Protokoll:
17188

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 188

  • date_rangeDatum: 29. Juni 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:05 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/188 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 188. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Gabriele Groneberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: a) Antrag der Abgeordneten Hilde Mattheis, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine umfassende Pflegereform – Pflege als gesamtgesellschaftliche Auf- gabe stärken (Drucksache 17/9977) . . . . . . . . . . . . . . . . b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuausrich- tung der Pflegeversicherung (Pflege- Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) (Drucksachen 17/9369, 17/9669, 17/10157, 17/10170) . . . . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/10166) . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Pflege tatsächlich neu ausrichten – Ein Leben in Würde ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, Markus Kurth, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine grundlegende Reform der Pflegever- sicherung – Nutzerorientiert, solida- risch, zukunftsfest – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Fritz Kuhn, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Versorgungslücke nach Krankenhausaufenthalt und ambulanter medizinischer Behand- lung schließen (Drucksachen 17/9393, 17/9566, 17/2924, 17/10157, 17/10170) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Birgitt Bender, Fritz Kuhn, Elisabeth Scharfenberg, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Leistun- gen bei Schwangerschaft und Geburt aus der Reichsversicherungsordnung in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch über- führen und zeitgemäß ausgestalten (Drucksachen 17/5098, 17/9376) . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr, Bundesminister BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22619 A 22619 A 22619 C 22619 D 22619 D 22620 A 22620 B 22621 C 22622 D 22624 A 22625 A 22626 C 22628 A 22629 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 45: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen (Wissen- schaftsfreiheitsgesetz – WissFG) (Drucksachen 17/10037, 17/10123) . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 46: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht (Drucksache 17/10040) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 47: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Sabine Leidig, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kundenfreundliche Bahn für alle (Drucksache 17/8605) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Vor- stand der Deutschen Bahn AG mit fach- kundigem Personal besetzen (Drucksachen 17/4838, 17/8383) . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 48: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft über Zusammenarbeit in den Berei- chen Steuern und Finanzmarkt in der Fas- sung vom 5. April 2012 (Drucksache 17/10059) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 22630 D 22631 D 22633 C 22634 C 22635 B 22636 A 22637 A 22638 A 22639 B 22640 C 22642 D 22641 A 22641 A 22645 B 22647 C 22648 C 22650 B 22651 D 22652 D 22654 C 22655 D 22656 D 22657 D 22659 A 22659 B 22660 B 22661 B 22662 C 22663 A 22664 A 22665 B 22666 C 22666 C 22666 D 22667 D 22668 D 22670 A 22670 C 22672 A 22672 C 22673 C 22673 D 22675 B 22675 C 22676 C 22678 C 22679 D 22680 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 III Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 49: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Renate Künast, Bärbel Höhn, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Tier- schutzgesetzes (TierSchGNeuregG) (Drucksache 17/9783) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Tierschutzgesetz ändern – Kenn- zeichnung von Pferden tierschutzge- recht ausgestalten (Drucksachen 17/4850, 17/5563) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tiertransporte verringern – Tierschutz verbessern (Drucksachen 17/6913, 17/8028) . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Geschäftsordnung Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zur Schaffung einer Stabi- litätsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 50: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koor- dinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksachen 17/9046, 17/10125, 17/10171) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksachen 17/9667, 17/10125, 17/10171) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ratifizierung des Fiskalver- trags ablehnen – Ursachenorientierte Politik zur Krisenbewältigung einleiten (Drucksachen 17/9147, 17/10125, 17/10171) c) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus (Drucksachen 17/9045, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrich- tung des Europäischen Stabilitäts- mechanismus (Drucksachen 17/9370, 17/9670, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmecha- nismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) (Drucksachen 17/9048, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22681 C 22682 D 22684 B 22684 C 22684 D 22684 D 22685 A 22685 B 22686 C 22688 C 22689 D 22691 A 22691 C 22691 D 22693 B 22694 B 22696 A 22696 D 22697 B 22697 B 22697 B 22697 C 22697 D 22697 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabi- litätsmechanismus (ESM-Finanzie- rungsgesetz – ESMFinG) (Drucksachen 17/9371, 17/9670, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes- schuldenwesengesetzes (Drucksachen 17/9049, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes (Drucksachen 17/9372, 17/9671, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäischen Stabilitäts- mechanismus ablehnen, europäisches Investitionsprogramm auflegen (Drucksachen 17/9146, 17/10126, 17/10172) e) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Eu- ropäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich ei- nes Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Drucksachen 17/9047, 17/10159) . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Be- schluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Ar- tikels 136 des Vertrags über die Ar- beitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmecha- nismus für die Mitgliedstaaten, de- ren Währung der Euro ist (Drucksachen 17/9373, 17/9670, 17/10159) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Grundlegende Reformen der EU-Ver- träge umsetzen – Änderung von Artikel 136 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union verhindern (Drucksachen 17/9148, 17/10159) . . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Alexander Ulrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Errungen- schaften in der Europäischen Union verteidigen und ausbauen (Drucksachen 17/9410, 17/9791) . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22697 D 22697 D 22697 D 22698 A 22698 B 22698 B 22698 C 22698 C 22699 A 22702 C 22707 A 22708 D 22711 B 22713 D 22716 A 22717 B 22718 B 22720 A 22721 A 22722 A 22723 A 22724 A 22725 C 22726 C 22727 B 22728 A 22729 D 22731 B 22733 A 22734 C, 22740 A 22743 C, 22744 B 22736 D, 22740 C 22744 D, 22747 B 22734 D 22735 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 V Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE). . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heiner Kamp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD). . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin und Joachim Günther (Plauen) (beide FDP) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22736 A 22750 C 22751 A 22751 C 22753 D 22757 D 22758 B 22758 D 22759 D 22760 B 22762 A 22762 C 22763 A 22764 A 22765 A 22765 B 22766 A 22766 C 22767 A 22768 A 22769 A 22769 C 22770 A 22770 C 22771 B 22772 A 22772 C 22773 A 22774 A 22775 D 22776 A 22776 D 22777 A 22777 D 22778 D 22779 B 22779 D 22780 C Rolf 22781 C Rolf 22783 D Rolf 22784 D Rolf 22785 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günter Gloser und Martin Burkert (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Philip Winkler und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Edelgard Bulmahn und Dr. Ernst Dieter Rossmann (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Katja Dörner und Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion 22785 D 22786 B 22786 C 22788 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 VII – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Maria Klein-Schmeink und Sylvia Kotting-Uhl (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Ulrich Schneider, Beate Walter-Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Alexander Süßmair und Katrin Werner (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler, Sylvia Canel und Dr. Lutz Knopek (alle FDP), Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (beide CDU/CSU) zu: 22789 A 22791 D 22793 B 22794 C VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Schieder (Weiden), Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe (Leipzig), Hilde Mattheis, Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Süßmair und Katrin Werner (beide DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko und Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 15 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22795 B 22797 A 22798 A 22798 D 22799 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22619 (A) (C) (D)(B) 188. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22751 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich werde dem oben genannten Gesetz nicht zustimmen. Heute treffen wir eine Richtungsentscheidung. Es geht um die Frage, welche Gestalt das politische Europa annehmen soll. Es geht um die Frage seiner Organisation und die Frage, wo seine politischen Kompetenzen ange- siedelt sein sollen. Es geht daher um die Frage, ob Europa zentral oder dezentral organisiert wird und auf welcher Ebene seinen Kern der Staatlichkeit liegt. Ge- nau diese Entscheidung trifft heute das Parlament. Das ist nicht zulässig, denn die Verlagerung des Kerns demo- kratischer Staatlichkeit lässt das geltende Grundgesetz nicht zu. Man kann nicht einmal das Grundgesetz dahin gehend ändern. Dennoch wird heute die Überführung von Staatlichkeit an eine höhere Ebene entschieden. Diese höhere Ebene ist indes nicht die Europäische Union, sondern ein neuer Euro-Staat, der keine Vorbilder kennt. Über diesen Umstand spricht niemand, weil die Dis- kussion um die vorgebliche Rettung des Euro durch Fis- kalvertrag und ESM den Blick auf die wahre Bedeutung der heutigen Entscheidung im Plenum verstellt. Ich halte dies für einen Fehler. Die Entscheidung über die Ver- schiebung von Staatlichkeit von Deutschland in den neuen Euro-Staat darf nicht unter dem Deckmantel von ESM und Fiskalvertrag gefällt werden. Sie muss viel- mehr als solche deutlich bezeichnet und mit mindestens gleicher rechtlicher Qualität wie die über den Vertrag von Lissabon getroffen werden. Die heutige Entscheidung ist daher ein absoluter Tief- punkt in der Geschichte des Deutschen Bundestages. Niemals zuvor wurde eine bedeutendere Entscheidung unter so falschen Voraussetzungen getroffen. In unser Bewusstsein muss gerückt werden, dass der Deutsche Bundestag mit der Zustimmung zum ESM auf sein Bud- getrecht – das Königsrecht – bereitwillig verzichtet. Das Budgetrecht ist Königsrecht, weil ein Parlament ohne eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmittel kas- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 29.06.2012 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 29.06.2012 Bockhahn, Steffen DIE LINKE 29.06.2012 Brandner, Klaus SPD 29.06.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 29.06.2012 Granold, Ute CDU/CSU 29.06.2012 Hempelmann, Rolf SPD 29.06.2012 Kolbe (Leipzig), Daniela SPD 29.06.2012 Kramme, Anette SPD 29.06.2012 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.06.2012 Lay, Caren DIE LINKE 29.06.2012 Liebich, Stefan DIE LINKE 29.06.2012 Luksic, Oliver FDP 29.06.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.06.2012 Nietan, Dietmar SPD 29.06.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 29.06.2012 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.06.2012 Zapf, Uta SPD 29.06.2012 Anlagen 22752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) triert, also seiner eigentlichen Aufgabe beraubt ist. Eine Demokratie ist nicht denkbar ohne ein Parlament mit voller Budgethoheit. Aus diesem Grund schlussfolgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 38 GG, dass der Bestimmungsgehalt des Demokratieprinzips missachtet wird, wenn das parlamentarische Budgetrecht entleert wird. Indes führt der ESM aus sowohl rechtlichen wie öko- nomischen Gründen zu unabsehbaren und unbegrenzten finanziellen Verpflichtungen Deutschlands. Dadurch saugt er das Budgetrecht des Bundestages aus und hin- terlässt nicht mehr als dessen leere Hülle. Rechtliche Grenzen sind dem Zugriff des ESM auf den Bundeshaushalt nicht gesetzt. Denn die haushalts- rechtliche Beschränkung auf 190 Milliarden Euro wirkt nicht. Nach dem Vertrag über den Europäischen Stabili- tätsmechanismus sind alle Entscheidungen seiner Gre- mien völkerrechtlich verbindlich, bis auf die Erhöhung des genehmigten Kapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV. Sie wird erst wirksam mit einer bundesgesetzlichen Er- mächtigung zur Bereitstellung neuer Mittel für den ESM. Doch diese einzige Vorkehrung gegen eine unge- wollte völkerrechtlich begründete Zahlungspflicht reicht nicht aus, wenn Deutschland auch auf andere Art und Weise zur Zahlung verpflichtet werden kann. Dies ist erstens der Fall beim Abruf genehmigten Kapitals zu einem höheren Ausgabepreis als zum Nennwert. Deutschland ist verpflichtet, jedem Abruf des genehmig- ten Kapitals nachzukommen, selbst wenn dieses mit einem Aufgeld auf den Nennwert, also zu einem höheren Ausgabepreis erfolgt. Dadurch entsteht eine völkerrecht- lich wirksame Zahlungspflicht, die Deutschland erfüllen muss, selbst wenn ihre Höhe die haushaltsrechtliche Vorsorge von 190 Milliarden Euro übersteigt. Dies ist zweitens der Fall, wenn ein erhöhter Kapitalabruf zur Verlustdeckung erfolgt, mit dem die Nichterfüllung der Zahlungspflicht eines anderen ESM-Mitglieds ausgegli- chen wird. Deutschland hat in diesen Fällen kein oder jedenfalls kein abschließendes Vetorecht, da einerseits Streitigkeiten über den Bestand von Zahlungspflichten in letzter Instanz vom EuGH entschieden werden und andererseits mit dem bestimmungsgemäßen Eintritt wei- terer Staaten zur Euro-Zone der deutsche Kapitalanteil am ESM absinken wird, wodurch sich die Sperrminorität in Luft auflöst. Ökonomisch und rechtlich zwingt uns der ESM mit seinem Haftungs- und Leistungsautomatismus in eine Transferunion. Denn jede Anleihe, die er auflegt, um damit die Schuldenstaaten zu finanzieren, ist ein Euro- Bond. Alle ESM-Mitglieder haften gemeinschaftlich mit dem Vermögen des ESM. Die Anleihen des ESM wer- den wegen der gemeinschaftlichen Haftung und größe- ren Sicherheit attraktiver sein als die Anleihen seiner Mitglieder. Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird sin- ken, wodurch die von den Mitgliedstaaten geforderten Zinsen steigen werden. Das drängt weitere ESM-Mit- glieder in Hilfsprogramme des ESM. Die Darlehen, die der ESM an diese Schuldenländer vergibt, sind vorran- gig gegenüber anderen Staatsschulden zu bedienen. Das verteuert die Kreditaufnahme für die Programmländer zusätzlich. Wenn ein ESM-Mitglied auch nur ein einzi- ges Mal ein Darlehen vom ESM bekommen hat, wird es sich nie mehr eigenständig am Kapitalmarkt finanzieren können, weil seine Refinanzierung teurer und nicht billi- ger wird. Andererseits bringen die Anpassungspro- gramme des ESM geringere Sanierungsanreize als hohe Kapitalmarktzinsen. Griechenland, Irland und Portugal liegen jeweils hinter den Zielen ihres Anpassungspro- gramms zurück. Das ist kein unglücklicher Zufall, son- dern das zu erwartende ökonomische Ergebnis, wenn ein Land sich nicht am Kapitalmarkt finanzieren muss. Der ESM wird sich daher stetig ausweiten, schon bald die Rolle einer europäischen Schuldenagentur einnehmen und größeren Kapitalbedarf haben. Der ESM ist kein Rettungsschirm, sondern ein Ansteckungsmechanismus. Nicht das Fehlen der politischen Union bei Gründung der Währungsunion war der Fehler, sondern der ab- sichtsvolle Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im Jahr 2010. Dieser Rechtsbruch hat die aktuelle Krise ge- radezu ausgelöst. Mit dem ESM wird diese Krise nicht bekämpft, sondern die Saat gelegt, aus der die Schulden- und Transferunion heranwachsen wird. Die Haftungsge- meinschaft der ESM-Mitglieder ist nicht Zukunftsmusik, sondern Gegenwart. Denn der ESM verfolgt ausweislich seines Vertragsstatuts nicht nur den Zweck, die Euro- Zone zu schützen, sondern auch die Finanzstabilität aller seiner Mitgliedstaaten. Der ESM wird dadurch die Staatsinsolvenz jedes einzelnen seiner Mitgliedstaaten verhindern und als gemeinsame Bank zur Staatsschul- denfinanzierung dienen. Dadurch werden Staatsinsol- venzen innerhalb der Euro-Zone faktisch unmöglich. Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr bankrott gehen können, dann kann nur noch der neue Euro-Staat als Ganzes bankrott gehen. Es ist daher ökonomisch un- vermeidlich, dass es zu einer Sozialisierung sämtlicher Staatsschulden der ESM-Mitgliedstaaten kommen muss. Dieser Sozialisierung des Insolvenzrisikos steht keine adäquate Möglichkeit gegenüber, die Haushalte der Mit- gliedstaaten zu kontrollieren. Denn der Fiskalvertrag ist ein zahnloser Tiger, der als Medizin gegen die geradezu perverse Anreizsituation herhalten soll, Schulden auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten zu machen. Doch diese Medizin wird sich als wirkungslos erweisen. Es gibt nur ein einziges Mittel, das Regierungen und Parla- mente zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Staatsfinanzen veranlasst, nämlich die Drohung des Kapitalmarkts, Schulden nicht länger zu finanzieren. Doch genau dieses disziplinierende Mittel haben wir plangemäß und absichtlich abgeschafft. Die heutige Gründung des Euro-Staats als Haftungs- union mit dem Euro-Bonds ausgebenden ESM als seiner Schuldenagentur lehne ich ab. Dieser Euro-Staat ist nicht demokratisch legitimiert, er hat kein Parlament, und seine Organe sind weitgehend einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Sein Machtzentrum ist eine Finanz- institution, deren Gremien von Mitgliedern der nationa- len Exekutiven besetzt werden. Sie müssen sich gegen- über dem deutschen Gesetzgebungsorgan nicht verantworten. Nicht einmal der deutsche Gouverneur muss sich dem Bundestag verantworten, weil das Kabi- nett nur der Bundeskanzlerin verantwortlich ist. Eine politische Verantwortlichkeit ist daher nicht gegeben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22753 (A) (C) (D)(B) Sie genießen überdies eine weitgehende und völker- rechtlich abgesicherte strafrechtliche Immunität. Der ESM ist ausführendes Organ des neuen Euro-Staats, ähnelt in seiner Ausgestaltung aber einer herkömmlichen Bank. Seine Organe unterliegen einer Schweigepflicht, sein Archiv ist unverletzlich. In der Wirkung ist der ESM somit durch das Bankgeheimnis geschützt, wel- ches wir für alle anderen europäischen Banken abge- schafft haben. Der ESM darf nicht nur Kredite vergeben und Staatsanleihen aufkaufen, sondern alle Geschäfte in Bezug auf Anleihen durchführen. Damit kann er den Zins durch Geschäfte mit Derivaten auf Staatsanleihen beliebig manipulieren. Aufgekaufte Staatsanleihen darf er wiederum als Sicherheit hinterlegen, um sein Volu- men durch die Aufnahme weiterer Gelder am Kapital- markt zu hebeln. Seine Bediensteten zahlen keine Steu- ern. Sie dürfen nach Handelserfolg bezahlt werden, also umso höher, je größere Gewinne sie für den ESM am Kapitalmarkt erzielen. Keines der vom ESM und seinen Bediensteten durchgeführten Geschäfte ist transparent oder in irgendeiner Weise kontrollierbar, sei es durch das Parlament oder die Justiz. Diese enorme Machtfülle eines Exekutivorgans ohne „checks and balances“ ist ein Rückfall in eine vor- moderne Staatsform. Sie ist ein veritabler Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze der Gewaltenteilung, die maßgebliches Kennzeichen unserer freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung sind. Ich kenne keine Um- stände, unter denen wir davon auch nur ein Jota abwei- chen dürften. Selbst in der Not gelten Gebote! Sogar und gerade in der Not müssen Gebote gelten, denn sie sollen genau in diesen schlechten Zeiten Orientierung geben. In der Krise unserer Währung darf nichts anderes gelten. Wenn die Ordnungsregeln der Währung gebrochen wer- den, dann bricht die Währung. Ich muss daher abschlie- ßend festhalten: Wenn Währung, Recht und freiheitlich- demokratische Grundordnung durch politisches Handeln gefährdet werden, dann ist dieses Handeln falsch. Europa steht nicht unbedingt an einem Scheideweg, ganz sicher aber an einem „Ent-Scheideweg“! Die Kosten der kurzfristigen Euro-Stabilisierung für den deutschen Steuerzahler sind enorm und ansteigend. Schlägt die Rettung eines festen Euro fehl, was aufgrund der politischen Gegebenheiten und Anreize absehbar ist, wird Deutschland mit in den Abgrund gezogen. Eine ra- sche Entflechtung des unseligen Euro-Konstrukts ist für Deutschland die günstigere Lösung. Die Euro-Rettung hat mit Ökonomie und Vernunft nichts mehr zu tun. Sie ist mittlerweile zu einer Ideologie verkommen, die in ei- ner Währungsunion nichts zu suchen hat. Es sei denn, man nimmt einen Super-GAU in Kauf, der den Kollaps Deutschlands nach sich zieht. Denn tagtäglich erhöht sich durch die angebliche Stabilisierung der Euro-Zone das Risiko für den deutschen Steuerzahler und seit den gestrigen Gipfelbeschlüssen auch noch für den deut- schen Sparer. Wir liegen mit den EZB-Verpflichtungen in etwa bei 3,4 Billionen Euro. Mit 27,5 Prozent sind wir auf jeden Fall beteiligt, wenn Verluste eintreten. Wenn immer mehr Länder – Spanien, Italien, Belgien, Zypern, Frankreich – unter die Rettungsschirme schlüpfen, steigt der deutsche Haftungsanteil dramatisch an, gegegbenen- falls auf 2 Billionen Euro. Jahrzehnte würden wir an die- ser Schuld tragen und ganz sicher Steuern und andere Einnahmen drastisch erhöhen müssen, was wiederum die deutsche Wirtschaft in den Bankrott triebe und Infla- tion bedeuten würde. In jedem Falle würde ein Großteil des deutschen Sparvermögens einfach in den verschwen- derischen Wohlfahrtsstaaten der Peripherie, in Löchern von Bankbilanzen und Immobilienblasen verschwunden sein. Unter politischem Druck unterschreiben wir Schuld- schein für Schuldschein zugunsten fremder Staaten, weil die Solidarität und der Friede in Europa gefährdet seien. Solidität, Eigenverantwortung und Eigenhaftung spielen keine Rolle mehr. Wir können in Deutschland nicht Wohlstand, Grundgesetz, Rechtsstaat und Demokratie zugunsten eines imaginären Europas opfern und gleich gar nicht, um eine nicht funktionierende Währungsunion zu retten. Wenn überhaupt, dann müssen wir das Projekt Europa und das europäische Währungssystem, was nach den jüngsten Erfahrungen nicht zwangsläufig eine Wäh- rungsunion sein muss, neu verhandeln und dabei auf die unverzichtbaren Rechte deutscher Verfassungsorgane achten, vor allem das Haushaltrecht. Die Entscheidung über die Zukunft der EU dürfen wir nicht Büro- und Technokraten und auch nicht alleine den Staatschefs überlassen. Im Sinne des Demokratieprinzips sind die Parlamentsrechte zu verstärken und Volksabstimmun- gen, auch über den Euro, unabdingbar. Ich stehe für ein Europa der Vaterländer, einen Staatenbund, der mit sei- nem freien Binnenmarkt und der verstärkten Zusammen- arbeit ein Raum des Friedens, des Rechts, der Sicherheit und der Demokratie bleiben soll. Ich stehe nicht für einen Bundesstaat, in dem Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert, Schulden und Risiken mit Deutschland als Hauptverantwortungsträger vergemeinschaftet werden. Der ESM ist der Anfang vom Ende eines solidarischen und gleichberechtigten Europas. Deshalb lehne ich ihn entschieden ab. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Warum ich dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmecha- nismus zustimme: Was wir genau wissen: Seit einigen Jahren haben wir dramatische Krisen in Europa, aber die bisherigen Maß- nahmen der Bundesregierung, die bisherigen Verhand- lungen, ob bilateral zwischen Merkel und Sarkozy, oder auf EU-Gipfeln und in Räten, waren nicht ausreichend, oft kontraproduktiv, kamen zu spät, waren zu schwach und diplomatisch schlecht vorbereitet. Viele Maßnah- men hätten Teil einer komplexen Lösung sein können – deshalb haben wir auch zugestimmt –, leider sind die Lösungsansätze der Kanzlerin in Unterkomplexen ste- cken geblieben. Im Ergebnis geraten die Menschen vieler Länder un- ter extremen Druck. Die Gewinne Weniger steigen noch immer, Arbeitslosigkeit, insbesondere Jugendarbeitslo- sigkeit, und Armut vieler nehmen zu. Verantwortungslo- ser Umgang mit hohen Risiken im Privaten – Banken, Schattenbanken, Fonds, „Akteure“ im Finanzmarkt – 22754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) hilft im Einzelfall, Einzelne zu bereichern. Zu oft müs- sen aber die exorbitanten Verluste von Steuerzahlern übernommen werden. Mit dieser Erfahrung können wir, die SPD-Fraktion, weder dem nackten Fiskalpakt noch dem nackten ESM zustimmen. Wieder hat die Regierung Merkel vergessen, dass Sparen allein in der Krise kein Lösungsansatz sein kann; nicht einmal zur Senkung der staatlichen Neuver- schuldung. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und das Wirtschaftswachstum schwächelt, muss Sparen allein in die Rezession führen. Und in Deutschland? Hätten wir nach der Pleite von Lehman Brothers so agiert wie die Kanzlerin nach der Griechenland-Pleite – Arbeitslosig- keit und Wachstum wären auch hier ein riesiges Problem. Aber in Deutschland haben wir nicht in die Re- zession gespart, sondern mit dicken Konjunkturpro- grammen, der Abwrackprämie und der richtig teuren Kurzarbeiterregelung über die Krise hinweg geholfen. In diesen Erfolgen – und wer sich erinnert, denkt an Steinbrück, Steinmeier und Olaf Scholz – sonnt sich heute die Kanzlerin. Wer bei Haushaltssanierung nur an die Ausgabenseite denkt, ist Teil des Problems. Zur Lösung gehört auch die Einnahmeseite. Natürlich sollen jene, denen es vor, wäh- rend und in den Krisen, womöglich noch durch die Kri- sen, besonders gut gegangen ist, sich auch an deren Be- kämpfung beteiligen. Ich denke an gerechte Steuern, aber noch viel mehr an die Beteiligung derjenigen, die durch ihre Spekulation mit dem Geld anderer Menschen die Krise ausgelöst und ihre Verschärfung zu verantwor- ten haben. Die Bundesregierung hat es immer noch nicht geschafft, eigentlich auch nicht ernsthaft versucht, diese verschiedenen losen Regulierungsstränge in die Hand zu nehmen und zu einer integrierten Strategie zur Überwin- dung der europäischen Schulden- und Finanzkrise zu verknüpfen. Wir brauchen aber eine Gesamtperspektive für den Finanzmarkt mit unterschiedlichen Werkzeugen, die zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Stellen anset- zen und zusammenwirken. Wer in einem virtuellen Spekulationsmarkt mit über 700 Billionen US-Dollar Risiken eingeht, der darf nicht erwarten, dass jene Menschen, die reale Werte schaffen – weltweit circa 70 Billionen US-Dollar – und Steuern bezahlen, für die Fehlspekulationen im Investmentban- king aufkommen. Das oberste Gebot ist es, Risiko und Haftung, Entscheidung und Verantwortung wieder zu verknüpfen. Wie schwer sich CDU/CSU und FDP damit tun –, ob es um Bankenabgabe oder Finanztransaktion- steuer geht, ob um Wachstumsimpulse für Europa oder ein Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit –: immer war es ein langer Kampf, die Regierung und die Regie- rungskoalition von solchen Maßnahmen zu überzeugen. Im Regelfall war es so, dass die Vorschläge der SPD- Fraktion zur Regulierung der Märkte etc. zunächst abge- lehnt wurden, um sie dann doch zu akzeptieren. Mit Blick auf diese Regel können wir getrost darauf warten, bis Kanzlerin Merkel und im Gefolge auch die CDU/ CSU-FDP-Regierungskoalition den vom Sachverständi- genrat empfohlenen Altschuldentilgungsfonds, Euro- Bonds und ein Trennbankensystem akzeptieren werden. Schade nur, dass solche Zickzackmanöver den Weg zur Krisenbewältigung verlängern, komplizierter und auch teurer machen. Auch mit Blick auf diese Erfahrungen dürften wir we- der dem Fiskalpakt noch dem ESM zustimmen. Aber dürfen wir wirklich das Schicksal Europas von einer Kanzlerin auf Zickzackkurs in Unterkomplexen abhän- gig machen? Ein Wort zum Fiskalpakt: Für den Fiskalpakt habe ich eine schöne Beschreibung gelesen: Das Haus brennt lichterloh, es sollte eilig gelöscht werden – stattdessen nimmt man sich mit dem Fiskalpakt vor, künftig nicht mehr mit dem Feuer zu spielen. In einigen Bürgerbriefen wird die Sorge geäußert, mit dem Fiskalpakt, also der Schuldenbremse in Europa, könnten die Zwangskräfte zum Sparen so groß werden, dass die sozialen Siche- rungssysteme unter Druck geraten, Armut und Alters- armut in hochverschuldeten Ländern zunehmen könnten. Deshalb wird empfohlen, den Fiskalpakt abzulehnen. Das ist zu verstehen, und die Gefahr ist meines Erach- tens nicht zu leugnen. Eine überbordende Staatsver- schuldung jedoch hat im Regelfall ähnliche Effekte. Wie wir in Griechenland gesehen haben, gibt es einen Punkt der Staatsverschuldung, der das Gesamtsystem über Nacht in die Insolvenz treiben kann. Ob mit oder ohne Fiskalpakt – Schuldenbremse hinsichtlich der strukturel- len Verschuldung –: eine solche Entwicklung muss ver- mieden werden. Dabei führt uns die reine Betrachtung der Staatsver- schuldung an den Ursachen der Krisen vorbei. Peer Steinbrück formuliert: „In diesem Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, dass keinesfalls nur Staaten mit ho- her Verschuldung Probleme mit der Refinanzierung ihres Staatshaushalts haben. Bis zur Finanzkrise hatten Spa- nien (2008: 40,2 Prozent) und Irland (2008: 44,2 Pro- zent) deutlich geringere Schuldenquoten als Deutschland (2008: 66,7 Prozent). Die notwendigen Rettungsmaß- nahmen im Zuge der Bankenkrise und die Bewältigung der Konjunktureinbrüche im Anschluss daran tragen ei- nen erheblichen Anteil an den Refinanzierungsproble- men in einigen EU-Staaten. Die Schuld für die aktuelle Krise einseitig den nationalen Regierungen anzuheften, geht also fehl.“ Insgesamt ist es also fallweise viel wichtiger, sich um die Regulierung der Banken und des Finanzplatzes zu kümmern und darum, die „reine“ Spekulation ohne Bei- trag zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung einzudäm- men. Exkurs: Für mich ist es eine wichtige Frage, wie das strukturelle Defizit berechnet wird und wann welche Konsequenzen aus den Feststellungen der EU-Kommis- sion gezogen werden. Wenn die Folgen aus dem struktu- rellen Finanzierungssaldo des Staatshaushalts im europäischen Haushaltsüberwachungsverfahren zu pro- zyklischen Maßnahmen führen, wäre das fatal. Deshalb ist es wichtig, dass Konsequenzen bzw. Sanktionen bei besonderen Ereignissen – Einmaleffekte – nicht greifen. Dabei ist der strukturelle Finanzierungssaldo des Staats- haushalts im europäischen Haushaltsüberwachungsver- fahren der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo – berei- nigt um Konjuktur- und Einmaleffekte. Man könnte Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22755 (A) (C) (D)(B) sagen, die strukturellen Defizite in der Maastricht-Ab- grenzung beziehen sich auf die Kurve des volkswirt- schaftlichen Trendwachstums und nicht auf die Phase der aktuellen Konjunkturlage. Das BMF erläutert im Haushaltssauschuss am 27. Juni 2012: „Die Bereinigung um Konjunktureffekte erfolgt mittels der von der Europäischen Kommission angewendeten Methode, wonach sich der konjunkturell bedingte Finanzierungssaldo als Produkt aus Budget- elastizität und Produktionslücke ergibt. Die gesamtstaat- liche Budgetelastizität gibt die Konjunkturreagibilität des Staatshaushalts an; sie wurde empirisch als Durch- schnittswert der Vergangenheit ermittelt. Die Schätzung der Produktionslücke wird zu jeder gesamtwirtschaftli- chen Vorausschätzung der Bundesregierung auf Basis des Produktionsfunktionsansatzes der Europäischen Kommission aktualisiert. Als Einmaleffekte bezeichnet man temporäre fiskali- sche Effekte, die keinen nachhaltigen Einfluss auf die Situation der öffentlichen Haushalte haben. Als Bei- spiele hierfür nennt der Verhaltenskodex zum Europäi- schen Stabilitäts- und Wachstumspakt den Verlauf nicht- finanzieller Forderungen, Erlöse aus der Versteigerung öffentlicher Lizenzen, kurzfristige Kosten aufgrund von Naturkatastrophen, Steueramnestien oder Einnahmen aus der Übertragung von Pensionsverpflichtungen.“ In seinen grundsätzlichen Wirkungen entspricht der Fiskalpakt der Schuldenbremse, wie sie in der deutschen Verfassung verankert ist. Ärgerlich, weil nichts anderes als eine primitive takti- sche Variante der Kanzlerin, ihre eigene Regierungs- koalition in Schach zu halten und jene in der CDU/CSU und FDP einzubinden, die den Fiskalpakt aus allgemei- ner Europaskepsis ablehnen wollen, ist die Forderung, den Fiskalpakt mit einer Zweidrittelmehrheit zu ratifizie- ren. In den Anhörungen des Bundestages wurde deut- lich, dass der Fiskalpakt als völkerrechtlicher Vertrag einfachgesetzlich, also mit einfacher Mehrheit ratifiziert werden kann, also eine Zweidrittelmehrheit nicht erfor- derlich ist. Damit wurde auch deutlich, dass das Kalkül der Bundesregierung deutlich durch die Wahl des Ab- stimmungsverfahrens eine Unabänderlichkeit der Rege- lungen zur Schuldenbremse – Art. 109, 115 und 143 d GG – zu konstruieren und damit den Verfassungsgeber für die Zukunft zu binden. Bei einigen Kolleginnen und Kollegen führt dieser unangemessene Übergang zu einer „neuen Staatspraxis“ mit all seinen verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen Konsequenzen zur Ablehnung des Fiskalpakts. Pikant ist, dass der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen in seinem jüngsten Gut- achten Kritik am Fiskalpakt und am sogenannten EU- Sixpack übt, weil praktisch kein Land in Europa den er- forderlichen Abbau der Staatsverschuldung schaffen kann. Darin sieht der Beirat ein Glaubwürdigkeitspro- blem mit Rückwirkungen auf den Finanzmarkt. Zur Er- innerung: Das Europäische Parlament hat am 28. Sep- tember 2011 das sogenannte EU-Sixpack von EU- Währungskommissar Olli Rehn – Regeln zur Haushalts- kontrolle und ein neues Verfahren gegen wirtschaftliche Fehlentwicklungen – mit den Stimmen der Konservati- ven und der Liberalen beschlossen. Sozialdemokraten stimmten dagegen, weil einseitiges Sparen ohne Wachs- tumskomponente schnell zu sozialen Verwerfungen füh- ren kann. Nun haben wir also das Sixpack in Europa ohne Beteiligung der nationalen Parlamente. Der Fiskal- pakt hat inhaltlich eine große Ähnlichkeit mit dem Six- pack. Den Fiskalpakt im deutschen Parlament abzuleh- nen, wäre in dieser Hinsicht ein Symbol; denn auch ohne Fiskalpakt gelten die meisten seiner Regeln schon durch das Sixpack. Allerdings erhalte ich auch Post von Bürge- rinnen und Bürgern, die großen Wert darauf legen, dass dem Rettungsgedanken – Geld geben – der Haushalts- sanierungsgedanke gegenübersteht. Insofern ist auch eine Zustimmung ein Symbol im Spannungsfeld von Ge- stalten und Sparen in den nationalen Haushalten der Mit- gliedsländer. Lange Zeit waren die innerstaatlichen Folgewirkun- gen des Fiskalpakts auf die Länder und Kommunen un- klar. Nach den Zusagen der Bundesregierung, alle durch den Fiskalpakt induzierten Kosten für Länder und Kom- munen zu übernehmen, haben die Länder keine fiskali- schen Einwände gegen den Fiskalpakt und werden mei- nes Wissens mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Ein Wort zum ESM – dem Europäischen Stabilitäts- mechanismus: Infolge ihrer reflexartigen Verweigerungshaltung ge- genüber sozialpolitischen, qualitativ wachstumsorien- tierten und finanzmarktregulatorischen Vorschlägen hatte die Kanzlerin stets nur eine Idee zur Lösung der Krisen. Geld. Das liest sich dann als EFSF-Garantien über 780 Milliarden Euro, EZB-Ankäufe in Höhe von 220 Milliarden Euro, IWF-Garantien im Wert von 250 Milliarden Euro, bilaterale Kredite über 110 Milliar- den Euro, ESF-Garantien in einem Volumen von 700 Milliarden Euro, davon 80 Milliarden Euro Barmit- tel. Kein Gedanke an die soziale Situation: Sozialunion, Bekämpfung der Armut, Überwindung der Arbeitslosig- keit, Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsunion und Kon- junkturstimulation, Aufbau von Infrastruktur und Ver- waltung, speziell Steuerverwaltung in Ländern mit Vollzugsdefiziten. Es wurden Geld und Bürgschaften an EU-Mitgliedsländer gegeben, die den Menschen, nicht helfen konnten, wurden sie doch benötigt, um die Gläu- biger – Spekulanten, Schattenbanken, aber auch öffentli- che und private Banken, Versicherungen etc. – der Mit- gliedsländer zu befriedigen. Und warum? Weil der Eiertanz um die Beteiligung der Verursacher der Krisen – Haircut – so lange andauerte, bis sich viele private In- stitute von vielen Staatsanleihen, mit denen zuvor speku- liert wurde, getrennt hatten. Erst sehr spät, zu spät und in zu geringem Umfang wurden auch Spekulanten, Invest- mentbanken etc. durch einen freiwilligen Forderungs- verzicht am Schuldenabbau von zum Beispiel Griechen- land beteiligt. Inzwischen war aber schon die EZB ohne jede demokratische Kontrolle oder Beschlussfassung zu einem riesigen Gläubiger geworden. Um zu verhindern, dass der Markt, über den sich Länder Geld besorgen, zu- sammenbricht, hat die EZB für 220 Milliarden Euro 22756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Staatsanleihen gekauft und für 1 Billion Liquidität zur Verfügung gestellt; eine Notoperation als Ersatz für Handlungsausfälle nationaler Regierungen mit zweifel- hafter Legalität. Aber wenn es brennt, fragen wir auch nicht, aus welchem Eimer das Löschwasser stammt. Für diese Ankäufe und Risiken der EZB haften natürlich die Anteilseigner der EZB, den größten Anteil hat die Deut- sche Bundesbank mit 21 Prozent. Solche Verwerfungen sind eine Konsequenz aus der Wankelmütigkeit einer Kanzlerin mit dem Image der „Eisernen Lady“. Wir soll- ten diesen deutschen Haftungsanteil an den Anleihekäu- fen des Euro-Systems auch im Hinterkopf behalten, wenn die Bundeskanzlerin wieder einmal Euro-Bonds ablehnt. Inzwischen ist die Kanzlerin umgefallen – in die rich- tige Richtung, um von der SPD und den Grünen die Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten, eine Mehrheit, die sie meines Erachtens taktisch fordert, weil die Beteiligung der Opposition verhindert, dass die Re- gierungskoalition auseinanderfliegt. Der ESM und der Fiskalpakt werden also allein – nackt – nicht kommen. Mit Wachstumsprogrammen, mit der Finanztransaktion- steuer und Programmen gegen die Jugendarbeitslosig- keit – mehr ist auf der Website der SPD-Fraktion zu fin- den – werden der Fiskalpakt und der ESM in ein sozial- und wirtschaftspolitisches Konzept eingebettet, das die Hoffnung nährt, wir könnten Europa so aus der Krise winden. Aber das geht nicht über Nacht, und selbst mit den jetzigen Maßnahmen haben wir keine Erfolgsgaran- tie, die Krisen zu überwinden. Wichtige Instrumente – insbesondere solche, die den Staaten unter größtem Druck mehr Zeit geben – fehlen noch. Mir fehlt es aller- dings auch noch an Verbindlichkeit der Zusagen, dass die Vorschläge der SPD-Fraktion seitens der Regierung auch realisiert werden. Mich ärgert, dass viel zu früh der Eindruck entstanden ist, die SPD-Fraktion werde sowieso zustimmen. Da- durch konnte die Kanzlerin den Eindruck erwecken, sie habe ja schon immer Wachstumsimpulse setzen wollen, schon immer Jugendarbeitslosigkeit im Blick gehabt, schon immer die Finanztransaktionsteuer gewollt, schon immer die Finanzmärkte und Finanzprodukte regulieren wollen, und das füge ich zum besseren Verständnis die- ser Kanzlerinnenlogik auch noch hinzu: schon immer die Atomkraftwerke abschalten und die Wehrpflicht ab- schaffen wollen. So gibt es fachliche, taktische und poli- tische Gründe, die es der Opposition noch schwerer ma- chen, dem ESM zuzustimmen. Ich zitiere noch mal aus einem Bürgerbrief von Peer Steinbrück: „Auch ich habe bei den Beschlüssen, die die deutschen Steuerzahler in Mithaftung für die aktuelle Krise nehmen, Bauchschmerzen. Sollte die eingeschla- gene Strategie, mit den Finanzhilfen eine Stabilisierung und Konsolidierung der Staatshaushalte in den betroffe- nen Ländern zu erreichen, scheitern, wird der deutsche Bundeshaushalt ohne Frage in erheblichem Maße belas- tet. Im konkreten Fall des ESM habe ich diese Bauch- schmerzen jedoch nicht. Denn: Im Vergleich zu den ak- tuellen Rettungsmaßnahmen stellt er eine deutliche Ver- besserung dar. Der ESM überführt die provisorischen Rettungsschirme in eine dauerhafte Institution und bietet damit auch einen sicheren Rahmen für die Konditionie- rung weiterer finanzieller Hilfen. Aus der hektisch ent- worfenen provisorischen EFSF wird eine dauerhafte In- stitution, die – ähnlich dem IWF – Staaten auf dem Weg zu einer soliden Finanzpolitik langfristig begleitet. Der ESM kann harte Auflagen und Bedingungen für die be- troffenen Länder vereinbaren, aber auch Wachstum be- fördern. Der ESM kann Not leidenden Staaten Darlehen gewähren oder deren Staatsanleihen aufkaufen“. – So- weit das Zitat. Ärgerlich sind primitive Kampagnen, die auf einen ernsthaften Abwägungsprozess in Pro und Contra ver- zichten und mit halben oder falschen, weil aus dem Kon- text herausgelösten Textfragmenten aus Vertragsentwür- fen zitieren, um vielen Menschen Angst zu machen. Sie formulieren dann nicht einmal einen eigenen Satz – ob- wohl sie so sehr betroffen sind – und klicken sich via Copy und Paste zu einer Massenmail an Hunderte Abge- ordnete, oft ohne Absender, vielleicht sogar als Alias, also anonym, und glauben ernsthaft, das würde Entschei- dungsprozesse beeinflussen. Um Gelegenheit zu geben, sich in die Empfängerseite einzufühlen: Solche Mails landen im Spamfilter, werden bestenfalls in einem sepa- raten Ordner gesammelt und gezählt, im Regelfall aber einfach verworfen. So erhalten wir auch ein Youtube-Video, Lobbyarbeit von Abgeordnetencheck.de. Ich möchte nur auf einen Aspekt eingehen, um Sie zu ermutigen, an dem Video zu zweifeln. Wir bekommen dort den Eindruck vermittelt, der Gouverneursrat könne bedingungslos und unwider- ruflich Geld in beliebiger Höhe abrufen. Na ja, aber nur insoweit zuvor genehmigt und insoweit die genehmigte Summe noch nicht abgerufen ist. Abgesehen davon kann überhaupt nur abgerufen werden, wenn der deutsche Vertreter zustimmt. Er hat also eine Vetomöglichkeit. Im Video klingt das doch anders; aber Abgeordneten- check.de schickt seine User recht häufig auf den Pfad der Massenpost, der gestohlenen Betroffenheit, der halb- seidenen Informationen. Wenn ich dann die Leute an- rufe, sind sie oft recht peinlich berührt und können die Argumente der Plattform nicht verteidigen, fühlen sich hinters Licht geführt. Tatsächlich gilt gemäß Art. 9 Abs. 3 des ESM-Ver- trags, dass der geschäftsführende Direktor Kapital von den Mitgliedstaaten abrufen kann; wie gesagt, sofern be- reits vom Deutschen Bundestag als zugesagt beschlossen und noch nicht abgerufen. Eine Ausweitung des Ret- tungsschirms über die vereinbarte Summe hinaus erfor- dert nach Art. 10 Abs. 1 des ESM-Vertrags die erneute Entscheidung des Bundestages. Hinzu kommen die bis- her festgelegten Volumina aus dem deutschen Anteil der EFSF und der Kredite aus dem Griechenland-Hilfspaket. Der Gouverneursrat ist auch nicht ganz so frei, wie über manche Onlineplattformen verbreitet. Der ESM, der Notkredite und Bürgschaften zur Verfügung stellt, beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag und braucht nach Art. 59/2 Grundgesetz als Grundlage ein innerstaat- liches Zustimmungsgesetz. In diesem Gesetz ist die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22757 (A) (C) (D)(B) Parlamentsbeteiligung dadurch gegeben, dass die Richt- linien, die der Gouverneursrat erlässt, vom Haushalts- ausschuss des Bundestages kontrolliert werden. Wenn wir bedenken, dass es hier um Wirkungen und Rückwir- kungen mit fast 30 Staaten geht, wird schnell deutlich, wie kompliziert die Abstimmungsprozesse sein werden. Oder nehmen Sie die Behauptung, der Gouverneurs- rat sei ein übermächtiges, durch nichts zu bremsendes, fast anonym besetztes Gremium. Starke Worte im Video. Aber der Gouverneursrat sind einfach die Finanzminis- ter; sie müssen alle wichtigen Entscheidungen zunächst in ihren Heimatparlamenten behandeln oder verabschie- den. Yasmin El-Sharif schreibt bei Spiegel Online: „Ohne Bundestag gibt es auch keinen Rettungsmecha- nismus“. Deshalb ist es um die Souveränität der Mit- gliedsländer auch mit ESM gut bestellt. Auch die angeprangerte Immunität und Unantastbar- keit verlieren ihren Schrecken, wenn wir bedenken, dass es ohne unser Parlament, ohne nationales Recht auch keinen ESM geben könnte. Auf dem gleichen Weg könn- ten wir ihm seine Existenz wieder nehmen, wenn es nicht mit rechten Dingen zugeht. ESM-Gouverneursrat klingt so europäisch. Der Gou- verneursrat besteht aus den Finanzministern der Mit- gliedstaaten. Die Finanzminister sind natürlich gegen- über ihren nationalen Parlamenten und Regierungen rechenschaftspflichtig. Außerdem gelten entweder Ein- stimmigkeitsprinzip oder Mehrheitsanforderungen von 85 Prozent, sodass der deutsche Finanzminister stets ein Vetorecht hat, Art. 5 ESM-Vertrag. Mich ärgert dabei, wie schon im Verhältnis zur Kommission und zum Rat, dass wir bestimmte Kompetenzen abgeben – nicht an das Europäische Parlament, sondern an Verwaltungsinstitu- tionen, an den Beamtenapparat. Hier sind Kompetenz- verschiebungen in Richtung Parlament, in Richtung De- mokratie sehr wichtig. Heute erhalte ich eine Postkarte von Attac: „Ermäch- tigungsgesetz 2.0“. Dort wird das Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933 in Beziehung gesetzt der Entschei- dung über den ESM. Zur Postkarte gibt es ein Begleit- schreiben, das, ähnlich fragmentarisch wie das oben er- wähnte Video den ESM kritisiert. Und Attac wird „das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten veröffentlichen …“. Ich bin viele Jahre Mitglied bei At- tac, weil ich schon immer eine Finanztransaktionsteuer befürwortet habe und es für richtig halte, die Mittel im Wesentlichen für die Armutsbekämpfung in der Welt einzusetzen. Mit der SPD hatte Attac ja nun auch einen Erfolg in dieser Hinsicht. Abgesehen davon, dass das Abstimmungsverhalten im Bundestag sowieso öffentlich ist und es nicht Attac bedarf, um hier Transparenz herzu- stellen, ist bemerkenswert, dass bei Attac selbst irgend- welche Arbeitsgruppen, Angestellte oder wer auch immer ohne jegliche demokratische Rückbindung Kam- pagnen fahren, von denen völlig unklar ist, in wessen In- teresse und in wessen Auftrag sie erfolgen und wie sie fi- nanziert sind? Als Mitglied frage ich Attac, wer diese Leute eigentlich ermächtigt hat, mir solche Postkarten zu schicken? Besonders infam wird die Kampagne auch deshalb, weil andere Länder den ESM schon beschlos- sen bzw. ratifiziert haben. Leider sind manche Menschen nicht bereit, eine ab- weichende, wenn auch begründete Entscheidung anzuer- kennen, und werfen mir in Mails der vergangenen Tage sogar Hochverrat vor oder drohen mir ihre Verachtung an, für den Fall, dass ich ihre Ablehnung des ESM nicht teile. Es wird zwar die Freiheit des Mandats beschworen, an die Idee des unabhängigen Volksvertreters erinnert, die Verpflichtung auf das Grundgesetz oder nationale In- teressen eingefordert, aber wehe, der Abgeordnete ist an- derer Ansicht. Auch die ernsthafte Auseinandersetzung vieler Bür- gerinnen und Bürger mit Fiskalpakt und ESM, die ihre Bedenken über die Abgabe von Souveränitätsrechten, ihre Sorgen um den Zusammenhalt in Europa, ihre Kri- tik an der vermeintlichen Kritiklosigkeit der Abgeordne- ten zum Ausdruck bringen, wird dadurch entwertet, ge- hen im Strom der Massenmails und Kampagnen fast unter. Wenn ich Ihnen einen längeren Brief schreibe, soll dies auch auf eine Entwicklung hinweisen, die ich mit Sorge betrachte. Wir – damit meine ich mich, Sie, die Politik, die Medien, eigentlich uns alle – erziehen uns selbst und andere zu kurzen, knappen, (zu) einfachen Botschaften nach dem Motto: „Ich stimme zu, weil …“; manchmal müsste es aber richtigerweise heißen: „Ich stimme zu, obwohl …“ – Diese Abwägung kriege ich nicht in drei Zeilen unter. Eine Meinung zu haben, ist meines Erachtens mehr, als Ja oder Nein sagen zu kön- nen. Genauer über Zusammenhänge, Hintergründe, Ziele nachzudenken, kann nicht schaden, auch wenn ich am Ende vielleicht trotzdem nur zu einem Ergebnis komme, das nicht gut, aber besser als die Alternativen ist. Nachdem die Verfassungsressorts von der Verfas- sungsfestigkeit des ESM-Ratifizierungsgesetzes und der weiteren Begleitgesetze überzeugt sind, es aber gleich- wohl Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht geben soll, ist es gut, dass der Bundespräsident mit seiner Un- terschrift unter die Gesetze noch warten will. Verfas- sungswidrigkeit oder Verfassungskonformität wird vom Verfassungsgericht festgestellt und liegt nicht im Ermes- sen des Parlaments, das nach bestem Wissen und Gewis- sen über Gesetze entscheidet. Leider reduzieren die Absender von Massenschrei- ben, auch einige Bürger, die individuell nachfragen, Europa auf eine rein monetäre Angelegenheit. Das kommt ein wenig geschichtsvergessen daher und ver- drängt die enorme Bedeutung Europas für 60 Jahre Frie- den, die Überwindung der deutschen Teilung und die Entwicklung stabiler Demokratien. Mit Blick auf diese Bedeutung Europas und mit Blick auf die Bedeutung Europas für Deutschland stimme ich dem Fiskalpakt und dem ESM zu. Meine diesbezügli- chen Zweifel sind deutlich geringer als bei einer Ableh- nung – deren langfristige Konsequenzen heute nicht ab- schätzbar sind. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme da- gegen, weil der Fiskalpakt die ohnehin schon bestehende Finanzkrise der Länder und Kommunen weiter ver- schärft. Die Folge ist, dass es noch mehr kaputte Schu- 22758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) len, Schwimmbäder und Sportanlagen geben wird oder sie gleich ganz geschlossen werden. Das ist unerträglich, weil dann wieder und wieder Menschen unter den Fol- gen der Finanzkrise leiden werden, die sie nicht verur- sacht haben. Als Linker will ich, dass endlich diejenigen, die schuld an der Krise sind, zur Verantwortung gezogen werden. Ich stimme dagegen, weil der Fiskalpakt drastischen Sozialabbau zementiert und einen gnadenlosen Wettbe- werb um die Demontage des Sozialstaats in Europa an- heizt. Wer glaubt, die Idee von Europa mit immer neuen Kürzungsdiktaten, mit Lohnkürzungen, Rentenkürzun- gen und dem Abbau von Arbeitsrechten retten zu kön- nen, lässt diese Idee in Wirklichkeit zu einer reinen Marktideologie verkümmern. Diesen Weg halte ich für grundfalsch. Und ich stimme dagegen, weil insbesondere der Fis- kalpakt ein Frontalangriff auf die Demokratie ist. In der Demokratie muss es so sein, dass eine Regierung abge- löst und ihre aus Sicht der Mehrheit falsche Politik rück- gängig gemacht werden kann. Doch selbst wenn sich die Mehrheit in Deutschland künftig für eine andere Politik und eine andere Mehrheit entscheiden sollte, selbst dann könnte eine neu gewählte Regierung den Fiskalpakt nicht einfach kündigen. Die Schuldenbremse steht be- reits im Grundgesetz. Doch eine neue Mehrheit könnte sie dort wieder rausstreichen. Aber die Schuldenbremse wird auch durch den Fiskalpakt festgeschrieben. Da der Fiskalpakt nicht gekündigt werden kann, kann auch eine neue Mehrheit, ein politisch anders zusammengesetztes Parlament, ja selbst eine Volksabstimmung ihn nicht wieder beseitigen. Das ist aus meiner Sicht ausgespro- chen demokratiefeindlich und ein glatter Verfassungs- bruch, an dem ich mich nicht beteiligen möchte. Schulden müssen abgebaut werden. Kaputtkürzen ist der falsche Weg. Stattdessen brauchen wir eine Finanz- transaktionsteuer, eine Reichensteuer und eine Vermö- gensabgabe auf die höchsten Geldvermögen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Durch das Gesetz zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus wird der ESM als dauerhafter Rettungsschirm eingerich- tet und institutionalisiert und so weitere Hilfsmaßnah- men für überschuldete Euro-Staaten möglich. Ich habe solche Hilfsmaßnahmen innerhalb der Euro-Zone bereits in der Vergangenheit abgelehnt, weil dies meiner Auffas- sung von Solidarität zwischen den Euro-Staaten zuwi- derläuft. Am Beispiel Griechenlands sehen wir, dass die eingeleiteten Rettungsmaßnahmen ohne durchgreifen- den Erfolg blieben. Mittlerweile verschärft sich die Situa- tion fast täglich. Zuletzt haben Spanien und Zypern die EU um finanzielle Hilfe gebeten. Ich habe mich klar gegen die Einrichtung eines dauer- haften Rettungsschirms positioniert und für diese Posi- tion beim FDP-Mitgliedsentscheid und innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion gekämpft. Die Mehrheit hat anders entschieden. Das erkenne ich an. Auch den Fiskalpakt sehe ich kritisch. Ich begrüße ausdrücklich, dass er die Vertragsstaaten durch eine Schuldenbremse zur Haushaltsdisziplin verpflichtet. Al- lerdings fehlt es an verbindlichen Regelungen und Me- chanismen, seine Einhaltung effektiv durchzusetzen. Außerdem wurde er politisch erkauft mit der Finanz- transaktionsteuer und den „Bundes-Bonds“, die der Ver- schuldungspolitik einzelner Bundesländer Tür und Tor öffnen. Das parlamentarische Verfahren, mit dem die Ent- scheidungen über den ESM und den Fiskalpakt nun ge- troffen werden sollen, sehe ich kritisch. Ich teile die Sorge des Bundesverfassungsgerichts um eine „Entparla- mentarisierung“ von Entscheidungen in Angelegenhei- ten der Europäischen Union. Die Verfassungsrichter haben in ihrem Urteil vom 19. Juni 2012 die Mitwirkungs- rechte des Deutschen Bundestages klar gestärkt. Die Einstimmigkeit und Eindringlichkeit des Urteils machen deutlich, wie zwingend die frühzeitige und umfassende Information des Parlaments ist. Die Koalitionsfraktionen haben Verbesserungen der Informations- und Unterrich- tungspflichten in das parlamentarische Verfahren einge- bracht, die diese Vorgaben aufgreifen. Dennoch lagen uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch diesmal die entscheidenden Dokumente sehr spät vor. Ich halte den eingeschlagenen Weg weiter für einen Fehler und werde daher bei den namentlichen Abstim- mungen über das ESM-Finanzierungsgesetz, über das ESM-Ratifizierungsgesetz und über den Fiskalvertrag mit Nein stimmen. Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Wäh- rungsgebiets vom 29. Juni 2012 verstärkt meine Sorge und bestätigt mich in meiner ablehnenden Haltung. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als zutiefst überzeugte Europäerin ist für mich die heutige Abstimmung zum Fiskalpakt von großer Bedeutung. Es geht um die Frage, mit welcher Strategie die sich drama- tisch verschärfende Schuldenkrise in Europa gelöst wer- den kann und soll. Der Fiskalpakt gibt darauf die falsche Antwort. Er zeigt keinen nachhaltigen Weg aus der Schuldenkrise auf und kann sich negativ auf die wirt- schaftliche Erholung der Krisenstaaten ebenso wie den Wohlstand und das soziale Gleichgewicht in ganz Europa auswirken. Als junge Politikerin ist für mich Generationenge- rechtigkeit ein grundlegendes Ziel, an dem sich Politik orientieren sollte. Riesige Schuldenberge und die Ver- schwendung von staatlichen Geldern sind nicht Aus- druck einer zukunftsorientierten Politik. Schuldenbrem- sen können bei richtiger Ausgestaltung und verbunden mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen einen Beitrag zur Konsolidierung leisten. Als junge Politikerin und überzeugte Europäerin ma- che ich mir vor diesem Hintergrund große Sorgen, dass die mit dem Fiskalpakt verordnete Schuldenbremse in den einzelnen Mitgliedstaaten dazu führt, dass das euro- päische Projekt gerade aus Sicht der jüngeren Genera- tion noch weiter in Gefahr gerät. Mit Blick auf die ak- tuelle Entwicklung in Staaten wie Spanien, Griechenland und Portugal fühle ich mich in dieser Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22759 (A) (C) (D)(B) Sorge bestärkt. In seiner jetzigen Form, ohne flankie- rende Maßnahmen für eine Senkung des Zinsdrucks und eine Steigerung der Staatseinnahmen, ist der Fiskalpakt der falsche Ansatz. Eine Politik, die einseitig auf das Sparen setzt und zur Folge hat, dass Staaten ihre grund- legenden Aufgaben insbesondere im Bildungs- und So- zialbereich nicht mehr erfüllen können, hat für mich ebenso wenig mit Generationengerechtigkeit zu tun. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diesen „Ka- puttsparkurs“ auf der europäischen Ebene verfolgt. Des- halb möchte ich heute bei der Abstimmung über den Fis- kalpakt auch ein Zeichen setzen, dass diese Strategie der deutschen Bundesregierung meine Unterstützung nicht hat. Dieser Weg führt dazu, dass die Konzepte, die uns in diese tiefe europäische Krise geführt haben, wieder sa- lonfähig werden, die wahren Ursachen nicht angegangen und die notwendigen Lösungsansätze verhindert werden. Für nachhaltige Wege aus der Krise und die Vision eines sozialen und demokratischen Europas haben wir Grüne – sowohl in der Partei als auch in der Fraktion mit großer Einigkeit – bereits viele konkrete Ideen formuliert, zu- letzt in unserem Entschließungsantrag zur Abstimmung über den Fiskalpakt. Die mit dem Fiskalpakt falsch gewählte Strategie zur Lösung der Krise hängt mit einer falschen Analyse des Problems zusammen. Die Krise in Europa hat ihren Ur- sprung nicht in einer gedankenlosen Ausgabenwut und hemmungslosen Geldverschwendung der betroffenen Staaten. Kann man beim Fall Griechenland noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates einen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausreichend, um die Lage des Landes zu erklä- ren. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommt die Schwäche des europäischen Bankensystems, die massive Überschul- dung privater Haushalte, Immobilienblasen, massive ökonomische Ungleichgewichte, die sich insbesondere in der Außenhandelsbilanz äußern sowie die dramatische Ungleichverteilung von Vermögen. Dies zu korrigieren, müsste eigentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen. Die Internationale Arbeitsorganisation warnt, dass die Arbeitslosigkeit, insbesondere auch junger Menschen, bis 2016 nicht sinken wird, wenn kein „dramatischer Politikwechsel“ stattfindet. Massenarbeitslosigkeit in diesem Ausmaß ist nicht nur für jede und jeden Einzel- nen der Millionen betroffenen Menschen eine große Be- lastung, sondern auch eine große Gefahr für den gesell- schaftlichen Zusammenhalt insgesamt in Europa und die soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe einer ganzen Generation. Zu einem deutlichen Politikwechsel gehören wirk- same Maßnahmen zur Minderung des Zinsdrucks auf Krisenstaaten. Ein Altschuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständigenrat der Bundesregierung vorge- schlagen hat, eine Bankenunion und ein umfassendes sozial-ökologisches Investitionsprogramm sind wich- tige Bestandteile eines solchen Gesamtpakets. Das Wachstumsprogramm, das als Ergänzung des Fis- kalpakts beschlossen wurde, reicht nicht aus. Die Um- widmung von Strukturfondsmitteln bringt keine zusätz- lichen Investitionen, sondern schichtet lediglich um. Die beabsichtigte Kapitalerhöhung der Europäischen Investi- tionsbank und der beschlossene eng begrenzte Pilotver- such von Projektanleihen ergeben bei einem Multiplika- tor von circa 2 einen Impuls von rund 125 Milliarden Euro bzw. 1,3 Prozent des EU-Bruttoinlandprodukts. Zudem ist er auf mindestens vier Jahre verteilt und er- reicht somit pro Jahr eine konjunkturelle Wirkung von weit weniger als einem Prozentpunkt. Als Ausgleich der Kürzungen in europäischen Krisenstaaten wären schät- zungsweise 2 Prozent des EU-BIP notwendig, was rund 260 Milliarden in ein bis zwei Jahren entspräche. Die Steuerpolitik der Bundesregierung setzt bislang auf Steuersenkungen für Besserverdienende zulasten der Allgemeinheit. Im Rahmen der Verhandlungen um den Fiskalpakt ist es uns gelungen, diese Steuerpolitik aufzu- brechen. Erstmals wurden konkrete Schritte für die Ein- führung einer Finanztransaktionsteuer, FTT, verbindlich vereinbart. Sie soll noch in diesem Jahr in den ersten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Nach vielen Jahren politischen Engagements aus Zivilgesellschaft und Parlamenten hat sich hiermit endlich eine relevante Besteuerung des Finanzsektors durchgesetzt, mit der ein Teil der durch den Fiskalpakt erzwungenen Konsolidie- rung erreicht werden kann. Dies ist ein großer Erfolg. Die positiven Ergebnisse der Verhandlungen zwi- schen Bundesregierung und Opposition konnten nur er- zielt werden, indem im Gegenzug eine Zustimmung zum Fiskalpakt zugesagt wurde. Gleichzeitig bleibt der vor- liegende Fiskalpakt, so sinnvoll Schuldenbremsen in der richtigen Ausgestaltung und verbunden mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen sein können, als In- strument zur Bekämpfung der Krise der falsche Ansatz. In abschließender Abwägung können aus meiner Sicht die erzielten Verhandlungserfolge (insbesondere die Finanztransaktionsteuer und das Investitionsprogramm) die negativen ökonomischen und politischen Folgen, die durch den Fiskalpakt in seiner jetzigen Ausgestaltung entstehen, nicht aufwiegen. Aufgrund der oben geschilderten inhaltlichen Argu- mente und Überzeugungen lehne ich den Fiskalpakt, wie er zur Abstimmung vorliegt, ab. Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Fiskalpakt gestimmt, weil er soziale und demokratische Errungenschaften in ganz Europa und in Deutschland bedroht. Der Fiskalpakt ist ein autoritärer Vertrag, der Demokratie aushebelt und Parlamente zu- gunsten von nicht gewählten EU-Technokraten entmach- tet. Millionen von Arbeitnehmern in Europa wird mit dem Fiskalpakt ein Verarmungsprogramm wie in Grie- chenland aufgezwungen. Dort hat die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission extrem unsoziale Kürzungs- programme angeordnet. Löhne und Renten wurden dras- 22760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) tisch gekürzt, öffentliches Eigentum privatisiert und Be- schäftige im öffentlichen Dienst entlassen. Das Gesundheitssystem kollabiert. Nicht die griechische Bevölkerung ist Schuld an der desolaten Situation. Die Bundesregierung musste einräu- men, dass das Bild von den „faulen Griechen“ falsch ist. Mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von über 42 Stunden hielten die griechischen Arbeitnehmer schon vor Ausbruch der Krise den Rekord in der EU. Deutsch- land liegt mit knapp 36 Wochenstunden deutlich darun- ter. Auch der öffentliche Sektor in Griechenland ist kei- neswegs aufgebläht und umfasste in den Jahren 2008 bis 2011 zwischen 20,7 und 22,4 Prozent aller Beschäftig- ten. In Deutschland lag der Anteil zwischen 24,7 und 25,6 Prozent. Seit 2008 ist die Arbeitslosigkeit in allen EU-Ländern mit Ausnahme von Deutschland und Luxemburg ge- wachsen und erreichte 2011 fast 10 Prozent. Besonders hart trifft es Jugendliche im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Traurige Spitzenreiter sind Spanien und Grie- chenland mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Der Fis- kalpakt ist ein Angriff auf Arbeitnehmerrechte, Löhne und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Angela Merkel meint, die Krise in Europa mit einem Wettbewerb um die niedrigsten Löhne überwinden zu können. Wir als Linke streiten dagegen für einen Mindestlohn und den Ausbau des Sozialstaats. Durch den Fiskalpakt müssen Bund, Länder und Kommunen auch in Deutschland ab nächstem Jahr min- destens 25 Milliarden einsparen. In meinem Wahlkreis in Offenbach sind wir jetzt schon mit den Auswirkungen der klammen Kassen konfrontiert: Die Beschäftigten des Klinikums wehren sich zu Recht gegen den Verkauf an private Investoren. Jede Privatisierung bedeutet Lohndumping und Personalabbau zulasten der Beschäf- tigten und der Patienten. Der Fiskalpakt wird den Kür- zungs- und Privatisierungsdruck in Ländern und Kom- munen noch steigern. Der Wachstumspakt der Bundesregierung umfasst nur 10 Milliarden, während der Fiskalpakt europaweit 500 Milliarden Kürzungen be- deutet. Die Linke will die Verursacher und Profiteure der Krise zu Kasse bitten. Die Banken und Finanzmärkte müssen endlich entmachtet und Millionäre besteuert werden. Meine Solidarität gilt der Bevölkerung in Grie- chenland, Spanien und den anderen Krisenstaaten, die sich gegen das Verarmungsprogramm wehrt. Ich möchte kein Europa der Banken, sondern ein solidarisches Eu- ropa, und deshalb habe ich heute gegen den Fiskalpakt gestimmt. Marco Bülow (SPD): Zu meinem Abstimmungsver- halten zum heutigen Tage erkläre ich Folgendes: Ich lehne die Gesetzentwürfe ab und möchte dazu eine per- sönliche Erklärung zu Protokoll geben: Ich kann dem vorliegenden Fiskalpakt und dem ESM- Finanzierungsgesetz nicht zustimmen. Ich bin kein Experte in diesen Fragen, habe aber versucht, mich in- tensiv mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Bei allem Respekt vor den von meiner Fraktion erreichten Verän- derungen kann ich bei einer solch wichtigen Entschei- dung mein Gewissen nicht ignorieren. Der Fiskalpakt folgt einer Logik und Politik, welche die Krise auf den Finanzmärkten und in Europa erst hervorgerufen hat. Ich halte die Ausgestaltung für unsozial und undemokra- tisch. Das ESM-Finanzierungsgesetz hat eine Dimen- sion, die ich nicht überschauen kann, und die viel zu kurze Diskussion über seine Wirkung und Konsequenz war völlig unzureichend. Der Fiskalpakt trägt weder zur Beruhigung der Finanzmärkte noch zum Schuldenabbau bei und wirkt kontraproduktiv. Das ergänzende Wachstumsprogramm ist zwar eine wichtige Maßnahme, gleicht aber die Nach- teile des Fiskalpaktes nicht aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass es intelligentere Wege des Sparens gibt und dass ein technokratischer Sparzwang, der wenig Rücksicht auf die soziale Situa- tionen nimmt, sich sicher eher schädlich als nützlich aus- wirken wird. Der Fiskalvertrag wird zu weiteren Ausga- benkürzungen führen, welche nicht nur zu weiteren sozialen Härten wie Sozial- und Lohnkürzungen führen werden, sondern jede Möglichkeit auf eine notwendige konjunkturelle Belebung zumindest bremsen werden. Ich befürchte, dass so eine Politik Privatisierungen wei- ter fördert und den Druck auf die Löhne erhöht. Die Kaufkraft und Binnennachfrage würden weiter ge- schwächt. Die festgeschriebene europaweite Schuldenbremse im Fiskalpakt wird zudem die öffentlichen Haushalte weiter knebeln und vor allem die Kommunen weiter finanziell unter Druck setzen. Ich befürchte, dass wir dadurch in Zukunft noch weniger aktiv gestalten kön- nen. Die Kommunen haben immer weniger Geld, um ihre Aufgaben wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für die sogenannten freiwilligen Aufgaben, zum Beispiel die Versorgung der Bevölkerung mit kulturellen Angeboten, Sportanlagen oder Schwimmbädern. Mit der Schulden- bremse verliert der Staat weitere Handlungsspielräume für eine sozial gerechte Politik. Ich habe deshalb schon im Bundestag die Schuldenbremse abgelehnt. Die euro- päische Schuldenbremse im Fiskalpakt wäre bis 2020 noch einmal eine Verschärfung der im Bundestag be- schlossenen deutschen Schuldenbremse. Ich halte den Fiskalpakt und den Euro-Rettungs- schirm ESM auch aus verfassungsrechtlichen und demo- kratischen Gründen für problematisch. Diese wichtigen Verträge werden erneut binnen weniger Tage zur Ab- stimmung gestellt. In den neuen Verträgen geht es um ungeheure Milliardensummen, es finden sich Rechts- konstruktionen, wie sie das Recht bisher nicht kennt. Die Eile, dieses Gesetz jetzt noch vor der Sommerpause zu verabschieden, war nicht geboten. Es gab keine Zeit für ausreichende und umfassende Diskussionen, die bei solch wichtigen Gesetzen eingeräumt werden muss. Ich glaube, dass kein Abgeordneter – vor allem, wenn er kein Experte in diesen Fragen ist – die Konsequenzen solcher Maßnahmen wirklich überschauen kann. Ich halte es für unerträglich, dass der Bundestag immer häu- figer weitreichende Gesetze in immer kürzerer Zeit und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22761 (A) (C) (D)(B) ohne ausreichende Beratung und Diskussion durch das Parlament jagt. Damit werden wir unserer Verantwor- tung als Volksvertreter nicht gerecht. Die nationalen Parlamente können fatalerweise nichts am Vertrag ändern, sondern nur noch Ja oder Nein sagen. Eines der wichtigsten Rechte des Parlaments – das Haus- haltsrecht – wird durch den Zwang, Schuldenbremsen in die nationalen Verfassungen einzuführen, sowie durch die automatischen Korrektur- und Sanktionsmechanis- men massiv eingeschränkt. Bei Ländern im Defizitver- fahren erhalten die Europäische Kommission und der Rat künftig sogar ein Vetorecht gegenüber den nationa- len Haushaltsplänen. Eine ausführliche Diskussion nicht nur im Parlament, sondern auch in der Bevölkerung wäre wünschenswert gewesen. Der Zeitplan zur Verabschiedung dieser Ge- setze folgt nicht dem Urteil des Bundesverfassungsge- richts. Auch die Kündigungsklausel ist problematisch. Da die Aufhebung des Vertrags allenfalls einstimmig mög- lich wäre und damit praktisch ausgeschlossen ist, gilt der Fiskalpakt nach Inkrafttreten quasi für alle Ewigkeit. Künftigen Generationen wird damit das Recht genom- men, selbst über die Sinnhaftigkeit des Fiskalpakts zu entscheiden. Das ist mit meinem demokratischen Grund- verständnis nicht vereinbar. Ebenfalls unvereinbar finde ich die Regelung, dass sämtliche Entscheidungen des ESM geheim erfolgen, dass die handelnden Organe und die Führungskräfte we- der zivilrechtlich noch strafrechtlich für ihre Handlun- gen belangt werden können und dass die Finanzminister selbst darüber entscheiden, wann ein Interessenkonflikt der Direktoren vorliegt. Der ESM hat keine Veröffent- lichungspflichten, keine Finanzaufsicht wird ihn über- wachen. Wenn wir Europa bauen wollen, brauchen wir eine sinnvolle Architektur. Europa braucht Gemeinsamkei- ten, soziale, kulturelle, wirtschaftliche, finanzpolitische Ideen. Mit einem Spardiktat werden die Menschen von Europa abrücken; auch wenn man überlegt, dass euro- päische Beamte und nicht das Europäische Parlament über die Ausgestaltung des Fiskalpaktes entscheiden werden. Die Bundesregierung ist mit der Krisenbewältigung völlig überfordert und politisch auf einem desaströsen Kurs. Die SPD konnte in den Verhandlungen wichtige Punkte durchsetzen, zum Beispiel die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Neun EU-Partner sollen diese Steuer ab Anfang 2013 auf den Weg bringen. Die SPD hofft, dass damit die Verursacher der Krise substanziell an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Das umfassende Modell einer Besteuerung insbesondere von Aktien, Anleihen, Investmentanteilen, Devisentransak- tionen sowie Derivatkontrakten liegt dabei zugrunde. Klar ist aber nicht, wie diese Besteuerung genau ausse- hen soll. Eine wirkungsvolle Finanztransaktionsteuer müsste auf den Handel mit Devisen, Aktien und Anlei- hen sowie auf die davon abgeleiteten Wertpapiere – De- rivatgeschäfte – Steuern erheben, und zwar mit einem Steuersatz von mindestens 0,1 Prozent. Nach den Vor- stellungen der Kommission soll der Steuersatz auf Deri- vatgeschäfte zum Beispiel nur 0,01 Prozent betragen. Das wäre in dem Fall zu wenig. Auch stellt sich die Frage, ob die durch die Steuer eingenommenen Gelder wirklich in Zukunftsprojekte investiert werden oder nur zur Haushaltsdeckung genutzt werden. Zudem hat die SPD erreicht, dass die Bundesregie- rung sich zu erheblichen Impulsen für höhere Investitio- nen in Wachstum und Beschäftigung bekennt. Dazu ge- hört unter anderem, dass nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode rasch und ge- zielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maß- nahmen eingesetzt werden. Außerdem darf es bei den Verhandlungen über den neuen mittelfristigen Finanz- rahmen 2014 bis 2020 zu keinen Kürzungen bei den In- vestitionen in den Struktur- und Kohäsionsfonds sowie im Sozialfonds kommen. Weiter wird die Bundesregie- rung eine Kapitalaufstockung der Europäischen Investi- tionsbank um 10 Milliarden Euro anstreben, was zu In- vestitionen von bis zu 180 Milliarden Euro führt. Schließlich wird das Recht der Jugendlichen auf Ausbil- dung und Arbeit gestärkt, wozu ein Ausbildungsplatz oder ein Arbeitsangebot spätestens vier Monate nach Verlassen der Schule oder nach Eintritt in Arbeitslosig- keit gehört. Auch über den Bundesrat wurden Veränderungen erreicht. Zum Beispiel wird die verfassungsrechtlich geschützte Haushaltsautonomie der Länder nicht be- einträchtigt. Zudem erhalten die Länder zusätzliche Investitionsmittel für den Kitaausbau in Höhe von 580,5 Millionen Euro und eine Erhöhung der Betriebs- mittel um 75 Millionen Euro. Eine Neuordnung der Ein- gliederungshilfe soll in der nächsten Legislaturperiode erfolgen. Aus meiner Sicht sind das wichtige Maßnahmen. Für mich stellt sich allerdings die Frage, ob diese vereinbar- ten Punkte auch wirklich so durchgesetzt werden. Häufig genug wurden unter Druck Versprechungen und Verein- barungen getroffen, die dann aber nicht in aller Konse- quenz durchgesetzt wurden. Schon einmal hat die Bun- desregierung versprochen, die Finanztransaktionsteuer einzuführen, ist dann aber wieder davon abgerückt. Ich glaube zudem, dass diese vereinbarten Punkte nicht reichen werden, um die erheblichen Nachteile und Risiken der vorliegenden Gesetze auszugleichen. Wir bräuchten nachhaltige Maßnahmen, zum Beispiel einen umfassenden Sozial- und Wachstumspakt. Ratingagentu- ren bedürfen dringend einer gesetzlichen Regelung. Euro-Bonds wären unter anderem auch eine faire Mög- lichkeit, Ungleichgewichte angemessen zu verteilen. Vor allem brauchen wir endlich eine umfassende Regulie- rung des Finanzmarktes. Nur dann wird Europa wirklich eine Chance haben zusammenzuwachsen. Notwendig wäre auch eine europäische Wirtschaftsregierung, die für eine bessere Abstimmung in der Wirtschaftspolitik und für wirkungsvollere Verteilungs- und Ausgleichsmecha- nismen sorgt, um die Ungleichgewichte in der EU aus- zugleichen. 22762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Wenn man gegen diese Verträge stimmt und der Fis- kalpakt scheitert, wäre es kein endgültiges Scheitern. Dann müsste neu verhandelt werden, und es würde die Möglichkeit eröffnen, intensiver zu beraten und nachhal- tigere Maßnahmen zu entwickeln. Zeitnot gibt es allen- falls beim ESM, bei dem zu befürchten ist, dass er nur ein Zwischenschritt ist und viele weitere Rettungsmaß- nahmen noch folgen müssen. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Nach den Erfah- rungen aus der Anwendung bzw. Nichtanwendung der Stabilitätskriterien aus dem Vertrag von Maastricht hätte man sich für die Vorgaben des Fiskalvertrags eine we- sentlich deutlichere Linie gewünscht. Dies gilt insbeson- dere für die Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof und die Sanktionen, die sich mit Verstößen gegen den Fiskalvertrag verbinden. Leider sind die Sanktionen, wie schon bei Maastricht, fast ausschließ- lich materieller Natur. Zu klaren Regeln und der Einhal- tung klarer Regeln hätte gehört, dass der andauernde Verstoß gegen dieselben zum Beispiel den Verlust der Stimmrechte oder auch die Möglichkeit des Ausschlus- ses aus der Euro-Zone zur Folge haben muss. Wenn ich dem Fiskalvertrag heute dennoch zustimme, dann in der Anerkennung der Verhandlungsergebnisse der Bundes- regierung, die etwa die Etablierung der Schuldenbremse in nationalem Recht der Mitgliedstaaten bedeute. Be- trachtet man die Positionen der Mitgliedstaaten vor dem Eintritt in die Verhandlungen zum Fiskalvertrag, dann ist der Verhandlungserfolg der Bundesregierung durchaus bemerkenswert, auch wenn – wie gesagt – an einzelnen Punkten deutlichere Regeln wünschenswert gewesen wären. Fazit: Der Fiskalvertrag hat zwar Mängel, er deu- tet aber wenigstens in die richtige Richtung. Dem Gesetz über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Ausführungs- gesetzen hierzu vermag ich aber nicht zuzustimmen. Hier wird ein Weg perpetuiert, der nach meiner Überzeu- gung schon bei der Schaffung der Europäischen Finanz- stabilisierungsfazilität, EFSF, falsch war. Wer sich aus eigenem Verschulden in eine Situation manövriert hat, in der seine Handlungsfähigkeit an den Kapitalmärkten nicht länger gegeben ist, dem ist durch die Gewährung neuer Kredite und Garantiezusagen nicht geholfen. Wie auf dem privaten und unternehmerischen Sektor auch ist dann ein Insolvenzverfahren angezeigt, verbunden mit klaren Vorgaben zur Restrukturierung von Finanzmarkt, Realwirtschaft und Verwaltung mit dem Ziel der Wettbe- werbsfähigkeit. Ein solches Insolvenzverfahren für Staa- ten liegt bis dato leider immer noch nicht vor; es hätte längst geschaffen werden müssen, um einerseits den be- troffenen Staaten einen Ausweg aus der Krise und einen vernünftigen Neustart zu ermöglichen und andererseits das klare Signal an die Märkte zu senden, dass der Euro- Währungsraum seine eigene Existenz und sein Fortbe- stehen durch die Schaffung klarer Regeln und die Sank- tionierung von Verstößen sichert und sich nicht durch das Aufspannen immer neuer und größerer Rettungs- schirme lediglich Zeit erkauft. Das für den Bundeshaushalt und damit für den Steu- erzahler verbundene Risiko ist beträchtlich und aus mei- ner Sicht nicht zu verantworten. Der Bundesrechnungs- hof geht nach seinen jüngsten Darstellungen von einer Summe von 310,3 Milliarden Euro aus, auf die sich die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland mitt- lerweile belaufen. Auch wenn von dieser Summe bislang nur ein vergleichsweise kleiner Teil tatsächlich kassen- wirksam geworden ist, bestehen für mich erhebliche Zweifel, ob die infolge der Rettungsschirme verausgab- ten oder noch zu verausgebenden Mittel in den Bundes- haushalt je wieder zurückfließen werden können. Die Euro-Zone würde Glaubwürdigkeit und das Ver- trauen der Märkte zurückgewinnen, wenn sie sich auf ihre Stärke und ihre marktfähigen Mitglieder konzen- trierte, und nicht, wenn sie ihre Schwächen und die marktunfähigen Mitglieder durch die Rettungsschirmpo- litik zu kaschieren suchte. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ich kann dem Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Sta- bilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, dem sogenannten Fiskalpakt, nicht zustimmen. Die Unterzeichnerstaaten sollen durch den Vertrag zu einer dauerhaften Politik der Ausgabenkürzung und Austerität verpflichtet werden. Dazu müssen sie Schul- denbremsen – vorzugsweise in ihren Verfassungen – ein- richten und Staatsschulden über 60 Prozent des Bruttoin- landsprodukts, BIP, um jährlich 5 Prozent abbauen. Die aufgelaufenen Staatsschulden gehen nicht auf laxe Haushaltsführung und überhöhte Sozialausgaben zurück, sondern auf fehlende Regulierung der Finanz- märkte, die Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Fi- nanzmärkten, die Leistungsbilanzüberschüsse innerhalb des Euro-Raumes und die Bankenrettungspakete ab 2007. Der Fiskalpakt wird den angestrebten Wachstumspakt ins Leere laufen lassen. Wegen der harten Sparauflagen wird ohnehin klammen EU-Ländern wie Griechenland und Spanien zum Beispiel das Geld zur Kofinanzierung der EU-Projekte fehlen. Auch werden keine neuen Gel- der für den Wachstumspakt in die Hand genommen. Ausreichen soll eine Absichtserklärung, die bisher in der EU-Förderperiode bis 2013 nicht abgerufenen Gelder umzuwidmen. Wie das Fördervolumen in der neuen Pe- riode ab 2014 aussieht, darauf konnte die Bundesregie- rung bisher keine Antwort geben. Auch die von Bundesregierung, SPD und Grünen ver- abredete Finanztransaktionsteuer wird es frühestens ab 2014 und nur in einem Teil der EU-Länder geben. Damit fehlen aber die Einnahmen aus der Steuer für 2013. Un- klar ist nach wie vor die Ausgestaltung der Finanztrans- aktionsteuer. Kommt zum Beispiel nur eine Börsen- steuer auf Aktien und Anleihen zustande, ergeben sich in der Bundesrepublik Einnahmen von circa 2 Milliarden Euro. Werden jedoch alle Finanzinstrumente und auch Devisen berücksichtigt, könnten bis zu 27 Milliarden Zusammenkommen. Das sind erhebliche Unterschiede. Nicht der Rede wert sind auch die Zugeständnisse, die die Bundesländer bei den Fiskalpaktverhandlungen mit der Bundesregierung erreicht haben wollen. So war be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22763 (A) (C) (D)(B) reits beim Hartz-IV-Kompromiss Anfang 2011 verein- bart worden, dass der Bund die Kosten für die Grund- sicherung im Alter übernimmt. Warum die Länder das jetzt als Verhandlungserfolg in Sachen Fiskalpakt feiern, erschließt sich nicht. Tatsächlich lassen die Länder ihre Kommunen weitgehend im Regen stehen. Leider haben es die anderen Oppositionsparteien im Bundestag – SPD und Grüne – bei den Fiskalpaktver- handlungen weitgehend bei einem Sturm im Wasserglas belassen. Alexander Funk (CDU/CSU): Mit der Einrichtung eines sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus verstetigt die Bundesregierung ihren seit Mai 2010 ein- geschlagenen Weg, durch Garantien und Bürgschaften überschuldete Staaten aus der Euro-Zone weiter zu finanzieren. Diesen Weg kann und will ich nicht mitgehen und lehne die zugrunde liegenden Gesetzentwürfe ab. Ich beklage das Versagen der sogenannten parlamen- tarischen Opposition aus SPD und Grünen; die willfäh- rig jeder weiteren Vergrößerung der Gemeinschaftshaf- tung das Wort redet und die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger hinter eine ideologisch moti- vierte Rhetorik von angeblicher europäischer Solidarität stellt. Damit und mit der Übernahme der Forderungen der südeuropäischen Schuldenländer sind diese Kräfte mit- verantwortlich dafür, dass selbst die großzügigen und für mich nicht hinnehmbaren bisherigen Schuldenhaftungen durch Deutschland als kleinlich und unzureichend darge- stellt werden können. Eine Diskussion über mögliche Alternativen wird und wurde durch diesen Opportunis- mus erheblich erschwert. Vor diesem Hintergrund be- kenne ich mich ausdrücklich zu den letzten verbliebenen Zusagen der bürgerlichen Koalition, eine Kollektivhaf- tung mittels Euro-Bonds, Euro-Bills oder Schuldentil- gungsfonds entschieden abzulehnen. Ich unterstütze darin die Haltung unserer Bundesregierung. Die Fortführung des Bail-out-Wegs hat indes bereits zur Übernahme von gigantischen Risiken zulasten des Haushalts unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger geführt. Indes bleiben die erhofften Wirkungen der Maßnahmen aus: Die Schuldendynamik der betroffe- nen Länder verschärft sich, Absprachen und Vereinba- rungen können nicht eingehalten werden oder werden willentlich gebrochen, der Rückgriff auf die EZB als Staatsfinancier mittels Notenpresse ist zum Usus dieser Ausrichtung geworden. Noch vor Verabschiedung des ESM stehen mit Spa- nien und Zypern zwei weitere Euro-Staaten vor massi- ven Refinanzierungsproblemen. Die nächsten Jahre wer- den nach meiner festen Überzeugung zum massiven Abfluss der ESM-Mittel führen, ohne dass eine nachhal- tige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der betrof- fenen Länder absehbar ist. Der Kreditbedarf alleine Spaniens bis 2014 übersteigt die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts um beinahe 50 Milliarden Euro. Jeder, der dem ESM zustimmt, sollte sich bereits auf eine weitere Erhöhung der Haf- tungssummen einstellen. Als Alternative werbe ich für folgende zehn Punkte zur Bewältigung der Euro-Krise: Erstens. Der temporäre Rettungsschirm EFSF muss wie geplant 2013 auslaufen. Die dauerhafte Nachfolge- einrichtung ESM darf es nicht geben. Jedes Mitglied der Euro-Zone muss selbst für seine finanziellen Verpflich- tungen einstehen. Haftung und Eigenverantwortung ge- hören untrennbar zusammen. Zweitens. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit muss Schwerpunkt von Hilfen sein. Es darf nicht um die Ansprüche privater Gläubiger gehen. Überschuldete Staaten müssen sparen und gezielte Anreize für Investi- tionen für den Wiederaufbau setzen. Dazu muss der betroffene Staat seine Wirtschaft und Verwaltung wett- bewerbsfähig machen. Das erfordert tiefgreifende struk- turelle Reformen im Steuersystem und im Sozialver- sicherungswesen, denn nur so entsteht dauerhaft Wachstum. Drittens. Regelverstöße müssen automatisch Konse- quenzen haben. Der Klagemechanismus des Fiskalpakts ist ein leeres Versprechen. Es bestehen politisch gewollte Spielräume, um von einer Klage trotz Verstößen gegen verbindliche Haushaltsvorgaben abzusehen. Diese Spiel- räume werden sich nicht schließen, wenn nicht der Kreis der vor dem EuGH zur Klage Berechtigten ausgeweitet wird. Viertens. Sowohl unkontrollierte Zahlungsausfälle als auch dauerhafte Transfers über den ESM müssen ver- mieden werden. Dazu etabliert die Euro-Zone anstelle des ESM einen Europäischen Umschuldungsmechanis- mus, EUM. Er erlaubt es der öffentlichen Hand in den Krisenländern, ihre Aufgaben aufrechtzuerhalten, die nationale Budgethoheit zu wahren und einen Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern auszuhandeln. Der EUM bietet den Rahmen für ein Schiedsverfahren, das von einer unparteilichen und allgemein akzeptierten In- stanz geleitet und durch den IWF begleitet wird. Eck- punkte können auf dem US-lnsolvenzrecht aufbauen. Private Gläubiger beteiligen sich unter dem Eindruck einer möglichen Zahlungsunfähigkeit an allen Phasen der Restrukturierung. Fünftens. Finanzhilfen dienen lediglich als Ultima Ratio. Sie können zeitlich befristet systemrelevante Kre- ditinstitute rekapitalisieren sowie zur Einlagensicherung dienen. Die zwangsweise Rekapitalisierung von Finanz- instituten bleibt vorrangig den jeweiligen Sitzstaaten überlassen. Sie kann nötigenfalls durch Finanzhilfen der Euro-Staaten ergänzt werden. Diese erhalten angemes- sene Gegenleistungen. Die bereits gewährten oder in Aussicht gestellten Finanzhilfen sind kein Akt von euro- päischer Solidarität. Sie entzweien uns: Die „Hilfen“ entlassen Gläubiger aus ihrer Verantwortung und gehen zulasten der Steuerzahler. Sechstens. Wo alle Maßnahmen nicht genügen, um zu den Finanzmärkten zurückzukehren, muss das Ausschei- den eines Staates aus der Euro-Zone ermöglicht werden. 22764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Seine Wettbewerbsposition würde sich durch eine Ab- wertung schnell spürbar verbessern. Außerdem hilft die Aussicht auf Austritt bei den Verhandlungen der Staaten mit ihren Gläubigern. Siebtens. Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder strikt getrennt werden. Die Europäische Zentralbank hat durch den Ankauf von Staatsanleihen und die Flutung der Geldmärkte mit Mitteln aus den Langfristtender- geschäften ihren Auftrag weit überdehnt. Sie finanziert Staatsdefizite und nimmt Inflationsrisiken billigend in Kauf. Die Geldpolitik muss der Entscheidungsmacht politischer Mehrheiten entzogen und Inflation verhindert werden. Achtens. Die EZB muss die Bonitätsstandards für Geschäftsbanken dringend überdenken und für die Tar- get-2-Salden eine untadelige Besicherung sowie eine marktnahe Verzinsung vorsehen. Erstrebenswert ist dazu eine jährliche Ausgleichsverpflichtung nach dem Vor- bild des Federal-Reserve-Systems der USA. Neuntens. Die Stimmrechte in der EZB müssen den Kapital- und Haftungsverhältnissen entsprechen. Zehntens. Besonders Deutschland als stärkster Mit- gliedstaat muss mit gutem Beispiel vorangehen und den Stabilitätspakt endlich einhalten. Sonst ist er und sind wir unglaubwürdig. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In einer schwierigen Krisensituation hat der Deutsche Bundestag heute mit der Entscheidung für den ESM und den Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euro und der europäischen Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig ge- troffenen Vereinbarungen zur Einführung einer Finanz- transaktionsteuer, die Zusagen für mehr nachhaltige In- vestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz sowie die stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträ- gen an den ESM sind wichtige und notwendige Schritte zur Stabilisierung der EU und zur Stärkung der Demo- kratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnahmen- paket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine starke grüne Handschrift trägt. Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt. Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland, Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie- gen, und die soziale Schieflage hat sich weiter ver- schärft. Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht. Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo- balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt- schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen. Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu- sammenschlüsse von Staaten. Europa muss beweisen, dass verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlosse- nem Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in Verbindung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen für ein solches entschlossenes Handeln. Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind der von der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im Fis- kalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen- dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver- pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und zur Ver- ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig; denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommunen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Län- der und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich be- grenztere Möglichkeiten zur Refinanzierung haben. Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver- pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In- vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik und dem ESM stärken die wirtschaftliche Leistungsfä- higkeit der EU und sind so in unserem ureigenen Inte- resse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinanderbre- chen der Euro-Zone und damit einen großen Rückschritt in der europäischen Integration mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, sondern für Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro-Gipfels vom 28. Juni 2012 gehen in die richtige Richtung, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken und den Teu- felskreis aus Banken- und Staatsschuldenkrise zu durch- brechen. Wichtige Schritte zur Bereitstellung von not- wendigen Investitionsmitteln wurden vereinbart. Zusätzlich fordern wir weitere Schritte zur Lösung der Euro-Krise. Ein konkreter und realistisch umsetzba- rer Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverständi- genrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro- Zone. Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des Schuldenabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd, wenn die Kanzlerin sich einer inhaltlichen Debatte um konkret zu ergreifende Maßnahmen verweigert. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen. Mit ihrer Weigerung einer realistischen Altschuldenregelung gefährdet sie die positive Wirkung von ESM und Fiskalpakt. Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden. Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbe- wältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäische Parlament muss in seiner Entschei- dungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäische Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22765 (A) (C) (D)(B) Europa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem Schuldenabbaupfad, Stärkung von Investitionen und de- mokratischer Entwicklung Europas wird die Krise über- wunden werden können. Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak- tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö- sung. Deswegen stimmen wir heute für den Fiskalpakt und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes Europa entschieden. Nun gilt es, dafür einzustehen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe mit Nein zum Fiskalvertrag und dem Vertrag über den dauer- haften „Rettungsschirm“ ESM gestimmt – schon des- halb, weil durch ESM- und Fiskalvertrag nicht die Mit- gliedstaaten der EU und schon gar nicht die Menschen in den verschiedenen Ländern gerettet, sondern die Groß- banken und Finanzmarktzocker gesichert werden. Mit meiner Fraktion werde ich im Organstreitverfahren und mit Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungs- gericht anrufen. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Verträge gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verstoßen. Dieses Prinzip ist nach seinem Art. 79 Abs. 3 unabänder- lich. Die weitgehende Übertragung des parlamentari- schen Haushaltsrechts auf die EU-Kommission und auf die Regierungen der Mitgliedstaaten verstößt gegen den Grundsatz demokratischer Volkssouveränität. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Verträge weiter- hin gegen das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Sozialstaatsprinzip verstoßen. Der Fiskalpakt soll angeb- lich ausgeglichene Haushalte durch Schuldenbremsen sichern. Vor allem die Leistungen an wirtschaftlich und sozial Schwache sollen eingeschränkt werden. Zusätz- liche Staatseinnahmen werden allenfalls Lohnsteuer- und Mehrwertsteuerzahler aufbringen, während die Rei- chen und die Superreichen nicht zur Kasse gebeten wer- den. Ich habe mit Nein gestimmt, weil in den Ländern, die Mittel aus dem ESM erhalten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen, ihre erkämpften sozialen Rechte eingeschränkt werden. Die Memoranden führen durch mangelnde Nachfrage zu weiter schrumpfendem Wirtschaftswachstum und zu sozialem Elend. Wer demokratische und soziale Verantwortung emp- findet, muss Nein zu diesen Gesetzesvorlagen sagen. Wer demokratische und soziale Verantwortung empfin- det, muss auch die erforderlichen verfassungsrechtlichen Schritte einleiten. Eines steht fest: Ohne die Verteidi- gung von Demokratie und Sozialstaat wird die Europäi- sche Union keine Zukunft haben. Dem widersetze ich mich. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ich stimme heute ge- gen den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Fiskalpakt, weil er soziale und demokrati- sche Errungenschaften in ganz Europa und in Deutsch- land bedroht. Der Fiskalpakt ist ein autoritärer Vertrag, der die Demokratie aushebelt und Parlamente zugunsten von nicht gewählten EU-Technokraten entmachtet. Ge- rettet werden mit den mittlerweile kaum noch vorstell- baren Milliardenbeträgen lediglich Banken und andere Finanzmarktakteure. Die Zeche dafür zahlt die Bevöl- kerung in ganz Europa durch soziale Kürzungen, Re- zession und Arbeitslosigkeit. Um das zu verschleiern, wurde und wird der ESM-Vertrag im Eiltempo durch die nationalen Parlamente geschleust. Die fatale Kürzungs- politik, die den Ländern bei Inanspruchnahme von soge- nannten Hilfskrediten diktiert wird, soll durch den Fis- kalpakt für alle Länder Europas unwiderruflich zur Vorschrift werden. Ich halte das für verfassungswidrig. Die radikal verschärfte Neuverschuldungsgrenze führt in allen Ländern gleichzeitig zu einer deflationären Kür- zungspolitik und wird so die Krise weiter verschärfen. Allein Deutschland muss deshalb circa 30 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Ein Kürzungsprogramm von diesem Ausmaß werde ich niemals mittragen. Der zunehmende Abbau sozialstaatlicher Leistungen und die immer drastischeren Kürzungen werden sich auch im Bildungsbereich bemerkbar machen. In Spanien und Griechenland explodieren derzeit die Klassengrö- ßen, und manche Schulen werden bereits geschlossen. Die Jugendarbeitslosigkeit hat mit 50 Prozent in diesen Ländern inzwischen Größenordnungen erreicht, dass ab- sehbar Millionen von jungen Menschen über die kom- menden Jahre in die totale Perspektivlosigkeit gezwun- gen werden. Diese Auswirkungen werden auch die Bundesrepublik treffen, da die Regierung mit dem Fis- kalpakt den drastischen Schuldenabbau festschreibt. Der Versuch, das für die Bankenrettung verpulverte Geld durch immer drastischere Kürzungsprogramme einzu- nehmen, ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlich schädlich. Aus Schulden können sich öffentliche Haushalte nicht heraussparen. Die schon jetzt geplanten Kürzungen und Schließungen bei Kitas, Schulen, Hochschulen und Bibliotheken werden nicht zu einer Lösung der Krise beitragen, sondern sie verschär- fen. Die Bundesregierung legt damit auch ein bildungs- politisches Kürzungsprogramm für Deutschland und ganz Europa auf. Dabei ist doch gerade Bildung die Grundlage für eine demokratische Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt. Die Linke will die Verursacher und Profiteure der Krise zu Kasse bitten. Dem privaten Geldvermögen von 4,7 Billionen Euro in Deutschland stehen 2 Billionen Schulden gegenüber. Diese Krise ist keine Schulden- krise, sondern eine Verteilungskrise. Die Banken und Fi- nanzmärkte müssen deshalb endlich entmachtet und die Millionäre besteuert werden. Mit meiner Gegenstimme zum Fiskalpakt stehe ich auch an der Seite der kämpfen- den Menschen in Griechenland, Spanien und Italien, die sich seit Monaten mit Streiks und Massendemonstratio- nen gegen die Abwälzung einer Politik von Korruption und Profitgier auf ihre Schultern wehren. Meine Gegen- stimme steht auch für den Erhalt des seit Jahrzehnten beschnittenen Sozialstaats in Deutschland. Ich möchte kein Europa der Banken, sondern ein solidarisches Eu- ropa, und deshalb stimme ich heute gegen den Fiskal- pakt! 22766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Josef Göppel (CDU/CSU): Deutschland übernimmt mit dem dritten Rettungsschirm eine Garantieverpflich- tung von rund 190 Milliarden Euro. Das entspricht knapp 7,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2011. Allein das in jedem Fall einzuzahlende Kapital beläuft sich auf gut 21,7 Milliarden Euro. Die Übernahme dieser immensen Garantien geschieht, ohne dass damit eine wirksame Regulierung spekulativer Fi- nanzgeschäfte verbunden wäre. Das Marktversagen auf dem Finanzsektor ist die we- sentliche Ursache der gegenwärtigen Krise. Der deregu- lierte Finanzmarkt ist der politischen Gestaltung entglit- ten. Täglich wird an den Börsen und außerbörslich mehr als das Hundertfache des Produktionswerts aller Güter und Dienstleistungen der Welt gehandelt. Solche Sum- men können mit Steuererträgen aus der Realwirtschaft nicht mehr aufgefangen werden. Immer neue Anleihen für immer neue Garantien treiben vielmehr die Schul- denspirale weiter an und bieten Ansatzpunkte für neue Spekulationsrunden. Die Rettungsmittel sind das Futter für weitere spekulative Angriffe gegen Länder des Euro- Verbunds. Der beste Beweis dafür ist der Zwang zu fortlaufen- den Erhöhungen der Bürgschaftssumme in den Jahren seit 2008. Wenn das bloße Verlangen nach immer höhe- ren Brandmauern eine ganze Staatengemeinschaft vor sich hertreiben kann, dann liegt ein offenkundiger Sys- temfehler vor. Das Kapital dominiert die Politik. Auch der Anstieg der Staatsschulden geht zum großen Teil auf die Bankenrettungsschirme des Jahres 2008 zu- rück. Steuergelder aus der Realwirtschaft mussten da- mals für die spekulative Gier von Banken und anderen Finanzakteuren einstehen. Deshalb ist das Aufspannen von Rettungsschirmen ohne rechtliche Regulierung des Finanzsektors nutzlos und nicht verantwortbar. Wir brauchen eine Finanz- marktordnung, die spekulative Überhitzungen eingrenzt, hochriskante Geschäfte verbietet und Finanzakteure zur persönlichen Haftung heranzieht. Der Finanzsektor muss seine Rettungsschirme in Zukunft selbst finanzieren. Der wirksamste Schritt zur Stabilisierung des Finanz- sektors ist international die Finanztransaktionsteuer. Sie muss vor der Vergabe weiterer Bürgschaften rechtlich verbindlich fixiert sein, damit ihre Einführung nicht wie- der im Sande verläuft und Rettungsaktionen nicht immer wieder verpuffen. Genau das ist aber durch das Vorzie- hen des Beschlusses zur Errichtung des ESM nicht gege- ben. Er schafft vollendete Tatsachen für die Zahlungs- verpflichtungen Deutschlands, ohne die Beteiligung der Finanzmärkte vorher abzusichern. Die Studie der Finanzwissenschaftler Griffith-Jones und Persaud vom Mai 2012 belegt, dass die oft behaup- tete Verlagerung der Finanzgeschäfte aus Europa bei Einführung einer Finanztransaktionsteuer wirksam ein- gegrenzt werden kann. Der Ertrag der Steuer läge bei 60 Milliarden Euro jährlich. Damit würden endlich wie- der Mittel für die Staatsaufgaben im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich frei. Zusätzlich ergäben sich positive Wachstumseffekte. Ich bin entschieden für unsere Gemeinschaftswäh- rung und deren Stützung. Das muss aber im Rahmen ei- ner Finanzordnung geschehen, die den Grundwerten der sozialen Marktwirtschaft entspricht. Das ist jetzt nicht der Fall! Das Konzept des Europäischen Stabilisierungs- fonds bindet in großem Umfang allgemeine Steuermit- tel, die für andere öffentliche Aufgaben fehlen, und kon- zentriert den Ertrag bei anonymen Finanzakteuren. Dieser ordnungspolitischen Fehlsteuerung kann ich nicht zustimmen. Die Politik muss ihre demokratische Gestal- tungshoheit zurückholen, weil Machtlosigkeit gegenüber dem Markt und die Duldung einer faktischen Nebenre- gierung letztlich das Vertrauen in die repräsentative De- mokratie zerstören. Die Entfesselung der Finanzmärkte wurde mit dem Finanzmarktderegulierungsgesetz 1989 von der Politik ausgelöst. Die Politik hat deshalb auch die Aufgabe, die dienende Funktion des Finanzsektors für das Gemeinwohl wiederherzustellen. Der jetzt einge- schlagene Weg schiebt eine durchgreifende Lösung auf, anstatt sie zu beschleunigen. Aus diesen Gründen lehne ich sowohl den Gesetzent- wurf zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsme- chanismus als auch den Gesetzentwurf zu seiner Finan- zierung ab. Annette Groth (Die Linke): Ich stimme gegen den europäischen Fiskalpakt, da dieser Vertrag gegen demo- kratische Prinzipien verstößt. Mit diesem Vertrag wird die parlamentarische Demokratie deutlich eingeschränkt und werden die öffentliche Infrastruktur und die sozialen Errungenschaften in allen Unterzeichnerstaaten infrage gestellt. Dieser Vertrag ist eine deutliche Selbstentmachtung der nationalen Parlamente und damit auch des Deut- schen Bundestages. Das Haushaltsrecht ist eines der wichtigsten Rechte eines Parlaments. Durch das Haus- haltsrecht können gewählte Politikerinnen und Politiker darüber entscheiden, welche Schwerpunkte im Haushalt gesetzt werden und ob ein Staat zur Erreichung seiner Ziele in einer Haushaltsperiode öffentliche Schulden machen kann. Durch die automatischen Sanktionsmechanismen in diesem Vertrag wird die Möglichkeit der demokratischen und freien Gestaltung der Haushalte in allen öffentlichen Ebenen der Bundesrepublik, von den Kommunen bis zum Bundeshaushalt, deutlich eingeschränkt. Völlig inakzeptabel ist, dass bei einem Land, das sich im sogenannten Defizitverfahren befindet, die Euro- päische Kommission und der Rat künftig sogar ein Veto- recht gegenüber den nationalen Haushaltsplänen erhal- ten. Damit bekommt die Exekutive und eine nicht demokratisch gewählte Institution wie die Europäische Kommission Macht über die Gestaltung der Haushalte von demokratisch gewählten Parlamenten. Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist kein Beitrag zur Überwindung der tiefen ökonomi- schen Krise. Es handelt sich real um einen Banken- rettungsschirm, der mit öffentlichen Mitteln der Steuer- zahlerinnen und Steuerzahler bezahlt wird. Durch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22767 (A) (C) (D)(B) Sozialkürzungen und die weitere Einschränkung der öf- fentlichen Handlungsspielräume wird ein milliarden- schwerer Schutz für die Gewinne der Banken errichtet. Beiden Verträgen werde ich nicht zustimmen, da durch sie die Schaffung einer sozialen und demokra- tischen Europäischen Union wesentlich erschwert wird. Die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung dieser Verträge bedient die Interessen einer bürokratischen Elite, die von Wirtschaftslobbyisten gelenkt ist. Als überzeugte Europäerin kann ich dem schleichenden Tod der Demokratie in der Europäischen Union nicht zustim- men, der durch diese Verträge befördert wird. Petra Hinz (Essen) (SPD): Der Deutsche Bundestag entscheidet heute über den Fiskalvertrag für mehr Haus- haltsdisziplin in Europa und den dauerhaften Euro-Ret- tungsschirm, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM. Mein Ja zum ESM und Fiskalvertrag ist jedoch nicht ein Ja zur Merkel’schen Politik, die es bislang nicht vermocht hat, die krisengeschüttelte EU dauerhaft zu stabilisieren. Sie schadet mit ihren anonymen Gipfel- treffen und ihrem nicht nachvollziehbaren Zickzackkurs Europa und der Demokratie. Meine Zustimmung zeigt vielmehr: Ich nehme meine Verantwortung für ein soli- darisches und handlungsfähiges Europa auch als Opposi- tion ernst. Dies ist nicht nur eine Entscheidung für Deutschland, sondern eine historische Entscheidung für ganz Europa. Es ist ein Ja zu zwei Instrumenten gegen die Krise, die sicher nicht in allen Belangen vollständig meinen und sozialdemokratischen Vorstellungen entsprechen, insbesondere der Euro-Rettungsschirm ist ein zentraler Beitrag zur Krisenbewältigung. Ich bin davon überzeugt: ESM und Fiskalvertrag sind nur Etappenziele auf dem Weg zur Rettung der Euro-Zone. Zur Wahrheit gehört auch: Von einer endgültigen Lösung der Krise sind wir nach wie vor weit entfernt. Wir alle müssen die europäi- sche Idee leben, doch über ihre Geschichte wird heute kaum gesprochen. Aber jeden Tag erleben die Menschen die überfrachtete Verwaltung und die Bürokratie der EU. Es liegt an uns, über die eigentliche europäische Idee zu sprechen und die Menschen für Europa zu begeistern. Ich habe mir die Entscheidung zum Fiskalvertrag nicht leicht gemacht. Ein Vertrag, der in strikter Haus- haltsdisziplin und massivem Schuldenabbau die Lösung aller Probleme der Euro-Zone sieht, trägt alles andere als eine sozialdemokratische Handschrift. Ein kategorisches Nein zum Fiskalvertrag wäre aber das falsche Signal in der Krise: Für mich ist unbestritten, dass die Euro-Staa- ten ihre Schuldenberge in den Griff bekommen müssen. Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fän- gen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Sowohl im Bund als auch in einigen Ländern haben wir dazu beige- tragen, Schuldenbremsen verfassungsrechtlich zu veran- kern. Und wir haben dabei durchgesetzt, dass eben nicht nur eine Verantwortung für die Ausgaben, sondern auch Grundlagen für die Einnahmen bestehen. Neben Haushaltsdisziplin brauchen die überschulde- ten Staaten auch Impulse für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, um dauerhaft wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Dem reinen Fiskalvertrag hätte ich nicht zustimmen können, da er die Krise eher verschärft als eingedämmt hätte. Deswegen haben wir als SPD-Fraktion hart mit der Bundesregierung verhan- delt – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Ergän- zung des Fiskalvertrages durch einen europäischen Wachstums- und Beschäftigungspakt ist letztlich auch das Eingeständnis der schwarz-gelben Koalition, dass ihre bisherige fantasielose Sparpolitik krachend geschei- tert ist. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialde- mokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Opposi- tionspartei, einer Bundesregierung einen solchen Kurswechsel abzuringen. Erstens. Union und FDP haben die gerechte Besteue- rung des Finanzsektors lange Zeit blockiert und damit verhindert, dass auch die Verursacher der Krise an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Dank der SPD wird die Finanztransaktionsteuer nun endlich kom- men, leider nicht in allen, aber doch zumindest in vo- raussichtlich zehn Partnerländern. Zweitens. Wir haben erreicht, dass sich die Bundesre- gierung zu erheblichen Impulsen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa bekennt. Dazu gehört, dass nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der lau- fenden Finanzperiode gezielt für wachstums- und be- schäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden. Drittens. Die Bundesregierung hat in den Verhandlun- gen zudem unserer Forderung zugestimmt, ein Sofort- programm gegen Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg zu bringen. Mit einer Jugendgarantie soll jedem Jugendli- chen spätestens vier Monate nach Schulabschluss oder Eintritt in die Arbeitslosigkeit eine Arbeits- oder Ausbil- dungsstelle angeboten werden. Viertens. Die Bundesländer haben weiterhin bis 2020 Zeit, die Regeln der nationalen Schuldenbremse einzu- halten. Der Bund hat sich verpflichtet, die Kommunen im Sozialbereich finanziell um mehrere Milliarden Euro zu entlasten. Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM soll den zeitlich befristeten Rettungsschirm EFSF endgültig ablö- sen, bis dahin laufen beide Mechanismen zunächst paral- lel. Deutschland geht durch die Gewährung von Bürg- schaften für notleidende Staaten im Rahmen der europäischen Rettungsschirme erhebliche finanzielle Ri- siken ein. Diese Risiken sind jedoch vertretbar – denn sie sind nicht nur ein Signal der innereuropäischen Soli- darität, sondern auch ein Gebot der wirtschaftlichen Ver- nunft. Die Stabilität des Euro und unserer Partnerländer liegt vor allem im deutschen Interesse, weil uns ein Zusam- menbruch der Währungsunion am Härtesten treffen würde. Der Exportnation Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn die Wirtschaft im Rest Europas am Boden liegt Unser Wohlstand beruht auf den in Deutschland hergestellten Produkten, die auch von unse- ren europäischen Partnerländern gekauft werden. Wenn es uns nicht gelingt, diese Länder dauerhaft zu stabilisie- ren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzu- 22768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) greifen. Wir retten nicht Griechenland oder Spanien, sondern wir retten letztlich auch den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Fehlentwicklungen abstellen und Schulden abbauen. Nur wenn die Euro-Zone stabilisiert wird, können die Länder die gewährten Kredite zurückzahlen. Wer jetzt aber ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone fordert, beschleunigt damit nur einen Staatsbankrott und vermindert so die Chance auf die vollständige Rückzah- lung der deutschen Forderungen. Zudem hätte ein un- kontrollierter Staatsbankrott auch verheerende Folgen für andere Krisenstaaten, die dann ebenfalls zur Ziel- scheibe spekulativer Angriffe würden. Aus den oben genannten Gründen stimme ich dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und dem Fiskalvertrag zu. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir den Menschen viel zumuten. Aber wir müssen diesen Schritt gehen. Eine Enthaltung oder eine Ablehnung wäre ein falsches Signal für die europäische Idee. Meine heutige Zustimmung ist jedoch kein Freibrief für zukünftige Ein- zelentscheidungen und Alleingänge der Bundesregie- rung im Rahmen der EU-Finanzkrise. Christian Hirte (CDU/CSU): Den Gesetzen zur Ein- richtung eines dauerhaften Europäischen Stabilitätsme- chanismus, ESM, sowie zum Fiskalpakt stimme ich zu. Dem derzeit beschrittenen Weg zur weiteren europäi- schen Rettungspolitik stehe ich weiterhin mit großer Skepsis und Sorge gegenüber. Ich bin nicht überzeugt, dass damit die Krise dauerhaft erfolgreich bekämpft werden kann. Finanzhilfen und Bürgschaften allein wer- den nicht helfen, um die teils massiven Rückstände der Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder zu überwinden. Ich stimme den Gesetzen dennoch zu, weil die denkba- ren – auch politischen – Alternativen deutlich problema- tischer sind. Das entschiedene Bekenntnis der Bundes- kanzlerin gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa stellt klar, dass bei aller notwendigen Solidari- tät die nationalen Regierungen und Parlamente sich ih- ren schwierigen Aufgaben stellen müssen. Kein Ret- tungsschirm, kein gemeinsamer Tilgungsfonds und auch kein gemeinsames Wachstumspaket kann die Staaten aus dieser Verantwortung entlassen. Die notwendige Solida- rität darf auch nicht dazu führen, dass am Ende alle über- fordert sind. Kein Staat und insbesondere nicht Europa als Ganzes wird stärker, indem die Stärkeren schwach werden. Der ESM, insbesondere in seiner Verbindung mit dem Fiskalpakt, bildet, wie zuvor die EFSF, einen Rahmen, dem ich grundsätzlich zustimme. Er unterstreicht, dass die Euro-Staaten sich mit der gemeinsamen Währung zu einer vertieften gegenseitigen Solidarität verpflichtet haben. Ich halte den Euro und insbesondere die Idee eines freiheitlichen, friedlichen und gemeinsamen Europas für so wichtig, dass ich bereit bin, einen solchen Rahmen mitzutragen. Es ist und bleibt wichtig, dass der Deutsche Bundestag immer dann, wenn es um konkrete Hilfen für einzelne Staaten geht, in die Entscheidung eingebunden bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Urteilen diese Rolle des Parlaments immer wieder betont. Daher möchte ich auch in Zukunft im Einzelfall trennen zwischen der Zustimmung zu einem grundsätzlichen Rahmen und der konkreten Hilfs- zusage für ein Land, für Banken oder andere Hilfsleis- tungen. Insbesondere im Fall Griechenlands glaube ich, dass ein Festhalten am Euro mit allen Mitteln keine dau- erhafte Lösung ist. Kein konkretes Geld ohne Zustim- mung des Bundestages bleibt daher auch mit dem ESM für mich ein Maßstab meines politischen Handelns. Gleichwohl zeigen gerade die Beispiele Portugal oder Irland, dass vorübergehende Hilfen der europäischen Partner eine wichtige und notwendige Unterstützung für Staaten sein können, ihren Reformweg zu verfolgen und umzusetzen. Diese Beispiele zeigen zugleich, dass Kre- dite und Bürgschaften allein nicht helfen, in den betrof- fenen Ländern einen Aufwärtspfad einzuschlagen. Nur ein konsequenter Reformweg, der jeweils national die Verschuldung absenkt und die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften steigert, kann eine positive Perspek- tive eröffnen. Ich war und bin bereit, diese Schritte zu unterstützen, und halte es für richtig, dass auch Deutsch- land verlässlicher Partner dabei ist, diese Wege zu ge- hen. Wachstumsimpulse in Europa sind deshalb auch eine richtige Ergänzung zu Reformen und Haushaltsdis- ziplin. Sie können diese aber nicht ersetzen. Gerade Deutschland hat in den zurückliegenden Jahren gezeigt, dass beides zusammenkommen muss, um die Wettbe- werbsfähigkeit zu erhöhen. Hinweise und Belehrungen der Oppositionsparteien im Bundestag an die Regierung zu Wachstum sind deshalb so unverständlich wie über- flüssig und – im Rückblick auf den aktuellen Brüsseler Gipfel – geradezu schädlich. Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die Bundesregierung haben in den vergangenen Monaten mit ihrer Haltung geholfen, in den Mitgliedstaaten wich- tige Reformen anzustoßen und auf den Weg zu bringen. Mit den Einzahlungen in den ESM, aber auch mit der Übernahme der Haftungsrisiken übernimmt Deutschland eine wichtige solidarische Rolle. Auch bei Wachstums- impulsen über den EU-Haushalt ist letztlich die Bundes- republik mit Zahlungen beteiligt. Diese Solidarität halte ich dem Grunde nach auch für richtig. Gerade Ostdeutschland, aber auch andere struk- turschwache Regionen in Deutschland profitieren von der Solidarität in Europa. Das wirtschaftliche, aber auch das ideelle Europa, das uns Wohlstand, Frieden und Frei- heit sichern soll, kann und sollte uns dies wert sein. Der gleichzeitig notwendige Reformweg in den Ländern muss aber von den jeweiligen Regierungen und Parla- menten getragen werden. Subsidiarität und nationale Eigenverantwortung waren bislang Grundprinzipien des geeinten Europas. Sie sind keine Schönwetterregeln und sollten auch in schwierigen Krisenzeiten Bestand haben. Keine noch so große Krise darf dazu führen, dass wir diese zentralen Bausteine Europas einfach en passant aufgeben, um gegebenenfalls vorübergehend Zinsvor- teile für die Refinanzierung einzelner Staaten zu gewin- nen. Richtigerweise hat das Bundesverfassungsgericht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22769 (A) (C) (D)(B) erst aktuell darauf hingewiesen, dass wir unseren grund- gesetzlichen Rahmen überdenken müssen, wenn ein an- deres, intensiver integriertes Europa gebaut werden soll. Nach meiner festen Überzeugung muss dieser Dis- kussionsprozess in den politischen Institutionen Deutschlands, aber auch und gerade mit unserer Bevöl- kerung geführt werden. Was ist uns in Deutschland Europa wert, ideell und ökonomisch? Was sind wir be- reit und in der Lage, an nationalen Souveränitätsrechten und finanziellen Ressourcen abzugeben, um Europa sta- bil zu halten und auch selbst Vorteile aus dieser Stabilität zu erlangen? Welche Rolle wollen und können wir Deut- sche in Europa spielen? Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass wir über mehr als Transferleistungen reden, dass es um mehr als tagespolitische Einzelentscheidungen geht. Wir sind inmitten von Fragen nach einem Grundverständnis von Europa, darüber, welche Lasten und Einschnitte wir bereit sind, mitzutragen, um Wohlstand, Freiheit und friedlichen Austausch dauerhaft zu sichern. Wir stehen dabei an einschneidenden Weggabelungen. Die finan- zielle Not wird dazu führen, uns den damit verbundenen Fragen stellen zu müssen. Die Diskussion hierüber ist notwendig und überfällig. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann dem Fiskalpakt nicht zustimmen, weil er nicht aus- reichend von Maßnahmen flankiert wird, die wirklich den Zinsdruck von den europäischen Krisenländern neh- men. Die Beschlüsse, die in der Nacht zum 29. Juni auf dem EU-Gipfel in Brüssel gefasst wurden, gehen zwar teilweise in die richtige Richtung, schwächen jedoch die Rechte des Europaparlaments und werden in der Sache nur temporär begrenzte Effekte haben. Ich befürchte, dass die eiserne Sparpolitik, die mit- hilfe des Fiskalpakts allen Vertragspartnern auferlegt werden soll, die in Bedrängnis geratenen Länder noch tiefer in die Krise treiben und dort zu Sozialabbau und dem Verkauf staatlicher Infrastruktur (also unter ande- rem zur Privatisierung von Krankenhäusern, Universitä- ten und der Eisenbahn) führen wird. Mir ist sehr wohl bewusst, dass in den Krisenländern große Eigenanstrengungen notwendig sind (Stärkung ef- fektiver Finanzämter, mehr Steuergerechtigkeit, Aufbau eines funktionierenden Katasterwesens und auch Spar- maßnahmen). Es dürfen aber keine Maßnahmen direkt oder indirekt erzwungen werden, die die Aussicht auf eine wirtschaftliche Erholung gen null laufen lassen und die zu sozialen Verwerfungen führen. Trotz großer Bedenken aufgrund seiner Konstruktions- fehler und des Mangels an Transparenz und parlamentari- scher Kontrolle werde ich in einem anderen Abstim- mungsgang dem ESM zustimmen, weil mir das schnelle Hochziehen einer Brandmauer zur Abwehr von Spekula- tionsangriffen jetzt notwendig erscheint. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Form richtet meines Erachtens aber mehr Schaden als Nutzen an. Ich fühle mich in der wirtschaftlichen Analyse und der Bewertung des Fiskalpakts einig mit vielen Finanz- expertinnen der grünen Bundestagsfraktion und der grü- nen Fraktion im Europaparlament. Auch mit dem Ent- schließungsantrag meiner Fraktion zum Fiskalpakt bin ich einverstanden. Unterschiede gibt es jedoch in der Interpretation bzw. in den Schlussfolgerungen, die aus der äußerst knappen Entscheidung der Sondersitzung des Länderrats von Bündnis 90/Die Grünen gezogen werden können. In meinen Augen ist es weder eine Missachtung des Län- derrats noch eine Kritik an denjenigen, die für Bündnis 90/Die Grünen die Kompromisse mit der Koali- tion ausgehandelt haben (und dabei in Sachen Finanz- transaktionsteuer auch wichtige Teilerfolge errungen ha- ben), wenn eine Minderheit in der Fraktion nach Abwägung aller Pros und Kontras dem Fiskalpakt die Zustimmung verweigert. Uns alle eint in der grünen Bundestagsfraktion und überhaupt in allen Gliederungen von Bündnis 90/Die Grünen die Überzeugung, dass die Krise in Europa nur mit mehr und nicht mit weniger Europa gelöst werden kann. Aus einer Währungsunion muss so schnell wie möglich auch eine Wirtschafts- und Solidarunion wer- den, die sich in Europa und weltweit für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung ein- setzt. Heiner Kamp (FDP): Vor dem Hintergrund von Schuldenbergen und Bankenkrisen in vielen Ländern der Europäischen Union machen sich die Menschen Sorgen um ihre eigene Zukunft, ihr Erspartes und um die Zu- kunft und Stabilität ihrer Länder und Europas. Gleichzeitig werfen die Instrumente zur Bekämpfung dieser Risiken viele Fragen auf, wie etwa: Reichen die Maßnahmen aus? Ist es gerecht, sich anzustrengen, wenn betroffene Länder nicht die notwendigen Reformen be- ginnen? Sichern die Maßnahmen unser Geld, oder ver- nichten sie es? Selbstverständlich teile ich diese Sorgen. Aber diese Krisen sind erstmalig. Die Mechanismen zur Bewältigung sind neu. Niemand kann definitiv Aus- sagen darüber treffen, ob, wann und wie die Maßnahmen greifen. Unterlassenes Handeln würde in dieser Situation aber unkalkulierbare Kettenreaktionen auslösen. Heute entscheiden wir nun über den Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ich stimme beiden nach Abwägung aller Risiken aus folgenden Gründen zu: Ich bin erstens davon überzeugt, dass ein geeintes, friedliches und stabiles Europa größter Anstrengungen wert ist. Eine wichtige Grundlage, um diesen Zustand zu erhalten und zu stärken, sind solide Staatsfinanzen der einzelnen Mitgliedstaaten. Der Fiskalpakt legt hierfür unter anderem durch die Einführung einer Schulden- bremse die Grundlage. Dafür ist die Disziplin aller Be- teiligten bei seiner Umsetzung notwendig. Ich bin zweitens davon überzeugt, dass die Insolvenz eines Mitgliedstaates unkalkulierbare Folgen für die 22770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Währungsunion und die Europäische Union als Ganzes sowie letztlich für den einzelnen Bürger hätte. Die Schutzwirkung des ESM gibt den Mitgliedstaaten die nötige Zeit, Reformen umzusetzen. Gleichzeitig ist er ein starkes Signal an die Finanzwelt, dass Europa ge- schlossen zur Bewältigung der Krise bereit ist. Eine weiter gehende europäische Integration darf al- lerdings nicht unter dem Druck der Staatsschuldenkrise ohne die Beteiligung der Bürger und deren gewählter Vertreter geschehen. Ich fordere deshalb die Regierun- gen der Mitgliedstaaten auf, der allgemein empfundenen Furcht vor einem zentralistischen Europa mit Maßnah- men auf europäischer Ebene entgegenzuwirken, die die Mitbestimmungsrechte von Parlament und Volk stärken. Europäische Integration darf aber nicht bedeuten, dass wir die Fehler einzelner Mitgliedstaaten vergemein- schaften. Ich will ein geeintes, aber kein vereinheitlich- tes Europa. Es ist wichtig, die Vielfalt der Ideen und Lö- sungen zu erhalten. Der Wettbewerb der Ideen und verschiedenen Wege ist ein Grund für die kulturelle und wirtschaftliche Stärke Europas. Harald Koch (DIE LINKE): Ich lehne den Fiskalpakt ab, weil ich weiter für ein demokratisches, soziales und solidarisches Europa kämpfe. Spardiktate sparen Europa kaputt. Die Kürzungspoli- tik kürzt Demokratie und Arbeiterrechte. Sie verschärft die Krise und führt tiefer in die Rezession. Ein weiterer Abbau von Löhnen, Renten und Sozialleistungen be- gräbt so langsam die europäische Idee. Ureigene Rechte der Parlamente wie das Haushaltsrecht werden einge- schränkt. Ist der Fiskalpakt ratifiziert, kann ihn kein Land allein wieder aufkündigen. Austerität wird zum Dogma der EU. Dafür sind die Ursachen der derzeitigen Finanzkrise in der fehlenden strikten Regulierung der Finanzmärkte, in der fatalen Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten sowie in den Leistungsbilanzungleichge- wichten innerhalb des Euro-Raumes zu suchen. Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) stellt ein weiteres Bankenrettungspaket dar. Die Hilfsgelder kom- men nicht den Menschen zugute. Wer Hilfsgelder will, muss sich dem Kaputtsparzwang ergeben. Lasten der Wirtschaftskrise werden mehr und mehr auf die Bürger abgeschoben. Ihre demokratischen Mitbestimmungs- rechte versiegen aber stärker als dass sie zunehmen. Die ohnehin finanziell klammen Kommunen bluten zudem vollends aus. Ich fordere deshalb, die Profiteure und Verursacher der Krise ausreichend an den Kosten zu beteiligen. Ohne eine drastische Besteuerung hoher Vermögen, hoher Ein- kommen und von Finanztransaktionen gibt es keinen Weg aus der Krise. Europa braucht dabei nachhaltige Wachstums- und Investitionsprogramme. In Deutschland brauchen wir geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage – unter anderem Mindestlohn – für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen – unter anderem Gemeindewirtschaftsteuer – und für den Abbau von Leistungsbilanzungleichgewichten. Ich will ein solidarisches Eüropa mit mehr demokrati- schen Mitwirkungs- und Entscheidungsrechten der Bür- gerinnen und Bürger. Ich will mehr Demokratie und mehr Sozialstaat. Deshalb verweigere ich dem Fiskal- pakt meine Zustimmung. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus- gangspunkt meiner Entscheidung ist meine politische Überzeugung, dass die Europäische Integration für eine solidarische, demokratische und ökologische Europäi- sche Union vorangetrieben werden muss. Die friedens- stiftende Idee Europas gilt es zu bewahren. Doch die Krisen haben das Undenkbare plötzlich möglich ge- macht: Das Auseinanderbrechen der Euro-Zone ist wahrscheinlich, wenn nicht geeignete Gegenmaßnah- men ergriffen werden. Zunächst ist es aber wichtig, die Ursachen der Wirt- schafts-, Finanz- und Verschuldungskrisen zu analysie- ren. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um den Kollaps zu verhindern. Hinzu kommt die Schwäche des europäischen Banken- systems, die massive Überschuldung privater Haushalte, Immobilienblasen und massive ökonomische Ungleich- gewichte sowie die dramatische Ungleichverteilung von Vermögen. Diese Ursachen wurden von der Bundesre- gierung nicht konsequent bekämpft, was wir Grünen im- mer heftig kritisiert haben. Inzwischen birgt die Krise enorme Risiken mit unabsehbaren Folgen für unser Ge- meinwesen. Vor diesem Hintergrund sind die Signale zu bewerten, die von den Abstimmungen im Deutschen Bundestag ausgehen. Die vorliegenden Gesetze begleiten einen Prozess, der noch nicht zum Ende gekommen ist. Viel bleibt zu tun. Daher unterstütze ich ausdrücklich die von der grünen Fraktion erreichten veränderten Ausrichtun- gen der deutschen Politik. Doch es muss noch viel mehr geschehen. Um einen deutlichen Politikwechsel einzu- leiten, wären wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zinsdrucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen Altschuldentilgungsfonds. Es ist bitter, dass die Kanzlerin bislang ihren törichten Weg weiterverfolgt, ei- nen solchen Fonds nicht aufzusetzen. Außerdem tut sie nichts, um in der deutschen Bevölkerung für den Weg für ein besseres, integrativeres, solidarischeres und soli- deres Europa zu werben. Ich befürworte den ESM, weil er eine dauerhafte Fi- nanzinstitution schafft, der alle Euro-Staaten angehören werden. Er soll ab Juli dieses Jahres in Kraft treten, und seine Aufgabe wird sein, am Markt Geld aufzunehmen und Stabilitätshilfen zu günstigeren Konditionen an Euro-Staaten mit gravierenden Finanzierungsproblemen weiterzugeben. Das ist ein sehr wichtiges Signal für die von den Krisen gepackten Länder wie Spanien, Italien und Zypern. Aber auch beim ESM ist noch vieles ver- besserungswürdig, auch der ESM muss weiter sehr kri- tisch begleitet werden, weil noch zahlreiche Fallstricke enthalten sind. Ich stimme dem Fiskalpakt nach reiflichem Abwägen zu. Es ist nicht leicht, einen stimmigen Weg durch die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22771 (A) (C) (D)(B) äußerst unterschiedlichen und sich widersprechenden Argumente zu finden. Beim Abklopfen der Inhalte des Fiskalpakts ist festzustellen, dass dieser für die jetzige Situation in mehrfacher Hinsicht das falsche Instrument ist. Der Pakt ist zum einen ein Ablenkungsmanöver der Bundesregierung, um die verantwortungslose Verweige- rung gegenüber wirklichen Lösungen zu legitimieren. So tritt er erst zum 1. Januar 2013 in Kraft, obwohl es heute darum gehen müsste, einen Ausweg aus der Krise für Spanien, Italien und Zypern zu finden. Außerdem be- steht durchaus die Gefahr, dass dieser Pakt in den Jahren ab 2014 zu massiven wirtschaftlichen Problemen in Eu- ropa führt. Aber der Fiskalpakt ist so neu nicht – einige der Re- gelungen – zum Beispiel die Beschreibung eines Schul- denabbauplans – sind bereits durch das Sixpack be- schlossen. Was den Fiskalpakt aber weniger dramatisch macht, ist seine tendenzielle Unverbindlichkeit und Ab- schwächungen, die auch durch den aktuellen EU-Gipfel vorgenommen wurden. Der Fiskalpakt ist nicht in Stein gemeißelt, er operiert zum Beispiel innerhalb der Regeln zum ausgeglichenen Haushalt in den schon in Deutsch- land gesetzten Grenzen oder verweist zum Beispiel beim Korrekturmechanismus auf die uneingeschränkte Wah- rung der Vorrechte der nationalen Parlamente. Er ist in durchaus relevanten Bereichen pflaumenweich formu- liert und hat deshalb voraussichtlich nicht die von vielen befürchtete Wirkung. Dennoch müssen wir sehr auf- merksam verfolgen, wie es weitergeht, denn ob die Risi- ken, insbesondere bei der Frage der Schuldenbremse, wirklich einzudämmen sind, wird künftig zu klären sein. Meine Fraktion hat sich entschieden, die politischen Prozesse konstruktiv und proeuropäisch voranzutreiben. Was mir ein Ja auch ermöglicht, ist der Umstand, dass die Verhandlungen Erfolge hatten. Nachdem unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht über die Mit- wirkungsrechte des deutschen Bundestages erfolgreich war, konnten wir durchsetzen, dass das entsprechende Gesetz jetzt hinsichtlich des Fiskalpakts und ähnlicher europäischer Konstruktionen eine ausdrückliche Klar- stellung erhält. Last, but not least – die Finanztransaktionsteuer. Eine solche wird jetzt auf den Weg gebracht. Als Entwick- lungspolitikerin freut mich das besonders, denn der jah- relange Kampf für eine Steuer, die hoffentlich auch zur Bekämpfung der Armut eingesetzt wird, zeigt endlich Wirkung. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Europäische Union und der Euroraum befinden sich in einer der schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Einige Mitgliedstaaten sind mit massiv gestiegenen Zinsforderungen für ihre Kredite konfron- tiert, ihnen droht der Staatsbankrott. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines solchen Bankrotts auf andere mit ihnen eng verwobene Volkswirtschaften sowie die poli- tischen Konsequenzen für die weitere europäische Inte- gration wären desaströs. Die Ursachen der Krise sind mannigfaltig. Sie reichen von fehlender Regulierung von Finanzmärkten und Ban- ken, spekulativen Finanzgeschäften über mangelnde Haushaltsdisziplin, der Finanzierung von Konjunktur- paketen bis hin zu erheblichen Leistungsbilanzdefiziten. Um der Krise zu begegnen, sind verschiedene Maß- nahmen notwendig. Rettungsschirme müssen aufge- spannt werden, um den betroffenen Ländern wieder eine Refinanzierung zu ermöglichen und somit deren Zah- lungsunfähigkeit abzuwenden. Verbindliche Regeln, wie Grenzen für nationale Defizite und Schuldenbremsen, müssen zur Sicherstellung nachhaltiger und stabiler Haushaltspolitik eingeführt werden. Die Finanzmärkte müssen reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt werden. Die bestehenden Schulden müssen konsequent zurückgeführt werden. Nicht zuletzt müssen den ange- schlagenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Perspekti- ven aufgezeigt werden – wir brauchen Investitionspro- gramme in nachhaltige Technologien, beispielsweise in den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien. Der Deutsche Bundestag hat heute mit der Entschei- dung für den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Fiskalpakt entlang dieser Linien die Wei- chen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euros und der Europäischen Finanzmärkte gestellt. Mit dem ESM wird dem Euro-Raum ein permanenter Rettungsschirm zur Verfügung stehen. Ausgestattet mit einem eigenen Kapitalstock wird er dazu in der Lage sein, in Not geratene Staaten bei ihrer Refinanzierung zu unterstützen. Der Fiskalpakt ist eine notwendige Ergänzung des ESM. Er stellt verbindliche Regeln zur Erstellung kon- solidierter Haushalte auf. Die Mitgliedstaaten verpflich- ten sich mit ihm zudem zur Einführung nationaler Schul- denbremsen. Diese Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Haushaltskonsolidierung muss sowohl aus der Stei- gerung von Einnahmen als auch aus hoher Disziplin bei den Staatsausgaben bestehen. Im Zuge der Verhandlungen zu ESM und Fiskalpakt konnten durch eine erfolgreiche grüne Verhandlungsfüh- rung noch weitere wichtige Maßnahmen vereinbart wer- den: Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer werden die Märkte endlich an den Kosten der Krise beteiligt. Investitionsimpulse, vor allem für nachhaltige Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz wer- den für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgen. Nicht zu- letzt wird es eine stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträgen an den ESM geben. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommunen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich begrenztere Möglich- keiten zur Refinanzierung haben. Mit der Einigung zu ESM und Fiskalpakt haben wir viel erreicht. Gleichwohl stehen weitere wichtige Ent- scheidungen aus. So konnten wir uns nicht auf die Ein- führung eines gemeinschaftlichen Schuldenabbaus eini- gen. Mit ihrer Blockadehaltung in dieser Frage gefährdet 22772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) die Kanzlerin die positive Wirkung von ESM und Fis- kalpakt. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen. Weiterhin gilt es, Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter auszubauen. Solche Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbewältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäi- sche Parlament muss in seiner Entscheidungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäi- sche Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Europa. Ich habe mich dazu entschlossen, für ESM und Fis- kalpakt zu stimmen. Die Initiativen enthalten nicht alle unsere Forderungen. Ich bin dennoch davon überzeugt, dass sie einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung der Schuldenkrise darstellen und wichtige grüne Forderun- gen umsetzen. Ich will mit meiner Zustimmung das europäische Projekt vor einem herben Rückschlag bewahren. Ich bekenne mich klar zu Europa und will nun auch dafür einstehen. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Durch die ak- tuellen Ereignisse und Entwicklungen in der Euro-Zone sehe ich mich in meiner kritischen Haltung zur bishe- rigen Euro-Rettungsschirmstrategie bestätigt. Daher werde ich auch dem permanenten Rettungsschirm, ESM, nicht zustimmen. Wie alle Rettungsschirme zuvor löst auch ein dauerhafter Rettungsschirm nicht die grund- legenden Probleme der Euro-Zone. Im Kern haben wir es mit einer Krise der preislichen Wettbewerbsfähigkeit in den südlichen Mitgliedstaaten zu tun. Dort sanken die Zinsen infolge der Euro-Einfüh- rung auf das deutsche niedrige Niveau. Das wiederum führte zu einem kreditfinanzierten Boom, die Löhne und Preise explodierten in diesen Ländern innerhalb von zehn Jahren um mehr als 30 Prozent. Die jetzige Rettungsschirmpolitik zielt darauf ab, die Zinsen auch auf lange Sicht künstlich niedrig zu halten. Dies kann jedoch nicht gelingen; denn niedrige Zinsen sind nicht die Lösung, sondern Auslöser der Krise gewe- sen. Damit hat man zwar Zeit gekauft, aber gleichzeitig auch einen Wettlauf gegen die ökonomische Realität be- gonnen, den man nicht gewinnen kann. Das zeigt sich nun mit voller Wucht; der viel befürchtete Dominoeffekt ist längt da. Fast alle Südländer befinden sich im Ret- tungsmodus. Die Euro-Krise hat sich zu einer umfassen- den Vertrauenskrise weiterentwickelt, die die Währungs- union nun als Ganzes gefährdet. Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir uns vom Man- tra, wonach die 17-Euro-Länder eine nicht trennbare Schicksalsgemeinschaft bilden, endlich befreien. Die Finanzmärkte lassen sich nämlich nicht mit mehr Geld beruhigen, sondern nur mit politischer Konsequenz. Mit anderen Worten: Was wir brauchen, sind keine immer größeren Brandschutzmauern, sondern eine Staaten- insolvenzordnung und ein Verfahren zur Suspendierung von der Euro-Zone, sodass es letztlich nur noch zwei Möglichkeiten gibt: Sanierung oder Insolvenz. Dies würde die Durchsetzbarkeit von Einsparungen und Strukturreformen stärken. Zugleich würde einem Staat, der auf absehbare Zeit seine Wettbewerbsfähigkeit in der Euro-Zone nicht wiedergewinnen kann, ein gangbarer Weg außerhalb der Euro-Zone eröffnet. Der ESM geht in eine andere Richtung. Er setzt keine Anreize für ein Umdenken. Mit der Erlaubnis zum An- kauf von Staatsanleihen beispielsweise werden vielmehr die Schulden vergemeinschaftet. Ich befürchte, dass da- mit der Weg in die Transferunion zementiert wird, zumal schon heute absehbar ist, dass viele der vergebenen Kre- dite niemals zurückgezahlt werden. Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich halte den perma- nenten Stabilitätsmechanismus für notwendig, um eine erneute Verschärfung der Euro-Krise und einen Zusam- menbruch der Staatshaushalte weiterer Mitgliedsländer der Euro-Zone zu verhindern. Kernanliegen muss es der- zeit sein, die Europäische Währungsunion vor den Aus- wirkungen unverantwortlicher Spekulationen zu schüt- zen. Das geht nur durch ein Zeichen der Solidarität der einzelnen Mitgliedsländer der Euro-Zone untereinander gegenüber den Akteuren des Finanzmarkts. Eine weitere Destabilisierung des Euro könnte nicht nur zum Zerfall der gemeinsamen Währung führen, son- dern würde auch die Existenz der Europäischen Union als solche gefährden. Eine derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Bürge- rinnen und Bürger am Herzen liegt. Allerdings impliziert die Übertragung von elementa- ren Rechten auf nicht demokratisch legitimierte Institu- tionen – Gouverneursrat, Direktorium –, wie sie zurzeit vorgesehen sind, grundlegende verfassungsrechtliche Probleme. Es gilt, einen Ausgleich zwischen der Hand- lungsfähigkeit entsprechender Institutionen und ausrei- chender parlamentarischer Kontrolle herzustellen. Mei- nes Erachtens ist deshalb vor allem bei der weiteren Ausgestaltung der Institutionen des permanenten Stabili- tätsmechanismus darauf zu achten, dass Hoheitsrechte des Bundestages gewahrt und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts gestaltet werden. Es ist daher zwingend geboten, bei der Implementierung des Vertrags dafür zu sorgen, dass die demokratische Legitimation stets die Richt- schnur bildet. Den Fiskalpakt lehne ich jedoch ab, da er den Verfas- sungsgesetzgeber völkerrechtlich im Rahmen seines Budgetrechts ewig bindet. Damit wird in das Demokra- tieprinzip unseres Grundgesetzes unverhältnismäßig ein- gegriffen. Darüber hinaus erhält die Europäische Kom- mission maßgebliche Befugnisse fiskalpolitischer Art einschließlich einer Klagemöglichkeit vor dem Europäi- schen Gerichtshof. Eine derartige Übertragung auf der- zeit nicht ausreichend demokratisch legitimierte europäi- sche Institutionen halte ich nicht für vertretbar. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Eu- ropa sollten jenseits der aktuellen Rettungsmaßnahmen ein Bild eines demokratischeren und handlungsfähigeren Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22773 (A) (C) (D)(B) Europas entwickeln. Das setzt eine engere Zusammenar- beit voraus, die letztlich eine Grundlage dafür bildet, politische Mehrheiten zu schaffen, auch in Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen ist: nämlich eine wirkliche politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozialunion auf- zubauen. Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn die politische Union geschaffen werden soll. Derartige europäische Pläne werden letztlich auch die Übertragung nationaler Souveränitätsrechte an dann geschaffene demokratisch legitimierte, europäische Institutionen be- inhalten müssen. Dieses wird die Weiterentwicklung des deutschen Grundgesetzes mit einschließen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in ihrer Weisheit bereits durch Art. 146 des Grundgesetzes diesen Weg beschrieben, indem sie eine Öffnungsklausel aufgenom- men haben, die die Weiterentwicklung der Verfassung durch eine Entscheidung des deutschen Volkes vorsieht. Eine solche Entscheidung muss sorgfältig vorbereitet werden. Weite Teile des Grundgesetzes können beibe- halten werden. Es gilt, ein neues Verhältnis von Europa, der Bundesrepublik, den Bundesländern und den Kom- munen zu entwickeln. Die Zeit sollte nicht fahrlässig verschwendet werden. Die Zeit ist reif für einen solchen Prozess. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In ei- ner schwierigen Krisensituation hat der Deutsche Bun- destag heute mit der Entscheidung für den ESM und den Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euro und der Europäischen Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig getroffenen Ver- einbarungen zur Einführung einer Finanztransaktion- steuer, die Zusagen für mehr nachhaltige Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz sowie die Verpflich- tung zur starken parlamentarischen Beteiligung bei Hilfsanträgen an den ESM sind wichtige und notwen- dige Schritte zur Stabilisierung der EU und Stärkung der Demokratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnah- menpaket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine starke grüne Handschrift trägt. Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt. Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland, Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie- gen und die soziale Schieflage hat sich weiter verschärft. Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht. Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo- balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt- schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen. Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu- sammenschlüsse von Staaten, die bisher auf eigene Rechnung handeln, auch wenn sie sich europäischen Sparvorhaben unterwerfen. Europa muss beweisen, dass verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlossenem Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in Verbin- dung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen für ein solches entschlossenes Handeln. Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind auch der von der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im Fiskalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen- dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver- pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und der Ver- ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommunen die finanziellen Folgen des Fiskalpakts mittragen können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich begrenztere Möglichkeiten zur Refi- nanzierung haben. Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver- pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In- vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik und mit dem ESM stärkt die wirtschaftliche Leistungs- fähigkeit der EU und ist so auch in unserem ureigenen Interesse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinander- brechen der Euro-Zone und damit einen großen Rück- schritt in der Europäischen Integration mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, son- dern für Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro- Gipfels vom 28. Juni 2012 gehen in die richtige Rich- tung, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken und den Teufelskreis aus Banken- und Staatsschulden- krise zu durchbrechen. Wichtige Schritte zur Bereitstel- lung von notwendigen Investitionsmitteln wurden ver- einbart. Es sind aber weitere Schritte zur Lösung der Euro- Krise nötig. Ein konkreter und realistisch umsetzbarer Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverstän- digenrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro- Zone. Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des Schul- denabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd und un- verantwortlich, wenn die Kanzlerin sich einer inhalt- lichen Debatte um konkret zu ergreifende Maßnahmen verweigert. Sie wird schon bald in diesem Punkt umden- ken müssen. Mit ihrer Weigerung einer realistischen Alt- schuldenregelung gefährdet sie die positive Wirkung von ESM und Fiskalpakt. Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden. Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit 22774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbe- wältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäische Parlament muss als europäischer Ge- setzgeber und Kontrolleur europäischer exekutiver In- stanzen gestärkt und eine echte Exekutive, also eine eu- ropäische Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung nationalstaatlicher Kompetenzen auf Eu- ropa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem Schul- denabbaupfad, Stärkung von Investitionen und demokra- tischer Entwicklung Europas wird die Krise überwunden werden können. Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak- tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö- sung. Deswegen stimme ich heute für den Fiskalpakt und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes Europa entschieden. Heute gilt es, dafür einzustehen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir sind in einer dramatischen Situation. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann, verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen der Bundes- regierung waren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät kamen und zudem unzureichend waren. Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart und den strukturellen Reformbedarf im Finanz-, Steuer- und Wirtschaftssystem ignoriert, verschärft die Krise, die ähnliche Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren. Auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Antwort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessen- den Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Energieversorgung eine ökologische Komponente haben muss. Wir brauchen also einen „Green New Deal“. Nur Sparen allein hilft in der Krise nicht. Wir brau- chen eine Richtungsänderung in der Politik. Deshalb hat Bündnis 90/Die Grünen Verhandlungen über die Ratifi- zierung des Fiskalpakts geführt und viel erreicht. Mit der Verständigung auf ein Investitionsprogramm ist die Bundesregierung ein Stück weit von ihrer falschen Spar- politik abgerückt. Mit der geplanten Einführung der Finanztransaktionsteuer wird es eine Wende in der Steu- erpolitik geben. Damit werden die Finanzmärkte endlich an den Kosten der Krise beteiligt. Den Verhandlungsergebnissen gebührt Anerkennung und Respekt. Dennoch konnten meine Bedenken über die sozialen Folgen des Fiskalpakts auch mit den Ergeb- nissen der Verhandlungen nicht ausgeräumt werden. Für mich bleibt der Fiskalpakt in der gegenwärtigen Situa- tion nicht der richtige Weg zur nachhaltigen Konsolidie- rung der Haushalte der europäischen Länder. In diesem Sinne besteht letztendlich die Gefahr, dass der Fiskal- pakt die Euro-Krise verschärft. Vor allem aber richtet sich der Fiskalpakt meiner Meinung nach gegen die Inte- ressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner und der sozial Benachteilig- ten in Europa. Er verschärft die soziale Schieflage in den betroffenen Nationalstaaten und spitzt die Krise der europäischen Integration weiter zu. Die Staaten der Europäischen Union müssen gerade in der Krise zeigen, dass sie das europäische Sozialmodell ernst nehmen. Sie haben sich in den Verhandlungen der vergangenen Nacht in der Tat bewegt. Die vereinbarten Punkte wie ein erleichterter Zugang zu den Rettungsschirmen und eine europäische Bankenaufsicht gehen in die richtige Rich- tung. Aber auch diese Schritte sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend. Deshalb werde ich dem Fiskalpakt nicht zustimmen. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Form gefährdet den sozialen Zusammenhalt in Europa. Neben der Bundes- republik Deutschland bindet der Fiskalpakt auch 24 wei- tere Staaten der Europäischen Union. Gerade die schwä- cheren Volkswirtschaften in Europa werden aber durch eine zu rigide Sparpolitik der öffentlichen Haushalte empfindlich getroffen. Schon heute sehen wir die sozial unausgewogenen Auswirkungen dieser Sparpolitik – in Griechenland, Portugal oder Spanien. Ich verfolge mit Entsetzen die immer neuen Meldungen über die immens steigende Jugendarbeitslosigkeit, Auswanderung, Per- spektivlosigkeit, Armutstendenzen und den sozialen Un- frieden in den genannten Ländern. Mich treibt die Sorge um, dass dieser Prozess sich noch verstärken wird. Der Fiskalpakt ändert nichts an den hohen Zinsen, die insbesondere die Defizitländer nach wie vor bedienen müssen. Hohe Zinsen führen dazu, dass die Wahrschein- lichkeit, Schulden zurückzahlen zu können, sinkt. Da- durch steigen die Zinsen noch weiter, ein Teufelskreis entsteht. Es ist zu befürchten, dass der Fiskalpakt einen noch stärkeren Druck auf die nationalen Regierungen und damit auch auf die Sozialsysteme ausüben wird. Die Defizitländer können nur mit radikalen und überstürzten Sparprogrammen reagieren. Der Sparpolitik wurden zwar durch die Verhandlungen Investitionen zur Seite gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der einseitige Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht aber weiterhin ungebrochen und wurde auch nicht mit sozial verträglichen Regeln unterlegt. Letztlich muss ich nach wie vor davon ausgehen, dass der Fiskalpakt erheb- liche soziale Lasten mit sich bringt, die für mich nicht akzeptabel sind. Massive Einsparungen bei Sozialausga- ben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bil- dungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern Europas weiter untergraben und gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben. Ich stehe zu den sozialen Zielen, die sich Europa ge- geben hat. So garantiert die europäische Sozialcharta beispielsweise die Tarifautonomie. In der Realität wird diese jedoch durch die Sparanstrengungen in Griechen- land untergraben. Im Rahmen der EU-2020-Strategie wurden wichtige Ziele zur Verhinderung von Arbeitslo- sigkeit und Armut vereinbart. Auch hier ist die Wirklich- keit eine andere. Durch den Fiskalpakt werden diese Ziele unerreichbar. Natürlich müssen alle europäischen Staaten langfristig ihre Schuldenquoten senken. Aber die Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten der Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer auch die Einnahmeseite in den Blick nehmen, und Ein- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22775 (A) (C) (D)(B) sparungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich ausgestaltet werden. Die Grundwerte von Europa – so- ziale Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben für mich auch in der Krise Bestand. Sie dürfen nicht nur hehre Worte bleiben, sondern müssen auch eingelöst werden. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Ausgestaltung wird dem nicht gerecht. Der Fiskalpakt leistet auch keinen Beitrag zur Über- windung der Euro-Krise. Denn die aktuelle Krise ist keine Staatsschuldenkrise, denn die europäischen Schul- denberge sind nicht das Ergebnis laxer Haushaltspolitik. In den meisten EU-Ländern kam es vor der großen Finanzmarktkrise 2008 zu keinem exzessiven Anstieg der Staatsausgaben. Im Gegenteil: Die öffentlichen Aus- gaben stiegen schwächer als das Sozialprodukt. In den heutigen Krisenländern, beispielsweise in Irland und Spanien, sank sogar die Schuldenlast. Die Schuldenquo- ten – der Anteil der Staatsverschuldung am Sozialpro- dukt – waren rückläufig. Erst die große Finanzmarktkrise ließ die Staatsschul- den europaweit explodieren. Die Bankenrettung machte aus privaten Schulden im Handumdrehen öffentliche Schulden. Konjunkturprogramme und Arbeitslosigkeit belasteten die öffentlichen Kassen. In der Folge kletterte die Schuldenquote aller Länder im Euro-Raum im Ge- samtdurchschnitt von rund 66 Prozent auf über 85 Pro- zent. Diese Auswirkungen der Finanzkrise dürfen nicht verschwiegen werden. Selbstverständlich müssen die Staatshaushalte konso- lidiert werden. Heute droht aber die Gefahr, dass der Fis- kalpakt den europäischen Staaten die Handlungsmög- lichkeiten nimmt. Wenn der Staat zum falschen Zeitpunkt kürzt, dann verlieren Firmen Aufträge und drosseln die Produktion, die Binnennachfrage bricht ein, und die Krise verschärft sich. Wenn staatliche Transfers gekürzt werden, können Erwerbslose und Bedürftige weniger Geld ausgeben. Damit verlängert dieser Nach- frageentzug im Abschwung die wirtschaftliche Talfahrt. In der Folge sinken Wachstum und Steuereinnahmen – Arbeitslosigkeit und Schulden aber steigen. Die katas- trophalen Folgen dieser einseitigen Sparmaßnahmen werden in Südeuropa schon heute, beispielsweise durch eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, sichtbar. Schuldenabbau darf eben öffentliche Investitionen nicht unmöglich machen. Die Staaten Europas müssen in ökologische Nachhaltigkeit, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investieren. Schließlich ist der langfristige Wert dieser Zukunftsinvestitionen größer als ihre Finan- zierungskosten. Defizite müssen auch über höhere Betei- ligung von hohen Einkommen und Vermögen an den ge- sellschaftlichen Belastungen abgebaut werden. Ebenso wird die vordringliche Frage der makroökonomischen Ungleichgewichte vom Fiskalpakt nicht gelöst. Hier müsste sich auch Deutschland endlich zu seiner Verant- wortung bekennen und eine Politik der Nachfragesteige- rung im Inland betreiben. Vor allem aber berührt der Fiskalpakt auch eine Kern- frage der Demokratie in der Europäischen Union. So ist der Fiskalpakt nicht innerhalb, sondern außerhalb der Europäischen Institutionen entwickelt worden. Er hätte seinen Platz innerhalb der Europäischen Vertragswerke haben können. Stattdessen wird der Fiskalpakt durch einen zwischenstaatlichen Vertrag in Kraft gesetzt. Dem Europäischen Parlament wird keine entscheidende Rolle zugedacht. Auch das lehne ich entschieden ab. Explizit unterstütze ich die weitergehenden Forderun- gen, die wir in einem Entschließungsantrag zur Abstim- mung bringen, denn ESM und Fiskalpakt werden die Krise kurzfristig nicht entschärfen. Wir fordern einen europäischen Altschuldentilgungs- fonds nach dem Vorschlag des Sachverständigenrats, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu mindern. Wir brauchen europaweite Vermögensabgaben, um Schulden sozial gerecht abbauen zu können. Notwendig sind insbesondere eine europäische Ban- kenunion mit europäischer Aufsicht, ein gemeinsames Einlagensicherungssystem und ein Bankenrestrukturie- rungsfonds, um die Kapitalflucht aus dem Süden zu beenden und die unselige Verquickung zwischen Ban- ken- und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen. Hier gab es aktuell durch die Verhandlungen der EU-Staats- und -Regierungschefs Bewegung. Allerdings ist wieder nur ein Teil der notwendigen Maßnahmen vereinbart worden. Der ESM muss perspektivisch zu einem echten euro- päischen Währungsfonds weiterentwickelt werden. Dazu bedarf es einer direkten Refinanzierung des ESM bei der Europäischen Zentralbank und der Möglichkeit, Anleihen aufzukaufen. Notwendig ist auf europäischer Ebene auch ein euro- päischer Steuerpakt, um den unfairen Steuerwettbewerb und das Steuerdumping innerhalb der EU zu vermeiden und Steuerhinterziehung, -vermeidung und -flucht zu bekämpfen. Die Bundesregierung muss ihre Forderung nach Kür- zung des EU-Haushalts 2014 bis 2020 um mindestens 100 Milliarden Euro aufgeben. Ansonsten wird ein Wan- del zugunsten von Beschäftigung, Wachstum, Innova- tion, Ausbildung und Forschung nicht zu erreichen sein. Schlussendlich brauchen wir einen europäischen Konvent, um mit breiter Beteiligung der Zivilgesell- schaft und der Sozialpartner die notwendigen Vertrags- änderungen hin zu einer Wirtschafts- und Solidarunion zu diskutieren und auf den Weg zu bringen. Alles zusammen zeigt: Meine Kritik am Krisenmana- gement der Bundesregierung ist groß. Insbesondere der Fiskalpakt ist für mich keine Antwort. Im Gegenteil, er verschärft die Krise und wird einem sozialen Europa, wie ich es mir vorstelle, in das ich Hoffnungen setze und für das ich politisch kämpfe, nicht gerecht. Mechthild Rawert (SPD): Ich werfe der Bundes- regierung, insbesondere Bundeskanzlerin Merkel, vor, das Parlament völlig unzureichend informiert und sich der parlamentarischen Debatte gestellt zu haben. Dieses nachweislich verfassungswidrige Verhalten ist unver- züglich zu ändern. 22776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Nach intensiver Überlegung werde ich – obgleich das politische, wirtschaftliche, finanz- und steuerpolitische Agieren der Bundesregierung völlig falsch ist – dem ESM und Fiskalpakt zustimmen. Ein Grund sind die Verhandlungserfolge der SPD, unter anderem Finanz- transaktionsteuer, Wachstums- und Investitionspakete, aber auch die Stärkung der Kommunen. Ich erwarte eine erstarkende Steuerpolitik durch den Bund, erwarte von uns allen aktive Schritte für ein soziales und politisches Europa. Ich werde meine Entscheidungsgründe in einem Bürgerbrief in meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöne- berg ausführlich und transparent – vergleiche Website – darlegen. Gerold Reichenbach (SPD): Ich lehne den Fiskal- pakt ab, weil er für die Finanzpolitik Europas und ihre künftige Weiterentwicklung das völlig einseitige Signal in Richtung einer reinen Austeritätspolitik setzt. In dieser Einschätzung haben mich die eindringlichen Warnungen vieler Ökonomen und führender Gewerk- schafter, die sich besorgt an uns Bundestagsabgeordnete gewandt haben, ebenso bestärkt wie diesbezügliche Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern. Das Ziel einer nachhaltigen Konsolidierung der Haushalte der europäi- schen Länder ist richtig und wichtig. Dieses Ziel wird mit dem einseitigen Instrument des Fiskalpakts jedoch nicht erreicht werden können, weil er die Frage gerecht organisierter Steuereinnahmen und nachhaltigen und umweltverträglichen Wachstums völlig ausklammert. Der Fiskalpakt ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsfinanzen und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat auch noch drastisch kürzt, dann beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Darum wird entgegen den Versprechen der Verfechter des Fis- kalpakts die Staatsverschuldung nicht sinken! Im Gegen- teil! Schuldenabbau geht nur anders: mit Wachstum, In- vestitionen, guter Arbeit und gerechten Steuern. Eine Sanierung der europäischen Finanzen wird nicht auf dem Weg des Sozialabbaus, der Einschränkung öf- fentlicher Dienstleistungen, schlechterer Infrastruktur, darbender Kommunalfinanzen, zunehmender Armut und Ungleichheit gelingen. Diese Form der Sanierung dient nur dazu, die Folgen der Finanzkrise einseitig auf die Bürger Europas abzuladen und die Verursacher und Pro- fitteure schadlos zu halten. Nicht laxe Haushaltspolitik ist der Hauptverursacher der Krise. Vor der Finanzkrise sind überall in Europa die Staatsschuldenquoten gesun- ken. Erst infolge der Finanzkrise und der notwendigen Rettungsmaßnahmen der Staaten gingen die Defizite in die Höhe. Die notwendigen Regulierungen für den Fi- nanzsektor und die finanzielle Beteiligung der Verur- sacher an den Kosten der Krisenbewältigung blieben je- doch weitgehend aus. Ersichtlich ist die Merkel’sche Politik gescheitert. Ihre seit mehr als zwei Jahren verord- nete Therapie macht den Patienten nicht gesund, sondern kränker. Ganz Südeuropa stürzt immer mehr in den wirt- schaftlichen und sozialen Ruin. Als Folge davon brechen jetzt deutsche Exporte ein, auch für Deutschland kom- men die Einschläge näher. Ich begrüße und anerkenne ausdrücklich, dass es der SPD und den europäischen Sozialdemokraten gelungen ist, mit der Durchsetzung der Finanztransaktionsteuer und der Etablierung eines europäischen Wachstumspro- gramms eine Richtungswende in der europäischen Poli- tik zu erreichen. Gleichwohl beschränkt sich die völker- rechtliche Bindung des Fiskalpakts auf eine reine Politik der Austerität. Meine Befürchtung ist, dass lediglich der völkerrecht- lich vereinbarte Mechanismus, so wie bei der Ausgestal- tung Europas nach den Maastrichter Verträgen, zur Grundlage der Weiterentwicklung der europäischen Politik wird. So wie Maastricht nur zu einem Europa der Märkte, des freien Waren- und Kapitalverkehrs und nicht zu einem Europa der Bürger als Grundlage taugte, so birgt der Fiskalpakt die reale Gefahr in sich, dass dem erneut nur eine Weiterentwicklung in eine reine Fiskal- politik folgt und das soziale Europa der Bürger wieder außen vor bleibt. Ein Europa, das aber nur dem Wirtschaftsverkehr und den Finanzmärkten dient, wird die Akzeptanz seiner Bürger endgültig verlieren. Aus dieser großen Sorge um die europäische Idee eines Europas der Solidarität und des Ausgleichs, das diesem kriegsgeplagten Kontinent nachhaltigen Frieden beschert hat, kann ich persönlich dem Fiskalpakt nicht zustimmen. Ich habe gleichwohl hohen Respekt vor meinen Fraktionskollegen, die mehr- heitlich in ihrer Güterabwägung zu einer anderen Ent- scheidung gekommen sind. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Den ESM in Verbin- dung mit dem Fiskalpakt erachte ich trotz aller Beden- ken als notwendiges Instrumentarium, um der europäi- schen Schuldenkrise mittelfristig begegnen zu können und kurzfristig Hilfeleistungen gewähren zu können, im- mer verbunden mit Auflagen zu Strukturreformen, die auf lange Sicht die Wettbewerbsfähigkeit der Problem- staaten wiederherstellen und diesen ermöglicht, sich wieder selbst am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Große Zweifel haben die Gipfelbeschlüsse der letzten Nacht aufgeworfen, die unter anderem eine direkte Re- kapitalisierung von Banken ohne Einschaltung des je- weiligen Staates enthalten – soweit dies heute aus der Presse und aus den Gesprächen verifiziert werden konnte. Dies ist im EFSF explizit ausgeschlossen und auch in den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzes- entwürfen nicht vorgesehen (Art. 15 ESM). Erstmals werde ich heute einem Vertrag zustimmen im vollen Bewusstsein, dass ein für mich zentraler Be- standteil bereits vor Vertragsunterzeichnung von den Verhandlungsführern auf europäischer Ebene bereits wieder infrage gestellt wird mit Zustimmung unserer Kanzlerin. Ich stimme dennoch zu, da ich – erstens von der Richtigkeit von ESM/Fiskalpakt über- zeugt bin, – zweitens am Inhalt der Gesetzentwürfe selbst sich seit gestern nichts geändert hat – allerdings an der poli- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22777 (A) (C) (D)(B) tisch geäußerten mittelfristigen Zielsetzung, die ich nicht teile, und – drittens mir heute mehrfach unter anderem von unse- rer Kanzlerin, unserem Außenminister und anderen versichert wurde, dass eine Aushebelung des Art. 15 nicht möglich ist ohne eine neuen Parlamentsbe- schluss und obwohl heute keine rechtsverbindliche Erklärung dazu vorlag, die ich in der Kürze der Zeit hätte prüfen (lassen) können – im Vertrauen auf die Richtigkeit der Ausführungen unserer Kanzlerin, die als Einzige den In- halt der gestrigen Verhandlungen mitbestimmt und mit- formuliert hat. Einer Aushebelung der Konditionierung, das heißt der Auflagen und Bedingungen für Staaten, die Hilfeleistun- gen anfordern, werde ich heute und in Zukunft nicht zu- stimmen. René Röspel (SPD): Ich bin überzeugt, dass auch innerhalb der EU Solidarität herrschen muss und wir als größtes europäisches Land und eine der stärksten Wirt- schaftsnationen in der Welt auch Verantwortung gegen- über schwächeren Ländern haben. Das bedeutet nicht, dass ich damit deren Steuereinnahme- oder Ausgabever- halten gutheiße. Ich sehe einige Bestandteile des ESM kritisch und andererseits die Notwendigkeit einiger Staa- ten, Geld aus dem ESM bekommen zu müssen. In der Abwägung dessen habe ich deshalb dem ESM zuge- stimmt. Mit dem sogenannten Fiskalpakt habe ich aus ökono- mischen und grundsätzlichen Gründen große Probleme: Ich halte den Fiskalpakt für ökonomisch falsch. Die zentrale Zielsetzung, das jährliche strukturelle Haus- haltssaldo des Gesamtstaates zu reduzieren und jedes Jahr ein Zwanzigstel des gesamtstaatlichen Schulden- standes abzubauen, der 60 Prozent des BIP überschrei- tet, hört sich gut an. Nach meiner Einschätzung wird das die wirtschaftliche und soziale Situation in vielen Län- dern verschärfen und eher zu Stagnation als zu Wachs- tum führen. Damit wird nicht nur das Ziel der Haus- haltsanierung und des Schuldenabbaus verfehlt, sondern mehr wirtschaftliche und soziale Probleme wie zum Bei- spiel Arbeitslosigkeit werden hervorgerufen. Bei der Krise des Euro-Raumes handelt es sich nicht um eine Staatsschuldenkrise, aber der Fiskalpakt bezieht sich nur auf diese. Insofern war der Verhandlungserfolg der SPD unter der Führung von Sigmar Gabriel sehr gut, der dazu ge- führt hat, dass sich die Regierung Merkel nun für die Fi- nanztransaktionsteuer und ein Wachstumsprogramm auf europäischer Ebene einsetzt. Es ist richtig und wichtig, was die SPD heraus ver- handelt hat, aber unabhängig davon bleiben für mich eine Reihe grundsätzlicher Probleme bestehen, unter an- derem: Erstens. Die Frage nach der Unabänderlichkeit und Rechtswirksamkeit des Fiskalpaktes. Ich habe im Ver- trag keine Möglichkeit zur Kündigung oder zum Aus- stieg gefunden, und ich komme an der Frage nicht vorbei, welchen Spielraum nachfolgende Parlamente überhaupt noch haben werden. Auch bei den Anhörun- gen sind dazu sehr unterschiedliche Auffassungen sei- tens der Sachverständigen vertreten worden. Entweder greifen die im Vertrag zudem unbestimmten „noch vor- zuschlagenden“ Möglichkeiten der EU-Kommission – am Bundestag vorbei – durch oder sie sind nicht rechtsverbindlich, und es handelt sich um reine Symbol- politik. Für beides stehe ich nicht zur Verfügung Zweitens. Die ungeklärten Auswirkungen auf Deutschland. Nach der Ein-Zwanzigstel-Regelung des Fiskalpakts muss der Bund jedes Jahr rund 25 Milliarden Euro Schulden abbauen bzw. einsparen. Bundesfinanzminister Schäuble plant für das Jahr 2013 eine Neuverschuldung von 19 Milliarden Euro und den Haushaltsausgleich für das Jahr 2015/16. Wie gleichzeitig 25 Milliarden Euro eingespart werden sollen, um den Fiskalpakt zu erfüllen, wird an keiner Stelle gesagt. Darauf gibt es aber nur drei Antworten: Erstens. Die Bundesregierung glaubt nicht an die Vor- gaben und plant jetzt schon die Nichteinhaltung des Ver- trages – das wäre eine üble Täuschung der Bevölkerung und der europäischen Partner. Zweitens. Um die 25 Milliarden Euro einzutreiben, werden Steuern erhöht. Am einfachsten durchzusetzen ist zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte. Dies trifft im Wesentlichen untere und mittlere Einkommen und Familien. Drittens. Es wird erhebliche Einsparungen im Haus- halt geben müssen – dies geht nur zulasten des Sozialbe- reiches und auf Kosten von Infrastruktur- und Bildungs- maßnahmen. Alle drei Antworten sind für mich nicht akzeptabel! Viele Fragen sind offengeblieben. Vielleicht hätte es noch Antworten geben können, aber die Bundesregie- rung hat einen nicht nachvollziehbaren und nicht akzep- tablen Zeitdruck aufgebaut, der das nicht zulässt. Auch aus diesen Gründen konnte ich nicht guten Ge- wissens zustimmen und habe daher beim Fiskalpakt mit Nein gestimmt. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Einrichtung des ESM ist notwendig zum Zusam- menhalt der Europäischen Union und des Euro. Mit der Ratifikation des Gesetzes kommt der Bundestag seiner Integrationsverantwortung im Sinne des Grundgesetzes nach. Das Bundesverfassungsgericht hat die Integra- tionsfreudigkeit des Grundgesetzes in seiner Rechtspre- chung mehrfach betont. Der ESM dient dem Schutz der europäischen Integration ebenso wie der Abwehr von Gefahren, die die Stabilität der Euro-Währungszone als Ganzes sowie des Euro als Währung bedrohen. Mit der Einrichtung des ESM kommt der Bundestag ebenfalls seiner Stabilitätsverantwortung nach. Gleichzeitig 22778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) kommt der Bundestag mit den Regelungen des ESMFinG zur fortlaufenden Beteiligung und Information des Bun- destages seiner Haushaltsverantwortung nach. Die Be- willigung von Gewährleistungen aus dem Bundeshaus- halt nach Art. 115 GG wird ergänzt durch zahlreiche fortlaufende Rechte des Bundestages, auf die Geschicke und die Beschlüsse der Entscheidungsgremien des ESM Einfluss zu nehmen. Insbesondere ist dieses der Fall, wenn der Bundestag durch Parlamentsvorbehalte die Politik der Bundesregierung im ESM vorab genehmigen muss. Es ist ein großer Erfolg gerade auch der Arbeit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, eine solche umfas- sende Beteiligung des Bundestages erreicht zu haben. Gleichzeitig ist es für die Stabilität der Euro-Zone eben- falls unerlässlich, dass der ESM als internationale Fi- nanzorganisation effektiv handlungsfähig ist. Zur Wah- rung der Rechte des Bundestages habe ich im Beratungsverlauf des ESMFinG entschieden dafür ge- stritten, einen Parlamentsvorbehalt vor der abschließen- den Entscheidung über eine Stabilitätshilfe nach Art. 13 Abs. 3 Satz 3 (Vereinbarung über die Finanzhilfefazili- tät) und Art. 13 Abs. 4 (Memorandum of Understanding) des ESM-Vertrags vorzusehen. Erst zu diesem Zeitpunkt ist es möglich, die wirtschaftspolitische Prognoseent- scheidung im Lichte der ausgehandelten und festgeleg- ten Konditionalitäten des hilfeersuchenden Staats zu treffen. Genau diese Entscheidung sollte aber öffentlich im Plenum stattfinden. Den Parlamentsvorbehalt für Entscheidung nach Art. 13 Abs. 2 des ESM-Vertrags halte ich hingegen für nicht angemessen. Eine obligato- rische zweifache Befassung des Plenums ist meiner An- sicht nach nicht notwendig, um die Mitwirkung des Deutschen Bundestages am Verfahren zur Gewährung einer Stabilitätshilfe sicherzustellen. Vielmehr errichtet diese Regelung aus meiner Sicht eine unverhältnis- mäßige politische Hürde für das Zustandekommen einer Stabilitätshilfe, die dem Interesse eines effektiven und raschen Zustandekommens von konkreten Verhandlun- gen über Stabilitätshilfe zuwider laufen. Ein solches effektives und rasches Handeln der ESM-Organe kann aber von entscheidender Bedeutung in einer zugespitzten Krisensituation sein. Zudem führt dieser Parlamentsvor- behalt zu einer übermäßigen Inanspruchnahme von Ple- narentscheidungen, ohne dass der Bundestag selber die Möglichkeit hätte, im Einzelfall abzuwägen, wie ge- wichtig bereits die Entscheidung des Art. 13 Abs. 2 des ESM-Vertrags für seine Haushaltsverantwortung ist. Meiner Ansicht nach wäre gerade im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 eine andere Regelung sinnvoller gewesen. Das Urteil betont ausdrücklich, dass auch der ESM und seine Entschei- dungen unter den Art. 23 GG fallen. Der im Art. 23 GG vorgesehene Regelfall der Beteiligung des Deutschen Bundestages über das Mittel der Stellungnahme und ins- besondere in der einfachgesetzlichen Ausprägung des EUZBBG mit dem Mittel der maßgeblichen Stellung- nahme aus § 9 Abs. 4 EUZBBG stellen aus meiner Sicht eine ausreichend starke Möglichkeit der Mitwirkung des Bundestages für Entscheidungen nach Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag dar. Tatsächlich ist es politisch kaum vor- stellbar, dass ein deutscher Vertreter in Gremien des ESM entgegen einer Stellungnahme des Bundestages ab- stimmt, außer eventuell in einer absoluten Notsituation. Eine heimliche Umgehung des Willens des Bundestages durch Nichtinformation wäre aufgrund des Urteils vom 19. Juni 2012 verfassungswidrig und damit so gut wie ausgeschlossen. Zudem kann der Bundestag durch das Mittel der maßgeblichen Stellungnahme eine ab- weichende Beschlussfassung des deutschen Vertreters ohne vorherige Konsultation bzw. ohne das Bemühen, ein Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen ver- hindern. Eine heimliche Umgehung ist somit vollends ausgeschlossen. Die Regelungen des Art. 23 in Verbin- dung mit dem EUZBBG reichen also vollkommen aus, um die Beteiligung des Bundestages vollumfänglich zu gewährleisten. Der Parlamentsvorbehalt bringt keine zu- sätzliche Qualität der Mitwirkung in Bezug auf eine sachliche und inhaltliche Einflussnahme auf die an- schließend stattfindenden Verhandlungen über Kondi- tionalität und konkrete Ausgestaltung der Finanzhilfe- fazilität. Der vorgesehene Parlamentsvorbehalt schließt somit letztlich nur die Möglichkeit der Bundesregierung aus, aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichende Entscheidungen zu treffen. Diese Möglichkeit ist meiner Ansicht nach mit einer solch hohen politischen Hürde für eine von der Mehrheit des Bundestages getragene Regierung verbunden, dass sie ebenso nahezu ausgeschlossen ist. Ein Zuwiderhandeln der Bundesregierung würde vor dem Hintergrund des zweiten noch ausstehenden Parlamentsvorbehalts zur endgültigen Entscheidung über eine Stabilitätshilfe gemäß Art. 13 Abs. 3 Satz 3 (Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität) und Art. 13 Abs. 4 (Memorandum of Understanding) des ESM-Vertrags zudem zu keinen Konsequenzen für den Bundeshaushalt führen. Vor die- sem Hintergrund halte ich ein Abweichen vom Re- gelverfahren des Art. 23 GG für die Beteiligung des Deutschen Bundestages, die zwangsläufige Befassung des Plenums zu einem Zeitpunkt, zu dem eine fundierte Debatte über die konkrete Ausgestaltung der Hilfe nur begrenzt geführt werden kann, und vor dem Hintergrund der unnötigen politischen Hürde für die Handlungsfähig- keit einer Einrichtung wie des ESM, die im Notfall Hand- lungsfähigkeit beweisen muss, um konkrete Risiken für die Stabilität der Euro-Zone abzuwenden, für nicht an- gemessen. Ebenfalls trägt dieses Verfahren auch im Par- lament nicht zur Effizienz des Entscheidungsprozesses bei. Mit dieser Position konnte ich mich im Laufe der Beratungen nicht durchsetzen. Dennoch stimme ich heute dem ESMFinG zu. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Ich stimme gegen die Ratifizierung des sogenannten Fiskalpakts. Er ist mit seiner reduzierten Sicht auf Ausgabenkür- zungen Ausdruck und Kernstück einer vollkommen ver- fehlten Politik. Das Ziel der Reduzierung der Staats- verschuldung unterstütze ich. Doch die Entwicklung in Europa zeigt, dass die Sparvorgaben zu untragbaren so- zialen Verwerfungen führen und das Ziel der Haushalts- konsolidierung eben nicht erreichen, sondern sogar kon- terkarieren. Ausgeglichene Haushalte können nur durch höhere Steuereinnahmen und Wachstum erzielt werden, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22779 (A) (C) (D)(B) wie auch die Erfahrung Deutschlands in der Bankenkrise vor wenigen Jahren zeigt. Die Auswirkungen der Krise von Euro-Ländern erreichen bereits heute erkennbar auch unsere Wirtschaft. Anstatt diese Politik zu ver- schärfen, muss gegengesteuert werden. Aber auch die Auswirkungen des Fiskalpakts auf Deutschlands Haushalt werden erheblich sein. Die Ver- einbarungen der Bundesregierung mit den Bundeslän- dern zeigen, dass die europäische Schuldenbremse eben nicht, wie von der Bundesregierung behauptet, durch die Schuldenbremse des Grundgesetzes abgedeckt ist. Die Lasten trägt nun einseitig der Bund. Die zusätzliche Re- gel, wonach die Länder ihren Schuldenstand über der Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts um jährlich ein Zwanzigstel verringern müssen, führt zu- sätzlich zu Einsparvorschriften in Höhe von 25 Milliar- den Euro jährlich. Es ist vollkommen unklar, wie und zu wessen Lasten dieses Ziel erreicht werden soll. Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich, dass nach Verhandlungen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf europäischer Ebene eine Trendwende er- reicht werden konnte zugunsten einer aktiven Politik der Wachstumsimpulse und der Einführung einer Finanz- transaktionsteuer, die geeignet ist, die Finanzmärkte zu entschleunigen und an den Kosten der von ihnen verur- sachten Krise zu beteiligen. Allerdings ändert diese nun begonnene gute Entwick- lung nichts an dem im Kern falschen Fiskalpakt. Über- dies stehen die von mir positiv bewerteten Vereinbarun- gen noch auf unsicherem Boden und sind von begrenzter Haltbarkeit, während der Bundestag nun über ein festes, verbindliches und unkündbares Vertragswerk abstimmt. Die damit verbundenen Einschränkungen auch der Handlungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages – ohne dass etwa mit der Ausweitung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments ein demokratisches Ge- gengewicht geschaffen wird – kann ich nicht akzeptie- ren. Frank Schwabe (SPD): Ich stimme dem heutigen „europäischen Rettungspaket“ zu. Das mache ich nicht, weil ich davon überzeugt bin, dass beides „die“ Lösung der europäischen Krise ist. Ich will allerdings vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage nicht verant- worten, dass die EU bei einer Ablehnung dieser beiden Instrumente durch Deutschland in eine chaotische Lage geraten könnte. Im Kern ist die europäische Krise eben keine „Staats- schuldenkrise“. Es fehlt vielmehr eine stärker ab- gestimmte Wirtschafts-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik. Und es fehlen die klaren und unmissver- ständlichen Signale an die Spekulanten, dass sie es nicht schaffen, den Euro in die Knie zu zwingen. Dabei ist die deutsche schwarz-gelbe, von Kanzlerin Merkel geführte Bundesregierung Teil des Problems und nicht der Lösung. Dennoch habe ich den Eindruck und hoffe, dass sich zurzeit ein Paradigmenwechsel in der Debatte über die Lösung der europäischen Krise vollzieht. Es ist auch meiner Partei und Fraktion in Deutschland – gemeinsam mit europäischen Partnern – gelungen, die Richtung der Debatte zu verändern. Die Finanztransaktionsteuer muss kommen, um auch die zu beteiligen, die die Krise zu verantworten haben und um Spekulationen unattraktiver zu machen. Und wir brauchen wieder eine Zukunftsper- spektive für Europa. Das geht nicht durch eine rigide Sparpolitik, die die Spirale nach unten verstärken muss. Jetzt geht es um Perspektiven für Jugendliche und nach- haltiges Wachstum, zum Beispiel durch den Ausbau von erneuerbaren Energien. Zu einer gemeinschaftlichen Verantwortung auch in Finanzfragen in der EU gibt es im Kern keine Alterna- tive, die einen Fortbestand der so wichtigen Währungs- union ermöglicht. Deshalb braucht es den ESM im Grundsatz. Der Fiskalpakt ist geeignet, die so falsche Sparspirale zu verschärfen und für die Zukunft festzule- gen. Eine nachhaltige Haushaltspolitik ist richtig, sie muss aber vor allem durch eine Verbesserung der Ein- nahmebasis der Staaten erreicht werden. Vor dem Hin- tergrund des Gesamtpakets stimme ich jedoch auch dem Fiskalpakt mit durchaus großen Bedenken zu. Bei alldem bleiben außerdem verfassungsrechtliche Bedenken. Ich finde es ausdrücklich richtig, dass die europäische Integration voranschreitet. Damit ist natür- lich verbunden, dass die nationale Ebene an Gestaltungs- möglichkeiten verliert. Dabei dürfen aber Entscheidun- gen nicht an den demokratisch legitimierten Parlamenten vorbei getroffen werden. Es geht also zum einen um einen verfassungsrechtlich angemessenen Weg der wei- teren Übertragung von Verantwortlichkeiten und Ent- scheidungskompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union und zum anderen um eine Stärkung des Europäi- schen Parlaments gegenüber dem Europäischen Rat. Auch diese Bedenken stelle ich in der Abwägung zurück. Rolf Schwanitz (SPD): Wir halten die Stärkung der Haushaltsdisziplin innerhalb der Europäischen Union sowie die bessere Koordinierung der Fiskal-, Wirt- schafts- und Sozialpolitik zwischen den Euro-Ländern für richtig und geboten. Das von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ratifizierungs- gesetz zum Fiskalpakt haben wir dennoch abgelehnt, weil: – die verfassungsrechtliche Wirkung des Ratifizierungs- gesetzes unserer Rechtsauffassung widerspricht und von uns nicht geteilt wird. Das Ratifizierungsgesetz gibt vor, den Verfassungsgeber unmittelbar innerstaatlich zu bin- den und insoweit eine Unabänderbarkeit der deutschen Schuldenbremse im Grundgesetz (Versteinerung) zu be- wirken. Diese behauptete innerstaatliche, verfassungs- rechtliche Wirkung des Ratifizierungsgesetzes wurde bei der Anhörung im Haushaltsausschuss von nahezu allen Sachverständigen verneint. Sie verwiesen darauf, dass es sich beim Fiskalpakt lediglich um die Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrags handelt, die nach der übli- chen Staatspraxis einfachgesetzlich erfolgen kann, und eine innerstaatliche Bindung des Verfassungsgebers in- soweit nicht entsteht. Ergäbe sich aus diesem völker- 22780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) rechtlichen Vertrag die Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen Rechts, so erfolge dies in Deutsch- land üblicherweise durch entsprechende Änderungsge- setze. – der Deutsche Bundestag mit der heute beschlossenen verfassungsrechtlichen Wirkung des Ratifizierungsge- setzes zum Fiskalpakt eine neue, von uns abgelehnte Staatspraxis schafft. Nach bisheriger Staatspraxis wur- den völkerrechtliche Verträge in Deutschland einfachge- setzlich ratifiziert. Wenn sich aus diesen Verträgen die Notwendigkeit einer Änderung des innerstaatlichen Rechts ergab, so wurden entsprechende Änderungsge- setze eingebracht, beraten und verabschiedet – im Falle des Grundgesetzes erfolgten entsprechende Änderungen mit den dafür erforderlichen Mehrheiten. Nach der nun über den Fiskalpakt erstmals eröffneten neuen Staatspra- xis erwachsen diese innerstaatlichen Wirkungen unmit- telbar aus dem Ratifizierungsgesetz, ohne dass dafür ein entsprechendes Änderungsgesetz vorgelegt, beraten und beschlossen werden muss. Das halten wir auch im Blick auf das Demokratieprinzip für eine äußerst fragwürdige und bedenkliche Entwicklung; denn den Bürgerinnen und Bürgern wird durch das Entfallen eines kompletten Gesetzgebungsganges zur Änderung des geltenden Rechts ein wesentliches Element der Transparenz und der demokratischen Teilhabe genommen. Darüber hi- naus können sich aus dieser neuen Staatspraxis viele, bisher nicht diskutierte Weiterungen ergeben. Allgemei- nen völkerrechtlichen Verträgen könnte nach dieser neuen Staatspraxis generell eine unmittelbare innerstaat- liche Wirkung zuerkannt werden, wie wir sie bisher nur aus dem Prozess der europäischen Integration und dem Recht nach Art. 23 Grundgesetz kennen. Dies könnte sich zu einer neuen Methode für ein neues, völkerrechts- basiertes Integrationsmodell entwickeln, an dessen Ende vielleicht ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ und zugleich eine Relativierung der Europäischen Union ste- hen könnte. In der deutschen Öffentlichkeit wurde dies bisher jedoch in keiner Weise hinreichend diskutiert. Wir sind deshalb nicht bereit, zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle eine dafür geeignete neue Staatspraxis zu eröffnen. Darüber hinaus kritisieren wir den Gesetzentwurf, weil: – der fiskalpolitische Erfolg der neuen Schuldenregelung mehr als zweifelhaft ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen kritisiert in sei- nem aktuellen Gutachten zu den fiskalpolitischen Institutionen in der Euro-Zone insbesondere die mit dem sogenannten Sixpack und dem Fiskalpakt verbundene neue Regelung zum Schuldenstand. Länder, deren Schuldenstand über der 60-Prozent-Grenze liegt, sollen künftig den überschießenden Betrag jedes Jahr um ein Zwanzigstel (5 Prozent) verringern müssen. Der Wissen- schaftliche Beirat kritisiert, dass diese Regelung im Blick der Finanzmärkte mit einem massiven Glaubwür- digkeitsproblem behaftet ist, da außer Deutschland im Jahr 2013 alle anderen betroffenen Mitgliedstaaten den sich aus der neuen Regel ergebenden Defizitabbau nicht realisieren werden. Darüber hinaus weist der Beirat auf die stark prozyklische Wirkung der neuen Schulden- standregel hin. Wir halten beide Kritikpunkte für berech- tigt. – dadurch die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern in bisher noch nicht überschaubarer Art und Weise und nahezu ausschließlich zulasten des Bun- des verändert werden. Die Bundesregierung hat über Monate hinweg gegenüber dem Parlament und der Öf- fentlichkeit erklärt, die deutsche Schuldenbremse sei im Vergleich zum Fiskalpakt die strengere fiskalische Rege- lung, weshalb aus dem Fiskalpakt keine zusätzlichen Haushaltsbelastungen in Deutschland entstehen würden. Die nun zwischen der Bundesregierung und den Ländern getroffenen Vereinbarungen dokumentieren das genaue Gegenteil. Durch die finanziellen Zugeständnisse der Bundesregierung müssen die sich aus dem Fiskalpakt er- gebenden zusätzlichen Konsolidierungsbedarfe nun al- lein und vollständig vom Bund getragen werden. Rolf Schwanitz (SPD): Wir halten die Weiterent- wicklung der EFSF zu einem dauerhaften Rettungs- schirm für richtig und geboten. Das von der Bundes- regierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ratifizierungsgesetz zum ESM haben wir dennoch abge- lehnt, weil: – mit dem ESM-Vertrag von Deutschland gegebenen- falls ein Maß an finanzieller Haftung übernommen wer- den muss, welches die nach dem Grundgesetz zulässige Grenze übersteigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 7. September 2011 zu einer unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgenden Ober- grenze für die Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen der Währungsunion geäußert und deren Verlet- zung bei einem Betrag von 170 Milliarden Euro ver- neint. Der Entwurf zum ESM-Finanzierungsgesetz er- mächtigt die Bundesregierung nun zu einer deutschen Beteiligung am genehmigten Stammkapital des ESM in einem Umfang von 190 Milliarden Euro. Zusammen mit den bereits bisher bei der EFSF, beim EFSM sowie beim Griechenland-Paket eingegangenen Verpflichtungen wird der deutsche Anteil dadurch auf insgesamt 310,3 Mil- liarden Euro ansteigen. Mit dem Art. 25 Abs. 2 des ESM-Vertrags wird darüber hinaus eine weitere Fall- konstellation eröffnet. Danach muss Deutschland gege- benenfalls auch eine Haftung für den finanziellen Aus- fall anderer ESM-Mitglieder übernehmen. Das kann nach unserer Interpretation des Vertragstextes über den Betrag von 190 Milliarden Euro weit hinausgehen und beim Ausfall aller anderen Länder eine Gesamtsumme von bis zu 700 Milliarden Euro umfassen. Zwar fehlt es derzeit an einer innerstaatlichen Ermächtigung der Bun- desregierung in einer solchen Höhe; völkerrechtlich wird jedoch durch den ESM-Vertrag der Mechanismus für ein solches Haftungsvolumen bereits eröffnet. Wir haben er- hebliche Zweifel, ob diese Regelung noch innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen zulässi- gen Obergrenze liegt. Darüber hinaus kritisieren wir den Gesetzentwurf, weil: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22781 (A) (C) (D)(B) – entgegen der monatelang aufrechterhaltenen Behaup- tung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen sowie im Gegensatz zur Fassung des eingebrachten ESM- Ratifizierungsgesetzes durch den ESM tatsächlich auch Kompetenzen und Hoheitsrechte übertragen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 festgestellt, dass mit dem ESM den Orga- nen der Europäischen Union zwar nicht in dem eigent- lich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, aber dennoch in der Sache weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen werden. Das Gericht führt dazu weiter aus: „Jede Zuweisung von Aufgaben und Befug- nissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheits- rechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe ‚nur‘ im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestat- tet werden.“ Das eingebrachte ESM-Ratifizierungsge- setz stellte im Gegensatz dazu hinsichtlich seiner verfas- sungsrechtlichen Grundlage jedoch nicht auf Art. 23 Grundgesetz, sondern lediglich auf Art. 59 Abs. 2 Satz 1 ab. Es benannte des Weiteren im Rubrum die für den Be- schluss einer kompetenzerweiternden Übertragung er- forderliche verfassungsändernde Mehrheit nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 Grundge- setz nicht. Das in erster Lesung beratene Ratifizierungs- gesetz war deshalb unvollständig und fehlerhaft. Erst in der Ausschussberatung – zwei Tage vor der Schlussab- stimmung im Plenum – wurde dieser eklatante Fehler durch einen Änderungsantrag zum Teil korrigiert. Auch wenn ein solcher „Kurswechsel kurz vor Toresschluss“ nach den Regeln unserer repräsentativen parlamentari- schen Demokratie als zulässig erscheint, so kritisieren wir den Umstand, dass durch die monatelange Ignoranz der Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen während der Gesetzesberatung gegenüber den Bürgerin- nen und Bürgern eine Verschleierung dieser Kompetenz- übertragung eingetreten ist. Zusätzlich dazu hat die Bun- desregierung das Recht des Bundesrates auf eine neunwöchige Frist zur Stellungnahme nach Art. 76 Abs. 2 Satz 5 Grundgesetz verletzt. – bei der Errichtung und Ausgestaltung des ESM dem Deutschen Bundestag durch die Bundesregierung wich- tige Beteiligungsrechte vorenthalten worden sind und das Parlament dadurch seiner legitimen Einwirkungs- rechte auf den Inhalt des Vertrags beraubt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 festgestellt, dass die Errichtung und Aus- gestaltung des ESM eine Angelegenheit der Europäi- schen Union ist und der Deutsche Bundestag dabei ge- mäß Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz Rechte auf Mitwirkung sowie auf umfassende und frühestmögliche Unterrich- tung besitzt. Das Gericht hat festgestellt, dass die Bun- desregierung diese Rechte des Parlaments verletzt hat. – der ESM im Vergleich zur EFSF deutlich an Wirkungs- macht gewinnt, ohne dass im ESM-Vertrag zugleich ein höheres Maß an Transparenz, Verantwortlichkeit und de- mokratischer Kontrolle gesichert worden ist. Der Deut- sche Bundestag sichert sich im ESM-Finanzierungsge- setz richtigerweise zwar umfassende Entscheidungs-, Kontroll- und Beteiligungsrechte gegenüber der Bundes- regierung und ihrem Vertreter im ESM-Gouverneursrat. Die Arbeit im ESM selbst bleibt aber nahezu vollständig intransparent und ohne Kontrolle. So ist der ESM insbe- sondere durch die Regelungen in Art. 32 ESM-Vertrag der sonst üblichen Kontrolle, Überwachung und Auf- sicht entzogen. Darüber hinaus können die Bediensteten des ESM durch die in Art. 35 ESM-Vertrag enthaltene Immunitätsregelung weder zivilrechtlich noch straf- rechtlich für ihre Handlungen belangt werden. Es wird sich zeigen, ob dies der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Sicherung eines hinreichenden parlamentari- schen Einflusses auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln entspricht. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wir sind in einer dramatischen Situa- tion. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann, verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen wa- ren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät kamen und unzureichend waren. Der Zug der Euro-Ret- tung ging bisher an den Kernproblemen vorbei. Bei dem bisherigen Kurs wird sich die Situation weiter ver- schlechtern. Schlimmer noch: Wir drohen vor die Wand zu fahren. Wir brauchen einen Richtungswechsel. Ohne einen Richtungswechsel ist eine Zustimmung zum Fis- kalpakt ein großer Fehler und nicht zu verantworten. Auch in dem Länderratsbeschluss vom vergangenen Wochenende heißt es „Voraussetzung für eine Zustim- mung zum Fiskalpakt ist, dass die Bundesregierung ihr Krisenmanagement korrigiert“. Für uns ist ein solcher Richtungswechsel nicht zu sehen. Deshalb ist unsere Einschätzung, dass der Fiskalpakt die Krise verschärft, und es droht die Gefahr, dass der Euro scheitert. Dem können wir als überzeugte Europäer nicht zustimmen. Falsche Analysen führen zu falschen Diagnosen. Des- wegen wäre für einen Kurswechsel zuallererst eine Ver- änderung der Analyse notwendig. Die Analyse, wir hät- ten eine Staatsschuldenkrise, ist falsch und greift zu kurz. Die Höhe der Staatsschulden ist zweifellos ein Pro- blem und muss angegangen werden. Aber nicht die Staatsschulden alleine sind das Problem – so hat bei- spielsweise Spanien eine geringere Staatsverschuldung als Deutschland –, sondern die Gesamtverschuldung: des Staates, der Unternehmen, der Konsumentinnen und Konsumenten und nicht zuletzt der Banken. Das ökono- mische Problem ist, dass diese Gesamtverschuldung mittlerweile ein Vielfaches dessen beträgt, was produ- ziert wird – übrigens auch bei uns. Aber das ist nur die eine Seite des Problems: Wichtig ist, zu verstehen, dass jedes Mal, wenn jemand Schulden macht, auf der anderen Seite ein Guthaben entsteht, also Vermögen. Wenn wir auf der einen Seite eine zu hohe Verschuldung, eine Schuldenblase, haben, gibt es auf der anderen Seite zu viel (Finanz-)Vermögen, eine Vermö- gensblase. Wir haben also nicht nur eine Schuldenkrise, sondern auch eine Vermögenskrise. Dieses überschüs- sige Vermögen ist extrem ungleich verteilt. Es ist sogar so weit, dass die Werte der Ungleichverteilung des Ver- mögens ein ähnliches Ausmaß erreicht haben wie vor der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er. 22782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Auch die Diskurse über Lösungen ähneln sich. So wurde in Deutschland mit einem strikten Sparkurs die Krise verschärft – mit bekannten politischen Folgen – während die USA mit dem New Deal von Roosevelt mit den drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infra- struktur und nicht zuletzt einer Politik von mehr Umver- teilung und sozialer Sicherheit einen Weg aus der Krise gefunden haben. Zweitens brauchen wir sowohl einen Abbau der Schulden als auch eine Verringerung der Vermögens- blase. Wenn auf der einen Seite Schulden, auf der ande- ren Seite Vermögen zu hoch sind, geht kein Weg daran vorbei, gleichzeitig Schulden und Vermögen zu senken. Wenn die Schulden in einem Sektor abgebaut werden, aber dafür auf der anderen Seite entstehen, ändert sich an dem ökonomischen Problem nichts. Um die gleichzei- tige Senkung von Schulden und Vermögen zu erreichen, sind im Grundsatz drei Wege möglich: erstens ein Schul- denerlass, wie er in Griechenland stattgefunden hat. Weitere Schuldenerlasse wären allerdings ein Problem, weil dadurch das Vertrauen in den Euro für jeweils wei- tere Länder sinken würde. Die Krise würde sich verstär- ken. Zweite Möglichkeit ist Inflation, durch die der Wert von Schulden und Vermögen gleichzeitig sinken würde. Auch das ist kein erstrebenswerter und ökonomisch ris- kanter Weg. Bleibt drittens: Abbau der Verschuldung durch Umverteilung. Deswegen der Vorschlag der Grü- nen einer Vermögensabgabe, die zur Schuldentilgung verwendet werden soll. Damit sind die Grünen die ein- zige Partei, die einen konkreten Vorschlag zum Abbau der Schulden vorgeschlagen hat, und fordern Vermö- gensabgaben auch in den anderen europäischen Ländern. Einen noch weiter gehenden Vorschlag, den die Grü- nen übernommen haben, hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft gemacht. Sie schlagen einen Schuldentil- gungsfonds vor, mit dem über einen langen Zeitraum die Schulden getilgt werden sollen, die über dem Maas- tricht-Kriterium von 60 Prozent des Bruttoinlandspro- dukts liegen. Idealerweise sollte dabei nach unserer Mei- nung die Tilgung wieder durch eine Vermögensabgabe erfolgen, weil das der ökonomisch sinnvollste Weg wäre. Dadurch würde einerseits das oben beschriebene Problem der Vermögensverteilung angegangen und an- dererseits ein starkes Signal für einen Abbau der Schul- den gesetzt, der Vertrauen schafft. Ein solcher langfristiger Schuldenabbaupfad ist we- sentlich wichtiger als eine Begrenzung der Neuverschul- dung. Durch Letztere werden ja die Schulden nicht redu- ziert. Im Gegenteil kann sich durch eine Begrenzung der Neuverschuldung die Situation sogar verschlimmern, wenn überwiegend auf der Ausgabenseite gekürzt wird und Investitionen unterbleiben, wie das zurzeit in Grie- chenland, aber auch in der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren zu beobachten war. Dadurch wird der Abbau der Verschuldung verhindert, und das Problem ver- schärft sich. Gerade in einer ökonomischen Krise ist die- ser Weg fatal. Drittens brauchen wir einen Green New Deal für Europa mit seinen drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infrastruktur und einen neuen sozialen Ausgleich durch Umverteilung. Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart, verschärft die Krise, die ähnli- che Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jah- ren. Auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Ant- wort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessenden Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Energieversorgung eine ökologische Komponente haben muss, also ein Green New Deal sein muss. Dazu gehört erstens endlich eine Regulierung der Finanzmärkte, der Banken und die Austrocknung von Steueroasen, was alles in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. So sind Banken immer noch „too big to fail“ und müssen schon wieder gerettet werden, und reiche Griechen schaffen ihr Vermögen in die Schweiz, damit sie nicht besteuert wer- den können. Zweitens braucht es ein Investitionspro- gramm in Infrastruktur, zum Beispiel in Stromnetze, in Windräder, in Solaranlagen, um dadurch die Wirtschaft in den Krisenstaaten zu stärken. Drittens ist aber auch eine Politik für mehr Umverteilung notwendig. Neben der beschriebenen Vermögensumverteilung braucht es einen Aufbau bzw. eine Stärkung von Mindestsiche- rungsleistungen und der Sozialversicherungen und nicht einen Abbau. Viertens braucht es Antworten auf eine wichtige Ursache für die Krise: die sogenannten außenwirtschaft- lichen Ungleichgewichte, die eng mit der Verschul- dungskrise zusammenhängen. Insbesondere Deutsch- land hat über Jahre mehr Güter exportiert als importiert, während zum Beispiel Griechenland mehr Güter impor- tiert als exportiert hat. Anders – und etwas vereinfacht ausgedrückt – heißt das: Wir haben dauerhaft mehr pro- duziert, als wir selbst konsumiert haben, während das in Griechenland umgekehrt war. Wir haben also gespart und Vermögen aufgebaut – allerdings nur bei einem Teil der Bevölkerung –, während in Griechenland die Schul- den gestiegen sind. Oft wird gelobt, dass wir Exportwelt- meister sind. Ein dauerhafter Exportüberschuss ist aber wohlfahrtsökonomisch nicht erstrebenswert. Wenn mehr produziert als konsumiert wird, heißt das Konsumver- zicht zugunsten von Sparen und Vermögensaufbau. Das macht nur Sinn, wenn irgendwann das Vermögen wieder abgebaut wird und dann mehr konsumiert werden kann. Völlig abstrus wird das Ganze, wenn die Schulden, durch die das Vermögen aufgebaut wurde, nicht voll oder gar nicht zurückgezahlt werden können. Die Ex- portüberschüsse in Deutschland sind nicht vom Himmel gefallen und sind insbesondere die Folge einer Politik für bessere „Wettbewerbsfähigkeit“ durch geringere Löhne, um den Export zu steigern. Die außenwirtschaft- lichen Ungleichgewichte und der starke Anstieg des Nie- driglohnsektors hängen miteinander zusammen. Das fällt jetzt wieder auf uns zurück. Deshalb wäre die Ein- führung von Mindestlöhnen eine wichtige Forderung im Rahmen der Verhandlungen um den Fiskalpakt gewesen. Unter anderem wegen der außenwirtschaftlichen Un- gleichgewichte ist eine koordinierte Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Europäischen Union unbedingt notwen- dig, um aus der Krise zu kommen und, vor allem, um weitere Krisen zu vermeiden. Eine gemeinsame Fiskal- politik darf dabei nicht auf Haushaltspolitik beschränkt bleiben, sondern muss, um effektiv zu sein, auch Kom- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22783 (A) (C) (D)(B) petenzen in der Steuerpolitik beinhalten. Um zu einer europäischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu kommen, sind umfangreiche institutionelle Veränderungen not- wendig, die letztlich nur durch Veränderungen des Euro- päischen Vertrags möglich sind. Dabei ist wichtig, dass diese Veränderungen mit einer Stärkung des Europäi- schen Parlaments und der nationalen Parlamente einher- gehen müssen. Das ist alles nicht einfach und schnell zu erreichen. Die Einberufung eines Europäischen Kon- vents wäre aber ein starkes ökonomisches Signal, das so- fort wirken würde, weil dadurch einer der Grundfehler bei der Einführung des Euro beseitigt würde. Noch stär- ker wäre das Signal, wenn deutlich gemacht würde, dass das Ziel nicht nur eine Wirtschafts- und Fiskalunion, sondern eine echte politische Union mit einer europäi- schen Verfassung wäre. Fünftens muss bereits kurzfristig das Problem gelöst werden, dass die Krisenstaaten Zinsen zahlen müssen, die dazu führen, dass sie gar nicht aus der Schuldenspi- rale herauskommen können. Die hohen Zinsen führen dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Schulden zu- rückgezahlt werden, sinkt. Dadurch steigen die Zinsen noch weiter usw. Dieser Teufelskreis muss unterbrochen werden. Eine Möglichkeit wäre, dass wieder die EZB einspringt und Staatspapiere kauft. Besser wäre es, wenn der ESM eine Banklizenz erhält und dadurch die Staaten mit Krediten zu bezahlbaren Zinsen versorgen kann. Mittelfristig werden nur Euro-Bonds diesen Teufelskreis durchbrechen können und das notwendige Vertrauen herstellen können, dass die Schulden wieder zurückge- zahlt werden können. Darüber hinaus gibt es verfassungsrechtliche Beden- ken gegen den Fiskalpakt; denn er überträgt hoheitliche Rechte dauerhaft auf ein zwischenstaatliches – und nicht demokratisches – Organ. Der Fiskalvertrag sieht keine Kündigungsmöglichkeit vor, und dies bedeutet gemäß Art. 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention, dass er grundsätzlich nicht einseitig kündbar ist – es gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Diese unkündbare Übertragung von Hoheitsrechten verstieße deshalb ge- gen die rote Linie, die das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil gezogen hat. Es ist nicht zulässig, dass zwischenstaatliche Einrichtungen permanent weitge- hende Kontrollbefugnisse über den Haushalt der Bun- desrepublik Deutschland erlangen, ohne dass dies zu- nächst über eine Änderung des Grundgesetzes gemäß Art. 146 GG erlaubt worden ist. Wir sehen die Zukunft Deutschlands in einem verei- nigten Europa – wir brauchen mehr Integration, nicht weniger. Allerdings muss dies ein soziales Europa sein, kein Europa der Banken und der Reichen. Nur ein soli- darisches Europa wird den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein – nicht nur in Bezug auf das Finanzsystem, sondern auch zur Abwendung der Gefah- ren für unsere globalen Ökosysteme. Ohne eine Schuldentilgung, die vor allem an der Ein- nahmeseite ansetzt, und ohne Maßnahmen gegen die hohen Zinsbelastungen gefährdet der Fiskalpakt den so- zialen Zusammenhalt in Europa. Schon heute sehen wir die sozial unausgewogenen Auswirkungen dieser rigiden Sparpolitik. Insbesondere in Defizitländern wird durch die hohen Zinsen, die diese nach wie vor bedienen müs- sen, in Verbindung mit den Vorgaben des Fiskalpakts ein großer Druck auf die nationalen Regierungen und damit auch auf die Sozialsysteme ausgeübt. Sie können nur mit radikalen und überstürzten Sparprogrammen reagieren. Der ausschließlichen Sparpolitik wurden zwar durch die Verhandlungen Investitionen zur Seite gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der einseitige Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht weiterhin ungebrochen und wurde auch nicht mit sozialverträg- lichen Regeln unterlegt. Letztlich wird der Fiskalpakt somit erhebliche soziale Lasten mit sich bringen, die wir nicht hinnehmen können. Massive Einsparungen bei Sozialausgaben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bildungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern Europas weiter untergraben und gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben. Wir wollen ein soziales Europa und stehen zu den so- zialen Zielen, die sich Europa gegeben hat. So garantiert die europäische Sozialcharta beispielsweise die Tarif- autonomie, und doch wird diese durch die Sparanstren- gungen in Griechenland untergraben. Im Rahmen der EU-2020-Strategie wurden wichtige Ziele zur Verhinde- rung von Arbeitslosigkeit und Armut vereinbart. Durch den Fiskalpakt werden diese Ziele unerreichbar. Natür- lich müssen alle europäischen Staaten langfristig ihre Schuldenquoten senken – das erwarten auch wir. Aber die Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten der Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer auch die Einnahmeseite in den Blick nehmen. Einspa- rungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich aus- gestaltet werden. Die Grundwerte von Europa – soziale Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben für uns auch in der Krise Bestand. Ohne die genannten weiteren Maßnahmen gefährdet der Fiskalpakt unsere Vision eines sozialen Europas, er verschärft die ökonomische Krise bis hin zu einem dro- henden Scheitern des Euro. Wir lehnen deswegen den Fiskalpakt ab. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): ESM und Fiskalpakt stimme ich nicht zu. ESM und Fiskalpakt sind die falschen Mittel. Mit ihnen ist die europäischen Finanz- und Bankenkrise nicht zu bewälti- gen. Sie sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik, vielleicht sogar ihr Höhepunkt. Aber dieses Sanierungs- rezept ist gescheitert. Die Krise wurde nicht bewältigt, sondern verschärft. Alle Befürchtungen, denen mit der Einrichtung neuer Rettungsschirme und immer größerer Milliardenhilfen entgegengewirkt werden sollte, haben sich bewahrheitet. Immer mehr und größere Staaten ge- raten in den Strudel der Krise und drohen darin unterzu- gehen. Der bisherige Weg war der falsche. Der gnadenlose Sparkurs führt wie in Griechenland zur Verarmung gro- ßer Teile der Bevölkerung und schadet der Entwicklung der Wirtschaft und der Erholung der Staatsfinanzen. Er ändert nichts daran, dass Finanzmärkte und Ratingagen- 22784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) turen weiter die Richtlinien der Politik bestimmen. Kre- dite und Garantien des ESM an die Staaten, die die Krise nicht mehr bewältigen können, dienen ganz überwie- gend nur der Bedienung der Geldinstitute und der Siche- rung ihrer Gewinne. Von europäischen Insolvenzrege- lungen, auch für zu große Banken, ist keine Rede mehr. Diese gescheiterte Politik darf nicht fortgesetzt und nicht durch Fiskalpakt und ESM unwiderruflich festgeklopft werden. ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grund- gesetz zu vereinbaren. Beide Verträge sind vielfach mit- einander verzahnt. So ist ab 2013 der ESM nur noch an- wendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert haben. Die Regelungen beider Vertragswerke sind in Teilen unklar und unbestimmt. Das Verhältnis zu EU- Einrichtungen bleibt offen. Die internationalen Finanzinstitutionen, die mit die- sen Verträgen geschaffen werden, stärken die EU nicht. Sie stehen neben den EU-Einrichtungen. Gleichwohl werden EU-Institutionen wie der Europäische Kommis- sion Aufgaben durch ESM-Vertrag und Fiskalvertrag zu- gewiesen. Art und Umfang sind unklar und strittig. Der EU-Kommission gehören aber auch Staaten an, die den ESM ablehnen. Vor allem das Europäische Parlament bleibt außen vor und hat keine Kontrollrechte. ESM und Fiskalpakt haben außerdem schwerwiegende Folgen für die Wirtschafts- und Währungsunion. Gleichwohl wird nicht der Weg über eine Änderung der EU-Verträge ge- gangen, nur weil der Konsens dafür nicht erreicht wurde. ESM und Fiskalpakt schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die konstitutiven Entscheidungs- rechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über Steuern und Abgaben, substanziell und auf Dauer unwi- derruflich ein. Im ESM und im Gesetz zum ESM-Vertrag ist die par- lamentarische Beteiligung und Kontrolle von Entschei- dungen über Erhöhungen des Stammkapitals und Sta- bilitätshilfen durch den Bundestag nicht lückenlos gesichert. Gouverneursrat und Direktorium sind bei al- len Beschlüssen beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind. Auch wenn der deutsche Vertreter abwesend ist, können sie also weit- tragende Beschlüsse fassen. Dass Deutschland über 27,1 Prozent der Stimmanteile verfügt, hilft dann wenig. Die Verpflichtungen, welche die Mitglieder des ESM eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die Rege- lungen zum Haftungsumfang sind unvollständig. Die Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und unein- geschränkt, ihren Beitrag zu leisten. Zwar bleibt grund- sätzlich die Haftung eines jeden auf seinen Anteil am ge- nehmigten Stammkapital begrenzt. Aber was ist, wenn ein Mitglied selbst Finanzhilfe benötigt? Dann bleibt dessen Verpflichtung zur Leistung erhalten. Das gilt bei- spielsweise auch für Griechenland. Wenn ein Mitglied trotzdem nicht einzahlt, so ergeht ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Ka- pitalzahlung in voller Höhe erhält. Dann kommen doch weitere Verpflichtungen auf die Mitglieder zu. Offen bleibt die Haftung für Defizitsünder und wer eigentlich haftet, wenn ein oder mehrere Vertragspartner Beiträge nicht zahlen wollen oder können. Auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte der Vertragsstaaten und ihrer Parlamente. Die willkür- lich festgesetzte Schuldengrenze wird zum unveränder- baren Recht, möglichst sogar mit Verfassungsrang. Sie geht weit über die Regelung im Grundgesetz hinaus, die eine Übergangsphase für den Bund bis 2016 und für die Länder bis 2020 vorsieht. Die Möglichkeiten der Staaten zur Kreditaufnahme werden auf Dauer begrenzt. Der Pakt ist in seiner Substanz nicht veränderbar. Daran än- dert sich auch dadurch nichts, dass binnen fünf Jahren die notwendigen Schritte unternommen werden, um den Inhalt des Pakts in den Rechtsrahmen der EU zu über- führen. Es geht nur darum, den jetzigen Inhalt in EU- Recht zu überführen. Wird dieses Ziel aber nicht er- reicht, gilt der Fiskalpakt weiter. ESM und Fiskalpakt sind verfassungsrechtlich zwei- felhaft und auch politisch nicht verantwortbar, weil sie für die Bewältigung der Krise nicht zweckmäßig sind und große Teile der Bevölkerung vor allem in ökono- misch schwachen Ländern Europas der Gefahr von Ar- mut und Elend aussetzen. Deshalb stimme ich mit Nein. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Wir stimmen heute über den sogenannten Fiskalpakt ab, und ich möchte meine Ablehnung hier deutlich machen und begründen. Ich stimme dagegen, weil mit diesem Paket allen Staaten der Europäischen Union sowie dem Bund, den Ländern und Kommunen ein massives Sozialkürzungs- paket aufgezwungen wird. Das ist ein massiver Eingriff in die Budgethoheit der einzelnen Nationalstaaten, in- dem die Neuverschuldung auf maximal 0,5 Prozent be- grenzt wird. Wir müssen doch nur einmal nach Griechenland schauen, um zu sehen, was ein verordnetes Diktat für Konsequenzen hat: Menschen werden entlassen und ver- lieren zum Teil ihre Existenz, Löhne sinken, Sozialaus- gaben werden zusammengestrichen, staatliche Konjunk- turprogramme gibt es nicht, die Binnennachfrage sinkt ins Bodenlose, wirtschaftliche Strukturen fallen zusam- men, Armut steigt. Durch den Fiskalpakt würgen wir die Binnennachfrage in Europa ab, was zur Folge haben wird, dass mittelfristig auch unser Export einbricht und die Menschen in Deutschland die gleichen Folgen erlei- den werden wie die in Griechenland. Wollen wir allen Ernstes griechische Verhältnisse in ganz Europa? – Ich sage ganz deutlich Nein. In meinem Wahlkreis Steinfurt III gibt es jetzt schon massive Kürzungen in den Kommunen. Dass der Bund die Kosten für die Eingliederungshilfe übernimmt, ist richtig, aber nicht im Rahmen eines Kuhhandels, um die Zustimmung zum Fiskalpakt zu ergattern. Viel zu lange wurden das Konnexitätsprinzip nicht gewahrt und Auf- gaben an Kommunen ohne jeglichen Finanzausgleich weitergeben. Steuersenkungen tun ihr Übriges, um die- sen Notstand der Städte und Gemeinden zu verschärfen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22785 (A) (C) (D)(B) Und wer zahlt die Zeche für diese Finanzkrise der Banken und Zocker? Die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitslosen, die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Emp- fänger, die Rentner, Alleinerziehenden und auch die Ar- beitnehmer. Schwimmbäder werden zugemacht, Sport- förderung und Jugendarbeit zusammengestrichen und vieles mehr. Reden Sie einfach mal mit Ihren kommuna- len Mandatsträgern. Es ist ein wirklich düsteres Bild. Und das ist das Problem: Die Verursacher kommen mal wieder ungeschoren davon. Sie retten mit dem Fiskalpakt nur die Banken, und was machen diese? Sie zocken weiter. Diese müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden. Wir brauchen eine gerechte Besteue- rung, und bei Krisen muss endlich das Verursacherprin- zip gelten. Es darf nicht sein, dass Gewinne privatisiert, Verluste oder Pleiten aber der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Erstens. Ich halte den permanenten Stabilitätsmechanismus für not- wendig, um die Europäische Währungsunion vor den Auswirkungen von Spekulationen zu schützen. Deshalb werde ich bei dieser Abstimmung mit Ja stimmen. Zweitens. Der Fiskalpakt geht von der falschen An- nahme aus, dass die Verschuldung der europäischen Länder eine Konsequenz übermäßiger Staatsausgaben sei, während – bis auf Griechenland – für alle EU-Staa- ten gilt, dass ihre gewachsene Verschuldung Ergebnis der Rettungsaktionen der europäischen Staaten für die Finanzmärkte 2008/2009 ist. Insofern wäre er als alleini- ges Instrument angesichts der marktradikalen Politik ei- ner Reihe von nationalen EU-Regierungen eine falsche Weichenstellung der Austeritätspolitik. Er lässt ein vergleichbares Rechtsinstrument vermis- sen, das eine aktive makroökonomische Politik festlegt, die auf Beschäftigungswachstum setzt. Er ist ein zwischenstaatlicher Vertrag, der praktisch die EU-lnstitutionen und auch das Europäische Parla- ment aushebelt. Drittens. Angesichts dieser falschen Grundorientie- rung war es wichtig, die grundlegenden Fehler zu korri- gieren. Das ist der Sozialdemokratischen Partei, das ist den Ländern in zähen Verhandlungen in wichtigen Be- reichen gelungen: Endlich wird es eine Finanztransaktionsteuer geben, für die ich mich bereits vor zehn Jahren starkgemacht habe – damals noch als „exotische“, unrealistische Posi- tion diffamiert und von der CDU noch im letzten Bun- destagswahlkampf vehement bekämpft. Die Initiative dieser „willigen“ europäischen Staaten muss dazu beitragen, endlich diejenigen zur Kasse zu bitten, die die Finanzmarktkrise verursacht haben. Gleichzeitig wird es auch angesichts der politischen Veränderungen in Frankreich Festlegungen auf einen „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ geben, verbunden mit einem Sofortprogramm gegen Ju- gendarbeitslosigkeit. Damit kann endlich ein Kurswech- sel in der verfehlten Austeritätspolitik eingeleitet wer- den. Viertens. Ungelöst ist nach wie vor der Umgang mit den sogenannten Altschulden. Notwendig ist die ge- meinschaftliche Sicherung für einen Teil der Anleihen der Euro-Staaten. Eine gemeinschaftliche Währung hätte ansonsten keine dauerhafte Zukunft angesichts der fort- dauernden Spekulationen gegen den Euro. Der Erhalt und die Sicherung des Euro ist aber sowohl unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Arbeitsplätze bei uns als auch aus politischen Gründen für Deutschland von zentraler Bedeutung. Schließlich ist es notwendig, endlich die erforderli- chen Schritte zu einer wirklichen Finanzmarktregulie- rung voranzubringen. Hier besteht noch maßgeblicher Handlungsbedarf. Fünftens. Meine Abwägung bei der Entscheidung zur Ratifizierung des Fiskalpakts sieht so aus: Bei einer Ab- lehnung würde die Zweidrittelmehrheit im Bundestag scheitern. Eine Phase der massiven Instabilität in der Eu- ropäischen Union wäre die Folge. Die würde auch ge- rade den Euro als Gemeinschaftswährung destabilisie- ren, dies könnte die Europäische Union gefährden. Eine derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die EU in der globalen Entwicklung und für die wirtschaftli- che und soziale Entwicklung seiner Bürger und Bürge- rinnen am Herzen liegt. Darum werde ich mit Ja stim- men. Wichtig ist es aus meiner Sicht, diese Instabilität zu verhindern, die angesichts der Situation in Griechenland und Spanien ohnehin eine Gefahr ist und durch sie noch vergrößert würde. Stattdessen sollten Sozialdemokraten und Sozialde- mokratinnen in Europa enger zusammenarbeiten, politi- sche Mehrheiten schaffen, auch in Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht ge- lungen ist, nämlich eine wirkliche politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozialunion aufzubauen. Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn die politische Union geschaffen werden soll. Derartige europäische Pläne müssten einem Volksentscheid unter- liegen. Für einen Volksentscheid zum Maastricht-Vertrag bin ich übrigens schon zu Beginn der 90er-Jahre einge- treten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin und Joachim Günther (Plauen) (beide FDP) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion 22786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Grundsätzlich ist die Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus sinnvoll. Leider müssen wir er- leben, dass Entscheidungen und Bedingungen des ESM immer unklarer werden. Wir sind nicht bereit, in nur we- nigen Stunden nach einer Sitzung in Brüssel Entschei- dungen von so großer Tragweite für Deutschland zu tref- fen. Wir können in so kurzer Zeit nicht beurteilen, ab die direkten Bankenhilfen für Spanien oder mögliche Anlei- henkäufe für Italien Folgen für unser Land und die Stabi- lität des Euro haben. Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Wäh- rungsgebiets vom 29. Juni 2012 kann uns unsere Sorge nicht nehmen, sondern sie verstärkt sie eher noch. Wir fordern auch weiterhin von den nehmenden Ländern Re- formbereitschaft und Haushaltsdisziplin. Mit der Gipfel- erklärung vom 29. Juni 2012 wird diese bisherige Linie verlassen. Wir befürchten, dass nun auch bald die bishe- rigen Entscheidungen betreffend Griechenland aufge- weicht werden. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günter Gloser und Martin Burkert (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmecha- nismus, ESM, ist ein unterlässlicher Beitrag zur Stabili- sierung der Euro-Zone und der Bewältigung der Folgen der Finanzmarkt- und Hypothekenkrise, die 2008 be- gann. Daher befürworten wir die Einrichtung dieser Fi- nanzinstitution. Allerdings sehen wir einen unaufgelös- ten Zielkonflikt zwischen der Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle einerseits und der Unab- hängigkeit des Gouverneursrates und des Direktoriums andererseits. Die Nichtauskunftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag sowie die Immunität der Leitungsgremien des ESM stel- len einen großen Vertrauensvorschuss gegenüber den Mitgliedern des Gouverneursrates und des Direktoriums dar. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Philip Winkler und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die Europäische Union und der Euro-Raum befinden sich in einer der schwersten Krisen seit Ende des Zwei- ten Weitkrieges. Einige Mitgliedstaaten sind mit massiv gestiegenen Zinsforderungen für ihre Kredite konfron- tiert, ihnen droht der Staatsbankrott. Die wirtschaftlichen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22787 (A) (C) (D)(B) Auswirkungen auf andere mit ihnen eng verwobene Volkswirtschaften sowie die politischen Konsequenzen für die weitere europäische Integration wären desaströs. Die Ursachen der Krise sind mannigfaltig. Sie reichen von fehlender Regulierung von Finanzmärkten und Ban- ken, spekulativen Finanzgeschäften über mangelnde Haushaltsdisziplin, der Finanzierung von Konjunktur- paketen bis hin zu erheblichen Leistungsbilanzdefiziten. Um der Krise zu begegnen sind verschiedene Maß- nahmen notwendig. Rettungsschirme müssen aufge- spannt werden, um den betroffenen Ländern wieder eine Refinanzierung zu ermöglichen und somit deren Zah- lungsunfähigkeit abzuwenden. Verbindliche Regeln, wie Grenzen für nationale Defizite und Schuldenbremsen, müssen zur Sicherstellung nachhaltiger und stabiler Haushaltspolitik eingeführt werden. Die Finanzmärkte müssen reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt werden. Die bestehenden Schulden müssen konsequent zurückgeführt werden. Nicht zuletzt müssen den ange- schlagenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Perspekti- ven aufgezeigt werden – wir brauchen Investitionspro- gramme in nachhaltige Technologien beispielsweise in den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien. Der Deutsche Bundestag hat heute mit der Entschei- dung für den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Fiskalpakt entlang dieser Linien die Wei- chen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euros und der europäischen Finanzmärkte gestellt. Mit dem ESM wird dem Euroraum ein perma- nenter Rettungsschirm zur Verfügung stehen. Ausgestat- tet mit einem eigenen Kapitalstock wird er dazu in der Lage sein, in Not geratene Staaten bei ihrer Refinanzie- rung zu unterstützen. Der Fiskalpakt ist eine notwendige Ergänzung des ESM. Er stellt verbindliche Regeln zur Erstellung kon- solidierter Haushalte auf. Die Mitgliedstaaten verpflich- ten sich mit ihm zudem zur Einführung nationaler Schul- denbremsen. Diese Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Haushaltskonsolidierung muss sowohl aus der Stei- gerung von Einnahmen als auch aus hoher Disziplin bei den Staatsausgaben bestehen. Im Zuge der Verhandlungen zu ESM und Fiskalpakt konnten durch eine erfolgreiche grüne Verhandlungsfüh- rung noch weitere wichtige Maßnahmen vereinbart wer- den: Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer werden die Märkte endlich an den Kosten der Krise be- teiligt. Investitionsimpulse, vor allem für nachhaltige In- vestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz, werden für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgen. Nicht zuletzt wird es eine stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträgen an den ESM geben. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommu- nen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist rich- tig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Ver- gleich zum Bund deutlich begrenztere Möglichkeiten zur Refinanzierung haben. Mit der Einigung zu ESM und Fiskalpakt haben wir viel erreicht. Gleichwohl stehen weitere wichtige Ent- scheidungen aus. So konnten wir uns nicht auf die Ein- führung eines gemeinschaftlichen Schuldenabbaus eini- gen. Mit ihrer Blockadehaltung in dieser Frage gefährdet die Kanzlerin die positive Wirkung von ESM und Fis- kalpakt. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen. Weiterhin gilt es, Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter auszubauen. Solche Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbewältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäi- sche Parlament muss in seiner Entscheidungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäi- sche Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Europa. Noch einige Anmerkungen zu den Rechten des Bun- destages im Rahmen des ESM und des Fiskalpaktes: Grundsätzlich darf keine wesentliche Entscheidung – weder im Rahmen des ESM noch im Rahmen des Fis- kalvertrags – ohne die vorherige Zustimmung oder Be- teiligung des Deutschen Bundestages getroffen werden. Im Einzelnen: Die Parlamentsbeteiligung beim ESM wird geregelt im interfraktionellen Änderungsantrag zum ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG. Dieser ent- hält die §§ 3 bis 7 zu den Parlamentsbeteiligungsrechten. Diese beinhalten folgende Regeln: a) Zustimmung Plenum erforderlich bei Veränderung des Stammkapitals, Veränderung des maximalen Dar- lehnsvolumens, Änderung der Finanzhilfeinstrumente sowie zweimalige Zustimmung, bevor ein Land unter den Rettungsschirm kommt. Dabei ist die erste Abstim- mung erforderlich, um einem Mitglied grundsätzlich Hilfe zu gewähren. Dafür müssen folgende Einschätzun- gen von der KOM und der EZB vorliegen: Erstens. Besteht eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro- Währungsgebiets? Zweitens. Kann der Staat die Staats- verschuldung tragen (Schuldentragfähigkeitsanalyse)? Drittens. Wie hoch ist der tatsächliche oder potenzielle Finanzierungsbedarf des Mitgliedstaats? Die zweite Ab- stimmung ist erforderlich, um dem Land tatsächlich Hil- fen zu zahlen. Dafür muss eine Einigung der Troika mit dem Mitgliedstaat vorliegen über: Erstens. Ein Memo- randum of Understanding mit detaillierten Auflagen Zweitens. Eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazili- tät, mit den Finanzierungsbedingungen und den einzel- nen Instrumenten. Grundsätzlich gilt: Nur mit einem vorherigen zustimmenden Votum des Bundestages darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat einem entspre- chenden Beschlussvorschlag zustimmen. Erteilt der Bundestag dieses Votum nicht, muss der deutsche Ver- treter den Beschlussvorschlag ablehnen. b) Zustimmung Haushaltsausschuss erforderlich bei: Änderungen an den Instrumenten innerhalb eines beste- hendes Programms, Kapitalabrufen – von genehmigten aber noch nicht eingezahlten Summen –, Annahme und Änderung von Durchführungsbestimmungen bei Finanz- hilfeinstrumenten. Auch hier gilt: Nur mit einem vorhe- rigen zustimmenden Votum des Haushaltsausschusses 22788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat oder Di- rektorium einem entsprechenden Beschlussvorschlag zu- stimmen. Erteilt der Haushaltsausschuss dieses Votum nicht, muss der deutsche Vertreter den Beschlussvor- schlag ablehnen. c) Zustimmung Sondergremium erforderlich bei Staatsanleihenkäufen auf dem Sekundärmarkt. Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Fiskalvertrags: Dank unseres grünen Siegs vor dem Bundesverfassungs- gericht sind auch im Rahmen des Fiskalvertrags umfas- sende Informations- und Mitwirkungsrechte sicherge- stellt. Monatelang lehnte es die Koalition ab, das EU- Beteiligungsgesetz, EUZBBG, an die Neuerungen des Fiskalvertrags anzupassen. Neue Verfahren, Dokumente und Steuerungsgruppen – wie beispielsweise der Euro- Gipfel – wären ohne gesetzlich verankerte Parlaments- rechte geblieben. Doch mit dem Rückenwind aus Karlsruhe konnten wir uns trotz heftigen Widerstands der Koalition durchsetzen: Das EUZBBG wird geän- dert – verankert in Art. 2 des Fiskalvertragsratifizie- rungsgesetzes – und regelt, dass alle Beratungsgegen- stände, Vorschläge und Initiativen von den Informations- und Mitwirkungsrechten des Bundestages erfasst sind und die Bundesregierung den Bundestag zum frühest- möglichen Zeitpunkt, umfassend, fortlaufend und in der Regel schriftlich unterrichten muss, die Unterrichtungs- und Übersendungspflichten der Bundesregierung auch für Dokumente, Protokolle, Berichte von, für und über wichtige Entscheidungsgremien wie den Euro-Gipfel, die Euro-Gruppe, die Euro-Arbeitsgruppe gelten. Doch nicht nur das. Auch bei allen künftigen intergouverne- mentalen/völkerrechtlichen Vereinbarungen/Verträgen muss der Bundestag frühestmöglich eingebunden wer- den – inklusive der Übersendung erster Vertragsent- würfe. Dies alles führt uns zu folgender Schlussfolgerung: Wir haben uns dazu entschlossen, für ESM und Fiskal- pakt zu stimmen. Die Initiativen enthalten nicht alle un- sere Forderungen. Wir sind dennoch davon überzeugt, dass sie einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung der Schuldenkrise darstellen und wichtige grüne Forderun- gen umsetzen. Wir wollen mit unserer Zustimmung das europäische Projekt vor einem herben Rückschlag be- wahren. Wir bekennen uns klar zu Europa und wollen nun auch dafür einstehen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Edelgard Bulmahn und Dr. Ernst Dieter Rossmann (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanis- mus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Ich halte den permanenten Stabilitätsmechanismus für notwendig, um eine erneute Verschärfung der Euro- Krise und einen Zusammenbruch der Staatshaushalte weiterer Mitgliedsländer der Euro-Zone zu verhindern. Kernanliegen muss es derzeit sein, die Europäische Währungsunion vor den Auswirkungen unverantwort- licher Spekulationen zu schützen. Das geht nur durch ein Zeichen der Solidarität der einzelnen Mitgliedsländer der Euro-Zone untereinander gegenüber den Akteuren des Finanzmarkts. Eine weitere Destabilisierung des Euro könnte nicht nur zum Zerfall der gemeinsamen Währung führen, son- dern würde auch die Existenz der Europäischen Union als solche gefährden. Eine derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Bürge- rinnen und Bürger am Herzen liegt. Allerdings impliziert die Übertragung von elemen- taren Rechten auf nicht demokratisch legitimierte Insti- tutionen – Gouverneursrat, Direktorium –, wie sie zur Zeit vorgesehen sind, grundlegende verfassungsrecht- liche Probleme. Es gilt, einen Ausgleich zwischen der Handlungsfähigkeit entsprechender Institutionen und ausreichender parlamentarischer Kontrolle herzustellen. Meines Erachtens ist deshalb vor allem bei der weiteren Ausgestaltung der Institutionen des permanenten Stabili- tätsmechanismus darauf zu achten, dass Hoheitsrechte des Bundestages gewahrt und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts gestaltet werden. Es ist daher zwingend geboten, bei der Implementierung des Vertrags dafür zu sorgen, dass die demokratische Legitimation stets die Richt- schnur bildet. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Europa sollten jenseits der aktuellen Rettungsmaßnah- men ein Bild eines demokratischeren und handlungs- fähigeren Europas entwickeln. Das setzt eine engere Zu- sammenarbeit voraus, die letztlich eine Grundlage dafür bildet, politische Mehrheiten zu schaffen, auch in Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen ist: nämlich eine wirkliche Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22789 (A) (C) (D)(B) politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozial- union aufzubauen. Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn die politische Union geschaffen werden soll. Derartige europäische Pläne werden letztlich auch die Übertragung nationaler Souveränitätsrechte an dann geschaffene, de- mokratisch legitimierte europäische Institutionen be- inhalten müssen. Dieses wird die Weiterentwicklung des deutschen Grundgesetzes einschließen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in ihrer Weisheit bereits durch Art. 146 des Grundgesetzes diesen Weg beschrie- ben, indem sie eine Öffnungsklausel aufgenommen ha- ben, die die Weiterentwicklung der Verfassung durch eine Entscheidung des deutschen Volkes vorsieht. Eine solche Entscheidung muss sorgfältig vorbereitet werden. Weite Teile des Grundgesetzes können beibehalten wer- den. Es gilt, ein neues Verhältnis von Europa, der Bun- desrepublik, den Bundesländern und den Kommunen zu entwickeln. Die Zeit sollte nicht fahrlässig verschwendet werden. Die Zeit ist reif für einen solchen Prozess. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Katja Dörner und Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die weitere Verschärfung der Finanz- und Wirt- schaftskrise in Europa fordert von uns, grundlegende Richtungsentscheidungen für die Zukunft der Europäi- schen Union zu treffen. Die Krise in Europa spitzt sich momentan dramatisch zu. Viele Staaten in Europa befin- den sich in einer schweren Rezession. Millionen Men- schen, vor allem Jugendliche, sind arbeitslos. Die soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich nimmt weiter zu. Der Zinsdruck auf Länder wie Italien oder Spanien ist enorm. Die Kapitalflucht aus Südeuropa verschärft sich. Noch nie war der Fortbestand der Währungsunion in ih- rer bisherigen Form so stark gefährdet wie jetzt. Noch nie war die Sorge während dieser Krise so groß, dass Eu- ropa die Weltwirtschaft in eine Rezession reißt. Wir streiten in dieser Situation für mehr Europa. Wir wenden uns entschieden gegen nationalistische Ressenti- ments und Anti-Europa-Populismus. Wir wollen ein starkes, demokratisches, soziales und ökologisches Eu- ropa, weil wir wissen, dass das unsere Zukunft ist und nur so die Krise nachhaltig zu lösen ist. Der Fiskalpakt ist in dieser Situation allerdings die falsche Antwort. Die Analyse, die dem Fiskalpakt zu- grunde liegt, trifft nicht zu. Europa leidet nicht an einer durch staatliche Ausgabenwut entstandenen Krise. Kann man beim Fall Griechenland noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates ei- nen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausrei- chend, um die Lage des Landes zu erklären. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommen die Schwäche des europäischen Bankensys- tems, die massive Überschuldung privater Haushalte wie in Spanien, Immobilienblasen wie auch in den Nie- derlanden und massive ökonomischen Ungleichge- wichte in der Euro-Zone sowie die dramatische Un- gleichverteilung von Vermögen, zu denen auch die Politik der Maximierung von Exportüberschüssen, ge- rade auch in Deutschland, beigetragen hat. Dies zu korri- gieren, müsste eigentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen. Der Fiskalpakt setzt dagegen nur auf die Einführung nationaler Schuldenbremsen. Wir halten Schuldenbrem- sen im Grundsatz für richtig und wollen Schulden des Staats begrenzen. Sie sind aber nur unter zwei Bedin- gungen hilfreich. Erstens. Wenn ein strukturelles Einnahmeproblem des Staats besteht, erzwingen Schuldenbremsen einen Rück- bau des Staats durch Kürzungen in allen staatlichen Be- reichen und umfangreiche Privatisierungen. Am Ende einer solchen Entwicklung steht eine Gesellschaft, die dem Wunsch von Marktradikalen entspricht: mit einem schwachen Staat, der nicht einmal mehr im Kernbereich der Daseinsversorgung handlungsfähig ist. Wir sind die Partei der öffentlichen Güter, wir stehen für Zukunftsin- vestitionen und einen leistungsfähigen öffentlichen Sek- tor. Deswegen muss für uns gelten: kein Fiskalpakt ohne Korrektur des strukturellen Einnahmeproblem der euro- päischen Staaten. Eine faire Lastenverteilung ist für uns kein Beiwerk zu den nötigen ökonomischen und strukturellen Refor- men, sondern muss im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Dafür muss ein europäischer Steuerpakt auf den Weg gebracht werden. Als Grüne kämpfen wir auf allen Ebenen dafür, dass Vermögende und Besserverdienende 22790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden, dass Subventionen auf ökologisch schädliches Verhalten abgebaut werden und Steuern auf Umwelt- verbrauch erhöht werden. Bei der Beteiligung der Kri- senverursacherinnen und -verursacher an den Kosten zeichnet sich mit dem Verhandlungserfolg bei der Fi- nanztransaktionsteuer ein erstes Umschwenken an. Zu- sätzlich braucht es aber auch die Einführung von Vermö- gensabgaben europaweit zum Abbau der Schulden, die als „Verstärkte Zusammenarbeit“ koordiniert werden könnte. Steuerdumping, Steuerhinterziehung und der le- gale, aber unfaire Steuerwettbewerb durch Gewinnver- rechnung über Briefkastenfirmen müssen beendet wer- den. Ziel unserer Steuerpolitik ist ein steueroasenfreies Europa ohne Bankgeheimnis. Wir wollen bei der Unter- nehmensbesteuerung einen europäischen Mindeststeuer- satz und eine gemeinsame konsolidierte Bemessungs- grundlage. Zweitens. Schuldenbremsen müssen wirtschaftlich sensibel sein und dürfen nicht fiskalisch prozyklisch wir- ken. Ansonsten verschärfen sie in konjunkturellen Kri- sen die Rezession und führen so zu mehr Schulden. Wer Schulden nachhaltig begrenzen will, muss gerade in Kri- senzeiten Investitionen ermöglichen. Die Berechnungs- methode für eine Schuldenbremse darf zudem nicht ge- staltungsanfällig sein, da sie sonst zum einen dem Ziel, der Schuldenbegrenzung entgegenwirken zu können, schadet und zum anderen zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen und damit zu Rechtsunsicherheit führen. Der Fiskalpakt erlaubt den Vertragsstaaten in Zukunft nur noch eine strukturelle Nettokreditaufnahme in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Zah- len und Regelungen erwecken den Anschein von Objek- tivität und Stabilität, doch das Gegenteil ist der Fall. In der Fachanhörung zum Fiskalpakt im Februar 2012 in der grünen Bundestagsfraktion hat der Sachverständige Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies auf die große Gestaltungsanfälligkeit der Schuldenbremsen- regelung hingewiesen. So wird jeweils nach Vorgaben der Europäischen Kommission das strukturelle und das konjunkturelle Defizit ermittelt. Dabei müssen das Po- tenzialwachstum, die Outputlücke und die Budgetsensi- tivität durch die Europäische Kommission ermittelt bzw. geschätzt werden; ein hochkomplexes mathematisches Verfahren und damit eben auch gestaltbar. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK, hat im Januar 2012 die Studie „Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der De- tailanalyse“ veröffentlicht und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Schuldenbremsenregelung intransparent, komplex und gestaltungsanfällig ist und zudem prozy- klisch wirkt und damit ökonomisch extrem gefährlich werden kann. Für die Berechnung des strukturellen Defi- zits ließen sich auf Grundlage der wissenschaftlichen Li- teratur leicht 70 und mehr Varianten beschreiben, die alle den maßgeblichen Vorgaben der EU-Kommission genügen. Je nach verwendeter Variante ergaben sich für das strukturelle Defizit Deutschlands im Jahr 2010 Werte zwischen 10 und 40 Milliarden Euro, rechneten die IMK-Ökonomen Henner Will und Achim Truger vor. Im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt wird weiter- hin behauptet, Vereinbarungen zwischen Staatsober- häuptern seien besser als Beschlüsse der gesamteuropäi- schen Volksvertreterinnen und Volksvertreter gemeinsam mit dem Ministerrat. Dabei haben gerade fehlender europäischer Ehrgeiz, die Vernetzung und Ab- hängigkeit der Einzelstaaten in ihrer Konjunktur, ihren Finanzmärkten, ihrem privaten und staatlichen Wirt- schaften Europa an den Rand des Scheiterns gebracht. Der Fiskalpakt verweist zurück in die Vergangenheit und wühlt damit vieles vom Müllhaufen der Geschichte auf, das schon überwunden geglaubt war: nationale Ressen- timents, deutsche Sonderwege, eine darwinistische Inter- pretation von wirtschaftlichen Unterschieden in Europa und Szenarien von „Lieber ein Ende mit Schrecken“. Er fördert die Einteilung in Geberländer und Nehmer- länder, bei denen Geld immer nur in eine Richtung flie- ßen soll und europäische Probleme vor allem die Pro- bleme der Schwachen seien. Dabei ist die Bundesrepu- blik ein Nehmer riesiger Vorteile durch den europäi- schen Binnenmarkt, gerade auch in der Krise. Gut 50 Milliarden Euro Zinsvorteil ist für den Bundeshaus- halt durch das überschießende Zinsgefälle 2009 bis 2012 für den Bundeshaushalt bereits entstanden. Weitere rund 50 Milliarden Euro mehr an Exporteinnahmen dürf- ten darauf zurückgehen, dass nur durch die Währungs- union Exporte aus Deutschland, als dem einzigen öko- nomisch prosperierenden Land, umgeben von Ländern in Rezession nicht durch Währungsaufwertung verteuert und dramatisch verringert wurden, sondern noch weiter zulegen konnten. Wir finden es brandgefährlich, diese riesigen Vorteile Deutschlands mit wortloser Selbstver- ständlichkeit einzustreichen und mit dem Fiskalpakt aus- schließlich Schuldzuweisungen zurückzugeben. Während die EU dringend mehr Gemeinsamkeit und mehr Demokratie braucht, führt der Pakt auf den grund- falschen Weg fort von den Gemeinschaftsinstitutionen, weg vom Europäischen Parlament. Dieses hat im Rah- men des intergouvernementalen Fiskalpakts keine Betei- ligungs- und Kontrollrechte. Die im Fiskalpakt nicht zu- letzt auf Drängen des Europaparlaments aufgegriffene Zielstellung, das Recht des Fiskalpakts binnen fünf Jah- ren in das EU-Recht zu integrieren, ist wenig mehr als eine unverbindliche Absichtserklärung. Man kann auch sagen: Es ist weiße Salbe. Denn ohne Mitwirkung des Vereinigten Königreiches wird das nicht gehen. Damit droht der Fiskalpakt aber zum Parallelrecht auf Dauer zu werden. Europarechtlich ist der Fiskalpakt ein Rück- schritt, ein Rückfall in die Zeit des Intergouvernementa- lismus und eine Blockade gegen mehr supranationale Demokratie. Die Demokratie ist in den Staaten der Europäischen Union seit langem verankert, aber jahrelange Massenar- beitslosigkeit hat bereits das Erstarken rassistischer, so- gar faschistischer Kräfte in mehreren Ländern der EU begünstigt. Zweifellos sind Reformen in den Wirt- schaftssystemen und Arbeitsmärkten vieler EU-Mit- gliedstaaten notwendig. Zu Recht erwarten die betroffe- nen Menschen aber, dass dies mit der nötigen demokratischen Mitbestimmung und Legitimität sowie einem gerechten sozialen Ausgleich passiert. Die Inter- nationale Arbeitsorganisation warnt, dass ohne einen dramatischen Politikwechsel die Arbeitslosigkeit, insbe- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22791 (A) (C) (D)(B) sondere auch für Jugendliche, vor 2016 nicht absinken wird. Der Fiskalpakt enthält weder die nötige antizykli- sche Flexibilität noch jeglichen sozialen Ausgleich mit einer gerechten Steuerpolitik, um ein prognostiziertes verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen in vielen Staaten Europas zu verhindern. Er schränkt Demokratie weiter ein, statt sie auszuweiten. Um einen deutlichen Politikwechsel einzuleiten, wä- ren wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zins- drucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen Altschuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständi- genrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine echte Bankenunion mit einer europäischen Aufsicht, einem Restrukturierungsregime und einer Einlagen- sicherung sowie durch ein sozial-ökologisches Investi- tionsprogramm in einer Höhe, die mindestens den Haus- haltskürzungen in den von Rezession betroffenen Staaten entspricht. Außerdem brauchen wir europaweite Vermögensabgaben und eine Korrektur der strukturellen Unterfinanzierung der Staaten in Europa. Diesen Politikwechsel wird es mit dem Fiskalpakt, auch nach den grünen Verhandlungserfolgen, leider nicht geben. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung ist es gelungen, konkrete Schritte für die Einführung einer Fi- nanztransaktionsteuer verbindlich zu vereinbaren. Hier konnten wir also eine Richtungsveränderung durchset- zen, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Die Finanz- transaktionsteuer soll noch in diesem Jahr im Wege der Methode der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in den ers- ten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Außerdem wurde als Verhandlungsergebnis zwischen Opposition und Regierung über eine Ergänzung des Fis- kalpakts mit weiteren Maßnahmen vor diesem Hinter- grund ein sogenanntes Wachstumsprogramm beschlos- sen. Die Umwidmung von Strukturfondsmitteln führt jedoch zu keinen zusätzlichen Investitionen; denn diese Mittel sind in voller Höhe bereits Teil der bestehenden Konjunkturschätzungen der mehrjährigen Finanzpla- nung der Bundesregierung. Der Kommissionsvorschlag einer Connecting Europe Faszilität mit 50 Milliarden Euro wird von der Bundesregierung zwar nicht als sol- che abgelehnt. Die Bundesregierung fordert aber weiter- hin in den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrah- men der EU statt einer Ausweitung eine Kürzung um rund 100 Milliarden Euro. Übrig bleibt die beabsichtigte Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank und ein eng begrenzter Pilotversuch von Projektanleihen. Bei einem Multiplikator von circa zwei ergibt dies einen Im- puls von rund 125 Milliarden Euro bzw. 1,3 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts, der sich aber über wenigs- tens vier Jahre verteilt und pro Jahr eine konjunkturelle Wirkung von weit weniger als einem Prozentpunkt er- reicht. Dies ist zu wenig, um die Kürzungen in den euro- päischen Krisenstaaten ausgleichen zu können. Histori- sche Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Kürzungen so groß sind, dass die negativen Auswirkungen das Defi- zit der Länder tatsächlich sogar vergrößern und ein ange- messeneres Tempo der Sparprogramme sogar zur Be- schleunigung des Schuldenabbaus beitragen könnte. Die bisher bekannten Ergebnisse des Europäischen Rates vom 28./29. Juni bremsen die Krise wahrschein- lich für eine kurze Atempause, lassen aber leider vermu- ten, dass auch auf europäischer Ebene die Defizite des Fiskalpakts nicht ausgeglichen wurden. Angela Merkel hat sich über ihre selbst beschriebenen Grenzen hinaus auf von uns geforderte Fortschritte eingelassen: eine teil- weise Vereinheitlichung der Bankenaufsicht bei der Eu- ropäischen Zentralbank, die direkte Rekapitalisierung von Banken durch den Europäischen Stabilitätsmecha- nismus und die flexiblere Nutzung seiner Instrumente. An wichtigen Stellen hat Merkel aber konsequentere Fortschritte verhindert: Um ein wirklich gemeinsames Vorgehen zu vermeiden, war die Bundesregierung bereit zu einer Lösung, die auch große Kapitalgeber von Ban- ken von jeder Haftung ausnehmen wird, wenn der ESM Banken direkte Hilfe zukommen lässt. Die Übernahme der Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank erfolgt wohl unvollständig nicht für alle grenzüber- schreitend tätigen Institute, sondern für eine politisch ge- kürzte Liste an Instituten. Auch hier fordern wir weiter- hin eine stringent europäische Lösung, bei der die Abwicklung von Banken, die Einlagensicherung und die Aufsicht auf der gleichen, nämlich der Ebene der EU als echte Bankenunion zusammengeführt werden sollte. Es fehlt weiterhin an fast jeglicher parlamentarischer Mit- wirkung und Kontrolle über das Abnicken vorher getrof- fener Vereinbarungen hinaus. In diesem Mangel an Be- reitschaft zu gemeinsamen europäischen Lösungen, an diesen nationalen Vorbehalten sehen wir die falsche Lo- gik des Fiskalpakts erneut auftauchen. Wir haben als Partei gemeinsam die Ergebnisse dieser Verhandlungen auf dem Länderrat am 24. Juni in Berlin kontrovers diskutiert. Eine Mehrheit des Länderrats hat nach einer kontroversen Debatte eine Zustimmung zum Fiskalpakt empfohlen. Dieses Votum des Länderrats ha- ben wir bei der Entscheidungsfindung für das heutige Abstimmungsverhalten intensiv mit einbezogen. Aber auch nach zwei Jahren Euro-Krise ist nach den intensi- ven Verhandlungen in Deutschland zum Fiskalpakt und nach dem Europäischen Rat am 28./29. Juni immer noch keine dauerhafte und stabile Lösung der Krise erkenn- bar. Der Fiskalpakt bleibt für uns immer noch als Instru- ment zur Bekämpfung der Krise der grundsätzlich fal- sche Ansatz. Ohne eine Minderung des Zinsdrucks und eine Korrektur des strukturellen Einnahmeproblems wird eine weitere Kaputtsparpolitik in Europa die Krise weiter verschärfen und zu einem weiteren Abbau des So- zialstaats führen. Außerdem ist der Fiskalpakt ein Rück- schritt für die europäische Demokratie. Die Situation für den Euro und Europa in dieser dramatischen Krise ist sehr ernst. Wir tragen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag eine Verantwortung für Europa. Wir können deshalb diesem Fiskalpakt nicht zustimmen und werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Maria Klein-Schmeink und Sylvia Kotting-Uhl (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 22792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die Analyse, die dem von der Bundesregierung aus- gehandelten Fiskalpakt zugrunde liegt, ist irreführend. Europa leidet nicht an einer durch staatliche Ausgaben- wut entstandenen Krise. Kann man beim Fall Griechen- land noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates einen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausreichend, um die Lage des Landes zu erklären. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommen die Schwäche des europäischen Bankensystems, die massive Überschuldung privater Haushalte wie in Spa- nien, Immobilienblasen wie auch in den Niederlanden und massive ökonomischen Ungleichgewichte in der Euro-Zone sowie die dramatische Ungleichverteilung von Vermögen, zu denen auch die Politik der Maximie- rung von Exportüberschüssen, gerade auch in Deutsch- land, beigetragen hat. Dies zu korrigieren, müsste ei- gentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen. Die Demokratie ist in den Staaten der Europäischen Union heute fest verankert, aber jahrelange Massen- arbeitslosigkeit hat bereits zum Erstarken rechtsextre- mer, sogar faschistischer Kräfte in mehreren Ländern der EU geführt. Zweifellos sind Reformen in den Wirt- schaftssystemen und Arbeitsmärkten vieler EU-Mit- gliedstaaten notwendig. Zu Recht erwarten die betroffe- nen Menschen aber, dass dies mit der nötigen demokratischen Mitbestimmung und Legitimität sowie einem gerechten sozialen Ausgleich passiert. Der Fiskal- pakt enthält weder die nötige antizyklische Flexibilität noch jeglichen sozialen Ausgleich, um ein prognostizier- tes „verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen“ in vielen Staaten Europas zu verhindern. Er schränkt De- mokratie weiter ein, statt sie auszuweiten. Die Internationale Arbeitsorganisation warnt, dass ohne einen „dramatischen Politikwechsel“ die Arbeits- losigkeit, insbesondere auch für Jugendliche, vor 2016 nicht absinken wird. Massenarbeitslosigkeit in diesem Ausmaß ist nicht nur für die Millionen betroffener Men- schen unmittelbar schwierig, zu ertragen, sondern kann große Teile einer Generation dauerhaft von einer aktiven Rolle in der Gesellschaft entfremden und zu entspre- chenden bleibenden Schäden auch in der politischen Kultur führen. Auch ökonomisch und haushälterisch kann dies zu einer Belastung weit über den Zeitraum der akuten Rezession hinaus führen, well eine verfestigte Entfremdung vom Arbeitsmarkt nicht einfach rückgän- gig zu machen ist. Um einen deutlichen Politikwechsel einzuleiten, wä- ren wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zins- drucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen Altschulden-Tilgungsfonds, wie ihn der Sachverständi- genrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine Bankenunion sowie durch ein sozial-ökologisches Inves- titionsprogramm in einer Höhe, die den Kürzungen in den von Rezession betroffenen Staaten entspricht. Auf dem Europäischen Rat wurden nun kurzfristige Maßnahmen zur Linderung des Zinsdrucks bei Spanien und Italien vereinbart. Sie bedeuten für Spanien, dass die Bankenrettung – anders als bisher geplant – nicht über eine zusätzliche Schuldenbelastung für Spanien, sondern über direkte Hilfen aus dem ESM organisiert werden soll. Das löst für Spanien, nicht aber für andere Staaten, das Problem der gegenseitigen Verstärkung von Banken- krise und Staatsschuldenkrise. Außerdem sollen italieni- sche Staatsanleihen aufgekauft werden. Das kann den Zinsdruck mildern, löst aber das grundsätzliche Problem nicht, dass Italien in den nächsten Jahren immer wieder einer neuen Welle von Investorenmisstrauen gegenüber- stehen kann, die das Land in Schwierigkeiten bringen. Als Verhandlungsergebnis zwischen Opposition und Regierung über eine Ergänzung des Fiskalpaktes mit weiteren Maßnahmen wurde vor diesem Hintergrund ein „Wachstumspaket“ beschlossen. Beim Großteil der ver- einbarten Maßnahmen handelt es sich nicht um zusätzli- che Mittel, sondern lediglich um Umschichtungen und bestenfalls einen Vorzieheffekt. Andere Maßnahmen wie die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investi- tionsbank setzen darauf, einen Anreiz für private Investi- tionen zu schaffen. Solange aber in den Krisenländern die Unsicherheit über einen Fortbestand des Euro weiter- besteht und die Länder bereits In der Rezession sind, wird es dort nicht zu zusätzlichen privaten Investitionen kommen. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung ist es gelungen, konkrete Schritte für die Einführung einer Fi- nanztransaktionsteuer verbindlich zu vereinbaren. Hier konnten wir also eine Richtungsveränderung durchset- zen, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Die Finanz- transaktionsteuer, FTT, soll noch in diesem Jahr im Wege der Methode der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in den ersten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22793 (A) (C) (D)(B) Damit gelingt es nach vielen Jahren politischen Drucks aus Zivilgesellschaft und Parlamenten, eine relevante Besteuerung des Finanzsektors voranzubringen. Gleich- zeitig wird damit sichergestellt, dass ein Teil des Konso- lidierungsbedarfs, den der Fiskalpakt erzwingt, durch neue Einnahmen erreicht werden kann. Das mildert die zu befürchtende einseitige Wirkung des Fiskalpakts. Diese Veränderungen waren nur möglich um den Preis einer Zustimmung zum Fiskalpakt. Auf diesen Weg haben wir uns als Partei und Fraktion eingelassen. Vor diesem Hintergrund habe ich dem Fiskalpakt zuge- stimmt. Was jetzt notwendig ist, sind weitere Maßnahmen, die dafür sorgen, dass der Fiskalpakt seine potenziell schad- haften Wirkungen nicht entfalten kann. Grundsätzlich ist die ökonomisch verträgliche Rückführung staatlicher Defizite sinnvoll, denn Staatsverschuldung ist immer auch ein Verteilungsproblem: Einfache Arbeitnehmer fi- nanzieren über ihre Steuern die Zinszahlungen des Staa- tes mit, während Gutverdiener mit einer Anlage in Staatsanleihen noch Geld verdienen können. Aber eine ökonomisch vernünftige Schuldenbremse braucht Rah- menbedingungen, die für eine Linderung des Zinsdrucks der Altschulden sorgen. Sie muss insofern einhaltbar sein, dass Anpassungsdruck nicht nur auf der Ausgaben-, son- dern auch auf der Einnahmeseite entsteht, und sie muss flexibel in Bezug auf Investitionen und wirtschaftliche Schwächephasen sein. Diese Bedingungen erfüllt der Fiskalpakt gegenwärtig noch nicht. Sie müssen jetzt als Nächstes durchgesetzt werden. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Ulrich Schneider, Beate Walter-Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Der Fiskalpakt – eigentlich: Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – ist zu Recht umstritten. Man kann mit guten Gründen gegen oder für den Vertrag sein, wie auch das knappe Votum des Sonderländerrats der Grünen ge- zeigt hat. In so einer Entscheidungssituation haben wir als Abgeordnete nur die Wahl zwischen Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung. Wir können den Vertrag nicht ändern oder ergänzen oder eine ganz andere Lö- sung fordern, sondern müssen abwägen, ob der Vertrag mehr Nutzen oder mehr Schaden bewirkt. Der Fiskal- pakt ist bei weitem nicht ideal: Er liefert weder eine kurzfristige Lösung gegen den Zinsdruck noch geht er die eigentlichen Ursachen der Banken- und Finanzkrise an, sondern er zielt allein auf die Staatsschuldenkrise. Dennoch stimmen wir mit Ja. Warum? Dazu ließe sich viel sagen, wir möchten hier nur auf einige Hauptaspekte eingehen, die gegen den Fiskalpakt vorgebracht werden. Der Fiskalpakt schränkt die Autonomie der demokra- tisch gewählten Parlamente über das Budgetrecht ein. Das stimmt – aber nur, solange der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte über 60 Prozent des BIP liegt. Seit den 70er-Jahren ist der Schuldenstand immer weiter gewachsen. Offenbar sind die Parteienwettbewerbs- demokratien kaum in der Lage, eine nachhaltige Haus- haltspolitik zu machen. Man kann sagen, dass der Fiskal- pakt eine Bindung der Parlamente ist, die – ähnlich wie die politische Unabhängigkeit der Notenbank in der Geldpolitik – den Regierungen und ihren Parlaments- mehrheiten die Freiheit entzieht, eine Politik auf Pump zu machen. Das Problem ist, dass die Phase, in der daran gearbeitet wird, von den gegenwärtigen Schulden herun- terzukommen, hart wird und sehr lange dauern wird. Ein weiteres Problem ist der Entscheidungsmechanis- mus des Fiskalpakts. Dieser ist intergovernmental. Dies bedeutet, dass nur die Regierungschefs beschließen. Dies ist im Kern der gleiche Mechanismus wie im Bun- desrat in Deutschland. Beides ist problematisch, denn es handelt sich um Exekutivdemokratie. Die Parlamente entscheiden nur mittelbar durch Wahl und Kontrolle der Regierung und nicht direkt, aber es ist nicht per se un- demokratisch. Es schließt sich die Frage an, ob der Fiskalpakt unso- zial ist. Der Fiskalpakt ist dann unsozial, wenn ein aus- geglichener Haushalt nur über Ausgabenkürzungen und Sozialabbau erreicht wird. Viele befürchten, dass dies eine automatische Folge des Fiskalpakts ist, weil Ein- nahmeerhöhungen sich nicht durchsetzen ließen und der Fiskalpakt hierzu keine Pflichten auferlege. Für uns gilt, dass die Vermögenden einen wesentlichen Beitrag leis- ten müssen und wir uns immer für solide Haushaltspoli- tik ohne Sozialabbau einsetzen werden. Staatsschulden sind Ausdruck der politischen Feigheit, die erforder- lichen Finanzmittel durch ausreichende Besteuerung ein- zuholen. Staatsschulden sind außerdem die ungerech- 22794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) teste Art, den Staat zu finanzieren, denn Zins und Zinseszins zahlen alle Bürgerinnen und Bürger und künftige Generationen, und zwar an die Vermögenden, die dem Staat das Geld leihen. Nicht zuletzt können wir dem Fiskalpakt zustimmen, weil die Grünen in den Verhandlungen mit der Bundes- regierung einiges erreicht haben, vor allem ein seit Jah- ren verfolgtes Ziel, nämlich den Einstieg in die Einfüh- rung der Finanztransaktionsteuer. Selbst unter Rot-Grün in der Ära Schröder wurden die grünen Vorstöße als un- realistisch abgetan. Natürlich reicht dies alles nicht aus, um die Banken- und Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Die starke Zunahme der Staatsschulden ist nicht die Ursache der seit 2008 herrschenden Krise, sondern in den meisten Ländern eine Folge davon. Zum Beispiel hatte Irland vor der Krise 2007 eine Verschuldung von 24,83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und hat momentan, durch den Zu- sammenbruch seines Bankensystems bedingt, eine Ver- schuldung von 113,13 Prozent. In Spanien lag die Ver- schuldung 2007 bei 36,30 Prozent. Die Verschuldung ist dort nicht ganz so schnell gestiegen wie die Irlands, da die Banken Spaniens erst in diesen Jahr am zusammen- brechen sind. Die Verschuldung beträgt im Moment circa 79 Prozent. Aber auch Länder wie Portugal hatten vor der Banken- und Finanzkrise eine Verschuldung, die sich kaum von der Deutschlands unterschied. Im Falle Portugals waren es im Jahr 2007 68 Prozent, und jetzt sind es 112 Prozent. In Deutschland hat sich der Schul- denstand von 65 Prozent im Jahre 2007 auf 80 Prozent in 2012 erhöht. Die Regierung Merkel bekämpft mit der Schulden- krise nicht die Ursache der Krise, sondern deren Folgen. Sie sorgt nicht für eine Regulierung der Finanzmärkte und eine Beschränkung der Bankenmacht. Dies tut sie, weil sie aus ideologischen Gründen und aus Feigheit vor der Macht der Finanzmärkte lieber die Schuld populis- tisch zum Beispiel auf die Rentner in Griechenland schiebt. Griechenland hat einen Anteil von circa 2 Pro- zent am gesamten Bruttoinlandsprodukt der EU. Die Be- hauptung, dass die Menschen in Griechenland den Euro in die Pleite führen könnten, ist genauso wenig logisch, wie die Behauptung, eine mittelgroße Stadt wie Bremen, Nürnberg oder Essen könnte Deutschland in die Pleite führen. Nein! Frau Merkel will von ihrem Versagen und dem der anderen Regierungschefs der EU ablenken, die Banken und die Finanzmärkte zu regulieren. Als dringlichste Maßnahme ist es jetzt notwendig, die Staaten vom hohen Zinsdruck zu entlasten. Dies kann über unterschiedliche Wege geschehen, zum Beispiel über Euro-Bonds, eine Banklizenz für den ESM oder über Interventionen der Zentralbank am Sekundärmarkt für Staatsanleihen. Frau Merkel blockiert alle diese Aus- wege. Die Folge ist: Die Staaten und damit die Bürger dieser Staaten müssen immer höhere Zinsen für die alten Schulden bezahlen. Diese hohen Zinsen führen zu Ge- winnen für die Akteure an den Finanzmärkten, zum Bei- spiel die Banken. Ein erheblicher Teil der Schulden ist aber erst durch die Rettung der Banken entstanden. Die deutsche Regierung zwingt mit ihrer Blockadehaltung die Bürger vieler Staaten und am Ende auch die deut- schen Bürger, gigantische Summen an die Banken zu be- zahlen – für Schulden die es nur gibt, weil die Banken gerettet wurden. Ein erster Einstieg, die Finanzmärkte an den von ih- nen verursachten Kosten der Krise zu beteiligen, ist die Finanzmarkttransaktionsteuer. Dies reicht nicht aus. Wir brauchen einen Abbau der Ungleichgewichte in der EU, wir müssen die Banken verkleinern und regulieren, wir müssen das EU-Parlament stärken und vieles Weitere. Aber es ist den Grünen gelungen, in schwierigen Ver- handlungen erste richtige Schritte zu erreichen. Deshalb stimmen wir dem Gesamtpaket, trotz aller berechtigten Bedenken, zu. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Alexander Süßmair und Katrin Werner (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäi- schen Rates vom 25. März 2011 zur Ände- rung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hin- sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Der sogenannte Fiskalvertrag soll Anfang 2013 in Kraft treten und die Europäische Union, EU, angeblich in eine Stabilitätsunion verwandeln. Die Unterzeichner- staaten sollen durch den Vertrag auf den Kurs einer dau- erhaften Politik der Ausgabenkürzung und Austerität ge- bracht werden, indem sie sich dazu verpflichten, Schuldenbremsen – vorzugsweise in ihren Verfassun- gen – einzurichten und Staatsschulden über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP, um jährlich 5 Prozent abzubauen. Ich lehne die Ratifizierung des Fiskalpakts aus den folgenden Gründen ab: Erstens. Der Fiskalpakt ist ein offener Angriff auf die Demokratie in Europa: Er hebelt das Haushaltsrecht des Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22795 (A) (C) (D)(B) Bundestages und der anderen nationalen Parlamente fak- tisch aus. Einmal ratifiziert, kann ihn kein Land allein wieder aufkündigen. Der Fiskalpakt soll so den maßgeb- lich von der deutschen Bundesregierung forcierten Aus- teritätskurs unumkehrbar machen. Auch das Europäi- sche Parlament, EP, wird marginalisiert. Stattdessen sollen Kompetenzen auf nicht ausreichend demokratisch legitimierte Institutionen wie die EU-Kommission über- tragen werden. Zweitens. Der Fiskalpakt basiert auf einer falschen Analyse der aktuellen Krise des Euroraums: Diese geht nicht auf zu laxe Haushaltsführung und überhöhte Sozial- ausgaben zurück, sondern auf die fehlende Regulierung der Finanzmärkte, die Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten, die Leistungsbilanzüberschüsse innerhalb des Euro-Raums und die Bankenrettungspakete im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007. Drittens. Der Fiskalpakt ist wirtschaftlich unsinnig: Die vermeintliche Lösung der Euro-Krise – strenge Haushaltsdisziplin und Ausgabenkürzungen – hat die Krise noch weiter vertieft. Das Beispiel Griechenland zeigt, dass das Spardiktat der Troika aus Internationalem Währungsfonds, lWF, Europäischer Zentralbank, EZB, und Europäischer Kommission die Krise verschlimmert hat. Diese fatale Politik soll nun im Fiskalpakt verewigt werden. Viertens. Der Fiskalpakt bedroht die Sozialstaatlich- keit in ganz Europa: Weil eine Beteiligung der Krisen- verursacher und -profiteure ausgeschlossen wird, werden die darin vereinbarten haushaltspolitischen Re- gelungen den Druck erhöhen, Sozialabbau, Privatisie- rungen und Abbau öffentlicher Leistungen zu verschär- fen. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler, Sylvia Canel und Dr. Lutz Knopek (alle FDP), Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (beide CDU/CSU) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Heute treffen wir eine Richtungsentscheidung. Es geht um die Frage, welche Gestalt das politische Europa annehmen soll. Es geht um die Frage seiner Organisation und die Frage, wo seine politischen Kompetenzen an- gesiedelt sein sollen. Es geht daher um die Frage, ob Europa zentral oder dezentral organisiert wird und auf welcher Ebene sein Kern der Staatlichkeit liegt. Genau diese Entscheidung trifft heute das Parlament. Das ist nicht zulässig, denn die Verlagerung des Kerns demokra- tischer Staatlichkeit lässt das geltende Grundgesetz nicht zu. Man kann nicht einmal das Grundgesetz dahin ge- hend ändern. Dennoch wird heute über die Überführung der Staatlichkeit an eine höhere Ebene entschieden. Diese höhere Ebene ist indes nicht die Europäische Union, sondern ein neuer Euro-Staat, der keine Vorbilder kennt. Über diesen Umstand spricht niemand, weil die Dis- kussion um die vorgebliche Rettung des Euro durch Fis- kalvertrag und ESM den Blick auf die wahre Bedeutung der heutigen Entscheidung im Plenum verstellt. Wir hal- ten dies für einen Fehler. Die Entscheidung über die Ver- schiebung der Staatlichkeit von Deutschland in den neuen Euro-Staat darf nicht unter dem Deckmantel von ESM und Fiskalvertrag gefällt werden. Sie muss viel- mehr als solche deutlich bezeichnet und mit mindestens gleicher rechtlicher Qualität wie die über den Vertrag von Lissabon getroffen werden. Die heutige Entscheidung ist daher ein absoluter Tiefpunkt in der Geschichte des Deutschen Bundesta- ges. Niemals zuvor wurde eine bedeutendere Entschei- dung unter so falschen Voraussetzungen getroffen. In unser Bewusstsein muss gerückt werden, dass der Deut- sche Bundestag mit der Zustimmung zum ESM auf sein Budgetrecht – das Königsrecht – bereitwillig verzichtet. Das Budgetrecht ist Königsrecht, weil ein Parlament ohne eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmit- tel machtlos, also seiner eigentlichen Aufgabe beraubt ist. Eine Demokratie ist nicht denkbar ohne ein Parla- ment mit voller Budgethoheit. Aus diesem Grund schlussfolgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 38 GG, dass der Bestimmungsgehalt des Demokratieprin- zips missachtet wird, wenn das parlamentarische Budgetrecht entleert wird. Indes führt der ESM aus sowohl rechtlichen wie öko- nomischen Gründen zu unabsehbaren und unbegrenzten finanziellen Verpflichtungen Deutschlands. Dadurch saugt er das Budgetrecht des Bundestages aus und hin- terlässt nicht mehr als dessen leere Hülle. Rechtliche Grenzen sind dem Zugriff des ESM auf den Bundeshaushalt nicht gesetzt; denn die haushalts- rechtliche Beschränkung auf 190 Milliarden Euro wirkt nicht. Nach dem Vertrag über den Europäischen Stabili- tätsmechanismus sind alle Entscheidungen seiner Gre- 22796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) mien völkerrechtlich verbindlich, bis auf die Erhöhung des genehmigten Kapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV. Sie wird erst wirksam mit einer bundesgesetzlichen Er- mächtigung zur Bereitstellung neuer Mittel für den ESM. Doch diese einzige Vorkehrung gegen eine unge- wollte völkerrechtlich begründete Zahlungspflicht reicht nicht aus, wenn Deutschland auch auf andere Art und Weise zur Zahlung verpflichtet werden kann. Dies ist erstens der Fall beim Abruf genehmigten Kapitals zu einem höheren Ausgabepreis als zum Nennwert. Deutschland ist verpflichtet, jedem Abruf des genehmig- ten Kapitals nachzukommen, selbst wenn dieses mit einem Aufgeld auf den Nennwert, also zu einem höheren Ausgabepreis erfolgt. Dadurch entsteht eine völkerrecht- lich wirksame Zahlungspflicht, die Deutschland erfüllen muss, selbst wenn ihre Höhe die haushaltsrechtliche Vorsorge von 190 Milliarden Euro übersteigt. Dies ist zweitens der Fall, wenn ein erhöhter Kapitalabruf zur Verlustdeckung erfolgt, mit dem die Nichterfüllung der Zahlungspflicht eines anderen ESM-Mitglieds ausgegli- chen wird. Deutschland hat in diesen Fällen kein oder jedenfalls kein abschließendes Vetorecht, da einerseits Streitigkeiten über den Bestand von Zahlungspflichten in letzter Instanz vom EuGH entschieden werden und andererseits mit dem bestimmungsgemäßen Eintritt wei- terer Staaten zur Euro-Zone der deutsche Kapitalanteil am ESM absinken wird, wodurch sich die Sperrminorität in Luft auflöst. Ökonomisch bringt der ESM die Haftungsunion; denn jede Anleihe, die er auflegt, um damit die Schul- denstaaten zu finanzieren, ist ein Euro-Bond. Alle ESM- Mitglieder haften gemeinschaftlich mit dem Vermögen des ESM. Die Anleihen des ESM werden wegen der gemeinschaftlichen Haftung und größeren Sicherheit attraktiver sein als die Anleihen seiner Mitglieder. Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird sinken, wodurch die von den Mitgliedstaaten geforderten Zinsen steigen wer- den. Das drängt weitere ESM-Mitglieder in Hilfspro- gramme des ESM. Die Darlehen, die der ESM an diese Schuldenländer vergibt, sind vorrangig gegenüber ande- ren Staatsschulden zu bedienen. Das verteuert die Kre- ditaufnahme für die Programmländer zusätzlich. Wenn ein ESM-Mitglied auch nur ein einziges Mal ein Darle- hen vom ESM bekommen hat, wird es sich nie mehr ei- genständig am Kapitalmarkt finanzieren können, weil seine Refinanzierung teurer und nicht billiger wird. An- dererseits bringen die Anpassungsprogramme des ESM geringere Sanierungsanreize als hohe Kapitalmarktzin- sen. Griechenland, Irland und Portugal liegen jeweils hinter den Zielen ihres Anpassungsprogramms zurück. Das ist kein unglücklicher Zufall, sondern das zu erwar- tende ökonomische Ergebnis, wenn ein Land sich nicht am Kapitalmarkt finanzieren muss. Der ESM wird sich daher stetig ausweiten, schon bald die Rolle einer euro- päischen Schuldenagentur einnehmen und größeren Ka- pitalbedarf haben. Der ESM ist kein Rettungsschirm, sondern ein Ansteckungsmechanismus. Nicht das Fehlen der politischen Union bei Gründung der Währungsunion war der Fehler, sondern der ab- sichtsvolle Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im Jahr 2010. Dieser Rechtsbruch hat die aktuelle Krise ge- radezu ausgelöst. Mit dem ESM wird diese Krise nicht bekämpft, sondern die Saat gelegt, aus der die Schulden- und Transferunion heranwachsen wird. Die Haftungsge- meinschaft der ESM-Mitglieder ist nicht Zukunftsmusik, sondern Gegenwart; denn der ESM verfolgt ausweislich seines Vertragsstatuts nicht nur den Zweck, die Euro- Zone zu schützen, sondern auch die Finanzstabilität aller seiner Mitgliedstaaten. Der ESM wird dadurch die Staatsinsolvenz jedes einzelnen seiner Mitgliedstaaten verhindern und als gemeinsame Bank zur Staatsschul- denfinanzierung dienen. Dadurch werden Staatsinsol- venzen innerhalb der Euro-Zone faktisch unmöglich. Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr bankrott gehen können, dann kann nur noch der neue Euro-Staat als Ganzes bankrott gehen. Es ist daher ökonomisch un- vermeidlich, dass es zu einer Sozialisierung sämtlicher Staatsschulden der ESM-Mitgliedstaaten kommen muss. Dieser Sozialisierung des Insolvenzrisikos steht keine adäquate Möglichkeit gegenüber, die Haushalte der Mit- gliedstaaten zu kontrollieren; denn der Fiskalvertrag ist ein zahnloser Tiger, der als Medizin gegen die geradezu widersinnige Anreizsituation herhalten soll, Schulden auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten zu machen. Doch diese Medizin wird sich als wirkungslos erweisen. Es gibt nur ein einziges Mittel, das Regierungen und Parlamente zu einem verhandlungsbewussten Umgang mit den Staatsfinanzen veranlasst, nämlich die Drohung des Kapitalmarkts, Schulden nicht länger zu finanzieren. Doch genau dieses disziplinierende Mittel haben wir plangemäß und absichtlich abgeschafft. Die heutige Gründung des Euro-Staats als Haftungs- union mit dem Euro-Bonds ausgebenden ESM als seiner Schuldenagentur lehnen wir ab. Dieser Euro-Staat ist nicht demokratisch legitimiert, er hat kein Parlament, und seine Organe sind weitgehend einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Sein Machtzentrum ist eine Finanz- institution, deren Gremien von Mitgliedern der natio- nalen Exekutiven besetzt werden. Sie müssen sich ge- genüber dem deutschen Gesetzgebungsorgan nicht verantworten. Nicht einmal der deutsche Gouverneur muss sich dem Bundestag gegenüber verantworten, weil das Kabinett nur der Bundeskanzlerin verantwortlich ist. Eine politische Verantwortlichkeit ist daher nicht gege- ben. Sie genießen überdies eine weitgehende und völker- rechtlich abgesicherte strafrechtliche Immunität. Der ESM ist ausführendes Organ des neuen Euro-Staats, ähnelt in seiner Ausgestaltung aber einer herkömmlichen Bank. Seine Organe unterliegen einer Schweigepflicht, sein Archiv ist unverletzlich. In der Wirkung ist der ESM somit durch das Bankgeheimnis geschützt, wel- ches wir für alle anderen europäischen Banken abge- schafft haben. Der ESM darf nicht nur Kredite vergeben und Staatsanleihen aufkaufen, sondern alle Geschäfte in Bezug auf Anleihen durchführen. Damit kann er den Zins durch Geschäfte mit Derivaten auf Staatsanleihen beliebig manipulieren. Aufgekaufte Staatsanleihen darf er wiederum als Sicherheit hinterlegen, um sein Volu- men durch die Aufnahme weiterer Gelder am Kapital- markt zu hebeln. Seine Bediensteten zahlen keine Steu- ern. Sie dürfen nach Handelserfolg bezahlt werden, also umso höher, je größere Gewinne sie für den ESM am Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22797 (A) (C) (D)(B) Kapitalmarkt erzielen. Keines der vom ESM und seinen Bediensteten durchgeführten Geschäfte ist transparent oder in irgendeiner Weise kontrollierbar, sei es durch das Parlament oder die Justiz. Diese enorme Machtfülle eines Exekutivorgans ohne „checks and balances“ ist ein Rückfall in eine vormo- derne Staatsform. Sie ist ein veritabler Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze der Gewaltenteilung, die maßgebliches Kennzeichen unserer freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung sind. Wir kennen keine Um- stände, unter denen wir davon auch nur ein Jota abwei- chen dürften. Selbst in der Not gelten Gebote! Sogar und gerade in der Not müssen Gebote gelten; denn sie sollen genau in diesen schlechten Zeiten Orientierung geben. In der Krise unserer Währung darf nichts anderes gelten. Wenn die Ordnungsregeln der Währung gebrochen wer- den, dann bricht die Währung. Wir müssen daher ab- schließend festhalten: Wenn Währung, Recht und frei- heitlich-demokratische Grundordnung durch politisches Handeln gefährdet werden, dann ist dieses Handeln falsch. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Schieder (Weiden), Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe (Leipzig), Hilde Mattheis, Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Wir lehnen den Fiskalpakt ab, weil er politisch falsch, ökonomisch unsinnig und sozial ungerecht ist – und weil er zur Lösung der Euro-Krise nicht taugt. Wir nehmen die eindringlichen Warnungen vieler Ökonomen und führender Gewerkschafter, die sich besorgt an uns Bun- destagsabgeordnete gewandt haben, ebenso ernst wie diesbezügliche Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb stimmen wir beim Fiskalpakt mit Nein. Der Fiskalpakt verschärft deutlich die schon im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und ist deswe- gen ein problematischer Eingriff in die Haushaltsautono- mie von Bund und Ländern. Er bedeutet einen weiteren Schritt der Entdemokratisierung Europas: mehr Macht für die EU-Bürokratie ohne parlamentarische Gegenkon- trolle. Wir plädieren ausdrücklich für ein Europa der So- lidarität und für vertiefte Zusammenarbeit – die demo- kratisch und parlamentarisch legitimiert sein muss. Mit dem Fiskalpakt wird der Zwang zu Ausgabenkür- zungen in fast ganz Europa regelrecht institutionalisiert, die Frage gerecht organisierter Steuereinnahmen bleibt völlig ausgeklammert. Auch wir treten dafür ein, dass öffentliche Haushalte konsolidiert und zu hohe Staats- schuldenquoten wieder zurückgeführt werden. Ohne Wachstum geht das aber nicht. Der Fiskalpakt jedoch ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsfinanzen und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat auch noch drastisch kürzt, dann beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Unsere feste Überzeugung ist: Prozyklische Haushaltspolitik und anhaltende Aus- gabensenkungen führen Europa geradewegs in eine lange Phase von Stagnation und Rezession. Der Fiskal- pakt ist eine Wachstumsbremse! Entgegen den Erwar- tungen der Verfechter des Fiskalpakts wird die Staatsver- schuldung nicht sinken. Kurzum: Schuldenabbau geht nur anders, mit Wachstum, Investitionen, guter Arbeit und gerechten Steuern. Stattdessen wird mit dem Fiskalpakt ein Weg des So- zialabbaus, der Einschränkung öffentlicher Dienstleis- tungen, schlechterer Infrastruktur, darbender Kommu- nalfinanzen, zunehmender Armut und Ungleichheit vorgezeichnet. Und das als Kernstück europäischer Poli- tik! Unsere Vorstellung von Europa ist eine andere. Die Krise im Euroraum spitzt sich gefährlich zu. Er- sichtlich ist die Merkelsche Politik gescheitert. Ihre seit mehr als zwei Jahren verordnete Therapie macht den Pa- tienten nicht gesund, sondern kränker. Ganz Südeuropa stürzt immer mehr in den wirtschaftlichen und sozialen Ruin. Als Folge davon brechen jetzt deutsche Exporte ein, auch für Deutschland kommen die Einschläge näher. Falsche Diagnosen haben zu schädlichen Rezepten geführt. Nicht laxe Haushaltspolitik hat uns in die Krise getrieben; vor der Finanzkrise sind überall in Europa die Staatsschuldenquoten gesunken. Erst infolge der Finanz- krise und der notwendigen Rettungsmaßnehmen der Staaten gingen die Defizite in die Höhe. Dass die Anle- ger Staatsanleihen nicht mehr trauen, liegt nicht an unso- lider Haushaltspolitik, sondern daran, dass die gemein- same Garantie der Staatsanleihen – zusammen mit der Zentralbank, wie das in allen Ländern der Fall ist (!) – ausdrücklich politisch verweigert wird. Das muss sich dringend ändern, und das fordern wir. Die Währungsunion braucht eine Wachstumsperspek- tive. Das wird zunehmend erkannt. Doch Wachstumspla- cebos, die mit künstlich aufgeblähten Zahlen kommuni- ziert werden, überzeugen uns nicht. Wer Wachstum will, 22798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) muss die völlig überzogenen und deswegen kontrapro- duktiven Konsolidierungsprogramme für die Südeuro- päer zeitlich strecken, damit die Ökonomien dort wieder atmen können. Wer Wachstum will, muss – gerade weil auch Deutschland mit Niedriglohnpolitik zu erheblichen Ungleichgewichten in der Währungsunion beigetragen hat – in Deutschland dafür sorgen, dass es ordentliche Löhne und mehr Binnennachfrage gibt. Genau dafür tre- ten wir ein. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Süßmair und Katrin Werner (beide DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, wollen 17 Länder der Euro-Zone eine neue Finanzinstitu- tion gründen, die Staaten und Banken in finanziellen Notsituationen mit Milliardenkrediten helfen soll. Er soll eine Ausleihkapazität von 500 Milliarden Euro bekom- men, während sich die Unterzeichner für insgesamt 700 Milliarden Euro haftbar machen. Der deutsche An- teil beläuft sich auf 21,7 Milliarden Euro, die binnen fünf Jahren eingezahlt werden müssen, und 168,3 Mil- liarden Euro, für die Deutschland haftet. Ich lehne den ESM aus den folgenden Gründen ab: Erstens. Die Risiken, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern durch den ESM aufgebürdet werden, sind gigantisch: Der Anteil des deutschen Haftungsanteils in Höhe von insgesamt 190 Milliarden Euro entspricht etwa zwei Dritteln des Bundeshaushalts. Das Stamm- kapital von anfänglich 700 Milliarden Euro kann darüber hinaus jederzeit durch einen Beschluss des Gouverneurs- rats und die Zustimmung der Mitgliedsländer ausgewei- tet werden. Zweitens. Die sogenannten Hilfsgelder, die der ESM in Zukunft auszahlen soll, kommen nicht der Bevölke- rung zugute, sondern werden für Zins- und Tilgungszah- lungen der Staaten an Banken und andere Gläubiger auf- gewendet werden. An keiner Stelle sind in dem Vertrag Klauseln vorgesehen, die die Empfänger der Hilfsgelder dazu verpflichten, soziale Standards einzuhalten. Der ESM ist also ein weiteres Instrument zur Rettung von Banken und der Vermögen von Superreichen – und nicht zur Unterstützung der Menschen. Drittens. Beantragt ein Land Gelder aus dem ESM, so muss es den undemokratischen und unsozialen Fiskal- pakt ratifiziert haben und sich zu rigiden Auflagen ver- pflichten, die von der EU-Kommission, der Europäi- schen Zentralbank, EZB, und nach Möglichkeit dem Internationalen Währungsfonds, IWF, diktiert werden, Art. 13.3. Die dramatischen Folgen dieses Spardiktats können wir aktuell In Griechenland beobachten. Viertens. Beim ESM ist praktisch keine parlamenta- rische Kontrolle vorgesehen. Während in dem Vertrag explizit begrüßt wird, Vertreterinnen und Vertreter des IWF einzuladen, werden Vertreterinnen und Vertreter der Parlamente ausgeschlossen. Die Entscheidungen des ESM werden durch den Gouverneursrat, also allein durch die Exekutive, getroffen, eine effektive parlamen- tarische Kontrolle ist dadurch unmöglich. Fünftens. Dem ESM wird volle Immunität gegenüber Gerichten und Parlamenten zugesichert, während alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegen. Dadurch wird eine öffentliche Kontrolle der Entscheidungen des ESM verunmöglicht. Sechstens. Genauso wie im Fiskalpakt, ist im ESM- Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit für einzelne Ver- tragspartner vorgesehen. Dem ESM soll damit ebenfalls eine Ewigkeitsgarantie gegeben werden, die demokra- tischen Grundsätzen Hohn spricht. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22799 (A) (C) (D)(B) am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, wollen 17 Länder der Euro-Zone eine neue Finanz- institution gründen, die Staaten und Banken in finanziel- len Notsituationen mit Milliardenkrediten helfen soll. Er soll eine Ausleihkapazität von 500 Milliarden Euro be- kommen, während sich die Unterzeichner für insgesamt 700 Milliarden Euro haftbar machen. Der deutsche An- teil beläuft sich auf 21,7 Milliarden Euro, die binnen fünf Jahren eingezahlt werden müssen, und 168,3 Mil- liarden Euro, für die Deutschland haftet. Ich lehne den ESM aus den folgenden Gründen ab: Erstens. Die Risiken, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern durch den ESM aufgebürdet werden, sind gigantisch: Der Anteil des deutschen Haftungsanteils in Höhe von insgesamt 190 Milliarden Euro entspricht etwa zwei Dritteln des Bundeshaushaltes. Das Stammka- pital von anfänglich 700 Milliarden Euro kann darüber hinaus jederzeit durch einen Beschluss des Gouverneurs- rats und der Zustimmung der Mitgliedsländer ausgewei- tet werden. Zweitens. Die so genannten Hilfsgelder, die der ESM in Zukunft auszahlen soll, kommen nicht der Bevölke- rung zugute, sondern werden für Zins- und Tilgungszah- lungen der Staaten an Banken und andere Gläubiger ver- wendet werden. An keiner Stelle sind in dem Vertrag Klauseln vorgesehen, die die Empfänger der Hilfsgelder dazu verpflichten, soziale Standards einzuhalten. Der ESM ist also ein weiteres Instrument zur Bankenrettung – und nicht zur Unterstützung der Menschen. Drittens. Beantragt ein Land Gelder aus dem ESM, so muss es den undemokratischen und unsozialen Fiskal- pakt ratifiziert haben und sich zu rigiden Auflagen ver- pflichten, die von der EU-Kommission, der Europäi- schen Zentralbank, EZB, und „nach Möglichkeit“ dem Internationalen Währungsfonds, IWF, diktiert werden (Art. 13 Abs. 3). Die dramatischen Folgen dieses Spar- diktats können wir aktuell in Griechenland beobachten. Viertens. Beim ESM ist keine parlamentarische Kontrolle vorgesehen. Während in dem Vertrag explizit begrüßt wird, Vertreterinnen und Vertreter des IWF ein- zuladen, werden Vertreterinnen und Vertreter der Par- lamente ausgeschlossen. Die Entscheidungen des ESM werden durch den Gouverneursrat allein durch die Exe- kutive getroffen; eine effektive parlamentarische Kon- trolle ist dadurch unmöglich. Fünftens. Dem ESM wird volle Immunität gegenüber Gerichten und Parlamenten zugesichert, während alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegen. Dadurch wird eine öffentliche Kontrolle der Entscheidungen des ESM verunmöglicht. Sechstens. Genauso wie der Fiskalpakt, ist im ESM- Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit für einzelne Ver- tragspartner vorgesehen. Dem ESM soll damit ebenfalls eine Ewigkeitsgarantie gegeben werden, die demokrati- schen Grundsätzen Hohn spricht. Anlage 15 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 897. Sitzung am 15. Juni 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- kel 93) – Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes – Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz – Gesetz zur Änderung des Transplantationsgeset- zes Der Bundesrat hat ferner die nachfolgende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat stellt mit Blick auf die unterschiedli- chen regionalen Strukturen, insbesondere im Kranken- haussektor, fest, dass die Berücksichtigung der spezifi- schen regionalen Gegebenheiten von großer Bedeutung ist, um den Organspendeprozess durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation und ihre regionalen Unter- gliederungen bestmöglich zu organisieren. Er bedauert, dass das Gesetz insofern hinter den Er- wartungen zurückbleibt, weil es eine regionale Flexibili- tät nicht in dem erforderlichen Maße gewährleistet. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, im Rahmen ihrer Möglichkeiten beiden Partnern des Vertrags nach § 11 TPG auf eine Vertragsänderung mit dem Ziel hinzuwirken, den regionalen Untergliederun- gen der Koordinierungsstelle in geeigneter Weise stär- kere Eigenverantwortlichkeit bei der Wahrnehmung der Aufgaben in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich einzuräumen. Insbesondere soll den regionalen Untergliederungen zur grundsätzlich eigenverantwortlichen Aufgabenerle- digung ein Regionalbudget, das mit entsprechender Budget- und Personalverantwortung verbunden ist, von der Koordinierungsstelle zugewiesen werden. Dabei sol- len im Vertrag nach § 11 TPG die Kompetenzen zwi- schen regionalen Untergliederungen und überregionaler Koordinierungsstelle sachgerecht austariert werden. 22800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, ihm inner- halb eines Jahres über ihre Bemühungen zu berichten. – Gesetz zur Errichtung eines Nationalen Waffen- registers (Nationales-Waffenregister-Gesetz – NWRG) – Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbst- ständigen Kraftfahrern – Gesetz zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopp- lungsgesetzes Ferner hat der Bundesrat die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Erstens. Der Bundesrat hält folgende weitergehende Maßnahme für geboten: Anhebung der maximalen Fördersumme für Wärme-/ Kältespeicher in § 7 b KWKG von 5 Millionen Euro je Projekt auf 10 Millionen Euro je Projekt. Zweitens. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Ver- zicht auf KWK-Zuschläge für Anlagen, die aus indus- trieller Abwärme Strom erzeugen – z. B. mit Hilfe von ORC-Anlagen –, große Abwärmemengen für die Strom- erzeugung weiterhin ungenutzt bleiben werden dürften. Der Bundesrat bedauert es auch, dass kein Technolo- giebonus für Brennstoffzellen als KWK-Anlagen ge- währt wird. Dieser hätte zu einer Marktdurchdringung und zu Skaleneffekten beitragen und somit dieser beson- ders effizienten Technologie zum Durchbruch verhelfen können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, inwieweit die genannten Technologien nicht doch noch bei einer zukünftigen Änderung des Kraft-Wärme- Kopplungsgesetzes berücksichtigt oder in Förderpro- gramme integriert werden können, um die damit verbun- denen Energieeffizienzpotenziale auszuschöpfen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die durch die Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Zweiter Integrationsindikatorenbericht – Drucksachen 17/8540, 17/8959 Nr. 1.2 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland – Drucksache 17/6927 – Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversi- cherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland – Drucksachen 17/8332, 17/8641 Nr. 1.7 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 17/8227 Nr. A.1 EP P7_TA-PROV(2011)0467 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/9475 Nr. A.11 EuB-BReg 31/2012 Drucksache 17/9475 Nr. A.12 EuB-BReg 32/2012 Innenausschuss Drucksache 17/9647 Nr. A.3 EP P7_TA-PROV(2012)0073 Drucksache 17/9647 Nr. A.5 Ratsdokument 9122/12 Finanzausschuss Drucksache 17/9475 Nr. A.13 Ratsdokument 7988/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.7 Ratsdokument 6898/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.8 Ratsdokument 8779/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/6176 Nr. A.10 EuB-BReg 163/2011 Drucksache 17/9475 Nr. A.14 Ratsdokument 7565/12 Drucksache 17/10069 Nr. A.1 KOM(2012)342 endg. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/6985 Nr. A.29 Ratsdokument 12046/11 Drucksache 17/9797 Nr. A.5 Ratsdokument 8427/12 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/8515 Nr. A.38 EP P7_TA-PROV(2011)0587 Drucksache 17/8515 Nr. A.39 EP P7_TA-PROV(2011)0589 Drucksache 17/8673 Nr. A.12 Ratsdokument 5166/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.13 Ratsdokument 5582/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.14 Ratsdokument 5733/12 Drucksache 17/9130 Nr. A.7 EP P7_TA-PROV(2012)0047 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22801 (A) (C) (D)(B) Drucksache 17/9252 Nr. A.8 Ratsdokument 7293/12 Drucksache 17/9475 Nr. A.18 Ratsdokument 8239/12 Drucksache 17/9475 Nr. A.19 Ratsdokument 8241/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.11 Ratsdokument 8552/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.12 Ratsdokument 8553/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.13 Ratsdokument 8554/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.14 Ratsdokument 8555/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.15 Ratsdokument 8556/12 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/9252 Nr. A.11 Ratsdokument 6893/12 188. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 44 Reform der Pflegeversicherung TOP 45 Wissenschaftsfreiheitsgesetz TOP 46 Stärkung der deutschen Finanzaufsicht TOP 47 Deutsche Bahn AG TOP 48 Steuerabkommen mit der Schweiz TOP 49 Tierschutz ZP 10, TOP 50 Regierungserklärung zur Stabilitätsunion, Fiskalvertrag und Europäischer Stabilitätsmechanismus Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718800000

Die Sitzung ist eröffnet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung will ich Ihnen Fol-
gendes bekannt geben: Der Kollege Garrelt Duin hat mit
Wirkung vom 21. Juni 2012 auf seine Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag verzichtet. Für ihn ist die Kollegin
Gabriele Groneberg nachgerückt.


(Beifall)


Im Namen des ganzen Hauses begrüße ich die neue Kol-
legin sehr herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.

Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung
darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen ab
dem 10. September keine Befragung der Bundesregie-
rung, keine Fragestunde und auch keine Aktuelle Stunde
durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von ein-
schließlich Montag, 10. September 2012, bis Freitag,
14. September 2012, festgelegt worden. Sind Sie damit
einverstanden? – Davon gehe ich aus. Dann verfahren
wir so.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 a bis d auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilde
Mattheis, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Für eine umfassende Pflegereform – Pflege als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe stärken

– Drucksache 17/9977 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und

Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegever-

(Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG)


– Drucksachen 17/9369, 17/9669 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit (14. Ausschuss)


– Drucksachen 17/10157, 17/10170 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Willi Zylajew


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/10166 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Karl
Ewald Schurer
Otto Fricke
Michael Leutert
Katja Dörner

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin
Senger-Schäfer, Diana Golze, Dr. Martina
Bunge, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Pflege tatsächlich neu ausrichten – Ein Le-
ben in Würde ermöglichen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Birgitt Bender, Markus Kurth,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Für eine grundlegende Reform der Pflege-
versicherung – Nutzerorientiert, solidarisch,
zukunftsfest

– zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Fritz Kuhn, Dr. Harald Terpe,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Versorgungslücke nach Krankenhausauf-
enthalt und ambulanter medizinischer Be-
handlung schließen

– Drucksachen 17/9393, 17/9566, 17/2924,
17/10157, 17/10170 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Willi Zylajew

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Bender, Fritz Kuhn, Elisabeth Scharfenberg, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt
aus der Reichsversicherungsordnung in das
Fünfte Buch Sozialgesetzbuch überführen und
zeitgemäß ausgestalten

– Drucksachen 17/5098, 17/9376 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Mechthild Rawert

Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Neuausrichtung der Pflegeversicherung werden wir spä-
ter namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Elke Ferner von der SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1718800100

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir

debattieren heute nicht nur über den Entwurf des Pflege-
Neuausrichtungs-Gesetzes der Bundesregierung, sondern
auch über einen Antrag der SPD-Fraktion. Ich möchte
mich aber trotzdem auf den Entwurf des Pflege-Neuaus-
richtungs-Gesetzes konzentrieren, weil wir heute darüber
namentlich abstimmen. Ich sage Ihnen: Diese sogenannte
Pflegereform der schwarz-gelben Regierung und der
schwarz-gelben Koalition ist ein Stück aus dem Tollhaus.


(Beifall bei der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]: Das sollten Sie so nicht sagen! – Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)


– Doch, Herr Lanfermann, es ist so. Zunächst herrscht
zwei Jahre Stillstand – erst unter Herrn Rösler und dann
unter Herrn Bahr –, dann wird ein Pflegereförmchen
vorgelegt, das die eigentlichen Probleme noch nicht ein-
mal ansatzweise löst. Die Definition des neuen Pflegebe-
dürftigkeitsbegriffs und der damit verbundenen Leistun-
gen wird sogar auf die nächste Wahlperiode verschoben.
Es gibt keine durchgreifenden Verbesserungen für de-
menziell Erkrankte. Das Thema Fachkräftemangel
kommt schlicht und ergreifend bei Ihnen nicht vor.

Weil es bei dieser Koalition kaum ein Gesetz gibt, das
nicht auch Geschenke für die eigene Klientel beinhaltet,
können sich die Versicherer auf den sogenannten Pflege-
Bahr freuen. Damit wollen Sie angeblich das Demogra-
fierisiko beseitigen. Wenn man aber genauer hinschaut,
dann erkennt man, dass das eine unglaubliche Täu-
schung ist. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ko-
alition, glauben nicht einmal selber, dass der Pflege-
Bahr überhaupt von jemandem in Anspruch genommen
wird. Zunächst sind 100 Millionen Euro für die Förde-
rung vorgesehen. Wenn man das einmal ausrechnet: Das
reicht gerade für 1,7 Millionen Verträge. Das sind
schlappe 2 Prozent aller 82 Millionen Versicherten. Das
ist ein Witz und hat mit Vorsorge überhaupt nichts zu
tun.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Betrachten wir das einmal anders herum: Was würde
es denn die Steuerzahler kosten, wenn alle 82 Millionen
Versicherten diese Förderung in Anspruch nehmen wür-
den? Dann wären wir bei 5 Milliarden Euro. Die Frage,
wo das Geld herkommen soll, beantworten Sie wie im-
mer überhaupt nicht.

Wir haben schon gestern bei der Debatte zum Betreu-
ungsgeld gehört, dass die Ausgaben dafür und weitere
mögliche Mehrausgaben irgendwie über globale Min-
derausgaben erwirtschaftet werden sollen. Damit kommt
man aber noch nicht einmal auf 5 Milliarden Euro. Wenn
jetzt noch zusätzliche 5 Milliarden Euro über globale
Minderausgaben erwirtschaftet werden sollen, werden
sich die anderen Ressorts vermutlich riesig freuen. Herr
Ramsauer beispielsweise könnte dann weniger Straßen
bauen, oder Frau von der Leyen könnte weniger für Be-
hinderte tun. Das wird noch eine nette Diskussion wer-
den.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie hätten mal an den Beratungen teilnehmen sollen! Sie waren doch bei keiner Sitzung dabei! Sie sind nie dabei! Sie kommen doch nie zu den Sitzungen!)


– Herr Lanfermann, regen Sie sich doch nicht so auf! –
Es geht doch darum, dass die Leistungen aus der Pflege-
versicherung jetzt noch zusätzlich ergänzt werden müs-
sen. Das wiederum ist der Einstieg in eine Kopfpau-
schale, ein Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen
Finanzierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Bei keiner Anhörung dabei gewesen!)






Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)


Das ist schwarz-gelbe Klientelpolitik, weg von der Soli-
darität, hin zur Individualisierung von Risiken, die ei-
gentlich paritätisch abgesichert werden müssten.

Wenn ich darüber nachdenke, wie das Ganze einmal
aussehen könnte, dann kann ich Ihnen schon jetzt pro-
phezeien: Ganz gezielt werden alle Mühseligen und Be-
ladenen in einen Basistarif hineingesteuert. Die privaten
Versicherer haben bereits mit dem Basistarif in der pri-
vaten Krankenversicherung geübt; und genau so wird
das beim geförderten Tarif auch werden. Diejenigen, die
einigermaßen gesund sind, werden in einen Tarif gesteu-
ert, bei dem es keine Förderung gibt, der aber billiger
sein wird als der Tarif, der gefördert wird.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist alles freiwillig!)


Der geförderte Tarif wird ein toter Tarif werden, weil
kaum jemand in diesen Tarif hineingeht; denn er wird
nicht mehr bezahlbar sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Keine Ahnung!)


Schauen Sie doch einmal, was eine private Zusatz-
pflegeversicherung heute kostet: Sie kostet für einen
50-jährigen Mann 35 Euro; für die gleichaltrige Frau
kostet sie bereits mehr als 50 Euro. Das heißt aber auch:
Der Krankenpfleger zahlt genauso viel wie der Chefarzt,
und die Krankenschwester zahlt sogar noch mehr als der
Chefarzt. Was daran gerecht sein soll, das entzieht sich
meinem Verständnis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Wie an der Tankstelle!)


Während der Finanzkrise haben wir ja gelernt, dass
die kapitalgedeckten Systeme eben nicht die wirklich
vorteilhaften Systeme waren; das waren vielmehr die
umlagefinanzierten. Selbst Herr Spahn hat sich vor einer
Woche noch darüber beklagt, dass die Beiträge in der
privaten Krankenversicherung so enorm steigen. Da
muss ich Sie doch fragen, Herr Spahn: Wie kommen Sie
denn überhaupt auf die Idee, ausgerechnet heute diesem
Pflege-Bahr zuzustimmen, obwohl doch erkennbar ist,
dass diese Systeme nicht dazu taugen, zukünftige Risi-
ken abzusichern?


(Beifall bei der SPD)


Ich sage Ihnen: Die Kopplung, die jetzt vorgenom-
men wurde – nämlich Pflege-Bahr für Betreuungsgeld –,
wird nicht funktionieren. Ich bin einmal gespannt, ob die
FDP, der Sie die Zustimmung zum Betreuungsgeld mit
dieser Kopplung abgekauft haben, nach der Sommer-
pause auch noch zu dieser Position stehen wird. Das
werden wir ja sehen.

Eines ist aber sicher: Wir brauchen weder den Pflege-
Bahr noch das Betreuungsgeld, und die zuständigen
Minister brauchen wir genauso wenig.


(Heiterkeit bei der SPD – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Oh!)


Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718800200

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Aschenberg-

Dugnus von der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1718800300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

heute zu beschließende Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz
wird sehr viele Pflegebedürftige besserstellen, ganz be-
sonders Demenzkranke. Das ist das, was die Menschen
wirklich interessiert, Frau Ferner, und nicht Ihre theore-
tischen Abhandlungen darüber, was möglicherweise al-
les nicht klappen könnte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Deshalb erhalten Sie auch so viel Zuspruch von den Wohlfahrtsverbänden!)


Mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket richten
wir die Pflege neu aus. Wir beschließen heute erstmals
die Einführung von eigenständigen Leistungen für De-
menzkranke ab Pflegestufe 0 im Vorgriff auf den neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriff. Das sind ganz konkret zum
Beispiel bis zu 1 250 Euro für Sachleistungen in Pflege-
stufe II oder Pflegegeld in Höhe von 525 Euro. Und
auch das interessiert die Menschen: Sie wollen konkrete
Angaben darüber, was wir mit diesem Gesetz ausrichten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf beinhaltet auch mehr Wahlmög-
lichkeiten durch die Flexibilisierung des Leistungsrechts.
Die Angehörigen selbst sollen entscheiden können, wel-
che individuellen Leistungskomplexe oder Zeitkontin-
gente sie zur Versorgung ihrer Familienmitglieder haben
wollen. Wer Kinder hat, der weiß, was es bedeutet, den ei-
genen Beruf, Schule, Sport und Freizeit der Kinder zu ko-
ordinieren. Wer zudem noch einen Angehörigen pflegt
und diese wichtige Aufgabe meistert, weiß, dass man sei-
nen Angehörigen mitunter ungern alleine lässt, um die
Kinder zum Beispiel zum Fußballtraining zu bringen.
Kann man sich jedoch für ein Zeitkontingent zur Betreu-
ung des altersverwirrten Vaters entscheiden, ist nicht nur
das möglich. Auch zum Beispiel ein notwendiger Behör-
dengang oder der Einkauf im Supermarkt sind noch drin,
wenn man weiß, dass der altersverwirrte Vater vom am-
bulanten Pflegedienst gut versorgt wird. Das ist es, was
die Menschen interessiert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Dyckmans [FDP]: Das ist soziale Politik!)


Mit dieser Flexibilisierung wollen wir erreichen, dass
Angehörigenpflege, Kinder, Familienleben und Beruf
unter einen Hut zu bringen sind. Pflege kann nun indivi-
dueller gestaltet werden. Das ist auch im Sinne der Pfle-





Christine Aschenberg-Dugnus


(A) (C)



(D)(B)


gekräfte, die nicht länger innerhalb eines starren Zeitkor-
setts Pflege im Akkord leisten müssen.

Unser Gesetzentwurf bietet aber noch viel mehr.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mehr?)


Ich will nur einige Punkte nennen. Wir schaffen unnütze
Bürokratie ab,


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist doch nur eine Behauptung!)


wir optimieren und beschleunigen den Begutachtungs-
prozess und die Pflegeberatung; denn nur wer gute Bera-
tung erhält, kann fundierte Entscheidungen über die
Pflegeleistungen treffen. Wir fördern und erproben alter-
native Wohnformen, was für die Zukunft ganz wichtig
ist, wir verbessern die ärztliche und zahnärztliche Ver-
sorgung in stationären Pflegeeinrichtungen, und wir sor-
gen dafür, dass mehr Geld für die Pflege Demenzkranker
in den Heimen zur Verfügung steht.

Uns ist es besonders wichtig, dass das Ganze bezahl-
bar bleibt. Mit der Anhebung der Beiträge um 0,1 Pro-
zentpunkte stellen wir sicher, dass alle diese Leistungs-
verbesserungen seriös finanziert sind. Ebenso wichtig ist
es uns, dass die Pflegeleistung auch in Zukunft bezahl-
bar bleibt; denn die Pflegeversicherung ist – das wissen
wir alle – nur eine Teilabsicherung. Mit einem Zuschuss
von 60 Euro im Jahr oder 5 Euro im Monat wollen wir
einen Anreiz für die Bürger schaffen – das alles ist frei-
willig –, um für den Fall, dass man selbst pflegebedürf-
tig wird, vorzusorgen. Das lohnt sich. Der Zuschuss wird
unabhängig vom Einkommen gewährt und steht jedem
offen, weil es einen Kontrahierungszwang gibt, also
keine Risikoprüfung.

Im Gegensatz zum Riestern ist das Ganze auch
schlank und bürokratiearm;


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Elke Ferner [SPD]: Die Verwaltungskosten bei den privaten Versicherungen sind ganz niedrig? Wo leben Sie denn eigentlich?)


denn der Versicherer ruft den Zuschuss ohne Zutun des
Versicherten direkt beim Staat ab. Das ist der große Vor-
teil gegenüber der steuerlichen Absetzbarkeit. Diese
hätte ein Mehr an Bürokratie bedeutet und all diejenigen
ausgeschlossen, die kaum oder gar keine Steuern zahlen.
Uns war besonders wichtig, dass dieser Zuschuss jedem
Bürger zusteht. Ein weiterer Vorteil: Das Geld ist vor
dem Zugriff des Staats geschützt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Aber nicht vor dem Zugriff der Finanzmärkte!)


Unser Angebot richtet sich gerade an die jüngere Ge-
neration, die Generation, die am stärksten vom demogra-
fischen Wandel betroffen ist. In der Anhörung des Ge-
sundheitsausschusses wurde uns bestätigt, dass wir
attraktive und kostengünstige Produkte durch die Versi-
cherungen anbieten werden. Gerade für junge Menschen
wird es sehr interessant sein, zusätzlich vorzusorgen. Zu
der Kritik, die Sie in den letzten Tagen geäußert haben,

kann ich nur sagen: Sie haben es einfach nicht verstan-
den. Die Privatvorsorge ist auf die Zukunft ausgerichtet.


(Hilde Mattheis [SPD]: Für die Zukunft der privaten Versicherungen! – Elke Ferner [SPD]: Das glauben doch nicht einmal Sie!)


Das bringt deutlich mehr als Ihr Märchen von der Bür-
gerversicherung, mit dem Sie hier immer wieder ankom-
men. Damit doktern Sie nur im Hier und Jetzt herum,
und es bringt überhaupt nichts, um zukünftig für Genera-
tionengerechtigkeit zu sorgen.

Ich verstehe ja, dass die Opposition kritisieren muss.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das verstehe ich überhaupt nicht!)


Erkennen Sie aber bitte an, dass es den Pflegebedürfti-
gen ab dem 1. Januar 2013 erheblich bessergehen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz schafft Leistungs-
verbesserungen, mehr Wahlmöglichkeit, es ist seriös fi-
nanziert und zukunftsfest. Das Gesetz sorgt punktgenau
und zielgruppenscharf für Verbesserung im Sinne der
Pflegebedürftigen, der Angehörigen und der Pflege-
kräfte.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Bis auf das Muss!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718800400

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Kathrin Senger-Schäfer.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718800500

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die

Linke wird den Entwurf des Pflege-Neuausrichtungs-
Gesetzes ablehnen, und das hat gewichtige Gründe.

Das Pflegerisiko wird erstens privatisiert. Die Pflege-
vorsorge werfen Sie dem Markt zum Fraß vor. Frau
Aschenberg-Dugnus, Pflege wird nicht individueller,
sondern das Risiko wird individueller, und das ist das
Problem.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie haben es nicht verstanden!)


– Doch, ich habe das sehr wohl verstanden.

Zweiter Grund: Die Bundesregierung kann oder will
den neuen Pflegebegriff nicht umsetzen.


(Beifall bei der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


Beides ist ein Armutszeugnis und disqualifiziert fachlich
auf ganzer Linie.





Kathrin Senger-Schäfer


(A) (C)



(D)(B)


Drittens. Dieses Gesetz bringt erhebliche Verschlech-
terungen für die Beschäftigten in den Pflegeberufen. Das
ist schäbig; denn in diesem Bereich erleben wir derzeit
einen Fachkräftemangel, der uns noch das Genick brechen
wird, wenn hier kein Umdenken einsetzt.

Was wir den Menschen im Land sagen müssen, was
viele wirklich nicht wissen, ist: Schwarz-Gelb treibt
das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz im Schweinsgalopp
durchs Parlament,


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was?)


nach dem Motto: Geschwindigkeit statt Sachverstand,
Herr Spahn.


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Wie viele Wochen haben wir darüber gesprochen?)


Das ist abenteuerlich und aus demokratischer Sicht
höchst fragwürdig.

Was ist denn der Kern des Problems? Die Pflegever-
sicherung ist, wie wir gehört haben, nur eine Teilkosten-
absicherung. Das war von Anfang an aus Kostengründen
so gewollt. Das Verheerende ist, dass viele Menschen
gar nicht wissen, was das heißt. Das heißt nämlich, dass
sie einen immer größeren Teil der Pflegekosten aus dem
eigenen Geldbeutel bezahlen müssen, und das können
viele nicht. Was ist die Folge? Wer arm und pflegebe-
dürftig ist, muss aus Kostengründen von den Angehöri-
gen gepflegt werden. Und dabei geht es um Müssen und
nicht um Wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer niemanden hat, der die Pflege übernehmen kann,
muss auf Sozialhilfe zurückgreifen. Das ist immer häufi-
ger der Fall, obwohl die Pflegeversicherung genau das
verhindern sollte. Die Frage ist: Wie lange wird das noch
funktionieren, wenn beispielsweise die Kommunen, die
Träger der Sozialhilfe sind, finanziell mit dem Rücken
zur Wand stehen? Sie, meine Damen und Herren von der
Koalition, schaffen keine Abhilfe, auch wenn Sie uns
das mit dem Pflege-Riester vorgaukeln wollen.


(Elke Ferner [SPD]: Pflege-Bahr, bitte! So viel Zeit muss sein!)


Im Gegenteil: Er dient einzig und allein der Demontage
des Sozialstaates, und das werden wir Ihnen nicht durch-
gehen lassen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Ich warne Sie an dieser Stelle ausdrücklich: Wer den So-
zialstaat aushebelt, legt die Axt an die Wurzeln der De-
mokratie.


(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ CSU]: Sie müssen es ja wissen!)


– Ja, besser als Sie, Herr Spahn. Hören Sie einmal gut
zu.

Wie Ihnen Fachleute, beispielsweise vom Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung, von Sozialverbänden
und Gewerkschaften attestieren, ist Ihre Pflegezusatz-
versicherung im Ergebnis sozial ungerecht und völlig
unsinnig; denn die privaten Versicherer orientieren sich
natürlich an knallharten Renditen. Das entspricht ihrem
Wesen, weil sie privatwirtschaftliche Unternehmen sind.
Geringverdienende und Menschen mit einem höheren
Pflegerisiko können sich eine Pflege-Riester-Versiche-
rung gar nicht leisten. Wie sollen beispielsweise Friseu-
rinnen in Berlin – hören Sie gut zu –, die durchschnitt-
lich brutto 961 Euro verdienen, neben allen anderen
Abgaben auch noch die Beiträge für den Pflege-Riester
schultern? Selbst nach Abzug des Zuschusses in Höhe
von 5 Euro bleiben monatliche Beiträge, die locker rund
50 Euro betragen.

Bei der Riester-Pflege folgt man dem Aschenputtel-
Prinzip: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins
Kröpfchen. Das führt weder zu langfristiger Sicherheit
noch zu bezahlbaren Beiträgen. Besserverdienern und
Gesunden ist es dagegen natürlich möglich, auf günsti-
gere, nicht geförderte Produkte zurückzugreifen. Das
führt am Ende zu einer Zweiklassenpflege, und genau
das will die Linke verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das
bestreiten auch Sie nicht, meine Damen und Herren von
der Union und von der FDP. Aber warum bekommt die
private Versicherungsindustrie die Möglichkeit, ihre
Profite auf dem Rücken der gesamten Gesellschaft und
auf Kosten der Solidarität zu sichern?


(Heinz Lanfermann [FDP]: Mein Gott!)


Erklären Sie uns das.

Wie sieht es eigentlich mit den Beschäftigten aus,
zum Beispiel mit denen, die eine anspruchsvolle Pflege-
ausbildung absolvieren, aber bereits jetzt für sich keine
Zukunft im Bereich der Pflege sehen, weil die erlernten
guten Pflegekonzepte aufgrund des Personalmangels
und der extremen Arbeitsbedingungen gar nicht umsetz-
bar sind? Hier soll fortan nicht mehr die Zahlung einer
ortsüblichen Vergütung, sondern der Pflegemindestlohn
ausreichend sein.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wollten doch immer Mindestlohn!)


Damit wird – ich betone das – die unterste Haltelinie, die
Lohndumping eigentlich verhindern sollte, zum Instru-
ment für Lohndrückerei missbraucht.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist so ein Humbug!)


Das ist ein unglaublicher Schlag ins Gesicht aller Pflege-
kräfte.


(Beifall bei der LINKENJens Spahn [CDU/ CSU]: Entweder Sie haben keine Ahnung oder Sie sagen das wider besseres Wissen!)


– Sie sind gleich dran. Dann können Sie Ihre Argumente
vortragen.





Kathrin Senger-Schäfer


(A) (C)



(D)(B)


Die Linke fordert – hören Sie bitte zu –: Die Leistun-
gen der Pflegeversicherung müssen umfassend ausge-
baut werden und sich perspektivisch am individuellen
Bedarf orientieren. Das will ich ausdrücklich betonen;
denn dafür steht die Linke. Der Teilkaskocharakter ge-
hört abgewickelt, nicht die umlagefinanzierte soziale
Pflegeversicherung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jeder bekommt seins aus dem Haushalt!)


Dafür muss es eine gerechte und stabile Finanzierung
geben. Das wissen wir. Wir haben die solidarische Bür-
gerinnen- und Bürgerversicherung durchrechnen lassen.
Es gibt ein Gegenkonzept. Wir brauchen keinen christ-
lich-liberalen Rohrkrepierer, der die Ungleichheit in der
Pflege zementiert.


(Beifall bei der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben die Millionärsteuer vergessen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718800600

Jetzt hat das Wort der Kollege Jens Spahn für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1718800700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn es hier ein Stück aus dem Tollhaus gibt, liebe Kol-
legin Ferner, dann ist es das, was Sie hier gerade vorge-
tragen haben. Erst einmal zum Zeitplan: Die erste Le-
sung war im April. Wir haben im ganzen letzten Jahr
– auch hier im Deutschen Bundestag – mehrfach über
Pflege debattiert. Da konnte es Ihnen mit einer Pflege-
reform gar nicht schnell genug gehen. Hier jetzt zu be-
haupten, wir hätten das durchs Parlament gepeitscht, ist
ein Witz, so wie Ihre ganze Rede.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heinz Lanfermann [FDP]: Sie war ja auch nie dabei!)


Ein Stück aus dem Tollhaus, Frau Kollegin Ferner, ist
vor allem gewesen, dass Sie gesagt haben, es würde sich
nichts für die Menschen verbessern. Werfen Sie einmal
einen Blick in den Gesetzentwurf, und schauen Sie sich
an, welche Verbesserungen für die Menschen dort vorge-
sehen sind. Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, dass Sie
sagen, es gebe keine Verbesserung für Menschen, die zu
Hause pflegen, für pflegende Angehörige und für de-
menziell Erkrankte. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus;
da haben Sie recht.


(Elke Ferner [SPD]: Ich habe gesagt, dass es keine durchgreifenden Verbesserungen gibt! Sie müssen schon zuhören, Herr Spahn!)


Wir setzen hier zusätzliches Geld ein, vor allem für
Menschen mit Demenz. Wir werden pflegende Angehö-
rige besser unterstützen, damit sie die Gelegenheit haben,
eine Auszeit zu nehmen, damit sie sich erholen können.
Denn es ist eine enorme psychische und physische Be-
lastung, zu Hause zu pflegen. Jeder, der das in seiner Fa-
milie einmal erlebt hat, weiß, was das im konkreten All-
tag bedeutet und dass dort dringend Unterstützung nötig

ist, dass insbesondere auch die Möglichkeit gegeben
werden muss, einmal eine Auszeit zu nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Wer bestreitet das denn?)


– Wir regeln das jetzt, und Sie sagen, das sei ein Stück
aus dem Tollhaus und ein Schlag ins Gesicht der Men-
schen. Das wurde hier gerade gesagt.

Das Gleiche gilt für die neuen Wohnformen. Die
Menschen möchten – das zeigen alle Umfragen –, so
lange es geht, zu Hause leben und zu Hause gepflegt
werden.


(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist doch unbestritten!)


Sie möchten, wenn es sich eben vermeiden lässt, nicht in
eine stationäre Einrichtung. Deswegen fördern wir neue
Wohnformen. Wir wollen es den Pflegebedürftigen er-
möglichen, in Wohngemeinschaften zusammenzuleben
und dort ambulant betreut zu werden. Wir legen hierzu
ein Maßnahmenprogramm auf. Sie kritisieren das hier
als ein Stück aus dem Tollhaus. Erklären Sie einmal den
Menschen, was Sie hier gerade gesagt und wie Sie bes-
sere Leistungen abqualifiziert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Ebenso ist im Gesetzentwurf eine Verbesserung für
die stationären Einrichtungen vorgesehen. Auch das ha-
ben Sie mit keinem Wort gewürdigt. Vor allem in den
stationären Einrichtungen leben immer mehr Menschen
mit schwerster Demenz, die schwerstpflegebedürftig
sind; der Anteil dort steigt sehr stark. Deswegen sehen
wir insbesondere bei der ärztlichen und zahnärztlichen
Versorgung in den Pflegeheimen eine Verbesserung vor.
Es wird zum Teil immer schwieriger, am Wochenende
einen Arzt zu finden, der bereit ist, einen Hausbesuch zu
machen. Die zahnärztliche Versorgung im Pflegeheim ist
schwierig, weil der Zahnarzt beim Hausbesuch die Aus-
rüstung mitbringen muss. Deswegen gibt es in diesem
Bereich eine zusätzliche Unterstützung.

Wir verbessern den sogenannten Betreuungsschlüssel,
das heißt, es gibt mehr Personal für Menschen mit De-
menz, die nicht nur für die Pflege, sondern auch für die
Betreuung zur Verfügung stehen, die also die Patienten
zum Beispiel in den Arm nehmen, mit ihnen spazieren
gehen und Gespräche führen. Vor allem sorgen wir dafür
– das haben Sie nicht verstanden; deswegen habe ich ge-
rade den Zwischenruf gemacht –, dass die Bezahlung der
Pflegekräfte tendenziell besser wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Indem wir in den Verhandlungen mit den Pflegekassen
und den Sozialhilfeträgern sagen, dass eine tarifliche Be-
zahlung nicht als unwirtschaftlich gelten kann, setzen
wir als Gesetzgeber ein deutliches Zeichen, dass wir eine
tarifliche Bezahlung für die Pflegekräfte wollen und dass
wir sie bei ihrer schweren Tätigkeit unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)


Deswegen ist dieser Gesetzentwurf gerade für diejeni-
gen, die in Pflegeeinrichtungen tätig sind, ein wichtiges
Zeichen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718800800

Herr Kollege Spahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Seifert?


Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1718800900

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718801000

Bitte schön, Herr Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718801100

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Spahn,

Sie haben uns ja gerade geschildert, was Sie alles Tolles
machen wollen, insbesondere für Menschen mit Demenz
und andere Pflegebedürftige. Sie haben ausgeführt, wie
wichtig es ist, sich um die Betroffenen auch emotional
zu kümmern und mit ihnen zu reden. Sie wissen so gut
wie ich, dass das in der Praxis bzw. im Alltag im Heim
fast nicht möglich ist. Jetzt frage ich Sie: Wieso scheuen
Sie die Einführung des neuen Pflegebegriffs, den es be-
reits gibt, wie der Teufel das Weihwasser?


(Kathrin Senger-Schäfer [DIE LINKE]: So ist es! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil die Wissenschaftler sagen, man braucht noch zwei Jahre, um das praktisch umsetzen zu können!)


Der neue Pflegebegriff ist die Voraussetzung dafür,
dass man sich mehr in Richtung Teilhabe orientiert, dass
es also nicht nur darum geht, die Menschen zu pflegen
– mit dem Ziel, dass sie satt, sauber und still sind –, son-
dern dass man ihnen auch ermöglicht, am Leben der Ge-
meinschaft teilzuhaben, auch außerhalb des Heimes.
Diesen Schritt scheuen Sie wie der Teufel das Weihwasser.
Warum? Sie brauchen doch nur den neuen Pflegebegriff
einzuführen und dann entsprechende Ableitungen vorzu-
nehmen. Das tun Sie aber nicht.


(Beifall bei der LINKEN – Elke Ferner [SPD]: Gute Frage!)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1718801200

Das Gegenteil ist der Fall;


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Wo denn?)


das wissen doch eigentlich auch Sie, Herr Seifert.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ich? Nein!)


Der Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbe-
griffs hat ein erstes Gutachten erstellt, in dem er die
Grundzüge des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs be-
schreibt und die Wege, die man gehen kann, aufzeigt.
Aber in der Pflegeszene und in der Pflegewissenschaft
gibt es niemand Sachkundiges,


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aber in der Praxis!)


der sagt, dass man auf Grundlage dieses Gutachtens ein-
fach so den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff umsetzen
kann.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es! – Elke Ferner [SPD]: Sie haben das zwei Jahre liegen lassen! Sagen Sie das doch dazu, Herr Spahn!)


Selbst die ehemalige Bundesgesundheitsministerin
Schmidt hat im Dezember letzten Jahres gesagt, dass
man noch mindestens zwei bis drei Jahre braucht, bis
man so weit ist, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff
einführen zu können.


(Elke Ferner [SPD]: Die haben Sie gerade verpennt! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Nehmen Sie doch ein Megafon, Frau Ferner! – Gegenruf der Abg. Elke Ferner [SPD]: Ich brauche kein Megafon!)


Unser Kollege Wolfgang Zöller arbeitet zusammen
mit Herrn Voß, sehr vielen Sachverständigen aus der
Pflege, Pflegewissenschaftlern und anderen daran, eine
neue Einstufung vorzunehmen, die auch demenzielle Er-
krankungen besser als bisher berücksichtigt. Wir leisten
die dafür nötigen Vorarbeiten, und zwar mit sehr viel
Energie. Der Beirat tagt regelmäßig. Wahrscheinlich
werden uns bald Ergebnisse vorliegen. Sie sollten das
nicht abqualifizieren. Denn Sie wissen so gut wie ich:
Diese Vorarbeiten sind nötig, um sicherzustellen, dass
der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff vernünftig umge-
setzt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sorgen mit diesem Gesetz für Verbesserungen für
Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige. Es
kommt zu einer stärkeren Förderung neuer Wohnformen.
So tragen wir dazu bei, dass mehr Menschen zum Bei-
spiel in Wohngemeinschaften zusammenleben und ihren
Alltag besser organisieren können. Außerdem kommt es
zu Verbesserungen im Hinblick auf die stationären Ein-
richtungen, was die ärztliche und zahnärztliche Versor-
gung angeht, und insbesondere im Hinblick auf die Pflege-
fachkräfte.

Man kann natürlich sagen, das alles sei zu wenig. Als
Opposition kann man immer fordern, dass dafür noch
mehr Geld zur Verfügung gestellt werden muss. Aller-
dings sagen Sie nie, wie das finanziert werden soll.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Doch! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich sagen wir das!)


Auch von der Opposition hätte man erwarten können,
dass Sie mit einem Satz anerkennen, welche Verbesse-
rungen dieses Gesetz insbesondere für die vielen Millio-
nen Menschen, die in der Pflege tätig sind, die zu Hause
pflegen oder pflegebedürftig sind, mit sich bringt. Die
Menschen jedenfalls haben mehr davon, dass wir ihnen
mit diesem Gesetz in ihrem Alltag konkret helfen, als
von den Luftschlössern, die Sie regelmäßig bauen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)


Das Gleiche gilt im Prinzip auch für die Pflegevor-
sorge. Die Pflege ist im Grunde die gesellschaftspolitische
Herausforderung für dieses Land. Dieses Thema ist eine
Herausforderung für jede Familie. Nicht jeder hat Kin-
der, aber jeder hat Eltern. Jeder weiß, dass dieses Thema
in der eigenen Familie früher oder später wahrscheinlich
auf der Tagesordnung steht, weil zum Beispiel der Le-
benspartner oder die Eltern betroffen sind.

So wie sich jede Familie Gedanken darüber machen
muss, wie sie mit einer solchen Situation umgeht, und
zwar idealerweise schon sehr früh – man schiebt dieses
Thema ja immer weit von sich weg –,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja!)


so müssen auch wir uns in Deutschland, und zwar als
Gesellschaft, Gedanken darüber machen, wie wir für
eine Zeit – ich spreche jetzt von den Jahren 2025, 2030
und 2035 – Vorsorge betreiben, von der wir schon jetzt
wissen, dass es dann sehr viele über 80-Jährige und sehr
viele Pflegebedürftige in Deutschland geben wird. Ich
finde es, gerade im Interesse der Pflegebedürftigen des
Jahres 2035, verantwortungsvoll, sich Gedanken darüber
zu machen, wie man die Pflege dann noch finanzieren
kann. Deswegen wollen wir Anreize für eine stärkere
private Vorsorge in diesem Bereich setzen.

Eines verschweigen Sie in Ihren Reden – Sie haben
gerade schon wieder gesagt, das sei eine Privatisierung
des Risikos –:


(Elke Ferner [SPD]: Ist es doch!)


Wer trägt denn heute das finanzielle Risiko der Pflege?
Die Pflegeversicherung zahlt nur feste Beträge, nur Teil-
leistungen. Jemand, der als Härtefall gilt und in einer sta-
tionären Einrichtung untergebracht ist, bekommt maxi-
mal 1 800 Euro im Monat. In den meisten Einrichtungen
kostet die Pflege aber mindestens 3 000 oder 3 500 Euro
im Monat. Die Differenz zahlen die Menschen bzw. ihre
Familien schon heute selbst.


(Hilde Mattheis [SPD]: Deswegen wollen wir ja Verbesserungen! Stellen Sie sich das mal vor!)


Wenn sie es sich nicht leisten können, zahlt sie der Sozial-
hilfeträger.

Das wissen Sie genauso gut wie ich. Dass wir die
Kosten zu 100 Prozent übernehmen, fordert ja auch kei-
ner von Ihnen. Das wären Summen, die derzeit nicht zu
finanzieren wären. Schauen Sie sich einmal in Europa
um, wie die finanzielle Lage insgesamt ist.

Wir streben keine Individualisierung des Risikos an,
sondern tun etwas gegen das heute bestehende finan-
zielle Risiko vieler Familien und Pflegebedürftigen. Wir
wollen Anreize dafür setzen, dass man Vorsorge gegen
dieses Risiko, das man hat, betreibt. Für die Differenz
zwischen den eigenen Mitteln und den Kosten der
Pflege, die jeder selbst tragen muss – gegebenenfalls
muss die Familie eintreten; manchmal muss das eigene
Haus verkauft und Vermögen aufgebraucht werden –,
muss Vorsorge getroffen werden. Deswegen ist es rich-

tig, dass wir einen Einstieg in eine Vorsorgeförderung
machen.


(Elke Ferner [SPD]: Geschenke an die Versicherungswirtschaft! Damit die gewogen sind bei der nächsten Wahl!)


Mehr Menschen sollen sich so dafür entscheiden, privat
vorzusorgen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718801300

Herr Kollege Spahn, auch die Kollegin Dittrich würde

gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie erlauben. –
Bitte schön, Frau Dittrich.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718801400

Danke schön, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr

Spahn, als seniorenpolitische Sprecherin meiner Frak-
tion weiß ich,


(Heinz Lanfermann [FDP]: Gut, dass wir das mal erfahren!)


dass es bei den Frauen die höchste Altersarmut gibt. Sie
haben gesagt, dass die Menschen Zuschüsse vom Sozial-
amt bekommen können, wenn sie in Pflegeheimen sind
und die Kosten dafür nicht selbst tragen können. Gleich-
zeitig wissen Sie, dass die richtig guten Seniorenresiden-
zen keine Pflegepatienten aufnehmen, die vom Sozialamt
bzw. vom Staat Zuschüsse bekommen. Der Aufenthalt in
diesen Residenzen, der monatlich 4 000 Euro und mehr
kostet, muss komplett selbst bezahlt werden können. Wer
hat solche Renten? Die Frauen nicht!

Daneben haben Sie die europäische Wirtschaftskrise
angesprochen. Seit Jahren wird im Sozialstaat einge-
spart. Den größten Mangel haben wir in der Altenpflege.
Dieser Beruf ist nicht mehr attraktiv.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718801500

Bitte kommen Sie zur Frage.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718801600

Meine Frage ist: Wie wollen Sie vor dem Hinter-

grund, dass Frau von der Leyen vorgeschlagen hat, die
entlassenen Schlecker-Beschäftigten könnten doch einen
Schnellkurs in der Pflege machen und dann als Leihar-
beiterinnen tätig werden, dafür sorgen, dass durch diesen
Beruf eine vernünftige Pflege erfolgt? Ist das Ihre Lö-
sung?


(Zurufe von der CDU/CSU und FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718801700

Frau Kollegin Dittrich, Sie sollen fragen und keine

Statements abgeben.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718801800

Ist der Bundesfreiwilligendienst statt einer Ausbil-

dungsoffensive in der Altenpflege Ihre Lösung?





Heidrun Dittrich


(A) (C)



(D)(B)



(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gibt es schon! Das haben Sie gar nicht mitbekommen!)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1718801900

Sie haben sehr viele Themen angesprochen. Ich will

versuchen, auf zwei einzugehen.

Erster Punkt. Ich weiß nicht, woher Sie die Dreistig-
keit nehmen, zu behaupten, die sozialen Ausgaben in
Deutschland seien in den letzten Jahren reduziert wor-
den. Die Bundesrepublik Deutschland gibt in diesem
Jahr, 2012, so viel für soziale Leistungen aus wie noch
nie zuvor in ihrer Geschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist eine Unverschämtheit, dass Sie hier suggerieren,
es sei anders.

Das tun Sie auch noch in einer Debatte, in der wir
über Leistungsverbesserungen in der Pflegeversicherung
von 1 Milliarde Euro sprechen. Für uns ist 1 Milliarde
Euro viel Geld. Wir wissen, dass Sie immer schnell da-
bei sind, wenn es darum geht, schuldenfinanziert Geld
auszugeben. Wir debattieren hier über zusätzliche Leis-
tungen in der Pflegeversicherung von 1 Milliarde Euro.
Das sind 5 Prozent mehr. Ich muss schon sagen: Es ist
dreist, dass Sie jetzt sagen, es gebe Sozialabbau.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU], an die Abg. Heidrun Dittrich [DIE LINKE] gewandt: Setzen, sechs!)


Zweiter Punkt. Wir haben vielleicht ein unterschiedli-
ches Gesellschaftsbild. Nicht jeder muss in einer Nobel-
seniorenresidenz wohnen. Wer es sich leisten kann und
wer sich den goldenen Rollator leisten will, der soll sich
das in Gottes Namen leisten. Für uns ist allerdings ent-
scheidend, dass jeder in diesem Land, unabhängig da-
von, wie alt er ist, welches Einkommen er hat, wo er lebt
– in der Stadt oder auf dem Land –, aus welcher sozialen
Schicht er kommt und welche sonstigen Hintergründe er
hat, Zugang zu einer menschenwürdigen Pflege hat. Das
ist in diesem Land sichergestellt, und Sie sollten nichts
anderes suggerieren.

Wer sich mehr leisten kann, der soll sich auch mehr
leisten dürfen. Das ist jedenfalls unser Gesellschaftsbild.
Wir wollen aber, dass für jeden eine menschenwürdige
Pflege gesichert ist, und das ist in Deutschland gesichert.
Auch hier sollten Sie nichts anderes suggerieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist ja ganz gut, dass in solchen Debatten auch einmal
unser unterschiedliches Gesellschaftsbild deutlich wird.


(Hilde Mattheis [SPD]: Ja, genau! – Elke Ferner [SPD]: Mövenpick ist Ihnen mehr wert als Pflege!)


Das gilt auch hinsichtlich der Vorsorge. Wir sind der
Auffassung, dass jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten
vorsorgen muss. Auch das ist eine Form von Solidarität.
Solidarität heißt nicht nur, dass die anderen für mich
zahlen,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


sondern Solidarität heißt auch, dass jeder im Rahmen
seiner Möglichkeiten für sich Vorsorge betreibt.

Damit wir die Möglichkeiten für diejenigen verbes-
sern, die es etwas schwerer im Leben haben, soll es für
die Pflegevorsorge eine Zulage von 60 Euro im Jahr ge-
ben. Da kann man sich mit den eigenen Beiträgen, be-
sonders wenn man früh beginnt, eine Menge an zusätzli-
cher Leistung in der Pflege sichern.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur wenn man früh beginnt! – Elke Ferner [SPD]: Das ist nur etwas für die jüngere Generation! Die Älteren sind Ihnen egal!)


Wir stellen sicher, dass es einen Tarif gibt, den jeder
abschließen kann, unabhängig vom Alter, von Vorer-
krankungen und vom Einkommen. Jeder hat Zugang zu
diesem Tarif. Wir sind sehr sicher – das ist übrigens auch
in der Anhörung deutlich geworden –, dass dieser Tarif
in Zukunft sogar der Regeltarif in der Pflegezusatzver-
sicherung werden könnte. Es wird attraktive Angebote
geben. Lassen Sie sich doch einmal zum 1. Januar 2013
positiv überraschen.


(Elke Ferner [SPD]: Das wäre das erste Mal, dass die Versicherungswirtschaft positiv überrascht!)


Sie werden sehen, dass es für die Menschen attraktiv ist,
zusätzlich vorzusorgen.

Wenn hier ein unterschiedliches Gesellschaftsbild
deutlich wird, dann habe ich damit kein Problem. Denn
ich bin der festen Überzeugung, dass es die große Mehr-
heit in diesem Land genauso sieht wie wir.


(Elke Ferner [SPD]: Da irren Sie genauso wie beim Betreuungsgeld! Das will die große Mehrheit nicht!)


Derjenige, der im Rahmen seiner Möglichkeiten privat
Vorsorge leisten kann, soll diese Vorsorge machen. Wir
stellen aber natürlich sicher, dass jeder, dem es nicht
möglich war, vorzusorgen, eine menschenwürdige
Pflege bekommt. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Ein
bisschen selber für sich mitzudenken, im Rahmen der
Möglichkeiten, gehört dazu. Auch da setzen wir einen
guten Anreiz.

Insofern gehen wir heute Morgen einen wichtigen
Schritt nach vorne für die Pflegebedürftigen in diesem
Land, für pflegende Angehörige und vor allem für die
Pflegebedürftigen in den Jahren 2030 und später.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718802000

Für die Fraktion der Grünen hat jetzt das Wort die

Kollegin Elisabeth Scharfenberg.






(A) (C)



(D)(B)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! In der letzten Legislaturperiode haben wir uns in
der Pflege weiterentwickelt. Heute wollen Sie sich neu
ausrichten. Offen gesagt: Mit dem Pflege-Neuausrich-
tungs-Gesetz richtet die schwarz-gelbe Koalition nichts
neu aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie richten eine
Menge an.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können sich jedes noch so kleine Detail Ihres Geset-
zes schönreden, Frau Aschenberg-Dugnus, Herr Spahn,
es ändert nichts daran: Sie geben auf die wirklich großen
Herausforderungen in der Pflege keine Antwort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In unserem Grünen-Antrag machen wir sehr deutlich,
welche Themen wirklich angepackt werden müssen. Das
ist die Reform des Pflegebegriffs. Bei Ihnen Fehl-
anzeige! Finanzierungsreform – Fehlanzeige! Quartiers-
orientierte Versorgungsstrukturen – Fehlanzeige! Entlas-
tung pflegender Angehöriger –


(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Fehlanzeige!)


Fehlanzeige!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Maßnahmen gegen Personalmangel –


(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen: Fehlanzeige!)


Fehlanzeige! Das Gegenteil ist der Fall, aber dazu
komme ich noch.

Bei der überfälligen Reform des Pflegebegriffs sind
Sie nicht einen Schritt weitergekommen. Sie haben
recht: Man kann einen neuen Pflegebegriff nicht von
jetzt auf gleich einführen, aber man kann daran weiterar-
beiten.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Sie aber haben zweieinhalb Jahre lang überhaupt nichts
unternommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie haben die Empfehlungen des Expertenbeirats ver-
stauben lassen. Erst im März dieses Jahres wurde der
Beirat wieder eingesetzt. Und was man so hört, geht es
ja nur äußerst zäh voran. Ich glaube, das liegt am aller-
wenigsten an den Experten selbst.

Herr Minister, Worthülsen, wohin man schaut.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das, was Sie sagen, sind Worthülsen!)


Als Beispiel nenne ich den Kampf gegen den Personal-
mangel. Künftig wird für die Zulassung einer Pflegeein-
richtung die Zahlung des Pflegemindestlohns ausrei-
chend sein. Derzeit gilt die Zahlung einer ortsüblichen
Vergütung, und die ist an vielen Orten höher als der Pfle-
gemindestlohn.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja von wegen!)


Der Mindestlohn ist als Lohnuntergrenze von zentraler
Bedeutung. Wir Grüne haben uns immer dafür einge-
setzt. Der Mindestlohn darf aber nicht zum Normlohn
werden. Genau das will jedoch die Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Für wen gilt denn der Mindestlohn?)


Sie will Billigpflege. Was ist das für ein Kampf gegen
den Personalmangel, frage ich Sie, Herr Minister. Sie
werden damit keine neuen Pflegekräfte gewinnen.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Für wen gilt denn der Mindestlohn? Keine Ahnung von nichts! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch nicht, was Sie sagen!)


Worthülse „nachhaltige Finanzierung“. Auch hier tun
Sie nichts. Selbst Ihre minimalen Leistungsverbesserun-
gen – ja, es gibt welche; aber eben minimal – sind gerade
mal bis 2015 gegenfinanziert. Sie sollten endlich den
Weg frei machen für eine solidarische Pflegebürgerversi-
cherung.


(Zuruf von der FDP: Worthülse!)


Das wäre eine gerechte Lösung für alle. Es geht um eine
bessere Pflege zu bezahlbaren Beiträgen – und das bis
weit in die Zukunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber stattdessen kommt nun der Pflege-Bahr. Herr
Minister, dass Ihnen das nicht peinlich ist!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das soll ein Beitrag zu einer nachhaltigen Finanzierung
sein? Das ist doch eher ein schlechter Witz. Allen bleibt
doch wirklich das Lachen im Halse stecken: den Sozial-
verbänden, den Gewerkschaften, den Verbraucherzentra-
len, dem Bund der Versicherten, den gesetzlichen Kran-
kenkassen, namhaften Wirtschaftswissenschaftlern und
Instituten und selbst den Arbeitgeberverbänden. Die
Presse landauf, landab berichtet von dem Unsinn
„Pflege-Bahr“. Das ist der Ausstieg aus der Solidarität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)






Elisabeth Scharfenberg


(A) (C)



(D)(B)


Geringverdiener und Ältere, die es am nötigsten hät-
ten, werden vom Pflege-Bahr nichts haben. Trotz des
Zuschusses von 5 Euro wird eine private Versicherung
viel zu teuer.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie machen hier Volksverdummung!)


Geringverdiener und Ältere können sich diese Zusatz-
versicherung allzu oft nicht leisten, auch mit 5 Euro Zu-
schuss nicht. Junge und Gesunde werden die 5 Euro Zu-
schuss gar nicht in Anspruch nehmen. Ich denke, die
alten Tarife ohne Förderung werden sicherlich immer
noch günstiger sein als die unattraktiven geförderten
Produkte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Pflege-Bahr ist unsozial und überflüssig. Das
wissen Sie selbst genauso wie die privaten Versiche-
rungsunternehmen. Sie wollen mit dem Pflege-Bahr den
Einstieg in die Privatisierung des Pflegerisikos. Das ist
die eigentliche Botschaft dieses Unsinns.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Wir werden diesen Unsinn so bald wie möglich wieder
rückgängig machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Dann nehmen Sie den Leuten das Ersparte wieder weg!)


Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – zumindest die Na-
mensgeber waren kreativ. Der Inhalt hat mit Neuausrich-
tung nichts zu tun. Es ist unfassbar, dass Sie in einer
Zeit, in der es uns nicht an Erkenntnissen fehlt, deren
Umsetzung verweigern. Herr Spahn, Sie haben in Ihrer
Rede hoch und runter aufgesagt, um was es geht. Daher
sollten Sie das eigentlich verstanden haben. Dass es Ih-
nen nicht peinlich ist, die Leistungsverbesserung bei der
Betreuung von Demenzkranken als große Leistung hin-
zustellen:


(Jens Spahn [CDU/CSU]: 5 Prozent mehr!)


Es sind 35 Sekunden pro Demenzkranken pro Tag an zu-
sätzlicher Betreuung. Das traut sich diese Koalition hier
laut zu sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich frage mich, wie Sie dies vor den pflegebedürfti-
gen Menschen und deren Angehörigen, vor den Pflege-
kräften und vor den Ehrenamtlichen und auch vor Ihren
Wählerinnen und Wählern verantworten können. Ich
gehe fest davon aus, dass wir in der nächsten Wahl-
periode genügend Unterstützung haben, diesen Unfug
wieder rückgängig zu machen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718802100

Kommen Sie bitte zum Schluss.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja. – Wir werden dann die Aufgaben anpacken, die
Sie heute liegen gelassen haben.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das wäre ja was Neues! – Heinz Lanfermann [FDP]: Sieben Jahre lang hat Rot-Grün in der Pflege gar nichts gemacht!)


Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718802200

Das Wort hat jetzt der Bundesgesundheitsminister

Daniel Bahr.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1718802300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Jeden Tag leisten Pflegekräfte, Familien und
pflegende Angehörige ihren Einsatz, damit menschen-
würdiges Altern in Deutschland möglich ist. Diesen Ein-
satz werden wir mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz
unterstützen. Es ist die christlich-liberale Koalition,


(Zurufe von der SPD: Oh!)


die diejenigen in den Mittelpunkt stellt, die tagtäglich
eine menschenwürdige Pflege für ihre Angehörigen ge-
währleisten.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal Substanz!)


Wir konzentrieren uns mit unseren Maßnahmen darauf,
die Familien in Deutschland zu stützen, die die Hauptlast
der Pflege in Deutschland tragen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lyrik!)


Durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz wird kei-
ner schlechter-, aber viele Menschen in Deutschland bes-
sergestellt. Bei dem, was Sie hier veranstalten, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hat man
fast den Eindruck, Sie sind in einer Parallelwelt.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Richtig! – Elke Ferner [SPD]: Wir sind sehr bodenständig!)


Wir erleben gerade große Verunsicherung in Europa.
Während in allen anderen Ländern um uns herum die
Sozialausgaben reduziert und die Sozialleistungen ein-
geschränkt werden, ist es in dieser Situation die Priorität
der christlich-liberalen Regierung, Mehrausgaben zu be-
schließen: Verbesserungen für Demenzkranke, Verbesse-
rungen für pflegende Angehörige. Das ist die richtige
Prioritätensetzung, die Christlich-Liberal hier heute be-
schließt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Bundesminister Daniel Bahr


(A) (C)



(D)(B)


Erinnern wir uns einmal: Wer hat denn 1994 die Pfle-
geversicherung geschaffen? Es war eine christlich-libe-
rale Koalition, die in Deutschland die Pflegeversiche-
rung eingeführt hat.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die FDP hat nur mit Zähneknirschen zugestimmt!)


Als Rot-Grün regiert hat, was hat sich denn da in der
Pflege getan?


(Heinz Lanfermann [FDP]: Nichts!)


Null und nichts! Sie haben überhaupt nichts in der Pflege
getan.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es ist erneut eine christlich-liberale Koalition, die für
Verbesserungen der Menschen sorgt.


(Zurufe von der SPD)


Seinerzeit ist die Pflegeversicherung eine Versiche-
rung gewesen, die sich nur an den Verrichtungen orien-
tiert hat und die Demenz nicht berücksichtigt hat.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch gar kein Solidarsystem in der Pflege!)


Wir haben gemeinsam lange darüber diskutiert, die De-
menz zu berücksichtigen.


(Elke Ferner [SPD]: Sie wollten doch nur den privaten Schnickschnack!)


– Das scheint Sie offenbar zu treffen, sonst würden Sie
nicht so zetern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Sie können uns überhaupt nicht treffen, Herr Bahr!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, falsche Behauptungen
werden nicht dadurch besser, dass sie wiederholt wer-
den, wie die falschen Zahlen, mit denen hier gearbeitet
wird.


(Elke Ferner [SPD]: Fassen Sie sich mal an Ihre eigene Nase!)


Die Wahrheit ist: Sie haben in Ihrer rot-grünen Regie-
rungszeit nichts gemacht.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen mal wissen, was Sie so bringen!)


Frau Kollegin Ferner, was mich an Ihrer Rede am
meisten beeindruckt hat, war das gequälte Gesicht von
Franz Müntefering, als er den Klamauk anhören musste,
den Sie hier veranstaltet haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Gucken Sie mal in Ihre eigenen Reihen! Gucken Sie sich mal Herrn Zylajew an!)


Ich habe großen Respekt vor der rot-grünen Bundesre-
gierung, die in einer schwierigen Situation erkannt hatte,
dass wir uns angesichts der demografischen Entwick-
lung und der alternden Bevölkerung nicht allein auf eine
umlagefinanzierte Sozialversicherung verlassen kön-
nen. Bei der Rente hat Rot-Grün seinerzeit einen histori-
schen Schritt gemacht und mit der Riester-Rente den
Einstieg in die Kapitaldeckung geschafft.


(Elke Ferner [SPD]: Sie vertrauen den Finanzmärkten mehr als den Menschen!)


Denn Sie haben erkannt, was wir zuvor gesagt hatten:
dass es zur Sicherung des Lebensstandards nicht reicht,
sich allein auf die gesetzliche umlagefinanzierte Rente
zu verlassen. Dann haben Sie die Riester-Rente einge-
führt.

Die gleiche Kritik, die wir heute hören, können Sie in
den Artikeln aus der Zeit, als Rot-Grün die Riester-
Rente beschlossen hat, nachlesen. Damals kam die glei-
che Kritik.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden Sie mal über heute!)


Es hieß, es würde sich nicht lohnen; das würde keiner
machen. 16 Millionen Riester-Verträge in Deutschland
sprechen die eindeutige Sprache, dass Eigenvorsorge
und Kapitaldeckung sinnvoll sind, um die Lasten einer
alternden Bevölkerung zu bewältigen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was bei der Riester-Rente wichtig war, ist auch in der
Pflege nötig. Erkennen Sie das doch endlich an!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718802400

Herr Kollege Bahr, die Kollegin Birgitt Bender würde

Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1718802500

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718802600

Bitte.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718802700

Herr Minister, können Sie mir bestätigen, dass die

Riester-Rente, die Sie jetzt als historische Leistung von
Rot-Grün würdigen, damals von der FDP-Fraktion ge-
schlossen abgelehnt wurde?


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1718802800

Aber warum denn?


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben doch nicht die Kapitaldeckung abgelehnt. Er-
innern Sie sich einmal an die Zeit. Sie haben seinerzeit
eine Riester-Rente vorgelegt, die so bürokratisch war,
dass Sie selbst sie später ändern mussten. Das war der
Grund, warum die FDP damals gesagt hat: im Ansatz





Bundesminister Daniel Bahr


(A) (C)



(D)(B)


richtig, aber schlecht gemacht. Sie haben es dann selbst
erkannt und sie unbürokratischer gemacht. Erst dann hat
sich die große Akzeptanz gegenüber der Riester-Rente
gezeigt.

Es ist doch überhaupt nicht so, dass die FDP gegen
Eigenvorsorge war. Das glauben Sie doch selbst nicht.
Dass Sie so süffisant lächeln, zeigt doch, dass Sie selbst
nicht glauben, dass die FDP gegen Eigenvorsorge ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie lächeln aber auch nicht besser!)


Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist ein Fort-
schritt, der zu Verbesserungen für die Menschen führt,
insbesondere für die Menschen, die bisher nichts aus der
Pflegeversicherung bekommen haben. Erstmals erhalten
500 000 Menschen in Deutschland, die an Demenz er-
krankt sind und bisher keine oder kaum Leistungen aus
der Pflegeversicherung bekommen haben, Leistungen.


(Hilde Mattheis [SPD]: Erstmals? Das ist doch lächerlich!)


Frau Kollegin Scharfenberg, die von Ihnen in diesem
Zusammenhang genannte Zahl ist falsch – das wissen
Sie auch –; denn Sie beziehen sich allein auf die De-
menz. Insofern ist die Zahl, die Sie gerade genannt ha-
ben, politisch willkürlich gesetzt.

Erstmals können sich Demenzkranke eine Unterstüt-
zung leisten, die sie bisher allein aus ihrem Portemon-
naie bezahlen mussten.


(Elke Ferner [SPD]: Das ist doch schon wieder gelogen mit dem „erstmals“!)


Ich habe das gerade in einer Diakonie in Kaiserswerth
erlebt. Dort gibt es ein Angebot, für 18 Euro einmal am
Tag einen Cook-Service zu nutzen, um Unterstützung zu
bekommen. Diese Leistungen können Menschen künftig
durch die Verbesserungen, die wir vorsehen, nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir sorgen für Betreuung als eigenständige Leistung.
Wir sehen eine Flexibilisierung der Leistungsinan-
spruchnahme, die Stärkung des Grundsatzes „Rehabilita-
tion vor Pflege“, die Stärkung neuer Wohnformen, die
Entlastung pflegender Angehöriger, die Stärkung der
Selbsthilfe in der Pflege, die Verbesserung der medizini-
schen Versorgung in Pflegeheimen, eine stärkere Dienst-
leistungsorientierung der Medizinischen Dienste und der
Pflegekassen und weniger Bürokratie vor. All das sind
Verbesserungen, die den Menschen unmittelbar zugute-
kommen. Deswegen ist es ein gutes Gesetz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zu Recht wird von denjenigen, die tagtäglich in der
Pflege arbeiten, immer beklagt, dass wir ein starres Kor-
sett der Pflegegestaltung haben, dass sie den individuel-
len Bedürfnissen nicht gerecht werden können und dass
sie nicht die nötige Zeit haben. Dieses Gesetz wagt den
Einstieg, indem wir erstmals keine starren Leistungs-
komplexe mehr haben, sondern durch ambulante Pflege-

dienste den Pflegebedürftigen mehr Wahlmöglichkeiten
anbieten können, indem beispielsweise Zeitkontingente
vereinbart werden können, damit Pflegebedürftige selbst
entscheiden können, welche Pflege, welche Betreuung
und welche Unterstützung sie in Anspruch nehmen wollen.

Das zeigt die Grundhaltung dieser christlich-liberalen
Koalition: freie Wahlmöglichkeiten für die Pflegebe-
dürftigen, Abbau der Bürokratie und Stärkung vor allem
der pflegenden Angehörigen, dass sie die Leistungen in
Anspruch nehmen können, die sie für die Pflege ihrer
pflegebedürftigen Eltern oder Großeltern brauchen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bleibe dabei: Das ist ein gutes Gesetz. Weil die
Pflege eine große gesellschaftliche Herausforderung ist,
müssen weitere gemeinsame Anstrengungen unternom-
men werden. Wir sind dabei, die Ausbildung zu verstär-
ken und die Qualifizierung zur Pflegekraft in Deutsch-
land zu unterstützen. Wir fördern die Motivation
derjenigen, die täglich im Pflegebereich arbeiten, durch
die Fortsetzung des Bürokratieabbaus und bringen einen
neuen Pflegebegriff auf den Weg. Aber dazu sind, wie
gesagt, Vorarbeiten nötig. Dies wird nicht liegen gelas-
sen, sondern angegangen, damit unmittelbar Verbesse-
rungen für die Menschen in Deutschland erreicht wer-
den.

Das erreicht Christlich-Liberal. Das haben Sie nicht
erreicht. Ihnen fällt nichts anderes ein als billige Polemik
und schwache Kritik. Wenn Sie regiert haben, haben Sie
konkret nichts verändert. Das muss immer Christlich-
Liberal machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718802900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Hilde Mattheis von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt kommt endlich das Lob, ganz differenziert!)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1718803000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Bahr, um zu wissen, was von Ihren Behauptungen
zu halten ist, habe ich nur in die Gesichter der Unions-
kollegen schauen müssen. Herrn Zylajew leidet unter all
dem, was Sie hier vorstellen.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Der sieht immer so aus! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich bin sicher, dass viele in den Unionsreihen insgeheim
sagen: Hätten wir doch in der letzten Legislaturperiode
nicht so viel Theater gemacht, als die SPD mit dem
Pflege-Weiterentwicklungsgesetz viele Verbesserungen
auf den Weg bringen wollte!


(Beifall bei der SPD)


Aber das haben Sie verhindert. Jetzt kann ich Sie von Ih-
rem Leid nicht befreien.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)


Während Herr Bahr in seinem Ministerium seinen
Chefplaner aus der privaten Versicherungswirtschaft den
nächsten Baustein für eine Entsolidarisierung des Ge-
sundheitssystems und insbesondere des Pflegesystems
hat setzen lassen, haben wir uns im Dialog mit den
Wohlfahrtsverbänden und den Gewerkschaften auf den
Weg gemacht und ein Gesamtkonzept formuliert, das in
weiten Teilen genau die richtigen Antworten gibt, die
von Ihnen nicht kommen. Sie versuchen, mit kleinen
Verbesserungen – gegen diese wird niemand in diesem
Hause sein –


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha! Also stimmen Sie zu? – Heinz Lanfermann [FDP]: Es wird doch nur genörgelt!)


Ihre eigentliche Intention zu verbergen und einen Bau-
stein für die Entsolidarisierung unserer Sozialversiche-
rungssysteme zu setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Sie täuschen die Leute!)


Es lohnt sich, in vielen Punkten das zu rekapitulieren,
was Sie gerade gesagt haben, Herr Bahr. Sie sagten, für
Menschen mit Demenz habe es bisher keine Leistungen
gegeben. Ich weiß nicht, wo Sie in der letzten Legislatur-
periode waren,


(Elke Ferner [SPD]: Auf dem Mond!)


aber seit der letzten Legislaturperiode gibt es Pauschalen
in Höhe von 100 oder 200 Euro für Menschen mit De-
menz.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Jetzt gibt es noch mehr!)


– Stimmt, jetzt gibt es eine weitere Verbesserung.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch gut!)


Was Sie aber nicht liefern, ist ein Pflegebedürftig-
keitsbegriff, der das erfüllt,


(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Die Verbesserungen sind wichtig, nicht der Begriff!)


was im Prinzip alle, die etwas von Pflege verstehen, for-
dern, Herr Spahn.


(Beifall bei der SPD)


Alle wollen weg von der Minutenpflege, hin zu einer
teilhabeorientierten Pflege, damit es nicht mehr passiert,
dass Menschen nicht das zukommt, was sie zur Deckung
der individuellen Bedarfe und zur Teilhabe am gesell-
schaftlichen Leben brauchen. Einen solchen Ansatz lie-
fert Ihre Reform nicht; das wissen Sie genau.

Die vorgesehenen Verbesserungen, zum Beispiel be-
treffend die Wohngruppen, sind sicherlich in Ordnung.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!)


Aber das, was Sie mit der Gießkanne verteilen, hat
nichts mit Systematik zu tun und kommt langfristig nicht
denjenigen zugute, die einen Wandel im Pflegebereich
gebraucht hätten.

Ich konzentriere mich im Folgenden auf unseren An-
trag. Wir wollen Verbesserungen für Pflegebedürftige
durch die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs erzie-
len. Wir wollen Verbesserungen für pflegende Angehö-
rige.

Da bleiben Sie die Antwort zum größten Teil schul-
dig. Was ist denn mit einer Lohnersatzleistung für eine
Pflegezeit von einem halben Jahr? Was ist denn mit einer
Lohnersatzleistung bei einer Freistellung von bis zu zehn
Tagen? Da kommt nichts außer ein paar warmen Worten
für pflegende Angehörige und Fachkräfte. Ansonsten
kommt von Ihnen nichts.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich komme zu unserem dritten großen Baustein, zu
den Pflegekräften. Da müssen wir einiges tun. Was ha-
ben wir für den Mindestlohn in der Altenpflege ge-
kämpft! Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern,
dass Sie uns da unterstützt haben. Da kam nichts.

Wir wollen eine generalistische Ausbildung und wis-
sen, dass das auch die Länder – die von Ihren Parteien
geführten Länder übrigens auch – verstanden haben.
Denn es ist wichtig, dass in der Altenpflege keine Sack-
gasse für hochqualifizierte Leute entsteht. Vielmehr geht
es darum, zu sagen: Ihr habt Berufsperspektiven, ihr
könnt von dieser Arbeit eure Familie ernähren, und ihr
habt Perspektiven, euch weiterzubilden.

Schauen Sie bitte in unseren Antrag: All das wollen
wir auf den Weg bringen; denn neben einer guten Bezah-
lung sind natürlich die Ausbildung in einem Beruf und
die Anerkennung des Berufs absolut wichtig.


(Beifall bei der SPD)


Man kann heute nicht mehr akzeptieren, dass man für
die Ausbildung in der Pflege Gebühren zahlen muss,
während ein Auszubildender in der Kfz-Branche an so
etwas selbstverständlich nicht denken muss. Ich weiß
nicht, in welcher Welt Sie leben und warum Sie nicht
wenigstens das jetzt aufgegriffen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme zur Unterstützung der Kommunen. Herr
Zylajew, Sie werden wahrscheinlich täglich Abbitte leis-
ten,


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Lassen Sie doch mal Herrn Zylajew in Ruhe!)


dass die Union die Pflegestützpunkte so oft bekämpft
hat.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Nein! Niemals werden wir Abbitte dafür leisten! – Zuruf des Abg. Willi Zylajew [CDU/CSU])


– Doch, doch! Ich kann mich gut erinnern, Herr Zylajew. –
Die Pflegestützpunkte sind wichtige Anlaufpunkte für
niedrigschwellige Beratung: Case-und-Care-Manage-
ment.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)



(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wo denn? Nennen Sie mir einen Ort!)


– Herr Spahn, Sie können lesen. Schauen Sie sich bitte
die Berichte an. Dazu gibt es sehr gute Untersuchungen.
Rheinland-Pfalz ist ein wunderbares Beispiel dafür. Alle
geplanten Pflegestützpunkte sind dort umgesetzt wor-
den. Sie sind im Prinzip eine niedrigschwellige Anlauf-
stelle für Angehörige und Pflegebedürftige. Auch haben
sie einen präventiven Ansatz. Das ist wichtig.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer geht denn hin?)


Wir wollen die Infrastruktur der Kommunen weiter
unterstützen. Da gibt es einiges zu tun. Wir hier können
nicht sagen, was in den Städten an Pflegeinfrastruktur
notwendig ist. Das müssen die Kommunen tun. Dafür
brauchen sie aber unsere Unterstützung. Das wollen wir
gewährleisten.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-
tionen, Sie haben unser Präventionsgesetz bisher immer
torpediert. Dabei müssten Sie wissen: Prävention im Be-
reich der Pflege ist ebenfalls ein wichtiger Baustein bzw.
eine wichtige Säule, um die richtigen Antworten auf die
demografische Entwicklung zu geben.


(Beifall bei der SPD)


Prävention und Reha sind für uns ebenfalls wichtige
Punkte, zu denen wir von Ihnen fordern: Liefern Sie ein
gutes Konzept, damit Prävention und Reha auch im Pfle-
gebereich möglich werden.


(Elke Ferner [SPD]: Das können die nicht! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das haben wir ja gemacht!)


– Ich bitte Sie, Sie machen da nur ein bisschen. Wo ist
denn Ihr Konzept und Ihre Antwort darauf, dass die
Krankenversicherungen als Kostenträger geriatrische
Reha nicht so forcieren und unterstützen, wie das ge-
braucht wird?

Ich komme zum Schluss zu einem wichtigen Punkt.
Natürlich hängt alles an der Finanzierung. Ihre 1,1 Mil-
liarden Euro, Herr Bahr, sind doch wirklich weiße Salbe.
Herr Zylajew geht doch durch die Lande und sagt: Wir
brauchen 6 Milliarden Euro in diesem System, um die
Leistungsansprüche auch so finanzieren zu können, dass
Unterstützung wirklich bei den Leuten ankommt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Wir wollen die Bürgerversicherung Pflege, und wir wol-
len natürlich auch einen Ausgleich zwischen der priva-
ten und der sozialen Pflegeversicherung.

In diesem Sinne sage ich zu dem, was Sie, Herr Bahr,
und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-
rungsfraktionen, hier vorlegen: Sie müssten sich der
Ehrlichkeit halber heute bei der namentlichen Abstim-
mung zumindest enthalten;


(Lachen der Abg. Christine AschenbergDugnus [FDP])


denn das, was ich bisher von Ihnen gehört habe, ent-
spricht nicht dem, was hier vorgelegt wurde.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718803100

Jetzt hat das Wort der Kollege Willi Zylajew von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Willi Zylajew (CDU):
Rede ID: ID1718803200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

bedanke mich zunächst einmal für die Aufmerksamkeit,
die meiner Mimik und Gestik heute Morgen zuteil-
wurde.


(Heiterkeit)


Damit täuschen Sie etwas darüber hinweg, dass alle
Rednerinnen der Opposition einfach nicht zur Kenntnis
nehmen, was wir mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Ge-
setz


(Hilde Mattheis [SPD]: Der Name ist Programm, kann ich da nur sagen!)


zum Beispiel für Demente, für pflegende Angehörige
und zum Beispiel für Menschen, die sich in einer Wohn-
gemeinschaft organisieren wollen, erreichen, was wir
zusätzlich anbieten.

Darüber hinaus nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass
in diesem Gesetz etwas geregelt wird, was Sie in der
Vergangenheit nicht geregelt haben:


(Dr. Erwin Lotter [FDP]: So ist es! – Hilde Mattheis [SPD]: Da haben Sie nicht zugehört! Wo waren Sie in der letzten Legislatur?)


festzulegen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der
Pflege tarifgerecht bezahlt werden sollen. Wir haben mit
den Formulierungen in § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI und
§ 89 Abs. 1 Satz 3 SGB XI klargestellt: Die tarifliche
Bezahlung von Kräften in der Pflege darf nicht als un-
wirtschaftlich zurückgewiesen werden. Das ist, Frau
Senger-Schäfer, das Beste, was man für Pflegekräfte er-
reichen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das ist eine Hilfe.

Es gehört zur Wahrheit – darüber gehen Sie einfach
hinweg –, dass tariflich gut bezahlte Frauen und Männer
der überörtlichen Sozialhilfeträger und der Pflegekassen
bisher immer wieder versuchen, bei den Trägern
Lohndumping durchzudrücken. Die Träger wollen dies
nicht. Sie wissen, dass sie gute Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ordentlich, also tariflich, bezahlen müssen.
Diesem Lohndumping schieben wir jetzt einen Riegel
vor. Wir sichern den Anspruch auf eine tarifliche Bezah-
lung.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: So sieht es aus!)






Willi Zylajew


(A) (C)



(D)(B)


Das ist uns wichtig. Mit diesem Gesetz erreichen wir et-
was, was bisher noch niemand zustande gebracht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es reicht auch nicht, zu sagen: Wir haben doch eine
höchstrichterliche Rechtsprechung. – Eine solche Recht-
sprechung muss man einklagen. Dafür muss man sich
auf einen Streit einlassen, der Zeit kostet, und in dieser
Zeit passiert dann wieder nichts.

Hier finden wir im Übrigen auch Zustimmung von
Verdi. Wir haben in den letzten Tagen die eine oder an-
dere Zuschrift bekommen, in der Menschen die Sorge
geäußert haben, dass wir uns nun am Mindestlohn orien-
tieren; Sie haben das eben in Ihren Reden auch getan.
Ich verstehe dies nicht. Den Mindestlohn haben wir doch
damals gemeinsam erstritten, weil die Sorge bestand,
dass uns ab dem 1. Mai 2011 eine Welle von Pflegekräf-
ten aus Osteuropa überrollt. Wir haben gesagt: Darauf ist
die richtige Antwort der Mindestlohn. Ihn, und zwar ei-
nen Mindestlohn für Pflegehilfskräfte, nicht für Pflege-
kräfte, haben wir erkämpft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hilde Mattheis [SPD]: Sie haben das erkämpft?)


Dieser Mindestlohn hat nach wie vor seine Bedeu-
tung, weil er der Lohndrückerei durch die Pflegekassen
und Sozialhilfeträger, nicht durch die Träger der Einrich-
tungen, einen Riegel vorschiebt. Ich glaube, das wollen
wir beibehalten; da sind wir ganz klar. Lohndumping in
der Pflege darf es nicht geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist ausgerechnet eine christlich-liberale Koalition,
die sich mit diesem Gesetz für die gute Bezahlung von
Pflegekräften starkmacht. Das ist eine Riesenfortent-
wicklung. All Ihr Nachdenken über eine bessere Ausbil-
dung – die wollen auch wir –, über Ausbildungsmodule
ist zwar richtig, aber es geht ins Leere, wenn man denen,
denen man Arbeit in der Pflege anbietet, nicht auch eine
sichere und ordentliche Bezahlung zusagt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Pflege wird auf Dauer anspruchsvoller, qualitativ
wie quantitativ. Für neue Wohnformen – dort haben Sie
es mit Einzelkräften zu tun – benötigen wir Damen und
Herren, die, auf sich allein gestellt, eine Arbeitsleistung
erbringen müssen. Gerade der Erbringer dieser Arbeits-
leistung ist auf eine ordentliche Bezahlung angewiesen.
Menschen mit Demenz, erkrankte Senioren brauchen
Verlässlichkeit, und wir schaffen Verlässlichkeit. Es
muss möglich sein – dies steht jetzt eindeutig fest –, dass
die Träger bei wirtschaftlicher Betriebsführung, ambu-
lant wie stationär, die Aufwendungen finanziert bekom-
men. Dazu gehören dann eben auch die Lohnaufwen-
dungen.

Es wäre ausgesprochen hilfreich, wenn wir hier in den
Gesprächen mit den Ländern weiterkommen. Mir ist
sehr daran gelegen, zu sagen: Mit diesem Gesetz errei-

chen wir ein Stück weit die Neuausrichtung und die Wei-
terentwicklung der Versorgung in der Pflegeversiche-
rung. Da können wir verstehen, dass die Kritik, die Sie
als Opposition vortragen, eine Pflichtübung ist. Aber ich
denke, Sie wissen, dass wir hier inhaltlich etwas weiter-
bringen; dem müssten Sie sich eigentlich anschließen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Begeisterung hört sich anders an, Herr Zylajew!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718803300

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Dr. Martina Bunge.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718803400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Minister, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition,
ja, Sie haben ein paar Bonbons in dieses Gesetz gepackt;


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Bonbons? Die Menschen erleben das als Verbesserung!)


aber ich denke, sie können nicht den Skandal verkleis-
tern, der mit dem Pflege-Bahr oder, besser gesagt, mit
dem Pflege-Riester einhergeht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Elke Ferner [SPD]: Bahr!)


Wissen Sie alle genau, was wir hier heute verabschie-
den?


(Rainer Brüderle [FDP]: Wir schon!)


Die Sozialverbände laufen Sturm gegen diese haarsträu-
bende soziale Ungerechtigkeit. Aber welche Bürgerin
und welcher Bürger weiß genau, was auf ihn oder sie zu-
kommt?

Herr Spahn, Sie sprachen vom Gesellschaftsbild. Da
habe ich die Frage: Hätte denn solch ein Systembruch,
ein Paradigmenwechsel, weg von der solidarischen, im-
mer mehr hin zu einer privat abgesicherten Pflege, nicht
eines breiten gesellschaftlichen Konsenses bedurft?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mehr Solidarität gibt’s ja! Haben Sie es immer noch nicht gelesen? – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wir haben mehr soziale Verantwortung!)


Diesen Anspruch, Herr Lanfermann, werte Kolleginnen
und Kollegen der FDP, hatten Sie auch einmal, in der
Opposition.

Herr Präsident, Sie gestatten mir sicher ein Zitat. Am
14. Dezember 2007 sagten Sie, Herr Lanfermann, an
dieser Stelle bei der ersten Lesung des schon erwähnten
Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes:

Die sogenannte Große Koalition wird in der Pflege-
debatte ganz klein, möchte am liebsten gar nicht da-
rüber sprechen, verschiebt die Debatte … und ver-
kürzt die Debattenzeit …, sodass man nicht auf alle
Themen eingehen kann.





Dr. Martina Bunge


(A) (C)



(D)(B)


Und Sie, Herr Bahr, warfen von Ihrem Platz aus etwas
süffisant ein:

Das ist die breite gesellschaftliche Debatte, die Frau
Schmidt angekündigt hat!

Darauf sagten Sie, Herr Lanfermann, zur Bestätigung:

Genau, das ist der breite Dialog.

Und was machen Sie beide hier und heute beim soge-
nannten Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz? Sie führen mit
einem Änderungsantrag, der erst letzte Woche das parla-
mentarische Licht erblickt hat und diesen Montag auf
Druck der Opposition in einer Anhörung behandelt
wurde, einen Systemwechsel ein. Heute soll das Unge-
tüm verabschiedet werden. Da frage ich: Wo sind Sie
bloß hingekommen?


(Beifall bei der LINKEN)


Bloß um Ihre Klientel, die Versicherungswirtschaft, zu
bedienen, schmeißen Sie alle guten parlamentarischen
Gepflogenheiten über Bord. Das ist ein Skandal.
Schlimm ist, dass Sie damit keines der Probleme in der
Pflege lösen, vor denen wir eigentlich stehen.

Genauso sieht es mit den Problemen aus, mit denen
sich die freiberuflichen Hebammen seit Jahren herum-
schlagen. Für diese Meisterleistung des Copy and Paste
bei der Übertragung der rechtlichen Regelungen zur
Hebammenversorgung aus der Reichsversicherungsord-
nung in das Sozialgesetzbuch werden Sie weder einen
Doktortitel noch den Beifall der Hebammen und der
werdenden Eltern bekommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Sie beherrschen das Nichtstun wunderbar, Herr
Bahr, und auch, jedes Nichts als Errungenschaft zu ver-
kaufen. Die Hebammen bekommen von Ihnen nur leere
Worte, warme Worte; aber die Situation bleibt, wie sie
ist: miserabel. Nächsten Monat, also schon übermorgen,
werden wieder die Haftpflichtprämien erhöht. Die Ver-
handlungen zwischen Kassen und Hebammen stocken,
und die Bundesregierung schaut zu. Das ist untragbar,
und deshalb werden wir dem Gesetz insgesamt nicht zu-
stimmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718803500

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die

Kollegin Birgitt Bender.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718803600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es soll in

der Tat nicht unerwähnt bleiben, dass es in diesem Ge-
setz auch eine Neuregelung der Hebammenhilfe gibt.
Erst haben Sie alle grünen Anträge abgelehnt, sie dann
aber teilweise umgesetzt. Dafür gebührt Ihnen ein biss-
chen Lob. Es ist gut, dass die Reichsversicherungsord-
nung hier Vergangenheit ist. Aber ich will auch deutlich
daran erinnern, dass es bei der Regelung der Hebam-
menhilfe noch offene Baustellen gibt. Das betrifft insbe-
sondere die Frage der Haftpflichtversicherung und nicht

zuletzt schlicht und einfach die angemessene Honorie-
rung bei der Hebammenhilfe, die für uns alle wichtig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt komme ich zum Thema Pflege-Bahr und dem
Vergleich mit der Riester-Rente. Erstens, Herr Minister.
Es sei daran erinnert: Die FDP hat die Riester-Rente gar
nicht gewollt. Immerhin scheinen Sie etwas dazugelernt
zu haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens stelle ich fest: Sie haben die Logik der
Riester-Rente immer noch nicht verstanden, oder aber
Sie versuchen, die Leute für dumm zu verkaufen; denn
in der Rente sieht es doch so aus: Wer mehr in das Soli-
darsystem einzahlt, bekommt mehr heraus. Wer mit der
Riester-Förderung privat vorsorgt, erhöht das Einkom-
men und damit die soziale Sicherheit im Alter. Deswe-
gen war es richtig, diese Reform zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Pflege gilt: Wer als Bürgerin oder Bürger das
Risiko der Pflegebedürftigkeit im Solidarsystem absi-
chert, zahlt das, was sie oder er kann, nämlich nach Ein-
kommen, und bekommt später das, was sie oder er im
Pflegefall braucht. Wer hingegen beim Pflege-Bahr mit
5 Euro Subvention einen privaten Vertrag abschließt,
zahlt mehr, je älter sie oder er ist, bekommt gar nichts,
wenn sie oder er nicht pflegebedürftig wird, und be-
kommt im Pflegefall die Leistung nicht nach Bedarf,
sondern je nach Einzahlung.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


– Genau. – Das ist keine Steigerung der sozialen Siche-
rung bei Pflegebedürftigkeit.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Dieses Angebot ist nichts für Ältere und nichts für Ge-
ringverdienende, sondern es generiert nur einen Mitnah-
meeffekt für die Besserverdienenden. Im Übrigen ist das
eine höchst bürokratische Subventionierung der PKV.
Deswegen ist das abzulehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Diese Regelung mit dem Pflege-Bahr, seien wir doch
ehrlich, entspricht voll der Ideologie der FDP. Aber ich
sage Ihnen auch: Sie ist bar jeder politischen Vernunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718803700

Das Wort hat jetzt der Kollege Stephan Stracke von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1718803800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Gesundheitspolitik der christlich-liberalen
Koalition ist eine Erfolgsgeschichte.


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie ist eine Erfolgsgeschichte,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


weil die gesetzliche Krankenversicherung noch nie so
gut dastand wie derzeit.


(Elke Ferner [SPD]: Wovon träumen Sie dann nachts, Herr Kollege?)


Sie ist eine Erfolgsgeschichte, was unser Landärztege-
setz angeht, weil wir damit die Voraussetzungen sichern,
dass wir weiterhin eine flächendeckenende, wohnort-
nahe, hervorragende medizinische Versorgung in diesem
Land haben werden. Genau an diese Erfolgsgeschichte
knüpfen wir mit unserem Pflege-Neuausrichtungs-Ge-
setz nahtlos an.

Dieses Gesetz ist ein gutes Gesetz. Was die Opposi-
tion hier aufführt, ist nichts anderes als ein Stück aus
dem Tollhaus. Sie reden von Entsolidarisierung, aber ge-
nau das Gegenteil ist der Fall; denn die Menschen erle-
ben doch das, was wir machen, als konkrete Verbesse-
rung. Wir geben 1 Milliarde Euro mehr für die soziale
Pflegeversicherung aus. Sie wissen: Wir geben derzeit
20 Milliarden Euro im Rahmen der sozialen Pflegeversi-
cherung aus. 1 Milliarde Euro mehr entspricht 5 Prozent.
Nennen Sie mir doch ein Beispiel,


(Elke Ferner [SPD]: Ja!)


in welchen anderen Zweigen des Sozialversicherungs-
systems wir ähnlich viel Geld ausgeben wie für die so-
ziale Pflegeversicherung.


(Beifall des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU] – Elke Ferner [SPD]: In der Pflegereform in der letzten Wahlperiode!)


Sie nennen kein Beispiel. Es ist richtig, was wir hier tun.
Wir stärken die Voraussetzungen für die Pflege, gerade
für die Demenzbetroffenen in diesem Land. Wir haben
rund 1 Million Demenzbetroffene. Wir wissen, dass alles
auf eine Verdopplung der Zahl in den nächsten Jahrzehn-
ten hindeutet. Deswegen machen wir etwas ganz gezielt
für diese Betroffenen. Wir stärken die Versorgung für
500 000 Pflegebedürftige, indem wir hier ganz konkrete
Verbesserungen bewirken, zum Beispiel indem wir Pfle-
gesachleistungen in der Pflegestufe 0 einführen. Das ist
im Übrigen ein Einstieg in weitere Pflegestufen


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


– genau! – und damit auch ein Vorgriff auf den neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriff.


(Elke Ferner [SPD]: Mit dem werden Sie nichts mehr zu tun haben!)


Ich kann nicht erkennen, dass das eine Verschlechterung
für die Menschen ist; genau das Gegenteil ist der Fall.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Eine Verbesserung!)


Es ist außerdem eine Verbesserung, dass wir den Pfle-
gesachleistungsanspruch um die häusliche Betreuung er-
weitern. Der Einsatz von zusätzlichen Betreuungskräften
auch für die Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege
ist ebenfalls eine Verbesserung.

All das zeigt: Wir setzen da an, wo die Einzelnen, die
Bürgerinnen und Bürger, die Pflegebedürftigen und ihre
Angehörigen konkrete Verbesserungen erwarten. Genau
das tun wir!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Nun zu der Frage, was den Charakter der sozialen
Pflegeversicherung in diesem Land ausmacht; Sie stellen
das nämlich immer falsch dar, und das ärgert mich. Die
soziale Pflegeversicherung ist ein ganz wichtiger Bau-
stein der sozialen Sicherung. Sie hat sich bewährt und
genießt höchste Akzeptanz bei den Pflegebedürftigen
und ihren Angehörigen. Sie führt auch zu einer finan-
ziellen Entlastung.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Warum machen Sie es nicht weiter solidarisch?)


Aber sie ist so angelegt, dass sie Teilleistungscharakter
hat. Deswegen ist es doch richtig, dass wir jetzt bei-
spielsweise die freiwillige private Pflegevorsorge stär-
ken. Wir wissen doch genau: In dem Moment, wo je-
mand pflegebedürftig wird, muss er aus seinem
Privatvermögen noch beträchtliche Beträge zuschießen.
Das entspricht eben dem Teilleistungscharakter der so-
zialen Pflegeversicherung, den hier im Grunde auch kei-
ner ernsthaft infrage stellt. Deswegen ist das, was wir
jetzt beschließen, auch kein Systemwechsel, wie das so
oft dargestellt wird; es ist genau das Gegenteil: Wir stär-
ken die freiwillige private Pflegevorsorge,


(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist doch das Problem, Herr Stracke! Hallo!)


und zwar durch eine staatliche Förderung. Wir nehmen
dafür 60 Euro pro Jahr in die Hand. Ich glaube, das ist
etwas, was den Menschen guttut. Damit werden sie in
dem Fall, dass Pflegebedürftigkeit eintritt, finanziell
stärker entlastet.


(Beifall des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])


Insgesamt zeigt sich: Das, was wir hier auf den Weg
bringen, ist ein gutes Gesetz, weil es an den Bedürfnis-
sen der Menschen konkret ansetzt, weil es die Demenz-
betroffenen und zugleich die pflegenden Angehörigen in
den Mittelpunkt stellt. Ich glaube, das ist ein Gesetz, das
nutzt. Ich bitte hier um Zustimmung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718803900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Graf von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1718804000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern früh habe ich an einer Diskussionsrunde teilge-
nommen. Es ging um die Menschenrechte Älterer. Die
Schirmherrschaft hatte die Kollegin Fischbach. Veran-
staltet wurde diese Diskussion vom Deutschen Institut
für Menschenrechte. Dabei kam auch die Pflegesituation
in Deutschland sehr prominent zur Sprache.

Als Bundesvorsitzende der Seniorenarbeitsgemein-
schaft in der SPD weiß ich sehr wohl, was ältere Men-
schen beschäftigt. Neben der wirtschaftlichen Sicherheit
und der Unabhängigkeit sowie dem Wunsch, dass es ih-
ren Kindern und Enkelkindern gutgeht, beschäftigt sie
insbesondere, dass die Versorgung im Fall der Pflegebe-
dürftigkeit gut gewährleistet ist. Die Menschen wollen
dann nicht nur versorgt sein, sondern sie wollen eine
ganzheitliche und würdevolle Pflege für jeden, unabhän-
gig vom Geldbeutel. Das ist es, was für die Menschen ei-
nen hohen Stellenwert hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb, denken wir, ist ein ganzheitlicher Pflegebe-
dürftigkeitsbegriff von extremer Wichtigkeit. Da frage
ich mich und vor allen Dingen Sie – Sie haben auch in
der Debatte heute keine wirkliche Antwort darauf geben
können –, warum Sie den Pflegebedürftigkeitsbegriff,
der 2009 unter der Vorgängerregierung von einer unab-
hängigen Kommission entwickelt worden ist, nicht über-
nommen haben, zumal Sie an dieser Vorgängerregierung
beteiligt waren. Ich glaube nicht, dass der schwarz-gelbe
Pflegebedürftigkeitsbegriff grundlegend anders ausse-
hen wird als der schwarz-rote, der damals entwickelt
worden ist. Die Pflegebedürftigen und all die, die in der
Pflege arbeiten, haben durch Ihr Zögern und Ihr Nicht-
handeln viel wertvolle Zeit verloren, und das nur, weil
Sie so eitel sind, einen eigenen Pflegebedürftigkeitsbe-
griff in die Welt setzen zu wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben heute viel über das Reförmchen gespro-
chen, das Sie uns hier vorlegen. Ich teile alle Einschät-
zungen, die besagen, dass es einige Punkte gibt, die in
Ordnung sind. Aber es gibt in diesem Gesetz definitiv
keinen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff; es gibt keine
wirklich wesentlichen Leistungserweiterungen und -ver-
besserungen, und es gibt vor allen Dingen auch keine zu-
kunftsfeste Finanzierungsform, die Sie uns vorlegen.


(Beifall bei der SPD)


Die Pflegereform bringt nur in kleinen Bereichen et-
was: Das ist der schon besprochene finanzielle Auf-
schlag für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen, und
das sind die Pflege-WGs.

Lassen Sie mich zum Thema Pflege-WGs etwas sa-
gen. Auch in der Debatte im Ausschuss habe ich das Ge-
fühl gehabt: Sie haben sich in keiner Weise darum ge-
kümmert, ob die Pflege-WGs mit den Heimgesetzen der
Länder kompatibel sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Darauf gab es keine Antwort. Eine Antwort ist aber
wichtig; denn es beschäftigt die Menschen vor Ort.
Eventuell könnte es sein, dass die Umsetzung dieses in-
teressanten Konzepts nicht mehr möglich ist.

Sie haben uns mit der Reform einen Elefanten ver-
sprochen, und es ist eine Mücke geworden. Diese Mücke
beißt auch noch giftig, wenn man etwa an den Pflege-
Bahr denkt.

Dass es nicht vorwärtsgeht, gilt auch für den Bereich
der Prävention und Rehabilitation. Gerade vor dem Hin-
tergrund einer älter werdenden Gesellschaft muss uns
doch klar sein, dass wir diese Bereiche massiv stärken
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Singhammer hat uns am letzten Montag den Vor-
schlag der Union für Präventionspezialtarife für die
Krankenkassen als einen Quantensprung verkauft.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das stimmt auch!)


Damit wollte er die Untätigkeit der Koalition im Bereich
der Prävention kaschieren. Wir warten immerhin schon
seit drei Jahren auf eine entsprechende Strategie, und ich
fürchte, dass sie in dieser Legislaturperiode nicht mehr
kommen wird.


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Auch in dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz finden
wir keine Vorschrift für die Verbesserung präventiver
Maßnahmen, die geeignet wäre. Dort steht: Die Pflege-
kassen müssen dem Antragsteller neben dem Leistungs-
bescheid eine Rehabilitationsempfehlung übermitteln. –
Sonst steht dort nichts. Was soll das heißen? Das ist so
dunkel und so wolkig, dass jeder alles dort hineininter-
pretieren kann, und im Endeffekt ist es nichts. Der
Grundsatz „Prävention vor Rehabilitation und vor
Pflege“ ist nicht nur eine Formel. Die Ziele der Präven-
tion und der Rehabilitation im Alter sind die Vermeidung
von Erkrankungen, Multimorbidität und Hilfebedürftig-
keit. Das spart Kosten. Warum finden wir dazu nichts in
dem Reformvorschlag, den Sie uns heute zur Abstim-
mung vorlegen?


(Elke Ferner [SPD]: Weil sie nur Stückwerk vorlegen!)


Frau Bender hat deutlich gemacht, wo der Unter-
schied zwischen dem Pflege-Bahr und der Riester-Rente
ist. Man sollte ergänzen: Für jemanden, der älter ist, der
zum Beispiel über 50 Jahre alt ist, sind die Beträge exor-
bitant hoch. Dazu kommt die Wartezeit von fünf Jahren.
Wie soll das funktionieren, wenn der- oder diejenige
pflegebedürftig wird? Der- oder diejenige hat nichts von
dem, was eingezahlt wurde. Also: Verkaufen Sie uns





Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



(D)(B)


doch nicht für dumm! Wir durchschauen, was der Hin-
tergrund dieses Gesetzes ist: Sie wollen den Einstieg in
eine kapitalgedeckte Säule in der Pflegeversicherung.
Sie geben den Versicherungen dafür Geld.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, klar! Wie soll es denn sonst gehen? Wie wollt ihr die Kapitaldeckung denn sonst machen?)


Das Allerschlimmste ist: Die staatlichen Fördermittel,
die Sie dafür jetzt vorsehen, fehlen in der gesetzlichen
Pflegekasse. Geben Sie das Geld, das Sie dafür ausge-
ben, lieber in die gesetzliche Pflegekasse; dann wären
wir ein Stück weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich fürchte aber, heute wird es mit dieser Erkenntnis
nicht mehr klappen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718804100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Michalk für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1718804200

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Auch wenn die Opposition den ganzen Morgen be-
hauptet, die Pflegeversicherung ist nichts, sagen wir: Die
Pflegeversicherung ist eine Erfolgsgeschichte.


(Elke Ferner [SPD]: Ihre Reform ist nichts!)


Wir entwickeln sie Schritt für Schritt weiter. Sie ist keine
Vollkaskoversicherung, sondern ein Mix von Beitrags-
zahlungen, staatlichen Hilfen, Solidarität und Eigenver-
antwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nicht immer ist das allen bewusst. Deshalb war die
Diskussion um das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz so
wichtig. Sie hat verdeutlicht, dass wir uns über die ge-
sellschaftlichen Rahmenbedingungen, zu denen auch die
demografische Entwicklung beiträgt, noch viel klarer
werden müssen. Wir können nicht irgendwelche Wol-
kenkuckucksheime bauen, sondern wir müssen die Re-
alität betrachten.

Der erste Schritt auf dem Weg von einer verrichtungs-
bezogenen hin zu einer teilhabeorientierten Pflege wird
getan; dazu sage ich gleich noch etwas. Jeder von uns
weiß jedoch: Wenn wir dieses Gesetz heute beschließen,
sind wir mit der Arbeit in diesem Bereich noch nicht am
Ende, sondern wir werden uns damit Schritt für Schritt
weiter auseinandersetzen. Es wurde bereits darauf hinge-
wiesen, dass sich eine Fachkommission mit dem Pflege-
bedürftigkeitsbegriff beschäftigen wird.

Die zunehmende Tendenz vor Ort, die Pflegearbeit
nach rein wirtschaftlichen Wettbewerbsaspekten zu be-
trachten, kann uns natürlich nicht kalt lassen. Zwar steht
für uns das wirtschaftliche Handeln der Einrichtungen
und der ambulanten Anbieter mit im Vordergrund – ja –,
im Mittelpunkt muss jedoch die bestmögliche Versor-

gung der Pflegebedürftigen nach strukturierten Abläufen
stehen.

Im Gesetzgebungsprozess wurde immer wieder da-
rauf hingewiesen, dass es in der Praxis Probleme bei der
Abgrenzung der häuslichen Betreuungsleistungen des
SGB IX zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach
SGB XII geben könnte. Die Leistungen sind jetzt in
§ 124 SGB XI als Übergangsregelung definiert. Wir
wollen uns seitens der Politik gemäß dem Prinzip der
Selbstverwaltung und der fachlichen Bewertung durch
die zuständigen Gremien nicht in jedes Detail einmi-
schen. Deshalb bleibt es die Aufgabe des Expertenbei-
rats, eine fundierte inhaltliche Definition von Leistung
vorzulegen.

Es ist wünschenswert, dass auch Maßnahmen zur Re-
habilitation sowie gute Pflege den Gesundheitszustand
des Pflegebedürftigen verbessern. Moderne Medizin,
eine gute Heil- und Hilfsmittelversorgung, die Kunst der
Logopäden, der eigene Wille des Patienten bewirken im-
mer wieder Wunder. Das können Sie ja nicht abstreiten.
Nicht zuletzt ist deshalb in § 18 Abs. 6 SGB XI die ge-
sonderte Rehabilitationsempfehlung für medizinische
Reha durch den MDK oder beauftragte Gutachter dezi-
diert festgeschrieben.

Der MDK gibt zwar schon heute Empfehlungen zur
Reha nach dem Checklistenmodell; besonders wichtig
ist uns aber die Akzeptanz der Entscheidung. Deshalb
muss der behandelnde Arzt frühzeitig einbezogen wer-
den; auch hierfür haben wir eine konkrete Regelung in
das Gesetz geschrieben.

Qualitätssicherung und Beschwerdemanagement gibt
es jetzt bereits, aber das muss man verbessern. Auch ich
bin nicht glücklich darüber, dass zehn Seiten lange For-
mulare ausgefüllt werden müssen und ein MDK-Mitar-
beiter zur Prüfung eines Antrags drei Stunden benötigt.
Hier wünsche ich mir intelligentere Lösungen. Diese
werden aber nicht aus der Politik kommen; denn das
Formular verdanken wir dem G-BA.

Ich möchte Ihnen noch drei Punkte nennen, bei denen
wir ganz konkret Verbesserungen vornehmen; denn Sie
behaupten immer: Das Gesetz enthält keine Verbesse-
rungen. – Das Leben ist konkret; die Pflege ist konkret.
Daher die folgenden Beispiele:

Erstens. Wir beschließen heute eine Ausweitung der
im Versorgungsstrukturgesetz eingeführten zusätzlichen
Leistungen für Personen mit dauerhaft erheblich einge-
schränkten Alltagskompetenzen. Das betrifft beispiels-
weise Menschen, die eine Zahnarztpraxis nicht mehr
oder nur mit hohem Aufwand aufsuchen können. Eine
Hausbesuchstätigkeit von Vertragszahnärzten wird im
Grunde genommen zusätzlich vergütet. Voraussetzung
dafür ist eine Vereinbarung. Die Länder können Zu-
schläge vereinbaren.

Zweitens. Es ist schwer nachvollziehbar, dass an Ta-
gen, an denen die Pflege der behinderten Menschen in
der Familie erfolgt, das Pflegegeld nur gekürzt gewährt
wird; das ist die heutige Praxis. Noch schwieriger ist
nachzuvollziehen, warum in einem Ferienmonat, in dem
ein behinderter Mensch zu Hause bei seiner Familie voll





Maria Michalk


(A) (C)



(D)(B)


gepflegt wird, nicht das volle Pflegegeld gezahlt wird,
obwohl die Familie während des gesamten Monats nicht
durch ambulante Pflegeleistungen oder stationäre Pflege
entlastet wird. Das ändern wir jetzt. Ab Januar nächsten
Jahres erhalten Pflegebedürftige anteilig für die Tage der
Hilfe das ungekürzte Pflegegeld. Sie können daher nicht
behaupten, wir würden nichts tun. Wir tun ganz konkret
etwas für Pflegefälle vor Ort.

Drittens. Wir reagieren auf die Bedürfnisse von Kin-
dern und Jugendlichen mit Behinderung, die zu Hause
gepflegt werden. Bisher hatten sie bis zum 18. Lebens-
jahr Anspruch auf Kurzzeitpflege. Der Gesetzentwurf
sieht die Möglichkeit vor, die Kurzzeitpflege bis zum
25. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen. Damit reagieren
wir auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder und Ju-
gendlichen, die eine intensive, altersgerechte Pflege
brauchen. Unserem Familiengedanken entsprechend ha-
ben wir vorgesehen, dass Angehörige eine Entlastung er-
fahren, indem sie im Falle von Krankheit oder im Urlaub
für vier Wochen im Jahr eine vollstationäre Ersatzpflege
in Anspruch nehmen können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718804300

Frau Michalk, bitte.


Maria Michalk (CDU):
Rede ID: ID1718804400

Ich bitte Sie herzlich, unserem Gesetzentwurf zuzu-

stimmen, weil er ganz konkrete Verbesserungen für die
pflegebedürftigen Menschen enthält.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718804500

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich nun dem Kollegen Lothar Riebsamen von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Lothar Riebsamen (CDU):
Rede ID: ID1718804600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bei aller Polemik, die vonseiten der Opposi-
tion immer wieder zum Ausdruck kam, kann man fest-
stellen, dass zumindest darüber Einigkeit besteht, dass
angesichts der 2,4 Millionen pflegebedürftigen Men-
schen, Tendenz deutlich steigend, das Thema Pflege
noch mehr als bisher in den Mittelpunkt der politischen
Debatte gerückt werden muss. Über die Fraktionsgren-
zen hinweg kam auch zum Ausdruck – so habe ich das
wahrgenommen –, dass die Bereiche ambulante Betreu-
ung und häusliche Pflege allen wichtig sind.


(Hilde Mattheis [SPD]: Ach, das war doch immer so!)


Die Opposition kritisiert bei jedem Punkt: Das ist zu
wenig, das geht zu langsam. Das werte ich als Zeichen
dafür, dass die von uns eingeschlagene Richtung grund-
sätzlich stimmt.


(Hilde Mattheis [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass
es eine christlich-liberale Regierung war, die 1995 – ich
stand damals in kommunalpolitischer Verantwortung –
die Pflegeversicherung eingeführt hat, die dafür gesorgt
hat, dass Menschen, die ins Pflegeheim gekommen sind,
eben nicht mehr zu Taschengeldempfängern degradiert
wurden, dass die Kommunen in die Lage versetzt wur-
den, ihre Haushalte wieder auszugleichen, was sie vor
der Einführung der Pflegeversicherung nicht konnten,
weil sie überlastet waren. Wir haben die Pflegeversiche-
rung damals verlässlich eingeführt, und wir werden sie
heute verlässlich fortschreiben, und zwar generationen-
gerecht.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf rücken wir zwei
Themenfelder in den Mittelpunkt – das kam schon mehr-
fach zum Ausdruck –: Demenz – jeder dritte Mensch,
der heute stirbt, leidet an Demenz – und pflegende An-
gehörige. Das Gesetz ist ein Vorgriff auf einen neuen
Pflegebegriff; denn wir wissen sehr wohl, dass ein neuer
Pflegebegriff notwendig ist. Wir haben uns die beiden
Themen vorgenommen, weil sie uns auf den Nägeln
brennen. Daher ist unser Vorgehen schlicht und ergrei-
fend vernünftig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir stellen den ambulanten Bereich nicht etwa des-
halb in den Vordergrund, um Geld zu sparen. Wir geben
mehr Geld im ambulanten Bereich aus. In der Pflege-
stufe I ist eine Erhöhung des Pflegesatzes von über
30 Prozent vorgesehen, bei den Sachleistungen sind es
50 Prozent. Bei anderen Leistungserbringern, beispiels-
weise Krankenhäusern, reden wir von Grundlohnsum-
men, von 1,5, 2 oder 3 Prozent; hier reden wir von
50 Prozent. Bei aller Kritik bitte ich Sie, das nicht zu
vergessen.

Die Situation der pflegenden Angehörigen wird mit
diesem Gesetz ebenfalls deutlich verbessert. Den pfle-
genden Angehörigen wird die Möglichkeit eröffnet, sich
um ihre eigene Gesundheit zu kümmern. Sie können bei-
spielsweise eine Reha machen und ihre zu pflegenden
Angehörigen mitnehmen. Es wird dafür gesorgt, dass die
Rentenleistungen derjenigen, die über einen längeren
Zeitraum pflegen, verbessert werden. Mit Blick auf das
Thema Demenz haben wir außerdem eine neue Pflege-
stufe eingeführt, die sogenannte Pflegestufe 0. Leicht an
Demenz erkrankte Menschen erhalten pro Monat
125 Euro. Auch das ist ein großer Fortschritt.

Letztlich geht es darum, alten und pflegebedürftigen
Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. In
den eigenen vier Wänden zu leben, solange dies möglich
ist, ist sicher der größte Wunsch der meisten von uns,
wahrscheinlich von uns allen. Deswegen sind für mich die
neuen Wohnformen im Alter, die wir weiterentwickeln,
das Wichtigste an diesem Gesetz. 10 Millionen Euro wer-
den für die wissenschaftliche Begleitung des Themas
neue Wohnformen im Alter bereitgestellt. Wir müssen in
diesem Bereich forschen, um weiterzukommen. Es wird





Lothar Riebsamen


(A) (C)



(D)(B)


aber auch ganz konkrete Hilfen für Investitionen geben,
und für das Wohnen in betreuten Wohnformen wird es
eine Pauschale in Höhe von 200 Euro pro Monat geben.

Im Alter selbstbestimmt zu leben, bedeutet für mich
auch, unabhängig festlegen zu können, wie ich meinen
Tagesablauf gestalte und welche Hilfen ich in Anspruch
nehme. Ich kann die Hilfen, die ich brauche, einkaufen
und meinen Tagesablauf selbst bestimmen. Das ist nicht
zwangsläufig billiger, als im Pflegeheim zu leben; das
weiß ich sehr wohl. Ich kann aber selbst bestimmen, ob
ich mit festangestellten Mitarbeitern in der Wohngruppe,
mit Freiwilligen oder mit Kooperationen, mit größeren
Trägern arbeite. Dies ist den Menschen freigestellt.

Dies wird auch dazu führen, dass neue Trägersysteme
und ganz neue Organisationsformen entstehen. Ich bin
selber an einer beteiligt. Wir sind gespannt, wie die neuen
Wohnformen im Alter aussehen werden. Wir hoffen, dass
uns keine gesetzlichen Fesseln angelegt werden, insbe-
sondere was Präsenzkraft und Tagesablauf anbelangt.
Diesbezüglich ist dieses Gesetz ein großer Fortschritt. Es
gibt viele, die darauf warten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir leben in einer Gesellschaft des längeren Lebens.
Darum – ich habe es betont – wird die Anzahl der pfle-
gebedürftigen Menschen zunehmen. Mit diesem Gesetz
gehen wir einen deutlichen Schritt in die richtige Rich-
tung, wohl wissend, dass das nicht der letzte Schritt war,
sondern weitere Schritte folgen werden. Diese Schritte
werden wir, nachdem wir den Pflegebedürftigkeitsbe-
griff sauber ausgearbeitet haben, auch gehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718804700

Ich schließe die Aussprache.

Tagesordnungspunkt 44 a. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/9977 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 44 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der Pflegeversiche-
rung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
chen 17/10157 und 17/10170, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 17/9369 und 17/9669
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wir stimmen namentlich ab.
Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer überall an
ihren Plätzen? – Dann eröffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied anwesend, das seine Stimmkarte
nicht eingeworfen hat? – Offenkundig haben alle Mit-
glieder ihre Stimmkarten eingeworfen.

Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben1).

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/10157 fort.

Ich bitte zunächst die Kollegen, wieder Platz zu neh-
men, damit ich alles überblicken kann.

Tagesordnungspunkt 44 c. Unter Buchstabe b emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9393 mit dem Ti-
tel „Pflege tatsächlich neu ausrichten – Ein Leben in
Würde ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grü-
nen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/9566 mit dem Titel „Für eine
grundlegende Reform der Pflegeversicherung – Nutzer-
orientiert, solidarisch, zukunftsfest“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Grünen und Enthaltung von SPD und
Linken.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/2924 mit dem Titel „Versorgungslücke nach
Krankenhausaufenthalt und ambulanter medizinischer
Behandlung schließen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken
und der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion.

Tagesordnungspunkt 44 d. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt
aus der Reichsversicherungsordnung in das Fünfte Buch
Sozialgesetzbuch überführen und zeitgemäß ausgestal-
ten“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/9376, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5098 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –

1) Ergebnis Seite 22642 D





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und Grü-
nen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 45 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rah-
menbedingungen außeruniversitärer Wissen-

(Wissenschaftsfreiheitsgesetz – WissFG)


– Drucksachen 17/10037, 17/10123 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Bundesministerin Dr. Annette Schavan das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat An-
fang Mai dieses Jahres den Entwurf des Wissenschafts-
freiheitsgesetzes verabschiedet, den wir heute in erster
Lesung beraten werden. Sein Vorläufer waren unterge-
setzliche Regelungen, die wir in der Zeit der Großen Koali-
tion verabredet haben und die sich – so hat die Evalua-
tion gezeigt – bewährt haben. Deshalb gehen wir nun
den nächsten Schritt: Wir treffen gesetzliche Regelun-
gen. Damit setzen wir im Hinblick auf die neuen Rege-
lungen ein Zeichen der Verlässlichkeit und Dauerhaftig-
keit.

Diese Maßnahme ist für die großen Forschungsorga-
nisationen wichtig. Sie ist in Wirklichkeit auch ein Teil
der Internationalisierungsstrategie, weil die Bedingun-
gen, die wir schaffen, die internationale Wettbewerbsfä-
higkeit unserer Forschungsorganisationen stärken wer-
den. Diese Maßnahme trägt außerdem dazu bei, die
Attraktivität unseres Wissenschaftssystems zu stärken.
Diesem Zweck dienen auch andere Maßnahmen wie der
Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und der Pakt für
Forschung und Innovation; hier ist ein stetiger Zuwachs
zu verzeichnen. Mit all dem verfolgen wir das Ziel, für
Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler gute Bedingungen in Deutschland zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, es zeigt sich, dass diese
Maßnahmen wirken. Gute Bedingungen am Standort
Deutschland machen ihn international attraktiv. Deutlich
wird dies zum Beispiel an der Tatsache, dass bei den
Wissenschaftsorganisationen wie der Max-Planck-Ge-

sellschaft mittlerweile ein Drittel der Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler und fast die Hälfte der Dokto-
randen aus dem Ausland kommen; das ist ein gutes
Zeichen. Erst gestern waren ja in manchen Zeitungen
Berichte zu lesen, in denen es hieß, dass die Internatio-
nalisierung auch an den Hochschulen zunehmen muss.

In Deutschland ergreift mittlerweile die Hälfte eines
Jahrgangs ein Studium. Noch vor wenigen Jahren haben
wir uns zum Ziel gesetzt, einen Anteil von 40 Prozent zu
erreichen; wir sind mittlerweile weit darüber hinaus.

Hinzu kommt: Diese Bundesregierung hat 2009, mit-
ten in der Wirtschaftskrise, gesagt: Wir investieren wei-
ter in Bildung und Forschung, und zwar mehr als je zu-
vor. Das ist der richtige Zeitpunkt. – Vor diesem
Hintergrund, meine Damen und Herren, wundert es
mich, dass die SPD angesichts der Verabschiedung des
Haushaltsentwurfs für das Jahr 2013 in diesen Tagen mit
der Behauptung durchs Land zieht, der BAföG-Etat
werde um 250 Millionen Euro gekürzt. Was Sie reden,
reden Sie wider besseres Wissen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Außerdem reden Sie damit schlecht, woran Sie selbst in
der Zeit der Großen Koalition mitgewirkt haben. Von
2005 bis zum Jahre 2013 werden die Ausgaben für das
BAföG um 43 Prozent gestiegen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Zahlen für 2013 sind natürlich auch eine Konse-
quenz aus der Bevölkerungsentwicklung. Die Schüler-
zahlen sind im letzten Jahr zurückgegangen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was steht denn im Wissenschaftsfreiheitsgesetz? Bisher nur Worthülsen! Kein Wort zum Gesetz!)


Erstmals ist die Zahl der Schulabsolventen gesunken;
also verringern sich die Ausgaben für das Schüler-
BAföG. Im Übrigen wissen Sie, dass es aufgrund eines
Urteils des Bundesverwaltungsgerichts im Blick auf be-
hinderte Studierende unvorhersehbare Mehrausgaben
gab, deren tatsächliche Größenordnung sich erst nach
ersten Erfahrungen mit den Erstattungsforderungen der
beteiligten Leistungsträger untereinander belastbarer kon-
kretisieren ließ.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht in Ihrem Gesetz nichts drin, dass Sie darüber nicht reden?)


Sie wissen, dass das eine gesetzliche Leistung ist. Es
geht überhaupt nicht darum, was sich wer vornimmt,
sondern „gesetzliche Leistung“ heißt: Es wird gezahlt.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Eben!)


Es wird auch weiterhin mehr investiert, weil wir davon
überzeugt sind, dass das ein wichtiger Punkt für die Stu-
dierenden in unserem Land ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, mit dem Wissenschafts-
freiheitsgesetz wollen wir die Rahmenbedingungen so





Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) (C)



(D)(B)


ändern, dass das deutsche Wissenschaftssystem – das ist
eines der wichtigsten Ziele dieser Bundesregierung – in-
ternational immer stärker wird. Vier Handlungsfelder
gehören dazu:

Erstens. Unsere Forschungsorganisationen sollen
Globalhaushalte für ihre Personal-, Sach- und Investi-
tionsmittel führen können. So steht es im Gesetzentwurf.
Das bedeutet konkret, dass wir die vollständige Überjäh-
rigkeit und Deckungsfähigkeit der Mittel ermöglichen.
Noch vorhandene Stellenpläne werden entfallen.

Zweitens. Die Einrichtungen sollen verstärkt Dritt-
mittel aus nichtöffentlichen Quellen einsetzen dürfen,
um Spitzenforscher zu gewinnen. Das ist ein besonders
wichtiges Anliegen im internationalen Wettbewerb um
die Besten. Gleichzeitig werden wir die Bedingungen
dafür durch flankierende untergesetzliche Maßnahmen
– entsprechend den Gegebenheiten – auf dem internatio-
nalen Wissenschaftsmarkt flexibilisieren.

Drittens. Der Brückenschlag zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft macht marktfähige Innovationen erst
möglich. Deshalb ist es wichtig, gute Bedingungen für
Ausgründungen zu schaffen. Forschungseinrichtungen
müssen ohne umständliche Genehmigungsverfahren Be-
teiligungen an Unternehmen im In- und Ausland einge-
hen können. Durch klar geregelte Fristen wird das Ge-
nehmigungsverfahren beschleunigt.

Viertens. Der Bau von wichtigen Infrastrukturen in
hochspezialisierten Bereichen darf nicht durch langwie-
rige Verfahren verzögert werden. Wir konnten erreichen,
dass die Wissenschaftseinrichtungen dann, wenn im
Blick auf Baumaßnahmen der erforderliche Sachver-
stand – wir haben hier in den vergangenen Jahren schon
gute Erfahrungen mit dem Max-Planck-Institut ge-
macht – und ein adäquates Controlling vorhanden sind,
ihre Vorhaben künftig eigenständiger voranbringen kön-
nen.

Dieses Ergebnis ist auch das Ergebnis des Ringens
zwischen den Wissenschaftspolitikern einerseits und den
Finanz- und Haushaltspolitikern andererseits gewesen;
denn in dieser Diskussion ist natürlich immer wieder
auch die Frage gestellt worden: Wie wird das Parlament
kontrollieren und wie sieht wissenschaftsadäquates Con-
trolling aus, wenn diese Freiheiten gegeben werden?

Mehr Freiheit heißt nicht weniger Verantwortung. Die
Verantwortung vor Ort wird steigen. Mehr Flexibilität
und mehr Autonomie werden mit einer Weiterentwick-
lung des wissenschaftsadäquaten Controllings einher-
gehen. Eine gesteigerte Eigenverantwortung gehört zu
unserem Verständnis von einer international wettbe-
werbsfähigen Wissenschaftsgesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt,
dass das Wissenschaftsfreiheitsgesetz positive Impulse
für das gesamte Wissenschaftssystem entfalten wird. Es
gibt hier zwei große Bereiche, die uns am Herzen liegen:

Erstens sind die Ressortforschungseinrichtungen zu
nennen. Das Kabinett hat mit diesem Gesetzentwurf zu-
gleich Flexibilisierungen für Forschungseinrichtungen

auf den Weg gebracht, und zwar dort – das ist die Beson-
derheit der Ressortforschung –, wo es um Forschung
geht. Wir wissen, dass es auch Ressortforschungsein-
richtungen gibt, die sich noch stärker als nachgeordnete
Behörde empfinden. Ich bin davon überzeugt – die ers-
ten Schritte sind jetzt getan –, dass es eine gute Möglich-
keit der Profilbildung von Ressortforschungseinrichtun-
gen gibt, damit sie den Schwerpunkt wirklich auf die
Forschung setzen und an den neuen Regelungen partizi-
pieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens appelliere ich an die Länder, die positiven
Erfahrungen, die wir mit den untergesetzlichen Regelun-
gen schon gemacht haben, für die Hochschulen zu über-
nehmen. Es gibt erste positive Signale. Ich sage aber
noch einmal sehr deutlich: Auch die Länder sollten keine
Angst haben vor mehr Selbstständigkeit, mehr Eigenver-
antwortung ihrer Hochschulen.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Sehr richtig!)


Das wird die Voraussetzung dafür sein, dass das, was öf-
fentlich zu Recht gefordert wird, tatsächlich möglich
wird, nämlich dass sich in den nächsten Jahren die Inter-
nationalisierung in den Hochschulen in Deutschland
positiv entwickelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, ich danke herzlich allen –
quer durch alle Parteien –, die sich eingesetzt haben.
Ganz besonders danke ich den Regierungsfraktionen da-
für, dass wir diesen Gesetzentwurf jetzt so beraten kön-
nen.

Wenn ich von Stärkung der Hochschulen spreche und
an die Länder appelliere, dann füge ich gleich hinzu: Das
Nächste, womit wir uns beschäftigen werden und was
für mich in das Maßnahmenpaket dieser Legislaturpe-
riode gehört, ist, zu ermöglichen, dass der Bund in Zu-
kunft und dauerhaft Einrichtungen in den Hochschulen
fördern kann. Das ist eine zentrale Voraussetzung, ein
Schlüssel für internationale Attraktivität. Deshalb werde
ich jede Gelegenheit nutzen, zu appellieren, dass uns das
in dieser Legislaturperiode gelingt, weil es in vielen Re-
gionen Deutschlands einen großen Schub auslösen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1718804800

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ih-

nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der
Pflegeversicherung bekannt: abgegebene Stimmen 591.
Mit Ja haben gestimmt 324, mit Nein haben gestimmt
267, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist damit
angenommen.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist schlecht!)






Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 591;
davon

ja: 324
nein: 267

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz

Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer

Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer


(Weil am Rhein)


Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae

Manfred Todtenhausen
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)


Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier

Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz

Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus

Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Als nächster Redner hat jetzt der Kollege Klaus
Hagemann von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1718804900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Um es vorweg zu sagen: Die SPD-Fraktion ist
für Wissenschaftsfreiheit und ein gut gemachtes Wissen-
schaftsfreiheitsgesetz.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Dann können Sie ja zustimmen!)


Die Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen:
In der 16. Wahlperiode hat die Große Koalition die
untergesetzliche Wissenschaftsfreiheitsinitiative durch-
gesetzt, die positiv angenommen wurde und sich positiv
ausgewirkt hat. Ich war damals recht froh, dass der
damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück uns mit
unterstützt hat. Etwas Widerstand gab es in dieser
Zeit vom damaligen CDU-Haushaltssprecher Steffen
Kampeter.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: So?)


Das möchte ich in Erinnerung rufen.

Die Wissenschaftsorganisationen haben schlüssig
nachgewiesen, dass es sinnvoll ist, Wissenschaftsfreiheit
zu gewähren. Sie haben dargelegt, dass sie verlässliche
Rahmenbedingungen brauchen und über die Jährlichkeit
der Haushalte hinaus über Mittel verfügen können müs-
sen und dass das entsprechend berücksichtigt werden
muss, dass sie mehr Flexibilität in ihrer Arbeit brauchen,
insbesondere im Baubereich – das wurde bereits darge-
legt –, nämlich für langfristige Baumaßnahmen, für
große Baumaßnahmen, aber auch im Personalbereich.

Diese Initiative war zunächst auf zwei Jahre begrenzt.
Sie hat sich bewährt. Aufgrund eines Antrags meiner
Fraktion, Kollege Rehberg, haben wir gemeinsam die
Verlängerung dieser Initiative beschlossen, weil aus der
Bundesregierung keine Gesetzesinitiative gekommen
war. Es wurde auch eine Anhörung mit den Wissen-
schaftsorganisationen und einigen Ressortforschungs-
einrichtungen durchgeführt, die belegt hat, wie notwen-
dig diese Initiative ist. Das war einvernehmlich, und es
war gut, dass wir das gemeinsam entwickelt haben.

Jetzt endlich, auf den letzten Metern der Legislatur-
periode – ein Jahr noch; drei Jahre sind schon herum –,
kommen Sie mit diesem Gesetzentwurf. Aber es ist ein
Gesetzentwurf in Lightform, und es besteht Nachbesse-
rungsbedarf. Im Zuge der Beratungen in den Ausschüs-
sen können wir diesen Entwurf sicherlich noch nachbes-
sern. Beispielsweise listen Sie willkürlich einige
Wissenschaftsorganisationen auf. Warum nehmen Sie
nicht alle aus der Allianz hinzu und bringen sie mit in
diesen Gesetzentwurf hinein?

Warum werden hier einige Mitglieder der Forschungs-
allianz herausgenommen? Sie erwähnen die Ressortfor-
schungseinrichtungen überhaupt nicht. Ich möchte bei-
spielsweise die Bundesanstalt für Materialforschung und
-prüfung oder die Physikalisch-Technische Bundesanstalt
nennen, die hier eigentlich mit hineingehört.

Zu einem anderen Thema. Frau Ministerin, Sie spre-
chen in § 3 Ihres Gesetzentwurfs von einem „Global-
haushalt“, aber vergessen, die Bundeshaushaltsordnung
zu erwähnen und sie an diese Regelung anzupassen. Hier
herrscht unserer Ansicht nach Beratungsbedarf. Wir
müssen dafür sorgen, dass das mit der Bundeshaushalts-
ordnung übereinstimmt.





Klaus Hagemann


(A) (C)



(D)(B)


Frau Ministerin, Sie wollen die Länder bei diesem
Gesetz nicht über den Bundesrat beteiligen, obwohl
mehrere der aufgeführten Forschungseinrichtungen zum
Teil bis zur Hälfte durch die Länder finanziert werden.
Ich nenne beispielsweise die Leibniz-Gemeinschaft, lie-
ber Kollege Kretschmer, in deren Senat wir beide sind.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Verdienstvolle Arbeit!)


Warum findet der Länderanteil hier keine Berücksich-
tigung? Ich verweise auch auf die Max-Planck-Gesell-
schaft. Auch hier ist meiner Ansicht nach eine Mitwir-
kungspflicht durch die Länder gegeben. Das hat der
Bundesrat in seiner Stellungnahme deutlich herausge-
stellt. Kollege Kretschmer, auf Ihrer Homepage habe ich
gelesen, dass Sie der Meinung sind, dass sich die Länder
hier verstärkt einbringen können müssen und auch über
den Bundesrat mitwirken müssen.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Richtig!)


Lassen Sie mich einen weiteren Kritikpunkt anspre-
chen. Nach dem Gesetzentwurf soll das Bildungs- und
Forschungsministerium im Einvernehmen mit dem Bun-
desfinanzministerium, also allein die Exekutive, Infor-
mations- und Steuerungsinstrumente festlegen. Warum
die Exekutive allein, frage ich. Warum ist hier nicht das
Parlament gefragt?


(Beifall bei der SPD)


Wir sollten darüber nachdenken, ob hier nicht auch das
Parlament, wir als Gesetzgeber, mit beraten und mit ent-
scheiden sollte. Wir wissen, wie oft uns in anderen The-
menbereichen das Bundesverfassungsgericht deutlich
gemacht hat, dass das Parlament zu beteiligen ist. Wohin
es führt, wenn das nicht geschieht, wenn ein Ministerium
also alleine Informations- und Steuerungsinstrumente
festlegt, kann man beim Thema Nachwuchsförderung
bei den Forschungseinrichtungen feststellen.

Nebenbei bemerkt: Eines der wichtigsten Ziele beim
Pakt für Forschung und Innovation, der von Frau
Bulmahn, der damaligen SPD-Bildungs- und For-
schungsministerin, initiiert worden ist, ist die Nach-
wuchsförderung. Seit wir den Pakt haben, stehen den
Forschungseinrichtungen fast 4 Milliarden Euro zusätz-
lich zur Verfügung, und das ist auch gut so. Zunächst
wurde eine Erhöhung um 3 Prozent vorgenommen, und
jetzt ist es zu einer Steigerung von 5 Prozent in jedem
Jahr gekommen.

Vorige Woche habe ich die Bundesregierung gefragt,
wie es mit der Nachwuchsförderung aussieht, wie viel
Geld von den 4 Milliarden Euro in die Nachwuchsförde-
rung geflossen ist und wie viele Nachwuchswissen-
schaftler ausgebildet worden sind. Die Antwort des Bun-
desbildungs- und Forschungsministeriums lautete: Das
wissen wir nicht. – Daher stellt sich schon die Frage, ob
die von mir bereits angesprochene Steuerung sinnvoll
ist. Ich spreche hier nicht von der Detailsteuerung; das
sollen die Organisationen nach unseren Vorstellungen
selbst vornehmen. Aber man muss doch die große Rich-
tung vorgeben und ein Teilziel dieses Pakts berücksichti-
gen.

Man gewinnt manchmal schon den Eindruck, dass die
Presse mehr weiß als die Bundesregierung. Ich will ei-
nige Schlagworte zitieren, die wir in den letzten Tagen
lesen konnten. Beispielsweise schreibt die taz von „Billig-
forscher“ oder „prekären Arbeitsverhältnisse“ bei einer
Forschungseinrichtung. Das sind nicht meine Worte; sie
stammen aus der Presse. Ich will aber nicht nur die taz
zitieren, sondern auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung,
die Ihnen wesentlich näher steht. Da ist von „Schwarz-
arbeit“ in einer Forschungseinrichtung die Rede. Auch
das ist ein Zitat aus der Presse. Ich zitiere weiter:

Man könnte auch vom Niedriglohnsektor in der
Spitzenforschung sprechen.

Das sind Punkte, auf die wir als Parlament achten
müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen darauf hinwirken, dass solche Rückschlüsse
nicht gezogen werden können. Denn wie passt das zu-
sammen? Wie können bei 4 Milliarden Euro zusätzlich
Stichworte wie Billigforscher oder Niedrigsektor fallen?
Nein, Spitzenförderung und Nachwuchsförderung sind
zwei Seiten derselben Medaille. Hier besteht Handlungs-
bedarf. Das muss auch im Gesetzentwurf festgelegt wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Lassen Sie mich noch den Aspekt der Bezahlung an-
sprechen. Für uns, die SPD, gilt: Spitzenwissenschaftler
müssen Spitzenentlohnung erhalten. Das ist selbstver-
ständlich, um den Forschungsstandort Deutschland zu
sichern.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Deshalb brauchen wir ein Gesetz!)


Darin sind wir uns einig. Wir haben in der Zeit der Großen
Koalition beispielsweise die Humboldt-Professur ge-
meinsam auf den Weg gebracht, und das ist gut so.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Richtig!)


Das gilt aber genauso für Personal bei technischen
Großgeräten. Auch hier muss eine leistungs- und verant-
wortungsgerechte Bezahlung erfolgen; das ist in Ord-
nung. Aber dass Nachwuchswissenschaftler, beispiels-
weise Doktoranden, ohne Sozialversicherung und im
Niedriglohnsektor arbeiten – das sind nicht meine Worte,
sondern davon war in der Presse die Rede –, geht nicht
an. Da müssen wir den Finger in die Wunde legen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Betroffenen, die Doktoranden und Stipendiaten, sind
an die Öffentlichkeit gegangen. Sie haben die Medien
eingeschaltet und sogar eine Petition an den Deutschen
Bundestag gerichtet. Die Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft hat hier Hinweise gegeben, die wir beach-





Klaus Hagemann


(A) (C)



(D)(B)


ten sollten, nämlich dass die Einhaltung von Tarifverträ-
gen auch bei den Forschungseinrichtungen wichtig ist
und dass, wenn dieses Gesetz in Kraft getreten ist, die
Forschungseinrichtungen aus tarifrechtlichen Gründen
als Arbeitgeber in die Arbeitgeberverbände eintreten
sollten.

Der Bundesrechnungshof hat sich zu den Sonderzah-
lungen für Wissenschaftler, die im Jahr 2011 geleistet
worden sind, geäußert. Er hat sich nicht grundsätzlich
gegen zusätzliche Leistungen ausgesprochen. Ich finde,
dass der Rechnungsprüfungsausschuss am 2. März in
dieser Frage einen sehr klugen und weisen Beschluss ge-
fasst hat. Herr Kollege Rehberg, ich glaube, Sie gehören
dem Rechnungsprüfungsausschuss auch an. Er hat das
Bundesbildungs- und Forschungsministerium aufgefor-
dert, dafür zu sorgen, dass die Forschungseinrichtungen
die zusätzlichen Leistungen zielgenau einsetzen, dies
sachgerecht begründen und auch ausreichend dokumen-
tieren sollen. Das war ein weiser Beschluss.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ich danke für das Kompliment!)


Auch der Vorsitzende des Rechnungsprüfungsaus-
schusses, Kollege Luther, wurde für seine Leitung der
Ausschusssitzungen sehr gelobt. Auch er hat letzten
Mittwoch im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass
da, wo öffentliche Gelder fließen, der Rechnungshof
kontrollieren und prüfen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist eine wichtige Voraussetzung, die wir beachten
müssen. Die Grundsätze der Bezahlung müssen durch
das Parlament festgelegt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Schluss kommen. Nach einer fast fünfjährigen
Probephase der Wissenschaftsfreiheit ist es an der Zeit,
dass die gesetzliche Regelung kommt. Der vorliegende
Gesetzentwurf ist unserer Ansicht nach nicht ausrei-
chend. Hier muss noch etwas Fleisch an das Skelett.


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Aber nicht so viel! Dann ist es nachher übergewichtig!)


Aber es gibt im Parlament das sogenannte Struck’sche
Gesetz, das besagt, dass kein Gesetz den Bundestag so
verlässt, wie es hineingekommen ist. Ich bin überzeugt,
dass noch Verbesserungen durchzusetzen sind. Wir bie-
ten dafür unsere Zusammenarbeit an. Ich hoffe, dass die
Initiative so, wie wir sie während der Großen Koalition
begonnen haben, erfolgreich gesetzlich geregelt werden
kann.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718805000

Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1718805100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beginnen heute mit der Debatte eines für
die Wissenschaft sehr wichtigen Gesetzentwurfs. Ich
möchte zu Beginn meiner Ausführungen etwas zu den
Argumenten der Opposition sagen. Sie haben in zahlrei-
chen Pressemeldungen verschiedene Begriffe in die Welt
gesetzt. Sie haben zum Beispiel geschrieben, dass dem
Gesetzentwurf die Substanz fehlt, und ihn als Symbol-
politik abgetan. Wenn Sie Gespräche mit Wissenschafts-
einrichtungen führen, werden Sie bemerken, wie falsch
Ihre Bewertung an dieser Stelle ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Wissenschaftsrat, die Hochschulrektorenkonferenz
und auch die außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen stimmen diesem Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu.
Warum? Weil wir es brauchen. Ich glaube, wir setzen ein
Signal für die deutsche Wissenschaft, wenn wir diesen
Gesetzentwurf zeitnah auf den Weg bringen. Auch die
Hochschulrektorenkonferenz stimmt diesem Gesetzent-
wurf zu, obwohl die Hochschulen nicht davon berührt
sind.

Das Gesetz wird positiv aufgenommen. Die darin ent-
haltenen Regelungen und Flexibilisierungen werden seit
langem erwartet. Deshalb ist es für mich unverständlich,
lieber Kollege Röspel – ich wünsche Ihnen bei dieser
Gelegenheit gute Besserung –, dass Sie dieses Gesetz in
Ihrer Pressemeldung so abwerten. Ein Grund dafür
könnte – das habe ich mir sagen lassen – Folgendes sein:
In der Großen Koalition ist der Versuch gescheitert, ein
derartiges Wissenschaftsfreiheitsgesetz auf den Weg zu
bringen. Es ist Ihnen einfach nicht gelungen. Nach dem,
was ich gelesen habe, lag das nicht an Frau Bundes-
ministerin Schavan. Vielmehr hat sich Ihr damaliger
Finanzminister Peer Steinbrück verweigert.


(Klaus Hagemann [SPD]: Herr Kampeter war es!)


Sie haben also nicht die Kraft gehabt, ein solches Gesetz
vollständig umzusetzen.

Des Weiteren werfen Sie uns Mutlosigkeit vor. Dabei
haben wir lediglich darauf hingewiesen, dass das Gesetz
in die Realität überführt werden muss. Sie bemängeln,
dass die Ressortforschungseinrichtungen nicht berück-
sichtigt werden. Sie wissen aber ganz genau, dass Res-
sortforschungseinrichtungen eigentlich Chimären sind.
Die Bandbreite bei den Ressortforschungseinrichtungen
reicht von 3 Prozent bis zu 80 Prozent Forschungsleis-
tung. Wir müssen es an dieser Stelle dem jeweiligen
Bundesministerium überlassen, nach sachlichen Krite-
rien zu entscheiden, welche Ressortforschungseinrich-
tungen von diesem Gesetz profitieren sollen.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie sind doch die Bundesregierung!)


Frau Sager, das hat nichts mit Gutdünken zu tun, wie es
in zahlreichen Pressemeldungen heißt. Es geht um sach-
orientierte Entscheidungen. Wir wissen um die schwie-
rige Situation der Ressortforschungseinrichtungen.





Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz bringt die
christlich-liberale Koalition ein zentrales Projekt des
Koalitionsvertrags auf den Weg. Wir legen einen Gesetz-
entwurf vor, der tatsächlich für eine wissenschaftsgelei-
tete Selbstverwaltung der Wissenschaft steht. Wie be-
reits angesprochen, fokussieren wir dieses Gesetz auf die
Bereiche Haushalt, Personal – dabei geht es auch um die
Bezahlung und das Besserstellungsgebot –, Bauverfah-
ren und Beteiligung. Aufgrund meiner eigenen langjäh-
rigen wissenschaftlichen Tätigkeit weiß ich, wie schwie-
rig es ist, Forschung unter den Rahmenbedingungen
einer kameralistischen Haushaltsführung zu betreiben.
Wir alle kennen den Begriff „Dezemberfieber“. Am
Ende eines jeden Jahres ist die Kuriosität zu beobachten,
dass das Geld einfach ausgegeben wird. Man möchte es
nicht zurückgeben, weil das dem Wissenschaftssystem
nicht helfen würde. Wir wollen Rechtssicherheit und
auch, dass die Mittel, die wir im wissenschaftlichen Be-
reich einsetzen, sachgerecht verwendet werden. Es wird
die Möglichkeit geschaffen, Geld für wichtige Vorhaben
anzusparen und eigenverantwortlich Schwerpunkte zu
setzen.

Unter dem Strich wird das Gesetz vor allem neue
Freiheiten bringen, die die internationale Wettbewerbs-
fähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems stärken.
Wissenschaftsrat und Hochschulrektorenkonferenz ha-
ben angeregt, dass das Wissenschaftsfreiheitsgesetz eine
Art Vorbildfunktion und Signalwirkung für die Länder
haben muss, um tatsächlich von einer Wissenschaftsfrei-
heit in dem von mir genannten Sinne sprechen zu kön-
nen. Als Liberaler kann ich die Freiheitsinitiative für die
Hochschulen nur begrüßen und die entsprechenden For-
derungen unterstützen. Bereits im Jahr 2006 wurde in
NRW unter Professor Pinkwart ein Hochschulfreiheits-
gesetz in Kraft gesetzt. Diese Hochschulfreiheitsinitia-
tive wurde von uns auf den Weg gebracht. Aktuell wer-
den wir Liberale gemeinsam mit der CDU in Sachsen
ebenfalls ein Hochschulfreiheitsgesetz beschließen. Das
ist der richtige Weg. Auf diesem sollten wir fortfahren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Kollege Hagemann, Sie haben bereits auf einige kon-
struktive Vorschläge verwiesen. In Fachgesprächen und
in den Ausschussberatungen gibt es sicherlich noch
Möglichkeiten, darüber zu debattieren.

Es geht um die Zielstellung, im System tatsächlich et-
was zu verändern und mehr Freiheit zu schaffen. Ich
glaube, dass wir am Ende – ich lade Sie alle zu den Bera-
tungen ein – ein konstruktives, für die Wissenschaft
wichtiges Wissenschaftsfreiheitsgesetz auf den Weg
bringen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718805200

Ich erteile Kollegin Petra Sitte für die Fraktion Die

Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718805300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach drei

Jahren – drei Jahren! – Ankündigung legen Sie uns nun
acht dünne Paragrafen vor. Das Ganze nennen Sie dann
noch schicksalsträchtig „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“.
Wow! Das eigentliche Anliegen des Gesetzes aber wird
sofort mit dem ausführlichen Titel „Gesetz zur Flexibili-
sierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen
außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen“ wieder
geerdet. Am Ende handelt es sich genau genommen um
nichts anderes als die Flexibilisierung von Regelungen,
die in den jährlich vom Bundestag zu beschließenden
Haushaltsgesetzen und in der Bundeshaushaltsordnung
ohnehin zu fixieren sind und fixiert worden sind. Hinzu
kommt, dass fast alle Regelungen, die das neue Gesetz
enthalten soll – Frau Ministerin hat das gesagt –, bereits
seit Jahren quasi auf dem Verordnungswege untergesetz-
lich praktiziert werden.

Tatsächlich soll durch dieses Gesetz schnöde Deregu-
lierungspolitik mit Verfassungsrhetorik verschleiert wer-
den. Das bedeutet konkret: Sowohl dem Parlament als
auch der Regierung werden wieder einmal Gestaltungs-
möglichkeiten entzogen. So stellt sich für mich unwei-
gerlich die Frage: Sind Sie hier eigentlich zum Regieren
oder zum Delegieren angetreten?


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Zum Deregulieren!)


Wie kontraproduktiv dieser Deregulierungsansatz sein
kann, haben wir längst in anderen Politikfeldern kennen-
gelernt. Wir kennen es von den Finanzmärkten und den
Energiemärkten sowie aus der Beschäftigungspolitik.
Wir erleben aber gerade in diesen Fällen deutlich gegen-
läufige Tendenzen, nämlich dass man versucht, die Ver-
antwortung wieder in die öffentliche Hand zurückzuho-
len.

Auch in den Forschungseinrichtungen selbst dürften
die Bewertungen je nach Platz im System höchst unter-
schiedlich ausfallen. Dass die Leitungen der Einrichtun-
gen die freie Hand begrüßen, ist doch wohl logisch.
Wenn der Frosch gefragt wird, ob er noch Wasser im
Teich haben will, wird er immer sagen: Ja, ich möchte
bitte noch Wasser.


(Beifall bei der LINKEN)


Was das aber aus Sicht der vielen Beschäftigten in der
Wissenschaft bedeutet, ist in diesem Gesetz offensicht-
lich nicht beachtet worden. Ansonsten lassen sich näm-
lich die Widersprüche nicht erklären. Diesen will ich
mich in meiner Rede widmen. Dazu kann ich sehr gut an
die Ausführungen von Herrn Hagemann anknüpfen.

Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht vor – ich
zitiere –:

Im Bereich Haushalt wird die Einführung von Glo-
balhaushalten angestrebt.

Daraus folgt – das ist völlig richtig –, dass Haushaltsmit-
tel für verschiedene Zwecke eingesetzt sowie über Jah-
resgrenzen hinweg erhalten, angespart und entsprechend
verplant werden können. Das ist so neu nicht, wird ei-
gentlich schon seit Jahren praktiziert. Damit soll den





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Einrichtungen dann unter anderem mehr Autonomie ein-
geräumt werden.

Mehr Autonomie? Ich erinnere an die Debatten zum
Thema „Autonomie“. War da nicht irgendetwas? Was da
war, zeigen die gerade laufenden bundesweiten Debatten
um bereits deregulierte Hochschulen. Dort ist Autono-
mie eingeräumt worden, allerdings nicht mit einem
Mehr an Demokratie. Das hat zu intransparenten, einsei-
tigen und ungerechten Entscheidungen über die hoch-
schulinterne Ressourcenverteilung geführt. Hat sich in
diesem Zusammenhang nicht auch gezeigt, dass es damit
zur Beschneidung von Wissenschafts- und Lehrfreiheit
kam und dass sich umgekehrt auch die Situation von
Lehrenden und Studierenden verschlechtert hat? Perso-
nalvertretungen kritisieren allenthalben, dass es ihnen
immer schwerer fällt, ihre Interessen zu vertreten. Stu-
dierende, aber auch der wissenschaftliche Nachwuchs
haben so gut wie keine Stimme in den gewählten Gre-
mien. Wir Linke sagen: Ja, mehr Autonomie ist in Ord-
nung, wenn Wissenschaft am Ende auch demokratischer
gestaltet wird.


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wird sie auch!)


Wie wichtig das wird, zeigt ein weiterer Flexibilisie-
rungsvorschlag des Gesetzes; denn es soll zukünftig auf
die Ausweisung von Stellenplänen ganz verzichtet wer-
den können. Das wichtigste Fazit aus unseren Aus-
schussanhörungen zur Nachwuchsentwicklung und zur
Gleichstellung in der Wissenschaft lautete: Ohne ver-
bindliche und nachhaltige Personalentwicklung werden
keine Verbesserungen zu erreichen sein. – Wie bitte soll
das alles ohne Stellenpläne gehen? Wie will man denn
eine effektive und demokratische Kontrolle an den Ein-
richtungen organisieren? Wie will das Ministerium Fehl-
entwicklungen überhaupt bemerken. Wir haben es ja
vorhin gehört: Sie wissen nicht einmal, wie viele Perso-
nen promovieren, wie viele die Promotion abgebrochen
haben und dergleichen mehr.

Es hat Fehlentwicklungen gegeben. Wir Linke haben
gerade eine Kleine Anfrage gestellt; da hat es sich ge-
zeigt. Schauen wir auf die prekäre Stipendienpraxis für
Promovierende und Postdocs an den von Ihnen zitierten
Max-Planck-Instituten. Da werden mehr und mehr Pro-
motionsverfahren eröffnet, weil sich über Stipendien na-
türlich auch Gehalts- und Lohnnebenkosten senken las-
sen. Da fallen Promovierte, wohlgemerkt: Promovierte,
schon einmal direkt vom Stipendium in Hartz IV, weil
Stipendiaten nicht in Sicherungssysteme wie die Ar-
beitslosenversicherung einzahlen,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das hat doch mit diesem Gesetz nicht das Geringste zu tun!)


und zwar in den Fällen, in denen erhoffte Drittmittel aus
der Auftragsforschung ausbleiben und die jeweilige Ein-
richtung aus ihren Haushalten keine Gelder zur Verlän-
gerung der Projekte aufbringen kann.

Die von Herrn Hagemann zitierte Petition der jungen
Nachwuchswissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft
kann doch nur als Ohrfeige für die Leitung der Max-

Planck-Gesellschaft verstanden werden. Immerhin be-
kommt sie jedes Jahr 5 Prozent mehr Mittel.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])


Die taz hat sogar getitelt: „Aufruhr im Eliteclub“. Wir
hoffen, dass mehr als 1 300 Unterstützer und Unterstüt-
zerinnen der Fair-Pay-Petition reichen, um Verbesserun-
gen zu erzielen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, meine Damen und Herren, halten wir es nochmals
fest: Der Haushalt kann ohne Stellenpläne flexibler ver-
waltet werden. Aber auf wessen Kosten? Auf Kosten der
jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs-
wissenschaftler.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine Unterstellung ist das!)


Ich halte das für Raubbau an der Zukunft der Einrichtun-
gen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es muss auch niemanden mehr wundern, wenn diese
jungen Leute bessere Chancen in anderen Ländern sehen
und Deutschland verlassen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Daher wollen die Amerikaner zu uns!)


Was könnte man in dieser Situation von der Bundes-
regierung konkret erwarten? Man könnte zum einen er-
warten, dass die Mittelvergabe für die Globalhaushalte
an Mindeststandards für Promovierende und Postdocs
gebunden wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung könnte weiterhin das Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz ändern. Dort kann man Min-
destlaufzeiten für Verträge festschreiben. Zum anderen
kann man den Tarifpartnern ermöglichen, in Aushand-
lungen über gesetzliche Mindeststandards zur Befristung
von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft hinauszuge-
hen. Das ist dann deren Geschichte. Dafür müsste man
aber die Tarifsperre aufheben.

Zu diesen Verbesserungen im Interesse der Nach-
wuchswissenschaftler ist die Koalition bis heute nicht
bereit. Stattdessen – Herr Hagemann hat es angedeutet –
wollen Sie auf die Spitze des Eisbergs noch eine Schippe
packen und das sogenannte Besserstellungsverbot ein-
schränken. Was bedeutet das konkret? Möchte eine Ein-
richtung einen Spitzenwissenschaftler gewinnen oder an
der eigenen Einrichtung halten, darf sie diesem dauer-
haft übertarifliche Sonderzahlungen aus Drittmitteln ge-
währen und ihn damit deutlich besserstellen als seine
Kolleginnen und Kollegen. Als hätte diese Praxis nicht
gerade erst der Bundesrechnungshof umfassend kriti-
siert, soll das jetzt sogar noch gesetzlich sanktioniert
werden. Ich finde, diese Ignoranz können wir uns als
Bundestag nicht gefallen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Die Deregulierung bringt jenen an der Spitze des
Systems mehr Sicherheit und bessere Gehälter. Den Pro-
movierenden und den Leistungsträgern im Mittelbau
hingegen werden immer größere Unsicherheit und Zu-
wendungen zugemutet, die oftmals nahe am Existenzmi-
nimum liegen. Mir haben einige gesagt: Wenn ich nicht
eine Frau hätte, die als Ärztin gutes Geld verdient,
könnte ich nicht an dieser Einrichtung forschen. – Mich
macht diese Ungerechtigkeit im Umgang mit Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern einigermaßen fas-
sungslos.

Es sollte versucht werden, Gesetzgebung gerecht zu
gestalten,


(Beifall bei der LINKEN)


auch deshalb, weil vermeintlich exzellente Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Leistungsfähig-
keit nur in Zusammenarbeit mit motiviertem, gut bezahl-
tem wissenschaftlichem Nachwuchs entwickeln können.

Fazit: Wer exzellente Forschung möchte, muss auch
für exzellente Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
sorgen. Damit ist der Freiheit der Wissenschaft weit
mehr gedient.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718805400

Das Wort hat nun Krista Sager für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718805500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass au-

ßeruniversitäre Forschungseinrichtungen und -organisa-
tionen mehr Eigenverantwortung und Flexibilität in den
Bereichen Personal, Haushalt, Bauen und Beteiligung
bekommen, das können wir nur begrüßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Liebe Kollegin Sitte, wenn Sie die größere Autono-
mie von Bildungs- und Forschungseinrichtungen im
Kontext der Deregulierung von Finanzmärkten diskutie-
ren und hier sozusagen ministerielle Gängelung als Ga-
rant für Demokratie und soziale Sicherheit aufrufen,
dann ist das wirklich ein Ideologieüberschuss, der der
Sache nicht gerecht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD] – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war nicht meine Botschaft! Das wissen Sie! Da wenden Sie sich an die Falsche!)


Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit haben wir
es hier eher mit einer nachholenden Modernisierung zu
tun. Das Dezemberfieber, Herr Neumann, gibt es an den
meisten Universitäten längst nicht mehr. Viele Universi-
täten hatten schon in den 90er-Jahren Globalhaushalte.
Die Erfahrungen, die man dort machen konnte, haben

aber auch gezeigt, dass sich das Potenzial von Global-
haushalten mit der Bewirtschaftung von Mitteln eigent-
lich erst im Zusammenhang mit einer mehrjährigen Pla-
nungssicherheit richtig entfalten kann. Da finde ich es
bemerkenswert, dass im neuen Finanzplan der Bundes-
regierung für die Zeit ab 2015 nicht einmal für den Infla-
tionsausgleich Vorsorge getroffen wird. Ich halte es im
Zusammenhang mit diesem Gesetz für zentral, dass die
Forschungseinrichtungen wissen, in welchem Rahmen
sie sich der Freiheit erfreuen sollen. Das muss zusam-
men mit den Ländern ganz dringend geklärt werden.
Den Einrichtungen nützen keine vollmundigen Wahlver-
sprechungen, die dann nicht belastbar sind. Sie müssen
sehr schnell wissen, mit wie viel Geld sie in Zukunft
rechnen können. Da müssen ehrliche Worte gesprochen
werden; da muss reiner Wein eingeschenkt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich finde auch den Hinweis richtig, dass wir dafür
sorgen müssen, dass diese Regelungen konsequent auf
alle Einrichtungen angewendet werden. Da, wo die Län-
der stark an der Finanzierung der Einrichtungen beteiligt
sind, wie bei den Leibniz-Einrichtungen, muss eine Mit-
wirkung erfolgen. Wenn ich mir die Stellungnahme des
Bundesrates anschaue, bekomme ich den Eindruck, dass
zu wenig Ehrgeiz entwickelt worden ist, die Länder hier
tatsächlich mit ins Boot zu holen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In einer Hinsicht hat Frau Sitte recht – Frau Schavan
hat es im Grunde angedeutet –: Mehr Freiheit und mehr
Eigenverantwortung bedeuten im Prinzip auch eine grö-
ßere Verpflichtung zur Rechenschaftsablegung gegen-
über Gesellschaft und Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe aber den Eindruck, dass die Berichte, die quan-
titativen Zahlenwerke, die wir im Rahmen des Pakts für
Forschung und Innovation bekommen, noch nicht der
Weisheit letzter Schluss sind. Wir müssen uns in der An-
hörung im September dringend damit befassen, wie wir
hier zu einer eher qualitativen Betrachtung kommen
können.

Meine Damen und Herren, die Parlamente können
nicht einfach nur Geldauskehrer sein. Was wir brauchen,
sind modernere, zielorientierte Steuerungsinstrumente.
Da finde ich bedauerlich, dass man im Zusammenhang
mit der Schaffung der Möglichkeit, internationale Spit-
zenforscher besser zu bezahlen, nicht gleichzeitig einen
Code of Conduct vereinbart hat, also Grundregeln und
Standards für die Beschäftigungsverhältnisse des sonsti-
gen wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Per-
sonals.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])






Krista Sager


(A) (C)



(D)(B)


Denn es kann nicht sein, dass die Beschäftigungsverhält-
nisse für Postdocs und andere Beschäftigte umso
schlechter und unsicherer werden, je mehr Geld diese
Forschungsorganisationen zur Verfügung haben. Da
stimmt etwas nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Mehr Verbindlichkeit brauchen wir aus meiner Sicht
auch, wenn es um das Ziel geht, die Gleichstellung der
Frauen im Wissenschaftsbereich zu erreichen. Es kann
doch nicht richtig sein, dass Bund und Länder in der Ge-
meinsamen Wissenschaftskonferenz im November 2011
für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine
flexible Quotenregelung, orientiert am Kaskadenmodell,
beschließen und einige Forschungsorganisationen so tun,
als wäre das nur ein Appell ins Blaue hinein ohne jede
Bindungskraft für sie. Auch das ist eine originär politische
Frage, für die die Politik eine Zuständigkeit hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das kann nicht mit der Freiheit der Wissenschaft abge-
tan werden.

Ich finde es richtig, was der Kollege Hagemann und
andere gesagt haben, nämlich dass es unverständlich ist,
warum Sie so wenig bei den Ressortforschungseinrich-
tungen erreicht haben. Da muss man differenzieren; aber
Sie zahlen allein und sind allein zuständig. Dass Sie aus-
gerechnet in dem Bereich nicht einmal sagen können,
welche Regelungen Sie auf welche Einrichtung übertra-
gen wollen, halte ich für ein Armutszeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich finde auch, man müsste sich noch einmal an-
schauen, welche Einrichtungen jetzt eigentlich nicht zu
den beglückten gehören. Warum gehört zum Beispiel die
Alexander-von-Humboldt-Stiftung nicht zu denen, die
jetzt von diesen Regelungen profitieren? Anschauen
sollten wir uns aber auch, welche politischen Ziele, die
noch in den Ursprungsanträgen von 2008 enthalten wa-
ren, als diese ganze Initiative gestartet wurde, in den
letzten Jahren auf der Strecke geblieben sind. Da ergibt
sich ziemlich viel aus dem FDP-Antrag. Darin gab es
durchaus schöne Forderungen, von denen heute leider
nicht mehr die Rede ist. Zum Beispiel haben Sie damals
in Ihrem Wissenschaftsfreiheitsinitiativantrag eine steuer-
liche Forschungsförderung für Unternehmen gefordert.
Was ist dabei herausgekommen? Hotelsubvention und
Betreuungsgeld. Wer hat es gemacht? – So.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Kretschmer [CDU/ CSU]: Die alte Leier!)


Sie hatten auch die Forderung nach einem Wissen-
schaftstarif aufgestellt, eine alte, nicht schlechte Forde-
rung. Warum machen Sie nicht wenigstens den Schritt,
dass Sie die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsge-
setz aufheben? Das wäre wenigstens ein Schritt in diese
Richtung gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


In dem Antrag war auch ein Punktesystem enthalten, um
die Zuwanderung von Hochqualifizierten zu erleichtern.
Was ist aus diesem Punktesystem in dieser Koalition ge-
worden?


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die EUHochqualifizierten-Richtlinie!)


Ein sehr guter Vorschlag war übrigens auch, die Zustän-
digkeit für alle Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft
im Wissenschaftsministerium zu konzentrieren. Wer hat
es gemacht? Keiner hat es gemacht.

Leider muss man auch sagen, dass dieses Gesetz zwar
ein Schritt in die richtige Richtung ist, dass dieser aber
an den dramatischen Herausforderungen in unserem
Wissenschaftssystem vorbeigeht. Ein Beispiel dafür ist
die Unterfinanzierung unserer Hochschulen und die un-
sicheren und immer schlechter werdenden Perspektiven
und Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen
Nachwuchses. Ein weiteres Beispiel ist die Unterfinan-
zierung des Hochschulpakts, der Studiengelegenheiten
finanziert, aber keine Studienplätze.

Frau Schavan, ich glaube, wir werden am Ende nicht
daran vorbeikommen, dass der Bund, wenn wir die Ein-
richtungen der Forschungsorganisationen in die Freiheit
entlassen, für die Finanzierung dieser Freiheit eine grö-
ßere Verantwortung übernimmt, damit sich die Länder
dann wiederum verpflichten können und das auch müss-
ten, ihre Spielräume, die sie dann gewinnen, besser für
ihre Hochschulen einzusetzen. Das ist mit Sicherheit
eine Frage, die wir im nächsten Jahr diskutieren müssen,
wenn es um die Finanzierung unseres Wissenschaftssys-
tems geht. Ich glaube, ohne das werden wir nicht aus-
kommen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718805600

Das Wort hat nun Florian Hahn für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1718805700

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen

und Kollegen! „Die Luft der Freiheit weht.“ Das ist der
original deutsche Leitsatz der Stanford University in Ka-
lifornien. Dort hat dieser Geist 27 Nobelpreisträger und
aktuell Platz 3 und 5 in den bekanntesten Hochschulran-
kings – Shanghai und Times – hervorgebracht.

Die Max-Planck-Gesellschaft kommt in etwas kürze-
rer Zeit zusammen mit ihrer Vorgängerorganisation auf
immerhin 32 Preisträger. Sie wird bei den Rankings
– das ist die größte Schwäche dieser Rankings – nicht
berücksichtigt, weil sie keine Hochschule ist. Können
wir uns also zurücklehnen? Kommt genug von dieser





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)


Luft der Freiheit in die Labore und Institute der deut-
schen Forschungsorganisationen? Ich fürchte, das ist
nicht der Fall.

Die Politik produziert keine Nobelpreisträger. Sie hat
aber die Pflicht, die richtigen Rahmenbedingungen für
Wissenschaft zu schaffen.


(Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sehr richtig!)


Diese Verantwortung nehmen wir für die außeruniversi-
täre Forschung mit dem Pakt für Forschung und Innova-
tion und dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz entschlossen
wahr. Wir fordern mehr finanzielle Mittel und mehr Ei-
genverantwortung für die großen Forschungsorganisa-
tionen als jemals zuvor. Das wird unsere Handschrift und
Teil unserer wissenschaftspolitischen Bilanz am Ende
dieser Legislaturperiode sein. Meine Kolleginnen und
Kollegen, dieses Wissenschaftsfreiheitsgesetz ist daher
ein zentraler Baustein unserer wissenschaftspolitischen
Gesamtstrategie, durch die wir seit 2005 Wettbewerbs-
und Leistungsfähigkeit der deutschen Wissenschaft mas-
siv gesteigert haben.

Wissenschaftspolitik hat klassisch drei zentrale Ar-
beitsbereiche, für die der Bund gar nicht oder höchstens
gemeinsam mit den Ländern zuständig ist: erstens uni-
versitäre Forschung, zweitens universitäre Lehre und
drittens außeruniversitäre Forschung. In allen drei Berei-
chen werden wir dennoch am Ende der Legislatur als
Bund eine exzellente Bilanz vorlegen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hier die Fakten:

Für die universitäre Forschung haben wir die Exzel-
lenzinitiative fortgesetzt und ausgebaut und Programm-
pauschalen bei DFG und BMBF eingeführt.

Bei der universitären Lehre haben wir ebenfalls viel
getan. Der Hochschulpakt wurde um sage und schreibe
4,7 Milliarden Euro aufgestockt, und der Qualitätspakt
Lehre ist erfolgreich gestartet.

Nun zum dritten Bereich, zur Zielgruppe des Wissen-
schaftsfreiheitsgesetzes, den außeruniversitären For-
schungsorganisationen. Hier haben wir finanzielle
Planungssicherheit durch die Verlängerung und Auf-
stockung des Pakts für Forschung und Innovation ge-
schaffen. Dank klarer Anreize, etwa durch die Ex-
zellenzinitiative, haben wir die Versäulung zwischen
Universitäten und außeruniversitärer Forschung aufge-
brochen. Diese Veränderungen brauchen nun auch opti-
mierte Rahmenbedingungen, um zur vollen Wirkung zu
gelangen.

Daher ist das Wissenschaftsfreiheitsgesetz ein weite-
res zentrales Vorhaben unseres Koalitionsvertrags im
Wissenschaftsbereich: für den effizienten Einsatz der
wachsenden Mittel, für bestmögliche wissenschaftliche
Ergebnisse und den bestmöglichen Transfer dieser Er-
gebnisse in Wirtschaft und Gesellschaft. Denn Rahmen-
bedingungen, die etwa für eine Gemeindeverwaltung
passen, werden nicht in gleicher Weise einem modernen
Forschungszentrum gerecht. Ein internationaler Spitzen-
wissenschaftler passt nicht in eine klassische Beamten-

laufbahn. Kurz: Wissenschaft braucht wissenschafts-
adäquate Rahmenbedingungen.

Dennoch waren die Rahmenbedingungen bis 2008
weitgehend dieselben. Für Forschungsorganisationen
wie die Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck- oder
die Fraunhofer-Gesellschaft galten ganz selbstverständ-
lich die jährliche Mittelplanung, das Besserstellungsver-
bot für Nobelpreisträger und das Bauen von Großgeräten
mit der Landes- und Bundesbauverwaltung. Das hat so
keine Zukunft mehr. Daher legen wir nun eine gesetz-
liche Verankerung durch ein Wissenschaftsfreiheitsge-
setz vor.

Wir brauchen mehr Eigenverantwortung durch die
Wissenschaft. Das beginnt beim Personal. Wer die Bes-
ten will, muss international konkurrenzfähige Angebote
machen können. Auch bei der Budgetverwaltung, den
Ausgründungen und der Baudurchführung müssen die
Einrichtungen selbstständiger werden. Hier ist die Max-
Planck-Gesellschaft bereits Vorreiter und baut eigenver-
antwortlich – und das günstiger als der Rest.

Wir wollen Forschungseinrichtungen nicht weiter un-
ter Vorbehalt stellen. Dies ist keineswegs unser Ansatz.
Wir wollen den Systemwechsel für die Wissenschaft hin
zu mehr Eigenverantwortung und Flexibilität. Dabei ist
uns die Übertragung der Regelungen auf die Einrichtun-
gen mit Ressortforschungsaufgaben wichtig. Vor allem
die Ressorts mit großen forschungsstarken Einrichtun-
gen müssen hier sichtbar voranschreiten.

Die zweite zentrale Herausforderung wird die Umset-
zung durch die Länder sein. Die Länder werden sehr da-
rauf achten, dass ihre Hochschulen im nationalen Wett-
bewerb nicht zurückfallen. Hier möchte ich betonen:
Nicht das Verhindern von Verbesserungen für die außer-
universitäre Forschung, sondern die Übertragung dieser
Verbesserungen auf die eigenen Hochschulen schafft
Stärke im internationalen Wettbewerb.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch Sie von der Opposition tragen Verantwortung in
den Ländern. Ich appelliere daher an Sie: Werben wir ge-
meinsam als Wissenschaftspolitiker für diese einmalige
Chance für die Wissenschaft. Das Wissenschaftsfrei-
heitsgesetz kann so zu einem wichtigen Beitrag zur Stär-
kung des Wissenschaftsstandorts Deutschland werden.
Die Luft der Freiheit weht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718805800

Das Wort hat nun Swen Schulz für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1718805900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer
langen Zeit der Ankündigungen und des Wartens haben
wir nun endlich den Entwurf für ein Wissenschaftsfrei-
heitsgesetz, wie es die Koalition nennt, vorliegen. Mit





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)


großer Rhetorik hat Ministerin Schavan den Kabinetts-
beschluss gefeiert. Auch in den Reden, die wir hier ge-
hört haben, wird der Entwurf als wegweisende Initiative
dargestellt.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Richtig erkannt!)


Wenn man sich den tatsächlichen Inhalt anschaut, ist
man doch eher ernüchtert, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Richtig lesen, Herr Schulz!)


Ich will das hier nicht kleinreden. Es sind sicher gute
Ansätze erkennbar. Wir sind in der Großen Koalition
schon einige Schritte gemeinsam gegangen. Frau Schavan,
Sie haben das auch gesagt.

Ich will aber einige Aspekte ansprechen, die uns von
der SPD wichtig sind. Uns unterscheidet von Ihnen die
Grundphilosophie. Gemeinsam wollen wir den außer-
universitären Einrichtungen mehr Handlungsfreiheit er-
möglichen, damit sie nicht durch Bürokratie und Vor-
schriften unnötig gebremst werden. Ein Beispiel ist die
Möglichkeit, Spitzenwissenschaftler auch außerordent-
lich gut zu bezahlen. Das ist so weit in Ordnung. Doch
wir sagen auch, dass die Freiheit nicht so weit gehen
darf, dass Nachwuchswissenschaftler schlecht behan-
delt werden dürfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Das steht doch im Gesetz!)


Ihr Freiheitsbegriff, Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, steht gewissermaßen nur auf einem Bein.
Wir wissen aber, dass zur Freiheit auch Verantwortung
gehört.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie also den Einrichtungen die Freiheit geben, be-
sonders hohe Gehälter an Spitzenleute zahlen zu können,
dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass der wissen-
schaftliche Nachwuchs Perspektiven erhält. Wir haben
mehrfach hier im Plenum und im Ausschuss über dieses
Thema gesprochen. Wir brauchen den wissenschaftli-
chen Nachwuchs. Ohne ihn gibt es ja auch keine Spit-
zenwissenschaftler.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen erreichen, dass Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler nach ihrer Qualifikationsphase nicht ge-
zwungen werden, in die Wirtschaft oder ins Ausland zu
gehen, um eine berufliche Perspektive zu erhalten, um
Familie und Beruf vereinbaren zu können, um Stabilität
zu bekommen, sondern wir wollen, dass auch die öffent-
lich finanzierten Einrichtungen immer gute Arbeitgeber
sind. Wir fordern die Erhöhung des Anteils unbefristet
beschäftigten Personals, Zielvereinbarungen mit den
Forschungseinrichtungen und die Aufhebung der Tarif-
sperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das sind nur
einige Stichpunkte aus der Reihe von sehr konkreten

Vorschlägen unseres Antrags aus dem letzten Jahr.
Nachdem wir einen Antrag vorgelegt haben, Grüne und
Linke ebenso, nach vielen Studien, Berichten und Anhö-
rungen haben vor kurzem endlich auch die Koalitions-
fraktionen einen Antrag zu diesem Thema eingebracht.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Einen sehr guten Antrag!)


Doch der, lieber Kollege, ist in seiner Harmlosigkeit
kaum zu überbieten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben ihn wieder nicht richtig gelesen!)


Der Antrag erklärt wortreich, dass Sie letztlich gar nichts
Konkretes machen wollen. Es werden zwar einige rich-
tige Stichworte aufgegriffen, doch es folgt keine klare
politische Maßgabe und Handlung.


(Patrick Meinhardt [FDP]: Dann haben Sie den falschen Text gelesen!)


– Ich beweise Ihnen das, Kollege Meinhardt.

Gleich der erste Punkt im Forderungsteil Ihres An-
trags ist exemplarisch. Die Bundesregierung wird aufge-
fordert, „darauf hinzuwirken, dass die Vertragsdauer für
Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in
der Regel an die Laufzeit der Projekte gekoppelt ist“.
Was heißt das genau: Die Bundesregierung soll „darauf
hinwirken“? Es ist doch klar, dass hier der Gesetzgeber
selbst gefragt ist. Die rechtlichen Bestimmungen müssen
so geändert werden, dass niemand auf irgendetwas hin-
wirkt, sondern dass die Verträge entsprechend gestaltet
werden müssen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


In dem heute zu beratenden Gesetz – oder meinetwegen
auch begleitend – haben Sie die Chance, tatsächlich et-
was zu machen, anstatt nur zu reden. Aber wenn man in
das Gesetz schaut: Fehlanzeige.

Ganz ähnlich verhält es sich mit einem weiteren
wichtigen Thema, bei dem wir es leider nicht bei der
Freiheit der Institute belassen können: der Gleichstel-
lung der Frauen. Diese Koalition hat noch keine ernst-
hafte Initiative gestartet, um Frauen in Wissenschaft und
Forschung zu fördern.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Darum hat die Opposition einen gemeinsamen Antrag
mit Vorschlägen eingebracht, wie etwa der Anteil der
Frauen an den Professuren gesteigert werden kann. Die-
ser Anteil beträgt derzeit lediglich 13,6 Prozent. Es
braucht endlich verbindliche Instrumente wie etwa Quo-
ten,


(Zurufe von der FDP: Oh nein!)


aber die Koalition gefällt sich in dem Schwadronieren
über Freiheit.

Nächster Punkt, nächste Leerstelle: Was ist eigentlich
mit den Hochschulen? Sie formulieren hier ein Gesetz,
das für außeruniversitäre Einrichtungen an einigen Stel-





Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)


len hilfreich sein mag. Aber welche Perspektive bieten
Sie den Hochschulen?


(Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist Ländersache!)


– Ich komme gleich noch dazu.

Wir haben gemeinsam den Hochschulpakt aufs Gleis
gesetzt. Dieser Pakt ist eine Erfolgsgeschichte. Und ge-
rade weil er so erfolgreich ist, muss er ausgebaut wer-
den. Doch Sie vonseiten der Regierungskoalition zögern
und zaudern.

Gestern, Frau Schavan, gab es dann die Mogel-
packung, so mit dem Trick „Linke Tasche, rechte Ta-
sche“. Sie ziehen Mittel der Finanzplanung für die kom-
menden Jahre vor, stocken diese dann noch auf mit
Mitteln aus dem BAföG-Etat und stopfen damit das ak-
tuell klaffende Loch beim Hochschulpakt. Aber dadurch
fehlt erstens das dringend benötigte Geld für die Anpas-
sung des BAföG, und zweitens sind keine Mittel da, um
den Hochschulpakt langfristig vernünftig auszufinanzie-
ren. Im Gegenteil: Ab 2014 kürzen Sie bei Bildung und
Forschung sogar. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Ammenmärchen! – Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Blödsinn!)


Sie haben gerade dazwischengerufen, dass für die
Hochschulen vor allem die Länder zuständig sind. Das
ist richtig und falsch zugleich, Kollege Meinhardt. Denn
für die Hochschulen kann der Bund ja einiges tun; das
hatte damals die SPD im Zusammenhang mit der Föde-
ralismusreform durchgesetzt. Jetzt diskutieren wir über
weitere Verbesserungen des Grundgesetzes; Frau
Schavan hat das zum Schluss ihrer Rede auch angespro-
chen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir hoffen, dass Sie das nicht wieder blockieren!)


Was Sie jedoch vorschlagen, hilft nur einigen Exzel-
lenzunis. Wenn Ihnen jedoch die Hochschulen insgesamt
wichtig wären, dann würden Sie eine Grundgesetzände-
rung vorschlagen, die allen Hochschulen helfen kann.


(Beifall bei der SPD)


Was Sie machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Regierungskoalition, das ist letztendlich Rosinenpi-
ckerei: schön die Exzellenz fördern und die Nobelpreis-
träger fürstlich entlohnen, aber für die Mühen der Ebene,
für die Breite, für die Gesamtverantwortung, für den
Nachwuchs, für die Arbeitstiere, die kleinen Leute in der
Wissenschaft, dafür sind Sie sich offenkundig zu fein.

Dieses Gesetz enthält durchaus einige diskutable
Punkte, doch es ist kurzsichtig und einseitig. Was diesem
Gesetz fehlt, ist die Dimension der Verantwortung.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist doch ein Witz!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718806000

Das Wort hat nun Peter Röhlinger für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Rede ID: ID1718806100

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Heute ist ein guter Tag für die Wissenschaft und für die
Freiheit der Wissenschaft. Lasst uns uns darüber freuen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


und malen Sie kein Horrorszenario von der vergangenen
und der aktuellen Situation!

Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe zu DDR-Zei-
ten als Wissenschaftler gearbeitet. Da gab es diese Frei-
heit der Wissenschaft nicht. Damals war es nötig, das
richtige Parteiabzeichen zu haben. In der Kaderakte
musste möglichst die Trennung von Ost-West-Kontakten
vermerkt sein etc. etc., von Literatur aus dem sogenann-
ten NSW gar nicht zu reden. Es war noch nicht einmal
erlaubt, gelegentlich einen Sonderdruck herüberzuschi-
cken, da kam man gleich in die Bredouille.

Wenn ich mir vorstelle, wie weit wir inzwischen sind
– Herr Schulz, ich gebe Ihnen ja recht und auch Ihnen,
Frau Sitte –,


(Klaus Hagemann [SPD]: Seitdem sind 20 Jahre rum!)


da muss ich doch sagen: Wir haben gemeinsam aller-
hand erlebt und sollten uns darüber freuen, dass wir auf
dem richtigen Wege sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die FDP nimmt die DDR als Maßstab!)


Ich möchte mich deswegen zunächst einmal ganz herz-
lich bei all denen bedanken, die den heutigen Entwurf
auf den Weg gebracht haben.

Sie werfen uns vor, dass das Ganze zu lange gedauert
hat – uns aber auch, Herr Schulz, uns auch. Wir haben
die Haushälter wiederholt angesprochen, und zwar nicht
nur in offiziellen Beratungen.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben gesagt: Leute, wir brauchen das jetzt, wir ha-
ben hier eine Bringpflicht. Sie wissen doch: Abgeord-
nete sind alle gleich, aber Haushälter sind besonders
gleich. Deswegen muss man sich mit ihnen erst einmal
verstehen, um die entsprechende Zustimmung zu be-
kommen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Die Ecke war super!)


Da klatschen alle Fraktionen,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!)






Dr. Peter Röhlinger


(A) (C)



(D)(B)


weil Sie alle mit ihren Haushältern die gleichen Pro-
bleme haben, das wissen wir ja.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich bestreite, dass wir Probleme haben!)


Ich möchte besonders dem Ministerium danken. Frau
Ministerin, wir wissen Sie in dieser Frage an unserer
Seite. Auch Ihnen hat das zu lang gedauert. Wir wissen
in dieser Frage auch unsere Kanzlerin an der Seite. Man
merkt: Diese Frau hat wissenschaftlich gearbeitet, ihr
muss man nicht erst beibringen, wie wichtig Wissen-
schaft ist. Sie hat aufgrund ihrer Vita längst verstanden,
dass Wissenschaft Spaß macht und im Mittelpunkt nicht
die Finanzausstattung und das Gehalt stehen.

Heute ist ein guter Tag – erst heute Abend wird es in
allen Fraktionen um Schadensbegrenzung gehen –; denn
hier und jetzt geht es nicht um Schadensbegrenzung. Wir
können sagen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Es hat
zwar zu lange gedauert, und es sind auch noch nicht alle
Wünsche erfüllt, aber ich gehe davon aus – die Haushäl-
ter werden mir recht geben –, dass wir in den nächsten
Jahren in Bezug auf die materielle und finanzielle Aus-
stattung in den Bereichen nachrüsten werden, die zum
Beispiel Frau Sager oder Frau Sitte vorgeschlagen ha-
ben.

Nehmen wir mit Demut zur Kenntnis: Wir leben auf
einem sehr hohen Niveau. Es waren die Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler der jetzigen Generation, die
in den vergangenen Jahren zur Erhaltung unseres Wohl-
stand beigetragen haben. Das ist doch nicht meine Gene-
ration,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


das ist Ihre Generation. Wir können also nicht so sehr
viel falsch gemacht haben, auch nicht im Vergleich zu
unseren Nachbarländern in Ost und West, Süd und Nord
und den Ländern jenseits des Atlantiks. Mit dem von der
Regierung eingebrachten Wissenschaftsfreiheitsgesetz
wollen wir unseren Wohlstand stabilisieren und Bedin-
gungen schaffen, damit eine nachhaltige Entwicklung
gewährleistet werden kann.

Wenn wir uns freuen, dann ist das nur die halbe
Miete. Wer kann sich noch freuen? Natürlich die Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Ingenieure,
die Techniker, die weiterhin einen stabilen und sicheren
Arbeitsplatz


(Zuruf von der SPD: Hoffentlich!)


und entsprechendes Einkommen haben werden, mit dem
man eine Familie finanzieren kann. Es werden sich auch
diejenigen freuen, die ihre Kompetenz nutzen und sich
mit der Industrie oder mit einer Universität zusammen-
tun, um auszugründen. Ich kann aus eigener Erfahrung
sagen: Es war eine helle Freude, die Ausgründungs-
euphorie zu beobachten, die bis heute anhält. Viele Wis-
senschaftler haben in den Instituten zu wenig zu verdie-
nen geglaubt. Sie haben sich daher selbstständig
gemacht und sind nun zum Großteil finanziell wesent-
lich besser gestellt. Es ist ein gutes Motiv, zu sagen: Ich
mache mich selbstständig, ich will Unternehmer werden.

Eine Frau hat kürzlich gesagt: Ich bin Unternehmerin ge-
worden, weil ich frei sein will. Diese Frau, übrigens eine
Physikerin, hat inzwischen 160 Mitarbeiter, ihre Firma
hat einen hohen Exportanteil.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Natürlich freuen sich auch die Patientinnen und Pa-
tienten – daran will ich erinnern –, weil sie wissen, dass
sie mit Ärzten und Kliniken rechnen können, die auf ei-
nem hohen Niveau arbeiten. Ich kann mich noch erin-
nern, dass ein Arzt zu meiner Frau gesagt hat: Es gibt da
schon ein Medikament, Frau Röhlinger. Haben Sie Kon-
takte nach dem Westen oder zum Regierungskranken-
haus? – Nein: Die Gleichheit der Patienten vor dem Ge-
setz ist wichtig.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist jetzt der Maßstab für die FDP?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718806200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


(René Röspel [SPD]: Das ist aber schade! – Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Rede ID: ID1718806300

Wissenschaft definiert sich in Raum und Zeit, das gilt

auch für meine Redezeit.

Ich bedanke mich.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718806400

Das Wort hat nun Tankred Schipanski für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1718806500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Frei-

setzung von mehr Kreativität und Innovationen in
Deutschland haben wir im Juli des letzten Jahres das Be-
rufsanerkennungsgesetz verabschiedet


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Halbherzig!)


und im April dieses Jahres die EU-Hochqualifizierten-
Richtlinie in sehr weitreichender Form umgesetzt


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Noch etwas Halbherziges!)


und im Mai dieses Jahres eine Initiative für unseren wis-
senschaftlichen Nachwuchs gestartet.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das war nun gar nichts!)


Im Mai fand die erste Lesung statt. Herr Schulz, Sie kön-
nen diesem Antrag bei der zweiten und dritten Lesung
sehr gerne zustimmen. Damit schlagen wir konkrete
Handlungsansätze vor. Heute, als i-Tüpfelchen, bringen
wir den Entwurf eines Gesetzes zur Flexibilisierung von
haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniver-





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)


sitärer Wissenschaftseinrichtungen, kurz Wissenschafts-
freiheitsgesetz, in die parlamentarische Beratung ein.

Dies ist ein großer Tag für unsere außeruniversitären
Forschungseinrichtungen; Kollege Röhlinger hat das
richtigerweise festgestellt. Dies ist ein großer Tag für die
in Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes verankerte Wis-
senschaftsfreiheit. Genauso schlank, knackig und kernig,
wie dieser Artikel ist, ist auch dieser Entwurf eines Wis-
senschaftsfreiheitsgesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen des Abg. Klaus Hagemann [SPD])


Das ist eben kein Skelett, Herr Hagemann.

Der Entwurf des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes ist
geprägt vom Leitgedanken des gegenseitigen Vertrauens
von Politik und Wissenschaft. Das ist ein Vertrauens-
vorschuss an die Wissenschaft und ein Weg zu mehr
Autonomie und Transparenz. Dieses Gesetz bedeutet
Bürokratieabbau und gibt unseren Wissenschaftseinrich-
tungen zugleich mehr Planungssicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP])


Von daher sind die Ausführungen der Kollegin Sitte und
des Kollegen Schulz hier einfach völlig verfehlt.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Jawohl! Voll daneben! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Tapfer an der Realität vorbei!)


Es galt, vor allem mit Blick auf das Haushaltsrecht,
das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaftsfreiheit
und haushaltsrechtlichen Kontrollinteressen aufzulösen;
denn Forschung ist aufgrund ihrer Komplexität zeitlich
sowie inhaltlich nicht bis ins Letzte planbar. Um den Un-
wägbarkeiten des Forschungsprozesses haushaltstech-
nisch Rechnung zu tragen, benötigen die Forschungsein-
richtungen Flexibilität beim Umgang mit ihren Mitteln.
Daher gilt an dieser Stelle mein besonderer Dank den
Haushältern unserer Koalition, die uns bei diesem Geset-
zesvorhaben konstruktiv unterstützt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Welche Instrumente haben wir gewählt? In § 3 des
Gesetzentwurfs wurden die folgenden Instrumente ge-
setzlich kodifiziert, also nicht nur untergesetzlich gere-
gelt: Globalhaushalte, überjährige Mittelverwendung,
vollständige und gegenseitige Deckungsfähigkeit zwi-
schen Sach- und Investitionsmitteln.

Im Punkt Personal – § 4 des Gesetzentwurfs – geben
wir unseren Wissenschaftseinrichtungen mehr Spiel-
räume, um bei der Gewinnung von wissenschaftlichem
Personal sowie bei Bleibeverhandlungen konkurrenz-
fähige Angebote machen zu können. Über das Besser-
stellungsverbot haben wir hier bereits gesprochen.

Mit den §§ 5 und 6 des Gesetzentwurfs sorgen wir für
Bürokratieabbau und Verfahrensvereinfachungen in den
Bereichen Beteiligungen und Bau. Hinsichtlich Beteili-
gungen darf ich an die neue Beteiligungsrichtlinie der

Bundesregierung erinnern, die seit dem 1. Juni dieses
Jahres in Kraft ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mehr Freiheit bedeutet zugleich mehr Verantwortung.
Deshalb verpflichten sich die Wissenschaftseinrichtun-
gen zu einer konsequenten Weiterentwicklung des inter-
nen und externen Wissenschafts- und Finanzcontrol-
lings. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist § 3 Abs. 3 des
Gesetzentwurfs. Konkretisierungen werden wir im Ge-
setzgebungsverfahren mit Sicherheit noch besprechen.

Die Opposition muss natürlich immer irgendwelche
Kritikpunkte finden; aber in dieses Gesetz eine Frauen-
quote und Regelungen für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs integrieren zu wollen, entspricht nicht dem Sinn
und dem Zweck eines Wissenschaftsfreiheitsgesetzes.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zielvereinbarung!)


Ich denke, dieser Gesetzentwurf enthält vier gute Rege-
lungsbereiche. Das Einzige, was wir noch im Blick ha-
ben müssen – das haben Sie angesprochen –, sind die
Ressortforschungseinrichtungen. Dazu haben Sie heute
eine feste Aussage unserer Ministerin gehört. Außerdem
gibt es dazu eine Aussage von uns im Antrag zu den
Ressortforschungseinrichtungen, in dem eindeutig steht,
dass die Einrichtungen die für ihre Forschung notwendi-
gen Freiheiten erhalten werden.

Blicken wir noch kurz auf das Gesetzgebungsverfah-
ren und die Bundesratsbeteiligung, die hier angespro-
chen worden ist. Ich darf auf Art. 109 und auf Art. 74
Abs. 1 Nr. 13 des Grundgesetzes verweisen. Dort steht,
dass der Bund hierfür die Kompetenz hat. Aus diesen
grundgesetzlichen Erwägungen heraus halten wir die
Einbindung der Länder über die GWK, die Gemeinsame
Wissenschaftskonferenz, für ausreichend, zumal dort be-
reits eine Arbeitsgruppe gegründet wurde.

In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Bera-
tungen im Ausschuss. Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz
wird die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissen-
schaftssystems stärken. Appelle an die Länder sind er-
folgt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718806600

Das Wort hat nun Eckhardt Rehberg für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1718806700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Dieser Gesetzentwurf, den wir heute in erster
Lesung beraten, ist nicht trivial; denn – das sage ich als
Haushälter – wir werden dadurch Kontrollmöglichkeiten
und auch Transparenz im Haushalt abgeben.


(Zuruf von der FDP: Richtig!)






Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


Wir vertrauen aber den Forschungseinrichtungen und
gehen davon aus, dass sie mit der übertragenen Freiheit
verantwortlich umgehen werden.

Wenn jetzt jedoch, wie von verschiedenen Seiten ge-
fordert, bestimmte Dinge normiert werden sollen, dann
kann man das alles – Globalhaushalt, Überjährigkeit,
keine Stellenpläne – auch lassen. Ich kann nicht auf der
einen Seite Freiheit fordern und auf der anderen Seite
mit dem Finger auf Forschungseinrichtungen zeigen und
ihnen unterstellen, dass sie mit dieser Freiheit nicht ver-
antwortlich umgehen werden. Das ist keine vernünftige
Basis für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mich als Haushälter interessieren natürlich auch die
Ergebnisse. Wir werden heute Abend wahrlich keine tri-
vialen Entscheidungen treffen. Wir können sie nur tref-
fen, weil wir zum Beispiel in den letzten sieben Jahren
im Bundeshaushalt für einen Aufwuchs der Forschungs-
mittel von 9 Milliarden Euro auf knapp 14 Milliarden
Euro gesorgt haben und weil die Wirtschaft in Deutsch-
land ihre Mittel für Forschung und Entwicklung trotz der
Krisenjahre von insgesamt 39 auf 47 Milliarden Euro ge-
steigert hat. Wir haben das 3-Prozent-Ziel schon fast er-
reicht. Ein Ausfluss dieser Maßnahmen ist zum Beispiel,
dass Deutschland hinsichtlich wissenschaftlicher Publi-
kationen und Patenten absolut betrachtet weltweit an
dritter Stelle steht; betrachtet man es auf die Zahl der
Einwohner bezogen, stehen wir sogar an erster Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es hat sich also gelohnt, dass wir in Forschung und Ent-
wicklung investieren.

Natürlich, Kollege Schulz, kann man manches noch
besser machen. Man kann immer weitere Forderungen
stellen. Aber ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich: Uni-
versitäten sind nicht Bundessache, sondern Ländersache.
Das ist Länderhoheit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich sage auch mit aller Vorsicht und mit allem Be-
dacht: Ich finde es gut und richtig, dass es bei der Max-
Planck-Gesellschaft und bei der Leibniz-Gemeinschaft
Mischfinanzierungen gibt. Ich möchte die Länder weiter
in der Verantwortung haben; ich möchte die Sitzländer
weiter dabei haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Klaus Hagemann [SPD]: Wir auch!)


Ich erwarte von den Sitzländern, dass sie, wenn der
Bund jedes Jahr 5 Prozent Aufwuchs ausfinanziert,
ebenfalls ihrer Verantwortung nachkommen.

Es gibt übrigens Verlässlichkeit, Frau Sager.


(Zuruf der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Forschungs-, Entwicklungs- und Bildungsmittel im
deutschen Bundeshaushalt waren noch nie so verlässlich
wie in den Jahren 2005 bis 2013.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dies ist die verlässlichste Phase, die es für die Bildungs-
und Forschungslandschaft in Deutschland je gegeben
hat.

Wir können nicht über 2015 hinausgehen, weil die
mittelfristige Finanzplanung nicht weiter reicht. Ich
sage: Auch als Haushaltsgesetzgeber würde ich mich da-
gegen wehren, wenn der Bundesfinanzminister bzw. die
Bundesregierung bereits jetzt finanzielle Verpflichtun-
gen für 2018 oder 2020 eingehen würden.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reicht doch bis 2016 inzwischen!)


Ich glaube, das sind wir uns als Parlamentarier auch sel-
ber schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Satz zur
Ressortforschung sagen. Ich bin ein Verfechter davon, die
Ressortforschung beim Wissenschaftsfreiheitsgesetz aus-
zuklammern. Ich will das begründen: Es gibt Institute, die
in hohem Maße hoheitliche Aufgaben wahrnehmen müs-
sen, zum Beispiel das Friedrich-Loeffler-Institut und das
Robert-Koch-Institut. Einrichtungen wie das Bundesamt
für Seeschifffahrt und Hydrographie nehmen zu 80,
90 Prozent Verwaltungsaufgaben, exekutive Aufgaben
wahr. Können Sie sich vorstellen, welche Probleme
zwischen den Ressorts und auch in den Ministerien ver-
ursacht würden, wenn wir in diesem Gesetzentwurf ein-
zelne Ressortforschungseinrichtungen herauspicken wür-
den? Es ist deswegen richtig, dass die Bundesregierung
am 2. Mai dieses Jahres, als sie das Wissenschaftsfrei-
heitsgesetz beschlossen hat, gesagt hat, dass jedes Ressort
prüfen soll, ob in seinen Einrichtungen mehr Flexibilität
möglich ist. Ich glaube, dies ist der richtige Weg, um auch
bei den Ressortforschungseinrichtungen verantwortungs-
voll für mehr Flexibilität zu sorgen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann für
die Haushälter feststellen: Es war bis hierher ein nicht
ganz einfacher Weg; ich habe Ihnen gesagt, warum. Wir
geben Kontrolle ab, und wir geben einen Vertrauensvor-
schuss, wie der Kollege Schipanski richtig gesagt hat.
Aber wir haben auch die Mittel und Möglichkeiten
– Stichwort: Bundesrechnungshof –, uns die Freiheit zu
nehmen, die Wahrnehmung der Verantwortung, die wir
übertragen haben, zu kontrollieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718806800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist

Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1718806900

Herr Präsident! Mehr sehr verehrten Damen und Her-

ren! Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz ist ein weiterer





Michael Kretschmer


(A) (C)



(D)(B)


großer Schritt in der Wissenschaftspolitik dieses Jahr-
zehnts und unserer Wissenschaftspolitik insgesamt. Die-
ser fügt sich in eine Reihe wirklich großer und wichtiger
Weichenstellungen ein. Man muss an dieser Stelle in Er-
innerung rufen: Mitten in der Wirtschaftskrise, mitten in
einer Zeit einbrechender Steuereinnahmen, hat diese
Bundesregierung gegen den Trend die Ausgaben für die
Wissenschaft erhöht und mehr Freiräume geschaffen.
Heute, im Jahr 2012, sind wir dabei, die Rendite dessen
einzufahren, was wir mit unseren Investitionen in die
Wissenschaft angeschoben haben.

Die Exzellenzinitiative, der Zuwachs bei der Zahl der
Studierenden, die Steigerung der Quote derer, die eine
Schulausbildung beenden und dann ein Studium aufneh-
men – all das hat der Bundesrepublik Deutschland
enorme Beachtung und große Anerkennung eingebracht.
Überall in der Welt wird mit Staunen und mit Anerken-
nung über die Wissenschaftspolitik in der Bundesrepu-
blik Deutschland gesprochen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich finde, man muss immer wieder sagen: Das ist
nicht nur ein Ausgabenposten, sondern auch eine Inves-
tition in die Zukunft. Wir tun das, damit wir in Zukunft
besser leben können. Hätten wir diesen Weg vor 10,
15 Jahren nicht eingeschlagen, würden wir heute nicht
so gut dastehen.

Das, was wir mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz
machen, ist vor diesem Hintergrund ein weiterer logi-
scher Schritt. Es geht jetzt nicht um mehr Geld, sondern
es geht darum, aus dem vorhandenen Geld mehr zu ma-
chen. Manche Leute, die viele Jahre in Politik und Ver-
waltung gearbeitet haben, sagen: Es ist leichter, ein Pro-
gramm mit einem Volumen von 100 Millionen Euro
aufzulegen, als einen Paragrafen in einem Gesetzbuch zu
streichen. – Wir haben auf dem Weg bis zum heutigen
Tag genau diese Erfahrung gemacht.

Wären wir uns in der Koalition, aber auch über die
Fraktionsgrenzen hinweg nicht so einig, wie wichtig das
Thema Wissenschaftsfreiheit ist, wären wir nicht so weit
gekommen. Vor diesem Hintergrund rate ich dazu, jetzt
nicht in Grabenkämpfe zu verfallen, sondern das Posi-
tive zu sehen. Dies ist ein gemeinsames Projekt. Wir
brauchen diese Übereinstimmung auch in den nächsten
Jahren, wenn es vielleicht wirklich einmal zu Problemen
oder zu Entwicklungen kommt, die wir im Detail nicht
für richtig oder gut halten. Wir brauchen einen Grund-
konsens in Sachen Wissenschaftsfreiheit – dafür werbe
ich –, und zwar über die Partei- und Fraktionsgrenzen hi-
naus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ohne eine durchsetzungsstarke Bundeswissenschafts-
ministerin wäre dieses Projekt niemals möglich gewe-
sen.


(Lachen der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Deswegen gilt mein Dank Annette Schavan, die dieses
Vorhaben zusammen mit Wolfgang Schäuble durchge-

setzt hat: an vielen Stellen gegen den Rat der Ministe-
rialbürokratie im BMF, an vielen Stellen gegen den Wi-
derstand mancher anderer Ministerien. Herzlichen Dank,
dass wir diesen Tag heute erleben können, Frau Bundes-
ministerin!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Hagemann [SPD]: Jetzt gibt es Sekt! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Jeder Satz eine Überschrift!)


Jetzt sind in der Tat die Institutionen in der Pflicht.
Denn das, was wir hier auf den Weg bringen – weniger
Kontrolle, mehr Geld –, muss am Ende, basierend auf ei-
ner ordentlichen Bewirtschaftung, zu mehr Output und
zu einer noch besseren Forschungsleistung führen. Ich
finde, es ist bedenklich, dass sich die Linke so weit ins
Abseits stellt. Die Rede, die von Ihrer Seite gehalten
wurde, hat ganz klar gezeigt,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Problemorientiert!)


dass Sie nichts davon verstanden haben, was Wissen-
schaft in Freiheit, in einer Demokratie, in einer offenen
Gesellschaft leisten kann. Das war eine traurige Rede,
Frau Kollegin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir wollen mehr Demokratie! Autonomie und Demokratie – was ist daran falsch?)


Ich möchte den Blick auch noch einmal auf den Bun-
desrechnungshof richten


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aha, keine Antwort!)


und ganz deutlich sagen: Wir hier sind der Souverän.
Dieses Parlament ist der einzig demokratisch legiti-
mierte Haushaltsgesetzgeber.


(Zuruf von der LINKEN: Bis heute Abend!)


Wir entscheiden, was mit dem Geld der Bürgerinnen und
Bürger passiert. Deswegen fand ich es nicht akzeptabel,
dass sich der Bundesrechnungshof


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh, wie böse!)


an einzelnen Instituten abgearbeitet hat, als es um die
Übertragbarkeit der Haushaltsmittel ging.


(Klaus Hagemann [SPD]: In unserem Auftrag, Herr Kretschmer!)


– Moment. – Wir wollten einen Anteil von 20 Prozent
übertragen und wollen jetzt die Übertragbarkeit kom-
pletter Globalhaushalte und andere Freiheiten. Wenn es
hier ein Problem gibt, dann soll sich der Bundesrech-
nungshof an den Deutschen Bundestag wenden, der das
beschlossen hat, aber nicht die Institutionen angehen, die
die Regeln, die wir gegeben haben, ordentlich anwen-
den. Das ist nicht redlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Es geht doch um die Umsetzung!)






Michael Kretschmer


(A) (C)



(D)(B)


Ich sage es noch einmal: Wir gehen einen neuen Weg.
Wir werden irgendwann, in welchem Zeitraum auch im-
mer – im nächsten Jahr, in den nächsten zwei Jahren, in
den nächsten drei Jahren –, an einen Punkt kommen, an
dem es einmal Schwierigkeiten gibt. Dann kommt es da-
rauf an, an der Sache orientiert aufzustehen und zu sa-
gen: Wir wollten das. Möglicherweise wollen wir dann
eine Veränderung im Detail, aber im Kern sind wir dafür,
dass hier Wissenschaftsfreiheit gelebt wird. – Ich halte
das für richtig und werbe dafür, dass wir das auch ge-
meinsam vorantragen. Das ist gut für unseren Standort
und für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718807000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 17/10037 und 17/10123 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das
ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 46 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der deutschen Finanzaufsicht

– Drucksache 17/10040 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Hartmut Koschyk das Wort.

H
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1718807100


Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Diese von CDU, CSU und FDP getragene Regierung hat
sich zu Beginn dieser Legislaturperiode auf eine Reihe
von Maßnahmen verständigt, um nachhaltige Konse-
quenzen aus der Finanzmarktkrise und deren Folgen für
die Volkswirtschaften und die Situation der Staaten in
Europa und darüber hinaus zu ziehen. Der heute vorge-
legte Gesetzentwurf, der die Finanzaufsicht in Deutsch-
land weiterentwickeln soll,


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ist Makulatur!)


ist dabei ein ganz entscheidender Schritt.

Wir ziehen mit diesem Gesetzentwurf die Lehren aus
der Finanzmarktkrise, indem wir uns zum einen an inter-
nationalen europäischen Vorgaben orientieren, aber wir

wollen zum anderen auch die Stärke deutscher Finanz-
aufsicht bewahren; das machen wir zum Beispiel durch
unser Konzept der Allfinanzaufsicht, das heißt, der Ver-
einigung von Banken-, Versicherungs- und Wertpapier-
aufsicht unter einem Dach, deutlich.

Vor diesem Hintergrund enthält der heute vorgelegte
Gesetzentwurf fünf zentrale Maßnahmen: Wir schaffen
eine makroprudenzielle Aufsicht in Deutschland; wir
verbessern die Zusammenarbeit zwischen der Bundesan-
stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, und der
Deutschen Bundesbank im mikroprudenziellen Bereich;
wir berücksichtigen bei der Ausgestaltung der Finanz-
aufsicht in Deutschland die Anliegen der Verbraucherin-
nen und Verbraucher stärker; wir stärken die Unabhän-
gigkeit der BaFin; und wir nehmen auch Änderungen bei
den Regelungen zur Besoldung und Vergütung der Be-
amten und Tarifbeschäftigten der BaFin vor.

Die internationale Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass
riskante Geschäftspraktiken einzelner Finanzmarktak-
teure das Finanzsystem insgesamt in Gefahr bringen
können. Es wurde deutlich, dass es nicht mehr allein aus-
reicht, die Risiken der einzelnen Institute im Blick zu be-
halten, um die Stabilität des gesamten Systems zu wah-
ren. Vielmehr müssen wir auch übergreifende Risiken
frühzeitig erkennen und bekämpfen. Deshalb muss die
sogenannte mikroprudenzielle Aufsicht durch eine mak-
roprudenzielle Aufsicht ergänzt werden.

Auf europäischer Ebene wurden, auch mit deutscher
Unterstützung, ab dem 1. Januar 2011 drei neue europäi-
sche Aufsichtsbehörden im Banken-, Versicherungs- und
Wertpapiersektor eingerichtet. Es wurde aber zugleich
ein europäischer Ausschuss für Systemrisiken geschaf-
fen. Analog zu diesem europäischen Ausschuss für Sys-
temrisiken sieht unser Gesetzentwurf nun die Einrich-
tung eines Ausschusses für Finanzstabilität in
Deutschland vor, der wie sein europäisches Pendant die
Stabilität des deutschen Finanzsystems überwachen,
frühzeitig Warnungen vor Gefahren aussprechen und
Empfehlungen für Gegenmaßnahmen abgeben soll. Die-
sem Ausschuss werden drei Vertreter der Bundesbank,
des Bundesministeriums der Finanzen und der BaFin
und ohne Stimmrecht ein Vertreter der Bundesanstalt für
Finanzmarktstabilisierung angehören.

Die Deutsche Bundesbank wird nach unserem Ge-
setzentwurf aufgrund ihrer besonderen Expertise den
Auftrag erhalten, zur Wahrung der Finanzstabilität bei-
zutragen. Sie soll laufend die für die Finanzstabilität
maßgeblichen Sachverhalte analysieren und mögliche
Gefahren für die Finanzstabilität identifizieren.

Was die mikroprudenzielle Bankenaufsicht anbelangt,
wollen wir dafür sorgen, dass bei schwierigen Aufsichts-
fragen in Zukunft eine einheitliche Sichtweise vor-
herrscht. Deshalb wird ein Schlichtungsmechanismus
geschaffen. Ziel ist es, bei Meinungsverschiedenheiten
von erheblicher Bedeutung zwischen der BaFin und der
Bundesbank bei der laufenden Überwachung von Insti-
tuten zu raschen und effizienten Entscheidungen zu
kommen. Kann Einvernehmen nicht hergestellt werden,
wird das Bundesministerium der Finanzen im Benehmen
mit der Deutschen Bundesbank entscheiden. Dadurch ist





Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


(A) (C)



(D)(B)


auch die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank ge-
wahrt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718807200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schick?

H
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1718807300


Herr Schick kann gerne nachher in der Debatte Stel-
lung nehmen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich möchte doch eine Frage stellen! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das macht er doch sowieso!)


Ich möchte gerne noch etwas zum Verbraucherschutz
sagen. Für Verbraucherschutzorganisationen und Kun-
den soll ein Beschwerdeverfahren bei der BaFin gesetz-
lich ausgestaltet werden. Wir wollen, dass die BaFin
Verbraucherschutzbeschwerden über Verstöße von be-
stimmten Instituten besser nachgehen kann. Wir werden
bei der BaFin einen Verbraucherbeirat schaffen, welcher
die BaFin bei der Erfüllung ihrer Aufgaben aus Verbrau-
chersicht beraten soll.

Zielstellung dieser Maßnahmen ist es, die BaFin in
die Lage zu versetzen, Erkenntnisse von Verbrauchern
und Verbraucherschutzorganisationen zukünftig noch
stärker bei ihrer Aufsichtstätigkeit berücksichtigen zu
können. Der besonderen Bedeutung eines kollektiven
Verbraucherschutzes soll schließlich dadurch Rechnung
getragen werden, dass das Bundesministerium für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einen
Sitz im Verwaltungsrat der BaFin erhält.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir legen einen Ge-
setzentwurf vor, der die Aufsichtsstrukturen in Deutsch-
land als Lehren aus der Finanzkrise effektiver gestalten,
die Zusammenarbeit der mit der Aufsicht befassten Insti-
tutionen verbessern und auch die Anliegen der Verbrau-
cher zu einem wesentlichen Element der Finanzaufsicht
in Deutschland erheben wird. In diesem Sinne bitte ich
um zügige Beratung und Zustimmung zu diesem Gesetz-
entwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718807400

Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1718807500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Koschyk, Ihre Rede
war ein weiterer Beweis dafür, dass dies ein Thema ist,
bei dem sich die Koalitionsfraktionen nicht gerade mit
Ruhm bekleckern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Oh Gott!)


Warum? Die Halbwertszeit dieses Gesetzentwurfs liegt,
glaube ich, nahe bei null. Wenn Sie sich heute die Pres-
selandschaft anschauen, dann stellen Sie fest, dass in Eu-
ropa die Weichen in Richtung europäische Aufsicht ge-
stellt worden sind. Dazu haben Sie hier kein einziges
Wort verloren. Das finde ich ein bisschen peinlich. Es ist
natürlich schade, dass Sie, wenn die Rede schon gestern
geschrieben worden ist, darauf nicht reagieren können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum hatten Sie so große Probleme mit diesem
Thema? Ich will das einmal deutlich machen. Ich erin-
nere mich noch gut daran, dass uns Herr Wissing erklärt
hat, die Reform der Finanzaufsicht sei der Kern der Fi-
nanzmarktreform. Er hat einen Vorschlag gemacht, der
dann auch von der CDU unterstützt wurde. Dieser Vor-
schlag lautete, man müsse bei der Deutschen Bundes-
bank alles zentralisieren und die BaFin zerschlagen. –
Daraus ist zum Glück nichts geworden.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So war das! – Weitere Zurufe von der SPD: So sind sie!)


Wir haben von Anfang an gesagt: Das wird nicht funk-
tionieren.

2002 ist die BaFin unter Rot-Grün als Allfinanzauf-
sicht gegründet worden. Das war ein guter Schritt, das
war ein richtiger Schritt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


und Sie bestätigen das ja jetzt auch mit Ihrem Gesetzent-
wurf. Diesen richtigen Weg muss man aber auch weiter-
gehen. Das tun Sie mit Ihrem Entwurf nur teilweise. Na-
türlich müssen wir die Finanzaufsicht in Deutschland
weiter stärken. Wir brauchen eine Aufsicht mit Biss,
keine mit Gebiss.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ihr Gesetzentwurf enthält einige völlig richtige
Punkte. Der Staatssekretär hat eben darauf hingewiesen,
dass ein Ausschuss für Finanzstabilität gegründet wer-
den soll, in dem Bundesbank und BaFin zusammenar-
beiten. In der Vergangenheit hat es in der Tat ein paar
Probleme gegeben, was die Zusammenarbeit dieser In-
stitutionen anging. Das muss verbessert werden.

Es ist auch richtig, dass Sie sich um die Frage der Be-
soldung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BaFin
kümmern. In Zukunft soll es möglich sein, mehr zu ver-
dienen, als es nach den normalen Maßstäben im öffentli-
chen Dienst bei einer nachgeordneten Behörde eigent-
lich möglich wäre. Warum? Weil in der Vergangenheit
die qualifiziertesten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der BaFin von Banken und Versicherungen abgeworben
wurden, wo sie erheblich mehr Geld verdienen konnten.
Es muss unser Ziel sein, die qualifizierten Menschen in
der Bankenaufsicht zu halten.


(Beifall bei der SPD)






Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


Dann wollen Sie den Verwaltungsrat reformieren. Die
Vertreter der Banken und Versicherungen in diesem Ver-
waltungsrat sollen sozusagen outgesourct werden und
diesem Gremium nicht mehr angehören. Als Begrün-
dung heißt es:

Zum international geforderten Grundprinzip der Fi-
nanzaufsicht gehört ihre Unabhängigkeit von den
beaufsichtigten Unternehmen.

Das ist völlig richtig. Das unterstreichen wir.
Ich selbst bin Mitglied im Verwaltungsrat und des

Haushaltskontroll- und Prüfungsausschusses und habe
viele Sitzungen dieser Gremien mitgemacht. Ich habe es
aber bisher noch nicht erlebt, dass dabei von den Vertre-
tern der Banken und Versicherungen auf die konkrete
Kontrolltätigkeit Einfluss genommen wurde. Im Gegen-
teil: Ich habe erlebt, dass dort sehr konstruktiv zusam-
mengearbeitet wurde. Ich glaube, auch der Kollege
Troost kann dem zustimmen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Keine Einbindung hier!)


– Ich weiß, das ist vielleicht ein bisschen unfair. Bleiben
wir einfach bei der Sache. – Wichtig ist, dass in diesem
Rat Menschen Hinweise aus der Praxis geben können.
Dies ist für die Arbeit dieses Gremiums unverzichtbar.
Ich hoffe, dass Sie sich noch einmal Gedanken darüber
machen und diesen Unsinn aus dem Gesetzentwurf strei-
chen.

Ich fände es interessant, jetzt von der Bundesregie-
rung zu hören, wie denn die einheitliche europäische
Aufsicht, die bis Ende 2012 eingeführt werden soll, aus-
gestaltet werden soll. Welche Rolle soll die EZB spie-
len? Welche Rolle soll die EBA spielen? Das sind für
uns ganz zentrale und wesentliche Fragen. Ich möchte
noch einmal darauf hinweisen: Eine solche Aufsicht
sollte nur für die großen, international agierenden Ban-
ken gelten. Die kleineren deutschen Banken sollten nach
wie vor national beaufsichtigt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718807600

Das Wort hat nun Volker Wissing für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1718807700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte den letzten Punkt, den Herr Kollege Zöllmer
eben erwähnt hat, aufgreifen und für die Öffentlichkeit
noch einmal deutlich darstellen, worüber Herr Zöllmer
gerade gesprochen hat und welche Position die Sozialde-
mokratie hier eingenommen hat.

Bisher hat die Bankenaufsicht in Deutschland einen
Verwaltungsrat, in dem zehn Vertreter der beaufsichtig-
ten Unternehmen die Bankenaufsicht selbst kontrollieren
können.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn! Sie haben an keiner einzigen Sitzung teilgenommen! Sie haben überhaupt keine Ahnung von dem Thema!)


Die Vertreter der Wirtschaft, die beaufsichtigt wird, sit-
zen also selbst im Verwaltungsrat. Wir wollen, dass die
Bankenaufsicht unabhängig wird. Deswegen haben wir
einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem künftig nicht
mehr die zehn Vertreter der Wirtschaft die Aufsicht kon-
trollieren, sondern sechs unabhängige Experten.

Die Sozialdemokratie hat diesen Schritt zur Stärkung
der Unabhängigkeit der Bankenaufsicht soeben für Un-
sinn erklärt. Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist
der Fall: Ihre Politik ist unverantwortlich. Sie sollten
vielleicht darüber nachdenken, ob das, was Sie eben für
die Sozialdemokratie erklärt haben, nach der Finanzkrise
noch zeitgemäß ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Stärkung der Unabhängigkeit der Bankenaufsicht
sind wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern bzw.
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland schuldig.
Wir erkennen an, dass bei der Aufsicht Sachverstand
vorhanden sein muss. Deswegen sagen wir: Experten ja,
aber keine Vertreter der Wirtschaft im Kontrollorgan der
Aufsichtsbehörde. Ich schlage vor, die Sozialdemokratie
ändert ihre Position und stimmt der Änderung des Ge-
setzentwurfs an dieser Stelle zu.

Die Bundesregierung hat auch deutlich gemacht, dass
sie mit dem Gesetzentwurf die Punkte aufarbeitet, die
wir in der Finanzkrise als Schwäche der deutschen Auf-
sicht ausgemacht haben. Beispielsweise fehlte ein Gre-
mium, um präventiv zu agieren und frühzeitig Weichen
stellen zu können. Mit dem neu zu schaffenden Aus-
schuss für Finanzmarktstabilität wird diese Lücke ge-
schlossen.

Es ist klug, die Deutsche Bundesbank, das Bundes-
finanzministerium, die BaFin, aber auch die Bundesan-
stalt für Finanzmarktstabilisierung in dieses Gremium
mit einzubeziehen, damit auch Restrukturierungsfragen,
die möglicherweise anstehen, frühzeitig und mit Bedacht
berücksichtigt werden. Das ist verantwortungsvolle und
vorausschauende Aufsicht. Deswegen ist es ein Schritt
in die richtige Richtung. Es ist ein Schritt zur Stärkung
der Stabilität des Finanzsektors in Deutschland.

Wir stärken die Aufsicht auch durch klare Zuständig-
keiten, verbesserte Bezahlstrukturen für die BaFin und
eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Bundesbank
und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kommuni-
kationsprobleme zwischen zwei Aufsichtsbehörden er-
hebliche Auswirkungen haben können. Die Schwächen,
die wir in der Vergangenheit erfahren und erkannt haben,
wird es künftig nicht mehr geben. Die deutsche Aufsicht
wird damit schlagkräftiger und effizienter, und sie wird
eine stärkere Einheit der Prävention statt nur der Krisen-
intervention.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)


Selbstverständlich werden wir damit auch den Ver-
braucherschutz stärken. Der Umgang mit kollektiven
Verbraucherfragen im Finanzsektor wird künftig eine
zentrale Aufgabe der BaFin. Es wird ein Verbraucherbei-
rat und das gesetzliche Beschwerdeverfahren eingeführt,
das Rot-Grün in den damaligen Aufsichtsstrukturen
nicht vorgesehen hatte. Wir ergänzen das jetzt. Damit
wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
effizienter, sie wird unabhängiger, sie wird verbraucher-
freundlicher, und sie wird auch in stärkerem Maße zu ei-
ner Präventionseinheit in Deutschland. Das ist notwen-
dig.

Ihre Äußerung, Herr Kollege Zöllmer, es gehe nicht
mehr um nationale Aufsichtsstrukturen, sondern es
müsse alles auf europäischer Ebene geregelt werden,
weise ich entschieden zurück. Selbstverständlich brau-
chen wir auch in Zukunft eine nationale Finanzaufsicht,
und zwar eine bessere, als Rot-Grün sie damals geschaf-
fen hatte, eine unabhängigere und eine praxisnähere.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das wird auf den Weg gebracht.

Dass wir auf europäischer Ebene Aufsichtsstrukturen
brauchen, ist völlig unbestritten. Auch das hat die Bun-
desregierung in Angriff genommen. Sie hat mit viel
Nachdruck dafür gesorgt, dass europäische Strukturen
entstehen. Dass diese Strukturen weiter ausgebaut wer-
den müssen, ist klar. Auch hierbei ist die christlich-libe-
rale Koalition Vorreiter. Wir machen Druck, weil wir die
Bankenaufsichtsstrukturen nicht so fortschreiben kön-
nen, wie Sie sie uns überlassen haben.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird doch gerade fortgeschrieben! Das ist doch wohl total daneben! Verdrehung der Wirklichkeit! – Manfred Zöllmer [SPD]: Herr Wissing!)


Ich will noch einmal betonen: Dass Sie die Unabhän-
gigkeit der Bankenaufsicht nicht hochschätzen, mögen
Sie den Menschen in Deutschland erklären. Ich kann Ih-
nen jedenfalls für die FDP-Fraktion sagen: Für uns ist es
ein zentrales Anliegen, dass nicht Unternehmen die Auf-
sicht kontrollieren, sondern dass der Primat der Politik in
der deutschen Bankenaufsicht im Staat wiederhergestellt
wird. Sie hatten das damals versäumt.

Sie verteidigen Ihre Politik von damals auch nach der
Krise noch. Ich finde das bedauerlich und freue mich,
dass wir Mehrheiten für eine bessere Bankenaufsicht in
Deutschland haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718807800

Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718807900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

Prinzip ist die heutige Debatte völlig unsinnig, weil ers-
tens gestern beschlossen worden ist, dass sehr kurzfristig
erhebliche Kompetenzen, betreffend die Bankenaufsicht,
auf die europäische Ebene, zur EZB, verlagert werden
sollen und weil zweitens die BaFin gerade ein großes
Evaluierungsverfahren in Gang gesetzt hat, dessen Er-
gebnisse im September Berücksichtigung finden müs-
sen; sonst wäre diese Evaluierung völlig unsinnig. Inso-
fern führen wir hier eine Gespensterdebatte. Trotzdem
ist es wichtig, sich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
auseinanderzusetzen.

Ursprünglich wollte die Koalition festschreiben, dass
allein die Bundesbank über die entsprechenden Kompe-
tenzen verfügt. Aber nun wird das genaue Gegenteil um-
gesetzt. Wir haben von vornherein kritisch angemerkt,
dass es nicht nur um die Organisation der Aufsicht, son-
dern auch darum geht, welche Spielregeln, also welche
verschärfte Regulierung, in der Aufsicht zum Tragen
kommen. In Sachen verschärfter Bankenregulierung ha-
ben Sie aus unserer Sicht bestenfalls die Saiten etwas ge-
stimmt, um die Zahl der Misstöne zu reduzieren. Wir da-
gegen fordern weiterhin: Es müssen ganz andere Saiten
aufgezogen werden. Man muss den großen Banken ein
anderes Lied geigen, das Lied vom Schrumpfen, das
Lied vom Ende der Spekulation und des Eigenhandels
mit Wertpapieren, das Lied „Zurück zur Realwirtschaft“.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Ich halte fest: Schon bei der Regulierung passiert re-
lativ wenig. Der Gesetzentwurf macht darüber hinaus
deutlich, dass auch bei der Organisationsstruktur der
Aufsicht oft der Mut fehlt. In der Tat ist die BaFin – das
begrüßen wir sehr – eine Allfinanzaufsicht und ist als
solche auch konzipiert. Aber wir stellen fest, dass der
Austausch zwischen den Säulen völlig unzureichend ist.
Alle, die in dieser Woche an den Beratungen des Finanz-
ausschusses und an der gestrigen Sitzung des Verwal-
tungsrates der BaFin teilgenommen haben, haben erfah-
ren, dass die Wechselwirkungen zwischen dem, was
gegenwärtig bei der Bankenregulierung läuft, und dem,
was bei der Versicherungswirtschaft geschieht – Stich-
wort „Solvency II“ –, nicht ausreichend berücksichtigt
werden. Daher glauben wir, dass die existierenden Feh-
ler nicht behoben werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Es wird hervorgehoben, dass nun als Neuerung ein
gemeinsamer Ausschuss für Finanzstabilität eingesetzt
wird. Dazu kann ich nur sagen: Das ist keine Neuerung,
sondern im Prinzip nur die Fortentwicklung des bereits
existierenden Ständigen Ausschusses für Finanzmarkt-
stabilität. Dieser hat sehr schlecht gearbeitet. In der letz-
ten Krise wurde gesagt, ein solcher Ausschuss sei nicht
ausreichend; man müsse umfassendes Krisenmanage-
ment betreiben.

Wie Sie sicherlich bemerken, trauen wir Ihrer Auf-
sichtsreform nicht. Wir können nämlich nicht erkennen,





Dr. Axel Troost


(A) (C)



(D)(B)


dass die Finanzaufsicht in der nächsten Krise nicht die-
selben Dummheiten und Fehler machen wird wie beim
letzten Mal. Als gestern gesagt wurde: „Wir prüfen im
Einzelnen die Geschäftsmodelle“, habe ich wieder ge-
fragt: Schreitet man denn ein, wenn ein Geschäftsmodell
nicht solide ist? – Genauso wie damals bei der HRE
wurde gesagt: Nein, das können wir nicht; wir sind ja
nicht die besseren Banker.

Es ist also nicht ausgeschlossen, dass wir genauso wie
damals bei der HRE auch in Zukunft zu hören bekom-
men: Wir haben zwar gesehen, dass sich die Bank monate-
lang in der Todeszone befand, aber wir konnten und
durften nicht einschreiten. – Das geht so nicht. Wir müs-
sen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler davor be-
wahren, dass weitere Rettungsmilliarden in den Banken-
sektor gesteckt werden. Die Bankenaufsicht muss ganz
anders – wesentlich schärfer und nach anderen Regeln –
konzipiert werden.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718808000

Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718808100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

wollte vorhin in der Tat eine Zwischenfrage stellen; denn
die Informationslage am heutigen Morgen darüber, was
sich in Europa abzeichnet, hat unmittelbare Relevanz für
das, worüber wir jetzt diskutieren. Meine Frage lautet
daher – und da die Bundesregierung in der Debatte je-
derzeit intervenieren kann, fände ich es gut, wenn sie sie
auch beantworten würde –: Was bedeutet das, was die
Kanzlerin auf dem Gipfel zugesagt bzw. unterzeichnet
hat – dabei geht es um die Verlagerung der Aufsicht über
große Banken auf die Europäische Zentralbank – für die
Aufsichtsstruktur in Deutschland? Müssen Sie eigentlich
diesen Gesetzentwurf komplett umschreiben? Müssen
wir das völlig neu diskutieren? Oder kann man die vor-
gesehenen Maßnahmen in diesem Rahmen durchführen?
Das sind doch ganz zentrale Fragen, welche auch die Be-
schäftigten interessieren. Da wir jetzt dieses Thema be-
raten, sollte uns die Bundesregierung darüber in Kennt-
nis setzen. Bevor Sie in Brüssel dieser Sache zugestimmt
haben, werden Sie sich ja überlegt haben – das Thema ist
schon einige Wochen in der Diskussion –, wie man das
eigentlich in Deutschland umsetzen kann. Deswegen
meine Aufforderung: Beantworten Sie bitte diese Frage,
die Sie vorhin nicht beantworten wollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wie ich feststellen muss, will die Bundesregierung diese
Frage nicht beantworten. Das ist damit zu Protokoll ge-
geben.

In Bezug auf die Aufsichtsstruktur ist mir wichtig,
noch einmal deutlich zu machen, dass hier gerade ein
völlig falscher Eindruck erweckt worden ist. Zu Recht

ist kritisiert worden, dass die Finanzaufsicht in Deutsch-
land an vielen Stellen im Vorfeld der Krise und bei der
Bewältigung der Krise Fehler gemacht hat. Die Analyse,
die man in der Zeit der Opposition gemacht hat, Herr
Wissing – es wurde damals von Ihnen von „Überforde-
rung“, „Schön-Wetter-Institution“ usw. gesprochen –,
muss irgendetwas mit dem zu tun haben, was man jetzt
sagt. Man kann zwar die Tonlage modifizieren. Aber Sie
verkündeten damals: Wir machen jetzt endlich Aufsicht
aus einem Guss; denn eigentlich hat die Finanzaufsicht,
die Rot-Grün eingeführt hat, in der Struktur völlig ver-
sagt. – Das waren Ihre Worte. Was Sie hier vorlegen, ist
aber der Beleg dafür, dass Sie genau den bewährten Kern
der rot-grünen Aufsichtsreform – nämlich die Allfinanz-
aufsicht, bei der Bankenaufsicht, Versicherungsaufsicht
und Wertpapieraufsicht zusammengeführt wurden, weil
man die Phänomene nur als Gesamtheit bearbeiten
kann – unangetastet lassen. Geben Sie es, bitte, auch zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Das haben wir nie anders gewollt!)


– Doch, Sie wollten die Bankenaufsicht auf die Bundes-
bank übertragen. Dabei sind Sie mit Ihren Vorgaben aus
dem Koalitionsvertrag richtig schön gescheitert.

Ich will deutlich machen, dass es auch positive
Punkte in diesem Gesetzentwurf gibt. Richtig finde ich
es, dass der Ausschuss für Finanzstabilität dem Bundes-
tag berichtet. Ich finde es auch richtig, dass die Branchen-
vertreter künftig nicht mehr im Verwaltungsrat vertreten
sein sollen. Es gibt Praktiker, die mit den Verbandsver-
tretern nicht identisch sind. An dieser Stelle will ich
auch Unterstützung signalisieren.

Es gibt aber einen großen Schwachpunkt, nämlich
den gesamten Bereich des Verbraucherschutzes. Sie ha-
ben den Verbraucherschutz jetzt groß herausgestellt,
Herr Koschyk. In der Substanz aber – das zeigt uns die
Stellungnahme des Bundesrates – wird es für den Ver-
braucher an den entscheidenden Stellen nach wie vor
fehlen.

Punkt eins. Ich finde, man sollte den Vorschlag des
Bundesrates in puncto Finanzmarktwächter aufgreifen.

Punkt zwei. Wir brauchen endlich wirksame Kontrol-
len. Es kann doch nicht sein, dass die Stiftung Warentest
bzw. ihre Zeitschrift Finanztest entsprechende Überprü-
fungen vornehmen und feststellen, dass reihenweise ge-
gen die Anforderungen des Gesetzgebers verstoßen
wird. Da muss eine Finanzaufsicht tätig werden. Sie darf
da nicht einfach nur zuschauen. Hier gibt es einen Feh-
ler. Das müssen Sie aufgreifen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Punkt drei. Die Aufsicht über die freien Finanzanla-
genvermittler – das ist ein weiterer guter Vorschlag des
Bundesrates – muss auch mit hinein. Es gibt keinen
Sinn, die Zuständigkeiten bei der Beaufsichtigung zu
splitten.

Ein weiterer ganz entscheidender Vorschlag des Bun-
desrates, den ich unbedingt unterstütze, ist, dass eine Fi-
nanzaufsicht Produkte, die intransparent und komplex





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


sind und an den privaten Kunden vertrieben werden sol-
len, verbieten kann. Es kann doch nicht sein, dass wir
Produkte zulassen, auf denen obendrauf eine tolle Ren-
dite steht, bei denen aber die Bedingungen im Kleinge-
druckten so gestaltet werden, dass diese Rendite im Nor-
malfall überhaupt nicht zu erzielen ist. Das ist doch eine
Lüge. Solche Produkte, bei denen der Verbraucher schon
bei der Produktgestaltung eindeutig über den Tisch ge-
zogen werden soll, müssen von einer Finanzaufsicht ver-
boten werden können. Wenn das an dieser Stelle nicht
möglich ist: Wozu haben wir dann eine Finanzaufsicht?
An dieser Stelle sind unbedingt Änderungen erforder-
lich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718808200

Nun hat Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1718808300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

einmal möchte ich auf die Kritikpunkte der Opposition
eingehen. Es hat leider ein Alternativvorschlag gefehlt.
Ein früherer SPD-Vorsitzender hat einmal gesagt: „Op-
position ist Mist“. Ich ergänze das: Opposition ist ein-
fach, weil man nur kritisieren muss.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Im nächsten Jahr sind Sie dran!)


Dass wir Dinge, die im Koalitionsvertrag stehen,
nicht umgesetzt haben, ist richtig. Wir haben gesagt: Wir
wollen die Bankenaufsicht bei der Bundesbank zentra-
lisieren. Dass diese Grundidee nicht ganz falsch war, sehen
wir an den europäischen Überlegungen, die jetzt ange-
stellt werden. Nichtsdestotrotz haben wir unser Vorha-
ben nicht umgesetzt. Ebenfalls nicht umgesetzt haben
wir das, was mein ehemaliger Kollege Leo Dautzenberg
gefordert hat: eine kombinierte Aufsicht bei der Bundes-
bank. Da sind wir einfach von der Realität eingeholt
worden. Ich glaube, es ist besser, dass man sich korri-
giert und das macht, was aus verschiedenen Gründen
umsetzbar ist, als dass man ideologisch an seinen Posi-
tionen festhält.

Zum Thema Verbraucherschutz. Herr Schick, ich
weiß, dass Sie eine Verbraucherpolizei wollen. Ich weiß,
dass Sie die BaFin zur Verbraucherpolizei umbauen wol-
len. Aber das ist nicht unser Ansatz.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ist der Fehler!)


Die BaFin soll – da haben wir einige Verbesserungen er-
reicht – für einen kollektiven Verbraucherschutz sorgen.
Das heißt, sie beobachtet das System, das Handeln der
Institute und der Institutionen. Was wir nicht machen,
ist, dass wir individuelle Verbraucherinteressen mithilfe
der BaFin durchsetzen wollen. Dafür gibt es in Deutsch-
land den Rechtsweg.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht mein Punkt, sondern die Durchsetzung der gesetzlichen Norm!)


Dafür gibt es in Deutschland auch Verbraucherschutzor-
ganisationen. Dementsprechend werden wir da wohl
nicht zueinanderfinden.

Zum Thema Verwaltungsrat der BaFin und dessen
Besetzung. Ich glaube, die dem Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zugrunde liegende Idee ist richtig und gut.
Aber man sollte beides nicht überschätzen: weder die
Kritik noch den Ansatz. Es ist wahrlich nicht der Kern-
punkt dieses Gesetzes, dass der Verwaltungsrat der
BaFin anders zusammengesetzt sein soll.

Was mich an diesem Gesetz viel mehr interessiert, ist
die Frage: An welche Grenzen stoßen wir eigentlich mit
den Vorgaben für Finanzaufsicht?

Wir können sehr gut Strukturen, gesetzliche Rahmen-
bedingungen festlegen. Die erste Grenze, an die wir sto-
ßen, ist aber das Handeln in der BaFin selbst. Man muss
sagen: Wir haben großen Respekt vor dem, was die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter der BaFin machen. Aber
wir stellen uns auch an der einen oder anderen Stelle die
Frage: Wie ist es denn um das unternehmerische Mitden-
ken in der BaFin bestellt? Ist die Substanz oder die Form
wichtiger? Ist es wichtiger, dass alle notwendigen Unter-
schriften geleistet worden sind, oder ist es wichtiger,
dass unternehmerisch richtig gedacht wird? Wie sieht es
mit der Bereitschaft der BaFin aus, selber Risiken einzu-
gehen, Verantwortung zu übernehmen und für gemachte
Fehler einzustehen? Das alles sind Dinge – zuzüglich der
bereits angesprochenen Motivation der Mitarbeiter und
der Tatsache, dass der BaFin immer wieder Mitarbeiter
abgeworben werden –, die institutionsintern gelöst wer-
den müssen. Das heißt, das ist eine Managementaufgabe
der BaFin.

Wir sehen mit großem Gefallen, dass die neue Chefin
der BaFin, Frau König, versucht, da Pflöcke einzuschla-
gen. Bei allem Respekt vor der bisherigen Arbeit der
BaFin muss sich an dieser Stelle, glaube ich, noch eini-
ges ändern. Wir wollen eine unternehmerisch denkende
BaFin. Wir wollen eine risikoorientiert denkende BaFin.
Wir wollen eine BaFin, die bei der Aufsicht zwischen
kleinen und großen Instituten differenziert und die Pro-
portionalität berücksichtigt. Da haben wir jenseits von
dem, was wir gesetzlich verorten, noch eine Menge Luft
nach oben. Wir würden uns freuen, wenn unsere Vorstel-
lungen umgesetzt würden.

Eine weitere Grenze, an die wir stoßen, ist gerade an-
gesprochen worden. Bei all den Finanzregulierungsmaß-
nahmen, die wir auf nationaler Ebene durchführen, müs-
sen wir immer beachten, dass uns eine rasante
europäische Entwicklung begleitet. Jetzt könnten wir na-
türlich Folgendes machen – die Grünen haben es eben
gefordert –: Wir könnten so lange warten, bis auf euro-
päischer Ebene alles geregelt ist. Das ist aber nicht die
Politik dieser Bundesregierung und dieser Koalitions-
fraktionen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!)






Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


Wir regeln das, was wir regeln können, und zwar zu
dem Zeitpunkt, an dem wir es regeln können. Das haben
wir beim Restrukturierungsgesetz gemacht, das haben
wir beim Verbot von Leerverkäufen gemacht, und das
machen wir natürlich auch an dieser Stelle. Wenn wir
neue Erkenntnisse über den europäischen Prozess und
vielleicht auch über die Dinge haben, die gestern Abend
angesprochen worden sind, dann werden wir das berück-
sichtigen. Dieser Gesetzentwurf ist in der ersten Lesung.
Wir haben noch die Möglichkeit, Änderungen einzubrin-
gen. Die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs
werden im Herbst erfolgen. Ich denke, dann sind wir
durchaus klüger.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die aktuellen europäischen Entwicklungen bedeuten
zwangsläufig, dass sich die Arbeit der Finanzaufsicht in
Deutschland verändern wird. Das heißt, Finanzaufsicht
ist bei der technischen Umsetzung vieler Dinge auf euro-
päischer Ebene gefordert. Es gibt Ratsarbeitsgruppen. Es
gibt auch bei den europäischen Aufsichtsbehörden Ex-
pertenkreise. Da muss sich die BaFin einbringen. Dem-
entsprechend ist eine Akzentverlagerung vom rein Na-
tionalen zu einer Vertretung deutscher Interessen auf
internationaler oder zumindest europäischer Ebene not-
wendig. Auch darauf muss sich die BaFin einstellen: von
der Mentalität her, aber auch vom Personal. Darum bit-
ten wir dringend.

Letzter Punkt, letzte Grenze. Finanzaufsicht soll über-
wachen. Wir haben uns jetzt mit der Finanzaufsicht als
Institution beschäftigt. Wir müssen uns vielleicht auch
einmal mit den Objekten dieser Überwachung beschäfti-
gen. Ich stelle kurz vor Ende dieser Debatte heute am
Freitagmittag die Frage: Ist ein Institut mit einer Bilanz-
summe von mehr als 2 Billionen Euro, das in unzähligen
Ländern dieser Erde aktiv ist, eigentlich noch überwach-
bar? Ist es intern überwachbar? Ist es durch eine Finanz-
aufsicht überwachbar, und wenn ja, von welcher Finanz-
aufsicht?


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gute Frage!)


Wir müssen diese Frage ganz dringend beantworten. Ich
glaube, die Pflicht eines Nachweises darüber, dass solch
ein Institut überwachbar ist, liegt nicht beim Staat, son-
dern beim Institut selber.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das Institut versteht die Frage nicht mal!)


Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718808400

Das Wort hat nun Annette Sawade für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Annette Sawade (SPD):
Rede ID: ID1718808500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den

Tribünen! Glücklicherweise befinden wir uns in der ers-
ten Lesung dieses Gesetzentwurfs. So sind noch viele
Korrekturen möglich; danke, Herr Brinkhaus, Sie haben
den Tipp schon gegeben. Im Fall des hier von der Bun-
desregierung vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung der deutschen Finanzaufsicht ist das auch drin-
gend geboten, und damit meine ich keineswegs nur re-
daktionelle Schönheitsfehler.


(Beifall bei der SPD)


Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfrak-
tionen, Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag den Anle-
gerschutz großgeschrieben. Ich zitiere:

Wir wollen ein konsistentes Finanzdienstleistungs-
recht schaffen, damit Verbraucher in Zukunft besser
vor vermeidbaren Verlusten und falscher Finanzbe-
ratung geschützt werden.

Weiter heißt es:

Kein Anbieter von Finanzprodukten soll sich der
staatlichen Finanzaufsicht entziehen können.

Nun frage ich Sie, wie das zu der weichgespülten Formel
passt, die Sie hier vorlegen:

Die Aufsichtstätigkeit der Bundesanstalt sollte zu-
künftig Verbraucherfragen stärker berücksichti-
gen …

„Berücksichtigen“ heißt doch nichts weiter als: Wir ha-
ben es einmal erwähnt, es ist aber nicht unser primäres,
unser eigentliches Ziel. – Ganz nach dem Motto: Schön,
dass wir mal darüber geredet haben.


(Beifall bei der SPD)


Sie schränken die Möglichkeiten der Verbraucherbei-
räte noch weiter ein, indem Sie davon sprechen, dass die
Aufsichtsziele dabei nicht beeinträchtigt werden dürfen.
Damit ist klar: Die Etikette „Verbraucherschutz“ ist
glatte Makulatur.


(Beifall bei der SPD)


Sie wollen hier einen potenziellen Interessenkonflikt
suggerieren, anstatt endlich anzuerkennen, dass eines der
wesentlichen Aufsichtsziele, nämlich die Solvabilität der
Finanzinstitute, das Vertrauen in sie voraussetzt. Wir
spüren doch alle seit dem Ausbruch der Krise, wie es um
das Vertrauen der Menschen in die Finanzwirtschaft und
folglich auch in die sie gestaltende Politik bestellt ist.
Alle stellen ein schlechtes Zeugnis aus, egal wohin man
schaut.

„Die Kreditversager“, titelt die Stiftung Warentest in
diesem Monat. Sie stellt dem Gros der Anbieter ein „nie-
derschmetterndes Ergebnis“ aus. Jeder von uns hier im
Hause kennt nur zu gut die vielen Schreiben und Mails
der geprellten Anleger, der Menschen, die einem System
vertrauten, das schon längst aus dem Ruder gelaufen
war.

Die deutsche Finanzaufsicht stärken: Ja, da sind wir
dabei. Sich den europäischen Entwicklungen anpassen:
Ja, selbstverständlich, aber bitte nicht unter der ein-
schränkenden Prämisse, ein verbindlicher Verbraucher-





Annette Sawade


(A) (C)



(D)(B)


schutz könne möglicherweise die Funktionsfähigkeit der
Finanzmärkte ausbremsen.


(Beifall bei der SPD)


Schließlich ist im europäischen System der Finanzauf-
sicht der Verbraucherschutz in allen drei Verordnungen
verbindlich festgeschrieben. Das soll im deutschen Ge-
setz nicht möglich sein? Nein, so wollen wir das nicht,
liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die SPD-Fraktion hat bereits im Frühjahr dieses Jah-
res einen Antrag eingereicht, der diese Lücke im Ver-
braucherschutz schließen soll. Nochmals unsere Forde-
rungen: Wir wollen eine Ergänzung der staatlichen
Finanzaufsicht durch nichtstaatliche Organisationen als
Finanzmarktwächter, also Organisationen mit Markt-
wächterfunktion.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen ein funktionierendes und gesetzlich abge-
sichertes Sprachrohr für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher, eine Institution, die sie gegenüber Wirtschaft
und Politik richtig vertritt. Mit „richtig“ meine ich
„handlungsfähig“. Wir brauchen einen klaren Auftrag an
die BaFin, im Interesse des kollektiven Verbraucher-
schutzes tätig zu werden, und nicht, wie vorhin ange-
sprochen, im Interesse des individuellen Verbraucher-
schutzes.


(Beifall bei der SPD)


Ein Verbraucherbeirat, wie unter § 8 a des vorgeleg-
ten Entwurfs zur Änderung des Finanzdienstleistungs-
aufsichtsgesetzes vorgesehen, geht zwar in die richtige
Richtung, aber er reicht in dieser Form überhaupt nicht
aus. Es muss sichergestellt sein, dass der Verbraucher-
beirat nicht nur einbezogen wird, sondern auch ein An-
hörungsrecht bekommt.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen schließlich, dass für Verbraucherinnen und
Verbraucher ein gutes Gesetz formuliert wird, mit dem
auch sie von einer Stärkung der deutschen Finanzaufsicht
profitieren. Ich finde es gut, dass der Finanzausschuss
eine Anhörung für Anfang September beschlossen hat.
Ich hoffe, dass dann auch die vielen wachsweichen For-
mulierungen als unzureichend erklärt werden.


(Beifall bei der SPD)


Die Richtung des Gesetzentwurfs mag stimmen, aber
die richtigen Zielmarken fehlen noch. Wir helfen gerne,
sie zu setzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718808600

Liebe Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Deut-

schen Bundestag, nachdem Sie in diesem Monat nachge-
rückt sind. Herzliche Gratulation und alles Gute für die
weitere Arbeit.


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/10040 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Sabine Leidig, Katja Kipping, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Kundenfreundliche Bahn für alle

– Drucksache 17/8605 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Dietmar
Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Den Vorstand der Deutschen Bahn AG mit
fachkundigem Personal besetzen

– Drucksachen 17/4838, 17/8383 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Lange

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Sabine Leidig
für die Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718808700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir haben im Fe-
bruar dieses Jahres einen Antrag mit dem Titel „Kunden-
freundliche Bahn für alle“ eingebracht. Anlass war da-
mals die noch nicht lange zurückliegende neuerliche
Preiserhöhung. Preiserhöhungen führen immer wieder
zur Verärgerung von Bürgerinnen und Bürgern, die die
Bahn benutzen, weil es ein Missverhältnis zwischen den
ständigen Preiserhöhungen, die doppelt so hoch sind wie
die allgemeinen Preiserhöhungen, und dem Service der
Bahn gibt. Die Bahn bietet nicht die Annehmlichkeiten,
die sie eigentlich bieten könnte, der Service ist nicht auf
dem Stand, auf dem er sein sollte.

Ich weiß, dass es hier im Hause die Meinung gibt,
dass sich die Bundespolitik komplett heraushalten muss,
was die Ausrichtung der Deutschen Bahn AG anbetrifft.
Ich bin da völlig anderer Meinung. In Art. 87 e des
Grundgesetzes steht explizit, dass der Bund die Verant-
wortung für das Schienennetz und auch für die Angebote





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)


auf diesem Schienennetz hat und sich dieses Angebot am
Allgemeinwohl zu orientieren hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb hat der Bundestag auch die Verantwortung,
Ziele vorzugeben. Das heißt nicht, dass man sich in das
operative Geschäft der Bahn einmischt, aber ähnlich wie
die Schweizerischen Bundesbahnen, bei denen die Ziele
völlig klar sind – zum Beispiel wie viele Fahrgäste ge-
wonnen werden sollen, wie dicht das Streckennetz sein
soll und wie die Bahnhöfe ausgestattet werden sollen –,
muss auch die Deutsche Bahn AG an den Bedürfnissen
der Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte die zentralen Punkte nennen, die aus unse-
rer Sicht im Mittelpunkt einer solchen Ausrichtung ste-
hen müssen. Am allerwichtigsten ist, dass die Bahn
überhaupt vorhanden ist. Ich kann keine Kundinnen und
Kunden gewinnen, wenn es gar keinen Bahnhof und kei-
nen Bahnanschluss gibt. Faktisch wurde in den vergan-
genen 15 bis 20 Jahren das Streckennetz reduziert. Ins-
besondere in weiten Teilen Ostdeutschlands sind viele
Städte und Gemeinden inzwischen vom Bahnverkehr ab-
gekoppelt. Daran muss sich auf jeden Fall etwas ändern.
Die Bahn muss eine Flächenbahn sein, zu der die Bürge-
rinnen und Bürger Zugang haben. Sie muss ein mög-
lichst engmaschiges und intaktes Streckennetz haben,
damit es verlässliche Fahrzeiten und verlässliche Zubrin-
ger zu den Knotenpunkten gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Der zweite wesentliche Punkt ist, dass die Bahnhöfe
so gestaltet sind, dass alle zum Zug kommen können.
Fakt ist, dass immer noch 2 000 Bahnhöfe in dieser Re-
publik nicht barrierefrei sind. Das heißt, ein Mensch, der
im Rollstuhl sitzt, oder eine alte Frau, die mit dem Rolla-
tor unterwegs ist, hat keine Chance, an diesen Bahnhö-
fen in einen Zug zu steigen. Ich finde, angesichts der
Vereinbarungen zur Inklusion und der Verabredungen,
die auch international getroffen worden sind, ist es ein
unhaltbarer Zustand, dass es immer noch keinen Zeit-
plan gibt, der festlegt, bis wann alle Bahnhöfe – übrigens
auch alle Züge – barrierefrei gestaltet werden müssen.
Wir schlagen vor, dass es einen Zeitplan geben muss,
nach dem spätestens bis 2020 alle Bahnhöfe barrierefrei
sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu gehört auch, dass es an den Bahnhöfen Personal
geben soll. Es ist viel einfacher, mit der Bahn zu fahren,
wenn man jemanden etwas fragen kann. Die Bahnhöfe
in den kleinen Gemeinden sind nicht gastlich. Ich bin
seit zehn Jahren autofrei unterwegs, und ich kann Ihnen
sagen: Wenn man abends in irgendeinem kleinen Ort auf
einem unbeleuchteten Bahnsteig steht, keine Chance hat,
irgendwo einen Raum aufzusuchen, weit und breit keine
Toilette ist und schon gar niemand, den man fragen
kann, was denn los ist, wenn der Zug, auf den man war-
tet, nicht kommt, dann ist das alles andere als kunden-
freundlich.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Es ist leider genau so! Ich muss den Zwischenruf machen, weil ich das genauso sehe!)


Daran muss unbedingt etwas geändert werden. Mehr
Personal, mehr Motivation beim Personal, das ist auf je-
den Fall auch gut für die Kundinnen und Kunden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich könnte jetzt noch eine ganze Reihe weiterer
Punkte nennen; ich habe leider aber nur eine sehr kurze
Redezeit. Ein entscheidender Punkt ist, dass wir ein
Preissystem bekommen, das allen Menschen und nicht
nur denen, die genug Kohle haben, das Bahnfahren mög-
lich macht. Wir brauchen ein Sozialticket, auch im Fern-
verkehr. Wir wollen, dass viel mehr Leute eine Dauer-
fahrkarte haben, wie das in der Schweiz gang und gäbe
ist. Wir brauchen einfach einen niedrigschwelligen Zu-
gang, damit mehr Leute die Bahn, die für uns alle da ist,
nutzen können.

Ich bitte den Bundestag, auf die Bahn in diesem Sinne
freundlich, aber bestimmt Einfluss zu nehmen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1718808800

Das Wort hat nun Ulrich Lange für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1718808900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich gebe ganz offen zu, dass es mir in Anbetracht der ei-
gentlichen Probleme, die in diesem Hause heute noch
zur Beratung anstehen, ein bisschen schwerfällt, jetzt
über dieses Thema zu reden.


(Zurufe von der LINKEN)


– Liebe Kollegin Leidig, wir haben das Thema nicht
zum ersten Mal auf der Tagesordnung, aber wir werden
es natürlich sehr sachlich – sehr sachlich! – behandeln.

Wir glauben durchaus sagen zu können, dass die
Bahn in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht
hat.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Aber nicht überall!)


Ich möchte das Thema Pünktlichkeit im Fernverkehr an-
führen. 2011 eine Steigerung von 72 Prozent Pünktlich-
keit auf immerhin 80 Prozent Pünktlichkeit! Ich möchte
die soziale und familienfreundliche Bahn anführen. Ju-
gendbahncard 25 bis zum 18. Lebensjahr: preisstabil.
Ermäßigte Bahncard für Schüler, Studenten und Senio-
ren: auch hier Preisstabilität. Das Angebot für Familien:
Kinder bis 14 Jahre fahren in Begleitung ihrer Eltern
oder Großeltern im Fernverkehr der DB kostenlos. Es
waren im vergangenen Jahr immerhin über 4 Millionen
Kinder, die die Bahn kostenlos befördert hat.





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)


Auch die unentgeltliche Beförderung schwerbehin-
derter Menschen ist wesentlich erweitert worden. Wir
waren gemeinsam – da war auch Ihr Kollege anwesend,
liebe Frau Leidig – bei einem Frühstück zum Thema Be-
hinderte Menschen in der Bahn und Barrierefreiheit. Ja,
wir haben noch nicht überall Barrierefreiheit.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wohl wahr!)


Aber wir sind sicherlich auch da ein großes Stück wei-
tergekommen. Rund 3 800 der 5 400 Bahnhöfe sind zwi-
schenzeitlich barrierefrei.


(Zuruf von der LINKEN)


– Zwischenzeitlich! Man musste ja irgendwann einmal
damit beginnen, Barrierefreiheit zu schaffen.

Wir haben im Infrastrukturbeschleunigungsprogramm
100 Millionen Euro für Bahnhöfe ausgegeben, auch für
sehr kleine Bahnhöfe; das war breit gestreut. Das ist ein
großer Erfolg unserer Koalition. Ich bitte Sie schon, zu
respektieren, dass wir als Zwischenlösung dort, wo wir
Barrierefreiheit heute noch nicht haben, ein Servicean-
gebot der Bahn – ein für die Nutzer kostenfreies Service-
angebot – zum Um-, Ein- und Aussteigen vorhalten. Es
waren immerhin knapp 500 000 Serviceleistungen im
vergangenen Jahr. Deswegen von einer kundenunfreund-
lichen Bahn per se zu sprechen, halten wir für falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das haben wir auch gar nicht gemacht!)


Ja, es gab Zeiten, da war die Bahn rein auf Rendite
ausgerichtet, da war die Bahn für einen Börsengang auf-
gestellt. Ich glaube, dass wir mit unserem Bundesver-
kehrsminister Peter Ramsauer und dem neuen Bahnchef
Dr. Grube die Weichen zu einer neuen Bahn sehr deut-
lich gestellt haben. Sie fordern nicht zum ersten Mal
effekthascherisch fachkundiges Personal. Das haben wir
bereits.

Mit Dr. Grube hat sich an der Spitze des Konzerns
viel geändert: Führungsqualität, Wirtschaftlichkeit, Ma-
nagement, Kundenfreundlichkeit. Die Fortschritte bei
der Kundenfreundlichkeit wurden beim letzten Parla-
mentarischen Abend der DB parteiübergreifend von al-
len Seiten gelobt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nur Lob ist nicht genug!)


Natürlich kann man immer mehr fordern. Das macht
sich gut. Dann darf ich Ihnen aber auch Ihren histori-
schen Spiegel vorhalten; denn Sie wollen am Ende ein
Zurück zur Holzklasse der alten DDR-Reichsbahn.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir nicht
mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Und wenn man nicht mehr weiter weiß …!)


So demokratisch, wie Sie immer wirken, wird es be-
kanntlich auch nicht sein.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Bei mir fährt man Holzklasse!)


Ich glaube, dass wir auf einem richtigen Weg sind. Es
gibt Herausforderungen, die wir alle, die wir im Bereich
der Bahn politisch tätig sind, kennen. Ich glaube aber
auch, dass wir die Versäumnisse der Vergangenheit in
den letzten Jahren angepackt haben und weitergekom-
men sind. Ich möchte mich an dieser Stelle – das wurde
auch am Parlamentarischen Abend angesprochen – bei
den circa 300 000 Beschäftigten der Bahn ganz herzlich
für ihre Kundenfreundlichkeit, ihren Einsatz und ihr Be-
mühen um die Bahn bedanken.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Dafür werden die bezahlt!)


– Dafür werden die natürlich bezahlt. Trotzdem ist die
positive Entwicklung der Bahn in den letzten Jahren ein
großer Fortschritt, den wir auch gemeinsam, fraktions-
übergreifend, festgestellt haben. Konstruktiv in der Zu-
sammenarbeit, kundenorientiert und sozialmarktwirt-
schaftlich erfolgreich: Das ist unsere Bahn. So werden
wir sie mit unserem Verkehrsminister und dem Konzern-
chef Grube weiter führen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718809000

Vielen Dank, Kollege Ulrich Lange. – Nächster Red-

ner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kol-
lege Martin Burkert. Bitte schön, Kollege Martin
Burkert.


(Beifall bei der SPD)



Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1718809100

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Tribünen!
„Das Verkehrsmittel Bahn gewinnt weiter an Attraktivi-
tät“, so lautet das Fazit des Vorstandsvorsitzenden
Dr. Grube letzte Woche bei der Vorstellung des Wettbe-
werbsberichts. Ist das so? Wird die Bahn immer attrakti-
ver? Ich sage eindeutig: Ja, sie wird immer attraktiver.
Das ist gut so; denn die Bahn ist das Verkehrsmittel der
Zukunft.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Aber nur in den Zentren und nicht auf dem Land!)


Viel wichtiger ist meiner Ansicht nach aber die Frage:
Was können wir tun, damit noch mehr Menschen vom
Auto auf den Zug umsteigen? Ein Entscheidungskrite-
rium ist sicherlich für viele schlicht und einfach der
Preis. Natürlich ärgern wir uns auch darüber, dass vor ei-
nem halben Jahr die Preise im Nah- und Fernverkehr und
für die Platzreservierungen gestiegen sind. Auch die
Preise für die Bahncards sind angehoben worden. Ich
frage mich und das fragen zu Recht auch viele Bürgerin-
nen und Bürger, wie eine Preiserhöhung dazu motivieren
soll, sich nicht für das Auto oder das Flugzeug zu ent-
scheiden, sondern für die Bahn.





Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)


Wir wollen, dass die Pendler, Ausflügler und Fami-
lien auf das Auto verzichten und mit dem Zug fahren.
Deswegen wäre es gut, wenn das Bahnfahren in
Deutschland billiger würde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Herr Staatssekretär Ferlemann, ich fordere deshalb die
Bundesregierung auf, zu einem Bahngipfel einzuladen;
Sie treffen sich ja sowieso ständig mit der Bahnindustrie.
Der Bund als Eigentümer der Deutschen Bahn AG ist
hier an erster Stelle gefordert, für eine kundenfreundli-
che Bahn einzutreten und entsprechende Maßnahmen
umzusetzen.

Wir müssen die Bahn von Steuern entlasten. In die-
sem Zusammenhang möchte ich konkret zwei Ansatz-
punkte nennen:

Erstens. In keinem anderen Land der Welt, außer in
Deutschland, zahlt die Bahn den vollen Mehrwertsteuer-
satz. Deshalb ist in einem ersten Schritt die Bahn von der
Mehrwertsteuer zu befreien oder zumindest die Mehr-
wertsteuer zu senken.

Zweitens. In keinem anderen Land der Welt schlägt
die Mineralölsteuer derart zu Buche wie bei uns. Hier
gibt es noch großen Spielraum für günstigere Fahrpreise.
Die Bundesregierung spricht immer über Steuererleich-
terungen – ich schaue von mir aus nach rechts –; im
Bahnverkehr wären sie sinnvoll, sowohl im Personen-
als auch im Schienengüterverkehr.

Die Krux ist natürlich, dass diese Erleichterungen
schließlich bei den Bahnfahrenden ankommen müssen.
Hier sind sowohl die Bundesregierung als auch die Bah-
nen in der Pflicht. Wenn ich die Vorstände der Bahnen in
Deutschland jedoch richtig verstehe, würden sie den
Preisvorteil im Falle von Steuererleichterungen direkt an
die Kunden weitergeben.

Wenn wir über eine kundenfreundliche Bahn reden,
dann kommen wir um das Thema „mehr Investitionen in
die Infrastruktur“ nicht herum. Das ist ein altes, leidiges
Thema. Bei Verkehrspolitikern herrscht da sicherlich
Konsens. Dafür muss die Bahn mehr Geld in die Hand
bekommen, und der Bund muss mehr Geld in die Hand
nehmen. Uns bekannte Untersuchungen gehen alle da-
von aus, dass hierfür mindestens 5 Milliarden Euro im
Jahr notwendig wären; noch nicht berücksichtigt sind
dabei 11 Milliarden Euro zur Beseitigung des Investi-
tionsstaus bei der Schiene.

Wir müssen weitere Strecken elektrifizieren, stillge-
legte Gleisanschlüsse reaktivieren und veraltete Infra-
struktur erneuern. Unter Schwarz-Gelb ist leider der
Grundsatz „Schiene vor Straße“ verlorengegangen. Wir
werden ihn wieder aufnehmen, wenn wir in diesem
Hause wieder regieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann können wir ja lange warten!)


Ich spreche nicht nur von der DB AG, sondern natür-
lich auch von den Mitbewerbern. Schienenwettbewerb
kann gerade im Regionalverkehr zu Verbesserungen für
die Kunden führen; das haben wir in den letzten Jahren

erlebt. An dieser Stelle möchte ich festhalten: Wenn
Wettbewerb im Bahnverkehr irgendwo funktioniert,
dann ist das in Deutschland. Mehr als 360 Unternehmen
sind im deutschen Schienennetz unterwegs. Es hat eine
sehr interessante Umfrage gegeben. Diese rund 360 Un-
ternehmen sind im Rahmen einer Umfrage in der letzten
Woche bewertet worden. Dabei hat die DB Netz AG die
Note 1,98 erhalten, also die Schulnote „Gut“. Auch das
war noch nie der Fall.

Dennoch stehen wir im Regionalverkehr vor einem
großen Problem; denn dort geben die Länder vor, wo ge-
fahren wird. Sie bezahlen dafür, wenngleich der Bund
über 7 Milliarden Euro dazugibt. Es wird also dort ge-
fahren, wo bestellt worden ist. Es ist ein häufiger Irr-
glaube, dass die Bahn schuld sei, wenn irgendwo nicht
gefahren wird. Die Länder geben die Strecken vor.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Jeder schiebt es auf den anderen!)


Aus unserer Sicht ist das aber oftmals zu wenig. Im Re-
gionalverkehr gibt es sicherlich Lücken, da ärgert man
sich zu Recht.

Wir haben im Dialogpapier unserer Projektgruppe
„Infrastrukturkonsens“ einen sogenannten Deutschland-
Takt für die Bahn gefordert. Im Kern geht es dabei um
die Frage, ob wir damit rechnen müssen, dass bestimmte
Großstädte in Deutschland nicht mehr von der Bahn an-
gefahren werden. Wir müssen deshalb in der Zukunft si-
cherstellen, dass der Personennah- und -fernverkehr so-
wie der Güterverkehr auf der Schiene noch besser
aufeinander abgestimmt werden.

Ich fasse unsere Forderungen zusammen: erstens ei-
nen Bahngipfel für billigere Fahrkarten, zweitens mehr
Investitionen in die Schiene – ich denke, da wird sich
das Haus einig sein – und drittens einen fairen Schienen-
wettbewerb. Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen,
dass die Bahnen mehr auf Kundenfreundlichkeit achten.

An dieser Stelle möchte ich mich hier im Hohen Haus
bei allen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern bedanken,
die tagtäglich den geforderten Kundenservice in die Tat
umsetzen – das hat in den vergangenen Monaten erheb-
lich zur Verbesserung der Kundenakzeptanz beigetragen –,
und das, obwohl vor allem in den Reisezentren Personal
eingespart wurde. Herzlichen Dank allen Eisenbahnerin-
nen und Eisenbahnern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Gestatten Sie mir zum Schluss eine Bemerkung zu ei-
nem aktuellen Vorgang. Vorgestern Nacht haben Metall-
diebe eine Bahnstrecke in Niedersachsen stundenlang
lahmgelegt. Kleinere Diebstähle gab es schon öfter, in
dieser Größenordnung noch nicht. Fern- und Güterzüge
mussten rund acht Stunden lang umgeleitet werden,
Nahverkehrszüge fielen völlig aus. Diebstahl an der Inf-
rastruktur darf nicht zugelassen werden, hierin sind wir
uns sicherlich alle einig. Ich fordere Bundesminister
Friedrich und Sie stellvertretend für die Bundesregie-
rung auf, alles politisch Notwendige zu veranlassen, da-





Martin Burkert


(A) (C)



(D)(B)


mit die Sicherheit auf Deutschlands Schienen gewähr-
leistet ist. Wir dürfen uns das nicht bieten lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es ist sicherlich gut, dass die Bahn künftig mit markier-
ten Metallteilen arbeiten wird, um solche Diebstähle
hoffentlich einzudämmen; denn Metalle, die farblich ge-
kennzeichnet sind, sind nicht mehr zu verwenden. Trotz-
dem muss alles unternommen werden, damit dieser
Diebstahl schnellstmöglich aufgeklärt wird. Es muss
hart durchgegriffen werden.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718809200

Vielen Dank, Herr Kollege Martin Burkert. Nächster

Redner für die FDP-Fraktion ist unser Kollege Patrick
Döring. Bitte schön, Kollege Patrick Döring.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1718809300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

vorliegenden Anträge der Linksfraktion kann man in ei-
nem Satz zusammenfassen: Vorwärts Genossen, wir
wollen zurück,


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Denken Sie sich doch mal was Neues aus, Herr Döring! Das haben wir schon so oft gehört!)


zurück zu einer Bahn, bei der Parlamentarierinnen und
Parlamentarier entscheiden, wo ein Zug fährt und wo er
hält, wie Sitzplätze angeordnet sind und wie viel Verlust
die Eisenbahn für den Bundeshaushalt am Ende machen
darf.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Lesen bildet, Herr Döring! Lesen Sie unseren Antrag!)


Vor der Organisationsprivatisierung der Deutschen
Bahn und der Deutschen Reichsbahn haben die gesam-
melten Fahrgasteinnahmen im Schienenverkehr nicht
ausgereicht, die Personalkosten des Unternehmens zu
decken.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Davon wollten wir weg, und ich sage Ihnen: Es ist gut,
dass wir davon weg sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die Bahn verdient mehr Geld als je zuvor!)


Eine dauerhafte Subventionierung einzelner Ver-
kehrsträger aus dem Bundeshaushalt über die Infrastruk-
tur hinaus ist angesichts der Verschuldung in unserem
Staat weder sachgerecht noch vernünftig. Es wird der
Eindruck erweckt, seitdem sei Bahnfahren schlechter ge-
worden. Für die FDP-Fraktion weise ich diesen Ein-
druck ausdrücklich zurück. Seit der Organisationspriva-

tisierung ist der Fernverkehr attraktiver denn je, es
fahren mehr Menschen im Fernverkehr als je zuvor. Der
Nahverkehr ist gegenüber Anfang der 90er-Jahre eben-
falls attraktiver geworden. Das ist der Erfolg der letzten
Jahre.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718809400

Kollege Patrick Döring, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Abgeordneten Dr. Gerd Müller?


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1718809500

Gern.


(Sören Bartol [SPD]: Jetzt sind wir aber gespannt! Was habt ihr da wieder vorher abgesprochen?)



Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1718809600

Herr Kollege Döring, die Bahn ist im Bereich Fern-

verkehr besser geworden, da stimme ich Ihnen zu. In den
Bau des Bahnhofs in Berlin und in den Ausbau der ICE-
Strecken, auf denen ich sehr gerne fahre, wurden Mil-
liarden investiert. Nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis,
dass es auch eine Bahn in der Fläche gibt: die Regional-
bahnen? Nun können Sie sagen: Das ist Sache der Län-
der. Ich sage Ihnen: Das ist auch die Bahn. Würden Sie
bitte auch zur Kenntnis nehmen, dass in Deutschland in
den letzten Jahrzehnten das Angebot im Nahverkehr aus-
gedünnt wurde? Dadurch haben sich die Fahrzeiten zum
Teil erheblich verlängert, der Kundenservice hat sich
verschlechtert. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass
50 Prozent der Bahnkunden auf Zulaufstrecken zu den
Stammstrecken kommen?


(Ute Kumpf [SPD]: Es spricht ein Koalitionspartner! Das wissen Sie? – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Wir dürfen den Fokus nicht nur allein auf die zentralen
Strecken zwischen den Metropolen richten, auch der
ländliche Raum sollte am Fortschritt partizipieren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1718809700

Geschätzter Herr Kollege Müller, ich bin entschieden

Ihrer Auffassung. Ich will die Gelegenheit aber nutzen,
noch einmal klarzumachen, wer dafür zuständig ist. Das
ist das allererste Mal, dass ich einen CSU-Kollegen ganz
offensichtlich dafür bedauern muss, dass er in Bayern
wohnt;


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


denn die Länder entscheiden, wie der Nahverkehr in der
Fläche aussieht, indem sie den Nahverkehr bestellen.

Dieses Hohe Haus, der Deutsche Bundestag, gibt
mehr als 7 Milliarden Euro für die Finanzierung des
Nahverkehrs in Deutschland aus.





Patrick Döring


(A) (C)



(D)(B)



(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ich denke, die Bahn kriegt weniger Geld! Sie widersprechen sich!)


Wenn die Bundesländer den Nahverkehr in einem wett-
bewerblichen Sinn bestellen, dann bekommen wir gute
Qualität und gute Taktzeiten. Deshalb reiche ich diese
Frage sehr gerne an die Kolleginnen und Kollegen Ihrer
Fraktion im Landtag weiter, aber auch an die Kollegin-
nen und Kollegen meiner Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ich sprach vom ländlichen Raum in Deutschland! Das sind 16 Bundesländer!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718809800

Eine Entgegnung ist jetzt nicht möglich. Die Frage

wurde gestellt, und sie wurde beantwortet. Der Kollege
Patrick Döring fährt in seiner Rede fort.


(Sören Bartol [SPD]: Ich nehme meinen Zwischenruf von vorhin zurück! Das war nicht bestellt!)



Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1718809900

Ich will gerne einen Teil meiner Redezeit auf den

ländlichen Raum verwenden. Eines sage ich ganz offen,
geschätzter Herr Kollege Müller – auch hier liegt die
Linkspartei falsch –: Es hat in der Verantwortung der
Großen Koalition und der jetzigen Koalition keine un-
verantwortlichen Streckenstilllegungen und keinen Ab-
bau von Schienenwegen gegeben.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das haben wir nicht behauptet!)


– Natürlich behaupten Sie das. In Ihrem Antrag behaup-
ten Sie das fortwährend. – Der wesentliche Teil des Ab-
baus von Infrastruktur hat stattgefunden – damit komme
ich zu dem Beitrag des Kollegen Burkert –, als die So-
zialdemokraten den Verkehrsminister gestellt haben, in
unserer Verantwortung jedenfalls nicht.

Frau Kollegin Leidig, in Ihrem Antrag gibt es eine
Masse Widersprüche. Man kann nicht auf der einen Seite
einen integralen Taktfahrplan für Deutschland fordern,
den wir bei den Fernverkehren übrigens weitgehend ha-
ben – wir nennen ihn nur nicht so –, und gleichzeitig
eine Sitzplatzgarantie und den jederzeit möglichen Ein-
satz von Ausgleichszügen fordern. Ich kann keinen
Fahrplan drucken, wenn ich gleichzeitig nach Bedarf
Züge fahren lassen will. Das wird nicht funktionieren.
Das zeugt von der blanken Unkenntnis Ihrer Fraktion
beim Thema Eisenbahnverkehr.


(Beifall bei der FDP)


Man kann übrigens auch nicht für mehr Sitzplätze im
ICE eintreten und gleichzeitig Sitzplatzkapazitäten da-
durch infrage stellen, dass man zusätzliche Fahrradmit-
nahmemöglichkeiten schafft. Eines geht nur. Die Men-
schen können nur dort sitzen, wo Stühle sind, und nicht
dort, wo mitgenommene Fahrräder stehen. Das Problem
ist bekannt.

Die Qualität des Bahnverkehrs hängt wesentlich von
der Eisenbahnindustrie ab. Wir leiden darunter – mit vie-
len Kollegen in diesem Hause bin ich dabei, dies zu ver-
ändern –, dass die deutsche Eisenbahnindustrie zu
schwerfällig ist, um rollendes Material zu liefern, das
von den Unternehmen bestellt wird. Wir könnten heute
einen viel attraktiveren Fernverkehr in Deutschland, in
Europa und insbesondere im Metropolenverkehr haben,
wenn die deutsche Bahnindustrie in der Lage wäre, gutes
rollendes Material nach der Bestellung zeitnah zu lie-
fern.


(Beifall bei der FDP)


Das ist leider ein Problem in Deutschland. Man mag
nicht glauben, dass das in einem so industrialisierten
Land der Fall ist.

Die Organisationsprivatisierung der Deutschen Bahn
ist eine Erfolgsgeschichte – durch und durch. Die Idee,
Fahrpläne, Bahnhöfe, Strecken und Fahrpreise wieder
im Deutschen Bundestag festzulegen, ist wirklich abwe-
gig. Ich sage: Auch Teile dessen, was der Kollege
Burkert hier für die sozialdemokratische Fraktion gefor-
dert hat, sind aus meiner Sicht mit der politischen Reali-
tät schwer vereinbar. Das ist nur aus der Opposition he-
raus leicht zu fordern.

Wir werden heute gewaltige Anstrengungen unter-
nehmen, um einen wesentlichen Beitrag dafür zu leisten,
dass auch in Deutschland weiter der Weg der Konsoli-
dierung beschritten wird. Angesichts der Tatsache, dass
wir im Bundeshaushalt fast 5 Milliarden Euro für die In-
frastruktur Schiene und über 7 Milliarden Euro für den
Nahverkehr zur Verfügung stellen, kann ich mir nicht
vorstellen, dass die Sozialdemokratie ernsthaft weitere
Löcher in den Haushalt reißen will, indem man Steuer-
senkungen für den Eisenbahnverkehr verspricht – diese
Steuersenkungen müssten dann übrigens auch für den
privaten Eisenbahnverkehr gelten; darauf möchte ich bei
dieser Gelegenheit hinweisen – und indem man zusätzli-
che Milliarden für die Infrastruktur zur Verfügung stellt.
Das wird ganz sicher nicht gehen.

Ein letztes Wort zum Wettbewerb – das ist ein Thema,
das den Liberalen sehr am Herzen liegt, wie wir alle wis-
sen –: Der Hinweis auf die 300 Wettbewerbsbahnen geht
ein Stück weit fehl. Wir haben einen funktionierenden
Wettbewerb im Güterverkehr, wir haben überhaupt kei-
nen Wettbewerb im Schienenfernverkehr, und wir haben
einen unterschiedlich ausgeprägten Wettbewerb im
Schienenpersonennahverkehr. Es gibt Bundesländer, in
denen 30 Prozent Wettbewerbsbahnen sind, aber es gibt
leider auch noch monopolisierte Nahverkehrsstrukturen,
insbesondere im Süden der Republik. Wir sehen: Dort,
wo wettbewerblich ausgeschrieben wird, werden nicht
nur die Wettbewerbsbahnen gut, sondern ist auch die
DB Regio besser geworden. Ich persönlich freue mich,
dass die DB Regio in wettbewerblichen Ausschreibun-
gen wieder gute Ergebnisse erzielt und viele Strecken
mit einem tadellosen und attraktiven Angebot für die
Bürgerinnen und Bürger bedient. Ich gebe dem Kollegen
Müller recht: Die Eisenbahn wird in der Fläche und in
den Städten als Massenverkehrsmittel wahrgenommen.
Dass uns das in Deutschland trotz aller Schwierigkeiten





Patrick Döring


(A) (C)



(D)(B)


so gut gelingt, ist Verdienst der Bahn und der Mitarbeiter
der Bahn und, Gott sei Dank, nicht dieses Hauses.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718810000

Vielen Dank, Kollege Patrick Döring. – Nächste Red-

nerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere
Kollegin Frau Dr. Valerie Wilms. Bitte schön, Frau Kol-
legin Dr. Wilms.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718810100

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Fast drei Jahre bin ich jetzt im Bundestag.
Es war eben interessant, zu sehen, wie weit sich die Ko-
alition schon zerlegt hat; sonst wären solche Zwischen-
fragen wohl nicht erforderlich.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zum Thema. Es ärgert mich, wenn ich das x-te
Papier lese und darin auf grundlegende Fragen, die wir
haben, keine Antworten finde. So ist es bei diesen Bahn-
anträgen der Linken, die wir heute behandeln, leider
auch. Sie haben eine gewisse Methode: Sie analysieren
viel, Sie packen dann ein paar Wünsche dazu, und fertig
ist der Antrag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fragen wir dann nach der Umsetzung oder gar nach der
Finanzierung, bekommen wir keine Antworten. Fehlan-
zeige. Dazu steht nichts in den Anträgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Mehr Fahrgäste! Mehr Einnahmen! Das ist gar nicht so schwer!)


Sie möchten eine kundenfreundliche Bahn; so über-
schreiben Sie Ihren Antrag. Die möchte ich natürlich
auch. Leider bleibt für mich völlig unverständlich und
unklar, wie Sie dies erreichen wollen. Würde man Ihren
Vorstellungen zur Bahn folgen, müsste man in die lau-
fende Geschäftspolitik der Aktiengesellschaft Deutsche
Bahn eingreifen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau das wollen wir!)


Das können Sie sich wünschen, aber hier setzt das
Aktienrecht ganz bewusst enge Grenzen. Auch wenn es
den Linken nicht gefällt: Entweder erkennen Sie das gel-
tende Recht an, oder Sie machen einen Vorschlag, wie es
geändert werden soll. Davon habe ich nichts gesehen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718810200

Frau Kollegin Dr. Wilms, es gibt den Wunsch nach ei-

ner Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke. Wollen
Sie diese gestatten?


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718810300

Ja, das können wir ja einmal probieren.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718810400

Bitte schön.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718810500

Frau Wilms, ich würde Sie erstens gerne fragen, ob

Sie sich darüber im Klaren sind, dass auch die Schweizer
Bahn eine Aktiengesellschaft ist.


(Patrick Döring [FDP]: Die fährt so viel Weg, wie wir in NRW fahren! Das ist eine kleine Bahn!)


Dort werden sehr wohl konkrete Ziele festgelegt, wie die
Bahn entwickelt werden soll.

Zweitens möchte ich fragen, ob Sie wissen, dass die
Schweizer Bahn, obwohl sie sehr viel dichter fährt und
sehr viel kundenfreundlicher ist – es gibt praktisch keine
Bahnhöfe ohne Personal –,


(Patrick Döring [FDP]: Sie hat ein Netz von der Größe von Hessen! Das ist nicht vergleichbar!)


insgesamt nur ein Drittel von dem benötigt, was die
Deutsche Bahn AG an öffentlichen Zuschüsse braucht.
Warum? Das Geheimnis ist: mehr Fahrgäste, mehr Ein-
nahmen. Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Ihnen
klar ist, dass die Schweizer Bahn mit diesem Konzept
deutlich besser fährt.


(Florian Pronold [SPD]: Vielleicht haben die mehr Geld, weil sie das Steuerabkommen nicht einhalten!)



Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718810600

Kollege Pronold hat gerade einen kleinen Hinweis auf

das Steuerabkommen gegeben.


(Sabine Leidig Quatsch! Unser Netz ist dreimal so groß wie das Netz der Schweizer Bahn. Beim besten Willen, werte Kollegin, wir können durchaus strategische Ziele für eine Aktiengesellschaft festlegen, aber wir greifen nicht in die Einzelmaßnahmen ein. Das heißt, wir haben als Politik nicht festzulegen, wie hoch der Fahrpreis ist. So etwas ist nicht unsere Aufgabe. Wir haben auch nicht zu behandeln, wie mit dem Problem der Klimaanlagen umgegangen werden soll. Auch Preissenkungen – dies hat Kollege Burkert vorgeschlagen – sind nicht hier im Deutschen Bundestag zu behandeln; schließlich handelt es sich um eine Aktiengesellschaft. Wenn die Linken das wollen, dann müssen sie die Rechtsform der DB ändern. Dazu finde ich bei Ihnen kein einziges Wort. So kann man keine ernsthafte Politik machen. Sie reden gerne von einer Bürgerbahn. Aber was das konkret bedeutet, sagen Sie uns nicht. Wahrscheinlich wissen Sie selber nicht, wie Sie es machen wollen. Wollen Sie etwa zurück zur Behördenbahn? Ich nicht. Leider sperren Sie sich gegen alles, das wirklich etwas bringen würde. Von Dr. Valerie Wilms Wettbewerb halten Sie wenig. Dabei ist es so offensichtlich: Wo es Monopole gibt, steigen die Preise. Wo echter Wettbewerb herrscht, da fallen sie. Wir kennen das von Post und Telekom. Nur bei der Bahn soll die Welt auf einmal völlig anders sein. Diese Realitätsverweigerung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unglaublich. Man kann beobachten, wie sich die Angebote im Regionalverkehr verbessert haben. Hier hat die DB immer mehr Konkurrenz. Selbst die DB gibt zu – Kollege Döring hat das eben deutlich dargestellt –, dass sich dadurch auch die Angebote der DB verbessert haben. Deswegen müssen wir auch im Fernverkehr für Wettbewerb sorgen – wir haben ja eben festgestellt, dass es ihn dort noch nicht gibt – und die Schienenstrecken allen Unternehmen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung stellen. Das tun wir nämlich nicht. Heute hat die Bahn einfach zu viele Hebel, um Mitbewerbern das Leben schwer zu machen. Darum ist unsere Forderung, das Schienennetz aus dem DB-Konzern herauszulösen und unmittelbares Eigentum des Bundes werden zu lassen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Fischer (CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wider besseres Wissen!)





(A) (C)


(D)(B)


und zwar als GmbH oder Anstalt des öffentlichen
Rechts, damit Politik, Verbände und Verkehrsunterneh-
men über den Aufsichtsrat direkt Einfluss nehmen kön-
nen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aha!)


So ist die Aufgabe der Daseinsvorsorge zu lösen. Dann
hätten wir ein Netz, auf dem wirklich alle zu gleichen
Bedingungen fahren könnten.

Heute sieht die Realität anders aus: Weitestgehend
zahlt der Bund für das Schienennetz. Die DB erhöht
gleichzeitig die Nutzungsgelder immer mehr und zieht
die Mittel wieder ab. Die Bundesmittel werden dann zu
Gewinnen der DB-Holding und landen in Minenbeteili-
gungen oder Zügen in der Wüste. Das können wir nicht
länger hinnehmen. Das müssen wir ändern. So, liebe
Kolleginnen und Kollegen, sieht praktische Politik aus.
Das wollen wir in der Zukunft erreichen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Oje, oje! Hoffentlich schaffen Sie das nicht!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718810700

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Wilms. – Nächster

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
CDU/CSU Kollege Thomas Jarzombek. Bitte schön,
Kollege Thomas Jarzombek.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1718810800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Uns liegen heute zwei Anträge der Linksfraktion vor.
Die Antworten, die Sie geben, scheinen ganz einfach zu
sein: Der Staat muss die Kontrolle über die Bahn über-
nehmen. – Ich glaube aber, dass der Staat das nicht gut
kann.

Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel schildern, an
dem Sie sehen können, wie der Staat eine Strecke herun-
tergewirtschaftet hat. Auf der Linie S 28 von Kaarst
nach Mettmann hat die Deutsche Bahn – bis Anfang der
90er-Jahre noch die Staatsbahn – immer mehr Fahrgäste
verloren. 1998 hatte sie nur noch 512 Fahrgäste pro Tag.
Dann hat die Bahn gesagt: Es lohnt sich nicht mehr.

Es kam ein privater Unternehmer. Er hat die Strecke
und die Bahnhöfe auf Vordermann gebracht und acht
neue Züge vom Typ „Talent“ gekauft. Und siehe da: In
der Zeit von 1999 bis 2011 sind aus 512 Fahrgästen pro
Tag 23 550 Fahrgäste pro Tag geworden, und der Takt
wurde von 60 auf 20 Minuten verkürzt. Im Übrigen: Ser-
vice und Sauberkeit sind wichtige Bestandteile der Stra-
tegie dieses mittelständischen Betriebes.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: So soll es überall sein!)


Das zeigt, dass wir mehr und nicht weniger Wettbewerb
brauchen.

Frau Leidig, wenn Sie sagen: „Das soll überall so
sein“, dann stimmen wir Ihnen an dieser Stelle vollkom-
men zu. So haben wir 1994 mit der Bahnreform begon-
nen und die Privatisierung sowie den Wettbewerb im
Regionalverkehr ans Laufen gebracht. Das ist eine Er-
folgsgeschichte.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718810900

Herr Kollege Jarzombek, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage unserer Kollegin Sabine Leidig?


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1718811000

Jederzeit.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718811100

Herr Jarzombek, Sie sprachen von einer Zeit vor der

Bahnprivatisierung und einer Zeit nach der Bahnprivati-
sierung bzw. der Bahnreform, wie Sie es nennen. 1993/
1994 war die Zäsur; da haben Sie völlig recht. Ist Ihnen
bewusst, dass seit dem Jahr 1994 7 000 Kilometer Bahn-
strecke in Deutschland stillgelegt worden sind, Tausende
Bahnhöfe geschlossen worden sind und die Zahl der Mit-
arbeiter bei der Bahn etwa halbiert worden ist? Wie brin-
gen Sie das mit Ihrer Vision von einem flächendeckenden
Bahnverkehr in Übereinstimmung?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1718811200

Eigentlich müssten Sie jetzt Ross und Reiter benen-

nen. Dann könnten wir konkret über die Bahnhöfe spre-
chen, von denen Sie glauben, dass man sie hätte erhalten





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)


müssen, weil sie im Hinblick auf die Akzeptanz wichtig
sind. Ich kann Ihnen nur sagen, wie sich die Fahrgast-
zahlen seit 1994 entwickelt haben. Das ist es, worauf es
ankommt.


(Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] nimmt wieder Platz)


– Bleiben Sie bitte stehen, nicht hinsetzen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist ja keine Antwort auf meine Frage!)


– Natürlich ist das die Antwort auf Ihre Frage. Sie haben
gefragt, ob ich weiß, wie viele Menschen in der Fläche
seit 1994 die Züge benutzten. Die Antwort liefere ich Ih-
nen gerade.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist der Nahverkehr, nicht der Fernverkehr!)


– Der Regionalverkehr, Stichwort Regionalisierung.
Hier haben wir den Wettbewerb eröffnet.

1994 waren es 29 694 Millionen Personenkilometer,
2011 waren es 42 312 Millionen Personenkilometer.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Und der Fernverkehr? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Welche Verkehre?)


– Der Regionalverkehr, nicht der Fernverkehr. – Deshalb
ist die Bahnreform von 1994 ein Riesenerfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt in diesem Lande ganz viele Regionalbahnen wie
die Regiobahn, die die S 28 zwischen Kaarst und Mett-
mann betreibt, von der ich Ihnen berichtet habe.

Ich danke nicht nur den Mitarbeitern der Deutschen
Bahn für ihren Einsatz, sondern auch den Mitarbeitern
all dieser Privatbahnen. Es zeigt sich, dass diese vielen
privaten Unternehmen es in 15 Jahren geschafft haben,
mehr als ein Drittel an zusätzlichen Fahrgästen im Regio-
nalverkehr zu generieren, und das ist ein Erfolg.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das sind praktisch alles öffentliche Unternehmen!)


Wir müssen allerdings noch einen Schritt weitergehen.
Schauen Sie sich an, wie groß der Wettbewerbsanteil ist.
Beim Schienengüterverkehr sind wir mittlerweile gut
unterwegs. 26 Prozent der gefahrenen Tonnenkilometer
werden hier von Privaten abgedeckt. Beim Regionalver-
kehr haben sich die Wettbewerber mittlerweile einen
Marktanteil von 13 Prozent erschlossen. Im Schienen-
personenfernverkehr gibt es hingegen de facto überhaupt
keine Konkurrenz zur Deutschen Bahn AG.

Sie haben in Ihrem Antrag natürlich viele Dinge auf-
gezählt, die wir auch wollen. Von der Barrierefreiheit an
Bahnhöfen bis zur Fahrradmitnahme im ICE – es ist ein
ganzes Paket, das wir auch wollen. Die Frage ist nur:
Wie erreichen wir das? Ich glaube, dass wir das nur er-
reichen können, wenn wir auch im Fernverkehr mehr
Wettbewerb schaffen.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist ein Trugschluss, Herr Jarzombek!)


Das ist der Grund dafür, dass wir noch in diesem Jahr
ein Eisenbahnregulierungsgesetz auf den Weg bringen
werden.


(Martin Burkert [SPD]: Eine Flasche Champagner, dass das nicht mehr klappt!)


Mit diesem Eisenbahnregulierungsgesetz werden wir die
Wettbewerbsmöglichkeiten deutlich verbessern. Wir
werden in diesem Eisenbahnregulierungsgesetz Rege-
lungen zum Zugang zu Fahrkartenautomaten bis hin zu
Regelungen zu den Stationsentgelten verankern und da-
mit dafür sorgen, dass es mehr Wettbewerb und damit
ein Mehr an Kundenservice und eine größere Orientie-
rung an den Bahnkunden in Deutschland geben wird.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Worte zu
Ihrem zweiten Antrag sagen. Sie haben einen weiteren
Antrag gestellt und erklärt, dass es bei der Bahn eine
Menge an technischen Problemen gegeben hat – von den
Radsatzwellen bis zu den Talent-Zügen. Das wissen wir
alle. Das habe einen einzigen Grund, nämlich dass im
Vorstand keine Menschen seien, die eine Lehre bei der
Bahn gemacht hätten.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist frei interpretiert!)


Wenn die Welt so einfach wäre, dann wäre das wahr-
scheinlich eine geeignete Lösung. So einfach ist die Welt
aber nicht. Sie verschweigen den Menschen, dass die
Technik heute sehr komplex ist. Vor 30 Jahren gab es
noch ganz einfaches mechanisches Zuggerät. Schauen
Sie sich die heutigen Talent-2-Züge an, von denen über
100 für eine ziemlich lange Zeit auf Abstellgleisen ste-
hen und nicht zugelassen werden. Diese über 100 Talent-
2-Züge werden nur deshalb nicht zugelassen, weil sie
Softwareprobleme haben, und nicht, weil irgendetwas an
der Mechanik dieser Züge nicht stimmt. Jeder, der in den
letzten zehn Jahren ein neues Auto gekauft hat, kann
vielleicht ein Lied davon singen, wie kompliziert diese
Dinge geworden sind.

So ähnlich ist es auch mit dem ICE und den Radsatz-
wellen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Umso mehr braucht man Fachleute!)


Die Risse, die Sie in den Achsen finden – es handelt
sich um hochfeste Stoffe –, finden Sie genauso beim Air-
bus A380 oder beim Dreamliner von Boeing. Der Trend
in der Technologie geht in Richtung mehr Leichtbau. Für
diesen Leichtbau werden hochfeste Stoffe verwendet,
die anfälliger für Risse und Ähnliches sind. Das hat
nichts mit dem Personal im Vorstand der Deutschen
Bahn zu tun. Der Grund dafür sind technologische Ent-
wicklungen, die es auf vielen Feldern gibt.

Diese Erkenntnis hilft uns insofern weiter, als dass
klar wird, dass wir dieses Problem bekämpfen müssen –
mit mehr Technologie, mit mehr Forschung und mit
mehr Wettbewerb. Das sind die Möglichkeiten, die sich
ergeben.





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)


Für den Fall, dass Sie zur Staatsbahn zurückwollen,
kann ich Ihnen am Ende nur ein jugoslawisches Sprich-
wort zuwerfen. In Jugoslawien sagt man:

Die Sardelle ist in Wirklichkeit ein Walfisch, der
alle Phasen des sozialistischen Aufbaus durchge-
macht hat.

Vielen Dank.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718811300

Unser Kollege Thomas Jarzombek war der letzte

Redner in der Aussprache, die ich infolgedessen jetzt
schließe.

Wir haben gemeinsam vereinbart, dass Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 17/8605 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen wird.
Die Federführung liegt beim Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung. – Alle sind damit einverstanden.
Ich höre keinen Widerspruch. Die Überweisung ist so
beschlossen.

Jetzt kommen wir beim Tagesordnungspunkt 47 b zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den Vor-
stand der Deutschen Bahn AG mit fachkundigem Per-
sonal besetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/8383, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4838 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion der So-
zialdemokraten. Gegenprobe! – Die Linksfraktion. Ent-
haltungen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zum Tagesordnungspunkt 48.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 21. September 2011 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zu-
sammenarbeit in den Bereichen Steuern und
Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012

– Drucksache 17/10059 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Gemeinsam wurde vereinbart, für die Aussprache
eine halbe Stunde vorzusehen. – Sie sind damit einver-
standen. Dann haben wir das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner in unse-
rer Aussprache ist für die Bundesregierung der Par-
lamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk. – Bitte
schön, Kollege Hartmut Koschyk.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


H
Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1718811400


Hochverehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach vielen Diskussionen in Aktuellen Stun-
den und in der Öffentlichkeit beraten wir heute hier im
Deutschen Bundestag zum ersten Mal über den Entwurf
eines Ratifikationsgesetzes zum deutsch-schweize-
rischen Steuerabkommen. Mit diesem Gesetz wollen wir
endlich eine effektive Besteuerung von Vermögenswer-
ten deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz sowohl
für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sicherstel-
len.

Bislang unversteuerte Vermögenswerte deutscher
Steuerpflichtiger in der Schweiz werden mit einem Steuer-
satz von 21 Prozent bis 41 Prozent auf Kapital und nicht
nur auf Ertrag nachversteuert. Auf zukünftig anfallende
Erträge und Gewinne aus Vermögenswerten in der
Schweiz wird eine Steuer in derselben Höhe wie in
Deutschland erhoben.

Flankierend hierzu wird es entgegen dem OECD-
Standard einen erweiterten Auskunftsaustausch mit der
Schweiz geben. Damit entsteht für Steuerflüchtige ein
zusätzliches und verschärftes Entdeckungsrisiko.

Hinzu kommt, dass nach dem Inkrafttreten des Ab-
kommens erstmals auch Erbschaften in der Schweiz er-
fasst werden. Im Erbschaftsfall müssen die deutschen
Erben entweder die Höchststeuer von 50 Prozent zahlen,
oder sie werden dem deutschen Fiskus gemeldet.

Mit dem Inkrafttreten des Abkommens ist ohne Nach-
versteuerung oder Meldung keine Verlagerung von Ver-
mögen deutscher Steuerbürger aus der Schweiz mehr
möglich.

Sicherlich kann und wird man auch in einer solchen
Debatte die Frage stellen: Haben wir das Optimale er-
reicht? Vergessen dürfen wir aber bei realistischer Be-
trachtung nicht: Es handelt sich um eine Vereinbarung
zwischen zwei souveränen Rechtsstaaten. Diese kann
selbstverständlich nicht nur die Handschrift eines Ver-
handlungspartners tragen. Deshalb musste man bei allem
Wünschbaren realistisch bleiben.

Mit diesem zum jetzigen Zeitpunkt aus unserer Sicht
bestmöglichen Kompromiss kommen wir der Verwirk-
lichung von Steuergerechtigkeit und der grundgesetzlich
geforderten flächendeckenden und gleichmäßigen Be-
steuerung einen entscheidenden Schritt näher. Ohne Ver-
handlungen mit der Schweiz hätten wir diese Möglich-
keit nicht erhalten, auch nicht durch den Ankauf noch so
vieler Daten-CDs. Scheitert diese Vereinbarung, so
bleibt es beim Status quo, und es droht Jahr für Jahr die
Verjährung deutscher Steueransprüche.

Es gilt, an vielen Punkten Kollisionen zwischen deut-
schem und schweizerischem Recht durch eine möglichst
große Schnittmenge zu vermeiden, so zum Beispiel bei
dem zu Recht umstrittenen Thema Bankgeheimnis. Na-
türlich haben wir ethisch-moralische Bedenken gegen
das schweizerische Bankgeheimnis. Aber wir können
den Schweizern nicht vorwerfen, dass sie sich an ihre ei-
gene Rechtsordnung halten und sich dieser verpflichtet
fühlen. Wir in Deutschland haben eine andere Rechts-





Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


(A) (C)



(D)(B)


ordnung. Aus unterschiedlichen Rechtsordnungen erge-
ben sich Konflikte, wie sich auch an den Haftbefehlen
gegen deutsche Steuerbeamte gezeigt hat.

Eines ist klar: Solche rechtlichen Konflikte dürfen
nicht auf dem Rücken von Bundes- und Landesbeamten
ausgetragen werden. Sie haben ihre Pflicht getan und
verdienen unsere Anerkennung, unseren Respekt und
unseren Schutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber wenn das so ist, dann müssen verantwortliche
Regierungen und Parlamente dafür sorgen, dass solche
rechtlichen Konflikte aufgelöst werden. Genau das ist
das Ziel unseres Abkommens mit der Schweiz.

Wie bereits eingangs erwähnt: In Erbschaftsfällen
wird in Zukunft eine Meldung an das zuständige deut-
sche Finanzamt erfolgen. Andernfalls wird die schwei-
zerische Bank den höchstmöglichen Erbschaftsteuersatz
an den deutschen Fiskus abführen.

Ich will noch einmal das mit der Schweiz vereinbarte
Gebaren im Hinblick auf den Informationsaustausch an-
sprechen, der über den geltenden OECD-Standard hi-
nausgeht. Hält es das deutsche Finanzamt für notwendig,
die Angaben eines Steuerpflichtigen zu überprüfen, so
liegt bereits darin ein plausibler Anlass, um in der
Schweiz nachzufragen. Besondere Anhaltspunkte sind
für die Nachfragen der deutschen Steuerbehörde nicht
mehr erforderlich. Dies schafft ein unkalkulierbares Ent-
deckungsrisiko für zukünftige Schwarzgeldanlagen in
der Schweiz.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So die Hoffnung!)


Wir sind davon überzeugt, mit der Schweiz, auch
durch Einbeziehung der Länder und durch das Zusatz-
protokoll, ein realistisches Verhandlungsergebnis im
Vergleich mit den Ergebnissen anderer Staaten erzielt zu
haben. Schauen wir uns einmal die Vorauszahlungen der
Schweizer Banken an: Es müssen 4 Milliarden Schwei-
zer Franken eingegangen sein, damit die Garantiesumme
von 2 Milliarden Franken erfüllt wird. Großbritannien
hat wesentlich geringere Vorauszahlungen durchsetzen
können. Mit Österreich hat die Schweiz überhaupt keine
Vorauszahlungen vereinbart.

Lassen Sie uns jetzt keinen akademischen Streit da-
rüber führen, welche Zuflüsse in den Bundeshaushalt
und die Haushalte der Länder und Kommunen zu erwar-
ten sind, wenn das Abkommen zustande kommt. Wir ha-
ben im Finanzausschuss mündlich und schriftlich deut-
lich gemacht, dass wir für Bund und Länder ein
zusätzliches Steueraufkommen von 10 Milliarden Euro
für realistisch halten. Wie sich der Verteilungsschlüssel
darstellt, ist auch bekannt. Wir sind den Ländern noch
einmal entgegengekommen.

Deshalb appellieren wir an Sie, dass wir jetzt zu einer
sachlichen Beratung dieses Ratifikationsgesetzes in
Bundestag und Bundesrat kommen. Wir haben ein gutes
Ergebnis erzielt. Wir sollten uns jetzt gemeinsam bemü-
hen, dieses Ergebnis mit der Schweiz im Interesse von

Steuerehrlichkeit in Deutschland, aber auch im Hinblick
auf zusätzliche Steuereinnahmen für Bund, Länder und
Kommunen im Bundestag und im Bundesrat sachlich zu
beraten und zu verabschieden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wie begründet sich Ihr Vertrauen in die Banken?)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718811500

Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. –

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der Sozialdemokraten unser Kollege Martin Gerster.
Bitte schön, Kollege Martin Gerster.


(Beifall bei der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1718811600

Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kol-

legen! Der vorliegende Gesetzentwurf zum Steuerab-
kommen mit der Schweiz ist schon ein interessanter Vor-
gang, fast schon eine kuriose Sache. So wie Sie sich vor
Monaten hier geäußert, ja gebärdet haben, muss man sa-
gen: Es hätte diesen Gesetzentwurf in dieser Form über-
haupt nie geben dürfen. Im September letzten Jahres, vor
neun Monaten, haben Sie den alten Entwurf noch hoch-
gejubelt. Sie haben damals gesagt, das sei das Maximale,
was erreichbar sei. Als wir vonseiten der SPD-Fraktion
auf kritische Punkte hingewiesen haben, wurde vonsei-
ten des Ministeriums, aber auch in den Reihen von
Schwarz-Gelb ganz klar gesagt: Nachverhandlungen
sind nicht möglich; das geht nicht.

Ich darf aus dem Protokoll des Deutschen Bundesta-
ges zitieren. Die Vorsitzende des Finanzausschusses,
Frau Reinemund, sagte damals unter dem Beifall ihrer
Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP wörtlich:

Nachverhandeln geht einfach nicht.

Sie fügte hinzu:

Ich nenne das: Die Leute hinters Licht führen.

Das haben Sie damals auf unsere Forderung, nachzuver-
handeln, geantwortet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nachverhandeln geht ja offensichtlich doch. Jetzt
frage ich Sie, Frau Reinemund: Wer hat denn damals in
der Plenardebatte im September 2011 die Leute hinters
Licht geführt?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das waren doch nicht wir von der SPD-Fraktion; denn
Nachverhandeln funktioniert. Deswegen fordere ich Sie
auf, diesen Quatsch vom September nachher in Ihrem
Redebeitrag zurückzunehmen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Gegen „Quatsch“ verwehre ich mich!)






Martin Gerster


(A) (C)



(D)(B)


Heute wissen wir: Es wurde zum Glück nachverhan-
delt. Aber wir müssen genau fragen: Was wurde denn
nachverhandelt? Welche Ergebnisse liegen denn vor?

Grundsätzlich muss man auch den Bundesländern
herzlichen Dank sagen, die auf das Problem hingewiesen
haben, an vorderer Stelle Nordrhein-Westfalen, aber
auch Baden-Württemberg. Die beiden Minister Norbert
Walter-Borjans und Nils Schmid haben immer wieder
auf die kritischen Punkte hingewiesen. Gott sei Dank
gab es in beiden Bundesländern in der letzten Zeit einen
Regierungswechsel; sonst hätten wir auf diese wichtigen
Wortmeldungen und diesen Einsatz in dieser wichtigen
Frage nicht bauen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss Sie bei diesem Thema zum Jagen tragen.
Dabei weise ich darauf hin, dass die Hauptprobleme be-
stehen geblieben sind. Einige Punkte will ich konkret
nennen.

Erstens. Das Abkommen kann in der Tat nach wie vor
leicht umgangen werden. Denn die Anwendung des Ab-
kommens ist auf Konten und Depots in der Schweiz
beschränkt. Vermögenswerte können deshalb der Be-
steuerung legal entzogen werden, zum Beispiel, Herr
Staatssekretär Koschyk, über Familienstiftungen, Trusts
oder Schließfächer. Bisher ist noch völlig ungeklärt, was
als missbräuchliche Umgehung des Abkommens gelten
soll.

Ich hätte mir bei der Einbringung des Gesetzentwurfs
gewünscht, dass Sie zur Klärung beitragen. Fehlanzeige
an dieser Stelle! Deshalb wäre es gut, wenn Sie darauf
noch eine entsprechende Antwort geben würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Das sogenannte Abschleichen ist nach wie
vor möglich. Steuerpflichtige können ihre Konten und
Depots in der Schweiz in aller Ruhe bis zum Jahres-
anfang 2013 auflösen und die Vermögenswerte uner-
kannt und sanktionslos aus der Schweiz abziehen. Für
die SPD-Fraktion sage ich ganz deutlich: Wir können
das nicht gutheißen. Ich frage mich, wie Sie so etwas un-
terstützen können. Das bleibt für mich ein Rätsel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Eine effiziente Kontrolle – das muss man
klar attestieren – ist mehr als fraglich. Die Durchführung
der Besteuerung in der Schweiz wollen Sie ausgerechnet
den dortigen Banken überlassen, also denjenigen, die
sich früher an der Straftat beteiligt haben. Die Aufsicht
hierüber unterliegt allein den Schweizer Behörden, die
die Einhaltung des Abkommens nur stichprobenartig
überprüfen müssen. Das heißt im Umkehrschluss: Die
deutschen Finanz- und Justizbehörden erhalten keine
Kontrollmöglichkeiten.

Ich meine, das kann keine Lösung sein. Wir können
doch nicht zustimmen, dass deutsche Behörden in dieser
wichtigen Frage ausgeschlossen werden sollen.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718811700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus

der Fraktion der FDP?


Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1718811800

Zum Thema Zwischenfrage muss ich sagen: Vorhin

gab es das Begehren einer Zwischenfrage des Kollegen
Schick. Herr Staatssekretär Koschyk wollte zu der wich-
tigen Frage der Finanzaufsicht keine Zwischenfrage be-
antworten. Insofern weiß ich nicht, ob ich jetzt eine Zwi-
schenfrage beantworten muss.


(Zurufe von der FDP: Das müssen Sie entscheiden!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718811900

Diese Entscheidung, Kollege Gerster, kann Ihnen nie-

mand in diesem Hause abnehmen.


Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1718812000

Keine Zwischenfrage an dieser Stelle.


(Holger Krestel [FDP]: Das würde Sie aus dem Konzept bringen! Sie müssen vorlesen, was Ihnen einer aufgeschrieben hat!)


Ich will aber weitere Punkte stichwortartig nennen.
Die geplante Schweizer Abgeltungsteuer verhindert
nicht, wie immer behauptet wird, den weiteren Zufluss
unversteuerten Vermögens aus Deutschland. Künftig
werden nämlich nur die hierauf in der Schweiz erzielten
Erträge besteuert.

Herr Staatssekretär Koschyk, Sie haben vorhin noch
einmal darauf hingewiesen, dass die Erbfälle in das Ab-
kommen mit einbezogen werden. Kein Wort haben Sie
aber zu den Schenkungsfällen gesagt. Es ist durch
Schenkungen weiterhin die Möglichkeit gegeben, dass
Steuerpflichtige zu Lebzeiten einer Besteuerung durch
vorherige Vermögensübertragung ausweichen. Es wäre
sehr schön gewesen, wenn Sie uns begründet hätten, wa-
rum diese Fälle aus dem Abkommen ausgeklammert
werden.

Ein weiteres Thema sind die Prüfaufträge. Die rot-
grüne Bundesregierung hat das Auslaufen des Strafbe-
freiungserklärungsgesetzes mit dem Inkrafttreten des
Gesetzes betreffend das Kontenabrufverfahren zum
April 2005 verknüpft. Das Steuerabkommen mit der
Schweiz sieht allerdings vor, dass die deutschen Steuer-
behörden in maximal 1 300 Fällen begründete Aus-
kunftsanträge betreffend die bloße Existenz von Konten
deutscher Steuerpflichtiger in der Schweiz stellen kön-
nen. Das ist viel zu wenig. Diese Knebelung der Abfra-
gemöglichkeiten deutscher Finanzbehörden ist, ehrlich
gesagt, ein Schlag in das Gesicht des ehrlichen Steuer-
zahlers. Dem können wir auf gar keinen Fall zustimmen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Staatssekretär Koschyk, Sie haben des Weiteren
gesagt, dass das Entdeckungsrisiko der Steuerstraftäter





Martin Gerster


(A) (C)



(D)(B)


zunehmen wird. Ich habe da große Zweifel; denn zu
dem, was ich gerade ausgeführt habe – die Einschrän-
kung der Möglichkeiten der deutschen Finanzbehör-
den –, kommt hinzu, dass Sie planen, in Zukunft auf den
Erwerb sogenannter Steuer-CDs zu verzichten. Wir hal-
ten das für einen Fehler. Wir von der SPD haben in den
letzten Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass
wir sehr wohl von der Möglichkeit Gebrauch machen
sollten, Steuer-CDs zu erwerben, um so an die entspre-
chenden Daten von Steuerhinterziehern heranzukom-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch beim Blick auf die Altfälle bleiben viele Fragen
offen. Es gibt viele Zweifel gerade in puncto Steuerge-
rechtigkeit. Berechnungen zufolge dürfte in 80 Prozent
der Fälle lediglich der Mindeststeuersatz von 21 Prozent
des aktuellen Vermögenswerts zur Anwendung kom-
men. Damit liegt die Höhe der Pauschalsteuer bei großen
Steuerhinterziehungen, die in Deutschland mit Freiheits-
strafe belegt werden können, deutlich unter der indivi-
duellen Steuerschuld. Das ist endgültig ein Schlag in das
Gesicht aller, die in Deutschland ihre Steuern ehrlich
zahlen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: Sie haben elf Jahre lang den Finanzminister gestellt und nichts erreicht!)


Ich sage abschließend: Wir haben große Bauch-
schmerzen bei diesem Abkommen zwischen Deutsch-
land und der Schweiz. Wir sollten auch die finanzielle
Lockwirkung dieses Abkommens hinterfragen; denn
wenn Steuerhinterziehern so viel Zeit verbleibt, das Geld
in andere Länder zu schaffen, ist fraglich, ob tatsächlich
zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von geschätzt
10 Milliarden Euro durch das Abkommen erzielt wer-
den.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da sehen Sie einmal, was Sie alles in der Vergangenheit versäumt haben!)


Selbst die Bundesregierung hat uns auf Nachfrage im
Finanzausschuss gesagt, dass es keine belastbaren Un-
terlagen über die Höhe der nachzuversteuernden Anla-
gen gibt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718812100

Kollege Martin Gerster.


Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1718812200

Was bleibt unter dem Strich?


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718812300

Ihr Schlusssatz, bitte!


Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1718812400

Es handelt sich um einen Bärendienst im Hinblick auf

das verfassungsmäßig gebotene Ziel der Steuergerech-
tigkeit in Deutschland. Wir werden das in der Anhörung

und in den Ausschussberatungen noch einmal deutlich
herausstellen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Holger Krestel [FDP]: Die Rede hätten Sie auch zu Protokoll geben können!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718812500

Nächste Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere

Kollegin Dr. Birgit Reinemund. – Bitte schön, Frau Kol-
legin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1718812600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann

den Triumph der SPD nicht ganz nachvollziehen. Waren
es nicht SPD-Finanzminister, die über elf Jahre auf die-
sem Gebiet nichts, aber auch rein gar nichts – null
Komma null – hinbekommen haben?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Große Worte, geringe Taten!)


Die ursprüngliche Version des Steuerabkommens,
über das wir heute sprechen, wurde am 21. September
2011 unterzeichnet. Es folgten monatelange Nachver-
handlungen und zum Teil sehr emotionale Diskussionen.
Die letzten neun Monate waren eine schwierige Schwan-
gerschaft. Ich freue mich, dass wir heute die Geburt ein-
leiten.

Ja, Herr Gerster, um ehrlich zu sein, ich hätte nicht
gedacht, dass noch Nachverhandlungen mit solch
substanziellen Verbesserungen möglich sind. Das als
Quatsch zu bezeichnen, ist nicht ganz parlamentarisch.
Umso beachtlicher ist, dass es Minister Schäuble gelun-
gen ist, die Schweiz nachträglich zu weitergehenden Zu-
geständnissen in diesem Umfang zu bewegen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese für Deutschland überaus positiven Ergebnisse
sollten wir jetzt umsetzen und nicht ständig kleinreden.
Bis heute entgehen dem deutschen Staat Milliarden Euro
an Steuereinnahmen durch Kapitalflucht in die Schweiz,
Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug. Letztendlich ver-
lieren wir durch die fortlaufende Verjährung der Steuer-
ansprüche auf diese enormen Vermögen Jahr für Jahr
Steuereinnahmen. Nach zehn Jahren sind alle Ansprüche
für immer verloren.

Das Schweizer Helvea-Institut hat ausgerechnet, dass
Deutsche rund 230 Milliarden Euro in der Schweiz de-
poniert haben. Das Institut nimmt ferner an, dass rund
160 Milliarden Euro nicht den deutschen Finanzämtern
gemeldet sind, es sich dabei also um Schwarzgeld han-
delt. Angesichts dieser Summen wäre es unverantwort-
lich, nicht zu handeln.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)


Das wäre ein Schlag in das Gesicht jedes ehrlichen Steu-
erzahlers. Es wäre auch im Hinblick auf den Staatshaus-
halt gerade vor dem Hintergrund der Staatsverschuldung
und der Diskussion um Schuldenbremsen auf allen Ebe-
nen unverantwortlich.

Dies ginge zulasten des Bundes, der Länder und der
Kommunen. Gerade die Länder werden durch dieses Ge-
setz einen überproportional hohen Anteil an den zusätz-
lichen Steuereinnahmen erhalten. Zwei Drittel erhalten
die Länder und Kommunen, ein Drittel bekommt der
Bund. Für 2013 sind das geschätzte 1,1 Milliarden Euro
für die Länder und Kommunen und 500 Millionen Euro
für den Bund. Eine erste Abschlagszahlung in Höhe von
2 Milliarden Schweizer Franken wird unmittelbar nach
Inkrafttreten des Abkommens fällig.

Die Zeit drängt. Wenn wir nicht zulassen wollen, dass
ein weiterer Veranlagungszeitraum in die Verjährung
fällt, sollten wir rasch handeln und dieses Abkommen,
wie geplant, im Herbst verabschieden. Ich frage mich,
ob der Bundesrat dieses Abkommen wirklich blockieren
will, während die Länder und Kommunen bei jeder an-
deren Gelegenheit betonen, wie dringend sie finanzielle
Entlastung brauchen. Ich bin einmal gespannt, wie Sie
dies den notleidenden Kommunen – allen voran denen in
Nordrhein-Westfalen – erklären wollen; denn von dort
kommt besonders harsche Kritik. Der sozialdemokrati-
sche Finanzminister Walter-Borjans sagte dazu:

Ich will aber kein Abkommen, das um des lieben
Friedens willen Steuerstraftätern ein Milliardenge-
schenk macht.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Recht hat er!)


Das ist eine seltsame Aussage.

Haben Sie einmal berechnet, welche Milliardenforde-
rungen in den letzten zehn Jahren durch Untätigkeit,
Misserfolg und Unvermögen früherer Finanzminister be-
reits verjährt sind?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Untreue gegen Deutschland!)


Meine Hochachtung und mein Dank gebühren den er-
folgreichen Verhandlungsführern im Finanzministerium
– allen voran Finanzminister Schäuble. Gut, dass mit
diesem Abkommen jetzt endlich die Besteuerung für die
Zukunft und für die Vergangenheit gesichert ist. Wir
rechnen einmalig mit circa 10 Milliarden Euro und dann
mit 1,6 Milliarden Euro jährlich. Der Bund der Steuer-
zahler sieht das ähnlich – ich zitiere –:

Mit dem Steuerabkommen kann in Zukunft Steuer-
hinterziehung effektiv und rechtssicher verhindert
werden. Davon profitieren der deutsche Fiskus und
vor allem die ehrlichen Steuerzahler.

Welche Vorteile bietet uns das Abkommen sonst? Wir
schaffen Rechtssicherheit und verlassen endlich die
rechtliche Grauzone um den Kauf illegal beschaffter Da-
ten bzw. von Steuer-CDs. Sie alle haben im Gedächtnis,
wie sich deutsche Beamte plötzlich in der Situation be-
fanden, im Dienste ihres Dienstherrn eventuell angegrif-
fen zu werden.

Für die Inhaber von anonymen Konten in der Schweiz
gibt es in Zukunft nur noch drei Möglichkeiten: Sie kön-
nen anonym nachversteuern, eine Selbstanzeige machen
oder ihr Konto schließen. Sicher, das Abkommen ent-
spricht nicht den Maximalforderungen der Opposition.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Es entspricht aber dem Erreichbaren. Das ist ein Kom-
promiss zwischen den Interessen zweier souveräner
Staaten. Erstmals überhaupt konnte eine rückwirkende
Nachversteuerung mit einem anderen Staat verhandelt
werden.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: das Abkommen auf
den Weg zu bringen oder ein Verharren auf dem Status
quo ohne jede Besteuerung der Vermögen deutscher
Bürger in der Schweiz. Dabei geht es – in Abwandlung
eines Spruchs von Shakespeare – um die Frage: Haben
oder Nichthaben, das ist jetzt die Frage.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es gibt immer noch schlechtere Lösungen!)


Es ist ganz klar: Kein Abkommen zu haben, ist eindeutig
die schlechteste Lösung, und zwar für alle Beteiligten.

Meine Damen und Herren von der Opposition, das
sollten Sie vielleicht auch Ihren Kolleginnen und Kolle-
gen in den Bundesländern klarmachen. Einige lenken
bereits ein. Werben Sie mit uns für den Weg der Ver-
nunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718812700

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin für

die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Frau
Dr. Barbara Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Barbara
Höll.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718812800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Reinemund, „Haben oder Nichthaben
…“ – der arme Shakespeare. Ich glaube, wir sprechen
hier über „ein bisschen haben“ statt über „alles haben“,
das wir mit einem gesetzeskonformen Vollzug bekom-
men könnten. Darum geht es.


(Holger Krestel [FDP]: Ach Gott! Sie können ja um die Schweiz eine Mauer bauen! Dann klappt’s vielleicht wieder! Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn!)


Die Vergleichsbasis ist nicht all das, was in den letz-
ten Jahren nicht gelaufen ist, sondern die Situation hier
in Deutschland mit all den ehrlichen Bürgerinnen und
Bürgern, die ihr Einkommen versteuern. Der Vertrag,
den Sie abzuschließen gedenken, hält diesem Vergleich
nicht stand.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])






Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


Es ist und bleibt dabei: Dieses Abkommen ist ein Ge-
schenk für Steuerbetrüger und organisierte Steuerkrimi-
nalität.

Zudem gilt: Wie gestern beim Betreuungsgeld ist die
Art, wie Sie Politik betreiben, ein bisschen wie auf dem
Basar: Da spielt man ein bisschen mit dem Entflech-
tungsgesetz. Man sagt den Ländern: Na ja, wenn ihr im
Bundesrat dann doch zustimmt, dann haben wir mehr
Geld, dann könnten wir eventuell an der einen oder an-
deren Stelle noch ein bisschen dazugeben und eben nicht
2,9 Milliarden Euro abschmelzen. – Das hat der Haus-
haltsstaatssekretär Werner Gatzer gesagt. Weiter sagte
er: Bei den Hochschulen, bei der sozialen Wohnraumför-
derung könnten wir als Bund ein bisschen mehr machen.
Dafür stimmen Sie zu!


(Gisela Piltz [FDP]: Doch nur, weil da, wo Sie regieren, die Länder total am Boden sind!)


Aber es geht ja auch um Grundsätze. Es geht nicht um
ein Feilschen um einzelne Euros; es geht nicht um Zu-
stände wie auf einem Basar. Das muss man wirklich sa-
gen.

Ich denke, Ihr Abkommen ist in beiden Bereichen un-
zulänglich: sowohl was die Vergangenheitslösung be-
trifft, also die Amnestie, als auch was die Zukunftslö-
sung Abgeltungsteuer betrifft. Es ist ein Affront gegen
alle ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Mein Kollege Gerster sagte schon einiges. Ich will es
wiederholen:

Erstens. Bei einem einmaligen Transfer von Vermö-
gen in die Schweiz – das sind fast 80 Prozent der Fälle –
bleibt es beim Mindeststeuersatz von 21 Prozent. Dieser
Wert liegt offenkundig unter dem Satz der Abgeltung-
steuer von 25 Prozent. Die Steuerhinterzieher haben also
mindestens 4 Prozentpunkte gespart.

Zweitens. Sie haben ja vereinbart, dass der Höchst-
steuersatz auf 41 Prozent angehoben wird. Eine effektive
Besteuerung über 34 Prozent ist nach Berechnungen von
Professor Frank Hechtner nur bei einer jährlichen Ren-
dite von mindestens 56 Prozent zu erreichen. Ich glaube,
eine solche Rendite ist auch mit einer Anlage in der
Schweiz schwerlich zu erreichen. Also, das ist reine
Theorie.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718812900

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Krestel aus der Fraktion der FDP?


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718813000

Aber gern doch.


(Zuruf von der LINKEN: Wenn es zur Erhellung beiträgt!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718813100

Bitte schön, Kollege Krestel.


Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1718813200

Frau Kollegin Höll, Sie sprechen hier doch recht ab-

wertend von Basarpolitik. Jetzt verraten Sie uns doch
einmal: Wenn Sie die nächsten Jahre mitregieren dürften
– was Gott verhüten möge –, wie viel Geld könnten Sie
realistischerweise aus der Schweiz akquirieren, das dem
Steuerzahler durch die jetzige Rechtslage, durch das bis-
her fehlende Abkommen, pro Jahr verloren geht? Kön-
nen Sie das beziffern?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Alte SED-Vermögen können wir zurückholen!)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718813300

Recht herzlichen Dank, Herr Kollege. – Üblicher-

weise bleibt man während der Beantwortung stehen.


(Zurufe)


– Ich habe ja nur darauf hingewiesen.

Wir hätten natürlich verschiedene Möglichkeiten, die
Haushaltssituation des Bundes, der Länder und Kommu-
nen zu verbessern. Ich verweise als Erstes auf das Steu-
erkonzept der Linken,


(Holger Krestel [FDP]: Ich rede über Geld aus der Schweiz!)


wo wir zum Beispiel ein gerechtes Einkommensteuer-
system mit einer Entlastung der unteren und mittleren
Einkommen vorsehen. Wir schlagen vor, ab einem Ver-
mögen von 1 Million Euro eine Millionärsteuer zu erhe-
ben.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718813400

Wir geben der Kollegin Frau Dr. Höll die Chance, zu

antworten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718813500

Sie wollten das ja wissen, also bitte. – Wir schlagen

Ihnen verschiedene Maßnahmen vor. Damit befinden
wir uns in Übereinstimmung zum Beispiel mit dem
DIW, das mittlerweile einen Spitzensteuersatz von
66,6 Prozent ab einem Einkommen von 330 000 Euro
vorgeschlagen hat.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Aus der Schweiz?)


Wenn ich Finanzministerin wäre, würde ich ganz
stark versuchen, den Druck auf die Schweiz zu erhöhen.
Herr Koschyk hat darauf hingewiesen: Wir sehen das
mit dem Steuergeheimnis etwas anders. Wie sich das
Steuergeheimnis heute in Deutschland darstellt, ist es ja
nicht schon immer gewesen; es war ja ein Prozess, der
zu dieser Öffnung führte. Da würden wir natürlich mas-
siv einwirken.


(Gisela Piltz [FDP]: Wissen das eigentlich Ihre Anhänger, mit denen Sie sich sonst immer so für den Datenschutz einsetzen?)






Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)


Auf alle Fälle würden wir grobe Schnitzer in diesem
Abkommen beseitigen. Ich denke dabei zum Beispiel an
die Frage der Nichterfassung von Trusts und Stiftungen.

Wir würden Vermögen erfassen, die in anonymen
Schließfächern liegen, bei denen nicht einmal die
Schweizer Banken wissen, was da drin ist.

Wir würden auch die Abgeltungsteuer abschaffen und
wieder eine Besteuerung zum persönlichen Einkommen-
steuersatz durchführen.


(Holger Krestel [FDP]: Und was hat das jetzt mit Geld aus der Schweiz zu tun?)


Damit hätten wir eine andere Basis, und wir könnten ei-
nen größeren Druck aufbauen. Dabei würden wir von
anderen europäischen Staaten unterstützt.


(Gisela Piltz [FDP]: Sie würden das Geld aus der Schweiz gar nicht brauchen, weil Sie die Steuern hier erhöhen würden? Ah, ja!)


Denn Staaten wie Griechenland, die jetzt damit zu
kämpfen haben, dass die griechischen Vermögensmillio-
näre ihr Vermögen abziehen und in der Schweiz lagern,
befinden sich in einer solchen Situation, weil wir unsere
Position nicht stark genug durchsetzen.

Damit komme ich zu der geschätzten Zahl, die Herr
Koschyk – das stimmt – dem Ausschuss schriftlich mit-
geteilt hat. Aber er hat im Ausschuss auch gesagt, man
kommt auf die Zahl, weil die Briten schätzen, dass sie
7 Milliarden Euro kriegen. Er sagte: Also schätzen wir
jetzt mal 10 Milliarden Euro. – Das ist eine total gegrif-
fene Zahl. Ich sage Ihnen: Es wäre wesentlich mehr
möglich; die Größenordnung würde garantiert – wahr-
scheinlich – das Doppelte betragen. Ob die 10 Milliar-
den Euro zu erreichen sind, bleibt erst einmal außen vor.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie reden zu ganz anderen Themen!)


Man kann hier viel tun, wenn man tatsächlich Druck auf-
baut. – Danke für Ihre Frage.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, der Knackpunkt ist, dass das Schweizer
Bankenmodell der Anonymität der Kunden erhalten
bleibt; das ist und bleibt der Knackpunkt. Dem muss
man entgegenwirken, und da gibt es internationale Un-
terstützung. Ich möchte noch ergänzen – Herr Gerster
verwies darauf –: Selbst wenn eine anonyme Nachbe-
steuerung erfolgt, wenn man sein Geld in der Schweiz
hat und es anonym nachversteuert, bekommt man einen
Persilschein. Nebenbei gesagt: Wenn man in Deutsch-
land eine Nachversteuerung vornimmt, zahlt man 6 Pro-
zent Strafzinsen. Auch die braucht man als Steuerhinter-
zieher nach Ihrem Abkommen nicht zu zahlen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun! Das sind Zinsen auf Erträge!)


Sie haben die Schlupflöcher nicht geschlossen. Ich
nenne dazu: die anonymen Schließfächer, die Trusts und
Stiftungen. Sie geben Schwarzgeldbesitzern einen Per-
silschein. Bei allen Auskünften, die die deutsche Seite
von der Schweizer Seite erhält, müssen wir uns auf das

verlassen, was uns die Schweizer sagen. Es gibt für die
deutschen Finanzbehörden keine Möglichkeiten, das
nachzuprüfen. Deshalb müssen wir weiter an der Einfüh-
rung eines automatischen Informationsaustausches fest-
halten. Dies wird durch das Abkommen torpediert. Wir
können deshalb nicht zustimmen.

Als Letztes noch der Hinweis: Es bleibt dabei, dass
wir einen langen Verhandlungszeitraum haben. Selbst
wenn wir das Abkommen im Herbst abschließen wür-
den, dürfte das Geld, das hinterzogen wurde, immer
noch bis zum 1. Januar 2013 – erst dann wird es erfasst –
verschoben werden; dafür gibt es noch genug Steuer-
oasen. Schon das ist ein Zeichen dafür, dass es Ihnen
nicht wirklich ernst ist, die Steuerhinterziehung zu be-
kämpfen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718813600

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Höll. – Nächster Red-

ner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Thomas Gambke.
Bitte schön, Kollege Dr. Gambke.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Gerade diejeni-
gen, die oben auf den Tribünen sitzen, werden sich viel-
leicht über diese erregte oder auch gar nicht so erregte
Debatte zum Thema „Steuerabkommen mit der
Schweiz“ wundern. Ich will deshalb ein bisschen ausho-
len.

Das Geschäftsmodell des Nummernkontos gab es
schon, als ich ein kleiner Bub war. Bei dem ausgezeich-
neten Verhältnis, das wir zur Schweiz haben – das ist gar
keine Frage –, ist dies ein Problem, das uns seit langen
Jahren beschäftigt. Übrigens wurde die Situation oft aus-
genutzt. Ich will die Bemerkung von Roland Koch aus
dem Jahre 2000 nicht wiederholen; ich möchte sie nicht
einmal in den Mund nehmen. Aber die Tatsache, dass
man damals Gelder der Parteien nicht in Frankfurt, son-
dern in Zürich geparkt hatte, hat sicherlich nicht damit
zu tun, dass man da Hessisch babbelt oder Zürich an das
Netz der S-Bahn Rhein-Main angeschlossen ist. Viel-
mehr lag es an der Anonymität.


(Gisela Piltz [FDP]: Müssen wir jetzt die Steuerfahnder nach Zürich schicken, weil die Grünen da ihr Geld versteckt haben? Habe ich das richtig verstanden?)


Das heißt: Wenn man diesen Zusammenhang über die
Jahre verfolgt, dann muss man erkennen, dass gerade die
Themen Transparenz und Kontrolle eine zentrale Rolle
bei einem Abkommen mit der Schweiz spielen müssen.
Weil Transparenz und Kontrolle nicht erreicht werden,
werden wir das Gesetz in der vorliegenden Form ableh-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD])






Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


Ein Thema, das nicht angesprochen wurde, aber auch
zentral ist, ist die europäische Integration. Da wundert es
mich, dass Sie das Thema nicht anpacken. Wir reden im
Moment von Europa. Wir reden davon, dass wir in
Europa eine Harmonisierung haben wollen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir reden doch über die Schweiz!)


– Ich weiß. – Deswegen muss man sich mit dem Thema
Zinsrichtlinie auseinandersetzen.


(Zuruf von der FDP: Sie wissen, wo die Schweiz liegt?)


– Ja, das weiß ich, mitten in Europa. – Im Moment steht
in Europa auf der Tagesordnung, einen automatischen
Informationsaustausch zu schaffen und der EU-Kom-
mission ein Mandat zu erteilen, mit der Schweiz zu ver-
handeln. Dieses Abkommen, über das wir reden, wird
von Luxemburg und Österreich als Begründung ange-
führt, um dieses Mandat abzulehnen. Sie verhindern mit
diesem Abkommen eine europäische Richtlinie, die wei-
ter als das geht, was wir heute haben. Das ist nicht in
Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/ CSU]: Das ist ganz großer Quatsch!)


– Das ist kein Quatsch, sondern das ist richtig. Dann
schauen Sie doch einmal in die Unterlagen über die Ver-
handlungen in der Europäischen Gemeinschaft, die Ih-
nen genauso wie mir vorliegen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Völlig falsch!)


Das zweite Thema, das ich ansprechen möchte, ist die
Parlamentsbeteiligung. Herr Brinkhaus, Sie haben vor-
hin in der Debatte über die Finanzaufsicht gesagt, heute
sei die erste Lesung und deswegen könne man an dem
Entwurf noch etwas ändern. Auch Herr Koschyk sprach
von der ersten Lesung. Meine Damen und Herren – auch
das sage ich mit Blick nach oben zu den Zuschauern –,
wir führen hier eine Scheindebatte. Es liegt ein ausge-
handeltes Abkommen vor, das nachverhandelt wurde.
Die erste Information an den Finanzausschuss des Deut-
schen Bundestages erfolgte im Mai. Erst da wurde über
Zahlen geredet, die längst im Raum standen.

Jetzt haben wir die erste Lesung, und Sie wollen uns
glauben machen, wir würden hier über Änderungen be-
raten. Wenn überhaupt Änderungen kommen, dann des-
halb, weil Gott sei Dank die Roten und die Grünen im
Bundesrat gesagt haben: Wir machen da nicht mit. – Das
ist unser Druckmittel, und das ist auch gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bin im Übrigen sehr froh, dass die Klage der Grü-
nen vor dem Verfassungsgericht zu der Einbindung des
Bundestags bei der Entscheidung über den ESM einen
Meilenstein gesetzt hat. Diesen Meilenstein werte ich so,
dass wir eine Tür aufgemacht haben und jetzt die Gre-
mien des Deutschen Bundestages über internationale

Verträge informiert werden müssen, bevor sie abge-
schlossen werden, damit der Bundestag eine wirkliche
Einwirkungsmöglichkeit hat, die wir heute beim DBA
mit der Schweiz nach meiner Einschätzung praktisch
nicht mehr haben.

Ich möchte zum Schluss zusammenfassen: Wir haben
ein Doppelbesteuerungsabkommen. Es ist ausgeführt
worden, wo die Schwächen und Mängel liegen, aufgrund
derer man es ablehnen muss. Es besteht vor allen Dingen
nur bei einer Ablehnung die Chance zu Transparenz und
zu einer europäischen Lösung, in die wir die Schweiz
mit einbinden. Übrigens hat Liechtenstein mit UK ein
Abkommen getroffen, bei dem man auf Transparenz ei-
nen größeren Wert als auf die Frage der Einnahmen ge-
legt hat. Man hat in diesem Abkommen die Anonymität
sehr wirksam aufgebrochen.

Es gibt also andere Möglichkeiten. Es gibt auch an-
dere Möglichkeiten, mit dem Bankgeheimnis umzuge-
hen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718813700

Sie haben uns versprochen, zum Schluss zu kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden dieses Abkommen ablehnen, weil dem
Thema „Transparenz und Offenheit“ nur eine unterge-
ordnete Rolle beigemessen wird. Das können wir so
nicht akzeptieren.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718813800

Vielen Dank, Kollege Dr. Thomas Gambke. – Letzter

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte
schön, Kollege Flosbach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1718813900

Vielen Dank, Herr Präsident. – Seit dem 21. Septem-

ber des letzten Jahres diskutieren wir bereits dieses
Thema; denn damals wurde das Abkommen mit der
Schweiz von der Regierung verabschiedet. Aber dieses
Thema wird schon Jahrzehnte diskutiert. Der Bundes-
finanzminister hat in der letzten Debatte deutlich ge-
macht, dass dieses Abkommen ein Meilenstein im Ver-
hältnis Deutschlands zur Schweiz ist, was steuerliche
Regelungen angeht.

Warum ist dies ein Meilenstein in den Beziehungen
zwischen Deutschland und der Schweiz? Weil erstmals
ein Verfahren gefunden wurde, wie alle Vermögen von
Privatleuten in der Schweiz erfasst werden können, und
zwar nicht nur für heute und die Vergangenheit, sondern
auch für die Zukunft. Das hat es noch nicht gegeben, bei





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)


allen Versuchen, die bisher vom deutschen Parlament
und von deutschen Regierungen gestartet worden sind.

Wenn es um ein Abkommen mit der Schweiz geht,
spielt das Thema Schwarzgeld und Steuerhinterziehung
eine große Rolle. Für uns in Deutschland ist das ein kla-
rer Straftatbestand, der auch verfolgt werden muss. Die
Schweiz sieht das völlig anders. Für sie ist Steuerhinter-
ziehung eine Ordnungswidrigkeit. Wir gehen aber von
unserem deutschen Recht aus und sagen: Das ist ein
Straftatbestand, und der muss verfolgt werden.

Es geht hier auch um die Frage der Steuergerechtig-
keit. Die Frage, auch an die Oppositionsparteien, ist
doch: Ist es in steuerlicher Hinsicht gerecht, wenn wir
darauf verzichten, das Geld, das in der Schweiz ist,
durch Abkommen zu ergreifen, indem wir in die Konten
hineingehen, um damit 10 Milliarden Euro und mehr für
unseren Staat zu bekommen, damit diejenigen, die ehr-
lich ihre Steuern bezahlt haben, entsprechend entlastet
werden? Das ist doch auch eine Frage der Gerechtigkeit,
der Sie sich stellen müssen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist schon viel versucht worden, um in diesem
Bereich Steuergerechtigkeit herzustellen. Ich denke zu-
nächst einmal an die Steueramnestie von Rot-Grün von
2004/05. Was ist da nicht alles versprochen worden! Da
ging es nicht allein um die Schweiz; da ging es um eine
generelle Steueramnestie. 1,3 Milliarden Euro sind
durch die Nachversteuerung letztlich erzielt worden, ob-
wohl anfangs von 20 Milliarden und dann von 10 Mil-
liarden Euro gesprochen worden war.

Herr Gambke – Sie sitzen in der ersten Reihe und hö-
ren mir leider nicht zu –, Sie haben gerade von der euro-
päischen Zinsrichtlinie gesprochen. Sie haben völlig da-
nebengelegen. Die europäische Zinsrichtlinie wird schon
seit Jahren diskutiert. Das Problem ist, dass die Luxem-
burger und die Österreicher nicht mitmachen,


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gesagt!)


weil wir bisher kein Abkommen mit der Schweiz erzielt
haben.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Falsch!)


Das ist die Problematik. Euro-Länder machen nicht mit,
weil wir bisher noch kein Ergebnis mit der Schweiz er-
zielt haben.

Außerdem geht es da ausschließlich um Zinsen; hier
geht es um die gesamten Beträge. Das geht also weiter,
ist von der Dimension deutlich größer als alles, was wir
bisher mit der Zinsrichtlinie erreicht haben.

Natürlich, wir haben auf der einen Seite mit den
Steuerdaten-CDs Erfolg gehabt – auch höchstrichterlich
bestätigt –; auf der anderen Seite ist rechtlich immer
noch sehr umstritten, ob das der richtige Weg sein kann.
Der Weg, den wir jetzt beschreiten wollen, ist richtig.

Im Grunde kann jeder sein Geld anlegen, wo er will.
Er kann es weltweit anlegen. Er muss aus unserer Sicht

nur Folgendes machen: Er muss die Erträge aus diesem
Geld, das er weltweit anlegt, versteuern.

Das vorliegende Abkommen geht von mehreren
Möglichkeiten aus. Wer sein Geld in der Schweiz hat,
kann sich eine Bankbestätigung holen. Diese legt er dem
deutschen Finanzamt vor, und die Sache wird wie üblich
versteuert.

Wir haben im vergangenen Jahr das Verfahren der
strafbefreienden Selbstanzeige novelliert und dramatisch
verschärft, sodass es hier keine Umgehungsmöglichkei-
ten mehr gibt. Jeder Einzelne kann sich selbst anzeigen,
um die Zinserträge für die vergangenen zehn Jahre nach-
zuversteuern; was er erspart hat, muss er ebenfalls nach-
versteuern.

Das neue Abkommen geht einen anderen Weg. Frau
Höll, es geht nicht davon aus, dass vom deutschen
Fiskus nur Steuern auf die Erträge eingezogen werden.
Erstmals geht der deutsche Fiskus in Abstimmung mit
den Schweizern sozusagen in das Vermögen im Ausland
hinein. Für das Guthaben fallen 21 bis 41 Prozent Steuern
an, oder, anders gesagt: Für je 100 000 Euro kassiert der
deutsche Staat zwischen 21 000 und 41 000 Euro. Das
ist der große, der fundamentale Unterschied bei diesem
Abkommen gegenüber früheren Regelungen.

Das Besondere hat auch der Staatssekretär schon
deutlich gemacht, nämlich dass durch die Eidgenössi-
sche Steuerverwaltung auch die Erbfälle in der Schweiz
erfasst werden. Bis zu 50 Prozent des Vermögens kön-
nen eingezogen werden, wenn aufgrund einer Anfrage
ein Erbfall entdeckt wird. Das ist der riesige Unterschied
gegenüber früher.


(Beifall der Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] – Martin Gerster [SPD]: Und die Schenkungen? Was ist mit Schenkungen?)


Sie haben am Thema vorbeigeredet. Sie haben nur Ne-
bensächlichkeiten dargestellt


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Schenkungen sind keine Nebensächlichkeit! Das sind problematische Steuersparmodelle!)


und gesagt, deswegen könne das Gesetz nicht verab-
schiedet werden.

Herr Gerster, Sie haben auch das Verfahren des Aus-
kunftsersuchens angegriffen. Natürlich, man kann darüber
sprechen, ob 1 300 Auskunftsersuchen wenig sind.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe sehr auf Gespräche!)


Aber diese 1 300 Auskunftsersuchen bedrohen jeden
Schwarzgeldbesitzer oder Steuerhinterzieher, weil dieser
immer damit rechnen muss, dass auch sein Konto ergrif-
fen wird.


(Holger Krestel [FDP]: So ist das! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Keine zwei pro Finanzamt!)


In der Zusammenarbeit von deutschen und Schweizer
Steuerbehörden können diese 1 300 Auskunftsersuchen
regelmäßig gestellt werden. Das ist im Grunde die Be-





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)


drohung für die Steuerhinterzieher. Sie können nämlich
erfasst werden.

Für uns ist wichtig, dass dieses Thema nicht nur hier
im Bundestag beraten wird. Es wird gemeinsam mit den
Ländern und natürlich auch mit Ihnen in der Opposition
intensiv diskutiert. Wir beginnen diese Diskussion heute
mit der ersten Lesung.

Wir gehen davon aus, dass von den Schweizern zu-
nächst eine Abschlagszahlung in Höhe von 2 Milliarden
Euro gezahlt wird. Das ist deutlich mehr, als Ihre Steuer-
amnestie aus dem Jahr 2004/05 gebracht hat. Der Staats-
sekretär hat gerade gesagt, dass wir mit mindestens
10 Milliarden Euro rechnen können. In Zukunft werden
alle Erträge in der Schweiz von allen deutschen Steuer-
bürgern erfasst. Das ist der fundamentale Unterschied,
den Sie überhaupt nicht herausgestellt haben. Die
Länder stehen sich dabei sehr gut. Deswegen gehe ich
davon aus, dass die Länder kompromissbereit sein wer-
den. Sie bekommen einen ersten Abschlag in Höhe von
30 Prozent und später weitere 30 Prozent, insgesamt also
60 Prozent.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718814000

Herr Kollege Flosbach, Sie sind am Ende der Rede-

zeit. Dennoch möchte der Kollege Gambke eine Frage
stellen.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1718814100

Ich bin am Ende meiner Redezeit. – 60 Prozent wer-

den also die Länder erhalten, 10 Prozent, Herr Scheelen,
die Kommunen, nur 30 Prozent der Bund. Deswegen
sage ich den Bundesländern und der Opposition: Sie ent-
scheiden mit, ob Steuerhinterzieher durch Ablauf von
Verjährungsfristen oder durch Nichthandeln von einigen
Gremien weiterhin ihre Gelder behalten können. Wir
wollen die Gelder erfassen. Dafür gibt es dieses Abkom-
men. Wir wollen das auch umsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718814200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege

Dr. Thomas Gambke hat die Möglichkeit zu einer Kurz-
intervention.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es tut mir leid, aber Sie haben die Frage nicht zuge-
lassen. – Die Frage, die ich an Sie richte, ist sehr wich-
tig. In einem Ihrer letzten Sätze haben Sie von der Mög-
lichkeit eines Kompromisses gesprochen, wenn wir jetzt
intern im Parlament in die Verhandlungen gehen. Meine
konkrete Frage ist: Können wir damit rechnen, dass wir
im Sinne eines Kompromisses noch einmal Nachver-
handlungen mit der Schweiz führen werden?


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718814300

Zur Antwort, Kollege Klaus-Peter Flosbach.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1718814400

Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage. – Wir

diskutieren heute den Entwurf der Bundesregierung. Als
Parlament werden wir uns mit diesem Thema beschäf-
tigen. Parallel dazu laufen die Beratungen in den Bun-
desländern. Selbstverständlich werden wir im Finanz-
ausschuss diese Themen diskutieren. Wir haben aber
auch bereits nachverhandelt. Herr Gerster hat hervor-
ragend dargestellt, welche neuen Möglichkeiten erreicht
worden sind. Es sind sicherlich einige Verbesserungen
erreicht worden. Die Verbesserung, dass die Zahl der
Auskunftsersuchen von 999 auf 1300 erhöht worden ist,
hat er als herausragend dargestellt. Aber dass es über-
haupt Auskunftsersuchen gibt, hat er in Misskredit ge-
bracht.

Die zentralen Punkte sind ohne Zweifel verhandelt.
Ob es Möglichkeiten der Nachverhandlung gibt, wird
sich im Laufe des Verfahrens zeigen. Ich jedenfalls freue
mich darauf, dass wir uns mit diesem Thema sehr inten-
siv beschäftigen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Der Botschafter hat erklärt: Es ist ausverhandelt!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718814500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Gemeinsam haben wir verhandelt, dass die Überwei-
sung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/10059 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen wird. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das
ist nicht der Fall. Dann haben wir die Überweisung ge-
meinsam so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme nun zu
dem Tagesordnungspunkt 49 a bis c:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Undine
Kurth (Quedlinburg), Renate Künast, Bärbel
Höhn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Tier-
schutzgesetzes (TierSchGNeuregG)


– Drucksache 17/9783 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula,





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Tierschutzgesetz ändern – Kennzeichnung von
Pferden tierschutzgerecht ausgestalten

– Drucksachen 17/4850, 17/5563 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Heinz Paula
Hans-Michael Goldmann
Alexander Süßmair
Undine Kurth (Quedlinburg)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Alexander
Süßmair, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Tiertransporte verringern – Tierschutz ver-
bessern

– Drucksachen 17/6913, 17/8028 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Heinz Paula
Hans-Michael Goldmann
Alexander Süßmair
Friedrich Ostendorff

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie alle
damit einverstanden? – Dann haben wir das hiermit be-
schlossen.

Erste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Undine
Kurth. Bitte schön, Frau Kollegin Undine Kurth.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren auf den Rängen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor fast genau zehn Jahren – es war der
17. Mai und nicht der 29. Juni – ist in diesem Hohen
Hause parteiübergreifend mit großer Mehrheit beschlos-
sen worden, den Tierschutz als Staatsziel in das Grund-
gesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen.
Es waren damals 543 Ja- und nur 19 Nein-Stimmen.
Seitdem ist der Schutz der Tiere ein eindeutiger staat-
licher Handlungsauftrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Leider aber fußt das geltende Tierschutzgesetz, da es
noch keine grundlegende Überarbeitung erfahren hat,
zum Teil auf Herangehensweisen und Wertvorstellun-
gen, die noch aus der Zeit stammen, als man darüber dis-
kutierte, ob Tiere nicht als Sache zu behandeln seien. Es
ist nicht nur ärgerlich, dass das so ist, sondern es ist ein

großes Missverhältnis. Das muss dringend beseitigt wer-
den. Deshalb legen wir, die Grünen-Fraktion, heute ein
grundlegend überarbeitetes Tierschutzgesetz zur Bera-
tung vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein sehr gutes Gesetz!)


Wer in die Geschichte schaut, weiß genau: Jeder Fort-
schritt im Tierschutz – wirklich jeder – muss hart er-
kämpft werden, erfordert Leidenschaft und Engagement.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)


Ohne diese Leidenschaft und dieses Engagement hätten
zum Beispiel Renate Künast und Bärbel Höhn in diesem
Land nie Veränderungen für die Legehennen – das Ver-
bot der Käfighaltung – durchbekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Da war Kurt Beck auch ziemlich beteiligt! Nicht nur die eigenen Leute loben! – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


– Bleiben Sie ganz ruhig!

Zu besonderem Dank sind wir alle in diesem Zusam-
menhang den Tierschutzverbänden verpflichtet. Einige
Vertreter sind heute unsere Gäste und verfolgen die Be-
ratung von der Tribüne aus. Ich grüße Sie von hier unten
herzlich. Es sind nämlich die engagierten Bürgerinnen
und Bürger in den Verbänden, die uns immer wieder auf
gravierende Missstände aufmerksam machen und Verän-
derungen einfordern. Das ist notwendig und wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den vier Minuten Zeit, die ich hier zur Verfügung
habe,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Mehr haben Sie nicht?)


kann ich leider nicht alle wesentlichen Neuregelungen
unseres Gesetzentwurfs vorstellen. Ich kann aber auf die
Grundprinzipien hinweisen, die ihm zugrunde liegen:

Erstens. Tiere haben einen Anspruch auf Leben und
Unversehrtheit. Sie haben einen Anspruch auf Schutz
um ihrer selbst willen – nicht nur, weil sie uns nützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verbieten wir den Schenkelbrand!)


Zweitens. Eingriffe in diese Rechte können wir nur
dulden und zulassen, wenn es dafür einen rechtfertigen-
den Grund gibt. Rechtfertigend ist aber nicht alles, was
uns bisher vernünftig erschien. Wir müssen lernen: Nicht
alles, was sich rechnet, rechtfertigt sich auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie recht! Das ist ja nicht neu!)






Undine Kurth (Quedlinburg)



(A) (C)



(D)(B)


Ein alarmierendes Beispiel dafür sind die Zustände,
wie wir sie heute in der Landwirtschaft erleben. Sie wis-
sen selber: In Deutschland werden jährlich ungefähr
114 Millionen Hühner, 11,5 Millionen Schweine und
12,5 Millionen Rinder gehalten,


(Zuruf von der CDU/CSU: Zu wenig!)


und zwar größtenteils unter Haltungsbedingungen, die
wir alle zusammen nicht akzeptieren sollen, dürfen und
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist falsch!)


Ich frage mich wirklich: Wie viele Skandale, grau-
same Bilder oder in solchen Anlagen erstickte Tiere
brauchen wir eigentlich noch, ehe wir alle – Sie alle wis-
sen von diesen Missständen – bereit sind, Konsequenzen
zu ziehen?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt nicht, was Sie sagen!)


Einer der größten Skandale in diesem Zusammenhang
ist die Anpassung der Tiere an die Bedingungen der
industriellen Massentierhaltung. Schweinen werden
Schwänze kupiert, Enten und Hühnern brutal die Schnä-
bel gekürzt, Rindern werden Hörner weggeätzt. Weil das
alles passiert, damit die Tiere sich unter diesen unwür-
digen Bedingungen nicht gegenseitig massakrieren, wird
uns das auch noch als Tierschutz verkauft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlimm genug!)


Das kann nicht Ihr Ernst sein!

Verantwortungsvoller Umgang mit Tieren sieht an-
ders aus. Da werden die Tiere nicht den Haltungsbedin-
gungen angepasst, sondern die Haltungsbedingungen
entsprechen den Bedürfnissen der Tiere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen dringend Veränderungen; das wissen wir
eigentlich alle. Diese Veränderungen wollen wir errei-
chen. In diese Richtung gehen ja auch die Anträge von
SPD und Linken, die wir mitbehandeln.

Abschließend möchte ich Ihnen sagen: Ich weiß, dass
dieser Gesetzentwurf – bis hin zum Verbandsklagerecht
für anerkannte Tierschutzverbände – in einigen Frak-
tionen und bei manchen Lobbyisten für Unruhe sorgen
wird. Das ist, ehrlich gesagt, auch so gewollt. Ich möchte
Sie aber herzlich bitten, diesen Gesetzentwurf als
Grundlage für ernsthafte Diskussionen zu nehmen.

Er ist entstanden in der Zusammenarbeit mit Tier-
ärzten, Amtsveterinären, Wissenschaftlern, Verbänden,
Tierschützern und vielen engagierten Menschen in die-
sem Land.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich dachte, Sie hätten ihn gemacht!)


Er ist ein Angebot zur Diskussion. Lassen Sie uns diesen
Entwurf nutzen, um den Tierschutz in Deutschland

ernsthaft voranzubringen! Wir Grüne jedenfalls sind be-
reit und willens, für den Schutz der Tiere einen großen
Schritt nach vorn zu gehen. Ich möchte Sie herzlich bit-
ten, sich zu überlegen, ob Sie das nicht auch wollen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718814600

Vielen Dank, Frau Kollegin Kurth. – Nächster Redner

ist der Kollege Dieter Stier, dem ich jetzt zu seinem Ge-
burtstag gratuliere, den er heute feiert.


(Beifall)


Ich habe das nicht nur gesagt, damit er den Beifall des
gesamten Hauses bekommt.


(Heiterkeit – Heinz Paula [SPD]: Mit Sicherheit nicht! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kannst du dich lange dran festhalten!)


Bitte schön, Kollege Dieter Stier.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1718814700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Las-
sen Sie mich die Gelegenheit nutzen, mich für die von
allen Seiten des Hauses zugegangenen herzlichen Glück-
wünsche zu meinem heutigen Geburtstag zu bedanken.
Meine Freude könnte durchaus länger währen, wenn ich
nicht zu einem Tagesordnungspunkt sprechen müsste,
bei dem wir uns mit einem Gesetzentwurf der Opposi-
tion beschäftigen.

Mit Verwunderung habe ich zur Kenntnis genommen,
dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen
Gesetzentwurf zur Neuregelung des Tierschutzes vorge-
legt hat – Frau Kurth hat ihn eben kurz skizziert –, und
dies während eines laufenden Abstimmungsverfahrens
zu einem seit dem 23. Mai vorliegenden Gesetzentwurf
der Bundesregierung in gleicher Sache.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo liegt der vor?)


Das ist schon ungewöhnlich. Statt der üblichen Ände-
rungsanträge der einzelnen Fraktionen wird uns hier von
Ihnen ein über 100 Seiten starkes Gesetzeswerk präsen-
tiert, dessen professionelle Ausgestaltung – das muss ich
Ihnen zugestehen – überrascht.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Gisela Piltz [FDP]: Das heißt, sie haben es nicht selber gemacht!)


Ein Lob spreche ich Ihnen für die juristische Abhand-
lung aus. In der Sache drängt sich mir aber die Frage auf,
in welcher Schmiede dieses Gesetzeswerk entstanden
ist, aber darüber möchte ich hier und heute erst einmal
nicht spekulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)


Bekanntlich folgt nach dem Lob Kritik.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der war im falschen Rhetorikkurs! Phrasen für Anfänger! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Phrasen für Anfänger? Es gibt Phrasendreschmaschinen!)


Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf, meine Damen
und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, bringt aus un-
serer Sicht keine Verbesserung für den Tierschutz. Er ist
ein Katalog der Grausamkeiten, mit negativen Folgen
für landwirtschaftliche Arbeitsplätze und den ländlichen
Raum insgesamt. Darüber hinaus ist er ein Bürokratie-
monster.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Er ist wirtschaftsfeindlich und hilft uns in Sachen Tier-
schutz nicht weiter.

Alle Ihre Forderungen gehen weit über eine Eins-zu-
eins-Umsetzung von EU-Recht hinaus.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, und?)


Die Umsetzung dieses Horrorkatalogs hätte fatale Kon-
sequenzen für die Tierhaltung in Deutschland.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen sich selber doch auch nicht ständig nach der EU richten! Was ist denn in Sie gefahren?)


– Liebe Frau Künast, da hilft kein Schreien. Man muss
sich damit beschäftigen. – Sie fordern maßlos überzo-
gene Standards in der Tierhaltung, und gleichzeitig
verkennen Sie, dass nur wenige tierhaltende Betriebe
überhaupt in der Lage sein werden, diese hohen Anfor-
derungen zu erfüllen.

Ist Ihnen eigentlich bewusst,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Antwort ist Ja!)


dass Sie mit diesen Auflagen massiv gerade gegen kleine
und mittlere landwirtschaftliche Betriebe vorgehen, wel-
che Sie sonst eigentlich fördern wollen?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Was reden Sie denn die Bauern schlecht?)


Sie vernichten damit die bäuerliche, sogenannte boden-
gebundene Tierhaltung, und Sie zerstören landwirt-
schaftliche Strukturen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen! Erst lesen, dann reden!)


Sie treiben tierhaltende Bauernhöfe in den Exodus. Sie
müssen den Menschen ehrlich sagen, dass Sie die land-
wirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland abschaffen
wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei sind es doch gerade die bodengebundenen Be-
triebe, die es zu schützen gilt;


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sehen wir das auch! Das ist doch mal ein Anfang! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch drin!)


denn diese produzieren die Futtergrundlage für das Vieh,
auch auf dem eigenen Hof. Lediglich große landwirt-
schaftliche Betriebe, die nicht bodengebunden produzie-
ren, die sehr stark gewerblich ausgerichtet sind, könnten
die von Ihnen geforderten Standards einhalten und die
damit einhergehende Kostenbelastung schultern.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Ich wusste gar nicht, dass man am Redepult einen doppelten Rittberger machen kann!)


Meiner Meinung nach vernichten die von Ihnen gefor-
derten hohen Standards geradezu die bäuerliche Tierhal-
tung. Sie fördern sie nicht, sondern tragen zu einer
weiteren Vernichtung von Arbeitsplätzen im ländlichen
Raum bei. Ich frage Sie: Wollen Sie dafür wirklich die
politische Verantwortung übernehmen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal: Sind Sie eigentlich christlich erzogen?)


Zu den einzelnen Details Ihres Gesetzentwurfs. Sie
wollen Schlachttiertransporte auf vier Stunden begren-
zen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wollen Befugnisse von Tierschutzorganisationen er-
weitern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wollen ein Verbandsklagerecht einführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen staatliche Beauftragte für den Tierschutz auf
Bundes- und Landesebene.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super! Also doch gelesen!)


Sie wollen die Anerkennung, dass die Angst der Tiere
Leiden bedeutet. Ich stelle mir ernsthaft die Frage, wie
Sie das feststellen wollen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man feststellen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schmeckt der Bauer später beim Fleisch! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: So ein Quatsch, Frau Künast, das ist doch nicht Ihr Ernst!)






Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)


Besonders erschreckend ist die Aussage, welche sons-
tigen Kosten durch die Umsetzung des Gesetzes anfallen
würden. Nach Ansicht der Grünen halten sich die Kosten
im Rahmen dessen, was im Interesse eines von der Ge-
sellschaft gewollten effektiven Tierschutzes notwendig
ist. Angesichts der Opportunitätskosten für die deutsche
Landwirtschaft heißt das im Klartext – ich denke, das
müssen Sie auch unverblümt sagen –: Wir beerdigen da-
mit die Tierhaltung in Deutschland.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ein Quatsch!)


Das kann nicht unser Ziel sein. Richtig ist, dass sich die
Tierhalter zunehmend mit einer kritischen Öffentlichkeit
auseinandersetzen müssen. Das ist akzeptabel. Das ist
auch gut so.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Dennoch muss der Sachverstand der Tierhalter – den
schließen Sie aus – anerkannt werden. Es darf nicht zu
einer Vermenschlichung von Nutztieren kommen.


(Heinz Paula [SPD]: Mein Gott!)


Deutschland wird in der EU und auf der ganzen Welt
für seine hohen Standards im Tierschutz geschätzt. Das
betone ich hier abermals. Mit der von der Regierungs-
koalition vorgelegten Novelle des Tierschutzgesetzes ge-
hen wir, wie bereits erwähnt, über die Eins-zu-eins-Um-
setzung der Vorgaben der EU-Ebene hinaus. Das ist aus
unserer Sicht zwar ein Kompromiss, den wir aber in wei-
ten Teilen mittragen, um mit der Opposition und den
Tierschutzverbänden auf einen Nenner zu kommen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird nicht gelingen! – Gegenruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]: Willst du eine Mehrheit für dein Gesetz oder nicht?)


– Das zeigt Ihre Einstellung, Herr Kollege Ostendorff.

Jetzt komme ich zum Antrag der SPD und zum gefor-
derten Verbot des Schenkelbrandes beim Pferd. Auch in
diesem Punkt werden wir mit Ihnen nicht mitgehen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie? Das will doch Frau Aigner auch!)


Das Plenum des Hohen Hauses hat bereits einen gleich-
lautenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu diesem
Thema abgelehnt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Ministerin Aigner will das auch! Ihre eigene Ministerin will das!)


Eine Kennzeichnungsmethode, die geltendem EU-Recht
entspricht, die sich über Jahrhunderte bewährt hat, die
tierzüchterisches Kulturgut


(Heinz Paula [SPD]: Oh Gott!)


und ein Aushängeschild der sehr erfolgreichen deut-
schen Pferdezucht ist, werden wir Ihnen zuliebe nicht
opfern.

Meine Kollegen in der christlich-liberalen Koalition
und ich werden gemeinsam nicht nachlassen, die beste-
henden hohen Tierschutzstandards in Deutschland stän-
dig weiterzuentwickeln; das habe ich an dieser Stelle
schon mehrfach betont. Wir werden das mit Augenmaß
und im Einklang mit der Wirtschaftlichkeit in der Tier-
haltung tun. Ich lade Sie, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der Opposition, herzlich ein, dieses
Thema im Herbst mit uns zu beraten. Ich denke, wir soll-
ten das auf sachliche Weise tun.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heute ist der Anfang!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718814800

Vielen Dank, Kollege Dieter Stier. – Nächster Redner

für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege
Heinz Paula. Bitte schön, Kollege Heinz Paula.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1718814900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vor kurzem, nachdem die Bundesregierung
eine Novelle zum Tierschutzgesetz vorgelegt hat, habe
ich mich an zahlreiche Tierschutzverbände, Tierärzte
und engagierte Persönlichkeiten mit der Bitte um kurze
Einschätzung des vorgelegten Entwurfs gewandt: Was
ist gut? Was kann verbessert werden? – Sie vermuten es
bereits. Die durchgehende Ansage war: Der Entwurf
greift zu kurz; er reicht nicht aus, um auch nur im Ansatz
die Probleme im Bereich des Tierschutzes zu beheben
bzw. zu Verbesserungen zu kommen.

Es versteht einfach niemand, dass zum Beispiel hin-
sichtlich der betäubungslosen Kastration bei Ferkeln bis
2017 gewartet werden soll. Niemand versteht das Ge-
schrubbel bei den Ausführungen zu den Wildtieren in
Zirkussen. Mit einem Wort: Der vorgelegte Entwurf
greift viel zu kurz. Im Gegensatz zu dem Horrormär-
chenerzähler vor mir kann ich einfach sagen: Der Ent-
wurf der Bundesregierung zeigt, dass man nicht über den
Tag hinaus gedacht hat. Erst recht geht man damit nicht
über die EU-Vorgaben hinaus.

Dabei weiß die Bundesregierung doch ganz genau,
wo überall Probleme zu finden sind. Sie haben doch
selbst einen Tierschutzbericht vorgelegt. Leider verwei-
gern Sie die Diskussion darüber im Ausschuss bisher.
Ich greife nur einen einzigen Punkt heraus – Zitat –:

Die Praxis des Schwänzekupierens bei Ferkeln wird
aus Tierschutzsicht zu Recht kritisiert.

Was tun Sie denn, um an dieser Stelle gegenzusteuern?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜND Heinz Paula NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Frage!)





(A) (C)


(D)(B)


Erst letzte Woche hat Ihr Staatssekretär Peter Bleser,
CDU, auf die verheerende Situation in unseren Schlacht-
höfen klar hingewiesen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was?)


Elende Arbeitsbedingungen und ungenügende Lohnzah-
lungen führen in der Konsequenz automatisch zu unsäg-
lichem Tierelend und Tierleid. Nehmen Sie doch bitte
einfach zur Kenntnis: Von den rund 59 Millionen getöte-
ten Schweinen im Jahr sind bei handgeführten elektri-
schen Schlachtanlagen bis zu 12,5 Prozent nicht ausrei-
chend betäubt. Das heißt im Klartext: Diese Tiere gehen
lebendig in die entsprechenden Brühbehälter. Es ist ein
Armutszeugnis, dass die Bundesregierung hier nicht
endlich konkrete Schritte unternimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass es so nicht weitergehen kann, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Regierungskoalition, unterstreichen
doch überdeutlich Ihre eigenen Minister. Herr Kollege
Goldmann, Herr Holzenkamp, Sie kennen doch Ihren
Minister Lindemann.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ja!)


Herr Staatssekretär, Sie wissen doch, in Bayern gibt es
den CSU-Landwirtschaftsminister Brunner. All die ha-
ben mit ihren Initiativen weitgehende Änderungen die-
ses von Ihnen vorgelegten Entwurfs mit eingefordert,
und das zu Recht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ CSU]: Ja, das tun wir doch auch! – HansMichael Goldmann [FDP]: Machen wir doch auch! Deswegen haben wir doch eine Anhörung dazu!)


Sie wissen, wir von der SPD-Bundestagsfraktion ha-
ben eine Fülle von Initiativen zur Verbesserung des Tier-
schutzes gestartet. Ich nenne einige wenige, zum Bei-
spiel den Tierschutz-TÜV und Verbesserungen bei der
Kaninchenhaltung; da kommen auch Sie jetzt allmählich
in die Puschen. Gegen die Verstümmelungen von Tieren
brauchen wir dringend ein konsequentes Verbot. Wir
brauchen Verbesserungen im Bereich der Intensivtierhal-
tung und beim Antibiotikaeinsatz sowie ein Verbot von
Wildtierhaltung in Zirkussen, Herr Kollege Goldmann.
Die Käfigkleingruppenhaltung von Legehennen muss
endlich beendet werden. Ich könnte die Liste fortführen.
Wir haben eine große Palette an Themen aufgegriffen.

Heute geht es daher auch um unseren Antrag zum
Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden. Sie wissen
doch, dass seit 2009 von der EU klar vorgegeben ist,
eine entsprechende eindeutige Kennzeichnung mit Chips
vorzunehmen.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Das ist falsch!)


Ein Brandzeichen – Herr Stier, da hilft alles Lamentieren
und Leugnen nichts – ist eine Verbrennung dritten Gra-
des.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein! Das stimmt nicht!)


Dies ist eine überflüssige Schikane von Tieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn Sie sich schon auf die klare Ansage von Exper-
ten berufen, Herr Stier, empfehle ich Ihnen dringend,
zum Beispiel die Bücher von Fred Rai, einem anerkann-
ten Experten, zu lesen. Er schreibt klipp und klar – ich
zitiere ihn kurz –: Pferde kennen als Fluchttiere keinen
Schmerzschrei – das sollten Sie wissen –, doch sie spü-
ren den Schmerz genauso wie Menschen; auch das soll-
ten Sie wissen. Ein Schenkelbrand diene einzig der Wer-
bung für Pferdezüchter und werde völlig verharmlost.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Der Schmerz durch den Chip ist größer!)


Wenn Sie schon dem Experten nicht glauben, dann
glauben Sie doch Ihrer eigenen Expertin. Ich darf Frau
Aigner, Ihre Ministerin, zitieren:

Da seit Jahren das elektronische Chippen zur Kenn-
zeichnung von Pferden vorgeschrieben ist, ist die
bisherige Ausnahmeregelung für Brandzeichen hin-
fällig.

Nehmen Sie das einfach zur Kenntnis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf auch aus einer Stellungnahme der Bundes-
regierung zitieren:

Die Bundesregierung unterstützt die Anliegen des
Bundesrates, den Schenkelbrand bei Pferden aus
Gründen des Tierschutzes zu verbieten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718815000

Kollege Heinz Paula, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Dieter Stier?


Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1718815100

Aber liebend gerne, Herr Kollege.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718815200

Sogar liebend gerne. – Bitte.


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1718815300

Lieber Herr Kollege Paula, vielen Dank. – Ich wollte

Sie fragen, wie Sie die Sachlage beurteilen, dass Gutach-
ter von beiden Seiten auch den Chip als schmerzhafte
Methode bewerten und dass bisher nicht sachgerecht ge-
klärt ist, welche von beiden Methoden die schmerzhaf-
tere ist. Wie bewerten Sie diese Sachlage?






(A) (C)



(D)(B)



Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1718815400

Herr Kollege, Sie haben schlicht und ergreifend die

falsche Datenlage. Ich kenne auch die Gutachten, die im-
mer wieder mit eingebracht werden, zum Beispiel von
Herrn Schatzmann oder von Herrn Professor Steinkraus.
Sie müssen sich einmal die Formulierungen in den Gut-
achten genau anschauen. Lassen Sie sich die einmal auf
der Zunge zergehen: „… die … Resultate … divergie-
rend beurteilt werden können“. Was heißt denn das?
Wollen Sie sich auf solch eine Untersuchung stützen?


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Sind Ihre besser?)


Es schlägt allerdings dem Fass den Boden aus, wenn ein
anerkannter Dermatologe wie Herr Professor Steinkraus
zu folgender Formulierung kommt – die muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen –:

Die untersuchte Haut zeigte in den heißbrandbehan-
delten Regionen keine nennenswerten Veränderun-
gen.

Verbrennungen dritten Grades bezeichnet ein Professor
in einem Gutachten als „keine nennenswerten Verände-
rungen“.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Aussage eines Wissenschaftlers!)


Entschuldigung, das können Sie beruhigt vergessen. So
kommen Sie an dieser Stelle keinen Schritt weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kolleginnen und Kollegen, es ist spannend, wie hier
ein Redner der CDU ans Rednerpult tritt und der eigenen
Ministerin im Grunde genommen eine solch schallende
Ohrfeige verpasst, dass man für die weiteren Diskussio-
nen über das Thema Schenkelbrand wirklich Schlimms-
tes befürchten muss.

Es ist spannend, zu beobachten, dass das Kabinett
noch zentrale Fragen hat, zum Beispiel zum Schenkel-
brand.


(Abg. Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Unser Chefdiplomat Westerwelle befasste sich in einer
Kabinettssitzung mit diesem Thema.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Wann hat er das gemacht?)


Wie man hört, befasst sich auch Frau von der Leyen da-
mit.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718815500

Herr Kollege Paula, es gibt den Wunsch nach einer

weiteren Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen oder
nicht?


Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1718815600

Können wir uns darauf einigen, dass ich jetzt mit mei-

ner Rede fortfahre? Denn ich glaube, durch Zwischen-

fragen gewinnen wir keine neuen Erkenntnisse. Man
wird eigentlich nur aufgehalten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718815700

Frau Kollegin, Sie haben es wahrgenommen


Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1718815800

Meine Sorge ist, dass sich die Ewiggestrigen in Ihrer

Regierungskoalition schlicht und ergreifend durchset-
zen werden, dass auf der einen Seite die Ministerin treu-
herzig für den Tierschutz eintreten und auf der anderen
Seite die Koalitionsmehrheit den Forderungen der Pfer-
dezüchter Folge leisten wird.

Um das Ganze zu entlarven, möchte ich ganz kurz aus
einer Fraktionssitzung – im Spiegel nachzulesen – zitie-
ren. Der Kollege Max Straubinger, CSU, bringt es auf
den Punkt – Zitat –:

Wie eine Politikerin aus Oberbayern ein Jahr vor
entscheidenden Wahlen eine solch belastende Re-
gelung auf den Weg bringen kann, ist mir schleier-
haft.

Es geht also um Wahlkampf und nicht um Tierschutz.
Das ist – ganz im Vertrauen – erbärmlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE] – Dieter Stier [CDU/CSU]: Genau das ist es! – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Ganz genau! Da haben Sie recht!)


Es ist schade, dass Frau Ministerin Aigner – wie im-
mer, wenn es um Fragen des Tierschutzes geht – nicht
anwesend ist.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie anwesend ist, hat sie keine Meinung! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sitzt sie nur hier!)


Das ist wirklich sehr bedauerlich. Denn es wäre für sie
sehr interessant, einmal mitzubekommen, wie ihre ei-
gene Koalition ihre Initiativen behandelt. Es wäre auch
sehr spannend, einmal von ihr zu hören, was sie unter-
nimmt – außer ankündigen und verzögern. Ankündigen
und verzögern, das scheint die Art von Politik zu sein,
mit der sie sich bis zum Wahltermin 2013 über die Zeit
retten zu können glaubt.

Kolleginnen und Kollegen, ich hatte anfangs kurz an-
gesprochen, dass die E-Mail-Aktion sehr interessante
Ergebnisse gebracht hat, auch inhaltlich. Bei aller Unter-
schiedlichkeit, was die Beurteilung der einzelnen Maß-
nahmen angeht, wurde eines deutlich: die Bitte an uns
Abgeordnete, uns ernsthaft mit den Fragen, die sich im
Zusammenhang mit dem Tierschutz stellen, zu befassen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann machen wir das doch mal! – Dieter Stier [CDU/ CSU]: Das machen wir doch!)






Heinz Paula


(A) (C)



(D)(B)


In jeder Antwort kam die an uns gerichtete Hoffnung
zum Ausdruck, parteiübergreifend zu Lösungen zu kom-
men.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber nicht so, wie Sie das machen, Herr Paula!)


Wenn ich mir vor Augen halte, was mein Vorredner ge-
sagt hat, befürchte ich allerdings, dass die Bürgerinnen
und Bürger darauf noch sehr lange werden warten müs-
sen und dass es noch sehr lange dauern wird, bis die Kol-
legen von der Regierungskoalition den Auftrag des
Grundgesetzes – ich erinnere Sie an Art. 20, in dem es
heißt, dass der Staat die Tiere schützt – endlich ernst
nehmen.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Das machen wir jetzt schon!)


Es ist Zeit, dass Sie endlich handeln.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718815900

Jetzt hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer zu einer Kurzin-

tervention das Wort.


Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1718816000

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Paula,

ich bin Pferdebesitzerin und Züchterin. Ich habe Sie so
verstanden, dass Sie mir unterstellen, ich würde mich
nicht an die Regelungen des Tierschutzes halten bzw. sie
nicht beachten. Des Weiteren hatte ich das Gefühl, Sie
würden mir als Züchterin und Pferdebesitzerin unterstel-
len, ich sei eine Tierquälerin. Ich möchte mich ausdrück-
lich und in aller Form dagegen verwahren. Das tue ich,
wie ich annehme, wahrscheinlich im Namen aller Pfer-
debesitzer und aller Pferdezüchter. Ich möchte Sie bitten,
bei Ihren Formulierungen etwas vorsichtiger zu sein,
wenn Sie über diese Themen, von denen Sie offensicht-
lich keine Ahnung haben, reden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Wie primitiv! Unterste Schublade! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Da wäre ich vorsichtig bei Heinz!)


Wie, bitte, Herr Kollege Paula, unterscheiden wir
Pferdebesitzer und Züchter uns von denen, die einem
Pferd einen Chip einsetzen, wodurch es zu Verletzungen
und Entzündungen kommen kann, im schlimmsten Fall
sogar dazu, dass der Chip bis in die Knochen wandert


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten sich mit den Hühnerbaronen zusammentun! Das passt sehr gut! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie setzen Ihrem Pferd doch einen Chip ein und kennzeichnen es durch Schenkelbrand! Sie machen doch beides!)


und dadurch nachhaltigen Schaden anrichtet?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja hier wie bei den Eierbaronen!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718816100

Das Wort zur Antwort hat Kollege Heinz Paula.


Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1718816200

Herr Präsident! Ich darf feststellen: Es war wirklich

sehr sinnvoll, die Frage vorhin nicht zuzulassen; denn im
Grunde genommen kam außer Vorhaltungen, die uns zu
keinem Ergebnis führen, nichts Substanzielles. Sie ha-
ben nur die ganze Palette an Vorurteilen vorgetragen, mit
der interessierte Verbände zurzeit schlicht und ergreifend
versuchen, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu
streuen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Sie wissen, in welchen Ländern der Chip bereits ein-
gesetzt wird, nämlich europaweit, und Sie müssen zur
Kenntnis nehmen: Eine Reihe von Ländern hat die
Brandmarkung schon verboten. Darüber hinaus wissen
Sie, dass es keine fundierten Gutachten gibt,


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Das behaupten Sie!)


die die Horrorszenarien – wandernde Chips, Nichtles-
barkeit, Manipulierbarkeit etc. – bestätigen.


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Aber selbstverständlich!)


Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass selbst Ihre
eigenen Verbände – die der Traber und die der Galopper –
seit 1994 bzw. 2003 freiwillig chippen. Seit 2009 sind
über 150 000 Pferde gechippt worden, und siehe da: All
die Horrorszenarien in Bezug auf den Chip, die Sie und
Ihre Verbände immer wiederholen, sind in keinster
Weise eingetreten.

Eindeutig klar ist allerdings, dass eine Verbrennung
dritten Grades eine erhebliche Verletzung für die Pferde
ist. Ich glaube, das werden nicht einmal Sie leugnen kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie haben die Frage nicht verstanden!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718816300

Der nächste Redner ist der Kollege Hans-Michael

Goldmann. Sie sprechen für die Fraktion der FDP. Bitte
schön, Kollege Hans-Michael Goldmann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1718816400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe mich auf die heutige Debatte gefreut,
weil ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir uns
nach Möglichkeit fraktionsübergreifend, vielleicht sogar





Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)


gesellschaftsübergreifend, intensiv mit diesem Thema
beschäftigen.

Liebe Undine Kurth, Sie haben es vorhin angespro-
chen: Vor zehn Jahren waren wir uns ziemlich einig.
Man kann nicht sagen, dass wir danach nichts erreicht
haben, aber man kann sicherlich sagen, dass wir noch
mehr erreichen können.


(Heinz Paula [SPD]: Müssen!)


Man muss aber auch sagen: Das können wir nur gemein-
sam erreichen.

Es macht keinen Sinn, hier im Deutschen Bundestag
aufgrund von parlamentarischen Mehrheiten irgendwel-
che Weichenstellungen vorzunehmen; denn erstens müs-
sen sie sowieso immer mit den Vorstellungen der Länder
im Einklang stehen, und zweitens verändern sich die
politischen Mehrheitsverhältnisse manchmal. Ich glaube
also, das wäre schädlich für die Gesamtentwicklung im
Tierschutz zum Wohle des Tieres.

Jetzt bringen wir die Novellierung des Tierschutzge-
setzes auf den Weg. Dazu wurde die Bundesregierung
durch die europäische Ebene gedrängt. Ursache dafür
waren in erster Linie Tierversuche. Ich finde es richtig,
dass an dieses Gesetz einige zentrale Bausteine ange-
hängt werden, die natürlich noch ausgestaltet werden
müssen; das sollte man der Fairness halber sagen.

Die Charaktere der beiden Gesetzentwürfe – der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung und der der Grünen –
unterscheiden sich sehr deutlich. Lassen Sie uns aber
erst einmal die Gemeinsamkeiten feststellen.

Ein Jahr früher, als von europäischer Ebene vorgege-
ben, steigen wir aus der betäubungslosen Kastration aus.
Vielleicht geschieht das etwas später als bei dem einen
oder anderen in der Tierproduktion Tätigen, der schon
jetzt ausgestiegen ist, aber ich glaube, das muss man ein-
mal herausstellen. Bis 2017 haben wir dieses Thema be-
endet, und ich nehme an, darüber freuen sich 20 Millio-
nen Ferkel.


(Beifall bei der FDP)


Daneben haben wir uns mit den Wildtieren beschäf-
tigt. Auch Sie beschäftigen sich in Ihrem Gesetzentwurf
damit. Sie wollen eine Positivliste; ich halte nicht viel
von einer Positivliste. Ich glaube, es ist richtiger, eine
Ausschlussliste zu erstellen und das Halten von Tieren in
Zirkussen daran zu orientieren, wie die Bedingungen im
jeweiligen Zirkus wirklich sind.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir bereden!)


Hier gibt es sehr große Unterschiede und sehr unter-
schiedliche fachliche Kompetenzen. Ich glaube, es ist
wichtig, dass man sich an der fachlichen Schiene orien-
tiert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir tun etwas gegen streunende Katzen. Wir müssen
allerdings gewaltig aufpassen, dass wir die Katzenhalter,
deren Katzen auch aus dem Haus herausdürfen, nicht ge-
gen uns aufbringen. Ich glaube aber, dass wir vernünftig

damit umgehen. Es sind sich alle darüber im Klaren,
dass streunende Katzen ein Problem sind und dass wir
sie nicht nur kastrieren sollten, sondern auch dafür sor-
gen sollten, dass sie danach vernünftig untergebracht
sind. Das ist eine große Herausforderung.


(Beifall bei der FDP – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, dann müssen Sie den Kommunen helfen!)


– Ja, mal langsam. Wir haben das in der letzten Woche
im Rat behandelt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie noch größere Probleme?)


Ich weiß nicht, was die Stadt Augsburg bis jetzt getan
hat, um diesem Problem zu begegnen.

Und dann kommen Begriffe, die wir auffüllen müs-
sen; da sind wir uns einig. Natürlich müssen wir die
Tierwohlbedingungen verbessern. In diesem Bereich
sind wir uns doch völlig einig. Das müssen wir fachlich
abarbeiten. Wir müssen uns insbesondere mit dem Qual-
zuchtverbot beschäftigen. Auch da sind wir uns einig.
Dabei sollten wir uns aber daran orientieren, was ernst-
zunehmende Leute interessenorientiert sagen. Ich zitiere
die DAFA, die Deutsche Agrarforschungsallianz: Wis-
senschaftler, Wirtschaft und kritische Gruppen müssen
gleich bei der Konzeption mit eingebunden sein, um zu
gemeinsamen Lösungen zu kommen.


(Beifall bei der FDP)


Das ist der springende Punkt. Ich bin völlig Ihrer Mei-
nung, wenn Sie sagen, es gibt in diesen Bereichen an ei-
nigen Stellen Fehlentwicklungen, die wir korrigieren
müssen. Diese Korrekturen werden dazu führen, dass die
gesellschaftliche Akzeptanz für qualifizierte Haltungs-
formen insgesamt verbessert wird.

Nun möchte ich auf den Gesetzentwurf eingehen. Ich
finde ihn prima und habe ihn sehr gern gelesen, aller-
dings – das muss ich zugeben – nicht gleich verstanden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Denn in dem Einstieg zu diesem Bereich wird der Be-
griff „Konkordanz“ genannt. Dieser Begriff wird von Ih-
nen sehr juristisch aufgearbeitet. Ich finde den Begriff
hoch spannend. Er ist allerdings – ich sage es in Anfüh-
rungsstrichen – nicht ganz ungefährlich. Ich bin dafür,
dass wir zwischen der Tierschutzverpflichtung – über-
haupt keine Frage – und dem Nutzungsrecht abwägen.
Bezüglich der Ausführung, die Sie meiner Meinung
nach an sehr vielen Stellen in Ihrem Gesetzentwurf zum
Ausdruck bringen, müssen Sie sich schon den Vorwurf
gefallen lassen, Sie wollten eigentlich keine Ernährung
mehr aus tierischer Produktion.

Schauen wir uns einmal an, was Sie da machen. Sie
machen das Ganze – vielleicht darf man in diesem Zu-
sammenhang den Schweinebegriff verwenden – sau-
teuer. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein. Wenn Sie
jedem Tier eine Liegefläche, eine Futterfläche, eine Kot-
fläche und eine Freilauffläche anbieten wollen, dann hat





Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)


das Investitionskosten zur Folge, die nicht von schlech-
ten Eltern sind. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Betriebe doch längst! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht es jetzt im Grundgesetz oder nicht?)


Und da tun sich die Betriebe, die im Moment mit diesen
Bedingungen Schwierigkeiten haben, schwerer als die
Großen, die in diesem Markt sind. Frau Künast, das ist
so etwas mit den Geflügelbaronen, die Sie eben genannt
haben. Das Problem ist, dass die Geflügelbarone mit ih-
rer Geflügelproduktion Wertschöpfungen erzielen, die
letztlich Möglichkeiten schaffen, tiergerechte Bedingun-
gen sehr schnell nachzuvollziehen – wie es zum Beispiel
bei der Käfighaltung erfolgt ist. In diesen Betrieben sind
die Fortschritte am größten und die Fortschritte für die
Tierhalter am besten.

Sie begleiten das Ganze auch mit einem erheblichen
personellen Aufwand. Ich bin dafür, dass das eine oder
andere passiert. Das ist überhaupt keine Frage. Aber dass
man jedem Tun in diesem Bereich jemanden mit einer
besonderen Haltung zum Tierschutz an die Seite stellt,
halte ich schon für sehr problematisch. Als Liberaler will
ich Ihnen auch sagen, dass ich dies für einen falschen
Ansatz halte. Nicht Tierschützer müssen dafür sorgen,
dass Tiere tiergerecht gehalten werden, sondern die Hal-
ter müssen dafür sorgen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen müssen wir die Halter qualifizieren und die
Bedingungen für die Halter verbessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können es ganz
gelassen sehen. Wir sind uns doch im Ausschuss einig.
Wir werden zu diesem Thema im Oktober eine Anhö-
rung durchführen. Da werden beide Gesetzentwürfe, der
der Bundesregierung und der der Grünen, auf dem Prüf-
stand stehen. Dafür werden wir uns genügend Zeit neh-
men. Bis jetzt sind dafür drei Stunden vorgesehen. Wenn
vonseiten der Grünen der Antrag gestellt wird, die An-
hörung auf sechs Stunden oder mehr auszudehnen, habe
ich überhaupt nichts dagegen. Lassen Sie uns dieses
Thema sauber abarbeiten zum Wohle der Tiere, aber
auch mit Blick auf die Sicherung einer klugen Agrarpro-
duktion in Deutschland und in Europa.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718816500

Vielen Dank, Kollege Hans-Michael Goldmann. –

Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak-
tion der Linken unser Kollege Alexander Süßmair. Bitte
schön, Kollege Alexander Süßmair.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718816600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach län-

gerer Zeit haben wir endlich wieder das Thema Tier-

schutz auf der Tagesordnung des Deutschen Bundesta-
ges. Darüber freue auch ich mich. Im Mittelpunkt stehen
hier der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur
Neuregelung des Tierschutzgesetzes, des Weiteren der
Antrag der SPD zum Verbot des Schenkelbrands bei
Pferden sowie ein Antrag von meiner Fraktion zur zeitli-
chen Begrenzung von Tiertransporten.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Die Redezeit ist gleich schon abgelaufen!)


Die Linke beantragt eine Begrenzung von Tiertrans-
porten auf maximal vier Stunden. Wir wissen, dass dafür
ein dezentrales Netz von Schlachthöfen erforderlich ist.
Das ist auch richtig;


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dieter Stier [CDU/CSU]: Sie waren doch früher immer für zentral!)


denn so bleibt die Wertschöpfung vor Ort. Zudem wird
durch die Reduzierung des Verkehrs die Umwelt ge-
schont. Wenn Sie also den Tieren und der regionalen
Wirtschaft helfen möchten und auch noch etwas für die
Umwelt tun wollen, dann stimmen Sie einfach dem An-
trag der Linken zu.


(Beifall bei der LINKEN)


Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novel-
lierung des Tierschutzgesetzes werden wir heute leider
nicht beraten; das haben wir schon gehört. Wie so oft hat
Frau Bundesministerin Aigner auch bei diesem Thema
gesagt, dass dringend Handlungsbedarf besteht, und an-
gekündigt, dass sie einen Gesetzentwurf mit deutlichen
Verbesserungen im Tierschutz vorlegen will. Das Ganze
ist schon mehr als ein Jahr her. Jetzt erfahren wir, dass
der Gesetzentwurf der schwarz-gelben Regierung erst im
Herbst dieses Jahres im Plenum eingebracht werden soll.
Der Grund für diese Verschiebung hat sich hier teilweise
schon abgezeichnet: ein Streit innerhalb der CDU/CSU
über Themen, zu denen die überwältigende Mehrheit der
Bevölkerung eine eindeutige und klare Meinung hat,
nämlich dass wir endlich ein Verbot von Wildtieren im
Zirkus brauchen und dass der Schenkelbrand bei Pferden
verboten werden muss. Das sieht die Linke genauso.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heinz Paula [SPD])


Deshalb werden wir dem Antrag der SPD zum Thema
Schenkelbrand zustimmen. Die Debatte war sehr aussa-
gekräftig und hat gezeigt, welche Ansichten hier beste-
hen, von denen wir einige nicht nachvollziehen können.

Allerdings glaube ich, dass sich die Koalition mit die-
ser Debatte um die wahren Probleme herumdrücken
will; denn Tierschutzthema Nummer eins ist zurzeit die
Situation bei der Intensivtierhaltung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehören die Qualzucht, das Beschneiden von
Schnäbeln, Schwänzen und Hörnern, die Käfighaltung
bei Geflügel, das Schreddern von Küken in der Legehen-
nenzucht, die betäubungslose Kastration von Ferkeln.





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)


All das und noch vieles mehr sollten wir hier engagiert
diskutieren. Wir von der Opposition werden Ihnen nicht
durchgehen lassen, dass Sie sich davor drücken.

In diesem Jahr begehen wir ein Jubiläum – das ist
schon gesagt worden –: zehn Jahre Tierschutz als Staats-
ziel. Was hat sich seitdem getan? Leider ist das Tier-
schutzrecht das alte geblieben; das muss sich dringend
ändern.

In dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen
steht sehr viel Richtiges. Ich begrüße es, Kollegin Kurth,
dass Sie diesen Entwurf vorlegen. Allerdings sind wir
von der Linken der Meinung, dass wir primär nicht neue
und schärfere Normen brauchen, sondern die Normen
und Gesetze endlich umsetzen müssen. Natürlich gibt es
Bereiche, in denen wir Verschärfungen brauchen. Aber
was nützen uns gute Gesetze und Verordnungen, wenn
die Länder und Kommunen vor Ort kein Geld haben, um
das Personal einzustellen, das die Einhaltung der Nor-
men und Gesetze umsetzt? Das muss sich ändern, wenn
wir den Tieren konkret helfen wollen.


(Beifall bei der LINKEN – Dieter Stier [CDU/ CSU]: Das Geld fällt aber nicht vom Himmel!)


Einen Widerspruch im Bereich Tierschutz löst leider
auch der Gesetzentwurf der Grünen nicht auf. Ich meine
§ 90 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Darin steht, dass
Tiere keine Sache sind, aber wie Sachen zu behandeln
sind. Das müssen wir dringend ändern.


(Beifall der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen im Tierschutzrecht endlich eine rechtliche
Position der Tiere als leidensfähige Wesen, zwischen ei-
ner Sache auf der einen Seite und den Menschen auf der
anderen Seite. Darum geht es. Sie können uns Linke ha-
ben, wenn wir endlich zu wirklichen Verbesserungen im
Tierschutz kommen.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Wollen wir nicht!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718816700

Vielen Dank, Kollege Alexander Süßmair. – Letzter

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Josef Rief. Bitte schön, Kol-
lege Rief.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1718816800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ich halte es schon für ein starkes Stück, dass Sie
uns mit einem rund 100 Seiten umfassenden Entwurf ei-
nes Tierschutzgesetzes beschäftigen, obwohl Sie genau
wissen – das haben meine Vorredner schon gesagt –,
dass die Bundesregierung an einer Novellierung des Ge-
setzes arbeitet.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ankündigungspolitik!)


Ich glaube, dass Sie an der geplanten Anhörung ein sehr
geringes Interesse haben, obwohl gerade Sie eine grö-
ßere Einbindung der Verbände fordern.

Ich hoffe nicht, dass wir jetzt, wie vergangenen
Freitag, jeden Freitag von der Opposition mehr Theater
als Politik erwarten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Heinz Paula [SPD]: Dafür seid ihr zuständig! Das ist euer Theater! – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr macht es ja am Wochenende!)


Die Auseinandersetzung über den Tierschutz muss auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und darf nicht
ausschließlich einem hocherregten Teil der Bevölkerung
folgen, welcher Nutztiere meist aus dem Fernsehen
kennt. Aus Umfragen wissen wir: Die überwältigende
Mehrheit der Landwirte geht mit ihren Tieren ordentlich
um. Es kommt eben auf den Landwirt an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die permanent scharf geführte Debatte über Tier-
schutz verunglimpft einen ganzen Berufsstand. Ich bin
davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung die
heutige Nutztierhaltung mit ihren hohen Tierschutzvor-
gaben richtig findet.


(Heinz Paula [SPD]: 80 Prozent sind anderer Meinung!)


Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölke-
rung den Tierhaltern vertraut. Zudem sind wir hier im in-
ternationalen Vergleich spitze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben ist ja nicht verboten! – Zuruf von der SPD: Da wäre ich mir nicht so sicher!)


Eine weitere Erhöhung der Tierschutzstandards ist nicht
kostenlos zu haben. Auch das muss klar sein. Wo sind
denn Ihre glaubwürdigen Ausgleichsmaßnahmen für die
Tierhalter? Höhere Standards im deutschen Alleingang
gefährden unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit Ar-
beitsplätze auch im vor- und nachgelagerten Bereich. Sie
führen – auch das ist schon gesagt worden – analog zur
Legehennenhaltung zur Abwanderung der Produktion in
die Nachbarländer.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Quatsch! So funktioniert Markt eben nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wettbewerbsvorteile!)


Ihre Vorschläge sind letzten Endes ein Programm zum
Höfesterben hierzulande, ohne dass die Tiere irgendei-
nen Vorteil davon haben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht jetzt aber echt an der Realität vorbei!)






Josef Rief


(A) (C)



(D)(B)


Sie wissen genau, dass die Legebatterien, die in
Deutschland abgebaut wurden, jetzt im Ausland stehen.
Das kann doch nicht unsere Politik sein.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Dann muss man doch auch verbieten, dass die Eier, die daher stammen, bei uns verarbeitet werden!)


Die deutschen Landwirte setzen sich gerade mit ihrer
Zukunftsstrategie Tierhaltung dafür ein, dass das Wohl-
befinden des einzelnen Tiers im Vordergrund steht, und
das ist gut so.

Der Antrag der Linken zu Tiertransporten zeigt völ-
lige Praxisferne.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nö!)


Die Behauptung, Transporte seien für die Tiere generell
eine Tortur, trifft schlichtweg nicht zu.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sicher! Das ist eine Belastung für die Tiere!)


Ich habe als Landwirt seit 30 Jahren mit dem Verladen
von Tieren zu tun. Ich weiß bei diesem Bereich, wovon
ich spreche. Glauben Sie ernsthaft, dass Transportunter-
nehmen, Bauern und die beteiligten Behörden täglich
Transporte und Fahrzeuge zulassen würden, bei denen
Tiere, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, Hunger, Durst,
Luftmangel und Schmerzen erleiden? Diese Vorwürfe
mögen öffentlichkeitswirksam sein. Sie haben aber mit
der Realität in Deutschland nichts zu tun.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Schauen Sie in Ihren eigenen Tierschutzbericht! Da sind die Verstöße drin, Herr Kollege Rief!)


– Negativbeispiele sind nicht repräsentativ, sehr geehrter
Herr Kollege.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718816900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen diese

Debatte jetzt noch zu einem ordentlichen Ende.


Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1718817000

Die Regel ist – daran kann auch noch so viel Remmi-

demmi, wie man im Schwäbischen sagen würde, nichts
ändern –, dass sich Landwirte, Transportunternehmen
und Fahrer in Deutschland korrekt verhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch die geforderte Begrenzung der Transportzeit auf
vier Stunden ist nicht sachgerecht. Bis ein Fahrzeug, ge-
rade wenn bei kleinen Betrieben mehrere Höfe angefah-
ren werden müssen, aufgeladen hat, vergehen oft mehr
als zwei Stunden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!)


Dies würde dazu führen, dass nur wenige Schlachtstätten
mit dem Fahrzeug erreicht werden könnten. Auf diese
Weise würden wir über die Begrenzung der Transport-

zeit eine Monopolisierung der Schlachtstätten geradezu
erzwingen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718817100

Herr Kollege, ich sehe, Sie haben noch zwei Blätter

vor sich. Das scheint mir doch ein bisschen zu viel zu
sein.


Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1718817200

Sehr geehrter Herr Präsident, ich bin sehr oft unter-

brochen worden.


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718817300

Aber wir werden die Zeitvorgabe einhalten. Sie kom-

men jetzt bitte schön zum Schluss.


Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1718817400

Jawohl. – Meine Damen und Herren, die Anträge der

Opposition sind nicht praxisgerecht, dienen vorrangig
der öffentlichkeitswirksamen Profilierung und sind ein-
seitig gegen die Tierhalter und die Fuhrunternehmen ge-
richtet. Wir lehnen sie daher ab.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1718817500

Es geht doch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.

Gemeinsam haben wir die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 17/9783 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vereinbart. Sind Sie
damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 49 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel
„Tierschutzgesetz ändern – Kennzeichnung von Pferden
tierschutzgerecht ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5563,
den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4850
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! –
Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? –
Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Tagesordnungspunkt 49 c. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Tiertransporte verringern – Tierschutz verbessern“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8028, den Antrag der Fraktion Die Linke





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


auf Drucksache 17/6913 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen
Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Enthaltungen? –
Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche nun
die Sitzung für Fraktionssitzungen bis voraussichtlich
17 Uhr. Der Wiederbeginn wird rechtzeitig durch das be-
rühmte Klingelsignal bekannt gegeben.

Die Sitzung ist unterbrochen.


(Unterbrechung von 15.12 bis 17.36 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718817600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Es
gibt noch einige freie Plätze.

Bevor ich den vereinbarten Zusatzpunkt 10 sowie den
Tagesordnungspunkt 50 a bis g aufrufe, hat die Kollegin
Dr. Enkelmann das Wort für einen Geschäftsordnungs-
antrag. Bitte schön.


(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Koppelin!)



Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718817700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Fraktion Die Linke beantragt die Absetzung
des Tagesordnungspunkts 50 von der heutigen Tagesord-
nung.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe um Ihre
Zustimmung. Wir entscheiden heute über nicht weniger
und nicht mehr als über die Zukunft Europas.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die wollen Sie absetzen!)


Hier sollen heute dauerhafte Eingriffe in die demokrati-
sche Haushaltshoheit der Länder beschlossen werden.
Dauerhaft soll die Kompetenz von Parlamenten und Re-
gierung beschnitten werden. Diese Eingriffe bedeuten
massive Kürzungen im Sozialbereich, Kürzungen bei
Renten, Löhnen, Sozialleistungen. Die Staaten werden
künftig immer weniger Einfluss auf die Ausgestaltung
des Sozialstaats haben. Das ist für die Linke nicht zu
akzeptieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem heutigen
Verfahren werden die parlamentarischen Rechte mit Fü-
ßen getreten. Was ist in der letzten Nacht in Brüssel pas-
siert? Die Kanzlerin hat einer Gipfelerklärung zuge-
stimmt. Diese Gipfelerklärung kündigt an: Der hier noch
nicht einmal beschlossene Vertrag wird gravierend geän-
dert. Dabei soll unter anderem die Öffnung für eine Ban-
kenunion erfolgen und damit eine direkte Finanzierung
der Banken ermöglicht werden. Das ist Arroganz der
Macht. Ich kann es nicht anders nennen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich wiederhole für Sie alle: Das Parlament hat diesem
Vertrag in diesem Moment noch nicht zugestimmt; wir
haben ihn noch nicht beschlossen. Wir wissen bereits
jetzt – wir alle haben diese Gipfelerklärung in der
Hand –: Dieser Vertrag wird bald Makulatur sein.

Noch einmal: Es geht um die Zukunft Europas. Wir
alle wollen in diesem Parlament verantwortungsbewusst
entscheiden.


(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


So, wie es jetzt hier vorgesehen ist, so, wie diese Ent-
scheidung jetzt hier durchgezockt werden soll, ist es
nicht hinnehmbar. So ist eine verantwortungsbewusste
Entscheidung nicht möglich. Das ist eine Verarschung –
Entschuldigung, Herr Präsident! – des Parlaments.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist mit der Linken nicht zu machen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mit uns auch nicht zu machen!)


Wir stellen deswegen den Antrag auf Absetzung des
Tagesordnungspunkts von der Tagesordnung.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Primitiv! Peinlich! Unparlamentarisch!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718817800

Frau Kollegin, ich nehme Ihre Entschuldigung zu

Protokoll. – Ich erteile zur Erwiderung dem Kollegen
Michael Grosse-Brömer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1718817900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Europa wartet auf ein Zeichen aus Deutsch-
land, und es wäre ein falsches Signal, wenn Europa es
heute nicht bekäme.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf das dankenswerterweise auch für die anderen
Fraktionen sagen. Denn Ihre Begründung gibt gar nicht
Anlass, mehr als einmal darauf zu antworten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im Prinzip war Ihre Rede nichts anderes als ein vor-
gezogener Wortbeitrag für die Debatte.


(Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] hält ein Schriftstück hoch – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Haben Sie das nicht gelesen? Nehmen Sie das nicht zur Kenntnis?)






Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)


Ich habe nicht einen Grund gehört, warum denn eine
Verschiebung notwendig sein soll.


(Zuruf von der LINKEN: Zuhören!)


Ich kann Ihnen auch erzählen, warum Sie da keine Argu-
mente haben. Es haben zahlreiche Verhandlungen statt-
gefunden, noch heute eine Sondersitzung des Haushalts-
ausschusses. Bei den Verhandlungen, an denen ich
teilgenommen habe, hat sich die Linke nie zu Wort ge-
meldet.


(Zuruf von der LINKEN: Was?)


An mangelnder Information kann es im Prinzip auch
nicht liegen, weil Sie jedenfalls in der Lage sind, sehr
frühzeitig festzustellen, dass Sie gegen all das sowieso
klagen wollen. Infolgedessen müssen Sie ausreichend
informiert sein.

Es besteht kein Grund, diese Debatte, dieses wichtige
Zeichen aus Berlin in Richtung Europa, zu verschieben.


(Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] hält ein Schriftstück hoch – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das haben wir erst heute bekommen! Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!)


Deswegen bitte ich darum, diesen Antrag abzulehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718818000

Ich lasse über den Antrag der Fraktion Die Linke auf

Absetzung dieses Tagesordnungspunkts abstimmen. Wer
dem Antrag zustimmen möchte, bitte ich um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe nun Zusatzpunkt 10 sowie Tagesordnungs-
punkt 50 auf:

ZP 10 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zur Schaffung einer Stabilitätsunion

50 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
2. März 2012 über Stabilität, Koordinie-
rung und Steuerung in der Wirtschafts- und
Währungsunion

– Drucksache 17/9046 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012
über Stabilität, Koordinierung und Steue-
rung in der Wirtschafts- und Währungs-
union

– Drucksache 17/9667 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)


– Drucksachen 17/10125, 17/10171 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich,
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Ratifizierung des Fiskalvertrags ablehnen –
Ursachenorientierte Politik zur Krisenbewälti-
gung einleiten

– Drucksachen 17/9147, 17/10125, 17/10171 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


c) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro-
päischen Stabilitätsmechanismus

– Drucksache 17/9045 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar
2012 zur Einrichtung des Europäischen Sta-
bilitätsmechanismus

– Drucksachen 17/9370, 17/9670 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Be-
teiligung am Europäischen Stabilitätsme-

(ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)


– Drucksache 17/9048 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am

(ESMFinanzierungsgesetz – ESMFinG)


– Drucksachen 17/9371, 17/9670 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesschuldenwesengesetzes

– Drucksache 17/9049 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Gesetzes zur Änderung des Bundesschul-
denwesengesetzes

– Drucksachen 17/9372, 17/9671 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)


– Drucksachen 17/10126, 17/10172 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Beschlussfassung

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Europäischen Stabilitätsmechanismus ableh-
nen, europäisches Investitionsprogramm auf-
legen

– Drucksachen 17/9146, 17/10126, 17/10172 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


e) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss
des Europäischen Rates vom 25. März 2011
zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen
Union hinsichtlich eines Stabilitätsmecha-
nismus für die Mitgliedstaaten, deren Wäh-
rung der Euro ist

– Drucksache 17/9047 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Beschluss des Europäi-
schen Rates vom 25. März 2011 zur Ände-
rung des Artikels 136 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union hin-
sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für
die Mitgliedstaaten, deren Währung der
Euro ist

– Drucksachen 17/9373, 17/9670 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (21. Ausschuss)


– Drucksache 17/10159 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Kudla

Michael Roth (Heringen)

Joachim Spatz
Dr. Diether Dehm
Manuel Sarrazin

Beschlussfassung

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm,
Andrej Hunko, Thomas Nord, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Grundlegende Reformen der EU-Verträge um-
setzen – Änderung von Artikel 136 des Vertrags
zur Arbeitsweise der Europäischen Union ver-
hindern

– Drucksachen 17/9148, 17/10159 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Kudla
Michael Roth (Heringen)

Joachim Spatz
Dr. Diether Dehm
Manuel Sarrazin

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann,
Alexander Ulrich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Soziale Errungenschaften in der Europäischen
Union verteidigen und ausbauen

– Drucksachen 17/9410, 17/9791 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Josip Juratovic

Wir werden später, nach der Aussprache, über vier Ge-
setzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und FDP na-
mentlich abstimmen: erstens über den Entwurf eines Ge-
setzes zu dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und
Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, zwei-
tens über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag zur
Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus,
drittens über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen
Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus,
viertens über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Be-
schluss des Europäischen Rates zur Änderung des Arti-
kels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-
schen Union. Dazu liegen mehrere Änderungs- und
Entschließungsanträge vor, über die wir teilweise na-
mentlich abstimmen werden.

Die Debatte, die wir im Anschluss an die Regierungs-
erklärung führen werden, findet vor einer gespannten
deutschen, aber auch europäischen Öffentlichkeit statt.
Deswegen will ich, auch um Missverständnisse zu ver-
meiden, darauf aufmerksam machen: Wir werden nach
der Regierungserklärung natürlich auch über das debat-
tieren, was gestern und heute in Brüssel stattgefunden
hat. Aber nichts von dem, was da gestern besprochen
wurde, steht hier heute zur Entscheidung an. Entschie-





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


den wird heute über die gerade von mir vorgetragenen
Gesetzentwürfe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen im Hause,
was völlig normal und in Ordnung ist.

Ich will deswegen ausdrücklich darauf hinweisen: Es
hat in den vergangenen Wochen intensive, teilweise lei-
denschaftliche Auseinandersetzungen gegeben, in den
Ausschüssen, in den Fraktionen. Alle diejenigen, die
sich an dieser Debatte beteiligt haben, haben, zu wel-
chem Schluss sie auch immer gekommen sein mögen,
meinen vollen Respekt. Ich wünsche mir sehr, dass er in
dieser Debatte auch zum Ausdruck kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. Darf
ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist der
Fall.

Dann hat nun das Wort zur Abgabe einer Regierungs-
erklärung die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1718818100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Heute liegt dem Deutschen
Bundestag und dem Bundesrat ein Gesetzespaket zur
Schaffung einer Stabilitätsunion in Europa zur Abstim-
mung vor. Zu ihm gehören der Fiskalvertrag, der dauer-
hafte Krisenbewältigungsmechanismus ESM sowie, wie
schon genannt, mehrere Begleitgesetze. Die Verabschie-
dung dieses umfangreichen Gesetzespakets wäre noch
vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Doch so un-
denkbar es war, so notwendig ist es gleichzeitig; denn
wenn die europäische Staatsschuldenkrise eines gezeigt
hat, dann, dass die unverantwortliche Haushaltspolitik
eines Euro-Staats die Finanzstabilität der gesamten
Euro-Zone als Ganzes gefährden kann. Dem muss Ein-
halt geboten werden.

Dazu macht der Fiskalvertrag den im letzten Jahr mit
der Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts einge-
schlagenen Weg unumkehrbar. Mit ihm verabschieden
wir heute einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.
Er macht klare und ehrgeizige Vorgaben für nationale
Schuldenregelungen, wie sie Deutschland bereits seit
2009 hat. Dass es ein völkerrechtlicher Vertrag ist und
kein Vertrag im Rahmen der EU-Verträge, liegt nicht an
diesem Parlament und nicht an der deutschen Bundesre-
gierung, sondern das liegt daran, dass im Wesentlichen
ein Land in der Europäischen Union nicht bereit war, ei-
ner Vertragsänderung zuzustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir hätten gerne die Möglichkeit eines Protokolls für die
Euro-Staaten genutzt. Deshalb sagen wir auch, dass die-
ser Fiskalvertrag so schnell wie möglich in EU-Recht
überführt werden soll, wann immer sich die Möglichkeit
dafür ergibt.

Was passiert mit dem Fiskalvertrag? Mit dem Fiskal-
vertrag binden sich nationale Regierungen und nationale
Parlamente in bislang noch nicht dagewesener Weise,
die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Stabilitäts-
union zu formen. Warum machen wir das? Wir machen
das aus der Erkenntnis, dass wir durch eine gemeinsame
Währung oder gemeinsam mit denen, die eines Tages
dieser Währung angehören wollen, verpflichtet sind,
nicht nur in der gemeinsamen Währung zu zahlen, son-
dern auch in bestimmten Politikbereichen uns aufeinan-
der verlassen zu können. Das ist das Wesen dieses Fis-
kalvertrags.

Die neuen europäischen Regeln sind wie die Schul-
denbremse im Grundgesetz sehr intelligent ausgestaltet
und eben gerade nicht blind für wirtschaftliche Entwick-
lungen. Der Fiskalvertrag – man kann das so sagen – be-
deutet einen wegweisenden Integrationsschritt innerhalb
der Wirtschafts- und Währungsunion.

Zusammen mit dem Fiskalvertrag liegt heute dem
Bundestag und dem Bundesrat auch der Vertrag zur Ein-
richtung des dauerhaften Krisenbewältigungsmechanis-
mus ESM zur Abstimmung vor. Er dient dazu, zukünf-
tige Gefahren für die Stabilität der Euro-Zone wirksam
abzuwehren. Nach dem Inkrafttreten beider werden Hil-
fen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nur
gewährt werden, wenn die Ratifikation erfolgt und spä-
ter dann auch die Umsetzung des Fiskalvertrags durch
das jeweilige Land erfüllt ist. Es gibt hier also eine recht-
liche Verknüpfung zwischen Solidität und Solidarität.
Auch das halte ich für ganz wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb bilden auch für die Bundesregierung und die sie
tragenden Parlamentsfraktionen diese beiden Verträge
eine inhaltliche Einheit. Sie gehören zusammen.

Wir haben über die Verträge und alle Begleitgesetze
intensive fraktionsübergreifende Gespräche in den letz-
ten Wochen geführt. Am letzten Wochenende haben wir
darüber hinaus in Gesprächen zwischen Bund und Län-
dern eine Einigung über Eckpunkte zur innerstaatlichen
Umsetzung des Fiskalvertrags erzielt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen
allen, den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, aber
auch auf der Bundesratsbank, danken für das konstruk-
tive, nicht immer ganz einfache – aber das gehört dazu –,
aber zum Schluss erfolgsorientierte und ergebnisorien-
tierte Miteinander in diesen Beratungen.

Heute sendet Deutschland mit der Verabschiedung
von Fiskal- und ESM-Vertrag in Bundestag und Bundes-
rat parteiübergreifend ein wichtiges Signal aus.


(Zuruf von der LINKEN: Ohne uns!)


Es ist ein Signal der Geschlossenheit und der Entschlos-
senheit, nach innen wie nach außen, ein Signal, die euro-
päische Staatsschuldenkrise zu überwinden, und zwar
nachhaltig, und ein Signal, dass für uns Europa unsere
Zukunft bedeutet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


Meine Damen und Herren, mit diesen Verträgen machen
wir unumkehrbare Schritte hin zu einer nachhaltigen
Stabilitätsunion.

Wir haben gleichzeitig gesagt: Solide Finanzen, das
ist eine Seite der Medaille. Aber es gehört noch etwas
dazu. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen,
brauchen wir mehr als nur solide Finanzen. Es hat sich
gezeigt, dass die Krise nur dann zu überwinden ist, wenn
wir nicht nur gemeinsame Haushaltspolitiken haben,
sondern wenn wir gleichermaßen daran arbeiten, in un-
serer Wettbewerbsfähigkeit vergleichbare Ergebnisse zu
erzielen.


(Zuruf von der SPD: Späte Erkenntnis!)


– Schauen Sie – wenn ich das einfach noch einmal sagen
darf –: Die Welt hat 7 Milliarden Einwohner. Alle möch-
ten in Wohlstand leben. Als Konrad Adenauer im Deut-
schen Bundestag gesprochen hat, gab es auf der Welt
2,5 Milliarden Einwohner. Wir Europäer waren 500 Mil-
lionen. Wir Europäer sind heute noch 500 Millionen.
Wir stellen inzwischen noch 8 bis 9 Prozent – genau:
8,7 Prozent – der Welteinwohnerschaft. Wir erarbeiten
25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt. Wir ha-
ben ungefähr 50 Prozent der Sozialleistungen auf der
Welt. Wenn wir für dieses Sozialmodell, für das wir alle
bzw. mehr oder weniger alle in verschiedenen Variationen
einstehen, wenn wir für die soziale Marktwirtschaft der
Zukunft kämpfen wollen, dann müssen wir sehen: Wir
werden ohne Wettbewerbsfähigkeit den Wohlstand unse-
res Landes und Europas nicht erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wettbewerbsfähigkeit ist kein Selbstzweck. Wettbe-
werbsfähigkeit sagt doch nichts anderes aus, als dass un-
sere Unternehmen in der Lage sind, auch außerhalb
Deutschlands ihre Waren zu verkaufen: Autos von VW
und anderen Automobilunternehmen, chemische Pro-
dukte und vieles andere mehr. Das bedeutet Wettbe-
werbsfähigkeit. Es ist uns sehr wichtig, aus Wettbe-
werbsfähigkeit Wachstum zu machen und aus Wachstum
Beschäftigung für die Menschen in unserem Land. Des-
halb ist es richtig, dass wir einen Pakt für Wachstum und
Beschäftigung geschmiedet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein solcher Pakt für Wachstum und Beschäftigung ist
gestern bzw. heute vom Europäischen Rat verabschiedet
worden, nicht nur in den klassischen Schlussfolgerun-
gen, sondern als Entscheidung, um unsere Bestimmtheit
deutlich zu machen, die darin genannten Ziele auch
wirklich umzusetzen.

Meine Damen und Herren, wir werden hierfür in etwa
1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen
Union in die Hand nehmen, nämlich 120 Milliarden
Euro: durch eine verbesserte Anwendung von Struktur-
fondsmitteln in Höhe von 55 Milliarden Euro, durch In-
vestitionen in Höhe von 60 Milliarden Euro, die wir
durch eine Aufstockung des Kapitals der Europäischen
Investitionsbank erreichen, und durch eine Pilotphase
und später erweiterte Anwendung von sogenannten Pro-

jektanleihen. Das kann man sich vorstellen wie Public
Private Partnerships.

Was wollen wir? Wir wollen mehr Arbeitsplätze
schaffen.


(Zurufe von der LINKEN)


– Gut, dass wir uns um die Arbeitsplätze kümmern,
meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Also, wir wollen mehr Arbeitsplätze schaffen. Wir haben
hier in ganz besonderer Weise auch die jungen Men-
schen im Fokus. Es ist nicht gelungen, das Ziel, das wir
unter den Fraktionen gern gehabt hätten, nämlich, inner-
halb von vier Monaten muss jeder Jugendliche ein Ange-
bot bekommen, in Europa zu verabschieden. Aber inner-
halb von mehreren Monaten muss ein solches Angebot
wirklich erfolgen. Die Kommission wird dies immer
wieder bei den einzelnen Ländern einklagen, im Übrigen
auch bei der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstums-
pakts in den länderspezifischen Empfehlungen, die ab
nun jedes Jahr verkündet werden.

Wir haben uns dann geeinigt, dass wir parteiübergrei-
fend für die Erhebung einer Finanztransaktionsteuer ein-
treten. Der Bundesfinanzminister hat alles ausgelotet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Ich war schon mit dem Finanzminister Steinbrück
gemeinsam auf G-20-Treffen, bei denen wir uns für die
Finanztransaktionsteuer eingesetzt haben.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihm ist es nicht gelungen, die Welt zu überzeugen. Mir
auch nicht. Daraus können Sie jetzt Ihre Schlüsse ziehen.
Wir haben immerhin neun Länder – der Bundesfinanz-
minister hat das geschafft – innerhalb der Europäischen
Union davon überzeugt. Wir konnten gestern festhalten,
dass im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit der
Gesetzgebungsprozess bis zum Ende des Jahres abge-
schlossen sein soll.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Angesichts dessen, was wir bei den Schwierigkeiten
der Banken beobachten und bei den vielen Menschen,
die keine Arbeit haben, sehen, ist es wichtig, dass wir
auch deutlich machen: Der Finanzsektor, der eine we-
sentliche Ursache unserer heutigen Situation ist, muss
einen Beitrag zur Überwindung dieser Krise leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses ist das Paket, über das wir heute befinden,
über das viele Wochen diskutiert und beraten wurde.
Nun hat gestern und heute ein Europäischer Rat stattge-
funden, und zwar in einer bestimmten Situation, in der
auf der einen Seite das Wachstumspaket verabschiedet





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


wurde, wir uns aber auf der anderen Seite mit der aktuel-
len Situation im Euro-Raum beschäftigt haben. Hier haben
wir die Situation, dass es einige Länder gibt, in denen
die Zinssätze sehr hoch sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Hohe Zinssätze sind nicht nur bei Staatsanleihen, das
heißt für die Staaten ein Problem, sondern hohe Zins-
sätze erschweren auch die Refinanzierung der jeweiligen
Unternehmen, kleinerer und mittlerer Unternehmen, in
dem Land.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ganz neue Erkenntnis!)


Deshalb war es wichtig, dass wir überlegt haben, in wel-
cher Weise wir darauf reagieren können.

Meine Damen und Herren, deshalb haben wir für Spa-
nien mit Blick auf die aktuelle Rekapitalisierung der
Banken eine Entscheidung getroffen, und zwar folgende:
Spanien stellt einen spezifischen Antrag bei der EFSF
für die Rekapitalisierung seiner Banken. Dazu wird ein
Memorandum of Understanding ausgehandelt, die Kon-
ditionalität sozusagen. Wenn der EFSM in Kraft ist,
dann wird dieser Antrag von der EFSF in den ESM über-
führt. Weil der ESM normalerweise den Preferred Credi-
tor Status hat, also eine höhere Bewertung sozusagen,
haben wir ausgemacht, dass die Bewertung der EFSF
nicht verändert wird und so in den ESM überführt wird.
Aber die Bewertung im ESM als solche, so wie wir ihn
heute verabschieden, bleibt unbeschadet davon weiter
die des Preferred Creditor Status.

Meine Damen und Herren, wir haben etwas Zweites
gemacht. Hierzu will ich etwas sagen, weil die Kommu-
nikation sehr uneinheitlich war, was zu sehr vielen Miss-
verständnissen geführt hat. Wir haben darüber gespro-
chen, wie wir Mitgliedstaaten der Euro-Zone helfen
können, wenn die Finanzstabilität durch die sehr hohen
Zinssätze in ihrem Land gefährdet sein könnte, aber
– glücklicherweise, sage ich – nicht eine Situation da ist,
in der das Land vollständig vom Markt genommen wer-
den muss.


(Zuruf von der LINKEN: Das Land?)


Dafür haben wir uns bereits in vergangenen Beschluss-
fassungen ein Instrumentarium erarbeitet. Es gibt Vor-
sorgeprogramme. Es gibt die Rekapitalisierung von Ban-
ken, wie sie jetzt von Spanien beantragt wird. Es gibt
Interventionen auf den Sekundärmärkten. Es gibt Inter-
ventionen im Primärmarkt. All diese Instrumente sind
immer mit einer Konditionalität verbunden. Das ist deut-
lich zu unterschieden von Vollprogrammen.

Jetzt haben wir gestern über die Konditionalität im
Zusammenhang mit Interventionen im Primär- oder Se-
kundärmarkt gesprochen. Da muss natürlich wieder ein
Memorandum of Understanding ausgehandelt werden.
Wir haben gesagt: Angesichts der Tatsache, dass wir seit
diesem Jahr im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstums-
paktes durch die Kommission für jedes Land Länder-
empfehlungen haben und den Ländern gesagt wird – im
Übrigen auch Deutschland –, was sie zu tun haben, um

ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen, sollen
diese Länderempfehlungen die Grundlage für das Me-
morandum of Understanding sein – ich empfehle, einmal
zu lesen, was zum Beispiel in den Länderempfehlungen
für Spanien und Italien steht; das sind harte Auflagen –
und mit einem Zeitplan versehen werden. Dann wird na-
türlich, wie bei jedem Memorandum of Understanding,
die Erfüllung dieser Auflagen überwacht.

Damit auch da kein Zweifel erzeugt wird – das ist ja
durch die Kommunikation heute leider geschehen –, ha-
ben wir in den Ratsschlussfolgerungen heute noch ein-
mal ganz deutlich gemacht: Jede Anwendung der EFSF
und des ESM erfolgt entsprechend der Guidelines, der
Richtlinien, die wir im Zusammenhang mit der EFSF
– und in Zukunft dann auch mit dem ESM – verabschie-
det haben. Ich weiß noch, dass viel Wert darauf gelegt
wurde, dass diese Richtlinien vorliegen, weil in ihnen
sehr detailliert geregelt wird, wer sich um welche Frage
im Zusammenhang mit der Erfüllung eines Memoran-
dum of Understanding kümmert. Ich glaube, das ist ein
guter Beschluss, ein vernünftiger Beschluss.

Dann haben wir etwas Weiteres gemacht – das habe
ich in einer meiner beiden letzten Regierungserklärun-
gen, vielleicht auch in beiden, gesagt –: eine unabhän-
gige Bankenaufsicht. Angesichts der Bankenkrise in
Spanien haben wir nämlich erkannt, dass durch die EBA,
die für die ganze Europäische Union 2009 entwickelte
neue Bankenaufsicht, nicht alle Probleme gelöst sind.
Deshalb haben wir gesagt: Im Euro-Raum brauchen wir
eine solche unabhängige Bankenaufsicht. Art. 127 des
EU-Vertrags sieht ja nun vor, dass die Kommission einen
Vorschlag machen und die EZB mit bestimmten Aufga-
ben betrauen kann. In 17 Ländern gibt es den Euro, in 15
davon erfolgt die Überwachung durch die jeweilige No-
tenbank. Insofern ist es in sich schlüssig, dass die Euro-
päische Zentralbank auch Überwachungsfunktionen
übernehmen kann. Ich kann das auch sehr gut begrün-
den, weil die Europäische Zentralbank als die Bank, die
den Banken überall Geld und Liquidität zur Verfügung
stellt, natürlich ein immanentes Interesse daran hat, dass
diese Banken in Ordnung sind, weil ansonsten die Euro-
päische Zentralbank selber in Probleme geriete.

Diese Euro-weite Bankenaufsicht soll durch einen
Vorschlag der Kommission, durch einstimmige Be-
schlussfassung im Rat und natürlich anschließende Um-
setzung in den nationalen Staaten mit Parlamentsbe-
schlüssen geschaffen werden. Das passiert nicht in
einem Tag und auch nicht in zwei Wochen, sondern das
ist ein längerer Prozess. Ein Vorschlag dazu soll bis
Ende des Jahres vorliegen.

Wenn diese Aufsicht geschaffen ist, dann haben wir
eine europäische Institution im Euro-Raum, die in der
Lage ist, Kontrolle auszuüben, und gleichzeitig auch be-
fugt sein muss, Auflagen zu erteilen.


(Zuruf von der LINKEN: Aha!)


Damit ändern sich die Voraussetzungen für die Frage:
Wie können wir mit Banken im Euro-Raum umgehen?

Deshalb wird in dem Beschluss dargelegt, dass in Zu-
kunft – das geht, wie gesagt, in mehreren Monaten oder





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


vielleicht in einem Jahr – erkundet werden soll, ob auch
eine direkte Kapitalisierung von Banken aus dem ESM
nach Ausarbeitung eines Memorandum of Understan-
ding durch die Europäische Zentralbank und nach An-
trag des entsprechenden Landes erfolgen kann.


(Zurufe von der LINKEN)


Jetzt gibt es eine breite Diskussion: Will man das,
oder will man das nicht? Unsere schwedischen Kollegen
zum Beispiel sagen: Wenn es um Restrukturierung von
Banken geht, dann kann es für einen Staat sehr sinnvoll
sein, selbst auch eine direkte Kapitalisierung zu machen.
Wir haben davon Abstand genommen, weil wir bis jetzt
keine europäische Kontrollbehörde hatten. Wenn wir
aber einmal eine europäische Kontrollbehörde haben,
stellt sich diese Frage anderweitig.

Dies sind die Beschlüsse, die wir für die Maßnahmen
in kurzer bzw. mittlerer Frist gefasst haben. Die betref-
fen in keiner Weise die heute zu bestätigende Beschluss-
fassung.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Jeder der Schritte, die zusätzlich entwickelt werden müs-
sen, bedarf einer erneuten Befassung des Deutschen
Bundestages und ist völlig getrennt davon zu verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, dass wir damit unser Instrumentarium erwei-
tert haben.

Als Letztes haben wir den Bericht der vier Präsiden-
ten diskutiert, auf den ich schon am Mittwoch eingegan-
gen bin. Wir haben erwartungsgemäß darüber eine leb-
hafte Diskussion mit sehr unterschiedlichen Positionen
geführt, die ich heute nicht wiederholen will. Wir haben
eine Arbeitsmethode verabredet – so wie ich Ihnen das
versprochen habe –, nämlich die Einbeziehung der Mit-
gliedstaaten und keine weitere Arbeit auf der Ebene der
Präsidenten allein. Wir haben schließlich einen Zeitplan
vereinbart: einen Bericht im Oktober und einen weiteren
Bericht im Dezember. Diese Gruppe ist notwendig, weil
mit der Verabschiedung eines Fiskalvertrages und auch
des Europäischen Stabilitätsmechanismus allein die
Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht vollendet
ist. Das sind wichtige Schritte, aber es müssen noch
mehr folgen.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Wir brauchen eine Sozialunion!)


Wie die aussehen kann, wie Kontrolle und Haftung im-
mer wieder in Balance gebracht werden können, das
muss weiterhin diskutiert werden.

In diesem Sinne sage ich: Was wir heute beschließen,
ist ein wichtiger Schritt, um der Welt deutlich zu ma-
chen: Wir stehen zum Euro. Wir wollen ihn als unsere
stabile Währung. Wir glauben, dass wir mit ihm besser
wirtschaften können, besser in Wohlstand leben können.
Deshalb werbe ich um Ihrer aller Zustimmung.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718818200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-

nächst dem Kollegen Sigmar Gabriel für die SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1718818300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Damit es
gleich am Anfang klar ist: Wir finden die Wachstumsbe-
schlüsse des EU-Gipfels richtig. Wir freuen uns darüber,
dass neben Wachstumsprogrammen endlich die Finanz-
transaktionsteuer auf den Weg gebracht worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir erinnern uns, wie die Verhandlungen gestartet sind:
Nichts von dem, was wir jetzt erreicht haben – Wachs-
tumsinitiativen und die Besteuerung der Finanzmärkte –,
wäre ohne den Druck von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen möglich gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir erinnern uns noch, wie das losging: ausschließlich
ein Fiskalpakt und der Zwang zum Sparen, keine Initia-
tiven für Wachstum und schon gar nicht die dringend
notwendige Beteiligung der Finanzmärkte an der Besei-
tigung des Desasters, das sie selber herbeigeführt haben.

Um auch das Thema Euro-Bonds gleich am Anfang
zu klären. Frau Bundeskanzlerin, Ihr Kollege Schäuble
hat recht, wenn er auf die Frage nach der Einführung von
Euro-Bonds in dieser Woche im Spiegel antwortet, dass
dazu erst eine echte Fiskalunion geschaffen werden und
es einen europäischen Finanzminister geben müsse.
Auch dem stimmen wir ausdrücklich zu.

Allerdings, Frau Bundeskanzlerin, gibt es zwischen
der Aussage des Kollegen Schäuble und den von Ihnen
gestellten Bedingungen an Euro-Bonds eine – sagen wir
mal – leichte Differenz. Herr Schäuble hält es laut
Spiegel-Interview für möglich, das innerhalb der kom-
menden fünf Jahre zu schaffen. Sie dagegen sollen ge-
sagt haben, Euro-Bonds gebe es nicht, solange Sie am
Leben sind. Ich hoffe doch, dass Ihnen Herr Schäuble
ebenso wie wir ein viel längeres Leben wünscht als nur
noch fünf Jahre.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mein Vorschlag ist: Lassen wir einmal diese Schein-
debatten über Euro-Bonds; denn in Wahrheit haben wir
sie ja bereits.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP)


– Bei der FDP ist es immer so: Sie hören nicht bis zum
Ende zu. – Mehr als 1 Billion Euro hat die Europäische





Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


Zentralbank parallel zu allen Rettungsschirmen still und
heimlich an direkter und indirekter Staatsfinanzierung
geleistet. Wer haftet dafür? Natürlich alle, auch wir hier
in Deutschland mit fast 400 Milliarden Euro. Das war
und ist von Ihnen auch so gewollt, Frau Bundeskanz-
lerin. Es gibt sie also längst, die vergemeinschafteten
Schulden, nur heimlich, Merkel-Bonds sozusagen, und
das, obwohl Sie, Frau Merkel, sich Gott sei Dank bester
Gesundheit erfreuen.


(Beifall bei der SPD)


Schlimm ist allerdings, dass das alles, anders als bei den
Euro-Bonds, die sich Herr Schäuble vorstellt, ganz ohne
Auflagen passiert. Deutschland haftet für diese verge-
meinschafteten Schulden mit fast 400 Milliarden Euro,
ohne dass wir irgendeine Kontrolle darüber hätten, was
die Länder, die davon profitieren, damit anfangen.

Deshalb ist auch ein weiterer Beschluss des Euro-
päischen Rates von gestern zumindest ein Fortschritt:
Sie lassen für Staaten der Euro-Zone eine Senkung des
Zinsdrucks über die europäischen Rettungsschirme für
die Fälle zu, in denen die betreffenden Staaten die euro-
päischen Auflagen für ihre wirtschaftliche Entwicklung
und Finanzlage einhalten, es also keinen Anlass für
überhöhte Zinsforderungen an den Kapitalmärkten gibt.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eben
mit etwas komplizierteren Worten genau diesen Tatbe-
stand zu erklären versucht.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Das ist mehr als SPD und Grüne in den Verhandlungen
mit der Bundesregierung Ihnen gegenüber durchsetzen
konnten. Es ist gut, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie
trotzdem diesem Kompromiss beim Europäischen Rat
zugestimmt haben. Das bremst den Druck auf die Aus-
gabe weiterer „Merkel-Bonds“ durch die EZB und lin-
dert den Zinsdruck auf die Euro-Staaten. Wir jedenfalls
werfen Ihnen das nicht vor; ganz im Gegenteil: Wir fin-
den es richtig, dass Sie sich an der Stelle bewegt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, seit Ihrem, wie
ich finde, erfolgreichen Einsatz im französischen Präsi-
dentschaftswahlkampf, seit dem Amtsantritt des neuen
sozialistischen Präsidenten Frankreichs, François
Hollande, hören wir von Ihnen, dass Schuldenabbau und
Wachstum zusammengehören. Bravo! Das sehen wir
auch so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings frage ich Sie: Warum, Frau Bundeskanzlerin,
haben Sie eigentlich fast drei Jahre lang nicht eine ein-
zige Wachstumsinitiative auf den Weg gebracht?


(Elke Ferner [SPD]: Ja, genau!)


Können Sie uns verraten, Frau Bundeskanzlerin, warum
Sie in den letzten Jahren Ihrer Kanzlerschaft


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bis 2030!)


– warten Sie einmal ab –, auf den 24 Gipfeln alles Mög-
liche beschlossen haben, nur eines nicht, nämlich
Wachstumsinitiativen für die europäischen Volkswirt-
schaften? Haben Sie dafür eigentlich irgendeine Erklä-
rung?


(Beifall bei der SPD)


Es kann nicht sein, dass wir für die Frage der Verschul-
dung harte Regeln haben und uns im Bereich der Wirt-
schafts-, Steuer- und Sozialpolitik mit unverbindlichen
Gesprächsrunden und so schillernden Begriffen wie „of-
fene Koordinierung“ begnügen müssen.

Frau Bundeskanzlerin, Ihr Fraktionsvorsitzender – er
sitzt hier vor uns – fasste Ihre Politik in der EU in der
Vergangenheit mit der ihm eigenen vornehmen Zurück-
haltung in dem Satz zusammen: „In Europa wird jetzt
deutsch gesprochen“. Das ist wohl seine Freundlichkeit
gegenüber den Nachbarn. Schauen wir uns einmal an,
was das Ergebnis Ihres bisherigen Deutschunterrichts in
Europa ist:

Das wirtschaftliche Wachstum ist in den letzten drei
Jahren in Europa dramatisch eingebrochen.

Die Schulden, die Sie angeblich senken wollten, sind
in den letzten drei Jahren in Europa um 1 100 Milliar-
den Euro gestiegen.

Und die Jugendarbeitslosigkeit ist in den letzten drei
Jahren in Europa so stark angestiegen, dass davon jetzt
fast ein Viertel aller Jugendlichen betroffen ist. In man-
chen Ländern ist die Hälfte aller jungen Menschen ar-
beitslos.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Und was ist hier? – Jörg van Essen [FDP]: Nur nicht in Deutschland!)


Das ist das Ergebnis, wenn man im Sinne von Herrn
Kauder deutsch spricht.


(Beifall bei der SPD)


Europa ist dabei, eine verlorene Generation zu produzie-
ren. Das ist die gleiche Generation, die Europa weiter-
bauen soll. Das ist die vielleicht schlimmste Bilanz all
dessen, was Sie in den letzten zwei bis drei Jahren ange-
richtet haben.

Frau Bundeskanzlerin, die Krise hat sich also in Eu-
ropa in den letzten drei Jahren unter Ihrer Führung
massiv vergrößert, und jetzt erreicht sie auch Deutsch-
land. So mussten Ford in Köln oder Johnson Controls in
Hannover Kurzarbeit anmelden, weil die Aufträge aus
Europa wegbrechen. Wissen Sie, Frau Bundeskanzlerin,
es ist wirklich Ihr gutes Recht, sich von Gipfel zu Gipfel
als Krisenmanagerin zu inszenieren,


(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Kein Neid!)


aber tun Sie uns einen Gefallen: Übernehmen Sie dann
auch die Verantwortung für diese verheerende Bilanz
Ihres Krisenmanagements in Europa.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


Das wäre ja nicht schlimm, wenn das nur unsere Auf-
fassung wäre.


(Zurufe von der LINKEN)


Ich lese Ihnen einmal etwas vor. Sogar die konservative
Welt schreibt Ihnen ins Stammbuch – ich zitiere –:

… so fördern Merkel und die Fiskalradikalen ein
Ende des Wachstums, indem sie auf ihrem Spardik-
tat bestehen …

Die Financial Times – auch nicht gerade ein Organ der
Sozialdemokratie – konstatiert Folgendes.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


– Doch. Mensch, da muss mir etwas entgangen sein.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


– Ja, es ist doch klar, dass Sie es nicht ertragen können,
dass Ihre Haus- und Hofjournalisten das schreiben, was
ich jetzt zitiere:

Zwei Jahre lang wurde in Merkel-Europa jede neue
Marktpanik damit zu beantworten versucht, dass es
noch einen Pakt gegen Staatsschulden gab, noch ein
hektisches Austeritätspaket …

Das Ergebnis war: steigende Arbeitslosigkeit, steigende
Staatsverschuldung und kein Weg raus aus der Krise,
sondern immer tiefer rein in die Krise. Das ist das Ergeb-
nis, das Sie zu verantworten haben.


(Beifall bei der SPD)


Nun, wo das europäische Haus an allen Ecken und
Enden brennt, suchen auch Sie nach Wachstumsinitiati-
ven. Ich bin froh darüber, dass Sie das tun. Ich hoffe nur,
dass die Wachstumsinitiativen nicht zu spät kommen.
Wir werden sehen, ob wir damit ausreichend Erfolg ha-
ben. Denn es hat viel zu lange gedauert, und das lag an
Ihrer Regierung; es war nämlich ganz anders, als Sie hier
eben behauptet haben. Sie haben gesagt: Ich war schon
einmal für die Finanzmarktbesteuerung, als ich noch mit
den Sozialdemokraten in der Großen Koalition war und
Peer Steinbrück Finanzminister war. Das stimmt, Frau
Bundeskanzlerin.


(Zuruf von der LINKEN: Hedgefonds!)


Dazwischen ist Ihnen aber etwas missglückt: Sie sind in
einer Koalition mit der FDP gelandet, und in der Zeit
waren Sie dagegen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])


Sie selbst, Frau Bundeskanzlerin, erteilten der Forde-
rung der Gewerkschaften nach einer Finanztransaktion-
steuer auf dem DGB-Kongress eine kühle Abfuhr. Noch
am 15. Mai erklärte Herr Brüderle – ich zitiere –:

Die Finanztransaktionsteuer sei … gescheitert …
„Das sollte die SPD nun auch endlich anerkennen.“


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Nein, Herr Kollege Brüderle, das haben wir nicht aner-
kannt, sondern wir haben zusammen mit Gewerkschaf-

ten, Grünen und vielen anderen dafür gekämpft, dass sie
endlich kommt. Jetzt wird sie kommen. Das ist auch
richtig so, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie, Herr Brüderle und andere, wollten aufgeben. Ei-
gentlich wollten Sie gar nicht, dass diese schreiende Un-
gerechtigkeit ein Ende hat, dass diejenigen, die an dieser
dramatischen Finanzkrise mitschuldig sind,


(Zurufe des Abg. Patrick Döring [FDP])


bis heute keinen Cent dazu beitragen müssen, die Krise
zu beenden. Damit ist jetzt Schluss. Deswegen ist es gut,
dass wir uns durchgesetzt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Bundeskanzlerin, wir wissen jedenfalls auch,
warum wir dem Europäischen Stabilitätsmechanismus
zustimmen.


(Patrick Döring [FDP]: Ach wirklich!)


Aber wissen Sie das eigentlich auch? Vielleicht sollte ich
es anders formulieren: Wissen Sie eigentlich, was Ihre
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der
FDP heute hier abstimmen, durchaus mit uns gemein-
sam? Ich lese Ihnen einmal den Änderungsantrag Ihrer
Fraktion vor, dem wir jedenfalls zustimmen. Dort steht:

Finanzhilfen zur Rekapitalisierung von Finanzinsti-
tuten … schließen Finanzhilfen an eine Einrichtung
zur Stabilisierung des Finanzsektors mit ein, wenn
… keine direkten Bankrisiken übernommen werden
und die Rückzahlung durch eine Garantie der Ver-
tragspartei gesichert ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Begründung von CDU/CSU und FDP zu dieser
Ergänzung heißt es: „Eine direkte Gewährung von Fi-
nanzhilfen an Finanzinstitute ist ausgeschlossen.“


(Otto Fricke [FDP]: Ja! – Zuruf von der CDU/ CSU: Genau so ist es!)


Das ist eine kluge Ergänzung, weil sie verhindert, dass
die Steuerzahler, auch die deutschen, für die Spekula-
tionsrisiken internationaler Banken in Anspruch genom-
men werden. Deshalb stimmen wir diesem Vorschlag
auch zu. Aber Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben gestern
in Brüssel einer Vereinbarung zugestimmt, die das
exakte Gegenteil beinhaltet.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Pfui!)


In der Gipfelerklärung heißt es – ich lese Ihnen das ein-
mal vor –:

Sobald … ein wirksamer einheitlicher Aufsichts-
mechanismus für Banken des Euro-Währungsge-
biets eingerichtet worden ist,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Worden ist!)


hätte der ESM … die Möglichkeiten, Banken direkt
zu rekapitalisieren.





Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


Das, Frau Bundeskanzlerin, ist das Gegenteil dessen,
was wir gleich beschließen werden.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU: Nein! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gabriel, noch einmal den Satzanfang!)


Nach der heutigen Gesetzeslage, also wenn wir es so be-
schließen, wie es in dem von Ihnen eingebrachten Ände-
rungsantrag steht, ist ein gemeinsamer Aufsichtsmecha-
nismus der Banken natürlich nicht ausreichend; denn
laut der von Ihnen formulierten Gesetzesänderung soll
eine Rekapitalisierung von Banken ohne Auflagen nicht
möglich sein. Das Gegenteil von dem hat Ihre Bundes-
kanzlerin in Europa verabredet.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Nein!)


Wenn Sie es trotzdem anders machen, dann müssen Sie
damit zurück in den Bundestag. Wir sind gespannt auf
das Votum Ihrer eigenen Fraktion dazu,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


wenn Sie das machen wollen – entgegen dem, was wir
heute hier beschließen.

Statt einer erneuten Übertragung von Haftungsrisiken
aus Banken auf die kleinen Leute braucht es eine europa-
weite Bankenabgabe für Großbanken, damit sie selbst
für ihre Risiken haften.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mindestens müssen die Staaten nationale Einlagensiche-
rungssysteme schaffen, damit wir in Europa ein Verfah-
ren zur geordneten Bankeninsolvenz bekommen.

Und: Wir brauchen ernsthaftere Schritte zur Regulie-
rung der Finanzmärkte als die, zu denen Sie bislang be-
reit sind, einschließlich der bilanziellen Trennung von
Investmentbanking und Geschäftsbanken. Sonst ma-
chen deren Akteure munter immer weiter und fordern
demokratische Politik jedes Mal erneut schamlos heraus.

Herr Brüderle hat am Mittwoch vor dem Schuldenso-
zialismus in Europa gewarnt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lieber Kollege Brüderle, diesen Schuldensozialismus
haben die Vorstandsetagen von Banken, Versicherungen
und Fondsmanagern in Europa eingeführt. Nicht wenige
von denen haben Ihr Parteibuch in der Tasche.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der FDP)


Es waren doch diese Taugenichtse, die bis heute Milliar-
den damit verdienen, dass sie mit fremder Leute Geld
riskante Geschäfte machen, Geschäfte, die wir in Europa
endlich verbieten müssen, meine Damen und Herren.


(Zurufe von der LINKEN)


Darum geht es in Zukunft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Es waren doch die Sozialdemokraten, die die Hedgefonds zu gelassen haben! – Dr. Michael Meister [CDU/ CSU]: Genau! Das waren doch die Sozis!)


Noch etwas, Frau Bundeskanzlerin. Kommen Sie in
Zukunft rechtzeitig. Ihre Art, Politik zu machen, hat uns
nun mehrfach vor veritable Verfassungsschwierigkeiten
gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Drei Monate haben Sie sich Zeit gelassen, bis Sie das
erste Mal mit uns über das geredet haben, was Sie in
Brüssel bereits unterschrieben hatten – drei Monate, in
denen wir in Ruhe hätten verhandeln können, um am
Ende dem Bundestag und dem Bundespräsidenten aus-
reichend Gelegenheit zur Beratung zu geben und zudem
das Bundesverfassungsgericht nicht unter Zeitdruck zu
setzen. Es ist Ihrem dilettantischen Regierungshandwerk
zu verdanken, dass es schon wieder zu diesem Konflikt
der Verfassungsorgane untereinander kommt. Dafür sind
Sie persönlich verantwortlich, Frau Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe, dass in meiner Fraktion einige Kolleginnen
und Kollegen sagen, dass sie sich, was immer wir hier
verhandelt haben, diese Art des Umgangs mit dem Ver-
fassungsorgan Bundestag nicht länger bieten lassen wol-
len.

Frau Bundeskanzlerin, steigende Schulden, steigende
Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, und erste
negative Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft –
das ist die Bilanz Ihrer letzten drei Jahre Europapolitik.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP: Ist das schwach! – Ach du meine Güte! – Wie schlecht!)


Nun machen Sie den Versuch einer Wende in letzter
Minute. Jetzt kommt es zu den Notoperationen mit ESM,
Ergänzung des Fiskalpakets um einen Wachstumspakt
und Besteuerung der Finanzmärkte. Freiwillig hätten Sie
das nie getan.

Ja, wir stimmen diesen Notoperationen zu. Nicht,
weil wir uns darüber freuen, recht behalten zu haben,
schon gar nicht, um Ihnen politisch aus der Patsche zu
helfen.

Wir stimmen zu, weil wir nicht wollen, dass die Spe-
kulationen an den Finanzmärkten immer mehr europäi-
sche Mitgliedstaaten erfassen und am Ende Europa vor
dem wirtschaftlichen und sozialen Ruin steht.

Wir stimmen zu, weil wir nicht wollen, dass ohne eu-
ropäische Solidarität am Ende auch die europäischen
Demokratien gefährdet werden.

Wenn ich mir Ihr europapolitisches Verhalten, Frau
Bundeskanzlerin, während der letzten Landtagswahlen
anschaue, dann sage ich auch: Wir stimmen zu, weil uns
Europa wichtiger ist als die parteipolitische Profilierung.
Auf diesen Unterschied legen wir Wert, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


Manches, ja vieles hätte früher passieren können,
wenn Sie vor den Wahlen nicht Angst gehabt hätten, den
Menschen die Wahrheit zu sagen.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Wohl wahr! – Elke Ferner [SPD]: Richtig!)


Scheitern wir in den kommenden Wochen und Monaten:
Die europäische Einigung würde dadurch um Jahrzehnte
zurückgeworfen, und eine lange Rezession mit millio-
nenfacher Arbeitslosigkeit wäre sicher unvermeidbar.
Noch unsere Enkelkinder würden uns für dieses Versa-
gen verfluchen. Das ist der Grund, warum wir Sozialde-
mokraten keine Verweigerungs- oder Blockadepolitik
betreiben. Wir wollen nicht, dass das verspielt wird, wo-
für so viele vor uns mit aller Energie gearbeitet, gestrit-
ten und manchmal auch gelitten haben. Wir wollen die-
sen Erfolg bei der Rettung Europas auch dann, wenn er
am Ende sogar Ihrer Regierung etwas mehr als der Op-
position zugutekommt. Das verstehen wir unter verant-
wortlichem politischen Handeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr seid einfach super! Ganz toll! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ganz toll!)


Frau Bundeskanzlerin, das beginnt übrigens damit,
dummen Argumenten offensiv entgegenzutreten, statt
sie einfach stehen zu lassen. Das gilt zum Beispiel für
das dumme Wort Transferunion. Frau Bundeskanzlerin,
es ist eben falsch, Deutschland permanent nur als Last-
esel der Europäischen Union hinzustellen. Wir sind
keine Nettozahler der EU, sondern Nettogewinner. Seit
der Währungsunion hat unser Land 575 Milliarden Euro
mehr verdient, als wir als öffentliche Finanzmittel be-
reitgestellt haben. Wir sind Nettogewinner der Europäi-
schen Union. Das muss man laut und deutlich und öf-
fentlich sagen, statt Ressentiments zu schüren, wie das
Ihre Mitglieder ständig tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir jetzt für europäische Rettungsschirme mit
bürgen, dann geben wir nur einen Teil dessen zurück,
was wir selbst an der europäischen Einigung verdient ha-
ben. Wir tun das auch im ureigenen Interesse Deutsch-
lands; denn niemand in Deutschland zahlt nur für an-
dere. Wir zahlen immer auch für uns selbst, wenn wir in
Europa investieren.

Meine Damen und Herren, Europa ist an einem Schei-
deweg. Entweder wir verzichten auf eine gemeinsame
Währung in der heutigen Art, damit sich die Schwäche-
ren wenigstens durch Abwertung ihrer Währungen wie-
der zur Wettbewerbsfähigkeit verhelfen können, oder
wir sind bereit, in die Annäherung der Lebensverhält-
nisse in Europa aktiv zu investieren. Wir sind für den
zweiten Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine gemeinsame Währung zu erhalten, während sich
die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede immer

mehr vergrößern, muss scheitern, Frau Bundeskanzlerin.
Die Wahrheit ist: Wir müssen in Europa investieren,
auch wenn der Weg lang und teuer wird; denn am Ende
ist er kürzer und preiswerter als das Auseinanderfallen
Europas. Noch unsere Urenkel würden den politischen
und wirtschaftlichen Preis für das Auseinanderfallen Eu-
ropas bezahlen; denn Europa ist die einzige Chance der
Menschen auf unserem Kontinent, sich in Zukunft noch
Stimme und Gehör in der Welt zu verschaffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich der Rhetorik sind wir uns einig, Frau
Bundeskanzlerin, aber die von Ihnen und auch von
Herrn Schäuble geforderte politische Union bleibt in-
haltsleer, solange man ihr nicht ein gemeinsames Ziel
gibt; und ohne Zustimmung in der Bevölkerung bleibt
sie auch, wenn man der politischen Union das Ziel ver-
weigert. Dieses Ziel muss die gemeinsame Interessen-
vertretung der europäischen Bürgerinnen und Bürger in
der Welt sein, dieses Ziel müssen aber auch vergleich-
bare und angenäherte Lebensbedingungen und eine Ein-
dämmung dieses ungeheuer gefährlichen Finanzkapi-
talismus auf unserem Kontinent sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für eine echte politische Union brauchen wir neue de-
mokratische Strukturen und auch die Übertragung von
nationalen Souveränitätsrechten an die europäische
Ebene. Manches davon kann man auch ohne eine Grund-
gesetzänderung machen, anderes wird Änderungen im
Grundgesetz erfordern, für die man sich durchaus auch
die Zustimmung unserer Bürger über Volksabstimmun-
gen holen sollte. Am Ende steht sicher auch eine Volks-
abstimmung über unsere Verfassung.

Kein demokratischer Politiker sollte Angst vor Volks-
abstimmungen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ja, natürlich können sie auch einmal Integrationsschritte
aufhalten, aber am Ende ist doch nichts gefährlicher, als
Europa weiter nur zu einem Elitenprojekt zu machen, bei
dem sich die Menschen in Deutschland und der Welt
ausgeschlossen fühlen. Das muss auf diesem Kontinent
ein Ende haben. Dafür streiten wir.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir kämpfen in Europa um die europäische Idee von
Freiheit und Verantwortung. Das ist unsere Antwort auf
die Globalisierung. Weder die absolute Freiheit der
Märkte und die absolute Individualisierung Amerikas ist
unser Weg, noch der Staatskapitalismus in Ländern wie
China mit seiner ungebremsten Ausbeutung von Mensch
und Natur. Freiheit und Solidarität, die Fähigkeit, aus
seinem eigenen Leben etwas zu machen und trotzdem
Verantwortung füreinander zu übernehmen: Das ist das
Besondere an der europäischen Idee. Wir werden diese
Idee nur gemeinsam verteidigen und der Welt anbieten
können. Alleine gehen wir unter – auch wir Deutschen.





Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


Diese Begründung müssen wir neu in den Mittelpunkt
unserer europäischen Politik stellen. Es wird Zeit, aus
dem Elitenprojekt EU wieder ein gemeinsames Projekt
der Menschen in Europa zu machen, mit dem wir die
Bürgerinnen und Bürger wieder für Europa begeistern
können. Deswegen fordere ich Sie auf, ernsthaft den
Prozess zur Erarbeitung einer neuen europäischen
Grundordnung einzuleiten, die am Ende dem deutschen
Volk zur Abstimmung vorgelegt wird.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind
jedenfalls dazu bereit, für ein Europa als politische und
soziale Union einzutreten, in dem die Menschen und die
Interessen der Europäerinnen und Europäer im Mittel-
punkt stehen. Das sind wir Europa als einzigartigem
Kontinent von Aufklärung, Fortschritt und Emanzipa-
tion schuldig. Das ist der Weg, den wir gehen wollen.
Wir hoffen, dass Sie uns folgen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718818400

Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Brüderle für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1718818500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir be-

wältigen dieser Tage eine der außergewöhnlichsten Plenar-
wochen in der Geschichte unserer Republik. In dieser
besonderen Situation muss man einen kühlen Kopf be-
wahren. Deshalb ist es schon verwunderlich, Herr Kol-
lege Gabriel, dass Sie auf die sehr sachliche Regierungs-
erklärung der Bundeskanzlerin auf Wahlkampfniveau
geantwortet haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich will nur einige wenige Bemerkungen voraus-
schicken. Wer hat denn das meiste Wachstum in Europa
ausgelöst? Wer ist die Wachstumslokomotive der euro-
päischen Entwicklung?


(Johannes Kahrs [SPD]: Rot-Grün!)


Deutschland – wegen einer richtigen Politik, die betrie-
ben wurde, und des Fleißes der Menschen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


50 Prozent unserer Exportumsätze gehen in Form von
Aufträgen und Zulieferungen an die europäischen Nach-
barländer. Ohne den deutschen Exporterfolg hätten viele
europäische Partner keine Beschäftigung, keine Arbeits-
plätze. Das ist die Relation.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ja, die demokratischen Parteien mussten sich finden,
um eine Zweidrittelmehrheit zustande zu bringen. Das
ist auch immer eine Bewährungsprobe für das Parla-
ment. Da muss jeder ein Stück geben. Wir haben mitge-
tragen, dass man eine Finanzmarktbesteuerung einführt.

Aber die Redlichkeit erfordert, zu sagen: Wenn Sie den
Finanzsektor wirklich beteiligen wollen, dann dürfen Sie
nicht den Weg einer Umsatzsteuer gehen. In der Einfüh-
rung in die Finanzwissenschaft werden Umsatzsteuern
dahin gehend definiert, dass die Kunden diese tragen
und nicht die Produzenten – Seite 2 der Einführung in
die Finanzwissenschaft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Letzte Vorbemerkung. Wer hat denn in Deutschland
in der Regierung dereguliert, Derivate zugelassen,
Hedgefonds eingeführt? Es war die rot-grüne Regierung.
Den Drachen füttern und dann Siegfried spielen wollen,
das ist zu billig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


In dem Miteinander hat sich gezeigt, dass wir im Ge-
gensatz zu Ihnen – Sie wollen alles der Finanzmarktbe-
steuerung unterwerfen – darauf achten, dass Kleinsparer,
Riester-Sparer nicht zusätzlich belastet werden. Das ist
etwas anderes. Einer muss sich ja noch um die Riester-
Sparer in Deutschland kümmern, wenn Sie es nicht mehr
tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch verlogen! Sie haben doch die Merkel-Bonds!)


Meine Damen und Herren, mit dem Fiskalpakt und
dem ESM betreten wir europapolitisches Neuland. Wir
betreten auch verfassungsrechtliches Neuland. Wir än-
dern keinen Grundgesetzartikel, aber wir ändern die in-
nere Verfasstheit unserer Republik. Manche sprechen
von einer stillen Verfassungsänderung. Unsere Republik
erfährt eine neue Prägung, eine Prägung, die europäi-
scher ist. Auch das Haushaltsrecht wird davon berührt
werden. Aber wir verpfänden die Kronjuwelen des Par-
laments, die Haushaltsautonomie, nicht leichtfertig. Wir
wollen einen europäischen Kronschatz daraus machen,
und zwar aus Überzeugung. Europa selbst ist kostbar,
sehr kostbar sogar. Deutschland hat nur eine Zukunft in
einem starken Europa, Europa hat nur eine Zukunft mit
einem starken Deutschland. Beides gehört zusammen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die heute nicht zu-
stimmen wollen, nicht zustimmen können. Man kann
hier zu anderen Schlüssen kommen. Ich respektiere ihr
Verhalten. Aber ich sage auch klar und deutlich: Die
große Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die zustim-
men wollen, haben genauso respektable Gründe für ihr
Abstimmungsverhalten hier im Hause.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Auch sie haben lange gerungen und viele Gespräche ge-
führt. Sie wollen Schaden vom deutschen Volk abwen-
den. Sie sind davon überzeugt: Der eingeschlagene Weg
ist der richtige. Nicht nur der Bundestag, sondern alle
Verfassungsorgane sind sich ihrer Verantwortung be-
wusst. Von Deutschland muss ein Signal der Handlungs-
fähigkeit ausgehen. Das erwarten unsere Freunde und





Rainer Brüderle


(A) (C)



(D)(B)


Partner in Europa. Das erwarten unsere Partner in der
Welt.

Es ist richtig, dass wir den ESM und den Fiskalpakt
parallel auf den Weg bringen. Sie sind Zwillingsschwes-
tern der Stabilitätsunion. Wir bauen eine neue Sta-
bilitätsarchitektur in Europa. Es wird nationale Schul-
denbremsen geben, quasiautomatische Sanktionen,
Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen Gerichts-
hof. Das alles hat entscheidend diese Bundesregierung
durchgesetzt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird eben keine Euro-Bonds geben, was verfas-
sungsrechtlich – das wissen Sie – gar nicht geht. Es wird
keine Altschuldentilgung geben, dass wir also die Schul-
den von Europa über die 60-Prozent-Grenze hinaus – das
sind über 2 000 Milliarden Euro – übernehmen, dass
quasi der Handwerksmeister mit seinen Steuerzahlungen
für die Altschulden in Griechenland und Italien auf-
kommt. Das kann nicht richtig sein. Das wird es nicht
geben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Sie machen doch genau das Gegenteil!)


Es kann auch keine Bankenunion geben, die Herr
Gabriel gefordert hat, bei der sozusagen die Oma mit ih-
rem Sparkassenbuch in Deutschland für die Investment-
banker in Spanien haftet. Das würde bedeuten, die Struk-
turen auf den Kopf zu stellen. Es muss eine andere
Entwicklungsperspektive geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Aber Sie finden garantiert keine!)


Wir haben fast zehn Jahre lang in der Euro-Zone ein-
heitliche Zinssätze gehabt. Diese haben die Länder lei-
der nicht zur Konsolidierung ihrer Staatshaushalte und
zur Durchführung von Strukturreformen genutzt. Es
wäre deshalb absolut kontraproduktiv, ein einheitliches
Zinsniveau jetzt politisch einzuführen. Das würde zu
Fehlanreizen führen. Das würde das Vertrauen in die
Euro-Zone nicht stärken. Der Bundesbankpräsident hat
dieser Tage zu Recht darauf hingewiesen.

Der ESM tritt an die Stelle der EFSF. Damit erhöht
sich die Schlagkraft. Wir wissen, dass Spanien und Zy-
pern Hilfe brauchen. Hierzu werden sicherlich in den
nächsten Wochen Sondersitzungen nötig sein. Das müs-
sen wir akzeptieren. Deshalb habe ich an meine Frak-
tionskollegen appelliert, in der Nähe zu bleiben. Das
werden sie sicherlich tun. Wir sind alle für eine stark
ausgebaute Parlamentsbeteiligung. Deshalb sind wir
24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche bereit,
zu beraten und zu entscheiden. Das kann ich für meine
Fraktion erklären.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Wichtig ist, dass ohne den Willen Deutschlands und
ohne den Willen des Bundestages keine Mittel fließen
können. Das setzt europaweite Maßstäbe. Deshalb ist die
strikte Konditionalität, mit der Zusammenhänge herge-
stellt werden, aber auch die Bereitschaft, Veränderungen
umzusetzen, zwingend. Der ESM darf kein Instrument
zur Finanzierung von Reformpausen sein.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach ja?)


Der ESM ist kein Instrument der Reformunwilligen,
sondern der Reformwilligen. Er ist auch kein Weichspül-
programm für Reformverweigerer. Wir brauchen stabiles
Geld. Es muss deshalb von Deutschland energisch dafür
gesorgt werden, dass unser Geld stabil bleibt. Das ist die
Geschäftsgrundlage unserer Demokratie.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn das Geld schlecht wird, wird alles schlecht. Zu
Beginn der unseligsten Zeit Deutschlands standen Infla-
tion und Währungsreform, und am Ende standen wieder
Währungsreform und Inflation. Eine Partei der Freiheit
kämpft gegen die Enteignung von Sparern und Kleinan-
legern und für stabiles Geld. Deshalb müssen wir auch
europaweit klare Mechanismen durchsetzen. Das sind
wir den Menschen in unserem Land schuldig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Währung ist Ausdruck dessen, was ein Volk war,
ist und sein will. – Das hat Schumpeter einst gesagt. Die
Deutsche Mark war Symbol für Wiederaufstieg und Sta-
bilität in Deutschland. Der Euro ist Symbol für Frieden
und Wohlstand in Europa. Deshalb muss er auf Solidität,
Solidarität, aber auch auf Stabilität gebaut werden. Da-
rum geht es heute, und darum sollten wir uns seriös
kümmern. Den Wahlkampf führen wir anschließend.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718818600

Sahra Wagenknecht ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718818700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Milliarden von Steuergeldern sind verpufft. Der-
jenige, der Verantwortung trug, erwies sich als Ma-
rionette. Als Puppenspieler agierte ausgerechnet die
Sorte Manager, die zuletzt Besserung gelobte: ein
Investmentbanker.

Was das Handelsblatt über die Verstaatlichung des
Energieversorgers EnBW geschrieben hat, gilt leider
auch für die Europapolitik dieser Bundesregierung: Sie
handeln wie Marionetten. Die Puppenspieler sind die
Banker, und heraus kommen Verträge, mit denen die
Bürgerinnen und Bürger über den Tisch gezogen wer-
den, um die Vermögen der Reichsten zu retten und das
Spielkasino Finanzmarkt am Laufen zu halten. Es ist





Sahra Wagenknecht


(A) (C)



(D)(B)


schon bezeichnend, dass auf die gestrigen Gipfel-
beschlüsse mit einem Kursfeuerwerk der Aktienmärkte
reagiert wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Europa – ich darf das in Erinnerung rufen – sollte ein-
mal ein Projekt des Friedens, der Demokratie und der
Sozialstaatlichkeit sein, eine Lehre aus Jahrhunderten
brutaler Kriege und eine bewusste Alternative zu jenem
rüden Kapitalismus, der die Weltwirtschaftskrise und
blutige faschistische Diktaturen heraufbeschworen hatte.


(Zuruf von der FDP: Die Kommunisten nicht zu vergessen!)


Europa muss, seinem Erbe getreu, einen neuen Hu-
manismus verkörpern, als Hort der Menschenwürde
und der sozialen Gerechtigkeit.

Das hat Richard von Weizsäcker einmal gesagt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das heutige Europa, das Sie jetzt mit dem zweiten rie-
sigen Bankenrettungsschirm und dem Fiskalpakt besie-
geln wollen, ist das genaue Gegenteil davon. Dieses Eu-
ropa ist ein Projekt der Zerstörung von Demokratie und
sozialer Gerechtigkeit,


(Beifall bei der LINKEN)


ein Projekt zur Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten
und ein Projekt zur Senkung von Löhnen und Renten. Es
ist ein Projekt von Deutscher Bank, Goldman Sachs und
Morgan Stanley zur Ausplünderung der europäischen
Steuerzahler.

Dass es dahin kommen konnte, dafür sind Sie alle ge-
meinsam verantwortlich: Sie, Frau Merkel, und Ihre
schwarz-gelbe Koalition, für die es offenbar gar keine
anderen Werte mehr gibt als die, die auf den Finanz-
märkten gehandelt und von den Ratingagenturen benotet
werden, aber auch Sie, werte Damen und Herren von der
vermeintlichen Opposition aus SPD und Grünen, die
sich zwar vor den Kameras gern als Regierungskritiker
aufplustern, aber bisher nahezu jeder europapolitischen
Schandtat dieser Regierung zugestimmt haben, so wie
Sie es heute auch wieder vorhaben.


(Beifall bei der LINKEN)


„Bitte sagen Sie mir, dass nicht alles, was ich gelernt
habe, umsonst war“, schrieb mir vor kurzem eine junge
Frau,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ihre Rede sagt es!)


die aus Begeisterung für Europa und die europäische
Idee ein Freiwilligenjahr in Griechenland verbracht hat
und jetzt nach Deutschland zurückkommt. Sie ist ent-
setzt über das Griechenland-Bashing, aber vor allem hat
sie Angst um ein Land, in dem über die Hälfte ihrer Al-
tersgenossen keinen Job und keine Perspektive hat, in
dem Schwangere vor dem Kreißsaal abgewiesen wer-
den, wenn sie kein Bargeld dabeihaben, in dem Rentner
auf ihrem Balkon Zucchini züchten, weil die Rente nicht
einmal mehr zum Sattwerden reicht. Mitten in Europa!
Ja, Griechenland hatte große hausgemachte Probleme.

Aber die soziale Katastrophe, die Griechenland heute
durchleidet, ist nicht hausgemacht. Sie ist das Resultat
Ihrer Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Hören Sie endlich auf, die Realität durch Lügenworte
zu umnebeln! Sie erzählen uns, wir hätten eine Staats-
schuldenkrise. Tatsächlich ist es die Bankenkrise, die die
Schulden der Staaten immer weiter nach oben treibt,
weil Sie einerseits milliardenschwere Rettungsschirme
aufspannen und riesige Brandmauern errichten und weil
Sie andererseits nichts dafür tun, den eigentlichen
Brandherd zu löschen. Dieser ist ein nach wie vor viel zu
großer, weitgehend deregulierter Finanzsektor, der un-
verändert mit unverantwortlichen Zockergeschäften im-
mer wieder riesige Verluste produziert.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie erzählen uns, die Krise in den Südländern gehe
auf mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zurück. Die spani-
sche Industrie produziert heute zwar 30 Prozent weniger
als 2008. Aber zwischen 2008 und heute sind die spani-
schen Lohnstückkosten um 9 Prozent gesunken. Daran
kann es also nicht liegen. Es liegt daran, dass die Banken
in Spanien marode sind und die Realwirtschaft nicht
mehr mit Krediten versorgen. Es liegt des Weiteren da-
ran, dass seit Jahren ein brutales Kürzungsprogramm in
Spanien läuft, das der Wirtschaft die Luft zum Atmen
nimmt. Genau das Gleiche haben wir schon in Griechen-
land erlebt.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieses Katastrophenkonzept soll jetzt mit dem Fiskal-
pakt auf ganz Europa übertragen werden? Wollen Sie ir-
gendwann auch in Deutschland griechische Verhält-
nisse? Das ist doch Wahnsinn, Frau Merkel!


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Wenn der Fis-
kalpakt eingehalten wird, müssen die europäischen Staa-
ten in den nächsten Jahren über 2 000 Milliarden Euro
aus ihren Haushalten heraushacken: bei Gesundheit, bei
Sozialem, bei Bildung und bei Renten. Was soll dann
denn noch von Europa übrig sein? Herr Gabriel, jetzt zu
behaupten, dass das durch die zusätzlichen 10 Milliarden
Euro für die Europäische Investitionsbank und die Um-
widmung einiger Gelder in der EU aufgefangen wird:
Machen Sie sich doch nicht lächerlich!


(Beifall bei der LINKEN)


Wer Wachstum und Wohlstand in Europa will, der muss
den unsäglichen Fiskalpakt mit seinen billionenschwe-
ren Kürzungsdiktaten stoppen. Wer das nicht macht, der
heuchelt. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Vieles spricht dafür, dass die geplante Finanztransak-
tionsteuer eine Mogelpackung wird. Immerhin rechnet
Herr Schäuble gerade einmal mit Einnahmen von 2 Mil-
liarden Euro. Schauen Sie sich doch einmal an, was auf
den Derivatemärkten umgesetzt wird. Eine ordentliche
Steuer müsste wesentlich mehr einbringen.





Sahra Wagenknecht


(A) (C)



(D)(B)


Frau Merkel, ich sage Ihnen auch: Wenn Sie weiter
die europäischen Staaten mit brutalen Kürzungspro-
grammen in die Krise zwingen, statt sie endlich durch
Direktkredite der Europäischen Zentralbank von der
Zinstreiberei der Finanzmärkte unabhängig zu machen,
dann werden Sie nicht als eiserne Kanzlerin in die Ge-
schichte eingehen, sondern als Totengräberin des Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie erzählen uns, dass der Fiskalpakt dazu da wäre,
die Schulden zu senken. Auch das ist unwahr. Wenn Sie
die öffentliche Schuldenexplosion eindämmen wollen,
dann müssen Sie endlich aufhören, weitere Milliarden
auf Pump in den Finanzsektor zu schleusen. Aber das
haben Sie gar nicht vor; denn parallel zu diesem europäi-
schen Kürzungspakt soll der Bundestag heute das
nächste Milliardengrab absegnen, nämlich den ESM.

Sie haben vor kurzem einen Nachtragshaushalt be-
schlossen, in den schon einmal 8 Milliarden Euro einge-
stellt wurden, um die erste Überweisung an diesen gro-
ßen neuen Bankenrettungsschirm zu leisten. Ich möchte
Ihnen gar nicht vorrechnen, wie Sie die Lebenssituation
und die Bildungschancen von Kindern aus Hartz-IV-Fa-
milien mit diesen 8 Milliarden verbessern könnten.
Schauen Sie sich die Situation in deutschen Kommunen,
Städten und Gemeinden an. Da werden Bibliotheken,
Schwimmbäder und Grundschulen geschlossen wegen
Beträgen, die im Vergleich zu diesen 8 Milliarden lä-
cherlich gering sind. Die Gemeinden haben seit Jahren
kein Geld. Für die Kinder haben Sie kein Geld. Aber
endlose Milliardenbeträge haben Sie offensichtlich, um
die Banken zu retten. Hören Sie wenigstens auf, vom
Sparen zu reden! Sie sparen überhaupt nicht. Sie ver-
schleudern Milliarden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie nehmen den einen und geben den anderen. Das
nenne ich nicht Sparen, sondern Umverteilung.

Wer von dieser Umverteilung tatsächlich profitiert,
kann man in Griechenland deutlich sehen. Zu Beginn
seiner vermeintlichen Rettung hatte Griechenland
300 Milliarden Euro Schulden, die von Banken, Hedge-
fonds und vermögenden Privatanlegern gehalten wur-
den. Heute hat Griechenland 360 Milliarden Euro Schul-
den, aber für 300 Milliarden davon haften jetzt die
europäischen Steuerzahler. An diesem Beispiel sieht
man übrigens auch, was mit den vermeintlichen Hilfs-
geldern passiert. Sie gehen nicht an griechische Rentner,
sondern an die europäische Finanzmafia.

Spanien soll jetzt bis zu 100 Milliarden Euro für seine
Banken bekommen. Auch das Geld wird nicht in Spa-
nien bleiben. Allein die Deutsche Bank hat in Spanien
14 Milliarden Euro im Feuer. Sie ist natürlich hocher-
freut, dass der deutsche Steuerzahler weiter brav über-
weist.

Herr Brüderle, Sie haben hier gerade populär herum-
getönt, dass die Oma mit ihrem Sparbuch nicht für die
Investmentbanker haften soll. Wenn Sie das ernst neh-
men, müssen Sie und Ihre Fraktion heute aber geschlos-
sen gegen den ESM stimmen;


(Beifall bei der LINKEN)


denn der bedeutet genau das, was Sie gesagt haben, dass
nämlich Rentner, Beschäftigte und Arbeitslose für die
Zockereien der Investmentbanker zahlen müssen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Viele Grüße von Erich!)


Wer den Steuerzahler solchen Risiken aussetzt – wir
reden hier über zwei gigantische Rettungsschirme mit ei-
nem Haftungsvolumen für Deutschland von 300 Milliar-
den, eventuell von 400 Milliarden Euro –, wer solche Ri-
siken provoziert, sollte rot anlaufen, wenn er von
Haushaltskonsolidierung redet. Nehmen Sie das doch
von Ihnen selber beschworene Prinzip der Haftung nur
einmal ernst: Wer den Nutzen hatte, soll auch den Scha-
den tragen. Wer hatte den Nutzen? Es ist doch kein Zu-
fall, dass parallel zu den Staatsschulden auch die priva-
ten Vermögen der oberen Zehntausend in Europa immer
neue Rekorde erreichen. Holen Sie sich das Geld doch
dort zurück. Da liegen die Milliarden, die uns fehlen. Sie
können sie von dort holen – ohne Fiskalpakt und ohne
Zerstörung der Demokratie.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie aber tun das Gegenteil. Sie vergemeinschaften die
Schulden, gerade damit die Finanzvermögen der Rei-
chen nicht entwertet werden. Um das nötige Geld einzu-
treiben, soll jetzt die Budgethoheit der Staaten zugunsten
einer Brüsseler Eurokratie aufgehoben werden, weil die
natürlich rücksichtsloser kürzen kann. Das ist doch die
Wahrheit darüber, was dahintersteht. Das ist der Kern Ih-
rer Politik. Sie retten nicht den Euro, sondern Sie retten
die Euros der Millionäre.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann seien Sie wenigstens so ehrlich und sagen das
den Bürgern. Sagen Sie ihnen, dass sich der soziale Bun-
desstaat, den das Grundgesetz festschreibt, mit den vor-
liegenden Verträgen erledigt hat. Sagen Sie ihnen, dass
sie in Zukunft auch in Deutschland ein Parlament wäh-
len dürfen, das nicht mehr viel zu sagen haben wird;
denn auch Deutschland gehört zu den Ländern, deren
Staatsverschuldung weit über dem liegt, was der Fiskal-
pakt verlangt. Sagen Sie den Menschen, dass das ein kal-
ter Putsch gegen das Grundgesetz ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Werte Abgeordnete von CDU und CSU, Ihre Parteien
haben in der Nachkriegszeit den Slogan „Wohlstand für
alle“ auf ihre Fahnen geschrieben. Jetzt zerstören Sie
den Wohlstand von Millionen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Es lebe der Sozialismus!)


Sie nehmen den Armen das Brot,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


weil Sie zu feige sind, den Reichen das Geld zu nehmen.
Halten Sie das für christlich?


(Beifall bei der LINKEN)






Sahra Wagenknecht


(A) (C)



(D)(B)


Werte Abgeordnete der Liberalen, dass ein Staat pri-
vate Verluste sozialisiert, wenn die Betroffenen nur reich
und einflussreich genug sind, ist alles, nur kein Libera-
lismus. Wollen Sie das wirklich vertreten?

Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
tragen die Wörter „sozial“ und „demokratisch“ in Ihrem
Parteinamen. An diesem Anspruch haben Sie sich in den
letzten Jahren schon oft genug versündigt: mit der
Agenda 2010, mit der Deregulierung der Finanzmärkte,
mit Hartz IV und mit der Zerschlagung der gesetzlichen
Rente. Wenn man aber Knebelverträgen zustimmt, mit
denen Sozialstaat und Demokratie in Europa endgültig
zu Grabe getragen werden, heißt das, die Agenda-Politik
in Deutschland mit einer Ewigkeitsgarantie zu versehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu muss ich Sie fragen: Ist es das Linsengericht, nach
der nächsten Wahl wieder als Juniorpartner einer Großen
Koalition mittun zu dürfen, wirklich wert, Ihren Wählern
noch einmal derart ins Gesicht zu schlagen?


(Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Hat Oskar die Rede geschrieben?)


Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie wurden als Ab-
geordnete auf Basis unseres Grundgesetzes gewählt.
Wenn Sie noch ein Gewissen haben – als Demokraten
und als Europäer –, dann, bitte ich Sie, folgen Sie diesem
Gewissen und stimmen Sie heute mit Nein.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie können einem nicht das Gewissen absprechen, nur weil Sie anderer Meinung sind!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718818800

Das Wort hat nun der Kollege Volker Kauder für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1718818900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Ja, es ist richtig, dass wir nach einer sehr intensiven Be-
ratung heute wegweisende und für Europa existenzielle
Beschlüsse fassen. Wir haben uns die Beratungen nicht
leicht gemacht, in den Koalitionsfraktionen nicht, aber
auch mit allen anderen Fraktionen nicht.

Ich finde, dass wir miteinander zu einem guten Ergeb-
nis gekommen sind: dass wir miteinander jetzt Fiskal-
pakt und Stabilisierungsmechanismus verabschieden
können und dass wir auch entsprechende Wachstumsim-
pulse geben können. Aber, Herr Kollege Gabriel, jetzt so
zu tun, als ob der Begriff Wachstum Ihnen in den letzten
Wochen eingefallen wäre und als ob wir vorher nie et-
was für das Wachstum gemacht hätten, das ist nun wirk-
lich nicht in Ordnung. Das muss ich Ihnen einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir beide sind uns einig, dass wir hier in Deutschland
Wachstum haben. Aber vielleicht haben Sie es schon

nicht mehr so richtig drauf: Alle Europäer haben in Lis-
sabon eine Strategie verabschiedet. In dieser Strategie
von Lissabon haben wir vereinbart, dass wir, also ganz
Europa, die wettbewerbsfähigste, dynamischste und
wachstumsstärkste Region in der Welt werden wollen.
Jetzt schauen wir einmal kurz zurück: Was ist aus dieser
Wachstumsstrategie geworden, die alle miteinander ver-
einbart haben? Es haben sich einige wenige daran gehal-
ten, das zu machen, was notwendig war, eine Vielzahl
aber nicht. Schauen Sie sich das Ergebnis einmal an:
Diejenigen, die sich daran gehalten haben, stehen heute
besser da als diejenigen, die sich nicht daran gehalten
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt kommt die Frage: Was lernen wir daraus, Herr
Kollege Gabriel? Die Antwort habe ich in Ihrer Rede ei-
gentlich vermisst.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dann hätten Sie zuhören sollen!)


Wir lernen daraus, dass wir in Europa das, was wir mit-
einander vereinbaren, auch einhalten müssen. Es ist
schon immer ein Problem in Europa gewesen, dass man
zwar gute Sachen vereinbart hat, dass es dann aber der
politischen Willkür in den einzelnen Ländern oblag, ob
man es macht oder nicht. – Herr Gabriel, Sie nicken. Ja,
Sie haben auch allen Grund dazu. Rot-Grün hat da man-
ches versäumt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie waren die Ersten, die sich nicht an das gehalten ha-
ben, was wir vereinbart haben. Das war der erste Fehl-
tritt. Weitere folgten, als man den Stabilitätspakt nicht
mehr eingehalten hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist es notwendig, festzustellen – Frau
Wagenknecht, das haben Sie natürlich auch nicht ver-
standen –, dass nicht diejenigen schuld sind, die sich an
die Vereinbarungen gehalten haben, sondern diejenigen,
die sich nicht daran gehalten haben. Die tragen Verant-
wortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nicht wir in Deutschland sind schuld daran, dass in
Griechenland und anderswo die Vereinbarungen nicht
eingehalten wurden.

Ich will gar nicht zurückblicken. Wir verabschieden
heute miteinander im Deutschen Bundestag ein großes
Gesetzespaket in großer Übereinstimmung. Deswegen ist
der Blick nach vorne wichtiger als der zurück. Aber ein
Punkt muss schon klar sein: Es kann hier an diesem Red-
nerpult doch nicht so getan werden, als ob in Europa aus-
schließlich Deutschland Verantwortung dafür trägt, dass
irgendwo Wachstum entsteht oder nicht; vielmehr müs-
sen natürlich auch die Bedingungen dafür, dass Wachs-
tum entstehen kann, erfüllt werden.

Sie von der SPD und zum Teil auch Sie von den Grü-
nen haben doch in Ihrer gemeinsamen Regierungszeit





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)


eine richtige Erkenntnis gehabt: Das war die Agenda
2020, von der Sie, Herr Gabriel, gar nicht mehr so gern
hören wollen.


(Sigmar Gabriel [SPD]: 2010!)


– 2010. – Dort haben Sie gesagt: Wir werden Wachstum
nur durch Strukturreformen erreichen. Genau!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Agenda 2020 muss noch gemacht werden! – Sigmar Gabriel [SPD]: Wir machen auch die nächste! Einverstanden!)


Diese Agenda 2010, die nur Strukturreformen umfasste,
besagte doch: Wir werden Wachstum nicht auf Pump er-
wirtschaften können, nicht durch kreditfinanzierte Pro-
gramme.

Insofern ist das, was wir heute miteinander auf den
Weg bringen, so wichtig. Im Fiskalpakt vereinbaren wir
eine Schuldenbremse, die wir in Deutschland schon mit-
einander vereinbart haben. Jetzt kommt es doch darauf
an, dass diese Regelungen – alles richtige Regelungen –
so abgesichert werden, dass sie eingehalten werden.

Meine Damen und Herren, ich muss schon sagen:
Was jetzt auf dem Gipfel beraten und besprochen wurde,
steht heute nicht zur Entscheidung an. Wir werden uns
die Ergebnisse in den Koalitionsfraktionen sehr genau
anschauen und darüber noch intensiv beraten. Über alle
Punkte, die da diskutiert worden sind, werden wir im
Deutschen Bundestag noch entscheiden müssen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich!)


Die Bundeskanzlerin hat es heute in ihrer Regierungser-
klärung und in ihrer Pressekonferenz sehr gut erklärt.
Aber es muss auch einmal in Richtung Europa gesagt
werden, dass wir die Regeln einhalten müssen: Es kann
nicht sein, dass in Europa Grundsätze beschlossen wer-
den, und dann vermitteln diejenigen, die ein besonderes
Interesse daran haben, den Eindruck, als ob immer etwas
anderes herausgekommen wäre. Das geht nicht. Es muss
dabei bleiben:

Erstens. Stabilitätskriterien müssen eingehalten wer-
den.

Zweitens. Wir wollen, dass es kein Geld ohne Gegen-
leistung gibt. Es muss eine Gegenleistung gefordert wer-
den.

Drittens. Wir wollen auch nicht, dass Banken ohne
eine Veränderung der Bedingungen direkt Geld aus dem
Rettungsschirm gegeben werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das sind unsere Positionen. Das muss jeder in Europa
wissen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selbst nicht mehr, Herr Kauder!)


Nur so werden wir einen Beitrag dazu leisten können,
dass Europa vorankommt. Wir sind jetzt bereit, mit die-
sen beiden Paketen, ESM und Fiskalpakt, in Europa So-

lidarität zu zeigen und die Bedingungen für die Zukunft
zu entwickeln.

Sie haben die Jugendarbeitslosigkeit angesprochen.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien war auch schon
hoch, wesentlich höher als bei uns, als eine ganz andere
Situation herrschte. Jetzt muss man doch auch einmal sa-
gen: Es müssen da ein paar Bedingungen verändert wer-
den. Jugendarbeitslosigkeit wird nicht dadurch be-
kämpft, dass man einfach versucht, junge Menschen in
irgendwelche Betrieben zum Arbeiten zu bringen, son-
dern indem man die Voraussetzungen dafür schafft, dass
sie qualifizierte Arbeit annehmen können. Da muss man
deutlich sagen: Wir haben Modelle für gute Bildungs-
möglichkeiten, für gute Bildungswege. Diese müssen
jetzt beschritten werden. Deswegen bin ich schon der
Meinung, dass der Weg, der in Europa diskutiert worden
ist, richtig ist, jetzt nicht Geld in den Bau neuer Auto-
bahnen zu investieren, sondern in die Schaffung neuer
Ausbildungsstrukturen und eines dualen Bildungssys-
tems.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So könnten wir manches Problem lösen. Das wird jetzt
gerade in Angriff genommen.

Wir werden uns noch ausführlich mit diesen Fragen
beschäftigen und werden uns all die Punkte, die gestern
und heute beraten worden sind, genau anschauen. Da ge-
hört natürlich dazu, dass man unterschiedliche Pro-
gramme braucht. Wir brauchen ein Vollprogramm für
Länder, die ganz unter einen Rettungsschirm kommen
müssen. Diese Länder müssen dann natürlich bestimmte
Konditionen einhalten. Da muss man doch jetzt gar nicht
so jammern, wie Sie es tun, Frau Wagenknecht; ich kann
das überhaupt nicht verstehen. Der Internationale Wäh-
rungsfonds hat das in den letzten Jahren in vielen Län-
dern hundertfach verlangt und hat gezeigt, dass er die
Länder voranbringt. Auch Länder, die Sie mit Ihrem So-
zialismus ruiniert haben, hat der Internationale Wäh-
rungsfonds wieder vorangebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich weiß gar nicht, was Sie da für Sprüche machen.

Ich kann nur sagen: Wenn ich mit Kollegen aus Brasi-
lien, Ungarn und anderen Ländern rede, sagen sie, dass
sie die Diskussionen, die da jetzt angestoßen werden, gar
nicht verstehen. Der Internationale Währungsfonds hat
zusammen mit diesen Ländern Programme entwickelt.
Aber es reicht eben nicht, ein Programm zu entwickeln;
man muss dann auch schauen, dass das Programm rich-
tig umgesetzt wird. Jetzt kann man doch nicht vom Inter-
nationalen Währungsfonds – ich hätte gar nicht ge-
glaubt, dass der einmal in Europa eingreifen muss –, der
überall auf der ganzen Welt seine Regeln erfolgreich
durchsetzt, verlangen, dass er in Europa eine Ausnahme
macht. Ich kann nur sagen: Ich bin froh, dass der Interna-
tionale Währungsfonds so konsequent verlangt, dass wir
die Lage genau anschauen, ein Programm entwickeln,
dieses umsetzen und es kontrollieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)


Das muss auch in Zukunft so sein. Deswegen legen wir
großen Wert darauf, dass der Internationale Währungs-
fonds dort, wo es sein Aufgabengebiet zulässt, mit von
der Partie ist.

Ich habe schon den großen Wunsch, dass alle Betei-
ligten, nicht nur eine Handvoll, zu dem, was jetzt in
Brüssel besprochen worden ist und was jetzt auf den
Weg gebracht wird, klar und deutlich die Position vertre-
ten, dass sie sich an das halten, was man miteinander
vereinbart und besprochen hat. Es geht nicht, dass sich
einige immer wieder treffen, um nach Möglichkeiten zu
suchen, um aus dem, was man gerade vereinbart hat,
wieder herauszukommen. Das führt nicht zum Erfolg.

Ich will Ihnen eines zu Griechenland sagen: Grie-
chenland wird nur dann wirklich auf den richtigen Weg
kommen, wenn sich die Strukturen verändern. Sie kön-
nen doch nicht sagen, es werde aus Deutschland und an-
deren Ländern Europas dauerhaft nach Griechenland
Geld transferiert, ohne zu wissen, welche Strukturen sich
ändern. Die Menschen in Griechenland werden keine
gute Zukunft haben, wenn Griechenland nicht wettbe-
werbsfähig wird.

Lassen Sie mich noch etwas zur Wettbewerbsfähig-
keit sagen. Wettbewerbsfähigkeit entsteht nicht dadurch,
dass Staaten sie verordnen, sondern Wettbewerbsfähig-
keit entsteht ausschließlich dadurch, dass Industrien, wie
bei uns in Deutschland – da ist es vor allem die mittel-
ständische Industrie –, Produkte herstellen, die in der
ganzen Welt abzusetzen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es muss daran gearbeitet werden, dass Waren produziert
werden, die zu entsprechenden Bedingungen abgesetzt
werden können. Daher kann es nicht sein, dass die einen
glauben, die Rente mit 67 sei zwingend notwendig, wäh-
rend die anderen zur Rente mit 60 zurückkehren wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das sind einfach keine Positionen. Das funktioniert
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei diesen Diskussionen möchte ich die Bundeskanz-
lerin ermutigen – die Koalitionsfraktionen bestärken sie
darin –, auch wenn es manchmal hart klingt, deutlich zu
machen, dass es um nichts anderes geht als darum, mit
diesen Positionen zukunftsfähig zu bleiben. Es muss sich
in Europa einiges ändern. Ich schließe nicht aus, dass
auch wir etwas an dem einen oder anderen Punkt verän-
dern müssen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Fangen Sie mal an! Vorschlag!)


Aber eines ist auch klar: Zu glauben, dass man einen
Starken schwächen kann und dadurch die Schwachen
alle stark werden, ist ein großer Unsinn, den ich in mei-
nem ganzen Leben noch nicht bestätigt gefunden habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist unsere These eine ganz andere. Solidarität
und Solidität gehören zusammen. Das wird heute mit

dem Fiskalpakt dokumentiert. Wir beschließen miteinan-
der in Europa Regeln, durch deren Einhaltung alle wie-
der stark werden und stark bleiben können.

Ich will noch ein Wort dazu sagen, warum dies so not-
wendig ist. Die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen,
dass zum Start dieser Republik 2 Milliarden Menschen
auf der Erde lebten und es jetzt 7 Milliarden Menschen
sind. Es hat sich in den vergangenen Jahren etwas dra-
matisch verändert, das wir zur Kenntnis nehmen müssen.
Die Finanzinstitute haben viele Möglichkeiten, auf die-
ser Welt ihr Geld anzulegen. Sie können deshalb die Be-
dingungen, zu denen sie bereit sind, ihr Geld anzulegen,
formulieren. Die Situation wäre anders, wenn wir Fest-
gelder hätten und den Finanzinstituten sagen würden: Ihr
bekommt etwas, wenn ihr uns einen entsprechenden
Zins gebt. – Die Lage ist aber umgekehrt. Darauf gibt es
nur eine einzige Antwort: so attraktiv zu werden, dass
das notwendige Kapital zu entsprechenden Bedingungen
bei uns bleibt. Das wird mit einer ständigen Schuldenpo-
litik nicht erreicht. Deswegen ist dieser Fiskalpakt eine
wirklich existenzielle Notwendigkeit und eine Neuerung
auf dem Weg Europas in eine gute Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen dieses Europa, aber wir wollen ein starkes
Europa. Wir wollen ein Europa, das anderen Regionen in
der Welt die Stirn bieten und den Wettbewerb mit ande-
ren Regionen aufnehmen kann. Das schaffen wir in
Deutschland nicht allein. Da gebe ich Ihnen recht. Das
sagen auch wir immer. Wir brauchen alle. Wir brauchen
ein Europa, das bereit ist, das, was man sich in die Hand
hinein versprochen hat, auch einzuhalten. Dann entsteht
gute Zukunft für unser Land und für Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718819000

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718819100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Frau Wagenknecht, ich höre Ihnen zu. Ich teile Ihre Ar-
gumente nicht. In einem Punkt, finde ich, haben Sie sich
vergaloppiert. Das, worüber wir heute hier entscheiden,
ist kein Putsch gegen die Verfassung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sie begeben sich da auf eine Ebene mit jenen von Attac
Aachen, die uns eine Postkarte geschickt haben und uns
unter der Überschrift „ESM & Fiskalpakt – Ermächti-
gungsgesetz 2.0“ zur Ablehnung aufgefordert haben.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das war peinlich!)


In diesem Haus, das von Nazis abgefackelt worden ist,
um die Demokratie in Deutschland zu zerstören, sollte
man solche Vergleiche unterlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Jan van Aken [DIE LINKE])






Jürgen Trittin


(A) (C)



(D)(B)


Wir stehen vor der Herausforderung, dieses Europa
neu zu begründen. Dieses gemeinsame Europa ist ge-
fährdet – gefährdet durch eine Wirtschafts- und Finanz-
krise. Das Komische und das Tragische daran ist, dass
diese Wirtschafts- und Finanzkrise nicht darauf beruht,
dass wir wirtschaftlich schlecht dastehen. Wir sind bei
vielen Eckdaten besser als andere Länder und Konti-
nente auf der Welt. Das, was uns in die Krise gebracht
hat, ist eine Schwäche unserer politischen Verfassung, ist
eine Schwäche unserer Institutionen und auch ein Man-
gel an politischem Mut, diese Schwäche zu überwinden.
Das ist der Kern der Krise, über die wir reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu haben auch Sie, Frau Bundeskanzlerin, beige-
tragen mit Ihrer Strategie des Zögerlichen und des Zu-
wenig, was unter den Begriff „too little, too late“ gefasst
worden ist. Das hat diese Vertrauenskrise mit verstärkt.

Deswegen glaube ich, dass wir uns mühen müssen,
diese Schwäche zu überwinden. Wenn wir über die
Überwindung dieser Schwäche reden, dann dürfen wir
nicht ständig neue rote Linien malen, die wir, wie es
dann heißt, unveränderlich verteidigen werden, die wir
wenige Tage später aber doch überschreiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


So war das mit Ihrem Satz, solange Sie lebten, gebe
es – je nach Interpretation – keine gemeinsame Haftung
oder keine gemeinsamen Anleihen. Das ist falsch und
verantwortungslos gewesen. Damit verlängern Sie die
Krise.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was ist die Krise zurzeit? Wir reden über unterschied-
liche Zinssätze. Das ist doch nichts anderes als der Aus-
druck einer gigantischen Kapitalflucht aus den Krisen-
ländern hierher. Und das wollen Sie verlängern? Sie
wollen nichts gegen den Zinsdruck in diesen Ländern
tun?


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Signale für eine falsche Politik!)


Ich halte das in der Tat für verantwortungslos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben sich in den Gesprächen mit uns mit Händen
und Füßen, mit juristischen, mit politischen Argumenten
dagegen gewehrt, etwas zu tun, was Ihnen Ihr eigener
Sachverständigenrat aufgeschrieben hat, was Ihnen Herr
Juncker, Herr Barroso, Herman Van Rompuy und Herr
Draghi aufgeschrieben haben. Übrigens: Drei von diesen
Vieren haben Sie persönlich für diese Institutionen aus-
gesucht und durchgesetzt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Ich verstehe ja, dass Sie nicht auf uns hören wollen.
Aber hören Sie doch wenigstens einmal denen zu, die

Sie selber ins Amt befördert haben! Die sagen: Wenn
man dauerhaft und nachhaltig den Zinsdruck in Europa
mindern muss, dann muss man zu einem gemeinsam or-
ganisierten, verbindlich organisierten Schuldenabbau
kommen. Nur so kommen wir von den hohen Zinskosten
runter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das haben Sie nicht zugestehen wollen.

Dann sind Sie gestern zum Europäischen Rat nach
Brüssel gefahren. Gestern Abend hat es auch ein bitteres
Fußballspiel gegeben. Das haben wir 2 : 1 verloren. Ich
sage Ihnen: Bei dem Spiel, das in Brüssel gespielt
wurde, haben Sie gegen Herrn Monti mindestens 2 : 1
verloren, wenn Sie überhaupt ein Tor geschossen haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann hätten Sie vielleicht einen Fonds gebildet!)


Sie wollten bis gestern Nacht keine Bankenunion. Bis
gestern Nacht wollten Sie keine direkte Rekapitalisie-
rung von Banken. Sie wollten keine Hilfe aus dem Ret-
tungsschirm ohne vereinbarte Austeritätsprogramme.
Das war Ihre Position. Was lesen wir heute in den Be-
schlüssen des Rates? Sie sind für eine Bankenunion. Sie
machen den Weg frei für eine direkte Rekapitalisierung
von Banken. Hilfen aus dem Rettungsschirm gibt es
künftig schon, wenn man die Vorgaben des Stabilitäts-
und Wachstumspakts einhält. Das heißt, es gibt Hilfen
dafür, dass man sich rechtstreu verhält, also geltendes
Recht praktiziert. Und Sie erzählen der Öffentlichkeit,
dies seien konditionierte Auflagen. Rechtsgehorsam ist
keine Auflage, sondern eine Selbstverständlichkeit. Das
sollten Sie alle wissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben sich gegen den Altschuldentilgungsfonds
gewandt. Dann haben Sie heute, weil Sie keinen anderen
Ausweg mehr gesehen haben, mit der Zustimmung zu
diesen Beschlüssen alle Schleusen geöffnet. Ich sage Ih-
nen: Sie sind mit Ihrer Haltung aus Ihrer Sicht vom Re-
gen in die Traufe gekommen. Wir halten es für richtig,
dass man sich dem Problem des Zinsdrucks auf Spanien
und Italien widmet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin ganz froh, dass wir darauf bestanden haben,
Frau Bundeskanzlerin, über dies alles erst nach dem
Gipfel abzustimmen. Wenn Sie an dieser Stelle nicht die
Opposition im Nacken gehabt hätten und wenn Sie nicht
die Ratifizierung noch vor sich gehabt hätten, dann wäre
die Verhandlungsposition für Herrn Monti und für Herrn
Rajoy sehr viel schlechter gewesen. Deswegen war es
gut, dass wir Sie dazu gezwungen haben, sich hier ver-
nünftig zu verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)






Jürgen Trittin


(A) (C)



(D)(B)


Wir entscheiden heute über zwei Vertragswerke: den
Stabilitätsmechanismus und den Fiskalvertrag. Wir hal-
ten den ESM für ein notwendiges Instrument. Wir haben
allerdings zu kritisieren, dass Sie die Ratifizierung über
ein Jahr verzögert haben. Im August letzten Jahres haben
wir Ihnen geschrieben. Wenn jemand dafür die Verant-
wortung trägt, dass der Bundespräsident und das Bun-
desverfassungsgericht heute in einer schwierigen Situa-
tion sind, dann sind Sie es. Sie haben es getan aus Angst
vor der Zerstrittenheit in der eigenen Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Sie hätten früher handeln müssen. Sie
hätten sich auch früher von dem Satz verabschieden
müssen – vorletzte Regierungserklärung –: Wachstum
gibt es nur durch Strukturreformen. – Ja, Strukturrefor-
men sind richtig. Finanzielle Stabilität ist richtig. Aber
Wachstum gibt es nur, wenn unter stabilen Rahmenbe-
dingungen investiert wird. Deswegen haben wir verhan-
delt, dass es Investitionen gibt, mehr Geld für die Euro-
päische Investitionsbank, und dass es einen Einstieg in
Projektanleihen gibt, übrigens europäische Anleihen. In
diese Projektanleihen wollen wir einsteigen und sie
künftig fortsetzen zur Finanzierung von Schienennetzen,
von Stromnetzen und von Infrastruktur. So entsteht
nachhaltiges Wachstum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben am letzten Mittwoch im Kabinett einen
schönen Satz beschlossen: Staatliche Aufgaben sollen
aus Einnahmen finanziert werden und nicht auf Pump. –
Das ist ein wörtliches Zitat aus einem Parteitagsbe-
schluss der Grünen aus Kiel.


(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: So weit ist es gekommen!)


So weit ist es gekommen, Herr Westerwelle.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was sind staatliche Einnahmen? Das ist nichts an-
deres als Steuern. Sie haben unter anderem beschlossen,
dass es künftig eine Steuer auf Finanztransaktionen gibt.
Lieber Herr Brüderle, hören Sie auf, über die Riester-
Sparer zu reden. Ich weiß, das ist nicht wirklich Ihre
Klientel. Geben Sie endlich zu, dass die Masse der
Finanztransaktionen im Eigenhandel von Banken abge-
wickelt wird. Sie jedoch täuschen den Riester-Händler
vor, um dieses Geschäft vor Besteuerung zu schützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber, lieber Herr Brüderle, ich freue mich, dass wir
Sie und die FDP überzeugt haben, der Einführung einer
neuen Steuer zuzustimmen. Wissen Sie, wie das ist? Das
ist ungefähr so, als würde der Papst zusammen mit Volker
Beck hier auf dem Christopher Street Day demonstrieren.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Willkommen im Club der Vernünftigen.

Frau Merkel, wir haben Sie in zähen Verhandlungen
dazu bringen müssen, die Besteuerung von Finanz-
geschäften auf den Weg zu bringen und sich zu klaren
Regelungen für mehr Investition zu bekennen. Aber der
Fiskalpakt ist auch ein Weg, der etwas mit der Demo-
kratie in Europa zu tun hat. Anstatt das gemeinsame
Haus Europa weiter auszubauen, bauen wir immer neue
kleine Nebengebäude an. Dies führt zu einem Verlust an
demokratischer Steuerungsfähigkeit.

Das ist der Grund, warum wir so beinhart bis zum
Bundesverfassungsgericht gegangen sind und durchge-
setzt haben, dass der Deutsche Bundestag – wir alle ge-
meinsam – künftig die Bundesregierung im Fiskalpakt,
im Gouverneursrat des ESM binden kann, bevor eine
Entscheidung getroffen wird. Denn wir sind der Auffas-
sung: Wenn wir bestimmte Rechte delegieren, dann dele-
gieren wir sie nur in parlamentarische Kontrolle. So-
lange das Ganze nicht im Europäischen Parlament
landet, muss es im Deutschen Bundestag verbleiben. Das
haben wir vor dem Bundesverfassungsgericht durchge-
setzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine letzte Bemerkung: Wir haben uns als Grüne in
Europafragen immer entlang der Sache entschieden,
ganz gleich, ob wir in der Opposition oder in der Regie-
rung waren.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Das können Sie uns nicht absprechen, und schon gar
nicht mit Blick auf die letzten Abstimmungen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Aber die Vertrauensfrage von Schröder!)


Deswegen halten wir es für richtig, einem Fiskalpakt
und einem Europäischen Stabilitätsmechanismus – unter
der Maßgabe von mehr Investitionen für nachhaltiges
Wachstum und einer vernünftigen Finanzierung durch
eine Finanztransaktionsteuer – zuzustimmen.

Ich glaube aber, wir müssen noch etwas Weiteres be-
rücksichtigen. Europa ist kein Elitenprojekt, Sigmar.
Zwei Drittel der Deutschen sind für dieses Europa.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt einige sehr kurzsichtige Interessenverbände wie
den Verband der Familienunternehmen; der ist dagegen.
Das ist Wahnsinn, aus ihrem eigenen ökonomischen In-
teresse heraus. Aber so etwas gibt es. Ich würde mir
wünschen, dass wir gemeinsam füreinander einstehen,
dieses Europa zu bewahren.

Liebe Frau Bundeskanzlerin, ich wünsche Ihnen von
Herzen ein langes Leben, und ich wünsche mir von Ih-
nen einen Satz: Solange ich lebe, werde ich dieses ge-
meinsame Europa und die gemeinsame Währung vertei-
digen; denn dieses gemeinsame Europa ist die
Grundlage für Frieden und Demokratie auf diesem Kon-
tinent.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718819200

Das Wort erhält nun der Bundeswirtschaftsminister

Dr. Philipp Rösler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Heute steht die Entscheidung zu
ESM und Fiskalpakt an, nicht mehr, aber auch nicht we-
niger.


(Thomas Oppermann [SPD]: Gute Einleitung!)


Wir können heute zeigen, dass es eine Solidarität der
stärkeren Volkswirtschaften gegenüber den schwächeren
Volkswirtschaften Europas gibt. Es ist richtig, für diese
Leistung eine entsprechende Gegenleistung in Form der
Beendigung der Schuldenpolitik zu fordern. Viele euro-
päische Staaten, immerhin 25, machen beim Fiskalpakt
mit. Es ist richtig, eine Gegenleistung in Form von struk-
turellen Reformen zur Stärkung der wirtschaftlichen
Wettbewerbsfähigkeit zu fordern. Es ist auch richtig, in
der Folge Impulse für mehr Wachstum und Beschäf-
tigung zu geben.

Herr Trittin, halten wir zunächst einmal fest, dass die
Reihenfolge von entscheidender Bedeutung ist: Zuerst
brauchen wir strukturelle Reformen, erst dann machen
die wirtschaftlichen und finanziellen Impulse überhaupt
Sinn. Alles andere wäre vergeudetes Geld. Deswegen le-
gen wir solchen Wert auf die richtige Reihenfolge.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Maßnahmen, die heute auf den Weg gebracht
werden, gehen in die richtige Richtung, nämlich in die
einer Stabilitätsunion. Ich wundere mich ein bisschen
über das, was Sie, Herr Gabriel, gesagt haben. Es klang
so, als würden Sie die Bundeskanzlerin kritisieren – das
habe ich so wahrgenommen –,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Majestätsbeleidigung ist abgeschafft! – Weitere Zurufe von Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


das ist ja auch Ihre Aufgabe als Parteivorsitzender einer
Oppositionspartei. Eigentlich ist es meine Aufgabe, das
Gegenteilige zu tun.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er hat doch recht! – Johannes Kahrs [SPD]: Wie war der Vergleich mit dem Frosch doch gleich?)


Trotzdem will ich an dieser Stelle festhalten: Natürlich
haben Wolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister und
Guido Westerwelle als Außenminister auf europäischer
Ebene hart verhandelt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Westerwelle hat verhandelt?)


Aber das, was heute zur Abstimmung steht, ist das Ver-
dienst der Bundeskanzlerin. Das hat sie zum Wohle

Deutschlands und zum Wohle Europas getan. Ich finde,
das könnte Ihre Seite durchaus anerkennen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen voraus: Wenn es gelingt, diesen Weg
weiterhin erfolgreich zu beschreiten, dann wird unsere
gemeinsame Währung, der Euro, eine der stabilsten
Währungen auf der ganzen Welt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Dann müssen Sie sich aber ein bisschen mehr anstrengen!)


Die Grundüberzeugung, dass Wachstum nur durch solide
Haushalte auf der einen Seite und Stärkung der wirt-
schaftlichen Wettbewerbsfähigkeit auf der anderen Seite
möglich ist, gilt nicht nur in der Euro-Zone, in Europa,
sondern auch in Asien und Nordamerika. Die Zeit wird
das zeigen, wenn wir diesen Weg erfolgreich weiterge-
hen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute ist durchaus ein historischer Tag für Europa,
und wissen Sie auch, warum?


(Zurufe von der SPD: Nein!)


Weil wir endlich einen Kardinalfehler rückgängig ma-
chen können, den Sie zu Ihrer rot-grünen Regierungszeit
begangen haben.


(Thomas Oppermann [SPD]: Oh, jetzt aber! – Johannes Kahrs [SPD]: Der Kardinalfehler war, Sie zum Minister zu machen!)


Klar ist: Es gibt deutliche Unterschiede in Bezug auf
die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der
Euro-Zone. Aber anstatt dass die letzten zehn Jahre dazu
genutzt wurden, diese Unterschiede abzubauen, indem
die Schwächeren versuchten, stärker zu werden, wurden
diese Unterschiede überdeckt durch zu viel zu leicht ver-
fügbares, zu billiges Geld. Dass das überhaupt möglich
war, lag daran, dass eine rot-grüne Bundesregierung die
Tür zu einer Schuldenpolitik geöffnet hat, indem sie die
Maastricht-Kriterien aufgeweicht hat.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist lächerlich! Sie kennen den Text überhaupt nicht!)


Heute ist ein historischer Tag, weil wir diesen histo-
rischen Fehler von Rot-Grün rückgängig machen kön-
nen. Das ist das Bedeutende an dieser Abstimmung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie jetzt bei 3 oder bei 4 Prozent?)


Die Wahrheit ist doch: Nicht wir haben uns in den
Verhandlungen auf Sie zubewegt, sondern Sie haben
sich auf die Regierungskoalition zubewegt.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist doch geradezu bemerkenswert, dass die erklärten
Wachstumsfeinde, die Grünen hier im Hause,





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)



(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das haben Sie falsch verstanden!)


plötzlich von Wachstum reden, ja sogar Wachstum for-
dern, Frau Roth. Ich finde, das ist die eigentliche Ironie
am heutigen Tage.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie als Wirtschaftsminister außer vordergründiger Polemik noch etwas anderes zu bieten?)


In dem von uns ausgehandelten Fiskalpakt finden sich
die Grundprinzipien wieder, die wichtig für den weiteren
Weg innerhalb Europas sind. Handeln und Haftung so-
wie Haftung und Kontrolle müssen immer miteinander
verbunden sein. Mit der Verabschiedung des ESM und
des Fiskalpakts werden diese Grundprinzipien als Basis
für ein solides Fundament in Europa festgeschrieben.
Deswegen braucht man sich überhaupt gar keine Sorgen
zu machen, dass sich an diesen Grundprinzipien auf die-
sem, dem nächsten oder dem übernächsten Rat irgend-
etwas ändert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nichts beigetragen!)


Wenn die Grundprinzipien Handeln und Haftung so-
wie Haftung und Kontrolle zusammenbleiben und kon-
sequent weiterverfolgt werden, dann können wir tatsäch-
lich ein stabiles Europa selber schaffen. Vielleicht ist es
schon in den nächsten Wochen und Monaten zu bewei-
sen, dass man konsequent hinter Handeln und Haftung
steht, wenn wir die Reformbemühungen einzelner Mit-
gliedstaaten bewerten müssen und wenn es darum geht,
neue Institutionen, neue Regelungen und neue Systeme
innerhalb Europas selber zu schaffen. Dieses Grundprin-
zip „Handeln und Haftung – Haftung und Kontrolle“
muss uns jeweils leiten. Dann haben wir die beste
Grundlage für ein starkes Europa mit einer stabilen
Währung geschaffen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718819300

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Carsten

Schneider für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Guter Mann!)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1718819400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, ich weiß
nicht, an welchen Verhandlungen Sie teilgenommen ha-
ben. An den Verhandlungen gestern anscheinend nicht;
denn sonst hätten Sie mitbekommen, dass etwas ganz
anderes beschlossen wurde als das, was Ihnen heute vor-
liegt und worüber Sie gesprochen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Aber der Schneider war da, ja?)


Sie sagen der Bevölkerung hier, wo wir eine der
wichtigsten Entscheidungen zu treffen haben, dass damit
Stabilität erreicht werde, dass davon kein Risiko für
Deutschland ausgehe. Ich finde, es gehört zur Ehrlich-
keit, zu sagen, dass das Ganze durch die vorliegenden
Gesetzentwürfe nur unzureichend geregelt wird. Sie und
auch Herr Kauder vorhin haben gesagt, es gebe in dem
Fiskalvertrag eine klare Richtlinie hinsichtlich der Ein-
haltung von harten Vorgaben, sodass sich die Länder
nicht mehr verschulden könnten. Das stimmt so nicht.
Der Fiskalvertrag regelt nur, dass die jeweiligen Länder
eine Schuldenbremse einführen müssen, aber nicht, dass
sie sie einhalten müssen. Das ist darin nicht geregelt.
Das ist eine Aufgabe, die Sie noch erfüllen müssen,
meine Damen und Herren. Da bleiben Sie deutlich zu-
rück.


(Beifall bei der SPD)


Ich habe gelesen, dass Sie großen Wert auf Auflagen
und Konditionen legen. Ich meine, Auflagen für Länder,
die Geld bekommen, sind richtig; allerdings hatten diese
Auflagen bisher immer eine falsche Schlagseite. Sie
haben nie Steuerdumping in den Mittelpunkt gestellt. Sie
haben nie die Kapitalmärkte und deren exzessives Wach-
sen in den Mittelpunkt gestellt. Sie haben nie eine
stärkere Vermögens- und Kapitalbesteuerung in den Mit-
telpunkt gestellt. Das gehört aber hinein, auch aus Ge-
rechtigkeitsgründen.


(Beifall bei der SPD)


Wir stimmen heute zu. Wir stimmen heute zu, damit
dieser dauerhafte Stabilitätsmechanismus in die Lage
versetzt wird, zu arbeiten. Das ist aber kein Freibrief für
jede einzelne Entscheidung, und das ist erst recht kein
Freibrief für die Erweiterung der Haftung für Banken.
Das schließen wir mit diesem Gesetzentwurf aus. Wenn
Sie das ändern wollen, brauchen Sie eine neue Mehrheit
in diesem Bundestag. Das aber hat Frau Merkel gestern
zugesagt. Sie hat das zugesagt, obwohl der Bundestag
heute das Gegenteil beschließt. Ich freue mich, dass die
Koalition uns an dieser Stelle stützt.


(Beifall bei der SPD)


Zu den Auflagen für die Länder. Gestern hatte Italien
im sportlichen Bereich Erfolg, wofür Italien, zugegeben,
Respekt gebührt. Aber auch politisch hatte Italien Er-
folg, weil das Gegenteil von dem passiert ist, was die
Bundeskanzlerin – ich betone: die Bundeskanzlerin –
hier am Mittwoch immer wieder betont hat: dass es Geld
nur gegen Auflagen gibt. Die Auflagen, die es geben
soll, umfassen das Europäische Semester. Ich habe mir
mal kurz angeschaut, was das für Deutschland bedeutet;
denn das gilt in etwa spiegelbildlich für Italien. Die
Kommission empfiehlt Deutschland, Maßnahmen zu er-
greifen, um das Bildungsniveau benachteiligter Bevöl-
kerungsgruppen anzuheben, fiskalische Fehlanreize für
Zweitverdiener abzuschaffen und die Zahl der Kinderta-
gesstätten und Schulen zu erhöhen. All das sind richtige
Punkte, die die Kommission Deutschland, Ihrer Bundes-
regierung, vorschreibt. Sie setzen sie aber nicht um. Sie
halten sich nicht daran. Was glauben Sie, warum sich ein
anderes Land daran halten sollte?





Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)


Um es auf den Punkt zu bringen: Sie zeichnen eine
Schimäre, wenn Sie der Bevölkerung sagen, es gebe
große Auflagen. Es gibt sie de facto nicht mehr. Real
wird durch das Neunergremium, das Geheimgremium,
am Sekundärmarkt in einer dreistelligen Milliardengrö-
ßenordnung gehandelt werden, ohne dass es noch einen
tatsächlichen Einfluss Deutschlands gibt. Das ist die
Wahrheit. Ich finde, das müssten Sie der Bevölkerung
vor dieser Abstimmung sagen.

Uns als Sozialdemokraten kam es in den Verhandlun-
gen vor allen Dingen auf Folgendes an: Nicht nur die
Ärmsten der Gesellschaft sollen die Last tragen, sondern
auch die Kapitalspekulanten sollen mit zur Rechenschaft
gezogen werden und ihren Teil an der Konsolidierung
der Staatshaushalte in Europa leisten. Das ist uns mit der
Zusage zur Einführung der Finanztransaktionsteuer ge-
lungen; das ist ein großer Erfolg.


(Beifall bei der SPD)


Dies schließt die Lücke, die seit zwei, drei Jahren be-
stand. Sie hatten die Besteuerung der Zockerei der Kapi-
talmärkte offen gelassen. Für uns als Sozialdemokraten
ist das eine essenzielle Bedingung – nicht nur im Hin-
blick auf die Staatseinnahmen, sondern auch im Hin-
blick auf das Gerechtigkeitsgefüge in diesem Land.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718819500

Das Wort erhält nun der Bundesminister der Finan-

zen, Dr. Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Es ist zu Beginn dieser Debatte schon von
verschiedenen Rednern gesagt worden: Wir führen eine
außergewöhnliche Debatte. Wir haben eine außerge-
wöhnliche Woche. Wir haben eine außergewöhnlich
schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Wir treffen
diese Entscheidung angesichts einer weit um sich grei-
fenden Besorgnis in unserer Bevölkerung. Deswegen
müssen wir in unserer Debatte darauf achten, dass wir
die Menschen, die aus vielen Gründen, wegen der Viel-
zahl verwirrender Meldungen und angesichts der Höhe
der Summen, verunsichert sind, nicht zusätzlich verwir-
ren und verunsichern. Deswegen ist es wichtig, die
Dinge nicht verzerrt darzustellen.


(Beifall der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Daher will ich versuchen, einige wenige Dinge rich-
tigzustellen. Herr Kollege Gabriel, es stiftet unbegrün-
dete Verunsicherung, wenn Sie die bilanziellen Risiken
– oder was immer das bei der Europäischen Zentralbank
ist – als gemeinschaftliche Haftung mit dem ESM oder
anderen Rettungsschirmen einfach vermengen, abgese-

hen davon, dass wir bei der EZB, wenn überhaupt, nur
anteilig haften.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Genau! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber haften! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Beim ESM auch!)


– Beim ESM haben wir eine etwas weiter gehende Haf-
tung, insbesondere auch bei der EFSF, weil nur die
AAA-Staaten die Hilfen garantieren. – Sie können die
Summen nicht einfach zusammenzählen; denn mit sol-
chen Horrorzahlen schüren Sie in der Bevölkerung eine
unbegründete Verunsicherung. Deswegen werbe ich da-
für, dass Sie dies nicht tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dass wir im Interbankenverkehr eine Verunsicherung
haben und dass deswegen die TARGET2-Salden höher
sind, als sie auf Dauer sein sollten, ist wahr. Aber dies ist
nicht mit Haftungsrisiken oder Gewährleistungen, die
wir im Rahmen der europäischen Rettungsschirme über-
nehmen, zu vergleichen. Man kann dies nicht zusam-
menfassen.

Die zweite Bemerkung, die ich gerne machen würde.
Es wird immer so dargestellt, als würden wir ständig
neue rote Linien ziehen und dann zurücknehmen. Das ist
nicht richtig.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Doch!)


– Nein, ich will es Ihnen gerne erläutern. – Man kann
das nur erklären, indem man zunächst einmal darauf hin-
weist, dass wir eine europäische Währung haben, und
zwar in der Konstruktion, dass wir noch keine gemein-
same Finanz- und Wirtschaftspolitik haben, dass wir et-
was Neues haben, nämlich dass der Teil staatlicher Sou-
veränität, der die Geldpolitik, die Währung in Europa
betrifft, vergemeinschaftet ist, andere Teile aber nicht.
Dafür müssen wir eine Konstruktion finden. Der Stabili-
täts- und Wachstumspakt war dafür nicht ausreichend;
dieses Konstrukt hat nicht gehalten.

Volker Kauder hat schon gesagt, dass Deutschland zu
Ihrer Regierungszeit einen erheblichen Anteil daran
hatte, dass die Regelungen des Stabilitäts- und Wachs-
tumspakts nicht eingehalten worden sind. Darauf will
ich nicht eingehen, sondern sagen: Deswegen ist es not-
wendig, in dieser Konstruktion drei Dinge zu machen:

Erstens. Es ist notwendig, darauf zu achten, dass die
Ursachen der Probleme dort, wo sie entstehen, bekämpft
werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Das sind die Schwierigkeiten in der Finanzpolitik einiger
Mitgliedstaaten. Auflagen sind nicht dazu da, andere zu
quälen, sondern um die Krise so zu bekämpfen, dass wir
für Europa insgesamt eine dauerhafte Lösung zustande
bekommen.

Zweitens geht es um Mängel bzw. Unterschiede in der
Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften.
Ein niedriges Zinsniveau hat manche Staaten über Jahre





Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)


hinweg nicht gerade dazu gedrängt, Verbesserungen ih-
rer Wettbewerbsfähigkeit im Auge zu haben. Was die
Bundeskanzlerin angesichts der globalen Entwicklung
gesagt hat, sollten wir uns alle wieder und wieder vor
Augen führen: dass es notwendig ist, dass wir – auch
dann, wenn es uns gut geht – engagiert sind, in einer sich
schnell wandelnden Welt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Andere Länder haben ein paar Jahre lang aufgrund
niedriger Zinsen keinen Druck empfunden, das Notwen-
dige zu tun. Das, was wir jetzt machen, ist keine Quäle-
rei, sondern notwendig, um in Europa stabiles, nachhal-
tiges Wachstum für alle zu gewährleisten.

Deswegen mag ich übrigens die Debatte, wer gewon-
nen hat, nicht: ob Italien, Deutschland, Irland oder wer
auch immer; beim Fußball ist das eine andere Ge-
schichte. Hier geht es darum: Wenn wir Europa richtig
machen, nützt es allen in Europa. Deswegen sind rich-
tige Entscheidungen für Deutschland auch richtige Ent-
scheidungen für Europa und umgekehrt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alles andere ist altes, veraltetes, rückwärtsgewandtes
Denken. So darf man nicht argumentieren.

Drittens. Wenn man ökonomisch richtig entscheiden
will, darf man die ökonomischen Prinzipien nicht außer
Acht lassen. Dazu gehört, dass man Entscheidungszu-
ständigkeit und Haftungsrisiko nicht voneinander trennt;
das war der Fehler bei der mangelnden Finanzmarktre-
gulierung. Wir können die Haftung für Schulden nicht
vergemeinschaften, solange wir keine gemeinsame Fi-
nanzpolitik, keine Finanzunion in Europa haben. Zu der
Aussage: „Keine Euro-Bonds, solange ich lebe“ kann
ich daher nur sagen: Euro-Bonds ohne gemeinsame Fi-
nanzpolitik will auch ich nicht erleben. Deswegen arbei-
ten wir daran, bald eine finanzielle Struktur in Europa zu
haben, die gewährleistet, dass wir über diese Fragen
nicht mehr streiten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Joachim Poß [SPD] – Sigmar Gabriel [SPD]: Einverstanden!)


– So wurde es ja gesagt. Die Bundeskanzlerin hat wieder
und wieder gesagt: Wir können die Haftung so lange
nicht vergemeinschaften, solange nicht auch die Ent-
scheidungen vergemeinschaftet sind.

Dasselbe gilt übrigens auch im Hinblick auf die Ban-
kenunion und das Thema „Direkter Zugang zur Banken-
kapitalisierung“. Solange wir keine europäische Auf-
sicht haben, solange wir also darauf vertrauen müssen,
dass nationale Aufseher das umsetzen, was notwendig
ist, und solange wir darauf nicht ausreichend vertrauen
können, wie beim Stabilitätspakt, können wir das nicht
machen. Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs
der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets von
heute Morgen lautete exakt so: Wir wollen eine gemein-
same Aufsicht in Europa als Voraussetzung dafür. –

Diese muss erst geschaffen werden. Das ist ein mühsa-
mer Prozess.

Aber stellen Sie es doch bitte nicht so dar, als entspre-
che das, was man vor zwei Tagen gesagt hat, nicht mehr
der Wirklichkeit. Die Kanzlerin hat exakt das, was seit
Jahren die Politik der Bundesregierung gewesen ist,
auch auf diesem Europäischen Rat so vertreten und
durchgesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Das stimmt nun leider nicht!)


Das ist der entscheidende Punkt. Dabei müssen wir blei-
ben.

Ich möchte einen weiteren Punkt dieser Erklärung in
der gebotenen Kürze ansprechen: die neuen Instrumente,
die im Rahmen der EFSF und im Entwurf des ESM-Ver-
trags enthalten sind. Es wurden die Art. 15 und 16 einge-
fügt. Dabei geht es um die Sekundärmarktoperationen
und die Primärmarktoperationen. Hier wurden im Hin-
blick auf EFSF bzw. ESM bestimmte Möglichkeiten ge-
schaffen. Sie stehen laut Vertrag unter der Voraussetzung
der Konditionalität. Voraussetzung ist eine Vereinba-
rung, in der die Konditionen festgelegt werden. Da die
Erklärung der Regierungschefs auf die vorhandenen
EFSF/ESM-Instrumente Bezug nimmt, ist damit nichts
anderes gemeint, als dass genau das, was im Vertrag ge-
regelt ist, auch in Zukunft gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass man im Hinblick auf die Konditionalität für die
verschiedenen Instrumente des Vertrags unterschiedliche
Inhalte festlegt, ist wahr. Allerdings stellen Sie das euro-
päische Sekundärrecht – Herr Kollege Schneider, das ha-
ben Sie eben wider besseres Wissen getan – ein bisschen
arg schwach dar. Schauen Sie sich einmal an, welche
Verpflichtungen im Rahmen des Sixpacks, der Reform
des Stabilitäts- und Wachstumspakts, des Europäischen
Semesters und der länderspezifischen Leitlinien enthal-
ten sind! Wenn diese Verpflichtungen in Vereinbarungen
festgelegt werden und wenn sie – das muss Bestandteil
der Regelung sein – durch die europäischen Institutio-
nen, so wie es der Vertrag vorsieht, im Rahmen eines
strengen Monitorings überwacht werden, dann werden
die betreffenden Länder den Weg hin zu nachhaltigen
und stabilen wirtschaftlichen und finanziellen Verhält-
nissen einschlagen. Deswegen ist diese Erklärung ein
Schritt in die richtige Richtung, in die sich auch andere
bewegen, die verstehen: Man darf Haftung und Ent-
scheidung nicht voneinander trennen.

Natürlich brauchen wir einen Fiskalvertrag. Ihn und
den Europäischen Stabilisierungsmechanismus müssen
wir heute als einen wichtigen Schritt ratifizieren, und na-
türlich müssen wir weiter in Richtung institutioneller
Veränderungen gehen, wie das in dem Mandat für die
vier Präsidenten angelegt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unserer
Bevölkerung erklären, warum wir den Gesetzentwürfen
heute zustimmen, dann müssen wir immer sagen: Wenn
diese Europäische Währungsunion auseinanderbrechen





Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)


würde oder wenn wir es nicht schaffen würden, Europa
finanzpolitisch stabil und auf dem Pfad nachhaltigen
Wachstums zu halten oder dazu zu bringen, dann wären
die Folgen nicht nur für alle anderen in Europa, sondern
insbesondere für das Land desaströs, das am stärksten
und am erfolgreichsten in den internationalen Handel
eingetreten ist.

Wer für Wachstum, Beschäftigung und soziale Sicher-
heit ist, der muss diesen beiden Verträgen heute aus vol-
ler Überzeugung zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718819600

Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718819700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-

deskanzlerin, wenn es stimmt, dass Sie bei der FDP-
Fraktion gesagt haben, dass es, solange Sie leben, keine
Euro-Bonds gibt, dann muss ich Sie aufklären: Das
Kanzleramt wird nicht auf Lebenszeit vergeben. Zwi-
schendurch finden immer wieder Wahlen statt, und dabei
kann man auch abgelöst werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber ich habe Fragen an Sie:

Warum, Frau Bundeskanzlerin, unterzeichnen Sie ei-
nen Fiskalvertrag ohne Kündigungsmöglichkeit? Warum
schreiben Sie damit die Schuldenbremse, EU-Recht und
die EU-Sanktionen aus den Art. 109, 115 und 143 d des
Grundgesetzes dauerhaft fest, obwohl der Art. 79 Abs. 1
und 2 des Grundgesetzes die Zulässigkeit der Änderung
dieser Artikel regelt? Ist Ihnen nicht klar, dass schon das
grundgesetzwidrig ist?


(Beifall bei der LINKEN)


Warum schränken Sie die Budgethoheit des Bundes-
tages dadurch gravierend ein, dass Sie den Grad der
Neuverschuldung, den Abbau von Schulden und auto-
matische EU-Sanktionen für Deutschland völkerrecht-
lich verbindlich festlegen? Wissen Sie nicht, dass Sie da-
mit die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes, nämlich
Art. 79 Abs. 3 und Art. 20, verletzen? Aus diesen Grün-
den werden wir Klage erheben.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach dem Fiskalvertrag, falls er in Kraft tritt, dürfen
im nächsten Jahr nur neue Schulden von 12,5 Milliarden
Euro aufgenommen werden. Warum, Frau Bundeskanz-
lerin, planen Sie dennoch eine Neuverschuldung von
18,8 Milliarden Euro? Es geht natürlich um die Gesamt-
verschuldung Deutschlands und damit auch um die
Schulden der Länder und Kommunen. Wollen Sie, dass
die Länder und Kommunen noch weiter geknebelt wer-

den, damit sie sich so gut wie nichts mehr für Kinder, Ju-
gendliche, Bildung, Kultur und Sport leisten können?
Haben Sie deshalb dafür gesorgt, dass die Praxisgebühr
bei Ärztinnen und Ärzten zulasten der Kranken nicht ge-
strichen wird, um die Überschüsse der Krankenkassen
gegen die Neuverschuldung zu verrechnen?

Nach dem Fiskalvertrag, wenn er denn in Kraft tritt,
muss Deutschland ab 1. Januar 2013 jährlich rund
25 Milliarden Euro an Schulden – und das 20 Jahre lang –
abbauen. Was planen Sie, Frau Bundeskanzlerin, zu kür-
zen, oder welche Steuern sollen deshalb erhöht werden?
Warum geben Sie diesbezüglich keine Auskunft?

Glauben Sie wirklich, das geht mit statistischen und
spielerischen Tricks, wie es Bundesminister Schäuble in
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung versuchte? Er hofft
ja, dass die Wirtschaftsleistung so steigt, dass der Betrag
von 25 Milliarden Euro sich entweder rechnerisch erle-
digt oder deutlich geringer wird. Wenn die Wirtschafts-
leistung aber nicht so steigt oder gar sinkt, wie 2009,
Frau Bundeskanzlerin, so bleibt meine Frage: Was soll
gekürzt oder welche Steuern sollen dann erhöht werden?

Ich frage SPD und Grüne erneut: Weshalb fragen Sie
nicht danach? Weshalb wollen Sie keine Auskunft?


(Beifall bei der LINKEN)


Bitte erklären Sie, Frau Bundeskanzlerin, weshalb
von der Europäischen Zentralbank – das heißt zu 27 Pro-
zent von deutschen Steuerpflichtigen; ein Anteil, der
jetzt übrigens steigen wird – den großen europäischen
Privatbanken ein Darlehen von 1 Billion Euro für drei
Jahre und 1 Prozent Zinsen gewährt wird, die dieses
staatliche Geld dann weiterverleihen, zum Beispiel an
Italien und Spanien, und dabei über 6 Prozent Zinsen
verlangen. Warum müssen den Großaktionären der Pri-
vatbanken Milliarden Euro auf Kosten unserer Steuer-
pflichtigen zugeschanzt werden?


(Beifall bei der LINKEN)


Nun haben Sie auf dem EU-Gipfel geregelt, dass das
Geld vom Rettungsschirm nicht mehr über die Regie-
rung, sondern auch direkt an Banken und Hedgefonds
fließen kann. Ich danke Ihnen für die geschaffene Klar-
heit. Nun weiß jede und jeder: Es geht nur um die Ret-
tung der Banken und Hedgefonds. Dahinter steckt aber
ein Trick. Dadurch, dass das Geld nicht über die Regie-
rung, sondern gleich an die Banken fließt, muss formal
die Staatsverschuldung nicht erhöht werden. So vermei-
den Italien und Spanien die Diktate der Troika, vielleicht
sogar jede Auflage, was diese freute und Sie wohl nicht,
was aber eindeutig dem Rettungsschirmvertrag wider-
spräche, den Sie trotzdem heute hier beschließen lassen
wollen.

Sie verlangen von Staaten, die Geld für ihre Banken
und Hedgefonds bekommen, dass Löhne, Renten, So-
zialleistungen und Investitionen gekürzt werden. Wissen
Sie nicht, Frau Bundeskanzlerin, dass dadurch die Wirt-
schaftsleistung sinkt, die Arbeitslosigkeit zunimmt und
die Steuereinnahmen rückläufig sind? Warum verlangen
Sie keine Steuergerechtigkeit, keine wirksame Bekämp-
fung der Steuerhinterziehung, keine Schließung der





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


Steueroasen? Warum verlangen Sie keine Millionärs-
steuer? Warum müssen die Nutznießer der Krise nichts,
aber auch gar nichts für die Kosten der Krise bezahlen?


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn ich einer Nachbarin oder einem Freund Geld
leihe, möchte ich auch deshalb, dass es ihr oder ihm gut
geht, weil ich nur dann mein Geld zurückbekomme. Sie,
Frau Bundeskanzlerin, organisieren aber das Gegenteil.
Warum begreifen Sie nicht diese schlichte Logik?

Und warum, Frau Bundeskanzlerin, lassen Sie über
all das nicht unsere Bevölkerung entscheiden?


(Beifall bei der LINKEN)


Europa, Frau Bundeskanzlerin, ist sehr wichtig. Trei-
ben Sie es den Europäerinnen und Europäern nicht aus!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718819800

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Lisa Paus, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1718819900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Frau

Merkel vor einem guten halben Jahr den permanenten
Rettungsschirm mit dem Fiskalvertrag zu einem Paket
verschnürte, da hat sie in der deutschen Bevölkerung die
Hoffnung geschürt, die Euro-Krise könnte damit endlich
gelöst werden. Heute Abend ist klar – auch nach dem
Gipfel –: Diese Krise wird auch am Montag damit nicht
beendet sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn aber nach zwei Jahren Euro-Krise, nach mehreren
intensiven Verhandlungswochen zum Fiskalpakt und
auch nach dem europäischen Gipfel eine dauerhafte Lö-
sung der Krise nach wie vor nicht erkennbar ist, dann
meine Damen und Herren, ist das einfach zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So werden wir in diesem Hause unserer Verantwortung
für Europa schlichtweg nicht gerecht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


Die weitere Verschärfung der Finanz- und Wirt-
schaftskrise in Europa erfordert von uns, grundlegende
Richtungsentscheidungen für die Zukunft der Europäi-
schen Union zu treffen. Die Zeit des Durchwurschtelns
ist zu Ende. Deswegen war es richtig, in den Verhand-
lungen zwischen Regierung und Opposition diese not-
wendige Richtungsänderung auch von grüner Seite zu
versuchen. Es wurden Verbesserungen erreicht, die auch
bei mir in normalen Zeiten zu einer Zustimmung geführt
hätten. Aber, meine Damen und Herren, wir sind nicht in
normalen Zeiten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!)


Ich muss heute immer noch feststellen, dass diese Ko-
alition von Schwarz und Gelb nach wie vor nicht bereit

ist, das Notwendige – ich rede hier nicht vom grünen
„Wünsch-dir-was“, sondern schlicht vom Notwendigen –
zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann deshalb meine Hand zu diesem Verhandlungs-
ergebnis nicht reichen. Dieses Scheitern an dem aus mei-
ner Sicht historisch Notwendigen will ich mit einer Ent-
haltung zum Ausdruck bringen.

Der Euro wird nicht scheitern, wenn der Fiskalpakt
heute Abend nicht beschlossen wird. Aber er wird schei-
tern, wenn der Merkel’sche Kurs nur mit leichten Kor-
rekturen weiterhin zu wenig zu spät macht für Europa.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Warum die Merkel’sche Fiskalpaktlogik in einer Wäh-
rungsunion schlicht falsch ist und nicht nur durch ein In-
vestitionsprogramm ergänzt, sondern zumindest durch
die Einführung eines Altschuldentilgungsfonds mit ge-
meinsamen europäischen Anleihen von nationale auf eu-
ropäische Füße gestellt werden muss, das zeigt das ak-
tuelle Beispiel Spanien.

Spanien hat noch heute einen geringeren Schulden-
stand als Deutschland. Spanien hat in den vergangenen
zwei Jahren nach einhelliger Auffassung dieser Bundes-
regierung vorbildliche strukturelle Reformen durchge-
führt. Trotzdem musste Spanien einen Antrag auf Hilfe
aus dem Rettungsschirm stellen. Trotzdem liegt die Ju-
gendarbeitslosigkeit in Spanien bei 50 Prozent.

Obwohl die Finanzminister die Zusage gemacht ha-
ben, Spaniens Banken mit potenziell 100 Milliarden
Euro aus dem Rettungsschirm zu helfen, waren die Zins-
kosten Anfang dieser Woche nicht niedriger, sondern ha-
ben sich sogar verdreifacht. Das ist ein Problem; denn
Spanien kann sein Wachstum zur Finanzierung der Zins-
zahlungen nicht im gleichen Maße verdreifachen. Des-
wegen braucht Spanien Hilfe gegen den Zinsdruck. Des-
wegen brauchen wir einen Altschuldentilgungsfonds.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Schuldenbremsen sind nicht grundsätzlich falsch.
Aber wenn sie falsch gestaltet sind, dann sind sie falsch.
Dann üben sie einseitig Druck auf die Staatsausgaben
aus, selbst bei der Bereitstellung wichtiger Elemente der
Daseinsvorsorge. So erleben wir gerade, wie die Defizit-
regeln in den Krisenstaaten genau dazu führen, dass
etwa die Medikamentenversorgung in Griechenland
nicht mehr gewährleistet ist oder dass in Portugal die
Wasserversorgung privatisiert wird.

Wir brauchen jetzt in Europa kein noch engeres Spar-
korsett durch einen Fiskalpakt mit Ewigkeitsklausel au-
ßerhalb der europäischen Verträge, sondern wir brau-
chen ein Mehr an gemeinschaftlichem Europa. Wir
brauchen eine Stärkung der Demokratie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)






Lisa Paus


(A) (C)



(D)(B)


Ich weiß, es ist nicht einfach, sich dafür einzusetzen.
Ich erlebe das jeden Tag im Gespräch mit den Bürgerin-
nen und Bürgern. Aber ich erlebe auch: Es ist erklärbar,
dass unsere Demokratie mit anderen Demokratien in ei-
nem gemeinsamen Europa näher zusammenrücken
muss, damit Deutschland und der Rest der Euro-Zone
dauerhaft aus der Krise herauskommen.

Sie von der Koalition hingegen erlauben nach wie vor
schlichtweg aus Angst vor dem Stammtisch, dass 17 De-
mokratien wegen einer falschen Konstruktion der Wäh-
rungsunion weiter jeden Tag Getriebene der Märkte blei-
ben. Aber wenn man den Bürgerinnen und Bürgern
jeden Tag die Ohnmacht der Demokratie gegenüber den
vermeintlich anonymen Märkten durch das Aufspannen
von immer neuen und größeren Rettungsschirmen vor-
führt, dann ist das die wirkliche Gefahr für die Demokra-
tie.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718820000

Nächster Redner ist der Kollege Frank Schäffler,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1718820100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Das ist ein historischer Zeitpunkt, über den wir
heute sprechen. Das ist ein Scheideweg für Europa.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder!)


Die einen wollen Europa zu mehr Zentralismus füh-
ren und nennen das EFSF, ESM, Projektbonds usw., usf.
Am Ende steht der europäische Superstaat, der europäi-
sche Einheitsbürger. Das ist nicht meine Vorstellung von
Europa.


(Beifall des Abg. Manfred Kolbe [CDU/CSU])


Meine Vorstellung von Europa ist ein Europa des
Rechts, der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


ein Europa, das auf die individuelle Freiheit setzt, ein
Europa der Römischen Verträge, ein Europa der vier
Grundfreiheiten, ein Europa, das Reisefreiheit, Waren-
und Verkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Kapi-
talverkehrsfreiheit sichert. Das war eine Bewegung von
unten nach dem Krieg, durch die Europa dahin geführt
wurde, dass Millionen von Menschen und Millionen von
Unternehmen Handel getrieben und sich ausgetauscht
haben. Das war eine Bewegung von unten.

Der Euro ist eine Bewegung von oben. Er ist ein zen-
tralistisches Projekt. Dieses zentralistische Projekt muss
jetzt mit Milliarden an Geldern korrigiert werden, und es
führt am Ende nicht zum Guten. Es führt am Ende viel-
mehr dazu, dass man in Europa einen europäischen Su-
perstaat durch die Hintertür einführen will. Ich meine,
wer dies will, muss das Volk fragen, muss die Menschen
fragen. Das darf nicht durch die „kalte Küche“ entste-
hen.

Wenn wir Deutschland in eine neue Staatlichkeit füh-
ren, dann muss eine Volksabstimmung es möglich ma-
chen, dass alle Menschen mitreden können. Das darf
nicht durch die „kalte Küche“ geschehen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Die europäische Einigung muss rechtsstaatlich
geschehen. Es kann nicht sein, dass alle die Verträge in
Europa unterschreiben, aber sich keiner daran hält. Wer
die Regeln verletzt, der muss sanktioniert werden, der
muss auch so weit sanktioniert werden, dass die Strafen
durchgesetzt werden. Es kann nicht sein, dass jemand
bei Rot über die Ampel fährt und andere die Strafzettel
bezahlen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ui, ui, ui!)


Das ist nicht meine Vorstellung von Europa.

Wer Risiken als Investor eingeht, der muss auch für
diese Risiken haften. Er darf sie nicht zulasten der euro-
päischen Steuerzahler sozialisieren. Das machen wir
aber jetzt fortgesetzt. Das machen wir jetzt im dritten
Jahr dieser Krise.

Wir lösen dieses Problem dadurch, dass die Investo-
ren weitere Risiken eingehen können und dass diese
Risiken weiter sozialisiert werden können. Wir glauben,
mit neuen Schulden könnten wir das Verschuldungspro-
blem lösen. Aber das Verschuldungsproblem kann man
nicht durch neue Schulden lösen, und man kann auch
nicht daraus herauswachsen. Denn die Ursache dieser
Krise ist ein Wachstum, das auf Sand gebaut war. Dieses
Wachstum auf Sand will sich jetzt korrigieren. Das kann
man nicht mit neuen Schulden korrigieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Deshalb müssen wir zu einem Europa des Rechts, der
Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit zurückkehren. Das
heißt, es müssen wieder die europäischen Regeln gelten,
dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes
haftet oder für diese Schulden eintritt. Die Nichtbei-
standsklausel wird fortgesetzt mit Füßen getreten. Wir
erleben einen kollektiven Rechtsbruch in Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir müssen das Erpressungspotenzial der Nehmer-
staaten und Banken in Europa durchbrechen. Das ist die
einzige Möglichkeit, um am Ende vernünftig aus dieser
Situation herauszukommen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kriegt man ja Gänsehaut!)


Wilhelm Röpke, einer der Gründerväter der sozialen
Marktwirtschaft und bekennender Europäer, hat schon
früh gesagt: Die Einheit in der Vielheit macht das Wesen
Europas aus.

Ich glaube, wir legen heute mit der Entscheidung für
den ESM und für den Fiskalpakt die Lunte an das Haus
Europa.





Frank Schäffler


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718820200

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Dr. Peter

Danckert, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU] – Sigmar Gabriel [SPD]: Peter, ich bleibe trotzdem dein Fan!)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1718820300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

Ich möchte mich zunächst einmal bei meiner Fraktion
dafür bedanken, dass ich als Dissident, wie es heute in
der Presse heißt, Gelegenheit habe, in vier Minuten mei-
nen Standpunkt darzulegen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann mal los!)


Das ist zwar keine lange Zeit, aber ich erkenne es an,
dass – daran hat Präsident Lammert auch mitgewirkt –
Abweichler zu Worte kommen und ich diese Redezeit
habe.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt sind es nur noch drei Minuten! Weiter!)


Ich werde im Laufe dieser kurzen Ausführungen nicht
alles darlegen können, was vorzubringen ist. Das kann
man dann in meiner persönlichen Erklärung nachlesen,
wobei ich Rolf Schwanitz sehr dankbar dafür bin, dass er
das so präzise formuliert hat. Darin werden die wesentli-
chen rechtlichen Argumente vorgetragen wie im Übri-
gen auch in der Verfassungsbeschwerde, die heute
Abend gegen 22 Uhr in Karlsruhe eingehen wird.

Wir haben eine lange Debatte geführt. Ich will denje-
nigen, die dem Vertragswerk heute in der überwiegenden
Mehrzahl zustimmen, überhaupt nicht die Redlichkeit
absprechen. Aber ich bitte auch um Verständnis für die-
jenigen, die heute dem Vertragswerk nicht zustimmen,
mit Nein stimmen und sogar einen Schritt weiter gehen
und das Bundesverfassungsgericht anrufen. Auch dieje-
nigen verdienen keine üble Nachrede. Ich habe das bis-
her auch nicht so empfunden. Die Debatte war ziemlich
fair.

Wir sind – das haben alle Redner mehr oder weniger
klargestellt – in einer krisenhaften Situation in Europa,
wie sie wahrscheinlich kaum schlimmer zu denken ist
und wie es sie bisher noch nicht gegeben hat. Ich komme
kurz auf den am Mittwoch von den Koalitionsfraktionen,
der SPD und den Grünen beschlossenen Änderungsan-
trag zurück, der heute kaum noch das Papier wert ist, auf
dem er geschrieben steht. Frau Bundeskanzlerin, Sie
haben vorhin vollmundig erklärt, was alles geht und was
nicht geht. Wir haben gesehen, dass offensichtlich nach
einer dramatischen Sitzung in Brüssel über Nacht auf
einmal Punkte in die Conclusio gekommen sind, die wir
bisher für nicht möglich gehalten haben. Nun wird so
getan, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Man
muss nur einmal in diesen Stunden die italienische
Presse lesen. Dann wird man feststellen, wie Monti für

das gefeiert wird, was er in Brüssel in dieser Nacht
durchgesetzt hat. Die Diskrepanz zwischen dem, was
heute hier verbreitet wird, und dem, was zum Beispiel
die Italiener und andere Staaten, zum Beispiel auch
Frankreich, aus der gemeinsamen Erklärung heraus-
lesen, ist erstaunlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die haben gestern Fußball gespielt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die feiern sich selbst!)


Ich muss an dieser Stelle betonen, dass wir erst vor
wenigen Tagen, am 19. Juni, ein Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts erhalten haben, in dem klipp und klar
festgehalten wird, dass alles, was in den letzten Wochen
und Monaten die Regierung, die Exekutive, mit uns,
dem Parlament, gemacht hat, nicht der Verfassung ent-
spricht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gab keine ausreichende Information. Das ist wirklich
ein Trauerspiel. Ich muss es einmal so sagen: Der
Nebenkanzler Seehofer hat in einer bemerkenswert deut-
lichen Erklärung zum Ausdruck gebracht, dass er das
Vorgehen der Bundesregierung gegenüber dem Parla-
ment und die wiederholten Niederlagen, die die Bundes-
regierung vor Gericht erlitten hat, weil sie nicht rechtzei-
tig die Meinung des Parlaments eingeholt hat, mehr als
peinlich und unglaublich empfindet. Der Stil, in dem die
Exekutive mit dem Parlament umgeht, ist nicht richtig.

Für mich ist folgender Satz unseres Bundestagspräsi-
denten zum Lebensprinzip geworden: Nicht die Regie-
rung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament hält
sich eine Regierung. – Wir sind aber weit davon entfernt,
diesen fundamentalen Rechtsgrundsatz, der sich im Üb-
rigen auch aus Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes – „alle
Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – ableitet, zu befol-
gen. Wir ignorieren diesen Rechtsgrundsatz permanent.
Ich hoffe, dass mit der Verfassungsbeschwerde in Karls-
ruhe einige Dinge geradegerückt werden. Ich will keine
Prognose wagen, aber wenn ich den Gang nach Karls-
ruhe für ausweglos gehalten hätte, hätte ich ihn nicht un-
ternommen.

Ich will noch zwei Sätze zu ESM und Fiskalpakt
sagen. Es ist falsch, dass sich das Haftungsrisiko, wie
berichtet, auf nur 190 Milliarden Euro beläuft. Das ist in
Verbindung mit dem ESM nur die halbe Wahrheit. Insge-
samt handelt es sich um 320 Milliarden Euro. Eine stolze
Summe! Aber nun wird so getan, als wäre das alles in
keinem besonderen Umfeld geschehen. Es wird versucht
– das ist auch heute geschehen –, die Verpflichtungen,
die wir mittelbar über die EZB haben, und die anderen
internationalen Verpflichtungen herauszurechnen. Das
darf man nicht. Die 1,2 Billionen Euro bei der EZB
kommen doch über die Bundesbank wieder auf uns zu.
Das ist ein finanzielles Desaster, das im Worst Case zu
bewältigen ist. Das ist grauenhaft.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718820400

Herr Kollege, Sie wollten noch zwei knappe Bemer-

kungen machen.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1718820500

Zwei knappe Bemerkungen. – Ich danke Ihnen, Herr

Präsident.

Zum Fiskalpakt. Die mit dem Fiskalpakt – ich glaube,
Herr Brüderle hat es ähnlich ausgedrückt – schleichend
einhergehende Änderung bzw. Beeinflussung unserer
Verfassung über europäische Verträge ist eine neue
Staatspraxis, die ich persönlich nicht akzeptieren kann.
Wir werden auch diese Frage natürlich dem Verfas-
sungsgericht vorlegen. Ich glaube, wir sind gut beraten,
wenn wir das, was als Verfassungsänderung nötig oder
gegebenenfalls als Volksentscheid erforderlich ist, hier
im Parlament bzw. in Deutschland regeln und uns nicht
auf dem Umweg über europäische Verträge Änderungen
unserer Verfassung sozusagen beibringen lassen.

Vielen Dank, Herr Präsident, auch für Ihre Groß-
zügigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718820600

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Gauweiler,

CSU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)



Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1718820700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Verehrter Herr Kollege Danckert, es ist mir eine
Freude und Ehre, dass ich nach Ihnen sprechen kann. Ich
verstehe Ihre Genugtuung, dass auch Sie es erreicht
haben, dass Ihre Fraktion Sie hier als Redner nominiert
hat – so wie es mir auch widerfahren ist. Wir sind in
starke und souveräne Parteien eingetreten und nicht in
solche, die es nötig haben, Leute mit anderer Meinung
am Reden zu hindern. In den letzten drei bis vier Wo-
chen gab es eine positive Entwicklung in dieser Hin-
sicht, und wenn die Entwicklung in den nächsten vier
Wochen – ich bin sehr zuversichtlich – so weitergeht,
dann sind wir vor einem guten Lauf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann reden Sie nur noch, Herr Gauweiler! Kommen Sie einfach öfter!)


Mein Fraktionsvorsitzender Kauder hat eine richtige
Einschätzung zum Thema und zur Debatte genannt. Wir
streiten über wegweisende und existenzielle Beschlüsse.
Unsere Einwände tragen wir hier nicht aus Querköpfig-
keit und Quertreiberei heraus vor. Wenn Sie es nur so
sehen, kann ich nichts dagegen unternehmen. Aber es
sollte Ihnen allen zu denken geben, dass sich in allen
Parteien, die hier in diesem Hause vertreten sind, nam-
hafte Frauen und Männer in den letzten Wochen und
Monaten entschlossen haben, gegen diese Pläne das
Bundesverfassungsgericht anzurufen. Das gilt übrigens
auch für die Grünen. Ich grüße an dieser Stelle den Frak-
tionsvorsitzenden der Grünen im Bayerischen Landtag,
Dr. Martin Runge, der heute Nachmittag erklärt hat, dass

er gegen die heutigen Beschlüsse das Bundesverfas-
sungsgericht anrufen wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen diese
ganz große Koalition im Argumentativen steht der Ein-
wand, dass die zentralen Fragen von Ihnen angespro-
chen, aber – aus welchen Gründen auch immer; die Poli-
tik ist vielschichtig – nicht zu Ende diskutiert werden.
Dafür sind beispielhaft zwei Thesen – die ich beide für
richtig halte – anzuführen, die in den letzten drei Wo-
chen in den Führungen von CDU/CSU und SPD aufge-
stellt worden sind.

Die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, hat im ARD-Mor-
genmagazin am 7. Juni dieses Jahres erklärt: Wir brau-
chen nicht nur eine Währungsunion, wir brauchen vor
allem eine politische Union. – Im Nachklang dazu hat
der oberste SPD-Europapolitiker, Herr Schulz, der Präsi-
dent des Europäischen Parlaments, zu Beginn dieser Wo-
che erklärt: Die Währungs- und Wirtschaftsunion ohne
die politische Union ist eine Fehlkonstruktion. – Ende
beider Zitate.

Ich denke, wenn Sie die Debatte mit Blick auf diese
Richtungsbestimmung führen, kommen Sie nicht darum
herum, dem deutschen Volk zu sagen, was Sie mit poli-
tischer Union meinen. Wollen Sie den europäischen
Unionsstaat? Dann müssen wir darüber diskutieren, ob
ein solcher den ganzen Erdteil umfassender Großstaat er-
strebenswert ist und ob er – wie die Grünen es nennen –
eine gesellschaftliche Mehrheit hat.

Sie müssen auch die Antwort darauf geben, dass die
D-Mark ohne diese politische Union nicht hätte abge-
schafft werden dürfen; denn das ist die Konsequenz Ihrer
eigenen Thesen, die Sie in den letzten 14 Tagen vorge-
tragen haben.

Was die gesellschaftliche Mehrheit angeht, haben sich
Herr Schäuble und sein Vorgänger, Herr Steinbrück, in
der letzten Woche ebenfalls ganz klar geäußert. Herr
Schäuble sagte, was die Volksabstimmung angeht:

Aber ich gehe davon aus, dass es schneller kommen
könnte, als ich es noch vor wenigen Monaten ge-
dacht hätte.

Herr Steinbrück sagte:

Wer den Verfassungsrichtern aufmerksam zugehört
hat, weiß, dass es anders nicht geht.

Sie alle kennen diese Zitate. Wie kommen Sie ange-
sichts dieser Einsicht dazu, heute ein neues völkerrecht-
liches Subjekt zu beschließen, das ohne demokratische
Absicherung und Legitimation das größte Haftungspro-
jekt in der Bundesrepublik Deutschland ist? Das ist völ-
lig unbegreiflich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Wir klagen auch, um deutlich zu machen, dass es
nicht eine propagandistische Behauptung ist, sondern
dass, belegbar in diesen Verträgen, die hier von diesem
Parlament verabschiedet werden, haushaltsrelevante
Entscheidungen des ESM gegen den Willen Deutsch-





Dr. Peter Gauweiler


(A) (C)



(D)(B)


lands, gegen den demokratischen Willen der Bundesre-
publik Deutschland möglich sind.

Sie alle, die sich damit beschäftigt haben, wissen es:
Kapitalabrufe durch den geschäftsführenden Direktor:
Wenn Verluste dazu führen, dass eingezahltes Kapital
unter den vertraglich festgelegten Gesamtwert gesunken
ist, sind die Mitglieder des ESM dann verpflichtet, ohne
dass irgendeiner von Ihnen einen Pieps dazu zu sagen
hätte, nachzuschießen, und zwar in zweistelliger Milliar-
denhöhe. Entsprechendes gilt, wenn einzelnen Staaten
aus politischen Gründen Schulden erlassen werden sol-
len. Das sind haushaltsrelevante Entscheidungen, die
nicht mehr hier getroffen werden müssen.

Die Direktoriumsmitglieder sind völkerrechtlich nicht
weisungsgebunden. Sie wollen heute noch einmal be-
schließen, die Parlamentsvorbehalte völkerrechtlich
nicht abzusichern. Die fehlende Durchsetzbarkeit dieser
Parlamentsvorbehalte ist jedem von Ihnen von Ihren ei-
genen Juristen in Riesenschriftsätzen dargestellt worden.
Die Schweigepflicht, die jeder dieser großmächtigen
ESM-Direktoren hat, gilt Ihnen gegenüber. Was ist das
denn für eine parlamentarische Kontrolle, bei der der zu
Kontrollierende sagen könnte: „Ich stehe unter Schwei-
gepflicht, und ihr habt mir nichts zu sagen“? Von wel-
chen Parlamentsverhältnissen gehen wir denn hier aus?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)


Außerdem reden wir über die Haftung und über die
Haftungsvolumina. Sie übernehmen heute Bürgschaft,
nichts anderes. Sie müssen wissen, ob im Fall des Risi-
koeintritts auch ein Totalverlust noch refinanzierbar ist.
Auch dazu gibt es zwei Zitate, die Sie alle sehr gut ken-
nen. Diese Zitate, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, sind nicht von vor 20 Tagen, sondern von vor vier
Jahren. Angela Merkel und Herr Steinbrück im Wortlaut:

Die Bundesregierung sagt am heutigen Tag, dass
wir nicht zulassen werden, dass die Schieflage ei-
nes Finanzinstituts zu einer Schieflage des gesam-
ten Systems wird.

5. Oktober 2008.

Sie sagten: Deswegen geben wir eine Garantie für alle
Sparer ab.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718820800

Herr Kollege.


Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1718820900

Ich bin gleich fertig. – Können Sie nach Beschluss der

heutigen Bürgschaft, Sie, Frau Bundeskanzlerin, und Ihr
potenzieller Gegenspieler, Herr Steinbrück, diese Versi-
cherung für die deutschen Spareinlagen noch abgeben?
Wenn Sie sagen: „Ja, wir können es“, dann müssen Sie
erklären, wie das angesichts dieser Schuldenlast, die Sie
übernehmen, funktionieren soll. Wenn Sie sagen: „Wir
können sie nicht abgeben“, dann dürfen Sie diesen Ver-
trag nicht unterschreiben, und Sie alle dürfen es auch
nicht tun.

Auch wenn Karlsruhe kein Nebenort von Philippi ist,
meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen wir uns
dort wieder.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718821000

Nun erhält das Wort der Kollege Otto Fricke für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1718821100

Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-

men und Herren! Geschätzter Herr Vorredner, wenn man
von Parlamentsrechten redet, sollte man aber immer
auch die Möglichkeit sehen, diese als Abgeordneter so
weit und so oft wie möglich auch wahrzunehmen. Das
von meiner Seite.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle haben Verantwortung für Europa. Wir haben
eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie wir diese
Verantwortung wahrnehmen wollen, und wir tun das un-
terschiedlich: Manche gehen vor Gericht. Manche stim-
men dagegen und gehen nicht vor Gericht. Die Mehrheit
wird heute dafürstimmen. Aber wir haben als Sozial-
staat, als Staat, der eine soziale Gemeinschaft ist und auf
europäische Werte Wert legt, aufgrund unserer Stärke
eine ganz besondere Verantwortung. Diese Verantwor-
tung nehmen wir an einem Freitag um 20.19 Uhr und da-
nach wahr. Das zeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist.
Selbst die Anwesenheit auf der Bundesratsbank zeigt,
wie wichtig dieses Thema ist. Zum Bundesrat und der
Frage, wie man mit Geld umgehen sollte, könnte ich
zwar etwas sagen, ich werde es heute aber nicht tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben dabei in Europa weiterhin eine unter-
schiedliche Mentalität. Ich will es deutlich in Richtung
der Bundeskanzlerin sagen: Wir haben doch erlebt, dass
alle in Europa von uns etwas wollen, die einen etwas
mehr und die anderen etwas weniger; das dürfen sie mit
ihren unterschiedlichen Mentalitäten auch tun. Aber wir
müssen immer erkennen, dass diejenigen, die für uns in
Europa verhandeln – egal, von welcher Partei sie sind
und woher sie kommen –, unter einem enormen Druck
stehen. Deswegen finde ich es ganz gut, wenn sich die
Kanzlerin auch einmal ein wenig in den Reihen der FDP
von diesem Stress erholen kann.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen ist sie auch gegangen, als du geredet hast!)






Otto Fricke


(A) (C)



(D)(B)


Meine Damen und Herren, ich will noch etwas zur
rechtlichen Seite sagen. Es ist hier gesagt worden: Es ist
ja unglaublich, wie oft das Bundesverfassungsgericht
diese Koalition hat korrigieren müssen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das hat Herr Seehofer gesagt!)


Schauen wir doch einmal in die Geschichte und seien wir
doch einmal ehrlich. Hören wir doch auf, zu fragen: Wer
ist heute Gewinner, und wer ist heute Verlierer? Am Ende
wollen wir, dass die Bürger der Bundesrepublik Deutsch-
land und Europas die Gewinner sind. Schauen Sie doch
einmal: Jede Regierung hat von Karlsruhe Hinweise be-
kommen, was geht und was nicht geht. Das ist in einem
Rechtsstaat in Ordnung, und das ist auch richtig. Wir set-
zen das dann auch um, so wie heute mit den Gesetzen, die
wir mit Unterstützung der Grünen und der SPD verab-
schieden werden. Das gehört in einer Demokratie dazu;
das darf man den Bürgern draußen auch einmal sagen.
Wir nehmen das Gericht ernst, aber wir nehmen auch un-
sere Verantwortung für die Bürger Deutschlands deutlich
ernst.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, eine kritische Bemerkung
möchte ich aber doch noch machen, und zwar zu den
Äußerungen von wegen: Es ist gut, dass wir erst heute
debattieren, weil sonst Italien, Frankreich und Spanien
viel mehr Schwierigkeiten gehabt hätten, ihre Positionen
durchzusetzen. Wir im Parlament haben nicht die Auf-
gabe – darum geht es nicht –, die Positionen dieser Län-
der durchzusetzen. Es geht hier darum, dass wir das
durchsetzen, worauf wir eingeschworen sind, nämlich
auf unsere Verfassung und primär auf den Schutz der
Bürger der Bundesrepublik Deutschland, aber dann eben
auch der Bürger Europas.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich will doch noch eine
Anmerkung machen. Wir werden – da muss ich der grü-
nen Kollegin widersprechen – noch lange, noch viel,
noch oft, sehr differenziert und möglicherweise auch
streitig über Europa reden. Europa ist etwas – das müs-
sen wir den Bürgern immer wieder sagen –, das es wert
ist, dafür zu kämpfen, wozu man nicht nur eine Meinung
haben kann, sondern eine Haltung haben muss. Europa
ist schwierig; aber Europa ist zugleich Deutschlands Zu-
kunft, wenn die Regel gilt, dass derjenige, der dem ande-
ren hilft, von dem anderen erwarten kann, dass er dafür
etwas tut.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718821200

Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1718821300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich habe in den letzten Tagen und Wochen in den
Diskussionen und Verhandlungen, die wir geführt haben,
sehr viele Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen
Fraktionen erlebt, die sich diese Entscheidung außeror-
dentlich schwermachen. Das sollte man auch einmal an-
erkennen. Ich erlebe viele, die jetzt, in den letzten Minu-
ten und Stunden vor der Entscheidung, noch mit sich
ringen, wie sie sich am Ende entscheiden werden, so-
wohl beim ESM als auch beim Fiskalpakt.

Ich will eines sagen: Es ist nicht schlecht für unser
Parlament, dass wir es uns nicht leichtmachen. Aber es
gibt auch welche von den politischen Rändern hier im
Hause, meine Damen und Herren, die es sich verdammt
einfach machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Art und Weise, wie sich der Nationalismus von
Herrn Schäffler mit dem Applaus der Linkspartei verbin-
det, ist bezeichnend.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Zurufe von der LINKEN)


Die Frage, über die wir heute mit zu entscheiden ha-
ben, ist tatsächlich, ob man dazu steht, dass wir uns nicht
nur auf den schwierigen, mühsamen Weg der Krisenbe-
wältigung machen, sondern auch den Auftrag aus der
Präambel unseres Grundgesetzes ernst nehmen, dafür zu
sorgen, dass Deutschland „als gleichberechtigtes Glied
in einem vereinten Europa“ – es heißt: vereintes Eu-
ropa – mitwirkt. Die Renationalisierung, der Zerfall Eu-
ropas, ist das größte ökonomische und soziale Risiko,
aber vor allen Dingen das größte Risiko für unsere De-
mokratie. Das gilt es abzuwenden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben verschiedentlich deutlich gemacht, dass
wir im Moment, in diesem Sommer, in einer dramatisch
schwierigen Situation sind, die auch nicht durch die Ab-
stimmungen heute beendet wird. Das hat unterschiedli-
che Ursachen. Aber es ist auch klar geworden, dass Sie,
Frau Merkel, mit der Art und Weise, wie Sie in den letz-
ten drei Jahren, im Verlauf der Krise, mit den Dingen
umgegangen sind, diese Krise mit verschärft haben. Wie
war das denn mit den Ankündigungen am Anfang: „Kein
Cent für Griechenland“? Nach den nordrhein-westfäli-
schen Landtagswahlen waren es damals keine Cents,
sondern Riesenpakete. Es hat Vertrauen gekostet, den
Menschen etwas vorzumachen. Später kam es dann an-
ders und dicker.

Wie war es denn, als der griechische Ministerpräsi-
dent Papandreou sein Volk befragen wollte und Herr
Sarkozy und Frau Merkel ihm wie einem kleinen Schul-
jungen das verboten haben mit dem Ergebnis, dass wir in
Griechenland, was die Akzeptanz von Strukturreformen
betrifft, in ungemein schwieriges Fahrwasser geraten
sind? Bis in die letzten Tage setzt sich das alles fort.





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Aber der ökonomische Kinderglaube dieser Regie-
rung ist der eigentliche Grund, warum wir in einer solch
dramatischen Situation sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Glaube, dass man allein mit immer höheren Hilfs-
krediten und gleichzeitig harten Sparauflagen die Krise
in Ordnung bringt, hat eine Tatsache über drei Jahre ver-
nachlässigt, nämlich dass man Staatshaushalte nicht
ohne wirtschaftliches Wachstum in Ordnung bringen
kann.


(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Das ist wirklich lächerlich!)


Deshalb war und ist es richtig, dass wir das Wachstums-
paket im Rahmen der Verhandlungen durchgesetzt ha-
ben.


(Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


Wir wollen Haushaltskonsolidierung, Herr Hinsken.
Das ist nichts, worüber wir uns streiten müssen. Staatsfi-
nanzen müssen in Ordnung gebracht werden, damit die
Staaten nicht immer abhängiger von den Launen der Fi-
nanzmärkte werden. Aber wer glaubt, dass man mit
Rezession Haushalte in Ordnung bringen kann, vernach-
lässigt eines: Investitionen sind notwendig, um wirt-
schaftliches Wachstum zu erzeugen. Deshalb haben wir
Gott sei Dank diesen Merkel’schen Weg in den Verhand-
lungen korrigiert.


(Beifall bei der SPD)


Ich habe die Verhandlungen geführt im Gegensatz zu
dem, was Sie in den letzten Tagen so erzählt haben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718821400

Herr Kollege Heil, darf der Kollege Schäffler Ihnen

eine Zwischenfrage stellen?


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss das sein?)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1718821500

Sehr gerne, Herr Schäffler.


Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1718821600

Herr Kollege Heil, Sie haben mir vorgeworfen, ich

hätte hier nationalistische Positionen vertreten.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Da hat er nicht zugehört, der Herr Heil!)


Ich will Ihnen sagen: Das Gegenteil habe ich vertreten.
Ich habe für ein Europa der Vielfalt geworben, nicht für
ein Europa der Einfalt. Sie wollen die Schulden in Eu-
ropa sozialisieren. Das will ich nicht. Ich will ein Europa
des Rechts, der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit. Das
ist genau das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben.
Sie zerstören durch Ihre Politik Europa. Ich will ein le-
bendiges Europa der Vielfalt, und das ist genau das Ge-
genteil von dem, was Sie vorhin gesagt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1718821700

Herr Kollege Schäffler, bei allen Problemen, die wir

haben, und bei aller Dramatik der Krise – in der Analyse,
in der Einschätzung sind wir uns vielleicht einig, näm-
lich dass das im Moment eine Riesenbedrohung ist für
unseren Kontinent. Eines aber will ich Ihnen sagen: Die
Art und Weise, wie Sie über die europäische Einigung
der letzten Jahre gesprochen haben, legt für mich den
Verdacht nahe, dass Sie billigend in Kauf nehmen, dass
Renationalisierung die Zukunft dieses Kontinents sein
sollte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu sage ich Ihnen: Deutsche Sozialdemokraten ha-
ben seit den 20er-Jahren auch gegen Rechtsradikale für
ein vereintes Europa gekämpft, für die Vereinigten Staa-
ten von Europa. Es ist ein langer Weg, der vor uns liegt.
Das ist übrigens ein Europa der Vielfalt, nicht der Ein-
falt, wie Sie unterstellen. Wenn Sie uns absprechen, dass
wir für Rechtsstaatlichkeit eintreten, dann haben Sie von
deutscher Geschichte keine Ahnung. Das nenne ich eine
üble Verleumdung von jemandem, der hier Nationalis-
mus predigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Oder geht es Ihnen darum, Ihre Famous Fifteen Minutes
zu haben? Auch der Verdacht liegt nahe. Es gibt nur
diese beiden Möglichkeiten.

Ich habe viel Respekt vor Leuten, die hier aus ganz
anderen Motiven nicht zustimmen können. Es gibt auch
in unseren Reihen manche, die zweifeln, auch aus ganz
ehrenwerten Motiven, was die Verfassungslage betrifft.
Das ist zu klären. Aber ich sage Ihnen eines: Das, was
Sie hier vorstellen, ist keine Lösung, sondern würde am
Ende des Tages, wenn wir den ESM nicht beschließen
würden, den Zerfall der Europäischen Währungsunion
und damit eine Renationalisierung in Europa bedeuten.
Begreifen Sie das nicht, oder wollen Sie das nicht be-
greifen? Das ist meine Frage an Sie, Herr Schäffler.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Schäffler, wir tragen nicht nur Verantwortung für
unser Handeln. Dafür müssen wir alle vor unserem eige-
nen Gewissen einstehen – das will ich hier keinem
absprechen –, aber vor allen Dingen gegenüber den Bür-
gerinnen und Bürgern. Wir tragen aber auch Verantwor-
tung für Nichthandeln. Das, was Sie anbieten, ist Nicht-
handeln, und Nichthandeln führt Europa nicht nach vorn,
sondern zurück in die Krise. Das wollen wir nicht, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Schäffler, Sie haben vorhin große Geister zitiert.
Max Weber hat drei Eigenschaften für gute Politiker an-
gemahnt: die Bereitschaft zur Verantwortlichkeit, die
Leidenschaft in der Überzeugung und das Augenmaß im
Handeln. Ich spreche Ihnen nicht die Leidenschaft ab;
aber den Beweis, dass Sie die Bereitschaft haben, Ver-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


antwortung zu übernehmen, sind Sie heute schuldig ge-
blieben. Auch Augenmaß spricht nicht aus Ihrer Argu-
mentation.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden die Krise nur meistern, wenn wir eine lei-
denschaftliche Überzeugung als Europäer haben, wenn
wir verantwortlich handeln und wenn wir das notwen-
dige Augenmaß finden. Deshalb ist meine herzliche
Bitte an all diejenigen, die noch mit sich ringen: Sagen
Sie Ja, zu beiden Punkten. Das ist nicht leicht. Der Fis-
kalpakt alleine wäre untauglich, aber ergänzt um ein
Wachstumspaket ist er zustimmungsfähig. Der ESM
wird dringend gebraucht, sonst geschieht eine Katastro-
phe auf diesem Kontinent. Das dürfen wir nicht zulas-
sen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718821800

Das Wort erhält nun der Kollege Christian Schmidt

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1718821900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ja, an Europabekenntnissen fehlt es heute Abend
Gott sei Dank nicht. Ich gehöre einer Generation an, die
groß geworden ist mit der Erfahrung, dass das friedliche
Europa, das wieder friedliche Europa, dem westlichen
Teil des damals noch geteilten Deutschlands Platz und
Aufschwung gegeben hat. Ich kenne viele meiner Gene-
ration, dieser Alterskohorte, nicht nur aus der politischen
Jugendorganisation, sondern auch aus der Europa-
Union, von den Jungen Europäischen Föderalisten und
wo auch immer man sich befunden hat, die das genau so
sehen. Das war und ist eine grundsätzliche Geisteshal-
tung.

Das kann aber nicht allein die Antwort auf die Fragen
sein, die wir uns gegenwärtig in dieser Krise Europas
stellen. Man kann nicht allein mit „Hurra Europa!“ die
Probleme zudecken. Trotzdem ist es wichtig, sich ab und
zu auf die Grundlagen zu besinnen.

Ich war vor kurzem in Südostasien. Ich hatte eine Ein-
ladung, an der Universität Hanoi einen Vortrag über eu-
ropäische Sicherheitspolitik zu halten. Es waren sehr in-
formierte vietnamesische Studentinnen und Studenten
dort. Sie fragten nach der Finanzkrise in Europa, nach
unseren Lösungsansätzen, nach internationalen Konse-
quenzen. Der erste Fragesteller sagte dann noch sinnge-
mäß: Wenn Sie das alles beantwortet haben, dann beant-
worten Sie mir bitte auch noch diese Frage: Gibt es,
wenn die Finanzkrise sich ausweitet, Krieg in Europa? –
Natürlich habe ich gestutzt und habe den Fragesteller mit
guten Argumenten und mit dem Hinweis beruhigen kön-
nen, dass die Zusammenarbeit in Europa solch eine Tiefe
erreicht hat, dass das heutzutage erfreulicherweise ein

virtuelles Gespenst ist und keinen Bezug zur Wirklich-
keit hat. Aber nachdenklich stimmt einen solch eine
Frage schon.

So wie es manchmal gut ist, die Dinge von außen zu
betrachten, so ist es auch gut, ihnen auf den Grund zu
gehen im Sinne von: Was hält denn zusammen?

Die Frage nach Europa ist die Frage nach den
Grundlagen unserer geschichtlichen Existenz, nach
dem historischen Auftrag der europäischen Völker,
die in abendländischer Kulturtradition, in moderner
Zivilisation, in rechtsstaatlicher Ordnung, kurzum
in Freiheit leben wollen. Europa ist für uns ein
ebenso langfristig geschichtliches wie Tag für Tag
brennend aktuelles Thema.

Sie werden es schon vermutet haben: In der Tat, ich habe
auf den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß rekurriert,
der dies im Jahre 1977 gesagt hat.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das klingt bei Seehofer schon sehr anders!)


– Das könnte auch der aktuelle Vorsitzende so gesagt ha-
ben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Je nach Tagesform!)


Beides ist auch heute noch richtig. Man muss die
Grundlagen im Auge behalten und sie dann tagesaktuell
handwerklich sauber umsetzen. Vor allem müssen wir
diese Grundlagen stabilisieren und dürfen sie nicht auf
dem Treibsand der Bequemlichkeit opfern.

Die CSU, die Partei, der ich angehöre, hat auf ihrem
letzten Parteitag diese Positionen noch einmal zusam-
mengefasst. Für uns muss es dabei bleiben, dass Natio-
nen, Regionen und Kommunen die gewachsenen Grund-
einheiten der europäischen Völker sind. Ein Bundesstaat
Europa ist deswegen kein erreichbares Ziel.

Voll im Einklang mit dem Urteil des Verfassungsge-
richts über den Maastricht-Vertrag aus dem Jahr 1993 – es
wurde gerade schon intensiv über das Verfassungsgericht
gesprochen – würde es einem solchen Bundesstaat schon
an den Grundlagen fehlen. Wir sind kein europäisches
Staatsvolk, sondern eine Vielfalt europäischer Völker.
Deswegen gibt es auch nur den Ansatz eines Staatenver-
bundes; die Aufgaben bleiben bei den Mitgliedstaaten
und den Regionen. Fast muss man noch einen draufsetzen
und sagen: Gott sei Dank konnten wir, auch wenn es sehr
lange gedauert hat, das Subsidiaritätsprinzip verankern,
das eine ganz wichtige Grundlage ist, wenn es darum
geht, wie man Europa versteht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man es so versteht, dann findet man, ohne das
Friedensprojekt Europa infrage zu stellen, für die institu-
tionellen Fragen das rechte Maß. Jeder muss wissen,
dass auch in Zukunft die nationale Identität nicht in Eu-
ropa aufgehen darf. Deswegen muss das auch für die
Wirtschafts- und Währungsunion gelten. Das ist auch
Gestaltungsprinzip in der Währungsunion.

Solidarität und Solidität – das hat die Kanzlerin in ih-
rer Regierungserklärung sehr deutlich dargelegt – sind





Christian Schmidt (Fürth)



(A) (C)



(D)(B)


zwei Seiten einer Medaille. Unsolide Finanzpolitik von
einzelnen Mitgliedstaaten kann nicht auf dem Rücken
der EU und anderer Mitgliedstaaten ausgetragen werden.
Leider wurde bewusst gegen diese Grundsätze gesün-
digt – nicht nur in Griechenland, sondern schon mit der
Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion, bei der
niemand intensiv eine Offenlegung der Wirtschafts- und
Finanzverhältnisse gefordert hat. Als dann auch die
Kernländer Europas – ich muss es noch einmal wieder-
holen –, Deutschland und Frankreich, zu Zeiten von
Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac im-
mer mehr in die Verschuldung gerieten – wir haben es
fast wieder vergessen; es ist gerade einmal zehn Jahre
her –, suchten auch sie die süße Droge der Selbsttäu-
schung und schlossen messerscharf, dass nicht sein
kann, was nicht sein darf, und haben deshalb die Solida-
ritäts- und Soliditätsregeln außer Kraft gesetzt. So etwas
darf in Europa nie mehr passieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


So etwas können wir nicht mehr er- und vertragen. Des-
wegen ist die europäische Schuldenbremse, genannt Fis-
kalpakt, heute ein ganz wichtiger Erfolg. Sie ist eigent-
lich Theo Waigels Solidaritäts- und Soliditätspakt 2.0.

Bundesbankpräsident Weidmann hat sehr recht, wenn
er in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung in dieser
Woche schreibt, dass er es als „irritierend“ empfindet,
dass – Zitat –

einige Regierungen unverhohlen darauf dringen,
dass die Geldpolitik den Ausputzer der Fiskalpoli-
tik spielt und Probleme mit der Notenpresse löst.

Weder mit Notenpresse noch mit Inflation: Das eine
würde das andere nach sich ziehen. Deswegen sind sol-
che Überlegungen irritierend. Ich weiß nicht genau, ob
ich alles aus Frankreich richtig verstanden habe. So ganz
klar waren mir auch die Sprachzuordnungen nicht.
Volker Kauder ist für die Aussage kritisiert worden: Eu-
ropa spricht wieder deutsch. – Soll denn nach Ansicht
von Herrn Gabriel Europa italienisch und französisch
sprechen?


(Widerspruch bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Oder vielleicht sogar russisch?)


Wenn wir, statt für Wettbewerb in Europa zu sorgen,
das Zinsniveau gleichziehen wollen – das ist von den
Grünen und der SPD gesagt worden –, stellt sich die
Frage, wie man die einzelnen Mitgliedstaaten jemals
dazu bringen soll, die Solidität einzuhalten. Das ist doch
die Kernerfahrung, die wir machen. Deswegen gilt es,
dass wir beschränkt helfen. Es gibt Fälle, in denen wir
helfen müssen. Wir müssen uns aber harte Grenzen hier-
für setzen.

Der ESM ist konzeptionell in vielerlei Hinsicht dem
Internationalen Währungsfonds nachgebildet. Ich darf
bei dieser Gelegenheit allerdings darauf hinweisen, dass
das ESM-Begleitgesetz eine sehr intensive parlamentari-
sche Beteiligung vorsieht, weswegen wir ihm zustim-
men können. Im Gegensatz zum IWF ist eine parlamen-
tarische Information und Kontrolle vorgesehen. Der IWF
hat erst vor kurzem sein Kreditkapital erhöhen müssen

– mit einer Belastung für Deutschland in Höhe von
41,5 Milliarden Euro –, um den Europäern zu helfen.

Ich glaube, dass wir im Sinne von Konrad Adenauer
sagen müssen: Im Grunde sind die Dinge ganz einfach.
Das gilt auch hier. Wir wollen die europäische Integra-
tion, weil wir von ihr leben. Wir wollen aber keine Inte-
gration der Schludrigkeit. Wir brauchen Stabilitätsre-
geln. Wer glaubt, dass das Problem mit Geld einfach
zugeworfen werden kann und dazu mit dem Geld ande-
rer, der täuscht sich. Wir wollen eine Beteiligung der
Finanzwelt durch die Finanztransaktionsteuer und Leit-
planken in den internationalen Finanzmärkten. Konditio-
nalität, also Bedingung, heißt: Ja, wir stehen zur Solida-
rität, aber nur, wenn uns Solidität entgegengebracht
wird.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Auch ESM und Wachstumspakt sind richtig, ebenso
das, was im Zusammenhang mit „Better Spending“ ver-
einbart worden ist. Das darf aber nicht dazu führen, dass
die Grundsäulen des europäischen Haushaltes infrage
gestellt werden, sondern das Ganze muss klug ergänzt
werden. Ich darf darauf hinweisen, dass beispielsweise
die Agrarpolitik eine ganz wesentliche Säule der euro-
päischen Politik bleiben muss.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718822000

Herr Kollege.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1718822100

Wir werden uns auch national einschränken müssen.

Es kann nicht angehen, dass wir von anderen verlangen,
sich einer Überprüfung, einem Controlling, zu unterzie-
hen, und wir tun das nicht. Wir müssen und können mit
gutem Beispiel vorangehen. Das hat nichts damit zu tun,
dass parlamentarische Regeln nicht beachtet würden.
Ganz im Gegenteil: Das ist der Grundstock, mit dem wir
für das deutsch sprechende Denken in Europa werben
können und, so denke ich, viele Anhänger bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718822200

Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Willsch,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1718822300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Ich spreche nicht für die Mehr-
heit meiner Fraktion, sondern für eine Minderheit. Vor
allen Dingen aber spreche ich für die vielen Menschen,
die uns zuschauen und die sich in zahllosen E-Mails,
Anrufen und Schreiben an uns gewandt haben, weil sie
Angst haben und in Sorge sind. Es sind Menschen aus
der bürgerlichen Mitte unserer Gesellschaft, die uns fra-
gen: Was tut ihr da?

Sie haben Angst um ihre Ersparnisse. Sie haben
Angst und sind in Sorge, dass es keine Gestaltungsmög-
lichkeiten in der Zukunft mehr gibt: angesichts schwin-





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)


delerregender Schuldentürme, angesichts nicht mehr
überschaubarer Summen an Haftungsrisiken und Bürg-
schaften, die abgerufen werden. Diese Sorgen sind mehr
als verständlich. Ich will versuchen, so zu reden, dass die
Menschen auch verstehen, worüber wir hier sprechen.

Ich komme aus Hessen; das wissen Sie. Das ist die
Heimat der Gebrüder Grimm. Aber auch wir in Hessen
wissen, dass man aus Stroh kein Gold spinnen kann. Und
wenn ein Staat langfristig über seine Verhältnisse lebt,
dann gibt es am Schluss nur drei Auswege:

Erstens. Die Ausgaben müssen herunter, man muss
konsolidieren.


(Beifall des Abg. Manfred Kolbe [CDU/CSU])


„Herunter mit den Ausgaben“ heißt aber eben auch, von
liebgewonnenen Gewohnheiten vielleicht Abschied zu
nehmen.

Zweitens. Die Einnahmen müssen erhöht werden.
Das kann der Staat leicht, indem er die Steuern erhöht.

Drittens – davor fürchten sich die meisten –: Der
Staat kann es ein bisschen lockerer angehen lassen bei
der Geldwertstabilität und kann die Inflation laufen las-
sen. Es wird oft so getan, als ob man das steuern könnte.
Das ist hochgefährlich. Ist die Zahnpasta erst einmal aus
der Tube heraus, geht sie nicht mehr so leicht wieder hi-
nein. Das ist ein furchtbar schwerer Prozess. Das sind
die Ängste, die viele Deutsche in der Mitte unserer bür-
gerlichen Gesellschaft haben, weil sie in dieser Hinsicht
schlimme Erfahrungen in unserem Land gemacht haben.

Das Kernproblem an dieser falschen Schutzschirmpo-
litik ist, dass sie das einzig wirksame Signal gegen über-
mäßige Verschuldung, nämlich den Zins, ausschaltet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir tun so, als ob wir von politischer Seite wüssten, was
der richtige Zins für Italien, für Griechenland oder für
Spanien wäre. Das wissen die Anleger im Zweifelsfall
besser. Wieso ist in Italien bei 7 Prozent Zins für die
zehnjährigen Staatsanleihen Schluss bei der Tragfähig-
keit? Bevor der Euro eingeführt wurde, haben sie das
Doppelte bezahlt: 13, 14 Prozent.

Die Lastquote an Zinsen, die Italien heute zahlt, ist
niedriger als damals. Gleichwohl schalten wir diesen Zins
aus und geraten damit in eine Zwangslage. In dieser Si-
tuation kommt das geradezu einer Erpressungssituation
gleich. Im Grunde ist es eine dreifache Erpressungssitua-
tion. Am vergangenen Sonntag haben die Bundesländer
ihre „Lösegeldliste“ präsentiert, die sie abgearbeitet ha-
ben wollten, damit sie für die Zweidrittelmehrheit im
Bundesrat sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – David McAllister, Ministerpräsident [Niedersachsen]: Na, na!)


Seitens der Opposition – das sage ich zu den Kollegen
der Koalition – wurde uns dieser Wachstumspakt abge-
presst. Dann ist noch über Bande gespielt worden, und
zwar mit den potenziellen Empfängerländern. Diese ha-

ben gesagt: Den Wachstumspakt machen wir aber nur
mit, wenn wir zusätzliche Zinsvergünstigungen für un-
sere Staatsanleihen bekommen. Sie alle haben die Erklä-
rung von Monti gehört.

Wir haben uns durch falsche Politik in diese Erpres-
sungssituation hineinbegeben. Nach meiner festen Über-
zeugung gibt es nur einen Weg heraus: Wir müssen diese
falsche Bail-out-Politik beenden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zurück auf Los! Kinder, die sich im Spiel verheddert ha-
ben, sagen: Komm, wir fangen noch einmal neu an!

Wir haben bereits ein gutes Regelwerk. Wir haben
den Vertrag von Maastricht, der in den Mitgliedsländern
der Europäischen Union durch Volksabstimmung, Zwei-
drittelmehrheit, was auch immer, Verfassungsrang hat.
Daraus erwachsen Verpflichtungen. Wir haben den Sta-
bilitäts- und Wachstumspakt. Alles, was wir im Rahmen
des Fiskalpakts neu dazubekommen, ist vom Rang her
weniger wert als das Recht, das bereits vorhanden ist
und das wir nur anwenden müssen. Aber dazu müsste
man zu den Prinzipien zurückkehren, die den bereits ab-
geschlossenen Verträgen innewohnen. Sie heißen: Ent-
scheidungsfreiheit geht nur zusammen mit Eigenverant-
wortung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie heißen: Es darf kein Herauspauken von Ländern ge-
ben, die rücksichtslos und unverantwortlich wirtschaf-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie heißen: Bei Verstößen muss es Konsequenzen geben.
Wenn man die Debatte tabuisiert und sagt: „Der Euro-
Raum muss so bleiben, wie er ist, keiner darf ausschei-
den“, dann hat man keine Möglichkeit, etwas durchzu-
setzen. Der Euro-Raum muss für Veränderungen zu-
gänglich sein. Es ist falsch, die Gleichung aufzumachen,
dass der Euro gleich Europa ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wie wird das denn unserer gegenwärtigen Ratspräsi-
dentschaft vorkommen? Die haben momentan die Dänen
inne, und die sind ebenso wie die Briten und die Schwe-
den nicht im Euro-Raum. Sind das denn schlechtere
Europäer als wir, die wir mit dem Euro bezahlen? Nein,
sind sie nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es wird immer wieder nach Alternativen gefragt. Un-
sere „Allianz gegen den ESM“ hat einen europäischen
Umschuldungsmechanismus als Weg vorgeschlagen.
Natürlich gibt es noch andere Wege. Wir müssen uns
Land für Land anschauen und dann die Probleme ab-
arbeiten. Die EFSF wird erst 2013 auslaufen. Wir brau-
chen daher kein neues Schuldenvergemeinschaftungs-
instrument.





Klaus-Peter Willsch


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Gestatten Sie mir eine Bemerkung nebenbei. Wir ha-
ben uns genauer angeschaut, was es mit dem Wachstums-
paket auf sich hat. Es heißt: Dafür werden Mittel ver-
wendet, die sowieso vorhanden sind; das kostet nichts
zusätzlich. Es liegen also 55 Milliarden Euro einfach so
herum, die sonst für Unfug ausgegeben worden wären,
oder was? Jetzt werden sie verwendet, um Wachstum zu
mobilisieren. Das ist doch abenteuerlich. An dieser
Stelle die finanzpolitische Verantwortung übergeben zu
wollen, das ist so, als ob man den Hund zum Hüter der
Wurstvorräte macht.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich sehe,
dass meine Zeit abläuft.


(Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


In Deutschland gibt es eine alte Redensart. Sie lautet:
Beim Geld hört die Freundschaft auf. Wenn es eines Be-
legs für die Richtigkeit dieser Redensart bedurft hätte,
dann hat ihn die europäische Geschichte der letzten
28 Monate erbracht. In meiner gesamten Lebenszeit
habe ich in Europa noch nie so schlecht übereinander
reden hören wie in der Zeit der vermeintlichen Euro-
Rettung. Deshalb appelliere ich an Sie: Wer für ein fried-
liches und respektvolles Miteinander in Europa ist, wer
für die Zukunft unserer Kinder und Enkel und deren
Spielräume ist, wer für die Herrschaft des Rechts und
den Gleichklang von Freiheit und Verantwortung ist und
wer uns und den uns nachfolgenden Bundestagen das
Haushaltsrecht als vornehmstes Recht erhalten will, der
muss bitte gegen den ESM stimmen. Ich bitte Sie darum.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718822400

Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Mach’s kurz!)



Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1718822500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es ist heute schon sehr vieles und
Richtiges über das Friedens- und Freiheitsprojekt Eu-
ropa gesagt worden; das will ich nicht wiederholen. Es
ist allerdings festzustellen, dass wir uns in diesem Hause
seit zweieinhalb Jahren sehr häufig mit der Euro-Stabili-
sierung beschäftigen. Es werden mir alle glauben, wenn
ich behaupte, dass wir uns das so nicht gewünscht haben.
Dennoch bin ich froh, dass wir heute Abend sowohl über
den Europäischen Stabilitätsmechanismus als auch über
den Fiskalpakt abstimmen können. Wir tun das gegen
den Wunsch der Opposition, die beide Maßnahmen ge-
trennt verabschieden wollte. Ich bin froh, dass beides zu-
sammen verabschiedet werden kann; denn beides gehört
zusammen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mein Vorredner, der Kollege Klaus-Peter Willsch, hat
eben sehr deutlich seine ablehnende Haltung zum ESM
zum Ausdruck gebracht. Ich will Ihnen gestehen, dass es
für mich keine einfache Situation ist, nach meinem Kol-
legen Klaus-Peter Willsch zu sprechen, der immerhin
mein Stellvertreter in der dafür zuständigen Arbeits-
gruppe Haushalt ist, und mit demselben Nachdruck für
das Konzept einzutreten, mit dem er dagegen war. Das
ist keine einfache Situation. Allerdings ist es ein Aus-
weis für die gute demokratische Diskussionskultur, die
wir pflegen, sowohl in diesem Hause als auch in den zu-
ständigen Gremien.

Ich akzeptiere anderslautende Meinungen. Das ist gar
keine Frage; man kann zu anderen Schlüssen kommen.
Aber wenn man nach langen und langwierigen Abwä-
gungsdiskussionen – in der zuständigen Arbeitsgruppe,
im Haushaltsausschuss, in der Fraktion, in den anderen
Ausschüssen und dann hier im Deutschen Bundestag –
zu der Auffassung kommt, dass der Weg, den wir heute
Abend mehrheitlich beschließen, der richtige ist, dann
erwarte ich eigentlich von denjenigen, die dagegen ange-
kämpft haben, dass sie solidarisch zum Mehrheitsbe-
schluss stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Heute wurde bereits mehrfach zum Ausdruck ge-
bracht, dass beides, ESM und Fiskalpakt, notwendige
Voraussetzungen sind, um eine Stabilitätskultur in Eu-
ropa weiter aufzubauen. Von der Opposition wird aller-
dings immer wieder vorgetragen, auch heute Abend,
dass unser bisheriger Weg nicht immer richtig gewesen
sei, dass die Rettungsschirme mit den entsprechenden
Auflagen zu einem Kaputtsparen der Programmländer
führen würden und man uns erst einmal hätte begreiflich
machen müssen, dass zur Konsolidierung auch Wachs-
tum gehört. Also, bei allem Respekt für den gemein-
samen Weg, den wir heute Abend beschreiten, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von Rot-Grün: Uns müssen Sie das
nicht beibringen. Haben Sie übersehen, dass wir auch
hier in Deutschland wachstumsorientierte Konsolidie-
rungspolitik betreiben und erfolgreich damit sind? Glau-
ben Sie denn tatsächlich, dass wir anderen etwas anderes
vorschlagen würden? Das ist doch abstrus. Das nimmt
Ihnen niemand ab. Jeder erkennt, dass das nur vorder-
gründig ist und dass es eigentlich ein Theaterstück für
die deutsche Öffentlichkeit ist,


(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist aber gut!)


wahrscheinlich vorgetragen, weil Sie in die Verhandlun-
gen zum ESM und zum Fiskalpakt – ich durfte mehrfach
dabei sein – nicht so sehr viel Neues einbringen konnten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was? – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fällt Ihnen sonst nichts ein?)


Es ist doch offensichtlich, dass Wachstum und Wettbe-
werbsfähigkeit schon immer zentrale Aspekte sowohl
der europäischen als auch unserer nationalen Politik wa-





Norbert Barthle


(A) (C)



(D)(B)


ren. Da brauchen Sie uns wirklich nicht zu überzeugen.
Wir begrüßen alle den Wachstumspakt. Wir hätten ihn
aber auch ohne diesen Theaterdonner haben können.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie doch eine Arbeitsgruppe!)


– Wissen Sie, Sie haben immer vehement Euro-Bonds
als Voraussetzung für Ihre Zustimmung gefordert. Da-
von haben Sie sich mühsam verabschiedet.


(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)


Die Grünen haben vehement einen Schuldentilgungs-
fonds als Voraussetzung für ihre Zustimmung gefordert.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur wir!)


Sie haben sich still und leise davon verabschiedet.

Die FAZ hat am 22. Juni 2012 sehr zutreffend die Ver-
handlungsergebnisse kommentiert. Ich darf das vortra-
gen:

Dennoch war es nicht viel, was die Opposition der
Regierung entgegenzusetzen hatte. … Was nun zu-
sätzlich vereinbart wurde, ist nicht ein Impuls für
Wachstum in Europa, sondern ein Impuls für die
Gesichtswahrung der Opposition in Deutschland.
Dafür gab die SPD die Eurobonds auf, die Grünen
den Schuldentilgungsfonds.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie das mal der FDP bei der Finanztransaktionsteuer!)


Dem ist nichts hinzuzufügen. So ist das.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])


Lassen Sie mich einen zweiten Aspekt vortragen. Ich
beobachte, dass in der öffentlichen Wahrnehmung sehr
häufig sehr schlecht über Griechenland, Portugal, Spa-
nien, Irland und ähnliche Länder gesprochen wird.


(Ulrich Kelber [SPD]: Von euch!)


– Nicht von uns.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Wir sollten niemals vergessen, dass es in diesen Ländern
durchaus schon positive Auswirkungen der bisherigen
Rettungsschirmpolitik gibt. Das muss man zur Kenntnis
nehmen, wenn man sich die Rohdaten anschaut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Schauen Sie sich die volkswirtschaftlichen Daten an.
Selbst in Griechenland – dort ist jetzt aufgrund des
Wahldebakels ein gewisser Stillstand eingetreten –, wo
es unbestritten einen konjunkturellen Einbruch gegeben
hat – man muss zur Kenntnis nehmen, dass die griechi-
schen Haushalte im vergangenen Jahr durchschnittlich
auf fast 10 Prozent ihres Einkommens verzichten muss-
ten –, sehen wir erste Erfolge. Diese Erfolge sehen wir,
wenn wir uns die Primärsalden anschauen. Ein Primär-
saldo ist – ich sage das für die Öffentlichkeit, zum besse-

ren Verständnis – die Differenz zwischen Ausgaben und
Einnahmen, bereinigt um Zinsausgaben und Konjunk-
tureffekte. Wenn man sich diese Salden anschaut, stellt
man zum Beispiel fest, dass Griechenland sein Primär-
defizit von 2009 bis 2011 von 13 Prozent des BIP auf
0,4 Prozent des BIP reduziert hat. Das ist ein großer
Rückgang des Primärdefizits.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dasselbe gilt für Portugal und für Irland. Die Pro-
gramme, die für entsprechende Rettungsmaßnahmen
ausgehandelt werden, sind also erfolgreich. Deshalb ist
es richtig, dass wir so verfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen uns auch im internationalen Vergleich
nicht zu verstecken. Wenn ich mir anschaue, was zum
Beispiel Japan oder die USA in den vergangenen Jahren
in Relation zu ihrer Wirtschaftsleistung an Konsolidie-
rungsanstrengungen vollzogen haben, dann stelle ich
fest, dass das weniger ist als das, was Griechenland, Por-
tugal und Spanien geleistet haben. Europa hat sich in
dieser Krise als resistent erwiesen, und es erweist sich
immer noch als resistent. Das muss so bleiben. Wir müs-
sen allen Kräften zeigen, dass wir zusammenstehen und
dass wir uns rüsten, um dieser Krise entgegnen zu kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt einge-
hen. Wir bekommen sehr viele E-Mails, in denen be-
hauptet wird, der Europäische Stabilitätsmechanismus
sei sozusagen ein frei im europäischen Orbit kreisendes
Instrumentarium fernab jeglicher Kontrolle. Das ist völ-
lig falsch. Wir haben in unsere Parlamentsbeteiligung,
die wir gemeinsam beschlossen haben, klare Regeln ein-
gezogen, wo und wie wir in die wichtigen Entscheidun-
gen dieses Mechanismus einbezogen werden. Immer
wenn es um finanzielle Auswirkungen geht, muss der
gesamte Deutsche Bundestag entscheiden. Wenn es da-
rum geht, die Programmabwicklung zu überwachen,
muss der Haushaltsausschuss informiert und einbezogen
werden. Das Neunergremium soll nur für den einge-
schränkten Bereich der Sekundärmarktaufkäufe zustän-
dig sein.

Wir haben festgelegt, dass auch der Gouverneursrat
und das Direktorium eng an unsere Entscheidung gebun-
den sind. Der deutsche Vertreter darf nicht abstimmen,
ohne vorher einen positiven Beschluss des Deutschen
Bundestages zu haben. Er darf nicht einmal der Abstim-
mung fernbleiben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Sehr richtig!)


Wir haben also starke parlamentarische Kontrollmecha-
nismen eingezogen. Damit sind wir auf der sicheren
Seite.

Lassen Sie mich an dieser Stelle vielleicht noch einen
kleinen Aspekt ansprechen.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718822600

Aber bitte ganz kurz, Herr Kollege.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1718822700

Ganz kurz. – Wir haben in den vergangenen 20 Jahren

über 400 Milliarden Euro als sogenannte EU-Eigenmit-
tel nach Europa, in den EU-Haushalt überwiesen. Wir
als Deutscher Bundestag entscheiden nur einmal über
die Überweisung. Was mit dem Geld geschieht, wird auf
europäischer Ebene entschieden. Darauf haben wir
nahezu keinen Einfluss mehr. Hat darüber schon einmal
jemand nachgedacht? Im Vergleich dazu werden wir
beim ESM eine wesentlich weiter gehende parlamenta-
rische Beteiligung haben. Darauf können wir alle stolz
sein.

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718822800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Ralph Brinkhaus, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1718822900

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Lassen Sie mich diese Rede als Einlassung zu
den Mails, Briefen und Anrufen, die auch ich bekommen
habe, lieber Klaus-Peter Willsch, nutzen.

Ja, ich werde gleich für den ESM stimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, ich werde gleich für den Fiskalpakt stimmen. Nein,
ich bin nicht durch Fraktionsdisziplin gezwungen wor-
den, für diesen Pakt zu stimmen. Nein, ich bin auch nicht
uninformiert.

Im Gegenteil: Ich habe die letzten Jahre – das kann
man schon fast sagen – damit verbracht, unzählige Dis-
kussionen mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Wissen-
schaftlern, mit Beamten, mit Politikern und mit Men-
schen aus der Wirtschaft zu führen. Ich habe unzählige
Artikel lesen müssen. Ich habe in unzähligen Gremien-
sitzungen gesessen. Ich bin mir deswegen sehr bewusst,
dass dies nicht das Ende ist und dass wir über weitere
Pakte abstimmen werden.

Ja, ich weiß sehr genau, dass es hier um eine Menge
Geld geht. Ja, ich weiß sehr genau, dass die eine oder an-
dere Einlassung von dem einen oder anderen Politiker
oder von Medien aus dem Ausland nicht hilfreich war.
Ja, ich weiß sehr genau, dass wir damit die Tür für den
Verlust von Souveränität öffnen. Ja, ich weiß sehr genau,
dass wir alle an diesem Europa in seiner Unvollkom-
menheit hin und wieder verzweifeln. Trotzdem werde
ich für den Fiskalpakt und für den ESM stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn ich mich hier umschaue, sehe ich viele Kolle-
ginnen und Kollegen, die ein halbes Jahr hinter sich ha-
ben, das seinesgleichen in der Geschichte des Deutschen
Bundestages sucht. Sie sitzen hier in einem Zustand zwi-
schen Erschöpfung und Aufgewühltheit. Jeder von Ihnen
hat seine eigene Geschichte mit diesen Verträgen. Jeder
von Ihnen hat seine eigenen Fragen und seine eigenen
Probleme. Trotzdem – das ist das Entscheidende an der
ganzen Sache – wird dieses Haus mit überwiegender
Mehrheit für den Fiskalpakt und für den ESM stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieses „Trotzdem“ ist die eigentliche Botschaft des
heutigen Abends, nicht die Zustimmung zum ESM und
nicht die Zustimmung zum Fiskalpakt. Denn dieses
„Trotzdem“ ist ein Bekenntnis zu Europa. Jetzt können
Sie sagen: Schon viele Politikergenerationen haben sich
zu Europa bekannt. Das ist richtig. Aber keine Politiker-
generation hatte einen so hohen Preis dafür zu zahlen,
wie wir bereit sind, dafür zu zahlen.


(Zurufe von Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Dabei rede ich nicht allein von den Kosten, sondern auch
von dem Verlust von Souveränität. Das, meine Damen
und Herren, ist ein bemerkenswertes Zeichen.

Dieses „Trotzdem“ ist aus einem zweiten Grund be-
merkenswert. Es ist deswegen bemerkenswert, weil die-
ses Haus trotz all des Streits, den wir hier geführt haben,
und trotz all unserer Auseinandersetzungen, die die
Menschen auf der Straße teilweise angeödet haben, in ei-
ner für dieses Land entscheidenden Situation in der Lage
ist, sich zusammenzuraufen, eine Entscheidung zu tref-
fen und damit ein starkes Signal auszusenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses starke Signal richtet sich natürlich an die Bürge-
rinnen und Bürger in unserem Land, die, wie ich schon
erwähnt habe, in Anbetracht dessen, was wir hier ent-
scheiden, sehr beunruhigt sind. Dieses Signal richtet sich
aber auch an unsere Freunde in Europa und im Rest der
Welt. Dieses Signal richtet sich nicht zuletzt und gerade
auch an die Finanzmärkte. Dieses Signal bedeutet, dass
Deutschland für Europa steht und dass wir auch dann für
Europa stehen, wenn wir die Letzten sind, die für Europa
stehen. Das eigentlich Bemerkenswerte ist, dass in die-
sem Haus so große Einigkeit in dieser Frage herrscht.
Ich würde mir manchmal wünschen, wir würden dafür
auch den Respekt bekommen, den wir eigentlich ver-
dient haben.

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich
Ihnen eines mit auf den Weg geben: Die Entscheidung,
die wir heute fällen, ist nicht einfach. Jeder hat seine
Entscheidung geprüft, jeder hat abgewogen, und jeder ist
zu einem Ergebnis gekommen. Ich denke, wir sollten je-
dem Einzelnen Respekt für seine Entscheidung erwei-
sen. Wenn wir das tun und diese Veranstaltung heute mit





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


dieser Einstellung verlassen, dann ist das, glaube ich, ein
guter Abend für dieses Land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)


Letzte Bemerkung. Jedes Parlament hat seine eigenen
Fragen zu beantworten. Jede Politikergeneration hat ihre
eigenen Fragen zu beantworten. Wir können uns diese
Fragen nicht aussuchen. Die Frage, die uns hier und
heute gestellt wird, lautet: Wie geht es mit Europa wei-
ter? Ich bin sehr froh, dass wir diese Frage mit überwie-
gender Mehrheit beantworten, indem wir sagen: Wir
wollen mehr Europa und mehr Integration, nicht weni-
ger. – Ich bin sehr froh, dass wir diese Frage nicht beant-
worten, indem wir sagen: Wir wollen einen neuen Natio-
nalstaat. – Bei all dem „Trotzdem“, das ich erwähnt
habe, und trotz aller Bedenken bin ich auch ein ganz
klein wenig stolz, dass ich an dieser Entscheidung heute
Abend mitwirken darf.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718823000

Ich schließe die Aussprache.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende
einer bemerkenswerten Debatte, die mindestens eine Be-
sorgnis ausgeräumt haben sollte, nämlich die Besorgnis,
dieses Parlament würde dieses Thema nicht ernst neh-
men. Davon kann sicher keine Rede sein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mir liegen eine ganze Reihe von Erklärungen zur Ab-
stimmung vor. Die meisten werden schriftlich abgege-
ben.1) Es gibt allerdings drei Wünsche nach mündlichen
Erklärungen zur Abstimmung, die ich nach der ersten
namentlichen Abstimmung aufrufen werde.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012
über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirt-
schafts- und Währungsunion. Der Haushaltsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf den Drucksachen 17/10125 und 17/10171, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
auf Drucksache 17/9046 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom-
men.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfes gemäß Art. 79 Abs. 2 des
Grundgesetzes die Mehrheit von zwei Dritteln der Mit-
glieder des Deutschen Bundestages erforderlich ist. Das
sind mindestens 414 Stimmen.

Wir stimmen nun über diesen Gesetzentwurf nament-
lich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu si-
gnalisieren, wenn das an allen Urnen der Fall ist. – Ich
eröffne die erste namentliche Abstimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall, jedenfalls nicht erkennbar. Ich schließe die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.

Ich darf Sie bitten, jetzt wieder Platz zu nehmen, weil
ich in der Zeit, die wir ohnehin für das Auszählen dieses
ersten Abstimmungsvorganges brauchen, zu den persön-
lichen Erklärungen kommen möchte.

Ich erteile nun der Kollegin Heike Hänsel das Wort zu
einer persönlichen Erklärung.


(Beifall bei der LINKEN – Unruhe)


– Nehmen Sie doch bitte Platz. Das Stehen beschleunigt
das Verfahren nicht, und im Sitzen ist es auch eine Spur
gemütlicher. – Bitte schön, Frau Kollegin Hänsel.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718823100

Danke schön. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Mir ist es wichtig, als Parlamentarierin
heute auch eine persönliche Erklärung zu meinem Ab-
stimmungsverhalten abzugeben, weil es hier um funda-
mentale Rechte in der Bundesrepublik Deutschland geht.

Ich stimme gegen den Fiskalpakt, weil ich auf dem
Boden des Grundgesetzes stehe und weil dieser Fiskal-
pakt ein Anschlag auf die Demokratie in Europa ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt – das ist vor allem an Rot-Grün gerichtet – in
meinen Augen keine Verhandlungsergebnisse, die diese
massiven Auswirkungen auf unser demokratisches Sys-
tem rechtfertigen. Ich appelliere an Sie, an Rot-Grün, zu
überdenken, welchen Handel Sie hier mitgemacht haben.
Wenn dieser Fiskalpakt so beschlossen wird, beschnei-
den wir unsere fundamentalen Rechte. Ich habe großen
Respekt vor den Kollegen und Kolleginnen in den ande-
ren Fraktionen, bei Rot, bei Grün, bei der Union, die den
Mut haben, heute gegen die Fraktionsmehrheit zu stim-
men. Das finde ich sehr mutig, und ich finde es wichtig,
dass sie dieses Zeichen setzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem Fiskalpakt können zukünftig Regierungen in
Europa gezwungen werden, eine rigide Sparpolitik
durchzusetzen: im sozialen Bereich, bei der Bildung, bei
der Gesundheit. Wir sehen ja, wohin diese Politik ge-1) Anlagen 2 bis 12





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)


führt hat, zum Beispiel in Griechenland, wo die Löhne
um 30 Prozent gekürzt wurden und die Bevölkerung sys-
tematisch verarmte. Auch deswegen stimme ich heute
gegen den Fiskalpakt.

Dieser Fiskalpakt in Verbindung mit dem ESM ist
eine gigantische Maschine zur Umverteilung von unten
nach oben. Wir haben gehört, dass das Volumen des
ESM bis zu 700 Milliarden Euro betragen wird. Viele
Kollegen von uns waren vor etwa einer Woche bei der
internationalen Konferenz Rio+20. Von den Industrie-
staaten gab es aufgrund der Wirtschaftskrise in Europa
kein Geld für Armutsbekämpfung, für Klimaschutz; aber
gleichzeitig beschließen wir ein Volumen des ESM im
Extremfall von 700 Milliarden Euro. Das, finde ich, geht
nicht. Genau deswegen stimme ich gegen diesen Fiskal-
pakt.

Es war mir wichtig, dies deutlich zu machen, weil
zum Beispiel in Frankfurt über 1 000 Menschen auf die
Straße gegangen sind, viele Menschen vor dem Parla-
ment demonstriert haben.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit einer Erklärung nichts zu tun!)


Ich finde es wichtig, dies sichtbar zu machen. Deswegen
stimme auch ich gegen den Fiskalpakt.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist mir egal!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718823200

Frau Kollegin Hänsel, mit Blick auf Ihren Eingangs-

satz gestatte ich mir den klarstellenden Hinweis, dass für
die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen
nicht Fraktionen zuständig sind, nicht einmal das Verfas-
sungsorgan Deutscher Bundestag, sondern das Bundes-
verfassungsgericht. Ich finde, es ist ein Mindestgebot
des Respekts gegenüber den Kollegen wie gegenüber
dieser Zuständigkeit unserer Verfassungsordnung, hier
nicht Alleinzuständigkeiten zu reklamieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die nächste Wortmeldung ist vom Kollegen Michael
Schlecht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718823300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

stimme gegen den Fiskalpakt, weil dieser Fiskalpakt ein-
seitig dazu führt, dass Schuldenabbau betrieben wird
durch einen weiteren Sozialstaatsabbau zulasten von Mil-
lionen von Menschen, die auf diesen Sozialstaat angewie-
sen sind. Ich stimme dagegen, weil dieser Fiskalpakt dazu
führen wird, dass in Zukunft die sozialstaatliche Versor-
gung für Kinder, Jugendliche, ältere Menschen, Pflegebe-
dürftige und für viele andere weiter deutlich erschwert
wird und die entsprechenden Leistungen gekürzt werden.

Ich stimme gegen diesen Fiskalpakt, weil er Schul-
denabbau nicht über den Weg betreibt, die Einnahmen zu
erhöhen, indem Reiche und Vermögende, Millionäre und
Milliardäre in diesem Lande zur Kasse gebeten werden.

Wir haben europaweit 11 Billionen Euro Staatsschul-
den. Jedes Jahr müssen die europäischen Staaten
400 Milliarden Euro Zinsen für diese 11 Billionen Euro
Schulden zahlen. Es ist natürlich sinnvoll, die Schulden
zu reduzieren. Aber der Weg muss heißen, Millionäre
und Milliardäre zur Kasse zu bitten. Ich stimme gegen
diesen Fiskalpakt, weil in dieser Diskussion kein einzi-
ges Mal diskutiert worden ist, ob es nicht sinnvoll wäre,
eine europaweite Millionärssteuer oder Millionärsab-
gabe einzuführen, die so dimensioniert ist, dass man da-
rüber die Schulden und vor allen Dingen die Zinszahlun-
gen massiv reduzieren könnte.

Ein weiterer wichtiger Punkt, weshalb ich gegen die-
sen Fiskalpakt stimme, ist, dass die eigentlichen Ursa-
chen der Staatsverschuldung in Europa überhaupt nicht
angegangen werden. Es wird so getan, als entstünden
diese Staatsschulden dadurch, dass irgendjemand unse-
riös wirtschaftet. Nein! Ich stimme gegen diesen Fiskal-
pakt, weil die Rolle der Banken und die Bankenrettung
in vollkommen ungenügender Weise thematisiert wer-
den. Ich stimme gegen diesen Fiskalpakt, weil über die
Ursachen der Staatsverschuldung, nämlich die dramati-
schen Leistungsbilanzungleichgewichte in Europa, heute
kein einziges Mal geredet wurde. Diese dramatischen
Leistungsbilanzungleichgewichte müssen abgebaut wer-
den. Zentral geht es dabei darum, dass in Deutschland
Lohndumping, die Verringerung der Löhne, der Niedrig-
lohnsektor, die Hungerlöhne, die hier in den letzten zehn
Jahren durch SPD, Grüne, die Union sowie die FDP her-
beigeführt worden sind, abgeschafft werden müssen. Da-
rüber ist keine Diskussion geführt worden. Ich stimme
gegen diesen Fiskalpakt, weil die eigentlichen Ursachen
der Schuldenkrise überhaupt nicht thematisiert werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie lange dauert die Rede?)


Eine Antwort auf diese Probleme hätte bedeuten müs-
sen, dass man darüber diskutiert, dass in Deutschland
endlich der Niedriglohnbereich eingedämmt wird, damit
es endlich wieder zu anständigen Löhnen und guter Ar-
beit kommt. Das hätte bedeuten müssen, dass wir einen
Pakt in Deutschland schließen, sodass Mindestlöhne ein-
geführt werden, die Leiharbeit zurückgedrängt wird, es
keine befristete Arbeit mehr gibt, das Elend der Minijob-
berei und vor allem auch Hartz IV mit seinem men-
schenverachtenden Sanktionsregime beendet wird. – All
das ist nicht geschehen. Deshalb lehne ich diesen Fiskal-
pakt ab. Wir bräuchten einen Pakt für die Menschen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben wir gehört! Es reicht! Sie wiederholen sich!)


Wir bräuchten in Deutschland einen Pakt für gute Arbeit.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Lassen Sie mal den reden, der zustimmt!)






Michael Schlecht


(A) (C)



(D)(B)


Das wäre eine Lösung, mit der wir in der Tat einen wich-
tigen Beitrag zur Verbesserung der Situation in ganz Eu-
ropa leisten könnten.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718823400

Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Gehrcke.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen Ihre Abweichler ja gar nicht zu Wort kommen!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1718823500

Danke sehr, Herr Präsident! – Wissen Sie, Kollegin-

nen und Kollegen, Sie müssen es aushalten, dass Ihnen
noch einmal vorgehalten wird, warum Menschen in die-
sem Parlament gegen den Fiskalpakt stimmen. Das wer-
den Sie ertragen können; ich hoffe es zumindest.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen einen Abweichler hören!)


Ich stimme gegen den Fiskalpakt, weil mir die Sorgen
vieler Menschen sehr nahe sind.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen bin ich dafür!)


Ich habe die Generation meiner Eltern vor Augen, die
immer in Angst um das täglich Brot, in Angst um Ar-
beitslosigkeit, in Angst um ihr bisschen Erspartes aufge-
wachsen sind. Ich möchte nicht, dass Menschen zusätz-
lich und weiterhin in Ängsten gehalten werden. Ich
stimme gegen den Fiskalpakt. Meine Stimme ist eine
Stimme gegen Angst, weil dieser Pakt nichts Vernünfti-
ges für unser Land bringt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich stimme gegen den Fiskalpakt. Meine Stimme ge-
gen den Pakt ist eine Stimme der Solidarität mit den
Menschen in Griechenland, mit den Menschen in Spa-
nien und mit den Menschen in Italien. Auch das muss
hier deutlich gesagt werden. Es wächst zusammen, was
zusammen gehört. Es wachsen in Europa die Spekulan-
ten und die Betrüger zusammen – in Griechenland, in
Deutschland und in Spanien –, und es wachsen die Men-
schen zusammen, die eine solche Politik nicht hinneh-
men wollen. Deswegen ist meine Stimme gegen den Fis-
kalpakt auch eine Stimme der Solidarität.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich stimme gegen den Fiskalpakt, weil ich gerne
möchte, dass Parlamentsrechte gewahrt bleiben. Souve-
ränität abzugeben, mag einen Sinn haben. Aber Souverä-
nität an Bürokraten abzugeben, die nicht gewählt sind
und keine Verantwortung gegenüber den Menschen ha-
ben, macht keinen Sinn. Das ist nicht demokratisch, im
Gegenteil.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte, dass die Parlamente und dieses Parlament
ihr Recht auf Auseinandersetzung wahren.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Reden Sie doch nicht so einen Stuss!)


Letztlich stimme ich gegen den Fiskalpakt, weil ich
nicht mit dabei Hand anlegen möchte, das Grundgesetz
in irgendeiner Weise zu schwächen. Für mich ist das
Grundgesetz eine der besten Verfassungen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich halte es für ein Gesetz, das einen breiten und sehr
vernünftigen Bogen spannt. Es ist ein Gesetz, das keine
bestimmte Wirtschaftsordnung vorschreibt, sondern eine
Veränderung auch der Wirtschafts- und Gesellschafts-
ordnung möglich macht. Es ist übrigens auch ein Gesetz,
das Kriege bzw. Angriffskriege unter Strafe stellt. Ich
möchte nicht, dass dieses Grundgesetz geschwächt wird.


(Beifall bei der LINKEN)

Ich will dieses Grundgesetz stärken. Deswegen ist meine
Stimme gegen den Fiskalpakt eine Stimme für das
Grundgesetz und für die Verteidigung des Grundgeset-
zes. Mit dieser Tradition ist man aufgewachsen. Ich
möchte, dass diese Tradition fortgeführt wird.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718823600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das

Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag über Stabili-
tät, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts-
und Währungsunion bekannt: abgegebene Stimmen 608.
Mit Ja haben gestimmt 491 Kolleginnen und Kollegen,
mit Nein haben gestimmt 111.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Enthalten haben sich 6 Mitglieder des Hauses. Damit ist
der Gesetzentwurf mit der erforderlichen Mehrheit ange-
nommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 604;
davon

ja: 488
nein: 110
enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner

Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster

Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier

Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)


Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler

Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Memet Kilic
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour

Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Dr. Peter Gauweiler
Manfred Kolbe
Klaus-Peter Willsch

SPD

Klaus Barthel
Willi Brase
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Wolfgang Gunkel
Gabriele Hiller-Ohm
Daniela Kolbe (Leipzig)

Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Dr. Wilhelm Priesmeier
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
René Röspel
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Werner Schieder (Weiden)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Rolf Schwanitz
Kerstin Tack
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


FDP

Jens Ackermann
Nicole Bracht-Bendt
Lars Lindemann
Frank Schäffler

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann

Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte

Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Agnes Brugger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Monika Lazar
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Hermann Ott

Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn

Hans-Christian Ströbele
Arfst Wagner (Schleswig)


Enthalten

CDU/CSU

Veronika Bellmann

SPD

Kirsten Lühmann

FDP

Torsten Staffeldt

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Katja Dörner
Sven-Christian Kindler
Lisa Paus

Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zu-
nächst zu den Entschließungsanträgen.

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU,
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 17/10152. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der
antragstellenden Fraktionen gegen die Stimmen der Lin-
ken angenommen.

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 17/10153. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit der um-
gekehrten Mehrheit abgelehnt.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/10212.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Entschlie-
ßungsantrag hat auch nicht die notwendige Mehrheit ge-
funden und ist abgelehnt.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Haushaltsaus-
schuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa-
che 17/10125 – Bericht des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 17/10171 –, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/9667 für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer möchte dagegen stimmen oder sich enthalten? –
Diese Beschlussempfehlung ist einmütig angenommen.

Zu Tagesordnungspunkt 50 b empfiehlt der Haus-
haltsausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussemp-
fehlung auf den vorhin genannten Drucksachen die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 17/9147 mit dem Titel „Ratifizierung des

Fiskalvertrags ablehnen – Ursachenorientierte Politik
zur Krisenbewältigung einleiten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit breiter
Mehrheit angenommen.

Zu Tagesordnungspunkt 50 c geht es um die Abstim-
mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und
FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Ver-
trag vom 2. Februar dieses Jahres zur Einrichtung des
Europäischen Stabilitätsmechanismus. Der Haushaltsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf den Drucksachen 17/10126 und 17/10172,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP auf der Drucksache 17/9045 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Frank Schäffler, Klaus-Peter Willsch, Jens Ackermann
und weiterer Abgeordneter auf der Drucksache 17/10211
vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für die-
sen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Bei einer Reihe von Enthaltungen ist der
Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Ich darf nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise auch hier darauf hin,
dass zur Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags erforderlich
ist, also 414 Stimmen.

Ich muss einen kleinen Augenblick um Geduld bitten,
weil wir klären müssen, ob es, wie es gerade moniert
worden ist, Änderungsanträge von Fraktionen gibt, die
nicht aufgerufen worden sind. Bevor wir an dieser Stelle
einen unnötigen Formfehler machen, ist es sicherlich
klug, das vorab zu klären. – Wir haben einvernehmlich
geklärt, dass das im Zusammenhang mit den zur Abstim-
mung stehenden weiteren Finanzgesetzen aufgerufen
wird. Damit ist dieser Besorgnis abgeholfen.

Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-
ten, mir ein Signal zu geben, ob alle Urnen besetzt sind.
– Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die
zweite namentliche Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme für die zweite namentliche Abstimmung nicht
abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall, jedenfalls nicht
erkennbar.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses dieser namentli-
chen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung, weil wir
über die darauf Bezug nehmenden Erklärungen ohne
Vorliegen des Ergebnisses nicht abstimmen können.


(Unterbrechung von 21.29 Uhr bis 21.38 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718823700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich kann Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der zweiten nament-
lichen Abstimmung zum Entwurf eines Gesetzes zum
Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsme-
chanismus vortragen: abgegebene Stimmen 604. Mit Ja
haben gestimmt 493, mit Nein haben gestimmt 106;
5 Mitglieder des Hauses haben sich der Stimme enthal-
ten. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf mit der erfor-
derlichen Mehrheit angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 604;
davon

ja: 493
nein: 106
enthalten: 5

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött

Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich

Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz

Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler

Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler

Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede

Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Veronika Bellmann
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Thomas Dörflinger
Herbert Frankenhauser
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Josef Göppel
Manfred Kolbe
Paul Lehrieder
Dr. Carsten Linnemann
Dr. Georg Nüßlein
Thomas Silberhorn
Christian Freiherr von Stetten
Arnold Vaatz
Klaus-Peter Willsch

SPD

Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Wolfgang Gunkel
Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Rolf Schwanitz
Dr. Marlies Volkmer
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


FDP

Jens Ackermann
Nicole Bracht-Bendt
Sylvia Canel
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Lutz Knopek
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Holger Krestel
Lars Lindemann
Frank Schäffler
Torsten Staffeldt

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann

Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele

Enthalten

CDU/CSU

Marlene Mortler

SPD

Gabriele Hiller-Ohm
Hilde Mattheis
Werner Schieder (Weiden)

Ottmar Schreiner


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir setzen die Abstimmungen fort.

Tagesordnungspunkt 50 c. Unter Buchstabe b der Be-
schlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf

Drucksache 17/10126 – Bericht des Haushaltsausschus-
ses auf Drucksache17/10172 – geht es darum, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
17/9370 und 17/9670 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Mit der Erklärung, dass
der Gesetzentwurf erledigt sei, sind alle einverstanden.
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabili-
tätsmechanismus. Der Haushaltsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der ge-
nannten Drucksache, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/9048 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen die
vorhin angesprochenen Änderungsanträge vor, über die
wir zuerst abstimmen.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Än-
derungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksa-
che 17/10213. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der
Stimme enthalten? – Das Zweite war die Mehrheit. Da-
mit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über einen Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 17/10209. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich
der Stimme? – Damit ist auch dieser Änderungsantrag
mehrheitlich abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 17/10210. Wer möchte für diesen Ände-
rungsantrag stimmen? – Das wird auch nicht reichen.


(Heiterkeit)


Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch
dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Das wiederum ist genug. Ist jemand dage-
gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei zahlreichen
Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist der Gesetz-
entwurf damit in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Wir stimmen über diesen Ge-
setzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. – Signalisieren Sie mir bitte, ob Sie alle schon
die Plätze eingenommen haben. – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann eröffne ich die dritte namentliche Abstim-
mung.

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Ja. Der Druck
der zügigen Abwicklung ist ausgesprochen hoch und fin-
det im Respekt gegenüber dem Abstimmungsrecht jedes
einzelnen Abgeordneten eine angemessene Berücksich-
tigung.

Ich frage noch einmal, ob es ein Mitglied des Hauses
gibt, das seine Stimme für die dritte namentliche Ab-
stimmung noch nicht abgegeben hat. – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich jetzt den dritten Abstimmungs-
vorgang.

Ich weise darauf hin, dass wir ohne Sitzungsunterbre-
chung noch eine Reihe von Abstimmungen einschließ-
lich der vierten und letzten namentlichen Abstimmung
durchführen. Dass also bitte keiner unnötig wegläuft!

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung teile ich dann später mit.

Wir setzen die Abstimmungen fort. Der Haushalts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/10126 – Bericht des
Haushaltsausschusses auf Drucksache17/10172 –, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 17/9371 und 17/9670 für erledigt zu erklären. Stim-
men Sie dem zu? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich
jemand der Stimme? – Der Gesetzentwurf ist für erledigt
erklärt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Bundesschuldenwesenge-
setzes. Der Haushaltsausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/10126 – Bericht des Haushaltsausschusses auf
Drucksache17/10172 –, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist bei einigen Enthaltungen der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Jetzt wird es ein bisschen
schwierig. Weil wir hierzu keine namentliche Abstim-
mung haben, muss ich diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in dritter Lesung zustimmen wollen, bitten, sich
von ihren Plätzen zu erheben. – Zweifelt jemand daran,
dass das die Mehrheit ist? – Das ist nicht der Fall. Ge-
genprobe! – Hat jemand Zweifel daran, dass das die
Minderheit ist? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? –
Auch das ist erkennbar eine überschaubare Minderheit.
Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.

Es gibt Besorgnis, es könnten Zweifel darüber entste-
hen, dass damit der Gesetzentwurf in dritter Lesung an-
genommen worden sei. Ich glaube nicht, dass es darüber
ernsthafte Zweifel gegeben hat; aber nun haben wir es
zweifelsfrei im Protokoll stehen: Der Gesetzentwurf ist
angenommen.

Dann fahren wir fort mit der Beschlussempfehlung
des Haushaltsausschusses auf Drucksache 17/10126
– Bericht des Haushaltsausschusses auf Drucksache
17/10172 –: Unter Buchstabe f seiner Beschlussempfeh-
lung empfiehlt der Haushaltsausschuss, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf den vorhin mehrfach zi-
tierten Drucksachen 17/9372 und 17/9671 für erledigt zu
erklären. Auch hierzu werde ich vermutlich Ihre Zustim-
mung feststellen können. – Ist jemand anderer Mei-
nung? – Oder möchte sich jemand der Stimme enthal-
ten? – Dann ist die Beschlussempfehlung angenommen.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlungen fort. Tagesordnungspunkt 50 d: Unter Buch-
stabe g der Beschlussempfehlung wird die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus ablehnen, europäisches
Investitionsprogramm auflegen“ auf Drucksache 17/9146
empfohlen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.

Unter Tagesordnungspunkt 50 e geht es um die Ab-
stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU
und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem
Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011
zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Ar-
beitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines
Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren
Währung der Euro ist. Der Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/10159, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/9047 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Auch über diesen Gesetzent-
wurf stimmen wir auf Verlangen der Fraktion Die Linke
namentlich ab. Ich darf die Schriftführerinnen und
Schriftführer bitten, die Plätze einzunehmen.

Da ich vermute, dass der eine oder andere von Ihnen
nach dieser vierten namentlichen Abstimmung zur feier-
lichen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses nicht
mehr im Hause anwesend sein wird, mache ich schon
jetzt darauf aufmerksam, dass ich zum Schluss der heuti-
gen Sitzung den Deutschen Bundestag zu seiner nächsten
Sitzung einberufen werde, die spätestens am 11. Septem-
ber 2012 stattfinden wird. Bei Ihren Urlaubsplanungen
bitte ich zu berücksichtigen, dass ich nicht ausschließen
kann, dass sie auch deutlich früher stattfinden könnte.
Also schwimmen Sie nicht zu weit hinaus und achten Sie
darauf, das Handgepäck immer griffbereit zu haben!

Ich eröffne die vierte namentliche Abstimmung. –
Haben auch diejenigen Kollegen, die zunächst eine fal-
sche Karte hatten, die richtige nun eingeworfen? Kennt
noch jemand einen Kollegen oder eine Kollegin, die ihre
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Weder – noch.
Dann schließe ich hiermit die vierte namentliche Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich teile die Er-
gebnisse der dritten wie der vierten Abstimmung mit,
sobald sie vorliegen.

Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union empfiehlt im Übrigen unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/10159,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-

sachen 17/9373 und 17/9670 – Sie ahnen es – für erledigt
zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit
großem Einvernehmen ist diese Beschlussempfehlung
angenommen.

Tagesordnungspunkt 50 f: Schließlich empfiehlt der
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung
auf der gleichen Drucksache die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/9148
– das Protokoll verzeichnet ein Aufstöhnen des Abge-
ordneten Gysi – mit dem Titel „Grundlegende Reformen
der EU-Verträge umsetzen – Änderung von Artikel 136
des Vertrages zur Arbeitsweise der Europäischen Union
verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
Mehrheit angenommen.

Unter dem Tagesordnungspunkt 50 g stimmen wir ab
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ar-
beit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Soziale Errungenschaften in der Europäi-
schen Union verteidigen und ausbauen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/9791, diesen Antrag der Fraktion Die Linke auf
der Drucksache 17/9410 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Auch diesmal ist diese Beschluss-
empfehlung mit Mehrheit angenommen.

Nun müssen wir uns einen Augenblick gedulden, bis
wir die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmun-
gen bekommen. Diejenigen, die dem feierlichen Augen-
blick nicht mehr beiwohnen können oder wollen, wün-
sche ich einen schönen restlichen Abend und einen
halbwegs erholsamen Urlaub, soweit dies unter den ge-
schilderten Rahmenbedingungen überhaupt möglich ist.

Ich unterbreche die Sitzung.


(Unterbrechung von 21.59 bis 22.03 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1718823800

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich kann Ihnen das Ergebnis der beiden namentlichen
Abstimmungen mitteilen und verbinde das mit dem aus-
drücklichen Respekt für die Kolleginnen und Kollegen,
die das mit bemerkenswerter Geschwindigkeit für uns
erledigt haben.


(Beifall)


Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der dritten nament-
lichen Abstimmung zum ESM-Finanzierungsgesetz be-
kannt: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt
497, mit Nein haben gestimmt 101, es gab 5 Enthaltun-
gen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 600;
davon

ja: 494
nein: 101
enthalten: 5

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund

Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther

Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn

Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)


Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb

Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell

Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Veronika Bellmann
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Thomas Dörflinger
Herbert Frankenhauser
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Josef Göppel
Manfred Kolbe
Paul Lehrieder





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Carsten Linnemann
Dr. Georg Nüßlein
Thomas Silberhorn
Christian Freiherr von Stetten
Arnold Vaatz
Klaus-Peter Willsch

SPD

Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Wolfgang Gunkel
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


FDP

Jens Ackermann
Nicole Bracht-Bendt
Sylvia Canel
Dr. Lutz Knopek
Holger Krestel
Lars Lindemann
Frank Schäffler
Torsten Staffeldt

DIE LINKE

Jan van Aken

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte

Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair

Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele

Enthalten

CDU/CSU

Marlene Mortler

SPD

Gabriele Hiller-Ohm
Hilde Mattheis
Werner Schieder (Weiden)

Ottmar Schreiner

Wir kommen nun zu dem von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelten Ergebnis der vierten na-
mentlichen Abstimmung. Hier ging es um den Entwurf
eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Ra-
tes zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines

Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren
Währung der Euro ist. Es wurden 602 Stimmen abgege-
ben. Mit Ja haben gestimmt 504, mit Nein haben ge-
stimmt 97, es gab nur 1 Enthaltung. Damit ist der Ge-
setzentwurf angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 602;
davon
ja: 504
nein: 97
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger

Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn

Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla

Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz

Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Wolfgang Hellmich
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber

Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Annette Sawade
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke

Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Jörg von Polheim
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Agnes Brugger
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl

Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Arfst Wagner (Schleswig)

Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Veronika Bellmann
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Thomas Dörflinger
Herbert Frankenhauser
Alexander Funk
Dr. Peter Gauweiler
Josef Göppel
Manfred Kolbe
Paul Lehrieder
Dr. Carsten Linnemann
Dr. Georg Nüßlein
Thomas Silberhorn
Christian Freiherr von Stetten
Arnold Vaatz
Klaus-Peter Willsch

SPD

Dr. Peter Danckert

FDP

Jens Ackermann
Nicole Bracht-Bendt
Sylvia Canel

Dr. Lutz Knopek
Holger Krestel
Lars Lindemann
Frank Schäffler
Torsten Staffeldt

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht

Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hans-Christian Ströbele

Enthalten

CDU/CSU

Marlene Mortler


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn nun nicht noch irgendjemand das Wort
wünscht – –


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Ich nehme zu Protokoll, dass der Kollege Gysi das für
eine abwegige Vorstellung hält.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nicht wirklich!)


Darauf kommen wir vielleicht in vergleichbaren Zusam-
menhängen noch einmal zurück.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung mit dem vorhin vorge-
tragenen Vorbehalt auf Dienstag, den 11. September
2012, 10 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.