, weil es Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, zutiefst peinlich sein dürfte, was Sie uns vorlegen, und Sie deshalb ganz offen- sichtlich das Licht der breiteren Öffentlichkeit scheuen. Die Pein, die Sie sich aber auch uns mit dieser Vorlage antun, möchte ich in drei Punkten erläutern. Erstens. So viel Sonnenuntergang war noch nie: Die Schranke des § 52 a Urheberrechtsgesetz trat zwar vor einem knappen Jahrzehnt in Kraft. Sie ist aber eine soge- nannte Sunset Clause. Sie wurde bereits dreimal verlän- gert, ist also noch immer befristet. Höflich ausgedrückt haben wir das, wie es das Bundesministerium der Justiz in seinem Schreiben vom Juli dieses Jahres an den Rechtsausschuss formuliert, „den Befürchtungen insbe- sondere der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutba- ren Beeinträchtigungen durch die neue Regelung“ zu verdanken und einer Bundesregierung, die mehr Wert auf Stimmen einzelner Interessensgruppen zu legen scheint, als dass sie Wert darauf legt, dass die von allen sonstigen Akteuren für höchst sinnvoll erachteten Er- leichterungen für Wissenschaft und Lehre zumindest endlich entfristet werden. So scheint es leider bis heute noch immer nicht im Bewusstsein der Bundesregierung angekommen zu sein, dass gerade Bildung und Wissenschaft ebenso faire wie praktikable Urheberrechtsregelungen dringend benöti- gen. Die Bundesregierung hat nicht erkannt, dass gerade § 52 a Urheberrechtsgesetz einen zwingenden und wich- tigen Schritt für den Bildungsstandort Deutschland dar- stellt. Denn er erleichtert die Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Inhalten im schulischen und universitären Umfeld. Die um ihre Einnahmen fürchtenden Verlagshäuser waren es, die immer wieder mit entsprechendem Lobbydruck und Drohszenarien die Befristungen plus aufwendige, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler belastende Evaluationen dieser einen Vorschrift erzwungen hatten. Sie haben sich offenbar auch diesmal erneut durchgesetzt. Wir sind mittlerweile bei der dritten Evaluation ange- langt. Sie liegt auch bereits vor. Auch diese Evaluation soll aber angeblich keine endgültige Aussage darüber er- lauben, ob eine endgültige Entfristung der bereits seit zehn Jahren rechtskräftigen Norm möglich erscheint. Die fadenscheinige Begründung: Zum einen könne man heute noch nicht entfristen, weil noch eine Entscheidung des BGH – von der niemand weiß, wann diese tatsäch- lich kommen wird – zu einem der umstrittenen materiell- rechtlichen Tatbestandsmerkmale der Norm abgewartet werden soll. Zum anderen warte man noch ab, da ver- mutlich schon 2013 der BGH das Revisionsverfahren gegen den Gesamtvertrag zur Festsetzung einer ange- messenen Vergütung entscheiden wird. Angesichts die- ser Begründung aber fragt man sich, warum überhaupt jemals Evaluationen durchgeführt wurden, wenn diese für sich ohnehin nicht für wert befunden werden, eine Grundlage für die Entscheidung über die Entfristung zu bilden. Meine Damen und Herren von der Koalition, werte Frau Justizministerin, nahezu sämtliche Tatbestands- merkmale des § 52 a Urheberrechtsgesetz sind in einem Hagelsturm aus Klageverfahren von Verwertungsseite streitig gestellt worden. Das zeigt doch: Die Verlage wollen diese Norm eben nicht, weil damit potenzielle Einnahmeverluste einhergehen. Das Vorgehen der Ver- lage ist, das sage ich hier in aller Deutlichkeit, ihr gutes Recht. Doch wenn wir mit Hinweis auf diese Klagen jetzt jede gesetzgeberische Tätigkeit einstellen, dann werden wir definitiv bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf die Entfristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz war- ten müssen. Das ist inakzeptabel. Noch befremdlicher erscheint das Zuwarten bei der Schlichtung um den Gesamtvertrag. Denn auch die Ver- wertungsgesellschaften ziehen es derzeit vor, in nahezu allen aktuell auszuhandelnden Fällen der notwendigen Festsetzung einer angemessenen Vergütung den oft jah- relangen Rechtsweg einzuschlagen. Eine Justizministe- rin aber kann und darf ihre Entscheidungen nicht von der gerichtlichen Streitlust einzelner Beteiligter abhängig machen. Es ist die Aufgabe der Justizministerin, hier endlich eine Entscheidung in der Sache zu treffen und sich inhaltlich zu dieser Wissenschaftsschranke zu be- kennen – oder dies eben nicht zu tun. Als grüne Bundes- tagsfraktion haben wir diese Entscheidung bereits vor längerer Zeit getroffen und einen entsprechenden Antrag inklusive der Aufforderung zur Entfristung des § 52 a schon in der letzten Legislaturperiode gestellt; Bundes- tagsdrucksache 16/10566. Wir freuen uns, dass sich ins- besondere die SPD mittlerweile ebenso positioniert hat. Die Dauerdiskussionen um die Entfristung wirken auch deshalb geradezu grotesk, weil wir in der Sache längst eine viel weiter gehende Debatte um diese Norm führen. Mit guten und von uns geteilten Argumenten for- dert etwa die Allianz der Hochschulorganisationen eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Schranke auch auf das weiter an Bedeutung gewinnende E-Lear- ning, also die Verfügbarkeit der Inhalte auch für das Selbststudium oder das unterrichtsbegleitende Studium in digitaler Form. Selbst wer so weit nicht gehen will, muss doch einräumen, dass die gegenwärtige Rechtsun- sicherheit hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 52 a Urheberrechtsgesetz in der Praxis zu Behinde- rungen der Lehrkräfte beim Einsatz neuer Medien führt. Es ist also eine Rechtsunsicherheit, die Wissenschaft und Bildung behindert und nicht befördert. Daraus ist aber eben gerade nicht zu folgern, dass die Vorschrift des § 52 a Urheberrechtsgesetz abgeschafft gehört, sondern sie ist perspektivisch so zu reformieren, dass sie ihrem Zweck der verbesserten Zugänglichmachung von Inhal- ten endlich wirklich gerecht wird. Zweitens. Wenn wir den Rahmen der Betrachtung der Peinlichkeiten dieser Bundesregierung in diesem Be- reich erweitern, sollten wir uns die Grundhaltung des Justizministeriums zum Bereich Wissenschaft und Urhe- berrecht insgesamt näher anschauen. Bereits unmittelbar nach Verabschiedung des sogenannten zweiten Reform- korbes wurden in der Wissenschaft konkrete Forderun- gen nach einem dritten Korb laut. Eine alles in allem moderate Zusammenstellung dieser sorgfältig begründe- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24977 (A) (C) (D)(B) ten Reformforderungen stellen die dazu vorgelegten Pa- piere der Allianz der Hochschulorganisationen dar. Es war damit von Beginn an klar, dass es sich beim dritten Korb primär um einen „Bildungs- und Wissenschafts- korb“ handeln sollte. Das Ziel einer Urheberrechtsre- form im Bereich von Bildung und Wissenschaft muss durch eine verbesserte Zugänglichmachung von Inhalten erreicht werden. Am besten ist dies über eine allge- meine, im Urheberrecht zu verwirklichende Wissen- schaftsschranke zu erreichen, die letztlich hilft, die Ar- beitsmöglichkeiten für Lehrende und Forschende zu beflügeln. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat von Beginn dieser Legislatur an versucht, den Eindruck zu erwe- cken, sie teile dieses Anliegen. Sie hat in einem aufwen- digen Anhörungsverfahren der interessierten Kreise sug- geriert, sie werde konkret liefern. Um die sich seitdem ausbreitende Leere zu überspielen, streute die Justiz- ministerin dann auch noch eine groß angekündigte Urhe- berrechtsrede ein, die allerdings inhaltlich eher ent- täuschte und der zudem eben nichts Konkretes folgte. In ihrem Koalitionsvertrag hieß es noch, man werde zügig die Arbeit am „Dritten Korb“ aufnehmen. Tja, und heute? Es besteht Anlass, zu erwarten, dass von dieser Bundesregierung rein gar nichts mehr zum Wissen- schaftskorb kommen wird – außer der heute diskutierten erneuten Befristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz. Das ist erbärmlich angesichts des drängenden Reformbe- darfs, und zwar bei § 52 b Urheberrechtsgesetz, dessen Beschränkung der Verfügbarmachung von Werken allein an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen vor Ort sowie an den vorhandenen analogen Bestand anachronistisch und wissenschaftsfeindlich wirkt, bei § 53 Urheberrechtsgesetz, der einer effektiven digitalen Langzeitarchivierung völlig unnötige Steine in den Weg legt und damit das kulturelle Gedächtnis der Archive ge- fährdet, bei § 53 a Urheberrechtsgesetz, der den digitalen Kopienversand mittlerweile eher behindert als befördert und für eine Regelung der Zugänglichmachung verwais- ter Werke und eines unabdingbaren Zweitveröffentli- chungsrechts. Weil diese Bundesregierung hier nichts zustande bringt, werden wir deshalb dazu selbst weitere konkrete Vorschläge vorlegen. Denn Bildung und Wissenschaft sind auch zukünftig tragende Säulen unserer Wissensge- sellschaften. Sie stehen in einem internationalen Wettbe- werb der Standorte, und wir drohen durch Ihre Unfähig- keit, Progressives und Zeitgemäßes in diesem wichtigen Bereich auf den Weg zu bringen, einen unserer wert- vollsten Wettbewerbsvorteile überhaupt zu verlieren. Drittens. Damit komme ich – ich kann es Ihnen leider nicht ersparen – zu guter Letzt zum Verhältnis dieser Bundesregierung zum Urheberrecht ganz allgemein. Wir alle wissen doch, dass der Kampf um das Urheberrecht mit harten Bandagen gespielt wird. Vermeidungsverhal- ten seitens der Justizministerin ist da durchaus erklärbar, wobei wir nicht so naiv sind, zu vermuten, dass der wirt- schaftsliberale Teil Ihrer Partei hier keine Rolle spielt. Doch diese hasenfüßige Haltung ist alles andere als klug. Sie schadet langfristig den Urheberinnen und Urhebern und wird am Ende auch für die Unterhaltungswirtschaft alles andere als von Vorteil sein. Denn wir wissen gleichzeitig doch auch, dass die aus der Sache selbst fol- genden Notwendigkeiten der Reform überhaupt nicht mehr zu übersehen sind. Die Akzeptanz des Urheber- rechts in seiner ganzen Kleinteiligkeit und dogmatischen Unübersichtlichkeit droht angesichts der digitalen Revo- lution verloren zu gehen. Wer meint, mit einem rein re- pressiven Vorgehen und einem weiter ausufernden Ab- mahnverfahren die Entwicklung aufhalten zu können, der irrt. Wer glaubt, dass das Recht der Immaterialgüter in erster Linie und vorrangig allein den Urhebern zu dienen habe, der verkennt nicht nur die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieses Rechtsgebietes, sondern auch den Kern des Urheberrechts, der längst und über einen lan- gen Zeitraum zu einem komplexen Recht des Ausgleichs einer großen Anzahl unterschiedlicher und zum Teil deutlich gegenläufiger Interessen gewachsen ist. Man mag in vielen Details in der Sache streiten können, doch insgesamt sind die Forderungen nach Reform und weite- rer Anpassung an die digitalen Veränderungen unüber- hörbar und auch begründet. Die eigens dafür in dieser Legislatur vom Bundestag eingerichtete Enquete-Kom- mission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat dies in ihrer Projektgruppe Urheberrecht und den dazu erfolgten Anhörungen von Sachverständigen eindrucksvoll bestä- tigt. Anstelle weiterer Verschärfungen des Vollzugsappa- rats des Urheberrechts, die ohnehin nur um den Preis der weitestgehenden Abschaffung der Privatheit zu haben wären, bedarf es innovativer Konzepte, die auf die nicht mehr ganz so neuen Entwicklungen in der Sache Ant- worten geben. Wenn der private Tausch und Konsum von urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht in den Griff zu bekommen sind, dann müssen wir doch über Al- ternativmodelle nachdenken, die auf anderen Wegen eine angemessene Vergütung der betroffenen Urheberin- nen und Urheber sicherstellen. Wenn eine Remix- und Mashup-Kultur entstanden sind, die einen ganz neuen ei- genen kreativen Gehalt haben, dann müssen wir doch über Mittel und Wege nachdenken, wie wir diese kreati- ven neuen Formen ermöglichen, anstatt sie zu unterbin- den. Wenn die Einigung über angemessene Vergütungen zwischen Verwertungsgesellschaften und Wirtschaft re- spektive Staat zu scheitern drohen, dann muss doch auf allen Seiten klar sein, dass wir uns in einer Phase des Wandels und des Übergangs befinden, in der starre Ma- ximalpositionen nur zu Stillstand führen, in der also von allen Seiten mehr Beweglichkeit erwartet werden kann. Die Bundesregierung schweigt zu alledem weitge- hend. Sie zieht es vor, im Vorwahlkampf vollkommen in die falsche Richtung gehende Weihnachtsgeschenke in Gestalt eines in die Blöcke diktierten Leistungsschutz- rechts für einige wenige große Presseverlage zu vertei- len. Mit einem solchen Vorgehen beweist sie nur, wie sehr sie noch immer eine Politik verfolgt, die nicht das Gemeinwohl im Blick hat, sondern sich damit begnügt, Partikularinteressen zu bedienen. Statt sich endlich, poli- 24978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) tisch gestaltend, den drängenden Herausforderungen un- serer Zeit zu stellen, beweist die Bundesregierung mit dem Leistungsschutzrecht nur ihre Rückwärtsgewandt- heit. Diese wird Veränderungen nicht aufhalten, nicht bremsen und noch nicht einmal abfedern. Darum brau- chen wir dringend auch in diesem Bereich einen politi- schen Neustart. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Än- derung des Arzneimittelgesetzes; – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: – Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren (Tagesordnungspunkt 38) Dieter Stier (CDU/CSU): Mit dem heute vorliegen- den Entwurf des 16. Gesetzes zur Änderung des Arznei- mittelgesetzes sollen Maßnahmen eingeleitet werden, welche den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhal- tung in Zukunft deutlich reduzieren. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die Entscheidung über eine An- tibiotikavergabe im Stall in hohem Maße von Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein der Verantwortlichen geprägt ist. Ein übermäßiger Einsatz von Antibiotika begünstigt bekanntlich die Entstehung und Verbreitung von Resis- tenzen. Da solche Resistenzen nicht nur in der Human- medizin, sondern auch in der Tierhaltung nicht ge- wünscht sein können, ist es unser aller erklärtes Ziel, einer entsprechenden Entwicklung auf diesem Sektor schnell und wirksam Einhalt zu gebieten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat die Bundes- regierung ein Antibiotikaminimierungskonzept vorge- legt, welches eine deutliche Absenkung der Antibioti- kaanwendungen in der Tierhaltung verfolgt, sehr viel mehr Transparenz beim Einsatz von Antibiotika bietet und eine konsequente Ahndung von Verstößen ermög- licht. Mit dem vorliegenden Gesetz wird der Weg für eine bundesweite Datenbank freigemacht. Damit soll den Be- hörden vor Ort die staatliche Befugnis erteilt werden, auffällig gewordenen Tierhaltern Maßnahmen zur Sen- kung des Antibiotikaverbrauches aufzugeben, wie bei- spielsweise konkrete Anweisungen zur Haltung der Nutztiere. Durch die amtliche Auswertung auf Basis einer soli- den und überbetrieblichen Datengrundlage ist es erst- mals auch bundesweit möglich, Vergleichszahlen zur Therapiehäufigkeit vorzulegen. Sobald ein Betrieb signi- fikant von den bundesweiten Durchschnittswerten ab- weicht, können die Veterinärämter vor Ort einschreiten und Reduzierungsstrategien auferlegen. Offen ist noch die Frage, ob die meldepflichtigen Da- ten zur Therapiehäufigkeit in einer behördlichen zentra- len Datenbank gespeichert werden sollen oder ob dieses Antibiotikamonitoring über das QS-System – Qualität und Sicherheit GmbH – erfasst werden soll. Das QS- System führt bereits seit dem 1. April 2012 die Antibio- tikadatenbank „VetProof“, ein Monitoring- und Reduzie- rungsprogramm, welches mehr als 25 500 Schweine- mast- und über 4000 Geflügelmastanlagen aus dem In- und Ausland in seiner Datenbank führt. Mehr als 420 Tierärzte haben sich für die Teilnahme am QS-Monito- ring angemeldet. Jegliche Antibiotikagabe in diesen Mastbetrieben wird von den behandelnden Tierärzten an die QS-Datenbank gemeldet. Nach Auskunft des QS- Systems mit Stand von September 2012 werden bereits jetzt etwa 90 Prozent der Schweinemast und 95 Prozent der Geflügelmast in Deutschland erfasst. Da bisher noch keine staatliche Datenbank existiert und das QS-System das Antibiotikamonitoring offen- sichtlich recht erfolgreich durchführt, bleibt zu überle- gen, ob man im Hinblick auf die Vermeidung unnötiger Bürokratiekosten die Datenerfassung bei QS belassen sollte. Das Nebeneinander zweier Datenbanksysteme halte ich für ineffizient und schlichtweg zu kosteninten- siv. Über Zugriffsmöglichkeiten der Überwachungsbe- hörden auf die QS-Datenbank könnten wir eine zufrie- denstellende Lösung finden. Bisher überwacht die QS Qualität und Sicherheit GmbH die stufenweise Überwa- chung und Rückverfolgbarkeit landwirtschaftlicher Er- zeugnisse und der daraus produzierten Lebensmittel. QS-Vertreter haben bereits öffentlich kundgetan, dass sie im Falle einer Übertragung der Antibiotikadatenbank eng mit den Behörden kooperieren werden. Warum soll- ten wir also zusätzliche Bürokratie schaffen? Ich persön- lich favorisiere deshalb die Übertragung des Antibiotika- monitorings auf das QS-System. Die vorliegende 16. AMG-Novelle beinhaltet eben- falls eine Kontrollverpflichtung für Tierhalter von be- stimmten lebensmittelliefernden Tieren ebenso wie für die behandelnden Tierärzte. Betriebe mit auffälliger Therapiehäufigkeit müssen von sich aus initiativ werden und den Antibiotikaeinsatz entsprechend minimieren. Liegt der Verbrauch von Antibiotika höher als die bun- desweit ermittelte Kennzahl für den Betriebstyp, muss gemeinsam mit dem behandelnden Tierarzt und der Kon- trollbehörde die Therapiehäufigkeit überprüft werden. Mit dem Ziel einer Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes können die Betriebe verpflichtet werden, Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen, der Gesundheitsvorsorge oder der Haltungsbedingungen zu ergreifen. Dabei wissen wir alle: Je gesünder die Tiere sind, umso weniger Medikamenteneinsatz ist notwendig. Die Gesundheit der Tiere steht in direktem Zusammen- hang mit den Haltungsbedingungen im Stall. Gleichzeitig werden die Tierärzte per Gesetz dazu verpflichtet, auf Anweisung der Überwachungsbehörden der Bundesländer Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika zusammengefasst zu übermitteln. Die Kontrollen für die Überwachung der Betriebe werden somit vereinfacht und beschleunigt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24979 (A) (C) (D)(B) Ich befürworte die im Gesetz festgeschriebene Erwei- terung der Befugnisse der zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden der Bundesländer. Nur mit der engen Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie den Behörden vor Ort erreichen wir die notwendige Kontrolldichte. Durch entsprechende Verordnungser- mächtigte sollen zudem die unzulässigen Umwidmun- gen von Antibiotika eingeschränkt werden, indem zu- nächst ein „Antibiogramm“ über die Wirksamkeit des betreffenden Antibiotikums erstellt werden muss. Die in der Vergangenheit leichtfertig praktizierte Umwidmung von Medikamenten, indem diese entgegen ihrer ur- sprünglichen Anwendungsbestimmung verabreicht wur- den, birgt die große Gefahr einer Resistenzbildung. Auch angesichts der knapp werdenden Reserveantibio- tika, die nur im äußersten Notfall zur Anwendung kom- men, müssen Tierhalter und Tierärzte bei Verstößen gegen arzneimittelrechtliche Vorschriften von den zu- ständigen Stellen der Tierarzneimittelüberwachung stär- ker zur Verantwortung gezogen werden. Ich halte es für richtig, die wenigen schwarzen Schafe der Branche schnell ausfindig zu machen und entsprechend zu sank- tionieren. Trotz verschärfter Restriktionen und engmaschiger Kontrollen bei der Antibiotikavergabe plädiere ich wei- terhin für eine fachgerechte Vergabe der Medikamente, allein beschränkt auf Krankheitsfälle. Es muss weiterhin möglich sein, kranke Tiere entsprechend zu behandeln. Wer als Tierhalter und Tierarzt einen verantwortungsvol- len Umgang mit seinen Tieren pflegt, darf schon aus Tierschutzgründen einem behandlungsbedürftigen Tier die ihm zustehende, medizinisch notwendige Behand- lung nicht verwehren. Vielfach wird derzeit auch eine prozentuale Reduzie- rung der Gesamtmenge der verordneten Antibiotika ge- fordert. Eine solche pauschale Mengenregulierung durch eine fiktiv vorgegebene Prozentzahl halte ich für nicht sachgerecht, weil sie nur an den Symptomen ansetzt und die Ursachen einer übermäßigen Antibiotikaanwendung außer Acht lässt. Eines möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich beto- nen: Wenn wir uns hier auch mit Antibiotikamissbrauch in der Tierhaltung beschäftigen, dann müssen wir uns immer vergegenwärtigen, dass für die Mehrheit der Nutztierhalter das Wohlergehen und die Gesundheit je- des einzelnen Tieres im Vordergrund stehen. Nur wenn Tiere gesund sind, kann Tierhaltung auch zu entspre- chendem wirtschaftlichen Erfolg der Betriebsinhaber führen. Mit der 16. AMG-Novelle wird der rechtliche Rah- men für Vorgaben beim Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin weiterentwickelt. Damit ist eine gute Grundlage geschaffen, um das gemeinsame Ziel, den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung nachhaltig zu senken, zu erreichen. Ich lade Sie herzlich ein, den mit dem heute in erster Lesung eingebrachten Gesetzentwurf eingeschlagenen Weg gemeinsam zu diskutieren und zu einem guten Ergebnis im Verlauf der parlamentarischen Debatte zu führen. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Endlich hat die Re- gierung gehandelt. Das wurde auch Zeit; denn noch mehr Zeitverzug können wir uns angesichts der Brisanz des Themas nicht leisten. Schön, dass die Bundesregierung eine Vielzahl der Punkte in den heute vorliegenden Gesetzentwurf aufge- nommen hat, die die SPD-Bundestagsfraktion bereits im Dezember 2011 in ihrem Antrag eingefordert hatte. Die SPD-Bundestagsfraktion hat Ihnen die Blaupause für ein effektives Antibiotikaminimierungskonzept auf nationa- ler Ebene vorgelegt. Die SPD fordert ein Antibiotika- minimierungskonzept mit klaren und eindeutigen Ziel- vorgaben. Und ich gehe noch weiter; denn ich fordere die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, um in den nächsten zwei Jahren den Antibiotikaverbrauch in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung um 30 Prozent zu senken. Wir brauchen Klarheit und vollständige Transparenz beim Einsatz von Antibiotika in der Nutz- tierhaltung. Dazu sollten alle Daten zu den verabreichten Antibiotika für jeden Betrieb und jeden Tierbestand in einer bundeseinheitlich zentralen Datenbank genau er- fasst und ausgewertet werden. Nur so lässt sich schnell ermitteln, welche Tierhalter überhöhte Antibiotikamen- gen einsetzen. Zukünftig sollten Landwirte und ihre betreuenden Tierärzte gesetzlich dazu verpflichtet werden, unmittel- bar Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn der Antibioti- kaeinsatz in einer Tierhaltung signifikant erhöht ist. Die Experten, Praktiker und ich als Tierarzt wissen doch ge- nau, dass sehr oft der Hygienezustand im Stall darüber entscheidet, welche Mengen an Antibiotika eingesetzt werden. Manch ein Landwirt scheut die erforderlichen Investitionen, etwa in eine bessere Lüftungsanlage, und nimmt dafür Erkrankungen der Tiere bewusst in Kauf. Es ist daher Aufgabe von Landwirt und Tierarzt, ge- meinsam ein Konzept zur Verbesserung des Hygiene- und Gesundheitszustandes im betroffenen Tierbestand zu entwickeln. Geschieht das nicht oder bleibt dies ohne Erfolg, müssen in einer zweiten Stufe die amtlichen Kontrollbehörden einen rechtlich verbindlichen Sanie- rungsplan vorschreiben können. Bleibt auch diese Maß- nahme erfolglos, muss die Produktionseinstellung die letzte Konsequenz sein. Von einem effektiven Antibiotikaminimierungskon- zept ist diese Bundesregierung meilenweit entfernt. Ihr Gesetzentwurf reicht bei weitem nicht aus, um das Pro- blem des überhöhten Antibiotikaverbrauchs in der land- wirtschaftlichen Tierhaltung in den Griff zu bekommen. Überhaupt hat diese Bundesregierung ein grundsätzli- ches Problem; denn sie will zwar die Anwendung von Antibiotika zukünftig stärker überwachen, aber sie nicht anhand klarer Zielvorgaben senken. Aber mehr als 1 700 Tonnen eingesetzte Antibiotika sind einfach zu viel. Die Bundesregierung vermeidet es, in der Gesetzesvorlage eindeutige Zielvorgaben festzuschreiben, an denen sich die Landwirte und Tierärzte orientieren müssen. Auch an anderer Stelle muss die Bundesregierung nachbessern, damit sich in den nächsten Jahren spürbare Erfolge gegen den Antibiotikamissbrauch einstellen. So sollte sie die Datenbank des Deutschen Instituts für 24980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, ausbauen. Zukünftig sollten Apotheken mit einbezogen und die vollständigen Adressen der Tierärzte und die be- zogenen Mengen an Antibiotika erfasst werden. Tier- ärzte und nicht die Landwirte sollten verpflichtet wer- den, in die zentrale Datenbank die Daten zur Antibio- tikaanwendung einzustellen. So lässt sich auch über Bundesländergrenzen hinweg ermitteln, welcher Tierarzt für welche Zwecke wann welche Antibiotika verabreicht hat. Ausländische Tierärzte, die auch in Deutschland Tier- bestände betreuen, werden von der AMG-Novelle bisher nicht erfasst, was insbesondere in grenznahen Regionen zu Überwachungslücken führt. Die Meldeintervalle der Tierärzte müssen in jedem Fall verkürzt werden. Die Meldung des Antibiotikaein- satzes an die zentrale Datenbank muss zeitnah erfolgen. Technisch ist das heute überhaupt kein Problem mehr; es ist auch mit keinen zusätzlichen Kosten verbunden, da die Daten auf Grundlage der Abgabe- und Anwendungs- belege bereits erfasst und vorhanden sind. Spätestens sieben Tage nach Abschluss der Behandlung sollten die Daten in der Datenbank verfügbar sein. Es reicht natürlich auch nicht aus, sich nur um die Mastbetriebe und um Masthühner, Puten und Schweine zu kümmern. Wir müssen eine verlässliche Übersicht über alle Antibiotikaverbrauchsmengen in allen land- wirtschaftlichen Nutztierhaltungsanlagen erhalten: Milch- kühe, Sauen, Legehennen und Fischzuchten müssen in ein novelliertes Arzneimittelgesetz einbezogen werden. Auch halte ich den im Gesetz vorgesehenen Index über die Therapiehäufigkeit für wenig zielführend. Er er- möglicht keine eindeutige Zuordnung, welche Betriebe denn nun wirklich Beratung und Unterstützung benöti- gen. Zur Luftnummer wird die AMG-Novelle spätestens dann, wenn der Gesetzgeber den auffälligen Betrieben Auflagen machen will. Beispielsweise gibt es keine aus- reichende gesetzliche Grundlage, um konkrete Auflagen zur Verbesserung des Startklimas zu machen. Dafür brauchen wir eine verbindliche Rechtsgrundlage. Die bisherige Schweinehaltungshygieneverordnung ist dafür ein untaugliches Instrument. Die aufgeführten Punkte zeigen, wie unausgegoren und lückenhaft der gesamte Gesetzentwurf ist. Das hat der Bundesrat durch 47 Änderungsanträge sehr deutlich gemacht. Die Agrarministerkonferenz kritisiert die AMG-Novelle als nicht ausreichend. Die AMK fordert die lückenlose Verknüpfung der Daten vom Antibiotika- hersteller bis zum Stall. Auch die Verbraucherminister- konferenz fordert ein eindeutiges Antibiotikaminimie- rungskonzept auf Grundlage einer zentralen, bundesein- heitlichen, amtlichen Datenbank mit automatisierten Melde-, Berechnungs- und Informationsprozessen, die auf Betriebs-, Landes- und Bundesebene zeitnahe Aus- wertungen des Einsatzes von Antibiotika ermöglicht. Wir müssen entlang der gesamten Produktionskette den Einsatz von Antibiotika minimieren, und dazu brau- chen wir die Grunddaten. Die Wirtschaft und das QS- System machen uns vor, wie kostengünstig und effektiv die Datenerhebung und -auswertung erfolgen können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liefern 4 050 Geflügelhal- ter und mehr als 25 000 Schweinehalter sowie mehr als 800 Tierärzte Daten für das Antibiotikamonitoring im QS-System. Das System liefert bereits heute relevante Daten, anhand deren die Landwirte und Tierärzte Maß- nahmen ergreifen müssen. In diesem Zusammenhang gebe ich zu bedenken: Ich halte es für problematisch, wie sich das AMG in den letzten Jahren entwickelt hat. Es ist für den Rechtsbe- troffenen kaum noch lesbar. An dieser Stelle appelliere ich an die Bundesregierung, das komplexe AMG lesba- rer und damit vollzugsfähig zu gestalten. Nur wer ver- steht, welche Rechte und Pflichten er hat, kann auch handeln. Ich möchte an dieser Stelle auch die Gelegenheit nut- zen und darauf hinweisen, dass der Antibiotikaeinsatz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht isoliert be- trachtet werden darf. Wir müssen ganzheitlicher denken: Tierhaltungssysteme müssen an die Tiere angepasst wer- den und nicht die Tiere an die Haltungsbedingungen. Die gesamte landwirtschaftliche Nutztierhaltung in Deutschland muss sich stärker an den gesellschaftlichen Anforderungen ausrichten, wenn sie ihre Akzeptanz nicht verlieren will. Die SPD spricht sich dafür aus, zu- sammen mit der Wissenschaft und der Wirtschaft die Haltungssysteme weiterzuentwickeln. Seit Jahren blo- ckiert die Koalition die Umsetzung des Tierschutz- TÜVs für serienmäßig hergestellte Stallsysteme. Wir fordern neue Forschungsansätze zu tiergerechten Hal- tungsformen und für mehr Tierschutz in der Nutztierhal- tung. Die Finanzierung muss durch die Umschichtung von Mitteln aus dem Haushalt des BMELV gewährleis- tet werden. Dazu haben wir in den diesjährigen Haus- haltsberatungen entsprechende Anträge vorgelegt. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt in diesem Zusammenhang auch die Deutsche Agrarforschungsalli- anz, DAFA, die mit ihrer aktuellen Forschungsstrategie einen Weg aufzeigt, um den Dialog zwischen Gesell- schaft, Wirtschaft und Wissenschaft voranzutreiben. Die DAFA definiert Forschungsfelder, die dringend bearbei- tet werden sollten, damit auf wissenschaftlicher Grund- lage der Zustand in der Nutztierhaltung verbessert wird. Die SPD hinterfragt auch die bisherigen Züchtungs- konzepte. Beispielsweise belasten eine sehr kurze Mast- dauer und hohe tägliche Gewichtszunahmen den Orga- nismus von Mastgeflügel bis an die Grenzen. Hier müssen wir zu anderen Lösungen kommen; denn ein gu- ter Gesundheitsstatus der Tiere senkt den Einsatz von Antibiotika weiter. Bei den vielen Unzulänglichkeiten in der Gesetzesno- velle werden wir in den kommenden Wochen intensiv an Verbesserungen arbeiten müssen. Die SPD-Bundestags- fraktion wird ihre Vorschläge durch Änderungsanträge einbringen. Ich hoffe, dass am Ende etwas Anständiges herauskommen wird, damit wir nicht jene im Regen ste- hen lassen, die das Gesetz am Ende umsetzen müssen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24981 (A) (C) (D)(B) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Erstmalig hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel- sicherheit die Antibiotikamenge erfasst und veröffent- licht, die in einem Jahr an Tierärzte und Großhandel abgegeben wurde. Im Jahr 2011 wurden 1 734 Tonnen Antibiotika abgegeben. Selbst angesichts der rund 28,1 Millionen Schweine, 12,5 Millionen Rinder, darun- ter 4,2 Millionen Milchkühe, und der rund 115 Millionen Hühner und 1 Million Pferde, die laut Statistischem Bundesamt in Deutschland gehalten werden, ist diese Menge hoch. Sie ist deutlich höher, als dies von Exper- ten erwartet worden war. Dass diese Informationen jetzt vorliegen, ist nach meiner Ansicht ein wichtiger Fort- schritt. Gemeinsam mit den Untersuchungsergebnissen des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums be- legen sie einen hohen Antibiotikaeinsatz in der landwirt- schaftlichen Tierhaltung. Allerdings ist auch festzustel- len, dass der Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin mit 816 Tonnen ebenfalls sehr hoch ist. Gut geführte Bestände von gesunden Nutztieren brau- chen in der Regel keine oder nur in geringem Umfang Antibiotika. Die Zahlen aus Niedersachsen zeigen je- doch, dass dennoch der Einsatz von Antibiotika in der Mast die Regel und nicht die Ausnahme ist. So wurden in der Kälbermast 92 Prozent der Kälber, bei Puten 84 Prozent, bei Hühnern 76 Prozent und bei Schweinen 68 Prozent der Tiere mit Antibiotika behandelt. Es ist of- fensichtlich: Die bestehenden, unverbindlichen Leitli- nien der Bundestierärztekammer allein haben auf die Anwendung von Antibiotika keinen großen Einfluss ge- habt. Um zu einer Verringerung der Anwendung von Antibiotika in der Nutztierhaltung zu kommen, brauchen wir daher weitere Kontroll- und Anreizsysteme. Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln sich in Bakterien spontan. Dies ist unvermeidbar. Je länger und häufiger ein Antibiotikum in Gebrauch ist, desto schnel- ler verbreiten sich Bakterien, die gegen diesen Wirkstoff resistent sind. Insbesondere multiresistente Keime, die unempfindlich gegen mehrere Antibiotika sind, können nur schwer behandelbare Infektionskrankheiten verursa- chen. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und ESBL-Keime (Extended Spectrum beta-Lactamase). Deswegen sind Antibiotikaresistenzen ein bedeutendes Problem für die öffentliche Gesundheit. Es ist ein Gebot des vorsorgenden Gesundheitsschutzes, Antibiotika sachgerecht, das heißt bei Vorliegen einer bakteriellen Infektion, anzuwenden, um sicherzustellen, dass wirk- same Antibiotika im Notfall zur Verfügung stehen. Angesichts der beschriebenen Situation ist eine Über- arbeitung des Arzneimittelgesetzes dringend erforder- lich. Die niedersächsischen Untersuchungen deuten da- rauf hin, dass in vielen Tierhaltungen Antibiotika eingesetzt werden, um Mängel in der Haltung der Tiere, im Betriebsmanagement und in der Hygiene zu überde- cken. Das kann nicht länger geduldet werden. Die FDP unterstützt im Kern die vorliegende Novelle. Es sollen Kennzahlen erhoben werden, die die im Normalfall er- forderlichen Antibiotikagaben beschreiben. Die Kenn- zahlen verbessern die Möglichkeiten der Eigenkontrolle für Landwirte und schaffen Anreize zur Eigeninitiative. Dabei müssen wir die bereits durch QS privatwirtschaft- lich erhobenen Daten einbinden, um unnötige Bürokratie und Belastungen – insbesondere für kleinere Betriebe – zu vermeiden. Werden diese Kennzahlen überschritten, ist der Tierhalter verpflichtet, einen Managementplan vorzulegen, in dem beschrieben wird, in welcher Weise das Hygiene- und Haltungsmanagement verbessert wer- den soll. Der Plan ist in Zusammenarbeit mit dem be- treuenden Tierarzt zu erarbeiten. Die Tierärzte müssen verstärkt durch Beratungsleistungen in das Bestands- und Hygienemanagement eingebunden und dafür ange- messen entlohnt werden. Damit wird automatisch der Anreiz sinken, Medikamente zu verkaufen. Gleichzeitig ist die Ressortforschung gefordert, Alternativen zum Antibiotikaeinsatz, wie beispielsweise markergestützte Impfungen, zu erforschen. Der im Gesetz vorgeschlagene Ansatz dient der prob- lemorientierten, nachhaltigen Lösungsfindung. Gut ge- führte Betriebe geben das Vorbild und nicht am grünen Tisch festgelegte Reduktionsziele. Ein Verbot des Einsatzes von Antibiotika für Tiere lehnt die FDP ab. Ein krankes Tier muss behandelt wer- den. Ein Verbot begünstigt einen grauen Markt und ver- hindert damit, dass Haltungsprobleme gelöst werden. Ebenso lehnen wir ein abstraktes Ziel der Mengenredu- zierung ab. Solche abstrakten Ziele werden der sehr un- terschiedlichen Situation der verschiedenen Tierhaltun- gen nicht gerecht. Das neue Gesetz erschwert zudem das Umwidmen von Antibiotika und schafft die Möglichkeit, den Einsatz von wichtigen Reserveantibiotika einzuschränken oder zu verbieten. Dies leistet einen wichtigen Beitrag dazu, Resistenzbildungen zu verringern. Die Bundesregierung hat bereits Maßnahmen einge- leitet, um den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu vermindern. Auf der Agrarministerkonferenz wurde die Schaffung einer bundeseinheitlichen amtlichen Daten- bank beschlossen, die zeitnah die Meldungen des Antibiotikaeinsatzes bei landwirtschaftlichen Nutztieren erfassen soll. Wir müssen im parlamentarischen Verfahren darauf dringen, die Erfassung der Kennzahlen transparent zu organisieren und zu verhindern, dass parallele Datenban- ken geführt werden. Gleichwohl ist schon jetzt klar, dass alle diese Maßnahmen Geld kosten. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich darauf einstellen, in Zu- kunft mehr Geld für Fleischprodukte zu bezahlen. Er- höhte Standards im Hygiene- und Haltungsmanagement von Nutztieren verursachen höhere Kosten. In der Charta für Landwirtschaft haben wir erfahren, dass in der Gesellschaft höhere Standards erwünscht sind. Wir hoffen, dass die sich daraus ergebenden Konsequenzen der Kostensteigerung ebenfalls getragen werden. Gleich- zeitig ist zu befürchten, dass die Umsetzung der Maß- nahmen größeren Betrieben leichter fallen wird als klei- neren Betrieben. Deshalb fühlen wir uns verpflichtet, mit Augenmaß die Verringerung der Antibiotikaanwendung zu verfolgen. Dann kann eine für Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch die Tierhalter gute Novellierung des Gesetzes gelingen. 24982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Hans-Michael Goldmann (FDP): Bei dem Ziel, die Antibiotikaabgabemengen in der Tierhaltung zu reduzie- ren, sind wir uns doch hier im Bundestag über alle Frak- tionen hinweg einig. Das Ziel haben im Übrigen auch alle vernünftigen Tierhalter. Das ist einmal wichtig, fest- zustellen. Denn Antibiotika kosten viel Geld, und es liegt im ökonomischen Eigeninteresse der Tierhalter, Kosten zu sparen, wenn dies der Tiergesundheit nicht entgegensteht. Die Änderungsanträge des Bundesrates zeigen, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch über Anpas- sungen diskutieren müssen. Das geht jedoch nur im Dialog mit den Praktikern vor Ort. Denn wir brauchen praktikable Lösungen. Reichen wir also den Tierhaltern die Hand und erkennen sie als konstruktive Partner an, die die Minimierungsziele bei der Antibiotikavergabe ebenso anstreben wie wir hier in Berlin. Was ich aber wirklich strengstens ablehne, ist eine pauschale Verunglimpfung der deutschen Tierhalter, wie es hier nun von mancher Seite als großes Wahlkampf- thema genutzt wird. Natürlich gibt es schwarze Schafe. Die finden wir leider überall. Das ist aber eine Minder- heit. Und genau diese Minderheit müssen wir durch eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes erreichen und fachlich durch die praktizierenden Tierärzte und mit ei- nem praxistauglichen Minimierungskonzept begleiten. Ich betone aber, nicht als Politiker, sondern als ausge- bildeter Tierarzt, dass es eben die praktizierenden Tier- ärzte sind, die die fachliche Eignung für eine Beurtei- lung der Antibiotikaverabreichung und der Stallsysteme aufweisen. Diese müssen wir durch die Novellierung stärken und rechtzeitig in die Prozesse einbinden. Ferner müssen wir noch im parlamentarischen Pro- zess diskutieren, ob es nicht auch sinnvoll ist, den vorge- lagerten Bereich, also die Aufzucht, in das Monitoring zu integrieren, um die gesamte Wertschöpfungskette im Blick zu haben. Denn gerade bei den Muttertieren und der Aufzucht ist eine fachliche Beratung von großer Be- deutung, um keine negativen Folgeerscheinungen in die Mast zu verschleppen. Auch hier müssen wir die Tier- ärzte rechtzeitig einbinden. Aber eines muss auch noch erwähnt werden: Durch das privatwirtschaftliche QS-System erfassen wir bereits seit einiger Zeit Daten. Diese schon existenten Struktu- ren müssen wir nutzen und integrieren, um Doppelerfas- sungen und unnötige Kosten zu vermeiden. Halten wir also fest: Die Koalition stellt sich dem wichtigen Thema in der Nutztierhaltung und wird eine gute Basis für die Problemlösung bei der Vergabe von Antibiotikaabgabemengen finden. Dabei wissen wir, dass es viele Tierhalter gibt, die nach der guten fach- lichen Praxis und im Sinne der Tiergesundheit handeln und letztlich ein gutes, qualitativ hochwertiges Lebens- mittelprodukt erzeugen. Wir wissen aber auch, dass es einige Problembetriebe gibt. Das wird keiner bestreiten. Genau die wollen wir nun zu Verbesserungen anleiten, ohne dabei einen gesamten Berufsstand mit Unterstel- lungen in Verruf zu bringen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): „K. O. den Tierfabriken!“ heißt die aktuelle Kampagne des BUND. Man kann trefflich darüber streiten, was „Tierfabriken“ sind und welchen Beitrag solche Skandalisierungen zur Problemlösung leisten können. Für die Linke sind aber zwei Dinge viel entscheidender: Erstens ist anzuerken- nen, dass es in Teilen der Nutztierhaltung Gesundheits- probleme gibt. Und zweitens können wir die Probleme nur lösen, wenn wir ihre Ursachen und die Verbesserung des Tierwohls in den Mittelpunkt der Debatte rücken. Es muss vor allem um die Qualität der Nutztierhaltung ge- hen. Das ist weit mehr als nur ein Zählappell im Stall. Oder sind 30 000 Legehennen an einem Standort schon deshalb keine Tierfabrik, weil dort Bioeier produziert werden? Als Gesetzgeber tragen wir dabei eine doppelte Ver- antwortung. Wir müssen die Interessen der Konsumen- tinnen und Konsumenten berücksichtigen, die gesunde und bezahlbare Lebensmittel wollen. Gleichzeitig will die Gesellschaft völlig zu Recht eine Tierhaltung, die tierwohlgerecht ist und die natürlichen Lebensbedingun- gen nicht unnötig belastet. Zumindest bezüglich der Pro- duktionskosten ist das ein gewisser Interessenkonflikt, solange zum Beispiel die durch Umweltbelastungen ver- ursachten Kosten nicht in die Erzeugungskosten einge- rechnet, sondern von der Gesellschaft getragen werden. Ohne soziale und ökologische Marktregeln steigt der Druck, möglichst billig zu produzieren, also möglichst viel und möglichst schnell auf derselben Fläche. Be- schleunigt wird diese Entwicklung durch den Trend zur gewerblichen Nutztierhaltung, denn das trennt sie nicht nur von der Landbewirtschaftung, sondern entfremdet sie von landwirtschaftlichen Grundlagen. Multifunktio- nale Betriebe mit Tier- und Pflanzenproduktion werden immer seltener und weichen einer Agrarstruktur, in der die einen nur noch Marktfrüchte anbauen und die Tier- produktion als Lohnarbeit für Lebensmittelkonzerne stattfindet. Das halte ich für hochproblematisch und be- trifft nicht nur die konventionelle Landwirtschaft, son- dern zunehmend auch den Ökolandbau. Wenn die Agrarwirtschaft nicht mehr zuallererst als Versorger im Hinblick auf das öffentliche Gut Ernäh- rungssicherung verstanden wird, sondern nur noch als Rohstofflieferant für die Weiterverarbeitung, hat das schwerwiegende Folgen. Denn das entfremdet sie von den natürlichen Produktionsgrundlagen und von den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Unter diesen Rahmenbedingungen erscheint es einfa- cher, drohende oder bestehende Bestandserkrankungen systematisch mit Antibiotika zu bekämpfen, statt ihre Ursachen zu suchen und zu beseitigen. Das ist das ei- gentliche Problem, das hinter der Zahl von über 1 700 Tonnen Antibiotika steht, die 2011 in deutschen Nutz- tierbeständen angewandt wurden. Auch wenn die Zahl selbst noch nicht viel über das Ausmaß des Problems aussagt, ist unstrittig, dass sie für einen teilweise syste- matischen Missbrauch spricht. Denn Antibiotika sind so- wohl in der Human- als auch in der Tiermedizin so wert- voll, dass sie nur im unvermeidlichen Notfall eingesetzt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24983 (A) (C) (D)(B) werden dürfen. 1 700 Tonnen Antibiotika sprechen eine andere Sprache. Es ist doch nicht hinnehmbar, wenn 2011 neun von zehn Masthühnern in NRW in ihrem sehr kurzen Leben mit Antibiotika behandelt wurden. Die Untersuchungen aus NRW und Niedersachsen erhärteten den Verdacht, dass Antibiotika zu oft und regelwidrig verabreicht wer- den, zum Beispiel zur Verhütung von Infektionen, zur ungezielten Steigerung der Tiergesundheit oder auf Ver- dacht. Das ist unverantwortlich. Stattdessen müssen die Ursachen von erhöhten Infektionsrisiken beseitigt wer- den. Dazu zählen Mängel beim Stallklima, bei der Stall- hygiene, bei der Bestandsbetreuung oder zu große Tier- dichten im Stall oder in der Region. Dazu gehört aber auch mangelndes Wissen über sogenannte Faktoren- krankheiten, die neben den klassischen Infektionskrank- heiten zunehmend zur wirtschaftlichen Bedrohung in der Tierhaltung werden. Unter anderem deshalb fordere ich schon lange ein epidemiologisches Zentrum; denn diese Fragestellungen sind eine andere wissenschaftliche Herausforderung als die Grundlagenforschung zu den klassischen Tierseuchen, die am FLI den Schwerpunkt bildet. Aber auch der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber muss dringend handeln. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster, aber viel zu zaghafter Schritt. Den Missbrauch durch eine Datenbank besser zu lokalisieren, reduziert ihn noch nicht, erst recht, wenn die Entdeckung so wenig verbindliche Konsequenzen hat. Die Stellungnahme des Bundesrates weist auf Defi- zite des Gesetzentwurfs hin und schlägt vernünftige Ver- besserungen vor, zum Beispiel die Berücksichtigung der Antibiotika-Leitlinien der Bundestierärztekammer oder die Dokumentation der verabreichten Tagesdosis statt nur der Arzneimittelmenge in der bundesweiten Daten- bank. Noch besser hätte es der Novelle getan, wenn noch mehr Vorschläge meiner Fraktion Die Linke be- rücksichtigt worden wären. Unser Antrag liegt ja bereits seit Januar 2012 auf dem Tisch (Bundestagsdrucksache 17/8348). Dazu ein paar Beispiele: Erstens. Exzessive und unsachgemäße Antibiotika- Anwendungen sind auch deshalb ein Problem, weil sie das Resistenzrisiko erhöhen. Durch Resistenzen wird die Wirksamkeit der Antibiotika reduziert. Das ist insbeson- dere bei den Wirkstoffen gefährlich, die bei Menschen und Tieren verwendet werden. Deshalb fordern wir, dass Humanantibiotika nicht in Tierställen eingesetzt werden. Zweitens. Eine integrierte veterinärmedizinische Be- standsbetreuung kann zu wesentlich gesünderen Tieren beitragen. Die Tierärzteschaft muss als Verbündete der Tierhalterinnen und Tierhalter sowie der staatlichen Behörden gestärkt werden. Tierärztinnen und Tierärzte wissen, wie Infektionskrankheiten vermieden werden können. Allerdings muss ihre epidemiologische Aus- und Fortbildung gestärkt werden, und die berufsständi- schen Vertretungen müssen konsequent gegen schwarze Schafe in der Tierärzteschaft vorgehen. Drittens. Die geplante Beschränkung der bestandsge- nauen Dokumentation der Antibiotika-Anwendungen auf den Mastbereich ist unsinnig. Viertens. Die Dokumentation allein ist noch kein Fortschritt, sondern muss zu einer umfassenden Problem- analyse und daraus abgeleiteten effektiven und verbind- lichen Kontroll- und Vollzugsmaßnahmen führen. Ziel muss eine risikoorientierte Überwachung als Frühwarn- system für Bestandserkrankungen bei Nutztieren sein. Fünftens. Die Linke fordert eine tierwohlorientierte Neubewertung aller Haltungssysteme. Maximale Besatz- dichten, bezogen auf Stallanlagen, Tierhaltungsstandorte und Regionen, sollten entsprechend der Ergebnisse einer epidemiologischen Bewertung der Infektionsrisiken ge- regelt werden. Sechstens. Die für Beratung und Überwachung zu- ständigen Behörden müssen proaktiv agieren und ihre Vollzugsmöglichkeiten deutlich verbessert werden. Siebtens. Es wird qualifiziertes Betreuungspersonal in der Tierhaltung gebraucht. Die Qualifikation muss min- destens per Sachkundenachweis belegt werden. All dies werden wir in der Anhörung am 28. Novem- ber diskutieren müssen. Leider bleibt nur wenig Zeit zur Debatte. Nachdem sich seitens der Koalition monate- lang nichts getan hat, soll nun der Gesetzentwurf durch das Parlament gepeitscht werden. Anscheinend will Schwarz-Gelb die Antibiotika-Debatte zur Grünen Wo- che 2013 vom Tisch haben. Aber das wird nicht gelin- gen, denn es ist bereits wieder eine große agrarpolitische Demo unter dem Motto „Wir haben es satt!“ in Berlin angekündigt. Und das Motto bezieht sich sicher nicht nur auf die Agrarpolitik, sondern auf Schwarz-Gelb ins- gesamt. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat NRW-Minis- ter Johannes Remmel seine Studie zum skandalösen An- tibiotikaeinsatz in der Geflügelhaltung präsentiert – eine Studie, die gezeigt hat, dass der übergroßen Mehrzahl der Tiere teilweise mehrfach Antibiotika verabreicht wurden, eine Studie, die alle Experten noch einmal in ih- rer Einschätzung bestätigt hat, dass es ein massives Anti- biotikaproblem in deutschen Tierhaltungen gibt, eine Studie, die selbst Sie, Frau Ministerin Aigner, dazu brachte, den Antibiotikaskandal in der Tierhaltung an- zuerkennen. Leider haben Sie, Frau Aigner, die damals geäußerte Betroffenheit wieder einmal nicht in ent- schlossenes Handeln umgesetzt. Stattdessen haben Sie ein geschlagenes Jahr weiter gebremst, gezögert und verschleppt. Mühsam haben Ihnen die Expertinnen und Experten, die Bundesländer und vor allem die empörte Öffentlich- keit nun einen Gesetzentwurf abgerungen. Bei den darin enthaltenen Maßnahmen geht es jedoch nur darum, den Status quo weiterhin staunend zu betrachten und zu ze- mentieren. Auf massiven Druck der Länder haben Sie nun wenigstens den Gedanken einer zentralen Daten- bank aufgenommen. Die Erfassung, die Sie vorsehen, ist jedoch hochkompliziert, intransparent und völlig un- 24984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) praktikabel. Wir unterstützen daher die Länder, ange- führt von NRW, wenn sie sagen: Wir wollen, dass Tier- halter oder Tierärzte ihre Daten unmittelbar in eine zentrale Datenbank eingeben; die Länder sollen sofort Zugriff haben und Raster entwickeln können, um Be- triebe mit auffällig hohem Antibiotikaeinsatz herauszu- filtern. Ihre Hürden und Hemmnisse für die Landeskon- trollbehörden müssen raus aus dem Gesetz! Wenn Antibiotika prophylaktisch eingesetzt werden, ist das illegal und kriminell, und der Staat muss dement- sprechend reagieren. Es kann nicht sein, dass die Täter mit Samthandschuhen angefasst werden. Wer kriminell handelt, muss mit Konsequenzen rechnen. Die Reduk- tionsmaßnahmen, die Sie vorgeben, sind jedoch zahn- lose Tiger. Wenn in Ställen ein überdurchschnittlicher Antibiotikaeinsatz festgestellt wurde, sollen die Tier- ärzte mit den Tierhaltern Reduktionspläne erarbeiten. Ziel ist es, den Einsatz auf den ohnehin skandalös hohen Durchschnittswert zu senken. Gelingt das nicht, sind nicht einmal Sanktionen vorgesehen. Wohin wollen Sie mit diesem Gesetz? Wir müssen den massiven prophy- laktischen Antibiotikaeinsatz entschlossen bekämpfen. Mit Ihren Maßnahmen kommen wir diesem Ziel keinen Schritt näher. Wir knipsen nur einige weitere Lichter an, um den Antibiotikaskandal noch besser auszuleuchten, der schon heute offensichtlich ist. Frau Ministerin Aigner, mit Ihrem Agieren seit einem Jahr machen Sie deutlich, dass Ihnen ein Masterplan fehlt. Getrieben von der öffentlichen Debatte, schlagen Sie ein paar Maßnahmen im AMG vor, nur um einen Ar- beitsnachweis zu haben. Aber daran werden Sie nicht gemessen. Die Menschen fragen: Was tun Sie, um den massiven Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu be- kämpfen – laut BVL 1 734 Tonnen im Jahr 2011? Was tun Sie, um der Expansion von Tierfabriken entgegen- zuwirken, für deren Produktion Antibiotika die Schmier- mittel sind? Was tun Sie gegen die Ausbreitung von multiresistenten Keimen und die zunehmende Unwirk- samkeit von Antibiotika? Nichts, nichts und noch einmal nichts. Sie erstarren, weil Sie Angst davor haben, Verantwortung zu überneh- men, und regelmäßig vor der Interessenlobby einknicken. Dabei wissen Sie genau, dass wir nur mit Änderungen im System den Antibiotikaeinsatz wirksam senken wer- den. Wir müssen endlich die Haltungssysteme umbauen. Runter mit den Tierplatzzahlen! Mehr Platz, mehr Aus- lauf, mehr Außenklimabereiche! Wir müssen raus aus der bedingungslosen Bestandsbehandlung – gerne durch den Begriff Metaphylaxe vernebelt. Was ist Metaphy- laxe für ein Rechtsbegriff, Frau Ministerin? Glauben Sie, dass dieser Begriff justiziabel ist? Ich glaube das nicht. Wir brauchen endlich Festpreise für Antibiotika. Die Subventionierung der Autobahntierärzte muss been- det werden. Frau Ministerin Aigner, das sind die zentralen Fragen, die Sie angehen müssten. Leider akzeptieren Sie jedoch ohne Protest den engen Gestaltungsrahmen, den Ihnen die Agrarlobby setzt. Wir werden sehen, ob Sie selbst Ihre Schmalspurmaßnahmen zum AMG am Ende kom- plett einstampfen, wie Sie es gerade mit dem Tierschutz- gesetz gemacht haben, als Ihnen der Lobbydruck aus den eigenen Reihen zu groß wurde. Gut für Sie, dass Sie bald in Bayern sind und hoffentlich mehr politischen Frei- raum in der Opposition haben. Noch besser für die Bür- gerinnen und Bürger, dass sie 2013 mit ihrer Stimme Schwarz-Gelb abwählen können und Ihnen die Verant- wortung entziehen, vor der Sie sich ohnehin immer ge- drückt haben. Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- schutz: Ich spreche heute zu einem Thema, das mir auch als Landwirt sehr am Herzen liegt. Tiergesundheit ist eine entscheidende Voraussetzung für das Wohlergehen und die Leistung von Tieren. Si- chere Lebensmittel können nur von gesunden Tieren ge- wonnen werden. Den Einsatz von Antibiotika in einigen Arten der Tierhaltung betrachten wir mit Sorge. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit: Der Einsatz von Anti- biotika ist auf ein Minimum – nämlich auf das therapeu- tisch Notwendige – zu beschränken. Bereits heute ist der Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer verboten. Und der Einsatz von Anti- biotika – prophylaktisch, also zur Vorsorge gegen eine mögliche Erkrankung – ist ebenfalls bereits verboten. Damit ist klar: Wer Antibiotika bei Tieren einsetzt, die nicht erkrankt sind, verstößt gegen geltendes Recht. Wir verschließen nicht die Augen vor den bestehen- den Problemen. Wir wollen sie lösen. Sowohl die aus den Ländern vorliegenden Erkenntnisse zum Antibiotika- einsatz vor Ort, als auch die kürzlich veröffentlichte Gesamtmenge der antimikrobiellen Wirkstoffe in der Tierarztpraxis von 1 734 Tonnen unterstreichen die Be- deutung des Antibiotikaminimierungsprogramms der Bundesregierung. Wir gehen kontinuierlich und ent- schlossen vor. Der Kampf gegen die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Tierhal- tung wurde bereits vor mehr als zehn Jahren aufgenom- men und durch strenge Vorgaben im Umgang mit Tier- arzneimitteln im AMG festgeschrieben. 2008 hat die Bundesregierung eine Antibiotikaresistenzstrategie be- schlossen. Jetzt legen wir einen weiteren Gesetzentwurf zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes vor. Um den Missbrauch von Antibiotika in der Tierhal- tung einzudämmen, hat die Bundesregierung einen Ent- wurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgelegt. Wir werden den Ländern noch mehr Möglichkeiten ge- ben. Nach meiner Meinung schöpfen die Länder die be- reits heute vorhandenen Möglichkeiten nicht aus. Sie werden künftig Ihre Überwachungsaufgaben – noch ef- fektiver – erfüllen können. Wir alle verfolgen in diesem Zusammenhang dasselbe Ziel. Das wird unterstrichen durch den Beschluss des Bundesrates vom 10. Februar 2012 sowie die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz vom Januar 2012 und vom April 2012. Wir haben diese Beschlüsse mit dem Ent- wurf eines 16. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittel- gesetzes zielgerichtet aufgegriffen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24985 (A) (C) (D)(B) Als Kernstück enthält der Gesetzentwurf einen Rechtsrahmen für ein innovatives betriebsgestütztes An- tibiotikaminimierungskonzept. Die in den §§ 58 a bis 58 d getroffenen Maßnahmen sind ein ineinandergrei- fendes System und gezielt darauf ausgerichtet, den Anti- biotikaeinsatz im Betrieb transparent und bundesweit vergleichbar zu machen. Ziel ist es, den Einsatz von Anti- biotika in Betrieben, die Rinder, Schweine, Huhn und Pute mästen, zu überprüfen und, sofern erforderlich, zu minimieren. Der auf wissenschaftlich-epidemiologischer Grundlage ermittelte Parameter der „Therapiehäufig- keit“ ermöglicht eine Beurteilung des quantitativen Ein- satzes von Arzneimitteln auf Betriebsebene. Neben einer betriebsbezogenen Therapiehäufigkeit gibt es auch bun- desweite Kennzahlen für die Therapiehäufigkeit. Der Tierhalter muss feststellen, ob die Kennzahl für seinen Betrieb im Vergleich zur bundesweiten Kennzahl über- schritten ist. Beim Überschreiten soll er eine Ur- sachenprüfung durchführen sowie die Minimierung des Antibiotikaeinsatzes überprüfen. Der Tierhalter muss ge- gebenenfalls einen schriftlichen Antibiotikaminimie- rungsplan erstellen und durchführen. Es macht an dieser Stelle keinen Sinn, konkrete Pro- zentvorgaben für die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes festzulegen. Denn es muss stets möglich sein, dass ein krankes Tier behandelt werden kann. Dies ist aus Tier- schutzaspekten der einzig richtige Weg. Insgesamt ermöglicht es das Antibiotikaminimie- rungskonzept der §§ 58 a bis 58 d, die Überwachungs- maßnahmen risikoorientierter zu planen und somit wei- ter zu verbessern. Als Weiteres werden Ermächtigungen für neue Rege- lungen geschaffen. Die Regelungen sollen insgesamt ei- nen wichtigen Beitrag zur Wahrung der Lebensmittel- sicherheit und zur Optimierung der Tierhaltung leisten. Um auf meine Eingangsbemerkung zurückzukom- men: Im Zusammenhang mit diesem Thema verfolgen wir alle dasselbe Ziel. Ich freue mich, dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 2. November 2012 aus- drücklich den mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten Einstieg in ein Antibiotikaminimierungskonzept be- grüßt. Er macht deutlich, dass eine schrittweise Umset- zung des Konzeptes, beginnend mit dem Mastbereich, eine intensivere Begleitung der auffälligen Betriebe er- möglicht. Die Bundesregierung bereitet zurzeit die Ge- genäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates vor. Der Weg der Bundesregierung ist klar: – Wir verschärfen die rechtlichen Bestimmungen, um den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung auf das absolut notwendige Maß zu beschränken. – Wir erweitern deutlich die Befugnisse der zuständi- gen Kontroll- und Überwachungsbehörden der Län- der. Wir können unser gemeinsames Ziel – die Minimie- rung des Antibiotikaeinsatzes – nur dann erreichen, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Wir hoffen auf eine zügige Beratung in den Gremien des Bundestages. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Zusatztagesord- nungspunkt 8) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2008 entschieden, wie und welche Daten von Bürgern der Europäischen Union, die nicht Bundesbürger sind, im Ausländerzentralregister, AZR, gespeichert und wei- ter übermittelt werden dürfen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung das Urteil konsequent in geltendes Recht um. Es wird festgelegt, welche Daten von Unionsbürgern im AZR gespeichert werden und an welche Behörden Daten von Unionsbür- gern übermittelt werden dürfen. Schon nach Urteilsverkündung hat die Bundesregie- rung die für die Führung des AZR zuständigen Behörden angewiesen, die Daten von Unionsbürgern nur noch nach Maßgabe des Urteils zu speichern und zu übermit- teln. Die momentane Praxis entspricht somit größtenteils dem vorliegenden Gesetzentwurf und wird durch diesen auf eine solide gesetzliche Grundlage gestellt. Die Wichtigkeit des Ausländerzentralregisters bleibt dabei unbestritten. Es ist wichtige Informationsquelle für mehr als 6 500 Partnerbehörden. Es dient den Verwal- tungsbehörden zur Erfüllung von Aufgaben im auslän- der- und asylrechtlichen Bereich, hat Unterstützungs- funktion als Instrument der öffentlichen Sicherheit und wird für ausländerpolitische Planungen sowie für die Er- mittlung steuerungsrelevanter Daten verwendet. Ohne diese Daten aus dem AZR wäre es zum Beispiel kaum möglich, die Integrationsindikatorenberichte der Bun- desregierung zu erstellen und die Lage der Ausländer und Migranten in unserem Land aufgrund einer soliden Datenbasis zu ermitteln und zu beurteilen. Unsere Fraktion begrüßt sehr, dass durch die vorlie- genden Änderungen ein weiterer Schritt getan wird, um Unionsbürger und Bundesbürger auf eine gleiche Stufe zu stellen. Aufgrund der Europäischen Einigung ist es zudem geboten, zwischen Bürgern aus anderen EU-Staa- ten und Bürgern aus Drittstaaten zu differenzieren. Im Ausländerzentralregister wird daher nun konsequent zwischen Unionsbürgern und Menschen aus Drittstaaten unterschieden. Die Speicherung von personenbezogenen Daten der Unionsbürger soll nun nur noch möglich sein, wenn die Daten zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschrif- ten benötigt werden. Dies ist der Fall, wenn der Unions- bürger zum Beispiel einen Antrag auf Asyl stellen sollte oder gegen ihn aufenthaltsrechtliche Entscheidungen ge- troffen worden sind oder er zur Festnahme oder zur Zurückweisung an der Grenze ausgeschrieben ist. In die- sen Fällen werden die Daten unbedingt benötigt und im AZR erfasst. Der Sicherheitsaspekt bleibt hier sehr wichtig, damit Kriminelle und Terroristen sich nicht hin- ter einer möglichen Unionsbürgerschaft verstecken kön- nen. 24986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Entsprechend der Zielsetzung der Datenerfassung re- gelt das Änderungsgesetz, dass die Daten nur an solche Behörden und öffentliche Stellen weitergegeben werden dürfen, die mit einem asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Anliegen befasst sind. Nur solche Stellen dürfen entspre- chend Suchvermerke verfassen. Dabei gelten diese Regelungen nicht für Unionsbür- ger, bei denen die Freizügigkeitsrechte nicht bestehen oder die diese verloren haben. Es gilt auch hier der Grundsatz, dass es die Bürgerrechte nur bei Einhaltung der Bürgerpflichten gibt. Wer seine Freizügigkeitsrechte durch kriminelles Handeln verspielt, muss die entspre- chenden Konsequenzen tragen. Dank dieser Neuregelung wird es so sein, dass bei ei- ner Polizeikontrolle die Polizei der Länder direkt fest- stellen kann, ob ein kontrollierter Ausländer aus anderen EU-Staaten seine Freizügigkeitsrechte besitzt oder nicht und dann eventuell gegen Recht und Gesetz verstößt. Sollte alles seine Richtigkeit haben und die Freizügig- keitsrechte vorliegen, zeigt die Datenbank den Polizei- beamten keine persönlichen Daten an, sondern nichts an- deres als diese entscheidende Information. Damit wird der Datenschutz auf höchstem Niveau gewahrt. Eine wichtige Gleichstellung zwischen Unionsbür- gern im AZR und Bundesbürgern im sonstigen Erfas- sungswesen ist die Regelung, dass von den Bürgern aus den EU-Staaten nur die sogenannten Grunddaten gespei- chert werden dürfen. Also hauptsächlich Name, An- schrift, Geburtsdatum und -ort, Geschlecht und Staats- angehörigkeit. Natürlich ist es weiterhin wichtig, zu wissen, wie viele Ausländer auch aus EU-Ländern in Deutschland leben und sich hier aufhalten. Daher regelt das Gesetz zum AZR auch ausdrücklich, dass die Daten für statisti- sche Zwecke aufbereitet werden dürfen. Hierzu müssen die Daten anonymisiert werden. In diesem Zusammenhang halte ich die sogenannte Forschungsklausel für wichtig. Sie ist nicht Bestandteil der Urteilsumsetzung des EuGH, sondern Ausdruck der positiven Erfahrung mit Studien, Berichten und Analy- sen auf wissenschaftlicher Basis zu den in der Bundesre- publik lebenden Ausländern. Zur Durchführung von wissenschaftlichen Studien und für Repräsentativbefragungen dürfen die personen- bezogenen Daten, so auch die Anschriften von Auslän- dern, die nicht freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger sind, aus dem AZR übermittelt werden. Damit der wis- senschaftliche Zweck und die Vertraulichkeit der Daten gesichert bleiben, wird diese Vorschrift auf das Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge beschränkt, wo dies vollumfänglich durch die Kontrolle der Bundesregierung gewährleistet werden kann. So können wissenschaftliche Forschungsvorhaben durch das BAMF durchgeführt werden. Die Veröffentlichung der Ergebnisse muss selbstverständlich in anonymisierter Form erfolgen. Ich halte solche Studien für sehr wichtig, um eine gute Politik für die in Deutschland lebenden Ausländer machen zu können. Auf Grundlage einer solchen soliden Datenbasis und wissenschaftlichen Betrachtungen kann man als Politiker verantwortungsvoll Entscheidungen treffen. Es reicht eben nicht, sich von emotionalen Ein- zelschicksalen oder lokalen persönlichen Beobachtun- gen leiten zu lassen, wie es mancher Kollege der Oppo- sition gerne mal tut – so hat man zumindest häufiger mal den Eindruck. Eine weitere Neuregelung nimmt den Fall auf, dass ein Gerichtsvollzieher Daten über einen Schuldner beim AZR anfragt, ein Umstand, der durchaus realistisch ist. Hier wurde ein wertvoller Hinweis des Bundesrates auf- genommen und in modifizierter Form in das Gesetz ein- gefügt. Dies wird durch eine Änderung der Zivilprozess- ordnung erreicht. Ein Gerichtsvollzieher darf nur in Ausnahmefällen eine Anfrage für die personenbezogenen Daten eines Unionsbürgers beim AZR stellen, nämlich dann, wenn er begründete Anhaltspunkte hat, dass bei dem Unionsbür- ger, der der Schuldner ist, die Freizügigkeitsrechte nicht bestehen oder verloren sind. Auf diese Weise soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Anfrage ausschließ- lich auf konkrete Veranlassung hin unternommen wird. Da sich ein Gerichtsvollzieher mit dem Schuldenfall und den Gläubigern intensiv auseinandersetzen muss, glaube ich, dass solche Anhaltspunkte realistischerweise sehr schnell auf der Hand liegen können, wenn die Frei- zügigkeitsrechte tatsächlich nicht bestehen. Dadurch, dass das Bestehen solcher Anhaltspunkte vorausgesetzt wird, werden offensichtlich aussichtslose Anfragen an das AZR vermieden und damit Kosten und Verwaltungs- aufwand im erheblichen Umfang eingespart. Die Daten aus dem AZR dürfen dem Gerichtsvollzie- her natürlich nur dann übermittelt werden, wenn sich der begründete Verdacht als richtig herausstellt, dass der be- troffene Unionsbürger die Freizügigkeitsrechte momen- tan nicht besitzt. Abschließend möchte ich betonen, dass die christlich- liberale Bundesregierung ein sehr gutes Gesetz vorgelegt hat, das die Vorgaben der europäischen Rechtsprechung konsequent umsetzt und sinnvolle Regelungen zur wis- senschaftlichen Forschung, zum Datenschutz und zum Zivilprozessrecht enthält. Die rechtliche Unterscheidung zwischen Unionsbür- gern und Drittstaatsangehörigen ist wichtig. Die weitere Angleichung der Stellung von Unionsbürgern und deut- schen Staatsangehörigen bedeutet einen weiteren Schritt voran in der Europäischen Einigung und zur Stärkung der Europäischen Nachbarschaft. Rüdiger Veit (SPD): Wie die Bundesregierung ein- leitend zu ihrem Gesetzesentwurf ausführt, dient der Ge- setzentwurf in erster Linie dazu, die deutsche Rechtslage dem Urteil des EuGH vom 16. Dezember 2008 anzu- passen. Der EuGH hatte in seinem Urteil ausgeführt, dass die personenbezogene Speicherung von Daten von Unionsbürgern im AZR nur unter bestimmten Vorausset- zungen zulässig ist. Aufgrund dieser Vorgabe ist eine Einschränkung der Nutzung und Speicherung von Daten von Unionsbürgern europarechtlich geboten und wird nun in dem vorliegenden Gesetzentwurf von der Bun- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 24987 (A) (C) (D)(B) desregierung vorgenommen. Wir unterstützen das. Und, da die Entscheidung des EuGH schon vier Jahre zurück- liegt, ist eine solche Änderung des AZR auch überfällig. In dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung aller- dings auch eine eigene Ermächtigungsgrundlage zur Verarbeitung personenbezogener Daten für das Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, schaffen. Diese Ermächtigungsgrundlage soll es dem BAMF er- möglichen, auf Daten des AZR zuzugreifen, um „wis- senschaftliche Studien und Repräsentationsbefragungen über in Deutschland lebende Ausländer … durchführen zu können“. Nach dem Gesetzentwurf sind die personenbezoge- nen Daten des AZR zu diesem Zweck zu pseudonymi- sieren, allerdings nur, wenn dies „nach dem Forschungs- zweck möglich ist und keinen im Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck unverhältnismäßigen Auf- wand erfordert“. Das ist uns zu weitgehend. Aus Daten- schutzgesichtspunkten finden wir eine grundsätzliche Anonymisierung besser als eine Pseudonymisierung; denn bei der Pseudonymisierung ist die Zuordnung der Daten zu einer konkreten Person unter Zuhilfenahme des richtigen Schlüssels weiterhin möglich. Bei der Anony- misierung ist dies nicht mehr der Fall. Als weitere Schutzmaßnahme für die im AZR gespei- cherten Daten von Ausländern wäre für uns auch die Zu- sammenfassung von anonymisierten Datensätzen nach bestimmten Merkmalen denkbar. Diese von uns ange- regte Schutzmaßnahmen sollten nicht unter einem derart weiten Vorbehalt stehen, wie es im vorliegenden Gesetz- entwurf die Pseudonymisierung betreffend der Fall ist. Wir stehen dem Gesetzentwurf daher insgesamt ab- lehnend gegenüber. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Durch den vor- liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung wird das Ausländerzentralregistergesetz angepasst. Notwendig geworden ist die Anpassung durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die be- sagt, dass personenbezogene Daten von Unionsbürgern nur unter bestimmten Voraussetzungen in einem Regis- ter wie dem Ausländerzentralregister gespeichert und genutzt werden dürfen. Daten von Unionsbürgern, die nicht Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland sind, dürfen demnach in einem Register wie dem Ausländerzentralregister nur dann gespeichert und genutzt werden, wenn diese Daten für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften durch die hierfür zuständigen Behörden erforderlich sind und der zentralisierte Charakter des Ausländerzentral- registers eine effizientere Anwendung der aufenthalts- rechtlichen Vorschriften in Bezug auf das Aufenthalts- recht von Unionsbürgern erlaubt. Auch den entsprechenden Änderungswunsch des Bundesrates hat die Regierungskoalition übernommen: Auf diese Weise soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Anfrage an das Ausländerzentralregister durch den Gerichtsvollzieher bei Unionsbürgern lediglich auf eine konkrete Veranlassung hin unternommen wird. Der Gesetzentwurf schafft so für alle Beteiligten mehr Rechtssicherheit. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es geht heute um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländerzen- tralregisters, wodurch die Speicherung der Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern mit dauerhaftem Aufent- halt in Deutschland eingeschränkt werden soll. Das Aus- länderzentralregister ist eine wesentliche Säule der da- tenmäßigen Totalerfassung von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland. Es bestehen insgesamt fast 30 Dateien und Zentralregister, in denen diese Gruppe erfasst wird. Hinzu kommen die Dateien und Daten- sammlungen der kommunalen Ausländerbehörden und der zentralen Ausländerbehörden der Länder. Am lau- fenden Band kommen neue Dateien hinzu, wie die von der Koalition in dieser Wahlperiode beschlossene Visa- warndatei. Diese Datei zeigt ganz deutlich, dass die zen- trale Sondererfassung von Ausländerinnen und Auslän- dern überflüssig ist. Alle Daten sind auch in anderen zentralen Registern und bei den kommunalen Meldebe- hörden erfasst und verfügbar. Die zentrale Erfassung von Ausländerinnen und Ausländern, viele davon mit dauer- haftem Aufenthalt in Deutschland, ist eine Diskriminie- rung dieser Menschen. Die Linke setzt sich deshalb grundsätzlich für die Abschaffung des Ausländerzentral- registers ein. Nun hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem zumindest die Speicherung der Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland eingeschränkt werden soll. Auch diese Einschränkung erfolgt nicht freiwillig. Sie geht zurück auf eine Vorlageentscheidung des Europäi- schen Gerichtshofs, der vor einigen Jahren die Frage zu klären hatte, ob die generelle Erfassung und Verarbei- tung personenbezogener Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern in einem zentralen Ausländerregister über- haupt mit EU-Recht vereinbar ist. Die Antwort war ganz eindeutig: Es dürfen nur die Daten gespeichert werden, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen des Auf- enthaltsrechts in Deutschland festzustellen. Diese Daten dürfen auch nur dann weitergegeben werden, wenn die mit dieser Feststellung betrauten Behörden sie abfragen. Diese Beschränkungen werden durch das vorliegende Gesetz weitgehend umgesetzt. Das ist im Sinne der EU- Bürgerinnen und -Bürger sicherlich zu begrüßen. Bei dieser Gelegenheit hätten aber die insgesamt im Auslän- derzentralregister gespeicherten Daten und die Zahl der zugriffsberechtigten Behörden stark eingeschränkt wer- den müssen. Für alle anderen Ausländerinnen und Aus- länder in Deutschland ändert sich durch diesen Gesetz- entwurf nichts. Weiterhin sind neben den Angaben zur Person viele weitere Daten enthalten, beispielsweise zum Verdacht auf Straftaten oder zu Verurteilungen, Lichtbilder, sogar sozialrechtliche Daten. Alle diese Da- ten gibt es bereits bei anderen Behörden, in deren Zu- ständigkeitsbereich sie fallen: Polizei, Staatsanwalt- schaft, Bundesagentur für Arbeit und Meldebehörden. 24988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 (A) (C) (D)(B) Eine doppelte und dreifache Speicherung dieser Daten ist überflüssig und aus datenschutzrechtlicher Sicht da- mit auch nicht verhältnismäßig. Die genannten Daten sind von anderen Behörden, bei- spielsweise der Polizei, in einem automatisierten Verfah- ren abrufbar. Das bedeutet, dass nicht geprüft wird, ob die abrufende Stelle, also die Polizei oder andere, diese Daten auch wirklich zu ihrer Aufgabenerfüllung benö- tigt. Im Ausländerzentralregister ist sogar vorgesehen, Gruppenauskünfte zu bestimmten Ausländerinnen und Ausländern abrufbar zu halten. Das ist nichts weniger als die rechtliche und technische Grundlage für Rasterfahn- dungen. Damit sind Ausländerinnen und Ausländer be- sonders anfällig für Maßnahmen der Sicherheitsbe- hörden, die weit in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Das Ausländerzentralregister ist nichts anderes als Diskriminierung per Gesetz. Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf wird diese Diskriminierung für einen Teil der Betroffenen abgemildert – und damit nur neue Dis- kriminierung geschaffen. Das ist schlicht Murks und sicherlich nicht im Sinne der Entscheidung des EuGH. Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf deshalb ab. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Ausländerzen- tralregisters enthalten. Positiv ist zwar die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes. Jedoch wi- dersprechen wir der Verarbeitung und Nutzung von per- sonenbezogenen Daten zu Forschungszwecken, die dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, ge- stattet werden sollen. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 2008 ent- schieden, dass personenbezogene Daten von Unionsbür- gerinnen und -bürgern nicht für Sicherheits- und Strafver- folgungszwecke im Ausländerzentralregister gespeichert und genutzt werden dürfen. Die Ungleichbehandlung ge- genüber Deutschen sei nicht zu rechtfertigen und daher diskriminierend. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dient im Wesentlichen der Umsetzung dieser Entscheidung des EuGH. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt unseres Erachtens die europäischen Vorgaben sachgerecht um. Das kann man von der Bundesregierung auch erwarten. Schließlich hat sie sich dafür mehr als vier Jahre Zeit ge- lassen. So wurde insbesondere der Umfang der von frei- zügigkeitsberechtigten Unionsbürgern zu speichernden Daten hinreichend begrenzt. Zum Beispiel sollen keine Lichtbilder mehr gespeichert werden. Außerdem wurde die Weitergabe der Daten an Behörden auf die unmittel- bare Durchführung ausländer- und asylrechtlicher Vor- schriften begrenzt. Daten dürfen jetzt nicht mehr an den Verfassungsschutz weitergegeben werden. Auch sind für Unionsbürgerinnen und -bürger keine sogenannten Grup- penanfragen mehr möglich. Im Rahmen von Polizeikon- trollen wird bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbür- gern lediglich festgehalten, dass eine Feststellung über das Nichtbestehen bzw. den Verlust des Freizügigkeits- rechts nicht erfolgt ist. Kritisch sehen wir dagegen die Vorschrift über die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Zwecken nach § 24 a AZR-GE. Diese neue Ermächtigungsgrundlage des BAMF hat nichts mit dem in Rede stehenden Urteil des EuGH zu tun. Sie ist zu weitgehend und lässt viele Fragen offen. So müssen nach dem Vorschlag der Bundesregierung die Daten nicht zwingend anonymisiert oder auch nur pseudonymi- siert werden. Die personenbezogenen Daten dürfen schon dann gespeichert und genutzt werden, wenn eine Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. Außer- dem ergibt sich nicht aus dem Gesetzestext, sondern erst aus der Gesetzesbegründung, dass das BAMF gegebe- nenfalls zusätzliche Daten erheben soll und zu diesem Zweck die betroffenen Personen anschreiben darf. Offen bleibt, zu welchem Zweck hier welche Daten erhoben werden können. Und wie steht es eigentlich mit der Frei- willigkeit der Datenherausgabe? Das ist jedenfalls kein seriöser Vorschlag, wie der Staat Informationen seiner größten Datenbank der Forschung zugänglich machen will. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir die umfassenden Zugriffsmöglichkeiten von Polizei, Nachrichtendiensten und Ordnungsbehörden auf das AZR insgesamt für sehr problematisch halten und diese eingrenzen möchten. Das Ausländerzentralregister ist mit rund 20,5 Millionen personenbezogenen Datensätzen eine der größten staatlichen Datenbanken in Deutschland. Es dient der Erfüllung von Aufgaben im aufenthalts- und asylrechtlichen Bereich, zusätzlich aber auch Sicher- heitszwecken. Im AZR werden Daten von Ausländerin- nen und Ausländern gespeichert, die in Deutschland le- ben bzw. gelebt haben, aber auch Visadaten oder Infor- mationen über Ausweisungen. Polizei und Nachrichten- dienste können über Gruppenanfragen die Daten aller Personen mit bestimmten Merkmalen wie etwa Religi- onszughörigkeit oder Geburtsort abfragen und zur Ras- terfahndung nutzen. 204. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitrechts TOP 4 Umgang mit der NS-Vergangenheit TOP 49, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 50, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 4 Aktuelle Stunde zur Zwischenbilanz ein Jahr nachBekanntwerden der NSU-Terrorzelle TOP 5 Finanzierung der Grundsicherung (SGB XII) TOP 6 Transatlantische Beziehungen TOP 11 Bundeswehreinsatz in Darfur (UNAMID) ZP 5, TOP 46, ZP 6 Nebentätigkeiten von Abgeordneten, Parteispenden TOP 13 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 10 Bekämpfung des Dopings TOP 9 Recht der Sicherungsverwahrung TOP 12 Menschenrechte in Zentralasien TOP 7 Markttransparenzstelle für Gas- und Stromhandel TOP 14 Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz TOP 15 Regelung des OTC-Derivate-Handels (EMIR) TOP 16 Aufnahme syrischer Flüchtlinge TOP 17 Ergänzung des Geldwäschegesetzes TOP 18 Energiesteuer- und Stromsteuergesetz TOP 19 US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland TOP 20 Fakultativprotokoll über Rechte des Kindes TOP 21 EU-Notfallpläne und Kontrollen im Seeverkehr TOP 22 SEPA-Begleitgesetz TOP 23 Mitwirkungsrecht von Kommunen bei Gesetzgebung TOP 24 Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 TOP 25, ZP 7 Offenlegungspflichten für Unternehmen TOP 26 Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes TOP 27 Truppenübungsplatz Altmark TOP 28 Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen TOP 29 Anbindung deutscher Seehäfen TOP 30 Seeschifffahrt in Deutschland TOP 31 Kommunale Kosten für Eisenbahnkreuzungen TOP 32 Internationales Privatrecht TOP 33 Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess TOP 34 Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrecht TOP 35 Änderung des Urheberrechtsgesetzes TOP 36 Schlichtung im Luftverkehr TOP 37 EU-Vorschlag für Datenschutz-Grundverordnung TOP 38 Änderung des Arzneimittelgesetzes TOP 39 Außenwirtschaftsrecht TOP 40 Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen ZP 8 Änderung des AZR-Gesetzes Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720400000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.


(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!)


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie. Ich freue mich über die offenkundig beson-
ders gute Stimmung und werde mit Interesse verfolgen,
wie lange sie anhält.


(Iris Gleicke [SPD]: An uns soll es nicht liegen!)


Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Kollegen Hans-Joachim Otto im Namen des gan-
zen Hauses herzlich zu seinem 60. Geburtstag gratulie-
ren, den er vor wenigen Tagen gefeiert hat.


(Beifall)


Wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung bedauer-
licherweise erneut eine Schriftführerwahl durchführen.


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Bernd Scheelen [SPD]: Namentlich?)


– Ich stelle mit besonderer Verblüffung fest, dass die
größte einzelne Empörung über diesen Vorgang aus den
Reihen der Linken zu registrieren ist. Denn genau diese
Fraktion schlägt vor,


(Heiterkeit)


für die Kollegin Sabine Stüber die Kollegin Kathrin
Vogler als Schriftführerin zu wählen.


(Zurufe von der LINKEN: Ah! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da sind wir sehr einverstanden!)


– Sie werden sich hoffentlich etwas dabei gedacht ha-
ben. – Ich darf einmal fragen, ob auch die anderen Abge-
ordneten mit diesem Vorschlag einverstanden sind. –
Das sieht so aus. Dann ist die Kollegin Kathrin Vogler
als neue Schriftführerin gewählt. Herzlichen Glück-
wunsch!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der FDP)


Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Haltung der Bundesregierung zu Residenz-
pflicht und Sondergesetzen für Flüchtlinge so-
wie Asylbewerberinnen und Asylbewerber

(siehe 203. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 49

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Markus
Tressel, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur
unverzüglichen Stilllegung besonders ge-
fährlicher grenznaher Atomkraftwerke in
Frankreich

– Drucksache 17/11206 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz

(Spandau), Willi Brase, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion der SPD

Für einen breiten Qualitätspakt in der Re-
form der Lehrerbildung

– Drucksache 17/11322 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer,





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Finanztransaktionsteuer im Rahmen einer
verstärkten Zusammenarbeit einführen
– Drucksache 17/11321 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Stephan Kühn, Markus Tressel, Dr. Anton
Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nationalen Radverkehrsplan 2020 zum am-
bitionierten Aktionsplan der Radverkehrs-
förderung weiterentwickeln
– Drucksache 17/11357 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet
Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Residenzpflicht abschaffen
– Drucksache 17/11356 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 50

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europäische Nachhaltigkeitsstrategie weiter-
entwickeln und stärker institutionell in der EU
verankern
– Drucksache 17/11329 –

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Ter-
rorzelle – Zwischenbilanz der Ermittlungs-
pannenaufklärung und Stand des Kampfes ge-
gen den Rechtsextremismus

ZP 5 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Volker

Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen
durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und
Cent

– Drucksache 17/11331 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid
Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nebentätigkeiten transparent machen – Bran-
chen kennzeichnen

– Drucksache 17/11332 –

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

„Karenzzeit“ für ehemalige Bundesminister
und Parlamentarische Staatssekretäre in An-
lehnung an EU-Recht einführen

– Drucksache 17/11318 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira
Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Transparenz für soziale und ökologische Un-
ternehmensverantwortung herstellen – Unter-
nehmerische Pflichten zur Offenlegung von
Arbeits- und Umweltbedingungen auf euro-
päischer Ebene einführen

– Drucksache 17/11319 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des AZR-Gesetzes

– Drucksache 17/11051 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/11364 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Memet Kilic





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


ZP 9 a)Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Be-
treuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz)


– Drucksache 17/9917 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 17/11404 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Caren Marks
Florian Bernschneider
Diana Golze
Ekin Deligöz

Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/11405 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Rolf Schwanitz
Dr. Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Sven-Christian Kindler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren
Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld

– zu dem Antrag der Abgeordneten Diana
Golze, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Betreuungsgeld nicht einführen – Öffentli-
che Kinderbetreuung ausbauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Dörner, Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Betreuungsgeld einführen – Kinder
und Familien durch den Ausbau der Kin-
dertagesbetreuung fördern

– Drucksachen 17/9572, 17/9582, 17/9165,
17/11404 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Caren Marks
Florian Bernschneider
Diana Golze
Ekin Deligöz

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-

setzes zur Ergänzung des Betreuungsgeldge-
setzes (Betreuungsgeldergänzungsgesetz)


– Drucksache 17/11315 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Das Menschenrecht auf inklusive Bildung in
Deutschland endlich verwirklichen

– Drucksache 17/10117 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

ZP 11 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflege-
bedarfs in stationären Vorsorge- oder Re-
habilitationseinrichtungen

– Drucksachen 17/10747, 17/10799 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksache 17/11396 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Gesundheit

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Assistenzpflege bedarfsgerecht sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Praxisgebühr abschaffen – Hausärztin-
nen und Hausärzte stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Praxisgebühr sofort abschaffen





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


– zu dem Antrag Harald Weinberg,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Praxisgebühr abschaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Praxisgebühr jetzt abschaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt
Bender, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusatzbeiträge aufheben, Überschüsse
für Abschaffung der Praxisgebühr nut-
zen

– zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Praxisgebühr und Zusatzbeiträge jetzt
abschaffen

– Drucksachen 17/10784, 17/9189, 17/11192,
17/9031, 17/11141, 17/9408, 17/11179, 17/11396 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Maria Michalk

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 41, 46 a,
46 b und 47 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den
in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderun-
gen des Ablaufs.

Sind Sie auch damit einverstanden? – Das sieht ganz
so aus. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Entbürokratisierung des Gemein-

(Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz – GemEntBG)


– Drucksache 17/11316 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehren-
amtlicher Tätigkeit im Verein

– Drucksache 17/5713 –

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch dazu
darf ich Einvernehmen feststellen. Dann können wir so
verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Christian von Stetten für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Frhr. Christian von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1720400100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem heute von den Regierungsfraktionen im Deutschen
Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zur Entbürokra-
tisierung des Gemeinnützigkeitsrechts haben die Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion ein Ver-
sprechen eingelöst, welches sie den Vereinsvertretern
und den damals betroffenen ehrenamtlich Tätigen wäh-
rend der Zeit der Großen Koalition gegeben haben. Wir
haben damals bei den Berichterstattergesprächen zu dem
Gesetz mit dem Arbeitstitel „Hilfen für Helfer“ nicht alle
Punkte unterbringen können, welche wir mit den Ehren-
amtlichen eigentlich besprochen hatten und welche wir
in diesem Gesetz gern untergebracht hätten. Das galt ins-
besondere für die weitere Beseitigung von Bürokratie
und für Fragen der Haftung von Vereinsvorständen.

Dies holen wir heute nach. Wir legen gemeinsam mit
unserem Koalitionspartner, der FDP, ein umfangreiches
Gesetzesvorhaben vor. In diesem Zusammenhang darf
ich mich besonders bei unseren beiden Bundesministern
Dr. Wolfgang Schäuble und Frau Leutheusser-
Schnarrenberger bedanken. Sie haben sich beide an den
Gesprächen persönlich beteiligt und das heute vorlie-
gende Gesetzespaket ermöglicht.


(Ute Kumpf [SPD]: Wo sind sie denn?)


Dieser Gesetzentwurf wurde bereits im Oktober im Bun-
deskabinett beschlossen. Herzlichen Dank für diese um-
fangreiche Hilfe der Ministerien!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich lade aber auch alle Kolleginnen und Kollegen der
Opposition recht herzlich ein, diesen Gesetzentwurf in
den nächsten Wochen nicht nur intensiv zu beraten, son-
dern auch dazu beizutragen, dass wir ihn gemeinsam
verabschieden. Weitere Vorschläge zur Entbürokratisie-
rung sind also jederzeit herzlich willkommen. Wenn Sie
den Gesetzentwurf gelesen haben, ist Ihnen auch aufge-
fallen: Wir haben bereits wesentliche Anregungen des
Bundesrates in den Gesetzentwurf einfließen lassen. Ich
glaube, es wäre ein gutes Zeichen, wenn wir am Ende
der Beratungen, am Ende der Debatten zu diesem Ge-
setzentwurf den Bürgerinnen und Bürgern unseres Lan-





Christian Freiherr von Stetten


(A) (C)



(D)(B)


des zeigten, dass wir es mit der Förderung des Ehren-
amts gemeinsam ernst meinen und nicht nur in
Sonntagsreden darüber sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ziel des Gesetzes und, ich glaube, aller Fraktionen
hier im Parlament ist es, den ehrenamtlich engagierten
Bürgerinnen und Bürgern sowie den steuerlich begüns-
tigten Körperschaften ihr wichtiges Arbeiten durch Ent-
bürokratisierung, Konkretisierung und Flexibilisierung
der rechtlichen Rahmenbedingungen zu erleichtern. Da
bürgerschaftliches Engagement zu großen Teilen in Ver-
einen und Stiftungen geschieht, benötigen diese einen
besseren und einen verlässlicheren Rahmen für ihre Tä-
tigkeiten. Das gilt insbesondere für die Punkte, die heute
im Erlasswege geregelt werden. Es ist für Ehrenamtliche
schon schwierig genug, wenn sie sich durch Gesetzes-
texte wühlen müssen; aber völlig unverständlich ist es,
wenn wichtige Punkte gar nicht mehr im Gesetz zu lesen
sind, sondern seit Jahren über Erlasse geregelt werden.
Diesen unhaltbaren Zustand wollen wir beenden. Da
freuen wir uns auf die Zustimmung der Opposition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht erforderlich!)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Anhebung der
Freibeträge für die nebenberufliche ehrenamtliche Tätig-
keit zum 1. Januar 2013. Die Inkraftsetzung zum 1. Ja-
nuar 2013 ist uns wichtig. Sie kann selbst dann passie-
ren, wenn die letzte Beratung im Bundesrat erst nach
diesem Datum stattfindet. Ich glaube, positive Maßnah-
men können auch rückwirkend in Kraft treten. Da all die,
die eine Steuererklärung für das Jahr 2013 abgeben, dies
frühestens im Jahr 2014 tun werden, dürfte das auch von
daher kein Problem sein.

Den sogenannten Übungsleiterfreibetrag wollen wir
um rund 15 Prozent von 2 100 Euro auf 2 400 Euro er-
höhen. Den sogenannten Ehrenamtsfreibetrag für Vor-
standsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte oder beson-
ders engagierte Helfer im Verein wollen wir um satte
44 Prozent von 500 Euro auf 720 Euro erhöhen. Diese
Erhöhung ist sicherlich ein deutlicher Schritt. Wie bei al-
len anderen steuerlichen Maßnahmen, die in unserem
Paket sind, sind wir aber auch hier der Überzeugung,
dass das wichtige Investitionen in unsere Gesellschaft
sind; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die kultu-
relle und soziale Bedeutung der Vereine ist in den letzten
Jahren noch einmal stark gestiegen.

Wer sich in funktionierenden Vereinen aufhält, der
spürt eine Art Wärme, ja fast schon zum Teil familiäre
Atmosphäre, und in einigen Bereichen sind die Vereine
bereits zu einer Art Ersatzfamilie für Kinder geworden.
Besonders bei der Integration der ausländischen Jugend-
lichen in unserem Lande leisten die Vereine einen we-
sentlichen Beitrag. Deswegen sind wir der festen Über-
zeugung, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist besonders hervorzuheben, dass die Übungslei-
ter in unseren Sportvereinen schon längst mehr sind als

nur gut ausgebildete und durchtrainierte Vorturner. Sie
kümmern sich auch immer mehr um die persönlichen
Probleme der Jugendlichen, die ihnen anvertraut sind.
Viele Jugendliche erfahren im Verein das erste Mal, wie
wichtig Pünktlichkeit, Fairness, aber auch Kamerad-
schaft untereinander sind. Auch deswegen haben wir un-
ser Hauptaugenmerk auf diese ehrenamtlich tätigen
Übungsleiter gelegt und sind uns sicher, dass die Gesell-
schaft das doppelt zurückerhält.

Haftungsrisiken sind ein anderes wichtiges Thema für
uns. Es ist dringend notwendig, dass wir das jetzt regeln.
Da Veränderungen bei den Haftungsrisiken der einzel-
nen Vorstandsmitglieder uns bei der letzten Gesetzesre-
form leider nicht gelungen sind, ist es umso wichtiger,
dass wir dies nun regeln. Die Haftung bei der zweckwid-
rigen Verwendung von Spendengeldern wollen wir an
die allgemein übliche Haftung in anderen Rechtsberei-
chen angleichen. Das heißt, künftig werden Fehler nur
dann zu Konsequenzen führen, wenn ehrenamtlich Tä-
tige Spendengelder mit Vorsatz oder grober Fahrlässig-
keit zweckwidrig verwendet haben.

Damit wird den engagierten Bürgerinnen und Bürgern
unserer Gesellschaft der Schritt zur ehrenamtlichen Ver-
antwortung deutlich leichter fallen. Natürlich stellen wir
auch klar: Wer schwere Fehler macht oder kriminell han-
delt, wird auch zukünftig zur Verantwortung gezogen
werden. Aber derjenige, der sich engagieren will und be-
reit ist, ein Vorstandsamt anzunehmen, soll dies mit ei-
nem guten Gefühl tun und nicht die ständige Angst ha-
ben, dass er ein unkalkulierbares persönliches oder
finanzielles Risiko eingeht. Das darf kein Grund sein,
dass man ein Vorstandsamt nicht annimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch für die Stiftungen und deren Stifter schlagen wir
heute eine Verbesserung der Rahmenbedingungen vor.
Wir sind weltweit – das ist bekannt – schon jetzt das
Land der Ehrenamtlichen. Millionen von Bürgern enga-
gieren sich bei uns. Wir sind aber auch auf einem guten
Weg, das Land der Stifter und der Stiftungen zu werden.
Diesen Weg wollen wir erfolgreich weitergehen und
danken allen Stiftern, die ihr Vermögen zum Wohl der
Allgemeinheit einsetzen.

Den Weg hierzu, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Opposition, wollen wir gemeinsam mit Ihnen gehen.
Den heute vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir in den
nächsten Wochen ausführlich diskutieren. Wir wollen
– das betone ich zum Abschluss noch einmal ausdrück-
lich – auch mit Ihnen gemeinsam zu einem positiven Er-
gebnis kommen. Wir machen heute einen Anfang. Ich
glaube, es ist ein guter Tag für das Ehrenamt in Deutsch-
land.

Herzlichen Dank


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720400200

Petra Hinz ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1720400300

Guten Morgen, lieber Herr Präsident. – Sehr geehrter

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Es ist richtig: Wir haben in
der letzten Legislaturperiode gemeinsam an dem Gesetz
zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engage-
ments gearbeitet. Ich glaube, es war ein großer Schritt.
Nach der Arbeit in der Enquete-Kommission mit über
200 Anregungen, der Arbeit im Unterausschuss „Bürger-
schaftliches Engagement“ zum Sport- und Kulturbereich
ist das, was wir in diesem Gesetz gemeinsam gebündelt
haben, der richtige Weg. Es war, wie ich finde, ein fulmi-
nanter Start für bürgerschaftliches Engagement. Es ist
dann nur folgerichtig, wenn wir daran jetzt weiter arbei-
ten. Ihr Angebot und Ihre ausgestreckte Hand zur Zu-
sammenarbeit nehmen wir sehr gern an. Sie werden aber
sicherlich auch verstehen, dass wir noch andere Schwer-
punktsetzungen haben und dass das eine oder andere
kritisch zu hinterfragen ist; denn das, was Sie in dem
Gesetzentwurf vorgesehen haben, wurde bei den Bera-
tungen in der zurückliegenden Legislaturperiode kritisch
diskutiert. Dort gab es einige Abwägungen, die wir in
den jetzt anstehenden Verhandlungen berücksichtigen
müssen. Dazu komme ich später noch in meinen Aus-
führungen.

Ich gebe allen recht, die heute darauf aufmerksam
machen, dass wir gemeinsam im Rahmen des Internatio-
nalen Tages des Ehrenamtes, der am 5. Dezember began-
gen wird, das Ehrenamt und damit die über 23 Millionen
Menschen, die sich für unsere Gesellschaft und damit für
uns alle ehrenamtlich starkmachen, besonders anerken-
nen und würdigen sollten. Diese wollen nämlich – das
möchte ich in dieser Diskussion insbesondere deutlich
machen – keine Entgeltumwandlung, keine Entlohnung
oder etwas Ähnliches, sondern eine Würdigung. Darüber
hinaus wollen sie nur, dass ihr Aufwand entlohnt wird.
Aus meinen Ausführungen können Sie entnehmen, dass
wir sehr genau aufpassen müssen, dass es beim Ehren-
amt bleibt und nicht möglicherweise etwas anderes hi-
neininterpretiert wird.


(Beifall bei der SPD)


Viele von uns, wenn nicht sogar alle, werden am
5. Dezember, wie ich gesagt habe, das Ehrenamt würdi-
gen. Wir werden sehr viele Ehrungen vornehmen, und
zwar zu Recht.

Wir werden bei den Beratungen dieses Gesetzentwur-
fes im Ausschuss und bei einer Anhörung aber noch an-
dere Prioritäten setzen. Wir werden Sie fragen, wie Sie
auf die Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 2 100
Euro auf 2 400 Euro kommen. Auch die Anhebung der
Zweckbetriebsgrenze werden wir hinterfragen. Das sind
einige Themen, die wir ansprechen werden.

Ein Punkt – er ist vielleicht verräterisch, vielleicht
aber auch nur missverständlich – betrifft nicht das ei-
gentliche Gesetz, sondern nur dessen Begründung. Die
Begründung erklärt ja das, was im Gesetz steht. Dort
schreiben Sie – ich zitiere –:

Bürgerschaftliches Engagement hilft wirtschaftli-
ches Wachstum, gesellschaftliche Integration,

Wohlstand sowie stabile demokratische Strukturen
auch für die Zukunft zu erhalten und zu verbessern.

Bis hierhin können wir uns noch einig sein. Aber dann:

In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die
Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an
Bedeutung, denn die öffentliche Hand

– jetzt kommt es –

wird sich wegen der unumgänglichen Haushalts-
konsolidierung auf ihre unabweisbar notwendigen
Aufgaben konzentrieren müssen.

Wenn Sie es tatsächlich so meinen, wie es da steht,
haben wir ein Problem. Denn wir sehen den ehrenamt-
lichen Bereich nicht als Kompensation für falsche Priori-
tätensetzung


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


oder für verfehlte Wahrnehmung der politischen Verant-
wortung, sondern das Ehrenamt soll ein Ehrenamt blei-
ben. So verstehen es auch diejenigen, die ehrenamtlich
tätig sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein ganz
wichtiger Punkt, und die Menschen, die ehrenamtlich tä-
tig sind, achten sehr genau darauf. Sie sind zu Recht sehr
sensibel, wenn wir Politiker – insbesondere Sie während
Ihrer Regierungszeit – den Eindruck erwecken, dass wir
beim Hauptamt sparen, kürzen, den Kommunen das
Geld wegnehmen und letztendlich auf Umwegen das Eh-
renamt an Stelle des Hauptamtes setzen. Diesen Ein-
druck dürfen wir nicht erwecken. Ich gebe Ihnen recht:
Die Ehrenamtlichkeit bringt dem Staat ein Vielfaches
wieder zurück, aber bitte nicht auf diesem Weg. Das
muss im Laufe der Beratungen noch klargestellt werden.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte noch einmal betonen, dass bürgerschaft-
liches Engagement kein Reparaturbetrieb dafür sein
kann, was die Politik versäumt hat, sondern ganz im Ge-
genteil eine zusätzliche Komponente. So verschieden die
Ehrenämter auch sind, so unterschiedlich und vielfältig
müssen wir sie unterstützen und fördern. Für dieses En-
gagement zum Zusammenhalt der Gesellschaft möchte
ich an dieser Stelle für meine Fraktion noch einmal ein
ganz herzliches Dankeschön sagen.

Unsere Aufgabe ist es unter anderem auch, zur Stär-
kung und zur Förderung der Zivilgesellschaft Impulse zu
setzen. In diesem Zusammenhang schaue ich insbeson-
dere in Richtung der FDP. Herr Wissing hat in seinen
Ausführungen in der letzten Wahlperiode sehr deutlich
gemacht, wie er über das Gesetz zur weiteren Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements denkt.


(Jörg van Essen [FDP]: Guter Mann!)


– Lesen Sie einmal die Protokolle, bevor Sie sich jetzt
äußern. Herr Wissing schaut schon weg; er weiß, was
jetzt kommt.


(Jörg van Essen [FDP]: Guter Mann!)






Petra Hinz (Essen)



(A) (C)



(D)(B)


Er hat nämlich gesagt, es sei einfach nur eine Aufsatte-
lung bereits bestehender Beträge, aber von den Struktu-
ren her sei nichts in Angriff genommen worden.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das machen wir jetzt!)


– Herr Wissing, Sie machen jetzt in einigen Bereichen
nichts anderes. Sie wollen die Übungsleiterpauschale
von 2 100 Euro auf 2 400 Euro anheben, Sie bieten an,
die Ehrenamtspauschale von 500 Euro auf 720 Euro an-
zuheben. Ich vermisse hier jedoch noch etwas Gehalt-
volleres, nämlich wie Sie mit denjenigen umgehen, die
nicht steuerlich veranlagt sind und die letztendlich nicht
davon profitieren können.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch zusätzliches Geld!)


Ich denke beispielsweise an die Menschen, die Vorlese-
aktionen durchführen und hierfür noch nicht einmal ihre
Fahrtkosten erstattet bekommen, weil es dafür keine
Kostenstelle gibt. Ich gebe Ihnen insofern recht, dass
jetzt ein weiterer Schritt getan ist; es gibt jedoch noch
eine ganze Menge zu tun und auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte an dieser Stelle mit den Worten von
Michael Bürsch, der gemeinsam mit meiner Kollegin
Ute Kumpf in den letzten Legislaturperioden sehr enga-
giert in der Enquete-Kommission und im Unteraus-
schuss gearbeitet hat, das Thema noch einmal in drei
Punkten zusammenfassen.

Erstens. Wir wollen den Schutz der Engagierten. In
den zurückliegenden Legislaturperioden haben wir be-
reits einige große Schritte unternommen, unter anderem
mit der Unfallversicherung, der Übungsleiterpauschale
usw. Diese Regelungen umfassen nicht nur den Sportbe-
reich, sondern wir haben in der letzten Legislaturperiode
Erweiterungen vorgenommen, sodass auch andere Berei-
che hierauf zugreifen können.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich war dabei!)


Zweitens. Wir müssen trotz der vorgesehenen Rege-
lungen noch stärker auf den Nachteilausgleich eingehen.

Drittens. Die allgemeine Förderung des Engagements
muss stärker ausgebaut werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind nur
erste Schritte in die richtige Richtung. Ich nehme Ihr An-
gebot zur Diskussion gerne an, ich sage Ihnen aber auch:
Hierbei kann es nicht bleiben. Gerade bei der Zweckbe-
triebsgrenze – das habe ich gerade gesagt – haben wir
sehr lange verhandelt. Wir hatten uns auf 35 000 Euro
geeinigt. Sie reden jetzt von 45 000 Euro. Ich bin sehr
gespannt, wie Sie das mit dem Thema „Wettbewerbsver-
zerrung“ usw. in Einklang bringen werden.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Reine Sportveranstaltungen!)


– Ja, genau, nur der Sportbereich. Sie werden sicherlich
auch entsprechende Anfragen und Anschreiben aus Ih-
rem Wahlkreis bekommen haben. Hier sind wir wieder

bei der Frage nach Erweiterungen und Strukturverände-
rungen. Es ist doch klar, dass diejenigen, die nicht von
diesen Regelungen profitieren, uns anschreiben und
nachfragen, warum die Änderungen nicht breiter gefasst
werden und auch andere Bereiche einschließen. Diesen
Fragen müssen wir uns jedenfalls stellen und schluss-
endlich zu einer Antwort kommen. Da gebe ich Ihnen al-
lerdings wiederum recht.


(Beifall bei der SPD)


Herr Präsident, ich nehme Ihr Signal wahr, auch wenn
Sie hinter mir sitzen. – Ich möchte mich ganz herzlich
bei Ihnen bedanken. Es gibt einige Punkte, bei denen wir
übereinstimmen. Ich freue mich sehr, dass wir hier über
die Stärkung und auch über die Frage der Entbürokrati-
sierung des bürgerschaftlichen Engagements reden. Es
ist immer eine Sternstunde, wenn wir hier im Parlament
das würdigen, was die Menschen draußen auf den Weg
bringen.

In diesem Sinne möchte ich mich bei allen ehrenamt-
lich Tätigen bedanken und bei Ihnen für Ihr sehr intensi-
ves Zuhören. Herzlichen Dank und Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720400400

Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Birgit

Reinemund das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1720400500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir bringen hier ein richtig
gutes Maßnahmenpaket auf den Weg.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Es ist sehr schön, dass die SPD keinen wirklichen inhalt-
lichen Kritikpunkt gefunden hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Warten Sie ab!)


Wir bringen deutliche Verbesserungen im steuerlichen
und zivilrechtlichen Bereich und deutliche strukturelle
Verbesserungen auf den Weg. Das Einzige, was mir per-
sönlich daran nicht gefällt, ist der furchtbare Name: Ge-
meinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Kann man das nicht ändern?)


Denn es ist ein Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts, und
genau so sollte es auch genannt werden.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Also, den Namen ändern wir noch!)


Wie viel ärmer wäre unser Land ohne unser Ehren-
amt, ohne die rund 23 Millionen Menschen, die sich in
Kirchen, Sportvereinen, sozialen Einrichtungen, Par-





Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)


teien und Initiativen engagieren! In keinem anderen
Land ist die Kultur des ehrenamtlichen Engagements so
ausgeprägt wie in Deutschland. Die Aufgaben in vielen
Bereichen des öffentlichen und sozialen Lebens wären
ohne die ehrenamtlich Tätigen nicht machbar. Das Eh-
renamt ist Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Deswegen
hat die christlich-liberale Koalition dieses Gesetzespaket
auf den Weg gebracht, in großer Harmonie, in guter Zu-
sammenarbeit untereinander und mit Finanzministerium
und Justizministerium. Herzlichen Dank dafür.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer besondere gesellschaftliche Verantwortung über-
nimmt, und dazu noch in der Freizeit, fördert damit den
Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dies verdient un-
sere höchste Anerkennung und Unterstützung, nicht nur
in Sonntagsreden, sondern ganz konkret, so wie über
dieses Gesetz: durch Abbau bürokratischer Hemmnisse,
durch steuerliche Entlastung, durch Schaffung von
Rechtssicherheit und durch flexiblere Vorgaben für die
gemeinnützigen Vereine und Stiftungen zur Verwendung
ihrer Mittel.

Unser Ziel muss es sein, die tägliche Arbeit in den
Vereinen zu erleichtern. Und unser Ziel muss es sein,
den Menschen in den Vereinen die Angst zu nehmen,
plötzlich und unversehens mit Haftungsansprüchen ihres
Vereins oder der Finanzbehörden konfrontiert zu sein,
obwohl sie doch eigentlich nur ehrenamtlich Gutes tun
wollten. Vereine beklagen vielfach, dass Menschen al-
lein aus diesem Grund davor zurückschrecken, ein Amt
überhaupt erst anzunehmen. Deswegen ist die Begren-
zung der Haftung von Ehrenamtlichen auf Fälle von gro-
ber Fahrlässigkeit und Vorsatz für uns eine sehr wichtige
Verbesserung, zumal dies künftig nicht nur für Mitglie-
der der Vereinsvorstände gilt, sondern für alle Vereins-
mitglieder. Denn auch ein Hallenwart sollte sich zum
Beispiel beim Schmücken der Halle für eine Veranstal-
tung nicht primär mit Haftungsfragen auseinandersetzen
müssen. Vielleicht gelingt es den Vereinen so in Zukunft
wieder leichter, Menschen zu finden, die überhaupt Ver-
antwortung übernehmen wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Anerkennung für das überragende ehrenamtliche
Engagement, das man nicht genug loben kann, erhöhen
wir die Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro, die
Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro. Das ist
nicht nur eine steuerliche Entlastung für Übungsleiter im
Sport, für Chorleiter oder für Eltern, die ihre Kinder re-
gelmäßig zu Veranstaltungen oder zum Training fahren;
es bedeutet auch weniger Belegesammelei und Bürokra-
tie für die Ehrenamtlichen selbst, für die Vereine und für
die Finanzämter.

Wir verlängern die Frist, in der gemeinnützige Ver-
eine und Stiftungen ihre Mittel für steuerbegünstigte
Zwecke ausgeben müssen, um ein weiteres Jahr. So wer-
den sie in ihrer Planung flexibler. Stellen Sie sich vor,
ein Verein erhält eine unerwartete hohe Spende oder eine
Erbschaft. Bisher müssen die entsprechenden Mittel be-

reits im Folgejahr ausgegeben sein. Das löst ungewollt
Handlungsdruck aus. Sehr kurzfristig müssen sinnvolle
Investitionsmöglichkeiten und Projekte gefunden wer-
den. Das ist nicht gewollt. Diesen Druck werden wir he-
rausnehmen.

Flexibler werden die gemeinnützigen Organisationen
auch bei der Rücklagenbildung. Sie können künftig die
freie Rücklage in den folgenden zwei Jahren nachholen.
Neu ist, dass sie jetzt auch eine Wiederbeschaffungs-
rücklage ansparen können. Ein Beispiel: Ein Turnverein
plant, seinen alten Kleinbus durch einen neuen zu erset-
zen. Dazu kann der Verein künftig jedes Jahr Mittel in
Höhe der Abschreibung in die Rücklage einlegen, bis
zum vollen Anschaffungswert. Gut begründet kann der
Verein sogar darüber hinausgehen, wenn zum Beispiel
der neue Kleinbus mehr Plätze benötigt und die Kosten
dadurch höher werden. So können die Gelder konzen-
triert und bedarfsgerecht verwendet werden. So können
Investitionen besser geplant werden, ohne dass die Ge-
meinnützigkeit gefährdet wird.

Zu einem weiteren, scheinbar kleinen Punkt mit gro-
ßer Wirkung, der uns Liberalen sehr wichtig war: Ver-
eine erhalten künftig nach Prüfung ihrer Satzung einen
rechtsverbindlichen Bescheid darüber, ob sie die Voraus-
setzung für die Anerkennung als gemeinnütziger Verein
erfüllen. Bisher erhielten sie lediglich einen unverbind-
lichen Brief, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie ab
sofort Spendenbescheinigungen ausstellen dürfen. Im-
mer wieder bestand die Unsicherheit, ob die Anerken-
nung bis zum nächsten Steuerbescheid Bestand hat; denn
die Auslegung der Anforderungen variiert stark von
Bundesland zu Bundesland. Schon ein Wechsel des zu-
ständigen Sachbearbeiters birgt heute das Risiko, die
Gemeinnützigkeit rückwirkend aberkannt zu bekom-
men. Das kann gerade kleine Vereine schnell in die In-
solvenz führen. Hier schaffen wir jetzt Rechtssicherheit.
Das künftige Verfahren stellt einen rechtsverbindlichen
Verwaltungsakt dar, der die Finanzverwaltung an ihre
einmal getroffene Bewertung der Satzung bindet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit all den genannten Maßnahmen erleichtern wir
Vereinen und Stiftungen die Arbeit und drücken vor al-
lem unsere Anerkennung für das Ehrenamt aus. Aus der
Antwort des Finanzministeriums auf meine schriftliche
Anfrage geht hervor, dass im Veranlagungszeitraum
2007 insgesamt 96 280 Steuerpflichtige die Pauschalen
in Anspruch genommen haben. Das Finanzministerium
geht laut Gesetzentwurf von Steuermindereinnahmen
von 110 Millionen Euro aus. Da es sich um einen über-
schaubaren Personenkreis handelt, erscheint mir der Be-
trag sehr hoch. Doch selbst wenn: Ehrenamtliche Tätig-
keit ist nicht kostenlos, aber für unsere Gesellschaft ist
sie unbezahlbar.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Geld ist es uns wert!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720400600

Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720400700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Zielsetzung des Gesetzes ist klar umrissen: Durch
Entbürokratisierung und Flexibilisierung der rechtlichen
Rahmenbedingungen soll zivilgesellschaftliches Enga-
gement erleichtert werden, und steuerbegünstigte Orga-
nisationen und ehrenamtlich Tätige sollen ihre Aufgaben
besser und leichter wahrnehmen können.

Ich frage mich natürlich: Was ist eine Flexibilisierung
der rechtlichen Rahmenbedingungen? Ich dachte, Recht
ist etwas, worauf man sich verlassen kann: Wenn es ver-
abschiedet ist, dann weiß ich, woran ich bin. Sie wollen
nun die rechtlichen Rahmenbedingungen flexibilisieren.
Ich weiß nicht: Muss man solche Begriffe in den Geset-
zestext hineinschreiben?


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ich habe es ihnen doch gerade erklärt!)


Sie haben in Ihrer Begründung richtigerweise ausge-
führt – ich zitiere –:

Bürgerschaftliches Engagement ist Ausdruck einer
freiheitlichen Gesellschaft, in der Bürgerinnen und
Bürger freiwillig einen solidarischen Beitrag für die
Gemeinschaft leisten.

Ja, viele Bürgerinnen und Bürger aller Altersklassen
– das beginnt im Jugendalter und hält bis ins hohe Alter
an – engagieren sich tatsächlich freiwillig. Ich komme
aus Leipzig, der Geburtsstadt der Schrebergartenbewe-
gung. Wir haben allein 208 Kleingartenvereine mit über
32 500 Parzellen. Wir haben in Leipzig eine Aidshilfe,
in jedem Stadtbezirk gibt es Bürgervereine. Wir haben
Vereine zur Betreuung von Menschen mit psychischen
Behinderungen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Haben wir auch!)


Es gibt Sportvereine. Ich könnte die Liste endlos fortset-
zen. Das zeigt: Es wird unheimlich viel gemacht, und
zwar freiwillig und unentgeltlich.

Bürgerinnen und Bürger haben zu Recht die Hoff-
nung, dass sie wenigstens das, was sie an zusätzlichen
Aufwendungen haben, also die Straßenbahnfahrkarte
oder den Busfahrschein, eventuell vom Verein erstattet
bekommen. Sie schlagen nun vor, die steuerlichen Frei-
grenzen anzuheben. Die Zahlen wurden genannt: bei der
Ehrenamtspauschale auf monatlich 60 Euro, bei der
Übungsleiterpauschale auf monatlich 200 Euro. Das ist
schön und gut. Schauen wir uns aber einmal die Realität
an. Die im Freiwilligensurvey 2009 genannten Zahlen
belegen, dass nur 23 Prozent, also ungefähr jede oder je-
der Vierte, die oder der sich freiwillig engagiert, eine
Vergütung erhalten. Das ist das Problem.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: So ist es!)


Von diesen 23 Prozent erhielten 57 Prozent eine Vergü-
tung von unter 50 Euro pro Monat. Das heißt, 77 Prozent
der Ehrenamtlichen haben von einer Änderung der steu-
erlichen Rahmenbedingungen überhaupt nichts.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist nicht in Ordnung!)


Die 57 Prozent der übrigen 23 Prozent haben ebenfalls
nichts davon, ob eine Vergütung in Höhe von 50 Euro
oder 60 Euro im Monat vorgesehen ist; denn sie bekom-
men ohnehin weniger. Nur ganze 8 Prozent erhalten tat-
sächlich über 350 Euro im Monat. Das ist die Realität.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber das entscheidet doch nicht der Staat, ob die sie kriegen!)


Mit der Erhöhung der Pauschalen, die Sie in Ihrem Ge-
setzentwurf vorsehen, erfassen Sie maximal 10 Prozent
der freiwillig Engagierten. Das ist einfach zu wenig, um
zu sagen: Jetzt haben wir wirklich etwas geschafft.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Fußballverein Leipzig Nordost kann ein Übungs-
leiterentgelt gezahlt werden. Im Kinder- und Jugendbe-
reich sind es 1,50 Euro pro Stunde. Das heißt, der Trainer
müsste 6,5 Stunden pro Tag und 133 Stunden im Monat
Kinder und Jugendliche trainieren, um auf 2 400 Euro zu
kommen und so den maximalen Freibetrag absetzen zu
können. Das kann er natürlich nicht. Das wäre kein Eh-
renamt mehr. Hier liegt das Problem: Real gibt es in vie-
len Bereichen, in denen Ehrenamtler tätig sind, eine so-
genannte Arbeitsmarktnähe. Menschen üben inzwischen
ehrenamtlich Tätigkeiten aus, die bis vor kurzem noch
bezahlt wurden.

Der Jugendtrainer trainiert meistens nicht nur – auch
im Fußballverein Nordost ist das so –, sondern er ist
gleichzeitig mitverantwortlich für den Fußballplatz und
für die Halle. In Leipzig gibt es kaum noch Hallen mit
Hallenwarten. Die Logik, die dem zugrunde liegt, muss
man aufknacken: In den letzten Jahren gab es eine
Schwächung der Finanzen der öffentlichen Hand. Das
heißt, Hallenwarte werden entlassen, und dem entlasse-
nen Hallenwart, der am Sport und an seinem Verein
hängt, sagt man: Du kannst ja im Ehrenamt weiterma-
chen. Ein paar Pfennige bekommst du dann noch von
uns, aber bezahlen können wir dich leider nicht mehr.

Der letzten Erhebung zufolge haben ein Viertel
– 27 Prozent – aller ehrenamtlich Engagierten die Erfah-
rung gemacht, dass sie Tätigkeiten ausüben, die bis vor
kurzem noch regulär bezahlt wurden. Ich finde, das ist
einfach skandalös.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das bestreite ich! Das ist ein Quatsch! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Deswegen brauchen wir eine neue Oberbürgermeisterin in Leipzig!)






Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


Dankenswerterweise haben Sie das in Ihrem Gesetz-
entwurf sehr klar benannt. Ich zitiere aus der Begrün-
dung:

In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die
Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an
Bedeutung, denn die öffentliche Hand wird sich
wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidie-
rung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben
konzentrieren müssen. Es ist daher notwendig, An-
reize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen
Engagement zu stärken und bestehende Hindernisse
bei der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten ab-
zubauen.

Was heißt das? Das ist keine Freiwilligkeit.


(Zuruf von der FDP: Eine so gute Maßnahme so schlechtzureden!)


Das ist kein freiwilliges Engagement, sondern Sie miss-
brauchen das Ehrenamt tendenziell als Lückenbüßer für
die Bereiche, in denen der Sozialstaat nicht mehr richtig
funktioniert. So ist es beschrieben. Hier sollen Stiftun-
gen als mildtätige Organisationen zum Beispiel beim
Bilderankauf für Museen einspringen, weil diese kein
Geld mehr haben. Das ist eine Entwicklung, die wir
nicht gutheißen können.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Schade, dass Sie das nicht unterstützen!)


Deshalb ist in Ihrem Gesetzentwurf sehr genau auf
den Bereich der Stiftungen zu schauen; denn es ist Reali-
tät, dass Stiftungen in der Bundesrepublik Deutschland
in einem großen Bereich dazu dienen, Erbschaftsteuer
und Schenkungsteuer zu umgehen. Bis zu einem Drittel
der Stiftungseinkommen können zur Alimentierung und
zur Pflege des Andenkens des Stifters verwandt werden.

Im Gesetz ist also einiges versteckt, was nicht im
Sinne des bürgerschaftlichen Engagements sein kann.
Ich glaube, wir müssen hier massiv nachbessern und
endlich über Regelungen nachdenken, die vielleicht
nicht im Bereich des Steuerrechts liegen, sondern zum
Beispiel einer kleinen Zugabe für Rentner dienen. Eine
Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennung des
bürgerschaftlichen Engagements gelingt nur, –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720400800

Frau Kollegin, würden Sie freundlicherweise gele-

gentlich auf die Uhr blicken?


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720400900

– wenn es nicht missbraucht wird, sondern das Sahne-

häubchen für die Arbeit ist.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720401000

Ich erteile das Wort der Kollegin Lisa Paus für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720401100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Reinemund, Sie haben recht: Der Titel des Gesetzent-
wurfs ist falsch gewählt. Von einem Gemeinnützigkeits-
entbürokratisierungsgesetz erwartet man wirklich etwas.
Wieder einmal erleben wir eine Diskrepanz zwischen
dem pompösen Titel auf der einen Seite und den eher we-
nig konkreten Änderungen auf der anderen Seite.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


2007 gab es schon einmal den Plan, das bürgerschaft-
liche Engagement steuerlich besser zu fördern. Der da-
malige Finanzminister Peer Steinbrück hatte dazu ein
Zehn-Punkte-Programm vorgelegt. Nicht nur meine
Fraktion war damals unzufrieden. Fraktionsübergreifend
wurde kritisiert, dass diese zehn Punkte deutlich hinter
dem zurückbleiben, was man, und zwar ressortübergrei-
fend, eigentlich tun müsste, um das ehrenamtliche Enga-
gement zu unterstützen.


(Ute Kumpf [SPD]: Wir haben ein Gesetz gemacht, Frau Kollegin!)


Vorneweg war damals die FDP; es wurde schon zi-
tiert. Herr Wissing sagte: Aufsatteln bei einigen Steuer-
vergünstigungen, sämtliche Strukturfragen bleiben of-
fen. – Ich sage einmal: Wo Herr Wissing recht hatte, da
hatte er recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben zwar ein grundsätzlich unterschiedliches Ver-
ständnis von ehrenamtlichem Engagement – Sie wollen
Stellen abbauen und die Leute zu ehrenamtlicher Arbeit
zwingen; wir haben die Vorstellung, dass ehrenamtliches
Engagement unterstützend wirkt –, aber in diesem Punkt
hatte Herr Wissing einfach recht.

Aber Sie von der FDP haben damals darüber hinaus
konkret etwas versprochen. Sie haben den Menschen in
diesem Lande damals zugerufen: Halten Sie durch! Auf
die Reformbemühung der Großen Koalition wird mit uns
eine echte Reform folgen. –


(Zuruf von der FDP: Die ist auch da!)


Und jetzt das. Mal ganz ehrlich, Frau Reinemund, da
müssen auch Sie lachen, oder?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Über Sie vielleicht!)


Was wollen Sie konkret ändern? Vor allem wollen Sie
die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro er-
höhen. Weniger stark wollen Sie die Aufwandspauschale
erhöhen, von 500 auf 720 Euro. Auch in diesem Zusam-
menhang zitiere ich gerne den Kollegen Wissing.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Machen Sie mit?)


Herr Wissing sagte damals – diese Meinung wurde in
den Ausschüssen übrigens fraktionsübergreifend geteilt –:
Wir lehnen dieses Zweiklassensystem bürgerschaftli-
chen Engagements ab.





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Schon 2007 gab es eine breite Debatte darüber, ob es
wirklich sinnvoll ist, die sogenannte Übungsleiterpau-
schale zu erhöhen – damals ging es um eine Erhöhung
von 1 848 auf 2 100 Euro –, oder ob es nicht sinnvoller
wäre, den Personenkreis der Berechtigten zu erweitern.
Doch das berühmte Steinbrück’sche Wort verhinderte
diese Lösung. Deshalb haben wir heute zum Beispiel
beim Behindertentransport nach wie vor eine absurde Si-
tuation: Der Helfer, der das Fahrzeug fährt, kann den
Freibetrag nicht in Anspruch nehmen, während der Hel-
fer, der die behinderte Person betreut, diesen Freibetrag
sehr wohl in Anspruch nehmen kann. Absurd!

Und welches Ziel verfolgen Sie jetzt mit diesem Ge-
setzentwurf, jetzt, wo Steinbrück nicht mehr Finanz-
minister ist, jetzt, wo die FDP mit in der Regierung ist?
Statt den starren Katalog zu öffnen und den Abstand
zwischen Übungsleiterpauschale und Aufwandsentschä-
digung zu verringern, vergrößern Sie ihn noch.


(Marco Buschmann [FDP]: Und was wollen Sie machen?)


Wenn das so kommt, wird der Vater, der seinen Sohn und
andere Kinder auf dem Fußballplatz trainiert, 2 400 Euro
geltend machen können, während die Mutter, die die
gleiche Zeit aufwendet, um zum Beispiel die Trikots zu
waschen, nur 720 Euro geltend machen kann. Das finden
wir falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sagen Sie doch einmal, was Sie eigentlich wollen! – KlausPeter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben es gar nicht verstanden! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist doch absurd!)


Anders als Sie von der FDP und insbesondere Herr
Wissing haben wir auch heute noch Diskussionsbedarf.
Wir würden uns an dieser Stelle weniger Amtsschimmel
und mehr Praxistauglichkeit wünschen.

Wenn wir uns umhören, dann stellen wir fest – darauf
hat Frau Höll schon hingewiesen –, dass die Übungslei-
terpauschale von 2 100 Euro schon heute nicht immer
ausgeschöpft wird, weil gerade die kleinen Organisatio-
nen sich das überhaupt nicht leisten können. Nicht dass
Sie glauben, dass ich der Meinung bin, dass die Bürge-
rinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren,
keinen Freibetrag von 2 400 Euro verdienen! Natürlich
verdienen sie ihn.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Was jetzt? Ja, nein oder vielleicht? – Marco Buschmann [FDP]: Was wollen Sie denn machen, Frau Paus? Haben Sie auch einen konstruktiven Beitrag?)


Trotzdem bin ich skeptisch, was diese Erhöhung angeht;
denn – das ist kein Geheimnis – die Erhöhung der
Übungsleiterpauschale erhöht den Anreiz, diese Pau-
schale quasi als „Miniminijob“ mit einem normalen Mi-
nijob zu verbinden. So würde der Gefahr, dass mehr pre-

käre Beschäftigungsverhältnisse im gemeinnützigen
Bereich entstehen, weiter Vorschub geleistet. Das spricht
dafür, dass es sinnvoller ist, den starren Katalog endlich
zu öffnen, als die Pauschale zu erhöhen. Wir werden uns
mit dieser Frage in den Beratungen genauer beschäfti-
gen.

Leitschnur sollte nicht sein, das Ehrenamt zu moneta-
risieren, sondern die Bedingungen für ehrenamtliches
Engagement sollten durch Förderung und durch Struk-
turentwicklung verbessert werden; denn – zumindest da-
rin sind wir uns alle einig; von daher habe ich auch noch
Hoffnung – ehrenamtliches Engagement ist unersetzlich
und eine Stärkung dieses Engagements dringend erfor-
derlich. Das gilt für die derzeitige Situation, aber vor al-
lem mit Blick auf die Zukunft; denn aufgrund der Ent-
wicklung unserer Gesellschaft kommen noch weitere
Aufgaben hinzu. Die Umstellung von Energieerzeugung
und Energienutzung zum Beispiel ist ein wichtiges
Thema für bürgerschaftliches Engagement. Auch für die
europäische Integration benötigen wir ehrenamtliches
Engagement. Ebenso müssen wir in den Bereichen
Stadtentwicklung und Verkehrsentwicklung die Struktu-
ren des ehrenamtlichen Engagements stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kann es nicht dabei bleiben, dass bis zum
heutigen Tage die Finanzämter die Förderung des bür-
gerschaftlichen Engagements als gemeinnützigen Zweck
wegen des Anwendungserlasses des Bundesfinanzminis-
teriums nicht anerkennen; auch dieser Aspekt war be-
reits 2007 zentrales Thema. Doch Ihr Bundesfinanz-
minister schnürt den Sack zu, der im parlamentarischen
Verfahren mühsam geöffnet wurde. Auch darüber wollen
wir in den Beratungen reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer zentraler Punkt, der die Gemeinnützig-
keitsszene seit 2007 bewegt hat, kommt in Ihrem Ge-
setzentwurf überhaupt nicht, mit keinem einzigen Wort,
vor: eine Antwort auf das verloren gegangene Vertrauen
in so manche gemeinnützige Organisation aufgrund von
einzelnen Skandalfällen, die bundesweit Aufmerksam-
keit erregt haben, Stichwort: Kinderhilfswerk UNICEF
2008. Dieser Skandal und andere Skandale hatten nicht
nur Folgen für die jeweilige Organisation, sondern da-
runter leiden seitdem auch alle anderen gemeinnützigen
Organisationen, die auf Spendengelder angewiesen sind.
Die Spendenbereitschaft ist in der Folge in Deutschland
massiv eingebrochen.

Diese Fälle haben gezeigt: Wir brauchen deutlich mehr
Transparenz in diesem Bereich. Die Menschen müssen
vor einer Spende verlässliche Informationen darüber ha-
ben, was mit ihrem Geld geschieht und welche steuerli-
chen Konsequenzen eine Spende für sie selber hat. Das ist
aber zurzeit in Deutschland nicht der Fall. So sieht etwa
das Wissenschaftszentrum Berlin gerade in der im inter-
nationalen Vergleich hohen Intransparenz in Deutschland
eine zentrale Ursache dafür, dass in Deutschland viel we-
niger Menschen spenden als beispielsweise in Skandina-
vien.





Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


Ein öffentliches Register könnte Transparenz herstel-
len, ein Register, das alle Vereine, Stiftungen und ge-
meinnützigen Kapitalgesellschaften aufführt, die als
steuerbegünstigt anerkannt sind. Wir finden, diese Orga-
nisationen sollten offenlegen, wofür sie ihr Spendengeld
verwenden. Es gibt ja inzwischen schon einige freiwil-
lige Register wie das von Transparency International.
Darauf sollte unserer Ansicht nach ein öffentliches Re-
gister aufbauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Uns ist wichtig, dass ein öffentliches Transparenzre-
gister aussagekräftig ist. Aber es darf natürlich auch
nicht zu kompliziert sein. Vorbild könnte aus unserer
Sicht die Offenlegungspflicht für Kapitalgesellschaften
im elektronischen Bundesanzeiger sein, mit differenzier-
ten Offenlegungspflichten zum Beispiel entlang der
Größe der Organisationen. Im Übrigen: Ein öffentliches
Transparenzregister wäre auch ein sehr gutes Instrument,
um nichtgemeinnützigen extremistischen Organisatio-
nen tatsächlich auf die Spur zu kommen und Informatio-
nen zu erhalten, die helfen, zum Beispiel verkappten Na-
ziorganisationen den Gemeinnützigkeitsstatus entziehen
zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD])


Ihre Versuche, den Verfassungsschutz dafür heranzu-
ziehen, sind bisher allesamt kläglich gescheitert. Bis
heute gibt es etwa ein Dutzend Verfahren vor Finanzge-
richten, von denen absehbar in keinem einzigen Fall die
Aberkennung der Gemeinnützigkeit wegen extremisti-
scher Aktivitäten bestätigt werden wird. Wir wissen in-
zwischen – leider –: Unsere Geheimbehörden können
vieles nicht. Definitiv sind sie nicht qualifiziert, Steuer-
prüfungen durchzuführen. Die Erkenntnisse der Ge-
heimbehörden entziehen sich einer transparenten Über-
prüfbarkeit. Kein Finanzgericht kann das als Grundlage
einer Entscheidung anerkennen. Deswegen: Vergessen
Sie endlich den Verfassungsschutz an dieser Stelle! Der
gemeinnützige Sektor braucht mehr Transparenz, nicht
mehr Geheimnisse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ein anderes Skandalstichwort ist im Zusammenhang
mit der Berliner Treberhilfe – mir als Berlinerin beson-
ders präsent – die sogenannte Maserati-Affäre.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sprechen Sie doch mal zum Thema, Frau Paus! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir haben da einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht!)


Auch hier sagt einem doch das Gerechtigkeitsgefühl:
Wenn der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Organi-
sation die Steuerbegünstigung unter anderem dafür
nutzt, sich exorbitante Gehälter zu zahlen, dann stimmt
etwas nicht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eine Frage der Aufsicht und der Behörden!)


Folgerichtig wäre also eine Begrenzung der Spitzenge-
hälter bei gemeinnützigen Organisationen. Aber auch
dazu findet sich in Ihrem Gesetzentwurf nichts. Wir wol-
len das in die Beratungen einbringen.

Was bringt der Gesetzentwurf darüber hinaus? Neben
einigen wichtigen Verfahrensänderungen bringt er vor
allen Dingen Änderungen, die die Welt nicht braucht:
Sie wollen die Frist für die Geltung von Freistellungsbe-
scheiden für Spenden auf drei Jahre verkürzen. Bisher
gelten fünf Jahre. Auch bei Verwendungsauflagen sieht
der Entwurf eine Festschreibung auf zwei Jahre statt der
bisher üblichen drei Jahre vor. Das bedeutet für die be-
troffenen Träger eine erhebliche Verschlechterung gegen-
über der aktuellen Situation.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Die Sportveranstaltungen wurden schon angespro-
chen. Ich bin gespannt darauf, Herr Steffel, wie Sie mir
gleich erklären werden, was bei Sportveranstaltungen so
viel anders ist als bei allen anderen, dass es notwendig
ist, sie im Gesetz mit einem um 10 000 Euro höheren
Freibetrag zu begünstigen; dieser soll ja für Sportveran-
staltungen von 35 000 auf 45 000 Euro erhöht werden.

Meine Damen und Herren, das Steuerrecht wird die
notwendige Ausweitung des gesellschaftlichen Engage-
ments von Bürgerinnen und Bürgern nur dann nachhaltig
unterstützen, wenn die Struktur der steuerlichen Förde-
rung den aktuellen Anforderungen angepasst wird, statt
dass die vorhandenen Starrheiten, so wie Sie es tun,
immer wieder neu bedient werden. Ich fordere Sie des-
halb im Sinne des bürgerschaftlichen Engagements auf:
Spenden Sie in den kommenden Wochen Ihre persön-
liche Zeit, um diesen Gesetzentwurf besser zu machen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720401200

Das Wort erhält nun der Kollege Frank Steffel für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt aber! Sag’s ihr mal!)



Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1720401300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir sprechen heute über die Anerkennung des
Ehrenamts, über die Stärkung unserer Vereine, über
Wertschätzung für Ehrenamtliche und über Dank an Eh-
renamtliche, die unendlich viel für unsere Gesellschaft
leisten.

Sie sprechen über Skandale, Missbrauch des Ehren-
amts und Steuerhinterziehung. Unser Verständnis von Eh-
renamt und Vereinen ist, mit Verlaub, ein völlig anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie eigentlich Zeitung? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wissen Sie, was in den Vereinen los ist?)






Dr. Frank Steffel


(A) (C)



(D)(B)


Wie man bei einem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts,
zur Anerkennung des Ehrenamts, zur Entbürokratisie-
rung der Arbeit ehrenamtlich arbeitender kleiner Vereine
ernsthaft über Steuerhinterziehung und Missbrauch des
Ehrenamts sprechen kann, ist mir völlig schleierhaft.

Insofern danke ich den Sozialdemokraten für ihren
Beitrag. Sie haben sich zwar im Detail kritisch mit dem
Vorschlag auseinandergesetzt – was völlig in Ordnung
ist –; aber im Grundsatz sagen sie: Jawohl, das geht in
die richtige Richtung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mich freut
es, dass wir uns heute hier endlich einmal nicht mit
Finanzkrisen oder Marktkrisen beschäftigen, sondern
mit Menschen: mit den 30 Millionen Deutschen, die sich
ehrenamtlich – ohne Marktpreis und ohne Entgelt – je-
den Tag für uns und unsere Gesellschaft engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720401400

Herr Kollege Steffel, darf Ihnen die Kollegin Höll

eine Zwischenfrage stellen?


Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1720401500

Nein. – Mich freut es, dass in Deutschland 25 Millio-

nen Menschen in Sportvereinen Sport treiben können.
Das wäre ohne das Engagement unserer ehrenamtlichen
Trainer, Übungsleiter, übrigens auch der Schatzmeister,
der Kassierer, unserer Schiedsrichterinnen und Schieds-
richter überhaupt nicht möglich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen danken wir besonders den 7,5 Millionen
Deutschen, die sich in ihrer Freizeit gerne und aus Über-
zeugung ehrenamtlich in Sportvereinen engagieren, zu-
meist übrigens, um sich um Kinder und Jugendliche zu
kümmern.

Ich will auch sehr deutlich sagen: Kein Fitnessstudio
und keine Nordic-Walking-Gruppe kann das ersetzen, was
deutsche Vereine für Kinder und Jugendliche leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gerade weil sich ein großer Teil dieses sehr guten Ge-
setzes zur Stärkung des Ehrenamts mit Vereinen – im
Wesentlichen mit Sportvereinen – beschäftigt, ist es mir
ein besonderes Anliegen, heute auch über die Ehrenamt-
lichen zu sprechen, die sich nicht im Sport engagieren,
sondern in anderen Bereichen unserer Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, das, was Elternvertreter
– Väter und Mütter – in Schulen und Kitas leisten, ist he-
rausragende ehrenamtliche Arbeit.

Bei unseren Hilfsorganisationen – das Deutsche Rote
Kreuz, die Johanniter, das Technische Hilfswerk, Malte-
ser, Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Ret-
tungs-Gesellschaft – stehen, wenn es kritisch wird, von
Montag bis Sonntag Männer und Frauen, Jungs und Mä-
dels für unser Leben, für unser Wohl ein. Deshalb ver-
dienen sie Anerkennung, Entbürokratisierung und eine
Stärkung ihrer Tätigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will ausdrücklich auch auf die Arbeit der Gemein-
dekirchenräte in Deutschland hinweisen und darauf, was
die Kirchen in Deutschland – seien es christliche, jüdi-
sche oder islamische – leisten: bei der Integration von
Menschen, in der sozialen Arbeit in unserem Land. Auch
das spielt eine große Rolle. Das sollte im Zusammen-
hang mit dem Ehrenamt erwähnt werden.

Ich möchte auch die Arbeit der Parteien erwähnen.
Das, was Kommunalpolitiker in Deutschland leisten,
das, was ehrenamtliche Mitglieder in allen Parteien für
unser Gemeinwohl leisten, sollte hier im Deutschen
Bundestag anlässlich dieser Debatte auch einmal lobend
erwähnt werden. 90 Prozent der Mitglieder in den deut-
schen Parteien arbeiten ehrenamtlich und engagieren
sich in der Nachbarschaft, kommunal, für uns und unsere
Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, was bedeutet das Ehren-
amt, über das wir so viel und so gerne sprechen?


(Iris Gleicke [SPD]: Sagen Sie doch mal was zu dem Gesetz!)


Es bedeutet zum Ersten, eine Aufgabe zu übernehmen
und sich dauerhaft, zumeist sehr lange, vielfach ein gan-
zes Leben, für eine Sache zu engagieren.

Schon das verdient in unserer Gesellschaft Anerken-
nung.

Es bedeutet zum Zweiten, Zeit zu opfern, Freizeit zu
opfern. Dabei geht es nicht darum, irgendetwas abzuset-
zen, Frau Paus. Vielmehr sprechen wir von einer Auf-
wandsentschädigung von läppischen 60 Euro pro Monat.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß, Herr Steffel, ja!)


Das hat mit dem Absetzen von Quittungen, Steuerhinter-
ziehung und Missbrauch überhaupt nichts zu tun. Das ist
ein bisschen Taschengeld für die, die sich für uns alle
engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es geht auch um Menschen, die in der Tat Geld mit-
bringen. Die Mutter, die einen Kuchen für das Kita-Fest
mitbringt, engagiert sich ehrenamtlich und bringt noch
Geld mit. Der Vater, der seine Kinder zum Sport fährt,
engagiert sich ehrenamtlich und gibt das Geld für sein
Benzin und sein Auto gerne aus.

Über was reden wir hier eigentlich?


(Iris Gleicke [SPD]: Die Frage ist, über was Sie reden! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über den Gesetzentwurf müssen wir reden!)


Wir reden über Menschen, die nicht fragen: „Was kriege
ich? Wie hoch ist die Verzinsung?“, sondern die im We-
sentlichen darüber reden: Was kann ich tun? Wo kann
ich anpacken? Wo kann ich unserer Gesellschaft und uns





Dr. Frank Steffel


(A) (C)



(D)(B)


allen helfen? – Das sind die Männer und Frauen, die wir
in diesem Land brauchen – und nicht die Nörgler, die das
Ehrenamt noch beleidigen und beschädigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist ja unverschämt! – Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Wenn wir über die Rahmenbedingungen des Ehren-
amts sprechen, ist mir eine Bemerkung besonders wich-
tig: Viele Ehrenamtliche haben auch Nachteile aus ihrem
Ehrenamt. Sie treten im Beruf kürzer. Sie kriegen keine
bezahlten Überstunden, sondern sie leisten unbezahlte
ehrenamtliche Arbeit. Sie verzichten vielleicht auf Kar-
rierechancen,


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Oh, jetzt kommt es aber dicke!)


auf Fortentwicklung, auf Weiterbildung, auf Beförde-
rung. Deshalb möchte ich auch heute hier ausdrücklich
an alle Unternehmen in Deutschland appellieren: Das
Ehrenamt darf nicht zum Nachteil eines Arbeitnehmers
gereichen, sondern unsere Unternehmen sollten Ehren-
amtliche fördern und unterstützen und sie im Zweifels-
fall denen vorziehen, die sich nicht ehrenamtlich enga-
gieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Abschließend möchte ich den Familien der Ehrenamt-
lichen einen besonderen Dank aussprechen. Die Fami-
lien von Ehrenamtlichen zahlen vielfach einen hohen
Preis. Manch ein Vater und manch eine Mutter, die am
Wochenende für eine Hilfsorganisation tätig sind, kön-
nen sich eben nicht um ihre eigenen Kinder, ihre eigenen
Eltern, ihre Freunde und ihre sonstigen Familienangehö-
rigen kümmern.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie doch auf die Frage der Kollegin Paus!)


Manch ein Trainer verzichtet abends darauf, seinen eige-
nen Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen,
weil er sich um andere Kinder auf deutschen Sportplät-
zen oder in Sporthallen kümmert.

Deshalb möchte ich einen besonderen Dank und eine
besondere Anerkennung auch denen aussprechen, die in
ihren Familien Ehrenamtliche unterstützen, ihnen den
Rücken freihalten, sie ermuntern, sie motivieren, in un-
serer Gesellschaft auch weiterhin eine unverzichtbare
Aufgabe zu übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auf die Details des Gesetzentwurfes wurde umfang-
reich hingewiesen. Heute ist ein guter Tag für das Ehren-
amt. Heute ist ein Tag der Anerkennung für Ehrenamtli-
che in Deutschland. Heute ist ein guter Tag für deutsche
Vereine, Hilfsorganisationen und viele andere. Wir wer-
den die Anerkennung des Ehrenamts und die Rahmenbe-
dingungen für ehrenamtliches Engagement verbessern.
Wir werden das Ehrenamt stärken. Auch Ihre kleinteilige
Nörgelei wird uns davon nicht abbringen.

Uns geht es ums Ehrenamt und nicht um Parteipolitik.
Wir brauchen ehrenamtliche Menschen in diesem Land,
die etwas tun, was kein anderer an anderer Stelle durch
den Staat jemals leisten könnte.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720401600

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Höll

das Wort.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720401700

Danke, Herr Präsident. – Ich möchte zunächst eine

Bemerkung machen: Herr Steffel, ich weise entschieden
zurück, dass ich das Ehrenamt diskreditieren würde. Im
Gegenteil! Ich achte – das habe ich in meinen Ausfüh-
rungen klargemacht – das Engagement der vielen Bürge-
rinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Dann müssen Sie das einmal deutlicher sagen!)


Ich würde nie, wie Sie eben, sagen, dass es hier um
„läppische 60 Euro“ geht. Nein, auch 60 Euro wären
eine gute Anerkennung. Ich habe Ihnen aber gesagt
– hier kennen Sie leider die Realität nicht –: Nur jeder
vierte ehrenamtlich Engagierte kommt überhaupt in den
Genuss, wenigstens den Aufwand erstattet zu bekommen.
Ganze 10 Prozent der Ehrenamtlichen werden von Ihren
steuerlichen Regelungen etwas haben. Das ist nicht die
notwendige Anerkennung, sondern viel zu wenig.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch ein Gedanke. Sie müssten wirklich einmal den
Vergleich mit anderen Ländern wagen. In Skandinavien
gibt es ein wesentlich größeres ehrenamtliches Engage-
ment, weil die Menschen dort ihr Ehrenamt gerade im
sozialen Bereich, im kulturellen Bereich, im Bildungsbe-
reich als Ergänzung empfinden können und sich nicht als
Lückenbüßer sehen, wie Sie es im Gesetzentwurf be-
gründen, weil die öffentliche Hand kein Geld mehr hat
und da jetzt bitte einmal das unentgeltliche freiwillige
Engagement ran soll. Das ist ein Missbrauch von bürger-
schaftlichem Engagement durch die Politik. Das kriti-
siere ich und lehne ich ab.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja, bei Ihnen gab es ja Ehrenamt! Zwangsernteeinsatz! Wunderbar! – Gegenruf von der LINKEN: Sie reden aber heute ein „Kauder-Welsch“!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720401800

Nun möchte die Kollegin Paus noch etwas klarstellen,

weil sie direkt angesprochen worden ist. Dazu sollte sie
Gelegenheit haben. Und wenn er möchte, kann der Kol-
lege Steffel dann darauf noch kurz reagieren. Ich mache
aber darauf aufmerksam, dass ich jetzt natürlich nicht
die Absicht habe, zuzulassen, dass die ohnehin gemelde-
ten Redner der Fraktionen sich durch anschließende





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Kurzinterventionen wechselseitig eine Verlängerung ih-
rer jeweiligen Redezeiten erschleichen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Sehr richtig! – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


– Ich nehme es mit Rührung zur Kenntnis, Frau Kolle-
gin.

Frau Kollegin Paus, bitte schön.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720401900

Herr Präsident! Der Redner hat keine Zwischenfragen

zugelassen. Er hat mich aber trotzdem direkt angespro-
chen. Deswegen wollte ich einfach noch einmal Folgen-
des klarstellen: Ich kann nicht nachvollziehen, dass der
Fahrer eines Behindertentransports keinen Freibetrag
geltend machen kann, während der Betreuer des Behin-
derten diesen sehr wohl geltend machen kann. Mein
Punkt war, dass ich beim ehrenamtlichen Engagement
insgesamt nicht nachvollziehen kann, warum Sie in Ih-
rem Gesetzentwurf wieder so stark unterscheiden, wa-
rum Sie nicht endlich herunterkommen von dem starren
Katalog und warum Sie in der Tendenz Frauen gegen-
über Männern benachteiligen,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch abwegig! – Marco Buschmann [FDP]: Das ist absurd!)


indem bei der Übungsleiterpauschale der Mann auf dem
Platz den hohen Freibetrag geltend machen kann, wäh-
rend die Frau nur einen geringeren Freibetrag geltend
machen kann.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Was ist denn das für ein Frauenbild?)


Um diese Ungleichbehandlung ging es mir.

Außerdem haben Sie meine Frage zu den Sportveran-
staltungen nicht beantwortet. Das ist für mich ein wichti-
ger Punkt, und darüber möchte ich diskutieren. Das ist
keine Kleinkrämerei, und deswegen möchte ich gerne
entsprechend gewürdigt werden. Es ist nun einmal so,
dass man das ehrenamtliche Engagement auf unter-
schiedliche Art und Weise stärken kann. Wir wollen eine
Gleichbehandlung, Sie wollen das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Als Sie in der Regierung waren, haben Sie gar nichts gemacht! Jetzt die große Lippe! Und in Baden-Württemberg haben Sie auch noch nichts gemacht!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720402000

Für die Vertiefung dieser zweifellos klärungsbedürf-

tigen Punkte stehen ja auch die Ausschussberatungen zur
Verfügung. – Möchte der Kollege Steffel noch etwas
dazu sagen?


Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1720402100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut

mich, Frau Kollegin Höll, dass wir Sie bei unserem En-
gagement für das Ehrenamt an unserer Seite wissen. Und

es freut mich, Frau Kollegin Paus, dass Sie einmal mehr
deutlich gemacht haben, dass Sie ganz anders denken als
wir. Deswegen wählen die Menschen auch unterschied-
liche Parteien. Ich bin sicher: Die Ehrenamtlichen in
Deutschland wählen uns, weil sie spätestens seit heute
wissen, worum es uns geht.


(Lachen bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das glauben Sie ja selbst nicht!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720402200

Wenn das, Herr Kollege Steffel, tatsächlich 30 Millio-

nen sind, lässt das ja eigentlich ziemlich sichere Progno-
sen bezüglich des Wahlergebnisses zu, nicht wahr?


(Heiterkeit)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Marianne Schieder
für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1720402300

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! In der Tat, es ist so. Was wäre unsere Gesellschaft,
was wäre unser Land ohne das vielfältige, uneigennüt-
zige gesellschaftliche und bürgerschaftliche Engage-
ment?

Viele Menschen engagieren sich in den verschiedens-
ten Bereichen für ihre Mitmenschen; sie engagieren sich
für Gesellschaft, Kirche und Staat, und sie engagieren
sich für unser aller Wohl. Ehrenamtliches Engagement
ist, gerade im ländlichen Raum, das gesellschaftliche
Bindeglied.

Vor allen Dingen für junge Menschen ist die Möglich-
keit eines ehrenamtlichen Engagements enorm wichtig;
denn es fördert soziales Lernen, eröffnet sinnvolle Frei-
zeitgestaltung, übt Verantwortungsbewusstsein ein und
lässt den Wohnort zur Heimat werden.

Wir alle wissen doch, wovon wir sprechen; denn auch
die meisten von uns kamen über ein umfangreiches eh-
renamtliches Engagement in die Politik und nicht zuletzt
auch zum Bundestagsmandat. Und auch die meisten von
uns stellen sich nach wie vor im bürgerschaftlichen En-
gagement, im ehrenamtlichen Engagement in den Dienst
der Allgemeinheit.

Alle in unserem Land ehrenamtlich tätigen Männer
und Frauen haben natürlich ein Recht darauf, dass wir
als Gesetzgeber die Rahmenbedingungen so gestalten,
dass ehrenamtliches Engagement gefördert und nicht be-
hindert wird, dass unnötige Bürokratie abgebaut und
rechtliche Festsetzungen nachvollziehbar und durch-
schaubar gestaltet werden.


(Beifall bei der SPD)


Ehrenamt muss man sich leisten können. Ehrenamt
muss man sich auch zutrauen können. Es kann doch
nicht sein, dass viele Menschen, die sich engagieren oder





Marianne Schieder (Schwandorf)



(A) (C)



(D)(B)


sich engagieren wollen, das Gefühl haben, sie befänden
sich stets mit einem Bein im Gefängnis


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau!)


oder wären von Haus aus nicht in der Lage, den Berg
von Vorschriften und einzuhaltenden Regelungen über-
haupt zu überblicken, geschweige denn einzuhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Deswegen machen wir das!)


Hier sind natürlich Klarstellungen und Erleichterun-
gen zu schaffen. Der Deutsche Bundestag hat dies be-
reits im Jahre 2009 mit der Schaffung des § 31 a des
Bürgerlichen Gesetzbuchs getan; das wurde heute schon
erwähnt. Dort steht, dass der Vereinsvorstand, der unent-
geltlich tätig ist, gegenüber dem Verein und auch gegen-
über den Mitgliedern des Vereins nur dann haften muss,
wenn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Gegen-
über Dritten wird zwar gehaftet, aber da gibt es gegen-
über dem Verein den Befreiungsanspruch, der einge-
räumt wird.

Nun soll diese Regelung auch auf Mitglieder anderer
Organe und auf besondere Vertreter von Vereinen und
Stiftungen erweitert und § 31 a BGB entsprechend ge-
fasst werden. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird auch
vorgeschlagen, diese Beschränkung der Haftung auf alle
Vereinsmitglieder auszudehnen. So soll dann künftig ein
ehrenamtlich tätiges Vereinsmitglied nur noch dann für
einen Schaden, der durch sein Handeln entsteht, haften,
wenn grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegt. Ent-
steht der Schaden einem Dritten und liegt beim Scha-
densverursacher weder Vorsatz noch grobe Fahrlässig-
keit vor, dann soll das Vereinsmitglied zwar haften, aber
eben auch diese Freistellung in Anspruch nehmen kön-
nen. Dazu wird vorgeschlagen, den § 31 b neu ins BGB
einzufügen.

In diesem Sinne soll es auch eine Veränderung im
Einkommensteuergesetz geben, nämlich eine Verände-
rung in § 10 b, mit der die Veranlasserhaftung bei
zweckfremder Verwendung von Spenden auf die Fälle
der grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Schadensverur-
sachung beschränkt werden soll. Solche Verbesserungen
sind natürlich sinnvoll, und solche Verbesserungen un-
terstützen wir.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Allerdings möchte ich an dieser Stelle schon darauf
hinweisen, dass solche Verbesserungen nur eine kleine
Verbesserung darstellen. Es darf keinesfalls der Ein-
druck erweckt werden, dass damit die zweifellos hohen
Anforderungen an die Vereinsvorstände, was die Kennt-
nis von steuerrechtlichen, strafrechtlichen, urheberrecht-
lichen, arbeitsrechtlichen und diversen anderen recht-
lichen Vorschriften betrifft, gesunken wären. Die Augen
davor zu verschließen oder den Kopf in den Sand zu ste-
cken, hilft niemandem weiter,


(Beifall bei der SPD)


weil Nichtwissen ebenso wenig vor Strafe schützt wie
Nicht-wahrhaben-Wollen. Hier möchte ich an die Ver-
bände, Vereine und Organisationen appellieren, sich die-
ses Themas verstärkt anzunehmen und die Verantwort-
lichen vor Ort über Ausbildung und Schulung auf ihre
Aufgaben ausreichend vorzubereiten.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Einverstanden!)


Allerdings müssten wir in dieser Hinsicht die Vereine,
Verbände und Organisationen natürlich entsprechend un-
terstützen; denn nach meiner Erfahrung – auch ich bin
umfangreich ehrenamtlich tätig – ist die Angst vor all
diesen Anforderungen gerade dort groß, wo das Wissen
gering ist, und es entstehen schlimme Folgen gerade des-
wegen, weil man sich eben nicht rechtzeitig und ausrei-
chend um die rechtlichen Belange kümmert.

Ich frage mich allerdings auch, warum die Bundesre-
gierung nicht auch einen anderen Bereich in Angriff ge-
nommen hat, nämlich den Bereich der Versicherungen.
Da gibt es ein wirklich unüberschaubares Chaos, und
kaum ein ehrenamtlich Tätiger weiß, was Sache ist.
Dazu gibt es unterschiedliche Regelungen in den Bun-
desländern. Hier hätte ich mir wirklich eine länderüber-
greifende Initiative mit dem Ziel der Vereinfachung ge-
wünscht.


(Beifall bei der SPD)


In diesem Sinne müssen wir noch intensiv diskutie-
ren, um diesen Gesetzentwurf zu verbessern und ent-
sprechend anzureichern, sodass er den Ehrenamtlichen
wirklich dienlich ist.

Auch ich möchte schließen mit einem ganz herzlichen
Dank an alle Männer und Frauen in unserem Land, die
ehrenamtlich tätig sind; denn sie alle leisten eine wirk-
lich großartige Arbeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720402400

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Marco

Buschmann für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1720402500

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie man
eine so gute Sache so schlechtreden kann, das werde ich
auch nach drei Jahren Parlamentserfahrung nicht verste-
hen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wie man eine solch gute Sache, nämlich den ehrenamt-
lich Tätigen zu helfen, die in unserem gemeinsamen In-
teresse liegt, für die kleine Münze parteitaktischen Kal-
küls nutzen kann, das werde ich nach drei Jahren
Mitgliedschaft im Parlament nicht verstehen.


(Unruhe bei der SPD)






Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)


Das will ich auch nicht verstehen; das möchte ich nicht
verstehen. Dass man versucht, aus der Unterstützung des
ehrenamtlichen Engagements eine Genderfrage zu ma-
chen, werde ich ebenfalls nicht verstehen. Das will ich
auch nicht verstehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In Deutschland gibt es über 600 000 eingetragene
Vereine, eine Unzahl nicht eingetragener Vereine und
rund 19 000 Stiftungen. Viele davon sind gemeinnützig
und sind in einem Bündnis für Gemeinnützigkeit organi-
siert. Ich hoffe, dass viele von denen heute zuschauen
und zur Kenntnis nehmen, dass Sie auf den von uns ge-
planten Maßnahmen – diese lassen sich in Mitteilungen
vieler Verbände wiederfinden; viele Verbände rufen re-
gelrecht danach und bitten uns, ihnen in der Praxis mit
vielen kleinen Maßnahmen zu helfen, die ihnen ihre Ar-
beit etwas erleichtern – geradezu herumtrampeln und sa-
gen, das alles sei dummes Zeug. Ich bin sicher, dass die
Betreffenden dann die Konsequenzen daraus ziehen wer-
den.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD])


Wenn Sie von der Linken uns weismachen wollen, es
sei etwas Schlimmes, wenn gemeinnützige Vereine Lü-
cken schließen, dann halte ich Ihnen mit dem großen Li-
beralen Ralf Dahrendorf entgegen: Das Wesen des Eh-
renamts sowie von gemeinnützigen Vereinen und
Stiftungen besteht doch darin, Initiativlücken zu schlie-
ßen; denn die Gesellschaft deckt hier Bedarfe, die der
Staat nie finden würde. Das ist Innovation und Fort-
schritt, der aus der Gesellschaft kommt. Es ist das nor-
male Wesen von gemeinnützigen Vereinen und Stiftun-
gen, Lücken zu schließen, die der Staat noch gar nicht
erkannt hat. Wenn Sie sagen, der Staat sei schlauer als
die Gesellschaft, die gemeinnützigen Vereine und die
Bürger, dann zeigt das Ihr Gesellschaftsbild und Ihr
Staatsverständnis. Das teilen wir nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte nun mit meinen Entgegnungen auf all die
Vorwürfe aufhören, weil es der Sache nicht gerecht wird,
und zum Verbindenden kommen. Ich bin der Kollegin
Schieder sehr dankbar, dass sie auf einen wichtigen
Punkt hingewiesen hat, auf den ich erst gestern ange-
sprochen wurde. Eine Lehrerin, die zu einer Besucher-
gruppe gehörte und die sich in einer Umweltgruppe en-
gagiert, liebe Frau Paus, sprach mich an und sagte mir:
Die größte Sorge, die wir haben, ist das Haftungsrisiko.
Wir finden immer weniger Menschen für ehrenamtliche
Tätigkeiten, weil sich viele Sorgen machen. Die meisten
würden gerne etwas tun, wissen aber nicht, welchem
Haftungsrisiko im Steuer-, Abgaben- und Zivilrecht sie
sich aussetzen.

Ich möchte auf das hinweisen, was die Kollegin
Schieder gerade angesprochen hat. Wir gestalten die zi-
vilrechtliche Haftungsverfassung endlich so fair und
transparent aus, dass man keine Angst haben muss, wenn
man als Mitglied eines Vereins die Aufgabe übernimmt,
das Vereinsheim oder die Turnhalle für die Weihnachts-

feier zu schmücken. Wenn eine Lichterkette herunter-
fällt, die man vielleicht nicht perfekt festgemacht hat,
oder wenn eine Metallklammer auf einen Tisch fällt, auf
dem ein Smartphone liegt, stellt sich die Frage, wer nun
den entstandenen Schaden in Höhe von Hunderten Euro
trägt. Früher musste man darüber diskutieren, ob es sich
um leichte oder mittlere Fahrlässigkeit handelt. Unab-
hängig von der Frage, wer für den Schaden aufkommen
muss, findet man niemanden mehr für eine ehrenamt-
liche Tätigkeit, wenn sich im Verein erst herumgespro-
chen hat, dass man im Schadensfall per Rechtsanwalt
klären muss, welcher Grad an Fahrlässigkeit exakt vor-
liegt.

Sie haben damals eine Lösung für die Vereinsvor-
stände in § 31 a BGB gefunden. Wir gehen jetzt einen
Schritt weiter; wer A sagt, muss auch B sagen mit dem
neuen § 31 b BGB. Wenn wir nun das von Ihnen den
Vereinsvorständen gewährte Privileg auch dem norma-
len Vereinsmitglied zukommen lassen, dann stellt das
eine praktische Hilfe dar. Ich bitte insbesondere die Kol-
legen von der Linken und den Grünen, die sagen, das al-
les sei nur eine Randerscheinung und nicht so wichtig:
Nehmen Sie Kontakt mit gemeinnützigen Vereinen auf
und fragen Sie, wo konkret Probleme bestehen. Sie wer-
den dann feststellen: Es ist die Sorge um die Haftung in
der Zeit des ehrenamtlichen Engagements.

Wir helfen nun mit einer einfachen, fairen und trans-
parenten Regelung, die nichts anderes bedeutet als: Ihr
müsst euch keine Sorgen machen. Erst dann, wenn ihr
vorsätzlich einen Schaden anrichtet und wenn jedermann
klar ist, dass man das nicht machen darf, wenn man also
grob fahrlässig handelt, müsst ihr euch Sorgen machen.
Das schafft Transparenz für die, die sich ehrenamtlich
engagieren. Ich denke, das ist eine gute Sache, die man
hier nicht aus parteitaktischen Gründen zerreden sollte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich auf die konstruktive Diskussion mit
den Sozialdemokraten; denn sie haben sich als einzige
Oppositionsfraktion konstruktiv eingebracht, indem sie
einen Bezug zu dem Gesetz, das wir vorgelegt haben,
hergestellt haben.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Danke! Danke!)


Ich bin gespannt, wie die Grünen uns erklären wollen,
wie wir die Genderfrage durch das Vereins- und Ge-
meinnützigkeitsrecht lösen können, und ich bin wirklich
sehr gespannt, wie die Linken uns erklären werden, wie
wir demnächst dafür sorgen können – ich habe es gar
nicht richtig verstanden; das gebe ich offen zu, das muss
ich Ihnen ganz ehrlich sagen –,


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Sie haben es nicht verstanden! – Iris Gleicke [SPD]: Den Eindruck haben wir auch!)


den Gedanken, dass ehrenamtliches Engagement immer
Aufwand und Opfer bedeuten, aus der Welt zu schaffen.
Auch das werde ich nicht verstehen; denn das ist der In-





Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)


begriff ehrenamtlichen Engagements. Wir wollen den
Leuten durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedin-
gungen helfen. Wie man das zerreden kann – damit be-
ende ich meinen Beitrag so, wie ich ihn begonnen habe –,
das werde ich nie verstehen, und das möchte ich auch
nicht verstehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720402600

Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin

Katrin Kunert.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720402700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Buschmann, meine Oma hat immer gesagt: Wenn
du etwas nicht verstehst, dann sprich nicht darüber.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Ja, das bürgerschaftliche Engagement in der Gesell-
schaft muss gestärkt und unterstützt werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann sollten Sie jetzt mal abtreten!)


Die Linke sagt allen ehrenamtlich Tätigen in Deutsch-
land ausdrücklich Danke, weil wir auf dieses Engage-
ment bauen.


(Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich möchte Sie von der CDU bitten, das „Kauder-
Welsch“ zu unterlassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Neben vielen anderen Dingen, die Sie mit diesem Ge-
setzentwurf verändern wollen, geht es insbesondere um
die Anhebung der Grenzen für Ehrenamtspauschalen
und Freibeträge. Frau Höll hat bereits gesagt, dass viele
gar nicht in den Genuss kommen, höhere Freibeträge
geltend zu machen. Die Ehrenamtlichen wollen auch gar
nicht, dass man sich darauf konzentriert. Was wir und
die Ehrenamtlichen wollen, ist eine Stärkung der Aner-
kennungskultur, was das ehrenamtliche Engagement in
der Bundesrepublik betrifft.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das haben wir doch!)


Herr Steffel, es geht nicht um Nörgelei und kleintei-
lige Kritik; aber wir müssen das Gesetz sehr wohl da-
raufhin überprüfen, ob wir alle würdigen, die in diesem
Land ehrenamtlich tätig sind, oder ob wir das nicht tun.
Wir schlagen vor, über diesen Gesetzentwurf in einer
Anhörung intensiv zu diskutieren und auch diejenigen,
die sich ehrenamtlich betätigen, zu Wort kommen zu las-
sen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will einige Fragen stellen, die mir von ehrenamt-
lich Tätigen aus meinem Wahlkreis mitgegeben wurden:
Unter welchen Bedingungen leisten Feuerwehrleute ih-
ren Dienst? Haben sie ausreichend Unterstützung, wenn

sie von schweren Unfällen zurückkommen, zu denen sie
gerufen werden? Wie sieht es aus mit der Freistellung in
Betrieben? Wie kann man dies für die Kameradinnen
und Kameraden bei der Feuerwehr besser regeln? Wie
geht der Gesetzgeber mit der Forderung um, über zusätz-
liche Rentenpunkte für langjährige Mitglieder der Feuer-
wehr nachzudenken?


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


Wie können wir Lehrerinnen und Lehrer unterstützen,
die sich nach der Schule um Kinder und Jugendliche
kümmern? Kann man ihre Arbeit vielleicht durch Abgel-
tungsstunden usw. unterstützen? Warum sind die Ausga-
bestellen der Tafeln im Land immer in stark sanierungs-
bedürftigen Räumen untergebracht? Warum müssen
Sportvereine immer höhere Kosten tragen, wenn sie
Sportanlagen der Kommunen nutzen? Wie kann Ehren-
amt im ländlichen Raum weiterhin funktionieren, wenn
die Bevölkerung immer älter und weniger wird? – Das
sind Fragen, die wir gemeinsam mit den Ländern, den
Kommunen und den ehrenamtlich Tätigen klären soll-
ten.

Ihre Würdigung des Ehrenamts beschränkt sich im
monetären Bereich leider nur auf die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Nachdem Sie im Gesundheitssystem
eine Zweiklassengesellschaft geschaffen haben, setzen
Sie dies im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements
leider fort. Ich will Ihnen auch sagen, warum. – Die
CDU lächelt bei diesen Ausführungen.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Bei uns ist der Spaß nicht verboten! Bei Ihnen schon!)


Während normale Erwerbstätige beim Überschreiten
ihrer Freibetragsgrenze nur für einen Teil Steuern abzu-
führen haben, wird dem Arbeitslosengeld-II-Beziehen-
den oberhalb der Freibetragsgrenze die Aufwandsent-
schädigung zu 100 Prozent abgezogen bzw. auf den
Regelsatz angerechnet.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist in Baden-Württemberg gut geregelt!)


Das ist für die Linke nicht hinnehmbar,


(Beifall bei der LINKEN)


übrigens auch deshalb, weil wir in diesem Hause über-
haupt nicht darüber reden, ob Vergütungen für Neben-
tätigkeiten von Bundestagsabgeordneten vielleicht auch
in entsprechendem Umfang von den Diäten abgezogen
werden sollten.


(Marco Buschmann [FDP]: Das ist doch kein Nebentätigkeitsthema!)


Aber bei Arbeitslosengeld-II-Beziehenden gehen wir so
brutal heran und ziehen ihnen die Entschädigung ab.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Da ist die Kollegin falsch informiert!)


Sie setzen sich überhaupt nicht mit der Frage ausei-
nander, warum Aufwandsentschädigungen keine Gegen-





Katrin Kunert


(A) (C)



(D)(B)


leistung für erbrachte Arbeit sind, sondern Ersatz für er-
brachten Aufwand. Haben Sie sich einmal gefragt,
warum in Kommunalverfassungen geregelt ist, wie hoch
die Aufwandsentschädigungen sind? Haben Sie sich ein-
mal gefragt, warum in Kommunen Verordnungen oder
Satzungen zum Ehrenamt beschlossen werden? Darin
wird geregelt, wie groß eine Körperschaft ist, welchen
Umfang die Aufgabe hat, welcher Aufwand damit
verbunden ist und welche Anforderungen an Qualifika-
tionen es gibt. All dies hat nämlich Auswirkungen auf
die Höhe einer Aufwandsentschädigung. Diese Fragen
haben Sie nicht beantwortet.

Bei den Arbeitslosengeld-II-Beziehenden stellen Sie
sich diese Fragen erst gar nicht. Sie glauben immer noch,
die Erwerbslosigkeit in Deutschland bekämpfen zu kön-
nen, indem Sie die Erwerbslosen bekämpfen. Das kann
nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Zu welchem Thema reden Sie eigentlich?)


Sie verpeilen völlig, dass bürgerschaftliches Engage-
ment wertvoll ist, egal von wem es erbracht wird. Circa
25 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden beklei-
den ein Ehrenamt. Ich möchte Ihnen gern ein Beispiel
nennen:

Kerstin ist seit Jahren mit Leib und Seele Mitglied der
Freiwilligen Feuerwehr im Land Brandenburg. Sie war
im Kreis für die Ausbildung im Bereich ABC-Unfälle
und für den Umgang mit Kampfmitteln, Tierseuchen und
Terroranschlägen zuständig. Regelmäßig hat sie dazu
Lehrgänge durchgeführt. Zudem war sie Jugendwartin
bei der Jugendfeuerwehr und war für die Ausbildung
von 300 Feuerwehrleuten zuständig. Sie war auch Si-
cherheitspartnerin der Polizei.

Das alles sind Tätigkeiten, für die ein hohes Maß an
Qualifikation, Engagement und Disziplin erforderlich
sind. Die Anrechnungspraxis hat dazu geführt, dass sie
ihre Ehrenämter aufgegeben hat. Sie hat zwei Berufe, in
denen sie arbeiten könnte. Entsprechende Möglichkeiten
hat sie aber vor Ort nicht; sie bezieht daher Arbeitslosen-
geld II. Sie kann demnächst vielleicht wieder eine neue
Arbeit finden und würde die ehrenamtliche Tätigkeit
wieder aufnehmen.

Ich zitiere aus einer Pressemitteilung der Bundes-
regierung: „Bürgerschaftliches Engagement ist ein
Grundpfeiler unserer Gesellschaft.“ Das Problem aber
ist: Diesen Grundpfeiler reißen Sie in dem von mir ge-
rade erwähnten Bereich ein. Er ist aber viel zu wichtig
für die Gesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement von
Langzeitarbeitslosen dürfen Sie nicht weiter diskriminie-
ren. Die Linke fordert, diese Anrechnungspraxis abzu-
schaffen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720402800

Stephan Mayer ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1720402900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Von Albert Schweitzer
stammt das Zitat: „Das Wenige, das du tun kannst, ist
viel.“ Dieses Zitat verdeutlicht, wie wichtig jeder Bei-
trag für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und
das menschliche Miteinander in Deutschland ist. Mehr
als 23 Millionen Bundesbürger folgen in Deutschland
diesem Motto und engagieren sich in den unterschied-
lichsten Bereichen ehrenamtlich, sei es im sportlichen,
kulturellen oder karitativen Bereich, insbesondere aber
auch im Bildungsbereich und in vielen Selbsthilfe-
gruppen.

Der Gesetzentwurf hilft all denjenigen, die sich in
Deutschland ehrenamtlich engagieren. Deswegen – das
muss ich gestehen – wundert es mich, dass diese Debatte
am heutigen Vormittag so kontrovers verläuft.


(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Dann kennen Sie Ihren Gesetzentwurf nicht!)


Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, dass Sie sich insgeheim nur darüber ärgern, dass
Sie diesen Gesetzentwurf nicht vorgelegt haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das kommt der Sache schon näher! – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist doch dummes Zeug!)


Von dem Gesetzentwurf profitiert jeder vierte Bun-
desbürger in Deutschland. Ich betone auch: Wenn der
Staat einspringen müsste, dann wäre es in keiner Weise
finanzierbar. Der Staat wäre völlig überfordert. Ich gehe
sogar noch weiter: Es wäre auch nicht richtig, wenn der
Staat einspringen würde. Denn die Kreativität, Individu-
alität und auch die breite Vielfalt an Angeboten könnte
der Staat nicht so abdecken, wie es die vielen ehrenamt-
lich Engagierten und die zahllosen Vereine in Deutsch-
land tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das einzige Sperrige an dem Gesetzentwurf ist aus
meiner Sicht der Name. Er ist zu lang geraten und erklärt
sich auch nicht von selbst. Aber der Inhalt des Gesetz-
entwurfs ist alles andere als sperrig. Es gibt zahllose
Regelungen, die bessere Rahmenbedingungen für das
Ehrenamt in Deutschland schaffen.

Ich komme gerade von einem parlamentarischen
Frühstückstermin mit Ehrenamtlichen vom THW, die im
Bereich des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes
tätig sind. Ich habe ihnen erzählt, welche Debatte an die-
sem Plenartag als erste ansteht. Sie waren voll des Lobes
über den Inhalt dieses Gesetzentwurfes. Sie haben mir
deutlich gemacht – ich glaube, dies gilt es noch einmal
herauszustreichen –: Es geht ihnen nicht darum, 1 oder
2 Euro mehr zu bekommen oder auf 1 oder 2 Euro, die
sie zusätzlich bekommen, keine Sozialversicherungsbei-
träge oder Steuern zahlen zu müssen. Vielmehr geht es
ihnen um die Wertschätzung, um die Anerkennung ihrer
Leistung, ihres Engagements. Das ist neben der finan-
ziellen Besserstellung, die durch dieses Gesetz erreicht





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


wird, der zentrale, vielleicht sogar wichtigere Punkt:
dass ehrenamtliches Engagement in Deutschland wirk-
lich wertgeschätzt wird.

Ich finde es schon schade, wenn zahlreiche Vertreter
der Opposition in ihren Reden immer wieder versuchen,
das Ehrenamt in Deutschland madig zu machen,


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das hat doch keiner gemacht! Eine Ungeheuerlichkeit!)


und darauf verweisen, dass die Situation in anderen
Ländern doch viel besser sei. Wir können auf die ehren-
amtliche Kultur, die wir in Deutschland haben, wirklich
stolz sein. Das Gesetz, das wir heute in erster Lesung
beraten, verstärkt und verbessert diese ehrenamtliche
Kultur in Zukunft.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
geht vor allem darum, dass man unnötige Bürokratie ab-
baut. Wenn zum Beispiel die Ehrenamtspauschale von
500 Euro auf 720 Euro erhöht wird, dann ist dies für den
Einzelnen zwar kein entscheidender Betrag, aber es
entlastet ihn davon, dass er Quittungen sammeln und
aufwendig Einzelabrechnungen anfertigen muss. Er
kann dann pauschal einen Entschädigungsbetrag geltend
machen und muss nicht erst eigens Nachweise vorlegen.
Das entlastet den Übungsleiter, das entlastet das Vor-
standsmitglied, das entlastet denjenigen, der ehrenamt-
lich in einer Selbsthilfegruppe tätig ist. Wir wollen doch,
dass die Bürgerinnen und Bürger sich ihrem ehrenamtli-
chen Engagement zuwenden und ihre Zeit nicht am
Schreibtisch verbringen.


(Beifall der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es geht auch darum, dass wir uns Gedanken darüber
machen, in welchen Bereichen man vielleicht das eine
oder andere noch verbessern könnte. Allerdings: Immer
nur von einer Verbesserung der Anerkennungskultur für
ehrenamtliches Engagement in Deutschland zu reden, ist
mir persönlich zu wenig. Jeder von uns kennt es: In
Sonntagsreden wird wohlfeil über die Bedeutung ehren-
amtlichen Engagements gesprochen. Es geht jetzt in der
konkreten Gesetzesarbeit darum, wirklich Hand anzu-
legen.

Ich bin schon der Meinung, dass man das eine oder
andere über diesen Gesetzentwurf hinaus verbessern
kann. Ich denke zum Beispiel daran, dass Schiedsrichter
oder Kampfrichter jedes Wochenende viele Stunden in
Turnhallen und auf Sportplätzen verbringen, ohne dass
sie in § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes einbe-
zogen sind. Da ist meines Erachtens noch Verbesse-
rungsbedarf gegeben.


(Beifall des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/ CSU])


Die Begründung dafür, dass das bisher nicht so war,
ist, dass nur pädagogisch ausgerichtete Tätigkeiten unter
diesen Paragrafen fallen. Meines Erachtens ist die
Arbeit, die ein Schiedsrichter oder ein Kampfrichter er-
bringt, in disziplinarischer, pädagogischer Hinsicht für
junge Menschen vielleicht wertvoller als die manches
Übungsleiters. Angesichts dessen, wie sich manche

Schiedsrichter und Kampfrichter behandeln lassen müs-
sen – sie werden nicht nur ausgepfiffen und angepöbelt,
sondern teilweise sogar auch tätlich angegriffen –,


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Darüber müssen wir reden!)


wäre es nur recht und billig, die Kampf- und die
Schiedsrichter genauso zu behandeln wie die Übungslei-
ter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch die Schiedsrichterinnen natürlich!)


Was mir persönlich in Gesprächen mit ehrenamtlich
Engagierten oder potenziell Willigen auffällt, ist, dass
sie sagen: Na ja, aber dann stehe ich doch mit einem
Bein schon im Gefängnis. Ich habe ohnehin das Pro-
blem, meiner Familie erklären zu müssen, dass ich
meine Freizeit nicht bei ihr verbringe, sondern sie für
Mitmenschen opfere, indem ich etwa auf dem Sportplatz
bin, die Kinder zum Training, zu den Auswärtsspielen
fahre, die Trikots wasche. Dabei kann immer einmal
etwas passieren, was mir möglicherweise zum Vorwurf
gemacht wird. – Insofern ist es ein sehr sinnstiftender
und auch sehr zielgerichteter Ansatz, den Haftungsmaß-
stab für ehrenamtlich Tätige zu reduzieren. In Zukunft
wird es neben § 31 a den § 31 b im BGB geben, durch
den sämtliche ehrenamtlich Tätigen von der Haftung
ausgenommen werden – außer wenn natürlich Vorsatz
oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Nur zivilrechtlich, mein Lieber! Nicht strafrechtlich!)


Ich glaube, dass dadurch konkret sehr viele Hemm-
schwellen für viele Willige abgebaut würden, die an sich
bereit wären, sich ehrenamtlich zu engagieren, dies aber
aufgrund der bisher sehr strengen Haftungsmaßstäbe
nicht getan haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt
ist dies wirklich ein Gesetzentwurf, der sich sehen lassen
kann. Er wird im Bereich des Ehrenamts durchaus auf
große Anerkennung stoßen. Es ist richtig, dass man für
Sportvereine, die im Zweckbetrieb Veranstaltungen
durchführen, den Freibetrag von 35 000 Euro auf
45 000 Euro erhöht.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum? Erklären Sie das mal!)


Dies ist sachgerecht und zielgerichtet, weil es immer
wieder Veranstaltungen gibt, für die die bisherige
Grenze von 35 000 Euro nicht ausreicht.

Deswegen würde es mich wirklich freuen – das sage
ich abschließend –, wenn die Kolleginnen und Kollegen
aus der Opposition diesem Gesetzentwurf nicht so apo-
diktisch negativ gegenüberstünden. Auch wenn es nicht
Ihre Erfindung ist, meine Damen und Herren: Begleiten
Sie uns positiv und konstruktiv auf diesem Weg! Mit
diesem Gesetzentwurf wird das Ehrenamt in Deutsch-
land ganz konkret gestärkt und verbessert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720403000

Ich erteile das Wort der Kollegin Ute Kumpf für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1720403100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege von Stetten und lieber Kollege
Mayer, wir nehmen die Einladung gern an, dieses Gesetz
in der Beratung positiv zu begleiten, um zu erreichen,
dass es zu einem Meilenstein in der Reform des Gemein-
nützigkeitsrechts wird, wie wir das 2007 mit dem Gesetz
„Hilfen für Helfer“ geleistet haben.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass da einiges
offengeblieben ist. Sie kennen auch das, was all die Ver-
bände, Organisationen, Vereine und Initiativen sagen:
Was damals, 2007, noch nicht geregelt worden ist, das
muss jetzt geregelt werden. – Es geht da oft gar nicht so
sehr um das Geld; es geht vor allem um strukturelle Ver-
besserungen, es geht um Vereinfachungen,


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das, was wir jetzt machen!)


es geht tatsächlich um den Abbau von Bürokratie. Dieser
Katalog ist Ihnen bekannt. Im Koalitionsvertrag ist auch
angekündigt worden, dass die Regierung einen Gesetz-
entwurf vorlegen wird, der zur Entbürokratisierung bei-
trägt.

Ist der vorliegende Gesetzentwurf jetzt ein Gesetzent-
wurf der Bundesregierung, also auch des Finanzministe-
riums? Das Finanzministerium ist, glaube ich, gar nicht
vertreten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch! Doch!)


– Es ist aber nicht politisch vertreten.


(Marco Buschmann [FDP]: Wenn das die einzige Kritik an dem Gesetz ist!)


Lieber Kollege Kauder, Steinbrück hat damals da geses-
sen. Er hat sogar geredet. Wo ist Herr Schäuble?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frau Kollegin, er ist entschuldigt! Die Geschäftsführer haben es akzeptiert! So geht das nicht!)


Oder wo ist wenigstens der Parlamentarische Staatsse-
kretär? Es geht hier um die Wertigkeit, die dadurch zum
Ausdruck kommt.

Ich finde, Loben ist wichtig – das tun wir auch –, aber
Lob wird zur Lobhudelei, wenn die Schwachstellen, die
in diesem Gesetz sind, nicht beseitigt werden. Es ist un-
sere Aufgabe, in diesem Parlament ein besseres Gesetz
auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stehen mit dieser Kritik und mit dieser Anmer-
kung nicht allein da. 2010 hat das Nationale Forum für
Engagement und Partizipation einen Katalog erarbeitet,

auch mit Unterstützung aus dem Ministerium. Das
Bündnis für Gemeinnützigkeit hat aus diesem Katalog
eine Synopse zusammengestellt, aus der sich ergibt,
inwieweit Regelungen noch notwendig sind. Das alles
ist Ihnen bekannt, aber leider sind diese Vorschläge, die
sich nicht unbedingt in der Erhöhung der Übungsleiter-
pauschale oder der Ehrenamtspauschale erschöpfen, nur
unzureichend aufgegriffen worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist, denke ich, unsere Aufgabe, diese Vorschläge aus
der Bürgergesellschaft, aus der Zivilgesellschaft mit ein-
zubinden.

Was die Menschen sowie die Organisationen und Ver-
eine irritiert hat: Normalerweise ist es so, dass zu einem
Gesetzentwurf, der von der Bundesregierung vorgelegt
wird, eine Voranhörung der Verbände stattfindet. Eine
solche Anhörung hat es hier nicht gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle wurden davon überrascht. Es war auch unklar: Ist
der Bundesrat von Anfang an dabei oder nicht? Auf
einmal heißt es: Der Bundesrat soll doch dabei sein. –
Dieses Gesetz ist zustimmungsbedürftig. Sie brauchen
auch die Zustimmung der Länder.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja, klar!)


Es ist doch wichtig, bei diesem zentralen Thema die
Zustimmung der Zivilgesellschaft und auch die des
Bundesrates von Anfang an zu organisieren. Deswegen
bitte ich Sie, eine entsprechende Klarstellung zu liefern.

Der Gesetzentwurf wird von Ihnen ja so gelobt. Ich
finde es gut, dass er da ist. So können wir weiter daran
stricken und ihn sozusagen zu einem wirklich wohlge-
nährten Kind machen – mit unserer Unterstützung und,
wie ich denke, auch mit Unterstützung der Grünen sowie
der Linken. Wir alle werden daran arbeiten, dass es tat-
sächlich ein herausragender Meilenstein wird.

Aber nun zur Reaktion der Organisationen auf Ihren
Gesetzentwurf. Es gibt Kritik. Sie wissen ganz genau,
dass die Verbände ein bisschen zurückhaltend sind, weil
sie wissen, dass sie von verschiedenen Häusern zum Teil
finanziell abhängig sind. Olaf Zimmermann hat gesagt:
Ein bisschen Butter bei die Fische wäre vielleicht nicht
schlecht. – Wir können die Butter liefern. Frau Fehres
aus dem Sportbereich hat kritisch angemerkt, dass die
Erhöhung der Übungsleiterpauschale zwar ganz gut ist,
aber dass der Punkt Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements wieder nicht die notwendige Beachtung
findet. Auch Herr Fleisch vom Bundesverband Deut-
scher Stiftungen hat darauf verwiesen, dass es nicht nur
darum geht, Stiftungen zu bedienen. Die Stiftungen wer-
den in dem Gesetz gut bedient. Wir müssen noch einmal
genau hinschauen, ob die Regelungen auf einem guten
Weg sind. Aber Herr Fleisch hat darum geworben, dass
auch alle anderen ehrenamtlich tätigen Menschen von
diesem Gesetz profitieren. Es ist unsere Aufgabe, ent-
sprechend dafür zu sorgen.





Ute Kumpf


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie wissen selbst: Auch Sie als Regierungsfraktionen
stehen im Wort. Es gibt in Ihrem Gesetzentwurf den Teil
der Begründung – dazu werde ich noch etwas sagen,
weil auch dieser Teil sehr problematisch ist –, und es
gibt einen Engagementbericht. Sie selber reden davon,
dass die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches En-
gagement verbessert werden können, wobei sich Ihre
Definition von Rahmenbedingungen und Infrastruktur
oft auf die Vereine beschränkt. Aber auch für die Vereine
tun Sie in diesem Gesetz schlichtweg zu wenig: Sie wer-
den nicht von Bürokratie entlastet. Es wird zu wenig ge-
tan, um Klarheit zu schaffen, zum Beispiel bei Umsatz-
steuerfragen. Es wird in diesem Gesetz zu wenig getan,
die Weichen so zu stellen, dass bei einer Insolvenz eines
Spenders die gespendeten Gelder nicht mehr zurückge-
fordert werden können. Eine ganze Latte von Fragen ist
hier nicht beantwortet worden, die wir im Laufe der Be-
ratungen vonseiten der SPD ansprechen werden.

Dazu gehört – ich möchte das an dieser Stelle sagen;
dies ist ein wichtiger Punkt, den wir seit fünf Jahren vor
uns herschieben; er beruht auf dem Gesetz von 2007 –:
Die Klarstellung zur Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements


(Beifall der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


muss als eigenständiger Zweck anerkannt werden. Das
ist eine Forderung aller Verbände. Dafür müssen wir
Sorge tragen.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Ich weiß, ich war bei den Verhandlungen dabei. Ich
weiß, woher das rührt. Da bin ich nicht außen vor. Wir
hatten damals mehr gefordert, mehr gewünscht.

Jetzt ist es die Aufgabe, dies tatsächlich zu leisten. Es
fehlt auch eine Klarstellung, dass die öffentlichen Zu-
schüsse, die die Vereine bekommen, tatsächlich umsatz-
steuerfrei gestellt werden. Dies ist ein großes Thema, das
gerade kleine Vereine beschäftigt, die eine entspre-
chende Unterstützung bekommen.

Sie loben ja den Sport rauf und runter. Aber ich
möchte darauf hinweisen, dass im Sportbereich durch
Strukturveränderungen, durch Fusionen ein großes Pro-
blem bei der Grunderwerbsteuer entsteht. Dies ist nicht
geregelt. Einige Fusionen werden nicht durchgeführt,
weil dem steuerliche Hemmnisse entgegenstehen.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ihr habt in Baden-Württemberg die Grunderwerbsteuer erhöht!)


Manche Städte – Stuttgart macht es –, die reichen Städte,
helfen dann den Sportvereinen. Aber nicht alle Städte
sind reich, also muss auch hier eine ganz klare Regelung
getroffen werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nachdem ihr die Grunderwerbsteuer dramatisch erhöht habt in Baden-Württemberg!)


– Kollege Kauder, lassen Sie doch die Nebenkriegs-
schauplätze. Dies interessiert mich an dieser Stelle über-
haupt nicht. Ich will den Vereinen helfen und hier keine
Polemiken hören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss einige kritische Anmerkungen. Ähnlich
hat es die Kollegin von der Linken gesehen; auch die
Kollegin Paus hat es angeführt. Es geht um Ihren Begriff
des Engagements in der Begründung in diesem Gesetz-
entwurf. In der Enquete-Kommission waren wir uns ei-
nig: Engagement ist freiwillig,


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: So ist es!)


kann nicht verordnet werden, muss eigensinnig sein und
darf nicht dazu führen, dass man hier einen kleinen drit-
ten oder vierten grauen Arbeitsmarkt aufbaut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es darf vor allem nicht sein, dass Engagierte zu Lücken-
büßern funktionalisiert werden. Die Leute spüren das,
sind sauer und sagen: Da machen wir nicht mehr mit. –
Daher ist es unsere Pflicht und Notwendigkeit, dafür zu
sorgen, dass solche Begrifflichkeiten, die Sie in Ihrer
Begründung verwenden, gestrichen werden.

Die Alarmglocken schrillen vor allem bei den Enga-
gierten ganz heftig, da in Ihrem Ersten Engagementbe-
richt eine Definition von bürgerschaftlichem Engagement
auftaucht, die so moralisierend und ideologieüberfrach-
tet ist, dass alle fragen: Was soll das sein?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dort wird auf einmal von der Freiwilligkeit in der Mit-
verantwortung gesprochen. Die Leute sagen: Wir waren
in der Finanzkrise verantwortlich. Wir haben in unserem
Engagement nicht nachgelassen. Wir haben im Gegen-
satz zu den Unternehmen die Verantwortung mitgetra-
gen. Wo ist die Verantwortung der Unternehmen in die-
sem Sektor?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720403200

Frau Kollegin.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1720403300

Hier stellt sich für mich die Frage: Wo ist die Verant-

wortung der Bundesregierung, sich diesem Thema zu
stellen und dieses Gesetz positiv zu begleiten. Einen
dicken Gruß und eine aufrichtige Einladung an die Bun-
desregierung – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720403400

Frau Kollegin, mit den Grüßen sollte man anfangen,

weil am Ende dafür keine Zeit mehr ist.






(A) (C)



(D)(B)



Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1720403500

Gut. – Aber ich wollte gerade noch den Finanzminis-

ter Schäuble einladen, dass er auf unserer Seite ist, wenn
es darum geht, Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720403600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Reinhard Grindel das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1720403700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gerne will ich die versöhnliche Art der Diskussion auf-
greifen, die Frau Kumpf hier eingeführt hat. Ich würde
mich sehr freuen, wenn wir es durch Berichterstatterge-
spräche, möglicherweise auch durch Ergänzungen unse-
res Gesetzentwurfs, hinbekommen, dass sich der vorlie-
gende Entwurf auf eine breite parlamentarische
Mehrheit stützen kann.


(Beifall des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/ CSU])


Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Wir brauchen
den Bundesrat. Es wäre ein gutes Signal an den Bundes-
rat, wenn wir hier miteinander festhalten, dass es uns bei
diesem Thema nicht um die parteipolitische Auseinan-
dersetzung geht, sondern um das Ehrenamt, vor allen
Dingen im Sportbereich. Das ist der gemeinsame
Wunsch des Bundestages, und wir würden uns freuen,
wenn der Bundesrat dann auch an unserer Seite wäre.
Herzlichen Dank für die konstruktive Art der Diskus-
sion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Hinz, ich stimme Ihnen völlig zu: Es wäre nicht
in Ordnung, wenn mit unserem Gesetzentwurf einer
Tendenz Vorschub geleistet würde, die den Eindruck er-
weckt, der Staat ziehe sich zurück


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


und die Vereine müssten diese Lücke ausfüllen. Die
Stelle, aus der das Zitat stammt, das Sie und, ich glaube,
auch andere Redner gebracht haben, bezieht sich aus-
schließlich auf den Bereich der Stiftungen; hier müssen
wir fair miteinander sein.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist nicht der Fall!)


– Nein, Frau Schieder. – Auch bei den Kirchen gibt es
die Entwicklung, dass sich diese manches nicht mehr
leisten können und die Gemeinden dann durch Stiftun-
gen ergänzend tätig werden. Das trifft auch noch auf an-
dere Bereiche zu. Beispielsweise werden für große kul-
turelle Veranstaltungen in den Kommunen Stiftungen
gegründet, und zwar durch Unternehmen, auch durch die
örtlichen Stadtwerke.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die zahlen ja auch Vortragshonorare!)


Das sind die Bereiche, an die wir denken.

Ich bin wie Sie der Auffassung, dass sich der Staat
hier nicht der Verantwortung entziehen darf, gerade
wenn es um Sportförderung geht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bochum!)


Ich will nur auf eines hinweisen: Durch die Übernahme
der Grundsicherung im Alter seitens des Bundes sind die
Kommunen finanziell erheblich entlastet. Ich sage Ih-
nen: Davon profitieren auch die Bereiche Sport und Kul-
tur, weil sonst im Rahmen der freiwilligen Leistungen
vielleicht vieles auf den Prüfstand gekommen wäre, jetzt
aber die Kommunen neuen Handlungsspielraum haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Insofern haben wir ganz konkret etwas dafür getan, dass
sich der Staat nicht aus der Verantwortung zieht.

Frau Kunert, Sie haben dem Kollegen Buschmann zu
verstehen gegeben, man solle nur über das reden, wovon
man Ahnung hat, und haben in diesem Zusammenhang
die Feuerwehrrente angesprochen. Ich sage Ihnen: In
meinem Wahlkreis lehnen die Feuerwehren diese Rente
ab, und zwar nicht nur deshalb, weil das Ganze mit un-
endlich viel Bürokratie verbunden ist, sondern weil es
noch immer zu Situationen kommt, dass einige Feuer-
wehrleute diese Rente erhalten, andere hingegen nicht.
Dann fragen Letztere: Ist denn unsere Leistung für die
Feuerwehr weniger wert? Irgendwann macht sich dann
der Spaltpilz in diesem ehrenamtlichen Bereich breit.
Wenn es dann um Übungen und Einsätze geht, werden
einige Betroffene sagen: Lasst doch erst einmal diejeni-
gen fahren, die die Rente bekommen, und nicht die ande-
ren, die über Jahre und Jahrzehnte Dienst geleistet ha-
ben, das aber ohne Rente.

Wir wollen gerade das Ehrenamt stärken. Deswegen
ist es nicht richtig, mit irgendwelchen Leistungen an den
unterschiedlichen Stelle letztlich die Arbeit und den Zu-
sammenhalt vor Ort infrage zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte auf Folgendes hinweisen – Frau Hinz hat
es bereits angesprochen –: Es geht nicht um einen allge-
meinen Steuerbefreiungstatbestand, sondern es geht um
Leistungen, die ein Verein Übungsleitern oder sonst wie
ehrenamtlich Tätigen gewährt. Diese Betroffenen sollen
steuerlich ein bisschen mehr Spielraum bekommen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720403800

Darf die Frau Kollegin Kumpf eine Zwischenfrage

stellen oder eine Zwischenbemerkung machen?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1720403900

Ja, selbstverständlich.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720404000

Bitte schön.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1720404100

Herr Kollege Grindel, ist Ihnen bekannt, dass Ihre

jetzt vorgesehene Regelung die Feuerwehrleute nicht
umfasst, sondern dass sie nur den Sportbereich und die
Übungsleiter umfasst, und eben nicht die Hilfeeliten wie
Deutsches Rotes Kreuz, THW und Feuerwehr, die aus
öffentlichen Kassen bezahlt werden?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1720404200

Frau Kollegin Kumpf, das ist eine Frage der Rechts-

anwendung durch die Steuerbehörden bzw. das Finanz-
amt.


(Zurufe von der SPD: Nein, nein!)


Wir müssen mit dem Finanzministerium darüber spre-
chen, welche Rahmenbedingungen wir schaffen können.

Ich sage in aller Deutlichkeit: Da es sich um Leistun-
gen des Staates an die Feuerwehrleute handelt und nicht,
wie etwa im Sportbereich, um Leistungen von Privaten
aus Vereinsbeiträgen, muss man hier nach einer recht-
lichen Lösung suchen. Ich bin gerne bereit, im Rahmen
der von mir angesprochenen Berichterstattergespräche
über diese Frage zu diskutieren. Wir wollen hier das Eh-
renamt möglichst breit erreichen.

Insofern ist es richtig, dass Sie hier die Vereine be-
sonders hervorgehoben haben und gesagt haben, dass
wir mehr tun müssen, um tatsächlich für Entbürokrati-
sierung zu sorgen. Aber, Frau Kollegin Kumpf, gerade
deswegen nehmen wir hier eine Erhöhung vor: Sport-
liche Veranstaltungen eines Vereins sind zukünftig dann
als Zweckbetrieb steuerfrei, wenn die Einnahmen
45 000 Euro nicht übersteigen; bisher liegt die Grenze
bei 35 000 Euro. Das ist eine konkrete Entbürokratisie-
rungsmaßnahme für die Vereine. Wir treffen diese Rege-
lung bewusst für den Sportbereich und nicht für den Be-
reich Essen und Trinken, für die Vereinsgaststätte; denn
wir wollen nicht, dass vor Ort die alte Problematik auf-
tritt – DEHOGA hat es immer wieder angesprochen –
und die Gaststätten im ländlichen Raum sagen: Hier
wird eine Wettbewerbsverzerrung vorgenommen.


(Beifall der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU])


Frau Kollegin Paus, tun Sie mir einen Gefallen und
sprechen Sie einmal mit Michael Vesper, dem General-
direktor des DOSB, mit dem wir dieses Gesetz natürlich
intensiv abgestimmt haben. Was Sie hier zur Frage der
Übungsleiter gesagt haben, ist wirklich nicht richtig;
Claudia Roth, die hinter Ihnen sitzt, weiß das. Wir haben
eine Vielzahl von Programmen, etwa im Fußball, bei de-
nen es darum geht, dass Frauen, zum Beispiel Mädchen
mit Migrationshintergrund, als Trainer tätig werden. Die
Vorstellung, der Übungsleiter sei ein Mann, während für
das Waschen der Trikots die Frauen zuständig seien, ent-
spricht dem Bild der Vereine der 70er-Jahre. So ist es
heute wirklich nicht mehr, Frau Kollegin Paus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!)


Ein weiteres Kennzeichen des heutigen Ehrenamts:
Wir stellen fest, dass das Leisten-Wollen des Ehrenamt-
lichen gut ist, aber das Können-Müssen hinzukommen
muss. Ehrenamtliche sind bewusst keine Profis; aber die
Erwartung der Mitglieder ist immer stärker auf eine pro-
fessionelle Vereinsarbeit gerichtet. Deswegen machen
wir jetzt so viel für Übungsleiter. Denn sie sind eben
nicht mehr allein für das Training zuständig. Sie leisten
einen Beitrag zur Integration und zur Inklusion. Sie müs-
sen sich mit Maßnahmen zur Prävention von sexualisier-
ter Gewalt, Spielsucht, Wettmanipulation und vielem an-
deren mehr auseinandersetzen. Die Qualität eines
Übungsleiters – das belegen sportwissenschaftliche Un-
tersuchungen – entscheidet ganz zentral darüber, ob ein
junger Mensch beim Sport bleibt oder ein Drop-out wird
und sich anderen Freizeitbetätigungen zuwendet. Des-
wegen ist es eine richtige Maßnahme, die Übungsleiter-
pauschale im Sinne einer Anerkennungskultur anzuhe-
ben. Die Übungsleiter müssen nicht noch Geld
mitbringen, wenn sie ihren Dienst an der Gesellschaft
leisten, sondern bedürfen der Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das gilt auch für die ehrenamtlich Tätigen: für den
Schiedsrichter, für den Schatzmeister, für denjenigen,
der am Wochenende den Platz kreidet oder sich als Öf-
fentlichkeitsreferent um die Homepage kümmert.

Ich sage hier ganz klar: Wir wollen vor allen Dingen
den Vereinen im Breitensport helfen. Die öffentliche
Wahrnehmung ist meines Erachtens zu sehr auf den Spit-
zensport gerichtet. Große Vereine können sich einen Ge-
schäftsführer leisten. Sie haben Steuerberater und
Rechtsanwälte. Sie haben unser Ehrenamtspaket nicht so
sehr nötig. Wir richten uns an den Verein um die Ecke,
weil wir wissen, dass gute Arbeit an der Basis, im Brei-
tensport, die Voraussetzung ist, um überhaupt gute Er-
folge und Spitzenleistungen erreichen zu können. Wir
haben eine Einheit des Sports: Ohne eine gute Arbeit in
der Breite gibt es keine gute Spitze. Deswegen bringen
wir unser Paket auf den Weg.

Lassen Sie mich eines klar sagen: Frau Kumpf hat zu
Recht angesprochen – auch das gehört dazu –, dass wir
die Menschen allein mit diesem Paket nicht dazu bewe-
gen können, ehrenamtlich tätig zu werden. Wir müssen
den Menschen deutlich machen, dass ehrenamtliches
Engagement eine Bereicherung für ihr eigenes Leben ist,
dass man dabei viele Kompetenzen erwirbt, die man
auch im Berufsleben nutzen kann. Deshalb müssen Un-
ternehmen ehrenamtliches Engagement fördern. Hier
geht es um soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und
Führungsstärke, aber auch um geistige und körperliche
Fitness. Viele Unternehmen geben eine Menge Geld aus,
um über Schulungsmaßnahmen Fähigkeiten zu vermit-
teln, die im Verein täglich gelebt werden. Wir müssen
gerade jungen Leuten und allen anderen, die sich ehren-
amtlich engagieren wollen, deutlich machen: Der Ehren-
amtliche ist nicht der Dumme, er ist der Schlaue. Er
muss von uns unterstützt werden. Das tun wir.

Herzlichen Dank.





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720404300

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Detlef Seif, auch für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1720404400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Man-

gel des vorliegenden Gesetzentwurfes wurde angespro-
chen: Sein Name ist furchtbar, nicht hinnehmbar und be-
darf der Änderung.


(Ute Kumpf [SPD]: Da muss aber noch ein bisschen was rein! Nicht nur das Etikett!)


Wir beraten den Entwurf heute in erster Lesung. Wir alle
wissen, dass der Gesetzentwurf in Teilbereichen noch
geändert werden kann und auch geändert werden sollte.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist das Struck’sche Gesetz!)


Bei der Diskussion konnte man in der Tat den Ein-
druck bekommen, dass es sich um ein Streitthema handelt.
Das Versöhnende stelle ich voran: Wir alle schätzen die
23 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutsch-
land, die ehrenamtlich tätig sind.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind 30 Millionen!)


Wir alle wissen, wie wichtig das ehrenamtliche Engage-
ment für die Gesellschaft ist. Wir alle haben ein Interesse
daran, das Ehrenamt zu fördern und zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In Bezug auf die Historie ist auf Folgendes hinzuwei-
sen: Im Frühjahr 2011 gab es eine Initiative der Länder
Baden-Württemberg und Saarland. Sie betraf einzig und
alleine die Einführung eines neuen § 31 b BGB. Es ging
darum, eine Haftungserleichterung auch für Mitglieder
eines Vereins herbeizuführen, wodurch sie im Prinzip
mit den Vorstandsmitgliedern gleichgesetzt werden soll-
ten.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Richtig!)


Das haben einige Koalitionspolitiker zum Anlass ge-
nommen, zu sagen: Das kann doch nicht wahr sein. Es
gibt doch viele andere Bereiche, die ebenfalls geregelt
werden müssen. – Deswegen wurde der vorliegende Ge-
setzentwurf auf den Weg gebracht. Diesen Ansatz sollte
man lobend erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 2 100
auf 2 400 Euro sowie der Ehrenamtspauschale von 500
auf 720 Euro wurden angesprochen. Es handelt sich
nicht um eine abzugsfähige Vergütung, sondern um eine
Pauschale. Erst wenn diese überschritten wird, kommt
die Steuerwirksamkeit zum Tragen. Frau Paus, das soll-
ten Sie zukünftig berücksichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Erhöhung der Umsatzgrenze für Sportvereine bei
sportlichen Veranstaltungen von 35 000 auf 45 000 Euro
im Jahr ist ein Akt der Entbürokratisierung. Andernfalls
müssen die Vereine für reine Sportveranstaltungen Auf-
zeichnungen in erheblichem Umfang durchführen, was
die Vereine in der Vergangenheit belastet hat.

Vorhin wurde die Frage gestellt: Warum gilt dies nur
für Sportvereine und nicht für andere Organisationen?
Das betrifft über 70 000 Sportvereine, die rein sportliche
Veranstaltungen durchführen. Legen Sie uns im weiteren
Verfahren dar, welche anderen Vereine betroffen sind.
Sie können davon ausgehen: Wenn es wirklich noch Re-
gelungsbedarf gibt, dann werden wir den Gesetzentwurf
entsprechend anpassen. Ihre Ausführungen waren bisher
nur abstrakt, Sie haben keine konkreten Fallbeispiele ge-
bracht.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nein, überhaupt nicht! Ganz konkret!)


Die Frist, innerhalb der steuerbegünstigte Körper-
schaften ihre Mittel verwenden müssen, wird um ein
Jahr verlängert. Auch die Wiederbeschaffungsrücklage
wird neu geregelt. Dies führt zu einer Entlastung der
Vereine, weil sie nicht unter dem Druck stehen, etwas
tun zu müssen, nach dem Motto: Wir haben da noch et-
was in der Kasse, das muss unbedingt ausgegeben wer-
den.

Kaum lag der Gesetzentwurf vor und wurde vom
Bundeskabinett beschlossen, wurde auch schon erste
Kritik geübt. Frau Kumpf, Sie hatten direkt, wahrschein-
lich im Eifer des Gefechts, eine Pressemitteilung heraus-
gegeben. Sie haben unter anderem in Bezug auf
§ 52 Abgabenordnung kritisiert, dass Engagement insge-
samt förderungswürdig sei und nicht nur, wenn be-
stimmte Zwecke erfüllt würden.


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist eine alte Forderung, nicht nur von mir, sondern von der Zivilgesellschaft!)


– Richtig, das ist eine alte Kamelle. Sie haben eine
Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die
Antwort war: Förderungswürdig sind nur die Tätigkeit
und das Engagement, die oder das tatsächlich mildtätig,
gemeinnützig oder kirchlich-kulturell ist. Daran ist auch
nichts zu ändern.


(Ute Kumpf [SPD]: Das muss geändert werden! Sie verstehen es nicht!)


Sie haben kritisiert, dass die Vereine in Bezug auf öf-
fentliche Zuschüsse Gefahr liefen, in eine Falle zu tap-
pen. Öffentliche Zuschüsse müssten eindeutig umsatz-
steuerfrei gestellt werden. Allgemeine Zuschüsse, das
heißt Zuschüsse ohne Gegenleistung, waren und sind
umsatzsteuerfrei, und sie werden auch Zukunft umsatz-
steuerfrei bleiben. Geht es um die Fälle, in denen der
Verein Gegenleistungen vereinbart, kann ich nur emp-
fehlen, eine andere Rechtsgestaltung zu wählen. In den
meisten Fällen ist das überhaupt kein Problem.





Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)


Wir sehen keinen Bedarf, das Gesetz an dieser Stelle neu
zu regeln. Die Kritik, die Sie hier und im Vorfeld geübt
haben, ist Teil einer regelrechten Neiddebatte.


(Zurufe von der SPD: Nein!)


Man kann Ihnen wirklich dankbar dafür sein, weil Sie
damit zeigen, dass der Gesetzentwurf gut ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Das ist ein bisschen unterirdisch!)


Frau Höll, Sie haben gesagt, es würden flexible Rah-
menbedingungen eingeführt.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ich bin nicht Frau Höll – weil Sie mich angucken!)


– Sie sind nicht Frau Höll, das weiß ich. Ich gucke Sie
aber auch gern an.


(Ute Kumpf [SPD]: Männer können sowieso besser gucken!)


Frau Höll, Sie haben von flexiblen Rahmenbedingun-
gen gesprochen und gesagt, das Gesetz müsse verbind-
lich sein. Damit vernebeln Sie natürlich. Das Gesetz ist
und bleibt verbindlich, aber durch die Erhöhung der Um-
satzgrenze von 35 000 Euro auf 45 000 Euro, durch die
Wiederbeschaffungsrücklage, die jetzt geregelt wird,
und durch die freie Rücklage, die man ein Jahr länger
verwenden kann, sind die Vereine in der Lage, flexibler
zu arbeiten. Das ist damit gemeint. Damit ist nicht ge-
meint, dass wir ein Gesetz haben, das in alle Richtungen
zu bewegen und völlig unverbindlich ist.

Machen Sie Ihre Vorschläge im Detail. Ich denke, wir
alle sind bei diesem Thema sehr engagiert, weil wir wis-
sen, wie wichtig der Einsatz der Menschen in diesem
Land ist. Der Kollege Grindel hat es schon gesagt: Es
geht nicht darum, dass sich der Staat der Verantwortung
entzieht und staatliche Aufgaben überträgt. Das werden
wir Koalitionspolitiker sehr sorgfältig beobachten. Wir
werden Regelungen entgegenwirken, die etwas anderes
wollen.

Lassen Sie uns gemeinsam an dem Thema arbeiten.
Lassen Sie uns das Ehrenamt gemeinsam nach vorne
bringen und es fördern. Lassen Sie uns das Gesetz – viel-
leicht mit kleinen Änderungen – zügig umsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1720404500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 17/11316 und 17/5713 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Hat jemand dazu andere Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann fängt das Ganze mit großem Einver-
nehmen an, und die Überweisungen sind so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 f auf:

a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Jan Korte,
Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Umgang mit der NS-Vergangenheit

– Drucksachen 17/4126, 17/8134 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte,
Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

NS-Vergangenheit in Bundesministerien auf-
klären

– Drucksachen 17/3748, 17/9448 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)

Gabriele Fograscher
Dr. Stefan Ruppert
Jan Korte
Wolfgang Wieland

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter
Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter
Uhl, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU, der Abgeordneten
Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann,
Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth

(Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion der FDP

Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stär-
ken, Rahmenbedingungen verbessern – Die
Aufarbeitung der Geschichte der wichtigs-
ten staatlichen Institutionen in Bezug auf die
NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzu-
gang unterstützen und Bestandsaufnahmen
zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der
Bundesministerien und -behörden sowie der
vergleichbaren DDR-Institutionen beauftra-
gen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth

(Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian

Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

NS-Vergangenheit von Bundesministerien und
Behörden systematisch aufarbeiten – Be-
standsaufnahme zur Forschung erstellen –
Erinnerungsarbeit koordinieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Jerzy





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Montag, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verantwortlichkeit der Bundesregierung für
den Umgang des Bundesnachrichtendienstes
mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf
Eichmann

– Drucksachen 17/11001, 17/10068, 17/4586,
17/11260 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)

Gabriele Fograscher
Dr. Stefan Ruppert
Jan Korte
Dr. Konstantin von Notz

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte,
Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Demokratie durch Transparenz stärken – De-
klassifizierung von Verschlusssachen gesetz-
lich regeln

– Drucksachen 17/6128, 17/11261 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)

Kirsten Lühmann
Dr. Stefan Ruppert
Jan Korte
Wolfgang Wieland

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla
Jelpke, Wolfgang Nešković, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE

Widerstand von Kommunistinnen und Kom-
munisten gegen das NS-Regime anerkennen

– Drucksachen 17/2201, 17/11262 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)

Gabriele Fograscher
Dr. Stefan Ruppert
Jan Korte
Wolfgang Wieland

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla
Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensak-
ten des Bundesverfassungsgerichtes stärken

– Drucksachen 17/4037, 17/11383 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Seif
Sebastian Edathy

Christian Ahrendt
Jens Petermann
Jerzy Montag

Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke zu ihrer Großen Anfrage vor.

Interfraktionell ist auch für diese Debatte eine Aus-
sprache von 90 Minuten vorgesehen. Das findet offen-
kundig allgemeine Zustimmung und ist damit so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720404600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute, einen Tag vor dem 9. November, führen wir eine
wichtige Debatte, die aktueller denn je ist. Wieso? Vor
kurzem wurde bekannt, dass der BND jahrelang den
Aufenthaltsort von Adolf Eichmann kannte. Geschehen
ist nichts.

Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, verantwort-
lich für 7 591 Deportationen und 4 342 Hinrichtungen,
wurde 1966 Informant des BND. Er erhielt 500 DM pro
Monat. Carl-Theodor Schütz, ehemaliger SS-Haupt-
sturmführer, befehligte die Hinrichtung von 335 italieni-
schen Geiseln. Wie gerade bekannt wurde, wurde er
hauptamtlicher Abteilungsleiter beim BND. Es hieß, er
sei eine charakterlich einwandfreie Persönlichkeit.


(Zurufe von der LINKEN: Pfui!)


So steht es in seiner Personalakte, die erfreulicherweise
einmal nicht geschreddert wurde.

In der Antwort auf die Große Anfrage der Linken
zum Umgang mit der NS-Vergangenheit sagt die Bun-
desregierung in ihrer Einleitung – ich darf zitieren –:

Bund und Länder haben diese Aufarbeitung von
Beginn an … unterstützt.

Diese Behauptung ist


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


absurd. Sie ist wissenschaftlich nicht haltbar, und sie ist
im Übrigen politisch fahrlässig und inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Die 50er- und 60er-Jahre waren geprägt durch das
Schweigen und die große Rückkehr der Täter in Amt
und Würden. Ralph Giordano nannte dies: „Der große
Frieden mit den Tätern“. Besonders bedauerlich ist ge-
wesen, dass dies von der übergroßen Mehrheit der Be-
völkerung mitgetragen wurde.

Die Abwehr und Beendigung der Entnazifizierung
war ein wesentlicher Kern der frühen bundesdeutschen
Politik – im Hintergrund übrigens gesteuert und voran-
getrieben von Leuten wie Werner Best, dem ehemaligen
Justiziar im Reichssicherheitshauptamt. Diese „Unfähig-
keit zu trauern“, wie es die Mitscherlichs beschrieben





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


haben, beschädigte die demokratische Entwicklung der
Bundesrepublik; wir haben auch heute noch mit ihr zu
tun.

Die Bundesregierung widerspricht sich in ihrer Ant-
wort auf unsere Große Anfrage übrigens selber. Das war
eben keine reine Erfolgsgeschichte. Die Bundesregie-
rung listet auf: Ein Bundeskanzler und 26 Bundesminis-
ter waren NSDAP-Mitglieder. Noch erhellender ist die
Antwort auf diese Frage – ich zitiere sie –:

Wie viele Angestellte, Beamte, Mitarbeiter in Insti-
tutionen des Bundes sind nach 1949 aufgrund ihrer
NS-Vergangenheit aus dem Dienst entlassen wor-
den?

Die Antwort der Bundesregierung – Zitat –:

Für den Verantwortungsbereich des AA wurden ex-
plizit aufgrund ihrer Tätigkeit im „Dritten Reich“
drei Personen aus dem Auswärtigen Dienst entlas-
sen.

Drei! Man stelle sich das einmal vor! Wer die Ergebnisse
der Studie „Das Amt“ zur Kenntnis genommen hat,
weiß, welch verbrecherischen Charakter das Auswärtige
Amt hatte.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Bereich des Bundesjustizministeriums wurde eine
Person entlassen, und beim BKA wurden ganze drei Per-
sonen aufgrund einer NS-Belastung entlassen. Das Fazit
ist erschreckend: Offenbar war eine NS-Vergangenheit
der Schlüssel, um einen guten Posten in der frühen Bun-
desrepublik zu bekommen.

Noch erschreckender sind die Zahlen, die die Bundes-
regierung uns zum Thema „Berufsbeamtentum und öf-
fentlicher Dienst“ mit auf den Weg gibt. Der öffentliche
Dienst wurde von den Alliierten ja als besonders nazi-
verseucht eingestuft. Deswegen wurden die Beamten
dort zu Recht aus Amt und Würden herausgedrängt. In-
folge der sogenannten 131er-Regelung des Grundgeset-
zes – das war ein Kernanliegen der damaligen Politik,
insbesondere der Konservativen im damaligen Bundes-
tag – kehrten allerdings alle Berufsbeamten inklusive der
Gestapobeamten zurück an die Schaltstellen der jungen
Bundesrepublik. Ein paar Zahlen – Stichtag: 1955 –:
77,4 Prozent der Besetzungen im Verteidigungsministe-
rium erfolgten aufgrund der 131er-Regelung; im Vertrie-
benenministerium waren es 71 Prozent, und im Wirt-
schaftsministerium waren es 68,3 Prozent.

Das Ausmaß des Skandals, dass diese Täter straflos
davonkamen, wird erst richtig deutlich, Kollege Kauder,
wenn Sie sich die Frage stellen: Wie hat es eigentlich auf
die Emigranten und die Opfer gewirkt, dass die Täter
wieder in Amt und Würden kamen? Der Historiker
Norbert Frei sagt zur 131er-Regelung kurz, knapp und
richtig:

Die Hitler den Staat gemacht hatten – kaum zehn
Jahre später waren sie, soweit nicht in Pension, fast
alle wieder in Amt und Würden.

Das sollte auch Sie aufregen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sagen Sie bestimmt: Das ist vielleicht alles rich-
tig, aber trotzdem war es eine demokratische Erfolgsge-
schichte. Das war es aber leider nicht; denn die Nazirich-
ter waren nicht nur zurück, sondern sie prägten natürlich
auch die Rechtsprechung in diesem Land. Die Recht-
sprechung wurde eben nicht geprägt von Leuten wie
Fritz Bauer oder Ernst Fraenkel, der den Nationalsozia-
lismus trefflich als System „bürokratisierter Rechtlosig-
keit“ analysierte.

Ich will das konkret belegen an der Gehilfenrecht-
sprechung: Der Kommandeur der Einsatzgruppe 8, der
die Ermordung von 15 000 Juden befohlen und eigen-
händig mit geschossen hatte, wurde als Gehilfe, nicht als
Täter verurteilt. Der Adjutant von Auschwitz, der selber
an Selektionen teilnahm, wurde nicht als Täter, sondern
als Gehilfe verurteilt. Die Faustformel in der frühen
Bundesrepublik war: Je größer die Zahl der Ermordeten
und je monströser die Tat gewesen ist, umso geringer die
Strafe. Es muss uns doch umtreiben, dass das bis heute
nicht vollständig aufgearbeitet ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Iris Gleicke [SPD])


Die Folgen sind bekannt. Deswegen muss es jetzt da-
rum gehen, alles offenzulegen. Ich kann nicht verstehen,
dass die Bundesregierung in einer Drucksache zur Auf-
arbeitung der Geschichte des Verfassungsschutzes fol-
gende Auflage macht – ich zitiere –:

Das BfV begleitet die Drucklegung des Buches

– über seine Vergangenheit –

und entscheidet über presseöffentliche Maßnah-
men zu seiner Bewerbung. Während der Projekt-
phase verzichtet der Projektnehmer

– also die Wissenschaftler –

auf die Veröffentlichung von Teilergebnissen des
Projekts und auf öffentlichkeitswirksame Stellung-
nahmen zum Projekt,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, Freiheit der Wissenschaft!)


sofern letztere nicht mit der Projektleitung im BfV
abgesprochen oder von dieser ausdrücklich ge-
wünscht sind.

Das ist Zensur. Das ist der Sache nicht angemessen. Hier
müssen wir dringend etwas ändern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganz kurz noch zu dem Antrag von CDU/CSU, FDP
und bedauerlicherweise auch SPD. Es stehen sicherlich
einige richtige Sachen in diesem Antrag, zum Beispiel
die Forderung, ein forschungsfreundliches Klima zu
schaffen. Dort steht auch, „dass im Westteil Deutsch-
lands und Berlins der Aufbau einer stabilen freiheitlich-





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


demokratischen und sozial-marktwirtschaftlichen Ord-
nung früh gelungen ist“ – Zitat Ende –, das ist zum Teil
richtig. Aber es fehlt etwas, nämlich ein Hinweis darauf,
wie zum Beispiel mit Willy Brandt oder Fritz Bauer in
der frühen Bundesrepublik umgegangen worden ist. Wie
kann man als SPD so etwas unterschreiben? Das kann
ich nicht verstehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen. Wir
haben einen Antrag zur Anerkennung des Widerstandes
der Kommunistinnen und Kommunisten eingebracht.
Wir wissen aus der Geschichte, dass es im Zuge eines
wirklich maßlosen Antikommunismus Vorgänge gege-
ben hat, die heute nicht mehr akzeptabel sind. Durch das
Bundesentschädigungsgesetz wurden kommunistischen
Widerstandskämpfern, die zum Teil jahrelang im Kon-
zentrationslager gesessen haben, in den 50er- und 60er-
Jahren ihre Anerkennung und Würde genommen. Au-
ßerdem wurde damit natürlich auch die Unrechtspre-
chung gegenüber kommunistischen Widerstandskämp-
fern im Nachhinein legitimiert. Wir möchten mit
unserem Antrag auf diese Fehlentwicklung aufmerksam
machen. Wir wollen, dass auch heute der Widerstand
von Kommunistinnen und Kommunisten vom Bundes-
tag anerkannt wird, so wie es Richard von Weizsäcker
übrigens schon 1985 eingefordert hat.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Widerstand an der Mauer! Schießbefehl! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So etwas zu vergleichen! Schämen Sie sich nicht?)


Der Spiegel schreibt – ich darf zitieren –:

Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Ur-
teile gegen Kommunisten lag fast siebenmal so
hoch wie die gegen NS-Täter – obwohl die Nazis
Millionen Menschen ermordet hatten, während man
westdeutschen Kommunisten politische Straftaten
wie Landesverrat vorwarf.

Das kann doch nicht die letzte Position sein! Es gibt eine
Unteilbarkeit des Widerstandes, und zwar vom sozialde-
mokratischen und kommunistischen Widerstand der Ar-
beiterbewegung bis zum Widerstand vom 20. Juli 1944.
Dem können sich jetzt endlich auch die Konservativen
beugen, indem sie diese wissenschaftlichen Erkenntnisse
zur Kenntnis nehmen und den Widerstandskämpfern
ihre Würde zurückzugeben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen: Ich glaube, der Bundestag, die
Bundesregierung und die Öffentlichkeit sollten nun da-
rangehen, die Aufarbeitung der „zweiten Schuld“, wie
sie Ralph Giordano genannt hat, entschlossen anzuge-
hen, und zwar ohne Verzögerung und ohne Reglementie-
rung.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Stasi-Unterlagen-Gesetz!)


Wir sollten darüber nachdenken, wie diese Vorgänge auf
die Opfer gewirkt haben. Ich will deutlich sagen: Wir

müssen auch über politische Verantwortung reden, auch
ganz aktuell, und beispielsweise die Frage beantworten:
Wer trägt die politische Verantwortung dafür, dass im
Jahre 1996 und im Jahre 2007 beim BND Akten über die
NS-Verstrickungen zum Fall Alois Brunner geschreddert
worden sind? Das muss uns als Parlamentarier alle ge-
meinsam umtreiben!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten heute auch der Minderheiten gedenken – zu
ihnen gehörten unter anderem Fritz Bauer, Martin
Niemöller, Eugen Kogon und Gustav Heinemann –, die
in der Bundesrepublik damals sehr alleine gestanden ha-
ben. Ihnen sollten der Dank und die Anerkennung des
ganzen Bundestages gelten. Sie haben nämlich vieles
sehr viel früher erkannt als einige andere.

Zum Schluss möchte ich ein Zitat vortragen. 1999
sagte Joachim Perels, ein bekannter Politikwissenschaft-
ler und Sohn von Friedrich Justus Perels – er war einer
der Widerständler vom 20. Juli 1944 und Justiziar der
Bekennenden Kirche –:

Es ist an der Zeit, sich der Erkenntnisse der über-
wiegend misslungenen Aufarbeitung des national-
sozialistischen Schreckenssystems in der jungen
Bundesrepublik zu stellen. Die kritische Reflexion
dieser großen Blockierung gehört zur Selbstfindung
unserer rechtsstaatlichen Demokratie.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich hoffe auf große Zu-
stimmung zu den heute vorliegenden Anträgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720404700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Armin Schuster.


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720404800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Lieber Herr Korte, welches Ge-
schichtsbild versuchen Sie uns eigentlich zu vermitteln?
Ich möchte nicht polemisch werden; aber diese Frage
drängt sich einfach auf: Wie kommen Sie nach so vielen
gemeinsamen Jahren auf die Idee, in Ihrer Rede aus-
schließlich zu fragen: „Wie hat sich die nationalsozialis-
tische Gewaltherrschaft auf die junge Bundesrepublik
ausgewirkt?“


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es in der Debatte! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage!)


Was soll denn das? So sahen DDR-Geschichtsbücher
aus; aber wir befinden uns im Jahr 2012.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logisch!)






Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


Wir möchten mit unserem Antrag erreichen, dass die
Geschichte in ganz Deutschland aufgearbeitet wird. Wir
dürfen nicht nur die Frage stellen: „Wie war es in der
jungen Bundesrepublik?“, wir müssen auch vergleichen:
„Wie war es in der DDR?“ Eine einseitige Betrachtung
wie in den Geschichtsbüchern der DDR bringt uns
nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, zwischen 1933 und 1945
ist unendliches Leid von deutschem Boden ausgegan-
gen:


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Deutschen, nicht vom deutschen Boden!)


Menschen wurden planmäßig und in nie dagewesenem
Umfang vernichtet, Andersdenkende gnadenlos verfolgt.
Der Zweite Weltkrieg hat Europa weitgehend verwüstet.
Mit nicht enden wollender Akribie vernichteten Hitler
und seine Gefolgsleute – hinter ihnen eine jubelnde
Masse und zahllose Helfershelfer – einen Großteil des
deutschen Judentums.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Des europäischen Judentums!)


Spätestens seit den 68ern treibt unsere Gesellschaft
die Frage um: Wer waren diese Menschen, wie haben sie
nach dem Ende der NS-Herrschaft weitergelebt, und, vor
allen Dingen: wo haben sie gearbeitet? Immerhin war
die Nachkriegsverwaltung in beiden Teilen Deutsch-
lands auf Personal mit Verwaltungserfahrung angewie-
sen, und ein irgendwie funktionierender Verwaltungs-
apparat stand schließlich zur Verfügung. Es gibt viele
rationale und irrationale Gründe dafür, warum wahr-
scheinlich viele NS-belastete Personen, Menschen mit
schwerer Schuld, in der Exekutive der neu gegründeten
Bundesrepublik und in der DDR die Geschicke des Lan-
des geführt haben. Dies zu erklären oder gar zu entschul-
digen, ist gar nicht Gegenstand dieser Debatte, meine
Damen und Herren.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Wir beschäftigen uns mit der deutschen Geschichte zwi-
schen 1933 und 1945


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, gerade nicht!)


sowie mit der Zeit davor und danach. Bis heute gibt es
viele gefragte Forschungsgebiete, die diese Zeit zum Ge-
genstand haben.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Wo leben Sie, Herr Kollege?)


Es gibt unzählige Publikationen. Viele Bereiche sind gut
erforscht. Trotzdem ist das Interesse der Wissenschaftler
– glücklicherweise – ungebrochen. Neue Aspekte, neue
Fragestellungen kommen immer wieder auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwei deutsche
Staaten gegründet, die mit einem schweren Erbe umge-
hen mussten. Wie die alten Eliten in beiden Teilen inte-

griert wurden, lässt sich vor allem anhand von Archivbe-
ständen des Bundes näher beleuchten. Auch die Rolle
der Alliierten auf diesem Feld könnte weiter erforscht
werden.

Für uns, Herr Korte, ist vor allem die Frage spannend,
wie und warum sich in der Bundesrepublik Institutionen
und Eliten mit all diesen Kontinuitäten in Politik und
Verwaltung im Vergleich zur DDR so unterschiedlich
entwickeln konnten und warum sich bei ähnlichen perso-
nellen Voraussetzungen auf der einen Seite der Mauer
ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat, die
Bundesrepublik, entwickeln konnte, auf der anderen
aber nicht – ich will nicht sagen: das Gegenteil.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Eine spannende Frage ist zum Beispiel: Kommt dem
Bundesverfassungsgericht für die Entwicklung von
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Bundesrepu-
blik eventuell eine entscheidende Bedeutung zu? Das al-
les gilt es noch zu untersuchen. Deshalb zielen wir in un-
serem Antrag darauf ab, dass zum Beispiel auch die
Akten zu Abwägungsentscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts für Wissenschaftler und Wissenschaftle-
rinnen leichter zugänglich werden.

Rein quantitative Fragestellungen wie in Ihrer Großen
Anfrage, meine Damen und Herren von den Linken,
greifen aus meiner Sicht zu kurz. Die NSDAP-Mitglied-
schaft eines Beamten beispielsweise ist nur bedingt aus-
sagekräftig.


(Lachen der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Art und Schwere der Verstrickung sollten im Einzelfall
untersucht werden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!)


Einzelfallprüfungen sind aufwendig und erweisen sich
aufgrund lückenhafter Aktenbestände oft als schwierig.
Aber wenn die Verstrickung eines Beamten festgestellt
wurde, kann man auch die Frage stellen: Inwiefern hat
sie Einfluss auf seine Arbeit und auf seine Entscheidun-
gen gehabt?

Eine methodische Herangehensweise zur Lösung die-
ser Fragen wollen wir nicht vorgeben. Das gehört zur
Forschungsfreiheit, die wir auf jeden Fall bewahren wol-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Rahmenbedingun-
gen für die Forschung zu verbessern, Archivbestände zu
sichern und weitere Akten in die Hände des Bundesar-
chivs zu geben. Die Wissenschaftler sollen in Deutsch-
land ein forschungsfreundliches Klima in den Behörden
vorfinden.

Wir brauchen dafür nicht eine staatlich gesteuerte
Auftragsforschung, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern.
Wer den Wissenschaftlern Fragestellungen vorgibt,





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


greift nicht nur in deren Freiheit ein, sondern deutet und
begrenzt. Das ist genau das, was Sie gerade eben in Ihrer
Rede auch getan haben.

Wir konzentrieren uns darauf, dem einzelnen Wissen-
schaftler bessere Rahmenbedingungen bei der Aktenein-
sicht und der Sicherung der Akten zu bieten. Sein For-
schungsobjekt, seine Methoden, seine Quellen und seine
Fragestellungen sollte er selbst wählen können. Damit
können auch seine Ergebnisse in einem sachlich neutra-
len Umfeld diskutiert werden, ohne sofort politisch be-
wertet zu werden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau, „ohne … politisch bewertet zu werden“! Darum geht es!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720404900

Herr Kollege Schuster, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Korte?


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720405000

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720405100

Bitte schön, Herr Korte.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720405200

Kollege Schuster, ich habe dazu eine ganz konkrete

Frage. Sie unterstellen hier sozusagen, dass die Opposi-
tion staatliche Auftragsarbeit will und die Forschungs-
freiheit nicht ernst nimmt. Deshalb möchte ich Sie fra-
gen: Wie schätzen Sie die Studie Das Amt und die
Vergangenheit oder die Studie zum BKA ein? Sie zu er-
stellen, waren ja politische Entscheidungen, die von der
rot-grünen Regierung auf den Weg gebracht wurden,
aber auch von Ihren Regierungen weiter getragen wur-
den.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Unabhängige Kommission!)


Was ist das denn dann, bitte schön?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Unabhängige Kommission!)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720405300

Wir haben in – ich glaube – fünf Ministerien unab-

hängige Historikerkommissionen eingesetzt, deren Ar-
beit schon abgeschlossen ist. In mindestens einem
Ministerium und zwei Behörden laufen gerade die Ar-
beiten unabhängiger Historikerkommissionen.

Mit unserem Antrag gehen wir der Frage nach, die Sie
jetzt stellen: Haben wir in Wirklichkeit alles erforscht?
Unser Antrag soll zu einer reinen Bestandsaufnahme
führen. Wir überprüfen uns quasi noch einmal selbst.
Waren diese unabhängigen Historikerkommissionen
richtig eingesetzt? Haben sie die richtigen Fragen beant-
wortet? Gibt es weitere zu stellen? Insofern sehe ich
überhaupt keinen Grund, anzunehmen, dass wir da etwas

falsch gemacht hätten. Allein das Wort „unabhängig“ er-
klärt doch schon alles.

Im Übrigen wird der Fall Barbie/Eichmann, den Sie
ansprechen, durch eine unabhängige Historikerkommis-
sion, die im BND arbeitet, gerade bearbeitet. Es gibt
nicht die geringsten Zweifel daran, dass alle Akten, die
verfügbar sind, dieser Kommission zur Verfügung ge-
stellt werden,


(Karin Binder [DIE LINKE]: „Dieser Kommission“, genau! Wem nicht?)


sodass die Kommission diesen Fall glasklar aufarbeiten
kann. Insofern weiß ich gar nicht, was Sie mir mit Ihrer
Frage sagen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Das, was Sie vortragen, war fachlich nicht gut! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgelehnt haben Sie unseren Antrag dazu!)


– Macht nichts, Frau Roth.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist man gewöhnt!)


– Ja, Sie kommen ja aus dem gleichen Ländle.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das passt schon!)


Um bei dem Thema Akteneinsicht zu bleiben: Eini-
gen, hoffentlich wenigen, hier in diesem Haus ist nach
wie vor nicht klar, warum wir nicht jede Akte für jeder-
mann jederzeit zugänglich machen. „VS“ heißt „Ver-
schlusssache“, etwas, das unter Verschluss bleibt und der
Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden soll.
Dies geschieht im öffentlichen Interesse und dient vor
allem der inneren Sicherheit.

Gerade weil Deutschland beispielsweise bevorzugtes
Spionageziel ist, brauchen wir die Verschlusssachenklas-
sifizierung. Wir wollen damit verhindern, das extremisti-
sche und kriminelle Organisationen zu viel über die Be-
kämpfungsstrategien unserer Sicherheitsorgane erfahren.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Mit NS-Leuten oder was? So was kann doch nicht wahr sein!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720405400

Herr Kollege Schuster, jetzt würde gerne der Kollege

Beck eine Zwischenfrage stellen.


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720405500

Nein.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720405600

Nein, keine Zwischenfrage mehr.


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720405700

Ich führe zu Ende. – Vertraulichkeit ist in manchen

Lebenssituationen unerlässlich und eben auch im staat-
lichen Handeln manchmal notwendig. Klar muss aber
auch sein, dass nur die Vorgänge den Stempel „VS“ er-
halten, bei denen er wirklich sinnvoll ist.





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


Herr Korte, in Ihrem Antrag zur Deklassifizierung be-
klagen Sie, dass das Bundesministerium des Innern eine
Verwaltungsvorschrift über Verschlusssachen so verän-
dert habe, dass keine automatische Freigabe mehr er-
folge. Das ist nicht richtig. Im Jahr 2009 hat das Kabinett
Eckpunkte beschlossen, nach denen Verschlusssachen in-
nerhalb festgelegter Zeiträume hinsichtlich ihrer Offen-
legung zu prüfen sind.

Die Regelung sieht vor – jetzt komme ich einmal zum
Einzelnen –, dass bis zum Januar 2013 die Geheimakten
aus den Jahren 1949 bis 1959 für die Öffentlichkeit zu-
gänglich gemacht werden. Die Dokumente aus der Zeit
bis 1994 sollen dann schrittweise bis 2025 freigegeben
werden, danach jährlich drei weitere Jahrgänge. Für die
Akten ab 1995 gilt eine Sperrfrist von 30 Jahren. Das ist
aus meiner Sicht gut und gangbar. Es ist natürlich nicht
die Forderung, die Sie erheben: automatische Deklassifi-
zierungen von Verschlusssachen nach 20 Jahren.

Ein Beispiel: Vor knapp 20 Jahren hat der Antiterror-
einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen stattgefunden; Sie
denken an Grams und Hogefeld. Das war vor knapp
20 Jahren, so schnell geht das. Auch heute noch ließen
sich aus den Unterlagen, würden wir diese jetzt deklassi-
fizieren, wertvolle Rückschlüsse auf die Einsatzverfah-
ren von Ermittlungen und Einsatzkräften der GSG 9
ziehen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wäre auch richtig!)


Es kann doch nicht in unserem Interesse und auch nicht
im Interesse der inneren Sicherheit sein, dass wir so
etwas jetzt öffentlich zugänglich machen.


(Zurufe von der LINKEN: Doch!)


– Ja, bei Ihnen kann ich mir das gut vorstellen. – In-
sofern ist die von Ihnen beantragte automatische Deklas-
sifizierung sicherheitsfachlich kaum nachvollziehbar,
vielleicht sogar ein bisschen weltfremd.

Unbestritten ist dagegen, dass wir die Quellen zur
Erforschung der NS-Vergangenheit in den beiden deut-
schen Staaten sichern und zugänglich machen. In einem
intensiven Austausch mit den Kollegen von der SPD
haben wir Koalitionsabgeordnete über Monate hinweg
darum gerungen, wie die Forschung zur NS-Vergangen-
heit in den Behörden der Bundesrepublik und der DDR
weiter forciert werden kann.

Die Sachverständigen haben in der Anhörung Anfang
dieses Jahres empfohlen, die Anpassungsfähigkeit von
Eliten zu erforschen. Deshalb wollen wir zunächst eine
fundierte Bestandsaufnahme. Immerhin gibt und gab es
in vielen Ministerien und Behörden bereits die angespro-
chenen Historikerkommissionen. Das Institut für Zeit-
geschichte München-Berlin und das Zentrum für Zeit-
historische Forschung in Potsdam sollen ermitteln, wie
weit die Forschung in diesem Bereich ist und wo noch
Forschungsbedarf besteht.

Ich bin dankbar, dass wir dieses Thema im Einver-
nehmen mit der SPD gestaltet haben. Mit unserem
Antrag erleichtern wir künftig die Erforschung der NS-

Vergangenheit sowie der Kontinuitäten in der DDR und
der Bundesrepublik, und wir bewahren gleichzeitig die
Forschungsfreiheit. Ich bitte Sie um Zustimmung zu die-
sem Antrag.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720405800

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720405900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der

Kollege hat gerade über die Frage der Deklassifizierung
gesprochen. Ich verstehe das mit den 20 Jahren; das ist
etwas pauschal. Aber Sie haben um die Ziffer II des An-
trags der Linken herumgeredet. Wir werden auch Tei-
lung der Abstimmung an diesem Punkt beantragen. Da
fordert die Linke – und dagegen kann man meines Er-
achtens nichts einwenden –, dass „sämtliche Unterlagen,
die mittelbar oder unmittelbar im Zusammenhang mit
den Verbrechen der NS-Vergangenheit stehen, un-
abhängig vom Zeitpunkt ihrer Erstellung sofort deklassi-
fiziert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt
werden sollen“.

Ich vermag nicht zu erkennen, dass es in Bezug auf
die Causa Barbie noch Vorgänge gibt, die VS-gestempelt
sein müssen und der Öffentlichkeit nicht zugänglich ge-
macht werden können. Ich vermag auch nicht zu sehen,
wer ein öffentliches Interesse daran haben könnte, dass
die Arbeit unserer Geheimdienste vor einer öffentlichen
Diskussion geschützt wird, wenn es darum geht, dass
NS-Leute vor Entdeckung geschützt wurden oder man
Informationen über ihren Verbleib nicht nachgegangen
ist. Angesichts der Diskussion, die wir hier im Hohen
Hause über den Umgang mit Rechtsextremismus und
den Geheimdiensten haben, gibt es wirklich keinerlei
Veranlassung, sich vor die Dienste zu stellen und zu
sagen: „Das dürft ihr im stillen Kämmerlein machen, das
geht uns als Parlament nichts an.“ Da wir die Arbeit der
Geheimdienste über den Bundeshaushalt finanzieren und
auch als Parlament verantworten, kann ich nicht nach-
vollziehen, dass wir hier den Zugang zu diesen Vorgän-
gen nicht haben sollen.

Deshalb rate ich Ihnen, nachher mit uns gemeinsam
dieser Ziffer in dem Antrag der Linken zuzustimmen,
damit diese Sachen ans Licht kommen. Es ist richtig:
Nach 20 Jahren kann es bei anderen Vorgängen noch
außenpolitische oder sicherheitspolitische Interessen
geben, die ich aber in diesem Kontext generell ausschlie-
ßen würde. Da müssten Sie mir schon erklären, wo da
die Arbeit unserer Geheimdienste gefährdet sein soll,
wenn diese Vorgänge ans Licht kommen. Da ist allen-
falls eine falsche Kameraderie gefährdet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720406000

Zur Erwiderung Kollege Schuster.






(A) (C)



(D)(B)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720406100

Herr Kollege, auch wir sehen keine Gründe dafür, sol-

che Dinge geheim zu halten. Deswegen haben wir Histo-
rikerkommissionen eingerichtet.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit geht es aber nicht in die Öffentlichkeit! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lassen Sie ihn doch ausreden!)


Deswegen haben wir gesagt, dass wir alle Akten aus der
Zeit zwischen 1949 und 1959 offenlegen.

Ich wäre Ihnen trotzdem dankbar, wenn Sie bei Ihrem
Vokabular aufpassten. Ich würde mitgehen, wenn Sie
über das Thema „Geheimdienste und Mauscheleien“,
was die NS-Zeit anbelangt, sprechen. Aber ich möchte
Sie bitten, den Begriff „Geheimdienste und Mausche-
leien“ nicht im Zusammenhang mit der Bundesrepublik
Deutschland zu benutzen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Oh! Oh!)


Ich habe auch als Mitglied des Untersuchungsaus-
schusses ein gutes Gefühl, wenn ich sage: Das sind bun-
desdeutsche Nachrichtendienste,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Oh! Oh!)


bei denen vielleicht Fehler gemacht werden – diese wer-
den übrigens auch in Ihrer Fraktion gemacht –, aber es
gibt keine vorsätzlichen Mauscheleien oder sonst irgend-
etwas in der Art.


(Iris Gleicke [SPD]: Das untersuchen wir gerade!)


Da stelle ich mich ganz klar vor die Dienste.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720406200

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Thierse für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720406300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich habe den Artikel in der Süddeutschen Zeitung
gelesen, aus dem Kollege Korte schon zitiert hat. Das ist
ein wahrlich erschreckendes Beispiel für das Problem,
über das wir hier diskutieren.

Jener Carl Theodor Schütz war für die Organisation
Gehlen und dann für den Bundesnachrichtendienst tätig.
Ich will auch noch einmal zitieren, weil man angesichts
dessen wirklich fassungslos ist. Ihm wird bescheinigt, so
die Akten des BND, dass er eine „charakterlich ein-
wandfreie, ausgereifte, sensible, temperamentvolle Per-
sönlichkeit“ und ein „Vorbild für die Mitarbeiter“ sei.

Dabei war dieser Schütz 1944 als Hauptsturmführer an
dem berüchtigten Massaker an den Ardeatinischen
Höhlen, nahe Rom, beteiligt, also am sogenannten Gei-
selmord an 335 italienischen Menschen.

Nun kommt es: Bereits 1933 war er wegen Körper-
verletzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt
worden. Nach einem Trinkgelage hatte er gemeinsam
mit SS-Kameraden eine Wohnung gestürmt und die ver-
meintlich kommunistischen Bewohner, darunter eine
Frau, brutal misshandelt. Dafür ist er verurteilt worden.
Für seine Beteiligung an Kriegsverbrechen musste sich
Schütz nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland
nicht verantworten, obwohl sie dem BND bekannt war.
Ein wahrlich erschreckendes Beispiel! Die Forschungen
der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte
des BND haben diese Fakten zutage gefördert. Wir
konnten sie vor wenigen Tagen nachlesen.

Die Karriere von Schütz ist mit Sicherheit kein Ein-
zelfall. Sie zeigt nur besonders eindringlich, dass wir
weiter nachfragen müssen. Sie zeigt, dass wir noch lange
nicht alles über die Frühgeschichte der Bundesministe-
rien und -behörden wissen. Sie macht deutlich, dass der
Weg in die bundesdeutsche Demokratie keineswegs so
selbstverständlich und so glatt war, wie manche heute
denken oder behaupten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Tatsache allein, dass ehemalige NSDAP-Mitglie-
der in Behörden oder Ministerien der Nachkriegszeit
eine Anstellung fanden, ist dabei wenig bemerkenswert.
Wer 1945 für eine Stunde null hält, muss sich nur fragen,
wohin jene Deutschen denn plötzlich verschwunden sein
sollten, die im Jahr zuvor noch Bürger des Dritten Rei-
ches waren, in welcher Rolle auch immer.

Wichtiger ist es deshalb, nach der Qualität der Täter-
schaft, des Mitläufer- oder Denunziantentums zu fragen,
die sich in Biografien von Mitarbeitern und Beamten in
Ministerien und Behörden widerspiegelt. Es ist nach
dem Geist zu fragen, der die Arbeit in Behörden und
Ministerien der jungen Bundesrepublik und auch der frü-
hen DDR bestimmte, nach Kontinuitäten und Diskonti-
nuitäten in der Verwaltungspraxis. Und es ist danach zu
fragen, wie sich die Umstellung, die Transformation von
der NS-Diktatur zu westdeutscher Demokratie und zum
System der DDR mit Funktionseliten vollzog, die durch
ihre Erfahrungen und ihr Handeln im Nationalsozialis-
mus geprägt waren.

Angesichts vielfacher personeller und auch institutio-
neller Kontinuitäten wird erklärlich, wie schwer es ehrli-
che und konsequente Aufarbeitung der Nazivergangen-
heit bis in die 60er-Jahre in der Bundesrepublik hatte.
Ich erinnere nur an die mühsame Aufklärungsarbeit des
hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer und an die
Anfeindungen, denen er bis zu seinem Tode ausgesetzt
war. Wie viel Verdrängung begleitete die Entwicklung
der westdeutschen Demokratie? Wie viel Verdrängung
kaschierte der staatsoffizielle, autoritäre Antifaschismus
der DDR? Kollege Korte, wenn Sie über dieses Kapitel





Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


unserer gemeinsamen Geschichte ein einziges Wort ver-
loren hätten,


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das hat er kein einziges Mal gemacht!)


wäre es glaubwürdiger, wie Sie Ihr Anliegen vertreten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720406400

Herr Kollege Thierse, der Kollege Korte möchte

gerne eine Zwischenfrage stellen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720406500

Ich warte schon darauf.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720406600

Bitte, Herr Korte.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720406700

Herr Kollege Thierse, wenn Sie die Fragen der Lin-

ken in der Großen Anfrage zur Kenntnis genommen hät-
ten, dann hätten Sie sich eine solche Bemerkung viel-
leicht verkniffen. Wir haben dort nämlich explizit – ich
betone: explizit – nach NS-Funktionseliten in Strukturen
und Behörden der DDR gefragt. Ich glaube, aus vielen
Debatten kennen Sie in etwa meine Position zu diesen
Fragen. Heute habe ich in meiner Rede einen anderen
Schwerpunkt gesetzt. Schön wäre – um das zu beantwor-
ten, Kollege Thierse –, wenn die Bundesregierung bzw.
die Koalitionsfraktionen, die wieder mit besonderem
Engagement in Verhaltensweisen des Kalten Kriegs zu-
rückfallen, zur Kenntnis nähmen, dass in unserer Großen
Anfrage eine neunseitige Literaturliste zu ehemaligen
Nazis in der DDR zu finden ist.

Letzte Anmerkung, die ich dazu machen möchte. Es
gibt nun einmal einen qualitativen Unterschied. Bei
allem Unrecht, das es in der DDR gab, waren dort die
NS-Funktionseliten aus Reichssicherheitshauptamt, NS-
Bürokratie und -Staatswesen nicht in den oberen und
zentralen Etagen der Verwaltung und der Regierung zu
finden. Das muss man doch bei einer solchen Debatte
zur Kenntnis nehmen. Es muss doch möglich sein, einen
solchen Unterschied darzulegen.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eine Gegenrede und keine Frage!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720406800

Herr Kollege Korte, in Bundestagsdebatten gilt das

gesprochene Wort.


(Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP])


Ich habe genau auf das reagiert – Sie haben hoffentlich
zugehört –, was Sie hier gesagt haben. Ich habe nicht
übersehen, dass die Große Anfrage Ihrer Fraktion auch
ein paar Fragen zu dem angesprochen Themengebiet
enthält.


(Beifall des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP])


Wenn man aber hier über die Geschichte der jungen
Bundesrepublik im Ton der Anklage redet – das kann ich
in emotionaler Hinsicht verstehen –, dann muss man als
ehemaliger DDR-Bürger auch ein paar Sätze über die
Geschichte der DDR und ihre Art des Antifaschismus
sagen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich bin in Niedersachsen geboren, entschuldigen Sie mal!)


– Entschuldigen Sie, das kenne ich doch. Sie werden
nicht oft erleben, dass ich Ihnen die Vergangenheit der
SED vorhalte. Aber gelegentlich, gerade wenn man sich
mit der Vergangenheit befasst, sollte sie eine selbstkriti-
sche Bemerkung wert sein. Nicht mehr und nicht weni-
ger habe ich mit meiner kleinen Bemerkung an Sie sagen
wollen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Mit der Beantwortung der von mir vorhin formulier-
ten Frage, wie viel Verdrängung in beiden Teilen
Deutschlands auf höchst unterschiedliche Weise eine
Rolle gespielt hat, gewinnen wir hoffentlich neue Ein-
sichten über das Wesen und Werden unseres Gemeinwe-
sens. Forschung und öffentliche Diskussion sollten sich
nicht darin erschöpfen, einfach historische Fakten aufzu-
zählen oder gewissermaßen ein Namedropping zu betrei-
ben. Sie sollen und können vielmehr in eine aufrichtige
gesellschaftliche Selbstverständigung über den Weg zu
unserer Demokratie münden. Ich will das noch einmal
sagen: Beides ist erklärungsbedürftig, das Weiterwirken
von Nazitätern und Schuldiggewordenen sowie der
Umstand, dass daraus eine Demokratie entstanden ist.
Beides sollte Gegenstand der Betrachtung sein. Beides
müssen wir erklären. Das ist ein selbstkritischer Umgang
mit der Geschichte und ihren Widersprüchen, aus denen
wir heute demokratisches Selbstbewusstsein gewinnen
können. Das ist der Sinn dieser Aufgabenstellung.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Diesem Ziel dient der Antrag, den meine Fraktion ge-
meinsam mit CDU/CSU und FDP eingebracht hat. Er ist
– das sage ich nicht aus Eitelkeit – auf meine Initiative
hin entstanden. Der erste Antrag, den ich formuliert
habe, ist anderthalb Jahre alt. Ich bin froh, dass wir nun
darüber diskutieren; denn es waren einige Hürden zu
überwinden. Es hat sehr lange gedauert, bis Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, sich
diesem Anliegen haben anschließen können.

Das Anliegen ist, eine Bestandsaufnahme in Auftrag
zu geben, die die Desiderate der Forschung, das, was
bisher nicht geleistet und aufgeklärt worden ist, ermit-
telt. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Pots-
dam und das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin,
zwei aus Bundesmitteln teilfinanzierte Institute, sollen
dieses Gutachten ausarbeiten. Unsere Kernforderung er-
achten CDU, CSU und FDP als richtig und wichtig. Der
gemeinsame Antrag spiegelt das wider. Die Grünen, die





Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


sich der gemeinsamen Initiative nicht anschließen woll-
ten, haben diese Forderung jedenfalls inhaltlich auch in
ihrem Antrag.

Die Bestandsaufnahme soll im weiteren Verfahren
nicht einen Schlussstrich ziehen, sondern der Vorberei-
tung eines nächsten Schrittes dienen, einer adäquaten, an
aktuellen Methoden und Fragestellungen orientierten Er-
forschung einzelner Ministerien und Behörden, ohne
jede Beschönigung. Dass es einer solchen Bestandsauf-
nahme bedarf, hat ein sehr informatives Expertenge-
spräch im Kulturausschuss gezeigt. In Auswertung die-
ses Gesprächs ziehen wir mit dem Antrag eine konkrete
Schlussfolgerung.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der
Ministerien und Behörden des Bundes hat bereits – es ist
schon daran erinnert worden – in der Zeit rot-grüner Re-
gierungsverantwortung begonnen. Joschka Fischer und
Frank-Walter Steinmeier haben dazu wesentlich beige-
tragen. Die Debatte über die Traditionspflege im Aus-
wärtigen Amt und die 2010 erschienene Studie Das Amt
und die Vergangenheit: deutsche Diplomaten im Dritten
Reich und in der Bundesrepublik haben, wie auch immer
die Studie im Einzelnen bewertet werden mag, zu neuem
Nachdenken geführt. Inzwischen arbeiten Ministerien
wie das Finanz- und das Justizministerium ihre Ge-
schichte auf. Einzelne Studien wie die über das BKA
sind bereits abgeschlossen.

So gut diese Entwicklung insgesamt ist, so bleiben
doch immer noch Defizite zu beklagen, und zwar was
den Zugang zu Aktenmaterial und die Veröffentlichung
der Forschungsergebnisse betrifft. Verstecken und Un-
terdrücken ist einfach nicht mehr an der Zeit. Da sollten
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und FDP, sich einen Ruck geben und sagen: Hier sollte
der öffentliche, direkte Zugang zu diesem Teil der Akten
nicht mehr behindert werden. – Es ist nicht verständlich,
dass dieser Zugang immer noch behindert wird.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Vor über einem Jahr haben wir genau deshalb schon
einen Antrag formuliert. Er ist vom 28. Juni 2011 und
trägt den Titel: „Personelle und institutionelle Kontinui-
täten und Brüche in deutschen Ministerien und Behörden
der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgänger-
institutionen untersuchen“. Mit dem heutigen Antrag
kommen wir einen konkreten Schritt weiter. Mir ist es
darum gegangen, dass wir eine Mehrheit für einen An-
trag finden, der einen Fortschritt erzielt. Darum geht es.
Angesichts der Bedeutung – ich hoffe, da sind wir uns,
bei allen anderen Meinungsverschiedenheiten, einig –,
die die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
für unser Selbstverständnis hat und wohl auch mit Si-
cherheit weiterhin haben wird, lade ich alle Fraktionen
ein, diesem weiteren Schritt zuzustimmen. Dann geht die
Diskussion weiter, was anschließend noch zu tun ist.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720406900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Stefan Ruppert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1720407000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zunächst einmal finde ich es ausgesprochen gut,
dass wir an so prominenter Stelle


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


über die Wurzeln der frühen Bundesrepublik und über
Fragen von personeller und inhaltlicher Kontinuität
reden.


(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist Zeichen einer reifen und gefestigten Demokratie,
dass sie mit ihrer eigenen Vergangenheit souverän und
durchaus selbstkritisch umgehen kann. Insofern finde
ich, dass diese Form der Vergangenheitspolitik, um den
Historiker Norbert Frei zu zitieren, für einen reifen
Rechtsstaat die angemessene ist.

Ich freue mich auch über die Gemeinsamkeit mit den
Sozialdemokraten in dieser Frage. Es ist doch gut, wenn
wir die Gemeinsamkeiten in solchen Themen besonders
betonen und alle zeigen, dass es uns darum geht, uns die-
sen Kontinuitäten zu stellen, statt sie dazu zu nutzen, um
uns gegenseitig zu bezichtigen, dass der eine das besser
macht als der andere.

Es ist doch unstreitig, dass in der frühen Bundesrepu-
blik eine erhebliche personelle Kontinuität bestanden
hat. Wo sollten auch all die Menschen geblieben sein,
die zwischen 1933 und 1945 in der einen oder anderen
Form mitgewirkt haben? Sie verschwanden nicht auf
einmal, sondern sie waren natürlich an gewissen Stellen
und haben die Kontinuität in der Verwaltung und auch in
den Ministerien geprägt. Das ist unstreitig.

Auch wir als Parteien haben natürlich Kontinuitäten.
Meine Partei zum Beispiel erforscht gerade, dass es in
Niedersachsen, aber auch in Nordrhein-Westfalen durch-
aus Ortsverbände gab, wo die Zahl an Nationalsozialis-
ten besonders hoch war und wo es keine kritische Dis-
tanz gegeben hat. Das abzugrenzen von den Fällen, wo
sich Einzelne durchaus der Verantwortung für ihre Ver-
gangenheit gestellt haben und sich in das Gemeinwesen
der frühen Bundesrepublik integriert haben, ist Aufgabe
historischer Forschung. Dem stellen sich Parteien, und
zwar SPD, CDU, FDP und, ich nehme an, auch die Grü-
nen. Insofern glaube ich, wir sollten uns nicht gegensei-
tig Dinge vorwerfen, sondern wir sollten diese ge-
schichtlichen Tatbestände erforschen, zur Kenntnis
nehmen und einordnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Thierse hat schon gesagt: Er hatte einen Antrag
vorgelegt, und dann gab es eine Anhörung. Diese Anhö-
rung hatte die Frage zum Gegenstand: Wie gehen wir





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)


aus wissenschaftlicher Sicht mit unserer Vergangenheit
in der frühen Bundesrepublik um? Es war interessant,
dass die Sachverständigen, beispielsweise Herr Profes-
sor Möller und Herr Professor Stolleis, uns empfohlen
haben, einerseits den Aspekt, der in Herrn Kortes Rede
im Vordergrund stand, nämlich die personelle Kontinui-
tät, zu untersuchen, und andererseits genau zu fragen:
Warum ist es der jungen Bundesrepublik gleichwohl ge-
lungen, sich als Rechtsstaat zu etablieren? Warum hat es
dieses Gemeinwesen vermocht, trotz bestehender Konti-
nuitäten im Einzelfall einen modernen Rechtsstaat heuti-
ger Prägung aufzubauen? Welche Strategien hatten die
einzelnen Beamten? Waren sie wirklich innerlich bereit,
am Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats und einer
sozialen Marktwirtschaft mitzuarbeiten, oder haben sie
inhaltlich ihre Agenda zum Teil weiterverfolgt?

Das sind Fragen, die uns interessieren und genauer
betrachtet werden müssen. Es geht nicht um das Zählen
von Fliegenbeinen nach dem Motto „Dieses Ministerium
hatte mehr als das andere“ oder „In dieser Behörde gab
es mehr als in der anderen“. Es sind diese Verständnis-
fragen, die etwas über unser Selbstverständnis aussagen,
und nicht die rein quantitativen Angaben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Offen gesagt ging es mir wie Herrn Thierse. Es ist
schon bezeichnend. Sie sagen: Es gab keine personellen
Kontinuitäten.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! Habe ich doch gar nicht gesagt!)


– In höchsten Ämtern, haben Sie gesagt. Ich frage Sie:
Welche Funktion hat ein stellvertretender Chefredakteur
des Neuen Deutschland? Welche Funktion hat beispiels-
weise ein Generalfeldmarschall Paulus in der DDR ge-
habt? Natürlich gab es das, und es gab auch andere.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das habe ich doch gar nicht abgestritten! Das wissen Sie doch auch!)


– Entschuldigung, dann formuliere ich es so: Es gab
auch in höchsten Positionen solche Kontinuitäten. Der
sogenannte antifaschistische Staat, der sich zugutegehal-
ten hat, da besonders rigide gewesen zu sein, war es bei
Entschädigungen und anderen Dingen gerade nicht.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau so ist das!)


Er hat sich gerade nicht dieser Geschichte gestellt. Auch
das kann man an dieser Stelle einmal sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die FDP hat es getan!)


Das macht es nicht besser. Man versteht es nur besser,
wenn man genauer hinguckt und Fragen stellt, die nicht
davon geleitet sind, den einen oder den anderen anzukla-
gen.

Ich finde, es ist an dieser Stelle auch notwendig, auf
ein bestimmtes Wissenschaftsverständnis hinzuweisen.
Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt, der – das
trennt uns von ihnen in einem Punkt – auf dem Rat-
schlag von Micha Brumlik basiert.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Brumlik hat vorgeschlagen, es muss eine Art Stabsstelle
zur staatlichen Erforschung der Geschichte der frühen
Bundesrepublik geben. Alle anderen Sachverständigen,
vom Hannah-Arendt-Institut über das Institut für Zeitge-
schichte bis zum Max-Planck-Institut für europäische
Rechtsgeschichte, haben gesagt: Unser Problem ist
nicht, dass der Staat eine Art historische Auftragsfor-
schung initiieren soll; unser Problem ist viel eher, dass
die Historiker keinen adäquaten Quellenzugang bekom-
men. Die Wissenschaft stellt die richtigen Fragen selbst,
so Professor Stolleis oder auch Professor Möller. Es ist
ein Unterschied, ob wir als Politiker die Fragen stellen,
die wir für interessant halten, oder ob wir Zeithistorikern
sagen: Wir ermöglichen euch, eure Fragestellungen an-
hand des vorhandenen Quellenmaterials zu verfolgen. –
Ich glaube, aus dem zweiten Ansatz folgt mehr histo-
rische Erkenntnis als aus dem Brumlik’schen Ansatz,
den ich in vielen Aspekten durchaus verstehe.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt wird uns vorgeworfen, wir deklassifizierten
nicht pauschal. Aus unserem Ansatz folgt eben, sich die-
jenigen Quellen zu suchen, die man haben will, die man
braucht, die man sehen will. Man stellt dann einen An-
trag auf Akteneinsicht, und diesem Antrag muss im Ein-
zelfall stattgegeben werden, wenn nicht ein überwiegen-
des Geheimhaltungsinteresse legitimerweise besteht. Ich
glaube, wenn wir so vorgehen, kommen wir zu guten Er-
gebnissen.

Mich interessiert noch die Frage: Welchen Anteil hatte
eigentlich das Bundesverfassungsgericht an dem Gelin-
gen dieses Rechtsstaats? Es ist doch interessant, dass ge-
rade Urteile wie das Lüth-Urteil, das KPD-Verbotsurteil,
das SRP-Verbotsurteil, die Stärkung von Grundrechten
des Einzelnen wie der Religionsfreiheit und der Mei-
nungsfreiheit dazu beigetragen haben, dass dieser Staat
gelungen ist. Insofern ist es richtig, dass der Deutsche
Rechtshistorikertag feststellt: Wir müssen verstehen ler-
nen, was das Bundesverfassungsgericht in den Anfangs-
jahren seines Bestehens geurteilt hat. – Dabei gilt es, Be-
ratungsgeheimnisse zu schützen. Dabei gilt es, darauf zu
achten, dass lebende Personen legitime Datenschutzinte-
ressen haben. Wir wollen in die frühen Akten hinein-
schauen. Auch darauf zielt unser Antrag ab.

Man kann es nicht so wie die Linken machen – zum
Teil sind wir deckungsgleich –, dass man dem Bundes-
verfassungsgericht als einem anderen obersten Verfas-
sungsorgan diktiert: Ihr müsst das so und so machen. –
Vielmehr wollen wir das Gespräch mit dem Bundesver-
fassungsgericht suchen, um zu zeigen, dass wir an der
Aufarbeitung seiner Geschichte ein erhebliches Interesse
haben. Notwendig ist der Dialog zwischen den obersten
Verfassungsorganen und kein Dekret von hiesiger Seite.





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Viele Minis-
terien – ich nenne exemplarisch das BMJ, aber auch das
Bundesministerium der Verteidigung – haben sich diesen
Fragestellungen schon sehr gut gestellt. Im BMJ wird im
Moment eine hervorragende Arbeit geleistet. Insofern
finde ich, daran sollten wir weiterarbeiten. Wir sollten
die Einigkeit der Demokraten weiter stärken, anstatt uns
hier gegenseitig Vorwürfe zu machen, wer etwas wie
und gegebenenfalls in welcher Form vertuschen oder
verkleistern will. Das ist die Vorgehensweise eines reifen
Rechtsstaates, der wir zum Glück sind. Insofern werbe
ich für mehr Gemeinsamkeit bei der Erforschung der
frühen Bundesrepublik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720407100

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die

Kollegin Claudia Roth.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Morgen, am 9. November, jährt sich die Reichspogrom-
nacht, die 1938 Mord, Zerstörung, Misshandlung über
die Juden brachte. Das war ein terroristisches Fanal auf
dem Weg in den Holocaust. Die Erinnerung an dieses
Datum ist nicht beliebig. In ihr steckt ein demokratischer
Auftrag, nämlich alles zu tun, damit Rechtsextremismus
in unserem Land keine Chance hat.

Was heißt das konkret für uns hier und heute? Es heißt
zum Beispiel, sich dem entgegenzustellen, was alte und
neue Nazis zum 9. November, also für morgen, planen:
Fackelzüge in Essen, wo 1938 die Alte Synagoge
brannte, oder in Wolgast, wo sie zu einer Gemeinschafts-
unterkunft marschieren wollen, in der Flüchtlinge Auf-
nahme finden.

Es ist unsere Pflicht, hier laut „Stopp!“ zu rufen. Das
Aktionsbündnis „Vorpommern: weltoffen, demokra-
tisch, bunt!“, das gegen diesen Aufmarsch mobilisiert,
hat die volle Unterstützung unserer Fraktion und, ich
hoffe, die volle Unterstützung aller Fraktionen hier im
Deutschen Bundestag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Eine klare, eine entschiedene Haltung gegenüber
Rechtsextremen ist wichtig, auch um das verloren ge-
gangene Vertrauen zurückzugewinnen, gerade das Ver-
trauen zu unserem demokratischen Rechtsstaat, das
schwer gelitten hat unter dem Totalversagen der Sicher-
heitsbehörden bei der NSU-Mordserie.

Das ist auch das Grundanliegen bei der Aufklärung
der NS-Vergangenheit – selbstverständlich in ganz
Deutschland –, über die wir heute diskutieren. Es geht
doch nicht darum, Schmutz zu werfen. Es geht doch

nicht um eine Sicherheitsgefährdung; ganz im Gegenteil.
Es geht um die demokratische Selbstvergewisserung
unserer Institutionen. Es geht auch um die Einsicht
Adornos, dass das, was verdrängt und was nicht kritisch
aufgearbeitet wird, uns wieder einholt, uns überfällt, und
zwar hinterrücks.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Einsicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, passt
doch offensichtlich sehr gut zu einem NSU, der mordend
durch das Land zog, und zu einem braunen Schleier
– das muss man wirklich sagen – über den Sicherheits-
behörden. Wie soll ich die Blindheit und das Versagen in
der NSU-Verbrechensserie denn sonst beschreiben? Die
Aufarbeitung eines verdrängten Kapitels der Zeit-
geschichte im kritischen, im aufklärerischen Geist und
im Sinne eines Erinnerns und Lernens für die Zukunft,
das ist unser Ziel im Umgang mit der NS-Vergangenheit
von Ministerien und Behörden.

Wie viel da noch zu tun ist, hat nicht zuletzt die von
Joschka Fischer in Auftrag gegebene und vor zwei Jah-
ren veröffentlichte Studie zur NS-Vergangenheit des
Auswärtigen Amts gezeigt. Diese Studie hat die Debatte
in Gang gebracht, die wir heute weiterführen und die wir
weiterführen müssen, auch zum Beispiel über die Praxis
der Ehrwürdigkeit, auf die mein Kollege Ostendorff
mich noch einmal hingewiesen hat.

Wie nötig diese Debatte ist, das zeigt doch auch der
Fall, der von meinen Vorrednern schon benannt worden
ist, den erst am 27. Oktober 2012 die Süddeutsche Zei-
tung öffentlich gemacht hat, der Fall von Carl-Theodor
Schütz, der wirklich eine verbrecherische Karriere hinter
sich hat. Sein allerschwerstes Verbrechen ist die Erschie-
ßung der 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen in
der Nähe von Rom im März 1944. Er befehligte das
Exekutionskommando, und er ermordete die ersten Op-
fer sogar eigenhändig. Geheimdienstchef Gehlen wollte
diesen Mann nach dem Krieg unbedingt beim BND ha-
ben, und Bundeskanzler Adenauer hat dem ausdrücklich
zugestimmt.

Doch in den letzten Jahren sind leider noch andere
Fälle bekannt geworden, fast unvorstellbare Fälle, vor
allem die von Eichmann und von Barbie. Von Eichmann,
dem Holocaustorganisator, kannte der BND den Aufent-
haltsort, ohne zu seiner Ergreifung beizutragen. Ist es
nicht bitter, zu erkennen, wie sehr man Simon
Wiesenthal alleingelassen hat bei seiner Suche nach
Eichmann?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Klaus Barbie, der sogenannte Schlächter von Lyon,
war in den 60er-Jahren sogar Agent des BND. In der
NS-Zeit hat er in Frankreich katholische Priester gefol-
tert, hat Kinder hungern lassen, hat Frauen unsäglich
misshandelt. Es ist schändlich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass Serge und Beate Klarsfeld, die ihm jahre-
lang nachgespürt haben, alleingelassen worden sind und
hier in Deutschland zum Teil als Feinde behandelt wor-
den sind.





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Ich glaube, wir alle sehen, wie groß der Aufklärungs-
bedarf ist, wie groß er noch ist. Ich möchte Sie deshalb
wirklich herzlich bitten, dass wir das engagiert tun, dass
wir es zusammen tun, ja, dass wir es gemeinsam tun,
ohne jegliche taktische Hintergedanken, dass wir es so
engagiert tun, wie es unsere Kollegen und Kolleginnen
im NSU-Untersuchungsausschuss uns zeigen.

Deswegen – das muss ich wirklich sagen – ist es uns,
ist es mir sehr unverständlich, dass die Regierungsfrakti-
onen in den Ausschussberatungen einen Antrag von uns
Grünen abgelehnt haben,


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Sie waren gar nicht sprechfähig im Ausschuss! Es war keiner da!)


der die Regierung auffordert, im Falle Barbie und im
Fall Eichmann Verantwortung für die Aufklärung zu
übernehmen. Dieser Antrag steht heute noch einmal zur
Debatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss Ihnen sagen, liebe Kollegen und Kollegin-
nen und liebe Freunde und Freundinnen von der SPD:
Auch Sie haben diesen Antrag im Kulturausschuss abge-
lehnt.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Es war niemand da von Ihnen, der dazu reden konnte!)


Ich verstehe das überhaupt nicht. Ist es denn wirklich
sozialdemokratische Position, einen Antrag, der Aufklä-
rung in Sachen Eichmann und Barbie – dass das noch
nicht geschehen ist, ist doch ein Skandal – fordert, abzu-
lehnen oder sich dazu neutral zu verhalten, also sich zu
enthalten, wie Sie es im Innenausschuss getan haben?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit der Studie zum
Auswärtigen Amt sind zahlreiche parlamentarische Ini-
tiativen gestartet worden. Wir haben einen umfassenden
Antrag zur systematischen Aufarbeitung der NS-Vergan-
genheit von Ministerien und Behörden eingereicht, der
Ihnen heute vorliegt. Er geht in entscheidenden Punkten
über den aus meiner Sicht unzureichenden Antrag der
Koalition und der SPD hinaus, der nur Minischritte
macht, ohne – das ist eine große Kontroverse – politi-
sche Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Mittelpunkt Ihres
Antrags steht eine „Metaforschung“, das heißt, über vor-
liegende Forschung soll geforscht werden. Ich glaube
aber, es können und es sollten politische Konsequenzen
benannt werden. Es kann doch nicht darum gehen, dass
man wenig aufarbeitet und viel Stillstand pflegt.

Herr Deutschmann hat im Kulturausschuss für die
FDP sogar gefordert, dass die Politik gar keine eigenen
Forschungsaufträge vergeben sollte, weil – so hat er ge-
sagt – das eine Einmischung in die Freiheit der Wissen-
schaft sei.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Im Bund sollen wir nicht tun dürfen, was wir von Ver-
bänden und Organisationen selbstverständlich verlan-

gen und was auch viele Verbände und Organisationen
heute endlich tun, nämlich eigene Aufträge vergeben.
Der DFB oder die Deutsche Bahn vergeben Aufträge,
um zu erforschen, wie ihre NS-Vorgeschichte aussieht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nein, eine wirkliche Einmischung in die Freiheit der
Wissenschaft ist die Behinderung der laufenden For-
schung, so wie es beim BND geschehen ist, oder wenn
man sich weigert, Forschungsergebnisse zu veröffentli-
chen, wie das zunächst mit der Studie zum Reichsernäh-
rungsministerium geschehen ist, die noch von Renate
Künast in Auftrag gegeben worden ist.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!)


Aus meiner Sicht falsch in Ihrem Antrag ist auch die
Begrenzung des Forschungsauftrags auf die frühe Bun-
desrepublik Deutschland – nach allem, was wir jetzt wis-
sen. Nehmen wir zum Beispiel den Fall Barbie: Er reiste
ja bis 1980 unter dem Decknamen „Klaus Altmann“
wiederholt in die Bundesrepublik ein. Er baute neofa-
schistische Strukturen auf. Er wickelte Waffengeschäfte
ab. Er wurde offensichtlich vom Verfassungsschutz ge-
schützt, wie die taz im Januar 2012 berichtet hat. Und es
darf kein Aktenschreddern mehr geben wie beim BND
noch in den 90er-Jahren und den 2000er-Jahren, wo Ak-
ten von Mitarbeitern mit NS-Vergangenheit vernichtet
wurden. Das ist ein Schreddern der Zeitgeschichte und
der Versuch einer Reinwaschung durch den Reißwolf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was uns ferner in Ihrem Antrag fehlt, ist eine Syste-
matik beim Vorgehen. Wir wollen einen Ansprechpart-
ner auf Bundesebene, damit wir den Flickenteppich in
der Aufarbeitung wegbekommen. Wir wollen klare Kri-
terien, wie mit den Forschungsergebnissen umgegangen
wird, auch für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und
für die Außendarstellung der Häuser. Schließlich brau-
chen wir dringend eine Koordination mit den Ländern
und Kommunen; denn die NS-Herrschaft war ja flächen-
deckend.

Hier liegen die politischen Antworten, um die wir uns
nicht länger drücken dürfen. Deswegen bitte ich die Ko-
alitionsfraktionen und die SPD, dem weitergehenden
Antrag zuzustimmen.

Wenn wir der Geschichte von Behörden und Bürokra-
tie nachgehen, dann sollten wir auch die Banalität des
Bösen nicht vergessen, die Hannah Ahrendt mit Blick
auf den Bürokraten Eichmann beschrieben hat. Diese
Banalität, diese scheinbare Alltäglichkeit des blinden
Mitmachens und des Sich-Einordnens haben Spuren hin-
terlassen, auch in unseren Nachkriegsinstitutionen. Es
gab keine Stunde null. Die Brüche und die Kontinuitäten
in ganz Deutschland aufzuarbeiten, das ist unsere Ver-
antwortung als Demokraten und Demokratinnen. Lassen
Sie uns das zusammen tun!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720407200

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Thierse.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720407300

Liebe Kollegin Roth, Sie haben hier etwas wahrheits-

widrig behauptet. Im Kulturausschuss hat die SPD-
Fraktion Ihren Antrag nicht abgelehnt, sondern sich der
Stimme enthalten, und zwar aus einem ganz einfachen
Grund: Wir hatten bereits einen grundlegenden Antrag
formuliert, nämlich am 28. Juni 2011; ich habe das
Datum vorhin genannt.

Im Anschluss an diesen Antrag bin ich – weil es mir
ja um eine Mehrheit geht; wir wollen etwas erreichen –
auf die anderen Fraktionen zugegangen und habe mit ih-
nen das Gespräch gesucht. Wenn man aber im Gespräch
mit den Kollegen ist, um ein Anliegen mehrheitsfähig zu
machen, kann man nicht zugleich einem anderen Antrag
zustimmen.

So hat sich der Vorgang zugetragen. Das hat nichts
mit einem politisch-moralischen Versagen der SPD zu
tun.


(Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720407400

Wollen Sie erwidern?

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich habe definitiv nicht von „politisch-moralischem
Versagen“ gesprochen, Herr Kollege Thierse. In Ihrem
Antrag kommt der, wie ich finde, erschütternde Skandal
um Barbie und Eichmann aber leider nicht vor. Es wäre
nicht ein Widerspruch, unserem Antrag zugestimmt zu
haben, sondern es wäre eine notwendige Ergänzung. Es
ist nicht nachvollziehbar, dass man in diesem Fall die
Regierung nicht beauftragt, eine umfassende Aufklärung
zu fordern. Das haben Sie leider nicht unterstützt. Ich
bitte darum, dass das heute endlich passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720407500

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der

Kollege Stephan Mayer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1720407600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!

Sehr geehrte Kollegen! Zu Beginn meiner Ausführungen
möchte ich aus der Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Fraktion Die Linke zitieren:

Mehr als 60 Jahre nach Konstituierung der Bundes-
republik Deutschland und mehr als 65 Jahre nach
dem Zusammenbruch der NS-Diktatur lässt sich
feststellen, dass die nationalsozialistische Gewalt-

herrschaft generell die am besten erforschte Periode
der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist.

Setzt man diese Aussage in Zusammenhang mit den
Äußerungen der Sachverständigen in der Anhörung des
Ausschusses für Kultur und Medien am 29. Februar
2012, bei der diese deutlich die Selbstorganisation und
auch die Unabhängigkeit der Wissenschaft in den Vor-
dergrund gestellt haben, so stellt sich für mich die Frage,
warum von Bündnis 90/Die Grünen und insbesondere
der Fraktion Die Linke heute so umfangreiche Forderun-
gen nach staatlicher Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
erhoben werden. Denn nach Ansicht der Sachverständi-
gen sollten vielmehr bestehendes Wissen und aktuelles
Erkenntnisinteresse zusammengeführt werden. Dies
würde die wissenschaftliche Forschungsarbeit erleich-
tern und zugleich dem öffentlichen Interesse an dem
Thema gerecht werden.

Ich muss daher angesichts der vorliegenden Anträge
zu der Überzeugung kommen, dass es Ihnen vorrangig
um staatlich gesteuerte und politisch instrumentalisierte
Auftragsforschung geht, geleitet von der Maxime:
Irgendetwas Skandalisierbares wird man schon finden.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Darunter machen Sie es ja nicht!)


Ein solches Verhalten darf in diesem Hohen Haus
keine Unterstützung finden. Bezeichnend und entlarvend
ist es zudem, dass sich die Anträge der Fraktion Die
Linke und von Bündnis 90/Die Grünen ausschließlich
auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in West-
deutschland konzentrieren. Dies belegt nicht nur Ihre
historische Unkenntnis, sondern ist auch ein weiterer
Beweis dafür, dass es Ihnen nicht um eine unabhängige
und wissenschaftsorientierte Aufarbeitung der Vergan-
genheit geht,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine ziemliche Unverschämtheit!)


sondern um eine Skandalisierung und Diffamierung ein-
zelner Personen und Einrichtungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stünden bei Ihnen wirklich die Aufklärung und Auf-
arbeitung der Vergangenheit im Vordergrund,


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ja schon ziemlich frech, was Sie sagen!)


hätten Sie sich in Ihren Anträgen nicht nur auf West-
deutschland konzentriert, sondern auch die ehemalige
DDR mit einbezogen.


(Widerspruch von der LINKEN)


Denn während in Westdeutschland nach dem Zweiten
Weltkrieg Schritt für Schritt tatsächlich Vergangenheits-
bewältigung betrieben wurde


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Du lieber Gott!)


und dies ein ständiger Prozess war, wurde sie in der da-
maligen DDR mit der „antifaschistisch-demokratischen





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


Umwälzung“ durch die SED einfach für beendet erklärt.
Weitere Debatten über Schuld und Verantwortung erüb-
rigten sich. Die DDR lehnte jegliche Haftungsverpflich-
tungen für die Vergangenheit ab. Der Historiker Edgar
Wolfrum schrieb hierzu einmal – ich zitiere –:

Hitler, so konnte man meinen, sei ein Westdeut-
scher gewesen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen, sehr geehrte Kol-
legen, ein aufrichtiger und umfassender Umgang mit der
Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach dem Zwei-
ten Weltkrieg darf sich aus meiner Sicht nicht nur auf
Westdeutschland beschränken, sondern er muss selbst-
verständlich auch die ehemalige DDR berücksichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, und?)


Die gemeinsame Vergangenheit ist ein schwieriges Erbe
beider deutscher Staaten und des wiedervereinigten
Deutschlands.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Und wo sind wir jetzt? – Gegenruf von der CDU/CSU: Was wehren Sie sich denn dagegen?)


Als solche muss sie auch problematisiert und reflektiert
werden. Daher haben wir als Regierungsfraktionen zu-
sammen mit der SPD-Fraktion einen eigenen Antrag
hierzu erarbeitet, der genau diesen schwerwiegenden
Fehler in den Anträgen der beiden anderen Fraktionen
behebt. Gleichzeitig respektieren wir die Unabhängig-
keit der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland;
diese ist durch Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz geschützt. Wir
wollen interessierten Forschern und Einrichtungen den
Zugang zu bereits erstellten Untersuchungen erleichtern
und zugleich gute wissenschaftliche Rahmenbedingun-
gen für neue Studien schaffen. Es geht also nicht nur da-
rum, eine Bedarfserhebung durchzuführen und festzu-
stellen, was schon erforscht wurde, sondern durchaus
auch darum, eine Grundlage für neue Studien zu schaf-
fen. Insbesondere wollen wir bei den beiden zeitge-
schichtlichen Instituten, dem Institut für Zeitgeschichte
in München und dem Zentrum für Zeithistorische For-
schung in Potsdam, eine Bestandsaufnahme in Auftrag
geben, um den aktuellen Forschungsstand und den beste-
henden Forschungsbedarf zu ermitteln, was die Ge-
schichte von Institutionen und Behörden im frühen
Nachkriegsdeutschland sowohl in der Bundesrepublik
Deutschland als auch in der ehemaligen DDR betrifft.

Wir setzen uns auch für eine wissenschaftsfreund-
lichere Ausgestaltung des Bundesarchivgesetzes und der
Möglichkeiten zur Akteneinsicht ein. In diesem Zusam-
menhang möchte ich aber betonen, dass wir die schutz-
würdigen Belange von natürlichen und juristischen Per-
sonen selbstverständlich auch in Zukunft achten werden;
denn anders als der Fraktion Die Linke geht es uns nicht
um eine Skandalisierung oder Diffamierung, sondern um
eine unabhängige zeithistorische Aufarbeitung, die mit
dem Grundgesetz vereinbar ist.

Auch ich möchte kurz auf Ihre Forderung eingehen,
sämtliche Verschlusssachen nach 20 Jahren öffentlich
zugänglich zu machen. Sie begründen Ihren Antrag da-

mit, dass „die Prinzipien des Amts- und Aktengeheim-
nisses in einer fortschrittlichen Demokratie keinen
Platz“ hätten. Mit dieser offensichtlich verfassungswid-
rigen Argumentation verlassen Sie zum wiederholten
Mal den Boden unseres Grundgesetzes.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Was ist das denn jetzt? Das geht doch nicht!)


Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsge-
richt haben in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass
personenbezogene Daten ihrem Wesen nach grundsätz-
lich geheimhaltungsbedürftig und schutzwürdig sind.

Es frappiert mich besonders, dass die angesprochene
Position gerade von den Fraktionen vertreten wird, die
sich immer als Gralshüter des Datenschutzes in Deutsch-
land gerieren.


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Beide Gerichte haben zudem den Kernbereich exeku-
tiver Eigenverantwortung anerkannt, aus dem geheim zu
haltende Tatsachen nicht mitgeteilt und offenbart werden
müssen. Dies erstreckt sich nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes nicht nur auf laufende Vor-
gänge, sondern auch auf abgeschlossene Vorgänge. Da-
rüber hinaus ist es in der Rechtsprechung anerkannt,
dass Behörden Informationen, die für eine effektive Er-
füllung ihrer Aufgaben unentbehrlich sind, von Dritten
in der Regel nur erhalten, wenn sie dem Informanten die
Vertraulichkeit der personenbezogenen Daten zusi-
chern. Dies gilt insbesondere für die Arbeit der Sicher-
heitsbehörden in Deutschland.

Ihnen geht es offenkundig nicht um mehr Transparenz
und die Legitimation des Rechtsstaats, sondern schlicht
um die Abschaffung der Behörden, die auf entspre-
chende vertrauliche Informationen angewiesen sind, so
wie unsere Nachrichtendienste. Die Forderungen, die
von Ihnen erhoben werden, können deshalb meines Er-
achtens nicht die Unterstützung dieses Hohen Hauses
finden.

Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720407700

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Kirsten

Lühmann das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1720407800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Anwesende, insbesondere
die Besuchergruppe von der Heeresfliegerinstandset-
zungsstaffel 100 aus meinem Wahlkreis in Celle! Wir
führen hier eine sehr interessante Debatte. Man kann sa-
gen: Verschlusssachen sind Transparenzkiller, nicht für
immer, aber für eine bestimmte Zeit. Wir stehen nun vor
der Frage: Wie können wir dieses Problem lösen? Wir





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


sind der Meinung: Wir können es nicht dadurch lösen,
dass wir dem Antrag der Linken zustimmen, der einfach
eine generelle Verkürzung der Sperrfristen ohne jegliche
Ausnahme fordert.

In Ihrem Antrag steht:

Geheimnisschutz und im Geheimen operierende
staatliche Institutionen … sind klassische Mittel des
Machterhalts Einzelner in totalitären Systemen.

Das sind markige Worte; ich denke, dem können wir alle
in diesem Haus zustimmen. Aber der Umkehrschluss,
dass es in der Demokratie keine Geheimnisse geben
darf, ist so einfach wie falsch.

Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel geben. Wir Abge-
ordnete bekommen regelmäßig Berichte über die Situa-
tion der von uns in Auslandseinsätze entsandten Solda-
ten und Soldatinnen sowie Polizisten und Polizistinnen.
Wir brauchen sie für unsere Arbeit. Diese Berichte sind
Verschlusssachen. Ich halte das für richtig; denn diese
Berichte enthalten Informationen, die das Leben und die
Gesundheit unserer entsandten Soldaten und Soldatinnen
gefährden könnten, wenn sie öffentlich würden. Die
Frage ist nur: Muss denn eine solche Vorlage auch
30 Jahre nach einem Abzug aller deutschen Kräfte aus
Afghanistan immer noch eine Verschlusssache sein?


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, das fragen wir!)


Das Fazit ist: Transparenz ist für die Demokratie
wichtig, aber es darf keine bedingungslose Transparenz
sein. Die von den Linken geforderte pauschale Verkür-
zung der Sperrfrist wird dem Einzelfall nicht gerecht.
Wir lehnen sie deshalb ab. Es gibt übrigens heute schon
die Möglichkeit, Sperrfristen von Akten vor Ablauf der
30 Jahre aufzuheben, und zwar dann, wenn die Gründe
für die Geheimhaltung entfallen sind. Ich finde, davon
sollten wir deutlich öfter Gebrauch machen.

Zurzeit ist es so, dass die Anfrage eines Bürgers, einer
Bürgerin nach dem Informationsfreiheitsgesetz sofort
abgelehnt wird, wenn sie sich auf eine Vorlage bezieht,
die als Verschlusssache eingestuft wurde. Ich wünsche
mir offenere und regelmäßigere Prüfungen, ob diese
Einstufung im Einzelfall noch sachgerecht ist.

Zu einem anderen Antrag der Linken. Herr Kollege
Beck, ja, das ist etwas anderes. In Bezug auf Akten zur
NS-Vergangenheit einzelner Personen haben wir ein
ganz anderes Problem. Im Bundesministerium für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist ein
zweiter Untersuchungsbericht nicht veröffentlicht wor-
den mit dem Hinweis auf personenbezogene Daten aus
Personalakten, die geschützt werden müssen. Ich finde
das seltsam. Das Grundrecht auf informationelle Selbst-
bestimmung, also das Grundrecht, dass ich selbst ent-
scheide, wer meine Daten bekommt oder nicht, ist ein
wichtiges Grundrecht. Aber wenn ich verstorben bin,
fehlt der Grundrechtsträger – und damit die Interessen,
die zu schützen sind. Hier muss es das Ziel sein, die In-
formationsfreiheit mit den Interessen Einzelner und auch
den Interessen des Staates in eine gute Balance zu brin-
gen. Wir wollen weg vom Amtsgeheimnis und hin zu ei-

ner offenen Verwaltung. Da helfen allerdings weder er-
hobene Zeigefinger noch pauschale Aktionen.

Es gibt viel zu tun, sowohl was die Bestimmungen
des Informationsfreiheitsgesetzes angeht als auch in der
täglichen Verwaltungspraxis. Wir laden Sie dazu ein,
sachlich und unaufgeregt nach Lösungen zu suchen, im
Sinne des Schutzes der Einzelnen, aber vor allem im
Sinne der Informationsrechte unserer Gesellschaft.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720407900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick

Kurth das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1720408000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Staatsräson ist es, alle Diktaturen aufzuarbeiten und
mit Engagement historisch zu erschließen. Deshalb
wurde über dieses wichtige Thema in den Ausschüssen
und hier im Bundestag mehrfach intensiv diskutiert. Hö-
hepunkt war die Fachanhörung im Kultur- und Medien-
ausschuss im Februar. Nahezu übereinstimmend legten
uns die Experten zwei Erkenntnisse nahe.

Erstens: Selbstorganisation der Wissenschaft statt
staatlicher Auftragsforschung. Forschungsfragen stellt
die Wissenschaft. Forschung lebt vom wissenschaft-
lichen Diskurs und von ständiger akademischer Hinter-
fragung. Vorgelegte Ergebnisse müssen überprüfbar
bleiben. Im ersten Semester habe ich gelernt, dass sich
das intersubjektive Nachvollziehbarkeit nennt.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sehr gut!)


Sie muss gewährleistet sein. Bei staatlicher Auftragsfor-
schung mit privilegierten Zugangsrechten für Einzelne
ist dies schwerlich gegeben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die zweite Erkenntnis war: Für Forschung ist Akten-
zugang nötig. Dies funktioniert bei Bundesministerien,
Gerichten und Behörden unterschiedlich gut; nicht über-
all gibt es umfangreiche Akteneinsicht. Hier ist es Auf-
gabe der Politik, Forschung durch Archivzugang zu er-
möglichen.

Im Antrag von FDP, Union und SPD stellen wir fest,
dass die Selbstorganisation der Wissenschaft auch bei
der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einer staatlichen
Auftragsforschung vorzuziehen ist. Damit stärken wir
die Wissenschaftsfreiheit. Zudem revolutionieren wir
geradezu die Zugangsrechte für die Forschung. Damit
beheben wir ein Stück weit eine Unwucht, die es bisher
in Bezug auf die Aufarbeitung der deutschen Geschichte
gegeben hat.

Lassen Sie mich als Beispiel die Behörden der ehe-
maligen DDR nennen, deren Archive geöffnet sind. Man





Patrick Kurth (Kyffhäuser)



(A) (C)



(D)(B)


kann dort hingehen und sich die entsprechenden Unterla-
gen anschauen. Demgegenüber ist die historische For-
schung zu bestimmten Behörden des Westens bis heute
schwieriger. Durch unseren Antrag stellen wir sicher,
dass zukünftig die Geschichte von Institutionen in Ost
und West vollumfänglich und gleichberechtigt erforscht
werden kann.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Den freiheitlichen Ansätzen von Union, FDP und
SPD stehen gewisse, ich sage einmal, etatistische An-
sätze gegenüber. Keine noch so eindeutige Expertenan-
hörung kann manches Mal von vorher festgelegten For-
derungen und Vorurteilen abbringen. Die Grünen legten
in dieser Legislaturperiode Anträge vor, zogen sie zu-
rück und legten wieder welche vor. Wir waren erfreut
darüber; denn möglicherweise gab es einen Lernprozess.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Kurth!)


Aber nein: Sie predigen ein staatsnahes Wissenschafts-
verständnis.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


– Schauen Sie in Ihren aktuellen Antrag. Dort fordern
Sie eine staatliche Koordinierung der Forschung zur NS-
Vergangenheit in Bundesbehörden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Flickenteppich!)


Seit wann ist es Aufgabe des Staates, Forschung zu ko-
ordinieren? Dafür gibt es in einer freiheitlichen Gesell-
schaft die Selbstorganisation der Wissenschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])


Liebe Claudia Roth, Sie haben gerade wiederholt,
was Professor Brumlik damals sagte, nämlich, man solle
die Mitarbeiter in den Bundesbehörden und in den Insti-
tutionen noch einmal einer „demokratischen Selbstver-
gewisserung“ unterziehen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren die Institutionen!)


– Sie haben es so gesagt; ich habe es mir aufgeschrie-
ben. – Das ist nichts anderes als eine Gesinnungsprü-
fung. Ich möchte Sie fragen: Wer prüft wen nach wel-
chen Maßstäben auf seine Gesinnung? – Das geht nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie zitieren, dann gefälligst richtig!)


Besonders problematisch ist die Vorwurfshaltung, die
man hier erkennen kann. Aus manchen Reden und aus
manchen Anträgen geht hervor, dass die Bundesrepublik
sich über Jahrzehnte rechtswidrig verhalten haben soll.
Die Linken schreiben zum Beispiel: Die Vergangenheits-
politik habe in Deutschland lange Zeit auf Beschweigen,

die Integration von NS-belasteten Personen und Tätern
und einen möglichst baldigen Schlussstrich gesetzt.

Dazu will ich drei Punkte anmerken: Erstens. Herr
Korte, Sie haben vorhin Willy Brandt und die Art, wie
man mit ihm umgegangen ist, erwähnt. Sie haben es un-
terlassen, im gleichen Zusammenhang über Herbert
Wehner und Kurt Schumacher zu reden, die in den 50er-
Jahren Sozialdemokraten und Demokraten der ersten
Stunden waren. Warum haben Sie das gemacht? – Das
war kommunistische Dialektik, nichts anderes.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?)


Sie haben es unterlassen, Theodor Heuss zu nennen. Sie
haben es unterlassen, an Konrad Adenauer zu erinnern.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das müssen Sie tun, wenn Sie über die 50er-Jahre in der
Bundesrepublik reden.

Zweitens. Es geht nicht anders: Sie müssen auch den
Vergleich mit anderen Postdiktaturen übernehmen. Sie
müssen vergleichen, wie Aufarbeitung in anderen Län-
dern betrieben wurde. Ich kann Ihnen sagen: In beiden
Postdiktaturen, in der Bundesrepublik und nach der
Wende, war die Aufarbeitung im Vergleich vorbildlich.
Darum kommt niemand herum.

Drittens. Diese Vorhaltung muss ich Ihnen machen:
Sie sprechen hier von personellen Kontinuitäten. Perso-
nelle Kontinuitäten heißen auch: Gerlinde Stobrawa, IM
„Marisa“, die Abgeordnete der Linken in Brandenburg
wurde 2009 enttarnt. Renate Adolph, Abgeordnete der
Linken im Landtag, wurde Ende 2009 enttarnt. Gerd-
Rüdiger Hoffmann, ebenfalls für die Linke im Landtag,
wurde als IM „Schwalbe“ Ende 2009 enttarnt. Ich kann
Ihnen auch noch IM „Sonja“ und IM „Fritz Kaiser“ nen-
nen. Das sind personelle Kontinuitäten, mit denen Sie
selbst nicht aufgeräumt haben. Andererseits werfen Sie
anderen Unlauteres vor. So geht es nicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie sich nicht schämen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720408100

Der Kollege Korte erbittet das Wort zu einer Kurzin-

tervention. – Bitte schön.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720408200

Kollege Kurth, man muss hier lernen, sich zu beherr-

schen, um angesichts dieser intellektuellen Tieffliegerei
nicht wahnsinnig zu werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte drei Anmerkungen machen: Erstens. Seit
dem 3. Oktober 1990 gibt es die DDR nicht mehr. Das
möchte ich Ihnen mitgeben; das scheinen Sie nicht mit-
bekommen zu haben.





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


Zweitens. Ich bin im Westen, in Niedersachsen, gebo-
ren. Ich bin damals bewusst und überzeugt in die PDS
eingetreten.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, du warst erst einmal bei uns! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich war vorher bei den Grünen. Jeder macht einmal
Fehler. Danach bin ich aus voller Überzeugung in die
PDS eingetreten. – Ich trage persönlich für das Unrecht,
das es auch in der DDR gegeben hat, keine Verantwor-
tung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)


Als ich in die Partei eingetreten bin, war aber klar, dass
ich eine politische Verantwortung trage. Seitdem ich
Mitglied bin, ringen und streiten wir in durchaus freudi-
ger und harter Form um die Deutung und den Umgang
mit der Geschichte. Das machen wir für uns selber,


(Otto Fricke [FDP]: Transparent?)


um uns selbst zu vergewissern, und wir haben eine Lehre
daraus gezogen: nie wieder Sozialismus ohne demokrati-
schen Rechtsstaat.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ohne Transparenz!)


Dafür brauchen wir von Ihnen keine Nachhilfe.

Drittens will ich eines anmerken – das finde ich näm-
lich wirklich ungeheuerlich –: In den Reden meiner Vor-
redner ging es um Auschwitz, um Einsatztruppen, um
Täter im Reichssicherheitshauptamt. Egon Bahr hat vor
kurzem zusammen mit Reinhard Höppner eine richtige
Bemerkung gemacht, die auch Sie sich einmal hinter die
Ohren schreiben sollten: Bei allem Unrecht in der DDR,
über das wir hier zu Recht viel diskutieren und streiten,
geht es nicht an, dass man die Leichenberge der Nazis
mit den Aktenbergen der Stasi verwischt, wie Sie das
hier eben getan haben. Das ist abstoßend.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist so was von daneben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720408300

Herr Kollege Kurth zur Erwiderung.


Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1720408400

„Erschossen in Moskau …“ hat die Landeszentrale

für politische Bildung in Thüringen vor drei Jahren he-
rausgegeben. Ich kann Ihnen sagen: Wir zählen die Lei-
chen nicht nach. Jede einzelne Leiche ist eine zu viel.
Das ist Staatsräson in diesem Lande. Ich empfehle Ihnen
auch das Buch „Stasi im Westen“. Nur weil Sie im Wes-
ten geboren wurden, waren Sie nicht gefeit vor der Stasi.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie aber auch nicht!)


Wir prüfen zurzeit, wie stark die Staatssicherheit auch
den Westen bestimmt hat. Dabei kam heraus, dass der
Kollege Kurras, der Benno Ohnesorg erschossen hat,

einen höheren Dienstgrad bei der Stasi als bei der
Westberliner Schutzpolizei hatte. Da kommt plötzlich
heraus, dass Frau Klarsfeld, eine Ikone der 68er-Bewe-
gung, dafür, dass sie den Bundeskanzler geohrfeigt hat,
SED-Geld bekommen hat.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist doch nicht wahr! Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Ein Stück weit kann man diese 68er-Bewegung auch
einmal hinterfragen. Man kann auch fragen, inwieweit
die 68er-Bewegung im Westen von der Stasi gesteuert
worden ist. Das ist überhaupt kein Grund, sich hier aus
der Verantwortung zu ziehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Herr Kurth! Das war einmal Freie Demokratische Partei! Und ich war einmal Jungdemokratin!)


– Liebe Claudia Roth, hat denn einmal einer bei euch
nachgefragt, ob es richtig war, 1968 „Ho, Ho, Ho Tchi
Minh“ zu rufen und kommunistische Kampfbünde auf-
zumachen, während in Prag sowjetische Panzer Men-
schen niedergewalzt haben? Diese Frage könnt ihr euch
auch einmal stellen. Stellt euch diese Frage bitte einmal!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Abgeordnete aus Prag in den Deutschen Bundestag geschickt, als erste! Milan Horacek war der erste! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ganz ruhig! – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man keine Ahnung hat, soll man still sein!)


Herr Korte, Sie haben persönlich – das nehme ich Ih-
nen ab; das ist auch richtig – mit der Stasi nichts zu tun,
auch nicht mit der SED. Deswegen tragen Sie persönlich
auch keine Verantwortung. Auch ich trage für das, was
Klaus Barbie getan hat, keine persönliche Verantwor-
tung. Das gilt für jeden in diesem Hause. Trotzdem stel-
len wir uns dieser Vergangenheit. Trotzdem arbeiten wir
sie auf. Trotzdem nehmen wir uns dieser Geschichte an.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr auch nötig!)


Es ist ein dummes Argument, zu sagen, dass die DDR
vor 22 Jahren untergegangen ist. Damit geben Sie jedem
Rechtsextremisten in diesem Land ein schönes Argu-
ment an die Hand; denn auch 1945 ist ein Staat in die
Brüche gegangen. Das ist unlauter, und dafür sollten Sie
sich entschuldigen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Nur Kalter Krieg! Nichts anderes!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720408500

Jetzt hat der Kollege Marco Wanderwitz von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1720408600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bemühe mich, ein wenig Tempo aus der Debatte zu neh-
men, damit wir wieder zu unserem Antrag zurückfinden
können, dessen Titel ich zu Beginn vortragen möchte,
weil ich finde, dass er selbsterklärend ist: „Wissen-
schafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedin-
gungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte
der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die
NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unter-
stützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der
früheren Geschichte der Bundesministerien und -behör-
den sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauf-
tragen“. Das ist ein langer Titel, gleichwohl schön, weil
selbsterklärend. Das ist das, was die Fraktionen von
CDU/CSU, SPD und FDP hier heute vorlegen. Ich
meine, das ist ein guter Antrag, nicht zuletzt weil er das
direkte Ergebnis der öffentlichen Anhörung des Aus-
schusses für Kultur und Medien am 29. Februar 2012 ist.

Herr Kollege Korte, ich habe extra noch einmal ins
Protokoll geschaut, weil ich mir nicht so ganz sicher war.
Die beiden Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion, die
bei dieser Anhörung anwesend waren, beehren uns heute
leider beide nicht mit ihrer Anwesenheit.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Weil sie krank sind!)


Ich hoffe, Sie haben zumindest das Protokoll gelesen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Krank, Herr Wanderwitz!)


– Gut, dann sind zufällig beide krank. Das kann passie-
ren.


(Zurufe von der LINKEN: Unglaublich! – Unverschämt! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Unglaubwürdig vielleicht!)


Das ist schon Zufall; darauf muss man erst einmal kom-
men. – Da ich nicht ganz sicher bin, ob Sie das Protokoll
gelesen haben, möchte ich ein paar Aussagen, die uns
die Sachverständigen nahezu einhellig mit auf den Weg
gegeben haben, vortragen.

Sie haben uns gesagt, dass jetzt, da bereits unheimlich
viel Forschung zu diesem Themenkreis betrieben wor-
den ist, das Wichtigste eine Bestandsaufnahme ist.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: „Unheimlich“! Das ist genau das richtige Wort!)


Professor Hütter beispielsweise, der Präsident des Hau-
ses der Geschichte in Bonn, hat gesagt, dass es nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik un-
terschiedliche Intensitäten bei der Beschäftigung mit
dem Thema NS-Aufarbeitung gab. Forschung und
Wissenschaft haben sich, so Professor Hütter, sehr früh
auch mit dem Themenkreis der personellen Kontinuitä-
ten beschäftigt. Die Breite der Bevölkerung hat sich in
der Tat erst beginnend in den 60er-Jahren intensiver mit
dieser Frage auseinandergesetzt. Die Wissenschaft hat

dies früher getan. Das ist im Übrigen ein schönes Argu-
ment dafür, zu sagen, dass man der Wissenschaft, wenn
es darum geht, wie sie forscht, möglichst viel selbst
überlassen sollte. Ich will aber ganz offen sagen: Das
spricht überhaupt nicht dagegen, dass es, wie schon in
der Vergangenheit, auch künftig punktuell weitere For-
schungsaufträge, beispielsweise von Behörden oder von
uns als Deutschem Bundestag, geben kann und soll.

Wir haben dieser Tage den Festakt „25 Jahre Deut-
sches Historisches Museum“ in Berlin erlebt. Da sich
das Deutsche Historische Museum wie viele andere
Museen und Einrichtungen mit der Aufarbeitung und der
weiteren Vermittlung der Thematik NS-Vergangenheit
befassen, ist dies, wie ich glaube, ein Anlass, darauf hin-
zuweisen, dass wir an dieser Stelle eine gute und breite
Basis haben, auf der wir aufbauen können.

Alle Experten haben uns gesagt, dass neben der
Forschung und der weiteren Aufarbeitung – deswegen
setzen wir in unserem Antrag hier einen Schwerpunkt –
die Vermittlungs- und Bildungsarbeit ganz wichtig sind.
Völlig klar: Wir haben es immer wieder mit neuen jun-
gen Generationen zu tun, an die wir unser Wissen da-
rüber weitergeben müssen, was die NS-Diktatur war und
– es ist bereits mehrmals gesagt worden, dass es keine
Stunde null gab – was in den frühen Jahren der Bundes-
republik und der ehemaligen DDR geschehen ist.

Im Juni dieses Jahres haben wir die sogenannte
Schroeder-Studie der FU Berlin bekommen. Sie hat uns
– leider wieder einmal – bestätigt, dass in der jüngeren
Generation erschreckend viel Unkenntnis zum Thema
„Diktatur und Demokratie“ vorherrscht. Ich glaube, es
kann uns alle nur betroffen machen, wenn wir sehen,
dass ein erheblicher Teil der jungen Leute der Meinung
ist, die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2012 sei
keine Demokratie. Es ist genauso bedrückend, dass viele
junge Leute sagen, die Zeit des Nationalsozialismus sei
keine Diktatur gewesen. Ich denke, das ist auch der
Grund, warum wir alle in diesem Hause so sehr ringen,
um bei diesem Thema weiter voranzukommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Erinnerungskultur ist seit vielen Jahren ein Schwer-
punkt der Kulturpolitik aller Bundesregierungen, so
auch der christlich-liberalen Bundesregierung. Wir
haben im Zeitraum von 2010 bis 2012 13 NS-Gedenk-
stätten mit Projektfördermitteln in Höhe von 4 Millio-
nen Euro bedacht, außerdem elf Gedenkstätten, die insti-
tutionell gefördert werden und in diesem Zeitraum
17 Millionen Euro jährlich erhalten. Das ist, wie ich
meine, gut angelegtes Geld; auch deshalb wurde die
Gedenkstättenkonzeption in der Anhörung ausdrücklich
gelobt.

Es gibt inzwischen über 65 000 wissenschaftliche
Veröffentlichungen zum Thema Nationalsozialismus,
mehr als zu jedem anderen zeithistorischen Thema. In
der Breite gibt es keinen wissenschaftlichen Nachholbe-
darf. Professor Stolleis vom Max-Planck-Institut für eu-
ropäische Rechtsgeschichte in Frankfurt – Kollege
Ruppert hat schon darauf hingewiesen – sagte plakativ:
Jedes Kind weiß inzwischen, dass es personelle Konti-





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


nuitäten gegeben hat. – Angesichts der Schroeder-Studie
stellt sich die Frage, ob das wirklich jedes Kind weiß.
Ich denke, er meint damit, dass es in unserer Gesell-
schaft beim Thema „Kontinuitäten personeller Art“ kein
grundlegendes Erkenntnisdefizit gibt.

Kollege Thierse hat schon gesagt: Mit dem Institut für
Zeitgeschichte in München und dem Zentrum für Zeit-
historische Forschung Potsdam haben wir für die Be-
standsaufnahme fachkompetente Adressaten ausge-
wählt. Wir haben ihnen gegenüber behutsam deutlich
gemacht, wie wir uns das vorstellen; aber wir lassen den
beiden Instituten natürlich Luft, eigene Gedanken einzu-
bringen, den Forschungsauftrag sozusagen ein Stück
weit selbst weiterzuentwickeln.

Im Kern waren sich alle Experten einig, dass es keine
ernsthaften Forschungshemmnisse gibt. Gleichwohl geht
es uns mit unserem Antrag um forschungserleichternde
Regelungen zur Einsicht in Akten insbesondere des Bun-
desarchivs. Wir wollen gezielt Einzelstudien anregen,
wo Bedarf besteht.

Die entscheidende Frage ist – Kollege Thierse hat das
schon angesprochen –: Wohin wollen wir künftig? Pro-
fessor Henke von der TU Dresden hat sehr plastisch aus-
geführt: Nachdem wir nun schon relativ viel wissen,
stellt sich die Frage, warum wir nicht am Leichengift des
Nationalsozialismus eingegangen sind, warum trotz star-
ker NS-Kontinuitäten – dass es Kontinuitäten gab, ist be-
kannt, wenn auch vielleicht nicht in jedem Einzelfall –
die Demokratie der Bundesrepublik – Gott sei Dank – so
gut und so schnell geglückt ist. Das ist für uns im Jahr
2012 die entscheidendere Frage. Um dies verstehen zu
können, sagte Professor Henke, darf man nicht nur die
Kontinuitäten sehen, sondern muss auch die Diskonti-
nuitäten sehen. Manchmal entsteht in der Debatte der
Eindruck, dass in den Institutionen fast niemand unbe-
lastet gewesen sei. Dieser Eindruck ist natürlich falsch.
In den allermeisten Institutionen war eine große Zahl
von Personen unbelastet.

Professor Goschler von der Ruhr-Universität Bochum
sieht in gleichem Sinne das offene Forschungsfeld, in
die Betroffenen hineinzuschauen. Er hat gefragt, ob es
ein Leben mit gespaltener Zunge gibt oder ob die Leute
einen neuen Code lernen und sich innerlich auf die
normativen Verhältnisse einlassen. – Ich glaube, das
beschreibt schön, was das Forschungsfeld sein sollte.

Wir haben in unserem Antrag auch auf das Thema
„NS-Belastungen in der ehemaligen DDR“ einen gewis-
sen Wert gelegt. Schließlich war die SED – daran
möchte ich an dieser Stelle erinnern – nach dem Krieg
die erste Partei, die sich für ehemalige Parteigenossen
der NSDAP öffnete.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)


1954 hatte mehr als ein Viertel der SED-Mitglieder eine
NS-Vergangenheit.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Insofern wünsche ich der Linken bei der Aufarbeitung
ihrer eigenen Geschichte weiterhin viel Erfolg. Sie wer-
den noch 2022 davon reden. Vielleicht könnten Sie das
Tempo ein wenig beschleunigen, damit man in diesem
Prozess auch einmal zu abschließenden Aussagen
kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dann müssten wir von außen uns vielleicht nicht so viel
mit Ihnen beschäftigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Aufarbeiten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720408700

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin

Gabriele Fograscher.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1720408800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte, die wir heute führen, findet am Vortag des
9. November statt. Auf den 9. November fallen viele his-
torische Ereignisse, die die deutsche Geschichte geprägt
haben, auch politische Wendepunkte: Am 9. November
1918 rief Philipp Scheidemann von einem Fenster dieses
Gebäudes aus die deutsche Republik aus. Am 9. Novem-
ber 1923 versuchten Hitler, Ludendorff und andere, die
Regierungsmacht in München an sich zu reißen. In der
Reichspogromnacht am 9. November 1938 organisierte
und lenkte das nationalsozialistische Regime Gewalt-
maßnahmen gegen Jüdinnen und Juden im gesamten
Deutschen Reich. Am 9. November 1989 fiel nach einer
friedlichen Revolution die Mauer; die deutsch-deutsche
Grenze war offen.

Die historische Aufarbeitung beider Diktaturen be-
schäftigt uns bis heute und muss uns weiter beschäfti-
gen. Es gibt zahlreiche Forschungsergebnisse, Gutachten
und Untersuchungen zum Umgang von Bundesministe-
rien und -behörden mit der NS-Vergangenheit. Einige
davon sind veröffentlicht, einige – meine Kollegin
Lühmann hat darauf hingewiesen – sind nicht veröffent-
licht.

Wir haben in unserem gemeinsamen Antrag formu-
liert:

Unabhängige Forschung und die Achtung der
grundgesetzlich garantierten Forschungsfreiheit
sind ein hohes Gut.

Dafür müssen wir gute wissenschaftliche Rahmenbedin-
gungen schaffen und für ein forschungsfreundliches
Klima in Ministerien, Gerichten und Behörden werben.

Natürlich wollen auch wir kein Aktenschreddern
mehr, und wir wollen auch, dass Akten offengelegt wer-
den, soweit es eigene Bestände der Bundesrepublik
Deutschland sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Gabriele Fograscher


(A) (C)



(D)(B)


Wir wollen und wir müssen die mit Bundesmitteln ge-
förderten zeitgeschichtlichen Institute an dieser Aufar-
beitung beteiligen.

Es ist die Frage zu beantworten, wie es trotz personel-
ler Kontinuitäten möglich war, dass sich die Bundesre-
publik Deutschland zu einer stabilen Demokratie entwi-
ckeln konnte, und wir wollen uns natürlich auch mit der
frühen DDR beschäftigen.

Auf den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom
27. Oktober 2012 ist hier schon Bezug genommen wor-
den. Es ist wirklich erschreckend, dass ein NS-Verbre-
cher damals gegen starke Bedenken von Adenauer


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


eingestellt worden ist, weil der Geheimdienstchef
Gehlen diesen Mitarbeiter als unentbehrlich bezeichnete.

Ich glaube, es werden auch bei zukünftigen Forschun-
gen weitere erschreckende Details aufgedeckt werden.
Aber auch das gehört dazu, um die Entwicklung unseres
Gemeinwesens zu verstehen und Lehren für die Zukunft
zu ziehen.

Es ist wichtig, dass wir mehr Erkenntnisse darüber
gewinnen, welchen Einfluss die Täter aus der NS-Zeit in
der Bundesrepublik Deutschland hatten, aber wir müs-
sen auch weiterhin die Opfer im Blick behalten. Auch
hier gibt es immer wieder neue Erkenntnisse, wenn akri-
bisch recherchiert wird.

Ich will ein aktuelles Beispiel nennen: Vor kurzem ist
das Buch Verfolgung und Widerstand. Das Schicksal
Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit erschienen.

Ziel dieses Buchprojekts ist es, die Verfolgung der
Münchner Sozialdemokraten in ihrer ganzen Breite
und in ihren unterschiedlichen Facetten zu doku-
mentieren und die Erinnerung an die Betroffenen
und ihre Schicksale wieder wachzurufen.

So heißt es auf der Internetseite des herausgebenden
Volk-Verlages.

Diese historische Aufarbeitung ist und bleibt wichtig.
Sie ist aber auch deshalb wichtig, damit wir Konsequen-
zen und Lehren daraus ziehen können, um unsere Demo-
kratie zu fördern und zu festigen.


(Beifall bei der SPD)


Studien wie die der Friedrich-Ebert-Stiftung zum
Rechtsextremismus oder der kürzlich vorgelegte Bericht
des unabhängigen Expertengremiums Antisemitismus
führen uns immer wieder vor Augen, dass rassistische,
antisemitische Denkmuster in Deutschland noch immer
in viel zu hohem Maße existieren, ja, in der Mitte der
Gesellschaft angesiedelt sind.

Wir alle müssen uns gemeinsam bemühen, den
Kampf gegen Vorurteile, Ressentiments oder, wie
Heitmeyer das nennt, gruppenbezogene Menschenfeind-
lichkeit zu intensivieren. Für uns gehören dazu auch eine
Verstetigung der Finanzierung der bisherigen Modell-
projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und An-
tisemitismus und eine Stärkung der politischen Bildung.

In den Haushaltsberatungen können Sie die Bundeszen-
trale für politische Bildung gerne gemeinsam mit uns
besser ausstatten.


(Beifall bei der SPD)


Schließlich gehört für uns auch weiterhin dazu, die „Ex-
tremismusklausel“ abzuschaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen uns weiterhin mit unserer Geschichte
auseinandersetzen – wissenschaftlich, aber auch prak-
tisch und pädagogisch. Neben den wenigen Zeitzeugen,
die uns authentisch über die NS-Zeit berichten können,
müssen wir Wege finden, um die Vergangenheit auch für
künftige Generationen fassbar zu machen und ein Wie-
dererstarken rechtsextremistischer, rassistischer und an-
tisemitischer Tendenzen zu verhindern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720408900

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich jetzt dem Kollegen Detlef Seif von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1720409000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befas-

sen uns heute unter Tagesordnungspunkt 4 mit mehreren
Anträgen, die sich einerseits mit der NS-Vergangenheit,
andererseits aber mit dem Umgang mit der NS-Vergan-
genheit bis in die Gegenwart befassen.

Wir alle wissen, dass das deutsche Volk aufgrund der
nationalsozialistischen Vergangenheit, aufgrund des
Krieges, der systematischen Verfolgung, Vertreibung
und Ermordung von Menschen eine große Schuld auf
sich geladen hat. Wir alle wissen, dass im Nachkriegs-
deutschland ehemalige Nazis in Verwaltung und Indus-
trie untergekommen sind. Es gab bei Kriegsende rund
8,5 Millionen Nazis. Geeignete Vertreter, die in die Ver-
waltungen, in die Industrie hätten entsandt werden könn-
ten, waren gar nicht vorhanden.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Wir alle wissen, dass wir dieses Thema intensiv und
umfassend aufarbeiten müssen. Ich glaube, niemand in
diesem Hause bestreitet es, dass wir alle einhellig der
Meinung sind: Hier muss umfänglich Aufklärung, auch
in der Zukunft, betrieben werden.

Die Linken haben zum Thema „Umgang mit der NS-
Vergangenheit“ eine Große Anfrage an die Bundesregie-
rung gerichtet. Dazu gibt es eine zweiseitige Begrün-
dung. Wenn man die Unterpunkte hinzunimmt, wurden
90 Fragen gestellt, auch Fragen, welche wissenschaft-





Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)


lichen Studien mit welchen Quellen der Regierung be-
kannt sind. Das übersteigt, wenn man es einmal genau
betrachtet, nach unserer Geschäftsordnung den Umfang
einer Großen Anfrage bei weitem. Dennoch – bei der
Wichtigkeit dieses Themas – hat die Bundesregierung
sehr akribisch, ausführlich und sorgfältig ihre Arbeit ge-
leistet und Ihnen auf jede Frage, soweit Datenmaterial
zugänglich war, auch geantwortet. Ich habe es noch
nicht gehört, möchte es an dieser Stelle aber einmal sa-
gen: Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ich denke,
auch für unseren Koalitionspartner FDP, möchte ich Ih-
nen unseren ausdrücklichen Dank dafür aussprechen,
dass Sie so gründlich und sorgfältig gearbeitet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Ihre Aufgabe!)


Meine Damen und Herren, der Kollege Thierse hat
sehr eindrucksvoll auch angesprochen, Herr Korte, dass
in Ihrer Rede mit keinem Wort der Bezug zur DDR ent-
halten war und dass es glaubwürdiger gewesen wäre,
wenn Sie das getan hätten. Ihre Replik war: „Wir haben
das aber in der Großen Anfrage an einigen Stellen ver-
fasst.“ Entscheidend ist aber nicht das, was man fragt,
was man sagt, sondern das, was man tut. Sie haben unter
der Drucksache 17/3748 Ihren Antrag so formuliert, dass
nur die Bundesrepublik Deutschland und ihre Behörden
betroffen sind. Also lassen Sie Ihren Worten Taten fol-
gen.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das gilt für alle, das vereinigte Deutschland! Wo leben Sie denn?)


– Nein, das haben Sie anders formuliert, Herr Korte. Le-
sen Sie Ihren Antrag. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
Ihren Ausführungen Taten folgen ließen. Korrigieren Sie
Ihren Antrag 17/3748 so, dass auch Behörden der ehe-
maligen DDR und die Verwaltungsstruktur der DDR von
Ihrem Antrag umfasst sind!


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie zu?)


Es muss auch anerkannt werden – das tun Sie nicht;
teilweise ist das anklagend und unterstellend –, dass die
Bundesregierung bereits aus eigenem Antrieb umfang-
reiche Forschungsmaßnahmen durchgeführt hat, durch-
führt und fördert. Ich will das nicht alles wiederholen.
Das ist in der Debatte im Einzelnen schon alles darge-
stellt worden.

Der Antrag der Linken zum Tagesordnungspunkt 4 b
– in Formulierungen sind Sie wirklich der Weltmeister –
hat die wohlklingende Bezeichnung „Demokratie durch
Transparenz stärken“. Sie fordern die Freigabe sämt-
licher Verschlusssachen. Der Kollege Schuster hat das
schon im Einzelnen dargelegt. Betroffen wären auch die
Verschlusssachen, die mit „Streng geheim“ befasst sind.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Wir haben eine Fristenregelung vorgeschlagen!)


Gerade bei den Geheimdiensten und Sicherheitsbehör-
den umfassen die Akten Erkenntnisse über Personal,
Arbeitsweise und auch die Arbeitsergebnisse. Bei den
Sicherheitsbehörden, die geheim arbeiten, die Geheim-
dienste, kommen darüber hinaus noch die Verfahren der

Agentenwerbung, nachrichtendienstliche Mittel, etwa
Observation und Legendierungen hinzu. Das würde alles
offengelegt: Al-Qaida lässt grüßen. Die organisierten
Verbrecher warten darauf, dass wir denen unsere Ermitt-
lungsmethoden offenlegen.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Mann, Mann, jetzt werden Sie nicht unverschämt! Sie ticken ja nicht richtig!)


Liebe Linke, vielleicht sollten Sie den Titel Ihres An-
trags in „Informationsfreiheit für al-Qaida“ umformulie-
ren. Das trifft das dann wesentlich besser.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Merken Sie eigentlich noch etwas?)


Den Behörden muss es weiter möglich sein, Akten
unter Verschluss zu halten. Hier hat der Kollege Thierse
natürlich sehr eindrucksvoll die Fälle angesprochen, von
denen wir wissen: Es handelt sich um Schwerverbrecher,
um Kriegsverbrecher, um Menschen, die andere Men-
schen verfolgt und ermordet haben. – Wir alle haben ein
Interesse daran, dass die Akten offengelegt werden.
Aber man muss trotzdem die Frage stellen, ob in diesen
Akten vielleicht sicherheitsrelevante Tatsachen enthalten
sind, durch deren Bekanntwerden der Bundesrepublik
heutzutage noch ein erheblicher Nachteil zugefügt wer-
den könnte.

Wir haben ein Kontrollgremium. Wir haben eine Bun-
desregierung. Das Bundeskanzleramt ist für den BND
zuständig. Meine Empfehlung und mein Vorschlag: Der
BND berichtet, warum einige Akten im Moment teil-
weise oder insgesamt zurückgehalten werden, und zwar
gegenüber dem Kontrollgremium. Wenn es tatsächlich
sicherheitsrelevante Gründe gibt, dann können die Akten
teilweise oder in Gänze nicht freigegeben werden. Wenn
nicht, gibt es dazu keinen Grund. Ich denke, dann wird
uns die Bundesregierung vorschlagen, dass man diesem
Vorschlag folgt und die Akten freigibt. Das wäre der
richtige Umgang. Man kann nicht sagen: Nur weil jetzt
die Namen von Kriegsverbrechern in den Akten enthal-
ten sind, entfällt jedes Geheimhaltungsinteresse des
Staates. – Das muss man prüfen. Wenn das Ergebnis so
ist wie geschildert, dann müssen die Akten freigegeben
werden.

Nun haben die Linken nicht nur Akteneinsicht und
Transparenz für Gesellschaft, Wissenschaft und For-
schung angesprochen, sondern auch Leistungen, die Ver-
folgten, insbesondere der KPD, verweigert werden. Sie
haben sehr eindrucksvoll dargelegt, welcher Personen-
kreis davon betroffen ist. Was Sie aber nicht gesagt
haben: Alle Bundesländer haben Härtefallregelungen.
Diese greifen aber nur dann, wenn der KPD-Vertreter
nicht aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grund-
ordnung gearbeitet hat. Das ist die wesentliche Voraus-
setzung. Nennen Sie uns bitte die Namen derjenigen, die
davon betroffen sind und deren Fall heute nicht geregelt
ist und bei denen man sagen kann: Es ist ungerecht, dass
hier keine Entschädigung geleistet wird. Ich denke, da
kann man einlenken. Aber Sie stellen das abstrakt im
Sinne eines Klassenkampfthemas dar und verschweigen,





Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)


dass dieser Personenkreis bewusst gegen die freiheitlich-
demokratische Grundordnung gearbeitet hat.

Jetzt habe ich den Namen des Kollegen Thierse schon
das dritte Mal in meiner Rede genannt.


(Iris Gleicke [SPD]: Ich werde auch langsam unruhig!)


Das wirkt schon etwas übertrieben. Aber ich muss Ihnen
sagen: Ich bin Ihnen äußerst dankbar für Ihren Vor-
schlag, der auch in den gemeinsamen Antrag mündet, für
die Art und Weise, wie Sie das vortragen und in dieses
Verfahren einbringen. Ich denke, harte Töne können wir
bei diesem sensiblen Thema nicht gebrauchen. Der eine
oder andere hat in dieser Debatte vielleicht den falschen
Ton, vielleicht auch die falsche Modulation gewählt. Ich
denke, Sie sind auf dem richtigen Weg – dafür vielen
Dank –, dem kann ich mich vollumfänglich anschließen.

Wir müssen – das ist unser gemeinsamer Antrag – erst
eine Bestandsanalyse vornehmen. Daraus wird sich ent-
wickeln, wie weit noch Forschungsbedarf besteht. Der
Forschungsbedarf ist dann aber kein Selbstzweck. Er ist
auch nicht nur rechtsorientiert, sondern uns geht es da-
rum, Gefahren, politische Fehlentwicklungen aufzuzei-
gen, egal ob von links oder rechts. All das, was Men-
schenrechte beeinträchtigt, was unsere freiheitlich-
demokratische Grundordnung beeinträchtigen kann,
auch die Fragestellung, wie gebildete und geistig hoch-
stehende Menschen, die wissen, was sie tun, plötzlich ei-
ner Diktatur zuarbeiten, haben uns zu interessieren.

Zum Abschluss zitiere ich Professor Horst Möller,
ehemaliger Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, der
auch bei der Anhörung dabei war und der den For-
schungsauftrag zutreffend beschrieben hat:

Man muss diese Forschung zur Schärfung des de-
mokratischen Bewusstseins betreiben. Das ist der
zentrale Umsetzungsauftrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720409100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/
11336. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Zustimmung der Linken und der Grünen
und Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 4 b. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „NS-Vergangen-
heit in Bundesministerien aufklären“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/9448, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/3748 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den

Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke und Enthaltung von SPD und
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 4 c. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses auf Druck-
sache 17/11260. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des
Antrags der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP
auf Drucksache 17/11001 mit dem Titel „Wissenschafts-
und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen
verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wich-
tigsten staatlichen Institutionen im Bezug auf die NS-
Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen
und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der früheren
Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie
der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion der SPD bei Gegenstimmen der Linken und der
Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10068
mit dem Titel „NS-Vergangenheit von Bundesministe-
rien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestands-
aufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit
koordinieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der
Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/4586 mit dem Titel „Verantwortlichkeit
der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnach-
richtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf
Eichmann“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie zuvor.

Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 4 d und da-
mit zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „De-
mokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung
von Verschlusssachen gesetzlich regeln“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11261, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/6128 abzulehnen. Jetzt kommt aber die
Neuerung durch den Antrag der Grünen. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat nun beantragt, dass über die
Ziffer II Nr. 2 des Antrags einerseits und über den übri-
gen Antrag andererseits getrennt abgestimmt werden
soll.

Wir stimmen daher zunächst über die Ziffer II Nr. 2
des Antrags auf Drucksache 17/6128 ab. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Ziffer II Nr. 2 des Antrags ist abgelehnt.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)



(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten die Mehrheit! Eindeutig! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das bestimmt doch nicht ihr durch Zuruf!)


– Die Mehrheit ist eindeutig. Wollen Sie einen Antrag
stellen, Herr Beck?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Mehrheit feststellen lassen! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das Präsidium ist sich einig, fertig ist der Lack!)


Nach meiner Auffassung ist die Mehrheit auf dieser
Seite. – Nicht zählen, Sie müssen sagen, welcher Mei-
nung Sie sind.


(Heiterkeit – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/ CSU], Schriftführerin: Ich bin selber unsicher! Deswegen habe ich gezählt!)


Wir gehen nach unserer Geschäftsordnung vor.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zahlen zählen nicht! Meinungen!)


– Sie kennen die Geschäftsordnung, Herr Trittin.

Also, das Präsidium ist einstimmig der Meinung, dass
die Mehrheit auf dieser Seite des Hauses ist. Damit ist
die Sache geklärt.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der Herr Beck hat Sehnsucht nach ein bisschen AStAAtmosphäre!)


Jetzt stimmen wir über den übrigen Teil des Antrags
auf Drucksache 17/6128 ab. Wer stimmt dagegen? – Wer
stimmt dafür? – Wer enthält sich? – Der übrige Teil des
Antrags ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der
Linken und Enthaltung der Grünen.

Tagesordnungspunkt 4 e. Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Widerstand von Kommunistinnen und
Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11262, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/2201 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 4 f. Beschlussempfehlung des
Rechtsauschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfah-
rensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11383, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/4037 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den

Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen bei
Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der SPD-
Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 49 a bis 49 f sowie
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf:

49 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa
Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Steuerliche Transparenz von multinationalen
Unternehmen herstellen – Country-by-Coun-
try und Project-by-Project Reporting einfüh-
ren

– Drucksache 17/11075 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Bedingungen bei Tiertransporten und in
Schlachtbetrieben verbessern

– Drucksache 17/11148 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid
Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überprüfung der Namen von Bundeswehrka-
sernen

– Drucksache 17/11208 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Moratorium für die Fracking-Technologie in
Deutschland

– Drucksache 17/11213 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Federführung strittig





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna
Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Verbot des Fracking in Deutschland

– Drucksache 17/11328 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Federführung strittig

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Undine Kurth

(Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bedingungen in Schlachthöfen verbessern

– Drucksache 17/11355 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Markus Tressel, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur un-
verzüglichen Stilllegung besonders gefährli-
cher grenznaher Atomkraftwerke in Frank-
reich

– Drucksache 17/11206 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi
Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform
der Lehrerbildung

– Drucksache 17/11322 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine
Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Finanztransaktionsteuer im Rahmen einer
verstärkten Zusammenarbeit einführen

– Drucksache 17/11321 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn, Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Nationalen Radverkehrsplan 2020 zum ambi-
tionierten Aktionsplan der Radverkehrsförde-
rung weiterentwickeln

– Drucksache 17/11357 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet
Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Residenzpflicht abschaffen

– Drucksache 17/11356 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu
zwei Vorlagen, bei denen die Federführung strittig ist.

Tagesordnungspunkte 49 d und 49 e. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 17/11213
und 17/11328 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführungen sind
strittig. Die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Die
Linke wünschen jeweils die Federführung beim Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht jeweils Federführung
beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit.

Ich lasse zunächst über die Überweisungsvorschläge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung
beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
aller übrigen Fraktionen gegen die Stimmen der Grünen
abgelehnt.

Ich lasse nun über die Überweisungsvorschläge der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Die Linke
– Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie – abstimmen. Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen aller
übrigen Fraktionen gegen die Stimmen der Grünen ange-
nommen.

Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen.
Tagesordnungspunkte 49 a bis c und 49 f sowie Zusatz-
punkte 2 a und 2 e. Interfraktionell wird vorgeschlagen,
die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 50 a bis 50 l sowie
Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist.

Tagesordnungspunkt 50 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Übereinkommens vom
8. April 1959 zur Errichtung der Interameri-
kanischen Entwicklungsbank

– Drucksache 17/9697 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19. Ausschuss)


– Drucksache 17/10920 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle
Dr. Barbara Hendricks
Joachim Günther (Plauen)

Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/10920, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/9697 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in der zweiten
Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Linken und die Grünen bei Enthal-
tung der SPD-Fraktion.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 50 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Übereinkommens vom
18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibi-
schen Entwicklungsbank

– Drucksache 17/9698 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19. Ausschuss)


– Drucksache 17/10921 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle
Dr. Barbara Hendricks

Joachim Günther (Plauen)

Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/10921, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/9698 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Ent-
haltung der SPD-Fraktion.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 50 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Übereinkommens vom
19. November 1984 zur Errichtung der Inter-
amerikanischen Investitionsgesellschaft

– Drucksache 17/9699 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (19. Ausschuss)


– Drucksache 17/10922 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Selle
Dr. Barbara Hendricks
Joachim Günther (Plauen)

Heike Hänsel
Ute Koczy

Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/10922, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/9699 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Linken und die Grü-
nen bei Enthaltung der SPD angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 50 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Rahmenabkommen
vom 10. Mai 2010 zwischen der Europäischen





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und der Republik Korea andererseits

– Drucksache 17/10757 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


– Drucksache 17/11056 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Edelgard Bulmahn
Bijan Djir-Sarai
Wolfgang Gehrcke
Dr. Frithjof Schmidt

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11056, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 17/10757 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 50 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Luftverkehrsabkommen vom 17. Dezem-
ber 2009 zwischen Kanada und der Europäi-
schen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten

(Vertragsgesetz EU-Kanada-Luftverkehrsabkommen – EU-KAN-LuftverkAbkG)


– Drucksache 17/10917 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/11252 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11252, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/10917 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ange-
nommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthal-
tung der Linken.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 50 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 487 zu Petitionen
– Drucksache 17/11154 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 487 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 50 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 488 zu Petitionen
– Drucksache 17/11155 –

Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? –
Sammelübersicht 488 ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstim-
men der Linken und Enthaltung der Grünen angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 50 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 489 zu Petitionen
– Drucksache 17/11156 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 489 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 50 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 490 zu Petitionen
– Drucksache 17/11157 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 490 ist mit den Stimmen al-
ler Fraktionen bei Gegenstimmen der Linken angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 50 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 491 zu Petitionen
– Drucksache 17/11158 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 491 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Linken und der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 50 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)






Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Sammelübersicht 492 zu Petitionen

– Drucksache 17/11159 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 492 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Linken bei Gegenstimmen
von SPD und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 50 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 493 zu Petitionen

– Drucksache 17/11160 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 493 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 3:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europäische Nachhaltigkeitsstrategie weiter-
entwickeln und stärker institutionell in der EU
verankern

– Drucksache 17/11329 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Enthaltung der Linken angenommen.

Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Ter-
rorzelle – Zwischenbilanz der Ermittlungs-
pannenaufklärung und Stand des Kampfes ge-
gen den Rechtsextremismus

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Wolfgang Wieland von Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720409200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch

nach einem Jahr hat sich das Entsetzen noch nicht ge-
legt, und auch die Fassungslosigkeit ist noch nicht ver-
schwunden: Da taucht eine Terrorzelle unter den Augen
der Polizei ab, bleibt 14 Jahre lang unentdeckt, begeht in
dieser Zeit neun Morde an Migranten und einen Mord an
einer Polizistin, begeht mehrere Mordversuche, zündet
zwei Bomben und begeht eine Serie von Banküberfällen
quasi vor ihrer Haustür – und nicht eine dieser Taten
wird ihr bis dahin von den Sicherheitsbehörden zuge-
rechnet. Im Gegenteil: Ohne das Finale in Eisenach
suchte man den Ceska-Mörder immer noch im Milieu
der organisierten Kriminalität und tappte bei den ande-
ren Spuren im Dunkeln.

Bis in den Sommer vergangenen Jahres hinein präsen-
tierte das Bundeskriminalamt in großen Schaubildern die
Ceska-Morde als Beispiele für organisierte Kriminalität
in Deutschland – mit längst ausgeräumten, von den eige-
nen Beamten widerlegten Verdächtigungen gegenüber
den Opfern. Sie wurden, weil man auch die Medien ent-
sprechend befeuerte, in ausgeklügelten Medienstrategien
so zweifach zum Opfer; ihre Familien wurden stigmati-
siert. Hier hat der deutsche Staat eine schwere Schuld
auf sich geladen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir können nur hoffen – bei dieser Debatte sind Ver-
treter des Zentralrats der Juden und von Opferinitiativen
des Türkischen Bundes anwesend; wir haben auch lange
mit Vertretern der Sinti und Roma darüber geredet –,
dass die Aufklärungsarbeit hier im Bundestag und in den
Landtagen sowie auch das, was die Justiz nun mit An-
klageerhebung und mit Strafverfahren leistet, wenigstens
eine gewisse Genugtuungsfunktion für die Familien der
Opfer hat; dringend nötig ist es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Der zurückgetretene Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz formulierte es so: Wir haben versagt.
Wir hätten es angesichts der deutschen Geschichte bes-
ser wissen müssen. – Das gilt vor allem für sein eigenes
Haus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies wurde im Jahr 2003 direkt gefragt, ob es eine
„braune RAF“ in Deutschland gebe – der bayerische In-
nenminister Beckstein hatte diesen Begriff in die De-
batte gebracht –, und es wurde sogar speziell gefragt, ob
die Untergetauchten aus Jena eine solche terroristische
Gruppierung sein könnten. Die Antwort war Nein; denn
schließlich, so hieß es, seien diese auf der Flucht, und
schließlich hätten sie, soweit ersichtlich, keine weiteren
Straftaten begangen. – Da hatten sie schon viermal ge-
mordet und eine Bombe in Köln gelegt.

Wir haben hier ein Totalversagen leider aller Sicher-
heitsbehörden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nicht alle sind so selbstkritisch, wie es Herr Fromm war.
Der ehemalige Vizepräsident des Bundeskriminalamtes
Bernhard Falk nannte die Arbeit der Kriminalpolizei
„kriminalfachlich stümperhaft organisiert“. Das muss
man sich auf der Zunge zergehen lassen. Dem ist eigent-
lich nichts hinzuzufügen, außer dass diese Selbstkritik
leider singulär geblieben und an der Spitze des BKA
nicht angekommen ist. Dort meint Präsident Ziercke,
man habe erfolgreich gearbeitet; schließlich habe die
Mordserie aufgehört. – Ein Erfolg, den nur er sieht!





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)


Zu diesem Versagen kommt nicht nur das Struktur-
problem der Sicherheitsbehörden hinzu, sondern auch
das Mentalitätsproblem und das Problem der Arbeits-
weise, was nicht zuletzt das Schreddern der Akten – im
Grunde bis zum heutigen Tag weit verbreitet in den Si-
cherheitsbehörden – zeigt. Man glaubt es nicht, dass im
Land Berlin noch Ende Juni dieses Jahres Akten ge-
schreddert wurden.

Hier müssen Änderungen erfolgen. Hier brauchen wir
eine Zäsur. Hier brauchen wir einen Neustart bei den
Verfassungsschutzorganisationen. Wir brauchen vor al-
len Dingen eine grundlegende Änderung im V-Mann-
System; das muss radikal auf den Prüfstand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kann nicht sein, dass wir geradezu Informations-
blockaden haben: in einem Landesamt von einer Abtei-
lung zur anderen, bei den Landesämtern untereinander,
im Verhältnis von Ländern und Bund und erst recht vom
Verfassungsschutz zur Polizei. Nur ein Beispiel: Die
Bitte der BAO „Bosporus“ um Benennung eines An-
sprechpartners wurde telefonisch beschieden: Stellen Sie
doch erst mal einen schriftlichen Antrag! Im Übrigen ha-
ben wir Landesämter. – Dies ist nicht nur eine fehlende
Kooperation; dies ist ein Gegeneinander, und so kann es
nicht weitergehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des Abg. Hartfrid Wolff [RemsMurr] [FDP])


Last, but not least – meine letzte Ausführung –: Es
wäre ein Fehler, auf die Schandtaten dieses Trios ledig-
lich mit einer Reform der Abteilung für staatliche Re-
pression und staatliche Prävention zu antworten. So not-
wendig hier Mentalitätswechsel und neue Strukturen
sind: Es ist Aufgabe von uns allen, es ist eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe, den Netzwerken der Nazis den
Boden streitig zu machen; und es ist Aufgabe des Staa-
tes, die vielfältigen Initiativen dabei vorurteilsfrei und
dauerhaft zu unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nicht die Polizei kann verhindern, dass rassistisches Ge-
dankengut junge Köpfe erreicht und vergiftet; das müs-
sen wir alle leisten, täglich und leider beinahe an jedem
Ort in unserem Land.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720409300

Vielen Dank, Kollege Wolfgang Wieland. – Nächster

Redner ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister
Dr. Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Herr Bundes-
minister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor genau zwölf Monaten ist diese Mörder-
bande, die zehn Morde begangen hat, die Banken über-
fallen hat und die Bombenanschläge verübt hat, enttarnt
worden. Der Schock sitzt tief; nicht nur in der Öffent-
lichkeit, sondern auch bei den politisch Handelnden,
aber auch bei den Sicherheitsbehörden. Ein Schock des-
halb, weil man bis zu diesem Tag, dem 4. November
2011, nicht wusste, dass es diese Rechtsterroristen gibt


(Zurufe von der LINKEN)


– alle Experten hatten sich offenkundig geirrt und ver-
sagt –,


(Zuruf von der LINKEN: Peinlich!)


und weil man nicht in der Lage war, die Mörder, die
Bankräuber und die Bombenattentäter zu finden. Ich
denke, das Urteil des eben zitierten, zurückgetretenen
Präsidenten des BfV, Heinz Fromm, die Sicherheitsbe-
hörden hätten eine Niederlage erlitten, kann man nur be-
kräftigen.

Meine Damen und Herren, mich hat am meisten das
Treffen mit den Angehörigen der Mordopfer berührt.
Man muss sich das einmal vorstellen: Menschen verlie-
ren einen Sohn, einen Vater, einen Bruder und geraten
anschließend selbst in den Kreis der Verdächtigen und
werden von ihrer sozialen Umgebung distanziert behan-
delt nach dem Motto: Wer weiß, was wirklich dahinter
ist. Das hat diese Menschen sehr verletzt und sehr ge-
troffen.

Unser Versprechen, dass wir diese Verbrechen aufklä-
ren, besteht weiter. Wir tun das auch; denn Polizei,
Staatsanwaltschaft und Justiz sind seit zwölf Monaten
engagiert und mit Hochdruck dabei,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu schreddern!)


all das aufzuklären, was in diesem Zusammenhang pas-
siert ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht
haben Sie es den Agenturen entnommen: Es ist inzwi-
schen Anklage gegen Frau Zschäpe und andere erhoben
worden. Das geschieht in einem sehr schwierigen Um-
feld der Ermittlungen, weil zwei der Hauptverdächtigen
tot sind, weil Frau Zschäpe bisher offenkundig noch
nicht ausgesagt hat und weil ein Teil der Beweismittel,
die in dem Haus vorhanden waren, in dem die drei ge-
wohnt haben, durch die Brandstiftung vernichtet wur-
den. Wir haben dafür gesorgt, dass in der Spitze bis zu
400 Beamte vom Bundeskriminalamt, von Landeskrimi-
nalämtern und der Polizei zusammen mit dem General-
bundesanwalt über 6 800 Asservate ausgewertet haben.
Die Verfahrensakten umfassen nach derzeitigem Stand
schätzungsweise rund 280 000 Seiten. Diese 280 000
Seiten sind Grundlage für weitere Maßnahmen und An-
klageerhebungen der Justiz. Ich glaube, es ist hier der
Zeitpunkt gekommen, den Beamtinnen und Beamten der
Polizei und des Verfassungsschutzes dafür zu danken,
dass sie in den letzten zwölf Monaten diese Arbeit mit





Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich


(A) (C)



(D)(B)


großer Akribie und großem Erfolg gemacht haben. Die
Anklage ist erhoben worden. Daran kann man sehen, die
Aufklärung geht voran.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der LINKEN)


Meine Damen und Herren, neben der Aufklärung der
Mordfälle muss natürlich geklärt werden, wie es zu die-
ser kollektiven Fehleinschätzung der Sicherheitsbehör-
den auf allen Ebenen kommen konnte. Man wusste ers-
tens, dass die Rechtsextremisten gewalttätig waren,
gewaltaffin, wie es in vielen Berichten heißt. Man
wusste, dass sie mit großer Verve, mit großem Fanatis-
mus ihre hirnverbrannte Ideologie, ihre menschenver-
achtende Ideologie verfolgen. Deswegen ist es ein Wun-
der, dass man diese Gefahr so unterschätzen konnte


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und offenkundig nicht damit gerechnet hat, dass es ein
Netzwerk gegeben hat, mit dem sie sich anonym vor den
Behörden verstecken konnten. An diesem Fall wird
deutlich, dass wir eine neue Entschlossenheit zur Be-
kämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland brau-
chen. Zumindest dieser Fall muss Ausgangspunkt für die
neue Entschlossenheit sein.


(Zurufe der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben der
Aufklärung des kollektiven subjektiven Versagens geht
es natürlich auch darum, dass die Strukturen, Organisatio-
nen und Kommunikationswege kritisch untersucht wer-
den.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Objektiv!)


In diesem Zusammenhang bedanke ich mich ganz herz-
lich bei den Kolleginnen und Kollegen des NSU-Un-
tersuchungsausschusses. Ich habe selbst zwei Untersu-
chungsausschüssen angehört und weiß, was es bedeutet,
viele Akten durchzuwühlen und sich in die Problematik
einzulesen. Ganz herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie
dort verrichten!

Sie haben schon die Kommunikationsprobleme auf-
gezeigt, die zwischen den Behörden sichtbar geworden
sind; das ist, glaube ich, auf ganz gute Art und Weise ge-
lungen. Wir haben inzwischen schon darauf reagiert, in-
dem wir die Kommunikation zwischen den Behörden
zum Haupttätigkeitsfeld für Reformen ernannt haben.

Ich bedanke mich auch bei den Kolleginnen und Kol-
legen der Bund-Länder-Kommission, die die Zusam-
menarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden auf Bun-
des- und Landesebene untersucht. Das ist bisher ganz
ohne Öffentlichkeit geschehen; ich kann Ihnen aber zu-
sagen, dass diese Bund-Länder-Kommission noch in die-
sem Jahr einen Zwischenbericht vorlegen wird.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Innerhalb des Innenministeriums und innerhalb der
Behörden wurde eine Fülle von Arbeitsgruppen einge-

richtet, die sich mit der Modernisierung von Abläufen,
der Modernisierung von Kommunikation und auch der
Modernisierung der Kontrolle beschäftigen. Diese Arbeits-
gruppen beschäftigen sich übrigens auch mit der Frage,
Kollege Wieland, wie wir in Zukunft mit den V-Leuten
umgehen.

Einige wichtige Maßnahmen haben wir bereits umge-
setzt. Bereits fünf Wochen nach Bekanntwerden der
NSU-Mordserie haben wir ein Gemeinsames Abwehr-
zentrum gegen Rechtsextremismus eingerichtet, das auf
die Standorte Meckenheim und Köln aufgeteilt ist. In
diesem Gemeinsamen Abwehrzentrum sitzen täglich
Vertreter der Behörden von Bund und Ländern zusam-
men und diskutieren über die Fälle, die in den Ländern
und auf Bundesebene zur Kenntnis der Behörden gelangen.
Das halte ich für ausgesprochen wichtig. Ich glaube, dass
man heute sagen kann: Hätte es dieses Zentrum bereits
vor 10 oder 15 Jahren gegeben, wäre man heute sicher
ein Stück weiter gewesen und einer Fehleinschätzung
nicht in diesem Maße unterlegen.


(Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben das Ganze erweitert und ergänzt, indem
wir die modernen Möglichkeiten der elektronischen
Kommunikation nutzen. Seit September dieses Jahres
existiert eine Rechtsextremismusdatei. Diese Datei ist
ein wichtiges Hilfsmittel für die Behörden, um auch auf
diesem Wege die Kommunikation zu verbessern.

Inzwischen kommt die Gefahr der Propaganda der
Rechtsextremen auch aus dem Internet. Wir haben eine
koordinierte Internetauswertung eingerichtet; das ist eine
Einheit, die sich darauf spezialisiert, Neonazis und
Rechtsextremismus im Internet zu bekämpfen. Diese
Einrichtung halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Wir
müssen jetzt gemeinsam mit den Ländern versuchen, im
Verbund des Verfassungsschutzes auf Bundes- und auf
Landesebene voranzukommen.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Was ist denn aus Ihrem Vorschlag geworden?)


Zusammen mit den Innenministern der Länder haben
wir bereits zehn allgemeine Grundsätze koordiniert und
verabschiedet. Ich habe eine Konkretisierung dieser
Maßnahmen vorgenommen, und zwar sowohl im Hin-
blick auf die interne Reform des Bundesamts für Verfas-
sungsschutz als auch im Hinblick auf die Zusammenar-
beit im Verbund. Bei der Innenministerkonferenz im
Dezember werden wir Ihnen konkrete Ergebnisse prä-
sentieren können.

Wichtig ist – Kollege Wieland hat darauf hingewie-
sen –, dass wir nicht nur im Bereich der Strafverfolgung
und im Bereich der Sicherheitsbehörden handeln, son-
dern dass wir uns auch darüber im Klaren sind, dass der
Kampf gegen den Rechtsextremismus die gesamte Ge-
sellschaft betrifft.


(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen aber noch mehr tun!)


Im präventiven Bereich muss Demokratie trainiert wer-
den. Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“





Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich


(A) (C)



(D)(B)


des Bundesinnenministeriums ist ein Programm, das die
Strukturen im gesellschaftlichen Bereich widerstandsfä-
hig machen soll gegen rechtsextremistisches Gedanken-
gut. Unter anderem wird ein Demokratietraining einge-
übt, um die verschiedenen Organisationen gegen dieses
Gedankengut abwehrfähig machen zu können. Dieses
Programm wird weiter fortgeführt.

In diesem Zusammenhang bedanke ich mich bei den
Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, dass sie für den
Sicherheitsbereich 25 Millionen Euro mehr zur Verfü-
gung gestellt haben, um effektiv gegen den Rechtsextre-
mismus kämpfen zu können.

Es geht letztlich darum, dass wir Fehler und Versäum-
nisse klar benennen


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann voran! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und Fehler und Versäumnisse beseitigen. Ich will es noch
einmal betonen, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren: Wir bekämpfen den Rechtsextremismus in unserem
Land mit neuer Entschlossenheit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720409400

Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächste Redne-

rin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kol-
legin Frau Dr. Eva Högl. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Högl.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1720409500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Mordserie des
NSU war ein Anschlag auf unsere Demokratie. Deshalb,
liebe Kolleginnen und Kollegen, war es richtig, dass wir
uns hier im Deutschen Bundestag entschieden haben, ei-
nen Untersuchungsausschuss einzusetzen, um die Ver-
säumnisse, das Versagen und die gemachten Fehler hier
im Parlament aufzuarbeiten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das bestreitet auch keiner!)


Es war eine richtige und gute Entscheidung, das zu einer
Angelegenheit des Parlaments zu machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß, dass viele von uns am Anfang zu Recht
skeptisch waren, ob ausgerechnet ein Untersuchungsaus-
schuss das richtige Gremium ist, um das aufzuarbeiten.
Aber wir haben es bis jetzt geschafft – wir arbeiten jetzt
zehn Monate zusammen –, partei- und fraktionsübergrei-
fend sachorientiert zusammenzuarbeiten und aufzuklä-
ren. Das macht unseren Untersuchungsausschuss stark
und schafft auch Vertrauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)


Es waren sicherlich viele skeptisch – auch das wissen
wir –, ob elf Abgeordnete des Deutschen Bundestages
überhaupt etwas ans Tageslicht befördern können, ob sie
mit den vielen Akten zurande kommen. Ich glaube, wir
haben in den zehn Monaten bewiesen, dass das möglich
ist. Wir haben sehr viel ans Tageslicht befördert, wir ha-
ben viel aufgedeckt. Allerdings nichts, was uns Freude
macht; vieles erschreckt uns, macht uns fassungslos, er-
staunt uns zumindest sehr oder lässt uns den Kopf schüt-
teln.

Meine Damen und Herren, ich freue mich auch sehr,
dass unser Untersuchungsausschuss so intensiv von den
Medien und der kritischen Öffentlichkeit begleitet wird,
dass das Thema nicht nur vor einem Jahr, ganz zu Be-
ginn der Diskussion, und vielleicht jetzt noch einmal,
zum Jahrestag, interessant war, sondern es über ein Jahr
hinweg eine kontinuierliche Berichterstattung gab und
die Veranstaltungen, auf denen wir über dieses Thema
diskutiert haben, gut besucht waren, weil sich viele Bür-
gerinnen und Bürger zu Recht für das interessieren, über
das wir hier miteinander diskutieren.

Wir nehmen einen Auftrag sehr ernst: Wir machen
diese Arbeit im Deutschen Bundestag für die Opfer und
ihre Angehörigen. Das ist uns eine Verpflichtung, das
nehmen wir ernst, das ist für uns ganz wichtig. Wir kön-
nen kein geschehenes Unrecht wiedergutmachen; aber
wir können mit einer konsequenten, lückenlosen Aufklä-
rung dazu beitragen, dass diese schlimmen Ereignisse,
die für die Familien erschütternd und wirklich entsetz-
lich sind, zumindest verarbeitet werden können.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das ist ein wichtiges Signal aus diesem Parlament.

Meine Damen und Herren, es sind Fehler gemacht
worden. Wenn eine rechtsextreme Terrorgruppe 14 Jahre
lang untertauchen kann, wenn sie zehn Menschen hin-
richten kann, wenn sie 2 Sprengstoffanschläge mit vie-
len Verletzten und 15 Banküberfälle begehen kann, dann
kann es nicht sein, dass keine Fehler gemacht worden
sind, dann sind in unseren Sicherheitsbehörden Fehler
gemacht worden. Das gilt für die Polizei, für den Verfas-
sungsschutz, für die Zusammenarbeit in den Bundeslän-
dern, aber auch zwischen den Bundesländern und der
Bundesebene. Das gilt auch, meine Damen und Herren,
für Entscheidungen auf der politischen Ebene, für fal-
sche Einschätzungen und falsche Bewertungen. Das
werden wir ans Tageslicht befördern; da bleiben wir wei-
ter dran.

Wir müssen aus diesen Erkenntnissen die richtigen
Lehren, die richtigen Konsequenzen ziehen und umfas-
sende Reformen bei der Polizei, beim Verfassungs-
schutz, bei der Ausgestaltung der Zusammenarbeit und
der Arbeitsweise unserer Sicherheitsbehörden durchfüh-
ren. Wir brauchen diese Reformen. Wenn wir nur hier
und da ein bisschen an der Ausgestaltung der Zusam-





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)


menarbeit schrauben, dann haben wir die Lehren aus
dieser rechtsextremen Mordserie nicht verstanden.


(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])


Herr Bundesminister Friedrich, da muss ich Ihnen sa-
gen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist zu wenig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was Sie hier in diesem Jahr gemacht haben, ist zu we-
nig; es ist unengagiert und fantasielos. Die Verbrechen
der rechtsextremen Terrorgruppe wurden vor einem Jahr
aufgedeckt. Man kann jetzt schon tätig werden. Die Bun-
deskanzlerin selbst hat für die Bundesregierung verspro-
chen, lückenlos aufzuklären, die Aufklärung engagiert
voranzutreiben und Konsequenzen zu ziehen. Herr Bun-
desminister, ich muss sagen: Das, was Sie hier vorgetra-
gen haben, genügt dem überhaupt nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Friedrich, auch das muss erwähnt werden: Es
war ein schwerer Fehler – ich gehe davon aus, dass Sie
das genauso sehen –, dass Sie im November 2011 nicht
sofort einen umfassenden Aktenvernichtungsstopp erlas-
sen haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist so unglaublich viel Vertrauen zerstört worden, zu-
nächst einmal durch die Fehler, die bei den Sicherheits-
behörden gemacht wurden, aber ein zweites Mal durch
die Aktenvernichtung. Es war ein gravierender Fehler,
dass nicht dafür gesorgt wurde, dass kein Blatt Papier
vernichtet und keine Datei gelöscht wird.

Meine Damen und Herren, da frage ich mich auch:
Wie muss das auf die Angehörigen der Opfer wirken, die
nicht nur die Ereignisse von damals verkraften müssen,
sondern jetzt auch noch erleben müssen, dass unsere Si-
cherheitsbehörden nicht alles dafür tun, dass lückenlos
aufgeklärt wird? Da drängt sich schon der Eindruck auf,
dass etwas vertuscht werden soll. Wir haben kein Inte-
resse daran, einen solchen Eindruck zu erwecken. Wir
müssen jetzt aber dafür sorgen, dass lückenlos aufgeklärt
wird.

Meine letzte Bemerkung. Mir ist ganz wichtig: Wenn
wir aufgeklärt und Reformen auf den Weg gebracht ha-
ben, dann dürfen wir auf keinen Fall den Aktendeckel
zumachen – nach dem Motto „Das war das Kapitel
rechtsextremer Terror des NSU“ –, sondern wir alle
müssen die Lehren daraus ziehen und den Rechtsextre-
mismus konsequent bekämpfen. Herr Bundesminister,
das geht weit über das hinaus, was Sie hier vorgetragen
haben. Ich hoffe, dass wir entsprechende Mehrheiten im
Bundestag dafür bekommen, dass wir das zu unserer

Aufgabe machen und diese Herausforderung annehmen
können.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720409600

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Högl. – Nächster

Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege
Hartfrid Wolff. Bitte schön, Kollege Hartfrid Wolff.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Morde

der Zwickauer Terrorzelle sind die bislang schwerwie-
gendste Kette von rechtsextrem motivierten Gewaltver-
brechen, die die Bundesrepublik Deutschland erlebt hat.
Sie sind der Grund für eine schwerwiegende Krise unserer
Sicherheitsorgane.

Die FDP hat von Anfang an auf eine lückenlose par-
lamentarische Aufklärung gedrängt. Zu viel war augen-
scheinlich schiefgelaufen. Über Jahre hinweg wurden
Menschen ermordet. Auch den Angehörigen wurde un-
ermessliches Leid zugefügt. Die Behörden haben jahre-
lang ergebnislos ermittelt. Da muss sich niemand wundern,
dass das Ansehen unserer Sicherheitsorgane schwer be-
lastet ist.

Ich glaube, inzwischen sind wir uns hier im Hause ei-
nig: Der Untersuchungsausschuss hat dabei die Auf-
klärungsarbeit erheblich vorangebracht – seriös und kon-
sequent –, und er bewältigt erfolgreich ein großes
Arbeitspensum, gemeinsam und über Parteigrenzen hin-
weg. Und, meine Damen und Herren, wir müssen wei-
termachen. Der Untersuchungsausschuss hat vier Er-
mittlungsbeauftragte eingesetzt und gerade erst eine
erhebliche Fülle an zusätzlichen Akten bekommen. Wö-
chentlich kommen neue Fakten auf den Tisch, denen wir
nachgehen müssen. Deshalb halte ich es für richtig, dass
wir nach der Wahl weitermachen und eine Empfehlung
an den nächsten Deutschen Bundestag aussprechen, den
Untersuchungsausschuss in der kommenden Legislatur-
periode – getragen von allen Fraktionen – fortzusetzen.

Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklären und um
fundierte Empfehlungen für die Zukunft aussprechen zu
können – zur besseren Bekämpfung des Rechtsextremis-
mus in Deutschland und international, für wirksame
Empfehlungen zur Stärkung unserer Sicherheitsarchitek-
tur – und um den Opferschutz voranbringen zu können.

Dass immer mehr Fehler der Behörden zutage treten,
ist erschütternd. Die Bürgerinnen und Bürger haben ei-
nen Anspruch auf eine lückenlose und gemeinsame poli-
tische Aufklärung dieser Fehler. Nur so ist das Vertrauen
in die Behörden mittel- und langfristig wiederherzustel-
len. Ich habe den Eindruck, manche Behörden haben den
Schuss immer noch nicht gehört. Warum werden in Ber-
lin noch Akten geschreddert, nachdem die Vernichtung





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


von Akten beim Bund bekannt geworden ist? Wir reden
von einem gravierenden Vertrauensverlust in die Fähig-
keiten der Sicherheitsbehörden. Wie konnte es möglich
sein, dass die Naziterroristen 13 Jahre im Untergrund
lebten? Und: Wir reden von einem Vertrauensverlust in
rechtsstaatliche Abläufe in Behörden. Weshalb wurden
warum welche Akten gelöscht? Warum waren Beamte
und V-Leute beim Ku-Klux-Klan aktiv? Wurden Rechts-
extremisten gar von Sicherheitsbeamten gedeckt? Der
Verfassungsschutz muss mit einem aktiven Sicherheits-
auftrag ausgestattet und rechtsstaatlich wieder aufgerich-
tet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Im Zuge einer grundlegenden Reform müssen wir für
rechtsstaatliche Standards in ganz Deutschland für den
Einsatz von V-Leuten, für neue Richtlinien zur Aufbe-
wahrung und Löschung von Akten sowie für eine bes-
sere Ausbildung der Mitarbeiter der Dienste sorgen. Vor
allem aber brauchen wir eine deutlich bessere, konti-
nuierliche Kontrolle. Die Dienste müssen strenger an die
Leine genommen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deut-
schen Bundestages muss erheblich gestärkt werden. Wir
brauchen jederzeit Zugang zu allen Vorgängen, volle
Akteneinsicht und einen ständigen Sonderermittler des
Kontrollgremiums, der mit seinem Stab den Abgeordne-
ten in ihrem Auftrag zuarbeitet.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, auch die Länder haben ne-
beneinanderher gearbeitet. Es wäre unverantwortlich,
hieraus keine Konsequenzen zu ziehen. Die unverhoh-
lene Verteidigung von Ressortegoismen und von Kom-
petenzen im Bund-Länder-Verhältnis muss auf den
Prüfstand. Wer nicht zusammenarbeitet, schafft Sicher-
heitslücken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es macht fast fassungslos, dass nach wie vor einzelne
Länder nicht bereit sind, sich konstruktiv an einer Re-
formdiskussion zu beteiligen, und lieber alte Strukturen
verteidigen, die offensichtlich versagt haben, oder gar
die transparente Aufklärung attackieren, wie beispiels-
weise im Fall des Landes Thüringen. Der Abbau von
Doppelstrukturen ist nötig. Das ist leider immer noch ein
Bohren dicker Bretter.

Der Bund muss hier vorangehen. Auch im Zusam-
menhang mit dem MAD ist zu fragen, ob seine Aufga-
ben nicht besser mit den Aufgaben des Bundesamtes für
Verfassungsschutz zusammengeführt werden. Gerade heute
haben wir dafür aus dem Untersuchungsausschuss die
besten Beweise bekommen. Die Zusammenarbeit zwi-
schen MAD, Verfassungsschutz und den anderen Sicher-
heitsbehörden leidet deutlich.

Eine Verzahnung tut not. Nach den vergangenen
25 Jahren, in denen die Bundeswehr um drei Viertel ge-
schrumpft wurde, brauchen wir nicht wirklich einen zu-

sätzlichen Geheimdienst der Bundeswehr. Hier wünsche
ich mir mehr Mut zum Wohle und zur Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger.

Eine stärkere Kontrolle der Dienste, bundeseinheitliche
Standards, mehr Zusammenarbeit, effektivere Strukturen
und ein rechtsstaatliches Selbstverständnis können wieder
Vertrauen schaffen. Die FDP wird weiter auf lückenloser
Aufklärung bestehen und im Ausschuss konsequent und
konstruktiv mitarbeiten. Nur so kann es gelingen, das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720409700

Vielen Dank, Kollege Wolff. – Nächste Rednerin ist

für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Petra
Pau. Bitte schön, Kollegin Petra Pau.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720409800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

4. November 2011 offenbarte sich eines der größten po-
litischen und Sicherheitsversagen: der Nazimordskandal,
der seitdem unter dem Kürzel NSU verhandelt wird.
Zehn Morde und noch mehr Verletzte gehen auf das
Konto dieses terroristischen Nazitrios und seiner Unter-
stützer. Wir müssen allerdings auch berücksichtigen: Be-
vor sie im Jahr 2000 ihre erste Hinrichtung ausführten,
waren seit 1990 bereits 105 Menschen in der Bundes-
republik aus rassistischen, rechtsextremen Motiven um-
gebracht worden – erschlagen, erschossen, verbrannt, er-
tränkt. Auch sie müssen uns mahnen.


(Beifall im ganzen Hause)


Latenter Rassismus wird auch heute immer wieder
befeuert. Aktuell geschehen ist dies im Land Berlin, wo
demonstrierenden Asylbewerbern in nasser Kälte De-
cken, Isomatten und Schirme entzogen wurden, damit
sie ab- und zusammenbrechen. Nazis frohlocken öffent-
lich darüber; ich schäme mich dafür.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP])


Ich habe ein anderes Verständnis von Menschen- und
Bürgerrechten.

Der NSU-Untersuchungsausschuss sei eine seltene
Sternstunde der Demokratie. Er versuche, sachlich auf-
zuklären, statt politisch zu keilen. Diese Einschätzung
las ich in einem Magazin, und ich teile sie gern. Das sind
wir den Opfern und ihren Hinterbliebenen aber auch
schuldig. Umso verantwortungsloser sind Versuche, aus-
gerechnet uns Parlamentarier in hintergründigen Gesprä-
chen als Sicherheitsrisiko zu brandmarken.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])






Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Was für ein Demokratieunverständnis bricht sich hier ei-
gentlich Bahn?

Das Nazitrio wurde in den 1990er-Jahren rassistisch
sozialisiert. Dazu gehörten Pogrome in Mölln und Rostock-
Lichtenhagen, aber es war viel schlimmer. 1991 und
1992 gab es Tag für Tag rassistische Angriffe auf Unter-
künfte von Migranten und Asylsuchenden. Dabei hatten
militante Rassisten viele Biedermänner an ihrer Seite.
Und auch das gab es: Auch Polizisten sahen weg, anstatt
diese Menschen zu schützen. Nazis mussten sich in ih-
rem Wahn regelrecht bestätigt fühlen, auch durch die
Politik. Wer diese Geschichte, diese Vorgeschichte aus-
blendet, hat das NSU-Desaster nicht verstanden.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage aktuell aber auch: Deshalb ist es ein Spiel
mit dem Feuer, erneut eine Asyldebatte zu entfachen,
noch dazu gegen Sinti und Roma.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann doch nicht ein Denkmal für die ermordeten
Sinti und Roma einweihen und gleichzeitig lebende Sinti
und Roma zur Unperson erklären.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns die Ermittlungen zur NSU-Mord-
serie an: Als acht Menschen mit türkischen Wurzeln und
ein Grieche ermordet wurden, suchte man die Täter un-
ter Türken. Als in Heilbronn die Polizistin Kiesewetter
ermordet wurde, suchte man die Täter unter Sinti und
Roma, wieder mit Eifer und europaweit. Die These, man
habe vorurteilsfrei in alle Richtungen ermittelt, ist eine
pure Schutzbehauptung und stimmt einfach nicht.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um es klar zu sagen: Ich unterstelle keinem Beamten, er
sei Rassist. Das wäre auch schlicht falsch. Aber die einsei-
tigen Ermittlungen hatten rassistische Züge. Deshalb hat
der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutsch-
land, Kenan Kolat, recht: Wer ernsthaft über Integration
sprechen will, muss endlich auch über Rassismus in
Deutschland reden.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich füge hinzu: Sonst gedeihen im Schatten dieses
Schweigens die nächsten NSU-Banden.

Aktuell wird viel über die Sicherheitsarchitektur
gesprochen. Ich tue das heute nicht. Ich möchte ab-
schließend auf einen anderen Widerspruch verweisen:
Die Naziszene hat sich systematisch und langfristig mili-
tarisiert. Wie wir aus der V-Leute-Praxis wissen, auch
mit staatlichem Beistand. Jene aber, die sich alltäglich
gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren,
werden kurzatmig gehalten und obendrein brüskiert. Das
kann nicht gutgehen. Wir brauchen endlich eine neue

Präventionsarchitektur, ohne Extremismusklausel, aber
mit verlässlicher Förderung.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kurzum: Es reicht nicht, ein Jahr nach dem Auffliegen
des NSU-Nazitrios zu erinnern und zu mahnen. Das er-
setzt keine politischen Konsequenzen. Sie fehlen noch
immer.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720409900

Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Pau. – Nächster

Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
der CDU/CSU unser Kollege Clemens Binninger. Bitte
schön, Kollege Clemens Binninger.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1720410000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Es war eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden, so
Verfassungsschutzpräsident a. D. Fromm. Es war mehr.
Dass Menschen in Deutschland Angst um ihr Leben ha-
ben mussten, weil sie ausländischer Abstammung waren
oder weil sie unseren Staat als Polizistin repräsentiert ha-
ben, war eine Niederlage für unsere ganze Gesellschaft
und darf sich nicht wiederholen.


(Beifall im ganzen Hause)


Dass bei der Untersuchung der Mordserie eines abge-
tauchten Trios, das zunächst nicht gefunden werden und
mehrere Jahre unentdeckt morden und rauben konnte,
Fehler passiert sind, ist offenkundig. Wer hier eine an-
dere Ansicht vertreten würde, wäre in der Tat fehl am
Platze. Deshalb ist es gut, dass der Deutsche Bundestag
gemeinsam einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat.
Unsere Aufgabe ist es, alle Fragen zu stellen – alle –,
auch im Interesse der Opfer und der Familien der Opfer.
Wir stellen stellvertretend für sie die Fragen, die sie sich
selber stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum ist es nicht gelungen, die Täter zu ermitteln,
obwohl es doch so viele Hinweise gab? Für mich gab es
viele Fehler; ich will aber keine Rangliste aufstellen. Da
war der Sprengstoffanschlag in Köln, in einer Straße, in
der nur ausländische Mitbürger leben. Er wurde genau
so begangen, wie es in einem Dossier des Verfassungs-
schutzes steht; die Tatbegehungsweise passt also exakt
auf ein Dossier des Nachrichtendienstes, das vier Wo-
chen später veröffentlicht wurde. In diesem Dossier sind
auch mögliche Täter genannt. Da steht drin: Für solche
Taten könnten auch die Jenaer Bombenbastler in Be-
tracht kommen, also Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe.
Trotzdem hat man nicht in diese Richtung ermittelt. Das
macht mich wirklich fassungslos und ratlos. Das darf
sich nicht wiederholen.


(Beifall im ganzen Hause)






Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)


Wenn wir Kritik an den Sicherheitsbehörden üben,
müssen wir trotzdem fair bleiben. Es wurde mit hohem
Aufwand ermittelt; wohl wahr. Aber wenn man sich an-
sieht, wie die Zusammenarbeit zwischen Polizei und
Nachrichtendiensten ablief, muss man feststellen: Das ist
nicht hinnehmbar. Bei einer Anfrage aus den Ermittler-
kreisen musste man neun Monate warten, bis dann eine
völlig unzureichende Antwort kam. Es war in Summe
ein schlechter Informationsaustausch. Dass es nicht ge-
lingt, eine Verbindung herzustellen zwischen 14 Bank-
überfällen, bei denen immer zwei Männer mit Fahrrad
vom Tatort weggefahren sind, und einer Verbrechens-
serie, bei der ebenfalls immer zwei Männer mit Fahrrad
am Tatort gesehen wurden, ist ein Armutszeugnis für die
Analysefähigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Gleichwohl wurde mit hohem Aufwand ermittelt.
Das, glaube ich, kann niemand bestreiten. Ich würde nie-
mandem in diesem Land unterstellen, nicht willens zu
sein, einen Mord aufzuklären. Aber wenn man den Auf-
wand, der für eine bestimmte Ermittlungsrichtung betrie-
ben wurde – über Monate, gar Jahre, und das bis zuletzt –,
mit dem Aufwand vergleicht, der für Ermittlungen in
Richtung rechtsradikaler Täter betrieben wurde, dann
muss man sagen: Hier besteht ein Missverhältnis, das
sich so nicht wiederholen darf.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich glaube, dass der Gedanke der Opferbeauftragten
der Bundesregierung, Frau John, ein kluger ist und in un-
sere weiteren Überlegungen mit einfließen sollte. Wenn
es um ein Verbrechen geht, bei dem das Opfer auslän-
discher Herkunft ist oder der jüdischen Religion angehört
und der Täter nicht feststeht, muss es für die Behörden
eine Verpflichtung sein, nachhaltig in Richtung Frem-
denfeindlichkeit oder Antisemitismus zu ermitteln und
das auch zu dokumentieren. Wenn man keine Hinweise
hat, darf man nichts ausschließen.


(Beifall im ganzen Hause)


Wenn dies – neben vielen technischen Dingen, die wir
hier und heute nicht erörtern müssen – eine Lehre aus
den Geschehnissen ist, dann wäre, glaube ich, viel ge-
wonnen.

Ich will noch etwas zu einem Instrument sagen, das
Nachrichtendienste einsetzen und das viel Beachtung
findet: zu V-Leuten. Ich maße mir, gemeinsam mit den
Kollegen im Untersuchungsausschuss, an, mittlerweile
einen einigermaßen guten Einblick zu haben, wie dieses
Instrument im Bereich des Rechtsextremismus genutzt
wird; das mag in anderen Bereichen anders sein. Ange-
sichts dessen, wie V-Leute im Bereich der Neonaziszene
für mehr als 10, 12, 14, 15 Jahre genutzt wurden und was
sie zutage gefördert haben, muss ich wirklich sagen: Der
Aufwand, den man mit dieser Methode betrieben hat,
und das Risiko, das man damit eingegangen ist, standen
in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was die Rechtsextremismusdatei angeht, richte ich
mich ohne Schärfe an die Adresse der Grünen. Ich bitte
Sie, Ihre Position zu überdenken. Man kann diese Datei,
die wir beschlossen haben, nicht ablehnen. Sie ist ein
sehr wichtiger Baustein, der dazu beiträgt, das Wissen
zusammenzuführen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen eine andere Datei!)


– Dann macht einen Vorschlag, lehnt sie aber nicht ab! –
Es sind zwar schon viele Maßnahmen auf den Weg ge-
bracht worden. Über das Instrument der V-Leute müssen
wir allerdings noch einmal grundlegend nachdenken.

Wir alle haben die Aufgabe, alle Fragen zu stellen, die
notwendig sind, damit sich so etwas nie wiederholt. Wir
tun das im Interesse der Opfer und ihrer Familien, aber
auch im Interesse der Zivilgesellschaft in diesem Land,
die frei von Angst vor Rechtsextremisten und Neonazis
leben können muss. Niemand soll Angst um sein Leben
und seine körperliche Unversehrtheit haben, nur weil er
ausländischer Herkunft ist. Das darf sich nicht wiederho-
len.


(Beifall im ganzen Hause)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720410100

Vielen Dank, Kollege Clemens Binninger. – Nächster

Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser
Kollege Sönke Rix. Bitte schön, Kollege Sönke Rix.


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1720410200

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr

Binninger, genau da möchte ich anknüpfen.

Sebastian Edathy sagt immer, wenn er über dieses
Thema spricht: Wir haben als Staat unseren Bürgerinnen
und Bürgern, allen, die hier leben, zwei Versprechen ge-
geben. Das erste Versprechen: Wir wollen die rechts-
staatlichen Mittel dafür zur Verfügung stellen, dass der
Schutz von Leib und Leben gewährleistet werden kann.
Das zweite Versprechen: Wenn das nicht erfolgreich ist,
dann wollen wir so schnell wie möglich aufklären, damit
so etwas nicht weiterhin geschehen kann. Man muss an
dieser Stelle deutlich machen: Diese zwei Grundsätze
konnten wir bei der Mordserie nicht einhalten. Dafür
können wir als gewählte Vertreterinnen und Vertreter
dieses Staates nur immer wieder um Verzeihung bitten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit den
NSU-Morden gerieten über Jahre hinweg immer wieder
die Angehörigen ins Visier der Ermittler. Über Jahre hin-
weg wurde ihnen immer wieder gesagt: Ihr seid schuld,
teilschuld, mitschuld; ihr seid die Verdächtigen, die





Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)


Hauptverdächtigen. – Bis heute ist ein unheilbarer Scha-
den entstanden. Auch dafür können wir nur wieder um
Verzeihung bitten.

Meine Damen und Herren, ich finde es gut, dass die
Bundeskanzlerin eine Ombudsfrau berufen hat, damit
genau über diese Problematik intensiv gesprochen und
den Menschen vielleicht ein Sprachrohr gegeben werden
kann. Wir haben uns im Untersuchungsausschuss darauf
verständigt, die Angehörigen der Opfer nicht noch ein-
mal in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Aber wir
reden alle viel mit Frau John. Die Idee der Bundesregie-
rung, eine Ombudsstelle einzurichten, war eine gute
Idee. Die Arbeit von Frau John verdient ganz herzlichen
Dank von uns allen.


(Beifall im ganzen Hause)


Diese Arbeit, meine Damen und Herren, könnte uns
als Beispiel dienen. Die Ombudsstelle ist entstanden für
die Angehörigen dieser zehn Opfer. Wir könnten aber
auch eine Ombudsstelle für Opfer rechter Gewalt und
die Angehörigen dieser Opfer dauerhaft einrichten.
Denn es gibt ja mehr als diese zehn Opfer: Je nachdem,
welche Berechnung man zugrunde legt, kommt man auf
weit über 140 Todesopfer durch rechte Gewalt in den
letzten Jahren. Ich glaube, wir können als Staat ein gutes
Zeichen setzen, wenn wir sagen können: Es gibt eine un-
abhängige Stelle, an die ihr euch wenden könnt, die euch
beraten kann, die für euch ein Sprachrohr sein kann. –
Wir sollten das in unsere Beratungen und in die Arbeit
im Untersuchungsausschuss auf jeden Fall mit aufneh-
men. Das ist eine Idee, über die man nachdenken sollte.

Neben der notwendigen Neustrukturierung der Si-
cherheitsbehörden ist natürlich – das wurde schon von
mehreren angesprochen – Rassismus insgesamt ein
Thema. Wir müssen den Rassismus in unserer Gesell-
schaft überall bekämpfen, nicht nur in den Sicherheits-
behörden. Aber auch die Sicherheitsbehörden können
sich nicht freisprechen von Rassismus; auch dort gibt es
Menschen mit rassistischem Hintergrund. Rassismus ist
leider bis in die Mitte unserer Gesellschaft verbreitet.

Herr Friedrich, ich finde es gut, dass Sie gerade ange-
sprochen haben, dass die Sicherheitsbehörden für die
Bekämpfung von Rechtsextremismus mehr Mittel erhal-
ten. Ich finde es aber schade, dass nicht auch die Mittel
entsprechend erhöht werden, die zur Verfügung gestellt
werden, um den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft
zu bekämpfen: Mittel für die politische Bildung oder für
eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Auch da würde man
sich vonseiten der Bundesregierung deutlichere Zeichen
wünschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Solche Zeichen hat es leider nicht gegeben. Sie haben
gerade von 25 Millionen Euro gesprochen. Wenn die
Mittel für die Programme gegen Rechtsextremismus
auch nur um die Hälfte dieser Summe aufgestockt wür-
den, wäre das die richtige Antwort.

Abschließend habe ich noch eine Bitte, einen Appell.
Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden ist ganz mas-
siv erschüttert. Das gilt nicht nur für die Angehörigen
der Opfer und diejenigen, die unmittelbar damit zu tun
haben; vielmehr gilt das aufgrund der bisherigen Aufklä-
rungsarbeit für viele Bürgerinnen und Bürger. Daher
habe ich die Bitte an die Vertreter der Behörden, der Re-
gierung, der Exekutive, wirklich intensiv daran mitzuar-
beiten, dass dieses Vertrauen wiederhergestellt werden
kann. Wir werden alle darunter zu leiden haben, wenn
– bis in die Mitte der Gesellschaft – dieses Vertrauen
nicht mehr existiert. Ich sage ausdrücklich: Wir brau-
chen die Sicherheitsbehörden – wenn auch nicht in die-
ser Form – als Partner der Bürgerinnen und Bürger. Die
Bürgerinnen und Bürger dürfen sich den Behörden ge-
genüber nicht als Bittsteller fühlen.

Bitte helfen Sie mit, dieses Vertrauen wiederherzu-
stellen. Wir im Untersuchungsausschuss wollen auf je-
den Fall unseren Beitrag dazu leisten.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720410300

Vielen Dank, Kollege Sönke Rix. – Nächster Redner

für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Serkan Tören.
Bitte schön, Kollege Serkan Tören.


(Beifall bei der FDP)



Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1720410400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Vor einem Jahr ist das NSU-Trio aufgeflogen. Drei
Rechtsextreme sind über Jahre unentdeckt durch
Deutschland gezogen und haben eine Blutspur hinterlas-
sen, die ihresgleichen sucht. Dieses Trio hat Menschen
aufgrund ihrer Herkunft ermordet oder weil sie, wie im
Fall der Polizistin Kiesewetter, Teil des von ihnen so
verhassten Systems waren.

Noch immer bin ich fassungslos ob der Morde und
des Leids der Angehörigen der Mordopfer, die dieses
Trio zu verantworten hat. Wahrscheinlich werden wir nie
begreifen können, wie Menschen zu solchen Taten fähig
sein können.

Wie sieht nun die Bilanz ein Jahr nach der Entde-
ckung des NSU aus? Noch immer kennen wir nicht alle
Hintergründe dieser schrecklichen Mordserie. Nun stellt
sich natürlich die Frage: Was macht die Politik? Was
trägt sie zur Aufklärung der Versäumnisse der Sicher-
heitsbehörden bei?

In noch nie dagewesener Einmütigkeit arbeiten Koali-
tion und Opposition im Untersuchungsausschuss zusam-
men. Unser gemeinsames Ziel ist zum einen die Aufklä-
rung und zum anderen die Erarbeitung von Empfehlungen
dafür, wie wir die Sicherheitsarchitektur in Deutschland
umbauen müssen. So etwas wie die Mordserie des NSU-
Trios darf es in Deutschland nie wieder geben. Dies sind
wir auch den Opfern schuldig.





Serkan Tören


(A) (C)



(D)(B)


In beinahe jeder Sitzung des Untersuchungsausschus-
ses fördern wir neue Fehlleistungen der Sicherheitsbe-
hörden zutage, sei es auf Ebene des Bundes oder auch
der Länder. Es erschreckt mich immer wieder, wie die
Sicherheitsbehörden gearbeitet haben. So wurde zwar
das Motiv der Ausländerfeindlichkeit bei den Ermittlun-
gen immer wieder thematisiert, aber konsequent nachge-
gangen wurde diesem Motiv nie. Das war ein Fehler.

Dieser Fehler rechtfertigt aus meiner Sicht aber nicht
den oft erhobenen Vorwurf, dass die Sicherheitsbehör-
den auf dem rechten Auge blind seien. Mit der gleichen
Logik könnte man zum Beispiel auch den Vorwurf erhe-
ben, dass die Sicherheitsbehörden auf dem linken Auge
blind seien. Man muss sich nur die vielen unaufgeklärten
Morde der Rote-Armee-Fraktion anschauen.

Nein, die immer wieder geäußerten Vorwürfe, die Be-
hörden seien auf dem einen oder dem anderen Auge
blind, bringen uns keinen Millimeter weiter. Wer von ei-
nem latenten Rassismus bei Sicherheitsbehörden spricht,
der spaltet die Gesellschaft. Die Idee, dass man bei Ge-
waltopfern mit Migrationshintergrund immer zuerst
rechte Gewalt vermuten muss, halte ich hier für nicht
zielführend.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir derartige
Morde künftig besser verhindern können, wenn Men-
schen mit Migrationsgeschichte einen höheren Anteil in
den Sicherheitsbehörden stellen als bislang. Sie bringen
eine besondere Sensibilität und auch einen anderen
Blickwinkel mit, die helfen können, vergleichbaren
Straftaten schneller und erfolgreicher entgegenzutreten.

Wir – auch meine Vorredner – haben bis jetzt immer
vom Versagen der Sicherheitsbehörden gesprochen.
Wenn man sich die Vergangenheit anschaut, dann er-
kennt man, dass auch die Medien versagt haben. Das
muss man leider auch feststellen.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Die müssen aber keine Morde aufklären!)


Es ist seinerzeit nicht hinterfragt worden, ob die Sicher-
heitsbehörden richtig agieren und richtig handeln. Teil-
weise wurden in Überschriften sogar Wörter wie „Dö-
ner-Morde“ kreiert. Das ist ein schrecklicher Begriff, der
auch von den Medien kam. Deswegen – das muss man
leider sagen – haben in diesem Zusammenhang auch die
Medien versagt.

Mein Mitgefühl gilt heute allen Opfern und ihren An-
gehörigen. Wir als Politik sind in der Verantwortung, die
schrecklichen Taten aufzuklären und zu verhindern, dass
sich so etwas in Deutschland wiederholt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720410500

Vielen Dank, Kollege Serkan Tören. – Nächster Red-

ner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser
Kollege Hans-Christian Ströbele. Bitte schön, Kollege
Hans-Christian Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir geht es so: Wenn
ich ein Jahr nach dem Auffliegen des Terrortrios von
Bürgerinnen und Bürgern, vor allen Dingen von Ange-
hörigen der Opfer, gefragt werde: „Was habt ihr denn
nun herausbekommen?“, wenn die Frage gestellt wird,
zum Beispiel vorgestern in der Sendung Fakt im Fernse-
hen: „Wieso können die so lange morden?“, dann er-
warte ich eigentlich, dass der Bundesinnenminister,
wenn er heute hier redet, wenigstens versucht, eine vor-
läufige Antwort und Erklärung zu geben. Allein eine
Statistik, wie viele Beamte eingesetzt sind und wie viele
Ressourcen losgetreten worden sind, kann doch nicht
ausreichen. Vielmehr sollte wenigstens der Innenminis-
ter, der für die Sicherheitsorgane im Bund zuständig ist,
einmal versuchen, eine Erklärung abzugeben, wieso es
so weit kommen konnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wenn die in der Sendung anwesende Angehörige in
Anspielung auf die gerade bekannt gewordene Schred-
deraktion beim Verfassungsschutz in Berlin ihren Bei-
trag schließt mit der Frage: „Wird es wieder gelingen, zu
verbergen?“, dann kann ich nur sagen: Sie hat recht.
Deshalb erwarte ich von dem Innenminister, dass er ver-
sucht, eine Antwort darauf zu geben, wie es sein kann,
dass ein halbes Jahr nach Auffliegen des Terrortrios so-
wohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene Akten
vernichtet, geschreddert werden, die uns vielleicht Auf-
schluss über die Frage geben könnten: Wie konnte das
passieren? Wieso haben die Behörden so versagt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier ist zutreffend darauf hingewiesen worden – diese
Überlegung hatte ich ursprünglich auch –: Es gab ein-
fach nicht die Idee, dass Rechte damit etwas zu tun ha-
ben könnten, als die Morde passierten, einer nach dem
anderen. Man wusste relativ wenig, außer dass die
Morde alle mit derselben Waffe begangen worden sind
und dass es sich hier nicht um einfache Morde, sondern
um gezielte Hinrichtungen gehandelt hat. Inzwischen
weiß ich mehr.

Zwei Beispiele sind von den Kollegen Wieland und
Binninger erwähnt worden; ich will ein drittes hinzufü-
gen. Wir haben gesicherte Erkenntnis darüber, dass es in
den Behörden sehr wohl ein Problembewusstsein gege-
ben hat, dass es auch die Idee gegeben hat, dass hier die
rechte Szene am Werk war. Und es geht noch einen
Schritt weiter: Wir wissen inzwischen, dass der Militäri-
sche Abschirmdienst, dass das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz, dass Landesämter für Verfassungsschutz,
dass die Polizei in Berlin sehr wohl Hinweise auf das un-
tergetauchte Trio gehabt haben. Diese Hinweise sind
zum Teil weitergegeben worden, aber sie haben nicht
dazu geführt, dass man der Sache mit der Vehemenz
nachgegangen ist, wie man ihr hätte nachgehen müssen
angesichts einer einmaligen Mordserie in Deutschland.





Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir Erklärungen dafür suchen – und die suchen
wir alle –, dann stellen wir immer wieder fest: Bei den
Behörden hat es Informationen gegeben. Die Beamten
haben sich damit beschäftigt. Warum haben sie nicht
eins und eins zusammengezählt? Wenn das Trio im Un-
tergrund ist und sagt: „Wir brauchen Geld“, und eines
Tages kommt die Meldung: „Das Trio braucht kein Geld
mehr“, und gleichzeitig passieren im nahen Chemnitz
und im nahen Zwickau fünf Banküberfälle, die nicht an-
ders zu erklären sind, als dass das zwei Täter gewesen
sein müssen, von denen es Videoaufnahmen gab, die
Männer zeigten, die die Statur und das äußere Aussehen
dieses Terrortrios gehabt haben – warum hat man das
nicht zusammengebracht? Was haben die Beamten vom
Bundesamt für Verfassungsschutz sich gedacht, als sie
zur Ermittlung dieser Täter in Thüringen waren? Warum
sind sie nicht darauf gekommen, dass das eine mit dem
anderen zusammengehört und zu erklären ist?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun die Erklärung. Ich sehe mit wenigen Ausnahmen
bei fast allen Zeugen aus den Ämtern, aus den Geheim-
diensten, aus den Polizeibehörden von Bund und Län-
dern eine bürokratische Ignoranz sowie eine Mentalität,
eine Sichtweise, eine Einstellung des Denkens dieser
Mitarbeiter – vor allen Dingen derjenigen von den Ge-
heimdiensten –, das nicht wahrhaben zu wollen. Für
diese war das Bewahren ihrer Geheimnisse wichtiger als
die Aufklärung einer Mordserie.

Ich gehe deshalb als Schlussfolgerung davon aus:
Diesen Beamten, diesen Mitarbeitern kann man es nicht
überlassen, in Zukunft die Grundsätze des Grundgeset-
zes der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen und
die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu garantie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen hier die Konsequenzen ziehen und sagen:
Diese Beamten sind nicht die Richtigen, um jetzt aufzu-
klären. Diese Beamten sind auch die Falschen, die Si-
cherheit in Deutschland in Zukunft zu garantieren. Wir
brauchen einen vollständigen personellen Neuanfang. Es
reicht nicht, die Präsidenten oder Vizepräsidenten auszu-
tauschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend: Herr Bundesinnenminister, ich hätte
von Ihnen erwartet, dass Sie entsprechend dem Be-
schluss des Deutschen Bundestages, der lautet: „Alle de-
mokratischen Gruppen in Deutschland, die sich gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antise-
mitismus engagieren, müssen gestärkt werden“, als ers-
ten wichtigen Schritt in diese Richtung dem Deutschen
Bundestag heute mitgeteilt hätten: Wir heben die Extre-
mismusklausel auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720410600

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für

die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Hans-
Peter Uhl. Bitte schön, Kollege Hans-Peter Uhl.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1720410700

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Ein Jahr nach der Aufdeckung dieser entsetz-
lichen Morde ziehen wir heute eine Zwischenbilanz. Es
ist kein Wunder, Herr Ströbele, dass wir zu unterschied-
lichen Schlussfolgerungen kommen, weil wir von unter-
schiedlichen Einstellungen zu den Behörden, über die
wir heute reden, geprägt sind, zumindest beim Verfas-
sungsschutz.

Lassen Sie mich eines vorausschicken – das ist schon
mehrfach apostrophiert worden –: In zehn Jahren zehn
Morde, von Nazihand begangen, nicht aufgeklärt zu ha-
ben, ist natürlich kein Ruhmesblatt für die Sicherheitsbe-
hörden in Deutschland. Es ist richtig, Untersuchungsaus-
schüsse eingerichtet zu haben. Es ist richtig, das alles zu
hinterfragen.

Aber ich versetze mich in diesen Tagen auch in die
Lage von Mitarbeitern von Verfassungsschutzämtern,
Herr Ströbele, und frage mich: Geht man heute mit die-
sen Mitarbeitern fair um? Ich meine, zum fairen Um-
gang gehört auch, dass ein abgeschlossener Sachverhalt
nicht mit dem Wissen von heute beurteilt wird. In Ihrem
Fall, Herr Ströbele, war es so, dass Sie die Tatsachen,
nämlich dass zwar einige Beamte in Thüringen den
Sachverhalt so kannten, wie sie ihn kannten, aber dass
die Beamten im benachbarten Sachsen diesen Sachver-
halt eben nicht so kannten, einfach in einen Topf werfen,
umrühren und fragen: Warum haben die Beamten nicht
eins und eins zusammengezählt?


(Dr. Eva Högl [SPD]: Weil sie sich nicht ausgetauscht haben!)


Das ist kein fairer Umgang mit den Menschen.

Ich möchte auch davor warnen, dass wir unsere Be-
amten pauschal verdächtigen und gar in eine geistige
Nähe zu dem braunen Sumpf rücken. Dafür gibt es über-
haupt keine Anhaltspunkte.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat überhaupt niemand gemacht!)


– Bitte lesen Sie die Zeitungen. Dann sehen Sie, dass das
permanent gemacht wird, immer und immer wieder.
Selbst die dümmste Unterstellung von irgendeinem Jour-
nalisten wird sofort als möglicherweise wahr angesehen
und die Frage aufgeworfen, ob jetzt die ganze Behörde
von dem, was behauptet wird, geprägt ist.

Meine Damen und Herren, wir dürfen keine herabset-
zende Diffamierung unserer Beamten zulassen. Wir





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)


müssen vor allem heute eines feststellen: Ein Jahr Unter-
suchungsausschuss hat gezeigt, dass es keinerlei Nach-
weis für die Behauptung gibt, dass unsere Sicherheitsbe-
hörden auf dem rechten Auge blind seien. Dafür gibt es
keinerlei Nachweis! Dieser Staat ist nicht auf dem rech-
ten Auge blind. Er war es nicht und ist es nicht. Er darf
es auch niemals werden.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Das sehen wir anders! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Uhl, da denken Sie noch einmal darüber nach! Da klatscht keiner von der CDU/CSU!)


Frau Högl hat dem Minister vorgeworfen, dass er die
Akten zum Rechtsextremismus mit gewissen Aktivitäten
schließen wolle, um dann zur Tagesordnung überzuge-
hen. Das will keiner von uns. Wir wissen sehr wohl, dass
wir in Deutschland Verantwortung für unsere Geschichte
haben und dass wir den Kampf gegen Nazis niemals be-
enden dürfen.

In dieser Woche wurde das Thema Trennungsgebot
auf sehr eigentümliche Weise behandelt. So wurden im
Untersuchungsausschuss wieder einmal Beamte des Ver-
fassungsschutzes gefragt, warum sie ihr Wissen nicht an
die ermittelnde Polizei weitergegeben haben.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch richtig!)


Zur gleichen Zeit musste sich der Innenminister vor den
Verfassungsrichtern in Karlsruhe wegen eines Gesetzes
verteidigen, das die Zusammenführung von Informatio-
nen des Nachrichtendienstes und der Polizei in einer
Verbunddatei vorsieht und dazu dient, Verbrechern von
links und rechts sowie Islamisten das Handwerk zu le-
gen. Wie Sie sehen, gibt es hier ein Thema, das immer zu
einem Zielkonflikt geführt hat und immer dazu führen
wird.


(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Hören Sie doch bitte zu, und seien Sie nicht so aufge-
regt!

Wenn Sie im Grundgesetz suchen, werden Sie keinen
Artikel finden, der das Trennungsgebot regelt. Es gibt
nur den sogenannten Polizeibrief vom April 1949 – un-
terschrieben von drei Generälen der Besatzungsmächte –,
in dem das steht. Aus, Ende, mehr nicht.


(Sebastian Edathy [SPD]: Haben Sie das Thema der Aktuellen Stunde zur Kenntnis genommen? – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Trittin, man kann das auch Soldatenbrief nennen,
wenn Sie wollen. – Dieser Polizeibrief stellt die Grund-
lage für das Trennungsgebot dar. Ich werde Ihnen diesen
Brief geben; denn ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie
ihn nicht kennen.

Ich rate dem Bundesverfassungsgericht, auf diesem
Gebiet rechtsschöpferisch tätig zu werden, und zwar ge-
rade aus diesem Anlass und in dieser Zeit. Wie viel
Trennung zwischen Nachrichtendienst und Polizei brau-

chen wir in unserem Staat, und wie viel Verbunddatei so-
wie gemeinsames Wissen und Zusammenarbeit brau-
chen wir? Die Beantwortung dieser Fragen ist angezeigt.

Ich möchte Ihnen dringend raten, die Polizei und den
Verfassungsschutz nicht pauschal zu diffamieren und
keinen Austausch an Haupt und Gliedern, von oben bis
unten zu fordern, Herr Ströbele. Nein, wir brauchen ei-
nen starken Verfassungsschutz und eine starke Polizei.
Das Parlament sollte über alle Parteigrenzen hinweg
zum Verfassungsschutz und zur Polizei stehen. Wir brau-
chen sie alle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720410800

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für

die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Aydan Özoğuz. Bitte schön, Frau Kollegin Aydan
Özoğuz.


(Beifall bei der SPD)



Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1720410900

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Uhl, bevor Sie gesprochen haben, hatte ich
den Eindruck, dass hier eigentlich große Einmütigkeit
über das herrscht, was sich in den letzten zehn Jahren in
unserem Land getan hat,


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


über das, was es aufzuarbeiten gilt, über die Fehler, die
gemacht wurden. Die Stärke dieses Untersuchungsaus-
schusses besteht darin, dass wir dort wirklich zusam-
menarbeiten, dass wir die Fehler sehen und nicht die Au-
gen davor verschließen. Wir sollten jetzt nicht anfangen,
alle möglichen Verteidigungstaktiken an den Tag zu le-
gen. Das wird uns am Ende überhaupt keine Aufklärung
bringen, befürchte ich.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hatte vor Ihrer Rede gedacht, dass man gar nicht
mehr so viel zu sagen braucht. Ich glaube, es tut doch
not, einige Aspekte erneut zu unterstreichen.

Wenn man sich mit Eltern und Angehörigen der Opfer
unterhält, dann merkt man doch sehr deutlich – das ha-
ben einige schon angedeutet –, was es eigentlich bedeu-
tet und anrichtet, wenn man verdächtigt wird, wenn man
von seinem gesamten Umfeld ausgegrenzt wird, wenn es
immer wieder heißt: Da muss doch etwas dran sein,
wenn alle ermittelnden Behörden meinen, dass bei denen
etwas nicht stimmt.

Ich möchte mich deshalb dem Dank an Barbara John
anschließen, die sich weit über den Auftrag hinaus, der
ihr erteilt worden ist, für die Familien einsetzt und die es
geschafft hat, gerade die Kinder, die ihre Väter verloren
haben, zusammenzubringen. Diese hatten damit zum
ersten Mal die Gelegenheit, sich über das auszutauschen,





Aydan Özoğuz

(A) (C)



(D)(B)


was über viele Jahre ihr Leben in so schrecklicher Weise
bestimmt hat.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe in der Ausschussarbeit auch gelernt, dass An-
gehörige von Opfern häufig in einem Verhältnis zu den
Tätern stehen. Das ist oft so, und das war mir vorher nicht
bewusst. Daher haben wir auch im Ausschuss nie gesagt,
man hätte in diese Richtung nicht ermitteln dürfen; ganz
im Gegenteil. Es ist klar, dass man in alle Richtungen er-
mitteln musste. Das gehört nicht nur zur Routine, sondern
auch zu dem, was wir erwarten dürfen. Der entscheidende
Punkt ist nur, dass man nicht aufgehört hat, nur in Rich-
tung der Familien der Opfer zu ermitteln, obwohl es dafür
keine nachvollziehbaren Gründe und keine wirklichen
Hinweise mehr gab. Da sollten wir genauer hinsehen.

Es wurden Polizisten mit Migrationshintergrund als
türkische Privatdetektive getarnt, wie wir wissen, um in
einer Opferfamilie zu recherchieren, weil man glaubte
– das finde ich nun doch bemerkenswert –, dass „die
Türken“ der deutschen Polizei nicht die volle Wahrheit
sagen würden. Die Familien der Opfer wurden in den
abgelegensten Winkeln der Türkei aufgesucht, um ver-
meintliche Verbindungen zur Mafia, zur PKK, zur türki-
schen Hisbollah und wem auch immer aufzuspüren.
Aber es gab diese Hinweise nicht, es gab nichts, was
weitergeführt hätte, und trotzdem blieb der Schwerpunkt
der Ermittlungen in dieser Richtung bestehen.

Es ist bemerkenswert, dass nicht von einem Gleichge-
wicht bei den Untersuchungen gesprochen werden kann;
denn Ermittlungen in eine andere Richtung fehlten. Herr
Binninger, Sie haben eben zu Recht gesagt, es habe Hin-
weise gegeben. Aber diesen Hinweisen wurde nicht in
gleicher Weise und mit gleicher Akribie nachgegangen.

Die Medienstrategie der Polizei – das erklärt zu ei-
nem gewissen Grade den Umgang mit dem Thema in der
Öffentlichkeit – bestand darin, zu sagen, man solle die
türkischstämmigen Menschen nicht unnötig beunruhi-
gen, um zu vermeiden, dass sie Angst davor haben, viel-
leicht selbst Opfer werden zu können. Man tat so, als ob
diese in einem luftleeren Raum leben würden und gar
nicht mitbekämen, was um sie herum los ist. Das kann
man nicht mehr nachvollziehen.

Nach den Morden im April 2006 gab es Demonstra-
tionen in Kassel und Dortmund, auf denen die Demon-
stranten gefordert haben: Kein zehntes Opfer. – Es war
also allen bewusst, was da eigentlich los ist, aber die Er-
mittlungsbehörden – ich sage es jetzt so, wie ich es emp-
finde – blieben in ihrer eigenen Parallelwelt. Sie küm-
merten sich nicht darum, was öffentlich gesagt wurde.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu meinem letzten Punkt, den ich anspre-
chen möchte. Wir haben schon gesagt, dass man heute
und gestern nicht völlig voneinander trennen darf. Herr
Bundesinnenminister, Sie wissen, dass ich von Ihrer
Kampagne „vermisst“ nichts halte, weil ich glaube, dass

es sehr pauschalisierend ist, Gesichter von Menschen
wie mir, also von Muslimen, auf deutschen Straßen zu
plakatieren und die Frage zu stellen, ob diese möglicher-
weise dem Terrorismus zuneigten und deswegen plötz-
lich verschwunden seien.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Plakate aufzuhängen, zeugt von pauschalem Den-
ken.

Eines hat mich ebenfalls sehr betroffen gemacht. Vor
einigen Wochen gingen in meinem Büro viele Anrufe
von Anwohnern der Keupstraße in Köln ein. Damals,
nach dem Attentat, wurden die Anwohner dieser Straße
stigmatisiert; denn es wurde angenommen, dass sie et-
was mit diesem Attentat zu tun haben müssten, weil die
Keupstraße in einem Ausländerviertel liegt. Genau in
dieser Straße fängt man an, solche Postkarten zu vertei-
len und die Leute erneut zu stigmatisieren, indem man
andeutet, dass sie irgendwie auch etwas mit Terrorismus
zu tun haben könnten. Ich finde, ein bisschen mehr Sen-
sibilität ist das Mindeste, was man heute aus diesen Din-
gen ziehen kann.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur ein bisschen!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720411000

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für

die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Stephan
Stracke. Bitte schön, Kollege Stracke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1720411100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Das Oberlandesgericht München
hat heute mitgeteilt, dass gegen Zschäpe und vermutlich
andere aus dem Unterstützerkreis Anklage erhoben
wurde. Das ist der geeignete Anknüpfungspunkt für die
heutige Debatte. Es ist der richtige Zeitpunkt für die An-
klageerhebung. Das ist die Antwort des Rechtsstaates
auf die Verbrechen der Terroristen, die Antwort, die Fa-
milien der Opfer zu Recht erwarten dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist gut, dass der Prozess nun beginnt. Was die Ange-
hörigen der Opfer auch erwarten dürfen, ist eine sach-
gerechte Auseinandersetzung darüber, warum die Ter-
rorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund nahezu
13 Jahre unentdeckt geblieben ist.

Wer sich sachlich mit diesen Dingen beschäftigt,
muss meines Erachtens differenziert vorgehen; er muss
differenzieren in Bezug auf objektive Fehler und ver-
meintliche Fehler der Sicherheitsbehörden, die aber der
Rechtslage geschuldet waren, und auch in Bezug auf den
Umgang beispielsweise der Exekutive mit dem Untersu-
chungsausschuss dieses Hohen Hauses. Diese Differen-
zierung ist es, die Aufklärung gelingen lässt, um daraus





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)


die richtigen und notwendigen Schlussfolgerungen bei-
spielsweise im Rahmen des Abschlussberichtes zu zie-
hen. Wir werden dafür sorgen und genau diese rückhalt-
lose Aufklärung betreiben. Das ist auch der Kern der
Aufgabe des Untersuchungsausschusses. Diese Aufgabe
nehmen wir über Parteigrenzen hinweg sehr ernst.

Der Untersuchungsschuss leistet gute Arbeit, weitaus
bessere, als manch einer zu Beginn gedacht oder erwar-
tet hätte. Über 200 Beweisbeschlüsse haben wir gefasst,
über 40 Befragungen von Sachverständigen und Zeugen
durchgeführt. Dies tun wir immer im Bewusstsein unse-
rer Verantwortung und mit Blick auf das erschütterte
Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Dass diese Unter-
suchung in einem so kurzen Zeitraum möglich ist, ist vor
allem dem gemeinsamen Einsatz über die Parteigrenzen
hinweg zu verdanken. Mein Dank gilt dabei in besonde-
rem Maße dem großen persönlichen Engagement der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und des
Ausschusssekretariats sowie unserem Ermittlungsbeauf-
tragten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Danken möchte ich auch den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern in Behörden von Bund und Ländern, die
den Ermittlungsauftrag des Untersuchungsausschusses
ernst nehmen und diesen tatkräftig unterstützen. Die
zahlreichen Akten aus fast 20 Jahren für den Untersu-
chungsausschuss aufzubereiten, ist, gelinde gesagt, eine
Herkulesaufgabe und harte Arbeit. Gerade Bayern leistet
hier Vorbildliches. Ohne die zügige und umfängliche
Aktenzulieferung und auch Personalabordnung des Frei-
staats Bayern wären wir längst nicht so weit, wie wir
heute sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unse-
rem Auftrag sind wir im Untersuchungsausschuss noch
lange nicht fertig. Es zeichnet sich jedoch ein erstes Bild
ab. Die Sicherheitsarchitektur in Bund und Ländern ist
entgegen mancher Darstellungsversuche dem Grunde
nach nicht unfähig oder untauglich. Aber die Zusam-
menarbeit zwischen den Behörden muss verbessert wer-
den. Hier besteht noch viel Optimierungspotenzial, ge-
rade was den Informationsaustausch in der Praxis angeht
und auch was den rechtlichen Rahmen betrifft, der diese
Kooperation regelt. Der Bundesinnenminister hat auf die
erkannten Lücken und Mängel schnell und gut reagiert.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schnell?)


Was mögliche und weitergehende Vorschläge angeht,
so müssen diese freilich immer wieder mit dem Rechts-
rahmen abgeglichen werden, und vor allem müssen auch
die grundrechtlichen Grenzen in den Blick genommen
werden. Das wird sicherlich noch Gegenstand so man-
cher Debatte sein. Im Hinblick auf die Möglichkeiten,
den EDV-gestützten nachrichtendienstlichen Informa-
tionsaustausch zu verbessern, bin ich gespannt, welche
Debatten hier noch geführt werden. Beispielsweise wäre
die Vorratsdatenspeicherung ein wirksames Instrument
gewesen,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


das Unterstützerumfeld zum Zeitpunkt des Auffliegens
des Terrortrios zu identifizieren.

Viele Ermittlungen bezüglich der Mordserie und der
Sprengstoffanschläge waren nach heutigem Wissen nicht
zielführend. Zu dieser Erfolglosigkeit stehen auch die
polizeilichen Ermittler. Echte Fehler, die wir im Rahmen
des Untersuchungsausschusses identifizieren konnten,
wurden dabei nur wenige gemacht. Nach dem, was wir
bislang wissen, gab es beispielsweise Fehler – Kollege
Binninger hat es angesprochen – im Zusammenhang mit
der Spur in Köln, Stichwort „Sprengstoffanschlag“, und
im Zusammenhang mit der Waffenspur.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß,
im Untersuchungsausschuss liegt noch eine Menge Auf-
gaben vor uns; es ist noch viel zu tun. Ich versichere Ih-
nen, dass wir die Arbeit des Untersuchungsausschusses
weiterhin mit großem Ernst, zielstrebig und entschlossen
vorantreiben werden. Dafür bitte ich um Ihre Unterstüt-
zung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720411200

Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU

unser Kollege Armin Schuster. Bitte schön, Kollege
Armin Schuster.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1720411300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir sind es den Opfern und Hinter-
bliebenen schuldig, konsequent die Ursachen dafür zu
erforschen, weshalb wir diese Mordserie nicht aufklären
konnten. Aus meiner Sicht gibt es, zusammenfassend ge-
sagt, drei Fehlerquellen: individuelle Fehler, strukturelle
Fehler und Fehler im System.

Wir wollen verstehen, warum die Täter nicht gefasst
wurden und die Mordserie nicht gestoppt werden konnte.
Wenn es den oder die Schuldigen gibt, dann geht es na-
türlich auch um Verantwortung. Bei Hunderten von Er-
mittlern bundesweit, bei Abertausenden von Ermittlungs-
stunden können wir zwar von einer Niederlage der
Sicherheitsbehörden, was ihre bundesweite Vernetzung
angeht, sprechen. Aber zur Fairness gehört auch – ich
habe es als wohltuend empfunden, dass das fast alle so
ausgedrückt haben –, festzustellen, dass in unserer inten-
siven Arbeit im Ausschuss bisher kein stichhaltiger Be-
weis für ein ultimatives Versagen einer bestimmten Per-
son oder einer bestimmten Organisation erbracht worden
ist. Es gibt bisher kein Beispiel dafür, dass wir mit unse-
rem nachträglichen Wissen, also unserem Wissen von
heute, mit Sicherheit sagen können: Wäre genau das nicht





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


passiert, hätten wir Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe viel
früher gestoppt.

Bleibt also die Frage: Sind die Sicherheitsbehörden
auf dem rechten Auge blind? Ich bin allen Kolleginnen
und Kollegen im Ausschuss sehr dankbar, dass sie sagen
– vor allem im Ausschuss, nicht immer vor der Ka-
mera –: Dafür gibt es keinen Beweis. – Ein Beweis wäre,
wenn sich Sicherheitsbehörden in Deutschland, die sich
bei der Annahme eines OK-Hintergrunds gravierend ge-
irrt haben, vorsätzlich einer rechtsterroristischen Fallthe-
orie verweigert hätten. Dann wären wir auf dem rechten
Auge blind. Doch dafür gibt es keinen Beleg – nicht ei-
nen einzigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, wir hinterfragen im Aus-
schuss auch Fehler im System, also in der länder- und
ressortübergreifenden Zusammenarbeit der Sicherheits-
behörden. Ich frage einmal provokant: Ist Föderalismus
oder das Trennungsgebot ein K.-o.-Kriterium für einen
solchen Fall? Vorschnell könnte man zu einer solchen
falschen Bewertung kommen. Immerhin konnten wir
uns bei dieser einzigartigen Mordserie nur auf ein bun-
desweites Lenkungsgremium in Bayern, aber nicht auf
eine bundesweit zuständige Ermittlungsgruppe unter
einheitlicher Führung eines Landes oder des BKA mit
bundesweiter Weisungsbefugnis einigen. Das haben wir
eben nicht geschafft.

Woran es offenkundig mangelt, ist eine Routine zur
überregionalen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit.
Wie, wenn nicht durch vernetzte, hochflexible Ermitt-
lungsgruppen über Ländergrenzen hinweg sollen wir ei-
gentlich Bedrohungen des Terrorismus oder des Cyber-
crime heutzutage wirkungsvoll begegnen? Die schnelle
Schaffung des GAR – ich betone: die schnelle Schaffung
des GAR – ist für mich auch deshalb so wichtig, weil es
geradezu symbolhaft in diesem vernetzten Sinne dazu
führt, dass wir dem föderalen und nach Autarkie streben-
den Alltagsbetrieb unserer Behörden Einhalt gebieten.
Dafür müssen die Länder ein bestimmtes Selbstständig-
keitsbestreben zurückstellen. Ich sage ganz offen: Das
GAR und das GTAZ sind für mich ein erster guter
Schritt in eine neue Zeit, aber auf gar keinen Fall schon
die Lösung unseres Problems.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Trennungsgebot ist historisch von großer Bedeu-
tung – ob es Verfassungsrang genießt, ist noch unklar;
vielleicht hören wir dazu aus Karlsruhe mehr –; in der
Praxis unserer Sicherheitsbehörden wirkt es aus meiner
Sicht offenkundig völlig überhöht. Die strikte Trennung
von Polizei und Nachrichtendiensten, wie sie sich in die-
sem Fall gezeigt hat, ist nicht mehr gesund. Die fehlende
Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz an
der BAO „Bosporus“ ist für mich nur ein Beleg dafür.
Wie relevant die Erkenntnisse der Dienste waren, hätte
nur in Zusammenarbeit mit der Polizei richtig bewertet
werden können. Es ist auch wenig hilfreich – aus der
Praxis kann ich das sagen –, wenn nur eine Routine-
schnittstelle, fast ein Single Point of Contact, zwischen

dem polizeilichen Staatsschutz und den Verfassungs-
schutzämtern besteht und sonst nichts. Hier sieht man
auch, was in diesem Fall falsch gelaufen ist. Ich sehe In-
formationen aus der Vorfeldaufklärung, die bei den
Diensten gewonnen werden, als sehr wichtig an; bei der
Polizei kommt es nicht immer so an.

Dritter Komplex: strukturelle Defizite. Unsere Sicher-
heitsarchitektur ist nicht überholt. Sie ist kein Irrgarten
vieler Behörden. Sie bedarf ganz sicher aber einer Fort-
entwicklung. Innenminister Friedrich hat im Kampf ge-
gen Rechtsextremismus – meine Damen und Herren, das
muss ich noch einmal geraderücken – mit seinem Zehn-
Punkte-Plan schnell und konsequent reagiert. Man kann
auch in Aktionismus verfallen. Jetzt lassen Sie uns erst
einmal diesen Ausschuss zu Ende bringen, den Ab-
schlussbericht machen, und dann wird man sehen, was
man noch weiter tun kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine professionellere Vernetzung befürworte ich auf
jeden Fall. Ich möchte überregional agierende gemein-
same Ermittlungsgruppen unter einer Führung. Es ver-
stößt auch nicht gegen das Trennungsgebot, wenn wir
die Personalfluktuation zwischen Diensten und Polizei
verstärken.

Die Liste der strukturellen Verbesserungsmöglichkei-
ten, auch beim Thema Akten, ließe sich beliebig verlän-
gern. Ich will keine neue Kommission zur Sicherheitsar-
chitektur, aber, meine Damen und Herren – das richte ich
auch an den Minister –, innerhalb unserer Sicherheits-
landschaft fehlt eine Organisation, ein Thinktank, dessen
tägliche Aufgabe darin besteht, strukturelle Fragestellun-
gen aufzuwerfen, Schwachstellenanalysen durchzufüh-
ren, Zukunftsszenarien im Bereich der inneren Sicherheit
zu bewerten und Lösungskonzepte zu erarbeiten.

Für die Fehler gab es viele kritische Worte. Aber es
hat keinen Sinn, Sicherheitsbehörden jetzt, medial ver-
stärkt, über Gebühr an den Pranger zu stellen. Wir wol-
len mit ihnen arbeiten, und sie stehen für Deutschland.
Da möchte ich um mehr Ausgewogenheit bitten. Zwei,
drei Schuldige können wir nicht präsentieren, obwohl es
für die Hinterbliebenen sehr wichtig wäre. Aber wir kön-
nen durch konsequente Umsetzung der als richtig er-
kannten Verbesserungsvorschläge ein Vorbild werden
für den gesamtgesellschaftlichen Prozess, den am An-
fang der Debatte Herr Wieland hier eingefordert hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720411400

Wir sind am Ende unserer Aktuellen Stunde. Ich

möchte mich bei allen Rednerinnen und Rednern in die-
ser Aktuellen Stunde herzlich bedanken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 5 a und 5 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Gesetzes zur Änderung des Zwölften Bu-
ches Sozialgesetzbuch

– Drucksachen 17/10748, 17/11055 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


– Drucksache 17/11382 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Pascal Kober


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/11397 –

Berichterstattung:

(KarlsruheLand)

Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Katrin Kunert, Sabine Zimmermann,
Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Bundesmittel zur Finanzierung der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminde-
rung 1:1 an Kommunen weiterreichen

– Drucksachen 17/8606, 17/11382 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Pascal Kober

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind da-
mit einverstanden. Dann haben wir dies so beschlossen.

Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der CDU/CSU unser Kollege Karl Schiewerling.
Bitte schön, Kollege Karl Schiewerling.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1720411500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Heute entscheiden wir in
zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf der
Bundesregierung mit dem etwas nüchternen Titel „Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch“. Es geht um die Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung. Hinter diesem etwas
nüchternen Titel verbirgt sich nichts anderes als die
größte Entlastung der Kommunen in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In den Jahren 2013 bis 2016 werden die Kommunen um
voraussichtlich 20 Milliarden Euro entlastet.


(Bernd Scheelen [SPD]: Letztes Mal waren es nur 18!)


Der Beschluss, den wir heute fassen, hat ein gutes Stück
auch mit Ordnungsprinzipien zu tun; denn wir stärken
damit den Grundsatz der Subsidiarität.

Die Kommunen sind seit 1961, als das Bundessozial-
hilfegesetz geschaffen worden ist, verantwortlich für die
Durchführung des Gesetzes und auch für die Finanzie-
rung. Aus dem Bundessozialhilfegesetz wurde 2003 die
Grundsicherung für Ältere ausgegliedert und in einen ei-
genen Bereich übertragen. 2003 hatte die damalige rot-
grüne Bundesregierung die Annahme, man käme mit
einem Festgeldzuschuss von 409 Millionen Euro für die
Kommunen klar. Tatsächlich hat es aber einen gewalti-
gen Aufwuchs gegeben, eine gewaltige finanzielle Be-
lastung, zu der weitere finanzielle Belastungen der Kom-
munen kamen. Deswegen ist die Entscheidung, die wir
jetzt treffen, nämlich dass wir die Kommunen im Jahr
2013 zu 75 Prozent und ab dem Jahr 2014 zu 100 Pro-
zent von den Kosten der Grundsicherung im Alter ent-
lasten, richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bund gibt den Kommunen diese Mittel im Rah-
men des Instituts der Bundesauftragsverwaltung und hat
ein Interesse daran, dass die Mittel ordentlich, sachge-
recht und nach klaren Vorgaben ausgegeben werden. Die
Kommunen haben damit deutlich mehr Gestaltungs-
spielraum. Sie erhalten damit eine Stärkung der eigenen
kommunalen Selbstverwaltung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, die Grundsicherung im
Alter ist gewiss eine wichtige Hilfe des Sozialstaates,
die, wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende, vor
dem Sturz in das finanziell Bodenlose bewahrt. Die
Grundsicherung im Alter ist eine durchaus akzeptierte
Errungenschaft. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen,
dass die Grundsicherung viel bewirkt hat. Viele Men-
schen haben in der Vergangenheit jedoch den Weg zum
Amt gescheut, weil sie den Rückgriff auf ihre Kinder be-
fürchteten. In der Grundsicherung im Alter ist dieses so
nun nicht mehr gegeben. Daher beantragen auch mehr
Menschen als früher die Grundsicherung im Alter. Auch
dies ist ein Grund für den Aufwuchs und ein Grund für
die Mehrausgaben, die sich dort ergeben.

Unter den Menschen, die jetzt entsprechende Anträge
stellen, sind viele Frauen, vor allem Witwen, die älter
sind und die, als sie als Mutter in der Familie tätig wa-
ren, auf Erwerbsarbeit verzichtet haben. Sie haben ihre
Kinder erzogen und ihre Angehörigen gepflegt. Sie ha-
ben im Alter ein Einkommen, das dazu führt, dass sie
auf Grundsicherung angewiesen sind. Normalerweise
müsste in der Systematik die innerfamiliäre Solidarität
greifen; denn die Familie hat davon profitiert. Aber viele
wollen und können ihren Familien, ihren Kindern dieses
nicht zumuten. Deswegen hilft an dieser Stelle der Staat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)






Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)


In einer immer älter werdenden Gesellschaft ist dies
eine große und wichtige Aufgabe. Deswegen ist der ei-
gentlich bedeutsame Teil des heutigen Gesetzes, dass die
Kommunen nicht nur bis 2016 entlastet werden, sondern
auch in Zukunft. In einer immer älter werdenden Gesell-
schaft würden auf die Kommunen erhebliche Mehrbelas-
tungen in noch größerem Maße zukommen. Deswegen
ist das eigentlich Besondere an diesem Gesetz, dass wir
sagen: Diese Belastungen kommen auf die Kommunen
nicht zu. Das übernimmt der Bund in seiner Verantwor-
tung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


CDU und CSU sind und bleiben die Kommunal-
parteien,


(Anette Kramme [SPD]: Deshalb wollen Sie immer mal wieder die Gewerbesteuer abschaffen!)


weil wir die Grundprinzipien von Subsidiarität, Solidari-
tät und Eigenverantwortung auch in diesem Bereich
schärfen und sie zur Grundlage unseres Handelns ma-
chen. Wir haben einen gut abgestimmten Gesetzentwurf
vorgelegt und bitten um Ihre Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720411600

Vielen Dank, Kollege Karl Schiewerling. – Nächste

Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Gabriele Hiller-
Ohm. Bitte schön, Frau Kollegin Hiller-Ohm.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1720411700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Minuten werden
wir hier über ein Gesetz beschließen, das Städte und Ge-
meinden so stark wie noch nie entlasten wird. Der Bund
wird die Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung komplett übernehmen. Dafür haben
wir, die SPD, gekämpft, und dies haben wir durchge-
setzt. Und das ist richtig so.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP: Oh!)


Seit Einführung der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung im Jahr 2003 hat sich die Zahl der
Betroffenen bis heute nämlich mehr als verdoppelt; in-
zwischen sind 850 000 Menschen darauf angewiesen. Es
geht hier um viel Geld, um etwa 4 Milliarden bis 5 Mil-
liarden Euro jährlich. Diesen Kostenaufwuchs können
die Städte und Gemeinden nicht länger schultern, des-
halb muss der Bund in die Pflicht.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU
und FDP, haben die Kommunen so richtig zappeln und
fast am langen Arm verhungern lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Anders herum! – Gisela Piltz [FDP]: Weil Sie ja vorher regiert haben!)


Denn versprochen war diese Entlastung schon lange.
Aber erst heute legen Sie den Gesetzentwurf endlich auf
den Tisch. Diese Bummelei kritisieren wir.


(Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Wer hat eigentlich elf Jahre lang vor uns regiert? Habe ich etwas verpasst?)


Und wer nun denkt, Ihr Gesetzentwurf wäre Ihnen
dann wenigstens in einem Guss gelungen, der irrt gewal-
tig. Noch gestern im Sozialausschuss wurden wir mit et-
lichen Änderungen konfrontiert. Ich freue mich, dass bei
dieser Herumdokterei wenigstens einige Verbesserungen
für die Länder und die Kommunen herausgesprungen
sind, die wir seit längerem gefordert haben:

Erstens. Das Abrechnungsverfahren wird zumindest
für eine Übergangszeit vereinfacht.

Zweitens. Städte und Gemeinden dürfen weiterhin auf
eigene Kosten höhere Leistungen zahlen, so wie das in
München jetzt der Fall ist. Es ist gut, dass Sie unsere
Forderungen aufgegriffen und Ihren Gesetzentwurf ent-
sprechend geändert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei zwei weiteren wichtigen Punkten sind Sie jedoch
stur geblieben. So können die Gelder vom Bund zukünf-
tig nur alle drei Monate und nicht monatlich abgerufen
werden. Ein monatliches Abrufen wäre natürlich besser,
weil die Grundsicherung ja auch monatlich ausgezahlt
wird. Schade, dass Sie hier nicht über Ihren Schatten
springen konnten.

Leider fehlt auch eine Zweckbindung, sodass nicht si-
chergestellt ist, dass die Entlastung vollständig bei den
Kommunen ankommt. Hier hätten Sie eine Lösung fin-
den müssen und die Kommunen nicht im Regen stehen
lassen dürfen.


(Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Dann müssen Sie mal mit Ihren Ländern reden, damit die das ordentlich machen!)


Sie sehen, wir sind mit Ihrer Arbeit nicht zufrieden.
Wir werden dem Gesetz aber trotzdem zustimmen. Denn
wir haben es erkämpft, und die Kostenübernahme ist
wichtig für die klammen Städte und Gemeinden.

Leider wird dieses Gesetz für die betroffenen Rentne-
rinnen und Rentner selbst nichts ändern. Sie werden wei-
terhin mit ihrer schmalen Grundsicherung auskommen
müssen. Und es werden immer mehr. Frauen sind beson-
ders stark von Altersarmut bedroht. Das müssen wir än-
dern.

Damit Altersarmut gar nicht erst entsteht, brauchen
wir faire Löhne, einen gesetzlichen Mindestlohn und
gute Arbeit.


(Beifall bei der SPD)


Lohndumping und prekäre Beschäftigung gehören abge-
schafft. Dafür setzen wir uns ein.

Und was, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Schwarz-Gelb, tun Sie? Genau das Gegenteil. Noch in





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


der letzten Sitzungswoche haben Sie die Verdienstgrenze
bei den Minijobs von 400 auf 450 Euro heraufgesetzt
und damit gleichzeitig das Armutsrisiko vor allem der
Frauen erhöht. Das, meine Damen und Herren, ist ein
politisches Armutszeugnis.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720411800

Vielen Dank, Frau Kollegin Gabriele Hiller-Ohm. –

Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kol-
lege Pascal Kober. Bitte schön, Kollege Pascal Kober.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1720411900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Karl Schiewerling hat es schon für die Regierungskoali-
tion hervorgehoben, ich möchte es wiederholen: Der
heutige Tag ist nicht nur ein hervorragender Tag für die
Kommunen in unserem Land; er ist geradezu ein histori-
scher Tag für die Kommunen. Denn noch nie in der Ge-
schichte der Bundesrepublik hat es eine Entlastung für
die Kommunen vonseiten des Bundes in diesem Ausmaß
gegeben. Das ist ein wirklich gutes Signal dieser Regie-
rung an die Kommunen. Es zeigt, dass wir die Verant-
wortung für die Kommunen wahrnehmen und sie mit ih-
ren Belastungen nicht alleinlassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Allein in den nächsten Jahren wird die Entlastung der
Kommunen 18,5 Milliarden Euro ausmachen. Das ist
kein geringer Betrag; das ist auch für den Bund viel
Geld. Deshalb ist diese Leistung nicht gering zu schät-
zen. Wir sind stolz, dass wir auf der einen Seite dies leis-
ten und auf der anderen Seite den Pfad der Haushalts-
konsolidierung nicht verlassen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen und SPD, Sie haben die Grundsicherung im Al-
ter in ihrer jetzigen Form im Jahr 2001 eingeführt. Für
Sie war klar, dass die Kosten bei den Kommunen bleiben
würden. Sie haben damals eine Kompensation von
600 Millionen DM vorgeschlagen. Diese Summe wurde
dann im Vermittlungsverfahren auf 800 Millionen DM
erhöht; das entspricht – auch das hat Karl Schiewerling
schon ausgeführt – etwa 409 Millionen Euro, während
die Gesamtbelastung heute bei etwa 4,8 Milliarden Euro
liegt. Das zeigt: Wären wir auf Ihrem Pfad geblieben,
dann wäre es für die Kommunen in der Zukunft immer
schwieriger geworden, diese sozialen Leistungen zu er-
bringen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Deswegen wollen wir es ja auch ändern!)


Deshalb ist es gut, dass diese Regierung jetzt handelt
und nach elf Jahren des Nichtstuns insbesondere von Rot
jetzt endlich etwas für die Kommunen tut.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wer hat das denn im Vermittlungsausschuss durchgesetzt? Wir mussten Sie zum Jagen tragen! – Lachen bei der FDP und der CDU/CSU)


– Nichts dergleichen, Frau Hiller-Ohm. Sie haben in den
letzten Wochen und Monaten im Gesetzgebungsverfah-
ren niemanden zum Jagen getragen. Sie haben insbeson-
dere versucht, den Menschen in unserem Land und den
Kommunen Angst zu machen. Sie haben immer wieder
infrage gestellt, ob die Bundesregierung zu ihrer Zusage
stehen würde. Sie haben in diesem Hause mehrfach ver-
sucht, den Menschen Sand in die Augen zu streuen, und
betont, dass diese Regierung wahrscheinlich nicht zu ih-
ren Zusagen stehen werde. Heute zeigen wir Ihnen, dass
das richtig ist, was wir in diesem Hause immer gesagt
haben: Wir stehen zu unserer Zusage. Heute ist es so
weit: Das Gesetz wird heute verabschiedet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Immer nur auf Druck hin! Da war nichts freiwillig!)


Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es, weil
wir die Leistungen aufgrund der föderalen Finanzbezie-
hungen des Bundes zu den Ländern nicht direkt an die
Kommunen auszahlen können, in der Verantwortung der
Länder liegt, das Geld an die Kommunen weiterzurei-
chen. Ich möchte diese Ermahnung an dieser Stelle ein-
dringlich wiederholen. Es ist auch nicht unbegründet,
dass wir diese Ermahnung wiederholen. Ich möchte ein-
mal einen kleinen Ausschnitt aus der Schweriner Volks-
zeitung vom 8. Februar dieses Jahres zitieren. Dort heißt
es:

Zwischen den neuen Großkreisen und dem Land ist
ein erster handfester Streit entbrannt: Während das
Sozialministerium Mittel des Bundes in zweistelli-
ger Höhe für die Grundsicherung im Alter

– also Gelder für arme und ärmere Senioren –

einbehalten will, fordern sie die Kommunen für
sich. Allein 2012 könnte die Summe rund 20 Mil-
lionen Euro betragen, für das Jahr 2015 schätzt sie
der Landkreistag auf 77 Millionen Euro, sagte Ge-
schäftsführer Jan Peter Schröder auf Nachfrage.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dieses So-
zialministerium von Mecklenburg-Vorpommern, das die
Gelder, die den Kommunen zur Verfügung gestellt wer-
den sollen, für sich einbehält, wird von der stellvertre-
tenden Parteivorsitzenden der SPD, Manuela Schwesig,
geführt.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Zuruf von der FDP: Ein Skandal ist das!)


Es liegt in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass
diese Handhabe ihres Ministeriums in Mecklenburg-
Vorpommern ein Ende hat, damit die Gelder den Kom-
munen wirklich zur Verfügung stehen und die Entlastung
wirklich bei den Kommunen ankommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie haben kritisiert, dass im Ausschuss weitere Ände-
rungen an dem Gesetzentwurf vorgenommen worden
sind. Frau Hiller-Ohm, das hat seine guten Gründe: Wir
haben den Gesetzentwurf noch einmal im Sinne der





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


Kommunen verbessert. Beispielsweise werden künftig
die Kosten nicht jährlich, sondern quartalsweise abge-
rechnet. Das Statistische Bundesamt wird die Zusam-
menführung und Prüfung der Daten vornehmen.

Ihre politischen Konzepte, die Sie schon im Vorgriff
auf die Bundestagswahl hier vorstellen, bedeuten Steuer-
erhöhungen und Belastungen für die Wirtschaft. All das
wird zu geringeren Gewerbesteuereinnahmen und zu ge-
ringeren Löhnen führen. Das ist eine falsche Politik, weil
sie die Kommunen, die Unternehmen und am Ende die
Menschen in unserem Land belastet. Das werden wir
verhindern. Mit unserer Politik haben die Kommunen
und die Menschen einen starken Partner an ihrer Seite.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Dass die FDP für Gewerbesteuer ist, das ist ja etwas ganz Neues!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720412000

Vielen Dank, Kollege Pascal Kober. – Nächste Red-

nerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin
Katrin Kunert. Bitte schön, Frau Kollegin Katrin Kunert.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Erkläre es Ihnen noch einmal!)



Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720412100

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Herr Kober, Sie wollten im Rahmen
der Gemeindefinanzreform an die Gewerbesteuer ran
und niemand anders. Sie haben sie infrage gestellt. Sich
heute als Rächer der Kommunen darzustellen, das ist
schon sehr abenteuerlich.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist lächerlich! – Bernd Scheelen [SPD]: Das steht sogar im Koalitionsvertrag!)


Wenn die Rente zum Leben nicht reicht, egal ob es
die Rente im Alter oder bei Erwerbsminderung ist, muss
Grundsicherung bezogen werden. Es ist ausdrücklich
nicht Aufgabe der Kommunen, für diese Kosten aufzu-
kommen; dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die kompletten Kosten
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
vom Bund übernommen werden. Bereits in der ersten
Lesung haben wir Nachbesserungen gefordert. Wir ha-
ben Ihnen im Arbeits- und Sozialausschuss einen Ände-
rungsantrag vorgelegt.

Erstens wollten wir, dass die Möglichkeit der örtlich
abweichenden Regelleistungen beibehalten wird. Das
heißt, die Stadt München gibt den Grundsicherungsbe-
ziehenden 19 Euro mehr, weil die Preise in München
sehr hoch sind. Diese Möglichkeit hat die Koalition auf-
gegriffen, sie will aber die höheren Kosten nicht über
den Bund, sondern über die Länder finanzieren lassen.
Wir sagen: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer die

Kommunen von den Kosten entlasten will, der muss das
auch in vollem Umfang tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens wollten wir, dass die Menschen mit Behin-
derung, die bei ihren Eltern leben und dort betreut wer-
den, ihre Unterkunftskosten unbürokratisch erhalten
können. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts
müssen Mietverträge zwischen den Eltern und ihrem
leistungsberechtigten Kind geschlossen werden, um die
Kosten der Unterkunft zu erhalten. Eltern, die sich liebe-
voll um ihr Kind weit über das 18. Lebensjahr hinaus
kümmern und es betreuen, werden mit einem erhebli-
chen bürokratischen Aufwand belastet. Zudem sind die
Eltern meist die gesetzlichen Betreuer ihrer Kinder und
müssten daher einen Vertrag mit sich selbst schließen,
was juristisch überhaupt nicht möglich ist. Es wäre also
nötig, einen Ersatzbetreuer zu bestellen. Das halten wir
für einen unhaltbaren Zustand. Bei der Umsetzung der
Behindertenrechtskonvention muss solcher Unfug aus-
geschlossen sein.


(Beifall bei der LINKEN)


In einem Änderungsantrag haben wir Ihnen dazu ei-
nen Vorschlag unterbreitet, aber leider haben Sie ihn ab-
gelehnt, was wir sehr bedauern.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Schämt euch! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sehr peinlich!)


Als Nächstes frage ich Sie, wie Sie Ihr gegebenes
Versprechen, die Kommunen zu entlasten, halten wollen.
Der Bund lehnt derzeit jede Übernahme von Verantwor-
tung ab. Sie haben aber die Möglichkeit, unserem Antrag
zuzustimmen, in dem wir fordern, dass die Entlastung
eins zu eins an die Kommunen weiterzuleiten ist; denn
eine Ermahnung reicht nicht, Herr Kober.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie oft ermahnen wir Sie von diesem Pult aus, dass Sie
sich gegenüber den Ländern entsprechend verhalten!
Wir sind der Meinung, dass man das gesetzlich regeln
kann.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da hilft eine Mahnung gar nichts! – Gisela Piltz [FDP]: Dann ändern Sie doch einmal das Staatsrecht, Frau Kunert!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der in den nächsten
Jahren zu erwartende Anstieg im Bereich Grundsiche-
rung muss uns alle alarmieren. Die Anzahl der Men-
schen, die lange gearbeitet haben und trotzdem auf
Grundsicherung angewiesen sind, wird stark steigen. Be-
reits in der ersten Lesung habe ich die Frage gestellt:
Warum lassen wir, verdammt noch mal, die Menschen
nicht mit ihrer Hände Arbeit eine armutsfeste Rente erar-
beiten, indem wir hier im Hause die Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohns beschließen?


(Beifall bei der LINKEN)


Es hilft nicht, die Verdienstgrenze bei Minijobs von
400 auf 450 Euro anzuheben. Eine Kollegin hat einmal





Katrin Kunert


(A) (C)



(D)(B)


vorgerechnet: Man müsste 200 Jahre arbeiten, um über-
haupt das Grundsicherungsniveau zu erreichen. Es gibt
auch in Zukunft keinen Weg weg von der Grundsiche-
rung. Die Linke sagt: Wir wollen den Mindestlohn, und
wir wollen das System der Rentenversicherung endlich
sozial, solidarisch und gerecht gestalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Rente muss zum Leben reichen. Das Rentenniveau
muss angehoben werden. Wir wollen die in der Renten-
anpassungsformel enthaltenen Kürzungen streichen. Wir
wollen die Rente in Ost und West endlich gleich gestal-
ten.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Längst überfällig!)


Dazu gehört auch, dass wir die Rente mit 67 abschaffen
wollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720412200

Vielen Dank, Frau Kollegin Katrin Kunert. – Nächste

Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen un-
sere Kollegin Frau Britta Haßelmann. Bitte schön, Frau
Kollegin Britta Haßelmann.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720412300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und

Herren! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Frau
Ministerin! Wenn wir das Gesetz gleich beschließen –
mit einer ziemlich großen Mehrheit des Deutschen Bun-
destages –, dann bewirkt dies eine wirkliche Verbesse-
rung für die Städte und Gemeinden. Denn die Kommu-
nen werden an einer ganz zentralen Stelle massiv
dadurch entlastet, dass die Ausgaben für die Grundsiche-
rung im Alter und bei Erwerbsminderung demnächst zu
100 Prozent vom Bund übernommen werden. Das ist aus
meiner Sicht absolut richtig, weil klar ist, dass nicht die
Kommunen die Verantwortung für Altersarmut und pre-
käre Beschäftigungssituationen tragen, die die Grund-
sicherung im Alter erst erforderlich machen, sondern der
Bund. Wir müssen gesamtgesellschaftlich die Verant-
wortung übernehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Von daher wird auch meine Fraktion heute diesem
Gesetzentwurf zustimmen. Ich finde das gut und richtig.
Die Kommunen und die Menschen, die vor Ort Politik
machen und dort leben, sowie die dort hauptamtlich täti-
gen Menschen wissen, dass die Übernahme der Kosten
für die Grundsicherung im Alter durch den Bund tat-
sächlich eine Entlastung ist.

Ich finde es unangemessen, dass hier argumentiert
wird: Dieses Gesetz ist allein von CDU/CSU und FDP
auf den Weg gebracht worden. Nein, das ist natürlich
nicht so. Das wissen Sie auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie das doch einfach, und sagen Sie nicht stän-
dig: Wir haben das Förmchen heute erfunden.

Die Kommunalos wissen genau, dass sie diese Leis-
tungen des Bundes brauchen; denn die Finanzsituation
der Kommunen ist ziemlich dramatisch. Wir haben auf
der einen Seite Steuermehreinnahmen, die, gesamt be-
trachtet, auch bei den Kommunen auflaufen. Es gibt aber
auf der anderen Seite eine unglaubliche Entwicklung hin
zu einer Zweiklassengesellschaft bei den Kommunen.
Einerseits gibt es Steuermehreinnahmen, gleichzeitig ha-
ben wir aber immer mehr Kommunen, die sich in Haus-
haltsnotlagen befinden, die Notlagegesetze anwenden
und die auf Kassenkredite angewiesen sind, die sich in
Deutschland auf insgesamt über 44 Milliarden Euro be-
laufen. Darauf ist man in diesen Kommunen nicht stolz;
denn das bedeutet Mangelverwaltung. Wir haben es also
mit einer totalen Spaltung zu tun.


(Zuruf der Abg. Gisela Piltz [FDP])


Deshalb ist die Frage der Bundesanteile gerade für diese
Kommunen so wichtig und so bedeutend.

Herr Kober, gerade die Politik der FDP hat nichts
dazu beigetragen, dass es den Städten und Gemeinden
besser geht. Ich frage nur: Wer stand bis vor kurzem hier
im Haus in der Frage der Abschaffung der Gewerbe-
steuer noch in der ersten Reihe? Das war Ihre Fraktion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Frau Piltz, so etwas kann man locker fordern, wenn man
aus Düsseldorf kommt, wo man von einem großen
Speckgürtel profitiert und natürlich über ausreichende
Steuereinnahmen verfügt.


(Widerspruch bei der FDP)


Das aber ist nicht die Realität vieler Kommunen in
Deutschland.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720412400

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Blumenthal?


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720412500

Gern, wenn er mich etwas fragen möchte.


Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1720412600

Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen. – Sie haben uns eben unterstellt, wir wür-
den die Kommunen schwächen, indem wir ihnen die
Gewerbesteuer wegnehmen wollen. Können Sie uns be-
stätigen, dass der Sachstand so aussieht, dass die FDP in
einem Alternativkonzept gesagt hat, dass der Hebesatz
und Zuschlagsmöglichkeiten bei anderen Steuerarten für
die Kommunen gewährleistet sind? Können Sie bestäti-
gen, dass das unser Alternativvorschlag war, der den
Kommunen sehr wohl eine finanzielle Grundlage gebo-
ten hat? Es gibt also eine Alternative. Sind Sie bereit,
das zur Kenntnis zu nehmen und hier richtigzustellen?


(Gisela Piltz [FDP]: Nein, das hat sie noch nie verstanden! Das hat nichts geholfen! – Sebastian Blumenthal Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Supervorschlag! Da waren alle ganz begeistert von Ihnen!)





(A) (C)


(D)(B)



Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720412700

Wissen Sie, ich beschäftige mich schon ziemlich

lange mit dem Thema Kommunen. Ich habe selbst elf
Jahre lang Kommunalpolitik gemacht.


(Gisela Piltz [FDP]: Hat aber nichts geholfen!)


– Frau Piltz, Sie hätten sich Redezeit verschaffen kön-
nen, wenn Sie etwas sagen wollen. Sie können mich
auch noch etwas fragen.

Ich weiß, dass die Kommunen vor Ort die Gewerbe-
steuer sehr schätzen. Genauso sind sehr viele Unterneh-
men bereit, Gewerbesteuer zu zahlen, weil sie wissen,
dass sie Verantwortung für ihr Gemeinwesen tragen, und
weil sie das Band zwischen Kommunen und Wirtschaft
vor Ort durch die Gewerbesteuer gesichert sehen.


(Sebastian Blumenthal [FDP]: Das ist nicht meine Frage!)


Das, was Sie wollten, haben sowohl die kommunalen
Spitzenverbände als auch die grün und rot regierten Län-
der völlig verrissen. Auch den CDU/CSU-Kommunalos
wurde klar, dass Ihr Modell der Einkommensteuer- und
Hebesatzberechnungen dazu führt, dass der Wettbewerb
unter den Kommunen massiv zunimmt.


(Gisela Piltz [FDP]: Oje!)


Kommunen wie Düsseldorf mit hohem Einkommensteu-
eraufkommen hätten natürlich davon profitiert; das
wissen Sie alle ganz genau. Die kommunalen Spitzen-
verbände haben eine vernichtende Stellungnahme abge-
geben. Deshalb haben wir in der Gemeindefinanzkom-
mission gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen
und der CDU/CSU verhindert, dass dieses Projekt Reali-
tät wurde. Darüber bin ich heilfroh. Dieses Projekt ist
beerdigt, zumindest bis zum Ende dieser Legislaturpe-
riode. Danach wird es, glaube ich, keine Rolle mehr
spielen, weil dann auch die FDP keine Rolle mehr spie-
len wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zur Frage nach den Bundesanteilen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720412800

Sie werden förmlich bedrängt, Frau Kollegin. Gestat-

ten Sie eine weitere Zwischenfrage?


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720412900

Wenn wir hier einen Kurs in Gewerbesteuer oder

Steuerpolitik geben wollen, dann können wir das gerne
machen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720413000

Alle weiteren möglichen Nachfrager darf ich daran

erinnern, wie lange der heutige Plenartag noch dauert.


(Gisela Piltz [FDP]: Was können wir dafür, dass Frau Haßelmann das nicht versteht?)


Bitte schön, Kollege Kolb, Sie haben das Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1720413100

Frau Kollegin Haßelmann, zwar konnten Sie die

Frage des Kollegen Blumenthal nicht beantworten,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hat sie doch!)


aber vielleicht können Sie mir ja folgende Frage beant-
worten, da Sie sich hier als Kommunalfreundin präsen-
tieren: Die Entlastung der Kommunen durch die Über-
nahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter war
Ergebnis der überfraktionellen Gespräche Anfang des
letzten Jahres im Zusammenhang mit der Hartz-Reform.
Können Sie mir erklären, warum die Kommunalfreunde
von den Grünen sich damals in einer Nacht-und-Nebel-
Aktion aus dem Konsens mit den anderen Fraktionen
verabschiedet haben und diese Regelung im Ergebnis
gar nicht mitgetragen haben? Das ist angesichts Ihres
Auftretens hier sehr erstaunlich.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hatte seine Gründe! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Fehler war, dass Sie überhaupt erst mitgemacht haben!)



Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720413200

Das kann ich Ihnen gerne erklären, Herr Kolb. Ich bin

froh, dass Sie im Gegensatz zu Herrn Kober gesagt ha-
ben, dass das ein Ergebnis von uns allen war.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, Sie waren am Ende nicht mehr dabei! Ihr wart weg!)


Halten wir einmal fest: Im Vermittlungsausschuss dis-
kutierten Bund und Länder über das Bildungs- und Teil-
habepaket. Auch die Kommunen waren beteiligt. Die
Ministerin kann bestätigen, dass auch die kommunalen
Spitzenverbände befragt worden sind. Es ist doch klar,
dass auch mit den kommunalen Spitzenverbänden aus-
führlich über das Bildungs- und Teilhabepaket diskutiert
worden ist. Wir haben die Übernahme der Kosten für die
Grundsicherung im Alter von Anfang an begrüßt. Wären
sie Mitglied im Unterausschuss Kommunen wie Herr
Götz oder andere, dann wüssten Sie, dass wir dort über
das Thema soziale Kosten immer positiv diskutiert ha-
ben. Dann wüssten Sie, dass wir immer gesagt haben,
dass neben der Zukunft der Eingliederungshilfe insbe-
sondere die Grundsicherung im Alter und die diesbezüg-
liche Verantwortung des Bundes eine große Rolle spie-
len. Das war schon immer unsere Position.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nur zugestimmt haben Sie nicht!)


– Sie wollten, dass ich Ihre Frage beantworte. – Die Grü-
nen sind erst aus den Verhandlungen ausgestiegen, als
klar war,





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass die anderen alle zustimmen!)


dass Sie dieses mit Bürokratie völlig überlastete Bil-
dungs- und Teilhabepaket konzipieren würden.


(Pascal Kober [FDP]: Das ist definitiv falsch! Das kann man nachlesen!)


Herr Kolb, ich möchte es Ihnen gerne erklären: Es war
klar, dass ein ganz erheblicher Teil der Mittel für Ver-
waltungs-, für Bürokratiekosten aufgewendet wird und
nicht bei den Betroffenen ankommt.

Heute können wir feststellen, dass es viele Schwierig-
keiten bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepa-
ketes gibt. Das zeigt, dass viele unserer Gründe, über die
wir damals mit Ihnen diskutieren wollten, absolut ge-
rechtfertigt waren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es wird nicht besser!)


Das belegen ganz offensichtlich auch die Berichte des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.


(Marco Buschmann [FDP]: Sie waren nicht dabei! Darauf läuft es hinaus!)


Vielleicht darf ich noch kurz ausführen, dass der Ge-
setzentwurf zur Grundsicherung im Alter, um den es
jetzt hauptsächlich geht, an drei Punkten nachgebessert
worden ist. Das finde ich gut und richtig. Das erleichtert
uns die Zustimmung.

Zum einen geht es um die Frage der regionalen Re-
gelsätze. Darüber hatten wir diskutiert, insbesondere am
Beispiel von München, wo die Regelsätze höher sind als
im übrigen Bundesgebiet.

Der zweite Punkt ist die Spitzabrechnung. Im ersten
Gesetzentwurf, auch im ersten Gesetz zur Grundsiche-
rung im Alter, war der Vorvorjahresabzug vorgesehen.
Er wurde auch praktiziert. Das war für die Städte und
Gemeinden natürlich sehr schwierig, weil gerade die
Kosten der Grundsicherung im Alter stark schwanken.
Deshalb würden bei den Kommunen unglaublich große
Defizite auflaufen, wenn wir keine Spitzabrechnung ma-
chen würden. Ich begrüße es sehr, dass wir uns auf diese
Lösung verständigt haben.

Dritter Punkt. Wir haben im Unterausschuss Kommu-
nen betont – das stimmt mich hoffnungsvoll –, dass wir
weiter über die monatliche Kostenerstattung diskutieren
wollen. Gerade weil die Leistungen so schwankend sind,
ist das für die Städte und Gemeinden sehr wichtig.

Es ist also im Endeffekt ein positives Ergebnis. Alle
haben dazu beigetragen. Frau Kunert, das Thema, das
Sie angesprochen haben, werden wir weiterverfolgen.
Ich glaube, es ist absolut notwendig, darüber zu sprechen
– das wurde im Unterausschuss Kommunales und auch
im Ausschuss für Arbeit und Soziales deutlich –, aber es
rechtfertigt aus grüner Sicht nicht eine Ablehnung oder
Enthaltung bei der Abstimmung über diesen Gesetzent-
wurf; denn wir finden es gut, dass jetzt diese Entlastung
bei der Grundsicherung im Alter in Höhe von circa 4 bis

4,5 Milliarden Euro erfolgt. Deshalb werden wir zustim-
men.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720413300

Vielen Dank, Frau Kollegin Britta Haßelmann. –

Nächster Redner in unserer Aussprache ist der Kollege
Peter Götz für die Fraktion der CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1720413400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube,
man kann es nicht oft genug sagen: Heute ist ein guter
Tag für die Kommunen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Bundesregierung hat zugesagt, die Kommunen
deutlich stärker als bisher finanziell zu unterstützen und
zu entlasten. Dieses Versprechen lösen wir heute ein. Die
Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Er-
werbsminderung ist ein wichtiger Schritt zum Erfüllen
dieser Zusage. Im vergangenen Jahr haben wir – das
wurde vorhin bereits erwähnt – mit dem ersten Gesetz
zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen den Bun-
desanteil für 2012 von 16 auf 45 Prozent angehoben.
2013 erhöhen wir den Anteil des Bundes auf 75 Prozent.
Ab 2014 übernimmt der Bund die vollen Kosten für die
Grundsicherung von den Kommunen. Allein bis 2016
bedeutet diese Kostenübernahme eine neue zusätzliche
Entlastung in einer Größenordnung von 20 Milliarden
Euro. Ich wiederhole: 20 Milliarden Euro. Dies ist unbe-
stritten die größte Entlastung der Kommunen in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland. Dafür sollten
wir dankbar sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein Zweites kommt hinzu. Profitieren werden von
dieser besonderen Entlastung vor allem die Kommunen,
die unter ganz drängenden Finanzproblemen leiden, weil
sie strukturelle Probleme haben, weil sie besondere
Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben und vieles
andere mehr. Wir reden über Kosten der Städte, Gemein-
den und Kreise – auch diese Zahl wurde vorhin schon
genannt, aber sie kann nicht oft genug wiederholt wer-
den – in Höhe von über 4 Milliarden Euro pro Jahr. Sie
werden sich überproportional dynamisch nach oben wei-
terentwickeln.

Nur zur Vermeidung von Geschichtsverfälschung:
Mit der heutigen Entscheidung wird ein besonders kom-
munalfeindlicher Akt der früheren rot-grünen Bundes-
regierung aus dem Jahr 2001 rückgängig gemacht und
damit endgültig beseitigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)






Peter Götz


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kollegin Haßelmann, in der rot-grünen Regie-
rungszeit wurden die Kassen der Städte, Gemeinden und
Landkreise systematisch geplündert.


(Bernd Scheelen [SPD]: Überhaupt gar nicht!)


Ich belege dies auch mit Zahlen, Herr Scheelen. Dies
führte im Jahr 2003 zu dem historischen Tiefpunkt der
Kommunalfinanzen mit einem bundesweiten Defizit von
über 8 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich nicht um
die Folgen einer weltweiten Finanzmarkt- und Wirt-
schaftskrise, sondern um die Folgen einer kommunal-
feindlich gestalteten Bundespolitik. Noch nie hat eine
Bundesregierung so viel für die Kommunen getan wie
die Regierung unter Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Mit der Entlastung der Kommunen bei den Sozialaus-
gaben durch den Bund wird der Paradigmenwechsel in
der Bundespolitik für jeden sichtbar. In der nächsten
Legislaturperiode wollen wir die Kommunen bei den
Kosten der Eingliederungshilfe ebenfalls entlasten. Die
Unterstützung von Menschen mit Behinderung ist eine
gesamtgesellschaftliche und keine kommunale Aufgabe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bereits in diesem Jahr wird sich die Finanzsituation
vor Ort erheblich verbessern. „Fast alle Kommunen
konnten ihre Finanzsituation … verbessern“, stellt der
Deutsche Städtetag in seinem aktuellen Finanzbericht
fest. Nach Einschätzung des Bundesfinanzministeriums
wird sich dieser Haushaltsüberschuss bis 2016 kontinu-
ierlich auf über rund 5,5 Milliarden Euro steigern. Die
gute Zukunftsperspektive ist nicht nur auf die schritt-
weise Umsetzung der Ergebnisse der Gemeindefinanz-
kommission, sondern ohne Frage auch auf die gute Kon-
junktur zurückzuführen. Für die nächsten Jahre können
die Gemeinden damit rechnen, dass ihre Steuereinnah-
men jedes Jahr um 3 Milliarden Euro wachsen. Da nicht
alle Kommunen gleichermaßen davon profitieren, ist die
milliardenschwere Entlastung bei den Sozialausgaben
besonders wichtig.

Wir danken an dieser Stelle Bundesfinanzminister
Schäuble, dass er – in einer für den Bund haushaltspoli-
tisch sicherlich schwierigen Zeit – bereit war, diese dy-
namisch steigenden Kosten zu übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Haßelmann, Sie haben recht: Natürlich gibt es
arme und reiche Kommunen; das ist überhaupt keine
Frage. Nach wie vor gibt es – vor allem im Ruhrgebiet
und in Rheinland-Pfalz – Kommunen, denen es unmög-
lich ist, den Haushalt aus eigener Kraft auszugleichen.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Bochum!)


– Bochum ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür: Bo-
chum muss wie viele andere Städte im Ruhrgebiet die
laufenden Kosten mit Kassenkrediten finanzieren.


(Bernd Scheelen [SPD]: Wie in NRW zu Zeiten von Jürgen Rüttgers!)


In einigen Ländern müssen die Kommunen zur
Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche bedauerli-
cherweise immer wieder auf die Hilfe der Landesverfas-
sungsgerichte zurückgreifen, zum Beispiel in Rheinland-
Pfalz, wo die SPD-geführte Landesregierung vom Ge-
richt dazu gezwungen wird, zugunsten der Kommunen
nachzubessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein
weiteres ärgerliches Problem ansprechen, das zuneh-
mend um sich greift: Aufgrund der sehr positiven finan-
ziellen Entwicklung der Kommunen wachsen bei eini-
gen Ländern Begehrlichkeiten, den Kommunen das
zusätzliche Geld, das sie vom Bund bekommen, an ande-
rer Stelle wieder abzuziehen.


(Gisela Piltz [FDP]: Wie in NordrheinWestfalen!)


Das dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Entlastung, die wir heute beschließen, muss voll-
ständig bei den Kommunen ankommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Vielen Dank für Ihren Beifall. – Die Länder dürfen
sich nicht zulasten der Kommunen bereichern. Ich
denke, in dieser Frage sind wir uns alle einig.


(Gisela Piltz [FDP]: Ja!)


Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben,
ihre Heimat selbst zu gestalten. Dazu gehören Finanzau-
tonomie und eine angemessene finanzielle Ausstattung
der Kommunen. Mit diesem Gesetz leisten wir einen
hervorragenden Beitrag für starke Städte, Gemeinden
und Landkreise. Deshalb werbe ich für eine breite Zu-
stimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720413500

Für die SPD hat Kirsten Lühmann jetzt das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1720413600

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolle-

ginnen! Verehrte anwesende Gäste! Ich freue mich,
heute einem Gesetz zustimmen zu können, durch das die
Kommunen entlastet werden. Allerdings musste ich bei
der Debatte wieder verwundert zur Kenntnis nehmen,
dass auch diesmal Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen
von der Koalition, die Vaterschaft für dieses Gesetz be-
anspruchen. Wenn wir jetzt einmal einen entsprechenden
Test machen, werden wir vielleicht feststellen, dass Sie
gar nicht die Erzeuger dieses Gesetzes sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


Wir freuen uns trotzdem, dass Sie sich zu einer Adoption
entschlossen haben, und wollen Sie dabei tatkräftig un-
terstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In der ersten Lesung war von der größten Entlastung
der letzten Jahrzehnte die Rede. In dieser Lesung habe
ich gelernt, es sei die größte Entlastung in der Ge-
schichte der Bundesrepublik. Wie sieht die Realität aus?
Schauen wir uns die Bilanz der schwarz-gelben Bundes-
regierung an, was eine Entlastung der Kommunen
angeht: Absenkung der Erstattung der Kosten der
Unterkunft: minus 400 Millionen Euro jährlich. Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz: minus 1,6 Milliarden Euro
jährlich.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das liegt daran, dass es weniger Bedarfsgemeinschaften gibt!)


Änderungen bei der Unternehmensteuer: minus 800 Mil-
lionen Euro jährlich. Das summiert sich während Ihrer
Regierungszeit zu einem Minus von 11 Milliarden Euro
in den Kassen der Kommunen.


(Bernd Scheelen [SPD]: Hört! Hört!)


Wenn man davon die 4 Milliarden Euro, um die die
Kommunen jetzt entlastet werden sollen, abzieht, bleibt
immer noch ein Minus von 7 Milliarden Euro. Es ist un-
anständig, dies als größte Entlastung in der Geschichte
der Bundesrepublik zu bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dabei haben Sie noch nicht einmal alle Projekte
umgesetzt, die in Ihrem Koalitionsvertrag stehen. Wir
haben heute schon ausgiebig darüber gesprochen, wie
die Gewerbesteuer durch alternative Modelle ersetzt
werden könnte. Die Betroffenen haben diese Alternati-
ven einhellig abgelehnt.

Wie sieht es mit der Mutterschaft für dieses Gesetz
von der linken Hälfte dieses Hauses aus? Wir haben
schon mehrfach festgestellt, dass es Verhandlungen im
Rahmen des Bildungspaketes waren, in denen die ent-
sprechenden Länder – für uns verhandelte Manuela
Schwesig – der Bundesregierung diese Entscheidungen
abgerungen haben. Die Entscheidung wurde deutlich ab-
gerungen und fiel nicht freiwillig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hinterher haben Sie versucht, diese Einigung als
einen Erfolg der Gemeindefinanzkommission zu verkau-
fen. Natürlich mussten Sie das; denn sonst hat die Ge-
meindefinanzkommission ja nichts zustande gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Götz [CDU/CSU]: Aber immerhin!)


Auch die jetzige Veränderung des Auszahlungsmodus
ist Ihnen nicht plötzlich eingefallen, sondern auch diese
Veränderung wurde Ihnen in den Verhandlungen mit den
Ländern zum Fiskalpakt abgetrotzt. Auch hier sind nicht
Sie die Eltern, sondern wir von der linken Seite dieses
Hauses. Das muss man einmal ganz deutlich so sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gisela Piltz [FDP]: Interessant: Die Linke ist dagegen, und die Grünen machen nicht mit! Das ist entweder Größenwahnsinn oder ich weiß es nicht!)


Was heißt das? Wenn diese Änderung nicht gekom-
men wäre, wären den Kommunen aufgrund von Bu-
chungstricks Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro
jährlich nicht erstattet worden, obwohl Sie behaupten,
100 Prozent zu erstatten. Sie wären darauf sitzen geblie-
ben. Im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf – das wurde
mehrfach erwähnt – wird das verändert. Es gibt jetzt eine
Dreimonatsfrist, das heißt, die Kommunen finanzieren
noch immer vor, aber nicht mehr so lange, und das fin-
den wir gut.


(Beifall bei der SPD)


In diesem Zusammenhang bedanke ich mich recht
herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit im Unter-
ausschuss Kommunales. Wir haben mehrere Probleme,
die in einem Antrag der SPD und auch von anderen
Fraktionen angesprochen wurden, behandelt.

Wir haben über behinderte Kinder und über klebrige
Finger einiger Länder, die es möglicherweise geben
könnte, gesprochen. Mir fallen dabei auch andere ein, als
hier heute genannt wurden. Wir haben uns einvernehm-
lich darauf verständigt, dass wir dieses Thema noch ein-
mal auf die Tagesordnung rufen, wenn der jetzt zu bera-
tende Gesetzentwurf Gültigkeit hat. Das heißt, wir
werden uns in sechs Monaten wieder zusammensetzen
und schauen, was wir noch verbessern können.

Eine Verbesserung haben wir schon ausgehandelt. Sie
kommt leider nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Ich
meine den Einstieg des Bundes in die Übernahme der
Kosten für die Eingliederungshilfe, was auch im Rah-
men der Verhandlungen über den Fiskalpakt besprochen
wurde. Es geht hier immerhin um eine Belastung der
Kommunen von jährlich 14 Milliarden Euro. Wenn wir
hier in der nächsten Legislaturperiode unter einer SPD-
geführten Bundesregierung


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gott behüte! – Peter Götz [CDU/CSU]: Keine Drohung gegenüber den Kommunen!)


einen Schritt weiter sind, dann können wir endgültig sa-
gen: Dies ist ein guter Tag für die Kommunen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720413700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11382, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf Drucksachen 17/10748 und 17/11055 in der





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen. – Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten, alle anderen
Fraktionen haben zugestimmt.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen will, der möge sich erheben. – Die Gegenstim-
men! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Gesetzentwurf
bei gleichem Stimmverhältnis wie vorher angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesmittel zur
Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung 1 : 1 an die Kommunen weiterrei-
chen“.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss auf Drucksache 17/11382, diesen
Antrag auf Drucksache 17/8606 abzulehnen. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! –
Die Enthaltungen! – Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen. Die Koalitionsfraktionen haben zu-
gestimmt, die Fraktion Die Linke war dagegen, Bünd-
nis 90/Die Grünen und SPD haben sich enthalten.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Für eine Neubelebung und Stärkung der
transatlantischen Beziehungen

– Drucksachen 17/9728, 17/10169 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Beyer
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


Vorgesehen ist es, hierzu eine Stunde zu debattieren. –
Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Dr. Rainer
Stinner hat das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1720413800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich die Berichterstattung der letzten Monate
beiderseits des Atlantiks über die jeweilige andere Seite
anschaut, dann kommt man nur ins Staunen. Auf beiden
Seiten sieht man dasselbe Bild: Der jeweils andere ist im
Abschwung begriffen, „in decline“. Das ZEITmagazin

hat im letzten Jahr das Bild veröffentlicht: „Europe in
Decline“. Der Spiegel hat in dieser Woche das Bild ver-
öffentlicht: „America in Decline“:


(Der Redner hält zwei Bilder hoch)


Das heißt, auf beiden Seiten des Atlantiks haben wir
offensichtlich die Anschauung, dass es dem anderen
schlecht geht und er unabwendbar vor dem kurzfristigen
Untergang steht.

Meine Damen und Herren, diese Bilder sind falsch.
Europa ist nicht „in decline“, im Abschwung, sondern
Europa ist nach wie vor, trotz aller Probleme, die wir ha-
ben und die wir gar nicht verschweigen wollen, für viele
Regionen der Welt ein Modellfall. Viele in aller Welt fra-
gen uns ganz neidisch: „Wie habt ihr es in Europa ge-
schafft, aus der kriegerischen Region eine Region des
Friedens, der Freiheit und des Wohlstands zu machen?“

Auch das Bild von Amerika im Abschwung, „in de-
cline“, ist falsch. Jawohl, es gibt viele Probleme, die aber
werden in diesem Bild zusammengemixt; das betrifft
willkürlich alle Probleme, ob das die Schuldenkrise ist,
ob das Guantanamo ist oder ob das soziale Probleme
sind. All das wird zusammengebündelt, und daraus wird
dieses negative Bild zusammengesetzt.

Amerika heißt aber auch, dass nach wie vor bis zum
heutigen Tage die besten Studenten der Welt danach stre-
ben, in Amerika ausgebildet zu werden. Amerika heißt
nach wie vor, dass die amerikanischen Universitäten bei
den Rankings immer in der Spitzengruppe zu finden
sind. Amerika heißt auch, dass Technologieerfindungen,
dass ganze Industrien, wie zum Beispiel die Kommuni-
kationsindustrie, von Amerika aus ganz prägend gestal-
tet werden. Von daher ist dieses Bild, dass Amerika im
Niedergang sei, völlig falsch und völlig einseitig.


(Beifall bei der FDP)


Es ist also hohe Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass auch wir gerade in Deutschland vom hohen Baum
des Hochmuts herunterkommen und uns mit der Situa-
tion beschäftigen, wie sie ist, und mit den Möglichkeiten
der Kooperation mit Amerika. Insoweit ist sicherlich die
Wiederwahl Obamas ein positives Zeichen. Wir wissen,
woran wir sind. Obama hat im Gegensatz zu seinem Vor-
gänger ein anderes Prinzip der Kooperation und Konzen-
tration eingeführt, das sehr gut ist, nicht vollständig und
nicht perfekt, aber immerhin. Deshalb haben wir alle
Chancen, mit Amerika zusammenzuarbeiten.

Ich halte dafür, dass aus amerikanischer Sicht, wenn
man denn dort überhaupt glaubt, Partner auf der Welt zu
brauchen – manche in Amerika glauben das ja nicht,
aber die Mehrzahl glaubt es halt –, Europa auch in Zu-
kunft der natürliche Partner der Vereinigten Staaten sein
wird. Darauf können und darauf sollen wir aufbauen.

Ich gehe zunächst auf die bilateralen Beziehungen
ein. Hier sehe ich eine ganz große Aufgabe auf uns zu-
kommen, eine Schwerpunktaufgabe, die große Folgen
haben könnte, nämlich die Verabschiedung eines Frei-
handelsabkommens zwischen der Europäischen Union
und den Vereinigten Staaten von Amerika.





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)


Ich glaube, dass die Mächtigkeit dieses Themas noch
in weiten Teilen unterschätzt wird. Es geht nämlich bei
dem Abschluss eines Freihandelsabkommens um viel
mehr als nur darum, auf beiden Seiten des Atlantiks
wirtschaftlich neue Impulse zu setzen, die ja ohne jeden
Zweifel vorhanden wären. Es geht auch darum, gemein-
sam zu zeigen, dass wir bei einem solch wichtigen
Thema zusammenarbeiten können. Überall auf der Welt
werden Freihandelsabkommen geschlossen. Das Signal,
das von einem europäisch-amerikanischen Freihandels-
abkommen ausgehen würde, von einer großen wirt-
schaftlichen Zone, wäre sicherlich sehr prägend auch für
andere Teile dieser Welt.


(Beifall bei der FDP)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Amerika
bekommen wir deutliche Signale: „Jawohl, wir sind be-
reit, wir wollen ein solches Freihandelsabkommen ab-
schließen. Aber wir werden mit Verhandlungen nicht be-
ginnen, wenn wir nicht ganz sicher sind, dass wir diese
auch abschließen können.“ Man befürchtet also, dass
man vor Verhandlungen auf beiden Seiten in Gefahr ist,
irgendwelche unüberwindbaren Hindernisse aufzubauen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
gefällt mir Ihr diesbezüglicher Satz, dass wir dafür sor-
gen sollten, die fortschrittlichsten Regelungen für alles
Mögliche einzubeziehen, nicht so richtig. Erstens: Wer
definiert Fortschritt? Zweitens: Das war immer die SPD;
das ist bekannt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber das hat sich weltweit vielleicht noch nicht herum-
gesprochen. Von daher plädiere ich dafür, in Sachen Vor-
bedingungen Vorsicht walten zu lassen; denn das Ab-
kommen ist meines Erachtens sehr wichtig.

Das Niveau von bilateralen Beziehungen erhöht sich,
wenn man nicht nur über bilaterale Probleme spricht,
sondern wenn man gemeinsam auch darüber spricht, wie
man in der Welt agiert. Hier haben die Europäer und die
Amerikaner noch ein weites Feld vor sich und weitere
Möglichkeiten, die wir entsprechend nutzen sollten. Ich
bin dafür, dass wir in dem Fall der europäisch-amerika-
nischen Partnerschaft wirklich von einer strategischen
Partnerschaft sprechen können. Das Wort wird zum Teil
inflationär gebraucht. Hier ist es wirklich angebracht,
weil wir tatsächlich eine gemeinsame Basis haben, von
der aus wir die Welt betrachten können.

In Amerika hat es jetzt diesen „pivot“, die Hinwen-
dung nach Asien gegeben. Die Frage ist: Bedrängt uns
das? Ich sage Nein, das bedrängt uns nicht. Das ist eine
ganz natürliche Bewegung. Zur Erinnerung: Amerika ist
immer eine pazifische Macht gewesen. Der Zweite Welt-
krieg ist über den Pazifik hinweg gestartet worden. Ich
erwähne den Koreakrieg, den Vietnamkrieg. Vielfältige
amerikanische Beziehungen nach Asien sind seit Jahr-
zehnten vorhanden. In Asien spielt heute eben die Mu-
sik. Von daher ist das für uns meines Erachtens keinerlei
Bedrohung. Wir können damit sehr gut leben.

Die Wiederwahl von Präsident Obama gibt uns aber
auch die Möglichkeit, auf zwei Feldern voranzukom-

men, die uns sehr am Herzen liegen. Das erste Thema ist
der Klimaschutz, das zweite Thema ist die Abrüstung.
Meine Meinung ist, dass ein anderer Ausgang der Wahl
in Amerika es uns in beiden Fällen wesentlich schwerer
gemacht hätte, auf diesen beiden wichtigen Feldern voran-
zukommen. Von daher begrüßen wir es, dass wir es mit
einer Obama-2-Administration zu tun haben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich glaube, dass wir als Europäer auch in Zukunft gut
daran tun, mit unseren amerikanischen Freunden im
Rahmen der NATO eng zusammenzuarbeiten. Es ist
auch unter veränderten politischen Rahmenbedingungen
weltweit so, dass die NATO für uns beide, sowohl für
Amerika als auch für Europa, einen Wert als Sicherheits-
bündnis hat, nicht mehr und nicht weniger. Wenn unsere
Sicherheit dadurch gefördert wird, dann ist das umso
besser. Wir wollen daran weiter mitarbeiten.

Lassen Sie mich zum Schluss kurz auf die innenpoli-
tische Situation in Amerika eingehen.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Dafür liegt der Antrag ja vor!)


Wir erleben in Amerika eine Spaltung, wie sie größer nie
gewesen ist. Sie war schon immer da: Auch der erste
Präsident, den ich in Amerika erlebt habe, Nixon, war auf
der anderen Seite nicht gerade beliebt. Aber die jetzige
Spaltung ist größer als jemals zuvor.

Auch wenn wir jetzt nach der Wahl von beiden Seiten
versöhnliche Worte gehört haben, so bin ich nicht sicher,
ob es gelingt, die Spaltung zu überwinden; denn es ist
nicht so, wie es in Deutschland verkürzt dargestellt wird,
dass dabei nur die Republikaner durch ihre Blockade
schuld sind, sondern beide Seiten sind daran beteiligt.
Um es verkürzt auszudrücken: Wenn Sie sich Fox oder
MSNBC anschauen, dann können Sie, was das Geifern
und die Verunglimpfung des politischen Gegners angeht,
kaum Unterschiede in der Intonierung bemerken.

Vielleicht aber ist die kurzfristig größte Krise eine
Chance, um die langfristige Krankheit der Spaltung zu
überwinden. Die Krise besteht darin, dass dann, wenn
nichts passiert, am 2. Januar nächsten Jahres ein Auto-
matismus in Form von Kürzungen und Steuererhöhun-
gen eintritt. Wir wissen, dass weder Demokraten noch
Republikaner das wollen. Die Hoffnung ist, dass auf-
grund dieser schwierigen Lage eine Kooperation mög-
lich wird.

Ein starkes Amerika ist in unserem Interesse. Uns
verbindet die Geschichte. Uns verbindet gemeinsame
Kultur. Uns verbinden Werte wie Demokratie, Men-
schenrechte, die marktwirtschaftliche Ordnung und der
Rechtsstaat. Uns verbinden Interessen. Bei so viel Ge-
meinsamkeiten ist es nach meinem Dafürhalten nicht nur
Interessenpolitik, die uns verbindet, sondern ich sage es
zum Schluss so: Für mich persönlich ist es ein Herzens-
anliegen, dass wir weiterhin mit unserem amerikani-
schen Partner zusammenarbeiten: zum Wohle unserer
Völker und, soweit das möglich ist, zum Wohle der Welt.

Vielen Dank





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720413900

Philipp Mißfelder hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1720414000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Amerika hat
gewählt, und Deutschland hat in starkem Maß Anteil da-
ran genommen. Die Begeisterung gerade vieler Deut-
scher über die Wiederwahl von Barack Obama zeigt,
dass sich unsere Völker sehr nahe sind. Ich kenne kein
anderes Beispiel dafür, dass Menschen so lange wach
bleiben, um mit großer Spannung eine Wahl zu verfol-
gen, mit den Kandidaten mitzufiebern und sich letztend-
lich darüber zu freuen, dass sich der Wunschkandidat
– jedenfalls der meisten Deutschen, wenn man den Um-
fragewerten glauben kann – durchgesetzt hat.

Rainer Stinner hat es bereits angesprochen: Es gibt
sehr viele Stereotypen, die gegenseitig bedient werden.
Einerseits erwarten die Amerikaner von uns mehr Akti-
vität bei der Verschuldungskrise im Euro-Raum. Gegen-
seitiges Unverständnis herrscht an mancher Stelle in der
Geldpolitik. Manche Amerikaner erwarten von uns, die
Probleme durch eine radikale Inflationspolitik zu lösen.
Andererseits betrachten viele Europäer das amerikani-
sche Budget und die nach wie vor hohen Verteidigungs-
ausgaben mit großer Skepsis. Ich glaube, die Zerrbilder,
die auf beiden Seiten entstanden sind, haben auch etwas
damit zu tun, dass aufgrund der Spaltung Amerikas, die
offensichtlich ist – das wurde bereits angesprochen –,
ständig Extrembeispiele genannt werden. Peter Hintze
und ich haben vor ein paar Wochen an der Republican
Convention teilgenommen und haben gesehen, wie zer-
rissen diese Partei ist und wie die Tea Party teilweise
versucht, die Richtung und den Kurs der von sehr ver-
nünftigen Außenpolitikern geprägten republikanischen
Partei fundamental zu verändern. Das ist ein Zeichen da-
für, dass es in vier Jahren unter Barack Obama nicht ge-
lungen ist, das Land zu einigen. Nein, es ist an manchen
Stellen tiefer gespalten, als man erwartet hat. Das be-
trachten wir natürlich mit großer Sorge.

Vor dem Hintergrund, dass sich der Blick in der Ad-
ministration Obamas mehr in Richtung Pazifik richtet
– er selbst bezeichnet sich als ersten pazifischen Präsi-
denten der Vereinigten Staaten von Amerika –, hat die
althergebrachte Konstellation „Europa und die USA ge-
meinsam“ zwar keine Risse bekommen. Sie hat aber
nicht mehr die oberste Priorität. Das führt teilweise zu
einer Entfremdung. Diese muss allerdings nicht von
Dauer sein und muss uns auch nicht schaden, im Gegen-
teil. Ich glaube, dass die Wiederwahl von Barack Obama
in den USA die Chance bietet, die nicht behandelten
Themen aufzugreifen und für mehr Verständnis auf bei-
den Seiten des Atlantiks für den jeweils anderen zu wer-
ben. Die Bundeskanzlerin hat in ihren Gratulationswor-

ten deutlich gemacht, dass Herr Obama in Deutschland
nach wie vor sehr herzlich willkommen ist. Wir freuen
uns auf Barack Obama als wiedergewählten Präsidenten.
Wir freuen uns, wenn er die Bundesrepublik Deutsch-
land besucht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In den Vereinigten Staaten ist die Selbstdefinition der
Rolle der USA – das konnte man gerade in der dritten
Fernsehdebatte sehen – sehr wichtig. Wenn man beide
Kandidaten im Wahlkampf verfolgte, konnte man fest-
stellen, dass keiner davon gesprochen hat, dass Amerika
bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, im Ge-
genteil. Obama hat gestern in seinen Dankesworten da-
von gesprochen, dass er weiß, dass die Amerikaner nach
zehn Jahren Krieg in Afghanistan und im Irak nur eines
wollen: sich um ihre Probleme kümmern und die offenen
Fragen in den USA beantworten. Sie wollen nicht durch
weitere Interventionen in der Welt die Rolle des Welt-
polizisten übernehmen.

Das, was viele Europäer eingefordert haben, nämlich
dass die UNO an die Stelle der USA als Weltpolizist tritt,
wird nun in Erfüllung gehen. Leider zeigt Syrien als ak-
tuelles Beispiel, dass die UNO keineswegs die Kompe-
tenzen hat, entsprechende Probleme zu lösen. Zwar haben
wir 2005 die Responsibility to Protect eingeführt und
zum Schutz der Zivilbevölkerung das UNO-Statut geän-
dert. Nichtsdestotrotz führt die Blockade im UNO-Sicher-
heitsrat dazu, dass die UNO an dieser Stelle eher ein To-
talausfall ist und nicht als Weltpolizist eingreifen kann.
Das bezahlt gerade die Zivilbevölkerung in Syrien mit
ihrem Leben. Man kann lange darüber spekulieren, wa-
rum das der Fall ist, ob die Ursache dafür der Rückzug
der Amerikaner aus der Weltpolitik oder das verloren ge-
gangene oder mangelnde Vertrauen zwischen der westli-
chen Welt und China bzw. Russland gewesen ist. Da-
rüber kann man lange diskutieren. An all diesen Ver-
mutungen ist etwas dran. Aber wir als mittlere Macht in
Europa können es nicht hinnehmen, dass ein Fall wie
Syrien unerledigt im UN-Sicherheitsrat liegt. Wir dürfen
nicht wegschauen, sondern wir müssen das Thema mit
großer Ernsthaftigkeit begleiten.

Ich gehe davon aus, dass gerade von den Amerika-
nern erwartet wird, dass wir in Zukunft mehr Verantwor-
tung innerhalb der NATO übernehmen als weniger. Ich
bin gespannt darauf, welche Antwort unser Land und un-
sere Bevölkerung darauf geben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Erwartungshaltung der USA ist auf jeden Fall klar,
was die Agenda der NATO betrifft. In Sachen Sharing
und Pooling, das heißt Fähigkeiten zusammenführen und
Lasten teilen, ist die Erwartungshaltung in Washington
ganz klar, dass wir mehr leisten müssen. Ich weiß nicht,
ob alle dazu bereit sind. Ich glaube, dass die Grundsatz-
diskussion in unserem Land noch geführt werden muss,
ob wir militärisch, wirtschaftlich und auch finanzpoli-
tisch bereit sind, einen größeren Beitrag zu leisten.

Ich bin vergangene Woche in Boston und New York
gewesen.


(Zurufe von der SPD)






Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)


– Ich weiß nicht, wo Sie zuletzt waren; ich auf jeden Fall
war in der letzten Woche in den USA. – Ich habe mit
großem Interesse verfolgt, welche Debatten in den USA
geführt werden, insbesondere im geistigen Zentrum, der
Harvard University. Viele sprechen von „decline“. Rainer
Stinner hat gerade die europäischen und amerikanischen
Medien angesprochen. Ob nun Erfindungen von Ama-
zon, neue Technologien wie Facebook oder andere Inno-
vationen der Internetwirtschaft – alles kommt aus Ame-
rika. Ich kann allen nur das Buch The Quest von Yergin
empfehlen, in dem Sie nachlesen können, welche großen
energiepolitischen Herausforderungen Amerika gerade
meistert. Ich glaube, dass Amerika nach wie vor das in-
novativste und dadurch auch wirtschaftlich erfolg-
reichste Land der Welt ist und es auch bleiben wird. Des-
halb würde ich auch nicht von „decline“ sprechen;
Amerika ist vielmehr der wichtigste und beste Partner,
den sich Deutschland wünschen kann.

Ich komme auf meine Reise und den Besuch der Uni-
versität von Harvard zurück. Herr Kollege Klose, ich
habe dort sehr viele, zugegebenermaßen ältere Professo-
ren getroffen, die bewundernd über Ihre Arbeit gespro-
chen haben. Das gilt nicht nur für Karl Kaiser, der mit
Ihnen freundschaftlich verbunden ist, sondern auch für
viele amerikanische Professoren, die dort lehren. Sie ha-
ben von Ihrer großartigen Lebensleistung und Ihrer Tä-
tigkeit im Deutschen Bundestag gesprochen und betont,
wie sehr Sie sich für die Beziehungen unserer beiden
Staaten eingesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich im Namen unserer
Fraktion danken. Ich möchte Ihnen auch für die kollegi-
ale und menschlich wunderbare Zusammenarbeit über
die Parteigrenzen hinweg danken. Die Anerkennung, die
Sie in den USA genießen, muss erst einmal jemand aus
unserem Kreis und unserer Generation erwerben. Des-
halb möchte ich Ihnen, auch im Namen meiner Fraktion,
meinen ganz großen Respekt bekunden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720414100

Hans-Ulrich Klose hat jetzt das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1720414200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich denke, es war eine sehr kluge Entschei-
dung der Geschäftsführer, die Debatte über den SPD-
Antrag zu den transatlantischen Beziehungen auf die
Zeit nach den amerikanischen Wahlen zu schieben; denn
jetzt, einen Tag danach, wissen wir jedenfalls, mit wel-
chem Präsidenten und mit welchem Kongress wir es zu

tun haben: wie gehabt mit Barack Obama und mit einem
republikanischen Haus. Same procedure also?

Nein, meine Damen und Herren, nicht ganz. Der Prä-
sident hat weitere vier Jahre Zeit, um zu bewirken, was
er in den ersten vier Jahren nicht bewirken konnte, vor
allem dies: die Wirtschaft wieder voranzubringen und
die zunehmende Spaltung des Landes in sehr Reiche und
sehr Arme – eine gefährdete Mittelschicht dazwischen –
zu überwinden. Ob ihm das gelingen wird, hängt nicht
allein von seiner Führungskraft ab; es hängt auch ab von
der Bereitschaft der republikanischen Führung, sich aus
der Umklammerung von Tea Party und Grover Norquist
zu befreien. Ich weiß nicht, wer von beiden schwieriger
ist.

Auf deren Einsicht zu hoffen, halte ich für ziemlich
verwegen. Die republikanische Führung hat aber bei die-
ser Wahl – hoffe ich – gelernt, dass bedingungslose Kon-
frontation weder dem Land dient noch der republikani-
schen Partei. Es geht nicht ohne Kompromissbereit-
schaft und ein Mindestmaß an Bipartisanship.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gilt schnell zu lernen, meine Damen und Herren;
denn Amerika steuert zu auf das sogenannte „fiscal
cliff“. Wenn es zum Ende dieses Jahres keine Vereinba-
rung zur Haushaltspolitik gibt, kommt es durch Wegfall
von Steuervergünstigungen faktisch zu Steuererhöhun-
gen und zugleich zu kräftigen Einschnitten in den Haus-
halt. Die Rede ist von Einsparvolumina von circa 600 Mil-
liarden US-Dollar – Untergrenze.

Die Folgen solcher Einschnitte für die Wirtschaft wä-
ren gravierend. Sie abzuwenden und zugleich die Wei-
chen für mehr Wirtschaftswachstum und mehr Beschäf-
tigung zu stellen – darum geht es, übrigens nicht nur aus
amerikanischer Sicht. Für die ganze Welt ist es wichtig,
wie sich die amerikanische Wirtschaft entwickelt, auch
für uns. Denn noch immer ist Amerika für Europa der
wichtigste Handels- und Wirtschaftspartner – und umge-
kehrt. Amerikanische Investitionen sichern Arbeits-
plätze in Europa. Europäische, vor allem auch deutsche
Investitionen in den USA sichern dort amerikanische Ar-
beitsplätze.

Deutschland ist aus amerikanischer Sicht ein wichti-
ger ökonomischer Partner, nicht zuletzt weil Deutsch-
land in Amerika als Beispiel gesehen und sogar auch ein
bisschen bewundert wird, weil es uns bisher trotz massi-
ver Konkurrenz zum Beispiel aus China gelungen ist,
unsere produktive industrielle Basis zu behalten und so-
gar auszubauen.

Deutschland ist deshalb ein Partner, der bei der drin-
gend notwendigen Reindustrialisierung Amerikas helfen
kann, auch weil deutsche Firmen, die in den USA inves-
tieren, ihre Arbeitskräfte vor Ort finden und schulen. Ich
habe das vor einem Jahr in einem VW-Werk in Chatta-
nooga gesehen und zuletzt bei Stihl in Virginia Beach.

Die Zusammenarbeit ist rundherum gut und könnte
noch besser werden, wenn es, ja wenn es endlich ge-
länge, das Projekt einer transatlantischen Freihandels-





Hans-Ulrich Klose


(A) (C)



(D)(B)


zone in die Tat umzusetzen. Das ist nicht einfach, weil,
wenn es um Regeln und Standards geht, es auf beiden
Seiten des Atlantiks und, zugegeben, auch innerhalb der
EU deutlich unterschiedliche Auffassungen gibt. Der
Nutzen einer transatlantischen Freihandelszone wäre
aber groß. Deshalb hat die Bundesregierung sich wieder-
holt für die Errichtung einer solchen Freihandelszone
ausgesprochen. Auch der Kollege Polenz hat sich kürz-
lich noch einmal dazu geäußert – wie ich finde, zu
Recht. Denn es liegt auch an uns, das Projekt voranzu-
treiben. Die Amerikaner sehen jedenfalls Deutschland
als das europäische Powerhouse. Sie erwarten, dass
Deutschland seine ökonomischen Stärken politisch-stra-
tegisch nutzt, zum Vorteil Europas und des gesamten
Westens.

Meine Damen und Herren, die Zeiten westlicher Do-
minanz gehen zu Ende. Der Anteil westlicher Länder an
der Weltbevölkerung nimmt ab auf bald nur noch 12 bis
13 Prozent. Die westliche Führungsmacht Amerika
steckt in einer innenpolitischen Krise, die durch die
jüngsten Wahlen nicht einfach aufgelöst worden ist. In
den USA ist – nicht nur vereinzelt – die Rede von „dec-
line“, also Abstieg. Der Glaube, dass Demokratie und
Marktwirtschaft einander bedingen und wirtschaftlicher
Erfolg nur in einer Demokratie möglich sei, ist durch
China erschüttert.

China ist erfolgreich, aber ganz sicher keine Demo-
kratie. Das verursacht hier und da ideologische Kopf-
schmerzen. Manch einer erwartet, dass die westliche
Führungsmacht von China eingeholt und sogar überholt
werden könnte. Ich teile diese Besorgnis nicht. Ich kenne
mich in der amerikanischen Geschichte ein bisschen aus
und weiß, dass Amerika es mehr als einmal geschafft
hat, Zeichen von Schwäche und Konflikten zu überwin-
den. Jedenfalls hat Amerika nicht nur aus meiner Sicht
die deutlich besseren Chancen, seine Führungsposition
zu erhalten.

Amerika ist ein großes Land und verfügt, anders als
China, über reichhaltige Bodenschätze, vor allem über
ausreichend Energievorräte. Amerika ist, anders als
China, in der Lage, seine wachsende Bevölkerung aus
eigener Kraft zu ernähren und produziert Nahrungsmittel
über den eigenen Bedarf hinaus für den Export. Amerika
hat in seiner Nachbarschaft keine relevanten Feinde.
Amerika ist ein attraktives Land mit hohem Innovations-
potenzial; der Kollege Mißfelder hat darauf hingewie-
sen. Amerika ist ein Land mit freiheitlicher Verfassung,
ein freies Land, in dem jeder und jede eine Chance für
persönlichen Aufstieg hat. Nicht zuletzt deshalb ist
Amerika als Zuwanderungsland attraktiv für junge Men-
schen aus aller Welt. Und – um auch dies zu erwähnen –:
Amerika wird noch lange Zeit die stärkste Militärmacht
bleiben.

Ich glaube deshalb – um es noch einmal zu sagen –,
dass Amerika mit den neuen Herausforderungen fertig-
werden kann. Aber es bleibt auch richtig: Amerika und
der Westen sind herausgefordert. Wir müssen uns diesen
Herausforderungen stellen.

Amerika hat das lange vor Europa erkannt. Es hat sich
nach der Zeitenwende 1989/90 strategisch neu aufge-

stellt, schrittweise, aber konsequent Richtung Asien und
Pazifik. „Pivot to Asia“, das war die Kurzformel der
strategischen Neuausrichtung, in deren Verlauf sich der
amerikanische Präsident selbst einen pazifischen Präsi-
denten nannte. „Pivot to Asia“, das klang für manche eu-
ropäischen Ohren nach Abwendung von Europa, war
aber nie so gemeint und ist deshalb, um Missverständ-
nisse zu vermeiden, inzwischen durch das Wort „reba-
lancing“ ersetzt worden.

Das bedeutet Herstellung einer neuen Balance zwi-
schen andauerndem US-Engagement in Europa und ver-
stärktem Engagement der pazifischen Macht Amerika in
Asien, also ausdrücklich nicht Abwendung von Europa,
sondern die Zusicherung, auch künftig im NATO-Rah-
men in Europa engagiert zu bleiben, verbunden aller-
dings mit der Forderung an die Europäer, künftig mehr
zu tun, mehr Verantwortung zu übernehmen, und zwar,
Herr Kollege Mißfelder, in doppelter Hinsicht: Zum ei-
nen erwarten die Amerikaner von den Europäern einen
höheren, effektiveren Beitrag zur gemeinsamen Sicher-
heit. Das Missverhältnis zwischen amerikanischen
NATO-Aufwendungen, circa 70 Prozent, und denen der
Europäer, zusammen nur etwa 30 Prozent, ist offensicht-
lich und aus amerikanischer Sicht nicht akzeptabel.

Es geht aber nicht nur um Geld und Fähigkeiten, son-
dern auch um strategisches Burden Sharing. Amerika
will, dass sich die Europäer um die Probleme in der eu-
ropäischen Peripherie selbst kümmern. Amerika hilft,
wenn nötig, will aber nicht führen. Das war so im Fall
Libyen und wird, fürchte ich, so sein im Fall Mali. Weil
das so ist, macht es Sinn, dass sich die Europäer vorher
darüber verständigen, was sie mit welchen politischen
und/oder militärischen Mitteln in Mali oder in ähnlich
gelagerten Fällen erreichen wollen. Die Betonung, dass
es sich nur um eine Ausbildungsmission handele, trägt
allein nicht. Europa braucht mehr Gemeinsamkeit und,
wenn ich das so sagen darf, mehr Entschlossenheit, um
als europäischer Akteur in der transatlantischen Zusam-
menarbeit ein relevanter Partner zu bleiben oder zu wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland, so hört man es gelegentlich in den USA,
dürfe nicht zu einem Land der Neinsager werden; es
müsse bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Ich weiß, meine Damen und Herren, das alles klingt eher
ein bisschen bedrohlich in den Ohren all jener, die wei-
terhin auf eine Politik der Zurückhaltung setzen. Diese
Politik war historisch begründet. An der Richtigkeit der
Gründe war und ist nicht zu zweifeln. Die Schlussfolge-
rungen müssen aber überdacht und den Realitäten der
heutigen Zeit angepasst werden. Für Europa und für
Deutschland in Europa gilt die Formel „pivot to reality“.
„Pivot to reality“ bedeutet nicht, die Prinzipien einer
wertorientierten Außen- und Sicherheitspolitik infrage
zu stellen. Die Orientierung an Werten ist konstitutiv für
das Selbstverständnis des Westens. Es ist aber eben auch
richtig, dass eine wertorientierte Außenpolitik an den oft
widrigen Realitäten nicht vorbeidiskutieren kann. Wir





Hans-Ulrich Klose


(A) (C)



(D)(B)


müssen sie zur Kenntnis nehmen, nicht resignierend
oder zynisch, sondern in guter Weise pragmatisch.

Was, meine Damen und Herren, bedeutet das für die
praktisch-politische Arbeit der nächsten Jahre, vielleicht
Jahrzehnte?

Erstens. Die strategische Neuorientierung der US-Au-
ßenpolitik in Richtung Pazifik liegt nicht nur im ameri-
kanischen Interesse. Auch Europa muss die geostrategi-
schen Veränderungen in Richtung Pazifik zur Kenntnis
nehmen. Vor allem das exportorientierte Deutschland ist
an berechenbar stabilen Verhältnissen in Ostasien in be-
sonderer Weise interessiert. Da es für die EU und ein-
zelne Mitgliedstaaten der EU eine pazifische Machtpro-
jektion nicht gibt, muss sie sich einmal mehr auf das
stabilisierende Potenzial der USA verlassen, insbeson-
dere darauf, dass die USA wie auch China auf ein ko-
operatives Miteinander hinarbeiten und Konflikte ver-
meiden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Deutschland hat Einfluss in den USA und
in China. Mit China verbindet uns eine, wie es heißt,
strategische Partnerschaft. Strategisch oder nicht – rich-
tig ist, dass Deutschland aus chinesischer Sicht ein wich-
tiger Akteur ist, politisch und ökonomisch. Die Stimme
Deutschlands hat Gewicht in China. Das sollten wir in
Abstimmung mit unseren europäischen Partnern nutzen,
um unsere europäische Perspektive positiv zu Gehör zu
bringen – in China und darüber hinaus.

Drittens. Politisch muss es unser Ziel sein, die euro-
päischen Lehren aus den Katastrophen des 20. Jahrhun-
derts global auszuwerten; will sagen: Der europäische
Gedanke von gemeinsamer Sicherheit und Sicherheits-
partnerschaft könnte auch in anderen Weltregionen an
Bedeutung und Zustimmung gewinnen. ASEAN und
ASEAN-Staaten sind Ansprechpartner, um die wir uns
intensiv und hochrangig bemühen sollten.

Viertens. Deutschland ist ein Partner in Leadership,
zuerst und vor allem in Europa. In Europa gibt es heute
Schwierigkeiten rund um den Euro. Das eigentliche
Problem ist aber nicht der Euro, sondern das mangelnde
Bewusstsein von europäischer Zusammengehörigkeit
und Identität.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wechselseitige Vorurteile und Ressentiments sind im
Verlauf der Euro-Krise überdeutlich zutage getreten. Es
wird schwer sein, neuerliche wechselseitige Verwundun-
gen zu heilen.

Fünftens. Die Erfahrung eigener Unzulänglichkeit
sollte uns im Auftreten – ich betone: im Auftreten! – et-
was bescheidener machen, wenn wir international agie-
ren. Europäer, zumal wir Deutschen, haben eine Nei-
gung zu, wenn ich das so sagen darf, missionarischen
Auftritten mit erhobenem Zeigefinger. Vor allem im
Umgang mit den neuen Akteuren in Asien wird uns das

immer wieder vorgehalten. Die Welt ist eben nicht so,
dass alle Staaten und Völker sich an gleichen universel-
len Werten orientieren. China zum Beispiel lehnt das
ausdrücklich und mit chinesisch-philosophischer Be-
gründung ab. „Kommt uns bloß nicht mit Kant“, titelte
die FAZ, als sie über eine Philosophenkonferenz in
China berichtete. Gleichwohl müssen wir mit China wie
auch mit Russland oder mit Staaten der islamischen Welt
kooperieren, deren Wertvorstellungen und Verhalten in
Sachen Menschenrechte unseren europäischen Vorstel-
lungen nicht entsprechen. Es geht nicht anders – das wis-
sen wir –, auch wenn wir es gern anders hätten.

Zum Schluss erlauben Sie mir eine sehr persönliche
Bemerkung. Ich weiß, Dankbarkeit ist in der Politik
keine belastbare Größe. Als kindlicher Zeitzeuge der
letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre erlaube ich
mir aber bei dieser Gelegenheit ein Wort des Dankes an
die Amerikaner. Ohne sie wären wir nicht, wo wir heute
sind.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])


Ohne sie hätten wir weder die deutsche noch die euro-
päische Teilung überwunden. Ich denke, wir sollten uns
hin und wieder an diese Wahrheit erinnern.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720414300

Stefan Liebich hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720414400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Am 25. April 1945 haben sich an der Elbe bei Torgau
amerikanische und sowjetische Soldaten die Hand ge-
reicht. Dieses historische Bild wurde gezeichnet anläss-
lich des gemeinsamen militärischen Sieges der Anti-
Hitler-Koalition über das Naziregime.

Auch Deutsche in US-amerikanischer Uniform ka-
men damals in ihre Heimat zurück, die sie wegen Verfol-
gung und politischem Druck verlassen haben, weil sie
ein Leben in Freiheit und nicht in der Diktatur wollten.
Die Vereinigten Staaten von Amerika waren damals das
Land ihrer Wahl. Ich nenne hier beispielhaft Marlene
Dietrich, die vom Berliner Senat im Jahr 2003 dafür zur
Ehrenbürgerin ernannt wurde, oder auch den ehemaligen
Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages Stefan
Heym, dessen hundertsten Geburtstag wir im nächsten
Jahr feiern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die aktuellen transatlantischen Beziehungen began-
nen mit der Befreiung Deutschlands – ein guter Start,
wie ich finde. Die Anti-Hitler-Koalition ist schnell zer-





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)


brochen. Deutschland wurde gespalten. Die USA haben
dem Westen unseres Landes mit dem Marshallplan eine
Perspektive heraus aus Hunger und Ruinen geboten.
Dieses Angebot wurde angenommen und war die Grund-
lage für das sogenannte Wirtschaftswunder. Deshalb
sind viele Menschen in unserem Lande den USA bis
heute zutiefst verbunden.

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
entschieden sich für eine feste Bindung an die USA.
Auch der Bundestag etablierte Strukturen enger Zusam-
menarbeit mit dem Kongress. Bald werden wir wieder,
wie in jedem Jahr, ein Treffen mit den Kolleginnen und
Kollegen aus Senat und Repräsentantenhaus haben. Es
wird das letzte Mal sein, dass unsere Parlamentarier-
gruppe von Hans-Ulrich Klose angeführt wird. Sie sag-
ten mir einmal, wie es Sie geprägt hat, dass die USA
nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg sofort junge
Leute wie Sie in ihr Land eingeladen haben. Das merkt
man. An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch im Namen
meiner Fraktion recht herzlich für Ihre langjährige enga-
gierte Arbeit danken.


(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Blick zurück ist wichtig. Kommende Beziehun-
gen sind aber vor allen Dingen von den Herausforderun-
gen der Gegenwart und der Zukunft geprägt. Am Diens-
tag – es wurde hier natürlich angesprochen – haben die
Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten ihren
Präsidenten Barack Obama wiedergewählt. Viele, auch
hier bei uns im Land, hat das sehr gefreut. Wir haben
aber auch am Dienstag gesehen: Die USA sind immer
noch politisch tief gespalten. Dies ist ja nicht nur einfach
ein Klischee, sondern es ist die Wirklichkeit.

Wenn man sich die Abstimmungen angeschaut hat,
dann hat man gesehen: Es sind auf der einen Seite in
Maryland und Maine Cannabis legalisiert bzw. die Ehe
zwischen zwei Männern oder zwei Frauen gestattet wor-
den – beides übrigens Punkte, die eine Mehrheit hier in
unserem Haus ablehnt –, auf der anderen Seite ist in Ka-
lifornien die Todesstrafe bestätigt worden. In Florida
wurde abgelehnt, dass der Staat Krankenversicherungen
unterstützt, die Abtreibungen beinhalten. Es gab Kandi-
daten mit sehr seltsamen Auffassungen. Todd Akin aus
Missouri meinte, dass Schwangerschaften nach Verge-
waltigungen sehr selten seien, weil der weibliche Körper
Wege habe, diese zu unterbinden, und dass deshalb Ab-
treibungen auch in so einem Fall nicht zulässig sein sol-
len. Zum Glück hat er seine Wahl verloren. Schön dage-
gen ist, dass mit Tammy Baldwin erstmals eine offen
lesbisch lebende Frau in den Senat gewählt wurde. Das
hat mich sehr gefreut.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Barack Obama hat ein Präsident gewonnen, der
das Gefangenenlager in Guantanamo immer noch nicht
geschlossen hat, obwohl er es angekündigt hatte. Man-
gelnde Glaubwürdigkeit attestiert ihm daher völlig zu

Recht der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregie-
rung.

Obamas Drohnenangriffe in souveränen Staaten bre-
chen internationales Recht; die Tötung von Menschen,
die niemand verurteilt hat, können wir nicht einfach
hinnehmen. Dies ist nur die eine Seite. Er hat auch dafür
gesorgt, dass sich die USA international wieder abstim-
men, in der UNO ordentlich ihre Beiträge bezahlen, er
hält den Klimawandel nicht für einen Scherz. Er setzt
sich für die Rechte von Migranten, von Lesben und
Schwulen ein. Und er wird als derjenige Präsident in die
US-Geschichte eingehen, der für den Großteil der Men-
schen in den Vereinigten Staaten eine Krankenversiche-
rung organisiert hat.

Ich bin ganz ehrlich: Mir war die Entscheidung der
Bürgerinnen und Bürger in der vorletzten Nacht nicht
egal. Ich bin über die Wiederwahl von Barack Obama
trotz aller Kritik froh, da er die bessere Alternative war.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein Kandidat, der sagt, es sei nicht sein Job, sich um
die ärmere Hälfte der eigenen Bevölkerung zu kümmern
– Mitt Romney hat sich so geäußert –, aber die Unter-
nehmenssteuern senken will, der außenpolitisch eher
noch im Kalten Krieg lebt, weil er Russland für eine Be-
drohung hält, wäre aus meiner Sicht eine schlechtere
Wahl gewesen.

Die Welt hat sich dramatisch geändert. Klimawandel,
internationaler Terrorismus, Globalisierung – das sind
neue Herausforderungen. Aber die Antworten, die dies-
seits und jenseits des Atlantik gegeben werden, sind häu-
fig immer noch die alten: Militär gegen Bedrohung und
zur Ressourcensicherung, Abbau sozialer Sicherung und
statt klarer Regeln durch den Staat freie Hand für Märkte
und Banken.

Barack Obama hat gestern in seiner Siegesrede in
Chicago von Werten gesprochen, die ein Land so voller
Unterschiede zusammenhalten sollen: Verantwortung
untereinander und künftigen Generationen gegenüber. –
Ich würde es Solidarität nennen. Er hat von Freiheit ge-
sprochen und von Respekt.

Gestützt auf diese Werte können Europa, Deutschland
und die Vereinigten Staaten eine neue transatlantische
Partnerschaft begründen. Wir könnten zusammen den
Frieden in der Welt fördern, indem wir mutige Abrüs-
tungsschritte unternehmen, zum Beispiel, indem man in
einem ersten Schritt die Atomwaffen aus Deutschland
abzieht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir könnten die Armut weltweit bekämpfen, indem
Banken und Finanzmärkte mutig reguliert werden, zum
Beispiel, indem wir als ersten Schritt eine weltweite Fi-
nanztransaktionsteuer einführen. Wir könnten eine neue
internationale Sicherheitsarchitektur aufbauen, zum Bei-
spiel, indem wir als ersten Schritt die OSZE, in der beide
Länder Mitglied sind, stärken. Wir könnten gemeinsam





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)


im Nahen Osten eine Initiative dazu ergreifen, dass es
endlich zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt. Die
Aufnahme Palästinas als Vollmitglied bei den Vereinten
Nationen könnte hierfür ein erster Schritt sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Und wir könnten gemeinsam für die Achtung der Men-
schenrechte weltweit eintreten und deshalb eine Initia-
tive ergreifen, Waffenexporte zu ächten. Der Stopp von
Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete könnte
hier ein erster Schritt sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Lösungen liegen also vor uns. Wir müssen es nur
schaffen, uns endlich von den Dogmen der Vergangen-
heit zu lösen.

Auch wir als Linke machen dazu in der nächsten Wo-
che einen kleinen Schritt. Mancher denkt ja, wir Linke
seien antiamerikanisch.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ja!)


Das ist falsch.


(Gisela Piltz [FDP]: Komisch, wie kommen wir darauf?)


Am kommenden Dienstag nehmen unser Fraktionsvor-
sitzender Gregor Gysi, unsere stellvertretende Fraktions-
vorsitzende Cornelia Möhring und ich in New York City
an der Eröffnung des ersten US-Büros der Rosa-
Luxemburg-Stiftung teil. Das war auch an der Zeit.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Damit ist es noch nicht getan! Wir gucken auch hin, was die da sagen!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720414500

Ruprecht Polenz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1720414600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte über die transatlantischen Beziehungen ist
im Grunde eine Debatte über unser außenpolitisches Ko-
ordinatensystem. Ich sage das deshalb, weil ich diese
Beziehungen von den etwas inflationär entstehenden
strategischen Partnerschaften unterscheiden möchte.

Die Vereinigten Staaten sind ein wesentlicher Be-
standteil unseres außenpolitischen Koordinatensystems,
und zwar in dem Sinne, dass uns dieses Koordinatensys-
tem Anhaltspunkte dafür gibt, wie wir andere Bereiche
einordnen und mit anderen außenpolitischen Themen
umgehen. In diesem Zusammenhang ist als zweite große
Koordinatenlinie die deutsch-französische Freundschaft
zu nennen, die wir im Rahmen des Weimarer Dreiecks

jetzt um die Achse nach Warschau verlängern und in die
europäische Einigung einbetten. Als dritte Koordinaten-
linie – um den Rang deutlich zu machen – möchte ich
die Sonderbeziehung Deutschlands zu Israel anführen.
Das ist das außenpolitische Koordinatensystem Deutsch-
lands.

Gute transatlantische Beziehungen sind also wichtig
für die Einordnung von Themen. Das ist in einer unüber-
sichtlicher gewordenen Welt nicht immer einfach.
Warum aber ist es so wichtig, gute transatlantische Be-
ziehungen zu haben, sodass wir bei anderen Themen die
Frage immer mit im Auge behalten: Welche Auswirkun-
gen hat unser Verhalten in dieser oder jener Frage auf die
transatlantischen Beziehungen? Verbessert es sie, stärkt
es sie, oder würde es sie schwächen?

Außenpolitik heißt ja, dass wir unsere Interessen ver-
folgen und dass wir das von einer wertegeleiteten Basis
her tun. Nun können Werte und Interessen miteinander
in Konflikt geraten. Aber im Verhältnis zu den USA ist
es so, dass unsere Werte und unsere Interessen in sehr
hohem Maße übereinstimmen.

Sie sind nicht deckungsgleich oder identisch. Es gibt
durchaus Handelskonflikte mit den USA, es hat auch
durch den wirtschaftlichen Wettbewerb immer Situatio-
nen gegeben, in denen man bis hin zur Anrufung von
internationalen Schiedsgerichten um eine Klärung nach-
suchen musste. Aber uns verbindet doch die Grundüber-
zeugung, dass Freihandel und Marktwirtschaft für die
Völker dieser Welt wohlfahrtsfördernd sind und dass wir
uns dafür gemeinsam einsetzen sollten.

Was die Werte angeht: Ja, es ist richtig: Wir versu-
chen, unsere amerikanischen Freunde davon zu überzeu-
gen, die Todesstrafe endlich abzuschaffen. Wir haben
auch Probleme damit, zu verstehen, dass in Amerika
tatsächlich Menschen glauben, man könne ohne eine ge-
setzlich verpflichtende Krankenversicherung auskom-
men.

Aber trotzdem verbindet uns ein Freiheitsverständnis,
ein gemeinsames Verständnis der Menschenrechte, von
Rechtsstaat und Demokratie. Das ist zusätzlich zu den
historischen Erfahrungen die gemeinsame Basis, die uns
mit den Amerikanern verbindet.

Auch nach meiner Überzeugung sind die USA in der
multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts noch auf Jahr-
zehnte hinaus mit Abstand die Nummer eins. Sie erbrin-
gen gegenwärtig ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung
und verfügen über eine große Innovationskraft. Die At-
traktivität ihrer wissenschaftlichen Einrichtungen ist
groß; 800 000 Studenten, die besten Köpfe aus aller
Welt, studieren in den USA. Wenn ich mir diese Bemer-
kung erlauben darf: Die Amerikaner nutzen dieses Po-
tenzial wesentlich intelligenter als wir, indem sie denen,
die nach dem Studium dort bleiben wollen, diese Mög-
lichkeit eröffnen,


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Ruprecht Polenz


(A) (C)



(D)(B)


während wir, kaum hat man das Examen oder die Pro-
motion abgeschlossen, diskret darauf hinweisen, dass
jetzt das Aufenthaltsvisum abgelaufen sei.

Amerika verfügt nach wie vor über eine große kultu-
relle Anziehungskraft. Nicht zu vergessen ist: Die USA
haben eine wachsende Bevölkerung. Die amerikanische
Bevölkerung wird bis 2030 um etwa 100 Millionen
Menschen wachsen; im gleichen Zeitraum wird Europa
100 Millionen Menschen verlieren. Herr Klose hat schon
betont, dass die USA auf lange Sicht auch die militärisch
stärkste Macht auf dieser Welt sind. Sie sind unser wich-
tigster Verbündeter, und die NATO ist die Klammer, mit
der wir unsere Sicherheit vom Bündnis mit den Ameri-
kanern abhängig machen.

Es ist in der Debatte bereits angesprochen worden:
Die USA wenden sich dem Pazifikraum zu. Das ist auch
in unserem Interesse; denn die selbsttragenden, den Frie-
den stabilisierenden Strukturen, die in Europa in den
letzten 60 Jahren – denken Sie etwa an die Europäische
Union! – unter tatkräftiger Mithilfe der Amerikaner ent-
standen sind, fehlen in Asien völlig. Es gibt in Asien kei-
nerlei vertrauensbildende, länderübergreifende Mecha-
nismen oder Maßnahmen. Wir beobachten im Fern-
sehen, wie chinesische und japanische Schiffe vor einer
Insel fast kollidieren, und müssen wissen: Es gibt kein
rotes Telefon für Gespräche zwischen Peking und Tokio.
Das Fehlen solcher Strukturen verlangt danach, dass sich
Amerika als Ordnungsmacht diesem Raum zuwendet.
Das ist in unserem Interesse. Wir wenden uns diesem
Raum – das ist schon gesagt worden – in anderer Weise
ebenfalls zu.

Es ist hier schon darauf hingewiesen worden: Wir
müssen selber etwas dafür tun, die transatlantischen Be-
ziehungen auch in Zukunft mit Leben zu erfüllen. Der
Gedanke einer transatlantischen Freihandelszone sollte
nicht nur auf dem Papier stehen; er muss jetzt mit Leben
erfüllt werden. Die Zeit ist reif dafür,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


einen gemeinsamen Markt für über 800 Millionen Men-
schen zu schaffen, mit großen Wohlfahrtsgewinnen für
beide Kontinente. Gerade in der jetzigen Wirtschafts-
und Finanzkrise sind solche Visionen und Perspektiven
notwendig.

Meine Damen und Herren, die transatlantischen Be-
ziehungen, die Freundschaft zwischen Deutschland und
den USA, wollen gepflegt werden; sie müssen gelebt
werden. Unser Kollege Hans-Ulrich Klose hat das in
beispielhafter Weise über lange Jahre hinweg in vielfälti-
gen Funktionen getan. Lieber Herr Klose, dafür möchte
auch ich mich ganz persönlich bei Ihnen bedanken. Ich
wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720414700

Kerstin Müller hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720414800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Europa feiert mit den USA den wiedergewählten US-
Präsidenten. Hätten wir in Europa ihn wählen dürfen
– einige von Ihnen haben es schon gesagt –, wäre das Er-
gebnis wahrscheinlich fast ein sozialistisches geworden.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wie meinen Sie das?)


Überall in Deutschland und Europa haben die Menschen
mitgefiebert. Die allermeisten Umfragen ergaben, dass
90 Prozent Barack Obama die Daumen gedrückt haben.
Er hat es geschafft – und daher von mir und meiner Frak-
tion – Herr Liebich, ich bin da ganz offen – einen ganz
herzlichen Glückwunsch an den neu gewählten Präsi-
denten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Warum elektrisiert uns diese Wahl so? Ich glaube, es
gibt zwei Gründe: Erstens. Der Typ ist einfach gut und
trotz allem irgendwie cool; das höre ich von vielen jun-
gen Menschen. Zweitens. Die transatlantischen Bezie-
hungen sind allen Unkenrufen zum Trotz tief in unserer
Gesellschaft und in unserer politischen Kultur verwur-
zelt.

Warum ist Obama nun so toll? Hat er nicht eine ent-
täuschende Bilanz aufzuweisen? Keine Antwort auf den
Klimawandel, anhaltende Kriege und Krisen, außer
Kontrolle geratene Finanzmärkte. Haben wir nicht alle
erwartet, er bringe das alles in Ordnung? Ja, das haben
wir erwartet. Aber wir haben dabei die Macht des ameri-
kanischen Präsidenten überschätzt. Es wird nämlich
gerne vergessen, dass jeder Präsident stärker aussieht,
als er ist, dass er ohne den sehr mächtigen Kongress
– zumal, wenn im Repräsentantenhaus die Opposition
die Mehrheit hat – in vielen Fragen nicht alleine regieren
kann, vor allem wenn er es, wie Obama, mit einer Oppo-
sition zu tun hat, die nicht einmal den Anschein von Ko-
operationsbereitschaft erweckt und unter Anführung der
rechten Tea-Party-Bewegung zentrale Projekte des Prä-
sidenten kategorisch blockiert.

Wenn wir also die überzogenen Erwartungen einmal
beiseitelassen, dann müssen wir feststellen, dass Obama
viele Erfolge vorzuweisen hat. Er hat zum Beispiel nach
der verheerenden Finanzkrise 2008 den wirtschaftlichen
Totalabsturz der USA verhindert durch ein 800 Milliar-
den Dollar schweres Konjunkturprogramm und zumin-
dest den Einstieg in überfällige Regulierungen des Fi-
nanzsektors. Es war Obama, der die Bush-Ära der Anti-
terrorkriege beendet hat durch den Abzug aus dem Irak
und durch das absehbare Ende des Afghanistan-Einsat-
zes 2014. Unter ihm hat die Politik wieder die Oberhand
über das Militärische gewonnen, auch wenn wir sicher-
lich nicht mit allem einverstanden sind, was er gemacht





Kerstin Müller (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


hat. Schließlich – viele von Ihnen haben es erwähnt – hat
Obama mit seiner Gesundheitsreform den Mut bewiesen
– entgegen einiger seiner Berater, die gesagt haben: Das
wirst du nicht durchsetzen; lass die Finger davon –, eine
gesellschaftspolitische Zeitenwende einzuleiten, meines
Erachtens vergleichbar mit der Einführung des Wahl-
rechts für Frauen oder der Bürgerrechte für Schwarze.

Klug statt kühn hat Obama die Geschicke seines Lan-
des vier Jahre geführt. Er ist und bleibt ein Ausnahme-
präsident, auch nicht zuletzt deshalb, weil er der erste
Afroamerikaner ist, der dieses Staatsamt bekleidet. Vor
dem Hintergrund der grausamen Geschichte des Rassen-
hasses in den USA kann man deshalb die gesellschafts-
politische Wirkung seiner Präsidentschaft nicht hoch ge-
nug einschätzen. Sie hat Wirkung weit über die Grenzen
der USA hinaus – denken wir zum Beispiel an die Bilder
des Freudenfestes zu seiner Wiederwahl im Dorf seiner
Familie im kenianischen Kogelo.

Obama hat die Wahl gewonnen, weil er wie 2008 die
schwarze Bevölkerung zu 93 Prozent und die ethnischen
Minderheiten, etwa die Latinos, zu 71 Prozent hinter
sich versammeln konnte, weil ihn überwiegend junge
Menschen und Frauen gewählt haben. Er hat sich als ers-
ter Präsident für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgespro-
chen. Er ist dafür scharf kritisiert worden, wie er mitten
im Wahlkampf dazu käme. Man hat das als großen Feh-
ler eingeschätzt. Man muss schon sagen: Er verkörpert
ein modernes, liberales Amerika, und wir sind froh, dass
das von den Amerikanern bestätigt wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als wiedergewählter „Präsident der Hoffnung“ hat
Obama nun erfreulicherweise auch Gelegenheit, viele
seiner Projekte umzusetzen, deren Umsetzung bisher
nicht gelungen ist, zum Beispiel die Schließung von
Guantanamo. Vielleicht gibt es einen Wiedereinstieg in
die Debatte über die Verabschiedung eines Klimaschutz-
gesetzes, was aufgrund der Verhältnisse im Kongress
schwierig wird; es wäre aber wichtig. Vielleicht bringt er
die Reform des Einwanderungsrechtes voran. Ich meine,
wir sollten ihn bei seinen Vorhaben unterstützen, zum
Beispiel indem Europa beim Klimaschutz unter der Füh-
rung Deutschlands vorangeht, was leider von dieser
Bundesregierung nicht zu erwarten ist, aber notwendig
wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Wahlen haben uns nicht nur wegen des spannen-
den Duells oder wegen unseres Lieblingskandidaten be-
geistert. Sie haben auch gezeigt, dass die transatlanti-
schen Beziehungen keinesfalls ein siechendes Relikt des
Kalten Krieges sind. Das Wahlfieber hierzulande hat
deutlich gemacht, dass die Verbindungen zwischen den
USA und Europa auf allen gesellschaftlichen Ebenen
fester Bestandteil unserer politischen Kultur sind.

Herr Kollege Klose, auch ich möchte Ihnen an dieser
Stelle persönlich und für meine Fraktion für Ihren Ein-
satz für das transatlantische Verhältnis danken. Ich weiß

aus vielen Gesprächen in den USA, wie sehr Sie dort ge-
achtet und respektiert werden. Das war und ist für uns
alle wichtig. Ich danke Ihnen sehr dafür. Ich bin sicher,
dass Sie hier weiter intensiv engagiert bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich glaube, dass ein gutes transatlantisches Verhältnis
angesichts der Herausforderungen einer multipolaren
Welt unerlässlich ist. Man könnte sagen: Obama hat ein
schwächeres Amerika in einer schier nicht zu regieren-
den Welt geführt – und das geht nicht ohne Partner. Herr
Stinner und Herr Mißfelder, diese Einsicht ist meines Er-
achtens seine größte Leistung. Es ist die Einsicht in die
Grenzen der amerikanischen Macht, die verbunden ist
mit dem Mut, diese Einsicht gegenüber den Partnern und
der Welt auch offensiv zu vertreten. Das war seine Leis-
tung; denn die Vorgängerregierungen sind ganz anders
vorgegangen. Da hieß es: „Hoppla, wir sind wieder
wer“, und: „nicht ohne uns“, verbunden mit verheeren-
den Kriegen. Diese Einsicht durchgesetzt und verankert
zu haben, ist eine große Leistung. Es ist sozusagen Mul-
tilateralismus aus der Einsicht in die Notwendigkeit,
dass kein Staat der Welt, auch nicht die USA, die neuen
Herausforderungen alleine meistern kann. Das war ver-
bunden mit einem maßvollen Auftreten und mit einem
Ton der Selbstbeschränkung, und das war wichtig.

Was heißt das für Europa? Herr Kollege Klose, ich
stimme Ihnen zu: Ich glaube, es hilft nicht, darüber zu
jammern, dass es eine Hinwendung zum pazifischen
Raum gibt. Diese Hinwendung fordert vielmehr von Eu-
ropa, sich endlich zusammenzuraufen. Die neue strategi-
sche Ausrichtung ist keine Abkehr von Europa. Sie be-
deutet vielmehr, dass die Europäer zum Beispiel in den
Krisenregionen in der Nachbarschaft, von Osteuropa bis
nach Afrika, noch mehr Verantwortung übernehmen,
also ein transatlantisches Burden Sharing. Mit Obama
kann eine solche Politik der gemeinsamen Verantwor-
tung gelingen, aber nur, wenn Europa seine Probleme
gemeinsam anpackt und weitere Schritte in Richtung ei-
ner europäischen Außen- und Sicherheitspolitik unter-
nimmt, um die EU endlich als ernstzunehmenden Global
Player zu etablieren.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720414900

Frau Kollegin.


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720415000

Ich bin gleich fertig. – Das Beste kommt erst noch,

hat Barack Obama gesagt. Wir sollten auf dem Teppich
bleiben. Dann gibt es gute Chancen, dass wir das transat-
lantische Verhältnis noch verstärken können.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720415100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Thomas Silberhorn das Wort.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1720415200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Präsidentschaftswahlen in den USA, die nach den
Umfragen über Wochen hinweg ein Kopf-an-Kopf-Ren-
nen waren, haben nicht nur dort, sondern in ganz Europa
und in der ganzen Welt für große Aufmerksamkeit ge-
sorgt. Obama sorgte allerdings schon bei seinem ersten
Wahlerfolg in unserem Land und in Europa für große
Aufmerksamkeit. Das kam auch durch die Verleihung
des Friedensnobelpreises zu einem sehr frühen Zeitpunkt
seiner Regierungszeit zum Ausdruck. Es zeigt sich, dass
für viele Menschen in der Welt – auch bei uns in
Deutschland – große Hoffnungen mit dem Präsidenten
verbunden sind, der als erster Präsident afrikanische
Wurzeln hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit gestern
wissen wir, dass Präsident Barack Obama vier weitere
Jahre regieren kann. Ich gratuliere dazu, und ich freue
mich darüber, dass es ein eindeutiger Regierungsauftrag
ist. Er mag hoffentlich dazu beitragen, die Spaltung der
Gesellschaft, die nach den Umfragen in diesem Kopf-an-
Kopf-Rennen zum Ausdruck gekommen ist, etwas zu
überwinden. Diese Wiederwahl wird es mit sich bringen,
dass wir an die gewachsenen Kontakte der letzten Jahre
anknüpfen können und dass wir die Kontinuität in den
transatlantischen Beziehungen nutzen können, um unser
Verhältnis zu vertiefen.

Die transatlantischen Beziehungen sind neben der eu-
ropäischen Integration die tragende Säule unserer Au-
ßenpolitik. Das liegt nicht nur daran, dass diese Bezie-
hungen so umfassend angelegt sind, sondern vor allem
daran, dass wir ein gemeinsames Gerüst an Werten und
Interessen verfolgen. Es gibt ein tiefes gemeinsames
Verständnis zwischen unseren amerikanischen Freunden
und uns darüber, dass Prinzipien wie Freiheit und Demo-
kratie über den Westen hinaus Anziehungskraft besitzen.

Natürlich ist die transatlantische Zusammenarbeit da-
rüber hinaus auch wichtig, weil es eine ganze Reihe von
drängenden globalen Herausforderungen gibt, die wir
gemeinsam angehen müssen: von der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus, von Krankheit und Armut
über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen
bis hin zum Klimaschutz. All das müssen wir auf die in-
ternationale Agenda setzen. Wir müssen auch den Ver-
such unternehmen, gemeinsame Initiativen zu starten.

Die Sicherheitspolitik wird sicher ein großer Teil un-
serer Zusammenarbeit bleiben. Ich glaube, es ist wichtig,
zu sehen, dass nicht nur die gemeinsame Partnerschaft
in der NATO, sondern auch die NATO als solche von
außerordentlich hoher Bedeutung für uns bleibt, nicht
nur, weil wir damit gemeinsamen Bedrohungen begeg-
nen können, sondern auch, weil sich in diesem Bündnis
unsere gemeinsamen Werte und Grundüberzeugungen
immer wieder neu konkretisieren. Wir sollten die Zu-
sammenarbeit im Bündnis auch deshalb ernst nehmen,
weil sich aus einer erfolgreichen Zusammenarbeit im

Bündnis eine ganze Reihe von Konsequenzen für den
Ausbau der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik in der Europäischen Union ergeben können.

Was die vermeintliche Abwendung der USA von Eu-
ropa und die Hinwendung zum Pazifik angeht, rate ich
zu einer nüchternen und sehr gelassenen Betrachtungs-
weise. Natürlich stellen das Bevölkerungswachstum und
das Wirtschaftswachstum in Asien für die Vereinigten
Staaten eine Herausforderung dar. Deswegen ist die Hin-
wendung der USA zu diesem Raum eine ganz natürliche
Konsequenz. Das ist nicht zugleich eine Abwendung
von Europa; im Gegenteil: Die amerikanische Außenmi-
nisterin hat im letzten Jahr in München zu Recht betont,
dass Europa für die Vereinigten Staaten in Sicherheits-
fragen der erste Ansprechpartner bleibt.

Wir sollten den Kurswechsel der Vereinigten Staaten
in der Außenpolitik vielmehr als eine eigene Aufgabe
verstehen. Wir sollten in die Rolle hineinwachsen, die
nicht nur die Amerikaner von uns erwarten, sondern die
wir auch von uns selbst erwarten. Wir sprechen in der
Europäischen Union immer gerne über den Ausbau der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Diesen Wor-
ten müssen wir jetzt Taten folgen lassen. Wir entschei-
den selbst, wie wir unsere Rolle in Zukunft ausfüllen.

Lassen Sie mich noch anführen, dass wir neben den
sicherheitspolitischen Fragen in Zukunft auch die wirt-
schaftspolitischen Beziehungen zwischen Europa und
den USA in viel stärkerem Maße auf die Tagesordnung
setzen müssen. Auch auf diesem Gebiet gibt es gemein-
same Herausforderungen: von der Frage, wie man neue
Arbeitsplätze schaffen kann, über die Frage, wie man die
industrielle Produktion erhalten kann, bis hin zu Fragen,
wie wir Umwelttechnologien und Ähnliches sinnvoll
nutzen können. Ich denke, Deutschland hat diesbezüg-
lich ein Angebot zu unterbreiten: Wir haben wie die Ver-
einigten Staaten eine Marktwirtschaft; aber wir haben
eine spezifische Tradition, die soziale, die ökologische
und die fiskalische Dimension unseres Wirtschaftens zu
ordnen – anders, als die Amerikaner dies tun. Ich sehe
mit Interesse, dass die Vereinigten Staaten Fragen der
sozialen Sicherung sehr streitig und heftig diskutieren,
für die wir in Deutschland seit langem Lösungen haben.
Ich verfolge mit großer Aufmerksamkeit, dass die um-
weltpolitischen Fragestellungen in den USA immer
ernsthafter diskutiert werden. Wir werden auch über die
fiskalischen Herausforderungen, zum Beispiel hinsicht-
lich der Regulierung der Finanzmärkte, gemeinsam dis-
kutieren müssen.

Wir haben in Deutschland eine hohe gesellschaftliche
und wirtschaftliche Stabilität – mit Sicherungssystemen,
mit einem starken Mittelstand, mit Zukunftstechnologien.
Ich glaube, das ist eine gute Basis für die Zusammen-
arbeit mit den Vereinigten Staaten. Wir sind ein verläss-
licher Partner und ein Partner, der mit Selbstbewusstsein
diese Beziehungen pflegt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD])







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720415300

Jetzt spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege

Beyer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1720415400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die transat-
lantischen Beziehungen waren in der Vergangenheit nie
wirklich ein Selbstläufer. Zwischen Kennedy einerseits
und Adenauer andererseits herrschte seinerzeit Miss-
trauen, zwischen Schmidt und Carter Funkstille. Die
Welt hatte damals klarere Strukturen als heute; Freund
und Feind waren klar definiert. Das ist Teil unserer ge-
meinsamen transatlantischen Geschichte.

Es bedarf einer westlichen Selbstbehauptung. Europa
hat dabei zu begreifen, dass unser Einfluss nicht am Nord-
rand des Mittelmeeres endet, sondern am Südrand der
Sahara. Wir Deutsche scheuen uns vor geografischen
Debatten, weil da Großräumigkeit mitschwingt, gewis-
sermaßen der Wiener Kongress. Europa und Amerika
müssen mehr kooperieren. – Das sind richtige Worte;
aber sie stammen nicht von mir. Sie stammen von einem
geschätzten Kollegen des Hauses, von Hans-Ulrich
Klose, den wir zu Recht mit der Ehrenbezeichnung
„Atlantiker“ titulieren. Damit reiht sich Hans-Ulrich
Klose in eine Reihe von großen Persönlichkeiten ein, die
sich in besonderem Maße um die transatlantischen Be-
ziehungen verdient gemacht haben. Ich nenne einen
Namen: Gerhard Schröder. Nein, nicht der Gerhard
Schröder der SPD, sondern der CDU-Politiker. Er war
Innenminister, Außenminister und Verteidigungsminis-
ter dieser Bundesrepublik. Ich freue mich, dass ich heute
den Wahlkreis, den er damals im Deutschen Bundestag
vertreten hat, vertreten darf. Der Kollege Klose schlägt
mit seinen Worten einen ganz ähnlichen Ton an wie der
ehemalige deutsche Botschafter in den Vereinigten Staa-
ten Wolfgang Ischinger, der vor wenigen Tagen in der
Zeitung Folgendes gesagt hat: Wir sind strategischer
Partner, wahrscheinlich der einzige wirkliche Partner der
USA. Auf wen sonst sollte man sich stützen bei interna-
tionalen Krisen und globalen Fragen, wenn nicht auf uns
Europäer? – Ja, es ist richtig, wir brauchen eine Stärkung
der transatlantischen Zusammenarbeit, und zwar mit ei-
ner gemeinsamen strategischen Politik. Das meine ich
nicht nur in Bezug auf Asien, insbesondere auf China,
sondern auch in Bezug auf die Herausforderungen in an-
deren Feldern. Ich nenne beispielsweise den Nahen Osten,
ich nenne Syrien, ich nenne die Fortführung der Rüs-
tungskontrolle. Ich nenne den Iran als Politikfeld. Ich
nenne den Zugang zu Rohstoffen und eine gemeinsam
abgestimmte Afrika-Politik als Beispiele weiterer mögli-
cher Handlungsfelder im transatlantischen Bereich.

Mit der Wiederwahl Barack Obamas als Präsident der
Vereinigten Staaten stehen die Zeichen klar auf Kontinui-
tät. Das heißt sicherlich nicht – dies trage ich mit großer
Überzeugung vor –, dass in Washington auf eine globale
Machtverschiebung gesetzt wird, also weg vom Atlantik
hin zum Pazifik. Nein, es geht um – wir haben es schon

mehrfach gehört – eine Ausbalancierung des Verhältnis-
ses. Es ist im beiderseitigen Interesse, im europäischen
wie im amerikanischen, hier einen Gleichklang zu finden.

Nie standen die Zeichen günstiger als heute für Eu-
ropa, sich als verlässlicher Partner zu beweisen und eben
nicht nur als Verwerter amerikanischer Sicherheitsgaran-
tien zu agieren. Es bietet sich aber auch – ich möchte sa-
gen: vor allem – die Aussicht auf eine transatlantische
Wirtschaftsinitiative, von der wir hier schon mehrfach
gehört haben. Hierfür haben wir als Union seit längerem
mit sehr großer Intensität geworben. Wir waren es, die
im Mai dieses Jahres einen hochkarätig besetzten inter-
nationalen Kongress hier im Hause veranstaltet haben
und damit anlässlich des fünfjährigen Bestehens des
Transatlantischen Wirtschaftsrats den Diskurs mit einer
neuen Dynamik bewegt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich, dass allen Unkenrufen zum Trotz
– ich nenne das Unwort vom angeblichen Continental
Drift – die Bemühungen für die Idee einer umfassenden
transatlantischen Wirtschaftszone Unterstützung auf aller-
höchster politischer Ebene erfahren. Die Weiterentwick-
lung der transatlantischen Wirtschaftsintegration ver-
spricht den Wachstums- und Jobmotor in Europa und in
den USA weiter zu befeuern.

Es gibt Probleme, insbesondere im Bereich der nicht-
tarifären Hemmnisse und bei den unterschiedlichen
Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei Gütern, bei
Dienstleistungen, beim Handel, bei Innovationen und In-
vestitionen. Dies verursacht jedes Jahr beidseits des At-
lantiks, in Europa wie in den USA, Kosten in mehrfacher
Milliardenhöhe, die völlig unnötig sind. Die Verhandlun-
gen zwischen der EU und Kanada über die Errichtung einer
Freihandelszone sollen bis zum Ende des Jahres erfolg-
reich abgeschlossen werden. Diese könnte als Blaupause
für eine transatlantische Freihandelszone dienen. Die
Schwierigkeiten, die es hier noch zu überwinden gilt,
müssen wir anpacken, damit es für eine Befeuerung des
Wachstumsmotors eine Perspektive gibt.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss:
Die transatlantischen Beziehungen waren, wie ich ein-
gangs erwähnte, nie wirklich ein Selbstläufer. Aber nie
war die Ausgangssituation für eine gleichwertige Part-
nerschaft, für eine Partnerschaft auf Augenhöhe, so
günstig wie heute. Nutzen wir sie für eine gemeinsame
globale Strategie eines geschlossenen Westens im Wan-
del der Welt!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720415500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der
SPD mit dem Titel „Für eine Neubelebung und Stärkung
der transatlantischen Beziehungen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


sache 17/10169, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/9728 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Für die Beschlussempfehlung haben die Koalitionsfrak-
tionen und die Fraktion Die Linke gestimmt, dagegen
die SPD-Fraktion; Bündnis 90/Die Grünen haben sich
enthalten.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Ope-
ration in Darfur (UNAMID) auf Grundlage
der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und
folgender Resolutionen, zuletzt 2063 (2012)

vom 31. Juli 2012

– Drucksachen 17/11036, 17/11389 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Marina Schuster
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/11398 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Kollege
Joachim Spatz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1720415600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind in diesem Jahr im sechsten Jahr des Hybridein-
satzes in Darfur, bei dem die Vereinten Nationen zusam-
men mit der Afrikanischen Union im Westen des Sudan
für Sicherheit sorgen. Die Lage ist nach wie vor fragil.
Nach wie vor müssen wir den Schutz der Zivil-
bevölkerung mit militärischer Präsenz garantieren. Nach
wie vor müssen wir den Zugang für humanitäre Hilfe mit
militärischer Präsenz sicherstellen. Daher beantragt die
Bundesregierung, diesen Einsatz zu verlängern.

Die Lage ist, wie ich sagte, nach wie vor fragil; die
politischen Fragen sind noch immer ungelöst. Es muss
unseren Soldatinnen und Soldaten möglich sein, zum ei-
genen Schutz Waffen einzusetzen. Deshalb braucht es
für diesen Einsatz ein robustes Mandat gemäß Kapi-
tel VII der UN-Charta.

Wir beteiligen uns an diesem Einsatz mit einem re-
lativ bescheidenen Kontingent von zurzeit zehn Solda-
tinnen und Soldaten und vier Polizeibeamten, ausgehend
von einer Obergrenze von 50 Soldaten und 15 Polizisten.
Man ist vor allem in Stäben unterwegs und nicht direkt
in Kampfhandlungen eingebunden. Trotzdem ist es ein
wichtiger Einsatz. Die Kompetenzen unserer Soldaten
im Hinblick auf Logistik, Ausbildung, Personal und die
Bereitstellung von Geoinformationen sind geschätzt,
wenn es darum geht, die Truppen anderer Truppensteller
entsprechend zu befähigen.

Wir sind bei diesem Einsatz auch präsent, um ein
Umfeld zu schaffen, in dem die Ergebnisse des Doha-
Abkommens umgesetzt werden können. Mit einzelnen
Rebellengruppen – leider nicht mit allen – gibt es bereits
Vereinbarungen. Es geht auch darum, eine Atmosphäre
zu schaffen, in der Initiativen wie die von Thabo Mbeki,
der mit anderen Rebellengruppen spricht, umgesetzt
werden können. All das braucht Zeit. Um dieses Win-
dow of Opportunity offen zu halten, ist leider militäri-
sche Präsenz notwendig.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit zwei überra-
gende Themen ansprechen.

Das erste Thema. Neben der Notwendigkeit der mili-
tärischen Präsenz ist die nach wie vor existierende Un-
einsichtigkeit der Regierung in Khartoum bezüglich ei-
nes wesentlichen Faktors zu erwähnen, dass nämlich die
Regierung in Khartoum nach wie vor nicht bereit ist, die
peripheren Regionen des Sudan, sei es Darfur, sei es
Südkordofan, sei es die Region Blauer Nil, und die Be-
völkerungen, die dort leben, wirklich ehrlich an der
Macht und am Reichtum des Landes teilhaben zu lassen.

Solange diese Einsicht nicht vorhanden ist, werden
die Probleme im Grunde nicht gelöst sein. Man setzt Ge-
walt ein – nicht nur in Darfur –, bombardiert Dörfer,
zum Beispiel in der Region Blauer Nil, und löst Flücht-
lingsbewegungen in Richtung Süden des neu gegründe-
ten, auch fragilen Südsudan in der Größenordnung von
über 100 000 Menschen aus. Solange man eine solche
Politik macht, ist man letztendlich nicht friedensfähig.
Trotzdem setzt die Weltgemeinschaft auch hier auf Ver-
handlungen. Sie ist aber eben gezwungen, auch militä-
risch präsent zu sein.

Das zweite überwölbende Thema ist, dass wir nicht
nur im Sinne der Unterstützung der UNAMID-Mission
tätig sind, sondern unser Engagement bei dem Kofi
Annan International Peacekeeping Training Centre, das
wir in Ghana unterhalten, führt dazu, dass eben auch
Polizeibeamte aus Afrika, zum Beispiel aus Sierra
Leone, trainiert werden, um dann in Darfur eingesetzt zu
werden.

Das alles ist ein Teil unserer Unterstützung für den
Aufbau eigenständiger Friedens- und Sicherheitsstruktu-





Joachim Spatz


(A) (C)



(D)(B)


ren und einer eigenständigen Friedens- und Sicherheits-
architektur in Afrika.

Ich denke, es muss insgesamt unser Ziel sein, dass wir
die Afrikaner selbst Stück für Stück befähigen, in ihrer
jeweiligen Region, ob das Ostafrika oder die Region
ECOWAS ist, die ja jetzt leider an anderer Stelle Bedeu-
tung und Berühmtheit erlangt hat, für ihre eigene Sicher-
heit zu sorgen. Es muss eine Kombination entstehen:
Zwar mit unserer Hilfe, aber doch unter Beachtung der
African Ownership – es geht um das große und wichtige
Stichwort Eigenverantwortung – müssen sie in der Lage
sein, ihre eigenen Dinge zu regeln.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Das unterstützt die Bundesregierung seit Jahren. In
diesem Gesamtbild aller Herausforderungen ist diese
Mission ein Baustein. Deswegen werbe ich um die
Zustimmung dieses Hauses für eine Verlängerung der
UNAMID-Mission.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720415700

Karin Evers-Meyer hat jetzt das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Karin Evers-Meyer (SPD):
Rede ID: ID1720415800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 15. No-
vember 2007 hat der Deutsche Bundestag zum ersten
Mal die Beteiligung an der von den Vereinten Nationen
und der Afrikanischen Union gestellten Friedenstruppe
für Darfur, also im Sudan, bewilligt. Deutschland ent-
sendet seitdem Soldaten und Polizisten in die Krisenre-
gion im Westsudan.

Nun liegt der Antrag der Bundesregierung vor, die
Beteiligung an der Operation UNAMID bis zum 31. De-
zember 2013 zu verlängern, natürlich nur, sofern ein
Mandat des UN-Sicherheitsrates vorliegt. Die SPD ist
und bleibt ein zuverlässiger außen- und verteidigungs-
politischer Partner. Das gilt gegenüber der Bundesregie-
rung, vor allem jedoch gegenüber den Truppen und
Kräften, die ihren Dienst in den verschiedenen Einsatz-
gebieten verrichten.

Stellvertretend für die SPD-Bundestagsfraktion
möchte ich heute den Soldatinnen und Soldaten sowie
den weiteren Beteiligten an UNAMID unseren Dank
aussprechen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Arbeit dort ist wichtig und wird hoch geachtet. Sie
tragen dazu bei, diese krisengeschüttelte Region lang-
fristig sicherer zu machen und eine noch größere huma-

nitäre Katastrophe zu verhindern. Ich denke, das ver-
dient unser aller Respekt und Dank.

Die SPD weiß um die internationale Verantwortung
Deutschlands und hat friedenbringende Einsätze stets
unterstützt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Meine Damen und Herren, die Bundeswehr und die
weiteren Einsatzkräfte nehmen bei UNAMID unsere
Verantwortung in der internationalen Staatengemein-
schaft wahr. Sie nehmen die Verantwortung gegenüber
den Menschen in Not wahr, gegenüber den Parteien, die
den Frieden wollen, und natürlich auch gegenüber unse-
ren Bündnispartnern. Sie agieren verantwortungsvoll,
konsequent und – ich denke, man kann dies sagen – mit
höchster Professionalität. Wir möchten, dass dies in der
Krisenregion Darfur auch im Jahr 2013 so bleibt.

Kernauftrag von UNAMID ist und bleibt der Schutz
der Zivilbevölkerung. Zusätzlich flankiert UNAMID das
humanitäre Engagement vor Ort, unterstützt und achtet
auf die Einhaltung von vertraglichen Übereinkünften,
achtet auf die Einhaltung von Menschenrechten.
UNAMID leistet auch Unterstützung für die Darfur-
Friedensabkommen vom Mai 2006 und Juli 2011. Die
UN und damit auch die Bundesrepublik Deutschland
sind Partner der Afrikanischen Union bei der Umsetzung
und bei der Einhaltung dieses schwierigen Prozesses.
Ziel sind ein friedliches Darfur und Frieden in Sudan.

Was tun wir ganz konkret? Zugegeben, unser eigener
Beitrag – das ist schon erwähnt worden – ist nur eine
kleine Truppe, die überwiegend in Städten tätig ist. Zum
Beispiel tragen über 200 Patrouillen im Durchschnitt
täglich zu einem besseren Sicherheitsgefühl bei. Deut-
sche Polizisten stehen in Ghana ihren afrikanischen
Kollegen bei der polizeilichen Ausbildung zur Seite.

Der UNAMID-Einsatzblock der Bundeswehr bestä-
tigt, dass das deutsche Engagement in der Mission sehr
positiv aufgenommen wird, auch wenn die Darfur-
Region im Westen des Sudan noch ein gutes Stück weit
weg ist vom Frieden. UNAMID zeigt Wirkung. Der Weg
ist richtig, und wir müssen ihn gemeinsam mit unseren
beteiligten Partnern weitergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Pläne und Ideen
entstehen immer nur in einer angstfreien Umgebung.
Der Kaufmann, der seine Waren zum Markt bringt, die
Köchin, die in der Straße ihre Speisen anbietet, oder die
Kinder, die gemeinsam spielen wollen, sie alle haben
ihre Träume, wollen arbeiten und sind voller Energie, al-
les in die Tat umzusetzen. Mehr Sicherheit bedeutet, die
Kraft und den positiven Willen der Menschen in Darfur
für Gutes einsetzen zu können.

Im Frieden kann man gestalten, Krieg und Angst er-
sticken Hoffnung und Tatendrang. Die Region Darfur
braucht den Frieden und die positive Kraft der dort le-
benden Menschen dringend. Mit UNAMID wollen wir
dabei helfen, diese Kräfte und Energie freizusetzen.
Auch aus diesem Grund müssen wir weiterhin in Darfur
präsent sein.





Karin Evers-Meyer


(A) (C)



(D)(B)


Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede am
25. Oktober 2012 in diesem Haus bereits die schlimmen
Zahlen genannt: über 300 000 Tote zwischen 2003 und
2008, 2,5 Millionen Vertriebene und – so darf ich ergän-
zen – weitere 2 Millionen auf Hilfe angewiesene Men-
schen. Diese Zahlen sind Warnung, den Konflikt nicht
auf die leichte Schulter zu nehmen. Der Minister sagte
bei gleicher Gelegenheit:

Der Darfur-Konflikt ist eine der furchtbarsten Kata-
strophen des letzten Jahrzehnts.

Und:

Der Konflikt hat den Sudan weiter destabilisiert,
und er hat sich zeitweise auch auf die Nachbarlän-
der, Tschad und die Zentralafrikanische Republik,
ausgeweitet.

Das ist ein Statement, das uns in unserer Meinung zu-
sätzlich unterstützt, dass eine konsequente Erfüllung des
Mandats notwendig und eine gute Strategie ist.

Die Bundestagsfraktion der SPD unterstützt deshalb
das Mandat mit Dank an die Frauen und Männer in
Darfur, die dort eine hervorragende Arbeit unter oftmals
schwierigen Bedingungen leisten. Wir tun das in der
Überzeugung, dass man in der internationalen Staatenge-
meinschaft auf die Bundesrepublik Deutschland als ver-
lässlichen starken Partner zählen kann. Diese Mission ist
ein ausgezeichnetes Beispiel, wie das Konzept der ver-
netzten Sicherheit auch in einem Einsatz unter dem Dach
der UN funktionieren und Gutes bewirken kann. Daran
wollen wir konsequent weiterarbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720415900

Johannes Selle hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1720416000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann nahtlos an
Kollegin Evers-Meyer anschließen: Der Darfur-Konflikt
gehört zu den furchtbarsten aktuellen Katastrophen.
Zwischen 2003 und 2008 verloren Hunderttausende
Menschen ihr Leben, und 2,5 Millionen Menschen wur-
den vertrieben. 2007 wurde das UN-Mandat für
UNAMID beschlossen. Aufgabe ist im Wesentlichen,
die Bewegungsfreiheit der Helfer zu sichern, die Bevöl-
kerung zu schützen und ein Friedensabkommen zu be-
gleiten.

Mit dieser Mission, die wesentlich auf den Schultern
der Afrikanischen Union ruht, konnte der Konflikt seit
2008 eingedämmt werden. Die Mission ist immer noch
mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, aber die Ge-
walt ist zurückgegangen. Flüchtlinge kehren teilweise
wieder in ihre Heimat zurück. Einheimische haben jetzt

ein politisches Mitspracherecht in der regionalen Ver-
waltung, der „Darfur Regional Authority“.

Die Basis dafür wurde im Doha-Friedensabkommen
von 2011 gelegt, leider nur mit einer Rebellengruppe,
der „Liberation and Justice Movement“. Die Rebellen-
gruppe „Justice and Equality Movement“, die bisher als
die militärisch stärkste galt, hat sich nach dem Tod ihres
Führers Khalil Ibrahim gespalten. Teile der JEM wollen
jetzt mit der Regierung verhandeln, andere haben sich
mit der SPLM-Nord zur „Sudan Revolutionary Front“
zusammengeschlossen und wollen die Regierung in
Khartoum stürzen.

Der brüchige Zusammenschluss von Rebellenorgani-
sationen zur „United Resistance Front“ sorgt für zusätz-
liche Unruhe in der Region. Die Rückzugsgebiete im
Tschad dienen immer wieder dazu, Angriffe auf die
Zivilbevölkerung zu starten. Auch UNAMID selbst ist
immer wieder das Ziel von Angriffen. Das zeigt, wie
komplex die Zusammenhänge im Sudan insgesamt sind
und dass sie als Ganzes betrachtet werden müssen.

Erschreckende Berichte erreichen uns in den letzten
Tagen. Einige deutsche Hilfsorganisationen beklagen
sich darüber, dass ihre Mitarbeiter keinerlei Reisegeneh-
migungen von der Zentralregierung für Projektbesuche
erhalten. Die Sicherheitslage habe sich wieder ver-
schlechtert. Projektbesuche in Krankenstationen und
Kliniken in Norddarfur stellen ein erhebliches Sicher-
heitsrisiko dar. Immer wieder flammen Kämpfe zwi-
schen Rebellengruppen oder zwischen Rebellen und der
sudanesischen Regierung auf. UNAMID bleibt daher bis
auf weiteres als stabilisierendes Element unverzichtbar.
Die Sicherheitslage in Darfur kann sich nur durch
UNAMID verbessern.

Uns ist es ein großes Anliegen, dass die Afrikanische
Union in die Friedenssicherung einbezogen wird. Die
Afrikanische Union selbst ist sich der Verantwortung be-
wusst, die sie gerade in solchen Konflikten übernehmen
muss. Dazu begrüße ich insbesondere den Beitrag der
Bundesregierung für die Ausbildung afrikanischer Staa-
ten und Polizisten im Kofi-Annan-Training-Center in
Accra.

Ich war Ende August dieses Jahres in Khartoum. Dort
traf ich zusammen mit dem Kollegen Rebmann den ver-
antwortlichen Staatsminister der Zentralregierung für
Darfur, Ghazi al-Attabani, Chef der Regierungspartei
NCP. Unmissverständlich machten wir deutlich, dass der
Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur in erster Linie der
sudanesischen Zentralregierung obliegt. Al-Attabani
räumte Versäumnisse ein.

Bislang hat Khartum keine größeren Investitionen in
Darfur getätigt oder nationale Entwicklungsprogramme
aufgelegt, die die Darfur-Provinz stärker an die Zentral-
regierung binden würden. Für die nähere Entwicklung
favorisiert der Staatsminister landwirtschaftliche Pro-
jekte und die Schaffung von lokalen Serviceeinrichtun-
gen. Uns gegenüber jedenfalls signalisierte er Koopera-
tionsbereitschaft in den Fragen: Was kann getan werden,
um der Krise Herr zu werden? Wie kann die rohstoffrei-
che Region befriedet und entwickelt werden? Man benö-





Johannes Selle


(A) (C)



(D)(B)


tige für Darfur einen Strategieplan sowie Investitionen in
die Landwirtschaft. Hier sollte sich Deutschland einbrin-
gen. Deshalb ist eine deutsche Beteiligung an der Ver-
längerung des UNAMID-Einsatzes wichtig.

Mein Eindruck ist: Die Bevölkerung hat die gewaltsa-
men Machtkämpfe satt. Die Menschen sehnen sich nach
Mitsprache und Entwicklung. Ich wünsche mir, dass sich
Deutschland aktiv am Wiederaufbau in Darfur beteiligt.
Katar plant im Dezember eine Konferenz zum Wieder-
aufbau in Darfur. Das ist die Gelegenheit. Aber ohne Si-
cherheit gibt es keinen Wiederaufbau. UNAMID wurde
von den Vereinten Nationen bereits verlängert. Damit ist
diese Mission nicht gescheitert, auch wenn noch viel zu
tun bleibt.

Deutschland ist der einzig verbliebene NATO-Partner –
mit momentan 14 Personen. Deutschland stärkt afrikani-
sche Peacekeeping-Fähigkeiten vor allem durch den Ein-
satz deutscher Soldaten und Polizisten vor Ort. „Das
Ausmaß, in dem unsere Anwesenheit wahrgenommen
wird, ist nicht nur überraschend; es zeigt uns auch, dass
das deutsche Engagement in der Mission sehr positiv
aufgenommen wird“, berichtet ein Stabshauptmann aus
Potsdam über die Mission. „Meine Aufgabe besteht im
Aufbau der Geländeanalysefähigkeit. Diese auftragsbe-
zogene individuelle Analysekompetenz bewertet alle
räumlichen Einflussfaktoren für die operative Entschei-
dungsfindung und gehört zu den entscheidenden Leis-
tungen einer geostrategischen Beratungsstelle. Diese Fä-
higkeit fehlt derzeit in UNAMID. In Absprache mit dem
Chief entwerfe ich mit meinen Mitarbeitern daher ein
Konzept für ein Team ‚Geländeanalyse‘, um so den ope-
rativen Bereich unterstützen zu können“, so der Stabs-
hauptmann aus Potsdam weiter.

Ich möchte dem Stabshauptmann zusammen mit allen
Soldaten und Polizisten, die dort unter schwierigen Be-
dingungen ihren Dienst leisten, Dank und Anerkennung
aussprechen. Im letzten Jahr wurde dieses Mandat für
die deutsche Beteiligung an UNAMID von allen Fraktio-
nen in großer Geschlossenheit getragen. Die Mission hat
– so meine ich – diese Geschlossenheit verdient. Ganz
sicher haben die Menschen in Darfur sowie unsere Bun-
deswehr- und Polizeikräfte diese Geschlossenheit ver-
dient. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720416100

Kathrin Vogler hat das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720416200

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Heute wollen Sie das Bundeswehrmandat
für die gemeinsame Mission der Afrikanischen Union
und der Vereinten Nation in Darfur, kurz UNAMID, zum
fünften Mal verlängern. Diese Mission wurde vom UN-
Sicherheitsrat im Jahr 2007 beschlossen, um das dama-
lige Friedensabkommen zwischen der sudanesischen
Armee und verschiedenen Rebellentruppen zu unter-

stützen. Inzwischen gibt es seit 2011 ein neues Friedens-
abkommen. Aber auch dieses hat denselben Geburtsfeh-
ler wie alle vorangegangenen; denn es bezieht nicht alle
Milizen ein, die in Darfur gegeneinander kämpfen. Die
JEM als stärkste Rebellenarmee hat es scharf kritisiert.
Auch die SLA ist nicht beteiligt. Ich sage Ihnen: UNAMID
kann keine friedenssichernde Rolle spielen, weil es
schlicht keinen Frieden in Darfur gibt, den man sichern
könnte.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Bomben und das Schießen geht weiter.

Das neue Abkommen birgt sogar die Gefahr neuer Es-
kalation und neuer Konfliktlinien, weil es die Gründung
zweier neuer Bundesstaaten vorsieht, die die Spaltung
entlang der ethnischen Grenzen vertiefen. Ein afrikani-
sches Sprichwort sagt: Das Gegenteil von gut gemacht
ist gut gemeint. – Das trifft leider auch auf UNAMID zu:
bestenfalls gut gemeint, aber ganz sicher nicht hilfreich
für den komplizierten Friedensprozess im Sudan und
zwischen den beiden sudanesischen Staaten. Deswegen
sagen wir als Linke ganz klar Nein zu dieser Mandats-
verlängerung.


(Beifall bei der LINKEN)


UNAMID ist eine der größten und teuersten UN-Mi-
litärmissionen. Sie zeitigt trotzdem keine wirklichen Er-
folge. Warum? Es ist eine Mission Impossible; denn
UNAMID soll ein Friedensabkommen umsetzen, das
selbst von der Bundesregierung unumwunden als ge-
scheitert bezeichnet wird. UNAMID soll Zivilisten
schützen. Doch die Zahl der Toten, der Verletzten und
der Vertriebenen steigt gerade jetzt, wo wir debattieren,
wieder an. Tatsächlich verteilt UNAMID Hilfsgüter.
Aber das ist definitiv keine militärische Aufgabe. Vertei-
len darf UNAMID übrigens nur dort, wo es die sudanesi-
sche Regierung erlaubt. Mit dem Grundsatz, dass huma-
nitäre Hilfe neutral und unabhängig sein muss, dass sie
nach Bedürftigkeit und nicht nach Wohlverhalten ge-
währt wird, hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Dadurch macht sich die Mission zum Spielball der
Konfliktparteien, die die Bevölkerung für ihre militäri-
schen Ziele in Geiselhaft nehmen. UNAMID ist noch
nicht einmal in der Lage, zu verhindern, dass unablässig
neue Waffen nach Darfur strömen. UNAMID ist einfach
ein gescheiterter Einsatz. Anstatt ihn zu verlängern, soll-
ten Sie die deutsche Beteiligung hier und heute beenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie werden jetzt sagen: Aber man muss doch etwas
tun. – Ja, da haben Sie völlig recht. Man muss auch et-
was tun. Aber irgendetwas tun heißt nicht, das Richtige
zu tun.


(Edelgard Bulmahn [SPD]: Was?)


Richtig wäre, alles zu tun, damit die Regierungen des
Sudan, des Südsudan und des Tschad an einen Tisch
kommen und vereinbaren, dauerhaft keine Milizen in
den Nachbarländern mehr zu unterstützen.


(Joachim Spatz [FDP]: So ein Krampf!)






Kathrin Vogler


(A) (C)



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Dafür müssten die Konflikte um Grenzen und Rohstoffe
zwischen den beiden sudanesischen Staaten endlich ge-
klärt werden. Und wir sollten alles dafür tun, jungen
Menschen in diesen Ländern eine Perspektive zu geben;
denn wer eine Zukunft zu verteidigen hat, ist nicht mehr
so anfällig für die Anwerbeversuche von gewaltbereiten
Gruppen.

Wir sollten natürlich endlich aufhören, überall hin
Waffen zu exportieren; denn mit Waffen schafft man kei-
nen Frieden.


(Beifall bei der LINKEN)


Haben Sie endlich den Mut zu neuen Ideen, anstatt einen
wirklich gescheiterten Einsatz nur deshalb fortzusetzen,
weil Ihnen nichts Besseres einfällt.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720416300

Agnes Brugger hat das Wort für Bündnis 90/Die Grü-

nen.


Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720416400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach ei-

nem viele Jahre andauernden bewaffneten Konflikt ist
der Weg zum Frieden immer dornig und steinig. Eine
Friedensmission in einem solchen Konflikt erlebt im
Laufe ihres Einsatzes immer wieder Licht und Schatten,
auch wenn sie im Grunde den richtigen Ansatz verfolgt.
Die Situation in Darfur ist nach wie vor dramatisch. Mil-
lionen Menschen sind weiter tagtäglich mit Gewalt kon-
frontiert, und auch die humanitäre Lage ist katastrophal.

Im Sudan ist rund ein Fünftel der UN-Kräfte statio-
niert; dennoch gelingt der Schutz der Zivilbevölkerung
nur bedingt. Sicherlich, es ist schwer zu ertragen, dass
unter den Augen der UN-Friedenskräfte immer noch Ge-
walt und Vertreibung stattfinden. Aber man muss sich
doch die Frage stellen, wie die Situation ohne die UNAMID-
Mission aussehen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Ausmaß der Gewalt wäre ohne die Blauhelme noch
wesentlich höher. Ohne UNAMID wäre auch die drin-
gend benötigte humanitäre Hilfe in Darfur vollends un-
möglich. Deshalb werden wir Grüne dieser Mission, wie
in den letzten Jahren auch, wieder zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eines der grundsätzlichen Probleme für UNAMID
bleibt die Regierung des Sudan. Das liegt nicht nur an
der brutalen und düsteren Geschichte der Regierungs-
mitglieder. Nach wie vor wendet die sudanesische Füh-
rung Gewalt gegen die eigene Bevölkerung an. Sie un-
terstützt auch Milizen, die mit äußerster Brutalität gegen
Zivilisten und Zivilistinnen vorgehen. Gleichzeitig
behindert sie die Arbeit von Hilfsorganisationen und
UNAMID.

Wenn man den Konflikt ganz grundsätzlich betrach-
tet, dann stellt man fest: Nach wie vor profitieren zu
viele Akteure im Sudan von der Ökonomie des Krieges,
die in diesem so viele Jahre andauernden Konflikt ver-
festigt wurde. Gleichzeitig werden Ressourcen wie Wei-
deland und Wasser immer knapper, auch aufgrund des
Klimawandels in der Region. Hinter dieser Gewalt
– auch das muss man betrachten – stehen Fragen um
Mitbestimmungsmöglichkeiten, von kulturellen Identitä-
ten und Konflikten um die Verteilung von Ressourcen.
Für diese Fragen muss eine politische Lösung gefunden
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU])


Das im März auf den Weg gebrachte Doha-Doku-
ment, das mögliche Schritte für den Frieden in Darfur
aufzeigt, ist ein Hoffnungsschimmer. Aber noch ist das
Dokument nicht von allen Rebellengruppen unterzeich-
net. Noch steht seine Umsetzung aus. Aber es wäre
falsch, die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in Dar-
fur aufzugeben. Die Menschen in Darfur tun dies auch
nicht.

Über UNAMID hinaus brauchen wir weitere Anstren-
gungen für den Frieden. Der fortdauernde Konflikt wird
nach wie vor auch von außen angeheizt. Am Beginn die-
ses Jahres hat Amnesty International ausführlich über
die nicht abreißenden Waffenlieferungen von Russland
und China an den Sudan berichtet. Die Waffen finden ih-
ren Weg auch nach Darfur. Sie werden dort auch gegen
die Zivilbevölkerung gerichtet. Diese Waffenlieferungen
sind nicht hinnehmbar. Deshalb müssen die Sanktionen
gegen den Sudan effektiv umgesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gilt auch ganz grundsätzlich: Rüstungsexporte in
Krisenregionen sind und bleiben eine Gefahr für den
Frieden überall auf dieser Welt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Trotzdem sind die Verhandlungen über die weltweite
Begrenzung des Waffenhandels durch den Arms Trade
Treaty im Sommer dieses Jahres leider ergebnislos ver-
laufen. Ich finde, wir müssen aus Konflikten wie in
Darfur auch für die Zukunft Lehren ziehen, zum Beispiel
gerade auch in Bezug auf die ungebremste Verbreitung
von Kleinwaffen, die in solchen Krisenregionen verhee-
rende Auswirkungen hat.

Wir dürfen uns auch nichts vormachen: Der Weg zum
Frieden in Darfur wird auch weiterhin noch lang und
steinig sein. Leider stellen wir auch fest, dass dieser
Konflikt aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten ist.
Auch wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen
hier in der Verantwortung, den Blick der Öffentlichkeit
auf die Situation der Menschen in Krisenregionen zu
lenken. Das sollten wir nicht nur dann tun, wenn wir
diese Mandate im Bundestag debattieren.





Agnes Brugger


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An dieser Stelle möchte ich den deutschen und inter-
nationalen Friedenskräften der UNAMID-Mission, den
Zivilen und den Soldatinnen und Soldaten, den Hilfsor-
ganisationen im Land und den Menschen im Sudan, die
trotz der anhaltenden Gewalt für eine friedliche Zukunft
streiten, ganz herzlich danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, und der FDP)


Ich finde, ihr Engagement muss uns auch weiterhin eine
Verpflichtung sein.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720416500

Der Kollege Dr. Reinhard Brandl hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1720416600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Konflikt in Darfur droht schleichend in Verges-
senheit zu geraten. Deswegen ist es gut, dass wir ihn in
diesem Hohen Hause immer wieder zum Thema ma-
chen. Die humanitäre Lage dort ist weiterhin verheerend.
1,7 Millionen Menschen sind dort immer noch auf Not-
hilfe angewiesen.

Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Monaten
vor allem im Norden von Darfur noch weiter verschlech-
tert. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung haben zu-
genommen. Selbst auf Angehörige von UNAMID sowie
auf Angehörige von zivilen Hilfsorganisationen werden
Attacken verübt. Allein im Oktober kamen fünf Soldaten
von UNAMID ums Leben. Ein Großteil dieser Attacken
wird Milizen zur Last gelegt, die die Regierung in Khar-
toum unterstützen.

Nach Angaben von UNAMID wurde trotz anderslau-
tender Ankündigungen der Regierung bis heute niemand
wegen der Morde an den Blauhelmen der sudanesischen
Justiz vorgeführt. Das ist nicht akzeptabel, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es passt aber in das Bild, das wir auch sonst von dieser
Regierung haben. Immer wieder gibt es Schwierigkei-
ten: Visa werden nicht erteilt; Transportgenehmigungen
für Hilfsgüter werden oft monatelang verzögert, und
– der Kollege Selle hat es angesprochen – die Bewe-
gungsfreiheit der Mission wird immer wieder einge-
schränkt.

Angesichts dieser Situation kann man sich natürlich
fragen: Warum machen wir das überhaupt?


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Fragen Sie sich das mal!)


Die Kollegin Brugger hat die Antwort gerade gegeben:
weil ohne UNAMID die Situation noch viel dramati-

scher wäre. Das gilt sowohl für die humanitäre Situation
und die allgemeine Sicherheitslage als auch für den
Schutz der Zivilbevölkerung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu kommt, dass wir mit unseren Beiträgen zu
UNAMID, sei es finanziell oder personell, die Afrikani-
sche Union dabei unterstützen, ihre Peacekeeping-Fä-
higkeiten weiter aufzubauen, damit sie auch selber in der
Lage ist, für Sicherheit auf ihrem Kontinent zu sorgen.
Die Afrikanische Union – auch das dürfen wir nicht ver-
gessen – trägt die Hauptlast bei diesem Einsatz. Um ei-
nen Eindruck von der Größenordnung zu geben: Insge-
samt umfasst UNAMID 21 000 uniformierte Soldaten
und Polizisten. Wir Deutschen stellen derzeit vier Poli-
zisten und zehn Soldaten. Das ist ein symbolischer Bei-
trag, aber es ist wichtig, dass wir ihn leisten und die
Afrikanische Union in dieser Situation nicht alleinlas-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, es ist auch nicht so, dass
es gar keine Fortschritte gäbe. Am 22. Oktober hat die
Regierung mit der Rebellengruppe Justice and Equality
Movement ein Abkommen unterzeichnet, in dem sie
sich zu dem gemeinsamen Ziel bekennen, die Gewalt in
Darfur zu beenden. Sowohl die Gruppe als auch die Re-
gierung haben angekündigt, auf Basis des Doha-Doku-
mentes weitere Verhandlungen zu führen. Damit hat sich
nun bereits die zweite Rebellengruppe diesem Doku-
ment angeschlossen.

Die Umsetzung des darin skizzierten Friedensprozes-
ses geht nur langsam voran; aber immerhin geht sie vo-
ran. Natürlich macht es die wirtschaftliche Situation für
die Regierung in Khartoum schwierig – man muss die
Situation im Sudan insgesamt sehen –, die nötigen Res-
sourcen dort zu allokieren. Aber, meine Damen und Her-
ren, die Regierung in Khartoum kann mehr tun für Dar-
fur, und sie muss mehr tun für Darfur.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mehr Einsatz von Khartoum wäre auch ein Signal an
die Gruppen, die sich dem Doha-Dokument noch nicht
angeschlossen haben, und es wäre auch ein Zeichen,
dass die Regierung es mit dem Friedensprozess ernst
meint.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, meine Fraktion wird diesem Mandat zu-
stimmen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich
bei denjenigen Soldaten und Polizisten bedanken, die
dieses Mandat für uns ausführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Dieser Applaus ist sehr angebracht; denn diese Männer
und Frauen leisten eine bewundernswerte Arbeit unter





Dr. Reinhard Brandl


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härtesten Bedingungen. Sie sind hervorragende Bot-
schafter unseres Landes, und wir können stolz auf sie
sein.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720416700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-
Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11389, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 17/11036 anzunehmen. Wir stimmen nun
über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Ab-
stimmungsurnen besetzt? – Das ist offensichtlich der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung.

Ich stelle die obligate Frage: Haben alle anwesenden
Mitglieder des Hauses abgestimmt? – Das ist offensicht-
lich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Zu-
satzpunkte 5 a und 5 b, die Tagesordnungspunkte 46 c
bis 46 e sowie den Zusatzpunkt 6 auf:

ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen
durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und
Cent

– Drucksache 17/11331 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Nebentätigkeiten transparent machen – Bran-
chen kennzeichnen

– Drucksache 17/11332 –

46 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmit-
glieder

– Drucksache 17/11204 –

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar
Enkelmann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Transparenz und Unabhängigkeit im Bundes-
tag und in der Bundesregierung

– Drucksache 17/11333 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz re-
geln

– zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Parteispenden von Unternehmen und Wirt-
schaftsverbänden verbieten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weite-

rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Partei-Sponsoring transparenter gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weite-

rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Parteispenden begrenzen

– Drucksachen 17/892, 17/651, 17/1169, 17/547,
17/6566 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Gabriele Fograscher
Dr. Stefan Ruppert
Raju Sharma
Wolfgang Wieland

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

„Karenzzeit“ für ehemalige Bundesminister
und Parlamentarische Staatssekretäre in An-
lehnung an EU-Recht einführen

– Drucksache 17/11318 –1) Ergebnis Seite 24771 C





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



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Über einen der Anträge der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich
abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


(Unruhe)


– Wir wollen die Debatte fortsetzen. Deswegen bitte ich
die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des
Hauses – CDU/CSU- und FDP-Fraktion –, die privaten
Gespräche deutlich zu reduzieren.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720416800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bera-

ten heute fünf Anträge meiner Fraktion zum Thema
„Mehr Transparenz in der Politik“. Wir beraten heute
mit mehr öffentlicher Aufmerksamkeit als bei der ersten
Lesung einiger dieser Initiativen, weil wir die Diskus-
sion über die Transparenz der Nebentätigkeit von Abge-
ordneten hatten. Leider redet dieses Hohe Haus über
Transparenz, ob das beim Parteiengesetz ist oder beim
Status der Abgeordneten, immer nur aus aktuellem
Anlass. Das ist falsch. Wir sollten hier gründlicher arbei-
ten. Ich hoffe, dass uns das mit der heutigen Debatte ge-
lingt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Transparenz ist nämlich kein Selbstzweck. Transpa-
renz soll sicherstellen, dass nicht Interessen in illegiti-
mer Weise auf parlamentarische und exekutive Entschei-
dungen Einfluss nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist für die Legitimität einer Demokratie und eines
Rechtsstaats unabdingbar. Deshalb geht es bei Transpa-
renz der Nebentätigkeit von Abgeordneten nicht um So-
zialneid, nicht um Neugier, sondern es geht darum, dass
der Bürger nachvollziehen kann, dass der Abgeordnete
nur nach bestem Wissen und Gewissen für das Allge-
meinwohl und im Sinne des Wählerauftrags handelt und
nicht für subjektive wirtschaftliche Interessen seiner
Auftraggeber.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie ha-
ben in den letzten Wochen die Backen aufgeblasen, weil
Sie den Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands aufs Korn nehmen wollten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn?)


Sie haben von ihm eine Transparenz gefordert, die Sie
nicht bereit sind, als Regel für alle Mitglieder des Hohen

Hauses gelten zu lassen. Das ist schäbig. Das ist Heuche-
lei. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben heute gemeinsam mit der SPD einen An-
trag eingebracht, in dem wir Transparenz auf Heller und
Batzen oder auf Euro und Cent fordern. Das heißt, das,
was Herr Steinbrück gemacht hat, soll in Zukunft auch
für alle Mitglieder des Hauses gelten und entsprechend
vom Bundestagspräsidenten veröffentlicht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich wüsste schon gern, was die Spitzenverdiener des
Hauses, außer Herrn Steinbrück, verdienen. Vielleicht
erscheint manches dann in einem ganz anderen Licht.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Wir hatten auch Diskussionen nach der Veröffentlichung
von Herrn Steinbrück. Diese Diskussionen sind gut, weil
sie klären sollen: Ist alles korrekt? Ist das vielleicht er-
staunlich viel Geld, geht aber in Ordnung? Oder: Gibt es
Dinge, bei denen es Nachfragen gibt?

Wir wollen endlich auch durchsetzen, was wir im Jahr
2005 schon gefordert haben, dass nämlich die Berufsge-
heimnisträger – die Steuerberater, die Rechtsanwälte –
wenigstens die Branchen ihrer Auftraggeber veröffentli-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gab den Fall des Herrn Friedrich Merz, der als Abge-
ordneter die Interessen der RAG wahrgenommen hat.
Dem Webauftritt des Deutschen Bundestages konnte
man seine Lobbytätigkeit als Rechtsanwalt für die RAG-
Stiftung nicht entnehmen. Ich meine, das ist nicht rich-
tig. So etwas müssen wir sehen, müssen wir erkennen.
Darauf haben die Wählerinnen und Wähler einen An-
spruch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir fordern auch, dass, wenn Mitglieder der Bundes-
regierung aus ihrem Amt ausscheiden, klar sein muss,
dass die Anschlussbeschäftigung eine allein berufliche
Tätigkeit ist und kein Dankeschön für Entscheidungen
im Amt und kein Einkaufen von Amtswissen durch Kon-
zerne und Wirtschaftsverbände.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ah ja!)


Das ist gegenwärtig nicht gewährleistet.

Die EU-Kommission hat damals eine solche Rege-
lung nach dem Wechsel von Bangemann zu Telefónica
eingeführt.





Volker Beck (Köln)



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(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hieß immer: Bangemann, geh du voran!)


Es ist da nämlich derjenige in ein Telekommunikations-
unternehmen eingetreten, der zuvor als EU-Kommissar
den Telefonmarkt in Europa reguliert hat. Solche Sachen
gehen nicht. Das muss genehmigt werden. Es kann nicht
einfach das versilbert werden, was man im Amt geleistet
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir müssen auch im Par-
teiengesetz mehr Transparenz schaffen. Wir wollen
Spenden auf 100 000 Euro pro Jahr und pro Person be-
grenzen, und wir wollen, dass Sponsoringverträge öf-
fentlich gemacht werden. Daran ist nichts Verkehrtes.
Wenn es aber als Produkt der Parteizentrale Verträge gibt
wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen mit Herrn
Rüttgers: „Rent a MP“, dann muss das vom Bundestags-
präsidenten überprüft und unterbunden werden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720416900

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen!


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720417000

Denn das ist eine illegitime Tätigkeit. Diese illegiti-

men Formen des Zusammenhangs von Geld und Politik
wollen wir beseitigen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ende! Feierabend!)


Da ist Transparenz die beste Remedur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720417100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem

nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum
Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
UNAMID-Mission bekanntgeben: abgegebene Stim-
men 573. Mit Ja haben gestimmt 504, mit Nein haben
gestimmt 68, Enthaltungen 1. Die Beschlussempfehlung
ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon

ja: 503
nein: 68
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe

Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters

Olav Gutting
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke

Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen

Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg

Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen

Marianne Schieder

(Schwandorf)


Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein

Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus

Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke

Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


Nun erteile ich Bernhard Kaster für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1720417200

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Der Debattenbeginn und auch die Anzahl
der Anträge, die teilweise ohne Beratung im Geschäfts-
ordnungsausschuss abgestimmt werden sollen, zeigen,
dass es heute weniger um die Sache geht als vielleicht
vielmehr um die Ablenkung von anderen Sachverhalten,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon soll ich denn ablenken?)


von Sachverhalten nämlich, bei denen die Transparenz
in den vergangenen Wochen beispielhaft funktioniert
hat, und zwar von Berlin bis Bochum. Die Bürger bilden
sich da ihr eigenes Urteil. So ist es ja auch gewünscht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen den gläsernen Abgeordneten genauso we-
nig wie den gläsernen Bürger. Wir brauchen aber aus gu-
ten Gründen beim Abgeordneten mehr Transparenz als
bei anderen Personen. Die Bürger sollen wissen: Steht
beim Abgeordneten das Mandat noch im Mittelpunkt?
Sie sollen wissen: Gibt es Einkünfte, die Interessen be-
einflussen könnten? Hierfür brauchen wir klare Regelun-
gen. Wir haben zwar klare Regelungen, aber wir brau-
chen Erweiterungen.





Bernhard Kaster


(A) (C)



(D)(B)


Lassen Sie mich sagen: Der Fall eines einzigen Kolle-
gen, der in Stil, Art, Ausmaß und Parlamentsverständnis
aus dem Rahmen fällt, darf dabei nicht alleiniger Maß-
stab sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Ich persönlich finde es sogar ungeheuerlich, dass seitens
der SPD – und die Grünen beteiligen sich daran – wegen
der Besonderheiten eines Einzelfalles ein Zerrbild vom
ganzen Parlament gezeichnet und auch in Kauf genom-
men wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie das doch durch Transparenz klar!)


70 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages
haben neben ihrem Mandat keinerlei Nebeneinkünfte.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Warum haben Sie es dann gefordert?)


Es gibt eine sehr interessante und, wie ich finde, er-
mutigende Analyse der Parlamentszusammensetzung
nach der beruflichen Herkunft. Hiernach gibt es in unse-
rem Parlament 15,5 Prozent Selbstständige aus den Be-
reichen Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft. Es gibt
15,9 Prozent freiberuflich Tätige, also Rechtsanwälte,
Notare, Ärzte, Apotheker und Ingenieure. Wir in der
Union begrüßen diese Zusammensetzung ausdrücklich.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Herr Glos, Herr Kollege? Arbeitet der?)


All diese Kolleginnen und Kollegen, die sich dazu
entschieden haben, ihre eigene Berufs- und Lebensbio-
grafie für vielleicht zwei oder drei Legislaturperioden zu
unterbrechen – das ist bei über 50 Prozent der Kollegen
so –, müssen doch selbstverständlich Wege finden, wie
ihr Betrieb, ihr Büro oder ihre Kanzlei für eine be-
stimmte Zeit noch weiterlaufen können.

Deswegen werden wir als Koalition keiner Regelung
zustimmen, die es diesen Berufsgruppen weiter er-
schwert oder sogar unmöglich macht, sich um ein Bun-
destagsmandat zu bewerben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zudem: Bei den Angaben über Nebeneinkünfte han-
delt es sich um Bruttozuflüsse; sie sind daher oft schwer
miteinander vergleichbar. Ich will an dieser Stelle auch
erwähnen, dass Zuflüsse aus vielen sogenannten Neben-
tätigkeiten fast nie mit dem eigentlichen Arbeits-, Perso-
nal- und Zeitaufwand gleichzusetzen sind, weil es sich
um Zuflüsse handelt, die aus Betrieben fließend gemel-
det werden und die nur dank personeller Umorganisatio-
nen zustande gekommen sind.

So sieht die Wirklichkeit bei den Nebentätigkeiten
und Nebeneinkünften hier im Deutschen Bundestag aus.
Von schlimmsten dunklen Interessenvermischungen
– diese grundsätzliche Unterstellung hört man ja teil-

weise heraus – kann jedenfalls keine Rede sein. Darauf
dürfen wir hier im Deutschen Bundestag auch ein wenig
stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Eine Offenle-
gung der Einnahmen auf Heller und Batzen, auf Euro
und Cent – das klingt ja gut. Das ist aber auch schon so.
Auf Euro und Cent müssen alle Einnahmen gemeldet
werden. Die Veröffentlichung erfolgt in Stufen, und das,
verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat auch gute
Gründe.

Ich zitiere am besten aus der Debatte zur Einführung
der Stufenregelung:

Wir haben dieses Stufenmodell bewusst gewählt,
um allen verfassungsrechtlichen Bedenken Rech-
nung zu tragen…

… Wir haben dabei – da bin ich sicher – insgesamt
einen angemessenen Ausgleich zwischen dem be-
rechtigten Interesse der Öffentlichkeit auf Offen-
legung von Nebentätigkeiten und dem Schutz der
individuellen Grundrechte des einzelnen Abgeord-
neten gefunden.

So der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer
der SPD-Bundestagsfraktion.


(Thomas Oppermann [SPD]: Nicht von mir!)


Ein gewisser Kollege namens Volker Beck bemerkte
zum gleichen Thema:

… wir schützen die Abgeordneten sowie ihr Le-
bens- und Arbeitsumfeld mit der stufenweisen Ver-
öffentlichung.

Richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an SPD und Bündnis 90/Die Grünen gewandt: Wendehals! – Gegenruf der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]: So was von doof!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Aufgeregt-
heiten in der SPD-Fraktion bei diesem Thema mag man
verstehen. Ich persönlich finde es im Übrigen bemer-
kenswert und interessant, mit welchen Problemen sich
die Partei eines August Bebel oder Kurt Schumacher in
der heutigen Zeit herumschlagen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerade! Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!)


Meine Damen und Herren, was die Tonlage in der
Fraktion der Grünen angeht, kann ich nur feststellen:
Das ist nicht nur Tagespopulismus; ich erkenne darin
auch eine gewisse Berufsferne, eine Ferne zur Lebens-
wirklichkeit und zu den Verhältnissen hier im deutschen
Parlament.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe eine Anwaltszulassung! Was Bernhard Kaster haben Sie? Ich bin Sozialarbeiterin! Was können Sie? Was ist das für ein blöder Kommentar!)





(A) (C)


(D)(B)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich denke wir
sollten bei diesem Thema wieder zur Sachlichkeit zu-
rückfinden, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, im
Interesse der Transparenz und im Interesse des ganzen
deutschen Parlamentes, dieses Deutschen Bundestages.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Schöne Büttenrede!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720417300

Das Wort hat nun Thomas Oppermann für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1720417400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stim-

men heute über mehr Transparenz bei Nebeneinkünften
ab.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, genau!)


Das hat in der Tat eine Vorgeschichte, Herr Kaster, aber
Sie haben nur einen kleinen Teil davon erwähnt. Auf Ini-
tiative der SPD-Fraktion wurden seinerzeit, 1972, über-
haupt erst Verhaltensrichtlinien für Abgeordnete des
Deutschen Bundestags eingeführt. Die nächste Stufe
kam im Jahre 2002, als die SPD, dieses Mal gemeinsam
mit den Grünen, dafür gesorgt hat, dass Nebentätigkeiten
und die Höhe der Einkünfte dem Präsidenten gemeldet
werden müssen. Die dritte Stufe kam 2005; seitdem wer-
den die auf Euro und Cent zu meldenden Einkünfte in
drei Einkommensstufen unterteilt vom Präsidenten pu-
bliziert. Sie waren in allen drei Fällen – 1972, 2002 und
2005 – gegen diese Transparenz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Heute gehen wir einen Schritt weiter. Es ist die Ironie
der Geschichte, Herr Kaster, dass Sie anders als bei den
drei letzten Malen dieses Mal einen aktiven Beitrag dazu
geleistet haben.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es!)


Sie haben nämlich von Peer Steinbrück die volle Trans-
parenz gefordert: Auf Euro und Cent solle er alles auf
den Tisch legen.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Hat er ja nicht!)


Wir werden bei der Abstimmung heute sehen, ob Sie das
ehrlich gemeint haben oder ob Sie lediglich mit zweier-
lei Maß messen wollten, nach dem Motto: Von anderen
fordern wir Transparenz, aber selber sind wir nicht be-
reit, Transparenz zu schaffen. Das wäre scheinheilig.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer Kanzler werden will, muss sich auch andere Maßstäbe gefallen lassen!)


Aber warum überhaupt Transparenz bei Abgeordne-
ten? Transparenz soll nicht geschaffen werden, um den
Abgeordneten das Leben schwerzumachen. Vielmehr ist
Transparenz notwendig, um die Unabhängigkeit der Ab-
geordneten zu sichern. Wer das nicht glaubt, der mag das
in unserem Grundgesetz nachlesen. In Art. 48 steht:


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: 38!)


Die Abgeordneten … sind Vertreter des ganzen
Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden
und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Mit anderen Worten: Damit die Abgeordneten nicht nur
Vertreter von Partikularinteressen sind, sondern Vertreter
des ganzen Volkes sein können, müssen sie frei und un-
abhängig sein.

Das freie Mandat steht nicht im Grundgesetz, um die
persönlichen Freiheits- und Gestaltungsspielräume indi-
vidueller Abgeordneter zu erweitern. Das freie Mandat
ist eine Funktionsbedingung für die parlamentarische
Demokratie. Es wird gebraucht, damit unsere Demokra-
tie funktionieren kann. In dieser Demokratie ist Interes-
senvertretung keineswegs illegitim. Es trägt sogar zum
Gelingen der Demokratie bei, wenn unterschiedliche In-
teressen vertreten und am Ende zum Ausgleich gebracht
werden. Legitim ist Interessenvertretung allerdings nur
dann, wenn auch der materielle Kontext transparent ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Finanzielle Abhängigkeiten, Interessenkollisionen
oder Interessenverflechtungen müssen erkennbar, müs-
sen diskutierbar, müssen kritisierbar sein. Das ist aber
nur möglich, wenn Einkünfte aus Nebentätigkeiten nicht
verheimlicht, sondern auf Euro und Cent veröffentlicht
werden. Wir wollen damit dokumentieren, dass die Ab-
geordneten das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger
auch verdienen.

Wir haben Ihnen jetzt vorgeschlagen, vollständige
Transparenz herzustellen. Sie spüren selbst: Die Zeit da-
für ist reif. Sie bewegen sich enorm. Sie schlagen plötz-
lich weitere Einkommensstufen bis 250 000 Euro vor.
Sie haben gemerkt: Sie sind in einer selbstgestellten
Falle, da müssen Sie wieder raus. Sie bewegen sich ja in
die richtige Richtung, aber uns geht das nicht weit ge-
nug. Das reicht noch nicht.

Es wäre heute eine gute Gelegenheit, wenn wir als
Bundestag alle gemeinsam an die Bürgerinnen und Bür-
ger unseres Landes das Signal aussendeten: Wir Abge-
ordneten haben nichts zu verbergen. Wir rechtfertigen
das Vertrauen, das die überwiegende Mehrheit der Men-
schen noch in diese Institution hat. Wir veröffentlichen
die Einkünfte auf Euro und Cent.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)






Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


Wir wollen auch eine Karenzzeit für ausgeschiedene
Regierungsmitglieder einführen. Im deutschen Recht
fehlt dazu bisher jegliche Regelung; es gibt aber ein Be-
dürfnis für eine vernünftige Regelung. Wir wollen diese
in Anlehnung an die Regeln der Europäischen Kommis-
sion machen. Danach muss sich ein Kommissionsmit-
glied nach dem Ende der Dienstzeit innerhalb von
18 Monaten eine berufliche Tätigkeit nach Anhörung
von einer Ethikkommission genehmigen lassen. Das
halte ich für eine vernünftige Regelung.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wegen Schröder und Fischer!)


Ich möchte zusammenfassen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bitte!)


Sie von der Koalition haben in den letzten Wochen gro-
ßen Eifer gezeigt, als es darum ging, finanzielle Transpa-
renz vom politischen Gegner zu fordern.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Herr Steinbrück?)


Wir kommen Ihnen heute entgegen. Wir bieten Ihnen an,
das zu machen, was Sie gefordert haben. Sie müssen sich
jetzt nur noch bewegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie
müssen sich bei drei Sachen bewegen. Erstens. Sie ver-
hindern seit Jahren die Strafbarkeit der Abgeordnetenbe-
stechung und blamieren damit die deutsche Demokratie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Sie verweigern die Offenlegung und Transpa-
renz bei Nebeneinkünften auf Euro und Cent.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist schlichtweg falsch! Wir sind doch weiter als Sie zurzeit!)


Drittens. Sie blockieren die Regelung für eine angemes-
sene Karenzzeit von ausscheidenden Regierungsmitglie-
dern. Ich prophezeie Ihnen: Damit werden Sie und damit
können Sie nicht durchkommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Antitransparenz entspricht einem Demokratie-
verständnis von gestern. Deshalb sage ich: Begrenzen
Sie den Schaden, und stimmen Sie heute unseren Anträ-
gen zu!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720417500

Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720417600

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Was Sie hier vorführen, ist schon einigermaßen er-
staunlich. Wir befinden uns seit Wochen und Monaten
gemeinsam in intensiven Beratungen, um im Konsens
eine vernünftige Lösung zur Steigerung der Transparenz
herzustellen.

Bei der vorletzten Sitzung der Rechtsstellungskom-
mission war die SPD nicht anwesend. Deshalb konnten
wir nicht beraten.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht seit drei Jahren so, oder?)


Bei der letzten Sitzung haben die Koalitionsfraktionen
einen Vorschlag zur Erweiterung der Stufenregelung
vorgelegt, der weit über das hinausging, was Sie in
Wirklichkeit von uns erwartet hatten. Er sah nämlich
zehn Stufen bis zu 250 000 Euro und darüber vor.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Ihnen 13 als Kompromiss vorgeschlagen!)


Heute Morgen haben wir zusammengesessen. Alle,
die hier gesprochen haben, waren dabei. Wir haben eine
Liste von 17 schwierigen und teilweise sehr komplizier-
ten Punkten, die noch zu klären sind und über die wir
möglichst im Konsens entscheiden wollen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wann denn?)


Genau in diesem Moment machen Sie hier diese Show-
veranstaltung. Sie wissen doch genau, dass Sie so zu kei-
nem Ergebnis kommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist Handeln nach dem Motto: „Haltet den Dieb!“
Wir wollen die gerade noch einmal vorführen, bevor wir
mit ihnen zusammen etwas abstimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne die Causa Steinbrück hätten wir die Diskussion
im Moment gar nicht. Liebe Kollegen, lieber Herr
Oppermann, wer anderen Wasser predigt, darf nicht
selbst Wein trinken. Das geht nicht. Das ist eine doppelte
Moral.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720417700

Herr Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Beck?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720417800

Nein, keine Zwischenfragen.





Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)



(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr mutig!)


– Herr Kollege Beck, bei jeder Sitzung der Rechtsstel-
lungskommission muss ich mit größter Geduld Ihre Ein-
würfe ertragen. Erlauben Sie mir, dass ich das heute
nicht will;


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr kollegial!)


denn immer, wenn wir mit der SPD auf einem konsen-
sualen Weg sind, bringen Sie wieder Vorschläge ein, die
diesen Konsens vermeiden. Dafür sind Sie mittlerweile
bekannt.

Nein, meine Damen und Herren, wir wollen Transpa-
renz für die Abgeordneten und deren Beziehungen und
berufliche Tätigkeiten, aber wir wollen die Tür zum Par-
lament für alle Berufsgruppen offen halten. Das ist das
Entscheidende.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben nicht nur ein Parlament für Beamte oder
Angestellte, sondern auch für Selbstständige und Mit-
glieder der freien Berufe. Diese haben schutzwürdige
Interessen Dritter. Sie können nicht ins Parlament gehen
und ihr Büro oder ihre Firma weiter betreiben, wenn
alles aufgedeckt wird. Das wissen Sie genauso gut wie
ich. Deswegen ist die Stufenregelung richtig und ver-
nünftig, und wir werden uns hier auf ein vernünftiges Er-
gebnis einigen.

Herr Beck, abschließend will ich sagen: Sie reden
vom Sponsoring. Sie haben überhaupt nicht begriffen,
was Sponsoring ist. Sponsoring ist ex definitione öffent-
lich.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, da kennt sich die FDP ja aus!)


– Ja, natürlich kenne ich mich aus. Sie kennen sich auch
aus, weil Sie das auf Ihren Parteitagen genauso machen.
Das habe ich genau beobachtet. Sie machen genau das
Gleiche.


(Beifall bei der FDP)


Die Firmen, die dort ausstellen, bieten ihr Firmenlogo
an, und Sie werben mit den Firmenlogos auf Ihren
Broschüren.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie also diese doppelte Moral.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll man in Bayern herausfinden, wo Ihre Partei Sponsoring macht? Das ist doch Quatsch! Woher soll man wissen, was in Bayern passiert?)


Wir alle zusammen stehen in der Verantwortung für
dieses Parlament. Diese skandalisierenden Veranstaltun-
gen, die Sie hier vorführen, schaden in Wirklichkeit al-
len und nutzen niemandem.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was, Sie trauen sich nur nicht! Alles geheim halten!)


Ich appelliere an unsere gemeinsame Verantwortung,
den Ruf des Parlamentes hochzuhalten, das Parlament
für alle Berufsgruppen offen zu halten


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und das Schwarzer-Peter-Spiel endgültig zu beenden.
Davon hat keiner einen Vorteil.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720417900

Zu einer Kurzintervention erteile ich Volker Beck das

Wort.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch schon gesprochen!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720418000

Das müssen Sie schon ertragen, Herr Kauder. Noch

darf in diesem Parlament auch die Opposition das Wort
ergreifen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Noch haben wir solche Verhältnisse. Damit müssen Sie
jetzt zurechtkommen.

Sehr geehrter Herr Freiherr von Solms,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben vorhin die Causa Steinbrück angesprochen.
Weil wir drei Anträge zum Thema Parteienfinanzierung
vorliegen haben, wollte ich Sie ansprechen und fragen,
was aus der Causa Gauselmann für das Parteiengesetz
folgen soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen doch sicherstellen, dass auch nicht über den
Umweg von wirtschaftlichem Handeln parteieigener Be-
triebe Spenden undeklariert in die Parteikassen fließen.
Wir müssen auch dafür sorgen, dass Sponsoring tatsäch-
lich einen Vertrag über eine Werbeleistung der Partei ge-
genüber dem Wirtschaftsunternehmen beinhaltet und
nicht einfach eine verdeckte Spende ist, die gegenüber
dem Bundestagspräsidenten und der Öffentlichkeit noch
nicht einmal transparent gemacht werden muss.

Dazu haben Sie kein Wort gesagt. Ich glaube, dafür
gibt es in Ihrer Partei gute Gründe. Die Partei, die in
letzter Zeit immer wieder Probleme mit den Parteifinan-
zen hatte, ist schließlich die Freie Demokratische Partei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)






Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Es gibt also einen Grund, warum man das fürchtet. Sie
gehören ja selbst zu den ehemaligen Mitarbeitern der
Gauselmann-Kompanie, wenn ich richtig informiert bin.

Sagen Sie also einmal: Wann setzen wir uns zusam-
men? Wann machen wir Sponsoring transparent? Wann
begrenzen wir die Möglichkeiten, durch Spenden Ein-
fluss auf die Parteien zu nehmen? Wann wollen wir für
einen fairen Wettbewerb sorgen und intransparente
Einflussnahme auf die Politik – wie bei den Möven-
pick-Spenden oder in Sachen Spielverordnung durch
Gauselmann – zu verhindern? Ich glaube, wenn wir das
nicht machen, büßt am Ende die parlamentarische Demo-
kratie, büßt die Parteiendemokratie an Legitimität ein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber!)


Darum mache ich mir ernsthaft Sorgen;


(Zurufe von der FDP: Oh!)


denn ein schwarzes Schaf im Parlament kann das ganze
Haus und die gesamte demokratische Politik in Verruf
bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720418100

Herr Kollege Solms, Sie haben Gelegenheit zur Re-

aktion.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1720418200

Ich will in aller Kürze antworten: Keine Partei stellt

ihre Fakten so öffentlich aus, wie wir das tun.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gauselmann?)


Alles wird ins Internet gestellt. Jeder kann das nach-
lesen. Jede Frage, jede Antwort, alles steht im Internet.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gauselmann-Aktion? Die Wirtschaftsunternehmen? Nichts steht drin!)


– Sie können unserem Beispiel gerne folgen. Auch die
SPD, die im Verhältnis zu uns ein riesiges Parteivermö-
gen hat, kann das alles ins Internet stellen und verkün-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Wir haben gespart, im Gegensatz zu Ihnen!)


Wir haben kein schlechtes Gewissen. Wir sind da ganz
offen.

Im Übrigen würde ich Sie bitten, Herr Beck, mich mit
dem Namen anzusprechen, mit dem ich in der Politik ar-
beite. Der hat sich seit vielen Jahren bewährt, und den
brauchen Sie nicht zu verändern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720418300

Das Wort hat nun Raju Sharma für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Raju Sharma (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720418400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden

heute über den Themenkomplex „Parteienfinanzierung,
Transparenz, Lobbyismus, Nebentätigkeiten“. Dazu gibt
es insgesamt neun Anträge – das ist schon gesagt worden –:
drei von den Grünen, zwei von SPD und Grünen, drei
von der Linken und einen von der SPD. Die Einzigen,
die sich zu dem Thema überhaupt nicht geäußert haben,
die keinen eigenen Beitrag geleistet haben, sind bemer-
kenswerterweise die Koalitionsfraktionen von CDU/
CSU und FDP.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben schon gehandelt! Wir haben schon zehn Stufen geschaffen!)


– Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie haben nicht gehan-
delt. Deswegen hat mich auch gewundert, dass der Kol-
lege Oppermann gesagt hat, es bewege sich etwas. Ich
sehe keine Bewegung. Ich höre nur Ankündigungen. Das
sind alles nur Sprüche. Es hat sich überhaupt nichts be-
wegt!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen einmal zu den Sitzungen kommen!)


Seit Monaten blockieren FDP und Union die Umset-
zung der Empfehlung der Staatengruppe gegen Korrup-
tion. Nichts ist passiert! Es wurde schon gesagt, dass
Deutschland immer noch nicht die UN-Konvention ge-
gen Korruption ratifiziert hat. Auch da sind wir keinen
Schritt weitergekommen. Das liegt daran, dass Sie das
alles blockieren. In Wirklichkeit sind Sie die Dagegen-
Partei. Nichts passiert! Sie blockieren alles!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Blockierer!)


Zwei Oberbegriffe kennzeichnen auch die heutige
Debatte: Transparenz und Verbote. Ich sage Ihnen an
dieser Stelle: Beides ist wichtig. Wir wollen maximale
Transparenz, und wir wollen genau das verbieten, was
der Demokratie und dem Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger in den Staat abträglich ist. Wir wollen maximale
Transparenz, weil die Bürgerinnen und Bürger wissen
sollen, was wie finanziert wird; denn nur dann können
sie eine mündige Entscheidung treffen.

Dazu gehört natürlich das Thema Nebentätigkeit. Al-
les redet hier über die Causa Steinbrück. Aber wir haben
doch auch in anderen Fraktionen genug Fälle. Nehmen
wir einmal das Beispiel des Kollegen Koschorrek, der
für die CDU/CSU im Gesundheitsausschuss sitzt. Er hat
in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 28 bezahlte Vor-





Raju Sharma


(A) (C)



(D)(B)


träge gehalten, vor allem vor Lobbyisten der Pharma-
industrie. Auch darüber kann man doch einmal reden.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na klar kann man das! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Darüber muss man reden!)


Lassen Sie uns auch über Parteienfinanzierung reden.
Auch auf diesem Gebiet brauchen wir Transparenz.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger vorher wissen, wel-
che Großspenden zum Beispiel die FDP von Arbeitge-
berverbänden oder Konzernen erhält, dann wundert sich
hinterher niemand, welche Politik dabei herauskommt.
Das ist doch klar.


(Beifall bei der LINKEN)


Linke Wähler haben es einfach. Bei den Linken weiß
man, woran man ist.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir bekommen keine Spenden von Großkonzernen.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei uns zieht kein Lobbyist und kein Unternehmen mit
Spendenschecks an den Strippen. Das haben wir ganz
bewusst so geregelt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schalck-Golodkowski! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist denn euer Schwarzgeld?)


– Sie können sich gerne aufplustern, Frau Künast; ich
komme auch noch zum Thema Parteiensponsoring.
Auch dazu haben wir eine klare Position und im Gegen-
satz zu den Grünen eine klare Praxis.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das DDR-Geld! Wo ist es geblieben?)


Was die Spenden angeht, zieht bei uns niemand an
den Strippen – bei den Linken weiß man, woran man ist –,
deswegen sind wir nicht abhängig.


(Beifall bei der LINKEN)


Transparenz ist wichtig, aber wir brauchen in diesem
Feld auch Verbote. Verbote sind sinnvoll, weil es Wert-
entscheidungen des Gesetzgebers sind und weil wir be-
stimmte Mechanismen abstellen müssen. Das kann man
ganz einfach formulieren: Wir als Linke sind dagegen,
dass es Parteispenden von Unternehmen und Konzernen
gibt, weil wir Abhängigkeiten vermeiden wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind gegen ein Parteiensponsoring, weil dies nichts
anderes ist als verdeckte Parteienfinanzierung.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Gysi? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: In Amerika ist er doch! Der hebt Geld ab!)


Wir sind natürlich auch dagegen, dass es direkte Spen-
den an Abgeordnete gibt. Dort wird die Grenze zur

Korruption so verwischt, dass man es nicht mehr sauber
abgrenzen kann.

Da Sie bisher alles blockiert haben und auch heute al-
les blockieren, kann ich mir vorstellen, wie Sie zukünftig
damit umgehen werden. Union und FDP werden alle
Initiativen blockieren. Aber wir als Linke wollen nicht
darauf warten, dass Sie irgendwann in der Opposition
sitzen und es andere Mehrheiten gibt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wollen wir auch nicht!)


Wir als Linke sind mit gutem Beispiel vorangegangen.
Wir haben alle Nebenverdienste unserer Abgeordneten
veröffentlicht und diese Angaben auf den Cent genau ins
Netz gestellt, ohne dass es dazu eine gesetzliche Ver-
pflichtung gibt.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist euer SED-Geld?)


Das kann jede und jeder von uns machen. Dazu for-
dere ich uns alle auf. Jeder kann diesem Beispiel folgen.
Ich freue mich darauf, dass Sie in Ihren Wahlkreisen von
den Bürgerinnen und Bürgern darauf angesprochen wer-
den. Diese werden irgendwann vielleicht auch fragen:
Wenn das bei Abgeordneten der Linken möglich ist, wa-
rum nicht bei dir?

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720418500

Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteile

ich Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1720418600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolle-

ginnen und Kollegen! Herr Sharma, dass Sie von der In-
dustrie keine Spenden bekommen, liegt wahrscheinlich
primär daran, dass es keine volkseigenen Betriebe mehr
gibt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Der war gut!)


Von denen wären Sie sicherlich gesponsert worden.

In der vorletzten Sitzungswoche haben wir bereits in
einer Aktuellen Stunde dem Grunde nach über das glei-
che Thema debattiert. Damals hieß der Tagesordnungs-
punkt – das muss man sich einmal auf der Zunge zer-
gehen lassen –: „Integrität parlamentarischer
Entscheidungen durch mehr Transparenz und klare Re-
geln gewährleisten – Nebentätigkeiten, Karenzzeit für
Regierungsmitglieder, Abgeordnetenbestechung und
Parteiengesetz“. Mehr kann man unter einem Punkt
nicht zusammenfassen. Damit versucht man im Grunde
genommen, zu erreichen, dass das, worum es eigentlich
geht, nicht mehr offenkundig ist. Wenn die Opposition
kein anderes Thema als dieses hier wöchentlich zur De-





Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)


batte stellen kann, dann ist es um ihre Politikfähigkeit
sehr schlecht bestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sagen Sie mal was zum Tagesordnungspunkt!)


– Ja, dazu komme ich gleich.

Der ganze Wust von Vorschlägen, die jetzt auf den
Markt geworfen werden, dient erkennbar nur einem ein-
zigen Ziel – das ist eben und auch bei der Debatte in der
vorletzten Sitzungswoche deutlich geworden –: Sie wol-
len eigentlich ein anderes Parlament, ein Parlament aus
Beamten, Berufslosen und Gewerkschaftsfunktionären.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Studienabbrecher!)


Sie wollen Freiberufler, Handwerker und Selbstständige
ausschließen. Eben ist richtigerweise von Bernhard
Kaster darauf hingewiesen worden, wie wichtig gerade
diese Berufsgruppen in diesem Parlament sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin ganz eindeutig der Auffassung, dass das Zehn-
Stufen-Modell, das wir in der Rechtsstellungskommis-
sion eingebracht haben, ausreichend ist und transparent
macht, was jeder Einzelne mit seiner Nebentätigkeit tat-
sächlich verdient. Eine ausdifferenzierte Veröffentli-
chungspflicht in zehn Stufen ist sicherlich bestens geeig-
net, das Informationsbedürfnis zu befriedigen. Herr
Oppermann, Sie können das noch so oft wiederholen,
aber ich habe bisher noch kein Argument gehört, warum
eine Veröffentlichung auf Euro und Cent genau im Ver-
gleich zu dieser Staffelung einen Mehrwert an Öffent-
lichkeit bringen würde. Das ist einfach nicht der Fall.

Im Übrigen ist es so, dass die SPD offensichtlich
nicht überall dieser Auffassung ist. Gestern las ich in der
Berliner Morgenpost, dass die Berliner Landespolitiker
der SPD gegen eine Verschärfung der Offenlegungs-
pflichten für Nebeneinkünfte seien.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ein Teilzeitparlament!)


Sogar eine Veröffentlichungspflicht nach dem bisherigen
Drei-Stufen-Modell passt denen nicht in den Kram. Was
gilt denn nun: das, was Ihre Kollegen von der Berliner
SPD sagen, oder das, was Sie hier zum Besten geben?


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ein Teilzeitparlament!)


Das Gleiche, Herr Beck, gilt für eine Aufschlüsselung
nach Branchen. So etwas ist strikt abzulehnen. Ich will
auch sagen, weshalb: Wenn man diese Aufforderung
ernst nimmt, kommt es – das ist Ihnen ja schon vorge-
führt worden – zum offenen Rechtsbruch, und zwar im-
mer dann, wenn ein Anwalt in einer bestimmten Region
Mandanten vertritt und aus der Branchenbezeichnung er-
kennbar würde, welcher Mandant gemeint ist. Wenn Sie
die Vorschriften des Strafgesetzbuches ernst nehmen,
dann müssten Sie dies auch so sehen.

Ich bin seit über 30 Jahren Anwalt. Frau Künast war
eben stolz, über eine Anwaltszulassung zu verfügen; ob
sie tätig ist, weiß ich nicht. Ich kann jedenfalls sagen:
Angenommen, jemand ist auf dem Lande in einer klei-
nen Anwaltspraxis tätig und vertritt Arbeitnehmer im
Kündigungsschutz, Familien in Familiensachen und an-
dere in Unfallsachen. Was sollte er dann als Branche an-
geben?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie 20/20/20 an!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720418700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Beck?


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1720418800

Ja, ich ertrage sie jetzt als Zwischenfrage; sonst muss

ich sie wie der Kollege Solms nachträglich ertragen.
Dann lieber sofort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720418900

Nachdem Sie rechtlich umfangreich argumentiert ha-

ben, welche Bedenken Sie gegen eine Veröffentlichung
der Branche haben, frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass eine solche bereits Gegen-
stand des geltenden Rechts ist und vom Bundesverfas-
sungsgericht in einem Urteil für verfassungskonform
erklärt wurde? Der Präsident macht von dieser Veröf-
fentlichungsmöglichkeit lediglich keinen Gebrauch; sie
ist in den geltenden Verhaltensregeln aber ausdrücklich
vorgesehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1720419000

Herr Beck, was Sie wollen, hat mit den geltenden

Verhaltensregeln nichts zu tun; das ist die Antwort auf
Ihre Frage. Wenn die von Ihnen geforderte Pflicht be-
stünde, dann würde die Schweigepflicht des Anwalts im
Einzelfall verletzt. Das ist nicht akzeptabel, das verstößt
gegen geltendes Recht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders!)


Die Grünen haben auch noch andere Dinge gefordert,
unter anderem eine Karenzzeit für ehemalige Regie-
rungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre.
Ich möchte einmal daran erinnern, dass sich gerade Mit-
glieder der rot-grünen Regierung unter Gerhard
Schröder in dieser Weise besonders hervorgetan haben.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die würde das auch treffen! Das ist auch gut so! Ich bin auch nicht von allem begeistert!)


Ich meine, hier gilt der Satz: Wer im Glashaus sitzt, der
sollte nicht mit Steinen werfen.





Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)



(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es denn nicht eingeführt vor drei Jahren? Dann wären Sie doch jetzt fein raus!)


Nehmen wir den von Ihnen damals gestellten Außen-
minister: Er war erst wenige Monate aus dem Amt, da
hat er Vorträge für Investmentbanken wie Barclays Capi-
tal oder Goldman Sachs gehalten, er hat Beraterverträge
mit RWE und OMV, mit BMW, mit Siemens und mit
Rewe.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wenn so etwas schlecht ist, dann stimmen Sie doch zu!)


– Es ist nicht schlecht, Herr Kollege, sondern es ist eine
Tatsache, die in offensichtlichem Widerspruch zu Ihrer
Argumentation hier steht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Gleiche gilt für Herrn Schröder, den früheren
Bundeskanzler. Wir wissen noch sehr gut: Nur wenige
Wochen nachdem er aus dem Amt ausgeschieden ist,
wurde bekannt, dass er einen Posten bei der Nord Stream
AG angenommen hat,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt doch, wie nötig die Regelung ist!)


und wir wissen auch, was er in der Folge getan hat.

Wenn man über eine solche Vergangenheit verfügt,
dann sollte man es sich gut überlegen, bevor man solche
Forderungen aufstellt.

Zum Abschluss noch ein paar Bemerkungen bezüg-
lich der Frage der Parteispenden. Im Hinblick auf die
Linken habe ich ja schon Stellung genommen. Ich per-
sönlich muss ganz ehrlich sagen: Ich halte eine Begren-
zung von Parteispenden für nicht erforderlich. Partei-
spenden werden laut Parteiengesetz öffentlich gemacht.
Wir verfügen bereits über eine hinreichende Transpa-
renz.

Wenn man sieht, dass der Wahlkampf der beiden Kan-
didaten in Amerika 5,6 Milliarden Dollar gekostet hat,
die aus privaten Spenden finanziert wurden, dann kann
ich nur sagen: Ich hätte gerne einmal die Debatte hier er-
lebt, wenn das in Deutschland auch nur annähernd der
Fall wäre.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720419100

Ich schließe die Aussprache.

Zusatzpunkt 5 a: Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/11331 mit dem Titel „Transparenz bei Neben-
einkünften herstellen durch Veröffentlichungspflicht auf
Euro und Cent“. Wir stimmen über den Antrag auf Ver-
langen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an
den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den An-
trag.

Die pflichtgemäße Frage: Haben alle anwesenden
Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? – Ich
höre keinen Protest. Dann ist das der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.

Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie, dazu
Platz zu nehmen.1)

Zusatzpunkt 5 b: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/11332 mit dem Titel „Nebentätigkeiten
transparent machen – Branchen kennzeichnen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppo-
sitionsfraktionen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 46 c: Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 17/11204 mit dem Titel „Karenzzeit für ausgeschie-
dene Regierungsmitglieder“. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfrak-
tionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und
Grünen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 46 d: Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11333
mit dem Titel „Transparenz und Unabhängigkeit im
Bundestag und in der Bundesregierung“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen?
– Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
fraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken
bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 46 e: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksa-
che 17/6566. Unter Buchstabe a empfiehlt der Aus-
schuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/892 mit dem Titel „Parteien-
Sponsoring im Parteiengesetz regeln“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der Linken mit den Stimmen aller anderen
Fraktionen angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b
in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/651 mit
dem Titel „Parteispenden von Unternehmen und Wirt-
schaftsverbänden verbieten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-

1) Ergebnis Seite 24783 D





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


men der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen
die Stimmen von Linken und Grünen angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/1169 mit dem Titel „Partei-
Sponsoring transparenter gestalten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen
aller anderen Fraktionen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/547 mit dem Titel „Parteispenden begrenzen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung von SPD und Linken angenommen.

Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11318 mit dem Ti-
tel „‚Karenzzeit‘ für ehemalige Bundesminister und Par-
lamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-
Recht einführen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der
Linken gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 13 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der von den Vereinten
Nationen geführten Friedensmission in Süd-
sudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolu-
tionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057

(2012) vom 5. Juli 2012


– Drucksachen 17/11037, 17/11390 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Marina Schuster
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/11399 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Marina Schuster für die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1720419200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

stehen heute vor der Verlängerung des deutschen Bei-
trags zum UNMISS-Mandat und damit des Einsatzes im
Südsudan. Es ist ein robustes Mandat. Die Personalober-
grenze liegt nach wie vor bei 50 Soldatinnen und Solda-
ten. Derzeit sind 16 Soldatinnen und Soldaten dort ein-
gesetzt.

UNMISS beruht auf dem ausdrücklichen Wunsch der
südsudanesischen Regierung. Es ist ein Mandat, das hier
im Hohen Haus große Unterstützung genießt; denn dabei
geht es darum, dem neuen Staat Südsudan beim Staats-
aufbau zu helfen, insbesondere auch bei der Gewährleis-
tung der Sicherheit für die Zivilbevölkerung.

Zum Auftrag von UNMISS gehört auch, Menschen-
rechtsverletzungen zu untersuchen und diese Menschen-
rechtsverletzungen der Hohen Kommissarin für Men-
schenrechte zu melden und den Sicherheitsrat davon zu
unterrichten. Deswegen ist es nicht akzeptabel, dass der
Südsudan eine Mitarbeiterin von UNMISS aus dem
Land gewiesen hat. Wir fordern, dass die Mitarbeiter
von UNMISS ihrem Auftrag so nachkommen können,
wie es vereinbart ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können uns uneingeschränkt den Äußerungen der
Leiterin von UNMISS, Frau Hilde Johnson, anschließen.
Sie war in der letzten Sitzungswoche hier in Berlin zu
Gast. Wir haben mit ihr verschiedene Gespräche geführt,
auch im Unterausschuss „Zivile Krisenprävention“. Wir
konnten uns davon überzeugen, dass sie mit viel Enga-
gement und Herzblut an die Sache herangeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Mandatsver-
längerung ist nie „business as usual“. Es geht auch im-
mer darum, ein Mandat einzubetten, in die politische
Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Wir haben die Ent-
wicklungen im Sudan und im Südsudan über viele Jahre
begleitet. Wir haben hier im Deutschen Bundestag viele
Debatten dazu geführt. Keiner von uns hat gedacht, dass
sich am 9. Juli 2011 der Südsudan weitgehend friedlich
vom Sudan abspaltet. Wir hatten damals große Sorge,
dass die Lage eskalieren könnte. Die weitgehend friedli-
che Abspaltung hat aber auch ihren Preis, nämlich dass
die strittigen Fragen nach wie vor nicht geklärt sind.

Deutschland unterstützt deswegen die Vermittlungs-
versuche der Afrikanischen Union unter der Leitung von





Marina Schuster


(A) (C)



(D)(B)


Thabo Mbeki. Wir sind froh, dass am 27. September die-
ses Jahres eine neue Einigung erreicht werden konnte.
Doch auch danach läuft es schleppend. Immer noch
nicht geklärt ist der finale Status der Region Abyei. Es
gibt den Vorschlag, im Oktober nächsten Jahres ein
Referendum abzuhalten. Ebenfalls nicht geklärt ist die
tatsächliche Implementierung der Sicherheitsvereinba-
rungen. Nun soll sich ein technisches Team damit be-
schäftigen. Insofern haben wir an der Grenze immer
noch keine wirklich demilitarisierte „buffer zone“.

Ein weiterer Knackpunkt ist die tatsächliche Wieder-
aufnahme der Erdöllieferungen. Die Einstellung der Erd-
ölförderung hatte große wirtschaftliche Verwerfungen
hervorgerufen; denn 98 Prozent der Staatseinnahmen des
Südsudan beruhen auf der Erdölproduktion. Fallen diese
Einnahmen weg, ist die Erfüllung von staatlichen Aufga-
ben, beispielsweise die Basisversorgung für die Bevöl-
kerung sicherzustellen, fast nicht mehr möglich.

Deswegen ist es wichtig und richtig, dass sich die
Bundesregierung auch in der humanitären Hilfe enga-
giert, insbesondere bei der Sicherung der Ernährungs-
grundlage. So hat die Bundesregierung die humanitäre
Nothilfe für den Südsudan noch einmal um 5 Millionen
Euro auf jetzt 10,5 Millionen Euro aufgestockt. Es gibt
weitere Projekte der GIZ, des UNHCR, des Roten Kreu-
zes und des World Food Programme, und zwar alles in
den Bereichen Gesundheit, Trinkwasserversorgung, Er-
nährung. Wir sind sehr dankbar, dass es ein umfassendes
Engagement der Bundesregierung gibt.

Eine weitere Aufgabe, die man auf die Zeit nach dem
CPA verschoben hat, ist die Entwaffnung. Wir wissen,
dass nach wie vor sehr viele Kleinwaffen vor Ort im
Umlauf sind. Die Entwaffnung hat bisher nicht gut funk-
tioniert. Es ist wichtig, dass es einen neuen Impetus gibt,
damit es in diesem Bereich vorangeht.

Das Auswärtige Amt unterstützt weiterhin Projekte in
den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, juristische Ausbil-
dung und Beratung bezüglich des Verfassungsprozesses.
Das zeigt: Das UNMISS-Mandat selbst ist in ein umfas-
sendes Engagement eingebettet.

Wir haben uns auch in den parlamentarischen Bera-
tungen mit zwei interfraktionellen Anträgen immer mit
der Gesamtsituation befasst. Wir hatten jeweils einen
großen interfraktionellen Antrag vor dem Referendum

und erst kürzlich im Juni dieses Jahres eingebracht. Es
ist besonders wichtig, dass wir weiterhin Unterstützung
gewähren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will aber auch die Defizite beim Namen nennen.
Wir wissen, dass die Korruption im Südsudan weit ver-
breitet ist. Es gibt dort keine transparente Rechenschafts-
legung. Wir fordern außerdem die strikte Beachtung der
Menschenrechte. Vor allem muss die „Kultur der Straf-
losigkeit“ endlich ein Ende haben.

Wir wissen, dass es viele Probleme und Herausforde-
rungen für den neuen Staat gibt. Es besteht die Gefahr,
dass der Südsudan abdriftet. Deswegen ist es wichtig,
dass das internationale Engagement erhalten bleibt, dass
das Mandat für UNMISS fortgesetzt wird. Der Schlüssel
dazu liegt natürlich vor Ort, im politischen Prozess.
UNMISS und auch UNAMID – diese Mission haben wir
vorhin verlängert – sind Bausteine. Es geht darum, die
politische Lösung voranzubringen.

Ein letztes Wort. Ich freue mich, dass wir heute zu ei-
ner früheren Tageszeit über die Verlängerung des Man-
dats diskutieren. Das sind wir unseren Soldatinnen und
Soldaten, aber auch den Zivilisten vor Ort schuldig. Ich
möchte an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten
sowie den Polizisten und den zivilen Helfern für ihren
Einsatz vor Ort meinen Dank und meine Anerkennung
aussprechen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720419300

Vor der nächsten Rednerin möchte ich Ihnen das von

den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von
den Kollegen Thomas Oppermann und Volker Beck
sowie anderen Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen eingebrachten Antrag mit dem Titel „Trans-
parenz bei Nebeneinkünften herstellen durch Veröffent-
lichungspflicht auf Euro und Cent“: abgegebene Stim-
men 574. Mit Ja haben gestimmt 271, mit Nein haben
gestimmt 303. Der Antrag ist abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon

ja: 271
nein: 303

Ja

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold

Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler

Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf

Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert

Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl

Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann

Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert

Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms

Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen

Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein

Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Ich erteile nunmehr das Wort Susanne Kastner für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1720419400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

9. Juli 2011 hat der Süden des Sudans seine Unabhän-
gigkeit erklärt. Seitdem sind 16 bewegte Monate vergan-
gen. Vieles hat sich zum Besseren gewandelt. Aber vie-
les ist immer noch im Argen. Festzuhalten bleibt
allerdings, dass es noch eine Menge zu tun gibt, bis im
Südsudan stabile Verhältnisse herrschen. Zwei wichtige
Faktoren sollten wir uns dabei vor Augen führen: die be-
wegte Geschichte des Landes sowie die enorme Größe.
Mit einer Fläche von circa 650 000 Quadratkilometern
ist der Südsudan fast doppelt so groß wie Deutschland.
Daraus resultieren erhebliche logistische Probleme für
den Aufbau und die Stabilisierung des Landes.

Zweifelsohne konnten seit Inkrafttreten der UN-
Resolution zahlreiche Fortschritte erzielt werden. Der
Südsudan steht aber weiterhin vor großen Herausforde-
rungen. So ist beispielsweise die wirtschaftliche Lage
für große Teile der Bevölkerung weiterhin äußerst prekär
und angespannt. Vergleichsweise gutgestellt sind da die-
jenigen, die über ein wenig Land oder Vieh verfügen.
Dies gilt aber nur für einen Bruchteil der Bevölkerung.
Durch den langjährigen Bürgerkrieg und die bewaffne-
ten Auseinandersetzungen wurden tiefe Wunden geris-
sen. Diese werden sicherlich nicht von heute auf morgen
zu heilen sein; das wissen wir alle.

In Anbetracht der schwierigen politischen und wirt-
schaftlichen Ausgangssituation muss man allerdings
auch anerkennen, dass die südsudanesische Regierung
ihr Möglichstes tut, um geordnete Verhältnisse zu schaf-
fen. Es ist jedoch offenkundig, dass das Vorhaben zum
jetzigen Zeitpunkt ohne die weitere konsequente und
umfassende Unterstützung durch die internationale Staa-
tengemeinschaft zum Scheitern verurteilt wäre. Es ist
daher unsere Pflicht, uns weiterhin für den Frieden im
Südsudan zu engagieren.

Im vergangenen August sind die Obleute des Verteidi-
gungsausschusses zusammen mit mir in den Südsudan
gereist. Wir wollten uns selbst einen Überblick verschaf-
fen über die Einsatzbedingungen unserer Soldaten vor
Ort und über die politische Lage in Dschuba. Wie Sie
sich sicherlich vorstellen können, ist die Situation alles
andere als einfach. Wir reden schließlich von einer Re-
gion, in der noch immer Grenzkonflikte vorherrschen
und in der bis an die Zähne bewaffnete Milizen agieren.
Bei dem Zusammentreffen mit der Sonderbeauftragten
für Südsudan, Hilde Johnson, bedankte sich diese aus-
drücklich für den deutschen Beitrag zur UN-Mission.

Diesen Dank möchte ich gerne an unser Parlament wei-
tergeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Soldaten
leisten im Südsudan unter schwierigsten Bedingungen
eine hervorragende Arbeit. Dafür sagen wir herzlichen
Dank, und es gilt, diese Arbeit fortzusetzen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Vereinten Nationen und insbesondere die Zivil-
bevölkerung im Südsudan setzen große Hoffnungen auf
den Erfolg der UN-Mission und auf das weitere Engage-
ment der Bundeswehr.

Wer wie ich die Situation vor Ort erlebt hat, der weiß,
dass wir in der Pflicht sind, das UNMISS-Mandat der
Bundeswehr zu verlängern. Neben der Unterstützung
des Staats- und Institutionsaufbaus ist die Kernaufgabe
dieser Friedensmission schließlich die Unterstützung
beim Schutz der Zivilbevölkerung. Dies ist wahrlich
keine leichte Aufgabe; denn die humanitäre Lage im
Südsudan ist nach wie vor heikel. Die desaströse wirt-
schaftliche Entwicklung, die internen bewaffneten Kon-
flikte und das anhaltende Problem der Vertriebenen sind
ein schweres Erbe, dem sich die südsudanesische Regie-
rung stellen muss. Die UN-geführte Mission ist daher
dringend erforderlich, um den fragilen Staat zu stützen
und weiter aufzubauen.

Nach meinen Gesprächen mit UN-Vertretern, Politi-
kern und unseren Soldaten im Südsudan muss ich aller-
dings nachdrücklich darauf hinweisen, dass der Einsatz
nur dann gelingen kann, wenn wir auch die benötigte
Ausrüstung zur Verfügung stellen. Unsere Soldaten ma-
chen derzeit bereitwillig Abstriche bei der Unterkunft
und den Hygienebedingungen. Sie können aber nicht auf
die entsprechende Ausrüstung verzichten, um diesen
Auftrag zu erfüllen.

Zu den Herausforderungen des Einsatzes im Südsu-
dan gehören zweifelsohne die logistisch extrem schwie-
rigen Ausgangsbedingungen. Aufgrund der geografi-
schen Verhältnisse ist es unabdingbar, die UN-Mission
dezentral aufzustellen. Es ist aber nun einmal so, dass
man während der achtmonatigen Regenzeit in weite
Teile des Landes nur mit einem Transporthubschrauber
gelangen kann. Seit dem Abzug der russischen Hub-
schrauber ist eine gravierende Fähigkeitslücke entstan-
den, die dringend geschlossen werden muss. Diesen
Appell der UN-Vertreter und unserer Soldaten muss ich
daher mit Nachdruck an die Adresse unseres Verteidi-
gungsministers richten: Sorgen Sie dafür, dass die benö-
tigten Hubschrauber vor Ort zum Einsatz kommen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nur so kann UNMISS eine Erfolgsgeschichte werden.





Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) (C)



(D)(B)


Es gäbe noch vieles über die schwierigen Verhältnisse
und Einsatzbedingungen im Südsudan zu berichten. Of-
fenkundig ist jedoch, dass die internationale Staatenge-
meinschaft seit der Unabhängigkeit des Südens dort gute
Arbeit geleistet hat. Diesen Prozess gilt es fortzusetzen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns weiterhin an dem
Einsatz beteiligen und das UNMISS-Mandat für die
Bundeswehr um ein weiteres Jahr verlängern. Ich bitte
daher um Ihre Zustimmung zur Mandatsverlängerung,
damit der junge südsudanesische Staat gelingen kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720419500

Das Wort hat nun Robert Hochbaum für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Robert Hochbaum (CDU):
Rede ID: ID1720419600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Free at last, endlich frei – das war am 9. Juli
2011 im Südsudan immer wieder zu hören und auf
Plakaten zu lesen. Endlich frei zu sein, bedeutete für die
Menschen, sich loszusagen von Repressalien, von
bewaffneten Reitermilizen, die Menschen öffentlich ge-
quält und erniedrigt haben, sich loszusagen von 20 Jah-
ren Bürgerkrieg, 20 Jahren gezielter Vertreibung, Tötung
und Ächtung.

Heute, knapp anderthalb Jahre später, musste die Frei-
heitseuphorie leider der Realität weichen. Viele Hoff-
nungen der Menschen konnten bis heute noch nicht er-
füllt werden. Stattdessen liegt ein Jahr hinter dem neuen
Staat, das von einer tiefen Krise, humanitären Notlagen
und einer sehr fragilen Sicherheitslage geprägt war. Die
UN-Sondergesandte Hilde Johnson – ihr Name wurde
heute schon öfter erwähnt – bilanzierte sehr treffend und
spricht von einem „harten Start“, gar einem „schmerz-
vollen Jahr“ für den Südsudan.

Aber, meine Damen und Herren, können wir da weg-
schauen? Sollen wir – jetzt richte ich meinen Blick auf
Sie, meine Damen und Herren von der Linken – einem
erneuten Abgleiten dieses Staates in Chaos und Mord ta-
tenlos zusehen und somit die gesamte ostafrikanische
Region in ihrer Stabilität gefährden? Sollen wir die Un-
abhängigkeit eines Staates, die in einer demokratischen
Volksabstimmung mit sehr großer Mehrheit von den
Menschen gewollt war, nicht anerkennen? Für uns gibt es
darauf nur eine klare Antwort: Nein, wir wollen helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei unserem Verständnis von humanitärer Verpflich-
tung, bei unserem Verständnis von Politik, die hier – das
müsste jeder erkennen, zumindest derjenige, der hin-
schaut – ganz klar einem vernetzten Ansatz folgt, und
bei unserem Verständnis von Menschlichkeit und Men-
schenrechten haben wir geradezu eine Verpflichtung,

nämlich eine Verpflichtung zur Hilfe. Das ist wie so oft
eine mit Ausnahme von Ihnen – dabei schaue ich wieder
nach links – mehrheitlich getragene Meinung. Dafür
möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei der SPD
und den Grünen bedanken. Sie stellen Menschlichkeit
über parteitaktisches Verhalten.


(Annette Groth [DIE LINKE]: Das ist etwas Neues!)


Das finde ich gut und, wenn ich nach links schaue, auch
nachahmenswert.

Merken Sie auf der linken Seite gar nicht, dass bei Ih-
nen manchmal etwas nicht stimmt?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Allen hier im Saal ist klar, dass der Südsudan unsere Un-
terstützung braucht. Wir alle wollen Frieden und nach-
haltige Friedenssicherung in dieser Region.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber wollen reicht nicht! Man muss auch können!)


Sie schauen anscheinend weg und nehmen die Tatsachen
– das ist die Schlussfolgerung, wenn man Ihre Reden in
der Vergangenheit und wahrscheinlich auch heute ver-
folgt – einfach nicht zur Kenntnis.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ihr müsst mal zuhören!)


Nur so lässt sich für mich Ihre Ablehnung zu UNMISS
erklären. Ich frage mich, wie Sie, wenn Sie wieder ein-
mal dort hinfahren sollten, den Menschen dort noch in
die Augen schauen können.

Meine Damen und Herren, es bleibt natürlich unbe-
stritten, dass die gegenwärtige Situation im Südsudan
unbefriedigend ist. Aufgrund der andauernden Konflikte
konnte sich die Regierung nicht um die grundlegen-
den Aufbauarbeiten des Landes bemühen. So liegen die
Herausforderungen weiter auf der Hand: fehlende Infra-
struktur, mangelnde Wirtschaftskraft, ein nicht aufge-
bauter Sicherheitssektor und fehlendes administratives
Wissen der Verantwortlichen. Hinzu kommen die be-
kannte Flüchtlingsproblematik in den umkämpften Ge-
bieten und weitere humanitäre Notlagen, die sich daraus
ergeben.

Entscheidend ist aus diesem Grund jetzt, dass die im
September mit dem Sudan unterzeichneten Abkommen
und Vereinbarungen umgesetzt werden. UNMISS wird
dabei wie bereits beim Zustandekommen der Abkom-
men eine zentrale Rolle der Vermittlung und Unterstüt-
zung beigemessen. Schon deshalb ist es zu begrüßen,
dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Juli
dieses Jahres die Verlängerung des Mandats beschlossen
hat. Wir sollten das aus meiner Sicht heute auch in die-
sem Hause mit großer Mehrheit tun.

Wenn ich von den Vereinten Nationen spreche, muss
ich schon wieder nach links schauen. Meine Damen und
Herren von den Linken, mit Ihrer Ablehnung negieren
Sie auch das UN-Mandat und stellen sich faktisch über





Robert Hochbaum


(A) (C)



(D)(B)


die UN. Sie meinen wohl, dass sich die Weltgemein-
schaft mehr nach Ihnen richten sollte als nach den Ver-
einten Nationen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das wäre gut!)


Es tut mir leid, dass wir Ihnen den Gefallen hier und
heute nicht tun können.

Um auch gleich Ihrem Hauptvorwurf, die militärische
Komponente würde im Vordergrund stehen, den Wind
aus den Segeln zu nehmen, möchte ich auf die zahlrei-
chen Maßnahmen und Projekte der Entwicklungshilfe
verweisen. Ernährungssicherheit, Bildung, Gesundheit,
Trinkwasserversorgung – all das sowie die finanziellen
Hilfen müssten sogar Ihnen den vernetzten politischen
Ansatz deutlich machen. Es steht übrigens alles im Man-
dat geschrieben. Man kann es dort nachlesen. Lesen bildet
normalerweise, zumindest im Regelfall.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Kommt darauf an, was man liest!)


Uns ist dabei eines klar: keine Entwicklung ohne Si-
cherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb unterstützen wir UNMISS mit bis zu 50 Sol-
daten. Wie wir gehört haben, waren zuletzt 16 Stabsoffi-
ziere vor Ort eingesetzt. An dieser Stelle möchte ich es
wie andere Redner nicht versäumen, den Soldaten, den
Polizisten, den zivilen Mitarbeitern unseren Dank und
unseren Respekt für ihre Arbeit unter diesen ganz beson-
ders schwierigen Bedingungen vor Ort auszusprechen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie-
ßend den Bogen zum Anfang schlagen. „Endlich frei“,
stand am 9. Juli 2011 auf den Plakaten. Ich wünsche mir,
dass die Euphorie der Unabhängigkeit bei den Menschen
im Südsudan wieder entflammt, dass die Menschen auf
staatliche Strukturen vertrauen, dass sie ihr Land auf-
bauen und friedlich entwickeln. UNMISS hilft und unter-
stützt dabei. Gerade vor dem Hintergrund unseres Ver-
ständnisses von demokratischer Grundordnung und der
Wahrung der Menschenrechte werden auch wir uns die-
ser Verantwortung stellen. Ich bitte Sie um Ihre Unter-
stützung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720419700

Für die Fraktion Die Linke spricht nun Jan van Aken.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720419800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

möchte nur einmal daran erinnern: Es geht hier um einen
Bundeswehreinsatz innerhalb des Südsudan.


(Robert Hochbaum [CDU/CSU]: Ja! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist sehr deutlich geworden!)


Es ist relativ wichtig, das zu betonen, weil Sie alle heute
und in der Debatte vor zwei Wochen sehr viel über
Abyei, Südkordofan, die Grenze zum Sudan geredet ha-
ben. Das hat nur sehr bedingt mit UNMISS zu tun. Hier
geht es um einen internationalen Militäreinsatz innerhalb
des Südsudan. Ich glaube, es hilft nicht, das alles in ei-
nem Topf zu verrühren. Das verstellt manchmal den
Blick auf die Lage, Herr Hochbaum.


(Beifall bei der LINKEN)


UNMISS war von vornherein ein Konstrukt mit völli-
ger Schieflage. Wir hatten es mit Interessen der UNO
und Interessen der Regierung des Südsudan zu tun. Das
ließ sich nicht vereinbaren: Die UNO wollte zum Bei-
spiel die Armee reformieren, vor allem reduzieren. Die
Regierung des Südsudan wollte vor allem die eigene
Machtposition ausbauen. Dann gab es einen Kompro-
miss, der extrem problematisch ist. UNMISS steht an der
Seite der Regierung des Südsudan. Die Regierung ist es,
die darüber bestimmt, wo und wann UNMISS eingreifen
darf. Das große Problem hier ist, dass die Regierung
Südsudans manchmal überhaupt kein Interesse daran
hat, dass UNMISS zuschaut: wenn nämlich die Regie-
rung selbst oder ihre Armee, die SPLA, Verbrechen an
der Zivilbevölkerung begeht.

Sie wissen ganz genau – Frau Schuster hat es dan-
kenswerterweise erwähnt –, dass die Regierung Süd-
sudan die Arbeit von UNMISS massiv behindert. Vor
kurzem hat sie eine UNMISS-Mitarbeiterin ausgewie-
sen. Daher ist es relativ hilflos, Frau Schuster, sich hier
hinzustellen und zu sagen: Das kritisieren wir; die Re-
gierung des Südsudan sollte es anders machen.


(Marina Schuster [FDP]: Ja, sollen wir denn schweigen, oder wie?)


Trotzdem wollen Sie hier darüber entscheiden, dass
Bundeswehrsoldaten an die Seite einer menschenrechts-
verletzenden Regierung gestellt werden. Das finde ich
nicht akzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte hier ein einziges Mal von Ihnen ein Argu-
ment dazu hören, wie Sie es verantworten können, Bun-
deswehrsoldaten an die Seite einer Regierung zu stellen,
die die eigene Zivilbevölkerung bedroht. Das geht nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wissen genauso wie ich – Herr Hochbaum, eigent-
lich müssten auch Sie es wissen –, dass die Regierung
gerade dabei ist, einen Einparteienstaat zu etablieren –
mit Korruption, mit Vetternwirtschaft, mit Unterdrü-
ckung der eigenen Bevölkerung, mit Vernachlässigung
der Bevölkerung in der Peripherie und auf dem Lande,
um nur einige Punkte zu nennen. Und dafür hat sie jahre-
lang Unterstützung bekommen? Ist das der Staatsaufbau,
den Sie wollen, den die UNO wollte?

Sie sollten eigentlich eingestehen, dass die bisherigen
Bemühungen gescheitert sind. Jetzt ist es unsere Auf-





Jan van Aken


(A) (C)



(D)(B)


gabe, zu schauen: Wo ist der Fehler? Was können wir an-
ders machen? Da möchte ich Sie, Herr Hochbaum, ein-
mal beim Wort nehmen. Sie haben die Frage gestellt:
Sollen wir einfach zuschauen? Meine Antwort ist: Nein.
Wir wollen helfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber wir wollen nicht so helfen, wie man es die letzten
Jahre versucht hat und womit man komplett gescheitert
ist. Wir haben dazu vor einem Jahr sehr ausführliche und
detaillierte Vorschläge gemacht – die entsprechende Vor-
lage hätten Sie vielleicht lesen sollen, Herr Hochbaum;
ich kann Ihnen die Drucksachennummer nennen –,


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das kennen wir alles! Alles Gerede!)


wie man den Menschen im Südsudan ganz konkret hel-
fen kann, Gewalt zu vermeiden und den Staat wiederauf-
zubauen.

Ich möchte nur einen einzigen Vorschlag nennen. Da
es um den Schutz der Zivilbevölkerung, auch vor der
südsudanesischen Regierung, geht, brauchen wir ein
Frühwarnsystem.


(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das macht doch UNMISS!)


Ich war im Südsudan und habe mir angeschaut, wie
funktionierende Frühwarnsysteme aussehen können.
Das Ganze funktioniert nicht mit internationalem Mili-
tär. Dazu braucht man Menschen vor Ort. Die Men-
schen, die in den Dörfern leben, die lokalen Autoritäten,
die anerkannt sind, muss man einbinden. Dann braucht
man neutrale Vermittler. So kann man einen Konflikt
vermeiden.

Was Sie machen, ist: Sie gucken in Jonglei zu, bis 800
Leute tot sind,


(Marina Schuster [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


und dann schicken Sie einen Hubschrauber hin, um früh-
zuwarnen. Das reicht nicht. Wenn Sie den Menschen
helfen wollen, dann machen Sie es zivil! Mit dem Militär
funktioniert es nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde es ganz zynisch – damit komme ich zum
Schluss –, dass Herr Westerwelle vor zwei Wochen an
dieser Stelle gesagt hat, seit der Unabhängigkeit habe
der Südsudan eine eigene stabile Staatlichkeit.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie blenden doch vollkommen aus, was vorher passiert ist!)


Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen im Süd-
sudan, die immer noch hungern, die immer noch an be-
handelbaren Krankheiten sterben, die ohne Anklage im
Gefängnis sitzen, die gefoltert werden. An die Seite eines
solchen Regimes darf man keine Bundeswehrsoldaten
schicken. Deswegen werden wir dem UNMISS-Mandat
nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unmöglich!)


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen exportieren sollte. Auch das ist ein wichti-
ges Thema, aber dafür habe ich keine Zeit mehr.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720419900

Das Wort hat nun Agnes Brugger für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720420000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ja ge-

stimmt – das haben im Juli 2011 alle grünen Abgeordne-
ten bei der ersten Abstimmung über UNMISS, die da-
mals neu geschaffene UN-Mission im Südsudan. Wir
Grüne machen es uns mit einem Ja zu Auslandseinsätzen
der Bundeswehr niemals leicht und prüfen jeden Einsatz
äußerst intensiv und kritisch.


(Zurufe von der LINKEN)


– Sie tun das nicht; den Eindruck habe ich bei der Rede
von Herrn van Aken gewonnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Nach wie vor halten wir UNMISS nicht nur für richtig,
sondern auch für einen wesentlichen Beitrag zur Stabili-
sierung im Südsudan.

Ziel der Mission ist im Wesentlichen der Schutz
der Zivilbevölkerung, die Verbesserung der Menschen-
rechtslage und die Unterstützung beim Staatsaufbau. Das
sind keine einfachen Aufgaben, und der Weg zu einem
funktionierenden Staat im Südsudan wird auch noch ein
langer sein. Zentrale Voraussetzung dafür ist, dass wir
sowohl die Regierung des Sudan als auch die des Süd-
sudan in die Pflicht nehmen, die friedliche Koexistenz
beider Staaten zu unterstützen und nicht weiter zu torpe-
dieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ende September haben sich beide Staaten auf eine
Lösung für die Verteilung der Öleinnahmen geeinigt.
Nachdem diese strittige Frage endlich geklärt zu sein
scheint, muss nun die Einrichtung einer entmilitarisier-
ten Zone an der Grenze zwischen beiden Staaten zügig
umgesetzt werden.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!)


Dann hat eine politische Lösung für die Klärung der
noch offenen Grenzfragen eine echte Chance und haben
die dortigen Gewaltausbrüche hoffentlich schnell ein
Ende.

Wir müssen bei der Bewertung des Mandates aller-
dings auch immer realistisch bleiben: UNMISS kann
nicht jeden Gewaltausbruch im Land verhindern;





Agnes Brugger


(A) (C)



(D)(B)


UNMISS hat aber die Möglichkeit, Gewalt effektiv und
schnell einzudämmen. Um das konkret zu machen: Ja, es
erreichte uns im August 2011 die traurige und erschre-
ckende Nachricht, dass rund 600 Angehörige des Stam-
mes der Nuer durch Angehörige der Murle getötet wur-
den. UNMISS reagierte auf diesen Gewaltausbruch
schnell und mit einer Mischung verschiedener präventi-
ver Maßnahmen, solcher Maßnahmen, die auch Sie,
Herr Kollege van Aken, gerade gefordert haben.


(Robert Hochbaum [CDU/CSU]: Ja! Wohl wahr!)


Es gab ein Frühwarnsystem. Es gab die Ausweitung
der Präsenz der Mission. Es gab Patrouillen in Zusam-
menarbeit mit der südsudanesischen Armee. Es gab
Überwachung und die Unterstützung lokaler Verhand-
lungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das hat dazu geführt, dass im Dezember auf diese Weise
Angehörige der Murle vor einer Racheaktion der Nuer
rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnten. Man
geht davon aus, dass dieses besonnene Handeln mehrere
Tausend Todesopfer und eine Eskalation der Gewalt ver-
hindern konnte.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Realität von Einsätzen!)


Ich finde, zu einer ehrlichen Auseinandersetzung ge-
hört natürlich auch, dass man nicht verschweigt, dass es
auch Rückschläge und Ereignisse im Südsudan gibt, die
Anlass zur Sorge geben, so zum Beispiel die schon er-
wähnte Ausweisung einer UN-Mitarbeiterin, deren Auf-
gabe die Beobachtung der Menschenrechtslage war. Hier
ist deutliche Kritik angebracht, wenn die Regierung
Südsudans die kritische Auseinandersetzung mit eigenen
Menschenrechtsverletzungen unterbinden will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Aber trotz der Rückschläge: Der Friedensprozess im
Südsudan ist im Gange, und UNMISS leistet einen wich-
tigen Beitrag dazu. Allerdings kann dies nur gelingen,
wenn alle beteiligten Staaten die Mission voll und ganz
unterstützen. Ich finde, Deutschland ist hierbei viel zu
zurückhaltend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dafür ein Beispiel: Wir beschließen heute erneut eine
Mandatsobergrenze von nur 50 Soldatinnen und Soldaten.
Aber nicht einmal dieses kleine Kontingent wird ausge-
schöpft. Bis heute waren zu keinem Zeitpunkt mehr als
17 Bundeswehrangehörige gleichzeitig im Südsudan.

Bei den Missionen der Vereinten Nationen und gerade
bei UNMISS im Besonderen finde ich diese deutsche
Zurückhaltung falsch und, ehrlich gesagt, auch beschä-
mend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese mangelnde Unterstützung wird vor allem einem
nicht gerecht: Auf meiner Reise in den Südsudan haben
mich die Menschen, die dort trotz aller Schwierigkeiten
fest an eine friedliche Zukunft für diesen jungen Staat
glauben, unheimlich beeindruckt. Ebenso beeindruckt
hat mich das Engagement von zivilen Kräften der NGOs
und von UNMISS sowie der Soldatinnen und Soldaten
dieser Mission, die dazu beitragen, dass diese Vision
Realität wird – und das unter teilweise sehr schwierigen
Bedingungen. Ihnen möchte ich auch im Namen der
Grünen-Fraktion danken; denn ohne diese Menschen
hätte der Frieden keine Chance.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720420100

Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Reinhard

Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1720420200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Kurz nach Ostern dieses Jahres habe ich den Südsudan
und die UNMISS-Mission besucht. Wenn man in Juba
oder in der dortigen Region ein Ministerium oder eine
Polizeistation betritt, kann man plötzlich mit Händen
greifen, was es bedeutet, wenn wir hier von fehlender
oder mangelnder staatlicher Ordnung sprechen. Es ist of-
fensichtlich, dass sie dort aufgrund der Ausrüstung und
der Mittel, die im Moment zur Verfügung stehen, prak-
tisch nicht in der Lage sind, ihr Volk in der Fläche zu er-
reichen, geschweige denn, ihm substanziell zu helfen
und die humanitäre Situation und Sicherheit zu verbes-
sern.

Mein persönlicher Eindruck war, dass diese noch sehr
unterentwickelten staatlichen Institutionen es nicht
schaffen, in diesem Land eine staatliche Identität herzu-
stellen. Nationale Identität entsteht immer mehr durch
die Abgrenzung gegenüber dem Norden. Ich habe mit ei-
nem Provinzgouverneur, vergleichbar einem Minister-
präsidenten bei uns, gesprochen und ihn gefragt, wie er
darüber denkt, dass der Südsudan die Ölförderung aus-
gesetzt hat und damit auf 90 Prozent seiner Einnahmen
verzichtet. Er hat mir gesagt: Wir haben so lange für un-
sere Unabhängigkeit gekämpft, dass wir jetzt lieber auf
das Geld verzichten, als dass wir uns vom Norden be-
stehlen lassen. Ein solcher Ansatz ist natürlich Wahn-
sinn. Er ist fatal und wirft den Staatsaufbau massiv zu-
rück. Aber es keimt die Hoffnung, dass der Staat
Südsudan mittlerweile auf einem besseren Weg ist.

Der Friedensplan der Afrikanischen Union von Ende
April und der massive Druck der Vereinten Nationen ha-
ben zu einer Waffenruhe geführt und dazu, dass die bei-
den Länder Ende September eine ganze Reihe von Ver-
einbarungen geschlossen haben, unter anderem zur
Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen und zur Wieder-





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)


aufnahme der Ölförderung. Wenn das alles eingehalten
wird, wäre das eine gute Grundlage für die Normalisie-
rung der Beziehungen zwischen dem Sudan und dem
Südsudan. Bei der Konsolidierung des Friedens, dem
Aufbau staatlicher Strukturen und dem Schutz von Zivi-
listen spielt UNMISS eine zentrale Rolle.

Lieber Herr van Aken, in der letzten Sitzungswoche
war die Leiterin von UNMISS, Hilde Johnson, zu Gast
im Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und ver-
netzte Sicherheit“. Sie hat im Ausschuss sehr eindrucks-
voll dargestellt, wie die SPLA, unterstützt von UNMISS,
im letzten Dezember während der Stammesauseinander-
setzungen in Jonglei das Leben von Tausenden Zivilisten
gerettet hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Website von
UNMISS befindet sich ein ausführlicher Bericht, der
Hunderte von Seiten lang ist, in dem dargestellt worden
ist, was gut und was schlecht gelaufen ist und welches
die „lessons learned“ für die Regierung sind. Natürlich
ist nicht alles gut gelaufen, und natürlich kann man noch
etwas verbessern, aber ohne die internationale Präsenz
hätten wir diese Form der Aufarbeitung gar nicht. Wir
würden wahrscheinlich erst Wochen später erfahren,
dass überhaupt etwas passiert ist.

Meine Damen und Herren, UNMISS hat massiv dazu
beigetragen – nicht nur im Fall der Stammesauseinan-
dersetzungen –, das Leben der Zivilisten zu schützen.
Hilde Johnson hat bei ihrem Besuch sehr deutlich ge-
macht, wie wertvoll sie den zwar zahlenmäßig geringen,
aber hochqualifizierten Beitrag der deutschen Soldaten
und Polizisten einschätzt. Ich kann es von meinem Be-
such in Südsudan aus eigenem Erleben bestätigen: Die
Soldaten sind hochqualifiziert und hochmotiviert. Ich
möchte ihnen von dieser Stelle aus für ihren Einsatz dort
unten ganz herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Südsudan halten sich jedoch nicht nur Soldaten
und Polizisten auf, wenngleich aufgrund der Mandatie-
rung immer wieder von diesen Personengruppen hier im
Parlament die Rede ist. Ich habe dort auch zivile Mitar-
beiter getroffen, zum Beispiel von der Deutschen Lepra-
und Tuberkulosehilfe oder von der Weltbank. Bei diesen
Menschen, die oft mehrere Jahre in Südsudan verbrin-
gen, handelt es sich um wirklich beeindruckende Persön-
lichkeiten, deren Kraft und Idealismus ich nur bewun-
dern kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Unser Dank gilt allen, die dort unten für das Land und
für die Menschen arbeiten. Meine Fraktion wird dem
Mandat zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn auch
dieses Mandat, ebenso wie das UNAMID-Mandat, über
das wir eben abgestimmt haben, eine breite Zustimmung
im Parlament erfahren würde.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720420300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den
Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Süd-
sudan, UNMISS. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/11390, den An-
trag der Bundesregierung auf Drucksache 17/11037
anzunehmen.

Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind
alle Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist
offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.

Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses abge-
stimmt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe
ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-
Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Neue Struktur der Nationalen Anti Doping
Agentur schaffen

– Drucksache 17/11320 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster,
Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleis-
tungszentren und Bundesstützpunkten konse-
quent bekämpfen

– Drucksachen 17/8896, 17/10083 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Martin Gerster
Dr. Lutz Knopek
Katrin Kunert
Viola von Cramon-Taubadel

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

1) Ergebnis Seite 24794 D





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Bevor wir mit der Debatte beginnen, bitte ich die lie-
ben Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen, sofern
sie an dieser Debatte teilnehmen wollen, oder die Ge-
spräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Lutz Knopek [FDP])



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1720420400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

debattieren heute zwei Anträge, die ein gemeinsames
Ziel haben: den Kampf gegen Doping glaubwürdiger
und vor allen Dingen effektiver zu machen. Um es
gleich vorweg zu sagen: Es gibt weitaus mehr Stell-
schrauben als nur die beiden, die heute im Mittelpunkt
der Debatte stehen. Ich denke da nur an eine strikte Anti-
Doping-Gesetzgebung, die mehr ist als nur ein Feigen-
blatt. Aber die Diskussion über dieses Thema kommt in
absehbarer Zeit ebenfalls auf uns zu. Ich bin gespannt,
ob sich Koalition und Bundesregierung dann auch ein-
mal mit zielführenden Vorstellungen zu Wort melden
oder weiter in Lethargie verharren.


(Beifall bei der SPD)


Der Kampf gegen Doping in unserem Land weist an
den entscheidenden Stellen leider mehr Schwächen als
Stärken auf. Wie kann es beispielsweise sein, dass der
Leiter eines Olympiastützpunktes keine Ahnung hat,
welche Blutanalysen an seinem Stützpunkt durchgeführt
werden? So geschehen in Erfurt, wo im Auftrag der
Ärzte Blutanalysen durchgeführt und von ihnen auch
ausgewertet wurden, der OSP-Leiter aber leider keinen
Überblick über die durchgeführten Untersuchungen
hatte.

Schlimm genug; aber Sie können es sich denken: Es
geht noch schlimmer. Auf meine Frage an den Vorsitzen-
den des dortigen Trägervereins, ob man sich denn we-
nigstens nach den verbotenen Blutbehandlungen durch
den Arzt Andreas Franke nunmehr darum kümmere und
schaue, was mit den Blutuntersuchungen an diesem OSP
geschieht, bekam ich in einer Sitzung die Antwort, er sei
nicht gekommen, um solche Fragen zu beantworten.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Unerhört!)


Dies war ein wahrlich beeindruckendes Zeugnis echter
Nulltoleranzpolitik in Sachen Anti-Doping. Es lässt uns,
wie ich finde, fassungslos auf eines der Kompetenzzen-
tren im deutschen Spitzensport schauen. Und was, Herr
Dr. Bergner, sagt das Bundesinnenministerium dazu, das
auch diesen Olympiastützpunkt mit hohen öffentlichen
Geldern fördert? Die Vermutung ist richtig, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen: nichts.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Ein Blick ins Protokoll würde etwas anderes offenbaren!)


Schauen wir auf ein anderes Kompetenzzentrum: die
Nationale Anti Doping Agentur. Vor genau zehn Jahren
aus der Taufe gehoben, hat sich dieses Pflänzchen aus
vielerlei Gründen nur kümmerlich weiter- und in einigen

Bereichen sogar zurückentwickelt. Gründe dafür gibt es
reichlich. Ein ganz wesentlicher Grund, wenn auch nicht
der einzige, liegt in der mangelnden finanziellen Aus-
stattung. Das der NADA zugrunde liegende Stiftungs-
modell, liebe Kolleginnen und Kollegen, das die Stake-
holder zwar mit Sitz und starker Stimme in den Gremien
verankert, aber die von ihnen zu leistenden finanziellen
Beiträge leider nicht verbindlich regelt, muss als ge-
scheitert betrachtet werden.


(Beifall bei der SPD)


Einzig der Bund ist seinen Verpflichtungen nachgekom-
men, wenn auch mit abnehmender Tendenz. Diese Vor-
haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-
tion, kann ich Ihnen nicht ersparen. Erst haben Sie den
Zuschuss zum Stiftungskapital in Höhe von 1 Million
Euro gestrichen, was sich im operativen Geschäft nicht
sofort bemerkbar gemacht hat, aber natürlich ein Signal
war, leider eines in die völlig falsche Richtung.


(Beifall bei der SPD)


In der Koalition war es bereits ausgemachte Sache, für
2013 weitere 1 Million Euro zu streichen. Nur massiver
öffentlicher Druck und der weitgehend ergebnislose
Runde Tisch des Herrn Bundesinnenminister haben Sie
auf der Zielgeraden der Haushaltsberatungen dazu be-
wegt, diese Million wenigstens für 2013 wieder einzu-
stellen.

Eines will ich gerne einräumen: Ich teile durchaus die
berechtigte Verärgerung von Innenminister Friedrich
über den weitgehenden Ausfall der anderen Stakeholder.
Lediglich die Firma Adidas hat sich mit einer nicht uner-
heblichen und vor allen Dingen gleichbleibenden
Summe bislang als verlässlicher Kofinanzier aus den
Reihen der Wirtschaft erwiesen. Deshalb empfehlen wir
einen Blick über den Tellerrand.

In vielen Staaten übernimmt das jeweilige Nationale
Olympische Komitee einen durchaus beachtlichen
Finanzierungsanteil für die jeweilige Anti-Doping-
Agentur. Swiss Olympic beispielsweise trägt mit umge-
rechnet 1,5 Millionen Euro jährlich zur Finanzierung der
Schweizer Anti-Doping-Agentur bei. Und der Deutsche
Olympische Sportbund als NOK Deutschlands? Gerade
einmal 400 000 Euro ist es ihm wert plus 100 000 Euro
für das Ergebnismanagement – ein Armutszeugnis ver-
glichen mit den Zahlen aus der Schweiz oder mit den
USA, wo der jährliche Beitrag des dortigen NOK im-
merhin bei umgerechnet 2,6 Millionen Euro liegt. Eine
glaubwürdige Nulltoleranzpolitik – das muss sich der
DOSB sagen lassen – sieht wirklich anders aus.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum finanziellen Beitrag der Bundesländer ist eigent-
lich alles gesagt: Da kam nichts, und da kommt nichts.


(Martin Gerster [SPD]: Bis auf BadenWürttemberg!)


– Bis auf Baden-Württemberg mit einem kleineren Bei-
trag; richtig, Herr Kollege Gerster.





Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)


Wann, wenn nicht nach zehn langen Jahren, wollen
wir endlich die Frage nach der Effektivität des derzeiti-
gen Stiftungsmodells stellen? Wer sich dieser Frage
nicht stellt, nimmt billigend in Kauf, dass die NADA in
einem Jahr um diese Zeit wieder um ihre Finanzierung
bangen, wenn nicht sogar betteln muss – mit all den be-
kannten Problemen wie Personalabbau und Verringerung
der Kontrolle, um nur zwei Beispiele zu nennen.

An dieser Stelle darf man sich schon über die Aussa-
gen der NADA-Vorstandsvorsitzenden wundern, die sich
kürzlich wiederholt öffentlich als Verfechterin des der-
zeitigen Stiftungsmodells zu erkennen gab. Tenor: Das
Stakeholder-Modell mit Bund, Ländern, Sport und Wirt-
schaft habe sich bewährt, es befinde sich lediglich in ei-
ner Finanzierungsschieflage.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Alle Partner müssten dazu bewegt werden, Herr
Dr. Bergner, ihren Beitrag zu leisten. Da kann ich nur sa-
gen: Wohlan!

Ich garantiere den Verantwortlichen der NADA: Mit
dieser passiven Haltung stehen Sie in einem Jahr wieder
vor der Frage, ob man mit den zur Verfügung stehenden
Mitteln wenigstens einen Mindeststandard in der Do-
ping-Bekämpfung einhalten kann. Mit anderen Worten:
Same procedure as every year!


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Trotz des unbestreitbaren Misserfolgs des runden Ti-
sches kommt Minister Friedrich offenkundig zu dem
Schluss, dass alles am besten so bleibt, wie es ist. Mir ist
jedenfalls kein anderer Gedankengang aus dem Hause
BMI bekannt. Gleiches gilt, wie durch entsprechende
Äußerungen bereits eindrucksvoll belegt, für die NADA –
und für den Deutschen Olympischen Sportbund sowieso.
Angesichts der Bedeutung einer wirklich starken NADA
für einen sinnvollen und effektiven Kampf gegen Do-
ping hält meine Fraktion dagegen eine Diskussion über
die zukünftige Finanzierung und Struktur der NADA für
unverzichtbar.


(Beifall bei der SPD)


Wir fordern daher die Bundesregierung auf, eine unab-
hängige Expertenkommission einzusetzen, die zeitnah
Vorschläge für eine neue Träger- und Finanzierungs-
struktur der NADA erarbeitet.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, sich nach zehn
schwierigen und teilweise quälenden Jahren dieser Dis-
kussion zu verschließen. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, es macht im Gegenteil viel Sinn, ergebnisoffen da-
rüber zu diskutieren. Es gibt nichts zu verlieren, aber
sehr viel zu gewinnen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


nämlich im Idealfall eine starke, unabhängige und mu-
tige NADA, die unbeirrt im Sinne der sauberen Sportler
ihren Weg geht.

Gerade kam eine Meldung herein: Das Urteil des
Deutschen Sportschiedsgerichts in der Causa Erfurt, das
von der NADA als richtungsweisend eingestuft worden
ist, wird selbst vom Generalsekretär der DIS so nicht be-
wertet. Ich bin gespannt, welche Erklärungen Vertreter
unserer NADA dafür morgen wieder liefern werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne:
Helfen Sie uns, eine starke NADA hinzubekommen.
Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann können wir die-
sen Weg gemeinsam gehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720420500

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär

Christoph Bergner.

D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1720420600


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-
legin Freitag, ich wundere mich ein wenig über die Rhe-
torik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Macht nichts!)


Es beginnt mit der Feststellung, dass die Anti-Doping-
Gesetzgebung, die wir haben, nichts anderes als ein Fei-
genblatt sei. Sie wissen, dass diese Gesetzgebung jüngst
durch eine Institution, die wir im Einvernehmen festge-
legt haben, einer Evaluierung unterzogen wurde. Sie
kennen das Evaluierungsergebnis; es spricht nun wirk-
lich nicht von einem Feigenblatt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das werden wir noch sehen!)


Sie sagen, das Bundesinnenministerium habe zur
Causa Erfurt nichts gesagt. Sie wissen, dass wir Ihnen ei-
nen umfänglichen Bericht dazu vorgelegt haben. Viel
mehr will ich dazu nicht sagen. Im Zusammenhang mit
diesem Punkt scheint mir immer noch nicht hinreichend
verstanden worden zu sein, dass es hier nicht um irgend-
ein Verdeckungsproblem ging, sondern um ein Qualifi-
zierungsproblem im Rahmen des WADA-Codes, das den
eigentlichen Konfliktpunkt hervorgerufen hat.

Am meisten irritiert mich Ihre verspätete Geburts-
tagsrede zum zehnten Jahrestag der NADA. Hier ist von
quälenden Jahren die Rede und davon, dass der NADA
eigentlich nicht zu trauen sei. Ich weiß nicht, ob Sie
wirklich Anlass haben, der NADA ein solches Etikett
mitzugeben.

Meine Damen und Herren, als ich den SPD-Antrag
las, hatte ich eigentlich Ernsthafteres erwartet. Das Pro-
blem, das Sie dort ansprechen, nehmen wir durchaus
ernst. Es ist das Problem, dass wir für die Anti-Doping-
Arbeit der NADA bisher keine hinreichende nachhaltige
Finanzierungssicherung liefern konnten.


(Martin Gerster [SPD]: Was ist denn mit dem Runden Tisch? Da gibt es keine Ergebnisse!)






Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner


(A) (C)



(D)(B)


Diese Finanzierungssicherung ist das eigentliche Pro-
blem. Ich frage mich, wie Sie es lösen wollen, wenn Sie
damit die Strukturfrage verbinden.

Vor zehn Jahren hatten Sie die Regierungsmehrheit.
In dieser Zeit hat man sich aus guten Gründen dazu ent-
schlossen, die NADA als eine privatrechtliche Stiftung
einzuführen. Wie gesagt, dies geschah aus gutem Grund.
Man wollte eine unabhängige Institution haben,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


und zwar unabhängig gegenüber dem Sport, aber auch
gegenüber dem Staat; denn natürlich sind Interessenkon-
flikte denkbar.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Auch gegenüber der Ausschussvorsitzenden!)


Ich kann mir sogar Zeitungskommentare dergestalt aus-
malen, dass der Staat als Träger von Sportfördergruppen
und damit mit besonderen Beziehungen zu bestimmten
Athletinnen und Athleten bei einer rein staatlichen
Finanzierung und der damit verbundenen staatlichen Ab-
hängigkeit unter Umständen einen unredlichen Einfluss
ausübt.

Ich glaube, man hat sich vor zehn Jahren aus guten
Gründen und nicht zuletzt um der Unabhängigkeit willen
für ein privatrechtliches Stiftungsmodell entschieden.
Hier deckt sich meine Aussage vollkommen mit dem,
was die Vorstandsvorsitzende Gotzmann gesagt hat.

Wenn wir über den Tellerrand schauen, dann dürfte
uns auch auffallen, dass von den führenden Sportnatio-
nen sehr viele genau dieses privatrechtliche Stiftungs-
modell für ihre nationalen Anti-Doping-Agenturen ver-
wenden. Ich will nur auf die USA hinweisen, wo sich
dieses Modell im Zusammenhang mit der Causa
Armstrong – das war eine sehr lange und sehr mühselige
Aufklärungsarbeit – als ausgesprochen erfolgreich er-
wiesen hat.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben nichts Ähnliches in Deutschland hinbekommen!)


Worum geht es also? Es geht um die Sicherstellung
einer nachhaltigen Finanzierung. Auch in diesem Zu-
sammenhang bitte ich um eine redliche Argumentation.
Wir haben die Mittel nicht gestrichen, sondern wir haben
uns seinerzeit, im Jahr 2007, als wir gemeinsam eine Ko-
alition gebildet haben, gemeinsam darauf verständigt,
dass wir zusätzliche Stiftungsmittel einstellen und eine
Anschubfinanzierung für die Sportverbände zur Verfü-
gung stellen, damit sie den zusätzlichen Anforderungen,
die mit einer vermehrten Probenahme verbunden sind,
gerecht werden können. Diese Anschubfinanzierung war
von vornherein begrenzt. Im Grunde genommen war sie
schon im laufenden Haushalt nicht mehr vorgesehen. Es
ist bedauerlich, dass wir vonseiten des Bundes aufgrund
der Tatsache, dass sich andere verweigert haben, nach-
liefern mussten.


(Dagmar Freitag [SPD]: Aber das zeigt doch das Scheitern!)


Wir sollten uns auf den eigentlichen Anlass zur Be-
sorgnis, auf den verbesserungsbedürftigen Sachverhalt,
konzentrieren. Das ist der Umstand, dass der Bund im
Rahmen des Stakeholder-Modells bisher fast ausschließ-
lich die Finanzierungsleistung erbringt. Die Bundes-
regierung hat sich nachdrücklich bemüht, diesbezüglich
zu einer entsprechenden Erweiterung zu kommen. Sie
wissen, dass wir in der Sportministerkonferenz und am
runden Tisch dafür geworben haben. Ich will den Lan-
desregierungen von Baden-Württemberg und Mecklen-
burg-Vorpommern sowie der Otto Bock GmbH, die im
Ergebnis dieses Prozesses zusätzliche Mittel bereitge-
stellt haben, ausdrücklich danken.


(Martin Gerster [SPD]: Jämmerlich! Unzureichend! – Dagmar Freitag [SPD]: 7 000 Euro!)


– Ich bitte Sie, sich verantwortungsbewusst zu verhalten
und darüber nachzudenken, welche Zwischenrufe Sie
hier gerade produzieren: „Jämmerlich!“, „Unzurei-
chend!“


(Martin Gerster [SPD]: Das ist so!)


Wenn Sie eine vollständig staatlich finanzierte NADA
haben wollen, dann liegt die Finanzierung im Ermessen
des jeweiligen Haushaltsgesetzgebers, und zwar aus-
schließlich. Sie geben mit dieser Veränderung ein we-
sentliches Stück der Unabhängigkeit und der sachge-
rechten Bearbeitung im Anti-Doping-Kampf auf; denn
es geht ja um die Durchsetzung und Überwachung sport-
rechtlicher Regelungen.

Deshalb bitte ich Sie ausdrücklich: Würdigen Sie die
Leistungen der NADA in den letzten zehn Jahren. Sie ist
international anerkannt. Wir haben in der Bundesrepu-
blik Deutschland eine beispielgebende Nationale Anti
Doping Agentur. Sie hat international eine Vorbildfunk-
tion. Lassen Sie uns gemeinsam dafür werben, dass diese
Institution auch in ihrer Unabhängigkeit eine angemes-
sene Förderung durch alle Stakeholder erfährt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das war ja sehr erfolgreich in der Vergangenheit!)


Das ist die eigentliche Lösung des Problems und nicht
ein Systemwechsel in Richtung Verstaatlichung der
NADA.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1720420700

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,

möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten
Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage
der Resolutionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012)

vom 5. Juli 2012“ mitteilen: abgegebene Stimmen 563.
Mit Ja haben gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt
65, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 561;
davon

ja: 494
nein: 65
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe

Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther

Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer

Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann (Volkach)

Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Angelika Brunkhorst
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Hans-Werner Ehrenberg
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger

Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring

Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann

Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz

Ingrid Remmers
Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg

Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


DIE LINKE

Paul Schäfer (Köln)


Nun erteile ich Kollegen Jens Petermann für die Frak-
tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1720420800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mafiöse Strukturen und systematisches Doping im Sport
gehen Hand in Hand. Besonders exemplarisch und spek-
takulär ist der Fall Armstrong, der die Sportwelt in den
vergangenen Wochen und Monaten wie kaum ein ande-
res Ereignis erschütterte. Der Abgrund – er wurde von
vielen kundigen Beobachtern der Szene bereits seit lan-
gem vermutet – ist jetzt sichtbar. Die Tragweite ist bis-
lang noch unklar. Sportfunktionäre, insbesondere bei der
Internationalen Radsport-Union, ringen förmlich nach
Luft. Hier geht es nicht nur um das tragische Schicksal
einer einzelnen Person. Hinter dem Skandal Armstrong
steckt ein ganzes System aus Sportärzten, Sportfunktio-
nären, Sportlern und Geschäftsleuten.

In besonders erschreckendem Ausmaß zeigt sich, wie
mit Doping im Sport skrupellos Geschäfte gemacht wer-
den. Die Kommerzialisierung des Sports ist eine wesent-
liche Ursache für ein betrügerisches Dopingsystem, das
offensichtlich im Alltag der Sportwelt einen festen Platz
hat. Das gibt uns allen, die ein Herz für den Sport haben,
zu denken. Lassen Sie uns also das zum Anlass nehmen,
um über Parteigrenzen hinweg nach Lösungen zu su-
chen. Ein wesentliches Moment ist die Verfolgung und
Aufklärung von Dopingdelikten. Leider – das ist hier
schon angeklungen – können wir mit der NADA, wie sie
derzeit aufgestellt ist, keinen Staat machen.

Die Aufdeckung des Falls Armstrong wäre wohl nie
gelungen, wenn die US-Anti-Doping-Agentur nicht so
einen langen, vor allem finanziellen, Atem gehabt hätte.
Herr Bergner, da haben Sie völlig recht. Bereits 2003
hatte die US-amerikanische Anti-Doping-Agentur Ein-
nahmen von über 10 Millionen US-Dollar, übrigens
deutlich mehr als die Hälfte aus Zuwendungen des Staa-
tes. Das jährliche Gefeilsche im Sportausschuss um
1 Million Euro ist vor diesem Hintergrund wirklich lä-
cherlich und ein Armutszeugnis.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Zentrum der Lösungen, nach denen wir gemein-
sam suchen sollten, muss aus unserer Sicht vor allem
eine Verbesserung der Prävention stehen. Doping ist
kein alleiniges Phänomen des Spitzensports. Doping ist
leider auch im Jugend- und Breitensport weit verbreitet.
Hier geht es neben der Moral vor allem auch um die Ge-
sundheit Tausender Menschen. Nierenschäden, Herz-
schwäche, Hautveränderungen und Veränderungen der
Geschlechtsmerkmale sind nur einige der Nebenwirkun-
gen, die insbesondere auf Anabolikamissbrauch zurück-
zuführen sind. Bereits Jugendliche müssen über die Ge-
fahren für Leib und Leben aufgeklärt werden. Vielver-
sprechende Ansätze wie beispielsweise die jährlich statt-
findende Regionalkonferenz „Dopingprävention“ der
Deutschen Sportjugend müssen zu einem flächende-
ckenden Angebot weiterentwickelt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass diese Angebote Geld kosten, ist klar. Weitere In-
vestitionen sind also unausweichlich. In der Pflicht steht
dabei vor allem der Bund. Die Bundesregierung schreibt
sich in ihrem letzten Sportbericht eine Vorreiterrolle zu.
Das finanzielle Engagement indes ist überschaubar und
steht in keinem Verhältnis zu den Herausforderungen,
die der Anti-Doping-Kampf mit sich bringt. Die Bundes-
regierung hat sich damit ein echtes Glaubwürdigkeits-
problem geschaffen.

Die Lippenbekenntnisse des Innenministeriums sind
für die Galerie und helfen nicht weiter. Besonders pikant
wird das Ganze, wenn wir zeitgleich erfahren müssen,
dass es an der Bereitschaft zur Aufarbeitung mangelt.
Aktuelles Beispiel hierfür ist ein Forschungsprojekt über
Doping in Deutschland, das 1950 vom Deutschen Olym-
pischen Sportbund initiiert und vom Bundesinstitut für
Sportwissenschaft beauftragt und gefördert wurde, nun
aber offensichtlich nicht beendet werden kann. Das Bun-
desministerium des Innern und der Deutsche Olympi-
sche Sportbund schieben nun den beauftragten Wissen-
schaftlern den Schwarzen Peter zu. Diese hatten aller-
dings schon bei der Vorstellung des Zwischenberichts im





Jens Petermann


(A) (C)



(D)(B)


Jahre 2011 regelwidrige Einflussnahmen durch die Auf-
traggeber beklagt. Mit dem Mittel der Zensur soll durch
Schwärzungen Rücksicht auf prominente Namen aus
Sport und Politik genommen werden. Im Sportausschuss
wurde das Thema leider auf Mitte Januar verschoben.
Dies ist völlig unverständlich. Dies ist ein typischer Fall
für brutalstmögliche und zügige Aufklärung.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – So be-
kommen wir jedenfalls das Thema Doping nicht in den
Griff. Die Verantwortlichen müssen endlich ehrlich, un-
voreingenommen und ohne politische Rücksichtnahme
handeln. Sonst wabert über dem deutschen Anti-Doping-
Kampf weiterhin ein Nebelschleier der Scheinheiligkeit.

Danke.

Frau Präsidentin, ich bin jetzt fertig.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720420900

Wie schön. – Das Wort hat der Kollege Dr. Lutz

Knopek für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Lutz Knopek (FDP):
Rede ID: ID1720421000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Antrag der SPD wird zu Recht festgestellt:
Doping gefährdet die Grundwerte des Sports und zer-
stört ihn somit in seiner Substanz. – Dem können wir als
Sportpolitiker alle zustimmen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist schon einmal ein guter Anfang!)


Es ist klar – Herr Petermann hat es angesprochen –, dass
der Kampf gegen Doping eine gesamtgesellschaftliche
Herausforderung ist. Der Breitensport, die Schulen, die
Familien: sie alle sind im Kampf gegen Doping gefor-
dert.

Es heißt in dem Antrag:

Größtes Problem der NADA ist die mangelhafte fi-
nanzielle Ausstattung.

Da müssen wir uns in Erinnerung rufen, wie es zur
Gründung der NADA kam: Nachdem das IOC, als im
Zusammenhang mit der Vergabe der Olympischen Win-
terspiele 2002 in Salt Lake City der Verdacht der Kor-
ruption aufgekommen war, eine heftige Krise durchlebt
hatte, gab es die World Conference on Doping, es gab
die Deklaration von Lausanne, und es folgte 1999 die
Gründung der WADA und dann, drei Jahre später, der
NADA.

Herr Bergner hat ganz richtig gesagt: Es gibt gute
Gründe dafür, dass die NADA die Struktur hat, die sie
hat; denn für uns hat die Autonomie des Sports einen
ganz hohen Stellenwert. Gerade nach den Erfahrungen
mit dem Staatsdoping der DDR müsste doch eigentlich
klar sein, dass eine staatliche Anti-Doping-Agentur nicht
automatisch die Lösung aller Probleme sein muss.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb ist die NADA nach dem Stakeholder-Modell
aufgebaut, deshalb haben wir eine privatrechtliche Stif-
tung. Das war 2002 eine Entscheidung der rot-grünen
Koalition,


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist richtig!)


und diese Entscheidung ist grundsätzlich richtig gewe-
sen.

Als Stiftungskapital waren ursprünglich 80 Millionen
Euro angesetzt.


(Dagmar Freitag [SPD]: Und zwar vom Bund!)


Geworden sind daraus nur gut 6 Millionen Euro. Die
Länder haben eine traurige Rolle gespielt: Sie haben ge-
rade einmal 1 Million Euro beigesteuert. Die Beteiligung
der Wirtschaft ist erst recht beschämend: Da kamen ini-
tial gerade einmal 150 000 Euro zusammen. Die Rolle
des Bundes sollte eigentlich nur aus einer Anschubfinan-
zierung bestehen. Aktuell kommen aber ungefähr
85 Prozent des Stiftungskapitals vom Bund. Die NADA
war also von Anfang an unterfinanziert.

Jetzt kommt ein weiteres Problem dazu: Das Stif-
tungskapital verzinst sich kaum. Dieser Vorwurf betrifft
Herrn Draghi und die Nullzinspolitik der EZB; wir
Sportpolitiker können nichts dagegen machen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Auch 5 Prozent Zinsen würden nicht helfen!)


Grundsätzliche Überlegungen für die Zukunft sind
also sinnvoll. Fürs Erste ist die Finanzierung gesichert:
Der Bund zahlt noch einmal 1 Million Euro; vielen
Dank.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie geht es im nächsten Jahr weiter? Sitzen wir dann wieder hier und debattieren?)


Nun sind die Länder und die Wirtschaft gefragt. Ein
Dank geht an Baden-Württemberg dafür, dass Baden-
Württemberg – sicherlich durch einen grünen Impuls –


(Martin Gerster [SPD]: Durch einen roten Impuls!)


– durch einen grün-roten Impuls – eine Vorreiterfunktion
eingenommen hat. Die anderen Länder müssen nachfol-
gen.

Aber auch die Wirtschaft muss sich wesentlich mehr
engagieren. Ich finde es klasse, wenn die Firma Adidas
und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerver-
bände vorangehen. Das ist nicht das klassische Sponso-
ring, bei dem man unmittelbar einen positiven Pro-
dukteffekt hat; aber es steht einer verantwortungsvollen
Sportindustrie gut zu Gesicht, sich hier mehr zu engagie-
ren.

Ich vertraue dem, was der neue Vorsitzende des Auf-
sichtsrates der NADA, Professor Näder, vor einigen Mo-
naten bei uns im Sportausschuss gesagt hat: dass er sich





Dr. Lutz Knopek


(A) (C)



(D)(B)


als Mann aus der Wirtschaft noch einmal um Unterstüt-
zung aus der Wirtschaft kümmern wird. – Ich bin mir si-
cher, hier wird sich etwas tun.

Es hat in der NADA aber auch organisatorische An-
laufschwierigkeiten gegeben. Als wir gestern im Sport-
ausschuss den Anti-Doping-Bericht 2011 diskutiert ha-
ben, haben wir darüber gesprochen. Die Implemen-
tierung der Anti-Doping-Regularien war schwierig. Es
geht um 60- bis 70-seitige Regelwerke und 57 vom
Bund geförderte Verbände. Darunter befinden sich auch
kleinere Verbände mit ehrenamtlichen Strukturen. Dies
hat einer aufwendigen persönlichen Beratung bedurft.

Mittlerweile gibt es gemeinsam mit dem DOSB Schu-
lungen und eine E-Learning-Plattform. Es geht also vo-
ran. Dennoch ein weiterer Appell an die Länder: Die bü-
rokratischen Hürden müssen abgebaut werden; denn
– Herr Petermann sagte es – die Prävention ist hier ganz
besonders wichtig. Präventionsveranstaltungen sind aber
Aufgabe der Länder.

Die NADA hat also einen schwierigen Start gehabt,
leistet inzwischen aber gute Arbeit.

Die SPD fordert nun die Einsetzung einer unabhängi-
gen Expertenkommission. Dazu kann ich nur sagen:
noch eine Kommission.


(Zuruf von der SPD: Hätte gute Ergebnisse bringen können!)


Kommen wir zum zweiten Antrag. Sie sprechen vom
Erfurter Skandal. In Ihrem Antrag heißt es:

Medienberichten zufolge soll es am Olympiastütz-
punkt Thüringen zu Unregelmäßigkeiten gekom-
men sein.

Medienberichte? Was ist denn das für eine Evidenz?
Statt über Medienberichte zu reden, sollten wir lieber in
Ruhe die Untersuchungsergebnisse abwarten und dann
angemessen entscheiden.

Was war denn das überhaupt für ein Skandal? Es ging
um eine Eigenblutinfusion.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist verboten!)


50 Milliliter Blut wurden dem Körper entnommen, da-
nach mit UV-Licht bestrahlt und dann dem Körper wie-
der zugeführt.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wissen ganz genau, dass das verboten ist!)


Kein einziger der führenden Hämatologen kann sich hier
das Potenzial eines leistungssteigernden Effektes vor-
stellen.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es ist ein Verstoß! Punkt! Es ist verboten!)


Die Sache war also vielleicht formal relevant, aber hier
ist keinerlei leistungssteigernder Effekt abzusehen.


(Beifall des Abg. Joachim Günther [Plauen] [FDP])


Es ist also ein Problem, dass es hier zu Quacksalberei
kommt, die man sonst nur bei Heilpraktikern erlebt.

Wie ist es eigentlich um die medizinische Qualität der
Sportmedizin an unseren Olympiastützpunkten bestellt?
Für mich ist der eigentliche Skandal: Wird so ein Hum-
bug etwa durch Steuergelder bezahlt?


(Dagmar Freitag [SPD]: Auch! Schlimm genug!)


Kommen wir zu den Forderungen in Ihrem Antrag.
Das sind die üblichen Appelle, gemischt mit einer Prise
Heuchelei und leider auch mit einer sehr fragwürdigen
Forderung: Alle Sportler und Sportlerinnen, die in Stütz-
punkten trainieren, müssen frei von jeglichem Doping-
verdacht sein. Entscheidet also der bloße Verdacht – egal
von wem erhoben, egal ob begründet? Das erinnert mich
doch etwas an die Denkweise totalitärer Systeme.

Sie sagen, für eine effektive Dopingbekämpfung sei
eine nachhaltige und ausreichende Finanzierung unab-
dingbar. Das ist richtig. Wir arbeiten daran. Darüber dür-
fen wir aber nicht vergessen, dass die NADA inzwischen
gute Arbeit leistet. Wir sollten das unterstützen und nicht
infrage stellen.

Die FDP-Fraktion lehnt daher beide Anträge ab.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720421100

Die Kollegin Viola von Cramon-Taubadel hat das

Wort für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Die
Debatte um die NADA-Finanzierung ist eine Farce. Wie
in jedem Jahr beschließen Sie, Kolleginnen und Kolle-
gen der Regierungskoalition, in einer Hauruckaktion, der
NADA ein weiteres Mal 1 Million Euro zuzuschießen.


(Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Habt ihr früher auch gemacht!)


Damit beheben Sie aber das Grundproblem des Anti-
Doping-Kampfes nicht.


(Gisela Piltz [FDP]: Das haben wir ja von Ihnen geerbt!)


Die NADA ist chronisch unterfinanziert und kehrt auch
mit einer zusätzlichen Million nur zum Finanzierungs-
stand des Vorjahres zurück. Der tatsächliche Fehlbedarf
liegt bei 1,35 Millionen Euro.

Herr Knopek, Sie sagen, dass Sie auf die Otto Bock
HealthCare GmbH hoffen. Das ist ein Mittelständler im
Eichsfeld. Er soll sich jetzt dafür einsetzen, den Anti-
Doping-Kampf in Deutschland zu reanimieren. Man
muss wirklich sagen: Das ist ein absoluter Witz.





Viola von Cramon-Taubadel


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Er ist doch Aufsichtsratsvorsitzender! Warum soll er das nicht machen?)


Warum der Hilfeschrei der NADA für den notwendi-
gen Mittelaufwuchs erst so spät erfolgte, versteht aller-
dings auch niemand. Gegenfinanziert wird diese Million
übrigens aus dem Traineretat, einer Gruppe – die Trainer –,
die über die Gründung des Trainerbeirats eigentlich ge-
stärkt und nicht geschwächt werden sollte.

Wir Grüne plädieren für Planungssicherheit und ha-
ben deshalb einen zukunftsfähigen Vorschlag vorgelegt,
der auch den Spitzensport selbst nicht verschont. Aus
Sicht der Grünen ist es unerlässlich, einen Teil der Mittel
für die Spitzensportförderung in den Anti-Doping-
Kampf zu stecken. Wenn der Sport beweisen will, dass
er sauber ist und dass ihm die Dopingbekämpfung ein
echtes Anliegen ist, dann spricht nichts dagegen, auto-
matisch 5 Prozent der Förderung für Dopingbekämp-
fung, für Prävention und für Anti-Doping-Forschung
auszugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Vergleich: In Frankreich sind es sogar 10 Prozent.

Die Koalition aber hat sich diesem Vorschlag verwei-
gert. Ich sage Ihnen voraus – auch das hat Frau Freitag
eben schon erwähnt –: Wir werden in einem Jahr wieder
hier sitzen, um über die Unterfinanzierung der NADA zu
debattieren.

Mit der jetzigen Zahlung zeigt die Koalition aller-
dings keinen Großmut, im Gegenteil. Sie stellen doch
mit Ihrer Last-Minute-Episode nur eines unter Beweis:
Der Runde Tisch des Innenministers vom Februar ist
endgültig gescheitert. Anstatt die Länder zum Zahlen zu
bewegen, bringt der Herr Minister diese mit seinem Vor-
gehen gegen sich auf. Nur das grün-rot-regierte – ich
hätte auch fast rot-grün gesagt – Baden-Württemberg
zeigt Flagge


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und zahlt 128 000 Euro für drei Jahre. Wo ist denn der
Beitrag des CSU-regierten Bayern? Ich frage Sie.

Allerdings hat sich auch die NADA sonst nicht mit
Ruhm bekleckert. Während in den USA das Denkmal
Armstrong durch kluge Ermittlungen, aber auch mit Un-
terstützung der WADA gestürzt wurde, freut sich die
NADA hier, wenn die Verfahren vom Deutschen Sport-
schiedsgericht folgenlos eingestellt werden.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie Äpfel mit Birnen verglichen!)


– Ich habe nicht Äpfel mit Birnen verglichen. Wir ha-
ben hier eine NADA, und wir haben dort eine unabhän-
gige USADA. Beide könnten das Gleiche leisten. Wir
haben hier Versagen, dort gibt es Erfolge. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir halten fest: Es gibt ständig Personalwechsel bei
der NADA. Ab 2011 hätte die NADA eine Chance
für personelle Kontinuität gehabt, aber eine engagierte
kommissarische Geschäftsführerin wurde abgewatscht,
Querdenker oder investigatives Personal wurden nicht
eingestellt. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Her-
ren.

In der Causa Erfurt ist die NADA jedes Mal einen
Schritt zu spät: zu späte Akteneinsicht, zu spätes Einlei-
ten der Ermittlungen. Anschließend überwirft sie sich
auch noch mit der WADA.

Das wenig wirksame Kontrollsystem krankt an Ineffi-
zienz. Obwohl seit mehreren Jahren Blutkontrollen
durch die NADA eingelagert werden und somit zur wei-
teren Verwendung zur Verfügung stehen, wurde immer
noch kein indirekter Nachweis durch die Sportverbände
geführt. Das ist das gängige Prinzip bei der Dopingbe-
kämpfung in Deutschland. Man betrachtet sich selbst als
die Spitze der Bewegung beim Anti-Doping-Kampf.
Aber tatsächlich trägt man die rote Laterne.

Die Bundesregierung hat bislang kein Konzept zur
Qualitätsverbesserung vorgelegt. Sie kritisiert lieber die
WADA, anstatt vor der eigenen Haustür zu kehren. Und
mal ganz ehrlich: Wir wissen doch jetzt schon, was bei
Professor Jahn und seiner Evaluierung des Arzneimittel-
gesetzes rauskommen wird. In der Evaluierung wird der
Spitzensport gar nicht aufgegriffen. Wir beschäftigen
uns dort mit dem Breitensport. Das, was Sie dazu in
Auftrag gegeben haben, ist doch ein Witz; das kann man
gar nicht anders sagen.

Für mich steht fest: Die besten Dopingbekämpfer
sitzen außerhalb der NADA, wie zum Beispiel das Ehe-
paar Berendonk/Franke, der Präventionsexperte Gerhard
Treutlein oder auch der Sportmediziner Perikles Simon.

Daher bleibt das Fazit: Die NADA ist seit 2002 in den
Startblöcken stecken geblieben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720421200

Das Wort hat der Kollege Klaus Riegert für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1720421300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bundespräsident Gauck hat gestern bei der Verleihung
des Silbernen Lorbeerblattes überraschenderweise auch
den Kampf gegen Doping gewürdigt und ausdrücklich
der NADA für ihre gute Arbeit gedankt.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Er ist auch kein Sportexperte!)


Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, das Ganze anzu-
packen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben hier Einigkeit im Kampf gegen Doping,
das ist ja richtig. Aber zum SPD-Antrag zur Unzeit kann
ich nur sagen: unsolidarisch. Wir bauen auf Länder,
Wirtschaft und Sport Druck auf, ihren Verpflichtungen
nachzukommen. Wir haben vor zehn Jahren mit den
Ländern, der Wirtschaft und dem Sport ein Stakeholder-
Modell als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Doping-
bekämpfung verabredet. Bisher ist nur der Bund seinen
Verpflichtungen nachgekommen. Er hat rund 11 Millio-
nen Euro ins Stiftungskapital gegeben und hat im Haus-
haltplanentwurf für 2013 2,2 Millionen Euro in Ansatz
gebracht. Hinzu kommt 1 Million Euro heute – ich hätte
beinahe gesagt: in der Nacht der langen Messer – durch
den Beschluss des Haushaltsausschusses bei der Bereini-
gungssitzung.

In Ihrem Antrag lese ich dann:

Doch auch die Mittel des Bundes sind von der der-
zeitigen Bundesregierung gekürzt worden, so dass
schon in diesem Jahr nur durch zusätzliche Mittel,
die im Rahmen der Haushaltsberatungen nachträg-
lich eingestellt wurden, der geordnete Betrieb der
NADA für 2013 aufrecht erhalten werden kann.


(Martin Gerster [SPD]: Genau so ist es!)


Der erste Punkt: Das ist nicht korrekt, weil es immer um
eine Anschubfinanzierung ging. Es war von Beginn an
klar, dass diese Anschubfinanzierung nach vier Jahren
ausläuft.


(Dagmar Freitag [SPD]: Aber dann ist doch noch weniger Geld da!)


Der zweite Punkt: Es ist für Sie als Abgeordnete
wirklich erbärmlich: Wir dringen auf das Königsrecht
des Parlaments, das Haushaltsrecht. Die Haushaltsbera-
tungen finden im Augenblick statt. Auf unseren Antrag
hin wird 1 Million Euro zusätzlich eingestellt. Das aber
diskreditieren Sie mit Ihrem Antrag. Das, was Sie da ma-
chen, ist völlig unmöglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schauen wir, was noch in Ihrem Antrag steht. Sie
schreiben:

Dies ist nicht hinnehmbar, da eine glaubwürdige
Dopingbekämpfung nur von einer starken, unab-
hängigen und finanziell dauerhaft auf sicheren Fü-
ßen stehenden NADA geführt werden kann.

Was ist Ihre Antwort darauf? Die Einsetzung einer Ex-
pertenkommission. Ich lache mich ja kaputt. Sie hätten
wenigstens ehrlich sein und schreiben können: Alles soll
verstaatlicht werden, der Bund soll alles zahlen, auch
wenn das zulasten des Sports im Haushalt geht. Mit der
Unabhängigkeit ist es vorbei. Die Verantwortungen sind
damit verlagert. Der Sport wird aus seiner Verantwor-
tung entlassen. – Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie
das auch so in den Antrag schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Frau Vorsitzende, ein Wort zur Unabhängigkeit.
Sie beklagen, die NADA habe nicht den nötigen Biss.
Wir hätten von Ihnen als neutrale Vorsitzende des Sport-

ausschusses und auch als Mitglied des Aufsichtsrats der
NADA nicht erwartet, dass Sie der NADA in dieser
Form in den Rücken fallen. Wir erwarten, dass Sie sich
bei solchen politischen Themen etwas neutraler verhal-
ten und vor allem auch sachgerechter äußern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Oder zurücktreten! – Dagmar Freitag [SPD]: Schauen Sie sich die neuesten Meldungen an!)


Zu Ihrem zweiten Antrag. Schon die Überschrift ist
verräterisch: „Doping an Olympiastützpunkten, Bundes-
leistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent
bekämpfen“. Das wirkt so, als ob Sie davon ausgingen,
dass an unseren Zentren, die überwiegend aus Steuergel-
dern finanziert werden, in hohem Maße gedopt wird.


(Martin Gerster [SPD]: Das ist eine bösartige Unterstellung!)


Dann vergleicht die Frau von Cramon-Taubadel den
Fall Armstrong, bei dem über Jahre nachgewiesener-
maßen knallhart gedopt wurde, mit der Causa Erfurt.
Das haben Sie gerade in Ihrer Rede gemacht.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, genau!)


Man muss aber der Öffentlichkeit erzählen, was dort ge-
nau passiert ist. Der Kollege Knopek hat das vorge-
macht.


(Martin Gerster [SPD]: Eine öffentliche Ausschusssitzung ist notwendig!)


Wir sind zwar beim Thema Heilpraktiker und der Quali-
tät ihrer Arbeit geteilter Meinung, aber ansonsten hat er
es zutreffend geschildert: 50 Milliliter Blut wurden mit
UV-Licht bestrahlt und dann zurückinjiziert. Nur: Sieht
so knallhart verdecktes Doping in diesem Fall aus? Der
zuständige Arzt hat dieses Verfahren auf einem medi-
zinischen Bogen vermerkt. Diese Maßnahme wurde
dann auch entsprechend abgerechnet, und zwar mit
17,50 Euro. Das in einen Zusammenhang mit konspirati-
vem Doping zu stellen, das ist schon ziemlich weit her-
geholt.


(Beifall des Abg. Eberhard Gienger [CDU/ CSU])


Jetzt hat das Deutsche Sportschiedsgericht hierzu eine
Entscheidung getroffen. Solange der CAS keine andere
Entscheidung getroffen hat, können Sie hier nicht be-
haupten, diese Maßnahme sei verboten. Das ist definitiv
erst ab dem Jahr 2012 ganz klar vom WADA-Code er-
fasst. Vorher kann man den Sportlern keinen Vorwurf
machen.

Deshalb lassen Sie uns wieder ein Stück weit ruhiger
diskutieren. Wir brauchen die NADA. Die NADA hat
sich zum Kompetenzzentrum für Dopingbekämpfung in
Deutschland entwickelt, ist international anerkannt, hat
den WADA-Code, entsprechende Vorgaben und Richtli-
nien durchgesetzt. Deswegen lassen Sie uns hier nicht so


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Emotional!)






Klaus Riegert


(A) (C)



(D)(B)


emotional diskutieren, sondern wieder zu den Fakten zu-
rückkehren. Sie werden Verständnis dafür haben, dass
wir beide Anträge von Ihnen ablehnen.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720421400

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11320 an den Sportausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der SPD mit dem Titel „Doping an Olympia-
stützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstütz-
punkten konsequent bekämpfen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/10083, den Antrag der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/8896 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dage-
gen haben SPD und Grüne gestimmt. Die Fraktion Die
Linke hat sich enthalten.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur bundesrechtlichen Umsetzung des Ab-
standsgebotes im Recht der Sicherungsver-
wahrung

– Drucksache 17/9874 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/11388 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ansgar Heveling
Burkhard Lischka
Christian Ahrendt
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktion der SPD

Neuregelung des Rechts der Sicherungsver-
wahrung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Einsetzung einer Expertenkommission zur
Sicherungsverwahrung

– Drucksachen 17/8760, 17/7843, 17/11388 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ansgar Heveling
Burkhard Lischka
Christian Ahrendt
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor. Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Der Kollege Christian Ahrendt hat das Wort für die
FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1720421500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir beraten heute abschließend über die Umset-
zung des Abstandsgebotes und schließen damit die Re-
form der Sicherungsverwahrung ab, die 2010 begonnen
hat. 2010 haben wir die Sicherungsverwahrung zuerst
durch die Abschaffung der nachträglichen Sicherungs-
verwahrung und mit dem Ausbau der vorbehaltenen Si-
cherungsverwahrung reformiert. Jetzt folgt – schon da-
mals angelegt – das Therapieunterbringungsgesetz, mit
dem wir das Abstandsgebot rechtlich verankern. Damit
setzen wir das Gesamtkonzept um, das das Bundesver-
fassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai 2011
verlangt. Wir können feststellen: Mit dieser Reform ha-
ben wir erstens erreicht, dass das Recht der Sicherungs-
verwahrung wieder auf verfassungsmäßig festem Boden
steht, und zweitens, dass die Sicherheit für die Menschen
in Deutschland effektiver und besser geworden ist, ins-
besondere was den Schutz vor gefährlichen Straftätern
angeht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Für diese Arbeit möchte ich mich bei der Justizminis-
terin und ihrem Ministerium, aber auch bei den Kollegen
von der Koalition bedanken. Diesem schwierigen Gesetz
sind sehr umfassende, aber auch sehr konstruktive Bera-
tungen vorausgegangen. In der gestrigen Beratung im
Rechtsausschuss hat auch die Opposition anerkannt,
dass das, was wir mit dem Abstandsgebot umsetzen, ver-
nünftig und richtig ist und sich exakt an den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts orientiert. Trotzdem gibt
es eine Restkritik, die hier nicht unerwähnt bleiben soll,
und zwar einfach deshalb, weil sie uns in der nächsten
Zeit noch beschäftigen wird. Ich möchte daher einen
kleinen Rückblick auf das wagen, was uns Probleme
beim Recht der Sicherungsverwahrung bereitet hat.

Wir haben 1998 den ersten Fehler gemacht, als die
Zehnjahresfrist abgeschafft wurde und Personen, die be-
reits in Sicherungsverwahrung waren, längere Zeit in Si-
cherungsverwahrung geblieben sind. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat dies 2009 wegen
Verstoßes gegen das Rückwirkungsgebot im Grunde ge-
nommen kassiert. Die Folge dieser Entscheidung war,
dass wir nach 2009 Straftäter entlassen mussten, die auf
ein Leben in Freiheit nicht vorbereitet und nicht thera-





Christian Ahrendt


(A) (C)



(D)(B)


piert waren. Teilweise waren sehr umfangreiche Polizei-
maßnahmen erforderlich, um die betreffenden Straftäter
zu überwachen und die Bevölkerung zu schützen.

Ein weiterer relevanter Punkt war 2004 die Einfüh-
rung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach ei-
ner grausamen Straftat in Neumünster und dem aus dem
Jahr 2001 stammenden allbekannten Satz: „Wegschlie-
ßen – und zwar für immer!“

Auch die Einführung der nachträglichen Sicherungs-
verwahrung hat beim Bundesverfassungsgericht auf dem
Prüfstand gestanden. Damit bin ich genau an der Schnitt-
stelle, die uns sicherlich in den kommenden Debatten
noch beschäftigen wird, nämlich bei der Frage: Ist nach
wie vor eine nachträgliche Sicherungsverwahrung auch
unter Beachtung des Abstandsgebotes zulässig?

Wenn man heute die Pressemeldungen liest und die
Äußerungen der Landesjustizminister zur Kenntnis
nimmt, dann hat man das Gefühl, dass wir eine Debatte
im Bundesrat vor uns haben, die ich, auch wenn ich den
Antrag der SPD sehe, für durchaus gefährlich halte – ge-
fährlich deswegen, weil wir es, wie ich eingangs gesagt
habe, geschafft haben, das Recht der Sicherungsverwah-
rung wieder auf einen verfassungsmäßig festen Boden
zu stellen. Wenn wir uns aber wieder auf die nachträgli-
che Sicherungsverwahrung oder die nachträgliche
Therapieunterbringung, um den aktuellen Begriff zu ver-
wenden, hinbewegen, dann geben wir diesem Gesetz im
Grunde genommen die Verfassungswidrigkeit schon
wieder mit auf den Weg.


(Zuruf von der SPD: Nein! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ein Märchen! – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sicher! Genau das ist es!)


Wenn wir nicht das wollen, was 2009 passiert ist, näm-
lich dass wir irgendwann eine Anzahl von Straftätern
entlassen müssen, dann sollten wir tunlichst davon ab-
sehen.

Ich will Ihnen die Gründe nennen, warum ich das für
den falschen Weg halte. Der erste Grund ist: Wenn man
sich die Praxis anschaut, dann stellt man fest, dass die
nachträgliche Sicherungsverwahrung im Grunde genom-
men zu vernachlässigen gewesen ist.


(Burkhard Lischka [SPD]: Es gibt doch die Fälle!)


Derzeit gibt es gerade einmal 15 Fälle von 500, die da-
von betroffen sind.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ja, eben!)


Es sind in den Jahren seit 2004 über 115 Fälle von den
obersten Gerichten abgelehnt worden, für die nachträgli-
che Sicherungsverwahrung beantragt worden ist.

Der zweite Grund betrifft ein Problem, das mit der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu tun hat.
Um überhaupt in die Nähe einer nachträglichen Thera-
pieunterbringung zu kommen, braucht man das Drohen
einer spezifisch konkreten Straftat. Das betrifft nicht die
ferne Zukunft, nicht einen Zeitraum von zwei, drei
Monaten, sondern es handelt sich um wenige Tage, be-

vor so etwas passiert. Damit ist eigentlich schon aus-
geschlossen, dass Sie überhaupt eine nachträgliche The-
rapieunterbringung mit einem vernünftigen Rahmen in
das Gesetz bekommen. Das Bundesverfassungsgericht
hat noch eine weitere Voraussetzung formuliert: Das ist
die psychische Störung.

Alles zusammengenommen zeigt die Schwierigkeit,
dieses Rechtsgebiet zu regeln. Deswegen haben wir im
Konzept 2010 das getan, was uns als richtiger Weg vom
Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist. Das ist
der Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung;
denn damit erreichen wir mehrere Ziele. Die Gefährlich-
keit des Täters wird durch seine Tat sichtbar. Sie ist
sichtbar, wenn sie abgeurteilt wird. Anhand dessen, was
der Richter zum Zeitpunkt der Urteilsabfassung weiß,
kann er entscheiden, ob vorbehaltene Sicherungsver-
wahrung angeordnet wird oder nicht. Dann haben wir ei-
nen Täter in der Haft, der psychologisch betreut und
kontrolliert wird, der aber auch auf ein Leben in Freiheit
vorbereitet wird und hinsichtlich seiner Gefährlichkeit
therapiert werden soll. Das ist alles das, was uns das
Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat. Damit haben
wir eine engmaschige Überwachung genau dieses Täter-
kreises. Wenn sich dann tatsächlich die Gefährlichkeit
herausstellt, haben wir am Ende die Möglichkeit, die
nachträgliche Sicherungsverwahrung, die im Urteil vor-
behalten worden ist, ordnungsgemäß und rechtsstaatlich,
angeknüpft an die Tat, anzuordnen, um damit die Bevöl-
kerung vernünftig zu schützen. Das ist der bessere Weg.
Deswegen sollten wir es nicht riskieren, auch in den wei-
teren Debatten, die uns bevorstehen, ein Gesetz, das jetzt
auf verfassungsmäßig festem Boden steht – Frau Präsi-
dentin, ich komme gleich zum Schluss –, zu gefährden.

Insofern darf ich in Richtung der Ministerin und der
Koalition sagen: Bei diesem schweren Rechtsgebiet ha-
ben wir eines erreicht: Der Glanz ist in die Rechtspolitik
– ich sage das immer gerne – zurückgekehrt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720421600

Herr Kollege.


Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1720421700

Die Opposition kann Anteil an dem Glanz haben, und

zwar in dem Moment, in dem sie abstimmt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720421800

Für die SPD ergreift das Wort der Landesminister

Thomas Kutschaty.


(Beifall bei der SPD)



(Nordrhein-Westfalen)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil
vom Mai 2011 die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur
rechtlichen Neugestaltung der Sicherungsverwahrung in
Deutschland gesetzt. Mit dem vorliegenden Gesetzent-





Minister Thomas Kutschaty (Nordrhein-Westfalen)



(A) (C)



(D)(B)


wurf will die Bundesregierung nunmehr zur Umsetzung
des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung
Leitlinien vorgeben und damit den eigenen bundesrecht-
lichen Anteil am Gesamtkonzept erfüllen.

Lassen Sie es mich vorab sagen: Ein Großteil der
zweijährigen Frist, die uns das Bundesverfassungsge-
richt gegeben hat, ist leider dadurch verschwendet wor-
den, dass sich die Bundesregierung anderthalb Jahre
lang nicht einig werden konnte, wie die neue Regelung
denn tatsächlich aussehen soll.


(Beifall bei der SPD)


Es ist völlig unverständlich, dass die Bundesregierung
bei einem so bedeutenden Thema derartig leichtfertig
handelt. Bei derart wichtigen gesamtgesellschaftlichen
Aufgaben sollte der Zeitdruck möglichst minimiert wer-
den, den die Länder nunmehr haben, weil wir noch in der
Pflicht sind, eigene Umsetzungsgesetze bzw. Landes-
vollzugsgesetze dazu innerhalb eines halben Jahres zu
schaffen. Dieses Thema dient nicht zur politischen
Durchsetzung von Mindermeinungen in der Bundesre-
gierung.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetz-
entwurf entspricht zwar im Grundsatz unseren Vorstel-
lungen, auch was die Frage der Regelung des Abstands-
gebotes anbelangt; er ist allerdings nicht vollständig. Es
klafft in einem sehr wesentlichen Punkt eine schwerwie-
gende Lücke.

So ist die Bundesregierung gerade nicht der Forde-
rung des Bundesrates und der Justizministerkonferenz
nachgekommen, auch künftig hochgefährliche psychisch
gestörte Sexual- und Gewalttäter geschlossen unterzu-
bringen, wenn ihre besondere Gefährlichkeit erst im
Strafvollzug offenbar wird. Das betrifft zwar nur sehr
wenige – damit haben Sie recht, sehr geehrter Herr
Arendt –, aber es sind gerade hochgefährliche
Menschen.


(Beifall der Abg. Sonja Steffen [SPD] und Burkhard Lischka [SPD])


„Die Möglichkeit, gefährliche Gewalt- und Straftäter
auch nachträglich noch unterbringen zu können, darf uns
nicht genommen werden!“ Dieser Satz fasst die Notwen-
digkeit, die sich abzeichnende Gesetzeslücke zu schlie-
ßen, treffend zusammen. Dieser Satz stammt allerdings
nicht von mir, sondern von der stellvertretenden Vorsit-
zenden der CSU, meiner bayerischen Amtskollegin Frau
Dr. Beate Merk.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frau! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das sagt mehr aus über Sie als über Frau Merk!)


Auch meine Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpom-
mern, Frau Uta-Maria Kuder von der CDU, sowie
sämtliche sozialdemokratischen Landesministerinnen
und -minister teilen diese Auffassung, ebenso die SPD-
Fraktion im Deutschen Bundestag, und seien Sie doch
ehrlich, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/

CSU-Fraktion: Sie doch im Inneren eigentlich auch. So
war es zumindest in der ersten Beratung erkennbar.


(Beifall bei der SPD – Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Das ist unstrittig!)


Sie sehen, meine Damen und Herren: Über Partei-
grenzen hinweg haben sich Justizministerinnen und
Justizminister auf den letzten drei Justizministerkonfe-
renzen mit deutlicher Mehrheit für die Möglichkeit der
nachträglichen Therapieunterbringung ausgesprochen.
Warum wird diese Forderung von der Bundesregierung
nicht aufgegriffen? Warum enthält dieser Gesetzentwurf
nach wie vor diese gravierende Lücke? Weil sich die
Minderheit in der Bundesregierung gegen eine vernünf-
tige parteiübergreifende Regelung sperrt.

Das Bundesjustizministerium bzw. Sie, sehr geehrte
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, haben im Vorfeld
immer gesagt, es sei schwierig, dies zu regeln, da es
auch juristisch sehr umstritten ist. Ist also die Schwierig-
keit einer Materie nunmehr ein Argument, von einer ge-
setzlichen Regelung Abstand zu nehmen? Hoffentlich
nicht. Denn ich will Ihnen an dieser Stelle einmal ver-
deutlichen, über was für Menschen wir hier sprechen,
und Ihnen damit gleichzeitig zeigen, welche direkten
Auswirkungen Bundesgesetzgebung auf unsere Arbeit
vor Ort in den Ländern hat.

Ein erster Fall: In Nordrhein-Westfalen lebt der in
Bayern verurteilte Sexualstraftäter Karl D. Er hat in ei-
nem eigens dafür hergerichteten Transporter zwei junge
Mädchen über einen langen Zeitraum in brutaler und
höchst erniedrigender Art und Weise vergewaltigt und
sexuell verstümmelt. Gutachter bescheinigen ihm eine
dissoziale Persönlichkeitsstörung und schließen daraus,
dass er ohne Therapie mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit wieder rückfällig werden wird. Wäh-
rend seiner Strafhaft hat er nicht nur jedes Therapieange-
bot, sondern jegliche Auseinandersetzung mit seiner Tat
verweigert. Karl D. ist frei. Er wird daher rund um die
Uhr von nordrhein-westfälischen Behörden überwacht.
Aufwand und Kosten dieser Maßnahme möchte ich an
dieser Stelle bewusst nicht thematisieren.

Ein weiteres Beispiel: Ein in Bayern Verurteilter hat
über ein Jahrzehnt hinweg massive sexuelle Übergriffe
auf seine Frau und seine Tochter verübt. Erst während
der Verbüßung seiner 15-jährigen Haftstrafe wurde bei
ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, nach
der dieser Täter auch für die Allgemeinheit gefährlich
ist.

Wir alle wissen, dass eine nachträgliche Therapieun-
terbringung glücklicherweise nur in sehr wenigen Fällen
in Betracht kommt. Schon die nachträgliche Sicherungs-
verwahrung ist früher nur in wenigen Einzelfällen ange-
ordnet worden. Das ist aber gerade kein Argument gegen
die Schaffung einer neuen Maßregel. Das Gegenteil ist
der Fall. Denn dieser Befund zeigt, wie sorgfältig unsere
Gerichte bislang mit einem solchen Instrument umge-
gangen sind und auch zukünftig umgehen werden. Aber
jeder Einzelfall, auf den die von uns vorgeschlagene Re-
gelung abzielt, ist so gravierend, dass keine rechtliche





Minister Thomas Kutschaty (Nordrhein-Westfalen)



(A) (C)



(D)(B)


Möglichkeit ungenutzt bleiben darf, um Schutzlücken zu
schließen.


(Beifall bei der SPD)


Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen nun-
mehr diese Menschen nach Verbüßung ihrer Strafe auto-
matisch auf freien Fuß kommen. Warum? Weil es recht-
lich schwierig ist. Dieses Argument, meine Damen und
Herren, überzeugt bei solchen Straftätern nicht.


(Beifall bei der SPD)


Dass die Forderung nach einer nachträglichen Thera-
pieunterbringung auch über Parteigrenzen hinweg von
ganz vielen Justizministerinnen und -ministern erhoben
wird, sollte auch Sie im Deutschen Bundestag aufhor-
chen lassen. Es geht nämlich um nicht weniger als um
den größtmöglichen Schutz unserer Bürgerinnen und
Bürger vor gefährlichsten Gewalt- und Sexualstraftätern.
Hierfür muss alles gesetzgeberisch Mögliche getan
werden.

Der Bundesrat hat mit der auch von mir nachdrück-
lich unterstützten Einführung einer Maßregel der nach-
träglichen Therapieunterbringung Ihnen einen verfas-
sungsrechtlich gangbaren Weg aufgezeigt, wie dieses
Ziel erreicht werden kann. Ich biete Ihnen auch heute
noch ausdrücklich die Unterstützung der SPD bei der
Lösung dieser rechtlichen Schwierigkeiten an. Wir
lassen Sie nicht im Regen stehen, sondern sind bereit,
Verantwortung zu tragen. Lassen Sie uns gemeinsam
diese eklatante Lücke im Gesetzentwurf schließen. Ich
appelliere daher an die Minderheit in der Bundesregie-
rung, ihre Position zu überdenken.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Verfassung
bietet die Möglichkeit, gefährliche Straftäter auch wei-
terhin geschlossen unterzubringen. Diese Tür hat das
Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung aus
dem Mai 2011 ganz bewusst ein Stück offengelassen.
Wir sollten diese eklatante Sicherheitslücke nicht in
Kauf nehmen; denn, meine Damen und Herren, welche
Worte wollen Sie für die Eltern eines Kindes finden, das
Opfer einer schwersten Gewalt- oder Sexualtat eines sol-
chen Täters geworden ist? Wie wollen Sie den Eltern er-
klären, dass dieser Täter trotz erkannter höchster Rück-
fallgefahr sehenden Auges entlassen worden ist, obwohl
die Möglichkeit bestanden hätte, ihr Kind vor ihm zu
schützen? Meine Damen und Herren, das können Sie
nicht erklären, und ich bin mir sicher: Das wollen wir
auch nicht erklären.


(Beifall bei der SPD)


Die SPD will auch weiterhin eine vernünftige, verant-
wortungsbewusste Regelung. Sollte dies heute nicht
gelingen, werden wir dieses Ziel im Bundesrat weiter-
verfolgen. Deswegen noch einmal mein Appell an alle
Parteien hier im Hause: Lassen Sie uns unserer gemein-
samen Verantwortung gerecht werden!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720421900

Das Wort hat die Kollegin Andrea Voßhoff für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1720422000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Kutschaty, es ist richtig – es gibt über-
haupt keinen Grund, das nicht auch hier zu sagen –, dass
die Union sich eine Regelung zur nachträglichen Thera-
pieunterbringung gewünscht hätte. Aber wenn Sie ab-
schließend in einer solchen Art und Weise an uns appel-
lieren und hier eine eklatante Schutzlücke feststellen,
wenn Sie davon reden, dass ein Kind Opfer werden
kann, und davon, dass dann die Eltern entsprechend be-
lastet sind, ist das unseriös, Herr Kutschaty;


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein! Sie sind eingeknickt! Das ist erst mal alles! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)


denn Sie erwecken den Eindruck, dass dieses Gesetz in
keiner Weise den Sicherheitsanforderungen gerecht
wird, und das stimmt schlicht nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir schließen nämlich heute ein für die Sicherheitsar-
chitektur unseres Landes und unserer Bürger außeror-
dentlich wichtiges Reformvorhaben ab. Der Kollege
Ahrendt hat es gesagt. Nach der grundlegenden Reform
der Sicherungsverwahrung im Jahre 2010 beschließen
wir heute über den modernen und verfassungskonformen
Vollzug einer solchen Sicherungsverwahrung. Damit,
liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir überhaupt
sicher, dass die Sicherungsverwahrung über das Jahr
2013 hinaus Bestand haben kann.

Ich denke, mit wenigen Ausnahmen, insbesondere
von den Linken, sind sich die Mitglieder dieses Hohen
Hauses auch weitgehend darin einig, dass die Siche-
rungsverwahrung unverzichtbar und der Staat verpflich-
tet ist, sie im Interesse der Sicherheit unserer Bürger zu
ermöglichen, und wir tun dies heute.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Sicher-
heitsinteresse der Allgemeinheit mit dem Freiheits-
anspruch eines gefährlichen Täters kollidiert, der seine
Freiheitsstrafe verbüßt hat, wie dies bei der Sicherungs-
verwahrung der Fall ist, stößt der Rechtsstaat naturge-
mäß an seine Grenzen. Daran haben uns der Europäische
Gerichtshof, aber auch – wie wir wissen – das Bundes-
verfassungsgericht nicht nur erinnert, sondern sie haben
uns gemahnt und eine entsprechende Gesetzgebung mit
einem Urteil von uns eingefordert.

Wir haben mit der Reform 2010 als Bundesgesetzge-
ber die materiell-rechtlichen Regelungen der Siche-
rungsverwahrung geregelt und sind dabei davon ausge-
gangen, dass entsprechend der Föderalismusreform wir
als Bundesgesetzgeber nicht für den Maßregelvollzug
zuständig sind, sondern dass es die Länder sind.





Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)


Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellten wir
dann fest, dass das Bundesverfassungsgericht dies an-
ders sieht und uns gemeinsam in die Pflicht nimmt. Es
hat uns mit dem Urteil aufgegeben, den Vollzug der Si-
cherungsverwahrung neu zu gestalten.

An dieser Stelle, Herr Kutschaty, darf ich einmal sa-
gen: Bei allen Regelungen zur Sicherungsverwahrung,
die wir in diesem Hohen Hause beschlossen haben, war
immer der Appell – übrigens aller Fraktionen –, den
Vollzug der Sicherungsverwahrung in den Ländern ent-
sprechend auszugestalten. Dem sind die Länder in der
Vergangenheit nicht nachgekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb, meine Damen und Herren, liegt von uns
heute ein Gesetzentwurf vor, der dem sogenannten Ab-
standsgebot Rechnung trägt, den Vollzug der Siche-
rungsverwahrung also deutlich vom Strafvollzug abhebt.
Herr Kutschaty, wenn Sie sagen, wir hätten uns andert-
halb Jahre Zeit gelassen: Es hat in der ganzen Zeit, je-
denfalls nach meinem Kenntnisstand, eine intensive Ab-
stimmung mit den Ländern stattgefunden,


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein, am Anfang nicht!)


weil es darum ging, gemeinsam die Vollzugsausgestal-
tung zu regeln. Wenn Sie hier also so tun, als hätten wir
das hier anderthalb Jahre liegen gelassen, ist das schlicht
und ergreifend falsch, unzutreffend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Die Länder haben jetzt nicht die gleiche Zeit! Wenn die sich so viel Zeit lassen würden, geht das in die Hose!)


Ich sage offen, dass wir uns als Union eine Regelung
zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gewünscht
hätten; völlig unbestritten. Dazu stehen wir auch. Wir
wissen nur, dass wir durch die Frist des Verfassungsge-
richts unter zeitlichem Druck stehen, weshalb wir diese
unsere Forderung aufgegeben haben. Wir gehen aber in
keiner Weise davon aus, lieber Herr Kutschaty, dass wir
hier eine eklatante Schutzlücke haben.


(Burkhard Lischka [SPD]: Davon haben Sie selber gesprochen! Herr Krings! In der Pressemitteilung!)


Wir sehen eine Regelungslücke, aber eine eklatante Si-
cherheitslücke, wie Sie sie hier suggerieren wollen, kön-
nen wir nicht feststellen.

Meine Damen und Herren von der SPD, so vehement,
wie Sie die nachträgliche Therapieunterbringung for-
dern, so vehement lehnen die Grünen sie ab. Das kommt
mir irgendwie bekannt vor.


(Christine Lambrecht [SPD]: Wie bei der Vorratsdatenspeicherung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie
mit Ihrem Traumkoalitionspartner heute hätten etwas
vorlegen müssen, hätten Sie keine Regelung zur nach-
träglichen Therapieunterbringung vorlegen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Ach, warten Sie ab!)


Das muss der Wahrheit halber dazugesagt werden. Das
gehört zur Vollständigkeit dazu. Ich hoffe, Sie werden
nie Gelegenheit haben, das auszutesten.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das werden Sie schon beim Verhalten des Bundesrates sehen!)


Meine Damen und Herren von der SPD, neben dem,
was Herr Kutschaty gesagt hat, muss man auch die Zei-
tung lesen. Darin steht, dass auch die sachsen-anhaltini-
sche Justizministerin Kolb vor einer eklatanten Schutz-
lücke warnt. In dem Artikel werden dann Fallzahlen
offenbar genannt – von Frau Kolb genannt; anders kann
es eigentlich nicht sein –: 22 betroffene Straftäter in
Sachsen-Anhalt sitzen in der Sicherungsverwahrung im
Gefängnis in Burg. Für weitere 17 Straftäter kommt nach
dem Haftende eine Sicherungsverwahrung infrage. – Im
Zusammenhang mit dem Artikel wird suggeriert, das
seien Fälle, die nicht regelbar seien,


(Mechthild Dyckmans [FDP]: Genau!)


weil es keine nachträgliche Therapieunterbringung gebe.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich gehe einmal
davon aus, dass das alles Altfälle sind, bei denen die An-
lasstat vor dem 31. Dezember 2010 begangen worden
ist.


(Mechthild Dyckmans [FDP]: So ist es!)


Wenn das so ist, dann werden diese Fälle sehr zum Leid-
wesen der Grünen nach wie vor nach altem Recht gere-
gelt, auch mit einer nachträglichen Sicherungsverwah-
rung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Ich bin sehr dafür, dass wir offen und vernünftig über
das Thema diskutieren. Mit den Zahlen, mit dem, was
Sie zum Schluss gesagt haben, versuchen Sie aber, der
Bevölkerung zu suggerieren, hier würde die Bevölke-
rung gefährdet und die Sicherheit nicht in ausreichen-
dem Maße gewährleistet.


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein, Sie nehmen die Bevölkerung nicht ernst!)


Das ist schlicht und ergreifend nicht zutreffend.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422100

Halina Wawzyniak hat jetzt das Wort für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720422200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir reden erneut über die Sicherungsverwah-
rung, weil das in dieser Legislaturperiode von der Mehr-
heit des Hauses verabschiedete Gesetz vom Bundesver-





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)


fassungsgericht in weiten Teilen für verfassungswidrig
erklärt wurde. Die Bundesregierung musste also nachsit-
zen


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das sind keine Schüler!)


und ein neues Gesetz vorlegen, ein Gesetz, das die bun-
desrechtliche Umsetzung des Abstandsgebotes regelt.
Wir haben zu diesem Gesetz hier bereits geredet und
eine Anhörung im Rechtsausschuss durchgeführt.

Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: Bei der Si-
cherungsverwahrung geht es um einen präventiven Frei-
heitsentzug aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose für
Straftäterinnen und Straftäter, die für ihre Tat bereits eine
Freiheitsstrafe ver- und damit auch für die Tat gebüßt ha-
ben.

Die Linke – ich wiederhole das hier – lehnt das Insti-
tut der Sicherungsverwahrung ab.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: In Gänze?)


Wir sagen deutlich: Jede Straftat ist eine Straftat zu viel.
Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Aber wir dürfen nicht
suggerieren, es gäbe ein Mittel, das verhindert, dass
überhaupt noch Straftaten begangen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das im Übrigen ist eine Weisheit, die bislang keiner in-
frage gestellt hat.

Wir haben mittlerweile verschiedene Arten der Siche-
rungsverwahrung. Dazu kommt jetzt die Therapieunter-
bringung. Wir schlagen uns mit dem Begriff der psychi-
schen Störung herum. Der Sachverständige Professor
Kinzig hat darauf verwiesen, dass dieser Begriff zu un-
bestimmt sei, um darauf eine so schwerwiegende Sank-
tion zu stützen.

Ich bitte Sie alle, sich noch einmal vor Augen zu füh-
ren, wovon der Sachverständige Asprion in der Anhö-
rung gesprochen hat. Er hat aus der Praxis berichtet, wie
es den aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen geht.
Er hat beschrieben, dass es für die Entlassenen zum Teil
nicht einmal Wohnungen gibt; sie können zum Teil keine
Konten eröffnen, geschweige denn, dass sie eine Chance
auf Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit haben.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was ist mit den Opfern?)


Hier anzusetzen und den Auftrag auf Wiedereingliede-
rung ernst zu nehmen, würde ein Ansatz sein, Rückfäl-
ligkeiten zu vermeiden. Und genau darum muss es uns
doch allen gehen, nämlich erneut Straftaten zu vermei-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Ablehnung des Instituts der Sicherungsverwah-
rung hindert uns aber nicht, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wir fin-
den es gut, dass mit dem § 66 c eine Art Rechtsanspruch
auf individuelle und intensive Betreuung sowie eine vom
Strafvollzug getrennte Unterbringung festgeschrieben

wird. Wir wollen aber darauf hinweisen, dass die dafür
notwendigen Mittel auf gar keinen Fall dazu führen dür-
fen, dass die Betreuung der Strafgefangenen verschlech-
tert wird. Wir hätten uns gewünscht, dass für den Fall
der Unverhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung
nicht die Aussetzung der Vollstreckung auf Bewährung
die Rechtsfolge ist, sondern die Erledigung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung im Jugend-
gerichtsgesetz vorzusehen, halten wir für falsch. Siche-
rungsverwahrung und Jugendgerichtsgesetz, in dessen
Mittelpunkt der Erziehungsgedanke steht, sind für uns
ein unauflösbarer Widerspruch.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir halten auch die in § 109 Abs. 3 des Strafvollzugs-
gesetzes vorgenommene Einschränkung, dass bei „Ein-
fachheit der Sach- und Rechtslage“ im Rahmen eines ge-
richtlichen Verfahrens den Sicherungsverwahrten nicht
zwingend von Amts wegen ein Rechtsanwalt beizuord-
nen ist, für problematisch. Hier sollte aus unserer Sicht
tatsächlich Waffengleichheit hergestellt und dem Siche-
rungsverwahrten ein Rechtsanwalt beigeordnet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Schließlich bedauern wir ausdrücklich, dass eine Be-
schränkung der Straftaten, für die gegebenenfalls Siche-
rungsverwahrung angeordnet werden kann, nicht erfolgt
ist. Wenn die Regierung die Sicherungsverwahrung
wirklich als Ultima Ratio versteht, dann hätte sie den
Katalog der Anlasstaten für die Anordnung der Siche-
rungsverwahrung auf schwerste Gewalt- und Sexualde-
likte beschränken müssen. An dieser Stelle will ich da-
rauf hinweisen, dass wir begrüßen, dass SPD und Grüne
genau dies fordern. Allerdings ist für uns nicht nachvoll-
ziehbar, warum die SPD unter Umgehung des Urteils des
EGMR eine nachträgliche Therapieunterbringung ein-
führen will. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen sprachlos
über Ihre Rede, Herr Kutschaty, weil das nichts mehr mit
rationaler Kriminalpolitik zu tun hat, sondern mit der
Bedienung von Stammtischen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ich frage mich die ganze Zeit, wen Sie hier bedienen! – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was ist mit den Opfern?)


Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422300

Es spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grünen.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir über die Sicherungsverwahrung reden, dann
reden wir über Menschen, die mehrfach schwerste Ge-
walt- oder Sexualstraftaten begangen haben und bei de-
nen festgestellt wird, dass eine ganz große Gefahr be-
steht, dass sie in Zukunft weitere solcher Straftaten
begehen werden. Wir müssen deswegen den ersten Satz,





Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)


wenn wir über Sicherungsverwahrung reden, den Op-
fern, den möglichen Opfern solcher Täter widmen. Des-
wegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
ist Ihre generelle Ablehnung der Sicherungsverwahrung
ein Fehler, den Sie im Laufe der Zeit noch bereuen wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Andererseits haben sich genau diese Täter – schwerste
Gewalttäter, Sexualtäter – an das Bundesverfassungsge-
richt und in mehreren Fällen an den Europäischen Ge-
richtshof für Menschenrechte gewandt und recht bekom-
men. Die Entscheidungen, die aufgrund des deutschen
Rechts der Sicherungsverwahrung gegen sie ergangen
sind, sind aufgehoben worden. Der Grund dafür ist ganz
einfach: Auch diese Täter sind Menschen, und auch
diese Menschen haben Rechte. Deswegen ist es gut und
richtig, dass wir uns natürlich der Opferseite zuwenden.
Aber genauso wichtig ist es aus rechtspolitischen bzw.
menschenrechtspolitischen Gründen, dass wir uns bei
der Frage, welches Recht wir schaffen, wie wir die Re-
gelung zur Sicherungsverwahrung gestalten, an das
Menschenrecht und die Rechtsstaatlichkeit halten, an
das, was ein Grundbestandteil unseres Landes ist. Des-
wegen bin ich so erstaunt und entsetzt, Herr Kutschaty,
dass Sie bei der Frage, ob man noch mehr machen soll,
von Lücken reden.

Der Kollege Ahrendt hat die Geschichte des Siche-
rungsverwahrungsrechts von Januar 1998 bis heute er-
zählt. Im Januar 1998 ist die erste Lücke geschlossen
worden. Danach – erinnern Sie sich bitte – war es die
Union, die den Deutschen Bundestag und die damalige
Regierungskoalition mit dem Aufzeigen immer weiterer
Lücken geradezu gejagt hat. Zuerst gab es eine Lücke im
Heranwachsendenstrafrecht, dann im Jugendstrafrecht,
dann bei der Frage, wie mit Tätern aus der ehemaligen
DDR umzugehen sei, usw. usf. Zum Schluss hatten wir
– das sage ich ganz selbstkritisch – ein Desaster.

Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht und
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jetzt
eine Klärung herbeigeführt haben. Ich bin dankbar – das
sage ich ganz ausdrücklich –, dass das Bundesjustiz-
ministerium jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der
beim Vollzug einen Abstand zwischen der Strafhaft und
der Haft in der Sicherungsverwahrung vorsieht.

Im Grundsatz stimmen wir dem auch zu. Wir finden
aber, dass dieser Gesetzentwurf noch etliche Schwächen
hat. Diese Schwächen haben wir in einem Änderungs-
antrag zusammengefasst und im Rechtsausschuss im
Einzelnen aufgeführt. Wir werden diesen Änderungs-
antrag heute zur Abstimmung stellen, weil wir auf dem
Boden dieses Gesetzentwurfs für dessen Verbesserung
streiten wollen.

Zum Schluss will ich noch sagen: Wenn wir den Weg
gehen würden, die nachträgliche Sicherungsverwahrung
im Kleid der nachträglichen Therapieunterbringung wie-
der ins Bundesgesetz hineinzuschreiben, dann würden
wir sehenden Auges die nächsten Entscheidungen des

Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Ge-
richtshofs für Menschenrechte heraufbeschwören.


(Burkhard Lischka [SPD]: Wer sagt das denn? Unsinn!)


Das aber sollten wir nicht tun, und das werden wir
auch nicht tun. Herr Kollege Kutschaty, wenn Sie für die
wenigen Fälle einen Regelungsbedarf sehen – ich habe
dafür viel Verständnis –, bei denen bei Menschen in
Freiheit – nicht in Haft, sondern in Freiheit – die Gefahr
künftiger schwerer Straftaten besteht, dann sind Sie als
Land aufgerufen, eine solche Regelung auf Landesebene
herbeizuführen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das hat das Bundesverfassungsgericht gerade ausgeschlossen!)


– Nein, das ist falsch, was Sie da sagen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt nicht! Gucken Sie sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu an!)


Sie wissen doch selbst: Was das Bundesverfassungs-
gericht gesagt hat, galt für die damalige Regelung und
nicht für eine zukünftige Regelung nach dem Therapie-
unterbringungsgesetz. Ich fordere Sie auf: Finden Sie
eine Regelung auf Landesebene. Schützen Sie dort Ihre
Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422500

Herr Montag!


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422600

Fordern Sie uns nicht auf, hier ein verfassungswidri-

ges Gesetz zu erlassen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422700

Herr Kollege Montag!


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422800

Das lehnen wir ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720422900

Ansgar Heveling hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1720423000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor einigen Wochen wurde in Großbritannien ein 59-jäh-
riger vielfacher Sexualstraftäter verurteilt. In zwei Ver-
fahren wurden ihm schwerste Sexualstraftaten nachge-
wiesen. Als Kopf eines Kinderschänderrings aus dem
Großraum Manchester war er für den Missbrauch von





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


30 jungen Mädchen verantwortlich und wurde zu
19 Jahren Gefängnis verurteilt.

Außerdem wurde ihm in einem separaten Verfahren
wegen des über zehn Jahre währenden vielfachen Miss-
brauchs eines jungen Mädchens ebenfalls der Prozess
gemacht. Dafür wurde er zusätzlich zu 22 Jahren Frei-
heitsstrafe verurteilt. 41 Jahre Gefängnis – nach mensch-
lichem Ermessen wird dieser Täter also keinen Lebtag
mehr in Freiheit verbringen.

Diesen Fall schildere ich Ihnen nicht, um emotionale
Genugtuung zu verbreiten, die man angesichts eines
solchen Strafmaßes für diese schrecklichen Straftaten
empfinden mag. Ich schildere Ihnen diesen Fall, um auf-
zuzeigen, wie in Ländern, in denen es die Sicherungsver-
wahrung so nicht gibt, mit potenziell gefährlichen Straf-
tätern umgegangen wird. Dort wird nicht nach der
individuellen Gefährlichkeit des Täters gefragt. Viel-
mehr wird dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung al-
lein über das Strafmaß Rechnung getragen, im Übrigen
unangreifbar für den Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist auch erstaunlich!)


Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben bewusst
einen anderen Weg gewählt. Wir haben uns bewusst für
ein zweispuriges System entschieden: Strafe als Sank-
tion für individuelle Schuld und Maßnahmen, die nicht
an die Schuld anknüpfen – dazwischen wird bei uns un-
terschieden.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Hierzu gehört die Sicherungsverwahrung, die angesichts
der Zweispurigkeit ohne Frage kein repressives, sondern
ein präventives Instrument ist.

Ich bin der festen Überzeugung – der kurze Blick auf
den eingangs geschilderten Fall zeigt dies auch –, dass
unser bewährtes zweispuriges System viel differenzier-
ter und damit im Einzelnen auch viel gerechter ist als an-
dere Strafrechtssysteme, in denen die Frage der Gefähr-
lichkeit eines Täters mit der Strafe gleichsam abgehan-
delt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Daher lohnt es ohne Frage der gesetzgeberischen Mü-
hen, dieses System der Strafe auf der einen Seite und der
Sicherungsverwahrung auf der anderen Seite aufrechtzu-
erhalten. Leider haben der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht den
zweispurigen Weg zu einem immer schmaleren Grat
werden lassen. Ich hoffe aber, dass er breit genug bleiben
wird, um den Weg der Sicherungsverwahrung weiterhin
verfassungskonform beschreiten zu können. Es wäre be-
dauerlich, wenn wir mangels Alternativen irgendwann
auch vor der Frage stünden, die Gefährlichkeit eines Tä-
ters bei uns ebenfalls allein über die Höhe der Strafe be-
urteilen zu müssen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur bundes-
rechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht
der Sicherungsverwahrung, den wir heute abschließend

beraten, kommen wir den Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts aus seinem Urteil vom Mai 2011 nach und
regeln die Sicherungsverwahrung zukünftig so, dass sich
der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwah-
rung vom Vollzug der Strafhaft deutlich unterscheidet.
Damit wird die bundesrechtliche Grundlage gelegt, die
es den Ländern ermöglicht, durch entsprechende Lan-
desgesetze die Sicherungsverwahrung entsprechend den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts weiter zu kon-
kretisieren und im Sinne des Abstandsgebots umzuset-
zen. Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hat
es dazu eine enge Abstimmung zwischen dem Bund und
den Ländern gegeben. Das Bundesverfassungsgericht
hat dem Bund und den Ländern diese Aufgabe gemein-
sam aufgetragen. Daher ist dieses Zusammenwirken aus-
drücklich zu begrüßen.

Lassen Sie mich noch zu einzelnen Punkten Stellung
nehmen. Anders als es die SPD in ihrem Antrag fordert,
sehen wir keine Notwendigkeit, den Katalog der soge-
nannten Anlasstaten weiter einzugrenzen. Die bisherige
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt kei-
nen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Katalogs.
Deswegen ist ein weiteres Handeln hier auch nicht erfor-
derlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch halten wir die Regelung der sogenannten Ver-
trauensschutzfälle durch die Übergangsregelung in Art. 7
für sachgerecht und ausgesprochen wichtig. Ja, die Über-
gangsregelung führt dazu, dass über einen langen Zeit-
raum unterschiedliche Rechtsnormen zur Anwendung
kommen. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass die
Gerichte damit ohne große Schwierigkeiten zurechtkom-
men werden. Nur durch diese Übergangsregelung lässt
sich unter Beachtung der verfassungsrechtlich vorgege-
benen und durch das Bundesverfassungsgericht aufge-
zeigten erhöhten Voraussetzungen dem Schutzanspruch
der Bevölkerung ausreichend Rechnung tragen, bis die
materiell-rechtliche Neuausrichtung der Sicherungsver-
wahrung, insbesondere die der vorbehaltenen Siche-
rungsverwahrung, umfassend greift.

In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend
nicht verschweigen, dass wir, die CDU/CSU, es als wün-
schenswert angesehen hätten, auch zukünftig – nicht nur
im Rahmen der Übergangsregelung – auf das Instrument
der nachträglichen Sicherungsverwahrung zurückgreifen
zu können. Damit wäre eine umfassende, vollständige
und für alle Eventualitäten vorgesehene Regelung der
unterschiedlichsten Fallkonstellationen möglich geblie-
ben. Das bleibt nun in diesem Gesetz offen.

Insgesamt kommen wir mit dem zur Entscheidung an-
stehenden Gesetzentwurf einerseits dem Auftrag des
Bundesverfassungsgerichts nach, das Recht der Siche-
rungsverwahrung so zu regeln, dass ein ausreichender
Abstand zwischen Strafhaft und Sicherungsverwahrung
gewährleistet wird. Andererseits berücksichtigen wir
insbesondere durch die Übergangsregelung in Art. 7 aus-
drücklich, dass dem Anspruch der Bevölkerung auf
Schutz vor gefährlichen Straftätern weiterhin Rechnung
getragen wird.





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720423100

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im
Recht der Sicherungsverwahrung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/11388, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/9874 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.

Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, den Sie auf Druck-
sache 17/11406 finden. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustim-
mung durch die einbringende Fraktion und die Fraktion
Die Linke; die anderen Fraktionen haben dagegen ge-
stimmt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom-
men bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen;
Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen ge-
stimmt, die SPD-Fraktion hat sich enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, der möge
sich bitte erheben. Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen wie in der zwei-
ten.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11388 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/8760 mit dem Titel „Neuregelung des Rechts
der Sicherungsverwahrung“. Die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen hat beantragt, dass über Ziffer II Nr. 2 des
Antrages einerseits und über den übrigen Antrag ande-
rerseits getrennt abgestimmt werden soll.

Wir stimmen daher zunächst über Ziffer II Nr. 2 des
Antrags auf Drucksache 17/8760 ab. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
Ziffer II Nr. 2 des Antrags abgelehnt bei Zustimmung
durch die SPD-Fraktion; alle anderen Fraktionen waren
dagegen.

Wer stimmt für den übrigen Teil des Antrags auf
Drucksache 17/8760? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Zugestimmt haben SPD-Fraktion und Bünd-
nis 90/Die Grünen; dagegen gestimmt haben die Koali-
tionsfraktionen. Die Linke hat sich enthalten. Der übrige
Teil des Antrags ist abgelehnt. Damit ist der Antrag ins-
gesamt abgelehnt.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11388 empfiehlt der Rechtsausschuss die

Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/7843 mit dem Titel „Einsetzung einer
Expertenkommission zur Sicherungsverwahrung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU,
FDP, Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Die Fraktion Die
Linke hat dagegen gestimmt; enthalten hat sich niemand.
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Die Menschenrechte in Zentralasien stärken

– Drucksachen 17/9924, 17/11287 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Ullrich Meßmer
Marina Schuster
Katrin Werner
Volker Beck (Köln)


Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. –
Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen. Wenn sich jetzt bitte noch die Ver-
sammlung in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion auflö-
sen könnte? – Ich eröffne die Aussprache und gebe das
Wort der Kollegin Marina Schuster für die FDP-Frak-
tion.


(Beifall bei der FDP)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1720423200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal begrüße ich ausdrücklich, dass wir
heute eine Debatte über die Menschenrechtslage in Zen-
tralasien führen. Es ist richtig und wichtig, dass dieses
Thema auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages
Öffentlichkeit bekommt.

Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass wir uns mit
dieser Region beschäftigen. Wir haben im Menschen-
rechtsausschuss öfter über die Situation dort diskutiert,
speziell über die Situation in Usbekistan. Wir wissen,
dass wir es dort bei der Baumwollernte mit dem Phäno-
men der staatlich verordneten Kinderarbeit zu tun haben.
Das war auch Anlass für den Menschenrechtsausschuss,
zu versuchen, eine Reise nach Usbekistan durchzufüh-
ren. Leider wurde kein Visum erteilt. Die Reise musste
aus technischen Gründen abgesagt werden, weil die us-
bekische Seite kein Interesse an der Einreise der Kolle-
ginnen und Kollegen hatte.

Das ist sehr bedauerlich; denn wir haben eine Reihe
von Kollegen, die sich für Usbekistan engagieren. Ganz
konkret möchte ich auf das Engagement von Kollegin-
nen und Kollegen im Rahmen des Programms „Parla-
mentarier schützen Parlamentarier“ eingehen. Das ist ein
unheimlich wichtiges Programm. Meine Bitte geht an





Marina Schuster


(A) (C)



(D)(B)


diejenigen Kollegen hier im Haus, die noch keine Paten-
schaft übernommen haben, eine Patenschaft für einen
Oppositionspolitiker oder einen Menschenrechtsvertei-
diger in anderen Ländern zu übernehmen. Das ist etwas,
was wir ganz konkret leisten können. Wir haben hier
eine ganz wichtige Funktion.

Kollegin Graf hat die Patenschaft für den usbekischen
Menschenrechtsaktivisten und Oppositionspolitiker Akzam
Turgunov übernommen. Dadurch, dass die Reise abge-
sagt werden musste, konnte sie ihn wieder nicht in der
Haft besuchen. Ich glaube, es wäre wichtig, dass wir
weiterhin Druck ausüben und versuchen, eine Einreise
nach Usbekistan zu ermöglichen. Wenn der Menschen-
rechtsausschuss solche Reisen tätigt, dann gehört es
auch zu seiner Aufgabe, den Finger in die Wunden zu le-
gen und solche Sachen zur Sprache zu bringen.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch in Bezug auf Kasachstan haben Kollegen aus
allen Fraktionen, auch Kollegen aus dem Unteraus-
schuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, Kritik
formuliert. Es ging um den Fall Bolat Atabajew. Für ihn
hat Frau von Cramon eine Patenschaft übernommen. Der
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus
Löning, hat versucht, Herrn Wladimir Koslow in der
Haft zu besuchen und mit ihm zu sprechen. Wir sind tief
enttäuscht darüber, dass es zu einer Verurteilung von
Herrn Koslow gekommen ist. Er hat sich für die strei-
kenden Ölarbeiter eingesetzt. Das ist ein vollkommen le-
gitimes Interesse. Daher ist das Urteil für Herrn Koslow
– sieben Jahre Gefängnis – vollkommen inakzeptabel.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt aber zum vorliegenden Antrag von SPD und
Grünen. Sie haben im Feststellungsteil Ihres Antrags
eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte aufge-
zählt. Wir haben dort eine sehr besorgniserregende Men-
schenrechtslage. Es gibt Folter, Misshandlungen, ein un-
zureichendes Justizwesen und Einschränkungen von
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfrei-
heit. Ich denke, darüber gibt es in diesem Hohen Haus
keinen Dissens. Es gibt auch keinen Dissens bei der Ein-
schätzung, dass Zentralasien als geostrategische Brücke
zwischen Europa, Russland und China das Potenzial ei-
ner politischen und wirtschaftlichen Drehscheibe hat.
Um jedoch ein verlässlicher Partner Europas zu werden,
sind Rechtsstaatlichkeit, verantwortliche Staatsführung
und Demokratisierung sowie die Einhaltung von Men-
schenrechten Voraussetzung. Dies sind ebenso Bedin-
gungen für Stabilität und Sicherheit.

Wie schon früher festgestellt, liegt das Problem des
Antrags woanders. Ich denke, man kann die Situation in
Zentralasien nicht ohne die historische Komponente,
ohne die Einbeziehung der Sowjetvergangenheit disku-
tieren. Mir fehlt auch die Thematisierung von regionalen
Konflikten, von schwelenden Konflikten untereinander;

vor allem fehlt mir die Thematisierung der Verteilungs-
konflikte, zum Beispiel bezogen auf die Ressource
Wasser, aber auch das Thema „ethnische Minderheiten“.
Ich denke daher nicht, dass Sie mit diesem Antrag, ins-
besondere bezogen auf den Feststellungsteil, den Gege-
benheiten vor Ort vollumfänglich gerecht werden.

Auch wird ausgeblendet, was die Bundesregierung
bereits tut. Die Bundesregierung setzt sich in den politi-
schen Gesprächen mit den zentralasiatischen Regierun-
gen nachdrücklich für eine Verbesserung der Menschen-
rechtslage ein. Wir haben im Rahmen der Europäischen
Union, im Rahmen der Zentralasienstrategie, struktu-
rierte Menschenrechtsdialoge aufgenommen. Wir haben
eine Vielzahl von Programmen durchgeführt. Es gibt
eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation in
Zentralasien. Die Antwort der Bundesregierung ist ziem-
lich klar. Darin wurden alle Projekte aufgezählt, die in
dem Bereich Rechtsstaatlichkeit/Justizwesen durchge-
führt werden, auch die Programme zur Medienförde-
rung, die das Auswärtige Amt im Rahmen der Deut-
schen Welle unterstützt. Aber auch in anderen Bereichen
engagiert sich die Bundesregierung, zum Beispiel für
eine Verbesserung der Haftbedingungen. Seit 2009 för-
dert die Bundesregierung ein Projekt der NGO Golos
Svobody zur Folterprävention. In Kasachstan hat die
Bundesregierung Projekte der OSZE zur Stärkung der
Ombudsmann-Institution unterstützt. Auch im Rahmen
des Europarates – ich sehe meinen Kollegen Christoph
Strässer, der sich im Rahmen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates sehr stark engagiert – haben
wir Projekte angeboten und durchgeführt. Vieles von
dem, was Sie vorschlagen, ist also bereits Bestandteil der
Politik der Bundesregierung.

Mir fehlt auch die gesamtpolitische Einbettung. Na-
türlich spielen Sicherheitsüberlegungen insbesondere
seit dem Einsatz in Afghanistan eine besondere Rolle.
Wir haben organisierte Kriminalität, internationalen
Terrorismus, Drogenhandel und die Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen. All das bedroht Europa und
Zentralasien gleichermaßen. Das hat die Fraktion der
SPD in ihrer Kleinen Anfrage selbst geschrieben.

Insofern greift der Antrag zu kurz. Das wird insbeson-
dere deutlich, wenn man sich den Feststellungsteil an-
schaut. Ich denke, dass die Einbettung in die politische
Struktur fehlt und die Situation in Zentralasien nicht hin-
reichend berücksichtigt wird. Insofern können wir Ihrem
Antrag leider nicht zustimmen. Viele Ihrer Forderungen
sind aber Bestandteil unserer Politik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720423300

Ullrich Meßmer hat das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(D)(B)



Ullrich Meßmer (SPD):
Rede ID: ID1720423400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Schuster, die freundliche Nichtzustimmung
nehme ich einmal so hin.

Die Zentralasienstrategie der Europäischen Union
bildet seit 2007 den politischen Rahmen, um die Zusam-
menarbeit zwischen Europa und Zentralasien – wir reden
hier von den Ländern Kasachstan, Kirgisistan, Tadschi-
kistan, Turkmenistan und Usbekistan – zu gestalten und
auszubauen. Es wurde schon gesagt: Es gibt viele
Gründe dafür. Es gibt sicherheitspolitische Interessen in
Europa wie die Bekämpfung von Waffen- und Drogen-
handel, Terrorismus und organisierter Kriminalität. Es
gibt wirtschaftliche Gründe wie die Sicherung von Roh-
stoffen, Energie, aber auch die Erschließung von Märk-
ten. Nicht zuletzt – Kollegin Schuster, Sie haben es an-
gesprochen – macht diese Länder die Nachbarschaft zu
Afghanistan zu einem wichtigen strategischen und au-
ßenpolitischen Partner, aber – das möchte ich an dieser
Stelle deutlich machen – nicht allein mit Blick auf einen
möglichen Truppenabzug im Jahr 2014, sondern gerade
darüber hinaus. Alle Länder in dieser Region, ein-
schließlich Afghanistan, brauchen eine langfristige
Perspektive für ihre friedliche und wirtschaftliche Ent-
wicklung.


(Beifall bei der SPD)


Hauptgrund aber – ich denke, darin sind wir uns einig –
ist der Einsatz für den Ausbau und die Weiterentwick-
lung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für eine
verantwortliche Staatsführung und vor allen Dingen für
die Einhaltung von Menschenrechten. Aus unserer Sicht
ist genau das die Voraussetzung für Sicherheit und Stabi-
lität, aber auch für wirtschaftliches Wachstum und die
Teilhabe der Bevölkerung, zum Beispiel an wirtschaftli-
cher Entwicklung oder auch an staatlichen Entscheidun-
gen. Die Machthaber der zentralasiatischen Staaten – so
muss man den Eindruck gewinnen – fürchten offensicht-
lich eine Öffnung und Demokratisierung ihrer jeweiligen
Gesellschaft. Sie scheinen damit unmittelbar die Erosion
ihrer eigenen Macht zu verbinden. Diese Sicht ist gerade
mit Blick auf die Menschenrechte äußerst gefährlich, da
Sicherheit in dieser Begrifflichkeit nicht auf den einzel-
nen Menschen und die Wahrung seiner Rechte bezogen
wird, sondern ausschließlich auf die Machtsicherung au-
toritärer Herrscher oder der Eliten, die sie tragen. So lau-
fen wir Gefahr, dass sich die autoritären Strukturen in
diesen Ländern verfestigen.

Ich erspare mir die Aufzählung der Menschenrechts-
verletzungen – Frau Kollegin Schuster, ich teile, was Sie
dazu gesagt haben –, von Kinderarbeit, fehlender und
eingeschränkter Versammlungs-, Meinungs- und Presse-
freiheit bis hin zur Zensur. Auch über die Unterdrückung
der Opposition in diesen Ländern hören wir regelmäßig
Berichte.

Man kann feststellen: Auch fünf Jahre nach der
Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im
Rahmen der Zentralasienstrategie ist die Menschen-
rechtslage weiterhin problematisch. Deshalb sollte die
seit diesem Jahr stattfindende Evaluierung zum Anlass
genommen werden, der Frage nachzugehen, ob die

Beziehungen Deutschlands und der EU zu den zen-
tralasiatischen Staaten politisch so noch tragfähig sind,
ob sie unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten kri-
tisch hinterfragt werden sollten und möglicherweise
auch auf eine andere bzw. neue Grundlage gestellt wer-
den sollten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei sollten wir nicht davor zurückschrecken, auch
die Wirtschaftsbeziehungen zu einzelnen Ländern kri-
tisch zu hinterfragen. Die Unterzeichnung eines bilatera-
len Abkommens zwischen Deutschland und Kasachstan
über eine Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie- und
Technologiebereich Anfang Februar 2012 nach einer
blutigen Niederschlagung eines Gewerkschaftsaufstan-
des in Zhanaosen im Dezember 2011 ist sicherlich einer
dieser Punkte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen,
ohne Konsequenzen für wirtschaftliche Beziehungen in
Betracht zu ziehen, setzt einen schnell dem Vorwurf aus
– ich möchte jetzt nicht von Double Standards sprechen –,
mit zweierlei Maß zu messen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zukünftige Zentralasienstrategie kann aber auch
neue Impulse für die Beziehungen zu den zentralasiati-
schen Ländern setzen. Die Umbrüche in der arabischen
Welt haben gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt, autori-
täre Systeme zu erschüttern, vor allem wenn man die
Zivilgesellschaft selber stärkt und ihre Möglichkeiten
ausbaut. Es wäre zu begrüßen, wenn der Fokus stärker
auf die Artikulations- und Teilhabemöglichkeiten der Zi-
vilgesellschaften gerichtet wird mit dem Ziel, diese
nachhaltig zu stärken, zum Beispiel durch die Anbin-
dung an die europäischen Informationsnetzwerke. Erste
Schritte dazu sind getan – das ist immer wieder erwähnt
worden –; aber dies könnte beschleunigt werden.

Die Freiräume, die durch den Ausbau und die Nut-
zung des Internets entstehen, müssen verteidigt werden.
Hier, denke ich, sind klare Worte sowohl der Bundesre-
gierung als auch der Europäischen Union gegen Zensur
des Internets und anderer Medien dringend gefordert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist deutlich wahrnehmbar zu verurteilen.

Natürlich – das will ich sehr deutlich sagen – unter-
stützen wir die Weiterentwicklung bewährter Maßnah-
men und die Bemühungen zur Weiterentwicklung der
Rechtsstaatlichkeit. Es geht weiter darum, Folter zu ver-
hindern, Haftbedingungen zu verbessern und die beste-
henden Bildungs- und Austauschprogramme weiter zu
unterstützen und angemessen auszustatten. All das be-
grüßen wir. Das gilt auch für die Arbeit und das Wirken
der politischen Stiftungen. Mit Blick auf die Gründe für
die Ablehnung muss allerdings auch klar sein: Allein





Ullrich Meßmer


(A) (C)



(D)(B)


durch Entwicklungszusammenarbeit kann die Men-
schenrechtslage nicht verbessert werden. Entwicklungs-
zusammenarbeit kann ein Teil sein; aber sie kann nie
eine Gesamtlösung ersetzen, zu der wirtschaftliche Be-
ziehungen und andere politische Maßnahmen gehören.

Eigentlich erwarten wir, dass die Evaluierung als
Chance für eine Verbesserung der Menschenrechtslage
genutzt wird. Sie ist, wie ich finde, eine echte Chance,
etwas zu verändern. Reine Rohstoffpartnerschaften, freie
Handelswege, wirtschaftliche Zusammenarbeit, all das
darf nicht den Kerngedanken und die Grundlage allen
europäischen Handelns infrage stellen. Dies ist und
bleibt die Wahrung und Förderung der Menschenrechte
und der Rechtsstaatlichkeit – in Zentralasien und überall
sonst auf der Welt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720423500

Jürgen Klimke hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1720423600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die außenpolitischen Dis-
kussionen der letzten Monate waren auch von der Rolle
der zentralasiatischen Staaten geprägt. Das hat – das ist
mehrfach gesagt worden – primär etwas mit den Roh-
stoffpartnerschaften zu tun, die Deutschland mit Ländern
wie der Mongolei oder Kasachstan geschlossen hat. Das
hat aber auch etwas mit Afghanistan zu tun. Usbekistan
ist ein Nachbarland von Afghanistan; es wird in diesem
Zusammenhang immer wieder thematisiert. Damit
haben wir im Zusammenhang mit Zentralasien zwei
wichtige Interessen der deutschen und der europäischen
Außenpolitik benannt: die Rohstoffpartnerschaften der
deutschen und der europäischen Industrie sowie die Sta-
bilität nach dem Abzug aus Afghanistan. Das ist eine
geostrategische Frage, die Priorität hat.

Diese gerechtfertigten Interessen in der Region müs-
sen meiner Meinung nach noch viel stärker unsere Auf-
merksamkeit erhalten und in unsere außenpolitische
Strategie einfließen. Insofern ist es wichtig, dass wir
heute darüber debattieren.

Die Entwicklung dieser Staaten muss Teil unserer Be-
obachtung sein. In diesen Kontext ist auch die Men-
schenrechtspolitik der Bundesregierung einzuordnen.
Gerade weil wir Deutschen gute Beziehungen zu dieser
Region unterhalten und daran ein großes Interesse ha-
ben, ist die Konsistenz der Menschenrechtspolitik in die-
sem Zusammenhang von besonderer Bedeutung.

Die Menschenrechtssituation in den Staaten Zentral-
asiens ist insgesamt nicht befriedigend; man könnte auch
zu Bewertungen wie „unzureichend“ oder „mangelhaft“
kommen. Fortschritte erfolgen, wenn sie erfolgen, insge-
samt in zu kleinen Schritten, wobei in einigen Ländern
durchaus Fortschritte wahrnehmbar sind. Die Unter-
schiede sind allerdings so groß, dass hinterfragt werden

muss, ob eine gemeinsame Behandlung dieser Staaten in
einem Antrag möglich ist.

Gemeinsam ist diesen Staaten, dass sie weitgehend
autoritär regiert werden. Es gibt allerdings deutliche Un-
terschiede zwischen dem wirtschaftlich prosperierenden
Kasachstan einerseits und Turkmenistan oder Usbeki-
stan andererseits, die deutlich repressiver sind und bei
denen die Probleme nicht durch eine dynamische Ent-
wicklung der Wirtschaft abgemildert werden. Turkmeni-
stan ist nach unserer Auffassung immer noch eines der
repressivsten Länder der Welt.

Mit Usbekistan unterhalten wir zwar eine enge Ko-
operation, und das Parlament hat einige Reformen zur
formellen Stärkung der Rechtsstaatlichkeit angestoßen;
die konkreten Auswirkungen auf die Menschen dürften
aber wenig spürbar sein. Wohl auch deshalb ist eine De-
legation des Menschenrechtsausschusses des Deutschen
Bundestages, die sich im September vor Ort unter mei-
ner Leitung über die Menschenrechtssituation in Usbeki-
stan informieren wollte, nicht ins Land gelassen worden.
Insofern muss man davon ausgehen, dass es um die
Menschenrechtssituation in Usbekistan schlecht bestellt
ist. Man muss deutlich sagen: Die Ausladung unserer
Delegation widerspricht dem Umgang, den man dem
wichtigsten Partner dieses Landes in Europa gegenüber
erwarten würde. Wir sind auch ein wichtiger Geldgeber,
was Entwicklungsmittel betrifft. Ich bin erstaunt, dass
die usbekische Regierung glaubt, sich solche Signale
leisten zu können.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist ja
nicht so, dass wir Menschenrechtspolitiker auf unseren
Reisen außerhalb von Europa auf entwickelte Demokra-
tien mit unabhängiger Justiz treffen würden, in denen die
Menschenrechte voll geachtet werden. Wir konnten aber
eben auch in problematischen Ländern unsere Möglich-
keiten ausschöpfen, Besuche machen und bei aller Kritik
gelegentlich auch Fortschritte feststellen, die wir dann
auch kommunizieren. Das muss ja auch im Interesse der
Länder sein.

Berichte von Fortschritten gab es auch aus Usbeki-
stan,


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es hat sich doch nichts getan! Da ist doch nichts passiert!)


vor allem auf dem Gebiet der Kinderarbeit und der vor-
zeitigen Annäherung an die Internationale Arbeitsorga-
nisation, ILO. Diese Entwicklung vor Ort überprüfen zu
lassen, wäre eigentlich auch für Usbekistan nützlich ge-
wesen. Das Land wollte das aber nicht.

So bleibt Usbekistan wie auch Turkmenistan in men-
schenrechtlicher Hinsicht problematisch. In beiden Staa-
ten werden Andersdenkende besonders unterdrückt, und
das nicht nur politisch und religiös, sondern auch in wirt-
schaftlicher Hinsicht. Auch internationale Menschen-
rechtsaktivisten können in diesen Ländern eben nur
schwer arbeiten und sich dort platzieren.

Auch in Kirgistan macht die Entwicklung Sorgen;
denn hier hat es durch die Übernahme des russischen





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)


Gesetzes über die Nichtregierungsorganisationen eine
klare Verschlechterung der Menschenrechtssituation ge-
geben.

Ein Thema, das im Zusammenhang mit Zentralasien
auch immer wieder eine Rolle spielt, ist die Situation
und die Rolle von sexuellen Minderheiten. Hier gibt es
in Zentralasien große Defizite. Die Bereitschaft, zum
Beispiel gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transgendern die rechtliche Situation und die freie Aus-
übung ihrer sexuellen Orientierung voranzubringen, ist
bei den meisten Regierungen fast überhaupt nicht ausge-
prägt, und wenn überhaupt, dann nur sehr gering. Des-
wegen ist es auch unsere Verpflichtung, diese Themen
immer wieder anzusprechen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und deutlich zu machen, dass das aus unserer Sicht eine
unbequeme Situation für eine langfristige Partnerschaft
ist.

Allerdings stellt sich auch die Frage, in welcher Form
man das tut. Nur anzuprangern, hilft kaum weiter. Es
gibt auch andere Möglichkeiten. Es gilt zum Beispiel,
von unserer Seite vielmehr das Bewusstsein für diese
Gruppen zu stärken und kleine Verbesserungen und auch
Unterstützung durch eine entsprechende Zusammenar-
beit mit diesen Gruppen anzubieten.

Ich denke, dass wir alle uns über die menschenrecht-
lichen Probleme in Zentralasien einig sind, auch wenn
ich nochmals davor warnen will, alle Länder über einen
Kamm zu scheren. Dieses Bewusstsein hat im Handeln
der EU und der Bundesregierung bereits einen deut-
lichen Niederschlag gefunden;


(Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es üblich!)


denn die EU-Zentralasienstrategie – sie ist angesprochen
worden –, die ja auf Deutschlands Initiative zustande ge-
kommen ist, widmet sich in weiten Teilen eben dem
Thema Menschenrechte. In diesem Rahmen setzen wir
uns für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit vor Ort und
für die Unabhängigkeit der Justiz ein, auch indem wir
entsprechende Strukturen schaffen.

Das Instrument der EU ist der Menschenrechtsdialog
als eine wesentliche Gesamtstrategie. Diese Dialoge zie-
len auf konkrete praktische Maßnahmen zur Verbesse-
rung der Menschenrechtssituation ab und unterstützen
auch ganz spezifische Projekte. Deutschland als das ein-
zige Land innerhalb der Europäischen Union, das in den
fünf zentralasiatischen Ländern auch Botschaften unter-
hält und damit deutlich macht, wie wichtig die Länder
aus unserer Sicht sind, ist in diesen Punkten ganz beson-
ders engagiert.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist vorbildlich!)


Zudem ist Deutschland im Rahmen der EU der größte
bilaterale Geber. Das müssen wir auch immer deutlich
machen. Andererseits genießen wir in Zentralasien auch
den Ruf, dass wir ein ehrlicher Makler und Partner sind.


(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])


Insofern werden die im Antrag der Grünen aufgeführ-
ten Punkte von der Bundesregierung permanent durch-
geführt. Es ist nicht nötig, hier durch einen eigenen An-
trag Aktionen zu fordern, die eben ohnehin politisches
Handeln sind und ständig auf der politischen Agenda
stehen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es ist eine Katastrophe, dass wir für Usbekistan noch Entwicklungshilfe leisten! Das Land ist steinreich!)


Meine Damen und Herren, ein Element unserer Men-
schenrechtspolitik kommt im Antrag hingegen über-
haupt nicht vor. Deswegen muss ich es hier ansprechen.
Es geht um die Verknüpfung von Menschenrechten und
Entwicklungszusammenarbeit, die gerade im neuen
Menschenrechtskonzept des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fest-
gehalten ist und auch für die bilaterale Kooperation mit
diesen Ländern sehr wichtig ist.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Es ist ziemlich wichtig, das zu sagen!)


Dieses Konzept stellt eine ganz neue Qualität dar, auch
weil es für alle Durchführungsorganisationen der Entwick-
lungszusammenarbeit verbindlich ist. In deren Monitoring
und Evaluierung werden jetzt erstmals Menschenrechte
mit einbezogen. Beschwerde- und Sanktionsmechanismen
werden geschaffen. Fast noch wichtiger ist, dass ein Kri-
terienkatalog erarbeitet worden ist, mit dem die Regie-
rungsführung und die Menschenrechtssituation in den
Partnerländern bewertet werden.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Und das alles steht nicht im Antrag?)


Grundlage sind die Umsetzung der Menschenrechtskon-
ventionen in nationales Recht, die Schaffung entspre-
chender Institutionen und Verfahren sowie die Ergeb-
nisse der Umsetzung zentraler Menschenrechte. Die
Ergebnisse der Bewertungen sind dann auch Grundlage
für die Art und Ausgestaltung der entwicklungspoliti-
schen Zusammenarbeit, also Antwort auf die Frage: Wie
viel Gelder bekommen diese Länder? Wenn sie sich von
„bad“ nach „good“ entwickeln, dann gibt es einfach
mehr. So einfach ist es, aber so richtig ist es auch. Das
bedeutet, dass wir uns bei schlechten Ergebnissen oder
bei Verschlechterung bestimmter Formen der Entwick-
lungszusammenarbeit auch die grundsätzliche Frage
stellen müssen, ob Entwicklungszusammenarbeit mit
diesen Ländern noch sinnvoll und gut ist.

Meine Damen und Herren, mit Druck und Belehrung
kommen wir in Zentralasien nicht weiter, wie auf der
Welt überhaupt nur selten. Wir müssen die Situation vor
Ort in ein Verhältnis zu den regionalen und zu den histo-
rischen Kontexten setzen. Ein Teil der autoritären Ten-
denzen ist auch der Situation geschuldet, dass diese
Staaten aus der autoritären Sowjetunion stammen und
immer noch ein starker russischer Einfluss bemerkbar
ist. Die Angst vor einer destabilisierenden Situation auch
durch den Islamismus führt weiterhin dazu, dass man ge-
rade die Religionsfreiheit einschränkt – das ist ein ganz





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)


wichtiger Punkt für uns – und man die Kontrolle nur un-
gern aus der Hand gibt.

Der beste Weg ist aus meiner Sicht, unser Engage-
ment zu erhöhen; denn wir werden mittelfristig auch
eine nachhaltigere Menschenrechtspolitik in Zentral-
asien erreichen und durchsetzen müssen. Faire Zusam-
menarbeit und Ehrlichkeit sind Tugenden, die die Regie-
rungen dort verstehen; denn sie befinden sich in einem
jungen Prozess auch der Entwicklung im Kaukasus und
in Zentralasien und sozusagen in einem schweren Über-
gang in echte Demokratieländer. Aus diesem Grunde
sollten wir klar in der Analyse der Probleme sein, um die
demokratische und wirtschaftliche Entwicklung und die
Zusammenarbeit mit diesen Ländern in den nächsten
Jahren zu verbessern.

Dazu gehört im Übrigen auch – das möchte ich noch
als letzten Punkt anführen – die auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik, die bei der Zentralasienstrategie eine
wichtige Rolle spielt, weil damit die Zivilgesellschaft
unterstützt wird, weil wir hier zu einer offenen, teilweise
manchmal auch problemlosen Kommunikation kommen
können. Ich sage es noch einmal: Die auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik mit all den Angeboten, ob das
Goethe-Institute oder ob das Austauschprogramme sind,
sind ein unschätzbarer Wert in dieser Zusammenarbeit.

Also, meine Damen und Herren: Der Kaukasus und
Zentralasien sind Schlüsselregionen für Deutschland.
Das gilt nicht nur für die Rohstoffsicherung, sondern
auch für den Zugang nach Ost- und Südasien. Geostrate-
gisch sind diese Länder für die Zukunft, für unsere Zu-
kunft und die Zukunft der EU, ein ganz wichtiger Be-
reich. Deswegen müssen sie weiterhin im Fokus bleiben,
sie müssen von uns weiterhin unterstützt werden, aber
auch mit einer Zurückhaltung und mit einer wirklichen
Überprüfung unserer Arbeit und Kooperation.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720423700

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin

Katrin Werner das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720423800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Den Menschenrechten in Zentralasien wurde
lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt. Wir sollten
immer als Erstes und zu jedem Land über die Menschen-
rechte reden und darüber, wie wir diese stärken können.
Erst dann kann es um die wirtschaftlichen Interessen ge-
hen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auf der Homepage des Auswärtigen Amts steht:

Die Länder Zentralasiens gewinnen zunehmend
strategische Bedeutung.

Dann heißt es weiter:

Im wirtschaftlichen Bereich wird die Region immer
wichtiger für die Rohstoff- und Energiesicherheit
Deutschlands und der EU. Auch für die Entwick-
lung einer transkontinentalen Transport-Infrastruk-
tur, die Europa, Russland und Asien miteinander
verbindet, gewinnt Zentralasien zunehmend eine
Schlüsselstellung.

Für Sie also zählt zuerst: Die Region ist reich an Roh-
stoffen, wie Erdöl, Erdgas, Uran und Seltenen Erden.
Russland, die USA und China konkurrieren seit gerau-
mer Zeit erbittert um den Zugang zu diesen Rohstoffen
und um die Kontrolle der Transportwege, und auch die
EU mischt mit.

Weiter liest man auf der Homepage des Auswärtigen
Amts:

Daneben ist die Region wegen ihrer Nachbarschaft
zu Afghanistan von herausragender Bedeutung.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gegen Deutschland und die Europäische Union?)


Genau darum geht es. Der Flughafen Termez in Usbeki-
stan dient der Bundeswehr von Anfang an als Dreh-
scheibe für den Transport von Material und Soldaten
nach Afghanistan. Dafür zahlt Deutschland circa 20 Mil-
lionen Euro pro Jahr.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Nicht nur der Bundeswehr, sondern vielen Nationen!)


An der Zentralasienstrategie zeigt sich, wie sich die
EU die Entwicklung ihrer Beziehungen zu den zen-
tralasiatischen Ländern vorstellt. An der Ausarbeitung
dieser Strategie hat die ehemalige schwarz-rote Bundes-
regierung 2007 maßgeblich mitgewirkt. Mit dem heuti-
gen Antrag fordern SPD und Grüne richtige und wich-
tige Punkte, aber sie halten weiter an der EU-
Zentralasienstrategie fest. Es stehen weiter die wirt-
schaftlichen Interessen an erster Stelle.

Dabei ist die Situation bei den bürgerlichen und poli-
tischen Menschenrechten in Zentralasien dramatisch.
Hier geht es vor allem um Versammlungsfreiheit, Pres-
sefreiheit und Meinungsfreiheit. In all diesen Ländern
herrschen mehr oder weniger autoritäre Regime, die de-
mokratische Grundrechte systematisch verletzen.

Auch bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-
len Menschenrechten bestehen zum großen Teil Defizite.
Beispielsweise werden in Usbekistan Kinder vom Staat
verpflichtet, in der Baumwollindustrie zu arbeiten. Die
Linke sagt: Ausbeuterische Kinderarbeit ist ein Skandal
und gehört endgültig abgeschafft!


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/ CSU]: Das sagt nicht nur die Linke!)


Diese Punkte werden in ihrem Antrag kritisch und
richtig beschrieben.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Entscheidend ist aber, was in Ihrem Antrag fehlt.





Katrin Werner


(A) (C)



(D)(B)



(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und? Was denn?)


Hinzu kommt, dass Sie völlig inkonsequent bleiben,
was die realen Umsetzungsmöglichkeiten Ihrer Forde-
rungen angeht. Die EU-Zentralasienstrategie ist primär
auf wirtschaftliche Ziele ausgerichtet. Es geht um Frei-
handel und Privatisierung von Wirtschaftsressourcen in
diesen Ländern. Menschenrechte spielen nur eine Ne-
benrolle. Dies zeigt sich beispielsweise auch daran, wie
ungeniert die Bundesregierung den diktatorischen Präsi-
denten Kasachstans hofiert hat,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu Kuba!)


um Anfang des Jahres eine Rohstoffpartnerschaft mit
Kasachstan abzuschließen, und das trotz der bekannten
Missstände in Kasachstan.

Wenn SPD und Grüne ihre eigenen Anträge ernst neh-
men würden, müssten sie fordern, dass die EU-Zentral-
asienstrategie vor allem um menschenrechtsbezogene
Ziele erweitert wird. Ohne eine andere Gewichtung und
inhaltliche Änderung der Zentralasienstrategie lassen
sich ihre Forderungen nicht umsetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Den rot-grünen Antrag lehnt die Linke ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720423900

Jetzt spricht Viola von Cramon für Bündnis 90/Die

Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich
in der Tat meinen SPD-Kolleginnen und -Kollegen für
die Initiative zu diesem Antrag ganz herzlich danken. Es
war eine ausgesprochen angenehme Kooperation.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin erfreut, dass wir gemeinsam ein durchaus kri-
tisches Resümee der EU-Zentralasienstrategie ziehen
können. Diese hat im Bereich Demokratie und Men-
schenrechte – ich glaube, Frau Werner, das haben wir ex-
plizit so beschrieben – nicht zu relevanten Fortschritten
in den fünf zentralasiatischen Ländern beitragen kön-
nen. Bei der Neujustierung der Strategie haben die EU-
Staaten im Sommer jetzt ausgerechnet die sicherheits-
politische Kooperation mit den zentralasiatischen Staa-
ten stärker ins Zentrum gestellt. Das geschieht natürlich
– das haben einige vor mir erwähnt – vor dem Hinter-
grund des ISAF-Abzugs.

Es ist symptomatisch für die westliche Politik gegen-
über Zentralasien: Im Rahmen des Antiterrorkampfes
und der Sicherung der nördlichen Abzugsrouten sind

Menschenrechte und Demokratie in Zentralasien leider
absolut nachrangig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hinzu kommen massive Interessen an Rohstoffen aus
Turkmenistan und Kasachstan. Das ist leider der Hinter-
grund, vor dem wir hier über Menschenrechte in Zentral-
asien diskutieren.

Wir hören menschenrechtliche Bekenntnisse aus den
Regierungsfraktionen, aber sie klingen hohl. Nichts ver-
deutlicht die Doppelmoral der Bundesregierung in Be-
zug auf die Menschenrechte in Zentralasien besser als
die hier schon erwähnte bilaterale Rohstoffpartnerschaft
mit Kasachstan und die Sicherheitskooperation mit Us-
bekistan.

Zu Kasachstan. Im Februar hat die Bundeskanzlerin
dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew hier in Berlin
den großen Hof gemacht. Der Grund? Die deutsche
Wirtschaft will privilegierten Zugang zu den Seltenen
Erden und anderen Rohstoffen haben.

Den Besuch Nasarbajews und den Abschluss der bila-
teralen Rohstoffpartnerschaft halte ich aus vier Gründen
für ein politisches Fiasko: erstens der Zeitpunkt – keine
zwei Monate nach dem Massaker an den streikenden Öl-
arbeitern und keinen Monat nach den pseudodemokrati-
schen Parlamentswahlen im Januar, das war absolut
schamlos –;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


zweitens der bilaterale Charakter – damit unterläuft die
Bundesregierung eine kohärente europäische Menschen-
rechtspolitik und multilaterale Governance-Strukturen
im Rohstoffsektor –; drittens das fehlende Engagement
bei Substitution und Recycling zum Beispiel von Selte-
nen Erden – denn nur deswegen gerät unsere Wirtschaft
in die Abhängigkeit von zweifelhaften Regimen wie
dem kasachischen – und viertens der Inhalt des Abkom-
mens zur Rohstoffpartnerschaft. Im Abkommen fehlen
Verweise auf maßgebliche internationale Abkommen
des Menschenrechtsschutzes, der Arbeitsrechte, der Bür-
gerbeteiligung und der Transparenz. Wir haben mit dem
Entwurf eines Abkommens für eine alternative Rohstoff-
partnerschaft gezeigt: Es geht eben auch anders, wenn
man wertegeleitete Politik ernst nimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es überrascht mich aber nicht, dass die Bundesregie-
rung die Forderung der Menschenrechtskommissarin der
Vereinten Nationen, Pillay, nach einer internationalen
Untersuchungskommission noch nicht einmal unter-
stützt. Man will es sich auf Teufel komm raus mit dem
Autokraten Nasarbajew nicht verderben. In Einzelfällen,
ja, da setzt man sich für einen prominenten politischen
Gefangenen wie den Theaterregisseur Bolat Atabajew
ein. Das freut mich. Aber ich denke nicht, dass das aus-
reicht.





Viola von Cramon-Taubadel


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Brand [CDU/ CSU]: Ich hatte mehr von Ihnen erwartet!)


Zweites Beispiel, Usbekistan. Hier sieht die Men-
schenrechtslage noch düsterer aus als in Kasachstan; die
Details sind uns bekannt. Doch ist und bleibt Usbekistan
ein zentraler Partner der NATO-Staaten in Bezug auf Af-
ghanistan. Deutschland spielt mit einem Geheimvertrag
über die Nutzung des Flughafens Termez eine besondere
Rolle.


(Patrick Döring [FDP]: Wenn Sie davon Kenntnis haben, ist der doch nicht geheim!)


In der Antwort auf eine Kleine Anfrage unsererseits hat
sich die Bundesregierung zu den Konsequenzen aus der
katastrophalen Menschenrechtslage für die sicherheits-
politische Kooperation im Mai ignorant gezeigt und ist
auf diese Frage gar nicht eingegangen – ich zitiere –:

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Us-
bekistan konzentriert sich wesentlich auf die Unter-
stützung der Operationsführung der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan

(ISAF) und in diesem Zusammenhang die Nutzung

des Flughafens Termez.

That’s it. Wie soll man das anders verstehen, als dass
Menschenrechte einfach keine Rolle für Art und Aus-
maß der sicherheitspolitischen Kooperation spielen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu passt, dass Usbekistan, Herr Klimke, weiterhin
vorrangiges Kooperationsland, ein sogenanntes A-Land,
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bleibt.
Aber die UKW-Frequenz für die Deutsche Welle, die
dringend notwendig wäre, wird eingestellt. Das ist eine
Katastrophe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Obwohl die Bundesregierung immer wieder vorgibt,
sich für die Abschaffung der Kinderzwangsarbeit bei der
Baumwollernte einzusetzen, hört man hinter den Kulis-
sen, dass sie ein konsequenteres Engagement in der ILO
zu diesem Thema ausbremst.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720424000

Frau Kollegin!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin fertig.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wir auch!)


– Ich bin fertig mit meiner Rede.

Das ist leider die traurige Realität der Menschen-
rechtspolitik unserer Bundesregierung in Zentralasien. –
Ich könnte noch viel hinzufügen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720424100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die
Menschenrechte in Zentralasien stärken“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11287, den Antrag der Fraktionen der
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9924
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen und die Linke angenommen. SPD
und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle
für den Großhandel mit Strom und Gas

– Drucksachen 17/10060, 17/10253 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/11386 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Martin Lindner

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD vor.

Interfraktionell wurde vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
nehmen wir das so zur Kenntnis.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/11386, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen
17/10060 und 17/10253 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Diejenigen die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, bitte ich um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zu-
stimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen.
Die Fraktion Die Linke war dagegen. SPD und Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie

1) Anlage 2





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


zuvor angenommen. Ich lasse über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11401
abstimmen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag?
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch
die einbringende Fraktion, enthalten haben sich Linke
und Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP waren
dagegen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz
– Drucksachen 17/2419, 17/8622 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Carsten Schneider (Erfurt)

Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Katja Dörner

Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und teile Ihnen mit, dass
Frau Vogelsang und Herr Danckert ihre Reden zu Pro-
tokoll geben.1)


(Michael Brand [CDU/CSU]: Die sind in Bonn!)


Ich gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-
Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1720424200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Keine
andere Stadt, und gewiss nicht Bonn, will Berlin, der
Hauptstadt der Deutschen, ihren historischen und geisti-
gen Rang und ihre Zukunftsaufgaben für alle Deutschen
streitig machen. – Die Behauptung in dem Antrag der
Fraktion Die Linke, Berlins Rolle als Bundeshauptstadt
werde durch den zweiten Dienstsitz von Ministerien in
Bonn geschwächt, ist – das zeigt auch die jüngere Ge-
schichte in Berlin – schlicht haltlos.

In der politischen und gesellschaftlichen Realität ist
es längst unstrittig – deshalb reden wir auch hier und
nicht in Bonn –, dass Berlin die Funktion als Bundes-
hauptstadt voll erfüllt. Das ist im In- und Ausland aner-
kannt. Auch wenn man die Meinungsbildung der Bürge-
rinnen und Bürger anschaut, sieht man es; denn wichtige
Demonstrationen finden hier statt und nicht in Bonn.

Zudem darf bei der Diskussion nicht vergessen wer-
den, dass damals die Zustimmung zu dem Berlin-Bonn-

Gesetz an die Bedingung geknüpft war, dass Bonn zum
Teil Dienstsitz von Ministerien bleibt. Eine Änderung
des Gesetzes wäre somit ein nachträglicher Wegfall der
Geschäftsgrundlage, und für die FDP-Bundestagsfrak-
tion gilt immer noch: Pacta sunt servanda, Verträge müs-
sen eingehalten werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur weil einem 20 Jahre später etwas anderes einfällt,
kann man das nicht ändern. Eines sage ich Ihnen sehr
klar – ich habe damals in Bonn studiert und habe es er-
lebt –: Berlin hätte nie eine Mehrheit bekommen, wenn
dieses Gesetz nicht auf den Weg gebracht worden wäre.
Das muss man der Ehrlichkeit halber sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines bewegt mich als überzeugte Föderalistin ohne-
hin, nämlich die Tatsache, dass wir in Deutschland mit
dem Umzug eine Art Rutschbahneffekt erleben. Wir
bauen ein neues Bundespolizeipräsidium. Wo wird es
gebaut? In Potsdam. Die Abteilung 6 des Verfassungs-
schutzes zieht wohin? Nach Berlin. Der BND zieht zum
überwiegenden Teil wohin? Nach Berlin. Manchmal
frage ich mich im Nachhinein, wie dieses Land jahr-
zehntelang ohne moderne Technologie funktioniert hat.
Man hat mit diesen Häusern offenbar über Kilometer
hinweg kommunizieren können. Irgendwie habe ich die
Entwicklung wohl verschlafen. Deutschland kann offen-
bar auch mit gut verteilten Institutionen leben.


(Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP])


Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Wir sind ein fö-
deralistischer Staat, wir sind kein zentralistischer Staat.
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Lin-
ken, wieder einen zentralistischen Staat wollen, so sage
ich Ihnen: Wir sind schon in Berlin. – Das sollte als Er-
fahrung für Sie reichen.

Man kann natürlich vieles noch verbessern, zum Bei-
spiel die Konferenztechnologie. Man kann sich auch in
dem einen oder anderen Ausschuss morgens überlegen,
wie man damit umgeht, wenn Beamtinnen und Beamte
aus Bonn anreisen. Es ist alles schon viel besser gewor-
den.

In Ihrem Antrag erwähnen Sie übrigens die Umzugs-
kosten mit keinem Wort. Sie tun so, als ob sich der Um-
zug von selbst bezahlen würde. Wenn Sie die Beamtin-
nen und Beamten hier unterbringen wollten, müssten Sie
Neubauten errichten. Wer sich wie ich mit dem Bau des
Polizeipräsidiums und des Innenministeriums beschäf-
tigt hat, der weiß, dass ein Neubau nicht für 1 Euro zu
haben ist. Der ist vielmehr richtig teuer.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Da wir uns vorgenommen haben, zu sparen, ist das,
glaube ich, auch ein Beitrag zu einem strukturell ausge-
glichenen Haushalt. Auch deshalb ist es für uns selbst-
verständlich, dass wir einem Antrag, der eine geschätzte 1) Anlage 3





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


Amortisationszeit von 200 bis 500 Jahren hat, nicht zu-
stimmen können. Wenn Sie so weit denken, herzlichen
Glückwunsch! Wir denken an die schwarze Null im Jahr
2014.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Vor allen Dingen ist es interessant, dass ausgerechnet
die Linke – wo Sie sich hier immer so sozial gerieren –
sich um konkrete Vorschläge zu den sozialen Betroffen-
heiten herumdrückt. Über die berechtigten Anliegen der
Betroffenen – das sind nicht nur topbezahlte Beamtinnen
und Beamten, sondern vor allen Dingen auch Menschen
im mittleren oder vielleicht sogar einfachen Dienst –
schweigen Sie sich einfach aus. Dazu fällt Ihnen eigent-
lich nur ein, dass das Ganze durch die Mitbestimmung
– die sowieso gesetzlich vorgeschrieben ist – geregelt
werden soll.

Wenn Ihnen nicht mehr zur sozialen Betroffenheit
von Tausenden von Beamten, die von Bonn nach Berlin
umziehen sollen, einfällt, dann weiß ich nicht, wo Ihr so-
ziales Gewissen geblieben ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Eines weiß ich aber: dass jeder, der heute Ihrem Antrag
nicht zustimmt, ein soziales Gewissen hat und sich an
rechtsstaatliche Verbindlichkeiten hält.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Soziales Gewissen bei der FDP? Das ist aber eine gewagte These! Ich bin entsetzt! Sechs! Setzen!)


Wenn Sie das nicht können, ist Ihnen nicht zu helfen.
Wir haben eine andere Auffassung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720424300

Das Wort erteile ich jetzt dem Kollegen Roland Claus

für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720424400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Meiner Vorrednerin will ich in einem Punkt aus-
drücklich zustimmen: Dass wir weiter denken als die
FDP, stimmt in der Tat.


(Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Den Referenten würde ich für den Scherz verprügeln!)


Aber dass die FDP gerade bei diesem Antrag ihr soziales
Gewissen entdeckt, ist etwas kurios.

Worüber reden wir hier? Wir reden über eine seit
13 Jahre zweigeteilte Bundesregierung. Sie haben richtig
gehört. Fast die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter der Bundesregierung arbeitet nach wie vor am
Standort Bonn. Da geht es nicht um Bundesämter und
nachgeordnete Behörden, sondern um eine unmittelbare

Regierungstätigkeit. Zu jeder Zeit unserer Beratungen
führt das dazu, dass konkret 170 Angestellte des Bundes
oder Bundesbeamte sich in der Luft befinden – zwischen
Bonn und Berlin oder Berlin und Bonn. Zurzeit sind es
ausdrücklich einige mehr, weil wir in den Haushaltsbera-
tungen stecken.


(Ulrich Kelber [SPD]: Können Sie die Zahlen noch einmal wiederholen?)


Was tut die Bundesregierung und die sie tragende Ko-
alition in dieser Zeit? Sie tut nichts oder eher das Gegen-
teil: Sie verfestigt diese Teilung, beispielsweise mit der
Absicht, eine zentrale Bundesbehörde für die gesamte
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in Bonn
zu installieren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt auch gegen die Bundesbehörden in Bonn?)


Uns wird gelegentlich vorgehalten, dass wir diesen
Antrag alle Jahre wieder stellten. Das ist auch nicht
falsch, aber ich weiß, dass Sie dieses „alle Jahre wieder“
nicht als Kompliment meinen. Deshalb sagen wir Ihnen
ganz deutlich: Solange Sie sich nicht oder in diesem
Schneckentempo bewegen, mit dem Sie jetzt unterwegs
sind, werden Sie mit diesem Antrag auch künftig zu tun
haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Was schlägt Ihnen nun die Linke vor? Die Linke sagt:
Wir wollen einen schrittweisen Komplettumzug der
Bundesregierung nach Berlin, und wir wollen trotzdem
den Erhalt einer bundesweiten Verteilung von Bundes-
ämtern und Bundesbehörden. Unser Hauptargument
heißt: Geteilt regieren heißt schlecht regieren. Man
merkt dieser Regierung an allen Ecken und Enden an,
dass dies auch zutrifft.


(Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Das hat aber nichts mit den Bonner Mitarbeitern zu tun!)


Ich will Ihnen auch eines klarmachen, weil mir immer
wieder entgegengehalten wird, wir seien jetzt im Zeital-
ter von Computern und Telefonkonferenzen, was ich na-
türlich alles begrüße und nicht abstreite.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt eigentlich Paul Schäfer dazu?)


Aber Sie werden auch die Erfahrung gemacht haben:
Wirklich wichtige Entscheidungen in Regierung, Politik
und Fraktionen fallen immer noch dadurch, dass Men-
schen zusammenkommen, sich die Sachlage erklären
und etwas gemeinsam verabreden.

Die Bundesregierung hat uns den jährlichen Teilungs-
kostenbericht vorgelegt. Er enthält wie immer natürlich
nur einen Teil der Wahrheit.

Die ganze entgangene Arbeitszeit gehört auch zur
Wahrheit; das geschieht beispielsweise dadurch, dass
Beamte des Bundes, die Sie als Abgeordnete hierher zu
uns zur Beratung einladen,





Roland Claus


(A) (C)



(D)(B)



(Ulrich Kelber [SPD]: 1,1 Dienstreisen pro Mitarbeiter und Jahr!)


quasi umsonst hierher gefahren sind, wenn sich eine Ta-
gesordnung verändert und dann eine Debatte stattfindet.
Auch diese Wahrheit sparen Sie aus.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu kommt, dass es bundesweit viele junge kreative
Leute gibt, die sich vorstellen können, ihre berufliche
Entwicklung in einem Bundesministerium stattfinden zu
lassen. Diese jungen Leute – das kann ich Ihnen wirklich
sagen; das können uns auch alle mit Personalfragen Be-
schäftigten sagen – haben natürlich in erster Linie ein In-
teresse, nach Berlin zu kommen. Sie wollen nicht nach
Bonn. Auch das muss gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Es ist die jüngste Großstadt Westdeutschlands!)


Nun haben wir den Antrag im Haushaltsausschuss be-
raten. CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ha-
ben unseren Antrag abgelehnt. Die SPD hat sich der
Stimme enthalten. Das ist für uns wirklich ein beach-
tenswerter Schritt; dass sie sich hier bewegt hat, wollen
wir auch anerkennen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nicht die SPD, sondern zwei Haushälter!)


– Die SPD hat sich in dem federführenden Ausschuss,
Herr Kollege Kelber, ausdrücklich enthalten. Das kön-
nen auch Sie nachlesen.

Zu dem Einwand, man müsse geschlossene Verträge
einhalten, kann ich Ihnen nur sagen: Alles, was der Bun-
desstadt Bonn – bitte schön, auch zu Recht – verspro-
chen wurde, wurde spätestens bis 2003/2004 eingehal-
ten. Man kann heute mit Fug und Recht sagen: Keinem
Bonner wird es schlechter gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Berlin-Bonn-Gesetz hatte seine Zeit, getreu dem
Bibelwort: Ein Jegliches hat seine Zeit. – In der Bibel
steht aber nicht: Ein Jegliches hat seine Ewigkeit. Des-
halb gehört auch jetzt das Berlin-Bonn-Gesetz aufgeho-
ben.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720424500

Beim Stichwort „Ewigkeit“ darf ich Sie an die Rede-

zeit erinnern.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720424600

Herr Präsident, ich komme dem gerne nach. – Auf zur

Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin!


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720424700

Vielen Dank, Kollege Roland Claus. – Die Kollegin

Katja Dörner hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1)

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-
Gesetz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/8622, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2419 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind
die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Gegenprobe! – Die Linksfraktion.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Bei der SPD hat auch einer mitgestimmt!)


Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Sozialdemokra-
ten.


(Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Kelber hat dagegen gestimmt!)


– Das kann der Herr Kelber selber sagen, wenn es so ist.
Hier ist es nicht gesehen worden.

Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes
zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-
Derivate, zentrale Gegenparteien und Trans-
aktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz)

– Drucksache 17/11289 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich darf bei der Gelegenheit darauf hinweisen, dass
man um diese Uhrzeit einen hohen Zeitanteil nicht im-
mer ausschöpfen muss.

Bitte schön!


Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1720424800

Das war jetzt aber gemein, Herr Präsident. – Nein, das

werde ich auch nicht machen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720424900

Ich habe „muss“ gesagt.


(Heiterkeit)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1720425000

Der verehrte Herr Präsident hat ja gerade den sperri-

gen Titel dieses Gesetzes vorgelesen. Man mag sich
wirklich fragen: Was machen wir hier? Ausführungsge-
setz zur Verordnung über OTC-Derivate – ist es wirklich
wichtig, dass wir zu dieser späten Stunde darüber noch
diskutieren? Ich sage Ja. Ich sage ganz ausdrücklich Ja; 1) Anlage 3





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


denn dieses Regulierungswerk ist wieder einmal ein sehr
epochales Regulierungswerk, das wir hier zusammen
mit unseren europäischen Kollegen auf den Weg brin-
gen.

Ich nenne Ihnen nur einmal eine Zahl. Das Nominal-
volumen der ausstehenden Derivate, das weltweit über
die Finanzmärkte wabert, beträgt nach seriösen Schät-
zungen zwischen 600 Billionen und 1 000 Billionen US-
Dollar. Das muss man sich einmal vorstellen!

Das wirklich Beunruhigende an der ganzen Sache ist,
dass diese Märkte größtenteils nur wenig bis gar nicht
reguliert sind. Hier soll Abhilfe geschaffen werden mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in erster
Lesung behandeln.

Was sind überhaupt Derivate, meine Damen und Her-
ren? Sind Derivate eigentlich etwas Schlimmes? Nein,
Derivate sind ganz normale Termingeschäfte, und diese
werden in der Realwirtschaft auch gebraucht. Um ein
einfaches Beispiel zu geben: Ein Maschinenbauer schließt
am 1. Juli eines Jahres einen Vertrag, nach dem er zum
1. Dezember zu einem bestimmten Preis in US-Dollar
eine Maschine liefert. Er stellt während der Zeit, wo er
die Maschine baut, fest, dass der US-Dollar im Wert ver-
fällt und er am Ende des Tages viel weniger für seine
Maschine bekommt, als er ursprünglich gedacht hat. Um
so etwas zu vermeiden, sichert man sich mit einem Devi-
sensicherungsgeschäft ab. Das hört sich durchaus nütz-
lich an. Es gibt ja auch Zinssicherungsgeschäfte und Wa-
rensicherungsgeschäfte. Die Realwirtschaft braucht diese
Geschäfte.

Nichtsdestotrotz sind wir – ich glaube, das gilt für alle
Fraktionen hier im Hause – sehr beunruhigt. Warum sind
wir beunruhigt? Einmal aufgrund des hohen Volumens
dieser Geschäfte mit Derivaten – 600 bis 800 Billionen
US-Dollar – und zum anderen deshalb, weil wir festge-
stellt haben, dass das Volumen dieser Geschäfte viel
schneller gewachsen ist als das Bruttosozialprodukt in
der Welt. Man lernt daraus, dass es anscheinend so ist,
dass sich diese Geschäfte vom realwirtschaftlichen Be-
zug abgekoppelt haben. Findige Finanzmanager, findige
Investmentbanker haben entdeckt, dass man für Ge-
schäfte mit Derivaten, mit denen sich ein Gewinn, ein
Ertrag erzielen lässt, den besagten Maschinenbauer
überhaupt nicht braucht. Man kann untereinander han-
deln. So hat sich die ganze Sache unglaublich aufge-
bläht.

Wir wissen eigentlich auch gar nicht, was auf diesen
Derivatemärkten so abgeht. Wir haben das festgestellt,
als wir 2010 die Griechenland-Krise gehabt haben. Da
wurde gesagt: Mit Credit Default Swaps wird gegen
Griechenland gezockt. Wir hätten gern empirische Daten
gehabt. Wir hätten gern gewusst: Wer zockt gegen Grie-
chenland, in welcher Höhe, mit welchen Verträgen? Wir
wussten es nicht. Deswegen, meine Damen und Herren,
konnte die Aufsicht auch nicht eingreifen. Deswegen
sind wir sehr daran interessiert, dass dort Transparenz
entsteht.

Wir haben eine weitere beunruhigende Feststellung
gemacht, nämlich dass diese Produkte immer komplexer

werden. Wir hatten im Finanzausschuss eine Anhörung
zu Spread Ladder Swaps. Das ist so kompliziert, dass
mir selbst der Vorstand der Deutschen Bank nicht so
richtig erklären konnte, was er an Kommunen und mit-
telständische Unternehmen verkauft hat. Das hat zu ei-
nem erheblichen Schaden geführt: bei Kommunen, bei
mittelständischen Unternehmen. Solche Geschäfte sind
im Übrigen auch heute noch gerichtsanhängig.

Wenn ich das einmal zusammenfasse: einerseits rie-
sengroße Volumina, die durch die Welt gehen, wenig
Transparenz, Abkopplung von realwirtschaftlichen Pro-
zessen und andererseits Produkte, die so komplex sind,
dass sie wahrscheinlich nur noch der mathematisch vor-
gebildete Fachmann versteht. Das ist, glaube ich, Anlass
genug, zu regulieren. Insofern erfüllen wir heute zusam-
men mit unseren europäischen Kollegen das Verspre-
chen, das wir im Koalitionsvertrag gegeben haben, dass
kein Finanzprodukt, kein Finanzmarkt und kein Akteur
unreguliert bleibt. Deswegen wird hier heute das Aus-
führungsgesetz zur EMIR-Verordnung auf den Weg ge-
bracht.

Was beinhaltet die EMIR-Verordnung, meine Damen
und Herren? Die EMIR-Verordnung regelt erstens, dass
diese Derivate zukünftig, wenn sie standardisiert sind,
über zentrale Plattformen abgewickelt werden. Das
schafft Transparenz. Das schafft Sicherheit. Das schafft
eine bessere Abwicklung. Das ist wichtig.

Zweitens wird geregelt, dass es da, wo es nicht mög-
lich ist, diese Derivate über zentrale Plattformen abzuwi-
ckeln, ein besseres Risikomanagement gibt und dass alle
diese Geschäfte transparent gemacht werden, indem sie
in Register eingetragen werden.

Das müssen wir jetzt hier in Deutschland eigentlich
gar nicht direkt umsetzen, weil es sich um eine EU-Ver-
ordnung handelt, die gleich deutsches Recht ist, aber wir
müssen einige Sachen auf den Weg bringen, damit diese
Verordnung hier in Deutschland auch ordentlich wirken
kann.

Als Erstes müssen wir – wie es immer so ist – festle-
gen, welche Behörde in Deutschland für die EMIR-Ver-
ordnung zuständig ist.

Wir müssen als Zweites einige konkurrierende gesetz-
liche Regelungen im KWG ändern, die mit der EMIR-
Verordnung nicht zusammenpassen.

Wir müssen drittens – das ist auch ganz wichtig – hier
in Deutschland Bußgeldtatbestände festlegen.

Wir müssen viertens einige Folgeänderungen vorneh-
men: im Versicherungsaufsichtsgesetz, im Investment-
gesetz und – das ist ganz wichtig; das wird uns noch be-
schäftigen – im Insolvenzrecht. Das ist das, was wir hier
machen müssen. Das werden wir machen.

Wenn Sie sich das alles einmal anschauen, dann mer-
ken Sie, dass als Grundalgorithmus hinter dieser Verord-
nung steht: Risiko minimieren und Risiko transparent
machen. Das ist genau das, was wir in der christlich-libe-
ralen Koalition in mittlerweile weit über 15 Gesetzen auf
den Weg gebracht haben: Ich nenne die Gesetze zur
Neuordnung der Vergütungsstrukturen, zur Neuordnung





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


des Ratingwesens, zum Verbot der Leerverkäufe, die
Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie, die Regelung
von Verbriefungen von Großkrediten,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es reicht!)


darüber hinaus noch das Bankenrestrukturierungsge-
setz, das Anlegerschutzgesetz, das Finanzanlagenver-
mittlergesetz, die Neuordnung der deutschen Finanzauf-
sicht, die Integration der deutschen Finanzaufsicht an die
europäische Finanzaufsicht, die Eigenkapital- und Liqui-
ditätsregeln, die wir im Zuge von Basel III auf den Weg
bringen, Solvency II, mit dem wir das Versicherungswe-
sen sicherer machen, die Regulierung der alternativen
Investmentfonds. Überall geht es darum, Risiko zu mini-
mieren und vor allem Risiken transparent zu machen,
damit eine Aufsicht vernünftig eingreifen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Umsetzung der
EMIR-Verordnung; denn der 600 bis 800 Billionen Dol-
lar große Derivatemarkt muss, wie gesagt, dringend
schärfer reguliert werden. Das werden wir heute ma-
chen.

Jetzt könnte ich sagen: Alles ist toll gelaufen. Wir
sind mit der Regulierung fast fertig, nichts kann mehr
passieren. Aber auch hier ist es so, dass wir alle, die wir
hier sitzen, in Demut sagen: Nein, wir wissen nicht, wo-
her die nächste Finanzkrise kommt. Wir wissen auch
nicht, ob wir durch all diese Regulierungen die nächste
Finanzkrise verhindern können. Aber wir machen sie ein
wenig unwahrscheinlicher. Das ist wichtig. Vielleicht
gibt es den einen oder anderen Politiker in diesem Land,
den einen oder anderen Kanzlerkandidaten der einen
oder anderen Partei,


(Zuruf von der FDP: Wo ist er überhaupt?)


der hin und wieder behauptet, er könne die Finanzmärkte
sicherer machen. Wir sagen das jedoch nicht; denn wir
haben noch ganz viel Arbeit vor der Brust.

Über die Regulierung der Derivatemärkte und über
die Regulierung der alternativen Investmentfonds hinaus
müssen wir noch einige dicke Eisen anpacken. Dazu ge-
hört beispielsweise der große Bereich der Schattenban-
ken. Das wird eine der wesentlichen zentralen Aufgaben
der nächsten Jahre sein. Wir müssen uns endlich der
Too-big-to-fail-Problematik lösungsorientiert annehmen.
Die SPD schlägt eine Art Trennbankensystem vor. Das
überzeugt uns nicht ganz. Vielleicht müssen wir an die-
ser Stelle auch über mehr Eigenkapital nachdenken. Ich
glaube, wir sind uns aber darin einig, dass wir es nicht
akzeptieren können, dass es auf den Finanzmärkten
Marktteilnehmer gibt, die so groß sind, dass sie bei einer
Insolvenz den ganzen Markt zerstören. Das dem nicht so
ist, ist nicht von uns, dem Gesetzgeber, nachzuweisen,
sondern die jeweilige Bank steht in der Pflicht, das nach-
zuweisen. Das könnte sich die ein oder andere sehr
große deutsche Bank einfach einmal hinter die Ohren
schreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, um dem Wunsch des Prä-
sidenten nach kürzerer Redezeit gerecht zu werden,
kürze ich meine Rede ab: EMIR wird jetzt in das parla-
mentarische Verfahren hineingehen. Wir werden noch
im November eine Anhörung zu diesem Thema haben.
Die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes wird noch
im Dezember dieses Jahres stattfinden. Dann werden wir
am Ende des Jahres sagen können, dass wir die Finanz-
märkte wieder einmal ein wenig sicherer und besser ge-
macht haben. Ich glaube, das ist die Mühe wert.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720425100

Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. Sie haben in

der Tat Ihre Redezeit abgekürzt, aber dafür haben Sie
schneller gesprochen.

Nächster Redner in unserer Aussprache ist Kollege
Dr. Carsten Sieling für die Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1720425200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mein Vorredner hat zu Beginn seiner Rede schon deut-
lich gemacht, welche Dimension die Derivate haben. Er
hat die Zahl von 600 Billionen Dollar, mehr als das
Zehnfache des Weltbruttoinlandsprodukts, genannt. Das
sind in der Tat gewaltige und bedeutende Zahlen. Diese
Zahlen zeigen, dass das Kernproblem noch nicht gelöst
ist. Das ist nämlich die Entkoppelung der spekulativen
Aktivitäten von der Realwirtschaft, also den erwirtschaf-
teten Produkten und Dienstleistungen. Darin sind wir
uns einig. Ich höre dieses Argument aus den Reihen der
Koalition, vor allem aus den Reihen der CDU/CSU, in
neuer Schärfe. Seit einigen Wochen erleben wir ja hier
finanzmarktkritische Beiträge der gleichen Art, wie es
heute der Fall ist. Von daher gehört das vielleicht zu der
neuen Melodie ein Jahr vor der Bundestagswahl.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Na, na!)


Herr Kollege, Sie dürfen aber bei Ihren Argumenten
einen weiteren Punkt nicht vergessen. Nachdem dieses
Missverhältnis zum Ausbruch der Finanzkrise vor fünf
Jahren geführt hat, hat der G-20-Gipfel von Pittsburgh
im Jahr 2009, vor drei Jahren, dieses Problem themati-
siert. Sie stellen sich hier hin und gestehen für die Regie-
rung quasi ein, dass Sie seitdem nichts gemacht haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das ist doch das Wesentliche: dass Sie eben nichts ge-
macht haben. Sie können jetzt nicht mit Klagen über die
schlechten Verhältnisse kommen, wenn Sie als Bundes-
regierung gleichzeitig drei Jahre Stillstand zu verantwor-
ten haben. So geht es nicht.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Oh je, oh je!)


Das ist das eigentliche Problem bei dieser Vorlage.


(Beifall bei der SPD)






Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)


Jetzt werden Sie sagen: Das musste doch auf der eu-
ropäischen Ebene gemacht werden.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein, das ist national!)


– Sogar international, wunderbar. Die klugen Kollegen
von der FDP weisen darauf hin, dass das Ganze sogar in-
ternational gemacht werden müsste.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein, national!)


Dazu will ich Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen: Viele
von Ihnen hier im Plenum waren, wie ich selber auch,
vor wenigen Wochen bei der IWF-Jahrestagung und der
Weltbanktagung in Japan. Von der dortigen Finanzauf-
sicht ist uns erklärt worden, dass Japan die Regulierung
der Derivate schon umgesetzt hat und das Ganze zum
Ende des Jahres ins Werk gesetzt wird. Da stellt sich die
Frage, warum das die deutsche Bundesregierung nicht
konnte.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch dummes Zeug!)


Jetzt wird wieder das Argument kommen: Das lag ja
an der EU, und wir mussten das im EU-Rahmen machen.
Dazu sage ich nur: Es gibt in diesem Zusammenhang
auch noch andere Themen. Ich nenne nur die Leerver-
käufe, bei denen Sie sich hier immer hinstellen und sehr
stolz sagen: Das haben wir vorauseilend gemacht. Die
Frage steht also im Raum: Warum machen Sie das in
diesem gefährlichen Bereich nicht auch? Warum haben
Sie das Problem liegen gelassen?


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Weil Sie das elf Jahre lang unter Ihrer Regierung nicht geschafft haben!)


– Ihre Erregung spricht Bände. Sie sind erwischt an die-
ser Stelle. Das ist keine gute Botschaft für die Stabilität
der Finanzmärkte.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist aber ein sehr mühsamer Versuch gewesen! – KlausPeter Flosbach [CDU/CSU]: Sonntag ist doch erst der 11.11.!)


Wenn Sie hier behaupten, dass man mit dieser Verord-
nung Versprechen – Sie haben es mit diesem großen
Wort bezeichnet – erfüllt, dann darf ich doch darauf hin-
weisen, dass es sich hier um ein Ausführungsgesetz han-
delt. Bei den vor uns liegenden Beratungen, insbeson-
dere im Rahmen der Anhörungen, wird man sich deshalb
noch vielen Einzelfragen zuwenden müssen. In diesem
Ausführungsgesetz soll nun erst die Grundlage dafür ge-
schaffen werden, dass geregelt werden kann, wie über-
haupt die Erfassung dieser over the counter, also über
der Ladentheke – ich sage immer: eigentlich unter der
Ladentheke – stattfindenden Geschäfte auf vernünftigen
Börsenplattformen erfolgen soll. Das ist aber noch lange
keine Regelung.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Gehört Japan zur EU?)


– Kollege Schindler, Japan gehört nicht zur EU. Gut,
dass Sie diese Erkenntnis dem Hohen Hause mitteilen.

Japan gehört aber zur G 20; und die G 20 hat entspre-
chende Verabredungen im Jahr 2009 getroffen. Die einen
haben sich daran gehalten, die anderen eben nicht. Das
ist die Kritik, und sie bleibt richtigerweise bestehen.

Ich verweise an dieser Stelle nur darauf, dass wir
überhaupt noch keine Antwort haben – ich kenne auch
noch keine Position der Bundesregierung dazu –, welche
Derivate eigentlich reguliert werden sollen und welche
im nicht standardisierten Bereich verbleiben werden.
Die wesentliche Musik wird noch kommen, nämlich die
Entscheidung darüber, was letztlich auf die Plattformen
gezogen werden soll und wie diese Plattformen am Ende
organisiert werden. Der Inhalt fehlt ganz einfach. Wir
sprechen über ein Ausführungsgesetz, ein Formalgesetz,
in dem eigentlich relativ wenig Musik – das wissen Sie
auch, auch wenn Sie versucht haben, das hier anders dar-
zustellen – drinsteckt.


(Gisela Piltz [FDP]: Warum redest du denn dann so lange darüber?)


Deshalb ist es notwendig, dass wir jetzt über die in-
haltlichen Ziele reden.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein bisschen spät!)


Dazu hätte ich gerne ein bisschen mehr gehört, aber wir
stehen ja noch am Anfang der Beratungen. Es wird aller-
dings deutlich, dass die schöne Rede darüber, was alles
an Finanzmarktregulierungen geleistet worden sei, leider
nicht mehr ist als eine schöne Rede.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: An Ihrer Erregung stelle ich fest: Herr Sieling, erwischt! Seit Jahren nicht mehr dabei!)


Auch an dieser wichtigen Stelle zeigt sich, dass Sie
ziemlich hinter dem herhinken, was in Pittsburgh verein-
bart wurde. Pittsburgh war übrigens der letzte G-20-Gip-
fel – da können Sie reden, wie Sie wollen –, an dem Peer
Steinbrück als zuständiger Finanzminister teilgenommen
hat.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Kanzlerkandidat? Der Finanzprofi?)


Dort hat man diese Vereinbarungen bereits getroffen,
und erst jetzt kommen Sie mit Fakten. Das ist ziemlich
müde.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720425300

Vielen Dank, Kollege Dr. Carsten Sieling. – Nächster

Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Björn
Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Björn Sänger (FDP):
Rede ID: ID1720425400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Geschätzter Kollege Sieling! Die Regulierung der
Ratingagenturen, die Regulierung der Kreditverbriefun-





Björn Sänger


(A) (C)



(D)(B)


gen, das Leerverkaufsverbot, das wir übrigens auf natio-
naler Ebene umgesetzt haben, die Regulierung von Ver-
gütungen und Boni, das Bankenrestrukturierungsgesetz,
das wir im Übrigen national umgesetzt haben und das
auf EU-Ebene zum Vorbild wurde, die Bankenabgabe,
OGAW, die Finanzvermittlerrichtlinie – ich könnte noch
Zigtausende Dinge aufzählen, die diese Bundesregie-
rung umgesetzt hat.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Tausende? Na ja!)


– Okay, Tausende nicht ganz; „Dutzende“ würde es si-
cherlich am ehesten treffen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Ich habe schon millionenmal gesagt, Sie sollen nicht übertreiben!)


Ich könnte also Dutzende Dinge aufzählen, die wir hier
in diesem Hohen Haus beschlossen und mit denen wir
Lehren aus der Finanzkrise gezogen haben. Bei den ent-
sprechenden Abstimmungen haben Sie sich im Übrigen
entweder enthalten oder haben dagegen gestimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gisela Piltz [FDP], an die SPD gewandt: Überzeugend wie Ihr Kanzlerkandidat!)


Nahezu alle Probleme der Finanzkrise sind von dieser
Bundesregierung angepackt worden.

Heute haben wir die Regulierung der Derivate im
Zuge der Umsetzung der EMIR-Richtlinie auf der Ta-
gesordnung. Ein Derivat ist im Grunde genommen ein
klassisches Unimogprodukt; es ist nicht genau zuzuord-
nen. Wenn der Winter kommt, kennen wir alle den Uni-
mog als ein schönes orangefarbenes kommunales Fahr-
zeug mit einem Räumschild vorne und finden ihn gut.
Den gleichen Unimog gibt es aber auch in Olivgrün mit
komischen Gerätschaften hinten darauf. Wenn er durch
Krisengebiete fährt, finden wir ihn möglicherweise nicht
so gut. Genau so verhält es sich mit einem Derivat: Es ist
in der Realwirtschaft tagtäglich zigtausendfach im Ein-
satz und leistet gute Dienste. Es ist für unsere Unterneh-
men im internationalen Handel ein Instrument der Risi-
kosteuerung.

Der Derivatemarkt hat jedoch zwei Seiten. Auf der ei-
nen Seite, im Bereich der Realwirtschaft, haben wir die
„guten“ Unternehmen, die den Markt nutzen, um Risi-
ken zu steuern. Auf der anderen Seite haben wir einen
Investor, der in ein bestimmtes Risiko investiert. Den
nennt man dann Spekulant. Sein Handeln auf dem Deri-
vatemarkt ist aber notwendig, damit Arbeitsplätze erhal-
ten werden.


(Beifall der Abg. Claudia Bögel [FDP])


Bei dem Ganzen ist aber problematisch, dass man
nicht genau weiß, wer wo welche Risiken trägt und wie
viele es überhaupt sind. Das heißt, es besteht eine ge-
wisse Intransparenz, eine Unsicherheit. Da setzt die
EMIR-Richtlinie mit drei Maßnahmen an:

Die erste Maßnahme ist die Bündelung der OTC-Ge-
schäfte, der sogenannten Over-the-Counter-Geschäfte,

die nicht an regulären Börsenplätzen abgehalten werden,
bei den CCPs, den zentralen Gegenparteien, soweit dies
möglich ist; denn diese Geschäfte – das liegt in der Na-
tur der Sache – sind sehr individuell, je nachdem, wel-
ches Bedürfnis bei den Unternehmen vorherrscht.

Die zweite Maßnahme ist eine Transparenzoffensive
– das ist ganz wichtig –, die eine Eintragung in ein zen-
trales Transaktionsregister vorsieht, damit man weiß,
wer gerade was macht. Das dient dazu, das Misstrauen
zu mindern.

Die dritte Maßnahme dient der Absicherung des Aus-
fallrisikos durch eine weitere Hinterlegung von Sicher-
heiten.

Das alles sind grundsätzlich richtige Maßnahmen, die
natürlich nicht ganz unproblematisch sind. Wenn wir
beispielsweise alles auf zentrale Gegenparteien verla-
gern, dann stellen diese aufgrund der Kumulation der Ri-
siken wiederum ein Risiko dar. Man muss dann aus mei-
ner Sicht durchaus darüber nachdenken, ob das wirklich
systemstabilisierend ist.

Man muss auch den Aufwand der Realwirtschaft im
Auge haben. Es nützt nichts, wenn die Erhöhung der
Kosten der Risikosteuerung dazu führt, dass die Real-
wirtschaft in andere Märkte abwandert, die vielleicht
nicht mit der Sorgfalt regulieren, wie wir das hier in
Deutschland tun.

Insgesamt müssen wir auch beachten, dass es hier be-
stimmte Regelungen gibt – Stichwort „Nachteilsaus-
gleich bei Insolvenzen“; jetzt wird es schon sehr tech-
nisch –, die möglicherweise auch nicht geeignet sind, um
insgesamt die Stabilität herzustellen, die wir brauchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind
aber erst am Anfang der Beratungen. Wir werden eine
Anhörung durchführen und einen Erkenntnisgewinn ha-
ben. Am Ende wird es, wie bei allen vorhin genannten
Vorhaben bzw. schon umgesetzten Maßnahmen im Be-
reich der Finanzmarktregulierung, auch hier wieder eine
sehr sorgfältig erarbeitete gute Lösung geben, wie wir
das von dieser Bundesregierung, die im Bereich der Fi-
nanzmarktregulierung nun wirklich führend ist, gewohnt
sind. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720425500

Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Die Kollegen

Dr. Axel Troost für die Linke und Dr. Gerhard Schick
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geben ihre
Reden zu Protokoll.1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11289 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

1) Anlage 4





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE

Für einen wirksamen Schutz und die Auf-
nahme syrischer Flüchtlinge in der Euro-
päischen Union und in Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen

– Drucksachen 17/10786, 17/10638, 17/11131 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Sie sind damit einverstanden. Die Namen der Redner lie-
gen dem Präsidium vor, sodass wir gleich zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses auf Drucksache 17/11131 kommen.1)

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10786. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind Bündnis
90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? –
Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/10638. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfrak-
tionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes

(GwGErgG)


– Drucksachen 17/10745, 17/10798 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 17/11335, 17/11416 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Aumer
Martin Gerster
Björn Sänger
Richard Pitterle
Dr. Gerhard Schick

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Die
Liste der Redner liegt hier vor. – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden, Widerspruch erhebt sich nicht. So kom-
men wir zur Abstimmung.2)

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksachen 17/11335 und 17/11416,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 17/10745 und 17/10798 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das
sind die drei Oppositionsfraktionen. Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Niemand. Enthaltungen? – Das sind wieder die drei Op-
positionsfraktionen. Der Gesetzentwurf ist angenom-
men.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Ener-
giesteuer- und des Stromsteuergesetzes

– Drucksachen 17/10744, 17/10797 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/11387 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dr. Birgit Reinemund
Lisa Paus


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/11400 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

1) Anlage 5 2) Anlage 6





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sie
sind damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich
nicht. Die Namen der Redner liegen auch hier vor,1) so-
dass wir gleich zur Abstimmung kommen können.

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/11387, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10744
und 17/10797 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal-
ber: Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal-
ber: Enthaltungen? – Es ist niemand aufgestanden. Infol-
gedessen ist der Gesetzentwurf angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/11402. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Das sind die Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Das sind die
Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Vor-
sichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/11403. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Gegen-
probe? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die So-
zialdemokraten. Enthaltungen? – Niemand. Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta
Zapf, Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen
in Europa und Deutschland – Abrüstungs-
chancen nicht ungenutzt verstreichen lassen
– Drucksache 17/11323 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaf-
fen in Deutschland

– Drucksache 17/11225 –

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sie sind da-
mit einverstanden? – Dann ist dies so beschlossen. Die
Redner sind auch schon bereit. Erste Rednerin für die
Fraktion der Sozialdemokraten: unsere Kollegin Uta
Zapf. Bitte schön, Frau Kollegin Zapf.


(Beifall bei der SPD)



Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1720425600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obama hat die
Präsidentschaftswahlen gewonnen. Alle, die auf weitere
Abrüstung hoffen, haben natürlich erleichtert aufgeatmet.
Herr Minister Westerwelle hat gesagt, es gebe neue Im-
pulse in der Abrüstung und es müsse ein „energischer
weiterer Schritt“ gemacht werden. Das ist sehr schön.

Seine Forderung wird auch von Herrn Leibrecht, dem
Koordinator für die transatlantischen Beziehungen, auf-
gegriffen. Er sieht eine Chance dafür, dass Obama in sei-
ner zweiten Amtszeit im Bereich der Abrüstung mutige
Schritte gehen könnte. Beide werfen die Frage auf – und
das ist wichtig –, was mit den in Europa stationierten
Atomwaffen geschehen soll.

Wenn man mich fragt, ist die Antwort ziemlich leicht:
Sie sollen weg – wenigstens die, die in Büchel stationiert
sind. Unserer Regierung sage ich: Machen Sie einen mu-
tigen Schritt! Dieses Hohe Haus hat bereits 2010 partei-
übergreifend beschlossen – ich zitiere, wenn auch nicht
ganz wörtlich –, dass im Zuge der Ausarbeitung eines
neuen strategischen Konzeptes der NATO sich die Bun-
desregierung im Bündnis sowie gegenüber den amerika-
nischen Verbündeten dafür einsetzen solle, dass die in
Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen wer-
den.

Nichts dergleichen ist geschehen. Das neue Strategi-
sche Konzept bestätigt den alten Mix aus konventionel-
len und Nuklearwaffen als die richtige und nötige Struk-
tur für die NATO. Damit nicht genug: Es wird darüber
hinaus festgeschrieben, dass die Verbündeten, bei denen
Nuklearwaffen stationiert sind, also auch wir Deutschen,
sich verpflichten, alle Komponenten der NATO-Ab-
schreckung – dazu gehören auch die B61-Bomben und
die Carrier, also die Tornado-Flugzeuge – sicher und
funktionsfähig zu halten, solange die NATO eine Nukle-
arallianz ist.

Das bedeutet, dass Deutschland zur Modernisierung
der B61 beitragen muss, indem es die Tornados moder-
nisiert. Es wird Zeit, dass die Regierung aufhört, sich zu
winden und auf Allianzzwänge zu berufen, wenn ein
Abzug der strategischen Waffen auf der Tagesordnung
steht, und gleichzeitig in der Öffentlichkeit hohe Ziele
zu propagieren, die nicht einzuhalten sind. Ich glaube,
wir müssen jetzt unbedingt handeln. Die Regierung
muss ihre Stimme erheben, wenn in den USA über die
Modernisierung der B61 verhandelt wird. Das sind die 1) Anlage 7





Uta Zapf


(A) (C)



(D)(B)


Bomben, die in Büchel lagern. Die Regierung muss Pro-
test erheben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese ge-
plante Modernisierung würde eine höchst kostspielige
Modernisierung des Trägersystems Tornado erfordern.
Es wäre nicht, wie immer beschönigend gesagt wird, nur
eine Lebensdauerverlängerung.

Das Thema B61 gehört auf den Tisch der NATO.
Nicht nur Deutschland ist betroffen, sondern auch die
Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei. Wollen und
müssen alle diese NATO-Partner viel Geld in die Moder-
nisierung der Trägersysteme stecken? Die USA haben
angekündigt, dass die NATO-Partner konsultiert werden.
Das bietet die Chance, sich dagegen zu verwehren. Diese
Regierung muss dann bitte deutlich und klar erklären,
dass sie gegen eine Stationierung der modernisierten
B61 in Deutschland ist.

Bei dieser Modernisierung geht es nicht nur darum,
die Bomben sicherer zu machen, wie uns erzählt wird.
Auch die strategischen Qualitäten werden verändert.
Reichweite, Präzision, Zielgenauigkeit und Durchschlags-
kraft werden modernisiert. Eine neue Qualität und neue
Fähigkeiten werden damit erreicht. Das ist eine neue
Bombe und damit eine strategische Nuklearwaffe und
keine substrategische mehr. Das widerspricht der Ab-
sicht, die Bedeutung von Nuklearwaffen zu verringern
und Abrüstung zu fördern. Nicht nur im Koalitionsver-
trag steht, dass man Abrüstung fördern will, sondern
auch die USA haben diese Absicht erklärt – Obama ist
vor seiner ersten Wahl mit diesem Thema viel in der
Welt unterwegs gewesen –, und alle Unterzeichner des
Nichtverbreitungsvertrages – das sind insgesamt immer-
hin 190 Staaten – haben 2010 im Rahmen des Aktions-
planes des Nichtverbreitungsvertrages beschlossen, in
ihren Strategien und Doktrinen die Rolle der Nuklear-
waffen zu verringern und alles zu tun, um Abrüstung zu
fördern.

Eine solche neue Waffe wie die modernisierte B61
gibt Russland allerdings keinen Anreiz, über taktische
Nuklearwaffen und deren Abrüstung zu verhandeln. Wie
soll ein Angebot von mehr Transparenz angesichts
von Modernisierungsplänen Vertrauen bilden? Vielmehr
steht zu befürchten, dass Russland seine eigenen Nu-
klearwaffen modernisiert, wie angekündigt bzw. ange-
droht. Wenn sich die NATO bei ihrer Argumentation, die
US-Waffen in Europa zu behalten, auf die weit höhere
Anzahl taktischer Nuklearwaffen der Russischen Föde-
ration beruft, vergisst sie, dass Russland die hohe kon-
ventionelle Überlegenheit der NATO durch Nuklearwaf-
fen kompensieren will. Wenn wir Fortschritte bei der
nuklearen Abrüstung wollen, wenn wir eine Welt ohne
Atomwaffen anstreben, müssen wir dringend zu neuer
konventioneller Abrüstung kommen.

Im Konzept des Prompt Global Strike werden auf fa-
tale Weise konventionelle und nukleare Komponenten
vermischt, um mit allen zur Verfügung stehenden Mit-
teln schnell überall in der Welt zuschlagen zu können.
Missile Defense, Raketenabwehr, soll möglichst für Un-
verletzlichkeit sorgen. Beides zusammen ist eine Strate-
gie, die Konfrontation signalisiert und den Willen zur
Überlegenheit zeigt.

Was wir aber brauchen, ist gemeinsame Sicherheit in
Europa, aber nicht nur in Europa. Ohne sicherheitspoliti-
sche Zusammenarbeit mit Russland werden wir nicht zu
neuen Abrüstungsschritten kommen. Der NATO-Russ-
land-Rat, aber auch alle anderen politischen Ebenen wie
EU und OSZE müssen genutzt werden, um die konven-
tionelle Rüstungskontrolle, die durch den Absturz des
KSE-Vertrages zum Erliegen gekommen ist, wiederzu-
beleben. Wir brauchen wieder Verifikation und Vertrauens-
bildung, wir brauchen den Aufbau einer europäischen
Sicherheitsgemeinschaft, wie sie im Rahmen der OSZE
diskutiert wird, aber wir brauchen weiß Gott keine mo-
dernisierten Nuklearwaffen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720425700

Vielen Dank, Frau Kollegin Zapf. – Der angekündigte

nächste Redner, Dr. Wadephul, hat seine Rede zu Proto-
koll1) gegeben, sodass ich nun unsere Kollegin Frau Inge
Höger für die Fraktion Die Linke bitte, ans Pult zu kom-
men.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720425800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die über-

wältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland ist
gegen Atombomben. Über 80 Prozent sagen dies in Um-
fragen. Selbst im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb
wurde ein Abzug der Atomwaffen in Aussicht gestellt.
Angesichts des verheerenden Zerstörungspotenzials von
Atombomben war dies erfreulich. Leider hat sich diese
Passage des Koalitionsvertrages inzwischen als Luft-
nummer entpuppt.

Die Bundesregierung scheint die Abrüstung im eige-
nen Land nicht ernst zu nehmen. Im Gegenteil: Sie hat
dazu beigetragen, dass Atombomben auf absehbare Zeit
in Deutschland stationiert bleiben. Diese Regierung hat
wiederholt zugestimmt, dass Atomwaffen ein zentraler
Teil der Kriegs- und Abschreckungsstrategie der NATO
bleiben, zuletzt beim NATO-Gipfel in Chicago. Atomare
Abrüstung geht anders.

Die Bundesregierung – Frau Zapf hat schon darauf
hingewiesen – unterstützt die Modernisierung der US-
Atomwaffen in Deutschland. Bei genauerer Betrachtung
handelt es sich um mehr als um eine oberflächliche Mo-
dernisierung. Es geht um die Stationierung weitgehend
neuer atomarer Waffensysteme.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Zur Mitwirkung an genau dieser Neustationierung hat
sich die Regierung am Rande des NATO-Gipfels im
Frühjahr verpflichtet.

1) Anlage 8





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)


Zu diesem Aufrüstungsprojekt gehört auch die Mo-
dernisierung der Tornados, von denen aus deutsche Pilo-
ten die US-Atomwaffen abwerfen können. Allein die Um-
rüstung und Lebenszeitverlängerung der Tornados wird
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler etwa 250 Millio-
nen Euro kosten. Das gesamte atomare Modernisie-
rungsprojekt kostet circa 10 Milliarden Euro. An diesen
Kosten wird sich Deutschland voraussichtlich beteiligen.
Hier wird wieder einmal Politik gegen den Willen und
auf Kosten der Bevölkerung gemacht.

Die geplante neue Generation von Atomwaffen eröff-
net völlig neue Einsatzoptionen. Die bisher frei fallen-
den Bomben sollen zu lenkfähigen, angeblich intelligen-
ten Waffen werden. Diese können dann effektiver und
zielgerichteter als bisher eingesetzt werden. Wahrschein-
lich werden dadurch neue Einsatzmöglichkeiten geschaf-
fen, wie etwa ein Angriff auf befestigte unterirdische
Ziele. Durch die Neuerungen wird die Hemmschwelle
für einen Einsatz der Atomwaffen gesenkt und ein
Atomkrieg wahrscheinlicher.

Die bisherige Politik der atomaren Abschreckung war
schon mehr als fahrlässig. Durch die Umsetzung der
Modernisierungspläne wird ein tatsächlicher Einsatz
noch wahrscheinlicher. Wer so mit dem Feuer spielt,
handelt völlig unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser fatalen Entwicklung müssen wir uns entschlossen
entgegenstellen.

Ganz nebenbei wird der Öffentlichkeit vorgegaukelt,
dass die Gefährdung für die Anwohnerinnen und An-
wohner der Stationierungsorte durch die neuen, angeb-
lich sicheren Waffen verringert wird. Erst einmal gilt:
Nur Abrüstung macht die Welt sicherer. Aber auch auf
der technischen Ebene stimmen die Beschwichtigungen
nicht. Die größte Gefährdung für die Umgebung eines
Atomwaffenstützpunktes geht von Feuerunfällen aus.
Einen feuerresistenten Kern werden die Atombomben
auch nach der Modernisierung nicht haben.

Die Gefahren, die durch die Stationierung und den
Einsatz von Atombomben ausgehen, können nur durch
weltweite Abrüstung beendet werden. Die Bundesregie-
rung muss gegenüber den USA und innerhalb der NATO
allen Modernisierungsplänen entschlossen entgegentre-
ten. Sie darf dabei nicht vor einem Veto oder der Kündi-
gung des Stationierungsvertrages zurückschrecken. Alle
Atombomben müssen endlich aus Deutschland abgezo-
gen und verschrottet werden.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720425900

Vielen Dank, Frau Kollegin Höger. – Nächster Red-

ner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Christoph
Schnurr.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU])



Christoph Schnurr (FDP):
Rede ID: ID1720426000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die FDP-Fraktion wird die beiden vorliegenden An-
träge ablehnen. Anders als von der SPD und von den
Linken dargestellt, sind wir selbstverständlich kein
Stück von unserem Ziel eines Abzuges der in Deutsch-
land gelagerten Atomwaffen abgerückt, und wir setzen
uns auch weiterhin offensiv dafür ein.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU])


Es ist nicht zuletzt der Bundesregierung und Außen-
minister Westerwelle zu verdanken, dass sich die NATO
heute zum Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt bekennt,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sagt gar nichts!)


dass sie negative Sicherheitsgarantien ausspricht und
dass es jetzt einen Abrüstungsausschuss gibt. Das Bünd-
nis hat sich außerdem dafür ausgesprochen, in einem
ersten Schritt Verhandlungen mit Russland über mehr
Transparenz bei den substrategischen Atomwaffen auf-
zunehmen. Richtig ist, dass wir uns im neuen Strategi-
schen Konzept der NATO und im Abschreckungs- und
Verteidigungsdispositiv sehr viel deutlichere Formulie-
rungen gewünscht hätten. Richtig ist vor allem, dass wir
unser Ziel noch nicht erreicht haben. Richtig ist aber
auch, dass wir mehr erreicht haben als alle Koalitionen
vor uns.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist auch kein Kunststück!)


Bei Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier gab es
das Thema „Abzug der Atomwaffen“ gar nicht. Erst
Guido Westerwelle und diese Bundesregierung haben
das Thema auf die internationale Agenda gebracht.


(Beifall bei der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wieder heruntergenommen!)


Liebe Kollegen, wenn wir heute über Ihre Anträge de-
battieren, müssen wir uns zunächst verständigen, um
was es eigentlich geht. Die Amerikaner sprechen von ei-
nem Life Extension Program, also von einem Lebens-
verlängerungsprogramm für die Atomwaffen des Mo-
dells B61. Die Sozialdemokraten nennen es
Modernisierung, genauso die Linke; sie nimmt das aber
mit dem Hinweis, dass es sich gar nicht um eine Moder-
nisierung handelt, gleich wieder zurück und spricht lie-
ber von einer Neustationierung. Hinter diesen Begriffen
stehen natürlich ganz verschiedene Interpretationen. Sie
betonen vor allem, dass neue Fähigkeiten geschaffen
werden.


(Uta Zapf [SPD]: Werden auch! – Inge Höger [DIE LINKE]: Ist auch!)


– Sie sagen, es werden neue Fähigkeiten geschaffen.
Dem will ich grundsätzlich gar nicht widersprechen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja in Ordnung!)






Christoph Schnurr


(A) (C)



(D)(B)


Das ändert aber nichts daran, dass es auch für eine in ih-
ren Fähigkeiten veränderte Bombe und die europäischen
Trägersysteme nach wie vor keine Einsatzszenarien gibt;
ich jedenfalls sehe keine Panzerarmeen auf uns zurollen.

Deshalb ist es falsch, wenn die Linke behauptet –
Frau Höger, Sie haben das gerade noch einmal so darge-
stellt –, der Einsatz von Atomwaffen würde wahrschein-
licher. Es bleibt dabei: Die Atomwaffen, über die einige
unserer Partner verfügen, sind Waffen mit einem aus-
schließlich politischen Symbolwert.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Dann brauchen wir sie auch nicht!)


Auch an anderer Stelle verheddern Sie sich in Wider-
sprüchen: Einerseits fordern Sie, die Bundesregierung
solle im NATO-Rat gegen das amerikanische Programm
stimmen, andererseits behaupten Sie, die Bundesregie-
rung hätte sich mit den Plänen der USA schon ausdrück-
lich einverstanden erklärt und sich gleich auch noch ver-
pflichtet, den Tornado umzurüsten. Dabei vergessen Sie
aber, dass der Haushalt immer noch vom Parlament be-
schlossen wird. Angeblich wissen Sie auch darüber Be-
scheid, wie viel eine Umrüstung kosten würde.

Keine Frage – um das hier noch einmal ganz deutlich
zu sagen –: Von mir aus könnten die USA jederzeit auf
das Programm verzichten.


(Beifall der Abg. Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Prima! Dann können wir doch hier beschließen!)


Auch ich befürchte, dass dadurch der Abzug und die Re-
duzierung der Zahl der Atomwaffen erschwert werden.
Die Entscheidung über eine Verlängerung der Lebens-
dauer bzw. Modernisierung ist aber eine nationale Ent-
scheidung der Vereinigten Staaten, eine Entscheidung,
bei der das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, und
zwar aus mindestens drei Gründen:

Erstens laufen die Kosten bereits jetzt aus dem Ruder.
Aus ehemals geschätzten Kosten von 4 Milliarden Dol-
lar sind mittlerweile 10 Milliarden Dollar geworden. An-
gesichts der Haushaltslage in den Vereinigten Staaten ist
das für die Gegner des LEP sicher kein ganz schlechtes
Argument. Wir kennen das ja aus Deutschland: Nicht al-
les, was entwickelt wird, wird dann auch beschafft.

Zweitens hängt das Programm maßgeblich von der
weiteren Entwicklung der innenpolitischen Situation ab.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Bei uns oder in den USA?)


Drittens spielt die politische Großwetterlage eine ent-
scheidende Rolle, insbesondere die Entwicklung der Nu-
klearstrategie der USA und die Beziehungen zu Russ-
land. Präsident Obama hat bereits vor längerem
angekündigt, nach seiner Wiederwahl mit Russland ver-
handeln zu wollen und dabei auch die substrategischen
Atomwaffen einzubeziehen. Heute ist noch nicht abseh-
bar, wie diese Verhandlungen ausgehen werden und ob
die USA danach noch ein Interesse an der Modernisie-
rung der in Europa lagernden Waffen haben werden.

Auch wir sollten uns aber immer wieder ins Gedächt-
nis rufen, was eigentlich unsere sicherheitspolitischen
Interessen sind. Der Abzug der Atomwaffen ist nämlich
kein Selbstzweck. Es geht darum, mehr Sicherheit zu
schaffen – für uns und unsere Partner. Dafür müssen wir
in Staaten außerhalb der NATO Vertrauen aufbauen und
unsere Glaubwürdigkeit im Hinblick auf weltweite Ab-
rüstung stärken.

Wir brauchen aber auch ein stabiles transatlantisches
Bündnis. Wir müssen die Sorgen der anderen ernst neh-
men und die Lasten innerhalb der Gemeinschaft fair tei-
len.

Darum geht es, und darum halten wir an unserem Ziel
fest, gemeinsam mit unseren Partnern den Abzug der
Atomwaffen aus Deutschland und Europa zu beschlie-
ßen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720426100

Wir haben zu danken. – Nächste Rednerin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin
Frau Agnes Brugger. Bitte schön, Frau Kollegin Agnes
Brugger.


Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720426200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor drei

Jahren hat Schwarz-Gelb sich im Koalitionsvertrag das
Ziel gesetzt, den Abzug der in Deutschland stationierten
US-Atomwaffen in Angriff zu nehmen. Der Deutsche
Bundestag unterstützte dieses Ziel mit großer Mehrheit:
Er sprach sich in einem interfraktionellen Antrag klar für
ein atomwaffenfreies Deutschland aus.

Auch international waren bei der nuklearen Abrüs-
tung Fortschritte zu beobachten. Die Vision einer atom-
waffenfreien Welt war in aller Munde. Eigentlich also
beste Voraussetzungen dafür, die Gunst der Stunde zu
nutzen und die in Deutschland verbliebenen Relikte aus
dem Kalten Krieg endlich loszuwerden.

Doch Schwarz-Gelb wäre nicht Schwarz-Gelb, wenn
sie es nicht schaffen würden, durch Zwist, Zank und
Zoff historische Chancen für eine zukunftsorientierte
Politik verstreichen zu lassen. Wenn Außenminister und
Verteidigungsminister in einer so wichtigen außenpoliti-
schen Frage gegeneinander arbeiten und die Regierungs-
koalition so gespalten ist und am liebsten alles auf die
lange Merkel-Bank schiebt: Wie soll es da eigentlich ge-
lingen, andere Staaten in der NATO davon zu überzeu-
gen, dass die Zeit reif ist für eine neue Strategie, die auf
Atomwaffen in Deutschland verzichtet?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gestern, gleich nach dem Sieg Obamas bei den Präsi-
dentschaftswahlen, bekräftigte Außenminister Westerwelle
die Forderung nach neuen Impulsen bei der Abrüstung.
Ich begrüße es wirklich ausdrücklich, dass der Außen-
minister dieses Thema auf der Agenda hält. Doch daran,





Agnes Brugger


(A) (C)



(D)(B)


ob er sich damit durchsetzen kann, habe ich noch meine
Zweifel.


(Christoph Schnurr [FDP]: Aber er arbeitet daran!)


Da Minister de Maizière in den Verteidigungspoliti-
schen Richtlinien dieser schwarz-gelben Bundesregie-
rung die Bedeutung der nuklearen Abschreckung noch
einmal unterstreicht, frage ich mich schon, wie glaub-
würdig Außenminister Westerwelle


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)


eigentlich weltweit für eine atomwaffenfreie Welt und
nukleare Abrüstung werben kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Antwort bekamen wir auf dem letzten NATO-
Gipfel im Mai dieses Jahres präsentiert: Die NATO will,
solange es Atomwaffen gibt, eine nukleare Allianz blei-
ben. Ein Abzug der US-Atomwaffen ist nicht mehr in
Sicht. Im Gegenteil: Die USA wollen die in Deutschland
stationierten Waffen mit Milliarden modernisieren, da-
mit sie bis 2050 einsetzbar sind. Modernisierung und da-
mit Verbleib statt Abzug: Das ist die faule Frucht, die
diese Bundesregierung mit ihrer zwiespältigen Abrüs-
tungspolitik geerntet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutschlands Beteiligung – das muss man sich,
glaube ich, auch immer klarmachen – geht weit über die
bloße Duldung der Stationierung dieser menschenver-
achtenden Waffen auf deutschem Boden hinaus. Die
Bundeswehr selbst stellt Tornados und Soldatinnen und
Soldaten für einen möglichen Atomwaffeneinsatz zur
Verfügung.

Man muss sich auch klarmachen: Modernisierung der
Atombomben bedeutet zugleich auch Modernisierung
der Trägermittel. In Zeiten knapper Kassen bürdet
Schwarz-Gelb den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern
damit Millionensummen für eine ebenso gefährliche wie
überholte Militärdoktrin auf. Stellvertretend für unsere
grüne Fraktion kann ich Ihnen schon jetzt sagen: Diesen
sicherheitspolitischen Irrsinn machen wir definitiv nicht
mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sparen uns lieber die nukleare Teilhabe, als für das
abrüstungspolitische Fiasko von Schwarz-Gelb Millio-
nen von Euro in die Hand zu nehmen.

Aus den Reihen der CDU ist immer wieder zu hören,
die nukleare Teilhabe sichere uns den Einfluss in der
NATO, den wir für eine starke Abrüstungspolitik
bräuchten. Wie groß ihr abrüstungspolitischer Einfluss
in der NATO ist, hat die Bundesregierung auf dem letz-
ten NATO-Gipfel in Chicago gezeigt. Dessen Abschluss-
erklärung ist eine abrüstungspolitische Bankrotterklä-
rung.

Ich frage mich schon auch, welchen Einfluss die Bun-
desregierung den Atomwaffen in Deutschland angeblich

zu verdanken hat und geltend machen will, wenn sie
nicht einmal über die konkreten Modernisierungspläne
bezüglich der Waffen, die im eigenen Land liegen, infor-
miert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Den Beleg für diese Ahnungslosigkeit habe ich auch
schwarz auf weiß als Antwort auf meine schriftliche
Frage zu diesen Plänen. Der Kenntnisstand der Bundes-
regierung über die konkreten Modernisierungspläne liegt
offensichtlich sogar hinter dem zurück – so legt es die
Antwort nahe –, was man aus der Lektüre von US-Publi-
kationen erfahren kann und von offizieller Seite schon
bestätigt wurde. Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich
peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren von den Regierungsfrakti-
onen, ich wollte meine Rede eigentlich mit den Worten
beenden: Ersparen Sie uns das Gerede von Ihrem ver-
meintlichen Einfluss, den Sie mit der nuklearen Teilhabe
sichern wollen! – Da die Reden der CDU/CSU aber zu
Protokoll gegeben sind, schließe ich meine Rede mit: Er-
sparen Sie uns die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe!
Denn ich bin fest davon überzeugt: Nur damit wäre dem
abrüstungspolitischen Einfluss Deutschlands ein großer
Dienst erwiesen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720426300

Vielen Dank. – Der nächste Redner, Kollege

Dr. Wolfgang Götzer von der Fraktion der CDU/CSU,
kann nicht darauf reagieren, weil er seine Rede zu Pro-
tokoll gegeben hat1), sodass wir am Ende der Ausspra-
che sind.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/11323 und 17/11225 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Sie sind damit einverstanden; Widerspruch erhebt sich
nicht. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich komme zurück auf den Tagesordnungspunkt 14,
zu dem ich noch etwas bekannt geben möchte. Es gab
dazu eine Abstimmung über das Thema „Beendigungs-
gesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz“. Noch einmal zu dem
Votum der SPD: Es lautet Ja zur Beschlussempfehlung. –
Das ist nun auch festgehalten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll

1) Anlage 8





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen
über die Rechte des Kindes betreffend ein Mit-
teilungsverfahren

– Drucksache 17/10916 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 17/11392 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Miriam Gruß
Diana Golze
Ekin Deligöz

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben1). –
Sie sind damit einverstanden, sodass wir jetzt zur Ab-
stimmung kommen.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/11392, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 17/10916 anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, sich zu erheben. – Das sind alle Fraktionen. Vorsichts-
halber noch die Gegenprobe. Wer stimmt dagegen? –
Niemand. Enthaltungen? – Auch niemand. Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Konsequenzen aus der Havarie der MSC
Flaminia ziehen – EU-Notfallpläne und Ge-
fahrgutkontrollen im Seeverkehr überprüfen

– Drucksache 17/10819 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert
Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Europäisches Notfall- und Havariemanage-
ment wirksam und verbindlich weiterentwi-
ckeln

– Drucksache 17/11324 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Widerspruch erhebt
sich nicht.


Matthias Lietz (CDU):
Rede ID: ID1720426400

Der Unfall der „MSC Flaminia“ hatte bereits in den

Beratungen der Arbeitsgruppen und Ausschüsse einen
vordringlichen Stellenwert, und über ihn wurde dement-
sprechend auch viel diskutiert. Glücklicherweise ereilen
uns Unfälle wie dieser nicht regelmäßig. Sie müssen
aber vor allem aus diesem Grund vernünftig erörtert
und ausgewertet werden.

Während in diesem Zusammenhang das Notfallma-
nagement von einigen kritisiert und angezweifelt wurde,
komme ich persönlich zu dem Schluss, dass Deutschland
sein Können in dieser Krisensituation unter Beweis ge-
stellt hat. Ich bin froh und erleichtert, dass dieser Unfall
keinen schlimmeren Ausgang nahm, und kann den Ver-
antwortlichen und Beteiligten in diesem Sinne nur ein
großes Lob aussprechen.

Gleichzeitig zeigen konkrete Unfälle und Gefahren-
situationen auf, ob alles wie zuvor geplant eingehalten
und realisiert werden kann und ob im Falle des Falles
tatsächlich alles so abläuft, wie man es sich einst
dachte. Sicher ist eine Seenot, eine Havarie, immer ein
individueller Vorgang, der dementsprechend auch unter
Berücksichtigung der speziellen Faktoren und Gegeben-
heiten gesteuert und beurteilt werden muss. Allerdings
gibt es vor allem in unserem Land ausreichend recht-
liche Rahmenbedingungen, die für solche Situationen
konzipiert wurden. So war es im speziellen Fall auch
möglich, dass Deutschland seiner flaggenrechtlichen
Verantwortung, unter Berücksichtigung von maritimen
Umweltbelangen, vollumfänglich nachkommen konnte.

Nichtsdestotrotz spielen vor allem in internationalen
Gewässern zusätzliche Parameter eine Rolle. So spricht
die SPD in ihrem Antrag zu Recht einige wünschens-
werte Änderungsbedarfe hinsichtlich des Managements
der Notliegeplätze und Nothäfen an. Auch ich sehe ein
wochenlanges Umhergetreibe der „MSC Flaminia“ auf
hoher See kritisch. Aber ich möchte keinen deutschen
oder anderen europäischen Hafen zwingen, ein auf See
havariertes Schiff aufzunehmen, bevor überhaupt er-
sichtlich ist, welche Gefahren noch zu erwarten sind,
oder wenn gar von vornherein klar ist, dass der Hafen
mit der Aufnahme überfordert wäre und noch schlimme-
res Unheil drohen könnte. Wir alle wissen, dass das
Schiff trotz Experteneinschätzungen, nach denen es
keine Brandherde mehr geben dürfte, auch im JadeWe-
serPort nochmals Feuerwehreinsätze ausgelöst hatte.

Die Ausweisung eines geeigneten Notliegeplatzes ist
eine national zu entscheidende Frage und obliegt den je-
weiligen Behörden. Da Notliegeplätze, „sheltered areas“,
keine Liegeplätze am Kai sein müssen, sondern ebenso
individuell zu ermittelnde Orte, wie etwa Flussmündun-
gen, Buchten oder anderes sein können, halte ich eine
nationale Einschätzung auch weiterhin für sinnvoll. Ei-1) Anlage 9





Matthias Lietz


(A) (C)



(D)(B)


nem uneingeschränktem Recht, wie es die SPD-Fraktion
hier fordert, stehe ich deshalb kritisch gegenüber.

Es stellt sich die Frage, wie wir in solchen Notfällen
bestenfalls vorgehen. Im Falle der „MSC Flaminia“
sprechen wir sehr wahrscheinlich eine europäische Ant-
wort an. Schließlich ereignete sich der Unfall nicht etwa
auf dem Rhein, sondern im Nordatlantik. Hier müssen
viele internationale Kräfte zusammenspielen, um eine
reibungsfreie Lösung im Notfall herbeizuführen. Wäh-
rend die Kollegen von der SPD und der Linken offenbar
wieder einmal wissen, was es bestenfalls zu tun gilt,
halte ich es für äußerst sinnvoll, zunächst die Ergebnisse
der noch laufenden Sicherheitsuntersuchung abzuwar-
ten.

Die Tatsache, dass der Schleppverband am 9. Sep-
tember 2012 im JadeWeserPort einlaufen konnte, ohne
große Umweltverschmutzungen oder Schädigungen auf
See verursacht zu haben, ist ein glücklicher Umstand,
den wir vielen positiven Bedingungen zu verdanken ha-
ben. Die umweltgerechte Reinigung des Schiffes kann
bisweilen noch ein paar Wochen andauern und wird
nach Abschluss ebenso aufgearbeitet werden müssen
wie der komplette Havarie- und Rettungsvorgang.

Derzeit prüft die Bundesstelle für Seeunfalluntersu-
chungen, BSU, in Hamburg auf Grundlage der europäi-
schen Richtline 2009/18/EG den Fall der „MSC Flami-
nia“ bis ins kleinste Detail. Diese Untersuchungsstelle
ist unabhängig und weisungsfrei. Den noch ausstehen-
den Ergebnissen sollte daher auch keine Lösung voran-
gehen. Nach Abschluss der Untersuchungen wird der
Ergebnisbericht einschließlich Sicherheitsempfehlungen
veröffentlicht. Dieses Verfahren soll sicherstellen, dass
der maritime Sektor sich eigenständig mit den zu lösen-
den Problemen auseinandersetzen kann, um geeignete
Maßnahmen zur Vorbeugung weiterer Unglücksfälle
treffen zu können. Dabei muss natürlich auch geklärt
werden, welche Maßnahmen in der Zeit zwischen dem
Unfall am 14. Juli 2012 und dem Tag des formellen An-
trags an Deutschland zur Hilfestellung hätten getroffen
werden können. Ebenso wird gegenwärtig die Zusam-
menarbeit mit den europäischen Staaten sowie die Rolle
der Europäische Agentur für die Sicherheit des Seever-
kehrs, EMSA, ins Visier genommen.

Ich warne vor vorzeitigen Anträgen und Empfehlun-
gen. Ich glaube nicht, dass die Genossen von SPD und
Linken mit auf See waren und nun dazu befähigt sind,
eine intensive Vorabeinschätzung inklusive Lösungsan-
sätzen präzisieren zu können. Das sollten wir, bitte
schön, der verantwortlichen Behörde überlassen. Sonst
könnten wir die Gewaltenteilung ja gleich als hinfällig
betrachten. Ich glaube auch nicht, dass Schuldzuweisun-
gen und voreilige Schlüsse hier sachdienlich sind. Bis-
her haben wir aus gravierenden Schiffsunfällen immer
gelernt und bereits vieles verbessert.

Auch wenn die besagten Sicherheitsempfehlungen
keinen zwingenden Charakter haben, bin ich gern bereit,
mich auf Grundlage konkreter Ergebnisse über weiter-
gehende Maßnahmen oder über die Ausbesserung beste-
hender Regelungen zu unterhalten. Nichts anderes stre-
ben meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/

CSU-Bundestagsfraktion in dieser Sache an. Der Be-
richt ist also entscheidend für das weitere Prozedere und
sollte die Grundlage für jede weitere Antragslage sein.
Die Anträge der SPD-Bundestagsfraktion und der Bun-
destagsfraktion Die Linke sind dementsprechend abzu-
lehnen.


Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1720426500

Großartige Triumphe und tragische Unfälle liegen

manchmal sehr eng beieinander. Die Einweihung des
JadeWeserPorts in Wilhelmshaven am 21. September
war nicht nur für meinen Wahlkreis, nicht nur für Nie-
dersachsen, sondern für ganz Deutschland ein großer
Tag. Ingenieurleistung und politische Entschlossenheit
haben unserem Land ein einzigartiges Tor zur Welt be-
schert; Deutschlands einzigen Tiefwasserhafen.

Schon zwölf Tage vor der offiziellen Eröffnung des
JadeWeserPorts war die „MSC Flaminia“ in den Hafen
geschleppt worden. Am 14. Juli 2012 war es während ei-
ner Fahrt von Charleston nach Antwerpen auf dem Con-
tainerfrachter zu einem Brand im Laderaum 4 gekom-
men. Bei den anschließenden Versuchen, das Feuer zu
löschen, kam es zu einer weiteren Explosion. Das Un-
glück ereignete sich zwischen Kanada und Großbritan-
nien – rund 1 000 Seemeilen vom Festland entfernt.

Ich möchte an dieser Stelle des Ersten Offiziers, der
bei diesem schrecklichen Unfall sein Leben verlor, und
des Seemanns, der seit der Katastrophe vermisst wird,
gedenken.

Wegen der an Bord befindlichen Gefahrgutcontainer
erhielt der Schleppzug mit der „MSC Flaminia“ keine
Genehmigung, in Irland, Großbritannien, Frankreich
oder Spanien ein wettergeschütztes küstennahes Gebiet
oder einen Nothafen anzulaufen.

Aber auch bei uns gab es verantwortungslose Äuße-
rungen. Von berufsmäßigen Angstmachern wurde der
havarierte Containerfrachter als „Wrack“ oder gar
„Giftschiff“ bezeichnet. Ein SPD-Politiker fühlte sich
sogar dazu bemüßigt, davor zu warnen, dass das Wat-
tenmeer zu einer „Müllkippe für havarierte Frachter“
verkommt. Diese Kräfte stellen sich nicht der Verant-
wortung, sondern versuchen, in einem schmutzigen, ver-
abscheuungswürdigen Spiel mit den Sorgen der Bevöl-
kerung politisches Kapital aus diesem tragischen Unfall
zu schlagen. Das ist nicht mehr zu unterbieten!

Diesen Kräften fehlt jedes Gefühl für Verantwortung.
Sie ignorieren nicht nur, dass das Schiff unter deutscher
Flagge fährt und Deutschland daher auch Verantwor-
tung übernehmen muss. Nein, man gaukelt den Men-
schen auch vor, das schwer beschädigte Schiff sei auf
See besser aufgehoben. Dabei steigt das Risiko einer
Umweltkatastrophe mit jedem Tag auf See.

Profis haben die „MSC Flaminia“ dann doch sicher
in den JadeWeserPort geschleppt. Das Havariekom-
mando in Cuxhaven und die anderen beteiligten Behör-
den haben bislang eine hervorragende Arbeit geleistet.
Das Schiff ist in Wilhelmshaven in besten Händen. Mitt-
lerweile wurden alle Container, in denen Glutnester
schwelten, von Bord gebracht. Das Havariekommando

Zu Protokoll gegebene Reden





Hans-Werner Kammer


(A) (C)



(D)(B)


wird daher schon in dieser Woche die Einsatzleitung ab-
geben. Mein Dank geht nach Cuxhaven für die großar-
tige Koordination der Bergung des Havaristen!

Heute liegen uns zwei Anträge der Opposition vor, die
Konsequenzen aus der Havarie der „Flaminia“ anmah-
nen. Die Forderung nach einer Überarbeitung der EU-
Nothafenpläne kann ich nur unterstützen. In der Tat ist
es nicht hinnehmbar, dass ein Schiff auf hoher See ver-
bleiben muss, weil kein nahegelegener Küstenstaat Ver-
antwortung übernehmen möchte. Europa basiert auf So-
lidarität. Das muss auch für havarierte Schiffe gelten.

Unser Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer
ist längst tätig geworden. Auf europäischer Ebene hat
Deutschland bereits eine Diskussion über das Nothafen-
konzept angestoßen. Die Koalition kann und wird es
nicht hinnehmen, dass sich Staaten mit geeigneten Not-
häfen aus der Verantwortung stehlen können.

Sobald die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung
den Unfallhergang vollständig ausgewertet hat, muss
das Thema auch auf der Ebene der Internationalen Ma-
ritimen Organisation angesprochen werden. Beschä-
digte Schiffe müssen schnell geborgen werden – egal vor
wessen Küste sie sich befinden!

Es ist gut, zu wissen, dass die Opposition uns dabei
unterstützt – auch wenn sie mit diesem Anliegen offene
Türen einrennt. Etwas anders sieht es bei einer anderen
Forderung der beiden Anträge aus. Die deutliche Aus-
weitung von Meldepflichten für Gefahrgüter sehe ich
skeptisch.

Schon heute gelten strenge Sicherheitsbestimmungen.
Diese regeln nicht nur die Verpackung von Gefahrgut,
sondern auch, wie die Container mit Gefahrgut an Bord
verstaut werden. Sicherheitsabstände zwischen solchen
Containern sind ebenso vorgeschrieben wie die klare
Kennzeichnung der Container selbst. Anhand von La-
dungslisten und Stauplänen lässt sich nachvollziehen,
wie viele Gefahrgutcontainer an Bord sind und wo sich
diese befinden. Die Vorschriften sind also eindeutig.
Werden Schiffsunglücke durch noch mehr Regeln verhin-
dert? Nein. Finden Havaristen dadurch schneller einen
Notliegeplatz? Bedauerlicherweise auch nicht.

Ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass wir es mit
einem Vollzugsdefizit zu tun haben. Der Verband der
Deutschen Reeder geht davon aus, dass es insbesondere
in Asien häufig zu Falschdeklarationen kommt. Die Ree-
der und Schiffsbesatzungen selbst können nicht sicher-
stellen, dass die Container korrekt gekennzeichnet sind.
Die Kontrollen müssen durch Zollbehörden in den Häfen
vor Ort erfolgen. In Deutschland selbst sehe ich hier
derzeit keinen Handlungsbedarf.

Natürlich wird Deutschland weiter auf eine konse-
quente Beachtung der geltenden Regeln auf internatio-
naler Ebene drängen. Aber machen wir uns nichts vor:
Unser Fokus muss darauf liegen, havarierte Schiffe
schnell zu bergen. Havaristen gehören nicht auf hohe
See, sondern in sichere Häfen.

Ich denke, wir sind daher gut beraten, zunächst den
Bericht der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung ab-

zuwarten. Die dortigen Experten werden die Ursachen
und Begleitumstände der „Flaminia“-Havarie bis ins
letzte Detail durchleuchten. Die Koalition wird dann die
erforderlichen Konsequenzen sofort ziehen. Blinden Ak-
tionismus – wie diese Anträge – lehnen wir aber ab.


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1720426600

Das Risiko fährt mit. Das zeigt der Fall des im

Nordatlantik verunglückten Containerfrachters „MSC
Flaminia“. Der wachsende Schiffsverkehr in Nord- und
Ostsee bedeutet auch ein steigendes Gefahrenpotenzial
für Meere und Küsten, und mit der Dynamik des Contai-
nerverkehrs rücken die Transportrisiken beim Seever-
sand von Gefahrgut stärker in den Blick.

Auf Seeschiffen, die gefährliche Ladung befördern,
stellen Feuer, Leckagen und Schiffsunfälle ein besonde-
res Risiko dar und stellen Reederei und Besatzung vor
große Herausforderungen. Das rasche Aufsuchen eines
Notliegeplatzes kann wesentlich zum Erfolg des Unfall-
managements beitragen.

Doch im Falle der unter deutscher Flagge fahrenden
„MSC Flaminia“ war lange Zeit kein rettender Hafen in
Sicht. Erst nach wochenlanger Irrfahrt durch den Nord-
atlantik und einem heftigen Streit unter den Anrainer-
staaten wurde schließlich die Bundesrepublik Deutsch-
land als Flaggenstaat aktiv, und das verunglückte Schiff
konnte unter Koordination des Havariekommandos von
Schleppern durch den Ärmelkanal über das zum Welt-
naturerbe zählende Wattenmeer zum JadeWeserPort ge-
bracht werden; im Tiefwasserhafen wurden jetzt die be-
schädigten Container und das mit Giftstoffen belastete
restliche Löschwasser entsorgt. Die Arbeiten an dem
Schiff werden aber noch Wochen andauern, wie das Ha-
variekommando erst gestern mitgeteilt hat.

Trotz aller Anstrengungen, die Sicherheit im Seeverkehr
zu verbessern, zeigt das Beispiel der „MSC Flaminia“: Es
besteht Handlungsbedarf. Wir brauchen mehr Rechts-
sicherheit und Rechtsklarheit in künftigen Krisensituati-
onen. Zu prüfen sind zum einen die bestehenden Notfall-
konzepte auf EU-Ebene, zum anderen die aktuellen
Sicherheitsvorkehrungen für den Gefahrguttransport.
Notwendig sind praxistaugliche Vereinbarungen für
Seenot-Fälle.

Seit Jahren fordern Experten die Bereitstellung von
sicheren Häfen oder Notliegeplätzen, in denen hava-
rierte Schiffe Zuflucht finden können. Die Erfahrung
bisheriger Havarien hat gezeigt, dass bei rechtzeitiger
Zuweisung eines Notliegeplatzes die Folgen für die Um-
welt und damit auch die finanziellen Folgeschäden weit-
aus weniger gravierend gewesen wären. Denn das An-
landen in einem sicheren Hafen erlaubt es, effektivere
Hilfe zu organisieren, als dies auf See möglich wäre.

Erste Versuche zur Regelung internationaler Sorg-
falts- und Verfahrenspflichten bei der Zuweisung solcher
Notliegeplätze wurden als Reaktion auf die Havarie des
Frachters „Pallas“ 1998 und den Unfall der Tanker
„Erika“ und „Prestige“ in den Jahren 1999 und 2002
unternommen. Mit drei Gesetzgebungspaketen hat die
EU seither dafür gesorgt, dass die Sicherheitsstandards

Zu Protokoll gegebene Reden





Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


im europäischen Seeverkehr erheblich erhöht worden
sind. Nach der Havarie der „MSC Flaminia“ stellt sich
jedoch die Frage, ob dies ausreichend war.

Die EU-Bestimmungen schreiben den Mitgliedstaaten
zwar Notfallpläne und das Vorgehen in einer Krisensitua-
tion vor. Das uneingeschränkte Recht, einen Nothafen
anlaufen zu dürfen, ist jedoch weder in internationalen
Übereinkommen noch im EU-Recht oder in nationalen
Regelungen niedergelegt. Gemäß den EU-Richtlinien
und den Vorgaben der International Maritime Organiza-
tion hat der betreffende Mitgliedstaat, zu dessen Notlie-
geplatz ein havariertes Schiff Zugang erbittet, eine um-
fassende Interessenabwägung zu treffen. Der Zugang
darf nur verwehrt werden, wenn die Gefahren durch ein
Einlaufen des Unglücksschiffes größer wären als bei ei-
nem Verbleib auf See.

Gleichwohl sehen die EU-Vorgaben keine ausdrückli-
che Ausweisung von Notliegeplätzen vor; diese obliegt
einer Einzelfallentscheidung der jeweiligen nationalen
Behörde. Unkalkulierbare Risiken und ein Containerter-
minal im Industriegebiet: Mit diesem Argument hat denn
auch beispielsweise Frankreich die Aufnahme des
Frachters im Hafen von Le Havre abgelehnt. Die Benen-
nung eines Nothafens hilft aber nur dann, wenn dieser
im Notfall auch tatsächlich angelaufen werden kann.

Die Abweisung eines havarierten Schiffes durch An-
rainerstaaten beruht häufig auf fehlenden Informatio-
nen, mangelnder Kooperation der betroffenen Staaten
und einem schlechten Krisenmanagement. Wir als SPD-
Bundestagsfraktion fordern daher, die Regeln für die
Verbringung havarierter Schiffe in geeignete Nothäfen
und Notliegeplätze zu überprüfen. Dies betrifft insbe-
sondere die Kriterien für die Festlegung des auszuwei-
senden Nothafens bzw. dessen Beschaffenheit und Aus-
rüstung mit Sicherheitsvorkehrungen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die
Partnerländer über ausreichende Informationen über
die sicheren Häfen verfügen. Dazu sollte das gemein-
schaftliche Überwachungs- und Informationssystem für
den Schiffsverkehr fortentwickelt werden, wobei die na-
tionalstaatlichen Kompetenzen zu berücksichtigen sind.
Es muss sichergestellt sein, dass Schiffe in Not die
nächstgelegenen und am besten geeigneten Nothäfen
oder Notliegeplätze schnellstmöglich anlaufen können.

Die Bergung der „MSC Flaminia“ wird nach aktuel-
ler Einschätzung bis zum Jahresende dauern. Das Schiff
hatte mehr als 2 800 Container geladen, davon enthiel-
ten rund 150 Gefahrgut. Der Anteil der Gefahrgüter am
gesamten Güteraufkommen im Seeverkehr beträgt nach
Schätzung von Experten rund 30 Prozent; bei den Con-
tainerlinienverkehren sind es demnach zwischen 15 und
20 Prozent. Die International Maritime Organization,
IMO, hat auf den wachsenden Trend zur Containerisie-
rung reagiert und die international geltenden Vorschrif-
ten kontinuierlich angepasst. Sie regeln verbindlich, wie
der Transport von Gefahrgut auf Containerschiffen zu
erfolgen hat. So sind denn auch keine Unfälle bekannt,
die auf fehlende Vorschriften zurückzuführen wären.

Das Problem ist vielmehr die Nichtbeachtung bzw.
die falsche Anwendung der Bestimmungen. Immer wie-
der wird Gefahrgut, ob nun aus Unwissen oder absicht-
lich, von den Versendern falsch oder unzureichend de-
klariert und dann verschifft. Ein Großteil von Unfällen
und Vorkommnissen mit Ladung jeglicher Art ist auf die
falsche Deklaration der Waren zurückzuführen – eine
Problematik, die insbesondere Gefahrguttransporte aus
Asien betrifft.

Notwendig sind verlässliche Informationen über Vor-
fälle mit gefährlichen Gütern und ein Höchstmaß an
Transparenz, um die Risiken beim Transport verpackter
gefährlicher Güter zu minimieren. Die SPD-Bundes-
tagsfraktion hat dazu eine Reihe von Vorschlägen auf
den Tisch gelegt.

Sinnvoll ist aus unserer Sicht eine Meldepflicht für
nicht ausreichend oder falsch deklariertes Gefahrgut
und eine zentrale Datenbank, um den Informationszu-
gang und -austausch zwischen den nationalen Behörden
zu erleichtern. Denkbar sind auch gemeinsame Kontrol-
len der Seefracht durch die für Gefahrgut zuständigen
nationalen Behörden und die Zollverwaltungen. Zu dis-
kutieren ist darüber hinaus, ob nach dem Vorbild des
Luftverkehrs ein neuer Status „bekannter Versender“
einzuführen ist, um eine sichere Lieferkette auf See zu
gewährleisten.

Bei der Erstellung der sogenannten schwarzen Listen
von Schiffen, die im Zuge der Hafenstaatkontrolle durch
Sicherheitsmängel aufgefallen sind, sollten künftig auch
unzuverlässige Versender berücksichtigt werden. Dies
sind konkrete Vorschläge, die an bestehende Vorschrif-
ten anknüpfen und diese fortentwickeln.

Wir brauchen möglichst einheitliche und weltweit an-
erkannte Standards für den Gütertransport auf See und
das Notfallmanagement, damit wir sagen können: mit
Sicherheit kein Risiko.


Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1720426700

Als ich Mitte Juli des Jahres von dem Brand auf ei-

nem deutschen Containerschiff mitten auf dem Atlantik
zum ersten Mal hörte, habe ich mir zunächst nicht viel
dabei gedacht. Na ja, dachte ich, so etwas passiert lei-
der mal; aber sicherlich wird die Besatzung den Brand
bald gelöscht haben, und dann wird das Schiff seine
Reise in einen sicheren Hafen fortsetzen, um sich dort ei-
ner Unfalluntersuchung zu unterziehen.

Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass
diese Meldung der Auftakt zu einer wochenlangen Odys-
see ist, an dessen Ende das letzte Glutnest erst Ende Ok-
tober dieses Jahres gelöscht werden konnte – und das
Ganze auch noch in einem Hafen, dem neuen JadeWe-
serPort, der zum Zeitpunkt der Verbringung der „MSC
Flaminia“ noch nicht einmal in Betrieb war. Das wirkt
manchmal wie ein Stück aus dem Tollhaus und hat auch
mich fassungslos gemacht. Vielleicht könnte man sich
sogar darüber amüsieren, wenn nicht zwei Menschen
bei der Katastrophe zu Tode gekommen wären, einer
nach wie vor vermisst wäre und die Fahrt nach Wil-
helmshaven nicht durch das sensible Ökosystem Watten-

Zu Protokoll gegebene Reden





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


meer geführt hätte, mit allen damit verbundenen Umwel-
trisiken.

Ich teile durchaus die Intention, die hinter Ihren An-
trägen steckt, nämlich dass sich alle Beteiligten einmal
Gedanken darüber machen müssen, wie ein solches kol-
lektives Durcheinander fast aller europäischen Partner
in Zukunft unterbunden werden kann. Dass Ihre Anträge
hierfür eine große Hilfe sind, will ich dann allerdings
doch infrage stellen.

Aus meiner Sicht geht es jetzt um zweierlei Sachen:

Erstens steht die eigentliche Unfalluntersuchung im
Mittelpunkt. Es muss herausgefunden werden, was die
Ursachen der Katastrophe auf der „MSC Flaminia“ wa-
ren, um anschließend Konsequenzen für mehr Sicherheit
an Bord ziehen zu können. Hierzu werden wir aber in
Ruhe die weiteren Untersuchungen, die die BSU bereits
aufgenommen hat, abwarten und dann die Ergebnisse
auswerten müssen.

Zweitens muss uns aber auch die Frage beschäftigen,
warum es so lange gedauert hat, bis sich ein sicherer
Notfallhafen gefunden hat, in den die „MSC Flaminia“
verbracht werden konnte. Hier sind durch verschiedene
EU-Richtlinien – 2002/59/EG und 2009/17/EG – die Mit-
gliedsländer dazu angehalten, entsprechende Notfall-
pläne zu entwickeln. An diesem Unglück ist aber deutlich
geworden, dass dieses offenkundig noch nicht so rei-
bungslos läuft, wie es laufen müsste. In diesem Punkt lie-
fert der Antrag der SPD durchaus gute Ansätze.

Aus meiner persönlichen Sicht sollte es eine Selbst-
verständlichkeit sein, dass ein havariertes oder in die-
sem Falle brennendes Schiff ohne bürokratischen Auf-
wand sofort den nächstgelegenen Hafen anlaufen kann,
um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für diese Selbstver-
ständlichkeit bedarf es eigentlich keiner zusätzlichen
Regelungen, sondern nur der Anwendung der auf See im
Rahmen der International Convention for the Safety of
Life at Sea, SOLAS, gültigen Regeln.

Die Forderung von Linken und Grünen nach dem
Aufbau einer gemeinsamen Küstenwache, verbunden
mit der Abgabe nationaler Kompetenzen an die EMSA,
teile ich nicht. Wichtiger ist mir, die Bestrebungen einer
nationalen Küstenwache mit der Integration der am ma-
ritimen Geschehen beteiligten Ministerien und Länder-
kompetenzen voranzubringen.

Ich freue mich, wenn es uns gelingt, im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen weitere Erkenntnisse zu
gewinnen und vielleicht auch die eine oder andere kon-
struktive Idee für eine Verbesserung des Notfallmanage-
ments zu entwickeln.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720426800

In den letzten Wochen und Monaten hat uns die Odys-

see der „MSC Flaminia“ stark beschäftigt. Es geht um
ein Containerschiff unter deutscher Flagge, auf dem es
am 14. Juli mitten auf dem Atlantik aus noch immer un-
bekannten Gründen zu einem Brand und zu heftigen Ex-
plosionen kam, bei denen mehrere Menschen starben
und weitere schwer verletzt wurden. Unter der Ladung

befanden sich über 150 teils hochgefährliche Gefahrgut-
container. Obwohl wenige Tage später bereits Not-
schlepper vor Ort waren und den Containerfrachter in
Schlepp nahmen, begann eine wochenlange Irrfahrt
über den Nordostatlantik. Nach Angabe der Reederei
und des Bergungsunternehmens erhielten sie über einen
Monat keine Genehmigung für das Einlaufen in einen
europäischen Nothafen. Als sie sich schließlich an
Deutschland als Flaggenstaat wendeten, dauerte es
nochmal drei Wochen, bis die „MSC Flaminia“ letztlich
in den JadeWeserPort geschleppt werden konnte. Wir
können und dürfen es nicht akzeptieren, dass ein Hava-
rist fast zwei Monate auf den Weltmeeren umherirrt, bis
er letztlich einen sicheren Hafen anlaufen kann, weil
sich keiner zuständig fühlt.

Nach der Übertragung der Gesamteinsatzleitung an
das Havariekommando wurde das weitere Notfall-
management den Berichten zufolge sehr professionell
weitergeführt. Nachdem nun „die heißen Container“
entladen und der Einsatz heute Morgen beendet worden
waren, möchten wir uns an dieser Stelle ausdrücklich
bei dem Leiter, Herrn Monsees, und seinem Team für die
geleistete Arbeit bedanken.

Doch sind noch viele Fragen offen. Warum hat
Deutschland zum Beispiel als zuständiger Flaggenstaat
erst nach über einem Monat auf Anruf reagiert und nicht
eigeninitiativ durch frühzeitige diplomatische Bemühun-
gen eine schnelle Lösung erwirkt? Hätte Deutschland
anders reagiert, wenn die „MSC Flaminia“ nicht unter
deutscher Flagge gefahren wäre? Warum ist vier Mo-
nate nach der Havarie die Brandursache eigentlich im-
mer noch ungeklärt, trotz intensivster Untersuchungen?

Unsere Sicherheitsstandards im Seeverkehr wurden
leider immer erst nach großen Katastrophen weiterent-
wickelt. Die großen Havarien der „Pallas“ 1998, der
„Erika“ 1999 und der „Prestige“ 2002 waren die Aus-
löser für eine entsprechende EU-Gesetzgebung. 2003
und 2004 sind die Vorschriften der Erika-I+II-Pakete in
Kraft getreten, in dem verschärfte Rechtsvorschriften
vereinbart und unter anderem die Europäische Agentur
für die Sicherheit des Seeverkehrs, EMSA, gegründet
wurde. Bei uns wurde in diesem Zuge das Havariekom-
mando eingerichtet. Das dritte Erika-Paket wurde
schließlich bis 2009 verhandelt. Danach sollte unter an-
derem für die Aufnahme von Schiffen in Seenot an Not-
liegeplätzen die Unabhängigkeit der Entscheidungen
garantiert werden. Doch bis heute gibt es kein uneinge-
schränktes Recht zum Anlauf in einen Notliegeplatz für
havarierte Schiffe; denn es gibt eine gravierende Rege-
lungslücke. Nach geltendem Recht hat der Staat, zu des-
sen Notliegeplatz das havarierte Schiff Zugang erbittet,
eine Abwägung zwischen den Gefahren durch ein Ein-
laufen des Havaristen in den Hafen und dem Verbleib
des Schiffes auf See zu treffen. Nur wenn das Risiko ei-
nes Einlaufens größer ist, darf der Zugang zu einem
Notliegeplatz verwehrt werden. Grundsätzlich dürfen
Umweltrisiken aber nicht durch Abweisung eines Schif-
fes in ein anderes Gebiet verlagert werden.

Nach Aussage des Reeders verweigerten zum Beispiel
Spanien, Frankreich, Großbritannien und Irland der

Zu Protokoll gegebene Reden





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


„MSC Flaminia“ einen solchen Notliegeplatz. Die euro-
päischen Vereinbarungen gelten auch nur innerhalb der
Hoheitsgewässer der EU-Mitgliedstaaten. Doch die Ha-
varie hat sich nun mal auf dem freien Ozean ereignet.
Nach den bisherigen Unglücken hat man sich auf die
Folgen von Chemie- und Ölunfällen vor der Küste kon-
zentriert, dabei aber nicht über den Teller- oder Küsten-
rand der Hoheitsgewässer hinaus auf den Ozean ge-
schaut.

Wir haben Ihnen dazu einen Antrag vorgelegt, der im
September fast wortgleich als Drucksache 16/5187 von
SPD, Linke und Grünen im Landtag Niedersachsen ein-
gebracht wurde. In dieser Frage sollten wir fraktions-
übergreifend zusammenarbeiten. Dem SPD-Antrag wer-
den wir zwar zustimmen, jedoch gehen unsere
Vorschläge wesentlich weiter: Wir fordern nicht nur die
Aufklärung der Umstände, sondern ein verbindliches
und wirksames Schiffssicherheitskonzept inklusive Not-
hafenkonzept im EU-Recht und im internationalen
Recht. Während wir eine konkrete Eingriffskompetenz
der EU bei größeren Schiffshavarien fordern und dazu
die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seever-
kehrs, EMSA, zu einer koordinierenden, gemeinsamen
Küstenwache weiterentwickeln wollen, sollen nach dem
SPD-Antrag die Zuständigkeiten und Richtlinien be-
wahrt und nur richtig angewendet, die Rolle der EMSA
lediglich geprüft werden. Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, da waren Sie in Niedersachsen
schon einmal weiter, und daran wollen wir Sie mit unse-
rem vorgelegten Antrag erinnern.

Eine gemeinsame Küstenwache ist ja auch im Koali-
tionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zumindest
auf nationaler Ebene vereinbart worden. Doch diese
Pläne sind im letzten Sommer an Kompetenzstreitigkei-
ten zwischen den Ressorts gescheitert. Damit bleibt ein
Wirrwarr von verschiedenen Landes- und Bundesbehör-
den, die sich um die Sicherheit vor unseren Küsten küm-
mern. Wir denken hier nicht national, sondern gleich eu-
ropäisch und wollen daher die EMSA zu einer solchen
gemeinsamen Küstenwache weiterentwickeln, wobei
hierbei natürlich das Havariekommando eingebunden
werden soll.

Diese europäische Küstenwache soll sich allein auf
die Verhinderung von Schiffshavarien und entsprechende
Notfallkonzepte konzentrieren. Die bisherige Verknüp-
fung mit der Einrichtung eines Europäischen Grenz-
überwachungssystems sowie der Europäischen Agentur
für die operative Zusammenarbeit an den Außengren-
zen, Frontex, lehnen wir ausdrücklich ab. Diese Pro-
bleme können nur durch Bekämpfung der Migrations-
ursachen und nicht der Migranten gelöst werden.

Wir fordern Sie auf, heute mit unserem Antrag einer
wirksamen und verbindlichen Weiterentwicklung des eu-
ropäischen Notfall- und Havariemanagement zuzustim-
men. Wir brauchen europäische Regelungen, die ver-
bindliche und schnelle Lösungen einer Havarie
gewährleisten können, damit sich ein solcher Vorfall mit
einer solchen monatelangen Hängepartie nicht wieder-
holen darf. Wir fordern die Bundesregierung auf, in der
EU umgehend ein neues Erika-IV-Paket mit einem ver-

bindlichen europäischen Seesicherheitssystem einzu-
bringen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720426900

Im Juli dieses Jahres ist der Containerfrachter „MSC

Flaminia“ im Atlantik, circa 1 800 Kilometer bzw.
1 000 Seemeilen vor der europäischen Küste, havariert.
Nach Explosionen und Feuer an Bord gab es Tote, meh-
rere Verletzte und anschließend monatelange Kompe-
tenzstreitigkeiten europäischer Behörden. Die Bergung
des Schiffes entwickelte sich zu einer Odyssee entlang
der europäischen Küsten. Niemand wollte das Schiff in
seinen Hafen lassen, bis es schließlich in Wilhelmshaven
geborgen werden konnte.

Enormes Risiko ging von dem sehr schweren Seeun-
fall aus. Gefahr bestand während bzw. nach dem Unfall
nicht nur für die Besatzung, sondern auch für die Mee-
resumwelt. Zu jeder Zeit ging vom an Bord befindlichen
Schweröl und von der Ladung auch eine Bedrohung für
den Fischbestand aus. Die Ladung an Bord enthielt auch
151 deklarierte Gefahrgüter, von denen einige wohl
auch als Brandbeschleuniger gewirkt haben. Aufgrund
der großen Gefahren, die von dem Wrack ausgingen,
hieß es daher längere Zeit in Überschriften der deut-
schen Presse: „Giftige Irrfahrt der brennenden ,MSC
Flaminia‘“, „Zeit Online“ vom 31. August 2012, und
„Reederei schweigt zu ‚Flaminia‘-Gefahrstoffen“,
„Spiegel Online“ vom 10. September 2012.

Die Havarie hat gezeigt, dass sowohl die Nothafen-
regelung der EU als auch die Kompetenzen der Europäi-
schen Maritimen Sicherheitsagentur EMSA deutlich
nachgebessert werden müssen. Ich finde es sehr schade,
dass es immer erst einen schweren Seeunfall geben
muss, bevor gesetzliche Regelungen angepasst werden.
Ich habe noch zu sehr das Bild vor Augen von ver-
schmutzten Stränden, ölverklebten Meerestieren und
Strandvögeln in Nordspanien und Südwestfrankreich in
den Jahren 2000 und 2002. Verantwortlich dafür waren
die verheerenden Seeunfälle der beiden Öltanker
„Erika“ und „Prestige“.

Die EU hat daraufhin zwar relativ schnell Hand-
lungsbereitschaft gezeigt, in der europäischen mariti-
men Sicherheit nachzubessern. Zu viel lag im Argen und
zu sehr waren die Kompetenzen zerstreut, sodass ein ra-
sches Eingreifen nicht gewährleistet war. Daher kamen
auf EU-Ebene insgesamt drei Gesetzespakete – Erika I,
II und III – zustande, und die Europäische Maritime Si-
cherheitsagentur EMSA wurde aus der Taufe gehoben.
Seither müssen Öltanker zwei Außenwände haben. Dass
die relativ zügig umgesetzten Regelwerke jedoch an ver-
schiedenen Punkten nicht konsequent umgesetzt worden
sind, zeigt sich jetzt wieder anhand der Havarie der
„MSC Flaminia“.

Das derzeitige europäische Nothafenkonzept, so
wichtig es ist, verpflichtet die Staaten der Europäischen
Union derzeit leider weder zu Koordination noch zu Ko-
operation. Dadurch ist es leider so, dass schwer hava-
rierte Schiffe von verschiedenen EU-Mitgliedstaaten ab-
gewiesen werden können, selbst wenn sie dringend Hilfe
benötigten und geborgen werden müssten. Dies hat das

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


Containerschiff „MSC Flaminia“ im Juli bzw. August
2012 leidvoll erfahren müssen. Das Nothafenkonzept hat
versagt.

Daher muss nach unserer Auffassung dringend eine
Anpassung der einschlägigen EU-Richtlinie erfolgen.
Außerdem muss die Europäische Maritime Sicherheits-
agentur EMSA dringend weitere operative Befugnisse
bekommen: Notliegeplätze für havarierte Schiffe müssen
von ihr europaweit zugewiesen werden können, um die
Gefahr, die von einem verunfallten Schiff ausgeht,
schnellstmöglich zu bannen. Meist ist in einem Hafen
bzw. in Hafennähe die Gefahr, die von einem solchen
Schiff ausgeht, leichter zu bannen als auf hoher See. Auf
hoher See wirken durch Wind und Wellen starke Kräfte
auf das Schiff ein. Dadurch können das Schiff weiter de-
stabilisiert und das Gefahrenpotenzial unnötig erhöht
werden.

Dass Deutschland nach Anfrage des Frachters „MSC
Flaminia“ Hilfe zugesagt hat, ist vor allem dem Hava-
riekommando des Bundes und der Küstenländer zu ver-
danken. Das Schiff fuhr unter deutscher Flagge; daher
war Deutschland die letzte Rettung. Nicht auszudenken,
wie lange die Odyssee des Wracks noch gedauert hätte,
wäre es unter der Flagge eines außereuropäischen Staa-
tes unterwegs gewesen.

Hier liegt ein Schwachpunkt im ergänzend einge-
brachten Antrag der Linken, in dem Sie gleich eine euro-
päische Küstenwache fordern. Das schaffen wir ja nicht
mal in Deutschland aufgrund unserer zersplitterten Zu-
ständigkeiten. In Europa sind die Zuständigkeiten in den
einzelnen Mitgliedstaaten noch viel komplexer über die
einzelnen Mitgliedstaaten verteilt. Viel effektiver ist aus
unserer Sicht, der bestehenden Europäischen Maritimen
Sicherheitsagentur EMSA nach und nach mehr Kompe-
tenzen zu übertragen. Dies ist trotz verschiedener Geset-
zespakete seit rund zehn Jahren versäumt worden.

Der Antrag der SPD geht unserer Auffassung nach
nicht weit genug. Es geht Ihnen nur darum, Sachverhalte
und Änderungen an bestehenden Richtlinien „zu prü-
fen“. Hätte die Prüfung zum Ergebnis, alles solle blei-
ben wie bisher, würden Sie dann auch das mittragen?
Dies wäre fahrlässig, sowohl für die Besatzungen auf
den Schiffen und für die Meeresumwelt als auch für die
europäische Küste.

Die Havarie des Motorschiffs „MSC Flaminia“ for-
dert zum Handeln auf. Die Bundesregierung muss nun
auf europäischer Ebene tätig werden und versuchen, Än-
derungen herbeizuführen. Es bleiben dabei zunächst die
Ergebnisse der noch andauernden Seeunfallunter-
suchungen abzuwarten. Dann müssen die richtigen
Schlüsse gezogen werden, wie es zukünftig in Europa mit
der Sicherheit auf den Meeren weitergehen soll. Hier
sind die EU-Mitgliedstaaten am Zuge, also auch die
deutsche Bundesregierung. Bisher war von der schwarz-
gelben Regierung im Bereich der maritimen Politik we-
nig zu erwarten. Aber ich lasse mich gerne überraschen
und freue mich über konstruktive Vorschläge.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720427000

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 17/10819 und 17/11324 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
– Sie sind alle damit einverstanden; Widerspruch erhebt
sich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/
2012 zur Festlegung der technischen Vor-
schriften und der Geschäftsanforderungen für
Überweisungen und Lastschriften in Euro und
zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/
2009 (SEPA-Begleitgesetz)


– Drucksachen 17/10038, 17/10251 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/11395 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Aumer
Martin Gerster
Dr. Gerhard Schick

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben1).
Die Reden liegen hier auch vor. – Alle sind damit einver-
standen. Widerspruch erhebt sich nicht.

Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung.


(Zuruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/ CSU])


– Wollten Sie, Kollege Rehberg, ans Mikrofon gehen?


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Nein!)


– Okay.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/11395, den Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf den Drucksachen 17/10038 und 17/10251 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die
Linke. Enthaltungen? – Fraktion der SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Sozialdemo-

1) Anlage 10





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


kraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11407. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die
Fraktion Die Linke. Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen
und Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die
Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert,
Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommu-
nen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen
und Verordnungen sowie im Gesetzgebungs-
verfahren

– Drucksachen 17/1142, 17/4726 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Kirsten Lühmann
Gisela Piltz
Frank Tempel
Dr. Konstantin von Notz

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Alle sind damit ein-
verstanden, sodass wir zur Abstimmung kommen.


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1720427100

Der heute zur Debatte stehende Antrag der Fraktion

Die Linke fordert großspurig die Einführung verbindli-
cher Mitwirkungsrechte für die Kommunen bei der Erar-
beitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie
im Gesetzgebungsverfahren.

Wo leben denn die Antragsteller? Die Forderungen
sind doch längstens von der christlich-liberalen Koali-
tion umgesetzt.

Die erfolgte Stärkung der Mitwirkungsrechte der
Kommunen bei der Bundesgesetzgebung reiht sich ein in
eine umfassende Richtungsänderung der Bundespolitik
für die kommunale Ebene. Dieser Paradigmenwechsel
wurde von CDU und CSU seit 2005 Schritt für Schritt
zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung forciert.

Bereits die unionsgeführte Große Koalition hat mit
der Föderalismusreform I für die existenziellen Belange
der Kommunen Rechnung getragen. Damit wurde eine
direkte Aufgabenzuweisung an die Kommunen in Bun-
desgesetzen sowohl bei der Landesverwaltung der Bun-
desgesetze als auch bei der Bundesauftragsverwaltung
ausgeschlossen.

Der Weg neuer Aufgabenübertragungen auf Gemein-
den und Gemeindeverbände führt nur über die Länder.
Da die in den jeweiligen Landesverfassungen veranker-
ten Konnexitätsregelungen uneingeschränkt greifen, ist

Aufgabenübertragung auf die Kommunen ohne entspre-
chende Finanzierung seitdem ausgeschlossen.

In der in dieser Legislaturperiode eingesetzten Ge-
meindefinanzkommission wurden – gemeinsam mit den
kommunalen Spitzenverbänden – konkrete Handlungs-
empfehlungen zur Stärkung der kommunalen Selbstver-
waltung vorgelegt. Diese schließen eine verstärkte Be-
teiligung der Kommunen an der Gesetzgebung des
Bundes bzw. der Rechtsetzung der EU ebenso ein wie die
Flexibilisierung von Standards bzw. den Abbau von Bü-
rokratie in allen Bereichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke, vielleicht sollten Sie die seit Mai 2012 geltende
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gründ-
lich lesen. Sie werden dann feststellen, dass wir auf
Initiative der christlich-liberalen Koalition bereits vor
Monaten verbindliche Mitwirkungsrechte für die Kom-
munen und eine privilegierte Anhörung der kommunalen
Spitzenverbände beschlossen haben.

§ 69 Abs. 5 Satz 1 GO-BT wurde von einer Soll- in
eine Istvorschrift geändert. Den kommunalen Spitzen-
verbänden muss seitdem Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben werden, wenn ein Ausschuss federführend Ge-
setzentwürfe berät, durch die deren wesentliche Belange
berührt werden. Daneben wurde in § 70 Abs. 4 (neu)

GO-BT geregelt, dass den kommunalen Spitzenverbän-
den Gelegenheit zur Teilnahme an einer öffentlichen An-
hörung zu entsprechenden Gesetzentwürfen zu geben ist.
Hierbei soll eine Anrechnung der Vertreter der kommu-
nalen Spitzenverbände nach § 70 Abs. 2 Satz 2 GO-BT
auf die jeweiligen Fraktionskontingente unterbleiben.

Mit dieser Privilegierung der kommunalen Spitzen-
verbände in seiner Geschäftsordnung folgte der Deut-
sche Bundestag entsprechenden Änderungen in der Ge-
meinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien

(GGO). Dort regelte die unionsgeführte Bundesregie-

rung bereits im vergangenen Jahr die Beteiligung der
kommunalen Spitzenverbände an Rechtsetzungsvorha-
ben umfassend neu, und zwar ebenfalls zugunsten der
Kommunen.

Neben dieser GGO-Privilegierung wird den kommu-
nalen Spitzenverbänden im Zusammenhang mit EU-
Rechtsetzungsvorhaben außerdem der Zugang zur zen-

(Zentraler EU-DokumentenServer)

angeboten. Der Server, der der Bundesregierung zur
Verfügung steht, enthält alle für die EU-Ratsarbeits-
gruppen relevanten Dokumente und wird kontinuierlich
von Brüssel aus ergänzt und gepflegt.

Bundesregierung und Bundestag sind damit den
Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Rechtsetzung“ aus
der Gemeindefinanzkommission gefolgt. Diese Kommis-
sion wurde vor dem Hintergrund des gemeinsamen Ziels
der christlich-liberalen Koalition gebildet, um sich für
leistungsfähige Städte, Gemeinden und Kreise einzuset-
zen.

Das wichtigste Ergebnis der Kommission war jedoch,
dass der Bund die kommunalen Haushalte durch die Re-
duzierung der kommunalen Sozialausgaben entlastet.





Peter Götz


(A) (C)



(D)(B)


Die heute Vormittag in zweiter und dritter Lesung im
Deutschen Bundestag beschlossene Übernahme der
Nettoausgaben der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung durch den Bund entlastet die Kom-
munen allein im Zeitraum 2012 bis 2016 um rund
20 Milliarden Euro. Dies stärkt die kommunale Selbst-
verwaltung mehr als irgendwelche zusätzlich von der
Fraktion Die Linke geforderten Formalitäten bei der
Bundesgesetzgebung.

Die realen Ergebnisse unserer Politik stärken die
Kommunen – und zwar auf Dauer. Das wird für die
Städte, Gemeinden und Landkreise immer konkreter
spürbar. Nach Angaben des Deutschen Städtetags konn-
ten fast alle Kommunen ihre Finanzsituation weiter ver-
bessern. Bereits im laufenden Jahr 2012 rechnen die
Kommunen mit einem Überschuss von 2,3 Milliarden
Euro. Im Finanzplanungszeitraum bis einschließlich
2016 kann dieser Überschuss nach Einschätzung des
Bundesfinanzministeriums kontinuierlich auf rund
5,5 Milliarden Euro gesteigert werden.

Verantwortlich für die Gesundung der Kommunalfi-
nanzen ist in erster Linie unsere auf Wachstum ausge-
richtete Politik. Nach der aktuellen Steuerschätzung von
letzter Woche können die Gemeinden bis ins Jahr 2017
damit rechnen, dass ihre Steuereinnahmen jedes Jahr
um rund 3 Milliarden Euro anwachsen.

In letzter Zeit verweisen die kommunalen Spitzenver-
bände völlig zu Recht verstärkt auf die besondere
Verantwortung der Länder. Schließlich weisen die Kom-
munalfinanzen nach wie vor enorme regionale Unter-
schiede auf, denen der Bund gar nicht entgegenwirken
kann. In manchen Bundesländern geht die Schere zwi-
schen armen und reichen Kommunen immer weiter aus-
einander.

Die Rechtslage ist klar: Die Länder sind für ihre
Kommunen und den kommunalen Finanzausgleich ver-
antwortlich. Leider müssen die Kommunen zur Durch-
setzung ihrer Ansprüche immer wieder auf die Hilfe der
Landesverfassungsgerichte zurückgreifen, wie zum Bei-
spiel zuletzt in Rheinland-Pfalz.

Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass die kommu-
nalfreundliche Politik beispielgebend für das Verhalten
der Länder gegenüber ihren Kommunen ist.

Ich fasse zusammen: CDU und CSU haben die kom-
munalfeindliche Politik der rot-grünen Bundesregierung
beendet und kämpfen seit 2005 in Regierungsverantwor-
tung erfolgreich für die Stärkung der kommunalen
Selbstverwaltung. Sinkende Sozialausgaben durch die
Kostenübernahme vom Bund und gleichzeitig höhere
Einnahmen bei den Anteilen an der Einkommensteuer
und Gewerbesteuer ermöglichen den Kommunen, zu in-
vestieren und ihre kommunalen Aufgaben zu erfüllen. Es
liegt im ureigenen Interesse der Städte, Gemeinden und
Landkreise, dass sich dieser neue Politikstil noch lange
fortentwickeln kann.


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1720427200

Viele Gesetze, die auf Bundesebene beschlossen wer-

den, haben Auswirkungen auf die Kommunen. Wir hal-

ten es deshalb für wichtig, dass die Kommunen an den
Entscheidungsprozessen auf Bundesebene beteiligt wer-
den.

In Städten, Gemeinden und Landkreisen erhält Politik
für die Menschen ein konkretes Gesicht: Hier wirken
sich Entscheidungen direkt auf ihre Lebenssituation aus.
Die Erfahrungen, die die Menschen vor Ort machen,
entscheiden über Akzeptanz unserer Politik oder Politik-
verdrossenheit.

Die Städte, Kreise und Gemeinden schaffen die Infra-
struktur, die für unsere wirtschaftliche Entwicklung und
die Lebensqualität der Menschen existenziell ist. Kom-
munen organisieren die Kinderbetreuung, sorgen für Si-
cherheit, sanieren Schulen, beseitigen Abwasser, zahlen
Sozialhilfe, bieten einen öffentlichen Personennahver-
kehr an, stehen Menschen mit Behinderung und Pflege-
bedürftigen zur Seite, fördern Kultur und stärken mit In-
vestitionen das örtliche Handwerk.

Kurzum: Die Kommunen erfüllen einen umfassenden
Fürsorgeauftrag. Deshalb sind die Stärkung unserer
Städte, Gemeinden und Kreise und die Lösung ihrer Pro-
bleme für uns ein Kernanliegen.

In der Vergangenheit haben Bund und Länder den
Kommunen eine Vielzahl Aufgaben übertragen, ohne ih-
nen immer die dafür angemessene Finanzausstattung zu
geben. Zugleich erhöhte sich infolge der demografi-
schen und gesellschaftlichen Entwicklung die Inan-
spruchnahme staatlicher Leistungen. Seit den 90er-Jah-
ren des letzten Jahrhunderts haben sich die kommunalen
Sozialausgaben fast verdoppelt, erreichen inzwischen
ein Niveau von gut 45 Milliarden Euro jährlich und
wachsen dynamisch weiter.

Wenn aber den Kommunen die Mittel fehlen, ihren
Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge und der so-
zialen Sicherung nachzukommen, dann wird ihre Schlüs-
selrolle für unser Gemeinwesen grundsätzlich infrage
gestellt. Es ist daher wichtig, auch bei Gesetzen, die auf
Bundesebene beschlossen werden, Auswirkungen auf die
kommunale Ebene stärker als bisher zu berücksichtigen.
Zwar sind die Kommunen als Teil der Länder im Bun-
desrat bereits indirekt beteiligt, es ist aber sinnvoll, ihre
Perspektive auch im Bundestag von vorneherein stärker
in politische Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen.

Dafür haben wir uns mit Nachdruck eingesetzt, zum
Beispiel indem wir die Bildung des Unterausschusses
Kommunales forciert haben. Die Regierungskoalition
hat dabei keine rühmliche Rolle gespielt.

Ende 2009 gab es einen Beschluss aller Fraktionen,
diesen Ausschuss einzusetzen. Im Februar und März
2010 hatten SPD, Grüne und Linke ihre Mitglieder für
den Unterausschuss benannt, CDU/CSU und FDP nicht.
Im Mai beschloss der Innenausschuss offiziell seine Ein-
setzung und wählte den Vorsitzenden. Die Benennung
der Mitglieder der FDP erfolgte einen Monat später, die
der CDU/CSU drei Monate später. Im September konnte
das erste gemeinsame Obleutegespräch des Ausschusses
stattfinden, in dem beschlossen wurde, eine Geschäfts-
ordnung festzulegen. Diese notwendige Voraussetzung

Zu Protokoll gegebene Reden





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


für unsere Arbeit wurde wiederum von den Koalitionen
CDU/CSU und FDP hinausgezögert.

Im November 2011 konnte dann endlich die erste Sit-
zung des Unterausschusses Kommunales stattfinden.
Knapp ein Jahr lang hatten die Regierungsfraktionen
die Einsetzung des Ausschusses verschleppt.

Im Folgenden wurde die Blockade auf andere Ebenen
verlagert. Der Rahmenbeschluss zu den Kompetenzen
des Unterausschusses wurde so eingeschränkt wie nur
irgend möglich verfasst. Die Zuweisung von Themen an
den Unterausschuss wird immer wieder von CDU/CSU
und FDP abgelehnt – trotz eindeutigen kommunalen Be-
zugs. Letztes Beispiel: das Betreuungsgeld. So werden
die Belange der Kommunen mit Füßen getreten.

Der nächste Kraftakt betraf die Regelung, wie die
kommunalen Spitzenverbände zu relevanten Gesetzent-
würfen im Bundestag angehört werden. Nach den Be-
schlüssen der Gemeindefinanzkommission sollten die
kommunalen Spitzenverbände bei öffentlichen Anhörun-
gen im Bundestag privilegiert werden beziehungsweise
das „Recht des ersten Wortes“ erhalten.

Im Folgenden unterbreitete der Geschäftsordnungs-
ausschuss des Bundestages einen Vorschlag, der ohne
großes Aufheben in den Kleinstgremien der Obleute-
runden versenkt werden sollte. Erst die Intervention der
Kommunalpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion holte
den Antrag wieder aus der Versenkung und leitete ein
geordnetes Verfahren ein. Im Ergebnis haben wir einen
überfraktionellen Beschluss gefasst, das Mitsprache-
recht der Kommunen auf Bundesebene zu verbessern. Im
April 2012 wurde die Geschäftsordnung des Bundesta-
ges so geändert, dass zu allen relevanten Gesetzentwür-
fen Stellungnahmen der Kommunalverbände eingeholt
werden müssen.

Die Forderung nach einem eigenen Kommunalmitwir-
kungsgesetz auf Bundesebene halten wir verfassungs-
rechtlich für problematisch. Mit den eben genannten Ins-
trumenten haben wir die Mitwirkungsmöglichkeiten der
Kommunen bereits erheblich verbessert und müssen die-
sen Weg auch nicht gehen.

Bei der ganzen Diskussion über Mitwirkungsmög-
lichkeiten sollten wir aber eines im Blick behalten:
Wichtig ist, dass die Kommunen eine ausreichende
finanzielle Ausstattung bekommen. Die Steuereinnah-
men dieses Jahr sind zwar gut, aber die Kommunen
schieben einen Schuldenberg von etwa 50 Milliarden
Euro vor sich her. Die Sozialausgaben steigen weiter,
und die Schere zwischen armen und reichen Kommunen
wird breiter. Darüber sollten wir reden in der nächsten
Debatte.


Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1720427300

Entscheidungen, die wir hier im Bundestag treffen,

stehen nicht im luftleeren Raum. Sie haben vielfältige
Auswirkungen, auch und gerade auf die Kommunen.
Das gilt besonders für die Bereiche Sozial- und Steuer-
gesetzgebung. Als Gebietskörperschaften der Länder ist
den Kommunen ein direktes Recht auf Mitwirkung an
der Gesetzgebung verwehrt. Sie müssen ihre Belange

über die Länder im Bundesrat vertreten lassen – auch
gegenüber dem Bund und Europa. Dennoch ist eine Be-
teiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Bun-
desgesetzgebung explizit politisch gewollt und für mich
und die gesamte FDP-Fraktion selbstverständlich.

Nach dem Antrag der Linken soll die Bundesregie-
rung aufgefordert werden, „zur Sicherstellung der Mit-
wirkungsrechte ein Kommunalmitwirkungsgesetz in den
Deutschen Bundestag einzubringen“. Diese Formulie-
rung ist derartig undifferenziert, dass man sich fragt,
welche gesetzlichen Maßnahmen Ihnen, liebe Kollegen
der Linken, hier genau vorschweben. Diese Antwort
bleiben Sie schuldig. Sie haben diesen Antrag in der
letzten Legislaturperiode ja schon einmal eingebracht –
fast wortgleich. Der Antrag ist Schnee von gestern. Auch
damals waren Sie zu konkreten Aussagen nicht fähig.
Wenn Sie schon einen Schaufensterantrag einbringen,
sollten Sie wenigstens auch ein bisschen Inhalt in die
Auslage legen. Ihren Antrag lehnen wir ab, nicht weil
wir gegen eine Mitwirkung der Kommunen am Gesetz-
gebungsverfahren wären, sondern weil der Antrag
schlicht und ergreifend zu schlecht ist.

Sie fordern in Ihrem Antrag dazu auf, dass Bundesre-
gierung und Bundestag Kommunen verbindliche Mit-
wirkungsrechte bei der Beratung von Gesetzentwürfen
geben. Diese Forderungen sind überholt. Hier haben
wir bereits gehandelt: Wir haben die Geschäftsordnung
des Bundestages so geändert, dass den kommunalen
Spitzenverbänden im federführenden Ausschuss eine
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss,
wenn dort kommunal relevante Gesetzentwürfe beraten
werden. Das gilt im Übrigen auch für nichtöffentliche
Ausschusssitzungen.

In öffentlichen Anhörungen müssen die kommunalen
Spitzenverbände ebenfalls gehört werden, wenn ihre Be-
lange betroffen sind. Alle anderen Sachverständigen
werden in solchen Anhörungen von den Fraktionen be-
nannt. Die Anzahl an Experten, die eine Fraktion benen-
nen darf, richtet sich dabei nach der Fraktionsstärke.
Bei den kommunalen Spitzenverbänden findet solch eine
Anrechnung auf Fraktionskontingente nun nicht mehr
statt. Bisher sind die Vertreter der Kommunen behandelt
worden wie Lobbyisten. Wir haben das geändert. Wir be-
teiligen die Kommunen angemessen am Gesetzgebungs-
prozess. Das sage ich sehr deutlich als kommunalpoliti-
sche Sprecherin meiner Fraktion, der FDP. Es freut
mich, dass die Bundesregierung das genauso sieht und
die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministe-
rien ebenfalls geändert hat, um den kommunalen Spit-
zenverbänden mehr Mitwirkungsrechte zu geben.

Genauso selbstverständlich war es für uns, die Kom-
munen beim Umsetzungsgesetz zum Fiskalvertrag, das
wir aktuell im Bundestag beraten, einzubeziehen. Der
Stabilitätsrat, der die Einhaltung der Schuldenbremse
und die Haushalte von Bund und Ländern überwacht,
wird einen Beirat erhalten, in dem auch die kommunalen
Spitzenverbände vertreten sein werden. Die Schulden-
bremse im Fiskalvertrag umfasst auch die Kommunen.
Die Kommunen sind von Sanierungsprogrammen des
Stabilitätsrates potenziell mit betroffen. Deshalb ist

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)


diese Beteiligung vernünftig und notwendig. Gut, dass
wir im Umsetzungsgesetz übrigens auch festschreiben,
dass die Länder für die Umsetzung der Schuldenbremse
im Bereich der Kommunen verantwortlich zeichnen!

Für mich ist ganz klar: Dort, wo Gesetzentwürfe und
politische Maßnahmen die Interessen der Kommunen
berühren, müssen die kommunalen Spitzenverbände so
in die Gremien eingebunden werden, dass sie dort ihre
Meinung einbringen können. Die Belange der Städte
und Gemeinden sind bei FDP und Union in guten Hän-
den. Deshalb brauchen die Kommunen auch nicht auf-
gewärmte Anträge der Linken, sondern die kommunal-
freundliche Politik der Regierungskoalition.


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720427400

Nach langwierigen Beratungen, mitunter schwieri-

gen Verhandlungen und auf Druck der Linken hat sich
der Bundestag am 26. April 2012 einstimmig dafür aus-
gesprochen, den Gemeinden und Gemeindeverbänden
bei Vorlagen, von denen „wesentliche Belange von Ge-
meinden und Gemeindeverbänden berührt werden“, ein
obligatorisches Recht auf Stellungnahme einzuräumen.
Kommunale Spitzenverbände müssen nun bei allen An-
trägen, die seitens der Fraktionen in den Bundestag ein-
gebracht werden, gehört werden. Es kann sich niemand
mehr darum herum mogeln, wie es in der Vergangenheit
oft der Fall war.

Ein Manko dieser Regelung ist indes, dass sie nicht
für Vorlagen – zum Beispiel Gesetzentwürfe – der Bun-
desregierung gilt. Unserer Forderung, dass dies auch
ausnahmslos für Regierungsvorlagen gelten muss, stell-
ten sich die Fraktionen von CDU/CSU und FDP entge-
gen. Die Linke hat dem trotzdem zugestimmt, weil es ein
Schritt in die richtige Richtung ist. Allerdings ist die
Linke der Auffassung, dass wir unbedingt den nächsten
Schritt gehen müssen. Daher halten wir auch an den an-
deren Forderungen in unserem Antrag fest. Wir wollen
ein Kommunalmitwirkungsgesetz.

Die Kommunen brauchen ein verbindliches Mitwir-
kungsrecht, damit sie ihre Beteiligung notfalls auch ein-
klagen können. Dafür bedarf es einer gesetzlichen Rege-
lung, die sicherstellt, dass Kommunen in allen Phasen
der Entscheidung über ein Gesetzesvorhaben des Bun-
des beteiligt werden. Es reicht nicht aus, dass kommu-
nale Spitzenverbände nur am Anfang eines Gesetzge-
bungsverfahren gehört werden. In die dann folgende
Debatte, in der es in der Regel zu Änderungen der Ge-
setzentwürfe kommt, müssen die kommunalen Spitzen-
verbände ebenso einbezogen werden. Daher brauchen
wir hier ein geordnetes Verfahren, einen Konsultations-
mechanismus, ähnlich wie er in Österreich bereits seit
Mitte der 90er-Jahre erfolgreich angewandt wird. Es
kann und darf nicht im Ermessen einzelner Ministerien
oder Personen liegen, darüber zu befinden, wann und in
welchem Maße Kommunen an Gesetzesvorhaben, die
kommunale Belange berühren, beteiligt werden.

Wir wollen sicherstellen, dass die Kommunen frühzei-
tig beteiligt werden. Frühzeitig heißt für uns, die kom-
munalen Spitzenverbände müssen zum frühestmöglichen
Zeitpunkt einbezogen werden, und sie müssen Zeit ha-

ben, Vorlagen für Gesetzesvorhaben mit ihren Mitglieds-
kommunen zu diskutieren. Dies gewährleitstet, dass im
Vorfeld die möglichen Auswirkungen durch die Kommu-
nen selbst bewertet werden können. Nur so kann offen-
gelegt werden, welche finanziellen Folgen einzelne
Gesetzesvorhaben für Kommunen und welche Auswir-
kungen sie auf das Leben in den Städten, Landkreisen
und Gemeinden haben. Und eine einseitige Lastenver-
schiebung auf die Kommunen kann verhindert werden.
Auch die Formulierung in Gesetzesvorlagen: „mögliche
finanzielle Auswirkungen sind nicht bezifferbar“, wie
zum Beispiel bei der Änderung des Gesetzes zum Vor-
mundschafts- und Betreuungsrecht, würde der Vergan-
genheit angehören. Die Umsetzung des genannten Ge-
setzes führt zu einer Verdopplung des Personalbedarfs
in den Jugendämtern. Die Kosten hierfür müssen die
Kommunen tragen.

Auch heute ist es noch gang und gäbe, dass kommu-
nale Spitzenverbände kurzfristig aufgefordert werden,
zu Gesetzesentwürfen Stellung zu nehmen. Ein Beispiel
hierfür war der Referentenentwurf eines Gesetzes zur
Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente, der kurzfristig und mitten in den Osterferien den
kommunalen Spitzenverbänden zur Abstimmung zuge-
sandt wurde.

Mit dieser Praxis muss Schluss sein. Im Übrigen ist es
schon bemerkenswert, wenn immer häufiger externe Un-
ternehmen an Gesetzen mitwirken, aber kommunale
Spitzenverbände – wenn es um Belange der Kommunen
geht – um eine Mitwirkung ringen müssen. Allein im
Jahr 2009 wurden 16 Gesetze verkündet, an denen ex-
terne Unternehmen mitgewirkt haben. Im Zeitraum von
1990 bis 1999 war es gerade mal ein Gesetz. Insgesamt
wendeten die Ministerien über 4 Millionen Euro für die
Mithilfe an Gesetzen durch externe Berater auf.

Während also externen Unternehmen und Beratern
alle Türen offenstehen, wenn es um die Erarbeitung von
Gesetzentwürfen geht, stehen die Kommunen vor einer
fast verschlossenen Tür. Sie werden nur unzureichend an
der Gesetzgebung beteiligt, und das vor dem Hinter-
grund, dass 80 Prozent der Bundesgesetze Kommunen
ausführen müssen.

Eine Änderung dieses Zustandes erreichen wir nur,
wenn kommunale Spitzenverbände ein gesetzlich veran-
kertes Mitwirkungsrecht erhalten. Bei allen Fortschrit-
ten, die es hier in der jüngsten Vergangenheit gegeben
hat, halten wir an dieser Forderung fest und stehen
damit auch an der Seite der Kommunen. Im Abschluss-
bericht der Arbeitsgruppe „Rechtsetzung“ der Gemein-
definanzkommission ist vermerkt: „Die kommunalen
Spitzenverbände halten an der Auffassung fest, dass eine
Verankerung von Beteiligungsrechten in der Rechtset-
zung im Kontext des Art. 28 Abs. 2 GG der Stellung der
Kommunen im föderalen Staatsgefüge angemessener
wäre als deren Berücksichtigung auf Geschäftsord-
nungsebene.“

Die Linke ist der Auffassung, dass durch ein verbind-
liches Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenver-
bände Gesetze an Qualität gewinnen, weil die konkreten
Erfahrungen aus der Praxis der Umsetzung der Gesetze

Zu Protokoll gegebene Reden





Katrin Kunert


(A) (C)



(D)(B)


berücksichtigt werden können. Wir hätten nicht nur bes-
sere Gesetze, wir könnten uns auch eine Vielzahl von
Korrekturen und Änderungen im Nachhinein ersparen.

Ich bitte sie daher um Zustimmung zu unserem An-
trag.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720427500

Der Bund spart bei der Arbeitsmarktpolitik, die Län-

der versuchen den Fiskalpakt einzuhalten, der dringend
notwendige Kitaausbau ist überfällig, aber nicht aus-
finanziert. Diejenigen, die vor Ort Politik machen, müs-
sen letztendlich die Umsetzung und die finanziellen Las-
ten schultern. Für Bürgermeister oder Landräte wird die
Redensart, den Letzten beißen die Hunde, schnell zum
Alltag.

Woran liegt das? Auf den ersten Blick genießen die
Kommunen einen hohen verfassungsrechtlichen Schutz.
Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes hält fest:

„Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein,
alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im
Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu re-
geln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ih-
res gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der
Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewähr-
leistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grund-
lagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen
Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatz-
recht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuer-
quelle.“

Die Gemeinden haben das Recht, eigene Regeln zu
verantworten, sich selbst zu verwalten und ihnen stehen
Einnahmen aus eigenen Steuern zu. Das hört sich doch
gut an. Leider ist die Realität vor Ort eine andere. Wie
viel sind solche Rechte wert, wenn andere Gebietskör-
perschaften der kommunalen Familie Pflichtaufgaben
aufzwingen und bisherige Einnahmen absenken kön-
nen? Anhörungs- und Mitwirkungsrechte der Kommu-
nen bei solchen Entscheidungsfindungen sind gesetzlich
nicht vorgesehen.

Ergebnis: Nach der Meinung der Kommunen kräht
kein Hahn. Dass es auch anders geht, zeigt die Rolle der
Länder bei wichtigen Entscheidungen. Die Anhörungs-
und Zustimmungsrechte der Länder im Bundesrat zwin-
gen den Bund zu Kompromissen.

Niemand fordert heute eine vergleichbare Machtposi-
tion für die Kommunen. Allerdings ist eine Aufwertung
der bisherigen kommunalen Teilhabe zwingend notwen-
dig. Die mangelnde Mitwirkung hat sogar die erfolglose
Gemeindefinanzkommission entdeckt. So hält die Ar-
beitsgruppe „Rechtssetzung“ fest: Die kommunalen Spit-
zenverbände sollen möglichst zeitlich vor Interessenver-
tretungen an Rechtsetzungsvorhaben beteiligt werden.
Auch soll die Möglichkeit einer Kostenfolgenabschät-
zung von Bundesgesetzen für Kommunen geprüft werden.

Spätestens die beiden Aussagen müssen doch auch
den letzten Zweifler von einer besseren Einbindung der
Kommunen überzeugen. Es spricht doch Bände:

Die kommunalen Spitzenverbände werden bisher ge-
nau wie Interessenverbände behandelt.

Erstens. Bund und Länder können Steuerrechts- oder
Sozialrechtsänderungen beschließen, ohne irgendeine
Information über finanzielle Auswirkungen für die Kom-
munen zu besitzen.

Zweitens. Der vorliegende Antrag der Linksfraktion
zielt auf diese Schwachstellen ab. Die Forderung nach
verbindlichen Mitwirkungsrechten für Kommunen sind
notwendig. Die Festschreibung von solchen Rechten ist
dabei der richtige Weg. Darauf haben auch wir Grüne
im Rahmen der Debatte der Gemeindefinanzkommission
gedrängt. Wir müssen einfach den Status quo überwin-
den: Die Beteiligung der Kommunen darf nicht mehr im
Ermessen des Gesetzgebers liegen, sondern muss durch
ein gesetzlich garantiertes Mitwirkungsrecht ersetzt
werden. Außerdem überlässt der Antrag die genaue Aus-
gestaltung der Mitwirkungsrechte der Bundesregierung.
Deshalb stimmen wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen, diesem Antrag zu.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720427600

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-

empfehlung auf Drucksache 17/4726, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1142 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die
Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Sozialdemo-
kraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005

– Drucksache 17/10041 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/11363 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Kirsten Lühmann
Manuel Höferlin
Jan Korte
Dr. Konstantin von Notz

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1720427700

Wir haben heute einen Gesetzentwurf vor uns liegen,

bei dem ich eigentlich davon ausgegangen bin, dass die-
ser ohne größere Diskussionen sogar interfraktionell
verabschiedet werden könnte. So kann man sich täu-
schen. Selbst die Verlängerung eines zunächst nüchtern
klingenden Gesetzes, wie die des Mikrozensus, scheint
die Opposition in Unruhe zu versetzen und für strittige
Abstimmungen zu sorgen.

Warum brauchen wir dieses Gesetz? Es gibt einen
schönen Satz: „Politik beginnt mit der Betrachtung der





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)


Realität.“ Genau darum geht es beim Mikrozensus. Um
die Betrachtung der Realität. Diese soll nun mit einem
bestehenden und dem Grunde nach bewährten Gesetz
nicht bis Ende dieses Jahres, sondern bis 2016 fortge-
setzt werden. Angesichts der politischen und rechtlichen
Probleme, mit denen seit den 1980er-Jahren die Volks-
zählung in Deutschland zu kämpfen hatte, ist der Mikro-
zensus mittlerweile zur zentralen Informationsquelle für
die Erstellung öffentlicher Statistiken geworden.

Im Gegensatz zu einer Volkszählung werden beim
Mikrozensus nur nach bestimmten Zufallskriterien aus-
gewählte Haushalte beteiligt. Die Anzahl der Haushalte
wird so gewählt, dass die Repräsentativität der Ergeb-
nisse statistisch gesichert ist. Der Mikrozensus dient
dazu, die im Rahmen von umfassenden Volkszählungen
erhobenen Daten in überschaubaren Zeitabständen mit
klar definiertem organisatorischem Aufwand zu über-
prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Für die Praxis bedeutet das, dass für vier weitere
Jahre wie bisher auch jährlich 800 000 Bürgerinnen und
Bürger zu Auskünften auf Fragen verpflichtet werden,
wobei jede Befragung ungefähr eine halbe Stunde dau-
ert. Zudem werden weitere 200 000 Bürgerinnen und
Bürger zur Beantwortung weiterer Fragen verpflichtet,
deren Beantwortung nur rund 15 Minuten dauert. Es
handelt sich insgesamt also um nur 1 Prozent unserer
Bevölkerung, der Gewinn durch die Befragung ist aber
gewaltig. Die Ergebnisse des Mikrozensus betreffen
aber uns alle, ganz besonders jedoch uns in der Politik
Tätigen. Für unsere politischen und wirtschaftlichen
Planungen, ebenso für die wissenschaftliche Forschung,
brauchen wir verlässliche Daten, nicht nur darüber, wie
viele Menschen in Deutschland in welchen Städten und
Gemeinden leben, sondern ebenso darüber, beispiels-
weise welche Bildungsabschlüsse diese Menschen ha-
ben oder welchen Beruf sie ausüben, ob sie davon leben
können, in welchen Verhältnissen sie wohnen.

Für mich, in meiner Funktion als Integrationsbeauf-
tragter der Unionsfraktion besonders interessant ist der
Abschnitt „Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsdauer“.
Für eine passgenaue Integrationspolitik ist es von ent-
scheidender Bedeutung, genau zu wissen, wer bei uns
lebt, woher die Menschen kommen und ob Sie die deut-
sche Staatsangehörigkeit bereits angenommen haben.
Für jedes Projekt, für jede Regelförderung werden
Mittel aus dem Haushalt aufgrund dieser Zensusdaten
errechnet.

Unser Mikrozensus ist mit seinen Ergebnissen da-
rüber hinaus europapolitisch mittlerweile eigentlich
zwingend. Inhaltlich ist er verknüpft mit der Arbeitskräf-
testichprobenerhebung der EU. Die entsprechende

(VO 9. März 1998 zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der Gemeinschaft (ABL. EG Nr. L 77 S. 3)

land vor, die ohne den Mikrozensus nicht mehr erfüllt
werden können.

Dieses Gesetz gilt es heute zu verlängern, um 2016,
also später als im Mikrozensus 2005 ursprünglich vor-
gesehen, ein modernisiertes Gesetz zu verabschieden.

Die Gründe dafür liefert die ebenso einfache wie ein-
leuchtende Begründung des Gesetzentwurfs, der nichts
hinzuzufügen ist: Die Ergebnisse des Zensus 2011 sind
für eine sinnvolle Justierung des Mikrozensus entschei-
dend. Diese werden allerdings erst voraussichtlich im
Jahr 2014 vorliegen. Die Volkszählungsdaten bilden den
Auswahl- und Hochrechnungsrahmen des Mikrozensus,
der, um künftig noch genauer und zielgerichteter einge-
setzt zu werden, nach der Auswertung der Ergebnisse
des Zensus 2011 angepasst werden muss.

Darüber hinaus soll künftig alle zehn Jahre ein euro-
päischer Zensus stattfinden. Hier gilt es für uns zuvor
noch zu klären, welche Daten künftig durch diesen Zen-
sus abgedeckt werden und welche Daten dann noch un-
ser eigenes Instrument des Mikrozensus beisteuern soll
und kann.

Zum Dritten laufen derzeit im Statistischen Bundes-
amt konzeptionelle Überlegungen zur Weiterentwick-
lung des Systems der Haushaltsstatistiken. Auch diese
Ergebnisse werden für den Mikrozensus zu berücksichti-
gen sein.

Wir würden – auch dies beschreibt die Begründung
des Gesetzentwurfes –, sollte der Mikrozensus nicht vor
Ablauf dieses Jahres verlängert werden, in den rechtli-
chen und am Ende auch tatsächlichen Stand von 1957
zurückfallen. Das Ergebnis wäre: Wir würden keine
Daten über die Bevölkerungsstruktur, wirtschaftliche
und soziale Lage der Bevölkerung, über Familien und
Haushalte, Erwerbstätigkeit, Arbeitssuche, Ausbildung,
Wohnverhältnisse erhalten, nach denen wir unsere Poli-
tik mit ausrichten können, und wir können auch keine
Daten mehr den Parlamenten in Bund, Ländern und Eu-
ropa zur Verfügung stellen.

Nicht nur viele gute Gründe sprechen für ein einst-
weiliges Beibehalten des Mikrozensus 2005, auch gibt es
keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Alternative. Des-
halb empfehle ich auch der Opposition, dem Gesetzent-
wurf zuzustimmen.


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1720427800

Der Mikrozensus wird seit 1957 als Haushaltsstich-

probe über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt
durchgeführt. Seine Hauptaufgabe ist es, umfassende,
aktuelle und zuverlässige Daten über die Bevölkerung
bereitzustellen. Dabei geht es um die Bevölkerungs-
struktur, die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevöl-
kerung, Familien und Haushalte, Erwerbstätigkeit, Ar-
beitssuche, Ausbildung und Wohnverhältnisse.

Diese Daten sind eine wichtige Grundlage für Ent-
scheidungen der Parlamente, Regierungen und Verwal-
tungen in Bund und Ländern. Auch für Wissenschaft und
Forschung, Wirtschaft und andere politische und gesell-
schaftliche Institutionen sind sie eine wichtige Informa-
tionsquelle.

Jedes Jahr werden 800 000 Bürgerinnen und Bürger
befragt, also 1 Prozent der Bevölkerung. Die Befragten
müssen dafür jeweils etwa eine halbe Stunde Zeit auf-
wenden. Grundsätzlich besteht für diese Erhebungen
Auskunftspflicht. Allerdings sind einige Merkmale von

Zu Protokoll gegebene Reden





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


der Pflicht ausgenommen: So sind zum Beispiel Aus-
künfte über Wohn- und Lebensgemeinschaft oder vermö-
genswirksame Leistungen freiwillig.

Die Mikrozensusdaten erlauben es, Veränderungen
der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse schnell
festzustellen und auch längerfristige Entwicklungen zu
untersuchen. Für politische Entscheidungen sind solche
Daten eine unverzichtbare Grundlage. Nehmen wir das
Beispiel demografischer Wandel: Die niedrige Gebur-
tenrate und zunehmende Kinderlosigkeit rücken immer
mehr in den Fokus öffentlicher und politischer Debat-
ten. Wie genau wird sich unsere Bevölkerungsstruktur
verändern? Wie können wir mit dem demografischen
Wandel umgehen?

Um diese Fragen zu beantworten, brauchen wir Da-
ten, die unter anderem durch den Mikrozensus erhoben
werden. Wesentliche Kriterien für Berechnungen zur
künftigen Entwicklung der Bevölkerung sind zum Bei-
spiel Veränderungen des Anteils der Frauen mit bzw.
ohne Kinder und die Gesamtzahl der Kinder einer Frau.

Ohne solche Angaben lassen sich keine sinnvollen
Planungen zum Beispiel zur langfristigen Stabilität un-
serer sozialen Sicherungssysteme machen. In Verbindung
mit weiteren Angaben wie Ausbildung und Erwerbs-
tätigkeit können wir Ansatzpunkte für familienpolitische
Maßnahmen erkennen – oder die Wirkung von Maßnah-
men etwa zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Aufgrund dieser Argumente sind wir uns einig, dass
eine Weiterführung des Mikrozensusgesetzes notwendig
ist. Wir verlängern das Gesetz heute um vier Jahre bis
2016. Die befristete Verlängerung hat ihren Sinn darin,
dass in regelmäßigen Abständen überprüft werden soll,
ob die Datenerhebung ergänzt oder verändert werden
soll.

Bei der letzten Verlängerung wurde zum Beispiel ein-
geführt, dass nicht nur die aktuelle Staatsangehörigkeit
der Befragten erfasst wird, sondern auch die vorherige,
sofern vorhanden. Dadurch wurde es möglich, die Be-
völkerungsstruktur und Integration von Migranten und
Migrantinnen genauer zu beschreiben. Vorher tauchte
der Migrationshintergrund dieser Menschen in der Sta-
tistik nicht mehr auf. Nunmehr kann die Gruppe der Ein-
gebürgerten separat ausgewiesen werden. Da über die
Einbürgerung eine formale Integration erfolgt, lässt
dies Rückschlüsse auf die Integrationsbereitschaft die-
ser Bürger und Bürgerinnen zu. Ein weiterer Befund der
Forschung in diesem Bereich ist, dass Eingebürgerte
günstigere sozioökonomische Merkmale aufweisen. Hier
fallen also positive Beispiele der Integration auf, die
vorher so nicht sichtbar waren.

Insofern werden wir das Mikrozensusgesetz auch in
vier Jahren wieder auf den Prüfstand stellen. Bis dahin
muss die Arbeit des Statistischen Bundesamtes auf einer
gesetzlichen Grundlage weiter gewährleistet werden.
Das tun wir heute mit Zustimmung zu diesem Gesetzent-
wurf.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1720427900

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das 2005

verabschiedete Mikrozensusgesetz verlängert. Die Lauf-
zeit endet dieses Jahr und wird nun auf 2016 ausgewei-
tet. Und ich freue mich, dass wir zum ersten Mal seit lan-
gem wieder die Zeit finden, dieses wichtige Thema zu
debattieren; denn auch ein Mikrozensusfortschreibungs-
gesetz wirft Fragen auf. Wird der Datenschutz ausrei-
chend berücksichtigt? Ist die Auskunftspflicht das rich-
tige Mittel, um die Daten für den Mikrozensus zu
erheben? Ist eine solche Befragung überhaupt zeitge-
mäß?

Um Sie nicht allzu sehr auf die Folter zu spannen:
Die Antwort auf all diese Fragen lautet „Ja!“. Die Da-
tenschutzbeauftragten von Bund und Ländern hatten be-
reits in den vergangenen Jahren keine Einwände gegen
das Gesetz geäußert. So viel Einmütigkeit ist – gerade
bei einem so sensiblen Thema – selten und erfreulich.
Auch halte ich die Auskunftspflicht im Rahmen des
Mikrozensus für gerechtfertigt. Die Befragung ist eine
der wichtigsten in Deutschland und liefert zentrales Da-
tenmaterial über Haushalte und Familiensituationen.
Für die Planung der Sozialpolitik und für die Dokumen-
tation des demografischen Wandels ist sie unerlässlich.
Die Daten, die mit dem Mikrozensus erhoben werden
sind, daher auch ungemein wichtig.

Und damit habe ich auch schon die halbe Antwort auf
die dritte Frage gegeben: Selbstverständlich ist der Mi-
krozensus zeitgemäß, da das erhobene Datenmaterial
für wichtige Planungen bereitliegen muss und die
Grundlage für die Zukunftsplanungen darstellt.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Damen und
Herren, mit dem Mikrozensusgesetz haben wir in den
letzten sieben Jahren sehr gut wichtige Informationen
gewinnen können, und – abgesehen von einigen wenigen
Korrekturen im Jahr 2007 – es gab keinen Anlass, dieses
Gesetz einer grundsätzlichen Revision zu unterziehen.
Ich bitte daher um Ihre Zustimmung.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720428000

Mit dem hier heute zur Abstimmung stehenden

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensus-
gesetzes 2005 soll die erneute Verlängerung des Mikro-
zensus um weitere vier Jahre beschlossen werden.

Das Gesetz aus dem Jahre 2005, das die Durchfüh-
rung des Mikrozensus bis zum Jahre 2012 vorgesehen
hatte, wurde bewusst befristet, „um regelmäßig das
Erhebungsverfahren prüfen und die Merkmale an den
aktuellen Informationsbedarf anpassen zu können“. Von
einer Prüfung des Erhebungsverfahrens und dessen
Ergebnissen ist allerdings bislang nichts bekannt gewor-
den. Auf diesen Punkt komme ich später noch einmal
zurück.

Die heute zur Abstimmung stehende Änderung be-
steht zwar lediglich in der Ersetzung der Jahreszahlen
„2012“ durch „2016“ – weitere Änderungen sind dies-
mal nicht vorgesehen –, hat aber durchaus weitrei-
chende Auswirkungen. So heißt es im Erläuterungsteil
des Gesetzes:

Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


„Wie bisher werden daher jährlich 800 000 Bürge-
rinnen und Bürger zu Auskünften auf Fragen verpflich-
tet, deren Beantwortung je Fall rund eine halbe Stunde
dauert. Zudem werden jeweils 200 000 Bürgerinnen und
Bürger zu Auskünften auf weitere Fragen verpflichtet,
deren Beantwortung rund 15 Minuten dauert.“

Das klingt offenbar in Ihren Ohren relativ harmlos,
ist es unseres Erachtens aber nicht. Denn wenn man sich
der Beantwortung der Fragen verweigert, wird man mit
Zwangsgeldern von bis zu 5 000 Euro bzw. Beugehaft
bestraft.

Meine Fraktion hatte bereits das Ausgangsgesetz ab-
gelehnt, weil seine Notwendigkeit nach unserer Meinung
und der Auffassung vieler Bürgerrechtlerinnen und Bür-
gerrechtler nicht konkret nachgewiesen, der Umfang der
Datenabfrage ausufernd und teilweise unverständlich
bis diskriminierend gewesen ist. Letzteres – beispiels-
weise die Abfrage der Geburtenfolge bei Frauen oder
Religionsgemeinschaften – ist zwar freiwillig anzuge-
ben, die Abfrage wird dadurch aber nicht plausibler.

Kritisch beurteilen wir auch, dass der Bürgerinitia-
tive „Arbeitskreis Zensus“ im Rahmen ihres Engage-
ments zur letzten Volkszählung, dem „Zensus 2011“, of-
fenbar eine Reihe von Berichten über unwürdige
Befragungspraktiken im Rahmen des Mikrozensus zuge-
tragen wurden und dies zumindest keine öffentlich wahr-
nehmbare Diskussion, geschweige denn eine Änderung
der kritisierten Praxis, zur Folge hatte. Der Arbeitskreis
warnte in seiner Stellungnahme vom Sommer 2012
ebenfalls vor einem „bürokratischen Automatismus der
alle vier Jahre stattfindenden Verlängerung der Geset-
zesgrundlage“.

Richtig ist, dass von einer unabhängigen und gründ-
lichen Überprüfung der Erhebungsverfahren und Merk-
male sowie ihrer entsprechenden Anpassung bislang
nichts bekannt geworden ist. Dies ist schon extrem ver-
wunderlich. Denn es hätten sich ja durchaus Möglich-
keiten ergeben können, auf bestimmte Daten zu verzich-
ten oder die Verfahren zu vereinfachen.

Immerhin werden beim 59 Seiten langen Fragebogen
des derzeitigen Mikrozensus 200 Fragen und zahlreiche
detaillierte persönliche Angaben zwangsweise abge-
fragt. Aus bürgerrechtlicher Sicht wäre also eine Über-
prüfung des Erhebungsverfahren insbesondere hinsicht-
lich seiner Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit,
selbst wenn es durch die Befristung nicht eh vorgesehen
wäre, unbedingt angebracht. Aber wie gesagt, von einer
Überprüfung war und ist keine Rede bei Ihnen.

So scheinen diese Fortsetzung der Zwangserhebung
und das Bekenntnis zu einer Überprüfung für die Bun-
desregierung reine Formalitäten zu sein – ein Verfahren,
das den tatsächlichen Belastungen nicht gerecht wird.
Denn es geht dabei nicht um die von der Regierung und
dem Normenkontrollrat penibel ausgerechnete zeitliche
Belastung für jede Bürgerin und jeden Bürger, sondern
um die Belastung durch massive Eingriffe in das infor-
mationelle Selbstbestimmungsrecht. Darüber hinaus ist
auch die Kostenverteilung – der Bund trägt mit
2 105 070 Euro gerade einmal ein Zehntel der Kosten

der Länder in Höhe von 21 610 193 Euro – nicht so ganz
einleuchtend ohne einen Nachweis der Nützlichkeit.

Die Befristung hätte für alternative Überlegungen
und Verfahren zur Bedarfsplanung genutzt werden kön-
nen – daran bestand und besteht offensichtlich aufseiten
der Bundesregierung keinerlei Interesse.

Oder warum wurden keine Ergebnisse von Überprü-
fungen der Verfahren und des Datenumfanges im Parla-
ment ausführlich diskutiert? Auch ist nicht bekannt, ob
und wenn ja welche Änderungen in dem neuaufgelegten
Fragebogen für die Jahre bis 2016 vorgenommen wur-
den und welche Veränderungen des Hochrechnungsrah-
mens sich nach dem Zensus 2011 ergeben haben und
inwiefern der Mikrozensus daran gegebenenfalls ange-
passt wurde. Wir wissen ebenfalls nicht, welche Überle-
gungen im Statistischen Bundesamt zur Weiterentwick-
lung des Systems der Haushaltsstatistiken angestellt
werden.

Allein schon aufgrund dieser mehr als unbefriedigen-
den Informationslage könnten wir diesem Anschluss-
gesetz nicht zustimmen. Solange kein klarer und ver-
ständlicher Nachweis über Sinn, Nützlichkeit und
Verhältnismäßigkeit der Befragungen vorgelegt worden
ist, muss der Mikrozensus ausgesetzt werden. Wir erwar-
ten außerdem, dass den Vorwürfen der Bürgerrechtler
über einen unwürdigen Umgang der Statistikämter mit
den Befragten nachgegangen wird und es, sollten sich
die Berichte bestätigen, auch zu entsprechenden Konse-
quenzen kommt.

Ein Staat, der auf unwillige Bürgerinnen und Bürger
bei solchen Fragen mit der Androhung von Verwaltungs-
zwang reagiert, bekommt vielleicht irgendwann irgend-
welche Auskünfte – beliebter werden solche Maßnah-
men dadurch aber nicht, und auch die Verlässlichkeit
erzwungener Auskünfte bleibt zweifelhaft.

Meine Fraktion wird daher dem Gesetz heute hier
nicht zustimmen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Angaben des Mikrozensus versorgen uns mit so
segensreichen Erkenntnissen wie zum Beispiel, dass in
Hamburg jede 20. Wohnung leer steht, dass fast die
Hälfte der Informatikerinnen und Informatiker im klas-
sischen Familienalter kinderlos sind oder die wirklich
triste Aussicht, wonach die Bundesrepublik Deutschland
die weltweit niedrigste Geburtenrate von nur acht Kin-
dern auf 1 000 Einwohner aufweist.

Die neuesten Erkenntnisse des jährlich erscheinen-
den Statistischen Jahrbuches, das vergangenen Monat
vorgestellt wurde und uns Deutschen aktuell beschei-
nigt, nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt
zu sein, stammen aus dem Mikrozensus.

Gerade weil der präventive, der vorsorgende und
auch auf Nachhaltigkeit und komplexe Steuerungskon-
zepte setzende Staat nur effektiv sein kann, wenn er über
laufend aktuelle Zahlen zur Bevölkerung verfügt, ge-
winnt das Statistikwesen an Bedeutung. Wer wie die

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Jahren
auf der Grundlage von Demografieberichten mit den
Folgen schrumpfender Erwerbsbevölkerung, der zuneh-
menden Alterung und dem Kinderschwund zu rechnen
hat, kann auf die Statistik nicht verzichten. Darüber ha-
ben wir bereits im vergangenen Jahr hinlänglich im
Rahmen der Debatte um den Zensus 2011 diskutieren
können.

Der Mikrozensus stellt die Grundlage unserer Er-
kenntnisse dar; er ist gewissermaßen der kleine Bruder
der bei uns nur selten erfolgenden großen Zensen. All-
jährlich sind eine beachtliche Anzahl von circa einer
Million Bundesbürgern mit den umfänglichen Fragen-
katalogen der Statistikbehörden konfrontiert, denen sie
nicht ausweichen können. Denn die Teilnahme an den
Interviews oder auch wahlweise Ausfüllung der Frage-
bögen ist bußgeldbewehrt.

Die oft besonders weit das Privatleben berührenden
Fragen etwa nach dem Einkommen, nach den familiären
Verhältnissen oder der Ausbildung stellen ohne Zweifel
– völlig unabhängig von ihrer konkreten Weiterverarbei-
tung – aufgrund der Zwangslage der Auskunftspflicht ei-
nen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeits-
recht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz dar.

Genau diese Konflikte haben die Volkszählungspro-
teste der 1980er-Jahre ausgelöst. Viele Grüne haben
diese Bewegung mitgetragen, und sie zählt sicherlich als
bürgerrechtliches Großereignis bis heute zu einer der
Wurzeln des grünen Selbstverständnisses. Im Kern geht
es dabei um die Sicherung der informationellen Selbst-
bestimmung des Einzelnen. Selber wissen und so weit als
möglich auch mit entscheiden zu können, wer was wann
über einen erfährt und was dann mit diesem Wissen ge-
macht werden darf, das zählt heute zum Kern des Daten-
schutzes, so wie ihn auch die grüne Partei gemeinsam
mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen erstrit-
ten hat.

Dank des tatsächlich wegweisenden Volkszählungs-
urteils von 1983 wurden genaue Vorgaben gemacht, die
den Gesetzgeber bis heute beschäftigen und binden. Das
Mikrozensusgesetz basiert auf diesen Vorgaben. Es dient
dazu, diese Vorgaben zum Schutz der Bürgerinnen und
Bürger gegen eine überbordende staatliche Datenerhe-
bung, und sei sie auch nur zu statistischen Zwecken, si-
cherzustellen.

Die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz in den
Ländern berichten alljährlich von Bürgerinnen und Bür-
gern, die sich mit Beschwerden auch gegen den Mikro-
zensus an sie wenden. Das derzeit in Kraft befindliche,
wie seine Vorgänger zeitlich befristete Mikrozensus-
gesetz von 2005 enthält zwar nicht mehr sämtliche
Einzelfragen im Gesetz selbst, sondern enthält Fragen-
komplexe, die dann im späteren Verordnungswege kon-
kretisiert werden dürfen. Gleichwohl besteht an dieser
Verfahrensweise trotz der teilweisen Zurücknahme des
strikten Gesetzesvorbehalts ein berechtigtes Interesse
der Flexibilisierung, um eben möglichst aktuelle, beson-
ders zielgerichtete Fragenkomplexe entwerfen zu kön-
nen.

Die Bundesregierung hat sich mit dem vorgelegten
Gesetzentwurf entschieden, das bisherige Mikrozensus-
gesetz um weitere vier Jahre zu verlängern. Sie räumt in
der Begründung durchaus ein, dass sich das Statistikwe-
sen im Umbruch befindet. Denn die Ergebnisse des Zen-
sus 2011 werden für 2014 erwartet und könnten und soll-
ten auch Auswirkungen auf den Mikrozensus haben.

Außerdem werden entsprechende Vollzensusverfah-
ren gemäß EU-Verordnung zukünftig alle zehn Jahre er-
folgen. Man könnte vor diesem Hintergrund theoretisch
deshalb wohl auch den Verzicht auf den Mikrozensus bis
zur weiteren Klärung oder eine kürzere, eine grund-
rechtsschonendere Befristung um lediglich zwei Jahre
ins Auge fassen. Der Preis wäre dann allerdings wohl
die Lückenhaftigkeit der Statistik für diese Zeiträume.
Zu bedenken bleibt zudem, dass sich die Fragebögen des
Zensus 2011 und die Fragebögen des Mikrozensus kei-
nesfalls umfänglich überschneiden, sondern durchaus
unterschiedlich angelegt sind.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Radikalkri-
tik bezüglich des Mikrozensus eingehen. Ohne Zweifel
muss auch das Mikrozensusverfahren im Fokus des Da-
tenschutzes bleiben. Grundlegende Schutzprinzipien
müssen gewahrt und willkürliche Ausdehnungen und Er-
weiterungen der Fragen verhindert werden.

Doch muss angesichts des hohen Verrechtlichungs-
grades, der wirklich sehr dichten Begleitung des gesam-
ten Prozesses durch die Aufsichtsbehörden und den nur
wenigen konkreten Beschwerdefällen trotz der bereits
seit vielen Jahren stattfindenden Befragungen festge-
stellt werden, dass bei diesem Thema aktuell nicht die
Front der rechtspolitischen Auseinandersetzung ver-
läuft. Wir haben wahrlich andere Großbaustellen zu
bewältigen, wie schon der ebenfalls für diese Sitzungwo-
che aufgezeigte Debattenpunkt zur EU-Datenschutzre-
form zeigt. Wir sollten deshalb in unserem Einsatz für
die Bürgerrechte auch klare Prioritäten zu setzen. Das
Mikrozensusverfahren zählt zu den weitgehend geregel-
ten und ganz überwiegend zufriedenstellend verlaufen-
den Datenerhebungen unseres Staates, das insoweit
auch Vorbild sein kann für andere Bereiche. Diese Er-
kenntnis sollte uns gleichwohl nicht davon abhalten, in
der Auswertung der Ergebnisse des Zensus 2011 kritisch
nachzufragen, auf welche Weise die Anzahl der Betroffe-
nen und der Umfang der Fragen weiter reduziert werden
kann, damit das Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchti-
gung weiter reduziert werden kann.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720428100

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11363, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/10041 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozial-
demokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt da-
gegen? – Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten,
Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Links-
fraktion. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf
ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatz-
punkt 7 auf:

25 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom
Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Soziale und ökologische Offenlegungspflichten
für Unternehmen regeln

– Drucksachen 17/9567, 17/11229 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Ullrich Meßmer
Serkan Tören
Annette Groth
Volker Beck (Köln)


ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira
Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Transparenz für soziale und ökologische Un-
ternehmensverantwortung herstellen – Unter-
nehmerische Pflichten zur Offenlegung von
Arbeits- und Umweltbedingungen auf euro-
päischer Ebene einführen

– Drucksache 17/11319 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig

Die Reden werden zu Protokoll genommen. – Alle
sind einverstanden.


Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1720428200

Manchmal hat man das Gefühl, dass man als Ver-

braucher sowieso nichts ausrichten kann, wenn einem
etwas nicht passt, zum Beispiel wenn einem nicht gefällt,
mit welchen zum Teil zweifelhaften Methoden große,
meist global agierende Konzerne ihre Waren produzie-
ren und verkaufen.

Einerseits gibt es die Verbraucher, die sich über die
als ungerecht empfundenen Produktionsmethoden in

Entwicklungsländern ärgern, durch welche die Umwelt
geschädigt oder Mitarbeiter ausgebeutet werden. Meis-
tens nehmen sie die Missstände jedoch hin. Sie zucken
mit den Schultern und sagen sich: „So ist das eben. Da-
ran kann man nichts ändern!“

Gleichzeitig gibt es aber auch die Verbraucher, die
ihre geballte Verbrauchermacht einsetzen und Macht
auf große Konzerne und manchmal sogar ganze Länder
ausüben – wenn sie sich zusammentun und den Mut ha-
ben, offen gegen das zu protestieren, was ihnen miss-
fällt.

Verbraucherproteste und -boykotte, meist unterstützt
durch das Engagement politischer Aktionsgruppen, ha-
ben schon häufiger dazu geführt, dass Unternehmen ihre
Produktionsmethoden überdacht und geändert haben.

Diese Verbrauchermacht muss gestärkt werden, be-
sonders auch im Rahmen der sozial-ökologischen Stan-
dards. Ich bezweifle jedoch, ob diese Verbrauchermacht
durch staatlichen Zwang gestärkt werden kann.

Meistens binden verpflichtende Berichtssysteme Res-
sourcen, die die Unternehmen für eine bessere CSR ein-
setzen könnten. Die Opposition fordert dies in ihrem An-
trag. Mir ist der Gedanke jedoch nicht konsequent zu
Ende gedacht, daher schlage ich im Rahmen der Aufga-
ben der Bundesregierung eher folgendes Vorgehen vor:

Erstens. Die Menschenrechte müssen in den Formu-
lierungen mehr Gewicht erhalten. Sie sollen daher in ei-
nem eigenen Kapitel behandelt werden. Es ist zu disku-
tieren, ob die Menschenrechte ein rechtlich einklagbares
Kriterium bei den OECD-Leitsätzen sind und wie sie
möglicherweise auf alle Geschäftstätigkeiten eines Un-
ternehmens ausgeweitet werden können.

Zweitens. Wichtig zu diskutieren ist, wie mögliche
Sanktionsmechanismen für deutsche Unternehmen aus-
sehen können, die sich nicht an die Leitsätze halten. Ich
halte es für sinnvoll, wenn Unternehmen mit nicht nach-
haltigem Wirtschaften von staatlichen Förderinstrumen-
ten für eine Zeit lang ausgeschlossen werden.

Drittens. Wir sollten zudem diskutieren, wie wir die
Zuständigkeiten über die OECD-Leitsätze im Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie inhaltlich
von dem Referat trennen, das auch gleichzeitig für die
Genehmigung von Bürgschaften entscheidet. Die derzeit
dort entstehenden Interessenskonflikte dürfen nicht sein
und untergraben auch die Glaubwürdigkeit, mit der die
Bundesregierung die Leitlinien umsetzen will.

Als letzten inhaltlichen Aspekt möchte ich mich an
dieser Stelle noch mit dem Argument des Rechtsschutzes
für Geschädigte gegenüber den internationalen Unter-
nehmen auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang
kommen die Instrumente der deutschen Entwicklungspo-
litik und die Arbeit der deutschen Stiftungen im Ausland
ins Spiel. Wichtig ist, dass Deutschland verstärkt
Rechtsberatung als einen Schwerpunkt der gemeinsa-
men Entwicklungspolitik mit unseren Partnerländern in
Regierungsverhandlungen verankern muss.

Grund ist, dass oftmals deutsche Unternehmen, selbst
wenn sie es wollten, keine Handhabe haben, Sozialstan-





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)


dards in den produzierenden Partnerländern durchzu-
setzen, da die Rechtssysteme vor Ort kein Arbeitsrecht
kennen. Daher wäre es auch nicht gerecht, dass deut-
sche und internationale Unternehmen in ihren Heimat-
ländern vor internationalen Gerichten angeklagt wer-
den können. Es muss auch in der Selbstverantwortung
der Partnerländer liegen, ein Arbeitsrecht zu schaffen,
das es den Arbeitern vor Ort ermöglicht, Recht erst mal
im eigenen Land zu erhalten.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch die ILO,
die Arbeitsorganisation der UN, in die Pflicht nehmen,
endlich ihre internationalen Ansätze nachhaltiger und
rechtlich einklagbarer umzusetzen. Oftmals werden die
zu 100 Prozent zu unterstützenden ILO-Arbeitsnormen
in den Partnerländern nicht ernst genommen, da die
rechtliche Verbindlichkeit fehlt. Ich bin der Auffassung,
dass wir auch hier einen neuen internationalen Mecha-
nismus zur wirksamen Durchsetzung der Normen finden
müssen.

Abschließend ist somit zu sagen, dass wir alle die
Chancen in Fragen der Unternehmensverantwortung
erkennen müssen. Wir müssen internationale Verträge
neu justieren und der Wirtschaft vor Augen führen, wel-
chen Imagegewinn sie durch nachhaltige CSR erhalten.

Daher muss unsere Nachricht an die CSR-Welt lau-
ten, dass es keinen Wettbewerb zulasten von Sozialstan-
dards zwischen importierenden deutschen und interna-
tionalen Unternehmen geben darf.

Die Bundesregierung nimmt sich dieser Maxime an,
es ist der moralische Anspruch der deutschen Wirt-
schaft, hier in Gänze zu folgen.


Ullrich Meßmer (SPD):
Rede ID: ID1720428300

Das Thema „Menschenrechte und Unternehmensver-

antwortung“ ist in den letzten Jahren zu Recht in den
Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Bereits 2011 wurden
mit der Revision der OECD-Leitsätze und der Annahme
der Guiding Principles von Ruggie, dem VN-Sonder-
berichterstatter für Menschenrechte und Wirtschaft,
durch den VN-Menschenrechtsrat wichtige Signale für
mehr Unternehmensverantwortung gesendet. Des Weite-
ren steckten die Erklärung der ILO über multinationale
Unternehmen und Sozialpolitik, der Global Compact
der Vereinten Nationen und der VN-Sozialpakt einen
Rahmen für menschenrechtskonformes unternehmeri-
sches Handeln ab. Daneben existieren eine Reihe frei-
williger Initiativen der Wirtschaft zur Einhaltung von
Menschen- und Arbeitnehmerrechten zur nachhaltigen
Entwicklung und zur Beachtung von Umweltfaktoren.
Sie werden mit dem Begriff Corporate Social Responsi-
bility, oder kurz: CSR, zusammengefasst.

CSR beinhaltet nur freiwillige Maßnahmen bzw.
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Sie werden von
Betrieb zu Betrieb unterschiedlich oder gar nicht ange-
wandt. CSR wird nicht überprüft; auch Sanktionen sind
nicht vorgesehen.

Sie können verbindliche Standards höchstens ergän-
zen oder den Weg hin zu verbindlichen Standards vor-
zeichnen. Verbindliche Standards und Normen sind zum

Beispiel gewerkschaftlich erstrittene tarifliche Verein-
barungen und Arbeitnehmerrechte, die nicht nur den
Betrieb binden, sondern für jeden einzelnen Betriebs-
angehörigen gelten und einklagbar sind. So schützen sie
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer
Bezahlung, ihres Rechts auf menschenwürdige Arbeits-
bedingungen, Urlaub, Absicherung usw. und vor Diskri-
minierung.

Es gibt aber noch weitere Gründe, die für verbindli-
che soziale und ökologische Offenlegungspflichten von
Unternehmen sprechen. Ökologische und soziale Aus-
wirkungen unternehmerischen Handelns berühren näm-
lich fast immer auch den Bereich der Menschenrechte.
Wenn Ureinwohnern beispielsweise durch sogenanntes
Landgrabbing ihre Lebensgrundlage entzogen wird,
verletzt dies ihre Menschenrechte sogar in existenziel-
lem Sinne.

Ebenso können die Rodung von Wäldern, die Verseu-
chung ganzer Fluss-Systeme durch Industrie oder feh-
lende Nachhaltigkeit ganze Bevölkerungsgruppen ihrer
Menschenrechte berauben. Schlechte Entlohnung, feh-
lende Gesundheitsfürsorge und gesundheitsgefährdende
Arbeitsbedingungen verletzen Menschenrechte sogar in
erheblichem Umfang.

Wir begrüßen daher die im Antrag geforderten sozia-
len und ökologischen Offenlegungspflichten für Unter-
nehmen. Neben der Offenlegungspflicht für finanzwirt-
schaftliche Daten wird die gesetzliche Pflicht für die
Offenlegung der sozialen und ökologischen Produk-
tionsbedingungen die Transparenz unternehmerischen
Handelns in erheblichem Umfang erhöhen, besonders
wenn, wie im Antrag gefordert und soweit möglich, auch
die Lieferkette mit einbezogen wird. Gerade Verbrau-
cherinnen und Verbraucher haben das Recht, zu erfah-
ren, unter welchen Bedingungen Waren hergestellt wur-
den. Es ist sicherlich vernünftig, dabei den Kapazitäten
kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung zu tragen.

Wichtig ist – das hat der Sonderbeauftragte der Ver-
einten Nationen für Menschenrechte und Wirtschaft,
Ruggie, immer wieder zu Recht betont –, dass neben die
verbindlichen Pflichten vor allem Sanktionsmöglichkei-
ten und ein ausgeprägter Schutz der Opfer treten müs-
sen. Von Menschenrechtsverletzungen betroffene Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer müssen einen
wirksamen Rechtsweg beschreiten können, der ihnen
nebst einer Anerkennung des erlittenen Unrechts auch
Hilfe und Wiedergutmachung gewährt.

Längst haben viele Unternehmen erkannt: Transpa-
renz über Produktionsbedingungen auch entlang der
Wertschöpfungskette zahlt sich aus. Gute Unterneh-
mensführung und Nachhaltigkeit sind absatzfördernd,
da kritische Verbraucherinnen und Verbraucher zuneh-
mend solche Informationen nachfragen und zur Grund-
lage ihrer Kaufentscheidung machen. Verbindliche
Offenlegungspflichten würden ihre Position und ihren
Einfluss weiter stärken.

Unternehmen, die ihre Offenlegungspflichten verlet-
zen und damit womöglich Menschenrechtsverletzungen
decken oder vertuschen wollen, müssen auch mit Sank-

Zu Protokoll gegebene Reden





Ullrich Meßmer


(A) (C)



(D)(B)


tionen im Falle nachgewiesener Menschenrechtsverlet-
zungen belegt werden können.

Die vorliegenden Anträge verfolgen einen sinnvollen
Weg, den wir seitens der SPD begrüßen und unterstützen
werden.


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1720428400

Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam über die

gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen de-
battieren – vor allem über die Vorschläge der Fraktio-
nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, nach welchen
Regeln diese von der Wirtschaft wahrgenommen werden
soll. Ich halte die Debatte in unserem Hause für drin-
gend notwendig und hätte mir eine lebhafte Diskussion
darüber gewünscht – statt einer Rede für das Protokoll.
Ich hoffe, wir haben an anderer Stelle dazu noch Gele-
genheit.

Die Frage der unternehmerischen Verantwortung ist
eine ganz grundlegende, entscheidende Frage. Im Kern
geht es darum: Soll die Wirtschaft für die Menschen da
sein, oder ist es etwa umgekehrt der Fall?

Wenn ich immer wieder Berichte lese, wie Menschen
rund um die Welt ausgebeutet werden oder sogar be-
triebsbedingt verunglücken, wie Gewerkschaftsrechte
mit Füßen getreten werden und wie vielerorts die Um-
weltzerstörung voranschreitet, habe ich erhebliche Zwei-
fel daran, dass die Wirtschaft den Menschen dient. Das
betrifft auch europäische und deutsche Konzerne, in de-
ren Lieferketten bereits schlimme Fälle bekannt gewor-
den sind.

Wenn in Pakistan eine ganze Fabrik abbrennt und
250 Menschen darin verbrennen, die auch für den deut-
schen Textildiscounter KiK produziert haben, ist das
mehr als erschütternd. Offensichtlich wurden dort kei-
nerlei Arbeitsschutzmaßnahmen für die Beschäftigten
getroffen. Es gab keine Notausgänge, und die Fenster
waren vergittert. Das ist nicht hinnehmbar! Es muss im
Interesse jedes Unternehmens sein, solche Missstände in
der eigenen Produktions- bzw. Zulieferkette zu verhin-
dern. Mehr noch: Es muss in der Verantwortung der Un-
ternehmen liegen, sorgfältig zu prüfen, unter welchen
sozialen und ökologischen Bedingungen ihre Produkte
hergestellt werden.

Die im Juni 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien
für Wirtschaft und Menschenrechte legen Unternehmen
diese Sorgfaltspflicht auf, die über die eigenen Unterneh-
mensaktivitäten hinausgeht und Geschäftspartner und
andere Akteure in der Wertschöpfungskette einbezieht.
Als SPD-Fraktion begrüßen wir die – vor fast genau ei-
nem Jahr veröffentlichte – neue EU-Strategie für die
soziale Verantwortung der Unternehmen. Die EU-Kom-
mission bekennt sich damit zum ersten Mal zu verpflich-
tenden Vorschriften zur Förderung der Transparenz und
erwartet insbesondere von großen Unternehmen, eine ri-
sikobasierte Sorgfaltsprüfung bis in die Lieferketten vor-
zunehmen.

Transparenz ist das entscheidende Stichwort: Den
Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft es doch nicht,

wenn sie von einigen Unternehmen in Hochglanzbro-
schüren lesen, was Gutes auf den Weg gebracht wurde.

Denn erstens wissen die interessierten Konsumenten
damit noch nicht, ob es an anderer Stelle der Geschäfts-
tätigkeit dieses Unternehmens soziale oder ökologische
Probleme gibt, die natürlich nicht in einem freiwilligen
CSR-Bericht des Unternehmens auftauchen würden.

Zweitens können die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher keinen Vergleich zu anderen Unternehmen vorneh-
men. Wichtig wäre zu wissen, wie sich alle bekannten
Firmen einer bestimmten Branche, wie zum Beispiel
Sportartikelhersteller, verhalten.

Drittens kann es ohne klare Regeln für Transparenz
auch zur Irreführung der Kunden kommen: So hatte Lidl
2010 mit einem Versprechen geworben, faire Arbeitsbe-
dingungen bei Textilzulieferern in Bangladesch zu ga-
rantieren. Erst aufgrund einer Klage der Verbraucher-
zentrale Hamburg infolge einer Untersuchung der
Arbeitsbedingungen vor Ort musste Lidl seine Werbung
kleinlaut zurückziehen.

Fehlende Transparenz ist auch für die vorbildlichen
Unternehmen ein Problem, wenn sie durch Lohndum-
ping und schlechte Arbeitsbedingungen in anderen Un-
ternehmen von diesen preislich unterboten werden kön-
nen. Der Preis ist doch heute für potenzielle Kunden die
einzige überprüfbare vergleichbare Größe.

Das wollen, das müssen wir ändern! Von der Bundes-
regierung haben wir hier – wie so oft – leider nichts zu
erwarten, vor allem nichts Gutes. Schwarz-Gelb gefällt
sich in der Rolle als größter Bremsklotz auf EU-Ebene
für die aktuellen Pläne der Kommission, für echte Trans-
parenz und verbindliche Unternehmensverantwortung
zu sorgen. Wir wollen der lahmen Bundesregierung mit
unserem Antrag Beine machen, damit wir hier in
Deutschland und Europa endlich vorankommen.

Wir fordern, dass Unternehmen verpflichtet werden,
Informationen zu sozialen und ökologischen Aspekten
ihrer Geschäftstätigkeit vorzulegen, und zwar nach ein-
heitlichen Standards, wahrheitsgemäß und vollständig –
und auch im Rahmen ihrer Verantwortung für die Wert-
schöpfungs- und Lieferkette. Es muss öffentlich werden,
wo Niedriglöhne gezahlt werden, wie viele Arbeitsun-
fälle passieren, wie Kinderarbeit verhindert wird, ob Be-
triebsräte vorhanden sind. Genauso liegt es im öffentli-
chen Interesse, Angaben zum Flächenverbrauch von
Agrarbetrieben oder die Menge abgebauter Rohstoffe zu
erhalten.

Wir flankieren diese Offenlegungspflichten mit einem
Verbandsklagerecht. Denn bei Verstößen gegen die
wahrheitsgemäße und pflichtgemäß vollständige Offen-
legung müssen Verbraucherverbände oder auch Ge-
werkschaften die Möglichkeit haben, dagegen vorzuge-
hen. Wichtig ist, dass die Unternehmensinformationen
geprüft und im Anschluss veröffentlicht werden. Dies
soll durch unabhängige Prüfgesellschaften – ähnlich
wie Wirtschaftsprüfer heute, aber mit Know-how im so-
zialen und ökologischen Bereich – erfolgen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


Das Ziel muss, darauf aufbauend, ein Auditierungs-
und Zertifizierungssystem sein, mit einheitlichen Stan-
dards und europaweit gültig. Dann können Verbrauche-
rinnen und Verbraucher besser vergleichen und sich für
faire und nachhaltige Produkte entscheiden.

Klar ist auch: Kleine und mittlere Unternehmen dür-
fen wir nicht überfordern. Sie sollen in einer ersten
Phase ausgenommen sein und später angemessen in die
Offenlegung von Informationen einbezogen werden, ge-
rade wenn es sich um risikoreiche Branchen wie Textil-
unternehmen handelt.

Ich freue mich, dass die Grünen sich ebenfalls für die
geforderte Transparenz aussprechen. Auch wenn in ih-
rem Antrag viele Prüfaufträge enthalten sind, schließen
wir uns diesem gerne an. Wir brauchen Transparenz mit
vergleichbaren und verbindlich einzufordernden Infor-
mationen. Nur so ist ein fairer Wettbewerb um nachhal-
tige Handels- und Produktionsbedingungen möglich,
und nur so dient die Wirtschaft tatsächlich den Men-
schen.


Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1720428500

Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen fordert die Bundesregierung auf, strenge Offen-
legungspflichten zu sozialen und ökologischen Aspekten
der Geschäftstätigkeit von Unternehmen in Zukunft ge-
setzlich festzuschreiben. Im Falle eines Verstoßes soll
über mögliche Sanktionsmechanismen nachgedacht
werden. Die Bundesregierung wird außerdem erneut
dazu aufgerufen, sich auch weltweit verstärkt für umfas-
sende Offenlegungspflichten einzusetzen.

Die Forderungen der Grünen sind nicht neu. Ganz im
Gegenteil: Ähnliche Sachverhalte haben wir bereits
mehrfach debattiert und sie mit guten Gründen stets ab-
gelehnt. Diese guten Gründe ignorieren die Grünen al-
lerdings vollständig. Ihr Antrag blendet zudem sämtli-
che Fortschritte aus, die bislang auf internationaler
Ebene errungen wurden. Aber der Reihe nach.

Der inhaltliche Kern des Antrags – die soziale und
ökologische Verantwortung von Unternehmen zu stär-
ken – ist ein zentrales Anliegen der FDP. Über den Weg
dorthin lässt sich jedoch streiten.Der große Sprung in
unbekanntes Terrain, wie ihn die Grünen vorsehen, birgt
die Gefahr, zurückrudern zu müssen. Ein Ansatz auf frei-
williger Basis, wie ihn die Liberalen vertreten, stellt hin-
gegen sicher, dass der Prozess kontinuierlichen Fort-
schritts nicht ins Stocken gerät. Vor allem zeigt das
Vorhaben der Grünen ein mangelndes Verständnis für
die Entwicklung unserer heutigen Wirtschaftstrukturen.
Das Hauptproblem liegt dabei in der Definition von Ver-
antwortung und Pflichten von Unternehmen, die in unse-
rem Land tätig sind und waren. Jahrzehntelang wurden
Pflichten gegenüber anderen Akteuren als den jeweili-
gen Anteilseignern nämlich kaum eingefordert.

Seitdem haben sich Unternehmen jedoch zunehmend
zu verantwortungsbewussten Partnern des Staates und
der Gesellschaft entwickelt. Sie haben aus eigener
Initiative heraus ein verstärktes Bewusstsein für die wei-
tergefassten sozialen und ökologischen Auswirkungen

ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten geschaffen. Die Über-
nahme von ökologischer und sozialer Verantwortung
entwickelt sich zunehmend zum Wettbewerbsvorteil. Än-
derungen in Bezug auf die Offenlegungs- und Kontroll-
pflichten eines Unternehmens, wie sie von den Grünen
gefordert werden, würden daher höchstens einen enor-
men bürokratischen und finanziellen Mehraufwand dar-
stellen. Vor allem in Anbetracht der starken Wirtschafts-
leistung mittelständischer Unternehmen und ihres
bereits großen freiwilligen Engagements im Bereich so-
zialer und ökologischer Verantwortung, ist es fraglich,
ob sich eine zusätzliche gesetzliche Regelung nicht eher
kontraproduktiv auf die bereits erzielten Fortschritte
auswirkt und eine zu hohe Belastung darstellt. Unter-
nehmen brauchen flexible Regelungen, um soziale und
ökologische Verantwortung nachhaltig als einen Teil ih-
rer Unternehmenskultur und -identität zu etablieren.
Solche Regelungen müssen in erster Linie auf suprana-
tionaler Ebene verfolgt werden, um Wettbewerbsnach-
teile und Standortverlagerungen ins Ausland zu verhin-
dern.

Dass dieser Prozess bereits an Fahrt aufgenommen
hat, zeigt sich an der zunehmenden Akzeptanz interna-
tionaler Initiativen für stärkere soziale und ökologische
Pflichten seitens der Unternehmen. Konkret meine ich
damit die OECD-Leitsätze für multinationale Unterneh-
men, den Runden Tisch Verhaltenskodizes, die Leitprin-
zipien für Wirtschaft und Menschrechte der Vereinten
Nationen, die Modernisierungsrichtlinie der EU sowie
die Reform der Transparenzrichtlinie auf europäischer
Ebene. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Un-
ternehmen diesen Vorschriften angeschlossen und sich
freiwillig zu verantwortlicherem Handeln verpflichtet,
das oftmals sogar über eine reine Offenlegungsver-
pflichtung hinausgeht. Wir sollten uns also eher dafür
einsetzen, die bereits vorhandenen freiwilligen Initiati-
ven zu stärken, als uns unbedacht in gesetzliche Experi-
mente zu stürzen. Das spart nicht nur Zeit und Geld,
sondern bringt uns dem eigentlichen Ziel, soziale und
ökologisch nachhaltige Unternehmensstrukturen zu
stärken, entscheidend näher.

Freiwilligkeit ist und bleibt die bessere Alternative
um das gesellschaftliche Umdenken zu unterstützen und
zugleich die Wettbewerbsfähigkeit und Existenz von Un-
ternehmen zu sichern. Nur so kann kontinuierlicher
Fortschritt sichergestellt werden, besonders im Bereich
der Menschenrechte ist das der einzig vernünftige Weg.
Den Antrag der Grünen lehnen wir deshalb ab.


Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720428600

Die Forderung, durch Transparenz Öffentlichkeit und

damit demokratische Kontrolle von Aktivitäten transna-
tional arbeitender Unternehmen zu schaffen, ist richtig.
Die Fraktion Die Linke unterstützt deshalb den Antrag,
fordert aber gleichzeitig die Einführung von verbindli-
chen und konkreten Mindeststandards für international
arbeitende Konzerne. Unverbindliche Selbstverpflich-
tungen der Unternehmen, Transparenzrichtlinien und
unverbindliche internationale Abkommen werden die
sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen nicht
verbessern. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass in

Zu Protokoll gegebene Reden





Annette Groth


(A) (C)



(D)(B)


dem Antrag auch verbindliche und vor allem individuell
einklagbare Mindeststandards für Unternehmen gefor-
dert werden. Wir werden den Antrag trotzdem unterstüt-
zen, da Transparenz eine wichtige Voraussetzung für
Gegenwehr und Protest ist.

Die Liberalisierung des internationalen Handels, der
in den letzten 25 Jahren von allen Bundesregierungen
unterstützt wurde, hat zu immer mehr Macht der interna-
tionalen Konzerne geführt. Viele der großen, börsenno-
tierten transnationalen Konzerne haben Jahresumsätze,
die das Bruttoinlandsprodukt mittelgroßer Staaten deut-
lich übersteigen. So hat zum Beispiel Wal Mart als um-
satzstärkstes Unternehmen der Welt einen Jahresumsatz
von fast 410 Milliarden Dollar und beschäftigt etwa
2,1 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Royal Dutch Shell und Exxon Mobil erwirtschaften
beide fast 290 Milliarden Dollar pro Jahr. Das größte
deutsche Unternehmen, die Volkswagen AG, hat einen
Jahresumsatz von fast 150 Milliarden Dollar. Nur 21 der
wirtschaftlich stärksten Staaten der Welt haben ein grö-
ßeres Bruttoinlandsprodukt als Wal Mart. Länder wie
Norwegen, Schweden, Venezuela oder Österreich haben
ein geringeres Bruttoinlandsprodukt als diese Unterneh-
mensgiganten. Es ist notwendig, diese zunehmende
Macht der großen Konzerne zu kontrollieren und über
ihre Aktivitäten größtmögliche Öffentlichkeit herzustel-
len.

Seit vielen Jahrzehnten versuchen entwicklungs-
politische und menschenrechtliche Initiativen und
Organisationen durch Kampagnen diese Öffentlichkeit
herzustellen. Alle Kampagnen fordern ebenfalls eine
verbindliche Veröffentlichungspflicht der Unternehmen
über die sozialen, menschenrechtlichen und ökologi-
schen Auswirkungen ihres unternehmerischen Han-
delns.

Beispiel: Clean-Clothes-Kampagne. Die „Kampagne
Saubere Kleidung“ engagiert sich seit vielen Jahren für
die Einhaltung von ökologischen, sozialen und men-
schenrechtlichen Mindeststandards in den Unternehmen
der Bekleidungsindustrie. Mit Aktionen zu KiK, Aldi,
Lidl und der Sport- und Outdoor-Branche haben sie In-
formationen über die Hersteller und Handelsunterneh-
men aus diesen Bereichen gesammelt und öffentlich ge-
macht. Es ist der „Kampagne Saubere Kleidung“ zu
verdanken, dass große Unternehmen wie Puma und Adi-
das einen Teil ihrer Verbindungen mit Zulieferern öffent-
lich machen und erste innerbetriebliche Zertifizierungen
aufgebaut haben. Die Kampagne betont, dass die Her-
stellung von Öffentlichkeit ein zentraler Baustein für die
Veränderung der Unternehmenspolitik ist. Nur wenn die
Kundinnen und Kunden die menschenunwürdigen Ar-
beitsbedingungen der Zulieferer, die Einschränkung von
Menschenrechten und die katastrophalen ökologischen
und arbeitsrechtlichen Standards der Unternehmen ken-
nen, können sie Druck auf die Konzerne, zum Beispiel
durch Kaufverzicht, ausüben.

Beispiel: Bankenkampagne. Die Kampagne „Bank-
wechsel jetzt!“ klärt über die Geschäfte von Großban-
ken auf. Sie stellt Öffentlichkeit über die Finanzierung
von Atomanlagen, Finanzierung von Rüstungsproduk-

tion, Landgrabbing und über die Spekulation mit Nah-
rungsmitteln her.

Banken und Versicherungen sind im großen Stil an
Landgrabbing beteiligt. In Deutschland werden über
30 verschiedene Fonds angeboten, die direkt oder über
Firmenbeteiligungen Landgrabbing unterstützen und
eine Geldanlage in Landflächen unterstützen. Die Fonds
hatten im Jahr 2010 ein Gesamtvolumen von mehr als
5,2 Milliarden Euro. FIAN weist in einer Studie darauf
hin, dass allein die Fondgesellschaft der Deutschen
Bank DWS etwa 300 Millionen Euro in Unternehmen in-
vestiert hat, die mehr als 3 Millionen Hektar Ackerland
in Südamerika, Afrika und Südostasien kontrollieren.
Damit wird Land den Menschen in den betroffenen Län-
dern entzogen, das dann nicht mehr der Produktion von
Nahrungsmitteln für den eigenen Bedarf zur Verfügung
steht.

Beispiel: Rüstungsexport. Die „Aktion Aufschrei –
Stoppt den Waffenhandel!“ weist darauf hin, dass jede
Minute ein Mensch an den Folgen einer Gewehrkugel,
einer Handgranate oder einer Landmine stirbt. Allein
durch Gewehre und Pistolen der Waffenschmiede
Heckler & Koch haben in den letzten 60 Jahren mehr als
eine Million Menschen ihr Leben verloren.

Ziel der Kampagne ist, Alternativen zur Rüstungspro-
duktion durchzusetzen. Die Aktion klärt über Rüstungs-
aktivitäten großer Unternehmen wie Daimler AG, Sie-
mens oder Deutsche Bank auf. Die Kampagne fordert
„eine grundsätzliche Veröffentlichungspflicht aller ge-
planten und tatsächlich durchgeführten Exporte von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern durchzuset-
zen, um öffentliche Diskussionen und parlamentarische
Entscheidungen überhaupt zu ermöglichen“.

Beispiel: Landgrabbing. Verbände wie FIAN,
INKOTA, urgewald, NaturFreunde und GRAIN decken
international die Folgen von Landgrabbing auf. In vie-
len Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas werden
riesige Landflächen an internationale Investoren ver-
kauft und Menschen von ihrem zum Teil seit Jahrhunder-
ten genutzten Land vertrieben. Durch verbindliche Re-
gister sollen alle internationalen Akteure bekannt
gemacht werden, Verträge veröffentlicht und soziale und
ökologische Folgen der Landdeals öffentlich werden.
Transparenz und Öffentlichkeit sind auch für sie wich-
tige Grundlagen, um in Europa oder den betroffenen
Ländern Investitionen verhindern oder zumindest kri-
tisch begleiten zu können.

Beispiel: Lidl-Kampagne von Verdi. Am 10. Dezem-
ber 2004, dem Tag der Internationalen Menschenrechte,
veröffentlichte die Gewerkschaft Verdi das „Schwarz-
Buch Lidl“, das auf gravierende soziale und arbeits-
rechtliche Defizite bei dem Discounter hinwies. Mit ei-
ner Öffentlichkeitskampagne wurde der Discounter ge-
zwungen, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen
und zum Teil Veränderungen herbeizuführen. Auch Verdi
hat betont, dass Öffentlichkeit und Information Grund-
voraussetzungen für gesellschaftlichen Druck sind.

Beispiel: „Handel gegen den Frieden“. Die kürzlich
veröffentliche Publikation von europäischen kirchlichen

Zu Protokoll gegebene Reden





Annette Groth


(A) (C)



(D)(B)


Hilfswerken und Menschenrechtsorganisationen „Han-
del gegen den Frieden: Wie Europa zur Erhaltung
illegaler israelischer Siedlungen beiträgt“ prangert
europäische Firmen an, die gegen internationales Völ-
kerrecht verstoßen, indem sie Produkte aus illegalen is-
raelischen Siedlungen nicht als solche kennzeichnen.
Stattdessen werden sie mit dem Label „Made in Israel“
versehen. Damit unterstützen Firmen wie zum Beispiel
Heidelberg Cement oder Veolia die völkerrechtswidri-
gen und menschenrechtsverletzenden Praktiken im Rah-
men der fortgesetzten Besatzung palästinensischer Ge-
biete.

Eine der Hauptforderungen der kirchlichen Hilfs-
werke und Menschenrechtsorganisationen ist die Kenn-
zeichnungspflicht von Produkten, die in den illegalen
Siedlungen gefertigt wurden. Der Europäische Gerichts-
hof hat in seinem Urteil vom 25. Februar 2010 entschie-
den, dass das Vorgehen der Zollbehörden, Waren aus
den Siedlungen die Präferenzbehandlung zu verweigern,
rechtmäßig ist und dass die in den völkerrechtswidrigen
Siedlungen produzierten Waren keinen Anspruch auf
EU-Zollvergünstigungen haben.

Die britische Regierung hat bereits 2009 Richtlinien
zur Kennzeichnung eingeführt; die dänische Regierung
kündigte im Mai 2012 ähnliche Richtlinien an. Da sich
Firmen zunehmend zu internationalen Rahmenbedin-
gungen der Corporate Social Responsibility, CSR, be-
kennen, haben sich etliche Firmen, wie zum Beispiel die
Deutsche Bahn, aus den besetzten Gebieten zurückgezo-
gen.

Diese Beispiele zeigen auf, dass verbindliche soziale
und ökologische Offenlegungspflichten für Unterneh-
men einen wichtigen Beitrag für gesellschaftlichen
Druck und die Arbeit von Gewerkschaften, NGOs und
Betroffenen darstellen. Deshalb unterstützt die Fraktion
Die Linke ausdrücklich die Forderung nach einer ge-
setzlichen Verpflichtung der Unternehmen, die sozialen,
menschenrechtlichen und ökologischen Auswirkungen
ihres unternehmerischen Handelns offenzulegen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720428700

Transnationale Unternehmen haben mitunter ganz

konkreten Einfluss auf Menschenrechtsverletzungen,
nehmen an diesen teil oder profitieren von ihnen. Dies
betrifft auch Unternehmen, die in Deutschland und der
EU ihren Sitz haben oder hier einen Großteil ihres Um-
satzes erwirtschaften. Es ist seit jeher eines der Kernan-
liegen grüner Politik, diese Verletzungen der Menschen-
rechte sowie der ökologischen und sozialen Standards zu
beenden.

Wir Grüne haben an die Bundesregierung eine Kleine
Anfrage zu den Arbeitsbedingungen in Indien gerichtet.
Die Antwort mit der Drucksachennummer 17/11222 ist
frustrierend. Es geht in der Anfrage in erster Linie um
das sogenannte Sumangali-System. In der tamilischen
Sprache beschreibt das Wort Sumangali eine glückliche
Braut oder eine Braut, die Wohlstand bringt. Um Wohl-
stand geht es tatsächlich, aber gewiss nicht um den der
Bräute. Es geht um ein Geschäft, das in Spinnereien im

Süden Indiens beginnt und von den dortigen Textilfabri-
ken bis in deutsche Kleidergeschäfte führt.

Beim Sumangali-System im südindischen Bundes-
staat Tamil Nadu geht es letztlich um die Versklavung
junger Frauen. Eltern geben die Mädchen in die Obhut
von Textilfabriken, in denen sie dann ihre eigene Mitgift
verdienen müssen. Drei Jahre lang werden die Mädchen
„ausgebildet“; sie werden aber tatsächlich wie Gefan-
gene gehalten und ausgebeutet. In der Regel bekommen
sie monatlich nur ein Taschengeld von etwa 20 Euro.
Wird der Bonus von 500 bis 800 Euro nach Ablauf des
Vertrags überhaupt gezahlt, wandert er direkt in die Ta-
schen der Familie des Bräutigams. Laut Terre des
Hommes gehört das Sumangali-System zu den schlimms-
ten Formen der Kinderarbeit. Der Bundesregierung ist
dieses Problem bewusst. Das gibt sie in der Antwort auf
unsere Anfrage zu. Möglichkeiten, die Produkte der
Sklavenarbeit von deutschen Ladentischen zu verban-
nen, sieht sie aber praktisch nicht. Denn wörtlich ant-
wortet sie: „Es besteht keine rechtliche Verpflichtung
der deutschen Unternehmen ihre Bezugsquellen anzuge-
ben.“ Ihr lägen daher keine Informationen darüber vor,
welche deutschen Unternehmen unter solchen Umstän-
den produzieren lassen und in Deutschland verkaufen.

Schwarz-Gelb setzt bei Fragen der Offenlegung und
Transparenz bei unternehmerischem Handeln einzig und
allein auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Auch in dieser
Debatte werden Union und FDP wieder einmal darauf
verweisen, dass Freiwilligkeit der einzig richtige Weg
sei. Ich sage ganz deutlich: Spätestens mit dieser Ant-
wort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zu
den Sumangali-Mädchen in Indien hat sich Ihr Dogma
der Freiwilligkeit bis auf die Knochen blamiert. Wenn
nicht einmal die schlimmsten Auswüchse unternehmeri-
scher Tätigkeit im Ausland bekannt gemacht werden
können, dann brauchen wir dringend gesetzliche Rege-
lungen. Die Bundesregierung sieht nichts, hört nichts
und weiß nichts. Nicht einmal das, was Journalisten re-
cherchiert haben. Aber Schwarz-Gelb will offenbar
nichts an diesem Zustand ändern. Wir fordern daher in
unserem hier vorliegenden Antrag die Bundesregierung
auf, Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, Informa-
tionen zu menschenrechtlichen, sozialen und ökologi-
schen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentli-
chen.

Auf Ebene der Vereinten Nationen und auch in der
EU hat man längst eingesehen, dass es ohne rechtliche
Verpflichtung nicht geht. Im Jahr 2011 wurden sowohl
die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
der Vereinten Nationen als auch die neue EU-Strategie
für die soziale Verantwortung der Unternehmen verab-
schiedet. Damit wurde der langjährige internationale
Streit darüber beendet, ob die weltweite Einhaltung
grundlegender Menschenrechtskriterien durch Unter-
nehmen freiwillig erfolgen oder verbindlich gemacht
werden soll. Beide Vorlagen drängen auf eine Kombina-
tion von verbindlichen Regelungen und freiwilligen
Maßnahmen und erkennen an, dass negative soziale und
ökologische Auswirkungen von Unternehmenshandeln
nicht allein auf freiwilliger Basis verhindert werden
können.

Zu Protokoll gegebene Reden





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Warum die Bundesregierung wider besseres Wissen
dennoch weiterhin dem reinen Prinzip der Freiwilligkeit
anhängt, ist mir schleierhaft. Kleine und mittlere deut-
sche Unternehmen schützt sie dadurch nicht. Denn die
meisten dieser Unternehmen haben überhaupt kein Inte-
resse daran, die deutschen Verbraucher zu täuschen.
Geschützt werden dadurch nur riesige Konzerne wie
H & M, Lidl, KiK oder Metro. Sie verstecken sich hinter
wohlklingenden Strategien zur Corporate Social Res-
ponsibility, kümmern sich aber zum Teil nicht einen Deut
um die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen in den Zu-
lieferbetrieben.

Diese und andere deutsche und europäische Unter-
nehmen verkauften und verkaufen in Deutschland Wa-
ren, die unter teilweise gravierenden Verletzungen der
menschenrechtlichen, ökologischen und sozialen Stan-
dards produziert wurden. Dazu gehören Fälle von Kin-
derarbeit, Fälle, in denen die Löhne unter der absoluten
Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar liegen, und Fälle, in
denen die Arbeiterinnen und Arbeiter aufgrund der Ar-
beitsbedingungen sterben oder schwer erkranken.

Die Textilindustrie sticht dabei heraus; dort ist die Si-
tuation besonders miserabel. Bei einer furchtbaren Feu-
erkatstrophe in einer pakistanischen Textilfabrik starben
im September 2012 mehr als 250 Menschen, weil die
Fenster vergittert und die Türen verriegelt waren, damit
niemand den Arbeitsplatz verlässt. Auch das deutsche
Unternehmen KiK ließ dort produzieren. Die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher erfahren von diesen Miss-
ständen zu wenig. Nur wenn ein besonders drastischer
Skandal aufgedeckt oder eine besonders bekannte
Marke betroffen ist, dringt dies in breite Bevölkerungs-
gruppen durch.

Doch fehlende Offenlegungspflichten belasten auch
jene Firmen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Auch im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen ist
eine gesetzliche Offenlegungspflicht daher notwendig.
Denn die vorbildlichen Unternehmen leiden darunter,
wenn sie im Wettbewerb mit Konkurrenten stehen, die
Lohndumping, Zwangs- und Kinderarbeit sowie die Dis-
kriminierung von Frauen tolerieren. Mehr Transparenz
in der Geschäftstätigkeit nützt daher nicht nur den Men-
schen in den Betrieben. Sie nützt auch den Betrieben sel-
ber und damit der deutschen und europäischen Wirt-
schaft. Zwar sind Berichtspflichten natürlich eine
zusätzliche Aufgabe, die Unternehmen erfüllen müssen.
Doch selbstverständlich wollen wir die Offenlegungs-
pflicht so ausgestalten, dass den Kapazitäten von klei-
nen und mittelständischen Unternehmen ausreichend
Rechnung getragen wird. Die Kosten sind nicht hoch,
und der Verwaltungsaufwand ist nicht groß. Die relevan-
ten Daten werden von der überwiegenden Anzahl der
Unternehmen bereits jetzt erhoben. Es ist auch im Inte-
resse der Betriebe, eine klare Übersicht über menschen-
rechtliche, ökologische und sozialpolitische Bedingun-
gen ihrer Geschäftstätigkeit zu haben.

Multinationale Unternehmen können einen erhebli-
chen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten, wenn
Handel und Investitionen verantwortungsbewusst auch
auf menschenrechtliche, soziale und ökologische Ziele

ausgerichtet sind. Einige, wahrscheinlich sogar die
meisten Unternehmen in Deutschland und Europa tun
dies freiwillig. Die wenigen schwarzen Schafe aber müs-
sen gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre Zuliefer-
und Produktionsketten offenzulegen. Denn wer irrefüh-
rendes Marketing, sogenanntes Greenwashing, verhin-
dern möchte, braucht einheitliche und überprüfbare In-
dikatoren. Diese sind über eine Vielzahl freiwilliger
Kodizes nicht zu erreichen. Das geht nur über klare ge-
setzliche Regelungen. Hier hat die Politik nicht nur eine
Regelungskompetenz, hier hat sie sogar die Pflicht,
menschen- und völkerrechtlichen Standards zur Geltung
zu verhelfen.

In den USA werden durch die Cardin-Lugar-Bestim-
mung des Dodd-Frank-Act von 2010 Öl-, Gas- und
Bergbauunternehmen verpflichtet, ihre projektbezoge-
nen Zahlungen zu veröffentlichen. Das ist zwar nur ein
kleiner Ausschnitt aller Unternehmen, aber immerhin
ein Anfang. In Europa wurden im Oktober 2011 die Re-
formen der Transparenzrichtlinie zur Aufnahme börsen-
notierter Unternehmen und der Rechnungslegungsricht-
line zur Aufnahme großer nicht börsennotierter
Unternehmen veröffentlicht. Dies wurde auch als euro-
päischer Dodd-Frank-Akt bezeichnet. Europäische Un-
ternehmen, die in der Mineralgewinnung und der Forst-
wirtschaft tätig sind, sollen demnach Zahlungen
offenlegen, die sie an Regierungen für den Zugang und
Abbau von Erdöl, Erdgas, anderen Bodenschätzen und
Wald zahlen.

Während sich EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich
und Großbritannien auf europäischer Ebene für eine
verpflichtende Offenlegung im Rohstoffsektor eingesetzt
haben, blockiert die Bundesregierung nach wie vor
diese Entwicklung. Es ist schon erstaunlich, dass die
USA uns auf diesem Gebiet einen Schritt voraus sind. Es
ist ja positiv, dass etwa das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dem gro-
ßen Komplex Wirtschaft und Menschenrechte mittler-
weile etwas mehr Aufmerksamkeit schenkt; auf der
großen Veranstaltung vor zwei Wochen anlässlich des
ersten Geburtstages des Menschenrechtskonzepts im
BMZ stand dieses Thema im Fokus. Dass die Bundesre-
gierung aber weiterhin alle rechtlichen Verpflichtungen
in diesem Bereich ablehnt, lässt ihr Engagement inkon-
sequent und leider auch etwas unglaubwürdig erschei-
nen.

Es darf einfach nicht sein, dass Waren in Deutschland
gehandelt werden, die unter menschenverachtenden Be-
dingungen wie etwa im Sumangali-System produziert
wurden. Es darf auch nicht sein, dass die hiesige Öffent-
lichkeit noch nicht einmal die Chance hat, dies zu be-
merken. Derzeit werden Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, die bewusst handeln wollen, in ihren Handlungs-
möglichkeiten und im Wunsch, sich ethisch vernünftig zu
verhalten, eingeschränkt; denn sie können einfach nicht
in Erfahrung bringen, was woher stammt und wie es
produziert wurde. Ich fordere die Bundesregierung da-
her eindringlich dazu auf, Unternehmen gesetzlich zu
verpflichten, Informationen zu menschenrechtlichen, so-
zialen und ökologischen Aspekten ihrer Geschäftstätig-
keit zu veröffentlichen.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720428800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11229, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/9567 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfrak-
tionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 17/11319 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU, SPD und FDP wünschen die Federführung
beim Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe.

Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also
die Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und
Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Ko-
alitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Enthaltun-
gen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP abstimmen,
also Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Sozia-
les. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? –
Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt
dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgeset-
zes und anderer umweltrechtlicher Vorschrif-
ten

– Drucksache 17/10957 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/11393 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart
Dr. Matthias Miersch
Judith Skudelny
Sabine Stüber
Dorothea Steiner

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dorothea Steiner, Jerzy Montag, Ingrid
Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über ergänzende Vor-

schriften zu Rechtsbehelfen nach der EG-

(Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)


– Drucksache 17/7888 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/8876 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart
Dr. Matthias Miersch
Judith Skudelny
Sabine Stüber
Dorothea Steiner

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Sie sind damit ein-
verstanden.


Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1720428900

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass

das deutsche Recht derzeit hinter den Anforderungen zu-
rückbleibt, wenn es um die gerichtlichen Kontrollmög-
lichkeiten der deutschen Umweltverbände geht. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung räu-
men wir diese Bedenken aus und billigen den Umwelt-
verbänden wesentlich mehr Klagerechte zu. Bislang
konnten Umweltverbände nur Verstöße gegen Umwelt-
vorschriften geltend machen, die dem Schutz subjektiv-
öffentlicher Rechte dienen. Nun können sie die Verlet-
zung aller umweltrechtlichen Vorschriften rügen.

Den Grünen gehen diese klaren Vorstellungen nicht
weit genug. Wenn es nach ihrem Willen geht, sollen so-
gar Stiftungen Klageinstrumente an die Hand bekom-
men. Wir als Regierungskoalition lehnen dies ab.

Um welche Entscheidungen geht es konkret, und wel-
che Entscheidungen können angefochten werden? Es
geht beispielsweise um Genehmigungsentscheidungen
bei Infrastruktur- und Energieprojekten, die einer
Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen. Der Ener-
gieleitungsausbau, der in den kommenden Jahren erfor-
derlich wird, ist davon erheblich betroffen. Es geht um
Offshoreanlagen auf hoher See, deren Bau eine Umwelt-
verträglichkeitsprüfung erfordert. Es geht um Speicher-
projekte und vieles mehr. In diesen Fällen kann künftig
beispielsweise eine behördliche Entscheidung auf die
Zielsetzung der FFH-Richtlinie hin gerichtlich über-
prüft werden. Die Verletzung der Umweltvorschriften
über die Artenvielfalt kann gerichtlich angefochten wer-
den.

Wir wollen bei diesen Projekten den bestmöglichen
Schutz unserer Umwelt, und wir verstehen die Umwelt-
verbände als Interessenschützer unserer Umwelt. Daher
ist es im Grundsatz richtig, dass die gerichtliche
Kontrolle effektiv und umfassend ist. Dies schreibt im
Übrigen auch die Aarhus-Konvention vor, deren Ver-
tragspartei Deutschland ist.





Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(D)(B)


Bereits heute werden zahlreiche Großprojekte ge-
richtlich angefochten. Dies kann zu erheblichen Verzö-
gerungen führen, die mitunter mit hohen Kosten verbun-
den sind. Die Industrie und auch die Energiewirtschaft
fürchten durch die Erweiterung der Verbandsklage wei-
tere Verfahrensverzögerungen bei wichtigen Infrastruk-
tur- und Energieprojekten. Dies kann Investitionsunsi-
cherheit bedeuten. Diese wollen wir ausdrücklich nicht.
Deutschland ist Industrieland, und wir wollen, dass
Deutschland Industrieland bleibt. Wir wollen, dass wei-
terhin wichtige Infrastrukturvorhaben der Wirtschaft in
Deutschland entstehen und Investitionsentscheidungen
am Standort Deutschland getroffen werden. Wir wol-
len – und das ist Konsens in diesem Hohen Haus –, dass
der Umbau unserer Energieversorgung gelingt.

Wir stehen damit vor dem Erfordernis, den europa-
rechtlichen Anforderungen zu genügen, die ökologi-
schen Notwendigkeiten zu berücksichtigen und gleich-
zeitig die Bedenken etwa aus dem Bereich der
Wirtschaft – nicht nur vor dem Hintergrund des Umbaus
der Energieversorgung – ernst zu nehmen. Dieses Ziel-
dreieck bringt der vorliegende Gesetzentwurf in Aus-
gleich.

Wir setzen die europäischen Vorgaben in deutsches
Recht um. Zugleich werden flankierende Maßnahmen
eingeführt, die zu effizienten Verfahren führen sollen.
Insbesondere soll Verzögerungen vorgebeugt werden.
Klagen müssen etwa ausreichend begründet und be-
stimmte Fristen eingehalten werden. Der behördliche
Beurteilungsspielraum bekommt ein stärkeres Gewicht.
Zugleich werden die Anforderungen an die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen erhöht.
Diese Regelungen werden künftig bei Rechtsbehelfen
auf dem Gebiet des Umweltrechts auch für Individual-
kläger gelten. Nur so erfüllen wir die europarechtlichen
Anforderungen.

Die Regelungen sollen in der konkreten Ausgestal-
tung dazu beitragen, dass sich die Rahmenbedingungen
bei Vorhaben, wie zum Beispiel Infrastrukturprojekten
im Energie- oder im Verkehrsbereich, nicht so verän-
dern, dass sich diese kaum noch durchsetzen lassen.

In der Anhörung des Umweltausschusses mit Sach-
verständigen wurde deutlich, dass diese flankierenden
Maßnahmen europarechtskonform und wichtig sind. Es
wurde sogar geäußert, dass man hätte weiter gehen kön-
nen. Die flankierenden Maßnahmen sind eine Teilant-
wort auf die Befürchtung, dass die erweiterten Klage-
möglichkeiten zu mehr Investitionsunsicherheit führen.
Ich kann an dieser Stelle daher nur an die Opposition
und den Bundesrat appellieren, diese flankierenden
Maßnahmen zu unterstützen. Im Übrigen greifen wir in
drei unserer Änderungsanträge Anliegen des Bundesra-
tes auf.

Wir werden sehr genau beobachten, wie sich die
neuen gesetzlichen Regelungen in der Praxis auswirken
werden. Wir werden insbesondere beobachten, ob es zu
einer Häufung von Klagen kommt und inwiefern die Ge-
richte ausreichend ausgestattet sind.

Vor dem Hintergrund der erweiterten Klagebefug-
nisse müssen wir uns außerdem die Frage stellen: Wie
können wir es schaffen, dass es erst gar nicht zur Klage
kommt? Wie schaffen wir es, sowohl neue Energielei-
tungsnetze zu bauen als auch die Bürger- und Umweltin-
teressen zu wahren?

Eine generelle Antwort auf die Sorge, dass es am
Ende der Entscheidungsprozesse zu mehr Klagen und
Verzögerungen kommen könnte, muss heißen: Wir müs-
sen künftig bei wichtigen Infrastrukturprojekten am
Anfang des Entscheidungsprozesses die Betroffenen
stärker einbinden und für Transparenz sorgen. Die
Planungen von Großvorhaben müssen offengelegt, die
Alternativen abgewogen werden, und schlussendlich
muss entschieden werden. Diese Entscheidungen sollten
dann auch Bestand haben.

Ich sage nicht, dass diese Entscheidungen dann
grundsätzlich nicht mehr angefochten werden. Durch
die frühzeitige Einbindung und eine erhöhte Transpa-
renz verringern wir aber die Wahrscheinlichkeit, dass es
überhaupt zu Klagen kommt. Wir können damit auch das
Vertrauen in unsere demokratischen Entscheidungspro-
zesse und -ergebnisse stärken.

Ich möchte an dieser Stelle eine Aussage Heiner
Geißlers anführen, der als Schlichter beim gefährdeten
Großprojekt Stuttgart 21 hervorragende Arbeit geleistet
hat. Heiner Geißler hat gesagt: „Man kann doch nicht
dauernd in Entweder-Oder-Kategorien denken, sondern
es gibt auch das Denken Sowohl-Als-Auch.“ So ist es.

Durch eine transparente Einbindung der Öffentlich-
keit am Anfang des Entscheidungsprozesses ergeben
sich nicht zuletzt neue Möglichkeiten, Kompromisse aus-
zuloten. Wir wollen die Akzeptanz von sinnvollen Vorha-
ben steigern und eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung
schaffen. Wir wollen, dass die Umwelt geschützt wird
und Deutschland Industrieland bleibt.

Ich kann nur für Ihre Zustimmung zum Umwelt-
Rechtsbehelfsgesetz und für diesen Weg werben.


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1720429000

Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Ge-

setzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes
und anderer umweltrechtlicher Vorschriften wird – da-
rüber bin ich sehr betrübt – wohl nicht nur kein Fort-
schritt in der Beteiligungskultur in der Bundesrepublik
Deutschland erzielt werden. Es wird mit Ihrer Novelle
sogar zu einem Rückschritt bei der Einbeziehung von
Stakeholdern vor Ort kommen. Schlimmer noch: Es wird
zu weitreichenden Eingriffen in geltende Rechtsdogma-
tiken kommen, die Sie hier und heute in ihren langfris-
tigen Auswirkungen gar nicht erfassen können. In der
Summe wird der unendlichen Geschichte der Verurtei-
lung der Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäi-
schen Gerichtshof wegen der unzureichenden Umset-
zung völker- und europarechtlicher Vorgaben bei der
Beteiligung von Umweltverbänden und natürlichen Per-
sonen an Planungs- und Genehmigungsverfahren ein-
fach ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)


Die Anhörung im Umweltausschuss hat sehr deutlich
gezeigt, dass es bei den anwesenden Experten und bei
den Berufsverbänden der Verwaltungsrichter und An-
wälte massive Bedenken wegen der Einschränkung der
Beteiligungsrechte der anerkannten Umweltverbände
sowie von Einzelpersonen gibt.

Der Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb ist geprägt von
einem tiefen Misstrauen der Wirtschaft und des Wirt-
schaftsministeriums gegenüber dem Einbringen von
Sachverstand in die Planungs- und Genehmigungsver-
fahren durch die Verbände. Mit der sechswöchigen Klage-
begründungsfrist und der Präklusionsregelung werden
die Hürden für die Verbände unnötig hoch gehängt; zu
der behaupteten Verfahrensverkürzung führt dies nicht.

Darüber hinaus werden durch die Modifizierung der
Verwaltungsgerichtsordnung die Einschränkung und
Verschärfung des gerichtlichen Prüfmaßstabes zuguns-
ten des Vorhabens bezweckt. Besonders problematisch
ist die Regelung hinsichtlich des einstweiligen Rechts-
schutzes, wonach dieser nur noch bei ernstlichen Zwei-
feln an der Rechtmäßigkeit des Vorhabens gewährt wer-
den soll. Eine Interessenabwägung der Vollzugsfolgen
scheint dagegen überhaupt nicht mehr gewollt zu sein.
Diese Regelungen werden sogar auf den Rechtsschutz
von Individualklägern ausgedehnt. Das ist im Hinblick
auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19
Abs. 4 des Grundgesetzes sehr bedenklich. Selbst in der
Sitzung des Umweltausschusses haben die Bericht-
erstatter der Koalition durch ihre Wortbeiträge doku-
mentiert, dass sie kein Interesse an einer tiefergehenden
Auseinandersetzung mit dieser rechtlich komplexen Ma-
terie besitzen. „Augen zu und durch“ ist die Devise.

Diese Haltung möchte ich an einem Beispiel illustrie-
ren. Frühere Entwürfe der Novelle zum Umweltrechts-
behelfsgesetz sahen Regelungen zu Umweltverträglich-
keitsprüfungen beispielsweise im Bereich des Fracking
vor. Obwohl – das muss man sich auf der Zunge zerge-
hen lassen – bereits zwei Ihrer Umweltminister über
mehrere Jahre durch die Lande ziehen und versprechen,
gesetzliche Regelungen zum Umgang mit Fracking vor-
zulegen, wurden die einschlägigen Passagen aus dem
Entwurf herausgestrichen. „Augen zu und durch“, wir
lassen die Unternehmen einfach mal machen und denje-
nigen, die sich mit ihrem Sachverstand gegen mögliche
Vorhaben aussprechen könnten, verpassen wir einen
Maulkorb!

Die Wirtschaftsverbände und das Wirtschaftsministe-
rium verkennen bei ihrem Kampf gegen die Verbände,
dass gerade die Organisationen vor Ort über große Da-
tenmengen zu Fauna und Flora des von einer Planung
betroffenen Gebiets verfügen, die betroffenen Habitate
sehr gut kennen und daher auch besser geeignete alter-
native Standorte oder umweltverträglichere Lösungs-
möglichkeiten aufzeigen können. Sie können damit einen
konstruktiven Beitrag zur Realisierung eines Projektes
leisten. Ausgrenzung der Verbände statt Kooperation mit
ihnen ist die Maxime der Bundesregierung – eine Vorge-
hensweise, die nicht von Erfolg gekrönt sein wird: nicht
nur, weil dieses Denken und Handeln überhaupt nicht
dem Sinn und den Buchstaben der Aarhus-Konvention,

den Richtlinien zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zum
Zugang zu Gerichten entsprechen, sondern auch, weil
im Jahre 2012 nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21
und anderen Großprojekten einfach ein anderer Um-
gang mit den betroffenen Bürgern und Bürgerinnen und
den Umweltverbänden dringend erforderlich ist. Die
Bundesregierung wird aus Schaden nicht klug, sondern
versucht einfach weiter, Störenfriede möglichst schnell
mundtot zu machen. Dass sich aufgrund einer solchen
Vorgehensweise erst recht Widerstand regen wird und
sich Bürgerinitiativen vor Ort umso stärker engagieren
werden, je öfter man ihnen mit Missachtung begegnet,
scheint in die Überlegungen von Schwarz und Gelb kei-
nen Eingang gefunden zu haben.

Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben uns zum Ziel
gesetzt, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu
öffnen und sie den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts
anzupassen. Das dazu erarbeitete Papier, das Bürger
und Verbände bei der Vorhabenplanung auf Augenhöhe
von Anfang an einbezieht, ihre Anliegen ernst nimmt und
das ganze Verfahren transparent und nachvollziehbar
macht, wurde mit großer Zustimmung breit diskutiert.
Durch eine frühzeitige, gleichberechtigte Einbeziehung
aller Stakeholder werden Verfahrensfehler minimiert,
die Verfahren mit geringerer Wahrscheinlichkeit beklagt
und damit insgesamt verkürzt. Man sollte auch erwäh-
nen: Damit wird es insgesamt sehr viel billiger für den
Vorhabenträger. Dieser neue Ansatz bedeutet einen Pa-
radigmenwechsel: weg vom Planen hinter verschlosse-
nen Türen, hin zu einem transparenten, auf Dialog aus-
gerichteten Verfahren.

Solange die Bundesregierung nicht begreift, dass sich
Bauprojekte nur mit den Bürgerinnen und Bürgern und
den Verbänden und nicht gegen sie realisieren lassen,
und solange sie diese nur als Störfaktor betrachtet und
sie mit gesetzlichen Einschränkungen ihrer Beteiligung
überzieht, werden große Infrastrukturprojekte wie die
Energiewende nur schwerlich zu realisieren sein. Außer-
dem wird sich die Bundesregierung wohl noch öfter auf
der Anklagebank des EuGH wiederfinden.


Judith Skudelny (FDP):
Rede ID: ID1720429100

Kernpunkt des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die

Umsetzung des sogenannten Trianel-Urteils des EuGH
vom 12. Mai 2011. Darin hat der EuGH die umwelt-
rechtliche Verbandsklage nach dem Umwelt-Rechtsbe-
helfsgesetz als europarechtswidrig beurteilt, da aner-
kannte Umweltverbände nur solche Verstöße gegen
Umweltvorschriften geltend machen können, die dem
Schutz Dritter dienen.

Der EuGH hat dies damit begründet, dass nach
Art. 10 a der UVP-Richtlinie, mit dem die Europäische
Union Vorschriften der UNECE Aarhus-Konvention
über den Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten
umgesetzt hat, Umweltverbände die Möglichkeit erhal-
ten müssen, die Verletzung aller für die Zulassung von
Vorhaben maßgeblichen Umweltvorschriften gerichtlich
geltend zu machen, die auf dem Unionsrecht basieren.
Anerkannten Umweltverbänden ist danach in Umwelt-
angelegenheiten ein weiterer Zugang zu den Gerichten

Zu Protokoll gegebene Reden





Judith Skudelny


(A) (C)



(D)(B)


zu gewähren. Es bedarf somit einer Anpassung des deut-
schen Rechts an die europarechtlichen Vorgaben.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine
Aufhebung dieser Einschränkung vor. Danach können
Umweltvereinigungen künftig Verletzungen aller um-
weltrechtlichen Vorschriften rügen, auch die Beachtung
eines vorsorgenden Umweltschutzes beispielsweise im
Bereich der Luftreinhaltung und des Artenschutzes. Dies
bedeutet eine deutliche Ausweitung der bisherigen um-
weltrechtlichen Verbandsklage.

Die Herausforderung bei der Novellierung des Um-
welt-Rechtsbehelfsgesetzes besteht darin, einen Aus-
gleich zwischen der europarechtlich gebotenen Auswei-
tung der Verbandsklage und der Umsetzung bzw.
Verfahrensbeschleunigung von dringend notwendigen
Infrastrukturprojekten zu schaffen. Denn es ist zu be-
fürchten, dass durch die Ausweitung der Verbandsklage
die Genehmigungsdauer für Projekte noch weiter zu-
nimmt und auch die Kosten für diese weiter steigen.
Hierdurch könnte für Deutschland ein erheblicher Wett-
bewerbsnachteil entstehen. Diese Interessen will der
vorliegende Gesetzentwurf gleichermaßen berücksichti-
gen. Insbesondere soll verhindert werden, dass das In-
strument der Verbandsklage in der Praxis zu sachlich
ungerechtfertigten Verzögerungen von Vorhaben instru-
mentalisiert wird.

Als Ausgleich für die europarechtlich notwendige Er-
weiterung der umweltrechtlichen Verbandsklage sollen
daher künftig bei Rechtsbehelfen auf dem Gebiet des
Umweltrechts bestimmte verwaltungsprozessuale Rege-
lungen, § 4 a UmwRG, gelten. Diese sollen aus europa-
rechtlichen Gründen nicht nur bei Verbandsklagen, son-
dern auch bei Individualklagen zur Anwendung
kommen. Diese Maßnahmen sind auch der Knackpunkt
der Differenzen mit der Opposition.

Hierbei handelt es sich zum einen um die Einführung
einer sechswöchigen Klagebegründungsfrist; diese ist
notwendig. Die Umsetzung des Trianel-Urteils wird un-
bestritten zu einer Ausweitung der Klagerechte aner-
kannter Umweltvereinigungen führen. Diese können mit
der Novellierung auch vorsorgenden Umweltschutz ein-
fordern, beispielsweise in Bezug auf Luftreinhaltung und
Artenschutz. Diese Ausweitung ist europarechtlich ge-
boten und richtig. Jedoch brauchen wir bestimmte aus-
gleichende Regelungen. Schon jetzt dauern Planungs-
und Genehmigungsverfahren in Deutschland zu lange.
Das können wir uns spätestens vor dem Hintergrund der
Umsetzung der Energiewende nicht leisten.

Dabei ist die Einführung einer sechswöchigen Klage-
begründungsfrist weder europarechtswidrig noch Son-
derrecht außerhalb der Verwaltungsgerichtsordnung,
wie die Opposition behauptet. Denn es gibt diese Klage-
begründungsfrist seit Jahren unbeanstandet in vielen
Fachplanungsgesetzen, beispielsweise im Allgemeinen
Eisenbahngesetz und im Bundesfernstraßengesetz. Au-
ßerdem ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf sogar
eine Möglichkeit zur Verlängerung der Frist durch das
Gericht vorgesehen.

Als weitere verwaltungsprozessuale Regelung wird
der gerichtliche Prüfungsmaßstab gemäß § 80 Abs. 5
VwGO modifiziert, wonach Zweifel an der Rechtmäßig-
keit der angegriffenen Maßnahme bei einer summari-
schen Prüfung „ernstliche“ sein müssen. Es ist wichtig
und richtig, dass eine solche Modifizierung des Prü-
fungsmaßstabes im Eilverfahren erfolgt, um rechtssi-
chere und schnelle Entscheidungen herbeizuführen, die
zu Planungs- und Investitionssicherheit für alle Beteilig-
ten führen, auch für den Fall, dass ein Vorhaben nicht
verwirklicht werden kann.

Das beste Beispiel, dass dies mit dem geltenden Prü-
fungsmaßstab nicht gelingt, ist der Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober zur Elb-
vertiefung. Hier wurde nach Maßgabe des alten Prü-
fungsmaßstabes der Ausbau der Elbvertiefung mit drei
Sätzen Begründung abgelehnt. Dies kann aufgrund der
großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeu-
tung eines solchen Vorhabens nicht richtig sein. Hier
geht es um Planungs- und Investitionssicherheit für
beide Seiten. Es kann weder im Interesse von Investoren
und Planern noch im Interesse der Bürger und der Um-
weltverbände sein, dass keine ordentliche Interessenab-
wägung vorgenommen wird und der Ausgang eines sol-
chen Vorhabens offen bleibt und möglicherweise um
mehrere Jahre verzögert wird.

Die Verbandsklage bezieht sich auf nahezu alle indus-
trierelevanten Entscheidungen, wenn mit ihr behörd-
liche Entscheidungen bei UVP-pflichtigen Vorhaben,
Genehmigungen für Anlagen nach einem förmlichen
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren,
wasserrechtliche Erlaubnisse und Planfeststellungsbe-
schlüsse für Deponien angegriffen werden können. Dies
zeigt die große praktische Relevanz und Bedeutung die-
ses Gesetzentwurfs, insbesondere vor dem Hintergrund
der Herausforderungen im Rahmen der Energiewende.
Als liberale Partei wollen wir in Deutschland Vorhaben
verwirklichen und nicht ausbremsen.

Durch die in dem Gesetzentwurf der Grünen auf
Drucksache 17/7888 geforderten Änderungen, die deut-
lich über die europarechtlichen Anforderungen hinaus-
gehen, würden die Klagemöglichkeiten erheblich aus-
geweitet, wodurch Deutschland ein wesentlicher
Wettbewerbsnachteil entstehen würde. Wir wollen Ar-
beitsplätze in Deutschland halten und neue schaffen.
Dazu benötigen wir Vorhabenträger, die weiterhin in
den Standort Deutschland investieren. Was wir nicht
brauchen, sind Forderungen wie die der Grünen, die
den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit Arbeits-
plätze gefährden.

Das bedeutet nicht, dass wir die demokratischen Mit-
wirkungsrechte der Bürger beschneiden wollen. Die He-
rausforderungen der Energiewende beispielsweise wol-
len wir nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit ihr
bewältigen. Die bestehenden Klagemöglichkeiten haben
sich dazu als ausreichend und angemessen erwiesen.
Eine über die Vorgaben des EuGH hinausgehende Er-
weiterung der Klagemöglichkeiten ist nicht erforderlich.

Ziel muss es sein, ein ausgewogenes Maß an demo-
kratischen Mitwirkungsrechten der Bürger auf der einen

Zu Protokoll gegebene Reden





Judith Skudelny


(A) (C)



(D)(B)


Seite und die Umsetzbarkeit von notwendigen Vorhaben
wie den Netzausbau und den Bau von Speicherkraftwer-
ken auf der anderen Seite zu gewährleisten. Das beste-
hende Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz leistet hierzu einen
wichtigen Beitrag und ist im Folgenden an die europa-
rechtlichen Vorgaben anzupassen. Diesen Anforderun-
gen wird der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung gerecht.

Ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das, wie von den
Grünen gefordert, die Klagemöglichkeiten noch weiter
ausdehnt, blockiert den dringend notwendigen Netzaus-
bau und damit die Energiewende und die Wettbewerbs-
fähigkeit Deutschlands. Man kann nicht auf der einen
Seite sagen: „Wir wollen keine Atomkraftwerke“ und
auf der anderen Seite den Ausbau der Trassen, den wir
für den Anschluss und die Leitung des Stroms aus erneu-
erbaren Energien brauchen, blockieren. Den realitäts-
fernen und schlechten Gesetzentwurf der Grünen lehnen
wir daher ab; denn wir wollen beides: Umweltschutz
und die Realisierung von Vorhaben.


Sabine Stüber (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720429200

Was ist das für ein schlechter Gesetzentwurf, den wir

heute hier besprechen, am liebsten würde ich sagen: be-
sprechen müssen? Wäre es nach meiner Fraktion und
nach den beiden anderen Oppositionsfraktionen gegan-
gen, hätte es ohne grundlegende Überarbeitung der Ge-
setzesnovelle keine dritte Lesung gegeben.

Worum geht es? Es geht um mehr Bürgerrechte in
Umweltfragen, um das Recht auf vollständige Informa-
tionen über die Einhaltung von Umweltvorschriften bis
hin zu Klagemöglichkeiten gegen die Beeinträchtigung
der Umwelt auch für kommende Generationen. Die eu-
ropäischen Länder haben das mit einer Vereinbarung,
der Aarhus-Konvention, 2001 im Völkerrecht verankert.
Erst fünf Jahre später hat der Bundestag dazu ein Gesetz
mit dem sperrigen Namen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz
verabschiedet. Der eigentliche Sinn des Gesetzes be-
stand darin, dass Bürgerinnen und Bürger ohne Ein-
schränkungen Verwaltungsentscheidungen, das heißt
die Genehmigung von Großvorhaben mit erheblichen
Umweltauswirkungen, gerichtlich überprüfen lassen
können.

So sollte es sein; so stand es aber nicht im Gesetz. Die
Klage der Umweltverbände beim Europäischen Ge-
richtshof folgte, und das Urteil fiel eindeutig aus, wenn
auch erst im Mai 2011. Bei dem Spiel auf Zeit ging der
Punkt an die Bunderegierung. Aber nun muss nachge-
bessert werden!

Schlechtes Timing, denn gerade jetzt will der Bundes-
wirtschaftsminister eben einmal für eine ungewisse Zeit
das Naturschutzrecht außer Kraft setzen; es gehe
schließlich um Wirtschaftswachstum. Das wirkt, Kolle-
ginnen und Kollegen, populistisch und auch wenig
kompetent. Außerdem ist die Angst des Bundeswirt-
schaftsministers vor einer Klagewelle und der daraus
resultierenden Zeitverzögerung für Großvorhaben völlig
unbegründet. Die Zahl von Klagen gegen Umweltbeein-
trächtigungen nimmt ab und ist mit weniger als 1 Pro-
zent bei den anhängigen Verwaltungsrechtsverfahren

verschwindend gering. Die Erfolgsrate liegt allerdings
mit rund 40 Prozent über dem Durchschnitt.

Trotzdem, was tut die Bundesregierung? Sie ignoriert
komplett das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und
schränkt die Bürgerrechte im Gesetzentwurf noch zu-
sätzlich ein, statt sie zu erweitern. Sie verstößt somit
nicht nur wiederholt gegen europäisches Recht, nein, sie
entlarvt auch ihre tatsächliche Haltung zu den Bürger-
rechten. Beteiligung der Zivilgesellschaft an Gestaltung
und Verantwortung, Transparenz und Akzeptanz, das al-
les meint diese Regierung nicht ernst. Es sind und blei-
ben leere Worthülsen.

Wiederum wird, wie schon 2006, EU-Recht nicht kor-
rekt umgesetzt. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist
der Gesetzentwurf von vornherein zum Scheitern verur-
teilt. Der Bundesrat hat Mitte September die Novelle
zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vor allem wegen der
Beschränkung der Klagemöglichkeiten abgelehnt. Bei
der Nachhaltigkeitsprüfung ist sie ebenfalls durchgefal-
len. Die Sachverständigen haben in einer öffentlichen
Anhörung am 22. Oktober dieses Jahres mehrheitlich
auf die Defizite und den unsicheren Rechtsstatus hinge-
wiesen.

Alle Hinweise der Experten, Vorschläge aus den Rei-
hen der Opposition, alles umsonst; nichts findet sich in
der Novelle wieder. Diese Bundesregierung ist bera-
tungsresistent. Geändert wurden einige Formalien,
nicht aber die inhaltlichen Mängel. Das ist nicht einfach
schlechtes Handwerk, das hat Methode, und ich nenne
es Arroganz der Macht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.


Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720429300

Vor eineinhalb Jahren stellte der Europäische Ge-

richtshof fest, dass das deutsche Umweltklagerecht die
Rechte der Bürgerinnen und Bürger übermäßig ein-
schränkt und gegen Europa- und Völkerrecht verstößt.
Die Bundesregierung hat das Urteil lange ignoriert. Wir
Grüne haben bereits vor einem Jahr einen Gesetzent-
wurf vorgelegt, der diesen europarechtswidrigen Zu-
stand korrigiert. Und auf unseren Druck hin hat dann im
September auch die Regierung endlich einen Gesetzent-
wurf vorgelegt. Über beide entscheiden wir heute
abschließend.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist leider
noch immer äußerst fragwürdig, trotz all der Diskussio-
nen, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten
hatten. Ich frage mich, warum wir diese Diskussionen
überhaupt geführt haben, wenn sämtliche kritische An-
merkungen von verschiedenen Expertinnen und Exper-
ten so komplett von den Fraktionen der CDU/CSU und
FDP ignoriert werden. Sämtliche Warnungen davor,
dass auch dieses Gesetz wieder vom Europäischen Ge-
richtshof einkassiert werden wird, weil es offensichtlich
europarechtswidrig ist, schlagen sie in den Wind.

CDU/CSU und FDP können und wollen bis heute
nicht akzeptieren, dass das Urteil des Europäischen Ge-
richtshofes auch Deutschland dazu zwingt, bei Vorhaben
mit Umweltauswirkungen verbesserte Klagerechte für
Umweltverbände festzuschreiben. Auf den ersten Blick

Zu Protokoll gegebene Reden





Dorothea Steiner


(A) (C)



(D)(B)


wird zwar in dem Gesetzentwurf versucht, das Trianel-
Urteil umzusetzen und die Klagemöglichkeiten für Ver-
bände zu erweitern, aber durch die Hintertür werden die
Klagerechte gleichzeitig massiv beschränkt. Im neu ein-
gefügten und sowohl in der Anhörung als auch im Aus-
schuss heiß diskutieren § 4 a wird die Begründungsfrist
für Klagen stark verkürzt und der Rechtsschutz der Klä-
gerinnen und Kläger eingeschränkt. Dies gilt nicht nur
für Umweltverbände, sondern auch für Individualkläger,
also für jeden einzelnen Bürger. Mit dem § 4 a höhlt die
Bundesregierung gemeinsam mit den Regierungsfrak-
tion in einmaliger Weise die Verwaltungsgerichtsord-
nung aus. Die großen Richter- und Anwaltsverbände ha-
ben das umfassend kritisiert, aber Sie, liebe CDU/CSU
und FDP, ignorieren es.

Wollen oder können Sie nicht verstehen, dass Sie hier
ein extrem problematisches höchstwahrscheinlich
rechtswidriges Gesetz beschließen wollen? Auch in der
Ausschussanhörung wurde dieses Problem umfassend
diskutiert. Haben Sie wirklich so schlecht zugehört? Bei
der Debatte gestern im Ausschuss hat Kollege Gebhart
betont, die Sachverständigen hätten deutlich gemacht,
dass der Gesetzentwurf europarechtskonform sei. Da
habe ich mich gefragt, lesen Sie vielleicht mal das Pro-
tokoll der Anhörung, Herr Gebhart! Oder warten Sie ab,
bis der EuGH erneut entscheidet. Wir würden uns diese
peinliche erneute Gerichtsniederlage jedoch gerne er-
sparen. Dies ginge recht einfach, nämlich wenn wir
heute den Gesetzentwurf beschließen. Dieser setzt als
einziger das EuGH-Urteil um und stärkt im notwendigen
Maße die Klagerechte von Umweltverbänden und Bür-
gerinnen und Bürgern. Auf unnötige und stark umstrit-
tene flankierende Maßnahmen jedweder Art verzichten
wir gerne, denn wir haben keine Angst vor einer Klage-
flut und vor kritischen Bürgerinnen und Bürgern.

Meine Damen und Herren aus den Reihen der Koali-
tionsfraktionen, bitte erklären Sie uns doch endlich mal,
warum Sie solche Angst vor den Umweltverbänden und
den Bürgerinnen und Bürgern haben. Die Praxis zeigt,
dass umfassende Beteiligungs- und auch spätere Klage-
rechte für Umweltverbände und Bürgerinnen und Bür-
ger dazu beitragen, dass sorgsamer geplant wird, dass
alle umweltrechtlichen Vorschriften eingehalten werden
und die Akzeptanz der Projekte steigt. Nur schlecht ge-
plante Projekte, bei denen, absichtlich oder fahrlässig,
bestehende Rechtsvorschriften ignoriert werden, müssen
erweiterte Klagemöglichkeiten fürchten.

Nicht nur das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist eine
Katastrophe, nein, ganz en passant regelt die Bundes-
regierung unter dem Zusatz „anderer umweltrechtlicher
Vorschriften“ auch noch einige andere Dinge in diesem
Gesetzentwurf. Vieles davon war im Regierungsentwurf
vertretbar und nicht kritikwürdig. Leider muss man sa-
gen „war“; denn mit ihren Änderungsanträgen haben
CDU/CSU und FDP erneut eine Umsetzung von euro-
päischem Recht in Deutschland verhindert. Sie lehnen
die vom Kabinett beschlossene Übernahme der Defini-
tion von Hochwasser aus der Wasserrahmenrichtlinie
ab und, noch viel schlimmer, Sie streichen die vorge-
schlagene Umsetzung von Art. 9 der Wasserrahmen-
richtlinie in deutsches Recht. Als Begründung führen Sie

weiteren Klärungsbedarf an. Ja wie lange wollen Sie
denn noch diskutieren? Die Wasserrahmenrichtlinie ist
nicht erst seit gestern in Kraft. Sie zementieren den ge-
genwärtigen Zustand der unvollständigen Umsetzung
der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland – ein weite-
res Thema, das den Europäischen Gerichtshof bereits
beschäftigt. Ich frage mich inzwischen, ob das Gesetz,
das Sie heute hier beschließen wollen, eine Art Arbeits-
beschaffungsmaßnahme für den EuGH sein soll.

Auch in Bezug auf die Regelungen zur Umweltver-
träglichkeitsprüfung waren in einem der früheren Ent-
würfe aus dem Umweltministerium sehr begrüßenswerte
Vorschläge enthalten, gerade mit Blick auf die hochum-
strittene Fracking-Technologie. Gemeinsam mit der
SPD haben wir hier einen wichtigen Änderungsantrag
im Sinne der ursprünglichen Vorschläge eingebracht.
Wir wollten sicherstellen, dass schon bei der Aufsu-
chung und Erkundung von Lagerstätten von unkonven-
tionellem Erdgas eine umfassende Umweltverträglich-
keitsprüfung stattfindet. Dies sollte mit Blick auf die ho-
hen Risiken der Fracking-Technologie, die mittlerweile
glücklicherweise alle Fraktionen des Bundestages aner-
kennen, eine Selbstverständlichkeit sein. Aber Sie leh-
nen den Antrag ab, Sie hätten hier noch Beratungsbe-
darf. Wie lange, bitte, wollen Sie denn noch beraten und
klären? Wollen Sie nun, dass die Fracking-Technologie,
wenn sie in Deutschland überhaupt zum Einsatz kommt,
dann wenigstens unter höchstem Umweltstandard ange-
wendet wird? Oder wollen Sie einfach weitermachen wie
bisher und die Umweltrisiken beim Fracking ausblen-
den? Sie müssen sich endlich entscheiden, Sie dürfen
nicht immer wieder Abstimmungsbedarf vorschieben.

Dieser Gesetzentwurf ist eine Enttäuschung auf gan-
zer Linie. Er schwächt die Beteiligungsmöglichkeiten
der Bürgerinnen und Bürger, er unterminiert wichtige
bestehende Umweltschutzvorgaben, und er provoziert
mehr als eine Auseinandersetzung mit dem Europäi-
schen Gerichtshof. Der grüne Gesetzentwurf hingegen
regelt klar, was zu regeln ist, nämlich die Umsetzung des
Trianel-Urteils, nicht mehr und nicht weniger.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720429400

Tagesordnungspunkt 26 a: Der Ausschuss für Um-

welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11393,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/10957 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. – Enthaltun-
gen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Tagesordnungspunkt 26 b: Der Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8876,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/7888 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung abgelehnt. Wie Sie wissen, entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

Koch, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark
sofort stoppen – Colbitz-Letzlinger Heide zivil
nutzen

– Drucksachen 17/10684, 17/11334 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Hardt
Wolfgang Hellmich
Joachim Spatz
Paul Schäfer (Köln)

Agnes Brugger

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Sind Sie damit einver-
standen? – Widerspruch erhebt sich nicht.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1720429500

Der Antrag der Linken zur Schließung des Truppen-

übungsplatzes Altmark ist wie üblich stark an Ideologie,
aber schwach an Fakten.

Worum geht es? Die Colbitz-Letzlinger Heide wird
seit fast 80 Jahren als Truppenübungsplatz genutzt. Seit
dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus den neuen
Bundesländern auch durch die Bundeswehr. Mit über
23 000 Hektar Fläche gehört er zu den größten in
Deutschland und bietet ausgedehnte Möglichkeiten für
das Training auf Verbandsebene.

Seit dem Jahr 2000 ist hier das Gefechtsübungszen-
trum Heer in Betrieb, kurz GÜZ, eine der modernsten
militärischen Übungseinrichtungen der Welt. Deutsche
und verbündete Soldaten trainieren hier Krisenreak-
tions- und Stabilisierungseinsätze – nicht im scharfen
Schuss, sondern mit Simulationsausrüstung.

Für eine den Gefahren von Einsätzen wie etwa in Af-
ghanistan angemessene Ausbildung ist das GÜZ unver-
zichtbar. Als Parlamentarier, die unseren Soldaten den
Auftrag für solche Einsätze erteilen, um zu unser aller
Sicherheit beizutragen, muss uns das besonders bewusst
sein.

Dafür müssen die Übungsanlagen aber auch stets den
aktuellen und zu erwartenden Herausforderungen der
Einsatzrealität angepasst bleiben. Dazu gehört, dass

sich Kriseneinsätze künftig immer wahrscheinlicher
auch auf urbanes Gebiet erstrecken werden. Das ist
nachvollziehbar, weil die Urbanisierung der Welt immer
weiter zunimmt.

Bereits heute lebt über die Hälfte der Weltbevölke-
rung in Städten. Nach Prognosen der UNO werden es
2030 über 60 Prozent und 2050 sogar 70 Prozent sein.
Wir sehen diese Entwicklung nicht nur an der Abwande-
rung junger Leute aus den ländlichen Räumen Deutsch-
lands, sondern auch und gerade an der Landflucht in
Entwicklungsländern.

Wer etwa die im Umbruch befindliche arabische Welt
bereist, kennt die dortigen rapide wachsenden, zuneh-
mend unübersehbaren Ballungszentren. Die Menschen
suchen dort vielfach Zuflucht vor Armut und Konflikten
im Land – sie bringen aber auch Konflikte mit, die dann
auf engstem Raum erneut ausbrechen können.

Für Terroristen und Guerillakämpfer sind Millionen-
städte ebenso geeignete Kampf- und Rückzugsräume wie
anderes unübersichtliches Terrain. Hier können sie
schnell mit großen Opferzahlen aus dem Hinterhalt zu-
schlagen und sich dann wieder unter die Bevölkerung
mischen. Denn sie wissen, dass Sicherheitskräfte in De-
mokratien unbeteiligte Opfer durch den Einsatz schwe-
rer Waffen in besiedeltem Gebiet zu vermeiden versu-
chen.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, um gerade
auch um solche Situationen bei möglichen künftigen
Einsätzen in urbanem Gebiet zu verhindern und unsere
Soldaten entsprechend vorzubereiten, ist auf dem Trup-
penübungsplatz Altmark die Errichtung einer sogenann-
ten Übungsstadt geplant. Das ist im Prinzip nichts
Neues, denn Soldaten wurden schon immer auch für den
Kampf im bebauten Gelände ausgebildet – etwa im
Übungsdorf „Bonnland“ in Hammelburg oder den ehe-
maligen NVA-Ortskampfanlagen in Lehnin.

Damals ging man aber davon aus, dass umkämpfte
Orte weitgehend von Zivilbevölkerung verlassen sein
würden. Dass man vielleicht einmal Kämpfe zwischen
verfeindeten Gruppen in einer dicht bevölkerten Me-
gastadt beenden müsse, stellte man sich nicht vor. Die
geplante Anlage auf dem Übungsplatz Altmark wird das
Training auch für solche Extremsituationen
ermöglichen – und das natürlich ebenfalls mit der mo-
dernen Simulatortechnik, ohne den Einsatz scharfer Mu-
nition. Nicht nachvollziehbar ist daher, wie die Linke da-
raus in ihrem Antrag ableitet, dass nunmehr Städte zu
Angriffszielen würden. Es geht vielmehr gerade darum,
Konflikte auch in Städten beenden zu können, ohne
große Verluste in der Zivilbevölkerung zu verursachen.

Nicht nachvollziehbar ist auch die Behauptung, dass
der Bau im Widerspruch zum erklärten Willen einer
Mehrheit der Anwohnerinnen und Anwohner stehe. Ja,
es gibt eine örtliche Bürgerinitiative einiger Friedensak-
tivisten. Die hat wohl jeder der Kollegen hier im Haus
mit Bundeswehrstandorten im Wahlkreis. Das macht
aber noch keinen Mehrheitswillen. Genauso wenig wie
ein paar Berufsprotestierer, die in der Gorleben-freien
Zeit aus dem Wendland einpendeln, um ein paar Ge-





Anita Schäfer (Saalstadt)



(A) (C)



(D)(B)


bäude und Fahrzeuge auf dem Übungsplatz rosa anzu-
sprühen.

Nicht nachvollziehbar ist ferner das Klagen über nicht
geschaffene zivile Arbeitsplätze, obwohl die 1 200 fest
auf dem Übungsplatz beschäftigten Soldaten und Zi-
vilangestellten einen erheblichen Wirtschaftsfaktor für
die Region darstellen. Die Gemeinde Letzlingen stellt
sogar in ihrem Internetauftritt fest, dass die Arbeitslo-
sigkeit dort aufgrund der Bundeswehr weit unter dem
Landesdurchschnitt in Sachsen-Anhalt liegt.

Die Landesregierung wusste schon, warum sie in den
90er-Jahren an diesem handfesten Vorteil festhielt und
die Pläne für eine zivile Nutzung mit unsicheren Vorher-
sagen neuer Arbeitsplätze nicht weiter verfolgte.

Nicht nachvollziehbar ist schließlich, warum der Aus-
bau des Übungsplatzes durch den Bund eine „enorme
finanzielle Belastung der kommunalen Haushalte“ dar-
stellen soll. Als jemand, der gerade aktuell ein militäri-
sches Großbauprojekt am Rande des Wahlkreises hat,
weiß ich schon, was das an baurechtlichen und Ver-
kehrsplanungen bedeutet. Wie Sie allerdings den Kom-
munen in der Altmark die in Ihrem Antrag genannten
100 Millionen Euro aufbürden wollen, erschließt sich
mir nicht. Die bauen die neue Anlage nämlich nicht.

Zusammengefasst: Die Menschen in der Altmark, die
Natur und die Arbeitsplätze kümmern Sie nicht. Sie pfle-
gen nur wieder Ihr parteipolitisches Alleinstellungs-
merkmal der Ablehnung alles Militärischen. Wir dage-
gen wollen nicht nur die Wirtschaft der Region, sondern
auch unsere Soldaten unterstützen, indem wir ihnen die
bestmögliche Vorbereitung für ihre Einsätze ermögli-
chen. Sie werden daher nachvollziehen können, dass wir
diesen Antrag ablehnen.


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1720429600

Hier geht es mal wieder um einen Antrag der Linken,

die am liebsten alles, was auch nur im Entferntesten mit
Militär zu tun hat, aus dieser Welt – oder zumindest aus
Deutschland – verbannen möchte. Eigentlich ein edler
und schöner Ansatz, aber ähnlich weit von der Realität
entfernt wie die gesamte Politik der Linken.

Diesmal steht der Truppenübungsplatz Altmark in der
Colbitz-Letzlinger Heide auf der Abschussliste. Ihnen
geht es dabei gar nicht um das schöne Gebiet in Sach-
sen-Anhalt, sondern um Ihre Politik, mit der Sie sich als
Weltretter und Gutmenschen präsentieren möchten.
Würde es Ihnen nämlich um die Colbitz-Letzlinger
Heide gehen, würden Sie sehr schnell erkennen, dass mi-
litärische Nutzung und Umwelt sich keinesfalls aus-
schließen, sondern sich sogar aufs Beste ergänzen kön-
nen. Außerdem hilft die zukünftige Ausbildung auf dem
Truppenübungsplatz Altmark den Soldaten, dem huma-
nitären Völkerrecht gerecht zu werden, indem sie gerade
dafür trainiert werden, zivile Schäden zu vermeiden. Auf
diese Punkte lohnt es sich, näher einzugehen.

Deshalb zum ersten Punkt, zum Umweltaspekt. Schon
in ihrer Grundsatzweisung „Bundeswehr und Umwelt-
schutz“ macht die Bundeswehr deutlich, ich zitiere –:
Umweltschutz ist Bestandteil aller Planungen und

Handlungen der Bundeswehr in Erfüllung ihres Auf-
trags. Er ist Teil der Führungsverantwortung. Die Auf-
gaben der Bundeswehr sind unter geringstmöglicher Be-
lastung von Mensch und Umwelt zu erfüllen, ihre
Wahrnehmung soll das Gebot der nachhaltigen Entwick-
lung berücksichtigen.

Dass dieses keine leeren Worthülsen sind, sondern
gelebte Realität, machen viele Beispiele deutlich. Ge-
rade Truppenübungsplätze bieten durch ihre Abgeschie-
denheit und Unzugänglichkeit vielfältige Rückzugs-
räume und Regenerationsflächen für gefährdete Tier-
und Pflanzenarten. Ein Beispiel ist der Wolf. So wurde
1998 auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz erstmals
in Deutschland seit knapp 100 Jahren wieder ein
Wolfspaar gesichtet, das ein Rudel gegründet hat. Seit-
dem ist der Bestand des Wolfes kontinuierlich gestiegen
und das Verbreitungsgebiet hat sich stetig vergrößert.

Das hat dazu geführt, dass sich der Wolf in diesem
Jahr nun auch nachweislich in Westdeutschland ange-
siedelt hat. Und wo? Sie werden es ahnen. Auf einem
Truppenübungsplatz, und zwar auf dem Truppenübungs-
platz Munster in Niedersachsen. Dies hat vor allem der
Naturschutzbund Deutschland freudig begrüßt. Und der
Naturschutzbund Deutschland ist einer militaristischen
oder bundeswehrnahen Politik nun wirklich völlig un-
verdächtig.

Dass Truppenübungsplätze wertvolle Natur- und Tier-
reservate sind, zeigt auch das Europäische Verbundsystem
von wertvollen Naturschutzflächen – die Natura 2000. Gut
die Hälfte der in Deutschland zu schützenden Naturflä-
chen entfällt auf Truppenübungsplätze.

Also, das Umweltargument zieht nicht. Aber auch an-
dere Argumente ziehen nicht. Was Sie gegen eine Inves-
tition von 100 Millionen Euro in einer strukturschwa-
chen Region haben, kann ich nicht nachvollziehen. Sie
glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie einen Investor fin-
den würden, der auch nur ein Zehntel dieser Summe dort
investieren würde. Aber, ach ja, Entschuldigung, „Inves-
tor“ ist für Sie ja ein Schimpfwort. Sie würden aber auch
kein Kollektiv oder keine Kolchose finden, die das tun
würde.

Aber auch beim genannten anderen Thema ist Ihr An-
trag nicht stichhaltig. Ich weiß ja, dass einige wenige
von Ihnen nicht dem naiven Irrglauben anhängen, dass
„kein Militär“ automatisch auch „kein Krieg“ bedeutet.
Einige von Ihnen sind so weit realistisch, dass sie wis-
sen: Jedes Land hat eine Armee zu tragen, wenn nicht
die eigene, dann eine fremde.

Und es ist in unserem Interesse, dass Soldaten, die ih-
ren Beitrag zum Frieden in Deutschland und der Welt
leisten, gut ausgebildet sind. Es ist schließlich eine der
Hauptherausforderungen der Asymmetrischen Bedro-
hung, dass Terroristen und Aufständische gefasst wer-
den, und dies am besten ohne Kollateralschäden. Es ist
ja direkt im Sinne des humanitären Völkerrechts, dass
Terroristen und Aufständische festgenommen und nicht
bombardiert werden. Hierfür werden Soldaten auf dem
Truppenübungsplatz Altmark ausgebildet werden.

Zu Protokoll gegebene Reden





Jürgen Hardt


(A) (C)



(D)(B)


Also, Sie sehen, mit diesem Antrag versuchen Sie nur,
mit Gewalt Ihre Anti-Haltung zur Bundeswehr auf einen
Truppenübungsplatz in Sachsen-Anhalt zu pressen. Das
gelingt Ihnen nicht. Weder Ihr Grundanliegen noch Ihre
Argumente sind nachvollziehbar. Deshalb lehnen wir Ih-
ren Antrag, den Antrag der Fraktion Die Linke, ab.


Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1720429700

Die aktuellen außen- und sicherheitspolitischen

Herausforderungen und Bedrohungen sind so vielfältig
wie noch nie. Die Bundesrepublik Deutschland muss da-
her ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten. Nach den
Verteidigungspolitischen Richtlinien, VPR, aus dem
Jahr 2011 gehören unter anderem „internationale Kon-
fliktverhütung und Krisenbewältigung“ zu den Aufgaben
der Bundeswehr, weswegen sich auch die zivile und mi-
litärische Ausbildung an diesem Aufgabenspektrum
orientiert und auch künftig orientieren muss.

Der dem Heeresamt direkt unterstellte Truppen-
übungsplatz in der Altmark ist das wichtigste Ausbil-
dungszentrum der deutschen Landstreitkräfte. Wie die
Kollegen von der Linken richtig in ihrem Antrag festge-
stellt haben, soll dieser Übungsplatz des Heeres zum
größten europäischen Gefechtsübungszentrum ausge-
baut werden. Dies steht im Einklang mit unserem An-
spruch, als Teil der Europäischen Union auch anderen
Staaten die Möglichkeit zu geben, sicherheitspolitische
Kernkompetenzen und militärische Fähigkeiten gemein-
sam zu trainieren; denn nur im Bündnis mit anderen EU-
und NATO-Mitgliedstaaten kann Deutschland seinen
Bürgerinnen und Bürgern Stabilität und Schutz gewäh-
ren sowie glaubwürdig für Frieden und Sicherheit in der
Welt eintreten.

Die Ausbildung in der Bundeswehr kann durch den
Ausbau des Truppenübungsplatzes praxisnäher als bis-
her erfolgen, und ich stimme Ihnen zu, dass sie damit zu
einer noch effektiveren Armee, auch im Einsatz, wird.
Dies ist richtig und notwendig. Als Mitglieder des Deut-
schen Bundestages müssen wir für die bestmögliche
Ausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten Sorge tra-
gen. Es darf nicht der Fall sein, dass wir die Bundes-
wehr in teilweise sehr gefährliche Auslandseinsätze ent-
senden, aber an der Einsatzvorbereitung sparen. Eine
realitätsgetreue Darstellung möglichst vieler verschiede-
ner Einsatzszenarien ist eine unabdingbare Vorausset-
zung für einen zügigen und erfolgreichen Einsatz unser
Streitkräfte. Schließlich ist eine sehr gute Ausbildung
immer auch der beste Schutz für unsere Soldatinnen und
Soldaten. Insbesondere modernen, computergestützten
Ausbildungsmitteln wie Simulatoren kommt eine ständig
wachsende Bedeutung zu, aber auch in Echtzeit im Ge-
lände muss die Einsatzlage simuliert werden.

Meine Damen und Herren von der Fraktion Die
Linke, die Behauptung in Ihrem Antrag, dass bisher le-
diglich circa 150 Arbeitsplätze für Menschen aus der
Region gestellt werden und dies vorwiegend im Niedrig-
lohnsektor, ist schlichtweg falsch. Die über 250 beschäf-
tigten zivilen Mitarbeiter erhalten einen Stundenlohn
von über 10 Euro. Die darüber hinaus von Ihnen ange-
führte Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes, nach

der durch eine zivile und touristische Nutzung der Col-
bitz-Letzlinger Heide etwa 2 600 Arbeitsplätze für Men-
schen aus der Region geschaffen werden könnten, ent-
stammt dem vorigen Jahrtausend, genauer gesagt dem
Jahr 1995, und ist somit bereits 17 Jahre alt.

Die Bundeswehr und der geplante Ausbau des Trup-
penübungsplatzes führen auch, wie Sie behaupten, nicht
zu einer verstärkten Bedrohung von seltenen, vom Aus-
sterben bedrohten Tierarten. So gibt es und wird es auch
weiterhin Geländebereiche geben, die von der Nutzung
durch die Bundeswehr ausgenommen worden sind. Ganz
im Gegenteil: Die Bundeswehr garantiert umfangreiche
Forst-, Naturschutz-, Wasserschutz- und Renaturie-
rungsmaßnahmen, sodass die militärische Nutzung des
Truppenübungsplatzes stets im Einklang mit der Bewah-
rung und Pflege der einzigartigen Heidelandschaft
steht. Auch wurde das Gefechtsübungszentrum zwischen
1994 und 2008 durch die Bundeswehr und zivile Muni-
tionsräumfirmen entmunitioniert, wobei sich die ent-
standenen Kosten auf circa 367 Millionen Euro beliefen.
2011 wurde zudem mit einer aufwendigen Altlastenent-
sorgung im Südteil des Truppenübungsplatzes begonnen.

Der begonnene Ausbau muss fortgesetzt werden. Die
Region kann die Investitionen gut gebrauchen, und die
ablehnende Haltung der Mehrheit der Bevölkerung
– die Linke behauptet,dass es diese gibt – ist nicht fest-
zustellen. Diese Behauptung soll wohl nur eher für
Wahlkampfauftritte genutzt werden. Das wird mit uns
nicht geschehen.

Meine Kolleginnen und Kollegen der SPD im Vertei-
digungsausschuss befürworten den bereits begonnenen
Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark und lehnen
damit den Antrag der Fraktion Die Linke auf einen so-
fortigen Ausbaustopp ab.


Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1720429800

Um es gleich vorweg zu sagen: Die FDP-Bundestags-

fraktion wird den Antrag der Fraktion Die Linke ableh-
nen. Zur Begründung würde ich gerne auf einige wenige
Punkte des Antrags näher eingehen, anhand derer ver-
deutlicht werden kann, warum eine Zustimmung für eine
seriöse Regierungsfraktion schlicht unmöglich ist.

Die Antragsteller erheben auf der vorliegenden
Drucksache einmal mehr eine plakative Forderung, die
den unrühmlichen Versuch darstellt, sich bei den
Anwohnern vor Ort als Fürsprecher zu gerieren.

Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich außerdem
wieder, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der
Linken über verantwortungsvolle Sicherheitspolitik
nicht möglich ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt an reißeri-
schen Formulierungen wie „Kriegseinsätze“ oder „An-
griffsziele“, die, obwohl es sich um einen Truppen-
übungsplatz der Bundeswehr handelt, den gesamten
Antrag durchziehen.

Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik und Fürsorge
für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sieht
sicher anders aus. Die Angehörigen unserer Bundes-
wehr müssen, auch in Deutschland, die Möglichkeit
haben, sich auf ihre gefährlichen Auslandseinsätze vor-

Zu Protokoll gegebene Reden





Joachim Spatz


(A) (C)



(D)(B)


zubereiten. Dazu leistet der Truppenübungsplatz Alt-
mark einen wichtigen Beitrag. Wer seriöse Sicherheits-
politik betreiben möchte, muss dafür Sorge tragen, dass
die Soldatinnen und Soldaten, die unter Einsatz ihres
Lebens für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch-
land eintreten, auch ausreichende Möglichkeiten zum
Üben haben. Dies gilt vor allem in Zeiten der Transfor-
mation der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“.

Das Gelände des Truppenübungsplatzes Altmark
wird durch das Heer als Gefechtsübungszentrum genutzt
und ist die zentrale Ausbildungseinrichtung zur Einsatz-
ausbildung von Verbänden und Einheiten aller Art.

Der Aufbau des Gefechtsübungszentrums konnte im
Jahr 2006 abgeschlossen werden und wird seither mit
der heutigen Ausbildungskapazität betrieben. Auch nach
der Stationierungsentscheidung vom 26. Oktober 2011
wird das Gefechtsübungszentrum eine der zentralen
Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr für das „Be-
stehen im Einsatz“ bleiben. Mit dem Umbau des „Urba-
nen Ballungsraumes Schnöggersburg“ wird eine weitere
qualitative Verbesserung der bestehenden Ausbildungs-
einrichtung erzielt.

Wer im Gegensatz zu den Antragstellern verantwort-
liche Sicherheitspolitik betreiben will, ist darauf ange-
wiesen, sich an gegebenen Realitäten und Bedrohungs-
szenarien zu orientieren. Die Ausgestaltung der
Übungsszenarien in Altmark ist ausgerichtet an den
nationalen verteidigungspolitischen Grundlagen- und
Bündnisdokumenten, ergänzt um Erfahrungen aus den
laufenden Einsätzen und den Erkenntnissen aus den Ein-
sätzen in asymmetrischen Konfliktsituationen.

Da die Übungen als „Live-Simulation“ stattfinden,
können alle Handlungen der Übungsteilnehmer durch
die Systemtechnik überwacht und in der Zentrale des
Übungszentrums nahezu in Echtzeit aufgezeichnet und
ausgewertet werden. Dies stellt eine weitere wesentliche
Verbesserung der Übungsmöglichkeiten unserer Truppe
dar und dient damit einer verbesserten Vorbereitung un-
serer Soldatinnen und Soldaten für den Auslandseinsatz.

Anders als von den Antragstellern behauptet, bietet
der Ausbau des Truppenübungsplatzes auch für die Be-
völkerung vor Ort einen nicht zu unterschätzenden
Mehrwert. In den Jahren von 1991 bis 2010 beliefen sich
die Gesamtausgaben für Unterhalt, Baumaßnahmen etc.
auf circa 430 Millionen Euro. Diese wurden aus dem
Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes der Bauverwaltung
des Landes Sachsen-Anhalt zur Verfügung gestellt und
flossen von dort überwiegend in die regionale Wirtschaft
zurück.

Auch die von den Linken erhobene Forderung, der
Betrieb des Truppenübungsplatzes Altmark müsse auch
aus umweltpolitischen Aspekten sofort gestoppt werden,
ist nicht nachvollziehbar. Aktuell wird auf dem Truppen-
übungsplatz Altmark eine vollständige naturschutzfach-
liche Kartierung – Biotopkartierung sowie eine Lebens-
raumtypen- und Artenerfassung – durchgeführt. Diese
beinhaltet auch die Aspekte von Natura-2000-Berei-
chen, wie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien oder die
Vogelschutzrichtlinien. Die Kartierungen werden Ende

2013 abgeschlossen sein. Die Gesamtmaßnahme wurde
auch mit den zuständigen Landesbehörden einvernehm-
lich abgestimmt. Die Vorwürfe der Linken zielen also
auch an dieser Stelle ins Leere.


Harald Koch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720429900

Am 2. November wurde – von der Öffentlichkeit und

der Presse fast unbemerkt – mit dem ersten Spatenstich
der Grundstein für den Ausbau des Truppenübungs-
platzes Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide zum
größten europäischen Gefechtsübungszentrum gelegt.
Hier soll nun im Laufe der nächsten zwölf Jahre eine
komplette Geisterstadt mit Infrastruktur zur Simulation
von Kampf- und Kriegseinsätzen für die Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr und anderer europäischer
Streitkräfte entstehen. Die Gesamtkosten für den Ausbau
sollen sich auf rund 100 Millionen Euro belaufen.

Ich halte das gesamte Projekt für grundlegend falsch
und möchte auch gern begründen, warum:

Der Ausbau bedeutet eine enorme finanzielle Belas-
tung der kommunalen Haushalte, die sich gerade das
Bundesland Sachsen-Anhalt nicht leisten kann. Hier
werden allerorts Schwimmhallen, Schulen und Freizeit-
einrichtungen geschlossen, weil für deren Finanzierung
und Erhalt kein Geld da ist. Hier können Straßen nicht
saniert werden, weil die Haushalte nicht ausgeglichen
werden können. Da scheitert es schon an kleinsten Sum-
men. Und Sie wollen jetzt 100 Millionen zum Kriegspie-
len ausgeben? Das kann man doch keinem vernünftigen
Menschen erklären. Das ist doch vollkommen inakzepta-
bel. Und das gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass der
Bau und Erhalt des Truppenübungsplatzes in den letzten
Jahren schon weit über 600 Millionen Euro verschlun-
gen hat und es ja auch zukünftig nicht bei den reinen
Baukosten bleiben wird.

Darüber hinaus ist die Bestimmung des Truppen-
übungsplatzes eine vollkommen falsche. Hier sollen
Häuserkämpfe und Kampfeinsätze in urbanen Zentren
unter der Anwesenheit von Zivilistinnen und Zivilisten
geübt werden. Soll das wirklich die zukünftige Ausrich-
tung der Bundeswehr sein? Noch vor einiger Zeit gab es
überfraktionelle Unterstützung dafür, diese Art der
Kriegführung zu ächten. Und nun? Nun ist diese Art der
Kriegführung offenbar breiter Konsens für die Bundes-
wehr. Und über die Folgen, die das sowohl für die Zivi-
listinnen und Zivilisten als auch für die Soldatinnen und
Soldaten haben wird, scheint keiner nachzudenken. Ich
kann es nicht nachvollziehen, zumal damit auch dem
Einsatz der Bundeswehr im Inneren Tür und Tor geöffnet
wird. Die Linke lehnt dies strikt und entschieden ab und
fordert die Bundesregierung auf, diese Entscheidung
noch einmal gründlich zu überdenken.

Auch unter umweltpolitischen Aspekten ist das ge-
samte Projekt eine einzige Katastrophe. Die Colbitz-
Letzlinger Heide ist die größte nicht landwirtschaftlich
genutzte Landfläche Mitteleuropas. Hier gibt es seltene
Biotope und zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tier-
und Pflanzenarten, welche durch den Bau der Geister-
stadt „Schnöggersburg“ massiv bedroht wären. Das

Zu Protokoll gegebene Reden





Harald Koch


(A) (C)



(D)(B)


kann man doch auch nicht einfach ignorieren, nur um
stur die eigenen Interessen zu verfolgen.

Hinzu kommt noch, dass der Großteil der Anwohne-
rinnen und Anwohner keineswegs mit dem Ausbau ein-
verstanden ist. Es gab und gibt zahlreiche öffentliche
Proteste, unter anderen auch von Bürgerinitiativen, wel-
che sich für eine ausschließlich zivile Nutzung der Heide
einsetzen. Die Linke unterstützt dies.

Anstatt an den Interessen der Bürgerinnen und Bür-
ger vorbei dieses sowohl friedenspolitisch als auch
haushalterisch und umweltpolitisch unsinnige und äu-
ßerst bedenkliche Projekt um jeden Preis voranzutrei-
ben, sollte die Bundesregierung lieber darauf setzen,
den Ausbau des Gefechtsübungszentrums sofort zu stop-
pen und unverzüglich ein Konzept für die zukünftige zi-
vile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide vorzulegen.
Dabei müsste natürlich die vollständige Beseitigung von
sämtlichen Munitions- und Kampfmitteln auf diesem Ge-
biet an zentraler Stelle stehen, und es muss sichergestellt
werden, dass die kommunale Gestaltungshoheit gewahrt
bleibt und die Bürgerinnen und Bürger an den Entschei-
dungen zur Zukunft der Colbitz-Letzlinger Heide direkt
beteiligt werden.

Ich kann daher abschließend nur noch einmal an den
Verstand aller Entscheidungsträger appellieren: Stop-
pen Sie dieses Projekt, und zwar unverzüglich!

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Wer sich zur internationalen Schutzverantwortung
und Krisenprävention bekennt, der anerkennt auch, dass
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nicht unvor-
bereitet in Krisengebiete entsandt werden können. Es ist
eine gute und professionelle Ausbildung nötig. Daher ist
es auch folgerichtig, dass die Bundeswehr auf ihren
Standorten bestmögliche Ausbildungsvoraussetzungen
schafft.

Die Fraktion der Linken stellt mit ihrem Antrag zur
zivilen Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide Forderun-
gen auf, denen wir in Teilen zwar zustimmen können,
insgesamt wird der Antrag aber der Geschichte und der
heutigen Situation der Colbitz-Letzlinger Heide nicht
gerecht. Wir lehnen ihn deshalb ab.

Lassen Sie uns einen Blick in die Vergangenheit wer-
fen. 1997 wurde unter Federführung der rot-grünen
Landesregierung in einem schwierigen und mühseligen
Verfahren ein mit allen Beteiligten abgestimmter
Kompromiss zur Zukunft der Colbitz-Letzlinger Heide
gefunden. Ich war als damalige Landesvorsitzende von
Bündnis 90/Die Grünen an dieser Kompromissbildung
persönlich beteiligt. Der sogenannte Heide-Kompromiss
sah vor, dass der südliche Teil der Colbitz-Letzlinger
Heide bis 2006 aus der militärischen Nutzung genom-
men und in eine zivile Nutzung überführt werden sollte.
Geplant war die Einrichtung eines Naturparks als
Grundlage einer touristischen Nutzung der Heide.

1998 wurde die rot-grüne Landesregierung durch
eine durch die damalige PDS tolerierte SPD-Allein-
regierung abgelöst und diese 2002 durch eine schwarz-

gelbe Koalitionsregierung. Beide Konstellationen waren
für die Umsetzung des Heide-Kompromisses denkbar
ungünstig. Rot-Rot hat es in vier Jahren nicht vermocht,
einen Naturpark Colbitz-Letzlinger Heide einzurichten.
Das machte es Schwarz-Gelb leicht, den Heidekompro-
miss in ihrer Amtszeit vollends aufzulösen.

Sie von der Linken sehen also, dass Sie und Ihre Par-
tei in Sachsen-Anhalt nicht gänzlich unbeteiligt an der
Situation sind, die Sie heute beklagen. Umso unglaub-
würdiger ist es, dass Sie jetzt, wo der Spatenstich für die
Übungsstadt Schnöggersburg bereits erfolgt ist, mit
Ihrem Antrag um die Ecke kommen und Vorschläge un-
terbreiten, die beim besten Willen nicht umsetzbar sind.

Es bleiben bei uns große Zweifel, ob Sie wirklich an
einer Problemlösung interessiert sind oder ob es Ihnen
nicht eher darum geht, auf billigen Stimmenfang zu ge-
hen. Konstruktiv ist Ihr Vorgehen jedenfalls nicht.
Leider. Sie hatten Ihre Chance, die zivile Nutzung der
Colbitz-Letzlinger Heide zu sichern, Sie haben sie nicht
genutzt.

Die Truppenübungsplätze der Bundeswehr gehören
oftmals zu den wertvollsten deutschen Naturschutzflä-
chen. Sie sind für den Biotop- und Artenschutz in den
einzelnen Regionen von großer Bedeutung. Ihr Wert
ergibt sich aus den fehlenden direkten Eingriffen des
Menschen in die Landschaft. So gibt es oft eben keine
Bodenversiegelung, keinen Umbruch für die Landwirt-
schaft und damit keinen Dünger- oder Pestizideinsatz.
Dadurch konnten sich die Landschaften natürlich entwi-
ckeln und weisen heute einen großen Reichtum an Pflan-
zen und Tieren auf.

Viele Truppenübungsplätz sind heute sogar eine neue
Heimat für den Wolf, der als geschützte Art für den Er-
folg einer guten Naturschutzpolitik steht. Auch in der
Colbitz-Letzlinger Heide. Dieses Potenzial der Truppen-
übungsplätze ist seit langem bekannt, und oft gab es hier
auch eine gute Kooperation zwischen Naturschutz und
Bundeswehr.

Mit dem Bau von Schnöggersburg wird diese Koope-
ration aufgekündigt. Mitten in Sachsen-Anhalts größtem
zusammenhängenden Fauna-Flora-Habitat-Gebiet baut
Schwarz-Gelb eine Geisterstadt und versiegelt wertvolle
Flächen. Bundesregierung und sachsen-anhaltische
Landesregierung verbauen damit – im wahrsten Sinne
des Wortes – jeglicher nachhaltigen regionalen Entwick-
lung den Weg zugunsten einiger weniger ziviler Arbeits-
plätze.

Die Linke spricht davon, dass die Mehrheit der
Anwohnerinnen und Anwohner gegen dieses Projekt sei.
Als Anwohnerin wäre ich es definitiv. Die Fakten spre-
chen aber eine andere Sprache: Keine der betroffenen
Gemeinden hat dem Vorhaben widersprochen. Es wäre
mir anders lieber, aber wir sollten hier bei der Wahrheit
bleiben.

Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es der Akzep-
tanz gutgetan hätte, wenn das Bundesverteidigungs-
ministerium sich frühzeitig um eine Einbindung der Öf-
fentlichkeit bemüht hätte. Einer Parlamentsarmee wie
der Bundeswehr steht es gut zu Gesicht, wenn sie die

Zu Protokoll gegebene Reden





Undine Kurth (Quedlinburg)



(A) (C)



(D)(B)


Menschen vor Ort frühzeitig beteiligt. Die Einhaltung
allein formaljuristischer Vorgaben ist nicht immer aus-
reichend. Das sollten wir alle inzwischen gelernt haben.

Wir Grünen unterstützen alle Initiativen, die das zi-
vile Entwicklungspotenzial der Heide nutzen wollen. Wir
fordern nach wie vor, dass der Südteil für den Natur-
schutz reserviert und endlich für den Tourismus und
damit für die wirtschaftlich nachhaltigste Entwicklung
erschlossen wird. Wir müssen aber von den Verhältnis-
sen ausgehen, die wir – auch in Hinterlassenschaft lin-
ker Regierungsbeteiligung in Sachsen-Anhalt – vorfin-
den. Mit schönen, aber unrealistischen Forderungen
kommt die Colbitz-Letzlinger Heide nicht voran.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720430000

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11334, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/10684 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Ge-
genprobe! – Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie über Industrie-
emissionen

– Drucksache 17/10486 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/11394 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Paul
Ute Vogt
Dr. Lutz Knopek
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Sind alle damit einver-
standen? – Das ist der Fall.


Dr. Michael Paul (CDU):
Rede ID: ID1720430100

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt die

Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen, die
IE-RL oder auch IED, Industrial Emissions Directive,
ohne Systembrüche in das bewährte Anlagenrecht des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes sachgerecht um. Die
Richtlinie stellt das zentrale europäische Regelwerk für
die Zulassung und den Betrieb von Industrieanlagen und
damit für die Luftreinhaltung dar. Die Umsetzung der
Richtlinie in deutsches Recht ist eines der wichtigsten
und umfangreichsten umweltpolitischen Vorhaben die-
ser Legislaturperiode.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist von der Um-
setzung dieser Richtlinie in besonderer Weise betroffen.

Schließlich stehen von den europaweit durch die Richtli-
nie erfassten circa 52 000 Anlagen rund 9 000 Anlagen
in Deutschland. Es handelt sich zum Beispiel um Kraft-
werke, Stahlwerke, Anlagen zum Gießen und Walzen von
Metallen, Anlagen der Automobilindustrie, industrielle
Chemieanlagen, Mineralölraffinerien und anderes.

Die IE-RL stellt kein grundlegend neues EU-Recht
dar, sondern ist eine Fortentwicklung des schon seit der
sogenannten IVU-RL, der Richtlinie zur integrierten
Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmut-
zung, bestehenden europäischen Anlagenrechts. Das
Konzept der IVU-Richtlinie, welches die Verminderung
und Vermeidung von Verschmutzung der Luft, des Was-
sers und des Bodens sowie die Erreichung einer hohen
Energieeffizienz integriert betrachtet, wurde beibehal-
ten.

Zur formalen Umsetzung der Richtlinie wurden drei
Regelungspakete erarbeitet, von denen wir heute das
Artikelgesetz beraten. In diesem werden die Regelungen
der Industrieemissionsrichtlinie durch Änderungen ins-
besondere im Bundes-Immissionsschutzgesetz, im Was-
serhaushaltsgesetz sowie im Kreislaufwirtschaftsgesetz
umgesetzt.

Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte haben wir in
Deutschland ein im internationalen Vergleich sehr hohes
Umweltschutzniveau erreicht. Um dieses hohe Umwelt-
schutzniveau sicherzustellen, haben wir ein umfangrei-
ches Regelungswerk, das der Zulassung und dem Betrieb
genehmigungsbedürftiger Anlagen zugrunde zu legen
ist: das Bundes-Immissionsschutzgesetz, BImSchG, so-
wie das dazugehörige untergesetzliche Regelwerk, ins-
besondere Rechtsverordnungen. Dort sind zum Beispiel
die technischen Anforderungen an eine Anlage definiert
und spezifische Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben.
Auch werden die Durchführung von Emissionsmessun-
gen verlangt und entsprechende Abnahmen und regelmä-
ßige Überprüfungen auferlegt.

Die Industrieemissionsrichtlinie legt dabei eine hö-
here Verbindlichkeit der Maßnahmen zur Verbesserung
der Luftqualität und der Emissionsstandards auf EU-
Ebene fest; das begrüße ich gerade im Interesse des
Schutzes der Gesundheit ausdrücklich. Diese äußern
sich insbesondere in strengen Genehmigungs- und
Grenzwertanforderungen, der Aufwertung der Merkblät-
ter zu besten verfügbaren Techniken, der BVT-Merkblät-
ter, sowie in erweiterten Berichts- und Überwachungs-
pflichten für Betreiber und Behörden. Die Umsetzung
der IE-RL in nationales Recht muss bis zum 7. Januar
2013 erfolgen.

Der Kernbereich der IE-RL betrifft die verbindliche
Anwendung der sogenannten BVT-Schlussfolgerungen
bei der Festlegung von Emissionsbegrenzungsanforde-
rungen durch die Mitgliedstaaten. Die BVT-Schlussfol-
gerungen beschreiben das Vorsorgeniveau, das nach
dem Maßstab der besten verfügbaren Techniken einge-
halten werden soll. Bei diesem sogenannten BVT-Maß-
stab handelt es sich allerdings angesichts mancher
„Weichmacher“ eher um eine typisch englische verbale
Übertreibung. Dahinter fällt jedenfalls der im deutschen
Immissionsschutzrecht maßgebliche unprätentiöse Be-





Dr. Michael Paul


(A) (C)



(D)(B)


griff des Standes der Technik, der im Gesetzentwurf bei-
behalten wird, in keiner Weise zurück.

Die von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen darge-
legten Befürchtungen sind jedenfalls unbegründet: Die
in ihrem Entschließungsantrag im Umweltausschuss
vorgetragene Prämisse, BVT-Merkblätter der Europäi-
schen Union könnten gegenüber dem innerstaatlichen
untergesetzlichen Regelwerk höherrangig sein und da-
durch zu einer Abschwächung der Luftreinhaltung in
Deutschland führen, wenn hier strengere Anforderungen
gelten, trifft nicht zu. Die EU-Anforderungen aus den
BVT-Merkblättern gelten in den Mitgliedstaaten und da-
mit auch in Deutschland nicht unmittelbar und können
daher zu keiner Abschwächung schärferer innerstaatli-
cher Standards führen. Für den umgekehrten, im Ent-
schließungsantrag nicht angesprochenen Fall, dass
BVT-Merkblätter strengere Anforderungen als das in-
nerstaatliche Recht vorsehen sollten, gibt es einen be-
währten nationalen Anpassungsprozess, an dem festge-
halten wird.

Mit der Verpflichtung, neue europäische Emissions-
standards – BVT-Schlussfolgerungen – innerhalb von
vier Jahren auch bei bestehenden Anlagen einzuhalten,
enthält die IE-RL im Vergleich zur IVU-RL eine gewisse
Verschärfung. Die vom Bundesrat empfohlene Einfüh-
rung einer Jahresfrist zur untergesetzlichen Umsetzung
auf Bundesebene ist hilfreich. Für den Vollzug in den
Ländern und auch für die Anlagenbetreiber wird so aus-
reichend Zeit vorgehalten, um sich auf die neuen techni-
schen Anforderungen durch Anpassungen der Genehmi-
gungen und der Überwachung einerseits sowie durch
technische Anpassung und gegebenenfalls den Umbau
der betroffenen Anlagen andererseits einzustellen. Für
Anlagen, die nach Erlass neuer BVT-Schlussfolgerungen
neu genehmigt werden, sind die europäischen Emis-
sionsstandards hingegen unverzüglich im untergesetzli-
chen Regelwerk umzusetzen und in Genehmigungsver-
fahren anzuwenden. Die vierjährige Umsetzungsfrist aus
Art. 21 Abs. 3 IE-RL gilt hier nicht.

Sowohl aus Umweltsicht als auch aus Sicht des Wirt-
schaftsstandorts Deutschland ist es positiv, dass die Ver-
bindlichkeit der BVT-Schlussfolgerungen in Europa vor-
gesehen wird. Dass dadurch europaweit ein insgesamt
höheres Umweltschutzniveau gewährleistet wird, kann
ich aus Sicht der Umwelt nur begrüßen. Einheitliche
Rahmenbedingungen innerhalb der EU stärken aber
auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie,
da dann gleiche „Spielregeln“ für alle europäischen An-
lagen gelten. Deshalb ist es richtig, dass die Umsetzung
der IE-RL eins zu eins geschieht, also keine Sonderbe-
lastungen für die Unternehmen in Deutschland draufge-
sattelt werden. Das haben CDU, CSU und FDP zu Be-
ginn der Legislaturperiode so vereinbart, und das wird
auch hier bei der IE-RL eingehalten.

Diese Eins-zu-eins-Umsetzung darf aber nicht als Ve-
hikel zum Abbau von Umweltstandards im bestehenden
nationalen Recht benutzt werden. Das ist auch nicht der
Fall. Beispielsweise ist die in Art. 15 Abs. 4 der IE-RL
enthaltene starke Relativierung der Vorsorgeanforde-
rungen aufgrund möglicher Ausnahmen wegen des geo-

grafischen Standorts und lokaler Umweltbedingungen
zu Recht nicht in deutsches Recht übernommen worden.
Das hätte einen fundamentalen Paradigmenwechsel und
einen nicht vertretbaren umweltpolitischen Rückschritt
bedeutet.

Ein wichtiges Element der Richtlinie ist die neue
Pflicht, den Ausgangszustand von Boden und Grund-
wasser im Hinblick auf die spätere Stilllegung der Anla-
gen zu dokumentieren. Hierfür muss künftig im Rahmen
des Anlagengenehmigungsverfahrens ein sogenannter
Ausgangszustandsbericht erstellt werden. Ja, die Erstel-
lung dieses Ausgangszustandsberichts ist für die Unter-
nehmen eine neue, nicht immer kostengünstige Auflage.
Auch sind in Deutschland im Bundes-Bodenschutzgesetz
bereits die Sanierungspflichten vollumfänglich geregelt.
Die Sanierung des Bodens nach einer Anlagenstillle-
gung sollte jedoch in Europa einheitlich geregelt wer-
den, sodass nun auch in Deutschland ein Ausgangszu-
standsbericht unumgänglich ist.

Der Erkenntnisgewinn im Hinblick auf den Ver-
schmutzungsgrad des Bodens, der mit dem Ausgangszu-
standsbericht erreicht wird, kann dann in der Praxis
eine Sanierungspflicht nach Bundes-Bodenschutzgesetz
auslösen. Dies ist aber gleichzeitig auch ein Erkenntnis-
gewinn für die Unternehmen und eine Möglichkeit, früh-
zeitig Vorsorge zu treffen. Was wir als Koalitionsfraktio-
nen im Gesetzgebungsverfahren hier im Deutschen
Bundestag jedoch ausgeschlossen haben, ist die Mög-
lichkeit, dass im Fall vorhandener funktionierender
Schutzvorrichtungen, zum Beispiel vorhandener dichter
Bodenwannen, diese für die Erstellung des Ausgangszu-
standsberichts zur Bodenuntersuchung durchbohrt wer-
den müssen. Denn die Möglichkeit einer Verschmutzung
des Bodens oder des Grundwassers besteht nicht, wenn
aufgrund der tatsächlichen Umstände ein Eintrag aus-
geschlossen werden kann. Diese Regelung entspricht
auch den Ergebnissen der Sachverständigenanhörung.
Im Übrigen kann die Dokumentation des Ausgangszu-
stands auch im Interesse der betroffenen Unternehmen
sein. Denn sie müssen bei Stilllegung der Anlagen im
Rahmen der Pflicht zur Rückführung zwar den Aus-
gangszustand wiederherstellen, aber auch nicht mehr.

Bei den Beratungen im Parlament haben wir in der
Koalition eine Reihe von Wünschen, die die Länder über
den Bundesrat vorgetragen haben, berücksichtigt. Nicht
übernehmen konnten wir allerdings die von den Ländern
vorgeschlagene Formulierung zur möglichen Beauftra-
gung privater Dritter. In der Begründung des Bundesra-
tes war sogar zu lesen, dass eine „Beleihung“ ange-
strebt sei. Um es klar zu sagen: Eine Verlagerung der
hoheitlichen Aufgaben der Aufsichtsbehörden auf Pri-
vate ist mit uns nicht zu machen. Was allerdings auch in
Zukunft möglich sein muss – dafür haben wir die nötige
klarstellende Formulierung gefunden –, ist, dass die Be-
hörden bei Durchführung der erforderlichen Aufsichts-
maßnahmen Verwaltungshelfer einschalten können. Die
Verantwortung der Vollzugsbehörden bleibt aber voll-
umfänglich erhalten.

Im Rahmen der Beratungen zur Umsetzung der IE-RL
haben wir uns entschlossen, die Mitwirkungsrechte des

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Michael Paul


(A) (C)



(D)(B)


Bundestages und die Beteiligung beim Erlass von
Rechtsverordnung nach dem BImSchG zu verbessern.
Standen bisher drei Sitzungswochen zur Beratung zur
Verfügung, werden es künftig vier Wochen sein. Damit ist
einerseits eine zügige Verabschiedung von Verordnun-
gen, die oft europäisches Recht umsetzen, gewährleistet.
Andererseits ist es sinnvoll – das zeigen die bisherigen
Erfahrungen –, wenn dem Bundestag für eine vertiefte
Beratung mehr als drei Sitzungswochen zur Verfügung
stehen. Insofern stellt die Verlängerung der Beteili-
gungsfrist auf vier Sitzungswochen einen vernünftigen
Ausgleich zwischen diesen Interessen dar.

Mein Fazit ist: Die Umsetzung der Richtlinie für In-
dustrieemissionen in deutsches Recht ist in dieser Legis-
laturperiode eines der ambitioniertesten Gesetzge-
bungsvorhaben im Umweltrecht. Alles in allem wahrt
der Gesetzentwurf materiell in der Kontinuität des bis-
herigen Immissionsschutzrechts die vernünftige Balance
zwischen fortschrittlicher Umweltvorsorge einerseits
und notwendiger Sicherung des Industriestandorts
Deutschland andererseits. Bestehende Ungleichheiten
in Europa hinsichtlich der Umweltstandards werden
ausgeglichen und gleiche Wettbewerbsbedingungen her-
gestellt. Der Koalitionsvereinbarung einer Eins-zu-eins-
Umsetzung von EU-Vorgaben ohne eine Absenkung na-
tionaler Umweltstandards wurde Rechnung getragen,
und mit den im Umweltausschuss angenommenen Ände-
rungsanträgen der Koalitionsfraktionen werden die An-
liegen der Bundesländer zu einem großen Teil aufgegrif-
fen.


Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1720430200

Ich will ja zugestehen, dass die Umsetzung der Indus-

trieemissionsrichtlinie, IED, ein Kraftakt ist. Dass es
schwierig ist, verschiedene Gesetze und Verordnungen
unter einen Hut zu bekommen und damit die IED-Richt-
linie umzusetzen, ebenfalls. Aber gerade weil dies so ein
umfangreiches Regelungswerk ist, ist es umso bedauer-
licher, dass die Bundesregierung mit der Umsetzung der
IED-Richtlinie in die deutsche Gesetzgebung keine sub-
stanzielle Verbesserung für uns in Deutschland erreicht.
So wäre es zum Beispiel unerlässlich, zumindest kon-
krete Anforderungen an die Verbesserung der Energieef-
fizienz festzuschreiben. Sie lassen die Chance ungenutzt,
obwohl die Richtlinie solche Regelungsmöglichkeiten
nicht nur zulässt, sondern ausdrücklich vorsieht.

Es ist bereits jetzt nicht einfach, Außenstehenden zu
vermitteln, was die IED genau ist und was wir mit der
Umsetzung alles regeln. Dass die IED eine der wichtigs-
ten Richtlinien zur Genehmigung und Überwachung von
Industrieanlagen ist und damit auch unsere hohen deut-
schen Umweltstandards nach Europa quasi „expor-
tiert“, ist außerhalb der betroffenen Industrien leider
selten bekannt.

Dass die bisher ungenutzten Energieeinsparpotenziale
nicht als Anreiz zur weiteren Verbesserung der Stan-
dards mit aufgenommen wurden, ist nicht nachvollzieh-
bar. Denn die frühzeitige Entwicklung und Anwendung
fortschrittlicher Anlagentechnik in Deutschland hat

nicht nur für ein hohes Umweltschutzniveau gesorgt,
sondern dadurch der Allgemeinheit ein höheres Maß an
Gesundheitsschutz und der deutschen Wirtschaft einen
Wettbewerbsvorsprung gebracht.

Ein Kollege der Regierungsfraktionen bezeichnete in
der Ausschussberatung das deutsche Immissionsschutz-
recht im Ganzen sogar als „Erfolgsstory“. Zu Recht, aus
meiner Sicht. Aber warum ist es das? Weil die Stell-
schrauben von der Politik so genutzt wurden, dass es
Anreize gab, stets besser zu sein als die Konkurrenz. Wa-
rum will ausgerechnet eine konservativ-liberale Regie-
rung dieses Prinzip nun ändern? Die „Erfolgsstory“ be-
kommt mit der IED-Umsetzung ein lahmes Ende! Denn
ganz klar: Die Industrie braucht unsere politische Un-
terstützung, um besser zu werden. Der vorliegende Ent-
wurf schafft diese Anreize in Deutschland leider nicht.

Nun bin ich bei dieser schwarz-gelben Regierung ja
schon froh, dass sie wenigstens so vernünftig war, in der
Umsetzung der IED die Festlegung von Emissionsgrenz-
werten weitgehend den Werten der bisherigen BVT-
Merkblätter entsprechen zu lassen, und eine Abschwä-
chung von Grenzwerten weitestgehend vermieden wird.
Darüber hinaus passiert aber leider zu wenig.

Die Energieeffizienz ist ein Schlüssel für den Erfolg
der Energiewende, das müsste sich doch auch in den
Reihen der Regierungskoalition inzwischen herumge-
sprochen haben. Aber obwohl die Effizienzpflicht bereits
festgeschrieben ist, hat dies in der Umsetzung der IED
Richtlinie hier keinerlei Konsequenzen.

Warum nutzt die Regierung an dieser Stelle nicht die
einmalige Chance, Genehmigungsbehörden die Mög-
lichkeit an die Hand zu geben, Effizienzanforderungen
an energieerzeugende und energieverbrauchende Anla-
gen zu stellen? Schließlich bleiben bisher Anlagen viel-
fach wegen schwacher Anreize, fehlender Information
oder auch wegen falsch eingeschätzter Einsparpoten-
ziale hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Mit der vorliegenden weitestgehenden Eins-zu-eins-
Umsetzung der IED-Richtlinie vergibt die schwarz-
gelbe Regierung die große Chance, gerade im Zusam-
menhang mit der Energiewende, eigene Effizienzstan-
dards zu definieren, zumal laut Experteneinschätzungen
Deutschland die in der EU-Effizienzrichtlinie festge-
schriebenen Ziele nach bisherigem Stand verfehlen
wird. Effizienzanforderungen hätten über die Umsetzung
der IED in nationale Rechtsprechung Einzug halten kön-
nen, um die von der EU geforderten 1,5 Prozent an
Energieeinsparungen zu erreichen. An anderer Stelle
werden wir mit Sicherheit nachholen müssen, was hier
verpasst wurde, schließlich bleiben nur noch knapp 18
Monate, um Maßnahmen zum Energiesparen vorzule-
gen.

Wir erkennen die Schwierigkeiten, die es bei der Um-
setzung der IED in deutsche Gesetzgebung gibt, an. Es
entschuldigt aber nicht, dass der Entwurf hinter seinen
Möglichkeiten zurückbleibt. Deshalb werden wir diesem
nicht zustimmen und enthalten uns der Stimme.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Gerd Bollmann (SPD):
Rede ID: ID1720430300

Nachdem wir in der letzten Sitzungswoche die Ver-

ordnung zur Umsetzung der europäischen Richtlinie
über Industrieemissionen verabschiedet haben, beraten
wir heute über den entsprechenden Gesetzentwurf.

In diesem Zusammenhang möchte ich einmal das
Bundesumweltministerium loben. Auch unsere Fraktion
ist frühzeitig über die Pläne zur Umsetzung der Emis-
sionsrichtlinie informiert worden. Leider ist dieses Vor-
gehen die große Ausnahme, nicht nur in der Umwelt-
politik, sondern im gesamten Regierungshandeln.

Insgesamt ist die Umsetzung der europäischen Indus-
trieemissionsrichtlinie in deutsches Recht gut gelungen.
Dies liegt zum Teil auch daran, dass neue europäische
Vorgaben in Deutschland bereits vorher Gesetz waren
oder zum Beispiel neue Grenzwerte in der Praxis bereits
eingehalten werden. Sowohl in der Verordnung als auch
in dem Gesetzentwurf wurden keine schwerwiegenden
Fehlentscheidungen gemacht. Trotzdem hat unserer
Meinung nach die Bundesregierung die Chance vertan,
mehr für Umwelt- und Gesundheitsschutz zu tun. Wir
sind der Auffassung, dass die Umsetzung der Konzep-
tion nicht vollständig den Ansprüchen genügt, da es in
Deutschland durch anspruchsvolle Genehmigungs-
auflagen, zum Beispiel bei Abfallverbrennungsanlagen,
bereits zu erheblich niedrigeren Betriebswerten kommt,
als im Verordnungsentwurf vorgeschrieben werden soll.
Folglich wird dadurch die Chance vergeben, den
Umwelt- und Gesundheitsschutz in Deutschland den
Möglichkeiten entsprechend voranzubringen.

Ein Beispiel hierfür ist die Festlegung der Quecksil-
bergrenzwerte. Das Umweltbundesamt hat einen niedri-
geren Grenzwert von 3 Mikrogramm für Quecksilber
vorgeschlagen, und dies sollten wir umsetzen. Auch die
Grenzwerte für die Freisetzung von Feinstaub, sowohl
für Kohlekraftwerke als auch für die Abfallverbren-
nungsanlagen, sind unserer Ansicht nach zu hoch.
Insbesondere bei Abfallverbrennungsanlagen liegen die
Betriebswerte für die Staubemission schon heute deut-
lich unter den geltenden und geplanten neuen Grenz-
werten.

Keine deutsche Abfallverbrennungsanlage wird mit
Staubemissionen, Tagesmittelwert, oberhalb von 3 Milli-
gramm Staub pro Kubikmeter betrieben. Rund zwei Drit-
tel der Anlagen liegen sogar unter 1 Milligramm Staub
pro Kubikmeter. Somit wird die in der Verordnung vorge-
sehene Absenkung des Grenzwertes von 10 auf 5 Milli-
gramm pro Kubikmeter keinerlei senkende Auswirkung
auf die aktuellen Staubemissionen aus Abfallverbren-
nungsanlagen haben.

Niedrigere Grenzwerte sind möglich und bedeuten
keinen Wettbewerbsnachteil. Wir würden damit vor al-
lem die Hintergrundbelastung senken und somit Bürge-
rinnen und Bürger in hochbelasteten Gebieten helfen.

Allerdings gibt es auch einen Bereich, der meiner
Meinung nach viel zu lasch geregelt wird.

Für Abfallmitverbrennungsanlagen gelten zum größ-
ten Teil Ausnahmen bei den Grenzwerten, oder anders
ausgedrückt: Zementwerke und Kraftwerke dürfen bei

der Mitverbrennung von Abfällen höhere Grenzwerte er-
reichen. Dies ist nicht gerechtfertigt, sie stehen nicht im
internationalen Wettbewerb.

Vor allem aber ist es ökologisch nicht vertretbar. In
den letzten zehn Jahren hat sich die Emissionsbilanz der
Abfallwirtschaft verschlechtert, weil immer mehr Abfall
als Ersatzbrennstoff unterhalb vereinfachter Emissions-
grenzwerte verfeuert wird.

Dies ist ein entscheidender Punkt: Die Emissions-
werte, die Luftqualität um diese Abfallmitverbrennungs-
anlagen hat sich verschlechtert, nicht nur bei Feinstaub,
auch bei anderen Emissionen, besonders bei Queck-
silber.

Viele Menschen haben gerade bei der Abfallverbren-
nung für strenge Grenzwerte gekämpft. Die kommunalen
Entsorger haben Millionen Euro in die Verbesserung der
Müllverbrennungsanlagen gesteckt. Kommunale Müll-
verbrennungsanlagen gehören inzwischen zu den „bes-
ten“ Anlagen in Deutschland. Mutwillig wird dieses mit
den Ausnahmeregelungen unterlaufen. Außerdem entsteht
ein Ökodumping zulasten von Kommunen, Umwelt- und
Gesundheitsschutz. Weil die Mitverbrennungsanlagen ge-
ringere Auflagen haben, können sie niedrigere Preise
nehmen. Infolge dieses Ökodumpings müssen gut ausge-
baute, technisch anspruchsvolle Müllverbrennungsanla-
gen, vor allem kommunale, nicht kostendeckende Preise
zahlen. Dies lehnen wir ab. Zugunsten von Umwelt,
Luftreinhaltung und einem fairen Wettbewerb müssen
die gleichen niedrigen Grenzwerte für die Verbrennung
von Abfall gelten.


Dr. Lutz Knopek (FDP):
Rede ID: ID1720430400

Mit der EU-Industrieemissionsrichtlinie, die bis zum

7. Januar 2013 europaweit in nationales Recht umge-
setzt werden muss, gehen die Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union einen weiteren Schritt in Richtung einer
Harmonisierung von Umweltstandards und Genehmi-
gungsanforderungen für industrielle Anlagen. Aus deut-
scher Sicht ist dies unbedingt zu begrüßen, da somit zu-
künftig endlich europaweite Mindeststandards gelten
und nationalem Umweltdumping ein effektiver Riegel
vorgeschoben wird.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
und die Änderungsanträge der Koalition setzen die Vor-
gaben der Industrieemissionsrichtlinie weitestgehend im
Maßstab eins zu eins in deutsches Recht um. Abstriche
von einer Eins-zu-eins-Umsetzung werden dort gemacht,
wo die Richtlinie weniger anspruchsvolle Umweltstan-
dards vorsieht als die bestehende nationale Gesetzge-
bung. Einen Standardabbau in Deutschland wird es de-
finitiv nicht geben.

Die Abweichungsklausel des Art. 15 der IED haben
wir ebenfalls nur eingeschränkt umgesetzt. Eine voll-
ständige Umsetzung, also die Erweiterung der mögli-
chen Ausnahmen auf lokale und geografische Faktoren,
hätte zwar nicht zwangsläufig einen Standardabbau in
Deutschland bedeutet. Jedoch ist dieser immissionssei-
tige Ansatz nur schwer mit dem emissionsseitigen Ansatz
des bewährten deutschen Konzeptes des Standes der

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Lutz Knopek


(A) (C)



(D)(B)


Technik in Einklang zu bringen. Wir haben uns deshalb
dafür entschieden, die bestehende Systematik des deut-
schen Immissionsschutzrechtes unverändert beizubehal-
ten.

Mit Blick auf die zu erwartende weitere Europäisie-
rung des Umweltrechts sollten jedoch frühzeitig Überle-
gungen angestellt werden, ob dieser Weg auch zukünftig
zielführend ist. Der Gedanke des integrierten Umwelt-
schutzes ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch, und
Deutschland – so eine jüngere Untersuchung des Zen-
trums für Europäische Wirtschaftsforschung – läuft
durch seine starre Grenzwertfixierung Gefahr, hier den
Anschluss an technologische Entwicklungen zu verlie-
ren.

Die größte Herausforderung dieses Gesetzgebungs-
verfahrens besteht sicherlich darin, angemessene Rege-
lungen für die Umsetzung der Richtlinienanforderungen
bezüglich des Bodenzustandsausgangsberichts zu finden.
Ich darf daran erinnern, dass wir diesen in Deutschland
unisono immer abgelehnt haben, da er aufgrund des be-
stehenden deutschen Bodenrechts schlicht überflüssig
ist und auch nur schwer mit unseren nationalen Rege-
lungen in Einklang zu bringen ist.

Die jetzt im Gesetzentwurf und im Änderungsantrag
der Koalition gefundene Regelung wird hoffentlich da-
für sorgen, dass die europarechtlichen Anforderungen
mit so wenig bürokratischem Aufwand wie möglich er-
füllt werden können. Ich appelliere hier an die Vernunft
der Länder, die neuen Kompetenzen nicht für andere
Zwecke zu zweckentfremden. Das regelmäßige Anboh-
ren dichter Bodenwannen, wie es von einigen Seiten ja
bereits propagiert wird, wird diesem Anspruch jeden-
falls nicht gerecht. Da sollten die Vollzugsbehörden
doch noch einmal in sich gehen und genau überlegen, ob
es nicht zweckdienlichere Ansätze gibt.

Zum Schluss noch einen Satz zur Kritik der SPD und
der Grünen, dass der Gesetzentwurf keine Ermäch-
tigung zur Auferlegung von Energieeffizienzvorgaben
enthält. Eine solche Regelung ist aus unserer Sicht auf-
grund des Emissionshandels schlicht überflüssig. Die
Unternehmen selbst haben dadurch bereits den größten
Anreiz zu rationaler Energiebewirtschaftung. Eine ge-
setzliche Regelung würde zudem nur Kosten verursachen,
ohne auch nur ein Gramm CO2 einzusparen.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720430500

Was ist wichtiger? Kosten für die Industrie zu vermei-

den oder die Menschen unseres Landes vor schädlichen
Nebenprodukten der industriellen Produktion zu schüt-
zen? Wenn ich den Ausführungen der Koalition folge, ist
die Antwort einfach: Zugunsten der Profite verzichtet sie
auf den bestmöglichen Schutz von Mensch und Natur.
Nachfolgend werde ich etliche Mängel des Gesetzent-
wurfs zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemis-
sionen ansprechen und zeigen, wie die Linke Mensch
und Natur vor Schäden bewahren würde.

Es ist sicher gut, dass in diesem Entwurf das Prinzip
der besten verfügbaren Technik angewendet wird. Lei-
der ist aber eine Überwachung der Umsetzung kaum

möglich, weil immer mehr Aufgaben an die unteren
Naturschutz- und Umweltbehörden delegiert werden
würden. Diese Behörden wurden von Ihnen aufgrund der
finanziellen Situation verkleinert und sollen jetzt immer
mehr Aufgaben lösen, womit sie personell überfordert
sind. Wenn die Umweltrichtlinien nicht kontrolliert
werden und man nicht damit rechnen muss, bestraft zu
werden, dann halten sich viele auch nicht daran. Das ist
wie mit dem Tempolimit: Nur wenn Autofahrer Radar-
fallen befürchten müssen, halten sie sich an das vorge-
schriebene Tempo.

Auch die Aktualisierung der Merkblätter zur besten
verfügbaren Technik könnte besser organisiert werden.
Der Prozess ist zu langwierig. Bis die Aktualisierung ei-
ner verfügbaren Technik erfolgt, gibt es oft schon eine
neue und bessere Lösung. An dieser Stelle könnten wir
mit ambitionierteren Vorgaben viel mehr für die Ge-
sundheit erreichen. Die Folgekosten von Umweltemis-
sionen trägt schließlich die gesamte Gesellschaft und
nicht das jeweilige Unternehmen. Die Eins-zu-eins-
Umsetzung der EU-Vorgabe ist in vielen Bereichen ge-
genüber den bundesdeutschen Maßstäben der TA Luft
ein Rückschritt. Das bedeutet mehr Erkrankungen durch
Luftschadstoffe. Die Linke lehnt diese Verschlechterung
ab.

Beim Bodenschutz haben Sie Definitionen gewählt,
die einer Interpretation viel Raum lassen. Die Begriffe
sind nirgends definiert. Demzufolge laufen die Vorgaben
nach diesem Gesetz ins Leere. Man kann nicht juristisch
durchsetzen, was nicht definiert ist. Gehen Sie absicht-
lich so vor, um Firmen Schlupflöcher zu öffnen – so wie
Sie umfangreiche Ausnahmen zulassen, um die Pflicht
zur Prüfung auf schädliche Stoffe im Boden auszuhe-
beln? Sowohl die Bestimmungen des Gesetzes als auch
die Pflichtprüfungen müssen eindeutig und damit durch-
setzbar sein.

Hinsichtlich der Informations- und Veröffentli-
chungspflichten stellte ich im Ausschuss mehrfach die
Frage, ob Unterlagen bei einem Antrag zum Bau von
umweltgefährdenden Anlagen nur dann veröffentlicht
werden müssten, wenn sie in elektronischer Form vorlä-
gen. Wie verhält es sich dann mit Unterlagen, die in
schriftlicher Form eingereicht werden? Die Antwort
„Dies wird in einer zukünftigen Verwaltungsvorschrift
geregelt“ beruhigt mich nicht wirklich. Bleibt nur die
Frage: Wann wird diese Verwaltungsvorschrift wirk-
sam? Bis dahin können Firmen die Veröffentlichung um-
weltrelevanter Anträge verhindern, indem sie diese ein-
fach nur auf Papier einreichen.

Wahrscheinlich kommt die Vorschrift aber doch.
Damit die Firmen dann vor unbequemen Nachfragen
von Anwohnern und Nachbarn geschützt werden, haben
Union und FDP in ihrem Änderungsantrag klargestellt,
dass eine Veröffentlichung nicht stattfinden dürfe, soweit
Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse von Firmen betrof-
fen seien. Diese Formulierung ist sehr dehnbar. Da kann
man gleich festlegen: Daten von Unternehmen brauchen
nicht veröffentlicht zu werden. Das wäre wenigstens
ehrlich. Die Linke ist gegen das Ausschalten der öffent-
lichen Kontrollmöglichkeiten. Wir wollen die Pflicht zur

Zu Protokoll gegebene Reden





Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)


Information. Schon dieser Grund reicht, den Antrag
abzulehnen.

Weiterhin legen Sie fest, dass die Behörde sofort nach
Eingang der Unterlagen den Eingang bestätigen muss
und dass jeder Antrag automatisch als genehmigt gilt,
wenn nach Ablauf eines Monats keine Behördenantwort
vorliegt. Die personelle Ausstattung der betreffenden
Behörden haben Sie verschlechtert, wie ich schon aus-
führte. Die Aufgaben werden dagegen ständig umfang-
reicher. Wenn dann ein Unternehmen kurz vor Jahres-
ende oder kurz vor den Sommerferien Unterlagen
einreicht, ist die Behörde aufgrund von Personalmangel
und Urlaubszeiten nicht mehr der Lage, rechtzeitig den
Antrag zu bearbeiten.

Über den Trick „Arbeitsüberlastung und kurze
Fristen“ verhindern Sie gründliche Prüfungen und er-
möglichen der Industrie, über einen weiteren Weg
Kosten für den Umweltschutz zu vermeiden. Die Linke
fordert ausreichend Personal und realistische Bearbei-
tungszeiten. Damit werden Folgekosten zum Beispiel
aus unnötigen Krebs- und Atemwegserkrankungen mit
all dem Leid für die Betroffenen und den Belastungen
fürs Gesundheitswesen vermieden.

Damit inhaltliche Fehler der Behörden, ausgelöst
durch Arbeitsüberlastung, Personalmangel und kurze
Fristen, nicht zu einer Blockade der Vorhaben der In-
dustrie wegen Klagen vor einem Verwaltungsgericht
führen, schränken Sie dann noch das Klagerecht für
Umweltverbände massiv ein. Sie setzen kurze Ein-
spruchsfristen und beschränken das Klagerecht auf for-
male Fehler. Gegen inhaltliche Fehler soll man nicht
klagen dürfen. Das ist eine eklatante Verletzung des
Rechtsstaates, aber für die Koalition offenbar ein not-
wendiger Schritt, damit die Industrie ungestört Profite
zulasten der Gesundheit einfahren kann.

Betroffene und Umweltverbände müssen die Möglich-
keit der Überprüfung von behördlichen Fehlern haben.
Die Behörden müssen in die Lage versetzt werden, nach
Gesetz zu entscheiden, und das Gesetz selbst muss stim-
men. Das würde die Linke umsetzen.

Ihr Gesetz ist mangelhaft, die Umsetzung des
schlechten Gesetzes erschweren Sie zusätzlich, und Kor-
rekturen durch Gerichte verhindern Sie. Die Linke lehnt
dies ab und fordert Sie auf, das Gesetz zu korrigieren.


Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720430600

Eines der wichtigsten umweltpolitischen Vorhaben

der Europäischen Union der letzten Jahre ist die Richt-
linie über Industrieemissionen, die nun in deutsches
Recht umgesetzt wird. Bereits im Oktober haben wir hier
im Bundestag den ersten Teil dieser Umsetzung disku-
tiert. Die entsprechende Verordnung aber war in Sachen
Umweltschutz und Luftreinhaltung ein Reinfall. Leider
setzt sich genau dies auch beim jetzt vorgelegten Gesetz-
entwurf fort.

Einer der Kernpunkte der Richtlinie ist die Stärkung
der Energieeffizienz, die in Art. 11 als eine Grundpflicht
für die Betreiber festgeschrieben wird. Darüber hinaus
wird es den Mitgliedstaaten aber zusätzlich freigestellt,

für die dem Emissionshandel unterliegenden Anlagen
weitere Energieeffizienzanforderungen zu stellen. Die
Chance, die Erhöhung der Energieeffizienz hier umfas-
send als Grundpflicht aller Anlagenbetreiber festzu-
schreiben, nutzt die Bundesregierung hier in voller Ab-
sicht nicht. Dabei ist die Stärkung der Energieeffizienz
doch integraler Bestandteil der geplanten Energie-
wende. Nur wenn es gelingt, in diesem Bereich Fort-
schritte zu erreichen, kann die Energiewende gelingen.
Oder sieht die Bundesregierung dies anders? Dazu aber
bedarf es eines funktionierenden Instrumentariums zur
Zielerreichung. Hier haben Sie die Möglichkeiten, die
die Umsetzung der Industrieemissionsrichtlinie bietet,
insbesondere die Möglichkeit, das Anlagenrecht weiter-
zuentwickeln, ohne Not vergeben.

Auch versäumen Sie es, eindeutig zu klären, welchen
Stellenwert zukünftig die deutsche TA Luft haben wird im
Vergleich zu den Anforderungen der neu eingeführten
europäischen BVT-Merkblätter. Diese sollen nämlich
den aktuellen Stand der bestverfügbaren Technik fest-
schreiben und setzen damit die europaweiten Standards.
Es ist nicht klar, welches Instrument rechtlich höherran-
gig ist und was gilt, wenn in einzelnen Bereichen in
beiden Dokumenten verschiedene Standards festge-
schrieben sind. Wir möchten hier Klärung und fordern,
dass die TA Luft rechtlich mit den BVT-Merkblättern zu-
mindest gleichgestellt wird. Es kann nicht sein, dass am
Ende schon bestehende hohe Standards der TA Luft nicht
mehr angewendet werden müssen, weil in den BVT-
Merkblättern niedrigere Standards verankert sind, die
dann aber als höherrangig in der rechtlichen Abwägung
angesehen werden.

Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf sehr kritisch
betrachtet und einige sehr gute Änderungsvorschläge
verabschiedet. Von denen finden sich zwar einige in den
Änderungsanträgen von der CDU/CSU-Fraktion und
der FDP-Fraktion, die gestern im Ausschuss eine
Mehrheit gefunden haben, wieder, aber leider nicht alle
wichtigen. Beispielsweise ignorieren Sie den Bundes-
ratsvorschlag zur Wiedereinführung von Betriebstage-
büchern und zur Übermittlung von Jahresberichten im
Abfallbereich, dessen Umsetzung eine effektive Stoff-
stromverfolgung sowie die angemessene Überwachung
und ordnungsgemäße Entsorgung der Abfälle sicherstel-
len würde. Ebenfalls enttäuschend ist Ihre Weigerung,
den sogenannten abfallrechtlichen Wertausgleich einzu-
führen. Dieser hatte bei den Beratungen zum Kreislauf-
wirtschaftsgesetz eine breite Mehrheit im Bundesrat
bekommen. Damit wären analoge Haftungsrechte zum
Bodenschutz- und Wasserrecht im Kreislaufwirtschafts-
recht verankert. Von einer Gewichtung zugunsten der
Umweltanforderungen kann bei diesem Gesetz keine
Rede sein.

Mit fadenscheinigen Argumenten nehmen Sie hier
eine minimale Eins-zu-eins-Umsetzung der europäi-
schen Richtlinie vor und ignorieren sämtliche Möglich-
keiten zur Stärkung des Umweltschutzes und zum Voran-
treiben der Energiewende, die die Richtlinie bietet. Dies
lässt uns erneut daran zweifeln, wie ernsthaft Bundes-
regierung und Koalitionsfraktionen Umweltschutz und
Energiewende betreiben.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720430700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11394,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/10486 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das
sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Ent-
haltungen? – Fraktion der SPD. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltun-
gen? – Fraktion der SPD. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Sven-Christian Kindler,
Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Anbindung deutscher Seehäfen verbessern –
Alternativen zur Y-Trasse vorantreiben

– Drucksache 17/11352 –

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1720430800

Der Hauptgrund für die Ausbaustrecke/Neubaustre-

cke, ABS/NBS, Hamburg/Bremen–Hannover, die allge-
mein als Y-Trasse bezeichnet wird, ist die hohe Belastung
der bestehenden Hauptstrecke Hamburg–Lüneburg–
Uelzen–Celle–Hannover/Lehrte. Durch eine teilweise
Entmischung von Hochgeschwindigkeits- und Nah-/Gü-
terverkehr soll eine höhere Kapazität für den Güterver-
kehr und eine verbesserte Pünktlichkeit erreicht werden.
Und dies ist dringend notwendig.

Es wird prognostiziert, dass der Personenverkehr auf
der Schiene von 2004 bis 2025 um 25,6 Prozent und der
Güterverkehr um 65 Prozent steigen werden. Wenn Gü-
ter transportiert werden sollen, brauchen wir auch die
entsprechenden Schienen. Eine gute Anbindung unserer
Häfen an das Hinterland ist sinnvoll und notwendig.
Deshalb werden derzeit umfangreiche Trassen geprüft,
um eine möglichst effiziente Lösung zu finden.

Wie ist der derzeitige Sachstand?

Die Bedeutung der Y-Trasse für das Zielnetz 2025
wird durch die Aufnahme der Strecke in den Entwurf des
Investitionsrahmenplans 2011 bis 2015 als weiteres
wichtiges Vorhaben in der Kategorie D verdeutlicht.

Die ABS/NBS Hamburg/Bremen–Hannover ist im
Vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans für die Bundes-
schienenwege enthalten. Das Projekt dient der Verbesse-

rung der verkehrs- und strukturpolitisch notwendigen
Hinterlandanbindungen der deutschen Seehäfen.

Zur Beschleunigung der Planung finanziert die
Bundesregierung mit 19 Millionen Euro einen Teil der
Planungskosten bis einschließlich Leistungsphase 3 der
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vor. Ein
Planungsstopp ist nicht vorgesehen.

Zur Y-Trasse gibt es eine raumordnerisch festgelegte
Trasse, deren Gültigkeit bis 2016 verlängert wurde. Ein
Planfeststellungsverfahren für diese Trasse ist derzeit
nicht in Vorbereitung.

Im Zuge der Bedarfsplanüberprüfung des Bundes im
Jahr 2010 wurden die Planungsparameter für die raum-
ordnerisch festgelegte Y-Trasse angepasst: Güterver-
kehr auch tagsüber, Höchstgeschwindigkeit 250 Kilome-
ter pro Stunde. Auf dieser Basis werden die notwendigen
Baumaßnahmen und die Kostenkalkulation überarbei-
tet.

In der Bedarfsplanüberprüfung beauftragte der Bund
die Prüfung von Alternativen: Ausbau der Bestandsstre-
cken und die Y-Trasse nur für den Güterverkehr in ver-
änderter Trassierung. Eine abschließende Festlegung
auf eine dieser Streckenführungen erfolgte nicht.

Infolge der derzeit laufenden Vorplanung wird – aus-

(modifizierter Neubau der Y-Trasse)

der Bedarfsplanüberprüfung 2010 – gegebenenfalls die
verkehrliche Untersuchung von noch nicht gesamtwirt-
schaftlich bewerteten Alternativen durch den Bund ini-
tiiert, für die erforderlichenfalls neue bzw. modifizierte
Planfälle geschaffen werden. Die Durchbindung nach
Lehrte zur Entlastung des Knotens Hannover wird hier-
bei mit untersucht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
auch für die Koalition ist die Anbindung der Häfen an
das Hinterland von großer Bedeutung. Aber lassen Sie
uns die begonnenen Untersuchungen abwarten und
dann auf der Grundlage fundierter Ergebnisse die not-
wendigen Entscheidungen treffen. Wenn ich berücksich-
tige, dass Überlegungen für eine Neubaustrecke
zwischen Hamburg und Hannover bereits aus dem Jahr
1962 bekannt sind, sollten Sie diese Wartezeit akzeptie-
ren können und gemeinsam mit uns auf der Basis der
Prüfungsergebnisse den Ausbau des Schienennetzes
forcieren.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1720430900

Ich bin dankbar für den vorliegenden Antrag von

Bündnis 90/Die Grünen. Denn hier wird deutlich, dass
wir eine Einschätzung teilen: Die Hafenhinterlandan-
bindungen in Deutschland sind ein sehr wichtiges
Thema und verdienen politische Priorität.

Logistik, das ist nicht irgendein Gewerbe, sondern
die drittgrößte Branche in Deutschland. Im letzten Jahr
waren hier über 2,6 Millionen Menschen beschäftigt,
und es wurde ein Umsatz von über 220 Milliarden Euro
erreicht. Ohne unsere leistungsstarke Logistik wären wir
nicht Exportvizeweltmeister, und daher hat die Logistik-





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)


branche für die CDU/CSU einen sehr großen Stellen-
wert.

Für eine starke Logistik braucht es starke Häfen und
eine starke Anbindung. Ich denke, wir sind mit Bünd-
nis 90/Die Grünen ebenfalls einer Auffassung, dass die
Anbindung unserer Häfen primär über die Schiene erfol-
gen soll. Doch was mich sehr verwundert, ist die Fokus-
sierung auf die norddeutschen Seehäfen.

Genauso bedeutend für unser Land sind die großen
Seehäfen im Westen: Antwerpen, Rotterdam und Amster-
dam. Diese werden vor allem über die Binnenhäfen in
Nordrhein-Westfalen angebunden, Duisburg ist der
größte Binnenhafen der Welt. Auch hier braucht es eine
bessere Hinterlandanbindung. Aus diesem Grund stellen
wir im Investitionsrahmenplan, IRP, 2011 bis 2015 für
die sogenannte Betuwe-Linie beispielsweise insgesamt
805,7 Millionen Euro bereit, und auch der „Eiserne
Rhein“ muss kommen.

Auch die Anbindung der deutschen Seehäfen muss
verbessert werden. Schon heute sind die vorhandenen
Eisenbahnstrecken in dem Dreieck Hamburg–Bremen–
Hannover bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
oder sogar darüber hinaus ausgelastet. Hier besteht
dringender Handlungsbedarf. Aber welcher?

Im Bundesverkehrswegeplan 2003 war die Y-Trasse
als Hochgeschwindigkeitsstrecke für Tempo 300 und den
Schienenpersonenfernverkehr ausgelegt. Die Steigerung
der Leistungsfähigkeit der Hafenhinterlandanbindung
für den Güterverkehr wäre also ausschließlich dadurch
zustande gekommen, dass auf den vorhandenen Strecken
die Verlagerung des Schienenpersonenfernverkehrs auf
die Y-Trasse Kapazitäten frei geworden wären.

Die Bedarfsplanüberprüfung vom November 2010
hat die Entscheidung für die Y-Trasse grundsätzlich be-
stätigt, aber auch die Notwendigkeit von Anpassungen
im Interesse einer nachhaltigen Optimierung deutlich
gemacht. Die Neukonzeption sieht eine Begrenzung der
Höchstgeschwindigkeit auf der Neubaustrecke auf 250 km/h
und auf der Ausbaustrecke auf 160 km/h vor. Außerdem
soll die Y-Trasse für den Güterverkehr geöffnet und bis
nach Lehrte verlängert werden. Dadurch sinken die Be-
triebskosten deutlich, während der Schienengüterver-
kehrsanteil – und damit der gesamtwirtschaftliche Nut-
zen – signifikant steigt.

Uns liegt daran, die Bürger frühzeitig in einem trans-
parenten und offenen Verfahren in die Planung mit ein-
zubeziehen und ihre Belange so weit wie möglich zu be-
rücksichtigen. Dies hat der Parlamentarische Staats-
sekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung, Enak Ferlemann, sowohl hier in Ber-
lin als auch vor Ort immer wieder versichert. Wir stehen
zu einem fairen und offenen Dialog!

Und zwar nicht nur bei der Y-Trasse, das kann ich an
zwei aktuellen Beispielen verdeutlichen: Vor wenigen
Tagen erst hat Bundesminister Dr. Ramsauer das
„Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung“ in der end-
gültigen Fassung öffentlich vorgestellt. Dieses soll den
Akteuren bei der Planung von großen Infrastrukturvor-
haben einen „Werkzeugkasten“ an die Hand geben, wie

es der Minister genannt hat. In dem Handbuch sind ver-
schiedene Anregungen zur Verbesserung der Bürgerbe-
teiligung enthalten, die über die gesetzlichen Anforde-
rungen hinausgehen. Dadurch sollen die Bürger deut-
lich früher und umfassender in die Vorhabenplanung
eingebunden werden. Bei Erhalt und Ausbau unserer
Verkehrsnetze brauchen wir die Akzeptanz der Gesell-
schaft.

Das zweite Beispiel: der Bundesverkehrswegeplan
2015. Noch in dieser Legislaturperiode wird von der
christlich-liberalen Bundesregierung hierfür die Grund-
konzeption erstellt. Erstmalig wird die Öffentlichkeit da-
bei beteiligt. Schon im Sommer dieses Jahres hat der
Bundesminister ein Konzept vorgestellt, wie diese Betei-
ligung konkret in die Aufstellung der neuen Bundesver-
kehrswegeplanung eingebunden werden soll. Die Bür-
ger erhalten die Möglichkeit, sich frühzeitig zu infor-
mieren und ihren Standpunkt in einem intensiven Dialog
auch selbst einzubringen und dadurch Entscheidungen
mit zu beeinflussen. Das ist vorbildliches Handeln im In-
teresse von mehr Transparenz und Akzeptanz.

In diesem Sinne wurden bei der Überprüfung des Be-
darfsplans für die Bundesschienenwege selbstverständ-
lich auch Alternativen zur Y-Trasse geprüft. Die Deut-
sche Bahn AG untersucht deshalb den Ausbau der
Bestandsstrecken Lüneburg–Uelzen–Celle und Langwe-
del–Wunstorf mit einer Machbarkeitsstudie für einen
wirtschaftlichen und verkehrlichen Vergleich mit der
Y-Trasse und ihrer Verlängerung nach Lehrte. Die Er-
gebnisse werden voraussichtlich im ersten Quartal des
nächsten Jahres vorliegen.

Diesen Untersuchungen sehen wir selbstverständlich
offen und unvoreingenommen entgegen. Bis dahin kön-
nen und wollen wir aber die Planungen der Y-Trasse
nicht – wie von Ihnen vorgeschlagen – auf Eis legen. Im
Gegenteil. Die Bedeutung der Y-Trasse für das Zielnetz
2025 zeigt sich an der Aufnahme der Strecke in den Ent-
wurf des Investitionsplans 2011 bis 2015 als weiteres
wichtiges Vorhaben in der Kategorie D. Die Y-Trasse ist
im vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans für die Bun-
desschienenwege enthalten. Die Bundesregierung finan-
ziert einen Teil der Planungskosten vor.

Zweifelsfrei ist die Y-Trasse ein Großprojekt. Groß-
projekte führen heutzutage leider in weiten Teilen der
Bevölkerung nicht zu Vorfreude und Euphorie, sondern
lösen regelmäßig Pawlow’sche Reflexe aus. Technik-
wahn und Großmannssucht werden dann gern unter-
stellt, etwas kleiner und billiger – und nach Möglichkeit
auch woanders – ginge es doch auch. Diese Reflexe ver-
stellen den Blick auf die Realität.

Lassen Sie mich mit einigen Vorurteilen aufräumen:
Der Ausbau einer vorhandenen Strecke ist nicht zwangs-
läufig billiger als eine Neubaustrecke. Der Bau des drit-
ten Gleises auf der Strecke zwischen Stelle und Lüneburg
kostet rund 285 Millionen Euro. Der viergleisige Ausbau
zwischen Lüneburg und Celle würde rund 2,4 Milliarden
Euro kosten. Das ist auch nicht billig.

Einfacher ist das ebenfalls nicht: Durch den Ausbau
wird die Kapazität der betroffenen Strecken erheblich

Zu Protokoll gegebene Reden





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)


eingeschränkt. Im obigen Beispiel fuhren die ICE zeit-
weise 17 Minuten länger, der Metronom wurde manch-
mal durch Busse ersetzt. Ich frage sie: Ist das wirklich
besser als ein Neubau?

Ich gebe ja gern zu, dass der Ausbau einer Bestands-
strecke auf den ersten Blick verlockend einfach klingt.
Haben Sie schon daran gedacht, welche Schwierigkeiten
es gibt, wenn in einem Ort eine Bestandsstrecke um zwei
weitere Gleise erweitert werden soll?

Ein weiteres beliebtes Argument von Gegnern des
Vorhabens ist, dass das Großprojekt sowieso viel zu spät
fertig würde, um noch irgendeinen Nutzen zu entfalten.
Richtig daran ist nur eines: Jeder Tag Verzögerung ver-
bessert nichts, sondern sorgt nur für Probleme.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf eine ak-
tuelle Entwicklung eingehen, die zeigt, welche Wichtig-
keit die Bundesregierung dem Ausbau von Hafenhinter-
landanbindungen einräumt. 2013 wird der Bund sich
erstmals an den Kosten für die Ertüchtigung nichtbun-
deseigener Eisenbahnen für den Güterverkehr beteili-
gen. Das Land Niedersachsen hat für 2013 in seinem
Haushalt entsprechende Mittel für die Cofinanzierung
eingeplant. Damit können dann die EVB-Strecke
Bremerhaven–Bremervörde–Rotenburg/Wümme und die
OHE-Strecken zwischen Winsen/Lüneburg und Celle
ausgebaut werden. Dadurch wird mit verhältnismäßig
wenig Geld schnell bis zur Realisierung der großen Lö-
sung eine merkliche Entlastung geschaffen.


Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1720431000

Deutschland ist ein Industriestandort. Eine starke

Logistik gehört eindeutig zu unseren Zukunftsoptionen,
die wir nutzen müssen. Dies gilt umso mehr für die Ent-
wicklung und Sicherung guter Arbeitsplätze mit tarif-
gebundenen Löhnen und betrieblicher Mitbestimmung.
Um eine zukunftsfähige Mobilität zu gestalten, müssen
wir uns den Herausforderungen hinsichtlich der Siche-
rung der Funktionsfähigkeit des Verkehrssystems, des
demografischen Wandels, des Umwelt- und Klimaschut-
zes, der stark wachsenden Güterverkehre und des effi-
zienten Einsatzes geringer finanzieller Mittel stellen.

Prognostiziert wird eine Steigerung der Güterver-
kehrsleistung von 637 Milliarden Tonnenkilometer auf
936 Milliarden Tonnenkilometer bis 2025. Für die
Straße wird von einem Zuwachs von mehr als 50 Prozent
durch Lkw-Verkehre ausgegangen. Das ist weder durch
die vorhandene Straßeninfrastruktur realistisch zu stem-
men, noch den Bürgerinnen und Bürgern zuzumuten.
Ebenso wenig ist es mit unseren umweltpolitischen Zie-
len vereinbar. Deshalb muss eine Verlagerung auf die
Schiene verfolgt werden. Gleichzeitig sieht die Finanz-
planung der schwarz-gelben Bundesregierung keine
ausreichende Finanzierung für eine bedarfsgerechte
Verkehrsinfrastruktur vor. Eine Verbesserung der Hafen-
hinterlandanbindung ist jedoch dringend geboten.
Hierzu müssen wir die richtigen Weichen jetzt stellen.

Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen verstärkt
Verkehre auf umweltfreundlichere Verkehrsträger verla-
gern. Dies ist auch Bestandteil unserer Konzepte im

Rahmen unseres Infrastrukturkonsenses. Natürlich be-
stehen aus unserer Sicht Kapazitätsengpässe insbeson-
dere im Bereich der Schieneninfrastruktur. Eine Erhö-
hung des Schienenverkehrsanteils wird daher in den
kommenden Jahren nur mit massiven Investitionen in die
Infrastruktur umgesetzt werden können. Um quantifi-
zierte Verlagerungsziele zu erreichen, ist es also notwen-
dig, die nötigen Finanzmittel für den Ausbau der Infra-
struktur sicherzustellen. Wir fordern daher, zusätzlich
2 Milliarden Euro für den Verkehrsetat vorzusehen.

Gleichzeitig ist Verkehrspolitik nicht nur Finanzpoli-
tik. Niemand darf dem Verkehrswachstum einfach hin-
terherbauen. Wir müssen aus ökonomischen und auch
ökologischen Gründen den Anspruch haben, durch
effiziente Organisation von Verkehren und durch eine in-
tegrierte Verkehrs- und Siedlungspolitik die bestehende
Infrastruktur besser zu nutzen. Hier sind Anreize ge-
fragt, damit vermeidbare Verkehre vermieden und
verbleibende Verkehre umweltfreundlich abgewickelt
werden können.

Für eine verlässliche, ökonomische, ökologisch sinn-
volle und stete Güterabwicklung der Häfen kommt dem
kombinierten Verkehr in der Hinterlandanbindung eine
Schlüsselrolle zu. Neben der Verbesserung des Verkehrs-
anteils an der Schiene sollte hier unbedingt das Poten-
zial der Binnenschifffahrt besser genutzt werden.

Wir schlagen ein Reformkonzept vor, um die Ver-
kehrsnetze von morgen zu planen. Wir streben eine Bun-
desverkehrsnetzplanung an, die den Reformstau über-
windet und einen neuen Aufbruch in der Verkehrspolitik
ermöglicht. Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruk-
tur, aber mehr Geld allein wird nicht genügen. Es muss
effizient und mit den richtigen Prioritäten eingesetzt
werden. Wir müssen aus Engpass- und Schwachstellen-
analysen den Neu- und Ausbaubedarf entwickeln. Nur
solche Projekte dürfen in das Zielnetz aufgenommen
werden, deren Notwendigkeit zur Beseitigung überregio-
nal bedeutsamer Engpässe erforderlich sind und einen
hohen volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Dazu gehö-
ren ohne Zweifel Hafenhinterlandanbindungen.

Infrastrukturprojekte müssen allerdings transparent
und unter Mitwirkung der Öffentlichkeit ermittelt und
politisch festgelegt werden. Eine große Rolle für die
Akzeptanz der zunehmenden Güterverkehre wird die Re-
duzierung des Lärms an den Strecken haben. Hier gilt es
in erster Linie, aktiven Lärmschutz umzusetzen. Die
Umrüstung der Güterwagen muss forciert werden. Ent-
sprechende andere Maßnahmen wie Lärmschutzwände
gilt es umzusetzen. Eine weitere Voraussetzung für eine
notwendige Lärmreduzierung ist die politische Entschei-
dung, den Schienenbonus abzuschaffen.

Die Planungen und die zeitnahe Realisierung der
Hafenhinterlandanbindung müssen auf jeden Fall
durchgeführt werden. Die Y-Trasse ist ein wichtiger
Baustein zur Verbesserung der Nord-Süd-Güterver-
kehre. Bahnchef Grube wird im Oktober dieses Jahres
mit den Worten zitiert: „Wir müssen grundsätzlich über
die Y-Trasse nachdenken. Im ersten Quartal 2013 soll
ein neuer Vorschlag vorgelegt werden.“ Wichtig ist letzt-
endlich eine optimale Lösung.

Zu Protokoll gegebene Reden





Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)


Die Ausfinanzierung der Projekte durch die Bundes-
regierung auf der Grundlage des Bundesverkehrswege-
planes ist aber zurzeit mehr als kritikwürdig. Es reicht
nicht aus, wenn Parlamentarische Staatssekretäre in je-
dem Bundesland alle Projekte für umsetzbar erklären
und die Mittel eigentlich nur nach Bayern fließen. Die
Bundesregierung muss endlich die richtigen Prioritäten
setzen, gemeinsam mit den Ländern und den Bürgerin-
nen und Bürgern, für die Realisierung wichtiger Infra-
strukturprojekte.


Burkhardt Müller-Sönksen (FDP):
Rede ID: ID1720431100

Die Bedeutung der maritimen Wirtschaft in Deutsch-

land kann kaum überschätzt werden.

Mit mehr als 380 000 Beschäftigten und einem Um-
satzvolumen von über 50 Milliarden Euro ist die mari-
time Wirtschaft von zentraler Bedeutung für den Wohl-
stand in unserem Land. Rund ein Viertel des deutschen
Außenhandels wird über die deutschen Seehäfen abge-
wickelt. Und wie wir alle gerne beschwören, lebt die
deutsche Wirtschaft vom Export, woraus man durchaus
eine maritime Abhängigkeit Deutschlands ableiten kann.

Die christlich-liberale Koalition hat in dieser Legis-
laturperiode die Weichen für die maritime Wirtschaft in
die richtige Richtung gestellt. Wir haben beim Mariti-
men Bündnis Wort gehalten und den Finanzbeitrag an
die Seeschifffahrt auf 58 Millionen Euro erhöht, die da-
mit für die Förderung von Beschäftigung und Ausbil-
dung in der Seeschifffahrt zur Verfügung stehen. Wir ha-
ben für die dringend benötigte Sanierung der Schleuse
am Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel gesorgt und den
Neubau der fünften Schleusenkammer auf den Weg ge-
bracht. Und auch die Sicherheit der Seewege konnten
wir verbessern. Mit dem erweiterten Atalanta-Mandat,
forcierter Entwicklungszusammenarbeit und der Ermög-
lichung des Einsatzes privater Sicherheitsdienstleister
auf deutschen Schiffen sind wir bei der Pirateriebe-
kämpfung auf klarem Kurs.

Der Ausbau unserer Häfen hat für uns höchste Prio-
rität. Sie sind Deutschlands Tor zur Welt. Ihre Anbin-
dung an internationale Seewege und das Hinterland
durch Schiene, Straße und Wasserstraße sichert die
nachhaltige Entwicklung unserer maritimen Wirtschaft
und damit Arbeitsplätze. Eine gute Anbindung der See-
häfen ist dementsprechend unerlässliche Voraussetzung
für zukünftiges Wirtschaftswachstum.

Diese Ausgangslage gilt es zu betrachten, wenn wir
heute über die Y-Trasse sprechen. Die Y-Trasse ist also
kein niedersächsisches Projekt, sie ist kein Bremer Pro-
jekt, und sie ist ebenso kein Hamburger Projekt. Sie ist
noch nicht einmal ein norddeutsches Projekt. Die Y-Trasse
ist von gesamtdeutscher Bedeutung! Alle exportorien-
tierten Wirtschaftszweige Deutschlands sind auf eine
funktionierende Verkehrsinfrastruktur angewiesen, und
deshalb möchte ich meine Argumente zur Ablehnung des
heute eingebrachten Antrags keineswegs nur als Ham-
burger Abgeordneter vorbringen.

Uns allen muss klar sein, dass die Anbindung nicht
für verkehrspolitische Experimente missbraucht werden
darf. Verlässlichkeit ist oberstes Gebot.

Die Grünen scheinen hingegen mit dem vorliegenden
Antrag wieder einmal ihr Fähnlein in den Wind halten
zu wollen. Schon bei der Fahrrinnenanpassung der Elbe
hatten die Grünen zunächst den Umweltverbänden öf-
fentlich ihre Unterstützung zugesagt, dann aber wäh-
rend ihrer Regierungszeit in Hamburg die Fahrrinnen-
anpassung auf den Weg gebracht. Statt jedenfalls die
Elbe in den Zustand vor dem Elbehochwasser in 2002
versetzt zu haben, feiern sie jetzt die Klage der Natur-
schutzverbände.

Es ist sehr bedauerlich, dass durch den Eilantrag von
NABU und BUND die dringend notwendige Elbeanpas-
sung voraussichtlich um Jahre verzögert wird. Das See-
schiff ist das umweltfreundlichste Verkehrsmittel. NABU
und BUND und ihre grünen Partner in den Parlamenten
Norddeutschlands haben ihren eigenen Interessen also
ein fulminantes Eigentor beschert. Sowohl in Hamburg
als auch in Bremen – hier sogar in Regierungsverant-
wortung – gefährden die Grünen moderne Wasserstraßen.
Konsistente Infrastrukturpolitik sieht anders aus.

Wir hingegen setzen auf ein schlüssiges Konzept zur
Stärkung des maritimen Standorts Deutschland und ste-
hen sowohl zur Elbvertiefung als auch zur Y-Trasse.

Ohne die Fahrrinnenanpassungen wird die maritime
Wirtschaft in Deutschland im europäischen Wettbewerb
an Bedeutung verlieren. Das gefährdet unmittelbar
Arbeitsplätze im norddeutschen Raum und schadet der
Exportnation Deutschland insgesamt.

Für uns Liberale gehört zur Verbesserung der Hinter-
landanbindung der Seehäfen auch eine Stärkung der
Binnenschifffahrt. Natürlich kann eine Stärkung der
Binnenschifffahrt die Probleme der Hinterlandanbin-
dung nicht alleine lösen. Eine Steigerung des Anteils am
Modal Split von derzeit 2 auf 5 Prozent wäre jedoch
schon ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Statt weiterer blumiger Prosa wie in dem vorliegen-
den Antrag fordere ich konkretes Handeln der Grünen
zum Beispiel an der Weser. So bleiben sie aber den Be-
weis moderner, substanzieller Infrastrukturpolitik schul-
dig.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720431200

Herr Verkehrsminister, sie haben jüngst erklärt, die

Verbesserung der Hafenhinterlandanbindung stehe ganz
oben auf Ihrer Prioritätenliste. Auch Sie haben offen-
sichtlich erkannt, dass die Steigerung des Güterum-
schlags in den deutschen Häfen letztlich von der Schiene
aufgefangen werden muss und dass dringender Bedarf
besteht, in die Bahninfrastruktur zu investieren. In die-
sem Punkt sind wir uns ausnahmsweise einig. Dass Sie
immer noch der Meinung sind, mit einem Großprojekt
wie der Y-Trasse die Kapazitätsengpässe auf der
Schiene beheben zu können, kann bei der Linksfraktion
jedoch nur Kopfschütteln hervorrufen.





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


Wir reden hier über ein Projekt, das längst seinen
Rückhalt verloren hat – wenn es diesen jemals gegeben
hat. Die Deutsche Bahn stellt die Trasse mittlerweile
grundlegend infrage, die Verkehrsverbände haben sich
eindeutig gegen das Projekt ausgesprochen, und bei den
Menschen in Niedersachsen stieß sie nie auf Gegen-
liebe. Warum ist dem so? Ich kann es Ihnen sagen: Das
Projekt Y-Trasse löst keines der akuten verkehrspoliti-
schen Probleme, sondern steht einem sachgerechten und
vor allem umgehenden Ausbau der Bahninfrastruktur im
Wege. Selbst für einen Laien ist unmittelbar erkennbar,
dass eine auf Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgelegte
Trasse wohl kaum Kapazitäten für die Aufnahme von
Güterverkehren vorhalten kann. Diese für Sie unlieb-
same Wahrheit wurde gleich durch mehrere verkehrs-
wissenschaftliche Analysen bestätigt. Wer also behaup-
tet, dass auf einer Hochgeschwindigkeitstrasse auch
riesige Gütermengen transportiert werden können, be-
treibt schlicht Etikettenschwindel.

Der Klarheit in Bezug auf den verkehrstechnischen
Nutzen der Y-Trasse steht eine völlige Ungewissheit be-
züglich der zu erwartenden Kosten gegenüber. Die im
Bundesverkehrswegeplan von 2003 errechneten Kosten
von 1,3 Milliarden Euro sind nicht mal ein grober Richt-
wert. Eine Trasse, die sowohl Personenfernverkehr als
auch Güterverkehre aufnehmen kann, kostet mindestens
das Dreifache. Das Umweltbundesamt hat hierfür be-
reits 2010 knapp 4 Milliarden Euro veranschlagt. Dies
können Sie nicht wegdiskutieren.

Völlig unklar ist auch, wann die Y-Trasse denn ans
Netz gehen und den von Ihnen unterstellten Kapazitäts-
effekt entfalten könnte. Genau genommen liegt nicht ein-
mal eine landesplanerische Feststellung vor, da hier
eine reine Personenverkehrsverbindung projektiert
wurde. Bis alle Planungsebenen durchlaufen sind und
vor allem Geld aus dem bis 2020 ausgelasteten Investi-
tionsetat bereitsteht, könnten noch Jahrzehnte ins Land
gehen. Die schienenseitige Hinterlandanbindung der
Seehäfen muss jedoch sofort verbessert werden; denn
durch die Eröffnung des JadeWeserPorts wird der Druck
auf die ohnehin schon ausgelasteten Schienenverbin-
dungen zukünftig beträchtlich steigen.

Die Y-Trasse ist ein verkehrspolitisches Fossil, das
Milliarden verschlingt und zudem in absehbarer Zeit
nicht zu realisieren ist. Dies wird auch im Antrag der
Grünen völlig zu Recht angemahnt. Die Linke unterstützt
daher den Vorstoß, Alternativplanungen zur Y-Trasse un-
ter umfassender Bürgerbeteiligung voranzutreiben. Die
Linke-Landtagsfraktion in Niedersachsen hat bereits im
November 2008 eine Studie mit einem umfangreichen
Gegenkonzept zur Bewältigung des Seehafenhinterland-
verkehrs vorgestellt. Wir fordern seit Jahren, dass durch
die Ertüchtigung des Bestandsnetzes und den gezielten
Ausbau der Knotenbahnhöfe das Schienenverkehrsnetz
schrittweise dem Bedarf angepasst wird. Diese Heran-
gehensweise ist viel flexibler, zeitsparender und nicht zu-
letzt weit weniger kostenintensiv, als mit aller Macht an
einem Alles-oder-nichts-Projekt wie der Y-Trasse festzu-
halten. Der Antrag der Grünen geht auch in dieser Hin-
sicht genau in die richtige Richtung und findet unsere
volle Unterstützung.

In einem Punkt sind wir jedoch entschiedener als
die Grünen: Wir wollen die weiteren Planungen für die
Y-Trasse nicht nur ruhen lassen, sondern ein für alle
Mal beenden. Die im Planungsprozess für dieses Groß-
projekt gebundenen Mittel müssen sofort freigesetzt
werden. Es wurden viel zu lange personelle wie finan-
zielle Planungskapazitäten für dieses antiquierte Projekt
gebunden. Nur ein konsequenter Schnitt kann den Weg
für eine schnelle Planung und Umsetzung der notwendi-
gen Infrastrukturmaßnahmen freimachen. Um den He-
rausforderungen eines wachsenden Güterverkehrsauf-
kommens gerecht zu werden, muss Verkehrsinfrastruktur
endlich integriert geplant werden. Ohne schlüssiges Ge-
samtkonzept, welches effektive Einzelmaßnahmen bün-
delt, ist der Kollaps der norddeutschen Schienenwege
vorprogrammiert.

Herr Verkehrsminister, es liegt in Ihren Händen, die-
sen Kollaps noch abzuwenden. Dabei möchte ich Ihnen
eines mit auf den Weg geben: Als die Y-Trasse geplant
wurde, gab es noch zwei deutsche Staaten, die durch den
Eisernen Vorhang getrennt wurden. Es an der Zeit, sich
von diesem Projekt zu verabschieden und verkehrspoli-
tisch im vereinigten Deutschland anzukommen!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Hafenhinterlandverkehr wächst in Norddeutsch-
land seit Jahren kontinuierlich an. Um diesen wachsen-
den Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, brauchen
wir endlich realistische und vernünftige Konzepte. Dabei
ist es ein offenes Geheimnis, dass eine erhebliche Lücke
zwischen geplanten Projekten der Verkehrsinfrastruktur
und den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln des
Bundes besteht: Das zeigt sich am deutlichsten beim
Blick auf den aktuellen Bundesverkehrswegeplan. Über
80 Prozent der bis 2015 geplanten und bereits als prio-
ritär eingestuften Neubauprojekte bei Straße und
Schiene sind nicht finanziert! Für den Straßenbereich
sind 6,3 Milliarden Euro Bundesmittel vorgesehen, ge-
plant sind aber Projekte mit einem Gesamtvolumen von
33 Milliarden Euro. Das gleiche Bild haben wir bei der
Schiene. Hier stehen offenen Projekte mit geplanten Ge-
samtkosten von rund 38 Milliarden Euro gerade einmal
rund 4,5 Milliarden Euro real zur Verfügung stehenden
Mitteln gegenüber. Angesichts dieser Lücke zwischen
Planung und verfügbaren Geldern muss doch auch dem
Letzten klar sein: Wir haben es hier beim Bundesver-
kehrswegeplan nicht mit einer vermeintlichen Unter-
finanzierung des Infrastrukturplanung zu tun, sondern
mit einer hemmungslosen Überbuchung!

Ursache dieser Überfrachtung ist eine Projektaus-
wahl und Priorisierung durch ein intransparentes Zu-
sammenspiel aus regional- und landespolitischen Inte-
ressen, zu niedrig angesetzten Baukosten und unrealis-
tischen Verkehrsprognosen. Einmal aufgenommene Pro-
jekte werden über Jahrzehnte weiter mitgeschleppt, eine
kritisch und ergebnisoffene Prüfung findet nicht statt! So
wird stoisch an uralten Prestigeprojekten festgehalten,
obwohl sich die Rahmenbedingungen völlig geändert
haben. Dieses Weiter-so grenzt in vielen Fällen wirklich
an Realitätsverleugnung.

Zu Protokoll gegebene Reden





Sven-Christian Kindler


(A) (C)



(D)(B)


Ich beschreibe das deswegen so ausführlich, weil all
dies heute am hier debattierten Projekt der Y-Trasse ge-
radezu exemplarisch nachzuvollziehen ist. Die Ur-
sprünge des Projektes Y-Trasse liegen in den späten
80er-Jahren: Helmut Kohl ist in der Mitte seiner Kanz-
lerschaft, Georg Bush senior ist Präsident der USA, und
der ICE-Hype in Deutschland ist groß. 1992 wird dann
die Y-Trasse als Personenfernverkehrsstrecke in den
Verkehrswegeplan aufgenommen und soll als Hochge-
schwindigkeitstrecke rund 13 Minuten Fahrtzeit zwi-
schen Hamburg und Hannover und rund 8 Minuten zwi-
schen Bremen und Hannover einsparen. Geplante
Gesamtkosten für diesen Zeitgewinn: 2,5 Milliarden
Deutsche Mark, umgerechnet 1,28 Milliarden Euro.

20 Jahre später findet sich das Projekt immer noch in
den Planungsunterlagen des Bundes. Es soll nun für die
Lösung der Engpässe im Hafenhinterlandverkehr her-
halten. Im Bundesverkehrswegeplan ist der veran-
schlagte Gesamtkostenansatz für diese Lösung rund
1,5 Milliarden Euro, im Wesentlichen eine einfache
Fortschreibung des uralten Kostensatzes von 1992.
Nach aktuellen Kostenschätzungen von unabhängigen
Verkehrsexpertinnen und -experten würden die Gesamt-
kosten deutlich höher bei mindestens 4 Milliarden Euro
liegen.

Gleichzeitig weisen verkehrswissenschaftliche Ein-
richtungen und Verbände vehement darauf hin, dass die
Y-Trasse trotz dieser exorbitanten Kosten zur Lösung
der Engpässe im Hafenhinterlandverkehr konzeptionell
schlicht und einfach ungeeignet sei. Die als Hochge-
schwindigkeitsstrecke geplante Strecke kann – auch
wenn dies auf Biegen und Brechen behauptet wird – den
dringend notwendigen Umfang an Kapazitätsgewinnen
für den Güterverkehr nicht bereitstellen. Hinzukommt,
dass das Y eine klassische Alles-oder-nichts-Planung
ist. Nutzbar wäre die Strecke erst bei vollständiger Fer-
tigstellung, also frühestens in den 2020er-Jahren und
käme damit für den vorher anwachsenden Bedarf viel zu
spät. Zu einem entsprechend vernichtenden Urteil
kommt auch das Umweltbundesamt in seiner Studie
„Schienennetz 2025/2030; Ausbaukonzeption für einen
leistungsfähigen Schienengüterverkehr in Deutsch-
land“. Ich zitiere: „Das Y ist der sichere Weg, den Vor-
und Nachlauf der norddeutschen Seehäfen zu verstop-
fen. Umso unverständlicher ist das Plädoyer der Hafen-
wirtschaft, der Kammern und der Landesregierungen
zugunsten dieses Großprojektes.“

Alternativen für eine zeitgemäße und effektive Seeha-
fenhinterlandanbindung liegen auf dem Tisch und dür-
fen durch Schwarz-Gelb in Niedersachsen und im Bund
nicht länger durch ein fortwährendes Klammern an das
90er-Jahre-Relikt Y-Trasse beiseite geschoben und ge-
zielt ignoriert werden. Der zweigleisige Ausbau der
Strecke Rotenburg–Verden muss abgesichert werden, die
Strecke Hamburg–Lüneburg–Celle ausgebaut sowie die
Amerika-Linie Bremen–Soltau–Uelzen–Stendal weiter
ertüchtigt werden. Bei all diesen Vorhaben müssen die
Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort ernst ge-
nommen werden und durch eine echte, offene und faire

Bürgerbeteiligung umgesetzt werden. Das heißt insbe-
sondere, dass ein besonderes Augenmerk auf die umfas-
sende Umsetzung des Lärmschutzes im Bereich der Aus-
baustrecken gelegt wird.

Auch wenn es die Herren McAllister und Bode in Nie-
dersachsen nicht gerne hören: Die Fakten sprechen eine
nur zu deutliche Sprache: Die Y-Trasse ist veraltet, zu
teuer und kommt zu spät. Deswegen geht inzwischen so-
gar Bahnchef Grube auf Distanz zur Y-Trasse. Es ist Zeit
für eine finanzpolitisch realistische und zukunftsorien-
tierte Planung von Verkehrsinfrastruktur. Schwarz-Gelb
muss sowohl hier in Berlin als auch in Niedersachsen
endlich die Zeichen der Zeit erkennen. Wir Grüne wollen
mit überzeugenden Konzepten für den Hafenhinterland-
verkehr die Güter auf die Schiene bringen. Die unsin-
nige und teure Y-Trasse brauchen wir dafür nicht.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720431300

Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/

Die Grünen auf Drucksache 17/11352. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sa-
che. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen
Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss, den
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und den Aus-
schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst
über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich
frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überwei-
sung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Frak-
tion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? –
Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthal-
tungen? – Keine. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 17/11352 nicht ab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 30 a und 30 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregister-
ordnung

– Drucksache 17/10772 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/11307 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Kammer
Uwe Beckmeyer

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Johannes





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Kahrs, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Maritimes Bündnis fortentwickeln – Schiff-
fahrtsstandort Deutschland sichern

– Drucksachen 17/10097, 17/11307 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Kammer
Uwe Beckmeyer

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Par-
lamentarische Staatssekretär Kollege Enak Ferlemann
für die Bundesregierung. Bitte schön, Herr Staatssekre-
tär Enak Ferlemann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1720431400


Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir, wenn
auch zu vorgerückter Stunde, heute doch noch ein biss-
chen über internationale Seeschifffahrtspolitik sprechen
wollen; diese ist in der Tat eine einzigartige Erfolgsge-
schichte der Bundesregierung. Sie ist gekennzeichnet
durch die Stichworte Tonnagesteuer, Lohnkostenzu-
schüsse, Lohnsteuereinbehalt und Ausbildungsplatzför-
derung. Wir haben in den letzten Jahren das Maritime
Bündnis, das sehr positive Auswirkungen hatte, weiter-
entwickelt, insbesondere was die Ausbildung und die
Beschäftigung in Deutschland angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kaum ein Seeschifffahrtsstandort hat sich so dynamisch
entwickelt wie der deutsche. Das spricht dafür, dass wir
die richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ge-
setzt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit ge-
stärkt haben.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen, die wir
haben – Stichworte dazu sind: Schiffsfinanzierung, Ton-
nagekapazitäten, Frachtraten, Entwicklung des seemän-
nischen Personals auf See und an Land –, befindet sich
die Seeschifffahrt im wahrsten Sinne des Wortes in ei-
nem sehr schwierigen Fahrwasser. Vor diesem Hinter-
grund dürfen wir uns auf dem Erreichten nicht ausruhen;
wir müssen vielmehr den Schifffahrtsstandort Deutsch-
land weiter fit für die Zukunft machen.

Ich begrüße sehr, dass der Haushaltsausschuss, insbe-
sondere auf Anregung meines Kollegen und Freundes
Eckhardt Rehberg, die Finanzbeiträge für die Seeschiff-
fahrt im Haushaltsjahr 2012 von 28,7 Millionen Euro
auf 57,8 Millionen Euro erhöht hat und diesen Betrag
auch für das Haushaltsjahr 2013 in den Haushaltsbera-
tungen wieder so vorsieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kombiniert ist das Ganze mit dem Versprechen des Ver-
bandes Deutscher Reeder, auch einen Eigenbeitrag von
rund 30 Millionen Euro jährlich zu erbringen. Ich
glaube, das ist ein einmaliger Vorgang in Deutschland.
Wir werden nur gemeinsam dieses Bündnis vertrauens-
voll fortsetzen können.

Deswegen bleibt es unverändert bei den Zielen der
Bundesregierung: Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit
des Schifffahrts- und Reedereistandorts Deutschland
verbessern, eine international wettbewerbsfähige, quali-
tativ hochwertige und leistungsstarke Handelsflotte so-
wie sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze im mariti-
men Bereich in Deutschland haben, an Bord wie an
Land. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden ziel-
gerichtet Maßnahmen in Angriff genommen, um diese
Ziele zu erreichen.

Wer zukünftig ausflaggt, muss die dadurch entstehen-
den Nachteile für den Standort Deutschland ausgleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieser Ausgleich besteht in erster Linie in der Aufrecht-
erhaltung der Schiffe als Ausbildungsplatz, auch wenn
sie ausgeflaggt sind. Ausnahmsweise darf ein Ablösebe-
trag gezahlt werden. Dieser Ablösebetrag geht zweckge-
bunden an einen Fonds, den der Verband Deutscher Ree-
der als private Einrichtung verwaltet. Zweck dieser
Einrichtung ist es, die nautische und technische Ausbil-
dung, Qualifizierung und Fortbildung von Besatzungs-
mitgliedern zu fördern, die auf in inländischen Schiffs-
registern eingetragenen Seeschiffen beschäftigt sind.

Lieber Uwe Beckmeyer, ich hoffe, dass du uns we-
nigstens heute einmal – du bist ja oft unterwegs als je-
mand, der die Regierung anklagt,


(Sören Bartol [SPD]: Zu Recht!)


leider wenig erfolgreich – lobst und sagst: Das habt ihr
richtig gut gemacht. – Du hättest uns doch nie zugetraut,
so etwas hinzubekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Ihr fahrt das Ding doch an die Wand!)


– Lieber Kollege aus Hessen, du weißt doch gar nicht,
wie ein Seeschiff aussieht. Nun sei hier nicht so laut.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich darf mich sehr herzlich bei dem maritimen Koordi-
nator, meinem Freund Staatssekretär Hans-Joachim Otto,
für die exzellente Zusammenarbeit auch in diesem Be-
reich bedanken. Insbesondere gilt mein Dank Eckhardt
Rehberg, der der Initiator dieser Sache war. Ich glaube,
mit Blick auf die maritime Konferenz, die am 8./9. April
nächsten Jahres in Kiel stattfinden wird, kann man sa-
gen: Wir haben ein tragfähiges Fundament geschaffen,
um den maritimen Standort Deutschland und das mari-
time Fachwissen in Deutschland zu stärken.

Ich würde mich sehr freuen, wenn der vorliegende
Gesetzentwurf heute eine breite Mehrheit in diesem Par-
lament bekommen würde; denn er trägt deutlich zu einer





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)


nachhaltigen Stärkung des maritimen Standorts Deutsch-
land bei. Das ist ein guter Tag für den deutschen See-
schifffahrtsstandort.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720431500

Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär

Kollege Enak Ferlemann. – Nächster Redner für die
Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Uwe
Beckmeyer. Bitte schön, Kollege Uwe Beckmeyer.


(Beifall bei der SPD)



Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1720431600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wenn es darum geht, zu zeigen, wie Propaganda
entsteht, dann ist das das beste Beispiel: Erst erklärt man
ein hervorragendes Programm, das andere entwickelt
haben, und vor allen Dingen dessen Erfolge zu seinen ei-
genen. Gleichzeitig organisiert man mit dem Finanz-
minister und dem Fachminister, der nicht richtig auf-
passt, dass die Mittel für das Programm, das bisher gut
und auch auskömmlich ausgestattet war, auf die Hälfte
gekürzt werden. Dann sagt die eigene Fraktion, über-
rascht über das, was die Regierung macht: So geht es
aber nicht; wir müssen vielleicht doch wieder ein biss-
chen aufstocken.

Bei der Aufstellung des nächsten Haushaltes, also des
Haushaltes für das Jahr 2013, erlebt man dann, dass die
Regierung wieder die alte Summe einsetzt. Man fragt
sich: Was ist das für ein Hin und Her?


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Einsicht!)


Haben Sie in der Regierung eigentlich eine eigene Mei-
nung zu diesem Thema, oder müssen Sie immer korri-
giert werden? Sie erarbeiten einen Gesetzentwurf, der so
schlecht ist, dass er innerhalb von vier Wochen erneut
korrigiert werden muss. Man hat nämlich plötzlich fest-
gestellt, dass man vielleicht zu viel Geld einsammelt
bzw. mehr, als man eigentlich einsammeln wollte.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, man merkt:
Das ist ein Schlingerkurs par excellence.

Wichtig und gut ist, dass wir seit 2001 in Deutschland
ein Maritimes Bündnis haben, das gut funktioniert und
über die ganzen Jahre hinweg sehr tragfähig war. Dass es
in den letzten vier Jahren für die deutsche Reederschaft
ökonomisch schwieriger geworden ist, weiß sicherlich
jeder, der sich ernsthaft mit dieser Materie auseinander-
setzt. Gleichwohl ist das kein Grund dafür, dass die
schwarz-gelbe Koalition an das bisher bewährte Bündnis
die Axt anlegt, indem die Bundesrepublik Deutschland
als Vertragspartner dieses Bündnis erst einmal aufkün-
digt und dann sagt: Nun müsst aber auch ihr Privaten
euer Scherflein dazu beitragen.

Dass es vielleicht gerechtfertigt ist, dass sie auch et-
was tun müssen, will ich gar nicht in Abrede stellen.

Gleichwohl kann man angesichts der Politik, die dazu
geführt hat, nur sagen: Liebe Freunde, haltet euch doch
einmal selbst den Spiegel vor: Was habt ihr denn mit die-
sem Bündnis angestellt? Ihr habt es erst einmal infrage
gestellt, und ich finde, das ist nicht gut. Ein selbst verur-
sachtes Haushaltsloch war zunächst einmal die Ursache
dafür, dass das ganze Bündnis ins Wanken kam.

Was das Zurückholen der Reeder in die Verantwor-
tung betrifft, werden wir sehen, wie es klappt. Ich frage
mich, ob am Ende das sich noch nicht bewährte Gesetz,
das im Übrigen erst 2013 – wie man hört, erst zur Mariti-
men Konferenz, wahrscheinlich als große Propaganda-
show – seine Wirkung entfalten soll, tatsächlich so trag-
fähig ist, wie Sie es zurzeit angeben. Ich will hoffen,
dass Ihnen ein Konstrukt gelungen ist, das am Ende des
Tages nicht vor dem nächsten Verwaltungsgericht in der
Bundesrepublik Deutschland aus den Angeln gehoben
wird, was man nicht ausschließen kann, weil es diverse
Reeder gibt, die nicht im VDR organisiert sind und die
möglicherweise diese Verabredungen für sich nicht
akzeptieren. Insofern meine ich, dass das, was auf uns
zukommt, noch seine Bewährungsprobe zu bestehen hat.

Die Fondslösung habe ich noch nicht geprüft. Ich
habe auf informellem Weg eine Information bekommen,
dass es jetzt beim VDR eine Fondslösung in irgendeiner
Form geben soll. Sie bauen einen Gesetzentwurf auf ei-
ner solchen Lösung auf, die aber als Basis eines Geset-
zes nirgendwo in die Gremien des Deutschen Bundesta-
ges eingebracht worden ist. Auch das ist ein Novum, zu
dem ich nur sagen kann: Man kann zwar noch dazuler-
nen, wie man hier Politik macht, aber die Basis, auf der
Sie diese Politik betreiben, ist ausgesprochen schwach
und nicht tragfähig.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden
sehen, ob die massiven handwerklichen Fehler, die Sie
bisher begangen haben, sich nicht möglicherweise fort-
setzen. Uns geht es um die Qualifizierung und Weiterbil-
dung von nautischem Personal, das wir dringend brau-
chen, weil der Nachwuchsbedarf auch für die deutsche
Reederschaft in der Zukunft beträchtlich ist. Die Frage
ist: Was passiert eigentlich nach 2018? Wird es da wei-
tere Ausflaggungen geben? Ist dafür eine scheunentor-
große Möglichkeit gegeben? Ich denke, auch hier müs-
sen Sie Antworten liefern. Ich habe die Sorge, dass
innerhalb des Gesetzentwurfs noch Koordinaten ver-
schoben werden, die möglicherweise für uns an der
Küste bei der Frage von Ausbildung und Beschäftigung
eine Gefahr darstellen.

„Freifahrtschein für weitere Ausflaggungen“ ist ein
weiteres Stichwort. Auch hier, meine ich, muss man auf-
passen. Sie haben einen Gesetzentwurf formuliert, der
diesen Freifahrtschein am Ende des Tages durchaus
möglich erscheinen lässt und ihn nicht grundsätzlich
ausschließt. Das ist meines Erachtens schlecht für den
maritimen Standort und auch für die Ausbildung und
Beschäftigung in Deutschland.

Unser Ziel als Sozialdemokraten ist eindeutig, zum
Maritimen Bündnis zurückzukehren. Die Bundesregie-





Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)


rung und die Sozialpartner müssen dringend gemein-
schaftlich Ziele verabreden, um mehr Handelsschiffe
unter deutsche Flagge zu bringen.

Wenn uns ein Vertreter der Christlich Demokratischen
Union im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung nach der Anhörung weismachen will, dass all die
Fachleute, die da vorgetragen haben, den Gesetzentwurf
der Koalition gut finden, dann muss ich sagen: Er war
nicht dabei. Wenn man sich die entsprechenden Ausfüh-
rungen der Fachleute dort noch einmal vergegenwärtigt,
dann wird klar: Es waren mindestens drei von vier nicht
der Meinung, dass das ein gelungener Gesetzentwurf ist.
Insofern bleiben wir bei unserer Position. Wir brauchen
ein Maritimes Bündnis.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unbelehrbar!)


Wir brauchen aber etwas Besseres als das, was Sie
hier leider Gottes verschlimmbessert haben. Diese Ver-
schlimmbesserungspolitik betreiben Sie zurzeit im Be-
reich der maritimen Industrie am laufenden Band. Das
ist etwas, was uns an der Küste sehr umtreibt und von
dem wir nur sagen können: Das gehört zu einer Reihe
von Fehlleistungen, die Sie in den letzten Jahren produ-
ziert haben. Das ist auch ein Grund dafür, dass diese
Koalition am Ende dieser Legislaturperiode ihren Frei-
fahrtschein für das Regieren in Deutschland abgeben
muss.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720431700

Das war unser Kollege Uwe Beckmeyer. – Nächster

Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Hans-
Joachim Otto für die Bundesregierung. Bitte schön, Kol-
lege Hans-Joachim Otto.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Der ist übrigens auch aus Hessen!)


H
Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1720431800


Lieber Kollege Beckmeyer, eine konstruktive, souve-
räne Opposition ist in der Lage, auch einer Vorlage der
Bundesregierung zuzustimmen, wenn das im gemeinsa-
men Interesse geboten ist.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Wohl wahr!)


Das, was Sie geboten haben, ist keine souveräne Opposi-
tion, sondern eine ganz kleinliche Mäkelei.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, dies ist
ein guter Tag für den Seeschifffahrtsstandort Deutsch-
land. Wir senden ein wichtiges Signal in einer aktuell
sehr angespannten Situation. Mit diesem Gesetzentwurf,
den wir heute beschließen, stärken wir das Maritime
Bündnis und stellen es auf eine neue, solide Grundlage.

Dass wir heute mit dem Flaggenrechtsänderungsge-
setz das Maritime Bündnis auf eine neue Grundlage stel-

len können, ist vielen zu verdanken. Ich danke ausdrück-
lich den beteiligten Verbänden, allen voran dem VDR
und Verdi, für die große Kooperationsbereitschaft. Ich
danke aber ebenso den maritimen Berichterstattern der
Koalition dafür, dass sie immer ein offenes Ohr für die
wichtigen Anliegen der maritimen Wirtschaft haben.
Auch ich nenne an erster Stelle den Kollegen Eckhardt
Rehberg, der eine hervorragende Arbeit geleistet hat,
aber auch die Kollegen Claudia Winterstein,
Bartholomäus Kalb und Torsten Staffeldt. Vielen Dank
für Ihr, für euer Engagement für den Schifffahrtsstandort
Deutschland.

Meine Kolleginnen und Kollegen, so gut das alles ist:
Wir dürfen an dieser Stelle nicht stehen bleiben. Die
Bundesregierung bekennt sich nach wie vor zur Tonna-
gesteuer. Für die Wettbewerbsfähigkeit des Seeverkehrs-
standortes Deutschland steht damit – zusammen mit der
neuen Schifffahrtsförderung – ein besonders leistungsfä-
higes Instrumentarium zur Verfügung. Mit diesem Enga-
gement der Bundesregierung für den Standort Deutsch-
land erwarten wir nun aber auch von den deutschen
Reedern, die gegebenen Zusagen, sich stärker zur deut-
schen Flagge zu bekennen, einzulösen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720431900

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Für die Fraktion

Die Linke spricht unser Kollege Herbert Behrens. Bitte
schön, Kollege Herbert Behrens.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720432000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenden wir uns einmal dem eigentlichen Thema zu. Wir
haben hier Lobreden gehört über das, was in Form dieses
Gesetzentwurfs auf den Tisch gelegt worden ist. Wenn
wir einmal wirklich ernsthaft darauf schauen und uns die
Entwicklung dieses Gesetzentwurfs vor Augen führen,
müssen wir zu einem anderen Ergebnis kommen. Das,
was heute vorliegt, ist wirklich – der Begriff wurde
schon genannt – eine Verschlimmbesserung dessen, was
Sie ursprünglich vorgesehen hatten.

Es sollte darum gehen, wieder Schifffahrtsförderung,
Ausbildung und Beschäftigung möglich zu machen.
Aber hier zeigt sich: Mit dem, was jetzt auf dem Tisch
liegt, wird genau das Gegenteil erreicht. Was hier vorge-
legt wurde, wird keine Stärkung des Schifffahrtsstand-
orts Deutschland bewirken, sondern wird dazu beitragen,
dass weniger Schiffe unter deutscher Flagge fahren, als
das jemals der Fall war. Es wird wahrscheinlich auch
nicht die Zahl erreicht werden können, die mit dem
Maritimen Bündnis ursprünglich vorgesehen war.
600 Schiffe sollten es sein. Das hatten die Reeder zuge-
sagt, als das Maritime Bündnis einst das Licht der Welt
erblickte. Wir haben diese Zahl kaum je erreicht. Die ak-
tuelle Zahl lautet: 366 Schiffe. Das ist weit entfernt von
dem, was sein sollte.





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


Nachdem es einige Irritationen gegeben hatte, hat die
Bundesregierung jetzt angekündigt, die Zuschüsse wie-
der fließen zu lassen. Gleichzeitig haben sich die Reeder
verpflichtet, zusätzliches Geld lockerzumachen; die Ge-
bühren für Ausflaggungsmaßnahmen werden erhöht.
Das soll in die Stärkung des Schifffahrtsstandorts
Deutschland fließen.

Was macht die Bundesregierung? Anstatt das, was die
Reeder zugesagt haben, produktiv aufzunehmen und die
Reeder ein Stück weit wieder verpflichtend in das ganze
Verfahren einzubinden, wurde ein Gesetzentwurf vorge-
legt, der schon zu Beginn keine Qualität hatte und im
weiteren Verlauf der Beratungen noch weiter verschlech-
tert worden ist.

Die Regierungskoalition besserte nach – in Anfüh-
rungszeichen –; während ursprünglich vorgesehen war,
2018 mit der Ausflaggung Schluss zu machen, ist im
Änderungsantrag der Regierungskoalition, der im Aus-
schuss vorgelegt worden ist, davon nicht mehr die Rede,
angeblich aus Wettbewerbsgründen. Stattdessen soll
2016 überprüft werden, wie sich das insgesamt entwi-
ckelt hat. Ich meine, aufgrund der Erfahrung mit dem
Maritimen Bündnis und mit der Zuverlässigkeit des
Bündnispartners Reeder können wir schon heute ab-
schätzen, welche Entwicklung das nehmen wird.

In dem Gesetzentwurf wird zudem die Bedingung ge-
strichen, dass nur in wirtschaftlicher Not ausgeflaggt
werden darf. Damit wird eine Praxis legalisiert, die uns
das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, eigent-
lich erst beschert hat. Um das besser verkaufen zu kön-
nen, hat die Koalition zur Bedingung gemacht, dass auf
jedem auszuflaggenden Schiff eine Ausbildungsstelle
geschaffen werden muss, von der sich die Reeder aller-
dings freikaufen können – zu einem Betrag zwischen
20 000 und 30 000 Euro. Damit sollten die Ausbildungs-
und Lohnkosten subventioniert werden. Aber nun hat die
Regierungskoalition auch das korrigiert. Dieser Betrag
wurde um 90 Prozent reduziert. Jetzt ist davon die Rede,
dass man sich von dieser Verpflichtung mit 2 000 Euro
freikaufen kann.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine lächerliche Summe!)


Es wäre für Sie, Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ausreichend Gelegenheit gewesen, das wirklich
offensiv aufzunehmen, Verbesserungsvorschläge zu
machen und Forderungen aufzustellen, um das, was hier
durchgesetzt werden soll, unmöglich zu machen. Sie
bleiben mit Ihrem Antrag allerdings weit dahinter zu-
rück. Es hätte wirklich eine Alternative dazu geben kön-
nen.

Der Weg, den Sie mit Ihrem Antrag beschreiten
wollen, ist grundsätzlich richtig. Die sozialen Aspekte
werden anders gewichtet als im Regierungsvorschlag.
Darum werden wir dem Antrag zustimmen.

Aber insgesamt bleibt es dabei: Wir fordern die Bun-
desregierung auf, die Ausflaggungspraxis konsequent zu
stoppen. Dazu gehört mehr als der vorliegende untaugli-
che Versuch.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720432100

Vielen Dank, Kollege Behrens. – Für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Dr. Valerie
Wilms. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Wilms.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720432200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Und, da noch Besucher da sind: Liebe
Herren, die Sie zu dieser späten Stunde noch ausgeharrt
haben! Worum geht es heute? Es geht um das Flaggen-
recht. In der Fraktion wurde ich gefragt: Was ist das?
Geht es darum, wie wir die Flagge vor dem Parlament
hissen dürfen? Nein, darum geht es nicht. Es geht um die
Seeschifffahrt und um die maritime Branche. Gerade die
maritime Branche geht derzeit durch eine selbstgeschaf-
fene Blase; denn es geht ihr nicht besonders gut. Mitten
in dieser Krise wird über die Zukunft des Maritimen
Bündnisses verhandelt. Das war ursprünglich dazu ge-
dacht, möglichst viele Schiffe unter deutscher Flagge
fahren zu lassen, um damit Arbeitsplätze an Bord zu si-
chern. Für dieses Versprechen der Reeder gab es die
Quasi-Flat-Tax, genannt Tonnagesteuer, mit der kräftig
Steuern gespart werden konnten. Das sind bisher insge-
samt knapp 5 Milliarden Euro. Diesen Betrag muss man
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Was wurde aus diesen Vereinbarungen? Die Reeder
hielten ihre Zusagen zur Einflaggung nicht ein, und die
Politik hatte es schlicht und ergreifend versäumt, für die-
sen Fall Konsequenzen festzulegen.

Jetzt soll es eine neue Vereinbarung geben. Leider hat
die Koalition aus den Fehlern von damals nichts gelernt.
Dieses Mal geht es um die Ausbildung von Schiffsperso-
nal. Wir alle wollen gut ausgebildete Seeleute. Da gibt es
aktuell riesige Probleme. Das kam bei der Anhörung
deutlich heraus. Ausgebildete Seeleute, die wir für viel
Geld durch unsere Ausbildungslehrgänge an Land
schicken, können ihre Patente nicht ausfahren, weil es
keine Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen gibt. Kollege
Behrens hat es deutlich gesagt: Es gibt noch etwa
366 Schiffe unter deutscher Flagge.

Die jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene Konstruktion
könnte grundsätzlich funktionieren. Wer ausflaggt und
ein Schiff unter Billigflagge betreiben will, bezahlt dafür
eine deutlich höhere Gebühr. Im Gegenzug verpflichtet
sich der Reeder zur Ausbildung. Man kauft sich also aus
der deutschen Flagge heraus.

Es gibt aber einen entscheidenden Haken; denn die
ganze Vereinbarung haben Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen, während der Ausschussberatungen völlig ver-
wässert – zum Nachteil der Ausbildung und zum Nach-
teil des Bundes. Diese Koalition hat sich das einfach so
gefallen lassen. Fehlt Ihnen hier der Mumm, oder warum
handeln Sie so zum Nachteil der Seeleute?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was bitte soll eine Kopplung der Ausbildung an die
Schiffsgröße? Jetzt soll mit einem Mal auf kleineren
Schiffen weniger ausgebildet werden. Sie und ich wissen
doch, dass es kaum Unterschiede zwischen großen und
kleineren Schiffen gibt. Man braucht fast die gleiche





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


Zahl an Seeleuten. Es wird doch gerade auf große
Schiffe gesetzt, weil man hier mit genauso vielen Leuten
deutlich mehr transportieren kann.

Mit der späten Änderung, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Koalition, haben Sie dafür gesorgt, dass
rund zwei Drittel weniger Ausbildungsplätze für See-
leute zur Verfügung stehen. Diese Änderung haben Sie
einfach so gemacht, ohne irgendetwas dafür herauszuho-
len. Da kann man den Reedern nur gratulieren. Sie von
der Koalition frage ich: Wie gut vertreten Sie eigentlich
die Interessen unseres Landes?


(Torsten Staffeldt [FDP]: Da klatschen nicht einmal Ihre eigenen Leute!)


Das frage ich gerade Sie, Herr Staffeldt, von der FDP. Zu
diesem Land gehören nicht nur die Reeder, sondern alle
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Aber es kommt noch besser: Beim letzten Mal gab es
keine Konsequenzen, als die Reeder einfach weniger
Schiffe unter deutsche Flagge gebracht haben, als sie es
versprochen hatten. Deswegen wurde diesmal eine zeit-
liche Begrenzung ins Gesetz geschrieben. Bis 2018
sollte die Vereinbarung gelten. Dann sollte geprüft wer-
den. Wenn das Ganze funktioniert, sollte verlängert wer-
den. Das ist im Grundsatz vernünftig.

Aber was ist daraus geworden? Auf Wunsch der Ree-
der wurde diese Befristung einfach gestrichen. Sie haben
eine neue Dauersubvention daraus gemacht. Es ärgert
mich maßlos, dass Sie damit die Kontrolle durch uns,
nämlich durch das Parlament, aus der Hand gegeben ha-
ben. Auch das ist ohne jegliches Zugeständnis seitens
der Reeder geschehen. Auch da kann ich den Reedern
nur zu ihrem Geschick gratulieren. Aber dieser Koalition
werfe ich vor, dass sie selbst ein vom Grundsatz her
gutes Gesetz schlecht gemacht hat. Sie vertreten unsere
Interessen maßlos schlecht. Es wird Zeit, dass diese
Wahlperiode zu Ende geht


(Torsten Staffeldt [FDP]: Damit wir wiedergewählt werden!)


und damit auch die schwarz-gelbe Koalition.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720432300

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Wilms. – Nächster

Redner ist der heute schon öfters gelobte Kollege
Eckhardt Rehberg für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte
schön, Kollege Eckhardt Rehberg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1720432400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-

neten! Ich glaube, es ist ein guter Tag für die deutsche
Seeschifffahrt. Nachdem mir so viel gedankt worden ist,
möchte ich sagen: Es war mehr als ein Jahr lang das
Bohren dicker Bretter; das ist wohl war. Es ist auch
keine ganz einfache Materie gewesen. Deswegen

möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen be-
danken, die diesen Prozess konstruktiv begleitet haben.

Meine Damen und Herren von der Opposition, der
Gesetzentwurf, der heute beraten wird, ist in hundertpro-
zentiger Übereinstimmung mit den Sozialpartnern, mit
Verdi und dem VDR, vereinbart und umgesetzt worden.
Es handelt sich um eine echte Modernisierung, eine
Neubelebung, eine Innovation im Maritimen Bündnis,
die wir hier vorgenommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich frage mich ganz besorgt, Kollege Beckmeyer, was
man dagegen haben kann, dass wir seit 1999 – damals
insbesondere auf Initiative von Dirk Fischer – mit der
Einführung der Tonnagesteuer, die eine europaweit har-
monisierte Steuer ist, 1 Milliarde Euro Steuerersparnis
für die deutschen Reeder verzeichnen konnten. Damit
konnte der Schifffahrtsstandort Deutschland wettbe-
werbsfähig bleiben.

Das hatte zur Folge, dass sich die Zahl der Schiffe,
die von Deutschland aus bereedert werden, in zehn Jah-
ren verdoppelt hat. Das hatte auch zur Folge, dass über
6 000 hochkarätige und hochqualifizierte Arbeitsplätze
an Land, nicht nur auf See, entstanden sind. Deswegen
war die Einführung der Tonnagesteuer ein mehr als er-
folgreiches Instrument für den Schifffahrtsstandort
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe bereits gesagt, dass wir in Verabredung mit
VDR und Verdi gehandelt haben. Wir als Bund stellen
57,8 Millionen Euro für Lohnkostenzuschüsse zur Ver-
fügung. Die Reeder leisten einen Beitrag von 30 Millio-
nen Euro; so lautete die ursprüngliche Verabredung. Wir
sind letztendlich zu dem Ergebnis von 57,8 Millionen
Euro gekommen; darüber werden wir morgen früh, ge-
gen 5 Uhr, im Haushaltsausschuss entschieden haben.
Wir haben die Gebühren auf 10 Millionen Euro erhöht.

Herr Kollege Beckmeyer, wie konnten Sie es über
sieben Jahre lang zulassen, dass für Ausflaggungen nicht
einmal 1 Million Euro veranschlagt wurde, wo man doch
einen Nutzen von 1 Milliarde Euro verzeichnet?


(Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD])


Das, was Sie über ein Jahrzehnt versäumt haben, haben
wir in diesem Jahr nachgeholt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir mussten Ihre verkorkste Politik korrigieren.

Nun werden die Ausbildung und das Ausfahren der
Patente von Verdi selbst über eine Stiftung mit Vorstand,
Kuratorium und Beirat gesteuert. Das heißt, auf der ei-
nen Seite gibt der Staat etwas und verlangt auf der ande-
ren Seite eine Leistung von der Privatwirtschaft. Ich
denke, das ist soziale Marktwirtschaft, wie sie gelebt
wird und gelebt werden sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir erwarten natürlich auch etwas von den Reedern.
Frau Wilms, da haben Sie recht – Sie haben es nicht zum





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


ersten Mal gesagt, ich auch nicht –: Nicht die Bundesre-
gierung hat das Maritime Bündnis aufgekündigt. Seit
Bestehen des Maritimen Bündnisses gab es keinen einzi-
gen Zeitpunkt, in dem die Reeder über die volle Zeit-
achse hinweg ihre Zusage hinsichtlich des Fahrens unter
deutscher Flagge eingehalten haben.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das muss Konsequenzen haben!)


Wir waren sehr konziliant mit den Reedern.

Deswegen ist es auch an dieser Stelle geraten, zu sa-
gen: Der Staat gibt etwas, aber auch von den Reedern
wird etwas abverlangt, nämlich eine Gebühr und eine
Primärverpflichtung zur Ausbildung. Hier wird beklagt,
dass wir den Ablösebeitrag nach der Größe der Schiffe
gestaffelt haben, damit wir auf einen Betrag von rund
20 Millionen Euro kommen. Auch nach der Schiffs-
besetzungsverordnung muss ein kleines Schiff einen
deutschen Kapitän haben, bei großen Schiffen muss es
sieben Besatzungsmitglieder mit deutscher oder europäi-
scher Nationalität geben. Dass wir dann auch die Ausbil-
dung nach der Leistungsfähigkeit der Schiffe staffeln, ist
doch ganz normal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Kollege Beckmeyer, wenn Sie sagen, das Ganze
sei immer auskömmlich finanziert gewesen, dann muss
ich Ihnen sagen: Nein, auch hier mussten wir Ihren
Murks beseitigen,


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Was? Murks? – Weitere Zurufe von der SPD)


nämlich dass die Lohnkostenzuschüsse für die deutsche
Seeschifffahrt drastisch unterfinanziert waren. Dass wir
in jedem Jahr eigentlich nicht 60 Millionen Euro ge-
braucht hätten, sondern 80 Millionen bis 90 Millionen
Euro, ist erst im Jahr 2011 zutage getreten, als wir die
Nachfinanzierung der Jahre 2009 und 2010 mit einer
überplanmäßigen Ausgabe von knapp 30 Millionen Euro
nachfinanzieren mussten. Das heißt, den Murks von
Tiefensee, von Rot-Grün mussten wir in der schwarz-
gelben Koalition beseitigen. Das sind die Tatsachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Das ist totaler Quatsch!)


Herr Kollege Beckmeyer, Sie sprechen von „grandiosen
Fehlleistungen“. Ich darf Sie hier zitieren. Sie haben für
die SPD gesagt: Unser Ziel ist es, zum Maritimen Bünd-
nis zurückzukehren.

Kollege Behrens hat die Zahl genannt: Am 30. Sep-
tember dieses Jahres fuhren 366 Schiffe unter deutscher
Flagge. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hätten
367 Schiffe sein können: Die SPD hat als Partei


(Sören Bartol [SPD]: Oh! Auch das noch!)


– da kann man sowieso fragen, warum eine Partei so et-
was macht – einen Kreuzfahrer gechartert. Die SPD
chartert einen Kreuzfahrer, stellt sich dann hierhin und
beklagt, dass nicht genug Schiffe unter deutscher Flagge
fahren; aber dieser Kreuzfahrer fuhr unter der Flagge
von Madeira, Portugal.


(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


So viel, meine Damen und Herren, zu Ihrem Tun.
Anspruch und Wirklichkeit liegen bei Ihnen weit ausein-
ander. Sie predigen hier Wasser und trinken selber Wein.


(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Portugiesisch! Hör doch auf! So ein Quatsch!)


– Getroffene Hund bellen.

An dieser Stelle muss man eines wissen: Dieses
Schiff fuhr mit einem Blue Certificate der Internationa-
len Transportarbeiter-Föderation. Das sind die minimals-
ten Standards, die es auf dieser Welt gibt. Diese Stan-
dards sind nicht ansatzweise mit den Sozial- und
Arbeitsstandards auf Schiffen unter deutscher Flagge zu
vergleichen.

Lieber Kollege Beckmeyer, Sie haben dann noch im
Verkehrsausschuss gesagt, dass Sie Frau Hendricks da-
rauf hingewiesen hätten, dass man das nicht tun solle,
dass das nicht sehr klug sei. Dazu muss ich sagen: Sie
sollten demütig sein und diesem Gesetz, das mit Verdi
und dem VDR vereinbart wurde, hier und heute einfach
zustimmen.


(Sören Bartol [SPD]: Oh! Meine Güte!)


Dann würden Sie eine gute Tat für den Schifffahrtsstand-
ort vollbringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass man eine so gute Karnevalsrede als Norddeutscher halten kann!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720432500

Vielen Dank, Kollege Eckhardt Rehberg. – Letzter

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
FDP unser Kollege Torsten Staffeldt. Bitte schön, Kol-
lege Torsten Staffeldt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1720432600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Seeleute, die jetzt auf der 8-12-Wache sind, ich
begrüße Sie recht herzlich zu unserer Debatte. Glückli-
cherweise führen wir diese Debatte heute Abend an die-
ser Stelle. Ich weiß, dass ich mir damit nicht nur Freunde
gemacht habe; aber nichtsdestotrotz halte ich es für sehr
wichtig, dass wir diese Debatte hier im Deutschen Bun-
destag führen, weil sie letztendlich dazu dient, die Sea
Blindness, die in Deutschland leider an vielen Stellen
vorhanden ist, ein wenig zu überwinden.


(Sören Bartol [SPD]: Ich hoffe auf die Fünfprozenthürde!)


Es ist eben nicht ausreichend, in Sonntagsreden zu sa-
gen: Seefahrt und Schifffahrt sind uns wichtig. Es ist





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


wichtig, dass wir darüber auch hier im Deutschen Bun-
destag debattieren und klarmachen, was die unterschied-
lichen Standpunkte der Parteien sind. Ich finde, die
Standpunkte der Opposition sind nicht besonders positiv.
Die Standpunkte der Regierungskoalition sind jedoch
sehr positiv. Mit dieser Debatte wird die Sea Blindness
ein wenig überwunden. Ich freue mich, dass wir sie
heute Abend hier führen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es ist schon Nacht!)


Zu den Inhalten ist eigentlich alles gesagt worden. Ich
möchte nur auf einige Punkte eingehen, die mir persön-
lich sehr wichtig sind, insbesondere auf den Punkt des
Ausfahrens der Patente. Lieber Kollege Beckmeyer, in
der letzten Verkehrsausschusssitzung haben Sie sogar
gesagt, dass es richtig ist, was wir machen, und dass Sie
es gut finden.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Was? Lesen Sie das Protokoll der Ausschusssitzung, bitte!)


Ich kann Ihnen als Lotsen der SPD-Fraktion im Hinblick
auf die Ausgestaltung des Fondsmodells nur den
Ratschlag geben, sich doch einmal beim ehemaligen
SPD-Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium
schlauzumachen. Er kann Ihnen ganz genau sagen, wie
das Fondsmodell ausgestaltet ist, wer darüber gefördert
wird und dass darüber auch die von der Kollegin Wilms
angesprochenen jungen Patentinhaber gefördert werden.
Das ist, wie Sie wissen, ein Punkt, der mir persönlich
sehr wichtig ist. Denn es reicht eben nicht aus, die
Ausbildung zu fördern. Wir müssen auch dafür sorgen,
dass die Menschen, die den langen Weg der Ausbildung
gegangen sind und als Inhaber eines nautischen oder
technischen Patents an Bord gehen, die Chance haben,
mit den seit 20 oder 30 Jahren aktiven Besatzungsmit-
gliedern aus anderen Ländern zu konkurrieren, die nied-
rigere Löhnen beziehen. Das ist ein wesentlicher und
wichtiger Punkt.

Wie gesagt, der ehemalige SPD-Staatssekretär, der
jetzt Geschäftsführer des VDR ist, kann Ihnen sicherlich
dazu Auskunft geben. Ich gebe Ihnen gerne die Telefon-
nummer, sodass Sie hier kein dummes Zeug erzählen
müssen, lieber Kollege Beckmeyer.

Es wurde schon mehrfach gesagt: Es ist eine Erfolgs-
geschichte. Das ist ein guter Tag für die Seeschifffahrt.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja, dann setzen!)


Ich freue mich über das, was wir erreicht haben. Es war
ein langer, harter und schwieriger Weg. Kollege Rehberg
und andere haben daran gearbeitet. Insbesondere der
Maritime Koordinator hat nie aufgegeben, das gesetzte
Ziel und eine vernünftige Regelung zu erreichen. Ich
freue mich, dass wir eine Regelung hinbekommen ha-
ben, die eine gewisse Parität zwischen staatlichem Den-
ken und Handeln sowie privatwirtschaftlichem Handeln

gewährleistet, eine Regelung also, die dazu führt, dass
die Reeder beteiligt werden.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauersubvention!)


Da ich einer der wesentlichen Betreiber der heutigen
abendlichen Debatte


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nächtlichen!)


bin, lade ich meine Kolleginnen und Kollegen zum Ab-
schluss meiner Rede als kleine Kompensation herzlich
auf ein Getränk in die PG ein.


(Zurufe von Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich herzlich für diese Debatte. Ich halte
sie für sinnvoll. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feier-
abend und den Seeleuten eine gute Wache.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Total peinlich! Einfach nur peinlich!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720432700

Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11307, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/
CSU und FDP auf Drucksache 17/10772 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktion
der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Enthaltun-
gen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – So-
zialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? –
Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 30 b. Der Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11307, den
Antrag der SPD auf Drucksache 17/10097 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind alle
drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Kommunen von den Kosten für bauliche Maß-
nahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und
Straßen befreien

– Drucksache 17/10820 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Sie sind einverstan-
den.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1720432800

Vor dem Hintergrund der hohen Haushaltsbelastun-

gen der zunehmend finanzschwachen Kommunen for-
dern die Linken eine Novellierung des Eisenbahnkreu-
zungsgesetzes (EKrG), um zukünftig Kommunen bei
Baumaßnahmen im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen
und kommunalen Straßen von einer Mitfinanzierung
freizustellen. Sucht man in dem einseitigen Antrag eine
Aussage darüber, wer statt der Kommunen die Kosten
übernehmen soll, wird man nicht fündig. Darüber
schweigen sich die Linken aus.

Die Fraktionen der PDS/Die Linke haben bereits in
den Jahren 1997, 1999, 2002, 2006 und 2007 ähnliche
Initiativen zur finanziellen Entlastung der Kommunen
bei Bau- und Erhaltungsmaßnahmen an Eisenbahnkreu-
zungen erfolglos eingebracht. Heute erleben wir einen
erneuten Versuch.

Wie ist die Rechtslage? Da Bahnübergänge sowohl
Straße als auch Schiene berühren, sind sie Gemein-
schaftsaufgabe. Soll eine technische Sicherung, bei-
spielsweise eine Schranken- oder Halbschrankenan-
lage, eingebaut oder der Bahnübergang etwa durch ein
Brücken- oder Tunnelbauwerk ersetzt werden, müssen
Bahn, Bund und Straßenbaulastträger – also der Eigen-
tümer der Straße und damit die Kommune – dieses ver-
einbaren.

Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Eisen-
bahnwesens wurde unter anderem der § 19 des Eisen-
bahnkreuzungsgesetzes, EKrG, neu gefasst und dahin
gehend geändert, dass die bislang gemäß § 19 Abs. 1
Satz 3 EKrG bestehende Sondererhaltungslast der DB
für Straßenüberführungen entfiel. Damit waren ab dem
1. Januar 1994 in den alten Bundesländern alle Straßen-
überführungen im Zuge von öffentlichen Straßen und
Wegen in die Erhaltungslast der Straßenbaulastträger
übergegangen. Ich möchte darauf hinweisen, dass mit
dem Wegfall der oben genannten Regelung eine Rechts-
vereinheitlichung eintrat, da in den neuen Bundeslän-
dern die Erhaltungspflicht für Straßenüberführungen
schon immer bei den Straßenbaulastträgern lag.

Die Kosten für Maßnahmen an Straßenüberführun-
gen, die durch die Ertüchtigung von Schienenwegen
erforderlich werden, sind – sofern der Straßenbau-
lastträger keine Änderung verlangt – nach den Regelun-
gen des EKrG ausschließlich vom Schienenbaulastträ-
ger zu tragen. Wegen der gesetzlichen Duldungspflicht

nach § 4 EKrG, die eine wesentliche Grundlage des Ge-
meinschaftsverhältnisses im Kreuzungsbereich darstellt,
kann der Straßenbaulastträger solche Maßnahmen nicht
verhindern. Daher ist nicht ersichtlich, inwieweit die
prekäre Haushaltssituation einiger Kommunen zur Be-
hinderung notwendiger Investitionen in die Schienen-
wege führen sollte.

Soweit der Gesetzentwurf zum Ziel hat, dem Bund die
finanziellen Lasten für die im Rahmen der kommunalen
Baulast anfallenden Aufgaben aufzuerlegen, bestehen in
Bezug auf die Grundsätze der Finanzverfassung erhebli-
che Bedenken. Denn nach Art. 104 a Abs. 1 Grundgesetz
haben Bund und Länder und auf deren Seite auch die
Kommunen gesondert die sich aus der Wahrnehmung ih-
rer Aufgaben ergebenden Ausgaben zu tragen. Bei der
Beteiligung verschiedener Baulastträger an Verkehrs-
wegekreuzungen gebietet diese Verfassungsnorm, dass
jeder diejenigen Kosten trägt, die dem Anteil seiner
Verpflichtung zur Aufgabenwahrnehmung entsprechen.
Erfolgen Baumaßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssi-
cherheit an Bahnübergängen, dient dies grundsätzlich
gleichermaßen bei den Baulastträgern zur Erfüllung
ihrer Aufgaben. Die derzeitige gesetzliche Regelung in
§ 13 Abs. 1 EKrG trägt diesem Grundsatz Rechnung. An
dieser sachgerechten und klaren Regelung ist somit fest-
zuhalten.

Die Freistellung der Gemeinden von ihren originären
Aufgaben als Straßenbaulastträger widerspräche auch
der Zielsetzung der Föderalismusreform, die politischen
Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern klarer zu-
zuordnen und die Effizienz der Aufgabenerfüllung zu
steigern. Mit den grundgesetzlichen Änderungen im
Zuge der Föderalismusreform ist auch die Bund-Län-
der-Mischfinanzierung nach dem Gemeindeverkehrsfi-
nanzierungsgesetz, GVFG, entflochten worden.

Als Ausgleich für die bisher in die – auch für EKrG-
Maßnahmen aufgelegten – GVFG-Landesprogramme
fließenden Bundesfinanzhilfen erhalten die Länder seit
dem 1. Januar 2007 bis Ende 2019 Bundesmittel in
Höhe von 1 335,5 Millionen Euro.

Der Antrag der Linken ist nicht zielführend und des-
halb abzulehnen.


Volkmar Uwe Vogel (CDU):
Rede ID: ID1720432900

Die Linke fordert, die Kommunen von den Kosten für

bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen
und Straßen zu befreien. Provokant will ich an dieser
Stelle fragen: Wieso – um Himmels willen – sollten wir
das tun? Wo ist hierfür die rechtliche Grundlage? Kann
und darf es genügen, zur Durchsetzung dieser populisti-
schen Forderung ein chronisches Finanzierungsdefizit
der Kommunen anzuführen, für das laut der Linken-
Kollegen obendrein der böse Bund mit seinen gemeinen
Gesetzen der Hauptverursacher sein soll? Ich sage
Nein!

Die Verfasser dieses Antrags verkennen hierbei die
einfachsten und bewährtesten gesetzlichen Prinzipien,
wie zum Beispiel die Gebote der Subsidiarität und der
Äquivalenz, das hohe Gut der kommunalen Selbstver-





Volkmar Vogel (Kleinsaara)



(A) (C)



(D)(B)


waltung, aus dem sich jedoch nicht nur Rechte, sondern
eben auch Pflichten – und zwar inklusive etwaiger Fi-
nanzierungsrisiken – ergeben, oder die hier entschei-
dende Grundlage, das EKrG, also das Eisenbahnkreu-
zungsgesetz.

Dieses Bundesgesetz regelt bereits seit 1963 die
Handhabung, den Bau und die Finanzierung von Kreu-
zungen an Bahnen und Straßen. Werden also bestehende
Bahnübergänge geschlossen, verändert oder Überfüh-
rungen neu gebaut, regelt dieses zuletzt 1971 geänderte
Gesetz bzw. die 2006 aktualisierte, entsprechende
Verordnung über die Kosten von Maßnahmen nach dem
Eisenbahnkreuzungsgesetz klipp und klar die Finanzie-
rung.

So gilt bei der Anlage einer neuen Kreuzung das
Verursacherprinzip. Das heißt: Derjenige, der den neu
hinzukommenden Verkehrsweg baut, bezahlt auch die
Kreuzung. Oder anders: Die Musik zahlt, wer sie
bestellt. Werden zwei unterschiedliche Verkehrswege an-
gelegt, werden die Kosten auch halbiert. Das ist nach-
vollziehbar und mehr als gerecht.

Wenn an höhengleichen Bahnübergängen Baumaß-
nahmen durchgeführt werden – wir stellen uns vor, ein
Bahnübergang muss wegen eines Brückenbaus beseitigt
werden oder ein Bahnübergang wird durch Signale gesi-
chert – ,werden die Kosten zwischen den Baulastträgern
gedrittelt; sprich: Es kommen also die Deutsche Bahn
Netz AG, der Bund oder das jeweilige Land und die ent-
sprechende Kommune zu je einem Drittel für die Kosten
auf.

Wenn man bedenkt, was die Linken in diesem Antrag
herunterzuspielen versuchen, nämlich dass diese
Drittel-Kosten zulasten der Gemeinde grundsätzlich
nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz förder-
fähig sind und dass die Länder vom Bund zusätzlich mit
Kompensationszahlungen ausgestattet werden, offen-
bart sich, wie absurd und ungerechtfertigt eine Befrei-
ung von den ohnehin bereits maßgeblich vom Bund kofi-
nanzierten gedrittelten Kosten ist.

Dieser Antrag der Linken ist auch vor dem Hinter-
grund, dass die Verhandlungen mit den Ländern über
eine neue, anschließende Festlegung der Entflechtungs-
mittel nach 2013 noch andauern, nicht akzeptabel.

Am selben Tag, an dem dieser Antrag amtlich wurde,
nämlich am 24. Oktober 2012, hat der Haushaltsaus-
schuss des Bundes übrigens beschlossen, einen neuen
Titel zur anteiligen Finanzierung von Investitionen in
die Schienenwege der öffentlichen, nicht bundeseigenen
Bahnen in Höhe von 25 Millionen Euro ins Leben zu ru-
fen. Auch hier hilft der Bund erneut, die Kommunen zu
entlasten. Aber das ignorieren die Linken-Abgeordne-
ten. Lieber stellen sie Bahnübergänge, Kommunen und
damit sich selbst in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Dabei vergessen sie allerdings zu sagen, wer für diese
populistische und durch und durch undienliche kommu-
nale Kostenbefreiung aufkommen soll. Ich sage nur: Wer
die Musik bestellt, muss auch dafür bezahlen. Wir
wollen, dass das so bleibt. Deshalb lehnen wir den An-
trag ab.


Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1720433000

Mit dem Antrag „Kommunen von den Kosten für bau-

liche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und
Straßen befreien“ greift die Fraktion Die Linke ein
wichtiges Thema auf: die Finanzierung der Infrastruk-
tur.

Positiv ist dabei hervorzuheben, dass mit diesem An-
trag auf die schwierige Haushaltslage vieler Kommunen
eingegangen wird. Alle Kolleginnen und Kollegen kön-
nen aus ihren Wahlkreisen berichten, mit welchen finan-
ziellen Nöten gerade auf kommunaler Ebene gekämpft
werden muss.

Dennoch ist aus der Sicht der SPD-Bundestagsfrak-
tion der Antrag viel zu kurz gegriffen. Nicht nur die
Kommunen haben mit angespannten Haushaltslagen zu
kämpfen – auch der Bund und die Länder müssen den
Gürtel enger schnallen. Aus diesem Grund ist die Vertei-
lung der Kosten und Lasten auf mehrere Schultern rich-
tig. Denn es ist ein Prinzip unseres Gemeinwesens, dass
die Lasten von mehreren getragen werden.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass es mir in
der Diskussion um die Befreiung der Kommunen von
Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Ei-
senbahnen und Straßen nicht um das „Wer-hat-den-
Schwarzen-Peter“-Spiel geht. Auch will ich das Ansin-
nen der Fraktion Die Linke nicht herunterspielen. Viel-
mehr geht es mir darum, dass nun endlich eine
Gesamtstrategie für die Finanzierung und den bedarfs-
gerechten Ausbau von Infrastruktur in Deutschland an-
gegangen werden muss.

Wir brauchen in diesem Land eine Infrastrukturpla-
nung aus einem Guss, das heißt Bund, Länder und Ge-
meinden gemeinsam für ein Ziel: Deutschland muss wei-
terhin seine ökonomische und ökologische Vorreiterrolle
in Wirtschaft und Technologie behaupten können; dazu
braucht es einen bedarfsgerechten Ausbau der Infra-
struktur.

Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2013
und der Koalitionsgipfel am Wochenende haben deutlich
gezeigt: Die Bundesregierung hat keine Ideen, keine
Konzepte, und unter dem bedarfsgerechten Ausbau von
Infrastruktur versteht sie den Ausbau für eine bestimmte
Klientel, um im nächsten Jahr wiedergewählt zu werden.

Gerade bei der Konzeption des neuen Bundesver-
kehrswegeplanes, der Ende 2015 verabschiedet werden
soll, fordere ich die Bundesregierung auf, sich an ihre
eigens aufgestellten Maßstäbe zu halten: Neutralität bei
der Bewertung und bedarfsgerechter Ausbau sowie Er-
halt der bestehenden Infrastruktur.

Wenn von einem Ausbau der Infrastruktur aus einem
Guss gesprochen wird, dann müssen dabei die Heraus-
forderungen der Zukunft angegangen werden – und das
ist das Anwachsen des Personen- und Güterverkehrs.
Durch individualisierte Lebensplanung, aber auch
durch die steigenden Anforderungen an die persönliche
Mobilität im Berufsleben ist mit einer Zunahme von
7,1 Prozent im motorisierten Individualverkehr bis ins
Jahr 2025 zu rechnen. Im Straßengüterverkehr soll die
Steigerung des Transportaufkommens 55 Prozent und im

Zu Protokoll gegebene Reden





Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)


Schienengüterverkehr die Steigerung der Verkehrsleis-
tung 65 Prozent im gleichen Zeitraum betragen.

Die zwei Leuchtturmprojekte der Bundesregierung,
der Test des Gigaliners und die Liberalisierung des Bus-
fernverkehrs, sind dabei bestimmt nicht die richtigen
Antworten auf die Fragen der Zukunft.

Als Bahnbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion
ist für mich eines klar: Nur durch den Ausbau der beste-
henden Schieneninfrastruktur werden wir die verkehrli-
chen Herausforderungen der Zukunft bewältigen kön-
nen. Ziel muss es sein, mehr Verkehr auf die Schiene zu
bringen. Dazu braucht es eine rasche Beseitigung der
Verkehrsengpässe und eine Steigerung der Kapazitäten
im Netz.

Für die SPD-Bundestagsfraktion steht fest: Verkehr
darf nicht krank machen. Gemeinsames Ziel von Bund,
Ländern und Gemeinden muss es sein, den Verkehrslärm
bis 2020 zu halbieren. Im Bereich der Schiene kann
durch die Umrüstung der 600 000 Güterwagen, die in
ganz Europa unterwegs sind, auf sogenannte Flüster-
bremsen ein wesentlicher Beitrag geleistet werden. Hier
ist die Bundesregierung in der Pflicht, dies auf europäi-
scher Ebene durchzusetzten. Es reicht nicht aus, nur die
180 000 umzurüstenden Güterwagen in Deutschland mit
Flüsterbremsen auszustatten.

Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei
Planungsprozessen sowie die Gleichbehandlung des
ländlichen Raumes und Boomregionen ist bei der Kon-
zeption einer Verkehrsinfrastruktur aus einem Guss eine
Selbstverständlichkeit. Genauso gilt es, bauliche Pro-
jekte vonseiten des Bundes anzupacken, die ansonsten
den in den nächsten Jahren einen wahren Finanz-
Tsunami in den öffentlichen Kassen bewirken könnten:
Ich spreche von den Renovierungskosten für baufällige
Bahnbrücken im Milliardenbereich. Die aktuelle Investi-
tionsplanung im Verkehrsbereich gibt keine Antworten
auf die Fragen zu den anstehenden Kosten.

Beispielhaft lassen sich die 23 Eisenbahnbrücken im
fränkischen Pegnitztal auf der Strecke Nürnberg–Markt-
redwitz anführen. Hier fallen nach Angaben der DB AG
Gesamtkosten von 100 Millionen Euro an. Zwar sind
diese laut Bahnprojektplanung gesichert – aber was ist
mit den anderen Brücken? Wir sprechen von 9 000 der
insgesamt 25 000 Brücken, die über 100 Jahre alt sind.
Aus diesem Grund fordere ich ein Sofortprogramm zur
Brückeninstandhaltung.

Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam für
den bedarfsgerechten Ausbau der Infrastruktur einste-
hen. Es gilt, eine Verkehrsplanung aus einem Guss zu
realisieren. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrem
„Projekt Zukunft“ die richtigen Antworten auf die Fra-
gen der Zukunft und mit dem darin enthaltenden Kon-
zept für eine moderne Infrastruktur auch die richtigen
Weichen gestellt – für Bund, Länder und Kommunen. Als
SPD-Bundestagsfraktion enthalten wir uns daher bei
dem Antrag „Kommunen von den Kosten für bauliche
Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Stra-
ßen befreien“ der Fraktion Die Linke, weil dieser kein

Gesamtkonzept für eine bedarfsgerechte Infrastruktur-
planung darstellt.


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1720433100

Der Antrag der Fraktion Die Linke „Kommunen von

den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen
von Eisenbahnen und Straßen befreien“ greift ein tat-
sächlich existierendes Problem auf, zieht jedoch die fal-
schen Schlussfolgerungen. Worum geht es?

Nach heutiger Rechtslage greift bei der Beseitigung
von höhengleichen Bahnübergängen die Finanzierungs-
vorschrift nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz. Danach
zahlen, soweit es sich um Eisenbahnen des Bundes han-
delt, der Bund und die beteiligten Baulastträger der Ver-
kehrswege Schiene und Straße jeweils ein Drittel der
kreuzungsbedingten Kosten. Die Absicht dieser Finan-
zierungsregelung war und ist, diejenigen an den Kosten
zu beteiligen, die Kreuzungsmaßnahmen initiieren kön-
nen. Genau das verkennt der Antrag der Fraktion Die
Linke. Es ist grundsätzlich richtig, auch die Kommunen
an den bei Kreuzungsmaßnahmen entstehenden Kosten
zu beteiligen, da diese Maßnahmen häufig vonseiten der
Städte und Gemeinden initiiert werden. In der Regel
geht es dabei um die Beseitigung von Kreuzungen oder
den Bau von Überführungen oder Schrankenanlagen.
Würden die Kommunen, wie im Antrag verlangt, gene-
rell von der Pflicht befreit, sich mit einem Drittel an den
Kosten für Kreuzungsmaßnahmen zu beteiligen, würde
ein falscher Anreiz und Regelungsmechanismus entste-
hen. Die Kommunen wären beteiligt an dem Verfahren
mit vollen Rechten und könnten auf teure Kreuzungs-
maßnahmen, wie etwa den Bau von Über- oder Unter-
führungen, pochen. An den Kosten beteiligen müssten
sie sich aber nicht. Welche Folgen sich daraus für das
zukünftige Verhalten von Kommunen ergeben würden,
kann man sich leicht vorstellen.

Richtig allerdings ist, dass bei großen Ausbauvorha-
ben an Bundesschienenwegen für einzelne Kommunen
das Problem entstehen kann, sich an der Beseitigung
von zahlreichen Bahnübergängen nach Maßgabe des Ei-
senbahnkreuzungsgesetzes zu beteiligen und dann der
von der Kommune zu stemmende Finanzierungsanteil zu
hoch ist. Das spielt vor allem dann eine Rolle, wenn die
Ausbaumaßnahme an der Schienenstrecke darauf aus-
gerichtet ist, die zulässigen Geschwindigkeiten so zu er-
höhen, dass höhengleiche Bahnübergänge nicht mehr
zulässig sind. Hier müssen wir in der Tat schauen, wel-
che Lösungen für solche Konstellationen zukünftig in-
frage kommen. Dazu aber, wie gesagt, muss man nicht
das Kind mit dem Bade ausschütten, wie man so schön
sagt. In diesem Sinne werden wir uns an den weiteren
Beratungen des Antrags beteiligen.


Katrin Kunert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720433200

Dort, wo sich Schiene und Straße begegnen, ist be-

sondere Vorsicht geboten. Aus diesem Grund enthalten
die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und andere
Gesetze ein ganzes Bündel an Vorschriften, die genau
regeln, wie Schranken, Licht- und Signalanlagen oder
auch Überführungsbauwerke, also Brücken, an den Stel-
len beschaffen sein müssen, an denen sich Schiene und

Zu Protokoll gegebene Reden





Katrin Kunert


(A) (C)



(D)(B)


Straße begegnen. Betrachtet man die Besonderheiten
der Bahn als Verkehrsmittel, zum Beispiel die langen
Bremswege und die Bewegung großer Massen, dann
kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Fülle der
eben erwähnten Vorschriften notwendig ist, um ein si-
cheres Nebeneinander von Straße und Schiene zu er-
möglichen.

Als Nächstes stellt sich jedoch unweigerlich die
Frage, wer diese notwendigen Maßnahmen der Ver-
kehrssicherheit eigentlich finanziert. Nach der derzeiti-
gen Regelung des § 13 Eisenbahnkreuzungsgesetz soll
bei jeder Kreuzungsmaßnahme zwischen Schiene und
Straße ein Drittel der Kosten von dem Träger der Stra-
ßenbaulast getragen werden. Dieser Träger der Straßen-
baulast ist in den meisten Fällen die Kommune.

Bei der Regelung im Eisenbahnkreuzungsgesetz han-
delt es sich um einen von vielen Fällen, in denen die Ge-
setzgebung des Bundes eine Aufgabe definiert, die auf
kommunaler Ebene finanzielle Belastungen auslöst. Die
Kommunen sind dabei weder an der Gesetzgebung be-
teiligt, noch kümmert sich der Bund um eine ausrei-
chende Finanzierung der Aufgabe.

Die Aufgabe nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz
trifft Kommunen, die sich immer noch in einer höchst an-
gespannten finanziellen Lage befinden. Es ist zwar da-
von auszugehen, dass die Kommunalfinanzen im Jahre
2012 insgesamt erstmals nach langer Zeit wieder im Plus
liegen. Dies ist jedoch im Wesentlichen auf Zuwächse bei
den Gewerbesteuereinnahmen zurückzuführen. Es ist da-
her zu befürchten, dass diese Bilanz bei der zu erwarten-
den Abkühlung der Konjunktur wieder deutlich negati-
ver ausfällt. Betrachtet man die gegenwärtigen Zahlen
etwas genauer, stellt man fest, dass von dem gegenwär-
tigen Einnahmeüberschuss keineswegs alle Kommunen
profitieren. Es verfestigt sich vielmehr der Trend, wo-
nach die finanzielle Schere innerhalb der kommunalen
Familie immer weiter auseinandergeht. Ein Großteil der
Kommunen muss sich schon seit Jahren mit einem Defizit
herumschlagen.

Nun soll es an dieser Stelle nicht um die Frage gehen,
ob die öffentlichen Haushalte im Allgemeinen und die
kommunalen Haushalte im Besonderen eher unter einem
Einnahmeproblem oder unter einem Ausgabenproblem
leiden. Vielmehr soll es um eine konkrete gesetzliche Re-
gelung gehen, die auf Bundesebene beschlossen wurde
und auf kommunaler Ebene immer wieder zu enormen fi-
nanziellen Belastungen führt.

Die finanzielle Beteiligung der Kommunen an Kreu-
zungsmaßnahmen mag in früheren Zeiten anders zu be-
werten gewesen sein, die Regelung steht in dieser Form
immerhin seit 1963 im Gesetz. Die damalige Deutsche
Bundesbahn hatte als Staatsbahn noch den Anspruch,
möglichst viele Orte mit dem Bahnnetz zu verbinden, so-
dass die Kommunen in der Regel nicht nur die Lasten
der Finanzierung der Eisenbahnkreuzungen, sondern
auch den Nutzen eines eigenen Bahnhofs mit entspre-
chendem Anschluss an das Bahnnetz hatten. Die Bahn
ist allerdings mittlerweile eine privatrechtlich organi-
sierte Aktiengesellschaft und agiert entsprechend. Sie
konzentriert sich auf wirtschaftlich lukrative Verbindun-

gen und ist immer weniger in der Fläche präsent. In vie-
len Regionen müssen sich Städte und Gemeinden mit re-
duzierten Verbindungen begnügen oder werden gar
nicht mehr angefahren. Häufig handelt es sich dabei um
strukturschwache Gebiete, die mit Wegfall der Bahnver-
bindung einen zusätzlichen Standortnachteil hinnehmen
müssen. Nicht umsonst hat sich der ehemalige Verkehrs-
minister meines Landes zu dem Hinweis berufen gefühlt,
der Landesname sei Sachsen-Anhalt und nicht Sachsen-
Durchfahrt.

Bei von Kreuzungsmaßnahmen zwischen Straße und
Schiene konkret betroffenen Kommunen übersteigen die
finanziellen Aufwendungen für die Maßnahme in vielen
Fällen das Haushaltsbudget. Die Kosten für Signal- und
Sicherungsanlagen bzw. Überführungsbauwerke sind
oftmals erheblich. In der Folge können Strecken man-
gels Verkehrssicherheit nicht freigegeben werden, weil
notwendige Reaktivierungen oder Ertüchtigungen der
Schienenwege von den Kommunen abgelehnt wurden.

Besonders gravierend ist jedoch, dass die Kommune
keinen Einfluss auf die Art und Weise der Ausführung
der baulichen Maßnahmen an Kreuzungen von Eisen-
bahnen und Straßen hat. Sie muss das, was Bund und
Bahn vorgeben, einfach hinnehmen und dann noch mit
finanzieren. Wichtige kommunale Interessen bleiben bei
den Baumaßnahmen zudem außen vor. So ist es zum Bei-
spiel nicht möglich, dass in die Planungen der betreffen-
den Baumaßnahmen noch anzulegende Radwege Ein-
gang finden.

Es wird höchste Eisenbahn, dass die Kommunen von
den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen
von Eisenbahnen und Straßen befreit werden. Dies liegt
nicht nur im Interesse der Kommunalfinanzen, sondern
dient auch den Sicherheitsinteressen der Nutzerinnen
und Nutzer sowohl der Straße als auch der Schiene.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720433300

Die Fraktion Die Linke stellt in ihrem Antrag richtig

fest, dass es dort, wo die Kommunen Träger der Straßen-
baulast sind, an einigen Stellen Probleme gibt, wenn es
darum geht, Bahnübergänge zu beseitigen bzw. zu erset-
zen. Die Kommunen sind teilweise nicht in der Lage, ihren
Anteil, – der ein Drittel der Gesamtkosten beträgt, auf-
zubringen. Das Ergebnis: Die sogenannte Kreuzungs-
vereinbarung mit Bund und Bahn kommt nicht bzw. er-
heblich verspätet zustande. Das kann im schlimmsten
Fall dazu führen, dass sich Ausbauprojekte bei der
Schiene verzögern.

Ganz aktuell ist diese Problematik beispielsweise bei
der Ausbaustrecke Berlin–Dresden. Zumindest gibt die
Deutsche Bahn AG als Grund für den erneut verscho-
benen Fertigstellungstermin eines Teilabschnitts der
Verbindung zwischen Spree und Elbe die zähen Verhand-
lungen mit den Kommunen beim Ersatz von Bahnüber-
gängen durch Bau von Unter- und Überführungen an.

Wir sind allerdings der Ansicht, dass Sie es sich mit
Ihrem Antrag zu einfach machen. Der Bund soll es also
– mal wieder – richten. Kann das die Lösung bei der
Kostenbeteiligung der Kommunen bei Bahnübergangs-

Zu Protokoll gegebene Reden





Stephan Kühn


(A) (C)



(D)(B)


ersatzmaßnahmen sein? Ist das unsere Antwort auf das
chronische Finanzproblem der Kommunen? Entspricht
es dem Subsidiaritätsprinzip, dass bei originären Kom-
munalaufgaben – und um eine solche handelt es sich bei
den Pflichten, die sich aus der Straßenbaulast ergeben –
einfach der Bund einspringt? Wir meinen, dass kann
nicht die Lösung sein. Wer die Finanzprobleme der
Kommunen nachhaltig, also dauerhaft, lösen will, der
muss nicht die Kompetenzen des Bundes ausweiten, son-
dern die Finanzkraft der Kommunen stärken.

Die Probleme, die wir bei Bahnübergangsersatzmaß-
nahmen sehen, sind doch nur ein Beispiel – quasi die
Spitze des Eisbergs – für die Finanzprobleme der Kom-
munen. Sie können in weiteren Politikfeldern gleichlau-
tende Anträge stellen und haben am Ende das Problem
der klammen Kommunalkassen immer noch nicht gelöst.

Wir brauchen daher eine umfassende Reform der Ge-
meindefinanzen. Deshalb muss Schluss sein mit der
Steuersenkungspolitik, die zulasten öffentlicher Güter
im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge geht. Die
Einnahmen aus der Gewerbesteuer müssen verstetigt
und ökologisch ausgerichtet werden. Nur wenn wir die
Kraft aufbringen, diese Reformen anzugehen, kann die
Finanzkraft der Kommunen gestärkt werden, sodass sie
wieder in der Lage sind, ihre originären Aufgaben auch
wahrzunehmen. Dazu gehört nun einmal auch die Un-
terhaltung von Kommunalstraßen und die Beteiligung
an entsprechenden Bahnübergangsersatzmaßnahmen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720433400

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/10820 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit ein-
verstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Vorschriften des Interna-
tionalen Privatrechts an die Verordnung (EU)

Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vor-
schriften des Internationalen Privatrechts

– Drucksache 17/11049 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/11384 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Burkhard Lischka
Stephan Thomae
Raju Sharma
Jerzy Montag

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Widerspruch erhebt
sich nicht.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1720433500

Wir beraten heute abschließend über das Gesetz zur

Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privat-
rechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur
Änderung anderer Vorschriften des internationalen Pri-
vatrechts.

Die Europäische Union hat am 20. Dezember 2010
die Verordnung des Rates zur Durchführung einer Ver-
stärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehe-
scheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes
anzuwendenden Rechts (Rom-III-Verordnung) verab-
schiedet. Diese regelt, welches Recht auf die Eheschei-
dung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes
in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener
Staaten aufweisen, anzuwenden ist, und gilt seit dem
21. Juni 2012 in Deutschland und 13 weiteren an der
verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitglied-
staaten der EU.

Durch die Rom-III-Verordnung wird das in den Mit-
gliedstaaten noch unterschiedlich ausgestaltete interna-
tionale Privatrecht vereinheitlicht. Das materielle
Scheidungs- und Trennungsrecht wird von der Verord-
nung jedoch nicht berührt. Der Rechtsakt findet auch
keine Anwendung auf die Ungültigerklärung einer Ehe
und die Feststellung ihres Nichtbestehens.

Bisher regelte das EGBGB, welches Recht auf die
Scheidung von Ehegatten unterschiedlicher Nationalität
anzuwenden ist. Für ab dem 21. Juni 2012 eingereichte
Ehescheidungsanträge gelten die deutschen Regelungen
nach dem EGBGB jedoch nicht weiter. An ihre Stelle tre-
ten die Bestimmungen der Rom-III-Verordnung.

Eine Anpassung des bislang geltenden nationalen
Rechts an die Verordnung ist daher dringend erforder-
lich und soll nunmehr durch den hier vorgelegten
Gesetzentwurf erfolgen. Dieser enthält die zur Durch-
führung der Rom-III-Verordnung erforderlichen Bestim-
mungen.

Mit der Verordnung soll vor allem die Privatautono-
mie der Ehegatten gestärkt werden. Diese haben gemäß
Art. 5 der Rom-III-Verordnung ab sofort die Möglich-
keit, das anzuwendende Recht durch Rechtswahl selbst
zu bestimmen. Die von den Eheleuten gewählte Rechts-
ordnung muss dabei über ihren gewöhnlichen Aufent-
halt, ihre Staatsangehörigkeit oder den Gerichtsort eine
enge Verbindung zu ihrer Lebensführung aufweisen.

Sofern die Ehegatten dieses Wahlrecht nicht ausgeübt
haben, wird das anzuwendende Recht nach objektiven
Kriterien bestimmt (Art. 8 Rom-III-Verordnung). Maß-
geblich sind auch hier insbesondere der Lebensmittel-
punkt der Eheleute, ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt
oder ihre Staatsangehörigkeit. Sowohl bei der Ausübung
der Rechtswahl als auch bei der Bestimmung nach
objektiven Kriterien kommt das Recht aus Drittstaaten
als anzuwendendes Recht in Betracht. Dabei sieht die
Rom-III-Verordnung jedoch eine Kontrolle vor: Sollte
das eigentlich anzuwendende ausländische Recht gegen
wesentliche rechtliche Grundprinzipien im Gerichts-
staat verstoßen, kann seine Anwendung ganz oder zum
Teil unterbleiben (ordre public).





Ute Granold


(A) (C)



(D)(B)


Art. 5 III der Verordnung sieht als Regelfall vor, dass
eine Rechtswahlvereinbarung spätestens bei Anrufung
des Gerichts geschlossen wird. Hiervon können die teil-
nehmenden Mitgliedstaaten jedoch abweichend anord-
nen, dass das anzuwendende Recht auch noch im Laufe
des Gerichtsverfahrens gewählt werden kann. Von
dieser Möglichkeit haben wir durch die Regelung in
Art. 46 d II EGBGB Gebrauch gemacht, um zu errei-
chen, dass die Rechtswahl noch bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug möglich
ist. Dies halten wir für erforderlich, da den Ehegatten in
vielen Fällen erst nach Anrufung des Gerichts bewusst
wird, welches Recht – mangels Rechtswahl – nach Art. 8
der Rom-III-Verordnung anwendbar ist. Darüber hinaus
kann sich auch noch aus anderen Gründen im Verfahren
herausstellen, dass es vorteilhafter wäre, das Recht ei-
nes anderen Mitgliedstaates zu wählen, so zum Beispiel,
wenn die Ehegatten nach einer anderen Rechtsordnung
schneller geschieden werden könnten.

Für die Wahl der Rechtsordnung ist nach Art. 7
Rom-III-Verordnung zumindest die Schriftform erforder-
lich; zugleich wird den EU-Mitgliedstaaten jedoch die
Möglichkeit gegeben, eine strengere Form vorzusehen.
Von dieser Möglichkeit haben wir zum Schutz des
„schwächeren“ Ehegatten bei der Umsetzung in deut-
sches Recht ebenfalls Gebrauch gemacht. Deshalb muss
gemäß Art. 46 d I EGBGB die Rechtswahlvereinbarung
notariell beurkundet werden, wenn mindestens einer der
Ehegatten im Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhn-
lichen Aufenthalt im Inland hat.

Wir halten diese Regelung für erforderlich, da vor
dem Hintergrund der Komplexität der Auswirkungen ei-
ner Rechtswahl für den Fall der Scheidung und Tren-
nung ohne Auflösung des Ehebandes gewährleistet sein
muss, dass eine qualifizierte Beratung in Vorbereitung
der Rechtswahlvereinbarung erfolgt. Darüber hinaus
wird die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung
auch dazu führen, dass sich die Parteien in vielen Fällen
im Vorfeld anwaltlich beraten lassen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der durch die Verord-
nung nun geregelt wird, ist der Umstand, dass es bei
binationalen Ehen häufig zu einem Wettlauf der Ehegat-
ten bei Einreichung des Scheidungsantrages bei dem
Familiengericht im In- oder Ausland kam, um das für sie
jeweils günstig erscheinende Scheidungsrecht zur An-
wendung zu bringen. Mit dem nun vorliegenden System,
das für die Frage des richtigen Scheidungsstatuts in
Art. 8 Rom-III-Verordnung nicht mehr auf die Staatsan-
gehörigkeiten der Ehegatten abstellt, sondern vorrangig
auf den Aufenthaltsort der Ehegatten, wird dieser Wett-
lauf uninteressant.

Hinsichtlich des Versorgungsausgleichs ist anzumer-
ken, dass dieser dem Scheidungsstatut zugeordnet wird.
Aufgrund der materiell rechtlichen Besonderheiten des
Versorgungsausgleichs wird dabei die zulässige Bedin-
gung gestellt, dass er von Amts wegen nur durchzufüh-
ren ist, wenn deutsches Recht anzuwenden ist und er in
einem der Staaten, denen die Eheleute beim Eintritt der
Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören, be-
kannt ist. Darüber hinaus kann er auf Antrag eines Ehe-

gatten durchgeführt werden, soweit Anwartschaften be-
reits bestehen und die Durchführung der Billigkeit
entspricht.

Die Rom-III-Verordnung ist nicht isoliert zu sehen,
sondern immer im Zusammenhang mit der Verordnung

(EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit,

die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche
Verantwortung.

Beide Rechtsakte zusammen verwirklichen den bisher
in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen
bewährten Integrationsansatz, der mindestens drei
Elemente umfasst, nämlich: Bestimmung der internatio-
nalen Zuständigkeit der Gerichte im erfassten Rechtsge-
biet; Erleichterung der Anerkennung und Vollstreckung;
Harmonisierung des internationalen Privatrechts/Kolli-
sionsrechts.

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass der Gesetz-
entwurf durch die Einführung des Art. 48 EGBGB auch
die Rechtsgrundlage zur Wahl eines im EU-Ausland er-
worbenen und dort eingetragenen Namens schafft.

Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass
wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen guten
Weg gefunden haben, das Zusammenwirken der Verord-
nung (EU) Nr. 1259/2010 mit den nationalen Regelun-
gen im Bereich des internationalen Privatrechts zu re-
geln. Ich hoffe daher heute auf breite Zustimmung.


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1720433600

Die Regelungen, über die wir heute abstimmen, sind

ein großer Fortschritt – in mehrfacher Hinsicht. Formal
passen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unser
geltendes Recht zwar „lediglich“ an die bereits gelten-
den Bestimmungen der EU-Verordnung an, die seit dem
21. Juni 2012 in Kraft ist und Bestimmungen über das
auf die Ehescheidung anzuwendende Recht festlegt.

Seine tatsächlichen Auswirkungen sind aber in drei-
erlei Richtung ein großer Erfolg:

Erstens schaffen die Regelungen Rechtssicherheit und
beenden damit den in der Praxis unzufriedenstellenden
Zustand, dass es bisher keine einheitlichen Regeln für die
Bestimmung des anwendbaren Scheidungsrechts gab,
wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde
liegt.

Die Folge war ein zersplittertes Scheidungsrecht, das
in vielen Fällen zu Nachteilen für einzelne Partnerinnen
oder Partner führte. Und selbst einvernehmliche Tren-
nungen konnten zur Qual werden, weil den Paaren ver-
wehrt war, das anzuwendende Scheidungsrecht selbst zu
wählen.

Damit ist jetzt Schluss. Nach den neuen Regelungen
können die Paare grundsätzlich selbstbestimmt wählen,
nach welchem nationalen Scheidungsrecht sie geschie-
den werden möchten. Wenn sie das nicht tun, gibt es
klare gesetzliche Bestimmungen: Dann ist grundsätzlich
das am gewöhnlichen Aufenthalt der Betroffenen gel-
tende Recht anzuwenden, und im Zweifel kommt das

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Eva Högl


(A) (C)



(D)(B)


Recht des Staates zur Anwendung, in dem die Scheidung
eingereicht wurde.

Diese Rechtsklarheit ist eine große Erleichterung für
die Betroffenen, denen es vorher oftmals schwerer ge-
macht wurde in einer regelmäßig ohnehin schwierigen
Lebenssituation.

Zweitens wird durch die Regelungen verhindert, dass
ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin ein für ihn bzw.
sie günstiges Scheidungsrecht einseitig zur Anwendung
bringen kann. Damit soll der schwächere Teil vor unfai-
rer Benachteiligung in Scheidungsverfahren geschützt
werden. Bisher war es möglich, dass ein Ehepartner
bzw. eine Ehepartnerin die Folgen einer Scheidung inso-
fern beeinflussen konnte, als dass er das für ihn günstige
Scheidungsrecht zur Anwendung brachte. Notwendig
dafür war in manchen Fällen lediglich, dass er oder sie
die Reise- und Anwaltskosten aufbrachte und die Schei-
dung in dem Mitgliedstaat beantragte, dessen Schei-
dungsrecht ihm oder ihr die meisten Rosinen versprach.
Das war bisher in sieben Mitgliedstaaten möglich, die
grundsätzlich ihr Landesrecht anwendeten, völlig legal.

Ich begrüße ausdrücklich, dass dem mit den neuen
Regeln ein Riegel vorgeschoben wurde. Denn auch wenn
der Gesetzentwurf richtigerweise geschlechtsneutral
formuliert ist, zeigt die Praxis doch, dass in der Regel
Frauen die schwächeren Parts im Sinne dieser Regelung
sind.

Natürlich kann auch nach den neuen Regelungen das
nationale Recht vereinbart werden, das positive Schei-
dungsfolgen für die Betroffenen gewährt. Es ist aber
ausgeschlossen, dass dies ohne Wissen des Partners
oder der Partnerin geschieht. Da die Betroffenen bei der
Wahl des anwendbaren Rechts zwingend über die Trag-
weite ihrer Entscheidung informiert werden müssen
– der vorliegende Gesetzentwurf sieht für Deutschland
eine notarielle Beurkundung vor – werden einseitige
Spielchen zulasten des schwächeren Partners bzw. der
schwächeren Partnerin verhindert.

Drittens – und das freut mich als Europapolitikerin
besonders – sind die Regelungen, über die wir heute ab-
stimmen, Ausdruck eines zusammenwachsenden Euro-
pas und besonders deshalb zu begrüßen. Mehr noch: Sie
sind vor diesem Hintergrund längst überfällig.

EU-Bürgerinnen und Bürger sind zunehmend mobi-
ler. Infolgedessen gibt es mehr Ehen mit internationalem
und daher grenzüberschreitendem Hintergrund. Das ist
zu begrüßen, das ist das Ergebnis erfolgreicher Europa-
politik. Diesen Tatsachen dürfen aber keine rechtlichen
Hindernisse entgegenstehen bzw. müssen bestehende
Hindernisse beseitigt und den tatsächlichen Gegeben-
heiten angepasst werden. Genau das machen wir heute,
wenn wir den vorgelegten Gesetzentwurf verabschieden.

Die Regelungen sind ein anschauliches Beispiel für
die Ausgestaltung der europäischen Bürgerrechte, an-
hand derer der Mehrwert der Europäischen Union im
praktischen Leben erkennbar wird.

Es gibt natürlich noch viel mehr dieser Beispiele, und
ich möchte bei dieser Gelegenheit abschließend auf eine

aktuelle Initiative der EU-Kommission verweisen, die
die Bürgerinnen und Bürger auf ihre Rechte als Unions-
bürger hinweisen möchte. Seit Ende September finden
Bürgerdialoge in mehreren Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union statt, bei denen Bürgerinnen und Bürger
mit EU-Politikerinnen und -Politikern ins Gespräch
kommen können und über ihre Erfahrungen und Ansich-
ten zur Europäischen Union diskutieren können. Diese
Bürgerdialoge stehen bereits im Zeichen des EU-Jahres-
mottos für 2013, das zum „Europäischen Jahr der Bür-
gerinnen und Bürger“ ausgerufen wurde.

Die Verabschiedung der heutigen Bestimmungen
passt zu diesem Motto und wird konkreten Mehrwert für
die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben.


Stephan Thomae (FDP):
Rede ID: ID1720433700

In den letzten Wochen und Monaten wurde die öffent-

liche Debatte von den Spekulationen um die Zukunft des
Euro und den damit verbundenen möglichen Konse-
quenzen für die Zukunft der Europäischen Union
bestimmt. Den Euro gibt es noch immer, und auch sonst
ist es ein gutes und wichtiges Signal, dass die Arbeit an
einem immer enger zusammenwachsenden Europa fort-
geführt wird.

Ein gutes Beispiel ist hierfür der Gesetzentwurf der
Bundesregierung, den wir heute behandeln. Er hat fol-
genden Hintergrund:

Gemäß Art. 81 AEUV müssen Maßnahmen zum
Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom
Rat einstimmig beschlossen werden. Ein im Jahr 2006
vorgelegter Verordnungsvorschlag, mit dem die interna-
tionale Zuständigkeit von Gerichten in Scheidungsver-
fahren und Verfahren, die die Trennung ohne Auflösung
des Ehebandes sowie die Ungültigkeit der Ehe betreffen,
fand im Rat nicht die nötige Unterstützung aller Mit-
gliedstaaten. Daraufhin wurde von 14 Mitgliedstaaten,
zu denen auch Deutschland gehört, im Rahmen der so-
genannten ROM-III-Verordnung eine verstärkte Zusam-
menarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und
Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwenden-
den Rechts beschlossen.

Mit der Verordnung sind die zum Teil beträchtlichen
Unterschiede, die in den Rechtsordnungen der einzelnen
Mitgliedstaaten zum Scheidungsrecht, gerade beim
Kollisionsrecht, bestanden, überwunden worden. Diese
Unterschiede bedeuteten für Paare, die aus unterschied-
lichen Mitgliedstaaten stammen, eine große Rechtsunsi-
cherheit. Innerhalb der beteiligten Mitgliedstaaten gilt
nun aber ein klarer Rechtsrahmen für das anzuwen-
dende Recht in Scheidungs- und Trennungssachen.

Art. 5 der ROM-III-Verordnung bestimmt, nach wel-
chen Kriterien die Ehegatten das auf die Ehescheidung
oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzu-
wendende Recht wählen können. Haben die Eheleute
keine entsprechende Rechtswahl getroffen, regelt Art. 8
der Verordnung, welches Recht anzuwenden ist. Da-
durch wird insgesamt ein Wettlauf zu den Gerichten ver-
hindert, bei dem ein Ehegatte alles daransetzt, die
Scheidung zuerst einzureichen, um sicherzugehen, dass

Zu Protokoll gegebene Reden





Stephan Thomae


(A) (C)



(D)(B)


sich das Verfahren nach einer Rechtsordnung richtet, die
vor allem seine Interessen schützt.

Die ROM-III-Verordnung berührt das materielle
Scheidungs- und Trennungsrecht der Mitgliedstaaten
nicht. Sie gilt für die teilnehmenden Staaten seit dem
21. Juni 2012. Sie ist unmittelbar anzuwenden und ver-
drängt in ihrem Anwendungsbereich das bislang gel-
tende Recht, welches daher angepasst werden muss.
Diese Anpassung wird mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf vorgenommen. Dabei sind folgende Punkte hervor-
zuheben:

Erstens. In Art. 17 Abs. 1 EGBGB-Entwurf wird gere-
gelt, dass sich vermögensrechtliche Scheidungsfolgen,
die nicht von nach Art. 3 EGBGB vorrangig anzuwen-
denden Regelungen erfasst werden, dem Recht des nach
der ROM-III-Verordnung anzuwendenden Rechts unter-
liegen.

Zweitens. Führt die Konstellation im Einzelfall dazu,
dass eine Scheidung im Ausland nach deutschem Recht
vorgenommen wird, bleibt es dabei, dass eine Ehe nur
von einem Richter geschieden werden kann. Privatschei-
dungen bleiben damit nach deutschem Recht ausge-
schlossen.

Drittens. Art. 17 Abs. 3 EGBGB-Entwurf regelt, nach
welchem Recht Fragen des Versorgungsausgleichs zu
klären sind. Grundsätzlich richtet sich dies nach dem
Statut, dem nach der ROM-III-Verordnung auch die
Scheidung unterliegt. Der Versorgungsausgleich ist
aber nur dann durchzuführen, wenn auf die Scheidung
deutsches Recht anzuwenden ist und das Recht eines der
Staaten, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts
der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehö-
ren, den Versorgungsausgleich kennt.

Viertens. Grundsätzlich müssen die Parteien ihre
Rechtswahlvereinbarung nach Art. 5 Abs. 2 ROM-III-
Verordnung spätestens zum Zeitpunkt der Anrufung des
Gerichts geschlossen haben. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der
ROM-III-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten die
Möglichkeit ein, dass die Rechtswahl auch noch im
Laufe des Verfahrens vorgenommen werden kann. Die
Bundesrepublik Deutschland macht von dieser Möglich-
keit Gebrauch. Dies ist im Interesse der Eheleute, die so-
mit die Möglichkeit haben, auf Entwicklungen im Laufe
des Verfahrens zu reagieren.

Fünftens. Art. 48 EGBGB-E wird eine Anpassung
hinsichtlich des Namensrechts vorgenommen. Danach
kann eine Person, deren Name deutschem Recht unter-
liegt, durch eine Erklärung gegenüber dem zuständigem
Standesamt bestimmen, dass sie anstelle des nach deut-
schem Recht zu bildenden Namens einen Namen führen
will, den sie im EU-Ausland erworben hat. Damit re-
agiert der deutsche Gesetzgeber auf ein Urteil des
EuGH vom 14.Oktober 2008.

Die ROM-III-Verordnung ist ein weiterer Mosaikstein
im Gesamtbild eines immer enger zusammenwachsen-
den Europas. Mit dem heute zu beratenden Gesetzent-
wurf sorgen wir dafür, dass dieser Stein auch seine
Funktion erfüllt, indem wir das deutsche Recht an die
Verordnung anpassen.

Die FDP-Bundestagsfraktion bekennt sich klar zur
Europäischen Union und wird dem Gesetzentwurf daher
zustimmen.


Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1720433800

Die Bundesregierung versucht mit diesem Gesetzent-

wurf, die Verordnung der Europäischen Union Nr. 1259/
2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenar-
beit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung
ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts
umzusetzen. Das wiederum geht auf die Rom-III-Verord-
nung der Europäischen Union zurück, die festlegt, wel-
ches Recht bei Ehescheidung und Trennung anzuwenden
ist. Die Verordnung soll durch Änderung des Einfüh-
rungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch umgesetzt
werden.

Das heißt übersetzt, dass in jedem Mitgliedstaat, der
an der Verordnung beteiligt ist, das für Scheidungs-
sachen zuständige Gericht auf die Scheidung und Tren-
nung das einheitliche Recht eines Mitgliedstaates
anwenden soll. Damit soll das vorteilsbezogene Nutznie-
ßen nebeneinanderstehender Zuständigkeiten verschie-
dener Staaten unterbunden werden. Glücklicherweise
bleibt aber das materielle Familienrecht unberührt.

Meine Fraktion und ich betrachten diese Initiative
mit kritischen Augen. Die Europäische Union hat sich
beim Erlass der Rom-III-Verordnung, welche den Rege-
lungsbedarf ausgelöst hat, auf Art. 81 Abs. 3 des Vertra-
ges über die Arbeitsweise der Europäischen Union ge-
stützt. Danach kann der Rat nach Anhörung des
Europäischen Parlaments auf dem Gebiet des Familien-
rechts mit grenzüberschreitendem Bezug Maßnahmen
erlassen. Höchst fraglich bleibt dabei aber, ob das Fa-
milienrecht als höchstpersönliches Rechtsgebiet für das
Funktionieren des Binnenmarktes der Europäischen
Union überhaupt eine wesentliche Rolle spielt und damit
in die Pflicht genommen werden kann. Meines Erach-
tens ist das nicht erforderlich. Aber nachdem die Verord-
nung mit der Zustimmung der Bundesrepublik Deutsch-
land in Kraft getreten ist, muss nun das nationale Recht
entsprechend angepasst werden.

Die Europäische Union besteht derzeit aus 27 Mit-
gliedstaaten. Bei den Verhandlungen zur Verabschie-
dung dieser Verordnung traten in der Arbeitsgruppe des
Rates Probleme auf. Aufgrund unüberwindbarer Schwie-
rigkeiten konnte die auf dem Gebiet des Familienrechts
erforderliche Einstimmigkeit für die Verabschiedung
dieses Rechtsaktes nicht erreicht werden. Es gab Mit-
gliedstaaten, die nicht akzeptieren wollten, dass ihre Ge-
richte durch die Verordnung gezwungen werden sollten,
je nach Sachlage auch fremdes Recht anzuwenden. Da-
raufhin beschlossen lediglich 14 Mitgliedstaaten, eine
Verordnung zur verstärkten Zusammenarbeit auf diesem
Gebiet zu erlassen, die nur für die beteiligten Mitglied-
staaten gilt. Demnach bleiben nach Adam Riese 13 Mit-
gliedstaaten, also fast die Hälfte der Mitglieder, die das
nicht mitmachen; das stellt natürlich die Sinnhaftigkeit
des gesamten Unterfangens infrage.

Demzufolge gilt die Rom-III-Verordnung nur für
14 Mitgliedstaaten. Für diese besteht nun gesetzgeberi-

Zu Protokoll gegebene Reden





Jens Petermann


(A) (C)



(D)(B)


scher Handlungsbedarf. Die Rom-III-Verordnung soll
unmittelbar gelten, indem die Verordnung in das Einfüh-
rungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch aufgenom-
men werden soll. Daneben wird auch der Versorgungs-
ausgleich für geschiedene Ehen mit Auslandsbezug der
Rom-III-Verordnung unterworfen, wonach sich die Ehe-
gatten das für ihre Scheidung zuständige nationale
Recht selbst wählen dürfen. Damit stärkt man schon die
Privatautonomie. Doch ein kleiner Haken bleibt auch
bei dieser neuen Freiheit: Es wird teurer. Aus Gründen
der Rechtssicherheit müssen in der Bundesrepublik
Deutschland Rechtswahlvereinbarungen notariell beur-
kundet werden. Deshalb müssen die scheidungswilligen
Ehepaare mit Auslandsbezug bei der Wahl des deut-
schen Familienrechts entsprechend dem Geschäftswert
ihrer Ehe Notarkosten zahlen. Das ist zwar ein erhebli-
cher Nachteil, gleichzeitig aber auch eine hervorra-
gende Einnahmequelle für Notare. Das Treffen einer
Rechtswahlvereinbarung ist kein Zwang, sondern frei-
willig – wenigstens etwas Positives zum Schluss.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720433900

In unserer globalisierten Welt ist es eine Selbstver-

ständlichkeit geworden, dass Ehepaare einen kleinen
oder größeren Teil ihres gemeinsamen Lebens im Aus-
land verbringen. Gleichzeitig steigt die Zahl binationa-
ler Ehen. So gehörten in Deutschland im Jahr 2010 bei
jeder achten Eheschließung die Ehegatten unterschied-
lichen Nationalitäten an.

Solange die Ehe stabil ist, stellen sich Ehepartner sel-
ten die Frage, welches Recht auf ihre Ehe Anwendung
findet. Bricht die Ehe aber auseinander, stellt sich diese
Frage sehr deutlich; denn die kann erhebliche Auswir-
kungen, beispielsweise auf Unterhaltsfragen oder Ver-
mögensausgleich, haben.

Die europäische Verordnung zur Durchführung einer
Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die
Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehe-
bandes anzuwendenden Rechts verfolgt das Ziel, inner-
halb der Europäischen Union einheitliche Regelungen
für das Recht zu treffen, das auf Ehescheidungen anzu-
wenden ist. Die Verordnung will Bürgerinnen und Bür-
gern in Bezug auf Rechtssicherheit, Berechenbarkeit
und Flexibilität sachgerechte Lösungen garantieren.
Auch soll sie verhindern, dass ein Ehepartner alles da-
ran setzt, die Scheidung zeitlich als Erster bei Gericht
einzureichen, um sicherzustellen, dass sich das Verfah-
ren nach einer Rechtsordnung richtet, die seine Interes-
sen besser schützt.

Künftig sollen Ehegatten, deren Leben vom Recht
verschiedener Staaten geprägt wird, das Recht wählen
dürfen, das für die Scheidung ihrer Ehe Anwendung fin-
det. Nach dem Umsetzungsgesetz, um das es heute geht,
soll die Rechtswahl jederzeit vor oder nach der Ehe-
schließung möglich sein. Spätestens erfolgen muss sie
bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten
Rechtszug des Scheidungsverfahrens. Für die Rechts-
wahl sieht das Umsetzungsgesetz die notarielle Beur-
kundung vor.

Es ist richtig, zumindest auf der Ebene der Europäi-
schen Union für mehr Harmonisierung in internationa-
len Scheidungsverfahren zu sorgen. Mit der Verordnung
erreichen wir nicht nur eine rechtliche Harmonisierung,
mit der Einführung der Rechtswahl stärken wir auch die
Privatautonomie der Ehepaare. Und was geschieht,
wenn das Ehepaar keine Rechtswahl getroffen hat?
Dann trifft die Verordnung klare Regelungen über das
anzuwendende Recht.

Die wichtigste Änderung gegenüber den bisher in
Deutschland geltenden Regelungen ist, dass nicht mehr
primär an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehe-
leute angeknüpft wird, sondern an das gewöhnliche Auf-
enthaltsland der Eheleute zum Zeitpunkt der Stellung
des Scheidungsantrags. Das führt dazu, dass sich die
Ehescheidung bei einem im Ausland lebenden deutschen
Paar nicht mehr, wie bisher, nach deutschem Recht rich-
tet, sondern nach dem Recht seines Aufenthaltslandes.

Dies kann zu unbefriedigenden Ergebnissen vor
allem im Bereich des Versorgungsausgleichs führen. Der
Versorgungsausgleich, also der Ausgleich der Anwart-
schaften auf Altersversorgung, die während der Ehe
begründet worden sind, nimmt nach deutschem Recht
einen hohen Stellenwert ein. Er ist für den Ehegatten,
der während der Ehe keine oder nur eine geringe Alters-
vorsorge begründet hat, von zentraler Bedeutung. Damit
sichert sich dieser Ehegatte eine eigenständige Alters-
versorgung.

Wird eine Ehe nach deutschem Recht geschieden,
wird der Versorgungsausgleich grundsätzlich durch-
geführt. Wird eine Ehe nach ausländischem Recht
geschieden, erfolgt die Durchführung des Versorgungs-
ausgleichs nur auf entsprechenden Antrag und auch nur
noch nach Billigkeitsgesichtspunkten, ist also nicht obli-
gatorisch. Das ist angesichts der Bedeutung des Versor-
gungsausgleichs ein Wertungswiderspruch, der noch ge-
klärt werden muss. Wir Grünen werden uns deshalb bei
der Abstimmung über das Umsetzungsgesetz enthalten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720434000

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11384, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/11049 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die
Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? –
Niemand. Enthaltungen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der
Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand.
Enthaltungen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist an-
genommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesord-
nungspunkt 33 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung
im Zivilprozess

– Drucksache 17/10490 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/11385 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Sonja Steffen
Christian Ahrendt
Jens Petermann
Jerzy Montag

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Sind alle damit einver-
standen? – Das ist der Fall.


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1720434100

Mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfs-

belehrung im Zivilprozess erleichtert die christlich-
liberale Koalition den Bürgern die Orientierung im
gerichtlichen Instanzenzug. Wir verbessern den Rechts-
schutz des Einzelnen bei bürgerlichen Rechtsstreitigkei-
ten und stärken damit das Vertrauen der Menschen in
die Justiz und den Rechtsstaat insgesamt. Deswegen ist
das ein gutes Gesetz.

Was ist der Hintergrund? Das Bundesverfassungs-
gericht hat bereits im Jahr 1995 festgestellt, dass eine
Rechtsmittelbelehrung zum damaligen Zeitpunkt zwar
verfassungsrechtlich noch nicht zwingend eingeführt
werden muss. Anders könne dies aber wegen der verfas-
sungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie sein, wenn es
unzumutbare Schwierigkeiten bei der Beschreitung des
Rechtsweges gebe, die über eine Rechtsmittelbelehrung
ausgeglichen werden könnten. Auch die anderen Verfah-
rensordnungen, die eine solche Belehrung vorsehen,
müsse man dabei im Blick behalten.

Vor dem Hintergrund dieser Argumentation des Bun-
desverfassungsgerichtes hat schließlich der Bundes-
gerichtshof im Jahr 2009 in bestimmten Fällen beim
Zwangsversteigerungsverfahren die Notwendigkeit ei-
ner Rechtsmittelbelehrung unmittelbar aus der Verfas-
sung hergeleitet. Schließlich hat der Bundesrat dieses
Anliegen aufgegriffen. Die Justizministerkonferenz hat
im Jahr 2010 einstimmig beschlossen, dass Rechtsbe-
helfsbelehrungen im Zivilprozess eingeführt werden sol-
len.

Was ist nun genauer Inhalt des Gesetzes? Mit Inkraft-
treten des Gesetzes müssen Zivilgerichte die Bürger bei
allen anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen über
die Form, die Frist und das zuständige Gericht für den
Rechtsbehelf unterrichten. Die Rechtsuchenden haben
es damit zukünftig leichter, zu entscheiden, ob und in

welcher Zeit sie einen Rechtsbehelf einlegen wollen.
Damit stärken wir die Bürgerfreundlichkeit der Justiz.
Zugleich werden damit unzulässige Rechtsbehelfe ver-
mieden, die entweder gar nicht statthaft oder schon ver-
fristet sind. Das entlastet die Gerichte und trägt somit
dazu bei, dass mehr Zeit für andere Verfahren zur Verfü-
gung steht. Diese Pflicht zur Belehrung soll kein zahn-
loser Tiger bleiben. Wird die Belehrung verabsäumt
oder ist sie fehlerhaft, so wird dies bei einem Wiederein-
setzungsantrag berücksichtigt.

Mit der Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im
Zivilprozess durch den neuen § 232 Zivilprozessordnung
schließen wir zudem die Lücke zwischen den einzelnen
Verfahrensordnungen. Denn in anderen Prozessordnun-
gen – etwa im Verwaltungsverfahren – ist eine Rechts-
behelfsbelehrung schon lange vorgeschrieben. Wir er-
reichen also auch einen gewissen Gleichlauf der
Verfahrensordnungen und stärken damit die Einheit der
Rechtsordnung.

Eine Rechtsbehelfsbelehrung soll jedoch nur in sol-
chen zivilgerichtlichen Verfahren notwendig sein, in
denen nicht eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt
vorgeschrieben ist. Ist die anwaltliche Vertretung obli-
gatorisch, kann und soll der Rechtsanwalt als Organ der
Rechtspflege seinen Mandanten darüber aufklären und
beraten, welche Rechtsbehelfe im konkreten Fall statt-
haft und sinnvoll sind. Hier bedarf es einer gerichtlichen
Belehrungspflicht nicht. Auf diese Weise vermeiden wir
bei den Gerichten unnötigen bürokratischen Aufwand.

Eine Ausnahme von dieser Regel machen wir aber in
den Fällen, in denen es sich zwar um einen Anwaltspro-
zess handelt, in denen aber aufgrund der konkreten
Verfahrenssituation eine anwaltliche Vertretung nicht
sichergestellt ist. Das ist etwa bei Versäumnisurteilen
und bei Beschlüssen im einstweiligen Rechtsschutz der
Fall. Auch hier muss belehrt werden, damit dem Recht-
suchenden keine Rechte verlustig gehen. Aus dem glei-
chen Grund muss auch in Entscheidungen, die mit Wir-
kung für Zeugen oder Sachverständige ergehen, belehrt
werden. Auch diese Personen sollen über ihre Rechte
aufgeklärt werden.

Schließlich regeln wir mit dem Gesetzentwurf auch
noch andere Themen. Herausgreifen möchte ich die Än-
derung des § 145 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift
kann ein Gericht mehrere in einem Prozess erhobene
Ansprüche trennen und gesondert über diese verhan-
deln. Wir stellen mit der Änderung klar – wie es weitest-
gehend auch der bisherigen Gerichtspraxis entsprach –,
dass dies zukünftig nur angeordnet werden darf, wenn
dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Sachli-
che Gründe sind insbesondere die Vermeidung einer ver-
zögerten Erledigung einzelner abtrennbarer Teile des
Rechtsstreits, die Förderung der Übersichtlichkeit des
Prozessstoffes sowie die Ermöglichung einer Teilausset-
zung. Damit wird zum Wohle der Kläger und Beklagten
ausgeschlossen, dass Verfahren aus sachfremden und in-
sofern missbräuchlichen Gründen getrennt werden.

Abschließend möchte ich festhalten, dass die christ-
lich-liberale Koalition mit dem Gesetz zur Einführung
einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess ein Stück





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)


mehr Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und vor allem
Bürgerfreundlichkeit schafft. Ganz offenbar sehen auch
die Oppositionsfraktionen, dass wir hier einen guten
Gesetzentwurf vorlegen; denn im Rechtsausschuss ha-
ben alle Fraktionen unserem Vorschlag zugestimmt.
Diese Einsicht würde ich mir manchmal auch bei den
vielen anderen guten Gesetzen wünschen, die wir als
christlich-liberale Koalition vorlegen. Aber die Hoff-
nung stirbt ja bekanntlich zuletzt.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1720434200

Wir behandeln heute in zweiter/dritter Lesung den

von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung
im Zivilprozess. Das Gesetz regelt nun auch die dauer-
hafte Beibehaltung des derzeit geltenden modifizierten
zweistufigen Überschuldungsbegriffes und die damit
verbundenen Änderungen im Finanzmarktstabilisie-
rungsgesetz in Bezug auf § 19 Absatz 2 Insolvenzord-
nung.

Bis zum 17. Oktober 2008 galt der mit der Insolvenz-
ordnung eingeführte Überschuldungsbegriff, wonach
juristische Personen verpflichtet waren, mithilfe der
sogenannten Überschuldungbilanz sicherzustellen, dass
keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vor-
lag. Sofern von der Fortführung des Unternehmens aus-
zugehen war, wurden Vermögen und Schulden zu Fort-
führungswerten bewertet. Entscheidende Bedeutung
hatte somit ein rechnerisches Überschuldungselement.
Bekanntlich muss bei Überschuldung binnen drei Wo-
chen der Insolvenzantrag gestellt werden. Diese starre
Regelung konnte zur Folge haben, dass Unternehmen
aufgrund einer Momentaufnahme einen Insolvenzantrag
stellen mussten, auch wenn sich eine positive Änderung
der Vermögenslage in näherer Zukunft abzeichnete.

Als Reaktion auf die Finanz- und Bankenkrise haben
wir die absolute Bedeutung der rechnerischen Über-
schuldung aufgegeben. Die Krise hat insbesondere bei
Aktien und Immobilien zu erheblichen Wertverlusten und
damit bei Unternehmen zu einer bilanziellen Überschul-
dung geführt. Konnten diese Verluste nicht durch sons-
tige Aktiva ausgeglichen werden, so wären die Organe
dieser Unternehmen verpflichtet gewesen, innerhalb von
drei Wochen nach Eintritt dieser rechnerischen Über-
schuldung trotz etwaiger positiver Fortführungsprog-
nose einen Insolvenzantrag zu stellen.

Es gilt daher durch das Finanzmarktstabilisierungs-
gesetz wieder der vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung
durch den Bundesgerichtshof vertretene modifizierte
zweistufige Überschuldungsbegriff; dies allerdings be-
fristet bis zum 31. Dezember 2013. Danach schließt be-
reits eine positive Fortführungsprognose stets eine insol-
venzrechtliche Überschuldung aus. Erst bei negativer
Prognose ist eine Überschuldungsbilanz aufzustellen.
Entscheidende Bedeutung hat somit ein rechtliches
Überschuldungselement in Form einer Zahlungsfähig-
keitsprüfung.

§ 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung wurde in seiner
derzeit geltenden Fassung lediglich als vorübergehende
Lösung für die Zeit der Finanzkrise eingeführt. Zunächst

war beabsichtigt, dass ab dem 1. Januar 2011 der mit
der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbe-
griff wieder in Kraft treten sollte. Mit dem Gesetz zur
Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom
7. Dezember 2011 wurde die Gültigkeit der Übergangs-
bestimmung bis zum 31. Dezember 2013 verlängert.

Die Auswirkungen dieser Regelung sind evaluiert
worden durch eine von der Bundesregierung in Auftrag
gegebene rechtsstaatliche Untersuchung. Darin kom-
men Professor Bitter und Professor Hommerich zu dem
Ergebnis, dass die in der Finanzkrise getroffene Ent-
scheidung, den Überschuldungsbegriff zu ändern, rich-
tig war. Die volkswirtschaftlichen Vorteile überwiegen
die Nachteile dem Gutachten zufolge klar.

Bei einer Rückkehr zum mit der Insolvenzordnung
eingeführten Überschuldungsbegriff befürchten die Gut-
achter, dass an sich lebensfähige Unternehmen, bei de-
nen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass
sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, in ein
Insolvenzverfahren gedrängt würden. Zu Recht weisen
die Gutachter auf die Vorwirkung der nach bisheriger
Rechtslage weitreichenden Rechtsänderung zum 1. Ja-
nuar 2014 hin. Wenn absehbar ist, dass ein Unterneh-
men Anfang 2014 aufgrund des dann wieder geltenden
„alten“ Überschuldungsbegriffs Insolvenzantrag stellen
müsste, hat es schon Ende 2012 keine positive Fortfüh-
rungsprognose mehr. Folge wäre bereits jetzt eine Insol-
venzantragspflicht; das zeigt, dass bereits heute drin-
gender Handlungsbedarf besteht.

Festzuhalten ist, dass sehr viel für eine dauerhafte
Beibehaltung des aktuell geltenden Überschuldungsbe-
griffs spricht. Konjunkturelle Schwankungen und damit
verbundene bilanzielle Bewertungen allein dürfen nicht
zur negativen Fortführungsprognose eines Unterneh-
mens führen, das auch in Zukunft erfolgreich am Markt
tätig sein kann.

Der mit der Insolvenzordnung eingeführte Über-
schuldungsbegriff wird wegen der erforderlichen bilan-
ziellen Überschuldungsfeststellung von vielen Prakti-
kern weitgehend für unpraktikabel gehalten. Nahezu
kein Unternehmen kann einer Überschuldungsprüfung
zu Liquidationswerten standhalten. Bereits im Grün-
dungsstadium wären die meisten deutschen Unterneh-
men rechnerisch überschuldet.

Ausweislich des genannten Gutachtens steht der dau-
erhaften Beibehaltung des modifizierten zweistufigen
Überschuldungsbegriffs auch nicht die Funktion als
Auslöser einer Insolvenzantragspflicht entgegen. Insbe-
sondere die straf- und zivilrechtlichen Sanktionen bei In-
solvenzverschleppung zeitigen in Überschuldungsfällen
keine große Wirkung, oder sie werden durch andere Tat-
bestände aufgefangen. Die zivilrechtliche Haftung we-
gen Insolvenzverschleppung beispielsweise wird ganz
überwiegend auf Zahlungsunfähigkeit und nicht auf
Überschuldung gestützt.

Dagegen hat sich § 19 Absatz 2 InsO in der derzeit
geltenden Fassung in der Praxis bewährt. Die vorgese-
hene Entfristung trägt dem Rechnung und bringt für die
betroffenen Unternehmen die im Rechts- und Wirt-

Zu Protokoll gegebene Reden





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)


schaftsverkehr dringend gebotene Rechts- und Pla-
nungssicherheit.


Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1720434300

Die Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zi-

vilprozess ist längst überfällig. In der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit und im familiengerichtlichen Verfahren
gibt es die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung bereits
seit 2009, wenn auch beschränkt auf bestimmte Ent-
scheidungen. In § 232 ZPO soll sie nun für alle anfecht-
baren „gerichtlichen“ Entscheidungen gelten. Diese
Ausweitung halte ich im Sinne einer bürgerfreundlichen
Justiz für sinnvoll.

Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Orientierung im
gerichtlichen Instanzenzug zu erleichtern und unzuläs-
sige Rechtsmittel zu vermeiden. Ich denke, dass wir mit
Einführung dieser Gesetzesänderung diesem Ziel deut-
lich näher kommen.

Die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung soll bei allen
anfechtbaren Entscheidungen des Gerichts bestehen.
Der Bundesrat wünscht hier eine Einschränkung auf
„befristet“ anfechtbare Entscheidungen. Ich schließe
mich der Entscheidung der Bundesregierung an, diese
Einschränkung abzulehnen. Um drohende Zwangsmaß-
namen rechtzeitig abzuwehren, ist auch die Belehrung
über den Widerspruch im einstweiligen Rechtsschutz nö-
tig.

Eher noch hätte man vielleicht noch weiter gehen und
die Rechtsmittelbelehrungspflicht auf sämtliche Ent-
scheidungen ausweiten können, unabhängig von der An-
fechtbarkeit. Denn für den rechtsunkundigen Bürger
dürfte schwer erkennbar sein, ob eine Rechtsmittelbe-
lehrung fehlerhaft unterblieben ist oder hier kein
Rechtsmittel möglich ist. Wichtig ist jedoch aus meiner
Sicht vor allem, dass die Bürgerinnen und Bürger über
die Rechtsmittel, die ihnen zur Wahrung ihrer Rechte
tatsächlich zur Verfügung stehen, aufgeklärt werden.

Grundsätzlich wird die Pflicht zur Rechtsbehelfsbe-
lehrung auf Verfahren ohne Anwaltszwang beschränkt
sein. Begründet wird dies mit einem geringeren Schutz-
bedürfnis der Rechtsanwälte. Hiervon gibt es Ausnah-
men, wenn die Beratung durch den Anwalt nicht sicher-
gestellt ist, beispielsweise bei Versäumnisurteilen. Im
Kostenrecht ist hingegen eine einheitliche Rechtsbe-
helfsbelehrungspflicht vorgesehen.

Ein Kritikpunkt der Verbände an dem Gesetzentwurf
ist die vermeintlich einseitige Haftungsverschärfung für
Rechtsanwälte. Denn die Rechtsfolge einer fehlerhaften
oder fehlenden Rechtsmittelbelehrung – die gesetzliche
Vermutung der unverschuldeten Fristversäumnis, und
damit die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand,
§ 233 ZPO – sei bei vorhandener Kenntnis ausgeschlos-
sen.

Bei diesem Punkt habe ich als Rechtsanwältin natür-
lich auch genau hingesehen. Denn in der Praxis wird im
normalen Büroablauf die vom Gericht mit der Rechtsbe-
helfsbelehrung genannte Frist in den Fristenkalender
eingetragen und nicht noch kritisch überprüft. Aller-
dings hat hier die Bundesregierung auf die Sorgen der

Rechtsanwälte reagiert und eine entsprechende Aussage
in der Begründung zum Gesetzentwurf getroffen. Dem-
nach dürfe auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die
ihm genannten Fristen vertrauen und auch bei Vertre-
tung durch einen Anwalt sei Wiedereinsetzung zu ge-
währen, wenn das Rechtsmittel innerhalb der mitgeteil-
ten, falschen Frist einlegt würde. Ich halte dies für eine
sachgerechte Lösung, die nicht die Rechtsanwälte ein-
seitig belastet.

Im Ergebnis halte ich den Gesetzentwurf zwar nicht
für perfekt, aber doch für gelungen; denn er sorgt durch
zusätzliche Information für eine verbesserte Situation
der Bürgerinnen und Bürger.


Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1720434400

Mit diesem Omnibusgesetz schaffen wir nicht nur

Rechtsklarheit in Bezug auf Rechtsmittelbelehrungen im
Zivilprozess. Wir passen die Pfändungsfreigrenzen an
und kümmern uns um den Überschuldungsbegriff.

Während in den übrigen Verfahrensordnungen Beleh-
rungen über die Rechtsbehelfe gegen die Entscheidun-
gen der Gerichte bereits vorgeschrieben sind, ist dies im
Zivilprozess einschließlich des Zwangsvollstreckungs-
verfahrens nicht vorgeschrieben. Das Gesetz führt nun
eine Rechtsbehelfsbelehrungspflicht in allen bürgerli-
chen Rechtsstreitigkeiten ein, in denen die anwaltliche
Vertretung nicht obligatorisch ist. Diejenigen Rechts-
behelfe, über die zu belehren ist, werden ausdrücklich
aufgezählt. Die unterbliebene oder fehlerhafte Rechts-
behelfsbelehrung wird nun bei einem Wiedereinset-
zungsantrag berücksichtigt.

Die Rechtsbehelfsbelehrung soll den Bürgerinnen
und Bürgern die Orientierung im gerichtlichen Instan-
zenzug erleichtern und soll unzulässige Rechtsmittel
vermeiden. Auf diese Weise soll der Rechtsschutz des
Einzelnen im gesamten Zivilprozess verbessert werden.
Denn das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung er-
schwert den Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung
im gerichtlichen Instanzenzug und erhöht die Gefahr un-
zulässiger Rechtsbehelfe, weil sich Form, Frist und zu-
ständiges Gericht für den Rechtsbehelf nicht aus der
Entscheidung entnehmen lassen.

Im Rahmen des Änderungsantrages der Koalitions-
fraktionen wird das Gesetz um weitere notwendig
gewordene Regelungen ergänzt.

Die Neufassung von § 145 Abs. 1 ZPO soll verdeutli-
chen, dass eine Trennung der Verfahren – wie bereits in
der höchstrichterlichen Rechtsprechung verankert – nur
zulässig ist, wenn dafür sachliche Gründe bestehen.
Sachliche Gründe können insbesondere die Vermeidung
einer verzögerten Erledigung einzelner abtrennbarer
Teile des Rechtsstreits, die Förderung der Übersichtlich-
keit des Prozessstoffes sowie die Ermöglichung einer
Teilaussetzung sein.

Zudem erhöhen wir die Höhe der pfändungsfreien
Beträge für den Pfändungsschutz der Altersvorsorge
Selbstständiger in § 851c Abs. 2 ZPO, der an die verän-
derten Berechnungswerte angepasst wird. Das pfän-
dungsfreie Deckungskapital wird nun, da die Berech-





Christian Ahrendt


(A) (C)



(D)(B)


nungswerte einer ständigen Veränderung unterliegen,
überprüft und angepasst. Der Berechnung des
Deckungskapitals wurden die maßgeblichen Berech-
nungswerte wie Sterbetafel, Garantiezins, aktuelle Pfän-
dungstabelle, übliche Abschluss-, Inkasso- und Verwal-
tungskosten zugrunde gelegt.

Schließlich wird der derzeit geltende Überschul-
dungsbegriff in § 19 Abs. 2 InsO mit diesem Gesetz ent-
fristet. § 19 Abs. 2 InsO wurde in seiner derzeit gelten-
den Fassung lediglich als vorübergehende Lösung für
die Zeit der Finanzkrise eingeführt. Durch das Finanz-
marktstabilisierungsgesetz (FMStG) wurde im Oktober
2008 der Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO
zeitlich befristet bis Ende 2010 geändert. Zunächst war
beabsichtigt, dass ab dem 1. Januar 2011 der frühere
Überschuldungsbegriff wieder in Kraft treten sollte.
Durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von
Unternehmen wurde die Befristung im August 2009 bis
Ende 2013 verlängert.

Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung im
Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes
zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen im
August 2009 gebeten, „die Anwendung des weiter gel-
tenden Überschuldungsbegriffs zu beobachten, mit
Fachkreisen und den Landesjustizverwaltungen zu dis-
kutieren und dem Deutschen Bundestag Mitte der nächs-
ten Legislaturperiode über die gemachten Erfahrungen
zu berichten“, um über die Notwendigkeit einer weiteren
Verlängerung oder einer Rückkehr zum früheren Über-
schuldungsbegriff entscheiden zu können. In der darauf-
hin von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen
rechtstatsächlichen Untersuchung kommen die Profes-
soren Bitter und Hommerich zu dem Ergebnis, dass die
in der Finanzkrise getroffene Entscheidung, den
Überschuldungsbegriff zu ändern, richtig war. Die
volkswirtschaftlichen Vorteile hätten die Nachteile klar
überwogen. Bei einer Rückkehr zum alten Überschul-
dungsbegriff befürchten die Gutachter, dass lebensfä-
hige Unternehmen in ein Insolvenzverfahren gedrängt
würden, da die Inkraftsetzung des alten Überschul-
dungsbegriffs bereits im Jahre 2012 Vorwirkungen
zeige. Vermögenswerte betroffener Unternehmen müss-
ten in den Jahresabschlüssen nicht mehr zu Fortfüh-
rungswerten, sondern zu Liquidationswerten angesetzt
werden. Auf zahlreiche mittelständische Unternehmen
läuft dieses Problem zum 31. Dezember 2013 zu. Unter-
nehmen, die bis zu diesem Zeitpunkt eine bestehende
Deckungslücke nicht geschlossen haben, wären ab 1. Ja-
nuar 2014 in einer Insolvenzantragspflicht.

Daher ist dringender Handlungsbedarf gegeben. In
ihrer abschließenden Empfehlung stellen die Gutachter
zudem fest, dass viel für eine Entfristung des aktuell gel-
tenden Überschuldungsbegriffs spreche. Der alte Über-
schuldungsbegriff werde in der Praxis weitgehend für
unpraktikabel gehalten. Die relative Mehrheit der be-
fragten Experten befürwortete eine dauerhafte Beibe-
haltung des derzeit geltenden Überschuldungsbegriffs.

§ 19 Abs. 2 InsO hat sich in der derzeit geltenden
Fassung in der Praxis bewährt. Die vorgesehene Ent-
fristung trägt dem Rechnung und bringt für die betroffe-

nen Unternehmen die im Rechts- und Wirtschaftsverkehr
dringend gebotene Rechtssicherheit.


Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1720434500

Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung den Bür-

gerinnen und Bürgern die Orientierung im Instanzenzug
des Zivilprozesses – einschließlich der Zwangsvollstre-
ckung – erleichtern möchte. Das ist ein Schritt in Rich-
tung bürgerfreundliche Justiz und bringt für die
Rechtsunkundigen etwas mehr Durchblick im Gesetzes-
dschungel.

Für Entscheidungen im Zivilprozess sind derzeit
Rechtsbehelfsbelehrungen nicht vorgeschrieben. Den-
noch kann man Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelbeleh-
rungen, anders als im Gesetzentwurf behauptet, durch-
aus als verfassungsrechtlich geboten ansehen. Dies folgt
aus Art. 19 Abs. 4 und aus Art. 20 Abs. 1 GG. Rechts-
staatsprinzip und Justizgewährleistungsanspruch ga-
rantieren die Rechtswegklarheit und damit auch die
Rechtsmittelklarheit. Eine Rechtsbehelfsbelehrung
vermindert die Gefahr unzulässiger Rechtsbehelfe, weil
sich Form, Frist und zuständiges Gericht für den
Rechtsbehelf nicht aus der Entscheidung selbst entneh-
men lassen, sondern mühevoll aus dem Gesetz abgeleitet
werden müssen, was fehlerträchtig ist. Damit kann sich
die neue Bürgerfreundlichkeit auch justizentlastend aus-
wirken.

In einem neuen § 232 ZPO wird die Rechtsbehelfsbe-
lehrung geregelt, wonach jede anfechtbare gerichtliche
Entscheidung eine Belehrung über das statthafte Rechts-
mittel, das zuständige Gericht und über die Form und
Frist enthalten muss. Ausgenommen sind Verfahren mit
Anwaltszwang, also grundsätzlich alle zivilrechtlichen
Angelegenheiten ab Landgerichtszuständigkeit. Ob eine
Einschränkung auf Verfahren ohne Anwaltszwang bzw.
Anwaltsbeteiligung sinnvoll ist, kann man infrage stel-
len. Natürlich sollte ein Anwalt und damit die anwaltlich
vertretene Partei immer wissen, wie und innerhalb wel-
cher Frist sie sich gegen Entscheidungen verteidigen
kann. Allerdings folgt aus der Differenzierung anwalt-
lich vertreten und nicht anwaltlich vertreten ein admi-
nistrativer Aufwand für die Geschäftsstellen der Ge-
richte, ohne dass dem ein Nutzen gegenübersteht. Es
schadet nicht - weder der Partei noch dem Anwalt - von
dem Gericht über das nach dessen Sicht zulässige
Rechtsmittel bzw. den Rechtsbehelf informiert zu wer-
den. Es sind keine Nachteile oder Bedenken ersichtlich,
die gegen eine solche Information auch bei anwaltlicher
Vertretung sprechen. Es würde mithin Gerichten und
sonstigen berufenen Stellen die Arbeit erleichtern, wenn
sie stets ihre Entscheidungen damit versehen müssten; in
anderen Verfahrensordnungen ist eine derartige
Einschränkung auch nicht üblich. Effiziente und weit-
sichtige Gesetzgebungspraxis muss sich daran messen
lassen.

Sollte nun das Gericht bei einer Entscheidung, die es
an einen nicht anwaltlich vertretenen Verfahrensbetei-
ligten zustellt, die Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsbeleh-
rung vergessen oder fehlerhaft ausstellen, so führt dies
bei Versäumung der Rechtsmittelfrist zu einem Wieder-

Zu Protokoll gegebene Reden





Jens Petermann


(A) (C)



(D)(B)


einsetzunganspruch in den vorherigen Stand, und der
Verfahrensbeteiligte wird so gestellt, als hätte er die
Frist nicht versäumt. Nach diesem Schema werden eine
Reihe weiterer Vorschriften unter anderem im Justiz-
vergütungs- und Justizentschädigungsgesetz, im Rechts-
anwaltsvergütungsgesetz, Gerichtskosten- und Ge-
richtsvollzieherkostengesetz etc. ergänzt.

Dennoch kann ich dem BMJ ein paar kritische Worte
nicht ersparen. Nicht nur ich warte immer noch auf den
Tag, an dem das Bundesjustizministerium zu einem män-
gelfreien Gesetzentwurf beglückwünscht werden kann.
Am heutigen Tag ist das leider nicht möglich; denn der
Entwurf enthält weitere Änderungen, die mit dieser
Thematik nichts zu tun haben. Art. 4 des Gesetzentwur-
fes – Änderung des Rechtspflegergesetzes – setzt augen-
scheinlich einen deutsch-österreichischen Konkursver-
trag um. Art. 5 ändert die Zulässigkeitsregelungen für
Vorlagen an den Gemeinsamen Senat der obersten Ge-
richtshöfe des Bundes; dort soll das Verfahren effekti-
viert werden, indem vor Vorlage abzuklären ist, ob der
Senat, von dessen Rechtsprechung abgewichen werden
soll, überhaupt daran festhalten will. Art. 6 – Änderung
des FamFG – ändert auch Normen im Bereich der
Zwangsmaßnahmen wie der gewaltsamen Öffnung der
Wohnung zur Vorführung zur Untersuchung in Betreu-
ungssachen.

Frau Justizministerin, erklären Sie mir einmal, was
die Einführung der Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilpro-
zess mit gewaltsamem Öffnen von Wohnungen zu tun
hat? Wenigstens versuchen Sie nicht diese Regelungen,
die Zwangsmaßnahmen erlauben, hinterrücks auszuwei-
ten. Das Argument, mit dem Huckepackverfahren er-
spare man sich lauter Einzelinitiativen, ist im Hinblick
auf das Transparenzgebot parlamentarischer Verfahren
bedenklich. Deshalb appelliere ich erneut an Sie, Frau
Ministerin, dass in Zukunft bitte je Gesetzentwurf nur
diejenigen Änderungen oder Regelungen enthalten sind,
die thematisch, sachlich und fachlich korrespondieren.

Auch wenn Sie mit dem Gesetzentwurf sachfremde
Rechtsmaterie wieder still und leise heimlich nebenbei
mitregeln wollen, stimmen wir Ihrem Gesetzentwurf zu.
Er setzt ein rechtsstaatliches Gebot um, das bereits in
vielen Verfahrensordnungen enthalten ist. Die Länder
haben auf der 81. Konferenz der Justizministerinnen und
Justizminister am 23. und 24. Juni 2010 einstimmig be-
schlossen, dass Rechtsbehelfsbelehrungen in Verfahren,
in denen eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrie-
ben ist und bei denen die Entscheidungen nur befristet
anfechtbar sind, eingeführt werden sollen. Das ist nun
begrüßenswerterweise geschehen, auch wenn Sie dazu
gut zwei Jahre Zeit benötigt haben.


Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720434600

„Die Qualität der Gesetze wird immer schlechter.“

Das sage nicht ich. Das sagt der Deutsche Anwaltverein.
Wenn ein Verband von Juristinnen und Juristen der
Gesetzgebung ein derart mangelhaftes Zeugnis erteilt,
dann müssen wir uns nicht darüber wundern, dass Bür-
gerinnen und Bürger die für sie gemachten Gesetze nicht

mehr verstehen. Und da gibt es ein ganz praktisches
Problem: Bürgerinnen und Bürger, die keine anwaltliche
Vertretung in Anspruch nehmen, schreiben ihre Klage
selbst. Sie reichen diese bei Gericht ein. Sie verhandeln
vor Gericht. Sie nehmen das Urteil entgegen. Und
dann? Was also geschieht nach einer gerichtlichen Ent-
scheidung? Ohne Anwalt oder Anwältin stehen Recht-
suchende nun vor erheblichen Fragen und haben keine
Antwort: Kann ich gegen die Gerichtsentscheidung vor-
gehen? Wie kann ich mich wehren? Wo muss ich Rechts-
behelfe einlegen? Habe ich Fristen zu beachten? Die
Folge ist: Bei den Zivilgerichten gehen viele unzulässige
oder verfristete Rechtsbehelfe ein. Bürgerinnen und
Bürger, die sich gegen eine Gerichtsentscheidung weh-
ren wollen, scheitern. Sie können ihr Recht nicht aus-
üben, da sie über dieses Recht nicht ausreichend infor-
miert sind.

In verschiedenen Gerichtsverfahren sind bereits Be-
lehrungen über Rechtsbehelfe vorgesehen. Dies ist zum
Beispiel für Prozesse nach dem Gesetz über das Verfah-
ren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit der Fall. Diese Gerichts-
verfahren sind bei den Zivilgerichten angesiedelt. Dort
aber, wo die Zivilprozessordnung gilt, besteht bisher
noch keine Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung.

Heute beschließen wir hier im Bundestag das Gesetz
zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivil-
prozess. Richterinnen und Richter sollen zukünftig Prozess-
beteiligte, die keinen Anwalt haben, darüber unterrichten,
wie, wo und wie lange sie gegen eine Gerichtsentschei-
dung vorgehen können. Mit diesem Gesetz schließen wir
eine große Schutzlücke im Zivilprozessrecht. Mit der
Rechtsbehelfsbelehrung wird es künftig für Bürgerinnen
und Bürger einfacher, sich im Verfahrensdschungel bei
Gericht zurechtzufinden. Das Gesetz ist ein Schritt hin
zu besserem Rechtsschutz. Allerdings sollten wir in der
Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes evaluieren, ob der
Schutz, der durch die Rechtsbehelfsbelehrung statuiert
wird, ausreicht. Bisher hat keine Evaluierung der ent-
sprechenden Regelung im Gesetz über das Verfahren in
Familiensachen und in den Angelegenheiten der frei-
willigen Gerichtsbarkeit stattgefunden, und das, obwohl
diese bereits vor einigen Jahren in Kraft getreten ist.

Wir sollten überprüfen, ob sich die Neuregelungen in
der Praxis als sinnvoll erweisen. Sollte die Zahl der
unzulässigen Rechtsbehelfe trotz der Belehrung nicht
abnehmen, so müssen wir über weitere Reformen nach-
denken. So könnte es beispielsweise sinnvoll sein, die
Beteiligten eines Rechtsstreites auch zu informieren,
wenn kein Rechtsbehelf gegen die Gerichtsentscheidung
statthaft ist. Ebenso könnte die Festlegung einer be-
stimmten Belehrungsform den Rechtsschutz fördern.

Das Recht muss die Bedürfnisse jeder und jedes Ein-
zelnen berücksichtigen. Damit sie aber ihre Rechte
wahrnehmen können, müssen sie diese kennen. Unsere
Aufgabe als Abgeordnete ist es, sicherzustellen, dass
Bürgerinnen und Bürger vollen Rechtsschutz erhalten
können – auch ohne Anwältin oder Anwalt.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720434700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11385, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/10490 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer
stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dage-
gen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ta-
gesordnungspunkt 34:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 14. März
2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/
EWG des Rates über den Jahresabschluss von
Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hin-

(Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG)


– Drucksachen 17/11292, 17/11353 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll gegeben. – Niemand widerspricht.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1720434800

Die Reduzierung von entbehrlichen Verwaltungslas-

ten für die Wirtschaft ist seit Jahren ein vorrangiges Ziel
der Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung des
Programms Bürokratieabbau. So konnten Einzelkauf-
leute bereits mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsge-
setz, BilMoG, aus dem Jahr 2009 von der Pflicht zur
Aufstellung von Jahresabschlüssen befreit werden.

Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom
14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/
EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesell-
schaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinst-

(Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz, MicroBilG)

Kleinstkapitalunternehmen Erleichterungen im Bereich
Rechnungslegungs- und Offenbarungsvorschriften vor
und nimmt ihnen bürokratische Lasten bei der Erstel-
lung von Bilanzen ab.

Standen entsprechenden nationalen Regelungen bis-
lang europarechtliche Vorgaben entgegen, konnte die

christlich-liberale Bundesregierung mit ihren guten
Argumenten im März dieses Jahres erfolgreich für einen
Kompromiss, der die Entlastung möglich macht, auf EU-
Ebene werben.

Allein in Deutschland sind rund 500 000 kleine Kapi-
talgesellschaften mit geringen Umsätzen und kleinen
Vermögenswerten aufgrund ihrer entsprechend geringen
Größe typischerweise nicht grenzüberschreitend tätig.
Für genau diese wird eine strikte Rechnungslegung nach
den Vorgaben der Richtlinie 78/660/EWG jedoch als Be-
lastung empfunden. Dabei konzentriert sich das Inte-
resse derjenigen, die Jahresabschlüsse nutzen, in der
Regel auf die Nachfrage weniger Kennzahlen.

Von den vorgesehenen Befreiungen werden Kleinst-
kapitalgesellschaften profitieren. Als Unterform der
kleinen Kapitalgesellschaften sind das solche Unterneh-
men, die an zwei aufeinanderfolgenden Abschlussstich-
tagen mindestens zwei der folgenden drei Schwellen-
werte unterschreiten: 350 000 Euro Bilanzsumme nach
Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbe-
trags, 700 000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten
vor dem Abschlussstichtag und/oder durchschnittliche
Anzahl der Mitarbeiter während des Geschäftsjahres
nicht über zehn. Der Status als Kleinstkapitalunterneh-
men wird dabei erst nach zwei Jahren verwirkt, so ein
Unternehmen zwei der drei oben genannten Schwellen-
werte überschreitet.

Die neue Richtlinie räumt den Kleinstunternehmen
zum Einzelabschluss besondere Wahlrechte als Aus-
nahme vom allgemeinen Grundsatz der Rechnungs-
legung von Kapitalgesellschaften ein. So sind Ausnah-
men von der grundsätzlichen Verpflichtung zum Ausweis
von aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungsposten
möglich, dürfen Kleinstunternehmen auf den umfangrei-
chen Anhang zur Bilanz verzichten sowie die Aufgliede-
rung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung ver-
kürzen.

Zudem sieht das MicroBilG eine Einschränkung hin-
sichtlich der Veröffentlichungspflicht vor. Nicht mehr
zwingend erforderlich ist die Offenlegung der Rech-
nungslegungsunterlagen von Kleinstunternehmen ge-
genüber der breiten Öffentlichkeit, wie dies durch Veröf-
fentlichung im Bundesanzeiger aktuell verpflichtend ist.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass es ausreicht,
wenn Kleinstunternehmen ihre Jahresabschlüsse nur
mehr an ein Register übersenden, aus dem sie nur auf
Nachfrage zur Information an Dritte herausgegeben
werden.

Die Richtlinie wird zügig umgesetzt, damit den
Kleinstkapitalgesellschaften die auf EU-Ebene verein-
barten Erleichterungen möglichst schnell zugutekommen
können. Die Neuregelung soll für alle Geschäftsjahre
gelten, deren Abschlussstichtag nach dem 31. Dezember
2012 liegt.

Die Bundesregierung hat mit dem MicroBilG den
Spielraum der Richtlinie bestmöglich ausgeschöpft. Die
Befreiung der Kleinstkapitalunternehmen von einigen
genau bezeichneten Anforderungen stellt eine maßvolle
Abschwächung der Vorgaben für die Rechnungslegung





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


dar, ohne dabei die berechtigten Informationsinteressen
von Gläubigern über Gebühr auszuhebeln. Von den
durch das MicroBilG getroffenen Erleichterungen wer-
den rund 500 000 deutsche Unternehmen profitieren.

Im weiteren parlamentarischen Verfahren sind
– Stichwort Flexibilität beim Ordnungsgeld – für eine
Verletzung von Publizitätspflichten noch einige kleinere
Punkte zu beleuchten.

Der Normenkontrollrat hat der Bundesregierung erst
kürzlich in seinem Jahresbericht bescheinigt, dass der
Bürokratieabbau in Deutschland trotz weiterhin beste-
hendem Handlungsbedarf bereits gut vorangekommen
ist. Die schnelle Umsetzung der EU-Micro-Richtlinie
2012/6/EU ist ein weiteres positives Signal, das die
christlich-liberale Bundesregierung aussendet.


Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1720434900

Wer sich an das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz

aus dem letzten Jahr der Großen Koalition und seine se-
gensreichen Verbesserungen für Einzelkaufleute erinnert,
muss angesichts des nun vorgelegten Gesetzentwurfs zur
Änderung des Bilanzrechts für kleinste Kapitalgesell-
schaften herb enttäuscht sein. Denn es bleibt alles beim
Alten: Die Bilanzrechtsänderung für Kleinstbetriebe
könnte auch unter der Überschrift „Mikroskopische Hil-
fen für Mikro-Unternehmen“ stehen. Tritt das Gesetz in
dieser Form in Kraft, dann sind im Ergebnis die Erleich-
terungen beschämend dürftig.

Das Bundesjustizministerium hatte die ursprünglich
angestrebten Maßnahmen zu einer Vereinfachung und
Lockerung der Rechnungslegung im Rahmen der EU-
Micro-Richtlinie 2012/6/EU zu einem „wichtigen Anlie-
gen“ erklärt, aber in den entscheidenden Fragen hat
sich die Bundesregierung in Brüssel nicht durchsetzen
können. Weder ist von einer Vereinfachung bei der Rech-
nungslegung auszugehen, weil die ursprünglich gute
Idee einer Befreiung von der Bilanzierungspflicht für
Kleinstkapitalgesellschaften in Europa nicht durchzu-
setzen war, noch wird eine Reduzierung der bürokra-
tischen und finanziellen Belastung der Unternehmen in
auch nur nennenswerter Größenordnung spürbar.

Nach ihren gescheiterten Verhandlungen mit den euro-
päischen Partnern blieb als kleinster gemeinsamer Nen-
ner eine Regelung übrig, die wir nun als Gesetzentwurf
vorgelegt bekommen: Firmen unterhalb der Schwelle
von zwei der drei Merkmale 350 000 Euro Bilanzsumme,
700 000 Euro Umsatz oder zehn Arbeitnehmer können
künftig auf die Erstellung eines Anhangs zur Bilanz ver-
zichten (§ 264 HGB-E), wenn sie bestimmte Angaben
unter der Bilanz machen – dazu gehört die Darstellung
der Haftungsverhältnisse, Angaben zu Vorschüssen und
Krediten an Mitglieder der Geschäftsführung oder der
Aufsichtsorgane, sowie Angaben zu eigenen Aktien. Die
Bilanz muss mit einer geringeren Gliederungstiefe auf-
gestellt werden, § 266 Abs. 1 HGB-E (Verkürzte Bilanz),
das Gleiche gilt für die Gewinn- und Verlustrechnung

(Verkürzte GuV).


Die gesamten 36 Millionen Euro Ersparnis, die Sie
im Gesetzentwurf zugunsten der Kleinstkapitalgesell-

schaften beziffern, resultieren aus dem simplen Um-
stand, dass diese Unternehmen künftig ihre Bilanz beim
Bundesanzeiger nicht mehr veröffentlichen müssen – es
genügt, wenn sie sie dort hinterlegen. Im Falle der Hinter-
legung können Dritte künftig auf Antrag kostenpflichtig
eine Kopie der Bilanz erhalten, die Veröffentlichungs-
kosten in der Größenordnung von 60, 70 Euro im Jahr
bleiben den Kleinstfirmen erspart.

Aber Pflicht bleibt Pflicht: Die Bilanz ist auch wei-
terhin dem Bundesanzeiger zu übersenden, und zwar
fristgerecht und ordnungsgeldbewehrt. Ein Bürokratie-
abbau und eine Entlastung der Betroffenen sind hier je-
denfalls nicht zu erkennen, mit denen man die geringere
Transparenz im Geschäftsverkehr, die Einführung von
Sonderregelungen im HGB und in der Unternehmens-
registerverordnung und den vergrößerten Überwachungs-
aufwand vielleicht hätte begründen können.

Schließlich sollen selbst diese geringen Entlastungen
auf kleine Genossenschaften keine Anwendung finden.
Mögliche Erleichterungen – so die Begründung – sollen
gesondert geprüft werden. Hier sehen wir unbedingten
Änderungsbedarf, eine Anwendung der Micro-Richtlinie
auch auf genossenschaftlich organisierte Unternehmen
halten wir für geboten.

Dass bereits die Verabschiedung im Europäischen
Rat erst nach zähem Ringen erfolgte, weil die Wider-
stände aus einigen europäischen Ländern selbst in dieser
minimalinvasiven Endfassung noch spürbar waren, ist
bedauerlich. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen,
aber mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass wir mit dem
mangelnden Durchsetzungsvermögen der Bundesregie-
rung in Brüssel außerordentlich unzufrieden sind.


Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720435000

Heute beraten wir über Erleichterungen für ganz

kleine Kapitalgesellschaften, also solche, die höchstens

(Netto350 000 Euro Bilanzsumme aufweisen oder zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchschnittlich beschäftigt haben – zwei der drei Kriterien dürfen nicht überschritten sein. Davon werden fast ausschließlich GmbHs Gebrauch machen können, kaum AGs. Die Bundesregierung führt damit den mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BilMoG, eingeschlagenen Weg fort und räumt kleinen Unternehmen weitere Erleichterungen bei ihrer Rechnungslegung ein. Doch soll das, was mit dem BilMoG begonnen wurde, wirklich weitergeführt werden? Die Bundesregierung gibt sich wirtschaftsfreundlich: Die Kleinstkapitalgesellschaften, wie sie genannt werden, sollen bei der Aufstellung und Veröffentlichung ihres Jahresabschlusses von Kosten entlastet werden. Sie können zukünftig vereinfachte Bilanzen sowie kürzere Gewinnund Verlustrechnungen erstellen und brauchen keinen Anhang anzufertigen. Als ich den Gesetzentwurf vorliegen hatte, war meine erste Frage: Brauchen wir dieses Gesetz? Die zugrundeliegende Richtlinie der EU verlangt nicht zwingend die Umsetzung in deutsches Recht. Zu Protokoll gegebene Reden Richard Pitterle Die Bundesregierung spricht von Kostenersparnissen und Bürokratieabbau. Das klingt für die Öffentlichkeit immer gut. Wer wollte schon dagegen sein? Für den Wirtschaftspraktiker sieht das Bild jedoch ganz anders aus. Er weiß, dass die Kreditinstitute Unterlagen für ihre Kreditentscheidungen benötigen; ich erinnere hier an § 18 KWG. Er weiß, dass das Finanzamt neben den Steuererklärungen eine Steuerbilanz sehen will und die Taxonomie der Euro-Bilanz gut gefüllt sein soll. In beiden Fällen liefert der HGB-Jahresabschluss die Grundlagen. Somit sind die vorgesehenen Erleichterunge bei der Aufstellung des Jahresabschlusses vernachlässigbar, wenn man etwas weiter denkt. Blieben also lediglich potenzielle Einsparungen bei den Kosten für die Veröffentlichung des Jahresabschlusses. Doch diese sind für kleine Unternehmen schon heute gering. Aus der Sicht der Wirtschaft werden sich die Erleichterungen für die Kleinstkapitalgesellschaften also in einer sehr überschaubaren Größenordnung bewegen. Solange die Finanzverwaltung die Vereinfachungen und Verkürzungen nicht akzeptiert, wird es keine nennenswerten Entlastungen für die Kleinstkapitalgesellschaften geben. Und das kann die Finanzverwaltung wegen der Euro-Bilanz nicht machen. Ich möchte abschließend noch an das Ziel erinnern, das mit der Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses verbunden ist, nämlich dass der Kaufmann sich einen Überblick über seinen Betrieb machen soll. Ich zitiere § 242 HGB: Erster Absatz: „Der Kaufmann hat zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluß… aufzustellen.“ Zweiter Absatz: „Er hat für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs eine Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahrs – Gewinnund Verlustrechnung – aufzustellen.“ Diese Vorschriften wurden eingeführt, weil sich früher viele Kaufleute keine Übersicht über ihre Geschäfte verschafften und dadurch in Insolvenz gerieten. Doch das, was früher galt, gilt auch heute. Auch der Kleinstunternehmer braucht einen Überblick über seine Geschäfte, sein Vermögen und vor allem seinen Erfolg, also eine Antwort auf die Frage: Lohnt sich seine unternehmerische Tätigkeit für ihn? Die Linke ist für die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und für Bürokratieabbau, doch sie sieht auch, dass die kleinen Unternehmen geschützt werden müssen – manchmal auch vor sich selbst, wie wir bei dem Ansturm zahlreicher Kleinunternehmer auf die britische Rechtsform Limited gesehen hatten, die viele wegen leichter Gründung, keines Mindestkapitals und beschränkter Haftung wählten, ohne zu erkennen, welche Folgepflichten mit dieser Rechtsform verbunden waren. Da sind viele bitter aufgewacht. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





(A) (C)


(D)(B)


Großes wird versprochen: Mit dem Gesetzentwurf
will die Bundesregierung Kleinstkapitalgesellschaften
von den strengen Veröffentlichungspflichten im Hinblick
auf den Jahresabschluss entlasten – Stichwort „Büro-
kratieabbau“. Aber wie so oft stehen hinter dem großen
Versprechen von CDU/CSU und FDP nur Marginalitä-
ten. Schön hat es der Verein Deutscher Ingenieure im
August auf den Punkt gebracht: „Das „Kleinstkapital-
gesellschaften-Bilanzänderungsgesetz“ wird weniger
Entlastung bringen, als es sein monströser Name vermu-
ten lässt.“

Momentan sind die Pflichten zur Rechnungslegung
und Offenlegung für Kapital- und Personenhandelsge-
sellschaften sehr umfassend. Derzeit muss die Vorjah-
resbilanz mit Anhang verpflichtend jährlich im Bundes-
anzeiger veröffentlicht werden. Unternehmen, die der
Offenlegung nicht oder nicht fristgerecht nachkommen,
drohen hohe Ordnungsgelder ab 2 500 Euro aufwärts.
Besonders für sehr kleine Gesellschaften kann das eine
enorm hohe Belastung bedeuten.

Nun legt der Gesetzentwurf die neue Kategorie der
Kleinstkapitalgesellschaft fest. Das sind Unternehmen,
die zwei der drei folgenden Merkmale an zwei aufeinan-
der folgenden Abschlussstichtagen nicht überschreiten:
Umsatzerlöse bis 700 000 Euro, Bilanzsumme bis
350 000 Euro und durchschnittlich zehn Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer. Zur Offenlegung müssen
diese Kleinstkapitalgesellschaften zwar auch künftig ih-
ren Jahresabschluss elektronisch beim Bundesanzeiger
einreichen. Sie können sich aber aussuchen, ob sie ihn
im Bundesanzeiger bekannt machen lassen oder ob sie
ihn lediglich zur dauerhaften Hinterlegung beim Unter-
nehmensregister einreichen. So oder so: Die Unterlagen
müssen dann aber trotzdem rechtzeitig elektronisch beim
Bundesanzeiger eingereicht werden. Viel Entlastung
kann dadurch also nicht erwartet werden.

Wirkungsvoller ist da eher, dass Kleinstkapitalgesell-
schaften keinen Anhang zur Bilanz mehr erstellen müs-
sen. Dafür müssen unter der Bilanz ein paar mehr zu-
sätzliche Angaben gemacht werden, so zum Beispiel die
Darstellung der Haftungsverhältnisse.

Schließlich wurde die Darstellungstiefe für Kleinst-
kapitalgesellschaften hinsichtlich des Jahresabschlusses
geändert, das heißt: Es kann ein vereinfachtes Gliede-
rungsschema angewendet werden.

So weit, so gut. Das eigentliche Problem bleibt davon
aber völlig unberührt: die unangemessen hohen Ord-
nungsgelder, die zu entrichten sind, wenn die Rech-
nungsunterlagen nicht spätestens 12 Monate nach
Abschluss des Geschäftsjahres beim Bundesanzeiger
elektronisch eingereicht wurden und die sechswöchige
Androhungsfrist im Ordnungsgeldverfahren abgelaufen
ist.

Jetzt werfen wir noch einmal einen Blick auf gerade
die kleinen Unternehmen, denen eigentlich geholfen
werden sollte: Für sie ist der buchhalterische Aufwand
bei der Erstellung des Jahresabschlusses schwerer zu

Zu Protokoll gegebene Reden





Beate Walter-Rosenheimer


(A) (C)



(D)(B)


erfüllen als für mittlere und große Unternehmen. In den
Ordnungsverfahren der Jahre 2009 und 2010 wurden
laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von
uns Grünen 97 Prozent der Ordnungsgeldverfahren
gegen kleine Unternehmen eingeleitet. Das ist eine hap-
pige Zahl und zeigt ja ganz deutlich, dass gerade kleine
Unternehmen Schwierigkeiten mit der starren derzeiti-
gen Regelung haben. Von einzelnen Unternehmen habe
ich auch erfahren, dass die nicht pünktlich veröffent-
lichen konnten, weil wesentliche Verfahrensinformatio-
nen gefehlt haben und das Bundesamt für Justiz auf Fra-
gen nicht reagiert hat. Statt Antworten flatterten den
Betroffenen dann gelbe Briefe mit bereits eingeleiteten
Ordnungsgeldverfahren ins Haus.

Nun zur Höhe des Ordnungsgeldes: Mindestens
2 500 Euro sind für kleine Unternehmen ein harter
Schlag – bis hin zur Existenzbedrohung. Die Bundesre-
gierung hätte am Ordnungsgeldverfahren durchaus Än-
derungen vornehmen können. Die EU-Richtlinie gibt
hier keine verpflichtenden Details vor. Doch Schwarz-
Gelb hat es verpasst, spürbare Entlastung bei der Höhe
der Ordnungsgelder umzusetzen. Nicht einmal eine An-
passung der Ordnungsgelder an die Unternehmensgrö-
ßen wurde vorgenommen. Dabei ist doch vollkommen
klar, dass ein kleiner Handwerksbetrieb von 2 500 Euro
unverhältnismäßig schwerer getroffen wird als ein
Großkonzern.

Jetzt kommt noch dazu, dass es in kleinen Unterneh-
men ab und zu vorkommt, dass nur eine Person für die
Rechnungslegung und Buchhaltung verantwortlich ist.
Nicht immer gibt es Vertretungskräfte. Wir reden hier
immerhin von Kleinstunternehmen, die vielleicht eine
Handvoll Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben.
Wenn nun der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführe-
rin krank wird, kann sich die Einreichung der Bilanz
drastisch verzögern. Mir ist auch ein Fall bekannt, in
dem durch einen Brand sämtliche Unterlagen zerstört
wurden. Ob die Unternehmer es in dem Fall gewollt hät-
ten oder nicht: Der Jahresabschluss konnte so faktisch
nicht erstellt werden. Für solche und ähnliche Fälle
müsste das Bundesjustizministerium mehr Flexibilität
beweisen und nicht gleich nach starr bürokratischer Art
mit Ordnungsgeldern drohen.

Würde die Bundesregierung die Besonderheiten von
Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften wirklich verste-
hen und hätte sie es mit der Unterstützung ernst gemeint,
hätten viel wirksamere Änderungen angegangen werden
können. So aber bleibt das „Kleinstkapitalgesellschaf-
ten-Bilanzänderungsgesetz“ nicht mehr als ein zahnlo-
ser Tiger; viel Lärm um fast nichts.

D
Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1720435100


Bürokratieabbau und Deregulierung sind zentrale
Leitlinien der Arbeit dieser Bundesregierung. Mit dem
zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf wird ein weite-
res Element des Bürokratieabbaus hinzugefügt.

Nachdem wir bereits in der letzten Sitzungswoche
– von vielen vielleicht nicht bemerkt – mit dem Jahres-

steuergesetz auch die handelsrechtlichen Aufbewahrungs-
fristen für Unterlagen der Rechnungslegung erheblich
reduziert haben, wird der Weg des Bürokratieabbaus mit
dem vorliegenden Gesetz weiter fortgesetzt. Es geht um
die Entlastung der Kleinstkapitalgesellschaften von Vor-
gaben der Rechnungslegung. Erfasst werden damit vor
allem Kleinst-GmbHs mit wenigen Mitarbeitern und ge-
ringem Geschäftsumfang.

Während allerdings bei den erwähnten handelsrecht-
lichen Aufbewahrungsfristen keinerlei EU-rechtliche
Vorgaben existieren, ist eine Entlastung im Bereich des
Bilanzrechts nur durch die Änderung der bestehenden
EU-Richtlinien möglich. Die Bundesregierung hatte
deshalb in der Vergangenheit die Initiative der Kommis-
sion, Kleinstunternehmen von entsprechenden EU-Vor-
gaben zu entlasten, immer unterstützt. Der nach langen
und strittigen Verhandlungen gefundene Kompromiss
hat sich zwar von dem ursprünglichen Vorschlag erheb-
lich entfernt – aber auch hier gilt: Lieber diese Entlas-
tung als gar keine Entlastung.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung entlastet
circa 500 000 Unternehmen. Das erreichen wir, indem
wir die EU-rechtlichen Schwellenwerte für die Anerken-
nung als Kleinstkapitalgesellschaften voll ausschöpfen.

Bei den allermeisten dieser Unternehmen wird der
Gesetzentwurf schon Auswirkungen auf die Rechnungs-
legung für das Jahr 2012 haben. Das Bilanzgeschäfts-
jahr vieler Unternehmen endet zum Ende des Jahres;
und genau zu diesem Zeitpunkt soll nach dem Vorschlag
der Bundesregierung die Neuregelung bereits greifen.
Die Unternehmen können dann beispielsweise erleich-
terte Gestaltungsformen in der Bilanz und der Gewinn-
und Verlustrechnung nutzen.

Zudem entfällt die Pflicht zur Erstellung eines An-
hangs zur Bilanz völlig – eine häufige Fehlerquelle ge-
rade bei Kleinstunternehmen in der Vergangenheit. Die
Unternehmen müssen nur einen eng begrenzten Katalog
von Informationen unter der Bilanz aufnehmen, falls
diese überhaupt einschlägig sind.

Schließlich können die Kleinstunternehmen die all-
gemeine Veröffentlichungspflicht im frei zugänglichen
Bundesanzeiger dadurch ersetzen, dass sie die Rech-
nungslegungsunterlagen beim Betreiber des Bundesan-
zeigers hinterlegen. Sie sind dann dort für Dritte nur im
gebührenpflichtigen Einzelabruf erhältlich.

Der Gesetzentwurf nutzt damit im Kern alle Optionen,
die das EU-Recht seit kurzem gewährt.

Die Bundesregierung will auch bewusst mit der Um-
setzung nicht auf den Abschluss der derzeit laufenden
Beratungen zur umfassenden Reform der EU-Bilanz-
richtlinien warten. Vielmehr sollen die Entlastungen so
schnell wie möglich an die Unternehmen weitergegeben
werden.

Lassen Sie uns deshalb den Gesetzentwurf jetzt zügig
beraten, damit die Kleinstkapitalgesellschaften mög-
lichst rasch Rechtssicherheit erhalten und die neuen Op-
tionen nutzen können.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



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Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720435200

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/11292 und 17/11353 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines …
Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsge-
setzes

– Drucksache 17/11317 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) –
Alle sind damit einverstanden.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11317 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann ha-
ben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schlich-
tung im Luftverkehr

– Drucksache 17/11210 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. – Alle sind damit ein-
verstanden.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1720435300

Schlichtungsstellen sind in allen Branchen, in denen

sie eingerichtet werden konnten, Erfolgsgeschichten.
Deshalb hat es sich die christlich-liberale Koalition zum
Anliegen gemacht, auch im Luftverkehr die Schlichtung
zu etablieren. Künftig kann sich nun auch jeder Fluggast
bei Problemen an eine Schlichtungsstelle wenden, egal
ob es um Überbuchung, Annullierung, Verspätung oder
Schäden am Gepäck geht.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
sieht eine zweigleisige Schlichtungsstruktur im Luftver-
kehr vor: eine privatrechtlich organisierte Schlichtung
sowie eine bei einer Bundesbehörde einzurichtende be-
hördliche Schlichtung für die wenigen ausländischen
Airlines, die sich bislang noch nicht freiwillig beteiligen

wollen. Die Mehrzahl der Branche aber verhält sich
sehr vernünftig.

Für die Schlichtung soll dabei eine Bagatellgrenze
von 10 Euro gelten. Die vorherige Geltendmachung des
Anspruchs gegenüber dem Luftfahrtunternehmen soll
Voraussetzung für die Anrufung der Schlichtungsstelle
sein. Der Gesetzentwurf sieht zudem die Möglichkeit
vor, künftig eine maximal 20 Euro hohe Schlichtungsge-
bühr vor Einleitung des Schlichtungsverfahrens beim
Fluggast zu erheben, die im Falle eines begründeten An-
spruchs vom Luftfahrtunternehmen dann zu erstatten ist.
Im Rahmen einer Evaluierung wird nach zwei Jahren
überprüft, wie hoch die Erfolgsquote bei der Anrufung
der Schlichtungsstelle ist. Besteht die überwiegende
Zahl der geltend gemachten Ansprüche nicht, könnte
eine solche Gebühr dann von der Schlichtungsstelle ein-
geführt werden. Bis dahin gilt jedenfalls zunächst ein-
mal Schlichtung ohne „Eintrittsgebühr“ für jedermann.

Die Zusage zur Teilnahme der im Bundesverband der
Deutschen Luftverkehrswirtschaft e.V., BDL, zusammen-
geschlossenen deutschen Luftfahrtunternehmen und der
im Board of Airline Representatives in Germany e.V.,
BARIG, organisierten ausländischen Luftfahrtunterneh-
men an einer privatrechtlichen Schlichtungsstelle lässt
auf eine erfolgreiche Schlichtung im Flugverkehr hoffen.

Eine Schlichtung unter einem Dach wäre die Ideal-
lösung gewesen; das will ich offen sagen. Die söp, die
bestehende Schlichtungsstelle für den öffentlichen Per-
sonenverkehr e.V., funktioniert; sie leistet gute Arbeit.
Dennoch müssen die wirtschaftlichen Bedingungen für
alle Beteiligten stimmen. Den Fluggesellschaften ist die
söp zu teuer, ein gemeinsamer Nenner war trotz vieler
Gespräche nicht zu erreichen. Die Kostenstruktur der
söp, Stichwort „Fallpauschale“, wäre aus Sicht der Air-
lines ein Nachteil im harten internationalen Wettbewerb.

Das Wesen einer Schlichtungsstelle liegt aber gerade
in der freiwilligen Teilnahme. Gesetzlicher Zwang ist
nicht zielführend, da niemand gesetzlich gezwungen
werden kann, Schlichtersprüche abschließend zu akzep-
tieren. Gemäß dem Justizgewährleistungsanspruch kann
der Rechtsweg nicht abgeschnitten werden. Eine
Schlichtungsstelle ist aber nur dann effektiv, wenn sie
von einer breiten Akzeptanz der jeweiligen Branche ge-
tragen wird, sprich: wenn der Schlichtungsspruch auch
akzeptiert wird. Nur dann ist den Verbrauchern wirklich
geholfen; nur dann werden Gerichte entlastet. Im Übri-
gen gilt auch: Je höher die Fallpauschale, desto mehr
zahlen diejenigen, die keine Beschwerden haben; auch
für diese Kunden würden die Tickets teurer. Wichtig ist,
dass die Fluggesellschaften nun weit mehrheitlich einer
brancheninternen Schlichtung zugestimmt haben. Alle
Verkehrsträger beteiligen sich damit in Zukunft an einer
Schlichtungsstelle.

Der Gesetzentwurf enthält auch die notwendige Auf-
fanglösung für die eigentlichen Problemkinder, Airlines
wie Easyjet und Ryanair, die sich hartnäckig nicht frei-
willig beteiligen. Gleichwohl bleibt hier am Ende des
Tages „nur“ der Weg zum Gericht, wenn diese Airlines
ein behördliches Schlichtungsergebnis nicht akzeptie-1) Anlage 11





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


ren. Das müssen die Fluggäste vor Augen haben, wenn
sie Tickets kaufen.

Das sogenannte Y-Modell ist eine gute Lösung. Die
Verbraucher haben ein digitales Schlichtungseingangs-
portal mit zwei Ausgängen. Sie können sich entweder
unmittelbar zur söp oder zur Schlichtungsstelle der Air-
lines durchklicken. Fälle mit Bezug zu EasyJet und
Ryanair werden von der Schlichtungsstelle der Airlines
dann automatisch an die behördliche Schlichtungsstelle
weitergegeben, die Betroffenen darüber informiert.

Im weiteren parlamentarischen Verfahren bleibt zu
prüfen, ob, wie vorgesehen, eine Begrenzung der An-
sprüche von Passagieren auf 5 000 Euro sinnvoll ist.
Auch bei höheren Streitwerten kann die Schlichtung ziel-
führend sein. Darüber hinaus sollte bezüglich einer et-
waigen zukünftigen Eintrittsgebühr klargestellt werden,
wie unzulässige Anrufungen der Schlichtungsstelle bei
der Berechnung der Misserfolgsquote einzubeziehen
sind. Es spricht zudem einiges dafür, die für die Be-
schwerdebearbeitung vorgesehene Regulierungsfrist
von 30 auf 60 Tage zu verdoppeln. 30 Tage dürften wohl
zu eng bemessen sein, um Schnelligkeit und gebotene
Sorgfalt bei der Bearbeitung ins Verhältnis zu setzen.
Die söp geht von einer Frist von drei Monaten aus.


Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1720435400

„Der Weg ist das Ziel“ – so wird Konfuzius gern und

oft zitiert. Bei Reisen ist der Weg einfach der Weg. Und
der ist mehr oder weniger beschwerlich. Und wenn dann
noch Unannehmlichkeiten hinzukommen, wie Annullie-
rungen, Verspätungen oder Gepäckschäden, bleibt der
Weg in schlechter Erinnerung.

Nun liegt uns der Gesetzentwurf zur Schlichtung im
Luftverkehr vor. Verbraucherfreundlich kann sich der
Fluggast nun bei Problemen rund um seinen Flug an die
Schlichtungsstelle wenden.

Schlichtung ist ein sinnvolles Instrument der Streit-
beilegung und hat sich in den letzten Jahren in vielen
Branchen bewährt. Denken Sie an die Schlichtungsstel-
len im Versicherungs- und Bankenbereich oder auch die
„Reiseschiedsstelle“ für online gebuchte Reisen.

Auch von Fluggästen werden Verbraucheransprüche
in größerer Zahl und mit ähnlichen Sachverhalten gel-
tend gemacht. Sie sind meist einfach zu beurteilen und
haben eher einen geringen Streitwert. Deshalb sind sie
für die außergerichtliche Schlichtung geeignet.

Im Koalitionsvertrag hat die christlich-liberale Koali-
tion vereinbart, eine unabhängige, verkehrsübergreifende
Schlichtungsstelle gesetzlich zu verankern. Die Schlich-
tungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.,
söp, hat sich zu einer wichtigen Anlaufstelle für Fahr-
gäste entwickelt. Ich stimme meinem Kollegen Marco
Wanderwitz zu: Ich hätte auch lieber eine verkehrsüber-
greifende Schlichtungsstelle unter einem Dach gehabt.
Leider konnten sich söp und Fluggesellschaften nicht ei-
nigen; Stichwort Fallpauschale. Ich denke aber, dass
wir mit diesem Gesetzentwurf eine gute Lösung gefun-
den haben.

Die deutschen Luftfahrtunternehmen, die im Bundes-
verband der Luftverkehrswirtschaft, BDL, organisiert
sind, und die ausländischen, die im Board of Airline Re-
presentatives in Germany e. V. organisiert sind, haben
sich nach intensiven Bemühungen unserer Bundesregie-
rung bereit erklärt, sich freiwillig an einer privatrecht-
lich organisierten Schlichtungsstelle zu beteiligen. Eine
Schlichtungsstelle macht aber nur Sinn und ist nur dann
im Sinne der Verbraucher, wenn sich auch alle Unter-
nehmen dieser Branche daran beteiligen. Leider gibt es
schwarze Schafe, die das nicht wollen. Aber das darf für
die Fluggäste kein Nachteil sein. Der vorliegende Ge-
setzentwurf sieht die Möglichkeit vor, in solchen Fällen
eine behördliche Schlichtungsstelle anzurufen.

Das ist Verbraucherschutz.

Es ist aber nur dann wirksamer Verbraucherschutz,
wenn der unzufriedene Fluggast sich nicht erst durch ei-
nen Schlichtungsstellendschungel quälen muss, bis er
die richtige findet. Deshalb unterstütze ich das derzeit
von den Flugunternehmen angedachte „Y-Modell“, also
ein Portal mit zwei Schlichtungsstellen. Der Verbraucher
kann sich dann entweder an die söp oder die Schlich-
tungsstelle der Airlines wenden.

Was aber machen wir mit den Airlines, die sich nicht
freiwillig der Schlichtungsstelle anschließen? Das Modell
sieht vor, dass Beschwerden, die diese Airlines betreffen,
automatisch an die behördliche Schlichtungsstelle wei-
tergegeben werden. Für den Verbraucher entstünde kein
besonderer Aufwand.

Schlichtung ermöglicht den Verbrauchern eine
schnelle und im Allgemeinen kostenlose Streitbeilegung.
Aber auch für die Unternehmen hat die außergericht-
liche Schlichtung den Vorteil, dass sie den Kunden eher
an sich binden können, als wenn es zu einer gericht-
lichen Auseinandersetzung kommt. Dass sich ein Unter-
nehmen freiwillig an einer Schlichtungsstelle beteiligt
und dem Kunden diese Möglichkeit eröffnet, erzeugt si-
cherlich auch Vertrauen und ist ein Vorteil im Wettbe-
werb. Deshalb hoffe ich, dass sich auch die anderen Air-
lines überzeugen lassen, an der Schlichtungsstelle
freiwillig teilzunehmen. Sie gesetzlich zwingen, wie die
Verbraucherzentrale es fordert, wollen wir nicht. Das
Verfahren beruht auf Freiwilligkeit. Was hätte der Ver-
braucher davon, wenn die Fluggesellschaft zur Teil-
nahme gezwungen würde, dann aber keinen Schlichter-
spruch akzeptiert?

Ein wichtiger Aspekt für die Verbraucher sind natür-
lich die Kosten. Wenn nach einer zweijährigen Evaluie-
rungsphase überwiegend Ansprüche geltend gemacht
wurden, die nicht bestanden haben, kann die Schlich-
tungsstelle eine Gebühr von 20 Euro von dem Fluggast
verlangen. Diese wird zurückgezahlt, sollte der An-
spruch begründet sein.

Diese Regelungen sind sinnvoll.

Eine Schutzgebühr ist notwendig, damit die Schlich-
tungsstelle nicht überlastet wird. Die Gebühr darf aber
keinesfalls eine Hürde darstellen, also nicht so hoch
sein, dass sie Verbraucher, die einen begründeten An-

Zu Protokoll gegebene Reden





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


spruch haben, abschrecken würde! 20 Euro halte ich für
angemessen.

Wenn allerdings „die Geltendmachung des An-
spruchs missbräuchlich“ war, muss der Fluggast eine
Gebühr zahlen. Dabei ist mir besonders wichtig: Der
Verbraucher muss vor Einleitung des Schlichtungsver-
fahrens informiert werden, sollte es zu Gebühren kom-
men, weil die Schlichtungsstelle missbräuchlich in An-
spruch genommen wird.

Einerseits müssen sich die Fluggesellschaften natür-
lich vor Querulanten schützen dürfen. Andererseits darf
ein unbedachter Fluggast auch nicht mit Gebühren be-
straft werden. Das müssen wir beobachten.

Das Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr bringt
viele Vorteile für die Verbraucher. Die Schlichtungsstelle
bringt grundsätzlich gebührenfrei und schnell Ergeb-
nisse; der Verbraucher hat damit eine gute Möglichkeit,
seinem Recht Geltung zu verschaffen.


Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1720435500

Wir haben 2009 nach langen und intensiven Diskus-

sionen die Rechte von Bahnkunden gestärkt. Wir haben
dafür gesorgt, dass Kundinnen und Kunden der Bahn
auf klar geregelte Fahrgastrechte bauen können und
nicht mehr als Bittstellerinnen und Bittsteller auf die
Kulanz der Bahn hoffen müssen.

Bereits seit Februar 2005 ist die EU-Fluggastrechte-
Verordnung 261/2004 in Kraft. Auf dieser Grundlage
könnten die Fluggäste ihre Rechtsansprüche gegenüber
den Fluggesellschaften geltend machen. Eigentlich! Seit
Jahren zeigt sich aber, dass die Fluggesellschaften mit
allen möglichen Tricks versuchen, sich um die Zah-
lungsverpflichtungen zu drücken. Statt sich um eine
außergerichtliche Streitbeilegung, also um eine Schlich-
tung, zu bemühen, müssen die Gerichte ein ums andere
Mal die Luftfahrtunternehmen auf ihre Verpflichtung zu
Ausgleichsleistungen verurteilen. Erst vor zwei Wochen
wieder hat der Europäische Gerichtshof ein entspre-
chendes Urteil gefällt und erneut die Rechte der Flug-
gäste gestärkt.

Eine Schlichtungsstelle ist wichtig und notwendig,
eine Beteiligung der Luftverkehrsunternehmen ebenso.
Es würde ihnen die Chance eröffnen, ihr Verhältnis zu ih-
ren Kundinnen und Kunden zu verbessern, neues
Vertrauen aufzubauen und damit den entstandenen Image-
schaden zu heilen. Dies gilt vor allem mit Blick auf dieje-
nigen Airlines, die bis heute über kein Beschwerdema-
nagement verfügen und deren Ziel bisher nur die
Abwehr von Verbraucheransprüchen ist.

Um es ganz klar zu sagen: Schlichtung ersetzt nicht
das Beschwerdemanagement bei den Verkehrsunterneh-
men. Schlichtung stellt vielmehr eine unverzichtbare Er-
gänzung zu einem guten Beschwerdemanagement dar.
Aber: Wir brauchen eine verkehrsträgerübergreifende
Schlichtungsstelle, und diese muss für alle Verkehrsträ-
ger – selbstverständlich auch für die Luftfahrtunterneh-
men – verpflichtend sein! Alles andere ist Murks.

Die unübersichtliche Aufsplitterung der Zuständig-
keit, je nach Verkehrsträger und dann auch noch be-
hördlich und privatrechtlich organisiert, verursacht
Nachteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher
und ist ganz einfach nicht effektiv.

Richtig angesiedelt ist die Schlichtung bei der
„Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
kehr“, söp, die ja verkehrsträgerübergreifend konzipiert
ist und eine hervorragende Arbeit leistet. Ich erinnere
daran, dass die Verbraucherschutzminister der Länder
dies bereits im September 2010 gefordert haben.

Ich begrüße und unterstütze die Kritik des Bundesra-
tes am Gesetzentwurf der Bundesregierung:

Die vorhergesehene Regulierungsfrist muss von
30 Tage auf 90 Tage ausdehnt werden, denn die bishe-
rige Frist ist kaum erreichbar.

Die Luftfahrtunternehmen sollen gesetzlich verpflich-
tet werden, auf ihrer Internetseite, in ihren AGB und in
den Reiseverträgen in geeigneter Weise bekannt zu ma-
chen, dass die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens
besteht und welche Schlichtungsstelle für die Behand-
lung der gegen sie geltend gemachten Ansprüche von
Fluggästen zuständig ist.

Mit Eingang eines Schlichtungsantrages soll ein An-
spruch auf Entgelt an die Schlichtungsstelle entstehen,
da für diese ein Aufwand entsteht.

Die Begrenzung der Zuständigkeit der Schlichtungs-
stelle auf bestimmte Rechtsverstöße, Verbraucher-
streitigkeiten und vor allem Zahlungsansprüche bis
5 000 Euro soll gestrichen werden.

Ich hoffe sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der
Koalitionsfraktionen in den anstehenden parlamentari-
schen Beratungen in den Ausschüssen gemeinsam mit
uns die Kritik aufgreifen und entsprechende Änderungen
im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den
Weg bringen.


Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1720435600

Ich freue mich, dass wir einen breiten Konsens da-

rüber haben, dass eine Schlichtungsstelle für Flugrei-
sende eine wichtige Einrichtung ist. Der vorliegende
Gesetzentwurf der Bundesregierung dokumentiert, dass
auch die Bundesregierung dieses Ziel verfolgen will.

Ein weiterer breiter Konsens besteht in der positiven
Bewertung der qualitativ hochwertigen Arbeit der
Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr
e.V., söp. Die Schaffung einer verkehrsträgerübergrei-
fenden Schlichtung für den Luftverkehr unter dem Dach
der söp ist daher wünschenswert.

Es gibt gute Gründe: Derzeit warten rund 2 500 Flug-
reisende auf eine Schlichtungsempfehlung zur Beendi-
gung ihres Streitfalles. Die söp könnte dies professionell
und in einem überschaubaren Zeitrahmen erledigen.
Aber leider beschränken sich die Unterstützungsbekun-
dungen der Koalition oftmals nur auf verbale und
schriftliche Darlegungen. So ist es auch bei dem vorlie-
genden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Eine Un-

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulrike Gottschalck


(A) (C)



(D)(B)


terstützungsabsicht ist dem Gesetzentwurf zu entneh-
men. Bei einer konkreten Durchführung der Einrichtung
einer verkehrsträgerübergreifenden Schlichtungsstelle
für den Luftverkehr unter dem Dach der söp hapert es
allerdings bei der Bundesregierung und ihrem Gesetz-
entwurf.

Konkret schlägt die Bundesregierung in ihrem Ent-
wurf mehrere verschiedene Schlichtungsstellen allein
für den Luftverkehr vor: die söp und eine oder mehrere
private Schlichtungsstellen, die von deutschen Luftfahrt-
unternehmen auf freiwilliger Basis neu gegründet wer-
den sollen. Hinzu soll dann noch eine behördliche
Schlichtungsstelle kommen, für die Probleme mit Luft-
verkehrsunternehmen, die anderen Schlichtungsstellen
nicht freiwillig beitreten. Diese unnötigen Parallel-
strukturen sind nicht verbraucherfreundlich, weil Flug-
gäste zunächst die überhaupt zuständige richtige
Schlichtungsstelle finden müssten.

Intermodalität wird heute von jedem praktiziert und
von Politik und Unternehmen in die Planungen mit ein-
bezogen. Die EU will vereinheitlichte Zugänge für die
Verbraucherinnen und Verbraucher, um die Nutzung ei-
ner Mobilitätskette von verschiedenen Verkehrsträgern
zu erleichtern. Dies bezieht sich sowohl auf Fahrscheine
und Reiseverträge als auch auf Anlaufstellen für
Beschwerden und Schlichtungsstellen. Die EU-Kommis-
sion formulierte bereits in ihrer Mitteilung vom Dezember
letzten Jahres: Es „sind EU-Passagierrechte notwendig,
die den Reisenden einheitliche Zugangsbedingungen
und ein grundlegendes Dienstleistungsniveau garantie-
ren – Mitteilung über die Rechte der Benutzer aller

(COM zember 2011)

Kommission: „Die Bereitstellung „durchgehender
Fahrscheine“, das heißt ein Beförderungsvertrag für
verschiedene Reiseabschnitte mit einem Verkehrsträger)
und integrierte Fahrscheine, das heißt ein Vertrag für
eine intermodale Beförderungskette, erleichtert das Rei-
sen und stärkt die Passagierrechte.“ „Die Verwirkli-
chung des intermodalen Verkehrs, etwa durch integ-
rierte Beförderungsverträge, erfordert eine Anpassung
des gesetzlichen Rahmens für Passagierrechte, damit
das Problem, wenn es bei intermodalen Beförderungen
zu Störungen an einem Umsteigepunkt kommt, gelöst
werden kann“.

Dass dieses Ziel auch notwendig ist, zeigen Ergeb-
nisse verschiedener Untersuchungen und Umfragen, wie
der repräsentativen Quotas-Umfrage im Rahmen des
EU-Projektes USEmobility, das in sechs europäischen
Ländern, darunter auch Deutschland, durchgeführt
wurde. Laut dieser Umfrage wählen zwei Drittel der
Reisenden einen Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln
für ihre täglichen Wege. Mit 77 Prozent weist Deutsch-
land von allen europäischen Ländern die höchste Multi-
modalität auf.

Als Antwort auf die vorhandene Intermodalität for-
dern wir Sozialdemokraten die Schaffung einer ver-
kehrsträgerübergreifenden Schlichtungsstelle, an die
sich Reisende bei allen Problemen – egal ob Bahn-,
Flug-, Schiffs- oder Busreise wenden können. Hierzu

hätte die Bundesregierung nach dem Vorbild der
Schlichtungsstelle Energie die Unternehmen gesetzlich
zur Teilnahme verpflichten müssen.

Betrachtet man den vorliegenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung genauer, muss man leider feststellen,
dass die gute Absicht, die Verbraucherrechte für Flug-
reisende zu stärken durch die Ausgestaltung des Gesetz-
entwurfes eingeschränkt wird.

Obwohl nach den Erfahrungen der mehrjährigen
Schlichtungsarbeit der söp die Quote rechtsmissbräuch-
lich erhobener Beschwerden unter 1 Prozent liegt, hält
sich die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf die
Möglichkeit offen, in so einem Fall Kosten von bis zu
20 Euro auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ab-
zuwälzen. Dies kann Fluggäste davon abhalten, sich mit
ihrer Beschwerde an eine Schlichtungsstelle zu wenden.

Die Bundesregierung begrenzt die Zuständigkeit der
Schlichtungsstellen auf bestimmte Rechtsverstöße, Ver-
braucherstreitigkeiten und auf Zahlungsansprüche über
10 und bis zu 5 000 Euro. Bei dieser Eingrenzung wären
aber beispielsweise Streitigkeiten über fehlerhafte In-
ternetbuchungen und über Stornogebühren für eine
Schlichtung nicht zulässig. Obwohl die Schlichtung ein
freiwilliges Verfahren ist, dass jederzeit abgebrochen
werden kann und der Schlichterspruch von beiden Par-
teien akzeptiert werden muss, wird dieses Verfahren im
vorliegenden Gesetzentwurf unnötigerweise einge-
grenzt.

Die Verfahrensordnung der söp sieht stattdessen eine
Obergrenze des Streitwertes von 30 000 Euro vor. Diese
Schlichtungsstelle schlichtet auch Streitfälle, die Körper-
und Sachschaden zum Gegenstand haben. Die von der
Bundesregierung getroffenen Eingrenzungen schließen
dagegen einen großen Teil von Streitfällen für ein
Schlichtungsverfahren aus.

Bereits im Herbst 2010 hatte die Konferenz der Ver-
braucherschutzminister der Länder die Bundesregie-
rung dazu aufgefordert, die Schlichtungsstelle für den
öffentlichen Personenverkehr verpflichtend für alle in
Deutschland tätigen Reiseverkehrsunternehmen gesetz-
lich festzuschreiben.

Wir sind der Ansicht: Diese Forderung ist durch
nichts zu ersetzen und mit Sicherheit nicht durch diesen
Gesetzentwurf.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720435700

Als Verbraucher will ich die Leistung haben, für die

ich auch bezahlt habe. Bekomme ich die Leistung nicht
oder nicht in der vereinbarten Qualität, will ich einen
Ersatz für den entstandenen Schaden. Darum ist es ein
demokratisches Recht, sich an eine Stelle wenden zu
können, die bei der Durchsetzung von Rechten hilft. Das
muss nicht immer gleich mit dem Gang zum Gericht ver-
bunden sein. Darum ist es sinnvoll, außergerichtliche
Schlichtung anzubieten, die den Geschädigten davor
schützen kann, nicht auch noch das Risiko zusätzlicher
Kosten einzugehen.





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


Verbraucherinnen und Verbraucher wollen ohne bü-
rokratischen Aufwand zu ihrem Recht kommen. Und sie
wollen auch nicht lange suchen, wer denn für was zu-
ständig ist. Ein Anliegen, ein Ansprechpartner. Dieses
Prinzip heißt auf Fahrgastrechte übertragen, dass es für
mich einen Ansprechpartner gibt, der mich unterstützt,
die Rechtmäßigkeit meiner Beschwerde zu prüfen, und
dabei hilft, berechtigte Interessen durchzusetzen. Diesen
Anspruch erfüllt der hier vorliegende Gesetzentwurf
überhaupt nicht. Aus Sicht der Verbraucher ist er un-
tauglich. Denn er ist nicht aus dem Blickwinkel der Ver-
braucher geschrieben. Die Bundesregierung hat sich
von ihrem Vorhaben verabschiedet, eine unabhängige
Schlichtungsstelle zu schaffen, die für alle Reisenden zu-
ständig ist, egal ob sie per Bahn, Bus, Schiff oder Flug-
zeug unterwegs sind. Die Fluggesellschaften weigern
sich standhaft, eine neutrale Schlichtungsstelle für alle
zu akzeptieren. Was macht die Bundesregierung? Sie
kuscht und legt uns einen Gesetzentwurf vor, der exklu-
siv für die Luftverkehrsgesellschaften gemacht ist. Das
überrascht nicht wirklich. Schließlich hat der Kollege
Patrick Döring vor einem Jahr hier im Plenum angekün-
digt – ich zitiere –: „Unser Ziel bleibt, gemeinsam mit
der betroffenen Wirtschaft ein gutes Gesetz auf den Weg
zu bringen.“ Es stimmt, das Gesetz ist eindeutig mit oder
vielleicht sogar von der betroffenen Wirtschaft auf den
Weg gebracht. Das Versprechen, ein gutes Gesetz vorzu-
legen, bleibt die Bundesregierung allerdings schuldig.

Man hat sich nicht die Regelungen zueigen gemacht,
die beispielsweise in Schweden, Dänemark, Estland
oder Lettland gelten. Dort fallen Fluggastansprüche in
die Zuständigkeit von Schlichtungsstellen, die allgemein
für Verbraucheransprüche eingerichtet worden sind.
Das bestätigt auch die Bundesregierung. Der alternative
Verkehrsclub Deutschland, VCD, hat Vorschläge, wie
Reisende in Deutschland zu ihrem Recht kommen, wenn
sie nicht die Leistung erhalten, für die sie bezahlt haben.
Meine Fraktion hat, wie die übrigen Oppositionspar-
teien auch, einen Antrag eingebracht, der eine einheitli-
che Anlaufstelle für Verbraucher festschreibt. Damit
kann ein wirklicher Fortschritt in Sachen Stärkung der
Verbraucherrechte gelingen.

Wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung be-
schlossen würde, wäre das ein echter Rückschritt. Das
ist fatal, schließlich waren wir schon auf dem richtigen
Weg. Vor drei Jahren jedoch wurde die Richtung ge-
wechselt. Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen
Personenverkehr e.V., söp, löste die anerkannte unter-
nehmensgetragene Schlichtungsstelle Mobilität ab. Die
Fluggesellschaften wollten aber auch an dieser Schlich-
tungsstelle söp nicht teilnehmen und bestanden auf einer
Extrawurst. Jetzt liegt uns eine Sonderregelung vor, wo
aus jedem Absatz herauszulesen ist, wessen Interessen
umgesetzt werden sollen. Es wird uns ein bunter Strauß
verschiedener Schlichtungsmöglichkeiten angeboten.
Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Also – es
wird angeboten, dass das Bundesministerium der Justiz
im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Bundesministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz und dem Bundesministerium für Wirtschaft und

Technologie – und nun kommt’s – privatrechtlich organi-
sierte Einrichtungen als Schlichtungsstellen zur außer-
gerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten anerkennen.
Fluggäste können eine Schlichtungsstelle anrufen, wenn
sie mit einer direkten Beschwerde bei der Fluggesell-
schaft nicht weitergekommen sind. Die privatrechtlich
organisierte Stelle ist zuständig, wenn das Luftfahrtun-
ternehmen an der Schlichtung durch diese Schlichtungs-
stelle teilnimmt. Und damit man weiß, ob denn die Stelle
auch die richtige ist, muss diese Schlichtungsstelle eine
Liste der Gesellschaften vorweisen, welche sich dieser
Stelle angeschlossen haben. Wenn ein Fluggast Ansprü-
che gegen eine der Gesellschaften geltend machen will,
die nicht in dieser Liste zu finden ist, dann kann er oder
sie die Schlichtungsstelle anrufen, die bei einer Bundes-
behörde einzurichten ist.

Soll das Verbraucherschutz sein? Soll das Bürokra-
tieabbau sein? Ich gebe zu, das ist eine rhetorische
Frage. Dieser Gesetzentwurf zur Schlichtung im Flug-
verkehr ist Bürokratie pur und verbraucherfeindlich.
Vielleicht guckt die Verbraucherschutzministerin noch-
mal drauf. Ihre bayerische Kollegin Frau Merk hat
schon mal auf den wunden Punkt hingewiesen. Ich zi-
tiere: „Wenn jede Fluggesellschaft die Möglichkeit be-
kommt, ihre Schlichtungsstelle selbst zu bestimmen,
führt das zu einem Fleckerlteppich. Und der ist für den
Reisenden nicht mehr überschaubar.“

Damit nicht nur Spezialisten ihre Rechte durchsetzen
können, fordert Die Linke eine Regelung, die für alle
Verkehrsgesellschaften gilt, die für alle verbindlich ist
und die für alle Betroffenen ohne bürokratische Hürden
zugänglich ist.


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1720435800

Einig sind wir uns ja nun alle: Es ist sinnvoll, eine au-

ßergerichtliche Streitbeilegung für Reisende gesetzlich
zu verankern. So können Reisende ihr Recht bei Verspä-
tungen, Annullierungen und Nichtbeförderung niedrig-
schwellig durchsetzen. Aber in keinem Rechtsbereich ist
die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit mo-
mentan so eklatant wie bei den Fluggastrechten. Die
entscheidende Frage ist nun, ob durch den vorliegenden
Gesetzentwurf mehr Probleme oder Lösungen geschaf-
fen werden. Aus meiner Sicht ist das vorliegende Gesetz
verbraucherunfreundlich und widerspricht Ihrem eige-
nen Koalitionsvertrag. Von Niedrigschwelligkeit keine
Spur!

Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit vor, mehrere
Schlichtungsstellen für den Luftverkehr zu schaffen. Ge-
trennte Schlichtungsstellen sind besonders verbrau-
cherunfreundlich, weil die Gefahr besteht, dass Zustän-
digkeiten hin- und hergeschoben werden. Das ist
ineffizient und führt zu einer Zersplitterung der Zustän-
digkeiten und zu höheren Kosten. Das hat mit Verbrau-
cherschutz wenig zu tun.

Um die Verwirrung komplett zu machen, wird im Ge-
setzentwurf neben der privaten Schlichtungsstelle, an
der die Airlines teilnehmen können, nun noch zusätzlich
eine Behörde beauftragt, bei den Airlines zu schlichten,
die bei den anderen Schlichtungsstellen nicht mitma-

Zu Protokoll gegebene Reden





Markus Tressel


(A) (C)



(D)(B)


chen. Das ist ein absurdes Theater. Weil die Airlines sich
nicht einigen können, sollen die Steuerzahler jetzt mit ei-
ner Behörde einspringen. Das ist eine ungerechtfertigte
Extrawurst für die Airlines. Auch das hat nichts mit Ver-
braucherschutz zu tun.

Wir Grünen haben von Anfang an betont, dass wir
eine Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger unter ei-
nem Dach wollen. So steht es übrigens auch in Ihrem
Koalitionsvertrag. So eine Stelle gibt es bereits mit der
Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personennahver-
kehr, söp. Die söp ist verkehrsübergreifend konzipiert
und wird diesem Anspruch durch diverse Angebote ge-
recht. Während nahezu alle Bahnunternehmen und auch
vermehrt Nahverkehrsanbieter wie zum Beispiel die
BVG als Träger der söp die Vorteile dieses Verfahrens
anerkennen, weigern sich die Flugunternehmen weiter
beharrlich. Die Bundesregierung knickt vor den Interes-
sen der Airlines ein. Auch die Verbraucherschutzminis-
ter haben vor über einem Jahr festgestellt – damals sa-
ßen auch Verbraucherschutzminister der CDU und der
FDP mit am Tisch –, dass die Schlichtung bei der söp am
besten aufgehoben ist.

Eine unabhängige und verkehrsträgerübergreifende
Streitbeilegung in einer einzigen Schlichtungsstelle ist
für ein zeitnahes Ergebnis im Sinne der Verbraucherin-
nen und Verbraucher die richtige Lösung. Eine ver-
kehrsträgerübergreifende Lösung sichert vor allem die
Neutralität gegenüber den verschiedenen Verkehrsträ-
gern sowie betriebswirtschaftliche Skaleneffekte, die die
Kosten für eine Schlichtung so niedrig wie möglich hal-
ten. Zugleich steigen aber etwa Effizienz und Effektivität
von Werbemaßnahmen.

Das wichtigste Argument müssen immer die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher sein. Sie sollten sofort wis-
sen, an wen sie sich mit ihrem Anliegen wenden können,
ganz unabhängig davon, welchen Verkehrsträger sie
nutzen. Ein Zuständigkeitswirrwarr, wie Sie es mit die-
sem Gesetz planen, hilft doch eher dabei, die Menschen
von einem Schlichtungsverfahren fernzuhalten. Viele
werden ein solches Verfahren resigniert scheuen, erst
recht die Beschreitung des Rechtsweges.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass
die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf mehr das
Wohl der Airlines im Auge hat als das der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher. Sogar der Koalitionsvertrag
wird dafür gebrochen. Dort heißt es, es solle eine
Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger eingesetzt
werden. Genau das wäre im Sinne der Reisenden. Da
hätten Sie sich mit Ihrem Koalitionsvertrag endlich ein-
mal die Unterstützung der gesamten Opposition verdie-
nen können, und Sie verpatzen es schon wieder. Wenn
Sie schon nicht auf uns hören, dann hören Sie doch we-
nigstens auf den ADAC oder den Verbraucherzentrale
Bundesverband. Alle sind dafür, nur eben die Airlines
nicht und in der Folge auch die Bundesregierung nicht.

Pure Ignoranz ist, dass die Bundesregierung nicht auf
die Änderungsvorschläge des Bundesrates eingeht. Da
waren auch viele Änderungsvorschläge von der CSU da-
bei. Heute wissen wir, dass das nichts als Show war. Die
Bundesregierung hat dem 20-seitigen Dokument des

Bundesrates zur Schlichtung im Luftverkehr so gut wie
nichts entgegenzusetzen.

Wir brauchen eine verkehrsträgerübergreifende
Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger. Die söp
macht hier gute Arbeit; an ihr sollten wir anknüpfen.
Noch ist es nicht zu spät. Daher appelliere ich an die
Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktio-
nen: Sorgen Sie für eine gesetzliche Lösung, bei der die
Interessen der Verbraucher ernst genommen werden und
ihr Koalitionsvertrag ausnahmsweise einmal ordentlich
umgesetzt wird! Wenn Sie das in einem entsprechenden
Änderungsantrag tun, stimmen wir gerne mit Ihnen.

D
Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1720435900


Wird ein Fluggast mit dem gebuchten Flug nicht be-
fördert, weil dieser überbucht oder annulliert ist, kommt
ein Fluggast verspätet an oder ist sein Gepäck verloren
gegangen, hat er zwar umfangreiche Ansprüche gegen
die Fluggesellschaft. Häufig jedoch ist es schwierig,
diese Ansprüche auch zu realisieren, weil die Flugge-
sellschaft sie nicht reguliert oder weil Streit über die
Anspruchsberechtigung besteht. Hiervon zeugen viel-
zählige Gerichtsverfahren. Sie bedeuten aber nicht nur
ein Kostenrisiko für den Fluggast, das ihn oft von der
gerichtlichen Geltendmachung abhält. Auch werden un-
sere Zivilgerichte hierdurch zunehmend belastet.

Diese Ansprüche schnell, kostengünstig und durch
eine unabhängige Stelle schlichten zu können, ist das
Ziel des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs
eines Gesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr. Er wird
zugleich die Zivilgerichte nachhaltig entlasten.

Voraussetzung für das Funktionieren jeder Schlich-
tung ist aber ihre Akzeptanz durch die Beteiligten. Die
Bundesregierung hat daher intensive Gespräche mit den
Luftfahrtunternehmen und ihren Verbänden geführt. Da-
bei ist es letztlich gelungen, die im Bundesverband der
Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V., BDL, und in
dem Board of Airline Representatives in Germany e. V.,
BARIG, organisierten deutschen und ausländischen
Luftfahrtunternehmen für eine Akzeptanz der Schlich-
tung zu gewinnen und sich auf gemeinsame Eckpunkte
hierfür zu verständigen. Dies ist ein großer Erfolg, der
vor allem den Verbrauchern zugutekommt.

Auf der Grundlage dieser Eckpunkte hat die Bundes-
regierung den Gesetzentwurf erarbeitet, der Ihnen heute
zur Beratung vorliegt. Wie in vielen anderen Bereichen
sollen danach Schlichtungen grundsätzlich durch pri-
vatrechtlich organisierte, von den Unternehmen getra-
gene Schlichtungsstellen erfolgen. Diese können von der
Bundesregierung anerkannt werden, wenn sie bestimmte
Anforderungen an die Unparteilichkeit der Stelle und
die Fairness des Verfahrens erfüllen. Unternehmen, die
sich an der freiwilligen privaten Schlichtung nicht betei-
ligen, sollen einer subsidiären behördlichen Schlichtung
überantwortet werden.

Die Schlichtungsstellen können von Fluggästen we-
gen solcher Ansprüche angerufen werden, die aus einer
Überbuchung, einer Annullierung oder einer Verspä-

Zu Protokoll gegebene Reden





Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler


(A) (C)



(D)(B)


tung des Fluges resultieren sowie beschädigtes oder ver-
loren gegangenes Reise- oder Handgepäck betreffen und
5 000 Euro nicht übersteigen. Die Schlichtung ist – ab-
gesehen von Fällen des Missbrauchs – für den Verbrau-
cher kostenlos.

Die Luftfahrtunternehmen haben sich trotz Umset-
zung der vereinbarten Eckpunkte in dem vorgelegten
Gesetzentwurf in zwei Punkten kritisch geäußert:

Sie fordern, dass in die Evaluierung zur Einführung
eines „Zugangsentgelts“ nicht nur die unbegründeten,
sondern auch die unzulässigen Anrufungen der Schlich-
tungsstelle einbezogen werden sollen. Diese Forderung
lehnt die Bundesregierung ab. Zunächst einmal ist es
wichtig, hervorzuheben, dass der Gesetzentwurf ein
„Zugangsentgelt“, wie es von den Luftfahrtunternehmen
gefordert wurde, nicht vorsieht. Verbraucher können
also ohne eigene Aufwendungen die Schlichtungsstelle
wegen ihrer Fluggastansprüche anrufen. Sollte sich al-
lerdings zeigen, dass die Schlichtungsstelle ganz über-
wiegend angerufen wird, obwohl gar keine Ansprüche
bestehen, kann ein moderates Zugangsentgelt von maxi-
mal 20 Euro eingeführt werden, um die Schlichtungs-
stelle vor Überlastung mit unbegründeten Begehren und
die allein kostenpflichtigen Luftfahrtunternehmen vor
unnötigen Aufwendungen zu bewahren. Demgegenüber
bedeuten unzulässige Anrufungen der Schlichtungsstelle
regelmäßig keine nennenswerte zusätzliche Arbeitsbe-
lastung und verursachen meist keine nennenswerten
Kosten. Nur hiervor soll das „Zugangsentgelt“ aber
schützen.

Die Luftfahrtunternehmen fordern weiter, die Bear-
beitungsfrist von Beschwerden durch Unternehmen von
30 Tagen vor – zulässiger – Anrufung der Schlichtungs-
stelle auf 90 Tage heraufzusetzen. Nach Auffassung der
Bundesregierung ist eine Bearbeitungszeit von 30 Tagen
vor Einleitung eines Schlichtungsverfahrens für die Un-
ternehmen jedoch ausreichend und aus Gründen der Ko-
härenz der Rechtsordnung auch geboten. Die Bemessung
dieser Frist folgt den Antwortfristen für das Kunden- und
Beschwerdemanagement nach den EU-Verordnungen
über Fahrgastrechte im Eisenbahn- und Kraftomnibus-
verkehr. Berücksichtigt wurde zudem, dass nach deut-
schem Recht nach Ablauf von 30 Tagen die Verzugsfol-
gen eintreten. Es gibt keine sachlichen Gründe, den
Luftfahrtunternehmen längere Bearbeitungsfristen als
den anderen Verkehrsträgern einzuräumen. Es kann
keine Bearbeitungszeit beansprucht werden, die über die
Verzugsfristen hinausgeht und diese konterkariert.

Die im BDL und in der BARIG organisierten deut-
schen und ausländischen Luftfahrtunternehmen haben
sich in den Eckpunkten zur freiwilligen Teilnahme an
einer Schlichtung bereit erklärt. Ob sie dazu der vorhan-
denen Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personen-
verkehr e. V., söp, beitreten oder eine neue Schlichtungs-
stelle für den Luftverkehr einrichten, werden sie
demnächst entscheiden müssen. Wichtig ist, dass damit
alsbald ein schnelles, unkompliziertes und faires Regu-
lierungsverfahren zur Verfügung steht, das für Verbrau-
cher und Luftfahrtunternehmen Vorteile bringt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720436000

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 17/11210 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben
wir das gemeinsam so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan
Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff

(Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der FDP

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zum
Schutz natürlicher Personen bei der Verarbei-
tung personenbezogener Daten und zum freien
Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung)

KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des
Grundgesetzes

– Drucksache 17/11325 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

Wie in der Tagesordnung schon ausgewiesen, werden
die Reden zu Protokoll genommen. – Alle sind damit
einverstanden.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1720436100

Sowohl im Europäischen Parlament und im Rat als

auch im Deutschen Bundestag und Bundesrat haben
nach der Veröffentlichung der Vorschläge der EU-Kom-
mission zur Neuregelung des Datenschutzes in Europa
lebhafte Diskussionen begonnen. Dies liegt unter ande-
rem daran, dass gerade in Deutschland der Schutz
personenbezogener Daten eine sehr hohe Bedeutung ge-
nießt. Es ist daher sehr wichtig, dass sich das deutsche
Parlament mit dem Instrument des Antrages nach
Art. 23 des Grundgesetzes ebenfalls in die Diskussion
einbringt.

In vielen Fällen ist es allerdings nicht der Staat, den
es als Sammler von personenbezogenen Daten zu regu-
lieren gilt, sondern die Wirtschaft, die personenbezo-
gene Daten als Währung für ihre Angebote und Dienst-
leistungen längst akzeptiert hat.

Für mich stellt sich somit die Frage nach einem roten
Faden, einer Leitlinie, die auf der einen Seite die Inte-
ressen der datenverarbeitenden Unternehmen und auf
der anderen Seite die Interessen der die Anwendungen





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


nutzenden Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen be-
rücksichtigt.

Denn schließlich steht der Schutz personenbezogener
Daten gemäß Art. 8 in der EU-Grundrechtecharta nicht
isoliert. Auch die Berufs- und die unternehmerische
Freiheit gemäß Art. 15 und 16 sind fester Bestandteil der
EU-Grundrechtecharta.

Dem vorliegenden Entwurf der Kommission gelingt
dieser schonende Ausgleich zwischen den von mir auf-
gezeigten widerstrebenden Interessen allerdings nicht
vollständig. Daher haben die Koalitionsfraktionen hier
einen Antrag vorgelegt, der die wichtigsten Fragen auf-
greift und die Bundesregierung auffordert, sich in den
Verhandlungen im EU-Rat für eine ausgleichende sowie
praxistaugliche Fortentwicklung des Verordnungsent-
wurfes einzusetzen.

Viele datenschutzrechtliche Fragestellungen werden
ausschließlich aus Sicht des Verbrauchers abgehandelt
und auch zu dessen Gunsten aufgelöst. Dies mag viel-
leicht in dem einen oder anderen Fall aufgrund der jün-
geren Schwierigkeiten von Unternehmen mit dem Schutz
personenbezogener Daten angezeigt sein. Ergänzend
hierzu darf es natürlich zukünftig nicht mehr möglich
sein, dass Unternehmen in der Europäischen Union das
Land als Unternehmenssitz wählen, in dem ein ver-
gleichsweise geringes Datenschutzniveau herrscht.
Grundsätzlich begrüße ich daher das Vorhaben einer
Vollharmonisierung des europäischen Datenschutzrech-
tes sehr.

Ich halte beispielsweise die vorgesehenen Regelun-
gen von Privacy-by-Design und Privacy-by-Default für
zwei wichtige technikoffene Optionen zur zukünftigen
datenschutzkonformen Gestaltung von elektronischen
Diensten und Anwendungen im Internet. Insgesamt
überwiegen jedoch im Entwurf die vielen unternehmens-
belastenden Regelungen.

Das von der Kommission selbst gesetzte Ziel eines
Abbaus von Bürokratie und einer Reduzierung der
Kosten der Wirtschaft wird aus meiner Sicht längst nicht
im möglichen Umfang erreicht. Zwar werden teilweise
bestehende Informationspflichten abgebaut. Es werden
zugleich aber auch insbesondere durch die Art. 14 und
15 sowie den Art. 32 eine Vielzahl von neuen Informa-
tions- und Dokumentationspflichten geschaffen. Es ist
zudem noch immer unklar, welche Informationspflichten
tatsächlich als Bringschuld des Unternehmens ausge-
staltet sind.

Aus meiner Sicht sollte beispielsweise für Dinge, die
bereits allgemeiner Kenntnis entsprechen, zumindest
keine Informationspflicht durch die Unternehmen beste-
hen. Zudem sollten für kleinere und mittlere Unterneh-
men oder auch Unternehmen, die nur selten personenbe-
zogene Daten verarbeiten, entsprechende Ausnahmen
oder Erleichterungen geschaffen werden. Lassen Sie
mich das mit einem kleinen Beispiel verdeutlichen:

Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs der jetzi-
gen Vorschriften wäre beispielsweise die Übertragung
von Informationen von Visitenkarten in eine elektroni-
sche Datenbank ein informations- und auskunftspflichti-

ger Vorgang. Dies ist schlicht unverhältnismäßig und
völlig praxisfern.

Ich teile daher die Einschätzung der deutschen Wirt-
schaftsverbände, die alle davon ausgehen, dass die Ver-
ordnung in der jetzigen Form zu einem erheblichen
Mehraufwand an Kosten führen wird, zu einem Mehr-
aufwand, der letztlich auf alle Nutzerinnen und Nutzer
umgelegt werden wird.

Hinzu kommt, dass viele der neuen Pflichten viel-
leicht noch von großen Konzernen eingehalten werden
können. Gerade kleinere und mittelständische Unter-
nehmen werden sich aber schwertun, beispielsweise in-
nerhalb von 24 Stunden umfassend über eine mögliche
Datenschutzverletzung aufklären zu können.

Umso unverständlicher ist es daher für mich, dass die
Verpflichtung zur Einrichtung eines betrieblichen Da-
tenschutzbeauftragten erst ab 250 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern greifen soll (Art. 35 Nr. 1 b). In Deutsch-
land hat sich an dieser Stelle die Grenze von 20 Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern in einem Unternehmen
durchaus bewährt (§ 4 f Abs. 1 BDSG).

Ich rate daher zu einer gründlichen Überarbeitung
der entsprechenden Vorschriften. Es sollte eine deutliche
Abstufung und Differenzierung zwischen dem Umfang
der zu verarbeitenden personenbezogenen Daten und
der jeweiligen Größe des Unternehmens und der damit
verbundenen Pflichten vorgenommen werden. Auch
wenn das neue One-Stop-Shop-Prinzip grundsätzlich
eine breite Zustimmung erfährt, sollte ein einheitlicher
europäischer Rechtsrahmen auch die Belange der klei-
neren und mittleren Unternehmen in gebotenem Maße
berücksichtigen.

Nachfolgend möchte ich kurz auf die möglichen Fol-
gen der Verordnung für den Datenschutz von Beschäftig-
ten eingehen. Auch an dieser Stelle schießt die Verord-
nung aus meiner Sicht deutlich über das Ziel hinaus.

In Deutschland haben sich seit vielen Jahren daten-
schutzrechtliche Regelungen in Betriebsvereinbarungen
bewährt. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite passen die
bestehenden rechtlichen Grundlagen für den jeweiligen
Betrieb und das jeweilige Arbeitsumfeld darin an. Be-
triebsvereinbarungen helfen, Verfahrensabläufe rechts-
sicher zu handhaben und unbestimmte Rechtsbegriffe
für die Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter zu konkretisieren. Sie stellen damit einen hohen
und praxisnahen Datenschutz dar.

Dieser Prozess des Gebens und Nehmens ist aller-
dings durch den Verordnungsvorschlag in Gefahr gera-
ten. Denn dieser sieht in Art. 6 Abs.1 b, c vor, dass die
Verarbeitung personenbezogener Daten zur Erfüllung
eines Vertrages oder einer gesetzlichen Verpflichtung
erforderlich sein muss. Die in Deutschland und auch in
anderen europäischen Ländern geschlossenen Kollek-
tivvereinbarungen zwischen den Tarifpartnern wären
somit hinfällig. Sie böten keine Grundlage mehr für eine
rechtmäßige Datenverarbeitung. Es sollte daher
dringend sichergestellt werden, dass auch zukünftig
Kollektivvereinbarungen wie Tarifverträge und Be-

Zu Protokoll gegebene Reden





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


triebsvereinbarungen rechtmäßige Grundlage für eine
Datenverarbeitung sein können.

Auch der Wegfall der Einwilligungsmöglichkeit im
Arbeitsverhältnis in Art. 7 Abs. 4 in Verbindung mit Er-
wägungsgrund 34 stellt aus meiner Sicht einen Rück-
schritt vom praxisnahen Datenschutz dar. Mir ist be-
wusst, dass viele Datenschützer und auch die
Gewerkschaften den Wegfall der Einwilligungsmöglich-
keit im Arbeitsverhältnis im Entwurf der Kommission
begrüßt haben. Ich halte ihn dennoch für falsch. Denn
bereits jetzt wird die Möglichkeit der Einwilligung in der
überwiegenden Zahl der Fälle nur wahrgenommen,
wenn die damit verknüpfte Datenverarbeitung zuguns-
ten des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin erfolgt,
beispielsweise bei zusätzlichen durch den Arbeitgeber
angebotenen Gesundheitsleistungen, kostenlosen Zeit-
schriften, Mitarbeiterrabatten etc. Alle diese Fälle wä-
ren dann zukünftig ausgeschlossen bzw. müssten geson-
dert durch den Gesetzgeber geregelt werden. Dies ist
weder aufwandsneutral noch praxistauglich. Die Ein-
willigung sollte daher grundsätzlich auch in Beschäfti-
gungsverhältnissen zulässig bleiben. Einzelne kritische
Anwendungsbereiche könnten jedoch ausgeschlossen
werden.

Abschließend möchte ich noch kurz zur Anzahl der
delegierten Rechtsakte sowie dem beabsichtigten Kohä-
renzverfahren Stellung nehmen.

Aus meiner Sicht stellen die knapp 50 Stellen für
delegierte Rechtsakte bzw. weiterführende Ermächti-
gungen zur näheren Ausgestaltung der Verordnung ein
deutliches Überschreiten der in Art. 290 AEUV gesetz-
ten Grenzen dar. Aus Art. 289 und 290 AEUV ergibt sich,
dass eine Verordnung als Basisrechtsakt die wesentli-
chen materiellen Festlegungen nicht auf den abgeleite-
ten Rechtsakt übertragen darf, sondern diese selbst
regeln muss. Der Verordnungsentwurf sieht aber an den
vorgenannten Stellen nicht nur Konkretisierungen vor,
sondern auch die Befugnis für die Kommission, den
Regelungsgehalt von einzelnen Normen eigenständig
auszufüllen. Sie kann damit eine Vielzahl von Normen,
deren Einhaltung sie überwachen soll, zuvor selbst
schaffen. Dies ruft erhebliche rechtsstaatliche Bedenken
hervor. Die Zahl der delegierten Rechtsakte muss daher
aus meiner Sicht deutlich reduziert werden. Es ist rich-
tig, dass für Bereiche, die der rasanten technologischen
Entwicklung angepasst und fortgeschrieben werden, ge-
wisse Spielräume und eine gewisse Flexibilität für die
EU-Kommission verbleiben müssen. Allerdings ge-
schieht dies hier in deutlich zu großem Umfang.

Auch das im Verordnungsentwurf vorgesehene Kohä-
renzverfahren ist bereits aus rechtsstaatlichen Gründen
abzulehnen. Die Kommission kann bei datenschutz-
rechtlichen Fragestellungen ein eigenes Selbsteintritts-
recht geltend machen und Maßnahmen der nationalen
Datenschutzaufsichtsbehörden untersagen. Ein geson-
dertes Rechtsmittel hat die nationale Aufsichtsbehörde
gegen eine solche Entscheidung nicht. Die Kommission
erhält durch dieses Verfahren somit umfangreiche
Durchgriffsrechte bis hinunter auf die nationale Ebene.
Damit verstößt das Verfahren sowohl gegen die Unab-

hängigkeit der Aufsichtsbehörden (Art. 47) als auch
gegen das in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes veran-
kerte Demokratieprinzip. Schließlich wäre die Daten-
schutzkontrolle nicht mehr der demokratischen Verant-
wortung der jeweiligen Mehrheit des nationalen
Parlaments unterworfen.

Bei den Diskussionen sollte weiterhin die Umsetzbar-
keit und Praktikabilität der geplanten Regelungen im
Vordergrund der Debatte stehen.

Mein Fazit ist, dass es zu einer Vielzahl von einzelnen
Regelungen noch einer intensiven Diskussion unter den
Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament bedarf.
Die möglichen Auswirkungen der neuen Verordnung
sind für viele zentrale Lebensbereiche noch ungeklärt
und nicht endgültig abschätzbar. Es verbieten sich daher
gesetzgeberische Schnellschüsse.

Die christlich-liberale Koalition leistet mit dem vor-
liegenden Antrag einen praxisorientierten Beitrag dazu,
das europäische Datenschutzrecht angemessen und
sinnvoll weiterzuentwickeln. Sie finden in diesem Antrag
noch weitere grundsätzliche Forderungen, wie die ange-
messen Differenzierung zwischen dem öffentlichen und
dem nichtöffentlichen Bereich, die Einbeziehung der
Institutionen der Europäischen Union in den Anwen-
dungsbereich der Verordnung, die Ablehnung von
Verbandsklagen oder auch die Forderung nach ange-
messene Übergangs- und Inkrafttretensregelungen.

Die Fülle der Themen und die Komplexität des
Themas verlangen auch in den kommenden Wochen und
Monaten eine intensive Beschäftigung mit diesem zen-
tralen Reformvorhaben.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1720436200

Wir stehen erst am Beginn des digitalen Zeitalters.

Weite Bereiche unseres Lebens sind aber jetzt schon er-
fasst. Immer mehr Menschen nutzen soziale Netzwerke
für ihre private und öffentliche Kommunikation. Das
Internet wird von immer mehr Menschen zur Informa-
tion und zum Einkaufen genutzt. Und immer mehr Hand-
lungen des täglichen Lebens – wie zum Beispiel die Nut-
zung von Verkehrsmitteln – werden über das Internet
abgewickelt. Das alles ist aber erst der Anfang. Mit dem
Internet der Dinge, mit der Nutzung des Internets auch
im Individualverkehr, den sogenannten „Connected
Cars“, wird auch unser alltägliches Handeln immer
mehr Spuren im Netz hinterlassen.

Und diese Vielfalt von Informationen und Datenspu-
ren, die wir im Netz hinterlassen, die etwas über unsere
Person und unser Verhalten aussagen, ist hochinteres-
sant und kommerziell verwertbar. Je mehr ich über eine
Person, ihr Verhalten und ihre Präferenzen weiß, desto
besser kann ich dieses Wissen nutzen, um sein Verbrau-
cherverhalten gezielt über Werbung zu steuern oder
auch zu manipulieren. Und gerade in dieser Kombinati-
onsmöglichkeit, und nicht als Datum per se, werden per-
sonenbezogene oder personenbeziehbare Daten im In-
ternet zur Ware. Daten sind sozusagen das Erdöl des
Internetzeitalters. Nicht „Big brother is watching you“,
sondern „Big Business is watching you“.





Gerold Reichenbach


(A) (C)



(D)(B)


Damit aber tritt das kommerzielle Interesse an der
Erhebung von personenbeziehbaren und personenbezo-
genen Daten in Widerspruch und in erheblichen Konflikt
zum Grundrechtsschutz der Würde des Menschen, der
Person und ihrer Freiheit; oder – wie das Bundesverfas-
sungsgericht es in Ableitung aus diesen Grundrechten
definierte – zum Grundrecht auf informationelle Selbst-
bestimmung.

Der Schutz dieser Grundrechte im Internetzeitalter ist
nicht nur Aufgabe, sondern Pflicht der Staaten. Dem
sind wir in der deutschen Rechtsordnung in vielen Berei-
chen nachgekommen. Allerdings haben wir bei der
Durchsetzung der Rechtsgrundsätze des Datenschutzes
ein erhebliches Vollzugsdefizit. Denn die Rechtsgrenzen
sind national, die der Märkte sind europäisch und das
Netz ist global. Effektiven Datenschutz – und diese Er-
kenntnis ist inzwischen allgemein geworden – können
wir nur auf europäischer Ebene organisieren. Wir brau-
chen eine europäische Harmonisierung! Davon werden
nicht nur die Verbraucher, sondern davon wird auch die
Wirtschaft in Europa profitieren, weil ihr mit einer euro-
päischen Rechtsetzung auch Einheitlichkeit und Rechts-
sicherheit gegeben wird.

So hat am 25. Januar 2012 die Europäische Kommis-
sion den Entwurf einer Datenschutzreform vorgestellt,
und zwar bestehend aus der sogenannten Datenschutz-
Grundverordnung sowie der sogenannten Richtlinie
über die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit.
Beide Teile sollen als Gesamtpaket – so wünscht dies die
Europäische Kommission – verabschiedet werden.

Die Datenschutz-Grundverordnung wird ohne Um-
setzungsrechtsakt für Deutschland gelten. Ein Großteil
der deutschen Datenschutzregelungen wird durch sie er-
setzt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt das
Ziel der Kommission, mit den vorgelegten Entwürfen ein
einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der Europäi-
schen Union zu erreichen. Wir verstehen die Entwürfe
der Kommission als Chance, um innerhalb Europas ei-
nen besseren Datenschutz sowie mehr Rechtssicherheit
zu erreichen. Wir verstehen den Verordnungsentwurf
auch deshalb als Chance, weil er in einigen Bereichen
bereits zukunftsweisende Prinzipien des Datenschutzes,
wie die grundsätzliche Zustimmungspflicht oder das
Prinzip, dass jedes Unternehmen, das Daten europäi-
scher Bürger verarbeitet, unabhängig vom Sitz erfasst
wird, beinhaltet.

Allerdings gibt es aus unserer Sicht auch eine Reihe
von Verbesserungsmaßnahmen.

Für die Bundesrepublik wird es nun entscheidend
sein, diese bei den Verhandlungen im Rat durchzusetzen.
Und gerade in dieser sensiblen Frage kann man diese
Bundesregierung und gerade diesen Bundesinnenminis-
ter nicht alleine lassen. Gemessen an den Schwankun-
gen, die die Koalition und der Innenminister beim
Thema Datenschutz vollzieht, und das können Sie mir
als Bewohner des Hessischen Riedes glauben, ist ein im
Winde hin und her geworfenes Schilfrohr eine statisch
höchst stabile Erscheinung.

Und das sieht offensichtlich die Koalition auch so.
Denn auch Sie haben jetzt einen Antrag eingebracht, in
dem Sie Ihrer eigenen Regierung konkrete Vorgaben für
die Verhandlungen machen. Das ist ein bemerkenswer-
ter Vorgang. Inhaltlich ist dieser Antrag aber ein „Bä-
rendienst“ für den Datenschutz! Sie formulieren zwar,
dass Sie einen Datenschutz auf hohem Niveau haben
wollen. In der Sache aber fordern Sie, dieses Niveau
möglichst weit im Interesse der Wirtschaft abzuschlei-
fen. Sie wollen die bereits bestehenden hohen deutschen
Datenschutzstandards nicht etwa schützen, sondern
über Europa aushebeln. Das wird die SPD nicht mitma-
chen!

Sie führen das Wort „Datenschutz“ gerne im Munde,
um in der Paxis das Gegenteil zu tun, meine sehr geehr-
ten Damen und Herren Kollegen von CDU/CSU und
FDP!

Aber das sind wir ja gewohnt von dieser Koalition
und Regierung – sie versucht, sich in den meisten
Themen darin zu überbieten, dass sie nichts tut. Aus der
so hoch gepriesenen Stiftung Datenschutz wurde nichts
und das mit großem Tamtam angekündigte Rote-Linie-
Gesetz wurde nie vorgelegt, weil die Wirtschaftslobby
Sie zurückgepfiffen hat. Auch der Beschäftigtendaten-
schutz hängt im schwarz-gelben Strudel der Klientel-
befriedigung.

Dafür wollen Sie mit Ihrem Antrag den Schutz der
Beschäftigten über die EU-Verordnung aushebeln. Sie
wollen, dass auch in dem vom Ungleichgewicht gepräg-
ten Beschäftigtenverhältnis durch Einwilligung oder
Betriebsvereinbarung das Schutzniveau unterschritten
werden kann.

Neben den arbeitnehmerfeindlichen Forderungen
wollen Sie dann auch in weiteren Punkten die Wirtschaft
– diesmal zulasten der Verbraucher – glücklich machen.
Da kommt dann nämlich wieder die übliche Leier von:
Die Wirtschaft soll nicht mit angeblich zu viel Bürokra-
tie belastet werden; strengere Regeln würden Innova-
tionspotenzial hemmen; die Wirtschaft kann sich viel
besser selbst regulieren.

Wie gut das funktioniert, haben wir ja bei dem
Geodatenkodex gesehen. Ein Jahr nach dem mit großem
Medienrummel vorgelegten Kodex ist nicht viel passiert.
Bis auf ein verspätet fertiggestelltes Informationsportal
kann man nicht viel erkennen von der angepriesenen
Selbstregulierung. Das, was von Ihnen und Wirtschafts-
verbänden immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt
wird: „Wir wollen einen praktikablen Datenschutz auf
hohem Niveau“ ist doch Orwell´scher „Neusprech“!
Das erinnert mich an den Frankfurter Flughafen, wo
Luftverkehrswirtschaft und CDU das Nachtflugverbot
durch ein „praktikables Nachtflugverbot“ ersetzen woll-
ten, bei dem weiter 17-mal in der Nacht geflogen wurde.
„Praktikables Nachtflugverbot“ hieß also: kein Nacht-
flugverbot und Beschränkungen nur, insoweit die Profit-
interessen der Wirtschaft nicht gestört werden. Und ge-
nauso bedeutet doch Ihr „praktikabler Datenschutz auf
hohem Niveau“ nichts anderes als weniger Daten-
schutz!

Zu Protokoll gegebene Reden





Gerold Reichenbach


(A) (C)



(D)(B)


Nein, dieser Minister braucht keinen Antrag, der ihn
dazu auffordert, die Datenschutzbestrebungen in Europa
zu be- und verhindern: Das schafft er schon alleine. Er
braucht die klare Aufforderung des Parlamentes, sich
für „tatsächlichen Datenschutz auf hohem Niveau“ in
Europa einzusetzen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb einen eige-

(Bundestags-Drucksache 17/ 11144)

In ihm geben wir der Bundesregierung klare Vorgaben
in Richtung Sicherung und Erhöhung des Datenschutzes
in Europa. Die durch das Bundesverfassungsgericht ge-
schaffenen Grundrechte auf informationelle Selbstbe-
stimmung sowie auf Gewährleistung der Vertraulichkeit
und Integrität informationstechnischer Systeme dürfen
nicht ausgehöhlt und verwässert werden. Wir begrüßen
deshalb in unserem Antrag die positiven Ansätze, die der
Entwurf der Kommission in dieser Richtung zeigt. Wir
begrüßen ausdrücklich, dass die Kommission den An-
wendungsbereich auch hinsichtlich der Unternehmen
festlegt, die ihren Sitz nicht innerhalb der Europäischen
Union haben, aber in der EU Waren oder Dienstleistun-
gen anbieten bzw. Verhaltensbeobachtungen durchfüh-
ren.

Diese Festlegung auf das Territorialprinzip erleich-
tert auch den Kontroll- bzw. Aufsichtsbehörden die Ar-
beit. Oft konnte Datenschutzverstößen nur deshalb nicht
nachgegangen werden, weil die Unternehmen keinen
Sitz innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates bzw. inner-
halb der EU hatten.

Wir fordern aber eine weitere Überarbeitung des An-
wendungsbereichs der Verordnung. So kann es nicht
sein, dass die Union sich selbst aus dem Anwendungsbe-
reich herausnimmt, wo sie doch selbst eine sehr große
Datenverarbeiterin ist.

Wir wollen auch, dass ausdrücklich aufgenommen
wird, dass soziale Netzwerke und Suchmaschinen, die
ihre Einnahmen ja hauptsächlich aus Werbung erhalten
und personenbezogene Daten sammeln, um diese kom-
merziell zu nutzen, ausdrücklich auch der Verordnung
unterliegen. Gemeint sind hier natürlich Facebook und
Co.

Wir begrüßen weiter, dass die Einwilligung grund-
sätzlich zur Voraussetzung für die Datenverarbeitung
gemacht wird. Allerdings bedarf es dabei noch weiterer
Ergänzungen bzw. weiterer Konkretisierungen. Die Ein-
willigung im Beschäftigungs- bzw. Beschäftigungsan-
bahnungsverhältnis kann keine Rechtsgrundlage für die
Verarbeitung personenbezogener Daten sein, weil der
Arbeitnehmer grundsätzlich in einem unlösbaren
Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber steht. Es lässt
sich eben nie ausschließen, dass die Einwilligung nur
gegeben wird, weil der Arbeitnehmer Angst hat, sein
Arbeitsverhältnis zu belasten bzw. zu verlieren.

Darüber hinaus müssen die Rechtsfolgen bei Verstö-
ßen gegen diese Regelung eindeutig in der Verordnung
geregelt sein.

Wir fordern darüber hinaus, dass der besondere
Schutz von Kindern und Jugendlichen im Bereich der

Datenverarbeitung stärker hervorgehoben wird. In eine
Verordnung, die auch die Verarbeitung von Daten ge-
rade dieser besonders schützenswerten Gruppe regeln
soll, gehören auch gesonderte Regelungen, die dem
besonderen Gefährdungspotenzial für diese Gruppe
Rechnung tragen.

Besonders wichtig ist es uns, dass eine Weitergabe
oder Übermittlung an Drittstaaten oder internationale
Organisationen nur dann zulässig sein darf, wenn ein
ausreichendes Schutzniveau gewährleistet ist. Was nüt-
zen uns denn die schönsten, ausgefeiltesten Daten-
schutzregeln, wenn wir sie dann über die Grenze schaf-
fen und dort jeder damit tun und lassen kann, was er
will? Gerade in diesem Abschnitt muss die Verordnung
noch erheblich nachgebessert werden.

Auch im Bereich der Geltendmachung von Rechten
sowie im Bereich des Rechtsschutzes sehen wir Ergän-
zungsbedarf.

Wir fordern weiter, dass die Unabhängigkeit der
nationalen und europäischen Datenschutzbehörden ge-
währleistet wird – wie dies auch das Urteil des EuGH
von 2010 fordert. Es muss eine klare Trennung gegen-
über den Exekutivorganen der Union geben.

Wir fordern darüber hinaus Regelungen, die es er-
möglichen, bei besonders bereichsspezifischen und be-
sonders schützenswerten Daten von den Festsetzungen
der Verordnung nach oben hin abzuweichen.

Wir fordern klare Regelungen, die ein Profiling nur
mit eindeutiger Zustimmung zulassen, und wir sehen
eindeutige Vorgaben zur durchgehenden Umsetzung des
Prinzips „privacy by default“ als zwingend.

Wenig Verständnis haben wir dafür, dass die Sanktio-
nen geringer ausfallen sollen als im europäischen Wett-
bewerbsrecht.

Und wir fordern die Angleichung der Schwelle zur
Bestellung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten
an die der deutschen Regelungen, die sich bewährt ha-
ben.

Die Vorlage des europäischen Verordnungsvorschla-
ges ist eine einmalige Chance, den Schutz der Bürger im
digitalen Zeitalter, den Schutz der Persönlichkeitsrechte
gegenüber Gewinnmaximierungsinteressen voranzu-
bringen. Wir Sozialdemokraten wollen sie nutzen und
nicht kaputtmachen.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1720436300

Die EU hat sich ein großes Ziel gesetzt: ein moder-

ner und europaweit verlässlicher Datenschutz. Für
über 500 Millionen Menschen in 27 Staaten und knapp
20 Millionen Unternehmen sollen künftig ein und die-
selben Regelungen für den Umgang mit personenbezo-
genen Daten gelten, egal, ob die Daten im eigenen Land
oder beispielsweise im E-Commerce über Staatengren-
zen hinweg verarbeitet werden.

Dabei macht die rasante technische Entwicklung der
vergangenen Jahrzehnte eine Modernisierung des Da-
tenschutzes erforderlich. Der Datenschutz steht vor

Zu Protokoll gegebene Reden





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


neuen Herausforderungen, weil die digitale Datenverar-
beitung neben neuen Chancen auch neue Risiken mit
sich bringt. Die falsche Herangehensweise wäre, die Di-
gitalisierung und das Internet als Büchse der Pandora
zu betrachten und zu versuchen, deren Deckel wieder zu
schließen. Nicht nur war das schon bei Pandora ein
hoffnungsloses Unterfangen und wäre es erst recht in
Bezug auf Internet und neue Medien, die schon längst
zum Alltag gehören und daraus auch nicht wegzudenken
oder zu verdrängen sind, sondern es wäre auch ein ge-
danklich falscher Ansatz. Der richtige Ansatz ist, ein
Datenschutzrecht zu schaffen, das den mündigen Bürger
als Herrn über seine Daten begreift und auch so behan-
delt.

Der Ausgangspunkt muss daher sein, dass alle perso-
nenbezogenen Daten privat, das heißt in der freien Ver-
fügungsgewalt des Betroffenen, sein müssen – und es für
ihre Verarbeitung stets besonderer Voraussetzungen be-
darf. „Datenautonomie“ ist das Prinzip unseres Daten-
schutzverständnisses. Datenautonomie bedeutet, dass
jeder für sich entscheiden kann, ob oder ob nicht er
seine Daten zur Verfügung stellt. Damit es eine wirklich
autonome Entscheidung ist, bedarf es des mündigen Ent-
scheiders, der seine Entscheidung auf ausreichende In-
formation stützt. Datenautonomie heißt aber gerade
nicht, die Entscheidung nur dann zuzulassen, wenn es
um die Zurückhaltung von Daten geht, sondern auch,
wenn es um die Preisgabe von Daten geht. Datenschutz
darf man nicht als Schutz des Menschen vor sich selbst
missverstehen. Das wäre eben gerade keine selbstbe-
stimmte, mündige Entscheidung. Das wäre Datentotali-
tarismus.

Es muss also darum gehen, einen Rahmen zu setzen,
in dem nicht die Verarbeitung personenbezogener Daten
verboten oder bis an den Rande eines Verbots einge-
schränkt wird, sondern in dem die Eigenverantwortung
des Einzelnen das tragende Element ist. Dazu bedarf es
klarer Vorgaben, wer die Daten des Einzelnen haben
darf, nutzen darf und vor allem, unter welchen Voraus-
setzungen das geschehen darf. Von dieser Überzeugung
lassen wir uns leiten in unserer Stellungnahme nach
Art. 23 Grundgesetz, mit der wir der Bundesregierung
die Marschrichtung vorgeben, wie sie für Deutschland,
für die Menschen in unserem Land, in Brüssel votieren
soll.

Darin unterscheidet sich unsere Stellungnahme auch
ganz wesentlich von derjenigen, die die Sozialdemokra-
ten hier letzte Woche vorgelegt haben: Wir trauen den
Menschen zu, dass sie selbst entscheiden können. Wir
vertrauen der Klugheit und dem Selbstbewusstsein der
Menschen, wenn es darum geht, ob sie ihrem Arbeitge-
ber durch Einwilligung erlauben, Daten zu erheben für
die freiwillige betriebliche Altersvorsorge oder den
Platz im Betriebskindergarten. Die Sozialdemokraten
hingegen wollen das verbieten. Sie meinen, dass der Ge-
setzgeber den Menschen die Entscheidung abnehmen
und den Arbeitgebern eine gesetzliche Ermächtigung
geben sollte, aber natürlich nur für die Fälle, die die So-
zialdemokraten für gut halten. Aber wenn dann ein An-
gebot kommt, was zwar ohne Zweifel für den Arbeitneh-
mer vorteilhaft wäre, aber der SPD heute nicht einge-

fallen ist oder nicht bekannt war, weil es in der rasanten
technischen Entwicklung erst entsteht, dann ist es halt
verboten. Das ist Politik nach Gutsherrenart – und lässt
jeden Respekt für den mündigen Bürger vermissen.

Wir wollen zudem, dass neben Einwilligung und ge-
setzlicher Ermächtigung auch Betriebsvereinbarungen
und Tarifverträge in der EU-Verordnung als Rechtferti-
gungsgrundlagen für Datenerhebungen einbezogen wer-
den. Schleierhaft bleibt mir an dieser Stelle die Verwei-
gerungshaltung der Gewerkschaften selbst, denn in
beiden Fällen sitzen sie doch regelmäßig mit am Tisch
und stimmen den Vereinbarungen zu.

Nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern trauen wir
zu, selbst zu entscheiden. Wir setzen auch auf Selbstre-
gulierung in der Wirtschaft. Datenschutz ist in der Infor-
mationsgesellschaft ein Wettbewerbsmerkmal – und gu-
ter Datenschutz ein Wettbewerbsvorteil. Alle Unter-
nehmen, die von Datenschutzskandalen betroffen waren,
haben das erlebt: Kundenvertrauen basiert auch darauf,
dass mit den Kundendaten sorgsam umgegangen wird.
Deshalb ist es falsch, funktionierende Selbstregulierung
durch staatliche Allzuständigkeit zu ersetzen. Dazu ge-
hört einmal der Punkt, dass der Erhalt unseres bewähr-
ten Systems der betrieblichen Datenschutzbeauftragten
unbedingt erforderlich ist. Die Vorschläge der Kommis-
sion würden durch den viel zu hohen Schwellenwert von
250 Mitarbeitern den betrieblichen Datenschutz völlig
aushöhlen. Dazu gehört aber auch, dass Instrumente des
Selbst- und Systemdatenschutzes, etwa ein Datenschutz-
gütesiegel, in das neue Recht Eingang finden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Volks-
zählungsentscheidung, in der Geburtsstunde unseres
Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, ge-
sagt, dass es kein belangloses Datum mehr geben könne.
Das gilt in der Informationsgesellschaft umso mehr. In
einer Zeit, in der alles mit allem verknüpft werden kann,
in der schon ein einfaches Handy mit früher nicht vor-
stellbaren Rechenkapazitäten ausgestattet ist, kann ein
Datum durch die Verknüpfung auf einmal viel mehr aus-
sagen, als es allein und nur für sich ausgesagt hätte.

Denkt man hier konsequent weiter, kommt man
schnell zu dem Ergebnis, dass eigentlich alle Daten, von
Atlanten bis Zuschauerquoten, mit anderen Daten ver-
knüpft und letztendlich auch mit einer Person in Verbin-
dung gebracht werden könnten. Dass darin Gefahren für
die Persönlichkeitsrechte liegen, wird niemand ernsthaft
bestreiten wollen. Dass aber umgekehrt auch nicht je-
dem, der Faltstraßenkarten erstellt, zugerechnet werden
kann, dass womöglich seine Karte mit anderen Daten
zusammengewürfelt werden, liegt auch auf der Hand.
Hier einen fairen Ausgleich zu finden, der berücksich-
tigt, wie Daten verwendet werden können, aber zugleich
berücksichtigt, wie weit jeder, der Daten, die zunächst
für sich allein stehen, verarbeitet, verantwortlich ge-
macht werden kann für das, was womöglich ein Dritter
damit machen könnte, ist wohl die härteste Herausforde-
rung für ein modernes Datenschutzrecht. Herr Dix, der
Berliner Landesdatenschutzbeauftragte, sagte letztens
bei dem vom Bundesinnenministerium veranstalteten
Kongress zum geplanten EU-Datenschutzrecht, dass

Zu Protokoll gegebene Reden





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


man über eine Differenzierung durchaus nachdenken
könne, solange das nicht dazu führe, dass durch
schlichte Festlegung Teile der personenbezogenen Da-
ten schlichtweg vom Schutz ausgenommen würden.

Dem folgend setzen wir uns dafür ein, dahin gehend
zu differenzieren, wie streng das Schutzniveau im Einzel-
nen ist, und zwar danach, welches Gefährdungspotential
in einer Datenverarbeitung liegt. Eine Datenverarbei-
tung, beispielsweise für die Rechnungserstellung des
Klempners, birgt deutlich weniger Gefahren für die Per-
sönlichkeitsrechte des Betroffenen als eine Datenverar-
beitung durch eine Freunde-Finde-App auf dem Smart-
phone. Dass hier also an den Klempner als Daten-
verarbeiter andere Anforderungen zu stellen sind als an
den Hersteller einer App, die in Echtzeit Standortdaten
übermittelt, liegt für uns auf der Hand.

Ganz anders denken hier aber wieder die Sozialde-
mokraten. In deren Antrag wollen sie die Bundesregie-
rung verpflichten, sich in Brüssel dafür einzusetzen,
dass zum Beispiel jegliche Datenübertragung personen-
bezogener Daten auf elektronischem Wege nach dem
Stand der Technik gesichert sein müsse. Jede Daten-
übertragung – das ist dann auch das Einstellen eines
Photos auf Flickr durch den Betroffenen selbst. Jede Da-
tenübertragung – das ist jede personalisierte E-Mail.
Das ist also ganz offensichtlich völlig an der Sache vor-
bei. Mit solchen Vorschlägen schüttet man das Kind mit
dem Bade aus und bringt den einfachen, schnellen und
unkomplizierten Datenaustausch zum Erliegen. Ganz of-
fensichtlich ist es zwingend, dass die elektronische
Übermittlung von Datensätzen, beispielsweise von Mit-
arbeiterdaten oder Versicherungsdaten oder auch Be-
hördendatensätzen, so gesichert sein muss, dass der un-
berechtigte Zugriff Dritter ausgeschlossen ist. Aber für
den Abruf von Daten, die im Telefonbuch mit Einwilli-
gung des Betroffenen veröffentlicht sind, eine gesicherte
Übertragung vorzuschreiben, ist ebenso offensichtlicher
Unsinn.

Damit wird aber ein Kernproblem offenbar, das die
Datenschutzregulierung im Informationszeitalter mit
sich bringt: Wir brauchen Regelungen, die anwendbar
und praktikabel sind für ganz unterschiedliche Sachver-
halte. Es geht nicht an, dass – aus ja durchaus auch be-
rechtigten Gründen – schweres Geschütz aufgefahren
wird, um manch einem US-amerikanischen Internetda-
tenkraken die Grenze aufzuzeigen, aber dann auch die
Spatzen mit Kanonen beschossen werden. Ein Recht, das
dieser Prämisse folgt, kann nur ungenaue Streutreffer
verursachen und damit zu Kollateralschäden führen, die
niemand wollen kann. Deshalb haben wir in unserer
Stellungnahme Wert darauf gelegt, dass die Bundesre-
gierung ihr besonderes Augenmerk darauf richtet, dass
hier nicht im Versuch, Facebook, Google und Co. zu
treffen, ein Lex Internet geschaffen wird, das dann aber
den Handwerksbetrieb um die Ecke trifft.

Einige Punkte, die wir in unserer Stellungnahme ein-
fordern, sind auch schon von vielen anderen kritisiert
worden – und wir haben hier nicht einfach die Stellung-
nahme der Gewerkschaften übernommen und schließen
uns dieser an. Ebenso wenig übernehmen wir die Stel-

lungnahme von Arbeitgebern oder Wirtschaftsverbän-
den einfach eins zu eins, auch das unterscheidet uns von
den Sozialdemokraten. Datenschutz macht eben auch
Mühe, Herr Reichenbach!

Zu den Punkten, auf die ich hier auch nicht in aller
Breite eingehen will, weil sie schon von vielen anderen
zu Recht vorgetragen wurden, gehören: differenzierte
Regelungen für den öffentlichen und den nichtöffentli-
chen Bereich, weil man das Standesamt nicht gleichbe-
handeln kann mit Facebook; klare, unmissverständliche
und praktikable Vorgaben zum Schutz von besonders
sensiblen Daten, insbesondere Gesundheits- oder So-
zialdaten; die Eindämmung der unerträglich vielen de-
legierten Rechtsakte, die sich derzeit mitnichten am We-
sentlichkeitsprinzip orientieren, das in Art. 290 AEUV
verankert ist; die Wahrung der Unabhängigkeit der
Datenschutzaufsichtsbehörden, die nach dem von der
Kommission vorgeschlagenen Verfahren am Ende ihre
Unabhängigkeit eben gerade bei der Kommission abge-
ben und sich deren Diktat unterwerfen müssen; Profil-
bildung nur mit Einwilligung, um den besonderen Ge-
fahren einer umfassenden Verknüpfung zahlreicher
Einzeldaten ein starkes Recht des Betroffenen entge-
genzu-stellen; effektive Rechtschutzmöglichkeiten für
die Bürgerinnen und Bürger, die sich trotz gebündelter
Zuständigkeit der Datenschutzaufsicht am Sitzland des
Unternehmens an „ihren“ nationalen bzw. lokal zustän-
digen Datenschutzbeauftragten wenden können müssen;
die Einbeziehung der EU-Institutionen in die Verord-
nung, weil es nicht sein kann, dass sich in der EU alle
daran halten müssen, außer die EU selbst.

Die EU-Datenschutz-Verordnung wird unser Bundes-
datenschutzgesetz ablösen; sicher nicht ganz so schnell,
wie sich die Kommission das wünscht. Aber ich habe
keinen Zweifel, dass die Verordnung kommen wird – und
auch kommen soll. Dem muss aber eine breite und vor
allem gründliche Diskussion vorangehen, denn vieles,
was von der Kommission vorgeschlagen wurde, muss
doch noch deutlich verändert und verbessert werden.

Es ist gut, dass sich der Bundestag an dieser Debatte
beteiligt – und von seinen Rechten nach Art. 23 Grund-
gesetz Gebrauch macht, um der Bundesregierung eine
klare und bindende Weisung mit auf den Weg zu geben.
Von den eingangs erwähnten über 500 Millionen Men-
schen vertritt der Bundestag 80 Millionen, die natürlich
von einer Verordnung der EU unmittelbar betroffen sind
und für die wir uns für einen modernen, effektiven und
zukunftsfähigen Datenschutz einsetzen.


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720436400

An einer Europäisierung des Datenschutzniveaus

geht kein Weg vorbei. Es gibt heute praktisch keinen Be-
reich moderner Informations- und Kommunikations-
technik mehr, der sich nicht nationaler Regelung und
Kontrolle entzieht. Die vorgelegten Vorschläge der Eu-
ropäischen Kommission zu einer Reform des europäi-
schen Datenschutzrechts gehören deshalb zu Recht zu
den derzeit am intensivsten diskutierten Gesetzgebungs-
vorschlägen sowohl auf der europäischen als auch auf
der mitgliedstaatlichen Ebene.

Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


Angesichts von Umfang und Komplexität der Vor-
schläge ist es aus meiner Sicht eigentlich kaum möglich,
eine zusammenfassende Bewertung abzugeben. Festzu-
stellen ist, dass die Kommission eine Vielzahl begrü-
ßenswerter Einzelvorschläge vorgelegt hat, die durch-
aus Unterstützung verdienen. Dies ändert aber nichts an
der Tatsache, dass sowohl in wesentlichen Grundfragen
als auch in speziellen Bereichen zum Teil deutlicher Ver-
besserungsbedarf besteht.

Angesichts des noch laufenden Diskussionsprozesses
ist es schon etwas erstaunlich, welchen Wettlauf an Stel-
lungnahmen die Datenschutz-Grundverordnung, DS-
GVO, vor allem aber die Sachverständigenanhörung des
Innenausschusses initiiert hat. Schon sehr früh legten
die Grünen eine allgemeine Erklärung in Antragsform
zur europäischen Datenschutzreform vor, die ja dann
auch Gegenstand der Sachverständigenanhörung war.
Unmittelbar nach der Anhörung und einigen Anregun-
gen aus der Anhörung folgend, legte die SPD eine Stel-
lungnahme zur Grundverordnung vor, und schließlich
wurde die heute als „zu Protokoll“ eingereichte „Stel-
lungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Art. 23
Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz“ der Koalitionsfraktionen
aufgelegt.

Die heute vorliegende Stellungnahme der Koalitions-
fraktionen ist denn auch eine - nicht einmal mit besonde-
rem Engagement vorgetragene – Pflichtübung. Einer-
seits. Andererseits ist sie aber auch der Versuch, die in
der öffentlichen Debatte geäußerten Vorbehalte – Stich-
wort Absenkung deutscher Standards, Umgehung des
Bundesverfassungsgerichts – aufzugreifen und mit ei-
nem Bekenntnis zu wirtschaftsliberalen Lockerungsvor-
schlägen gegen die Harmonisierungsvorgaben im Un-
ternehmensbereich zu verbinden. Bemüht werden dabei
die üblichen Schlüsselwörter: Bürokratieabbau, Wettbe-
werbsfähigkeit, Betriebsvereinbarungen statt gesetzli-
cher Regelungen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen,
Gleichbehandlung von Verbraucherinteressen und wirt-
schaftlichen Interessen usw. usf.

Und so hat in dieser Stellungnahme jeder Absatz, ge-
radezu klassisch, quasi sein eigenes Ober- und Unter-
haus. Oder um es anders zu sagen: In der Stellungnahme
soll offenbar das schöne Wort den praktischen Pferdefuß
vergessen lassen. Und, auch das muss ich feststellen, es
ist natürlich auch einer der Formelkompromisse, zu de-
nen eine Koalition im Zustand des Dauerzoffs gerade
noch fähig ist.

Um Ihnen das einmal an einem Beispiel zu veran-
schaulichen: In Punkt 23 wird zu Recht die „Berück-
sichtigung des Scorings in der Datenschutz-Grundver-
ordnung“ und die Achtung der Rechte „der
Verbraucherinnen und Verbraucher an Information,
Nachvollziehbarkeit und dem Schutz vor unangemesse-
ner Benachteiligung“ gefordert. So weit, so wohlklin-
gend. Aber dann folgt die Forderung, „auch dem wirt-
schaftlichen Interesse an diesem Verfahren“ Rechnung
zu tragen. Genau mit diesen schönfärberischen Formu-
lierungen wurden im deutschen Recht rechtliche Legiti-
mierung und reale Praxis des Scorings nicht nur nicht
deutlich begrenzt, sondern stramm den technischen

Möglichkeiten und den Forderungen der diversen Lob-
bys folgend erweitert.

Auf diese und viele andere Punkte wie zum Beispiel
Verbandsklagerechte, betrieblicher Datenschutz und Be-
schäftigtendatenschutz, Status bzw. Ausstattung der Auf-
sichtsbehörden trifft zu, was der Sachverständige
Neumann in der Anhörung als Problem des öffentlichen
und parlamentarischen Umgangs mit der Datenschutz-
grundverordnung benannt hat:

„Die berechtigte einhellige Forderung nach einem
Erhalt der durch deutsche Gesetzgebung und deutsche
Verfassungsrechtsprechung erreichten rechtlichen Stan-
dards – in vielen Fällen gegen Versuche des Gesetzge-
bers durchgesetzt, das Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung einzuschränken – darf nicht die vielfältig
prognostizierten Mängel an der deutschen Datenschutz-
praxis und deren Modernisierungsbedarf unterschlagen.
… Daneben gibt es aber bereits nach heutigem Stand der
europäischen Datenschutzrichtlinie eine Reihe weiterer
Umsetzungsdefizite, von den nicht umgesetzten Richtli-
nien mit datenschutzrechtlichem Bezug – zum Beispiel
die sogenannten Cookierichtlinie – ganz zu schweigen.
Auch in Deutschland sind weiterhin erhebliche Umset-
zungsdefizite zu beklagen: sowohl in der Praxis der
nichtöffentlichen Stellen im Umgang mit personenbezo-
genen Daten als auch im öffentlichen Bereich. Diese De-
fizite werfen berechtigte Fragen nach der Effektivität
der Datenschutzaufsicht, aber auch nach der Geeignet-
heit materiell-rechtlicher Vorgaben auf. Die Konferenz
der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Län-
der hat sich vor diesem Hintergrund im Jahr 2010 mit
einer bisher unbeantwortet gebliebenen Initiative zur
umfassenden Modernisierung des deutschen Daten-
schutzrechts gemeldet und eine Fülle konkreter Vor-
schläge unterbreitet. Bedauerlicherweise fehlte es bis-
her am politischen Willen, sich ernsthaft mit den
Herausforderungen zu befassen.“

Die von der Koalition vorgelegte Stellungnahme ent-
hält zweifellos auch ein paar wichtige und richtige For-
derungen an die zukünftigen Verhandlungen, darunter
einige konkretere, wie zum Beispiel die Möglichkeiten,
nationale, weitergehende Standards, vor allem auch be-
reichsspezifischer Art, beibehalten zu können, aber auch
allgemeine wie die Beschränkung der Ermächtigungen
für die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte.
Das ist erst einmal zu begrüßen. Es ist mir allerdings ein
kleines Rätsel, wieso sie dieses wichtige Thema heute
mit dieser Stellungnahme und ohne die nötige parlamen-
tarische und gesellschaftliche Debatte abhandelt. Ihre
Gründe hierfür interessieren mich sehr, und ich hoffe,
sie sorgt hier schnellstmöglich für Aufklärung. Denn
eine solch widersprüchliche und allgemeine Stellung-
nahme als Meinungsäußerung des Parlaments würde an
den bisherigen Verhandlungspositionen der Bundes-
regierung nicht nur nichts ändern, sondern ihr weiterhin
einen ziemlich großzügigen Spielraum zugestehen. Den
hat die Bundesregierung aber bisher auf europäischer
Ebene nur äußerst selten im Interesse des Daten-
schutzes, des Rechts auf informationelle Selbstbestim-
mung und des Schutzes der Rechte von Verbraucherin-
nen und Verbraucher genutzt.

Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


Daran muss sich endlich grundlegend etwas ändern.
Meine Fraktion sagt deshalb Ja zu einer überfälligen
Europäisierung des Datenschutzniveaus. Dies muss
aber auf dem höchsten Niveau erfolgen und nirgendwo
zu einem Abbau von Datenschutzrechten führen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Fraktion und ich haben das heutige Thema be-
reits vor einigen Monaten hier erstmals ins Plenum ge-
tragen, weil wir in Sorge waren, dass von dieser Koali-
tion dazu gar nichts mehr kommt.

Ich habe es damals gesagt, und ich tue es jetzt hier
gerne wieder und appelliere erneut an die Koalition, all
die Kritik, das Verharren und Zögern endlich in kon-
struktive Energien umzuwandeln. Denn wir brauchen
die EU-Datenschutzreform. Wir brauchen die EU-
Datenschutzreform, weil wir ansonsten im zunehmend
globalisierten Datenverkehr, in Zeiten, in denen zwei
Drittel aller Bürgerinnen und Bürger online sind und
heute beinahe 25 Millionen Deutsche ein Profil bei ei-
nem sogenannten sozialen Netzwerk haben, mit unseren
bestehenden nationalen Regelungen schlicht unterge-
hen. Wir werden von den internationalen Playern auf
dem heißumkämpften Markt um immer mehr Daten der
Bürgerinnen und Bürger schlicht nicht Ernst genommen,
wenn wir nicht einheitlich als Wirtschaftsraum auch un-
sere Werte- und Grundrechtsordnung klar und deutlich
ausformulieren. Für uns bedeutet Datenschutz Grund-
rechtsschutz, und das gilt auch und mehr denn je für die
Privatwirtschaft, wo staatliche Schutzpflichten den Ge-
setzgeber anhalten, gravierende Machtungleichge-
wichte zwischen den Vertragsparteien auszugleichen.

Wir unterstützen deshalb die Europäische Kommis-
sion darin, die ohne Zweifel beachtliche, auch ganz kon-
kret fachliche Herausforderung zu stemmen, einen trag-
fähigen und in die Zukunft weisenden, den Bürgerinnen
und Bürgern tatsächliche Mehrwerte bietenden Entwurf
zu erarbeiten und freuen uns sehr, dass einer der Be-
richterstatter für dieses Vorhaben, welches der Präsi-
dent des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, vor
kurzem während einer interparlamentarischen Anhö-
rung in Brüssel eines der wichtigsten Vorhaben für das
Europäische Parlament bis zum Ende der Legislatur ge-
nannt hat, mein geschätzter Kollege Jan Philipp
Albrecht ist.

Auch wir verhehlen nicht, dass der gegenwärtige Ent-
wurfsstand noch viele wichtige Fragen offenlässt und
weisen auf diesen Umstand bei jeder Gelegenheit hin,
auch hier im Plenum. Die bestehenden Mängel des bis-
herigen Entwurfs haben wir in unseren Anträgen klar
formuliert. Auch wir wollen durch die Reform keine Ab-
senkung des allgemeinen und vergleichsweise hohen
Schutzstandards, sehen aber auch die zahlreichen Lü-
cken und bestehenden Probleme des bundesdeutschen
Datenschutzrechts, bis hin zu den gravierenden Voll-
zugsdefiziten in der Kontrolle der Wirtschaft, die vor al-
lem den viel zu knappen Ressourcen der Aufsicht ge-
schuldet sind.

Umso wichtiger erscheint es uns deshalb, dass ge-
rade unser Land in der weiteren Diskussion um die Aus-
gestaltung eines europäischen Datenschutzrahmens eine
konstruktive Rolle einnimmt und mit konkreten Verbes-
serungsvorschlägen zumindest versucht, die führende
innovative Rolle, die wir in Fragen des Datenschutzes
einmal innehatten, wieder ein Stück weit zurückzugewin-
nen.

Dass wir aber so weit in der derzeitigen Diskussion
zurückgefallen sind, verdanken wir leider dem beharrli-
chen Unterlassen der schwarz-gelben Koalition und der
politischen Bankrotterklärung, in diesem für die Bürge-
rinnen und Bürger so wichtigen Feld wirken und für
hohe Daten- und Verbraucherschutzstandards sorgen zu
wollen. An Aufforderungen und Erinnerungen, zu han-
deln, mangelte es freilich nicht.

Die Debatte um die Reform des Datenschutzes auf
EU-Ebene wurde nicht erst am 25. Januar 2012 eröffnet,
als Frau Reding ihren Entwurf einer Datenschutz-
Grundverordnung vorstellte. Die Debatte war bereits
2009 voll entbrannt, als annähernd 200 Institutionen
und Personen auf Aufforderung der EU-Kommission in
einer Public Consultation ihre Änderungswünsche zur
EG-Datenschutzrichtline 95/46 unterbreitet haben. Da-
runter war auch die Bundesregierung mit einer äußerst
knapp gehaltenen Stellungnahme, aus der ich gerne zi-
tiere: „Die Bundesregierung ist bereit, an dieser wichti-
gen Aufgabe konstruktiv mitzuwirken“.

Doch erst heute, nach drei Jahren intensivster Dis-
kussionen auf nationaler wie auch europäischer Ebene,
erhalten wir hier allenfalls Andeutungen, wohin die
Reise nach Ansicht der Bundesregierung gehen soll. In
der Zwischenzeit haben andere die Arbeit gemacht. An-
dere haben die Richtungen vorgezeichnet – leider nicht
immer in unserem Interesse. Wenn Sie jetzt, Herr Minis-
ter Friedrich, hier und heute betonen, sie wünschten
sich „eine breite und sorgfältige Debatte“ und es be-
stehe „erheblicher Erörterungsbedarf auch in grund-
sätzlicher Hinsicht“, dann ist das vor diesem Hinter-
grund einfach nicht nachvollziehbar. Eine solche „breite
Debatte“ läuft seit Jahren, bisher ist sie allerdings
schlicht an Ihnen vorbeigegangen.

Sie haben sich, Herr Minister, zunächst entschieden,
die ganze Sache in Brüssel mehr oder weniger laufen zu
lassen. Sie haben dabei die ständig wachsende Bedeu-
tung der Thematik sowie die politische Dynamik insge-
samt völlig unterschätzt. Ideologische Scheuklappen
machen eben immer auch ein Stück weit blind. Denn
auch wenn ich nicht glaube, dass alle in der Union so
denken, so ist zu befürchten, dass, durch die Brille der
inneren Sicherheit Ihrer Partei besehen, Datenschutz oft
immer noch auf Täterschutz und, durch die Wirtschafts-
brille besehen, häufig auf Bürokratie reduziert wird.

So haben Sie bloß zugeschaut, als eine äußerst ent-
schlossen auftretende Kommissarin Reding 2010 das
Thema mit einer sehr weitgehenden Reformankündi-
gung aufgriff. Seit aber die konkreten Vorschläge auf
dem Tisch liegen, hintertreiben Sie die Reform, wo es
nur geht. Von Ihren ersten grundsätzlich ablehnenden
Stellungnahmen bis zu Ihrem auf Verzögerung angeleg-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


ten, wenig konstruktiven Verhalten in den EU-Ratsver-
handlungen wird deutlich, dass Sie diese Reform eigent-
lich nicht wollen. Diesen Eindruck hinterließ auch die
vom BMI kürzlich in größter Eile einberufene Daten-
schutzkonferenz, mit der eine breitere Zustimmung für
die gröbsten Schlagworte der Bundesregierung zur De-
batte gefunden werden sollte. Sie kam deutliche zwei
Jahre zu spät. Sie erinnerte mit ihren an Grundsatzfra-
gen ausgerichteten, selbstquälerischen, ja geradezu
faustischen Debatten um das Thema „Datenschutz oder
nicht“ deshalb an absurdes Theater, weil in Brüssel und
in vielen europäischen Großstädten derweil ganz kon-
krete Fragen der Weiterentwicklung des Datenschutzes
auf der Agenda stehen, es also um den Ausbau und die
Effektivierung und nicht um den Abbau des Datenschut-
zes geht.

Ebenfalls unangenehm aufgefallen ist, meine Damen
und Herren von der Koalition – daran muss ich Sie in
diesem Zusammenhang leider erinnern –, wie Sie in un-
kollegialer Weise versucht haben, die Anhörung des In-
nenausschusses zur Datenschutzreform durch Ihre Sach-
verständigen zu torpedieren und die Fragerechte der
Oppositionsfraktionen durch Zeitablauf zu beschränken
bzw. leerlaufen zu lassen.

Ich will noch auf die mantraartig vorgetragenen,
aber zu keinem Zeitpunkt konzeptionell untermauerten
drei Thesen des Bundesinnenministers in Sachen Reform
eingehen.

Wenn wir den Datenschutz des öffentlichen Bereichs
aus der Grundverordnung wieder herausnehmen, dann
fallen wir hinter den Stand der Richtlinie von 1995 zu-
rück. Denn auch diese erstreckt sich bereits auf den öf-
fentlichen Bereich, und sie gilt nach der Rechtsprechung
in einer Reihe von Punkten bereits als vollharmonisie-
rend. Natürlich bedeutet der Schritt zur Rechtsform der
Verordnung auch insoweit eine bedeutende Verände-
rung, aber dann lassen Sie uns doch konkret über die-
jenigen Gebiete, etwa den Sozialdatenschutz, das
Meldewesen oder vielleicht sogar Teile des Medizinda-
tenschutzes, reden, bei denen wir uns konkret wünschen,
dass unsere Standards auch auf europäischer Ebene
Eingang finden.

Die Verordnung lässt dafür durchaus Spielräume of-
fen, und die grundlegende Gesprächsbereitschaft der
Kommission wurde bereits signalisiert. Bereichsausnah-
men oder Übernahmen unserer Schwellen in das Gerüst
der Verordnung bleiben somit möglich. Man muss dafür
aber wenigstens konkrete Vorschläge vorlegen.

Selbstregulierung bleibt ein Schlagwort, wenn man
nicht über den Status quo redet. Wir haben eine Rege-
lung im Bundesdatenschutzgesetz. Doch die findet in der
Wirtschaft keinen Anklang. Uns liegt bis heute keine ein-
zige Selbstregulierung vor, die den Namen tatsächlich
verdient. Denn Selbstregulierung heißt im grundrechts-
sensiblen Bereich des Datenschutzes eben nicht, dass
mal eben eine Handvoll Unternehmen vage Zusagen ge-
ben und dafür im Gegenzug von der Einhaltung gesetzli-
cher Bestimmungen befreit werden. Hier fehlt es an ei-
nem Konzept, bei dem die bessere Sachkenntnis der
Betroffenen in ihren Unternehmen und Branchen und

die Verantwortung des Gesetzgebers für einen durchge-
hend hohen Schutzstandard zusammengeführt werden.
Ein solches Konzept konnten Sie bis heute noch immer
nicht vorlegen.

Schließlich: Die irreführende These vom Verbotsvor-
behalt dient lediglich dazu, das Bild der hinderlichen
Bürokratie zu evozieren. Der Erlaubnisvorbehalt behält
seine wichtige Funktion der Verteilung der Rechtferti-
gungslast auch für scheinbar unwichtige Informationen
über Personen, weil diese, einmal ihrem Kontext entris-
sen und anderswo verwendet, eben doch erheblichen
Schaden entfalten können. Deshalb ist es gerade Sache
der Verantwortlichen, die Erforderlichkeit der Verarbei-
tung überzeugend zu begründen und nicht umgekehrt
Sache der Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen
zur Einhaltung grundlegender Spielregeln im Umgang
mit ihren Daten anzuhalten.

Auch die These von der Notwendigkeit eines stärker
risikobezogenen Ansatzes verfehlt vor allem die gelebte
Praxis des Datenschutzes, die sich in den Unternehmen
und vermittelt über deren Verbände auf der Grundlage
des sicherlich besonders unschönen § 28 BDSG längst
etabliert hat. In jahrelanger Absprache mit den Auf-
sichtsbehörden bestehen weitgehende Erleichterungen
und Anpassungen für kleine und mittlere Unternehmen
sowie sehr weitgehende Rechtfertigungen der unter-
schiedlichsten Verarbeitungspraktiken in den Unterneh-
men auf der Grundlage des bestehenden Rechts. Die ge-
samte Auslegung des Bundesdatenschutzgesetzes erfolgt
also seit über 20 Jahren höchst pragmatisch und risiko-
bezogen.

Lassen sie mich abschließend noch eins sagen, meine
Damen und Herren der Koalition: Ihr Antrag enthält
– das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich – durchaus
einzelne unterstützenswerte Punkte. Aber aus Ihrem
Munde klingen sie, gemessen an Ihrem „Gesamtnicht-
verhalten“ zum Thema Datenschutz, einfach unglaub-
würdig. Der Grundtenor des Antrages atmet eine insge-
samt so rückwärtsgewandte Perspektive im Hinblick auf
den Datenschutz, dass wir ihn nur ablehnen können.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720436500

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/11325 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es sind alle damit
einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Geset-
zes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes

– Drucksache 17/11293 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert
Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung re-
duzieren
– Drucksachen 17/8348, 17/9972 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden dieses
Tagesordnungspunktes zu Protokoll zu geben.1) Sind
alle damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich
nicht.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/11293 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
haben wir das so gemeinsam beschlossen.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9972, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8348
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! –
Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal-
ber frage ich nach Enthaltungen. – Niemand. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Außenwirtschaftsrechts
– Drucksache 17/11127 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll gegeben. – Widerspruch erhebt sich
nicht.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1720436600

Wir befassen uns heute in der ersten Lesung mit ei-

nem Entwurf der Bundesregierung zur Modernisierung
des Außenwirtschaftsrechts. Mit der vorliegenden Über-
arbeitung erfüllen wir eine Vereinbarung aus dem Koali-
tionsvertrag vom 26. Oktober 2009.

Das Außenwirtschaftsgesetz genießt weltweit einen
hervorragenden Ruf und wird daher in seinen bewährten
Grundstrukturen, insbesondere im Grundsatz der Au-

ßenwirtschaftsfreiheit, beibehalten. Dennoch wird es
höchste Zeit für eine Modernisierung. Das Außenwirt-
schaftsgesetz ist 1962, also vor 50 Jahren, in Kraft ge-
treten. Seither hat sich, wie wir alle wissen, in der au-
ßenpolitischen Architektur einiges geändert: Die
Europäische Union hat Zuständigkeiten im Außenhan-
del übernommen und in ihrem Zuständigkeitsbereich ei-
nen gemeinsamen Exportkontrollmechanismus aufge-
baut. Auch deshalb sind das Außenwirtschaftsgesetz

(AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV)

häufig geändert worden.

AWG und AWV gleichen derzeit einem Flickentep-
pich, sie sind unübersichtlich und wenig nutzerfreund-
lich. Selbst Juristen und Experten haben teilweise
Schwierigkeiten, sich in diesem Dschungel an Paragra-
fen noch zurechtzufinden. Das AWG besteht aus 50 Pa-
ragrafen. Nach der Novelle sollen es nur noch 28 Be-
stimmungen sein. Im Interesse der Exporteure, ins-
besondere der kleinen und mittelständischen Unterneh-
men in Deutschland, die oft nicht über eine eigene
Rechtsabteilung verfügen, müssen die Regelungen ge-
strafft und auch für Nichtjuristen verständlich formu-
liert werden. Die Neufassung ist also eine notwendige
Anpassung, und ich gratuliere der Bundesregierung zu
ihrer Entscheidung, das Außenwirtschaftsrecht zu novel-
lieren.

Worum es hier zunächst geht, sind modernere Defini-
tionen für besseres sprachliches Verständnis. Das AWG
wird an die moderne Terminologie angepasst. Es erhält
eine zeitgemäße Sprache und wird in Einklang mit den
europarechtlich etablierten Begriffen gebracht. Da das
nationale und das europäische Recht eng verzahnt sind,
werden so Widersprüche beseitigt. Viele Begrifflichkei-
ten sind schlicht veraltet. Dies ist nicht verwunderlich,
wenn man sich vor Augen führt, dass viele der Definiti-
onen aus der Zeit vor der Wiedervereinigung und vor

(erstmaliges Inkrafttreten 1994, grundlegende Überarbeitung 2009)

ist also an der Zeit, den Definitionskatalog zu überarbei-
ten. Einige Begriffe wie „fremde Wirtschaftsgebiete“
entfallen ganz, andere werden sprachlich vereinfacht.

Auch sollen AWG und AWV besser und übersichtli-
cher strukturiert werden. Ein Beispiel: Die außenwirt-
schaftsrechtlichen Einfuhrverfahrensvorschriften finden
sich derzeit sowohl im AWG als auch in der AWV. Im In-
teresse der Übersichtlichkeit werden sie nunmehr ein-
heitlich in der AWV geregelt und damit an die Ausfuhr-
verfahrensvorschriften angeglichen.

Sie sehen, es geht hier nicht um eine grundlegende
Änderung der Inhalte, etwa um laxere Ausfuhrbestim-
mungen, wie teils fälschlicherweise in der Presse be-
hauptet und skandalisiert, sondern vor allem um eine
Anpassung an den modernen Sprachgebrauch und eine
schlankere Fassung der Bestimmungen. Vergleicht man
AWG/AWV in ihrer aktuellen Form mit der vorliegenden
Überarbeitung, so wird klar: In der Sache ändert sich
nur wenig.

Die Opposition wäre also gut beraten, sich die Zeit
zum Lesen der 88 Seiten Gesetzesnovelle zu nehmen, be-
vor sie absichtlich oder zumindest durch Nachlässigkeit 1) Anlage 12





Erich G. Fritz


(A) (C)



(D)(B)


falsche Behauptungen über laxere Rüstungskontrollen
verbreitet, die explizit nicht vorgesehen sind.

Denn das AWG geht weit über Rüstung hinaus, und
der Bereich Rüstung innerhalb des AWG bleibt völlig
unberührt von der Überarbeitung. Ich sage es noch ein-
mal: Die Überarbeitung des Außenwirtschaftsrechts
sieht keinerlei Erleichterungen für den Export von Rüs-
tungsgütern vor. Insofern ist es gelinde gesagt verwun-
derlich, wenn das Magazin „Der Spiegel“ in seiner Aus-
gabe vom 16. Juli 2012 (29/2012, S. 16) mit dem
irreführenden Titel „Rüstungsexporte: Deutsche Waffen
für die Welt“ behauptet, die Bundesregierung wolle mit
der Gesetzesnovellierung „den Export von Waffen und
Rüstungsgütern vereinfachen“. Hiervon kann keine
Rede sein! Die Inhalte der bestehenden Verbote und
Genehmigungsinhalte bleiben dieselben. Die vorlie-
gende Gesetzesmodernisierung führt nicht dazu, dass
sich Rüstungsgüter aus Deutschland leichter exportie-
ren lassen. Und das begrüße ich ausdrücklich.

Was in der Tat entfällt, sind überholte Ermächti-
gungsgrundlagen, die seit Inkrafttreten des Gesetzes
schlicht nie genutzt wurden. Gerne gebe ich Ihnen ein
Beispiel: Nach § 17 AWG können Rechtsgeschäfte über
die Verbreitung ausländischer Filme und anderer audio-
visueller Werke beschränkt werden, um die deutsche
Filmwirtschaft zu schützen. Die Beschränkungen haben
keinen außenwirtschaftsrechtlichen, sondern einen in-
dustriepolitischen Hintergrund. Von der Ermächti-
gungsgrundlage wurde noch nie Gebrauch gemacht.

Wichtige Grundlagen, wie beispielsweise der soge-
nannte „Einzelakteingriff“ (§§ 6, 7 AWG-Novelle), blei-
ben erhalten. Nach wie vor können also Lieferungen, die
nach dem geltenden Recht legal wären, durch einen Ein-
zeleingriff gemäß § 6 (ehemals § 2 Abs. 2 AWG) unter-
sagt werden, um bestimmte Gefahren abzuwenden, zum
Beispiel für die auswärtigen Beziehungen Deutschlands.
Die Voraussetzungen einer solchen Ausfuhrbeschrän-
kung in Form eines Verwaltungsakts sollen durch die
Gesetzesnovelle auch für den Seeverkehr außerhalb des

(§ 7 AWGNovelle)


Zusätzlich zu der Anpassung an die moderne Termi-
nologie sind einige inhaltliche Änderungen im Bereich
der Straf- und Bußgeldbewehrungen vorgesehen, die ich
gerne erläutere:

Bislang fiel es schwer, zwischen dem Tatbestand einer
Ordnungswidrigkeit und dem einer Straftat zu unter-
scheiden. Die bisherigen Straf- und Bußgeldbewehrun-
gen sind schwer verständlich, weil sie an unbestimmte
Rechtsbegriffe anknüpfen. Verstöße gegen bestimmte
Genehmigungserfordernisse werden zu Straftaten, wenn
sie geeignet sind, die „auswärtigen Beziehungen der
Bundesrepublik Deutschland“ erheblich zu gefährden

(§ 34 Abs. 2 AWG). Dies ist eine schwammige Formulie-

rung. Die Rechtsprechung hat die Bestimmungen aus
gutem Grund kritisiert: Es sei für den Adressaten schwer
erkennbar, wann er sich strafbar machen könne, weil
nicht immer klar sei, in welchen Fällen das Auswärtige
Amt diesen Tatbestand bescheinige. Deshalb sind die

geltenden Straf- und Bußgeldbewehrungen „am Rande
der Verfassungswidrigkeit“.

Ich halte es daher für richtig, dass die Novelle auf un-
bestimmte Rechtsbegriffe in der Zukunft verzichten soll.
Die Straf- und Bußgeldbewehrungen werden in der No-
velle klarer als bisher am Grad der Vorwerfbarkeit aus-
gerichtet. Mit anderen Worten, vorsätzliche Verstöße ge-
gen bestimmte Verbote und Genehmigungserfordernisse,
die bisher als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden,
sollen zukünftig als Straftaten bewertet werden, auch im
Bereich von Dual-Use-Gütern. Auch hier bietet sich zum
besseren Verständnis ein kurzes Beispiel an: Die unge-
nehmigte Ausfuhr von Waffen wird als Straftat geahndet.
Das ist bisher so, und das wird auch so bleiben. Nach
dem vorliegenden Gesetzentwurf wird aber auch die un-
genehmigte Ausfuhr ziviler Güter, die für militärische
Zwecke missbraucht werden können, eine Straftat, wenn
der Täter vorsätzlich handelt (§ 18 AWG-Novelle). Da-
mit ist die klare Botschaft verbunden: Wer sich bewusst
über das Außenwirtschaftsrecht hinwegsetzt, handelt
nicht nur ordnungswidrig, er macht sich vielmehr straf-
bar.

Eine Ahndung von Ordnungswidrigkeiten als Straf-
taten soll hingegen nicht mehr möglich sein. Der Gesetz-
entwurf – mit Ausnahme von Verstößen gegen Waffenem-
bargos – verzichtet auf eine Strafbewehrung fahrlässi-
gen Handelns, das heißt von Verstößen gegen die
erforderliche Sorgfalt. Der Grund hierfür ist einleuch-
tend: Mitarbeiter exportierender Unternehmen sollen
nicht kriminalisiert werden, wenn sie sich rechts-treu
verhalten wollen, ihnen aber versehentlich ein Arbeits-
fehler unterläuft. In diesen Fällen ist die Verhängung ei-
nes Bußgeldes gegen das Unternehmen die angemessene
Sanktion. Außerdem können solchen Unternehmen au-
ßenwirtschaftsrechtliche Genehmigungen wegen man-
gelnder Zuverlässigkeit versagt werden.

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass Verstöße
gegen Waffenembargos verschärft werden. Eine Liefe-
rung von Waffen in ein Embargoland oder die Vermitt-
lung eines solchen Waffengeschäfts wird als Verbrechen
bestraft. Festzuhalten ist: Die Strafbewehrungen für
vorsätzliche Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht
werden sogar deutlich verschärft.

Erlauben Sie mir, vor dem Hintergrund der teilweise
ungeheuerlichen Berichterstattung auch kurz auf den
Bereich der Gesetzesnovelle einzugehen, der die Über-
arbeitung der AWV betrifft. Ich meine die Genehmi-
gungserfordernisse für Güter mit doppeltem Verwen-
dungszweck, den sogenannten Dual-Use-Bereich: Es
handelt sich um deutsche Sondervorschriften aus einer
Zeit, als es noch keine vergleichbaren Bestimmungen im
europäischen Recht gab. Mittlerweile sind sie durch kor-
respondierende europäische Vorschriften überlagert.
Das Nebeneinander der europäischen und der deut-
schen Genehmigungserfordernisse mit weitgehend iden-
tischem Regelungsgehalt führt nicht zu einer verbesser-
ten Exportkontrolle, sondern nur zu einer
bürokratischen Belastung der Unternehmen und zu
Wettbewerbsnachteilen gegenüber ihren europäischen
Konkurrenten.

Zu Protokoll gegebene Reden





Erich G. Fritz


(A) (C)



(D)(B)


Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Welche
Dual-Use-Güter gelistet sind, ist im deutschen Recht in
der Ausfuhrliste geregelt. Diese erfasst neben den euro-
paweit gelisteten Gütern auch Güter, die nur in Deutsch-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1720436700

Häufig sind die nationalen Listungen auf Einzelfallent-
scheidungen (durch „Einzeleingriff“, § 2 Abs. 2 AWG)

zurückzuführen. Viele dieser gelisteten Güter sind veral-
tet bzw. haben ihre Praxisrelevanz verloren. Aus diesem
Grund wird die deutsche Güterliste gekürzt. Zudem wird
auf die Wiedergabe der Güter der Dual-Use-Verordnung
verzichtet, denn diese Güter sind ohnehin von der vor-
rangig geltenden EG-Dual-Use-Güter-VO erfasst.

Sie sehen also, dass der vorliegende Gesetzentwurf
deutlich in die Klasse der Weiterentwicklung effizienten
Regierens in Deutschland einzuordnen ist. Sein Inhalt
eignet sich nicht für parteipolitisches Geplänkel. So
schließe ich mit einem Lob an unsere Bundesregierung,
die einen sehr vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt hat.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1720436800

Die Bundesregierung hat uns ein Gesetz zur Moderni-

sierung des Außenwirtschaftsrechts vorgelegt. Wie wir
der Begründung des Gesetzentwurfs entnehmen können,
werden nun Vorgaben des Koalitionsvertrags von
Schwarz-Gelb umgesetzt. Wie schön!

In Ihrem Koalitionsvertrag steht zur Änderung des
Außenwirtschaftsrechts unter anderem – ich zitiere –:

Es werden Vorschriften gestrichen, die deutsche
Exporteure gegenüber ihren europäischen Konkur-
renten benachteiligen. Bei der Anwendung des Au-
ßenwirtschaftsrechts muss der internationalen
Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft
mehr als bisher Rechnung getragen werden.

Damit missverstehen Sie das Außenwirtschaftsrecht.
Aus dem ersten Paragrafen des Außenwirtschaftsgeset-
zes ergibt sich, dass der Wirtschaftsverkehr mit anderen
Staaten „grundsätzlich frei“ ist, jedoch – und dafür
muss man diesen Paragrafen weiterlesen – Einschrän-
kungen unterliegt. Und diese Einschränkungen ergeben
sich aus der besonderen Berücksichtigung der nationa-
len – also deutschen – und auch europäischen sicher-
heits-, außen-, wirtschafts- und handelspolitischen Be-
lange.

Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Raum,
wie Sie sie sehen, sollten Sie auf der Ebene der EU an-
gehen. Eine alleinige Streichung von deutschen Sonder-
vorschriften darf nicht Ergebnis einer Novellierung des
Außenwirtschaftsrechts sein.

Mit den geplanten Änderungen im Außenwirtschafts-
recht werden Sie den neuen Herausforderungen nicht
gerecht. Gerade vor dem Hintergrund der Debatte zu
Angra 3 hätte sich die SPD-Bundestagsfraktion zum
Beispiel eine klare Regelung zur Beendigung der Ex-
portförderung für Atomtechnologien gewünscht. Die
Förderung und Unterstützung des Baus eines Atomkraft-
werks in Brasilien steht im Widerspruch zum Ausstieg
aus der Nutzung der Atomenergie in Deutschland.

Es kommt hinzu: Die Hermesbürgschaft für Angra 3
soll 1,3 Milliarden Euro betragen. Mit diesem Betrag
will die Bundesregierung ein Projekt fördern, an dem
kein deutsches Unternehmen mehr beteiligt ist. Das
Atomkraftwerk soll in einem Gebiet gebaut werden, das
geologisch – aufgrund von Erdrutschgefahren und insta-
bilen Böden – und geografisch – durch die Nähe zum
Meer und zu Großstädten – ungeeignet ist. Darüber hi-
naus ist das Sicherheitsdesign des geplanten Atomkraft-
werks veraltet.

Unter Rot-Grün haben wir Hermesumweltleitlinien
entwickelt. Wir wollen im Ausland keine Projekte unter-
stützen, die wir bei uns nicht zulassen würden. Nach den
Hermesleitlinien war die Exportförderung von Nuklear-
technologien zum Neubau bzw. zur Umrüstung von Atom-
anlagen ausgeschlossen. Kurz nach der Bundestagswahl
2009 setzte Schwarz-Gelb diese Hermesumweltleitlinien
außer Kraft. Ein Ausdruck Ihrer rückwärtsgewandten
Politik!

Spätestens seit dem Atomausstieg 2011 müssen die
Leitlinien wieder gelten. Die SPD-Bundestagsfraktion
kann sich vorstellen, solche Kriterien, wie in den Her-
mesleitlinien formuliert, in das Außenwirtschaftsrecht
zu integrieren. Das wäre ein Fortschritt und eine wirkli-
che Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts.

Ein anderer sensibler Bereich des Außenwirtschafts-
rechts ist das Rüstungsregime. Nehmen wir den Schau-
platz Indonesien: Wir hören da von 150 Panzern der
Typen Leopard und Marder, die von Deutschland nach
Indonesien geliefert werden sollen. Gestern wurde ge-
meldet, dass die Unterzeichnung des Panzerdeals auf-
grund offener technischer Details verschoben wurde. Es
wird davon ausgegangen, dass die Unterzeichnung am
Samstag erfolgt. Im Wirtschaftsausschuss hörte sich das
Anfang Juli noch anders an. Eine Anfrage – aber kein
Antrag auf Erteilung einer Genehmigung – sei einge-
gangen, so hieß es damals.

Dieser Deal soll, so wie es aussieht, trotz der Be-
fürchtungen, dass die Panzer im Konflikt mit ethnischen
Minderheiten eingesetzt werden könnten, vonstatten ge-
hen. Hier ist Aufklärung durch die Bundesregierung not-
wendig. Es gibt Kriterien zur Bewertung von Waffenex-
porten. Die haben wir unter Rot-Grün entwickelt. Diese
„Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaf-
fen und sonstiger Rüstungsgüter“ zusammen mit dem
„Gemeinsamen Standpunkt des Rates“ legen die Regeln
für die Genehmigung von Waffenexporten fest. Die dor-
tigen Kriterien sind gesetzlich zu verankern. Dazu hät-
ten Sie mit dieser Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes
die Möglichkeit gehabt.

Aus Regierungskreisen heißt es, durch die Novelle des
Außenwirtschaftsrechts würden die Regelungen über
den Export von Rüstungsgütern „ausdrücklich nicht be-
rührt“ werden. Es bliebe bei den „bewährten Grundsät-
zen“ des Außenwirtschaftsrechts, „wonach die Ausfuhr
von Rüstungsgütern im jeweiligen Einzelfall unter sorg-
fältiger Abwägung vor allem der außen-, sicherheits-
und menschenrechtspolitischen Argumente geprüft“
werde. Aber warum schreiben Sie es nicht ins Gesetz?
Sie könnten für Klarheit sorgen. Das wäre eine wirkliche

Zu Protokoll gegebene Reden





Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)


Weiterentwicklung des Außenwirtschaftsrechts. Und sa-
gen Sie nicht, das Außenwirtschaftsgesetz würde durch
diese Kriterien überfrachtet werden. Wem wollen Sie et-
was vormachen?

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Vorschriften zur
Ausfuhr von Dual-Use-Gütern aufgehoben werden sol-
len. Begründet wird diese Aufhebung mit dem bürokrati-
schen Aufwand für die betroffenen Unternehmen und
dem Wettbewerbsnachteil gegenüber Wettbewerbern aus
anderen Mitgliedstaaten. Gerade der Bereich der Dual-
Use-Güter ist besonders sensibel. Das erleben wir ge-
rade bei der Debatte zu den Kommunikationstechnolo-
gien und zur Spyware.

Die Kenntnisse über atomare, biologische oder che-
mische, aber auch kommunikationstechnologische
Zusammenhänge auch im zivilen Bereich können zum
Gebrauch oder zur Entwicklung von Waffen genutzt wer-
den. Daher stellen diese Güter ein besonderes Gefahren-
potenzial dar und unterliegen der Ausfuhrkontrolle.

Die Aufhebung der Sondervorschriften zu Dual-Use-
Gütern erfolgt mit Bezugnahme auf die europäische
Dual-Use-Verordnung. Inwiefern die europäische Ver-
ordnung den gleichen hohen Ansprüchen an die Aus-
fuhrkontrolle gerecht wird, werden wir in der angesetz-
ten Anhörung klären müssen. Das ist insbesondere
interessant, weil die europäische Verordnung nach Art. 4
strengere Regelungen in den Mitgliedstaaten zulässt.

Es gibt viel zu besprechen, und wir sollten uns zu den
verschiedenen Aspekten weiteren Sachverstand einho-
len. Daher werden wir im Wirtschaftsausschuss eine An-
hörung durchführen.


Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1720436900

Die Koalition und die Bundesregierung verfolgen im

Zuge der Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes be-
sonders eine Straffung und Harmonisierung der Vor-
schriften. Denn niemand kann bestreiten, dass eine Mo-
dernisierung dieses Gesetzes nach über 50 Jahren
notwendig ist.

Deutsche Sondervorschriften entfallen zugunsten ei-
ner europäischen Angleichung. Dies betrifft die Ausfuhr
sogenannter Dual-Use-Güter. Eine ungenehmigte Aus-
fuhr von Rüstungsgütern bleibt weiterhin eine Straftat.
Gleiches gilt für den Verstoß gegen die Genehmigungs-
pflicht bei Dual-Use-Gütern, die bisher lediglich als
Ordnungswidrigkeit geahndet wurde. Die neue Übersicht-
lichkeit und Verständlichkeit führt zur Senkung der Büro-
kratiekosten in den betroffenen Unternehmen.

Die Novelle behält dabei die bewährten Grundstruk-
turen des deutschen Außenwirtschaftsrechts bei.

Genehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern
werden weiterhin auf Grundlage der „Politischen
Grundsätze der Bundesregierung für den Export von
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem
Jahr 2000 und dem „Gemeinsamen Standpunkt 2008/
944/GASP des Rates der Europäischen Union vom
8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die
Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Mili-

tärgütern“ geprüft. Vereinfacht wird lediglich das Ver-
fahren als solches.

Die nationalen Sonderregelungen, die zum größten
Teil ihre Bedeutung verloren haben, begründeten lange
Zeit für deutsche Unternehmen durch bürokratischen
Aufwand einen Wettbewerbsnachteil. Dieses Problem
hat unsere schwarz-gelbe Koalition nun angegangen
und beseitigt sie durch die Novellierung des Gesetzes.
Mit dieser Novelle fördern wir einen fairen Wettbewerb
und heben die Wettbewerbsnachteile deutscher Unter-
nehmen gegenüber ihren europäischen Mitbewerbern
auf.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720437000

Deutschland ist der drittgrößte Rüstungsexporteur

der Welt. Das ist eine beschämende Position; denn damit
ist Deutschland in hohem Maße mitverantwortlich für
viele Tote auf der Welt. Die Regierung macht sich lä-
cherlich, wenn sie sich bei der Vorstellung der Novelle
zum Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschafts-
rechts selbst eine strenge Kontrolle von Rüstungsgütern
bescheinigt. U-Boot-Lieferungen nach Ägypten und Is-
rael, Panzerlieferungen nach Indonesien und Saudi-
Arabien, deutsche Sturmgewehre in Libyen und Geor-
gien beweisen das Gegenteil. Am Geschäft mit dem Tod
wird gut verdient, und das soll auch so bleiben. Deshalb
finden dringend notwendige Restriktionen keinen Ein-
gang in die vorliegende Novelle.

Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für
Rüstungsexporte klingen gut: Lieferungen an Länder,
die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden
oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher
Konflikte besteht, scheiden grundsätzlich aus. Auch bei
einem schon hinreichenden Verdacht, dass deutsche
Waffen zur Unterdrückung der Bevölkerung oder zu
sonstigen fortdauernden Menschenrechtsverletzungen
im Empfängerland missbraucht werden könnten, gibt es
grundsätzlich keine Exportgenehmigung.

Doch was nutzt das, wenn diese Grundsätze unver-
bindlich sind, gegenüber den ökonomischen Interessen
der deutschen Rüstungsindustrie abgewogen werden
und dann – wen wundert es? – der Profit immer über die
Menschenrechte gesetzt wird? Nicht einmal 0,15 Pro-
zent der Rüstungsexporte – in Antragswerten – wurden
2010 abgelehnt. Diese Grundsätze müssen verbindlich
in das Außenwirtschaftsgesetz eingefügt werden. Dann
wären wir einen großen Schritt weiter auf dem Weg zu
einer friedlicheren und humaneren Welt.

Die Menschenrechte sind für die Bundesregierung
immer gerade dann nützlich, wenn sie ihre Soldaten ir-
gendwo hinschicken will. Sie schert sich einen Deut da-
rum, wenn deutsche Wasserwerfer an autoritäre Regime
verkauft werden. Den Milizen von Lukaschenko greift sie
sogar aktiv unter die Arme, bildet sie aus und beliefert
sie mit Kameras, Software und Transportern. Nicht nur
Waffen und Kriegsgerät, auch Überwachungstechnik
und Software können Unterdrückungsinstrumente sein
und müssten unter die Restriktionen des Außenwirt-
schaftsgesetzes fallen. Doch statt einer Verschärfung

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulla Lötzer


(A) (C)



(D)(B)


nimmt die Bundesregierung im Bereich der Dual-Use-
Güter Lockerungen vor.

Restriktionen, die nach dem deutschen Recht bisher
vorgeschrieben waren, nach europäischem aber nicht,
sollen entfallen. Nach dem derzeitigen Außenwirt-
schaftsrecht kann die Ausfuhr von Gütern beschränkt
werden, die für die Entwicklung, die Erzeugung oder den
Einsatz von Waffen, Munition oder Kriegsgerät nützlich
sind. Künftig soll dies nur noch für Güter gelten, die aus-
drücklich für die Entwicklung, die Erzeugung oder den
Einsatz von Waffen, Munition und Rüstungsgütern ge-
dacht sind. Das heißt, der Exporteur wird aus der Ver-
antwortung für die Verwendung seiner Güter entlassen.
Ihm kann egal sein, wie viele Menschen wegen seiner
Produkte sterben müssen.

Bei den neuen Straf- und Bußgeldvorschriften gibt es
Verschärfungen, aber auch Erleichterungen. Zentral er-
scheint mir dabei, dass dem Rüstungsexporteur künftig
nachgewiesen werden muss, dass er vorsätzlich gehan-
delt hat. Fahrlässige Verstöße gegen das Außenwirt-
schaftsrecht werden nur noch als Ordnungswidrigkeiten
geahndet. Lediglich leichtfertige Verstöße gegen ein
Waffenembargo werden noch strafbewehrt. Das klingt
wie ein halber Freifahrtschein für die Rüstungswirt-
schaft. Viele Menschen werden weltweit mit Waffen aus
deutscher Produktion oder Lizenz, mit deutschem Know-
how und deutscher Hilfe getötet – nach dieser Novelle
leider mehr statt weniger.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung verfolgte bei der Neufassung
des Außenwirtschaftsrechts nach eigenen Worten das
Ziel, die Regelungen zu straffen und zu vereinfachen.
Was für ein Ehrgeiz: eine Anpassung an eine EU-Richt-
linie, Begriffsklärungen, aber keine substanziellen
Veränderungen. So will ich Ihr Augenmerk auf all das
lenken, was die Bundesregierung in diesem Gesetzent-
wurf, in dem es vor allem um Ausfuhrbestimmungen zu
militärisch nutzbaren Exportgütern geht, nicht ändern
möchte.

Deutschland ist inzwischen zum drittgrößten Waffen-
exporteur der Welt aufgestiegen. Deutsche Rüstungsgü-
ter verkaufen sich hervorragend und finden sich in
Libyen, Indonesien und Saudi-Arabien wieder. Die
Presse berichtete ausführlich über die skandalösen
Verkäufe von Panzern an Saudi-Arabien. Das Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie scheint
diese Exporte sehr zu begrüßen; denn es schreibt in sei-
nem Kommentar zum Außenwirtschaftsgesetz: „Die
strenge Exportkontrolle für Rüstungsgüter bleibt unan-
getastet.“

Doch die Exportkontrolle für Rüstungsgüter ist in
Deutschland ein Skandal. Insbesondere wir Abgeord-
nete werden außen vor gehalten. Die Legislative, also
wir, hat zurzeit sogar nur beschränkte Informations-
rechte im Hinblick auf bereits erteilte Genehmigungen,
und das Wenige erhalten wir sogar regelmäßig lücken-
haft und mit erheblicher Verspätung. Nur im jährlichen
Exportbericht erfahren wir von erteilten Genehmigun-

gen für Rüstungsgüter; aber dieser wird regelmäßig erst
zum Ende des folgenden Jahres fertiggestellt. Hier muss
die Regierung endlich eine verbindliche Zeitvorgabe
schaffen.

Es wäre für die Bundesregierung ein Leichtes gewe-
sen, ihren Entwurf eines Außenwirtschaftsgesetzes um
einen Satz zum Rüstungsexportbericht zu ergänzen und
festzulegen, dass der Bericht spätestens im ersten Quar-
tal des Folgejahres veröffentlicht werden muss. Im
ersten Quartal übermittelt die Bundesregierung die
deutschen Rüstungsexportdaten auch an die EU. Die
Bundesregierung informiert die EU also regelmäßig frü-
her als die eigenen Abgeordneten. In anderen Ländern
wie Großbritannien und Rumänien wird das Parlament
sogar vierteljährlich über Rüstungsexporte unterrichtet.
Das halten auch wir von Bündnis 90/Die Grünen für er-
strebenswert.

Wir Abgeordnete haben eine Kontrollfunktion inne
und sollten diese im Bereich der Rüstungsexporte auch
ausüben. Die Bundesregierung sollte sich nicht mehr mit
dem Mantel des Schweigens bedecken können. Begrün-
dungen für getroffene Entscheidungen zum Beispiel
sollten für sie selbstverständlich sein. Selbst wir Abge-
ordnete werden oft mit Hinweisen auf Geheimhaltungs-
bedürfnisse abgespeist.

Ein weiterer Skandal bei der Exportkontrolle für Rüs-
tungsgüter ist der Umgang der Bundesregierung mit den
Kriterien für die Vergabe der Genehmigungen. Das Bun-
desministerium für Wirtschaft und Technologie schreibt
zwar, dass Anträge zur Genehmigung der Ausfuhr von
Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern auf Grund-
lage der Politischen Grundsätze der Bundesregierung
für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
tungsgütern vom 19. Januar 2000 und des gemeinsamen
Standpunktes der EU betreffend gemeinsame Regeln für
die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und
Militärgütern vom 8. Dezember 2008 entschieden wer-
den. Doch das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie vergisst dabei, zu erwähnen, dass es sich
hierbei um unverbindliche Vorgaben handelt. Andere
Länder wie Großbritannien, Schweden, Österreich,
Tschechien und Dänemark haben den gemeinsamen
Standpunkt längst in nationales Recht übernommen.
Eine gesetzliche Verankerung der Exportkriterien wäre
eine wichtige Aufgabe bei der Novellierung des Außen-
wirtschaftsrechts gewesen. Insbesondere die Menschen-
rechtslage im Empfängerland und die Gefahr der inne-
ren Repression müssen bei Rüstungsexporten bedacht
werden. Doch die schwarz-gelbe Koalition stimmt lieber
in den Refrain der Rüstungsverbände ein: Veränderun-
gen sind nicht notwendig.

Um eine Überprüfung der Einhaltung von Menschen-
rechtskriterien zu ermöglichen, wollen wir Grüne die
Möglichkeit der Verbandsklage bei Rüstungsexporten
prüfen. Im Umwelt- wie im Verbraucherrecht gibt es
jetzt schon Verbandsklagerechte, zum Beispiel bei Ver-
stößen gegen Umweltstandards. Jetzt ist es so, dass ein
Exporteur klagen kann, wenn ein Antrag durch Ausfuhr-
genehmigung durch das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle, BAFA, abgelehnt wird. Jedoch ist zur-

Zu Protokoll gegebene Reden





Beate Walter-Rosenheimer


(A) (C)



(D)(B)


zeit nur er klagebefugt, um die Interessenabwägung zu
seinen Gunsten überprüfen zu lassen. Eine nochmalige
gerichtliche Überprüfung im Sinne des Friedensschut-
zes und der Menschenrechte ist nicht möglich. Solch
eine Möglichkeit könnte mehr Öffentlichkeit und somit
mehr Transparenz im Hinblick auf die Ausfuhrgenehmi-
gungen und ihre Kriterien schaffen.

Besondere Dringlichkeit für Änderungen des Außen-
wirtschaftsrechts gibt es auch bei Dual-Use-Gütern,
welche für die Störung von Telekommunikationsdiensten
und zur Überwachung und Unterbrechung des Internet-
verkehrs eingesetzt werden können. Wenn autoritäre
Regierungen die Internetverbindungen kappen, reicht es
nicht, wenn wir protestieren. Techniken zur Filterung
und Zensur des Internets müssen genauso wie andere
Dual-Use-Güter einer strengen Rüstungskontrolle un-
terliegen.

Die Bundesregierung behauptet zwar immer wieder,
dass solche Exportgenehmigungen grundsätzlich bei
hinreichendem Verdacht des Missbrauchs zur inneren
Repression oder zu sonstigen fortdauernden und syste-
matischen Menschenrechtsverletzungen nicht erteilt
werden. Jedoch hat sie sich nicht dafür eingesetzt, dass
obengenannte Störtechnologien in die europäische
Dual-Use-Verordnung aufgenommen werden. In einem
Schreiben von 2011 an die Europäische Kommission
setzte sich die schwarz-gelbe Bundesregierung gar da-
für ein, dass die Interessen der Wirtschaft ausgewogen
Berücksichtigung finden – ohne auf 21 Seiten die Men-
schenrechte zu erwähnen.

Die Bundesregierung setzt bei Rüstungsexporten ihre
Prioritäten bei der Industrie- und Wirtschaftspolitik und
vergisst dabei ihre Pflicht zur Friedenssicherung. So
schreibt zum Beispiel das Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie auf seiner Homepage in seinem
Kommentar zur Novellierung des Außenwirtschafts-
rechts: „Mit diesen Änderungen setzt sich die Bundesre-
gierung für ein modernes, klar formuliertes Exportkont-
rollrecht für die exportorientierte deutsche Wirtschaft
ein.“ Aufgrund all dieser Punkte erscheint es mir zwin-
gend notwendig, dass dem Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie die Zuständigkeit für Rüstungs-
exporte entzogen wird. Die Ressortzuständigkeit für
Rüstungsexporte sollte dem Auswärtigen Amt übertra-
gen werden; denn dieses hat die notwendige Kompetenz
in Menschenrechtsfragen. Anders als das Bundesminis-
terium für Wirtschaft und Technologie dürfte das Aus-
wärtige Amt es auch nicht als seine primäre Aufgabe an-
sehen, für den wirtschaftlichen Erfolg der heimischen
Rüstungsindustrie durch eine Exportstrategie zu sorgen.

Die deutsche Rüstungsindustrie steht vor der Heraus-
forderung, sich umzustrukturieren und auf friedlichere
Produkte zu setzen. Dabei ist sie aufgrund ihrer vielen
Dual-Use-Produkte gut aufgestellt. „Dual use“ bedeutet
ja: Auch andere Verwendungen sind möglich.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720437100

Interfraktionell wird die Überweisung dieses Gesetz-

entwurfs auf Drucksache 17/11127 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Macht

jemand andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen.

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 40:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen

– Drucksachen 17/11294, 17/11354 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

Die Reden werden zu Protokoll genommen, wie dies
in der Tagesordnung ausgewiesen ist. – Alle sind damit
einverstanden.


Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1720437200

Das europäische Milchpaket ermöglicht es unseren

Milchbauern in Zukunft, ihre Vermarktung noch besser
zu bündeln. Erzeugergemeinschaften können nun auch
selbst Preise mit Molkereien verhandeln und damit eine
bessere Stellung in der Wertschöpfungskette einnehmen.
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung nun das
Marktstrukturgesetz, das seit 1969 die Anerkennung von
Erzeugergemeinschaften und deren Vereinigungen re-
gelt, weiterentwickelt und so die Umsetzung der neuen
EU-Regelung ermöglicht.

Für die Landwirte gibt es am bestehenden Anerken-
nungssystem keine grundlegenden Änderungen, sodass
der bürokratische Aufwand nicht erheblich wachsen
wird. Wir begrüßen die wettbewerbsrechtliche Klarstel-
lung der Tätigkeitsbereiche von Erzeugerorganisationen
und deren Vereinigungen. In Zukunft gibt es klare Rege-
lungen für Preisberichterstattung und Preisfeststellung.
Dies ist schon deshalb notwendig, da der Milchmarkt in
Deutschland in ständiger Bewegung ist. Wir stehen un-
mittelbar vor dem Auslaufen der Milchquotenregelung,
und europaweit ist eine Konzentration in der Molkerei-
struktur zu beobachten. Die jetzt gegebene Bündelungs-
möglichkeit im Milchmarkt soll den Wettbewerb verbes-
sern. Die Sektoruntersuchung Milch hat uns gezeigt,
dass auch kartellrechtliche Auswirkungen zu bedenken
sind.

Unser Ziel muss es sein, dass in Zukunft Preise für die
Landwirte erreicht werden, die es ihnen ermöglichen, ei-
nen Hof über Jahre rentabel zu betreiben und ihn auch
an die nächste Generation zu übergeben. Dabei ist die
Bündelung zur Verhandlung auf Augenhöhe mit den gro-
ßen Abnehmern sicher wünschenswert. Das kann und
darf nicht durch Zwang erfolgen. Bündelung heißt nicht
zwangläufig mehr Strukturwandel.

Insgesamt fördert das Gesetz die Wettbewerbskraft
der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft. Inter-
national steigt die Nachfrage nach Milch und gerade
auch nach hochveredelten Produkten wie Käse. Durch
eine noch bessere Bündelung ergeben sich hier noch
bessere Möglichkeiten für den Milchexport. Bei einem
Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent und einem
großen Druck auf die Erzeugerpreise ist es nur folge-
richtig, wie bisher zusätzliche Absatzmöglichkeiten auf
dem Weltmarkt zu nutzen. An der Chicagoer Börse zeigt





Josef Rief


(A) (C)



(D)(B)


der Preis nach oben. Durch die Probleme mit der dies-
jährigen Dürre in den USA sind viele Herden geschlach-
tet worden, und Milch ist, etwa zur Käseproduktion,
stark nachgefragt.

Ich weiß: Es gibt Kritik an der Exportorientierung
der deutschen Landwirtschaft, trotz der Tatsache, dass
die europäische Milchquote derzeit um 4,3 Prozent un-
terliefert wird. Es ist nicht einzusehen, dass im Export-
land Deutschland, das seine Entwicklung und seinen
Wohlstand der Orientierung auf den Außenhandel zu
verdanken hat, gerade eine Branche, nämlich die Land-
und Ernährungswirtschaft, nicht weitere ausländische
Absatzmärkte erobern soll. Wir würden so den Bauern
einerseits Entwicklungsmöglichkeiten verweigern und
andererseits die Marktentlastung im Inland verhindern.
Die Gegnerschaft gegenüber deutschen Agrarexporten
und die gleichzeitige Forderung nach einem staatlich
verordneten höheren Erzeugerpreis passen nicht zusam-
men. Wir müssen unseren Bauern, ebenso wie den ande-
ren Branchen, den Weg in den Export offen halten und so
einen höheren Absatz ermöglichen. Alles andere würde
die Existenz der Höfe in Deutschland gefährden, und am
Ende könnten wir nicht einmal unser eigenes Land mit
einheimischer Milch versorgen. Die Folgen für den
Standort und vor allem für den Milchstandort Deutsch-
land wären erheblich und nicht zurückzudrehen.

In den Medien liest man von den Vorbehalten einiger
Erzeuger und auch einiger Länder gegenüber der soge-
nannten Andienungspflicht an eine Erzeugergemein-
schaft. Die Andienungspflicht gibt es schon. Das Gesetz
ändert hieran nichts. Auch gibt es keine Benachteiligung
für den einzelnen Landwirt. Es bleibt aber den Erzeu-
gergemeinschaften wie bisher offen, ihren Mitgliedern
in ihrer Satzung den Weg in eine weitere Gemeinschaft
bzw. Genossenschaft freizustellen. Denkbar sind da so-
wohl lokale als auch grenzüberschreitende Gemein-
schaften. Wenn die Mitglieder das für sinnvoll halten,
sollte es ihnen auch freigestellt bleiben. Der Markt wird
hier aber für eine adäquate Bündelung der Erzeuger
sorgen.

Mit der Umsetzung des EU-Rechts und der Anpas-
sung des Marktstrukturgesetzes macht die Bundesregie-
rung nun den Weg für eine weitere Entwicklung auf dem
Milchmarkt frei, und sie wird zum Erhalt unserer heimi-
schen Strukturen beitragen. Das Gesetz stärkt zudem die
Marktposition der Erzeuger und gibt Raum durch bes-
sere Exportchancen.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1720437300

Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzent-

wurf zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmun-
gen. Das Gesetz hat zum Ziel, die staatliche Anerken-
nung für Agrarorganisationen und deren Freistellung
vom Kartellrecht zu regeln. Das Gesetz ist erforderlich,
um bestehendes EU-Recht umzusetzen und insbesondere
die Vertragsbeziehungen im Sektor Milch und Milcher-
zeugnisse zu regeln.

Das bisher in Deutschland geltende Marktstruktur-
gesetz mit seinen 18 Durchführungsverordnungen weist
wegen der zahlreichen Änderungen im EU-Recht in den

vergangenen Jahren erheblichen Änderungsbedarf auf.
Es fehlen beispielsweise grundsätzliche Regelungen für
die Anerkennung von Branchenverbänden, obwohl das
EU-Recht diese schon seit längerem beinhaltet. Außer-
dem gibt es gegenwärtig noch Bestimmungen zur Förde-
rung der Erzeugerorganisationen sowohl im Markt-
strukturgesetz als auch in den Fördergrundsätzen der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruk-
tur und des Küstenschutzes“, die sich zum Teil wider-
sprechen.

Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält Begriffs-
definitionen und Ermächtigungen zum Erlass von
Durchführungsverordnungen. Leider resultiert aus dem
EU-Recht ein wesentlich höherer Bürokratie- und Ver-
waltungsaufwand. In der Durchführungsverordnung
werden die wesentlichen Punkte geregelt. Aus meiner
Sicht ist besonders erfreulich, dass nach der erfolgten
Überarbeitung die Verschärfungen gegenüber dem EU-
Recht herausgenommen wurden. Offensichtlich war der
Genossenschaftsverband nicht in der Lage, den politi-
schen Druck aufrechtzuerhalten, und dadurch kommen
wir heute zu einer sinnvollen Eins-zu-eins-Umsetzung.
Ich begrüße auch ausdrücklich, dass das Agrarorgani-
sationenregister nun doch bei der BLE geführt werden
soll.

Das Gesetz wie auch die Verordnung können nicht
ohne Berücksichtigung des EU-Milchpaketes bewertet
werden. Ziel des EU-Milchpaketes ist es, dass die euro-
päischen Milcherzeuger ihre Marktstellung verbessern
und so zukünftig auf Augenhöhe mit den Milchabneh-
mern verhandeln können. Das ist angesichts der
Marktstrukturen überfällig. Erfreulich ist auch, dass
bestehende Erzeugergemeinschaften zunächst ihre An-
erkennung behalten können. Innerhalb einer Über-
gangsfrist bis zum 1. September 2014 lassen sich gege-
benenfalls noch fehlende Anerkennungsvoraussetzungen
gemäß den neuen Anforderungen schaffen.

Für den Milchsektor sind insbesondere die Punkte
Doppelmitgliedschaft sowie Obergrenzen der Bünde-
lung interessant. Deutschland wird entsprechend dem
eingebrachten Entwurf von der Möglichkeit Gebrauch
machen, bei geografisch getrennten Erzeugungseinhei-
ten auch mehrere Mitgliedschaften in Erzeugerorganisa-
tionen zuzulassen. Eine Definition, was unter „unter-
schiedlichen geografischen Gebieten“ zu verstehen ist,
gibt es bisher nicht. Erste Diskussionen lassen erkennen,
dass die Länderabgrenzung konsensfähig sein könnte.

Rein rechtlich betrachtet wird die Doppelmitglied-
schaft nur dann verboten sein, wenn kartellrechtlich
freigestellte Vertragsverhandlungen geführt werden sol-
len. In der Praxis wird aber jede Erzeugerorganisatio-
nen auch Vertragsverhandlungen führen wollen, sodass
sich daraus am Ende doch das Verbot der Doppelmit-
gliedschaft ergibt.

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz hatte in den ersten
Arbeitsentwurf des Agrarmarktstrukturgesetzes ein ge-
nerelles Verbot der Doppelmitgliedschaft aufgenommen.
Das hätte jedoch dazu geführt, dass dieses Verbot auch
für andere Produktbereiche, für die ebenfalls Erzeuger-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)


gemeinschaften gegründet und anerkannt werden kön-
nen, gelten würde. Dafür gibt es aber teilweise keine
entsprechende Grundlage im EU-Recht. Nun wird diese
nicht mehr geregelt, und damit gilt das EU-Recht eins zu
eins in Deutschland, was ich sehr begrüße. Allerdings
sind Doppelmitgliedschaften im Milchsektor bei Ver-
tragsverhandlungen weiterhin verboten.

Ein paar Worte möchte ich zu diesem Thema aber
noch verlieren. Es macht wenig Sinn, Vertragsverhand-
lungen zu beginnen, ohne dass man genau weiß, über
welche Menge konkret verhandelt wird. Diejenigen, die
die Verhandlungen führen, müssen über entsprechende
Sicherheit verfügen. Es ist nicht vorstellbar, dass Milch-
mengen in Abhängigkeit vom erzielten Verhandlungs-
ergebnis weiterhin zur Verfügung stehen oder nicht.
Darauf kann sich kein Vertragspartner einlassen, und
deshalb sind an dieser Stelle klare Vorgaben sinnvoll.

Zum Thema Genossenschaften möchte ich Folgendes
anmerken: In Deutschland werden ungefähr 70 Prozent
der Milchmenge von Genossenschaften erfasst. EU-weit
liegt der Durchschnitt bei ungefähr 58 Prozent. Diese
Mengen stehen gemäß dem Milchpaket nicht zur Bünde-
lung bei kartellrechtlich freigestellten Vertragsverhand-
lungen zur Verfügung. Der Bund der Deutschen Milch-
viehhalter fordert, dass auch Mitglieder einer
Molkereigenossenschaft an solchen Vertragsverhand-
lungen teilhaben dürfen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es dann Vertrags-
verhandlungen im eigentlichen Sinn nicht geben kann,
da die Mitglieder zugleich Eigentümer der Molkerei
sind, an die sie ihre Milch liefern. Das gilt auch in den
Fällen, in denen das Verarbeitungsunternehmen in eine
eigenständige Rechtsperson ausgegliedert wurde. Den
Mitgliedern einer Genossenschaft bieten sich im Rah-
men der Gremien der Genossenschaft vielfältige Mög-
lichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen. Das grund-
sätzliche Regelwerk der Genossenschaften besteht
inzwischen fast 150 Jahre. Sie sind nicht auf häufigen
Wechsel der Mitglieder ausgerichtet, sondern eher auf
eine gewisse Konstanz. Es erscheint daher auch ver-
ständlich, dass Genossenschaften ehemalige Mitglieder
eher nicht wieder aufnehmen wollen, wenn diese zuvor
die Solidargemeinschaft aus welchen Gründen auch im-
mer verlassen haben. Grundsatz in der Genossenschaft
ist einerseits die vollständige Andienungspflicht der
Milch durch die Erzeuger und andererseits die vollstän-
dige Abnahmepflicht durch die Molkerei. Dieses bedeu-
tet auch weniger Risiko für den einzelnen Milcherzeuger
und mehr Sicherheit für beide Vertragsparteien.

Ich sehe allerdings, dass in den Regionen, wo ein-
zelne Molkereigenossenschaften regionale Nachfrage-
monopole etabliert haben, sehr wohl wettbewerbsrecht-
liche Anpassungen bezüglich der Bindefristen und
anderer Regelungen notwendig sind. Die Molkereige-
nossenschaften sollten nicht zu Restmilchempfängern
degradiert werden; denn das würde das Aus für die Mol-
kereigenossenschaften bedeuten. Vor dem Hintergrund
der wirtschaftlichen Bedeutung der Molkereigenossen-
schaften kann dies politisch nicht gewollt sein.

Auch zur Obergrenze der Bündelungsmenge melden
einige Marktbeteiligte weiteren Diskussionsbedarf an.
Dazu möchte ich wie folgt Stellung beziehen: In
Deutschland beläuft sich die Grenzen für die Milch-
menge, die kartellrechtlich freigestellt verhandelt wer-
den darf, auf 5,3 Millionen Tonnen. Diese Begrenzung
wird von einigen Vertretern der Milcherzeuger kritisiert.
Sie argumentieren, dass statt der Festlegung einer
Grenze im Einzelfall geprüft werden solle, welcher Bün-
delungsgrad zulässig sei. Diesem Argument kann ich
nicht folgen. Eine gemäß dem EU-Milchpaket aner-
kannte Erzeugerorganisation kann im Namen der Mit-
glieder Verträge über die Lieferung von Rohmilch mit
einem Abnehmer aushandeln, wenn die verhandelte
Milchmenge weniger als 3,5 Prozent der EU-Milcher-
zeugung und weniger als 33 Prozent der erzeugten
Milchmenge des Mitgliedstaates betrage. Der gegen-
wärtige Bündelungsgrad in Deutschland ist weit von den
genannten Grenzen entfernt. Die größte Vereinigung von
Milcherzeugerorganisation in Deutschland verfügt nach
eigenen Angaben zurzeit über eine Milchmenge von
1,8 Millionen Tonnen. Darüber hinaus sind Einzelfall-
prüfungen im Kartellrecht sehr aufwendige Verfahren,
sodass mit der pauschalen Freistellung unterhalb der
genannten Grenze eine einfache Regelung getroffen
wurde.

Ich hoffe, dass der Bündelungsgrad in der nächsten
Zeit weiter zunimmt. Dies würde aber bedeuten, dass bei
jeder Änderung der Milchmenge, über die Vertragsver-
handlungen geführt werden sollen, eine erneute kartell-
rechtliche Prüfung erfolgen müsste. Das erscheint mir
wenig handhabbar und angesichts der zu erwartenden
kürzeren Abstände zwischen den Vertragsverhandlungen
fast unmöglich. Allerdings bleibt die Möglichkeit der
Einzelfallprüfung bestehen, wenn die Grenzen der pau-
schalen Freistellung überschritten werden sollten. Diese
Einzelprüfungen würden dann greifen, wenn es zu weite-
ren großen Zusammenschlüssen käme. Das EU-Milch-
paket ist bis 2020 befristet, und es sollen Fortschritts-
berichte im Jahr 2014 und 2018 vorgelegt werden. Ich
gehe davon aus, dass bei Bedarf Anpassungen beim
Thema „Obergrenze der Bündelungsmenge“ möglich
sein werden.

Ich begrüße auch, dass die Mindestmitgliederzahl
von Erzeugerorganisationen von sieben auf fünf redu-
ziert wird. Die Mitglieder können künftig auch aus ande-
ren Mitgliedstaaten stammen und dort ihren Betriebssitz
haben. Die Regelungen zur Andienungspflicht ändern
sich nicht. Mit Zweidrittelmehrheit können Änderungen
weiterhin beschlossen werden. Es bleibt bei dem Grund-
satz, dass die Erzeugerorganisationen nur für einen
Sektor gegründet werden können. Deren Anerkennungs-
voraussetzungen entsprechen im Grunde denen aus dem
Marktstrukturgesetz.

Leider gibt es für die Wirtschaftsbeteiligten und
zuständigen Behörden einen Wermutstropfen; denn die
Informationspflichten werden ausgebaut. Diese zusätzli-
chen Bürokratielasten ergeben sich unmittelbar aus dem
EU-Recht. Geregelt ist nun auch, dass die Förderung
von Erzeugerorganisationen national ausschließlich in
den Fördergrundsätzen zur Gemeinschaftsaufgabe

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Wilhelm Priesmeier


(A) (C)



(D)(B)


„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“ geregelt wird.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1720437400

Im Frühjahr dieses Jahres haben Parlament, Minis-

terrat und Kommission das sogenannte EU-Milchpaket
beschlossen. Dieses Milchpaket ist ein wichtiger Schritt
hin zu einem markt- und wettbewerbsorientierten Milch-
sektor. Mit dem vor über zehn Jahren beschlossenen
Ausstieg aus der Milchquote zum 1. April 2015 werden
Landwirte mehr Freiheit zur Produktion von Milch er-
halten. Sie können dadurch die Chancen und Möglich-
keiten ihres Produktionsstandorts besser nutzen. Außer-
dem werden die Quotenkosten der Vergangenheit
angehören.

Mit dem Gesetz zur Änderung agrarmarktrechtlicher
Bestimmungen werden die notwendigen Anpassungen
für die Umsetzung des Milchpakets vorgenommen. Das
bestehende Marktstrukturgesetz aus dem Jahr 1969 wird
an den neuen Rechtsrahmen angepasst; die national
bewährten Regelungen werden weiterentwickelt. Uns als
Liberale ist es dabei besonders wichtig, dass die bisher
18 Durchführungsverordnungen entschlackt und in ei-
ner einzigen Verordnung zusammengefasst werden.

Das Milchpaket ermöglicht es Milcherzeugern erst-
mals, sich zu Erzeugerorganisationen und Branchen-
verbänden zusammenzuschließen. Die Möglichkeit zur
Bündelung des Milchangebots stärkt die Verhandlungs-
macht der Milcherzeuger. Sie können für ihre Mitglieder
Verträge aushandeln und erhalten eine stärkere Stellung
in der Wertschöpfungskette Milch. Das bringt sie ihrem
Ziel näher, über die Vermarktung ihrer Rohmilch mit den
Molkereien auf Augenhöhe zu verhandeln.

Die FDP begrüßt diese Stärkung der Milcherzeuger.
Milcherzeuger müssen ebenso wie Molkereien die neuen
Möglichkeiten nutzen, die Wertschöpfung aus einem
Liter Milch zu erhöhen. Italien und Frankreich zeigen
uns, dass eine höhere Wertschöpfung möglich ist. Diese
ist eine wichtige Voraussetzung für gute Milchpreise.

Gleichzeitig gibt die EU-Verordnung vor, dass die An-
gebotsbündelung nicht mehr als 33 Prozent des nationa-
len und 3,5 Prozent des europäischen Marktes umfassen
darf. Es muss sichergestellt sein, dass der Wettbewerb
nicht ausgeschlossen wird. Wir wollen keine Monopol-
bildung, sondern sicherstellen, dass kleine und mittlere
Molkereiunternehmen sich am Markt behaupten können.
Dadurch, dass es keine generelle Vertragspflicht gibt,
bleibt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des
einzelnen Landwirtes gewährleistet. Dies ist ein wichti-
ges Element für einen funktionierenden Markt.

Die FDP lehnt das von der EU geforderte Verbot von
Doppelmitgliedschaften in Erzeugerorganisationen für
ein und dasselbe Agrarerzeugnis ab. Erzeugergemein-
schaften geben sich Satzungen, in denen auch die soge-
nannte Andienungspflicht geregelt wird. Sie dient dazu,
dass eine Erzeugergemeinschaft von einem Landwirt
eine möglichst große Menge des erzeugten Produktes er-
hält, um diese dann gebündelt vermarkten zu können. In
fast allen derzeit bestehenden Erzeugergemeinschaften

beträgt diese Andienungspflicht 100 Prozent des Agrar-
erzeugnisses. Es gibt aber bereits Ausnahmen für
geringfügigen „Ab-Hof-Verkauf“. Ein Landwirt kann
aufgrund seiner Zustimmung zur Satzung der Erzeuger-
gemeinschaft nicht ein und dasselbe Produkt an mehrere
Erzeugergemeinschaften liefern. Es sollte jedoch mög-
lich bleiben, zukünftig die Satzungen auch in der Andie-
nungspflicht flexibler zu gestalten. Ein Verbot von
vornherein lässt später keine neuen Organisationsfor-
men und Flexibilität der Landwirte zu. Hier sollte auf
Vorgaben von gesetzgeberischer Seite verzichtet wer-
den; dies kann der Markt selbst regeln. Auch die Festle-
gung von Mindestmengen, Mindestmarktwerten und
Mindestanbauflächen sehen wir Liberale kritisch. Er-
zeugergemeinschaften brauchen eine bestimmte Größe,
um sich auf dem Markt etablieren zu können; aber sie
sind selbst dafür verantwortlich, tragende Strukturen
aufzubauen. Hier ist ein weiterer Einsatz auf europäi-
scher Ebene notwendig.

Mit dem Agrarmarktstrukturgesetz sollen auch die
gesetzlichen Grundlagen für Erzeugergemeinschaften
und Branchenverbände aus anderen Landwirtschaftsbe-
reichen an neues EU-Recht angepasst werden. In
Deutschland gibt es bereits starke landwirtschaftliche
Branchenverbände, anders als in anderen EU-Mitglied-
staaten. Deshalb gilt es, die bewährten Strukturen an die
jetzige Rechtslage anzupassen; neue Organisationsfor-
men sind hier nicht notwendig. Die Gründung und
Entwicklung des Bundesverbandes deutscher Milchvieh-
halter, BDM, hat, neben bestehenden Organisationen,
exemplarisch gezeigt, dass bei uns neue Branchenorga-
nisationen entstehen können. Eine Vorgabe durch die
Politik ist nicht notwendig.

Mit dem neuen Agrarmarktstrukturgesetz stärken wir
den Landwirt als Erzeuger und seine Position gegen-
über der Verarbeitungsebene und dem Handel. Gleich-
zeitig verbessern wir die Kommunikation mit den Ver-
braucherinnen und Verbrauchern. Wir schaffen einen
Rechtsrahmen, in dem unternehmerische Landwirte
dabei unterstützt werden, ihr Einkommen am Markt zu
erwirtschaften.


Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1720437500

Das in Brüssel beschlossene Milchpaket zur Verbes-

serung der Situation am Milchmarkt bildet die Grund-
lage für den hier vorgelegten Gesetzentwurf der Bundes-
regierung. Es ist offensichtlich, dass im Bereich der
Milcherzeugung der Markt nicht funktioniert.

In regelmäßigen Abständen führt die Entwicklung an
den Absatzmärkten für Milchprodukte zu existenziellen
Bedrohungen bei den Erzeugerbetrieben. Die letzte
große Krise aus den Jahren 2007/2008 ist noch nicht
vergessen.

Das strukturelle Überangebot an Milch ist grundsätz-
lich unverändert, auch wenn hier und da der Export ge-
stiegen ist und von den strukturellen Problemen am in-
nereuropäischen Markt ablenkt.

Warum ist das so? Warum funktioniert die Libera-
lisierung und die Globalisierung der Märkte nicht? Wa-

Zu Protokoll gegebene Reden





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)


rum produzieren die Milchviehbetriebe auf Teufel komm
raus, egal ob die Preise steigen oder sinken? Warum
reagieren die Erzeuger nicht auf die Marktlage? Warum
schränken sie ihr Angebot an Milch nicht ein, wenn die
Preise niedrig sind, das heißt, die Kosten nicht gedeckt
werden können, und weiten es aus, wenn Verbrauch und
Nachfrage steigen? Das wäre doch marktgerechtes Ver-
halten?

Es ist im Grunde ganz einfach: Es gibt keinen fairen
Milchmarkt, in dem sich Erzeuger, Verarbeiter und
Händler auf Augenhöhe begegnen. Ein tatsächlicher
Markt im idealen Sinne verlangt aber gerade nach Ver-
handlungen auf Augenhöhe. Diese sind aber strukturell
nicht annähernd gegeben. Rund 80 000 Milchviehbe-
trieben stehen 100 Molkereien und diesen wiederum
10 große Einzelhandelsketten in der Lebensmittelver-
marktung gegenüber. Da ist völlig klar, wie die Macht-
verhältnisse und damit die Preisgestaltung aussehen.
Als Erzeuger muss ich entweder möglichst viel Milch
liefern, auch wenn der Preis nicht kostendeckend ist, um
damit zumindest einen Teil meiner Ausgaben zu decken,
oder ich ziehe mich komplett zurück und gebe die Milch-
viehhaltung auf. Die verbleibenden Betriebe versuchen
durch Kostensenkung und Wachstum, das Notwendige
zum Überleben zu erwirtschaften, was häufig zu hoher
Selbstausbeutung und Überschuldung führt.

Das genau ist der Grund, warum die Milchmenge
sich kaum verändert, obwohl die Zahl der Erzeugerbe-
triebe ständig schrumpft. Wachsen oder Weichen, diese
Devise des sogenannten Strukturwandels bestimmt nach
wie vor das Geschäft. Die Betriebe, die heute noch
Milch erzeugen, haben faktisch keinen Einfluss auf die
Angebotsmenge und damit keinen Einfluss auf die Preis-
bildung.

Genau das müsste ihnen aber mit dem Milchpaket der
EU ermöglicht werden! Das ist und bleibt eine zentrale
Forderung der Milchbäuerinnen und -bauern. Konkret
müsste das bedeuten: keine vertragliche Festlegung auf
nur eine Molkerei, sondern die Möglichkeit, die Ange-
botsmenge zu variieren und auch an verschiedene Ab-
nehmer zu verkaufen.

Die Linke unterstützt die Anliegen der Milcherzeuger
für eine wirksame Angebotsbündelung und Mengen-
steuerung durch sie selbst. Wenn das Milchangebot die
Nachfrage übertrifft, muss es eben möglich sein, das An-
gebot zurückzufahren und darüber die Preisbildung zu
beeinflussen, ohne dass die Abnehmer dies sofort mit
dem Rückgriff auf andere Angebote aus dem Weltmarkt
aushebeln können, um damit wieder den Preis zu drücken.

Nur ein funktionierender Milchmarkt kann die auch
ökologisch und sozial wichtige Milcherzeugung absi-
chern, und zwar viel besser als alle direkten oder indi-
rekten politischen Interventionen. Das hat die Krise aus
den Jahren 2007/2008 gezeigt. Es wurde deutlich, wie
begrenzt wirksam finanzielle Hilfen sind. Sie können
prinzipiell nicht das Marktversagen in Form einer völlig
ungleichen Machtverteilung am Markt kompensieren.
Die agrarmarktrechtlichen Bestimmungen müssen dazu
beitragen, die ungleichen Machtverhältnisse am Milch-

markt zugunsten der Milchbäuerinnen und -bauern zu
korrigieren, damit diese eine Zukunft haben.

Dafür wird sich die Linke einsetzen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger in
Deutschland befinden sich seit Jahren in einer ange-
spannten bis existenziell bedrohlichen wirtschaftlichen
Lage. Nun ist es ja nicht einmal so, dass Frau Aigner in
Sachen Milch nichts getan hat. Sie hat zum Beispiel
2009 mit der Milchkrise Wahlkampf gemacht. Sie hat
auch über 700 Millionen Euro Steuergelder in einem
Sonderprogramm für die Milchviehhalter – besser be-
kannt als Kuhschwanzprämie – versenkt, von dem heute
keiner mehr spricht, weil es verpufft ist wie ein Stroh-
feuer. Nur eines hat Frau Aigner nicht getan: Sie hat
nichts unternommen, um der strukturellen Krise der
Milcherzeugung etwas entgegenzusetzen.

Dabei hätten sich genug Gelegenheiten geboten: Als
das Milchpaket in Brüssel verhandelt wurde, hätte Frau
Aigner sich aktiv für die Forderungen der Milchbäuerin-
nen und Milchbauern einsetzen können; sie hat es nicht
getan. Als das Kartellamt offengelegt hat, dass der
Milchmarkt nicht funktioniert und die Milcherzeuger
massiv benachteiligt werden, hätte Frau Aigner das in
Regierungshandeln umsetzen müssen; sie hat es nicht
getan. Bei allen Haushaltsberatungen dieser Legislatur-
periode haben wir den Antrag, eine Bündelungsoffen-
sive Milch aufzulegen, eingebracht, um die Bildung von
Milcherzeugerzusammenschlüssen zu fördern. Dem hät-
ten Sie zustimmen können, aber Sie haben es nicht getan.

Der Grund für Ihre Untätigkeit ist, dass Sie über-
haupt nicht an einer wirklichen Lösung der Milchkrise
interessiert sind. In dem ungleichen Machtkampf zwi-
schen den Milchbauern und den Molkereien stehen Sie
nicht auf der Seite der schwachen Bauern, sondern auf
der Seite der starken Industrie und des Handels. Das ist
angesichts der personellen Verstrickungen mit der Agrar-
industrie bei CDU/CSU und FDP auch kein Wunder.
Dieses Lobbygeflecht wirkt bis in die Gesetzgebung hi-
nein.

Es ist geradezu absurd, wie Sie aus dem EU-Milchpa-
ket zur Stärkung der Erzeuger gegenüber den Molke-
reien ein Gesetz und eine Verordnung zur Stärkung der
Genossenschaftsmolkereien gegenüber den Milcherzeu-
gern machen wollen. Genau das würde das von Ihnen
geplante Verbot von Doppelmitgliedschaften in einer
Molkerei und einer Erzeugergemeinschaft bedeuten. Wir
lehnen diese unsinnige Gängelei der Milcherzeuger ent-
schieden ab, so wie es auch der Bundesrat getan hat.

Diese Bundesregierung hat bisher nichts für die
Milchbäuerinnen und Milchbauern getan, und sie will
auch künftig nichts für sie tun. In der Erwiderung der
Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrats
zu dem uns vorliegenden Gesetzentwurf steht es schwarz
auf weiß: Die Bundesregierung ist fest entschlossen,
nichts zu unternehmen, um in Brüssel die unsinnigen

Zu Protokoll gegebene Reden





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)


und ungerechten Obergrenzen für Erzeugerzusammen-
schlüsse im Milchpaket nachzuverhandeln.

Statt in Brüssel ihre Arbeit zu machen, verzieht sich
Frau Aigner lieber schon mal nach Bayern, wohl auch,
um dem dauernden Beschuss aus den eigenen Reihen
wie beim gerade gescheiterten Tierschutzgesetz zu ent-
gehen. Ein paar wohlklingende Versprechungen für die
Milchbäuerinnen und Milchbauern hat sie sicher auch
im Gepäck.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1720437600

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf den Drucksachen 17/11294 und 17/11354 an
den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz vorgeschlagen. Gibt es andere Vor-
schläge? – Das sehe ich nicht. Dann haben wir das ge-
meinsam so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des AZR-Gesetzes

– Drucksache 17/11051 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/11364 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Memet Kilic

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Punkt zu Protokoll zu geben.1) – Ich sehe, es
sind alle einverstanden, sodass wir zur Abstimmung
kommen.

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/11364, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11051 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Sozialdemokra-
ten und Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die
Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – So-
zialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? –
Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können es si-
cher kaum fassen, aber wir sind damit am Schluss unse-
rer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, 9. November 2012, 9 Uhr,
ein.

Ich freue mich, Sie dann wieder begrüßen zu können.
Die Sitzung ist geschlossen.