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    Plenarprotokoll 17/188 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 188. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Gabriele Groneberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 44: a) Antrag der Abgeordneten Hilde Mattheis, Bärbel Bas, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine umfassende Pflegereform – Pflege als gesamtgesellschaftliche Auf- gabe stärken (Drucksache 17/9977) . . . . . . . . . . . . . . . . b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuausrich- tung der Pflegeversicherung (Pflege- Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) (Drucksachen 17/9369, 17/9669, 17/10157, 17/10170) . . . . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/10166) . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Pflege tatsächlich neu ausrichten – Ein Leben in Würde ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, Markus Kurth, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine grundlegende Reform der Pflegever- sicherung – Nutzerorientiert, solida- risch, zukunftsfest – zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Fritz Kuhn, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Versorgungslücke nach Krankenhausaufenthalt und ambulanter medizinischer Behand- lung schließen (Drucksachen 17/9393, 17/9566, 17/2924, 17/10157, 17/10170) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Birgitt Bender, Fritz Kuhn, Elisabeth Scharfenberg, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Leistun- gen bei Schwangerschaft und Geburt aus der Reichsversicherungsordnung in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch über- führen und zeitgemäß ausgestalten (Drucksachen 17/5098, 17/9376) . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr, Bundesminister BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22619 A 22619 A 22619 C 22619 D 22619 D 22620 A 22620 B 22621 C 22622 D 22624 A 22625 A 22626 C 22628 A 22629 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Riebsamen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 45: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung von haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen (Wissen- schaftsfreiheitsgesetz – WissFG) (Drucksachen 17/10037, 17/10123) . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 46: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht (Drucksache 17/10040) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 47: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Sabine Leidig, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kundenfreundliche Bahn für alle (Drucksache 17/8605) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Vor- stand der Deutschen Bahn AG mit fach- kundigem Personal besetzen (Drucksachen 17/4838, 17/8383) . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 48: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft über Zusammenarbeit in den Berei- chen Steuern und Finanzmarkt in der Fas- sung vom 5. April 2012 (Drucksache 17/10059) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 22630 D 22631 D 22633 C 22634 C 22635 B 22636 A 22637 A 22638 A 22639 B 22640 C 22642 D 22641 A 22641 A 22645 B 22647 C 22648 C 22650 B 22651 D 22652 D 22654 C 22655 D 22656 D 22657 D 22659 A 22659 B 22660 B 22661 B 22662 C 22663 A 22664 A 22665 B 22666 C 22666 C 22666 D 22667 D 22668 D 22670 A 22670 C 22672 A 22672 C 22673 C 22673 D 22675 B 22675 C 22676 C 22678 C 22679 D 22680 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 III Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 49: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Renate Künast, Bärbel Höhn, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Tier- schutzgesetzes (TierSchGNeuregG) (Drucksache 17/9783) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Tierschutzgesetz ändern – Kenn- zeichnung von Pferden tierschutzge- recht ausgestalten (Drucksachen 17/4850, 17/5563) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tiertransporte verringern – Tierschutz verbessern (Drucksachen 17/6913, 17/8028) . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Geschäftsordnung Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zur Schaffung einer Stabi- litätsunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 50: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koor- dinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksachen 17/9046, 17/10125, 17/10171) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Drucksachen 17/9667, 17/10125, 17/10171) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ratifizierung des Fiskalver- trags ablehnen – Ursachenorientierte Politik zur Krisenbewältigung einleiten (Drucksachen 17/9147, 17/10125, 17/10171) c) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Eu- ropäischen Stabilitätsmechanismus (Drucksachen 17/9045, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrich- tung des Europäischen Stabilitäts- mechanismus (Drucksachen 17/9370, 17/9670, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmecha- nismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) (Drucksachen 17/9048, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22681 C 22682 D 22684 B 22684 C 22684 D 22684 D 22685 A 22685 B 22686 C 22688 C 22689 D 22691 A 22691 C 22691 D 22693 B 22694 B 22696 A 22696 D 22697 B 22697 B 22697 B 22697 C 22697 D 22697 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabi- litätsmechanismus (ESM-Finanzie- rungsgesetz – ESMFinG) (Drucksachen 17/9371, 17/9670, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes- schuldenwesengesetzes (Drucksachen 17/9049, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes (Drucksachen 17/9372, 17/9671, 17/10126, 17/10172) . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäischen Stabilitäts- mechanismus ablehnen, europäisches Investitionsprogramm auflegen (Drucksachen 17/9146, 17/10126, 17/10172) e) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Eu- ropäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich ei- nes Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Drucksachen 17/9047, 17/10159) . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Be- schluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Ar- tikels 136 des Vertrags über die Ar- beitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmecha- nismus für die Mitgliedstaaten, de- ren Währung der Euro ist (Drucksachen 17/9373, 17/9670, 17/10159) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Grundlegende Reformen der EU-Ver- träge umsetzen – Änderung von Artikel 136 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union verhindern (Drucksachen 17/9148, 17/10159) . . . . . . g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Alexander Ulrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Errungen- schaften in der Europäischen Union verteidigen und ausbauen (Drucksachen 17/9410, 17/9791) . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22697 D 22697 D 22697 D 22698 A 22698 B 22698 B 22698 C 22698 C 22699 A 22702 C 22707 A 22708 D 22711 B 22713 D 22716 A 22717 B 22718 B 22720 A 22721 A 22722 A 22723 A 22724 A 22725 C 22726 C 22727 B 22728 A 22729 D 22731 B 22733 A 22734 C, 22740 A 22743 C, 22744 B 22736 D, 22740 C 22744 D, 22747 B 22734 D 22735 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 V Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE). . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heiner Kamp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD). . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin und Joachim Günther (Plauen) (beide FDP) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22736 A 22750 C 22751 A 22751 C 22753 D 22757 D 22758 B 22758 D 22759 D 22760 B 22762 A 22762 C 22763 A 22764 A 22765 A 22765 B 22766 A 22766 C 22767 A 22768 A 22769 A 22769 C 22770 A 22770 C 22771 B 22772 A 22772 C 22773 A 22774 A 22775 D 22776 A 22776 D 22777 A 22777 D 22778 D 22779 B 22779 D 22780 C Rolf 22781 C Rolf 22783 D Rolf 22784 D Rolf 22785 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günter Gloser und Martin Burkert (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Philip Winkler und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Edelgard Bulmahn und Dr. Ernst Dieter Rossmann (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Katja Dörner und Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion 22785 D 22786 B 22786 C 22788 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 VII – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Maria Klein-Schmeink und Sylvia Kotting-Uhl (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Ulrich Schneider, Beate Walter-Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Alexander Süßmair und Katrin Werner (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler, Sylvia Canel und Dr. Lutz Knopek (alle FDP), Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (beide CDU/CSU) zu: 22789 A 22791 D 22793 B 22794 C VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Schieder (Weiden), Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe (Leipzig), Hilde Mattheis, Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Süßmair und Katrin Werner (beide DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko und Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinie- rung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur finanziellen Be- teiligung am Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitäts- mechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) . . . . . . . . . . Anlage 15 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22795 B 22797 A 22798 A 22798 D 22799 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22619 (A) (C) (D)(B) 188. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22751 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich werde dem oben genannten Gesetz nicht zustimmen. Heute treffen wir eine Richtungsentscheidung. Es geht um die Frage, welche Gestalt das politische Europa annehmen soll. Es geht um die Frage seiner Organisation und die Frage, wo seine politischen Kompetenzen ange- siedelt sein sollen. Es geht daher um die Frage, ob Europa zentral oder dezentral organisiert wird und auf welcher Ebene seinen Kern der Staatlichkeit liegt. Ge- nau diese Entscheidung trifft heute das Parlament. Das ist nicht zulässig, denn die Verlagerung des Kerns demo- kratischer Staatlichkeit lässt das geltende Grundgesetz nicht zu. Man kann nicht einmal das Grundgesetz dahin gehend ändern. Dennoch wird heute die Überführung von Staatlichkeit an eine höhere Ebene entschieden. Diese höhere Ebene ist indes nicht die Europäische Union, sondern ein neuer Euro-Staat, der keine Vorbilder kennt. Über diesen Umstand spricht niemand, weil die Dis- kussion um die vorgebliche Rettung des Euro durch Fis- kalvertrag und ESM den Blick auf die wahre Bedeutung der heutigen Entscheidung im Plenum verstellt. Ich halte dies für einen Fehler. Die Entscheidung über die Ver- schiebung von Staatlichkeit von Deutschland in den neuen Euro-Staat darf nicht unter dem Deckmantel von ESM und Fiskalvertrag gefällt werden. Sie muss viel- mehr als solche deutlich bezeichnet und mit mindestens gleicher rechtlicher Qualität wie die über den Vertrag von Lissabon getroffen werden. Die heutige Entscheidung ist daher ein absoluter Tief- punkt in der Geschichte des Deutschen Bundestages. Niemals zuvor wurde eine bedeutendere Entscheidung unter so falschen Voraussetzungen getroffen. In unser Bewusstsein muss gerückt werden, dass der Deutsche Bundestag mit der Zustimmung zum ESM auf sein Bud- getrecht – das Königsrecht – bereitwillig verzichtet. Das Budgetrecht ist Königsrecht, weil ein Parlament ohne eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmittel kas- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 29.06.2012 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 29.06.2012 Bockhahn, Steffen DIE LINKE 29.06.2012 Brandner, Klaus SPD 29.06.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 29.06.2012 Granold, Ute CDU/CSU 29.06.2012 Hempelmann, Rolf SPD 29.06.2012 Kolbe (Leipzig), Daniela SPD 29.06.2012 Kramme, Anette SPD 29.06.2012 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.06.2012 Lay, Caren DIE LINKE 29.06.2012 Liebich, Stefan DIE LINKE 29.06.2012 Luksic, Oliver FDP 29.06.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.06.2012 Nietan, Dietmar SPD 29.06.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 29.06.2012 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.06.2012 Zapf, Uta SPD 29.06.2012 Anlagen 22752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) triert, also seiner eigentlichen Aufgabe beraubt ist. Eine Demokratie ist nicht denkbar ohne ein Parlament mit voller Budgethoheit. Aus diesem Grund schlussfolgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 38 GG, dass der Bestimmungsgehalt des Demokratieprinzips missachtet wird, wenn das parlamentarische Budgetrecht entleert wird. Indes führt der ESM aus sowohl rechtlichen wie öko- nomischen Gründen zu unabsehbaren und unbegrenzten finanziellen Verpflichtungen Deutschlands. Dadurch saugt er das Budgetrecht des Bundestages aus und hin- terlässt nicht mehr als dessen leere Hülle. Rechtliche Grenzen sind dem Zugriff des ESM auf den Bundeshaushalt nicht gesetzt. Denn die haushalts- rechtliche Beschränkung auf 190 Milliarden Euro wirkt nicht. Nach dem Vertrag über den Europäischen Stabili- tätsmechanismus sind alle Entscheidungen seiner Gre- mien völkerrechtlich verbindlich, bis auf die Erhöhung des genehmigten Kapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV. Sie wird erst wirksam mit einer bundesgesetzlichen Er- mächtigung zur Bereitstellung neuer Mittel für den ESM. Doch diese einzige Vorkehrung gegen eine unge- wollte völkerrechtlich begründete Zahlungspflicht reicht nicht aus, wenn Deutschland auch auf andere Art und Weise zur Zahlung verpflichtet werden kann. Dies ist erstens der Fall beim Abruf genehmigten Kapitals zu einem höheren Ausgabepreis als zum Nennwert. Deutschland ist verpflichtet, jedem Abruf des genehmig- ten Kapitals nachzukommen, selbst wenn dieses mit einem Aufgeld auf den Nennwert, also zu einem höheren Ausgabepreis erfolgt. Dadurch entsteht eine völkerrecht- lich wirksame Zahlungspflicht, die Deutschland erfüllen muss, selbst wenn ihre Höhe die haushaltsrechtliche Vorsorge von 190 Milliarden Euro übersteigt. Dies ist zweitens der Fall, wenn ein erhöhter Kapitalabruf zur Verlustdeckung erfolgt, mit dem die Nichterfüllung der Zahlungspflicht eines anderen ESM-Mitglieds ausgegli- chen wird. Deutschland hat in diesen Fällen kein oder jedenfalls kein abschließendes Vetorecht, da einerseits Streitigkeiten über den Bestand von Zahlungspflichten in letzter Instanz vom EuGH entschieden werden und andererseits mit dem bestimmungsgemäßen Eintritt wei- terer Staaten zur Euro-Zone der deutsche Kapitalanteil am ESM absinken wird, wodurch sich die Sperrminorität in Luft auflöst. Ökonomisch und rechtlich zwingt uns der ESM mit seinem Haftungs- und Leistungsautomatismus in eine Transferunion. Denn jede Anleihe, die er auflegt, um damit die Schuldenstaaten zu finanzieren, ist ein Euro- Bond. Alle ESM-Mitglieder haften gemeinschaftlich mit dem Vermögen des ESM. Die Anleihen des ESM wer- den wegen der gemeinschaftlichen Haftung und größe- ren Sicherheit attraktiver sein als die Anleihen seiner Mitglieder. Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird sin- ken, wodurch die von den Mitgliedstaaten geforderten Zinsen steigen werden. Das drängt weitere ESM-Mit- glieder in Hilfsprogramme des ESM. Die Darlehen, die der ESM an diese Schuldenländer vergibt, sind vorran- gig gegenüber anderen Staatsschulden zu bedienen. Das verteuert die Kreditaufnahme für die Programmländer zusätzlich. Wenn ein ESM-Mitglied auch nur ein einzi- ges Mal ein Darlehen vom ESM bekommen hat, wird es sich nie mehr eigenständig am Kapitalmarkt finanzieren können, weil seine Refinanzierung teurer und nicht billi- ger wird. Andererseits bringen die Anpassungspro- gramme des ESM geringere Sanierungsanreize als hohe Kapitalmarktzinsen. Griechenland, Irland und Portugal liegen jeweils hinter den Zielen ihres Anpassungspro- gramms zurück. Das ist kein unglücklicher Zufall, son- dern das zu erwartende ökonomische Ergebnis, wenn ein Land sich nicht am Kapitalmarkt finanzieren muss. Der ESM wird sich daher stetig ausweiten, schon bald die Rolle einer europäischen Schuldenagentur einnehmen und größeren Kapitalbedarf haben. Der ESM ist kein Rettungsschirm, sondern ein Ansteckungsmechanismus. Nicht das Fehlen der politischen Union bei Gründung der Währungsunion war der Fehler, sondern der ab- sichtsvolle Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im Jahr 2010. Dieser Rechtsbruch hat die aktuelle Krise ge- radezu ausgelöst. Mit dem ESM wird diese Krise nicht bekämpft, sondern die Saat gelegt, aus der die Schulden- und Transferunion heranwachsen wird. Die Haftungsge- meinschaft der ESM-Mitglieder ist nicht Zukunftsmusik, sondern Gegenwart. Denn der ESM verfolgt ausweislich seines Vertragsstatuts nicht nur den Zweck, die Euro- Zone zu schützen, sondern auch die Finanzstabilität aller seiner Mitgliedstaaten. Der ESM wird dadurch die Staatsinsolvenz jedes einzelnen seiner Mitgliedstaaten verhindern und als gemeinsame Bank zur Staatsschul- denfinanzierung dienen. Dadurch werden Staatsinsol- venzen innerhalb der Euro-Zone faktisch unmöglich. Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr bankrott gehen können, dann kann nur noch der neue Euro-Staat als Ganzes bankrott gehen. Es ist daher ökonomisch un- vermeidlich, dass es zu einer Sozialisierung sämtlicher Staatsschulden der ESM-Mitgliedstaaten kommen muss. Dieser Sozialisierung des Insolvenzrisikos steht keine adäquate Möglichkeit gegenüber, die Haushalte der Mit- gliedstaaten zu kontrollieren. Denn der Fiskalvertrag ist ein zahnloser Tiger, der als Medizin gegen die geradezu perverse Anreizsituation herhalten soll, Schulden auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten zu machen. Doch diese Medizin wird sich als wirkungslos erweisen. Es gibt nur ein einziges Mittel, das Regierungen und Parla- mente zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Staatsfinanzen veranlasst, nämlich die Drohung des Kapitalmarkts, Schulden nicht länger zu finanzieren. Doch genau dieses disziplinierende Mittel haben wir plangemäß und absichtlich abgeschafft. Die heutige Gründung des Euro-Staats als Haftungs- union mit dem Euro-Bonds ausgebenden ESM als seiner Schuldenagentur lehne ich ab. Dieser Euro-Staat ist nicht demokratisch legitimiert, er hat kein Parlament, und seine Organe sind weitgehend einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Sein Machtzentrum ist eine Finanz- institution, deren Gremien von Mitgliedern der nationa- len Exekutiven besetzt werden. Sie müssen sich gegen- über dem deutschen Gesetzgebungsorgan nicht verantworten. Nicht einmal der deutsche Gouverneur muss sich dem Bundestag verantworten, weil das Kabi- nett nur der Bundeskanzlerin verantwortlich ist. Eine politische Verantwortlichkeit ist daher nicht gegeben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22753 (A) (C) (D)(B) Sie genießen überdies eine weitgehende und völker- rechtlich abgesicherte strafrechtliche Immunität. Der ESM ist ausführendes Organ des neuen Euro-Staats, ähnelt in seiner Ausgestaltung aber einer herkömmlichen Bank. Seine Organe unterliegen einer Schweigepflicht, sein Archiv ist unverletzlich. In der Wirkung ist der ESM somit durch das Bankgeheimnis geschützt, wel- ches wir für alle anderen europäischen Banken abge- schafft haben. Der ESM darf nicht nur Kredite vergeben und Staatsanleihen aufkaufen, sondern alle Geschäfte in Bezug auf Anleihen durchführen. Damit kann er den Zins durch Geschäfte mit Derivaten auf Staatsanleihen beliebig manipulieren. Aufgekaufte Staatsanleihen darf er wiederum als Sicherheit hinterlegen, um sein Volu- men durch die Aufnahme weiterer Gelder am Kapital- markt zu hebeln. Seine Bediensteten zahlen keine Steu- ern. Sie dürfen nach Handelserfolg bezahlt werden, also umso höher, je größere Gewinne sie für den ESM am Kapitalmarkt erzielen. Keines der vom ESM und seinen Bediensteten durchgeführten Geschäfte ist transparent oder in irgendeiner Weise kontrollierbar, sei es durch das Parlament oder die Justiz. Diese enorme Machtfülle eines Exekutivorgans ohne „checks and balances“ ist ein Rückfall in eine vor- moderne Staatsform. Sie ist ein veritabler Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze der Gewaltenteilung, die maßgebliches Kennzeichen unserer freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung sind. Ich kenne keine Um- stände, unter denen wir davon auch nur ein Jota abwei- chen dürften. Selbst in der Not gelten Gebote! Sogar und gerade in der Not müssen Gebote gelten, denn sie sollen genau in diesen schlechten Zeiten Orientierung geben. In der Krise unserer Währung darf nichts anderes gelten. Wenn die Ordnungsregeln der Währung gebrochen wer- den, dann bricht die Währung. Ich muss daher abschlie- ßend festhalten: Wenn Währung, Recht und freiheitlich- demokratische Grundordnung durch politisches Handeln gefährdet werden, dann ist dieses Handeln falsch. Europa steht nicht unbedingt an einem Scheideweg, ganz sicher aber an einem „Ent-Scheideweg“! Die Kosten der kurzfristigen Euro-Stabilisierung für den deutschen Steuerzahler sind enorm und ansteigend. Schlägt die Rettung eines festen Euro fehl, was aufgrund der politischen Gegebenheiten und Anreize absehbar ist, wird Deutschland mit in den Abgrund gezogen. Eine ra- sche Entflechtung des unseligen Euro-Konstrukts ist für Deutschland die günstigere Lösung. Die Euro-Rettung hat mit Ökonomie und Vernunft nichts mehr zu tun. Sie ist mittlerweile zu einer Ideologie verkommen, die in ei- ner Währungsunion nichts zu suchen hat. Es sei denn, man nimmt einen Super-GAU in Kauf, der den Kollaps Deutschlands nach sich zieht. Denn tagtäglich erhöht sich durch die angebliche Stabilisierung der Euro-Zone das Risiko für den deutschen Steuerzahler und seit den gestrigen Gipfelbeschlüssen auch noch für den deut- schen Sparer. Wir liegen mit den EZB-Verpflichtungen in etwa bei 3,4 Billionen Euro. Mit 27,5 Prozent sind wir auf jeden Fall beteiligt, wenn Verluste eintreten. Wenn immer mehr Länder – Spanien, Italien, Belgien, Zypern, Frankreich – unter die Rettungsschirme schlüpfen, steigt der deutsche Haftungsanteil dramatisch an, gegegbenen- falls auf 2 Billionen Euro. Jahrzehnte würden wir an die- ser Schuld tragen und ganz sicher Steuern und andere Einnahmen drastisch erhöhen müssen, was wiederum die deutsche Wirtschaft in den Bankrott triebe und Infla- tion bedeuten würde. In jedem Falle würde ein Großteil des deutschen Sparvermögens einfach in den verschwen- derischen Wohlfahrtsstaaten der Peripherie, in Löchern von Bankbilanzen und Immobilienblasen verschwunden sein. Unter politischem Druck unterschreiben wir Schuld- schein für Schuldschein zugunsten fremder Staaten, weil die Solidarität und der Friede in Europa gefährdet seien. Solidität, Eigenverantwortung und Eigenhaftung spielen keine Rolle mehr. Wir können in Deutschland nicht Wohlstand, Grundgesetz, Rechtsstaat und Demokratie zugunsten eines imaginären Europas opfern und gleich gar nicht, um eine nicht funktionierende Währungsunion zu retten. Wenn überhaupt, dann müssen wir das Projekt Europa und das europäische Währungssystem, was nach den jüngsten Erfahrungen nicht zwangsläufig eine Wäh- rungsunion sein muss, neu verhandeln und dabei auf die unverzichtbaren Rechte deutscher Verfassungsorgane achten, vor allem das Haushaltrecht. Die Entscheidung über die Zukunft der EU dürfen wir nicht Büro- und Technokraten und auch nicht alleine den Staatschefs überlassen. Im Sinne des Demokratieprinzips sind die Parlamentsrechte zu verstärken und Volksabstimmun- gen, auch über den Euro, unabdingbar. Ich stehe für ein Europa der Vaterländer, einen Staatenbund, der mit sei- nem freien Binnenmarkt und der verstärkten Zusammen- arbeit ein Raum des Friedens, des Rechts, der Sicherheit und der Demokratie bleiben soll. Ich stehe nicht für einen Bundesstaat, in dem Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert, Schulden und Risiken mit Deutschland als Hauptverantwortungsträger vergemeinschaftet werden. Der ESM ist der Anfang vom Ende eines solidarischen und gleichberechtigten Europas. Deshalb lehne ich ihn entschieden ab. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Warum ich dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmecha- nismus zustimme: Was wir genau wissen: Seit einigen Jahren haben wir dramatische Krisen in Europa, aber die bisherigen Maß- nahmen der Bundesregierung, die bisherigen Verhand- lungen, ob bilateral zwischen Merkel und Sarkozy, oder auf EU-Gipfeln und in Räten, waren nicht ausreichend, oft kontraproduktiv, kamen zu spät, waren zu schwach und diplomatisch schlecht vorbereitet. Viele Maßnah- men hätten Teil einer komplexen Lösung sein können – deshalb haben wir auch zugestimmt –, leider sind die Lösungsansätze der Kanzlerin in Unterkomplexen ste- cken geblieben. Im Ergebnis geraten die Menschen vieler Länder un- ter extremen Druck. Die Gewinne Weniger steigen noch immer, Arbeitslosigkeit, insbesondere Jugendarbeitslo- sigkeit, und Armut vieler nehmen zu. Verantwortungslo- ser Umgang mit hohen Risiken im Privaten – Banken, Schattenbanken, Fonds, „Akteure“ im Finanzmarkt – 22754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) hilft im Einzelfall, Einzelne zu bereichern. Zu oft müs- sen aber die exorbitanten Verluste von Steuerzahlern übernommen werden. Mit dieser Erfahrung können wir, die SPD-Fraktion, weder dem nackten Fiskalpakt noch dem nackten ESM zustimmen. Wieder hat die Regierung Merkel vergessen, dass Sparen allein in der Krise kein Lösungsansatz sein kann; nicht einmal zur Senkung der staatlichen Neuver- schuldung. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und das Wirtschaftswachstum schwächelt, muss Sparen allein in die Rezession führen. Und in Deutschland? Hätten wir nach der Pleite von Lehman Brothers so agiert wie die Kanzlerin nach der Griechenland-Pleite – Arbeitslosig- keit und Wachstum wären auch hier ein riesiges Problem. Aber in Deutschland haben wir nicht in die Re- zession gespart, sondern mit dicken Konjunkturpro- grammen, der Abwrackprämie und der richtig teuren Kurzarbeiterregelung über die Krise hinweg geholfen. In diesen Erfolgen – und wer sich erinnert, denkt an Steinbrück, Steinmeier und Olaf Scholz – sonnt sich heute die Kanzlerin. Wer bei Haushaltssanierung nur an die Ausgabenseite denkt, ist Teil des Problems. Zur Lösung gehört auch die Einnahmeseite. Natürlich sollen jene, denen es vor, wäh- rend und in den Krisen, womöglich noch durch die Kri- sen, besonders gut gegangen ist, sich auch an deren Be- kämpfung beteiligen. Ich denke an gerechte Steuern, aber noch viel mehr an die Beteiligung derjenigen, die durch ihre Spekulation mit dem Geld anderer Menschen die Krise ausgelöst und ihre Verschärfung zu verantwor- ten haben. Die Bundesregierung hat es immer noch nicht geschafft, eigentlich auch nicht ernsthaft versucht, diese verschiedenen losen Regulierungsstränge in die Hand zu nehmen und zu einer integrierten Strategie zur Überwin- dung der europäischen Schulden- und Finanzkrise zu verknüpfen. Wir brauchen aber eine Gesamtperspektive für den Finanzmarkt mit unterschiedlichen Werkzeugen, die zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Stellen anset- zen und zusammenwirken. Wer in einem virtuellen Spekulationsmarkt mit über 700 Billionen US-Dollar Risiken eingeht, der darf nicht erwarten, dass jene Menschen, die reale Werte schaffen – weltweit circa 70 Billionen US-Dollar – und Steuern bezahlen, für die Fehlspekulationen im Investmentban- king aufkommen. Das oberste Gebot ist es, Risiko und Haftung, Entscheidung und Verantwortung wieder zu verknüpfen. Wie schwer sich CDU/CSU und FDP damit tun –, ob es um Bankenabgabe oder Finanztransaktion- steuer geht, ob um Wachstumsimpulse für Europa oder ein Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit –: immer war es ein langer Kampf, die Regierung und die Regie- rungskoalition von solchen Maßnahmen zu überzeugen. Im Regelfall war es so, dass die Vorschläge der SPD- Fraktion zur Regulierung der Märkte etc. zunächst abge- lehnt wurden, um sie dann doch zu akzeptieren. Mit Blick auf diese Regel können wir getrost darauf warten, bis Kanzlerin Merkel und im Gefolge auch die CDU/ CSU-FDP-Regierungskoalition den vom Sachverständi- genrat empfohlenen Altschuldentilgungsfonds, Euro- Bonds und ein Trennbankensystem akzeptieren werden. Schade nur, dass solche Zickzackmanöver den Weg zur Krisenbewältigung verlängern, komplizierter und auch teurer machen. Auch mit Blick auf diese Erfahrungen dürften wir we- der dem Fiskalpakt noch dem ESM zustimmen. Aber dürfen wir wirklich das Schicksal Europas von einer Kanzlerin auf Zickzackkurs in Unterkomplexen abhän- gig machen? Ein Wort zum Fiskalpakt: Für den Fiskalpakt habe ich eine schöne Beschreibung gelesen: Das Haus brennt lichterloh, es sollte eilig gelöscht werden – stattdessen nimmt man sich mit dem Fiskalpakt vor, künftig nicht mehr mit dem Feuer zu spielen. In einigen Bürgerbriefen wird die Sorge geäußert, mit dem Fiskalpakt, also der Schuldenbremse in Europa, könnten die Zwangskräfte zum Sparen so groß werden, dass die sozialen Siche- rungssysteme unter Druck geraten, Armut und Alters- armut in hochverschuldeten Ländern zunehmen könnten. Deshalb wird empfohlen, den Fiskalpakt abzulehnen. Das ist zu verstehen, und die Gefahr ist meines Erach- tens nicht zu leugnen. Eine überbordende Staatsver- schuldung jedoch hat im Regelfall ähnliche Effekte. Wie wir in Griechenland gesehen haben, gibt es einen Punkt der Staatsverschuldung, der das Gesamtsystem über Nacht in die Insolvenz treiben kann. Ob mit oder ohne Fiskalpakt – Schuldenbremse hinsichtlich der strukturel- len Verschuldung –: eine solche Entwicklung muss ver- mieden werden. Dabei führt uns die reine Betrachtung der Staatsver- schuldung an den Ursachen der Krisen vorbei. Peer Steinbrück formuliert: „In diesem Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, dass keinesfalls nur Staaten mit ho- her Verschuldung Probleme mit der Refinanzierung ihres Staatshaushalts haben. Bis zur Finanzkrise hatten Spa- nien (2008: 40,2 Prozent) und Irland (2008: 44,2 Pro- zent) deutlich geringere Schuldenquoten als Deutschland (2008: 66,7 Prozent). Die notwendigen Rettungsmaß- nahmen im Zuge der Bankenkrise und die Bewältigung der Konjunktureinbrüche im Anschluss daran tragen ei- nen erheblichen Anteil an den Refinanzierungsproble- men in einigen EU-Staaten. Die Schuld für die aktuelle Krise einseitig den nationalen Regierungen anzuheften, geht also fehl.“ Insgesamt ist es also fallweise viel wichtiger, sich um die Regulierung der Banken und des Finanzplatzes zu kümmern und darum, die „reine“ Spekulation ohne Bei- trag zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung einzudäm- men. Exkurs: Für mich ist es eine wichtige Frage, wie das strukturelle Defizit berechnet wird und wann welche Konsequenzen aus den Feststellungen der EU-Kommis- sion gezogen werden. Wenn die Folgen aus dem struktu- rellen Finanzierungssaldo des Staatshaushalts im europäischen Haushaltsüberwachungsverfahren zu pro- zyklischen Maßnahmen führen, wäre das fatal. Deshalb ist es wichtig, dass Konsequenzen bzw. Sanktionen bei besonderen Ereignissen – Einmaleffekte – nicht greifen. Dabei ist der strukturelle Finanzierungssaldo des Staats- haushalts im europäischen Haushaltsüberwachungsver- fahren der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo – berei- nigt um Konjuktur- und Einmaleffekte. Man könnte Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22755 (A) (C) (D)(B) sagen, die strukturellen Defizite in der Maastricht-Ab- grenzung beziehen sich auf die Kurve des volkswirt- schaftlichen Trendwachstums und nicht auf die Phase der aktuellen Konjunkturlage. Das BMF erläutert im Haushaltssauschuss am 27. Juni 2012: „Die Bereinigung um Konjunktureffekte erfolgt mittels der von der Europäischen Kommission angewendeten Methode, wonach sich der konjunkturell bedingte Finanzierungssaldo als Produkt aus Budget- elastizität und Produktionslücke ergibt. Die gesamtstaat- liche Budgetelastizität gibt die Konjunkturreagibilität des Staatshaushalts an; sie wurde empirisch als Durch- schnittswert der Vergangenheit ermittelt. Die Schätzung der Produktionslücke wird zu jeder gesamtwirtschaftli- chen Vorausschätzung der Bundesregierung auf Basis des Produktionsfunktionsansatzes der Europäischen Kommission aktualisiert. Als Einmaleffekte bezeichnet man temporäre fiskali- sche Effekte, die keinen nachhaltigen Einfluss auf die Situation der öffentlichen Haushalte haben. Als Bei- spiele hierfür nennt der Verhaltenskodex zum Europäi- schen Stabilitäts- und Wachstumspakt den Verlauf nicht- finanzieller Forderungen, Erlöse aus der Versteigerung öffentlicher Lizenzen, kurzfristige Kosten aufgrund von Naturkatastrophen, Steueramnestien oder Einnahmen aus der Übertragung von Pensionsverpflichtungen.“ In seinen grundsätzlichen Wirkungen entspricht der Fiskalpakt der Schuldenbremse, wie sie in der deutschen Verfassung verankert ist. Ärgerlich, weil nichts anderes als eine primitive takti- sche Variante der Kanzlerin, ihre eigene Regierungs- koalition in Schach zu halten und jene in der CDU/CSU und FDP einzubinden, die den Fiskalpakt aus allgemei- ner Europaskepsis ablehnen wollen, ist die Forderung, den Fiskalpakt mit einer Zweidrittelmehrheit zu ratifizie- ren. In den Anhörungen des Bundestages wurde deut- lich, dass der Fiskalpakt als völkerrechtlicher Vertrag einfachgesetzlich, also mit einfacher Mehrheit ratifiziert werden kann, also eine Zweidrittelmehrheit nicht erfor- derlich ist. Damit wurde auch deutlich, dass das Kalkül der Bundesregierung deutlich durch die Wahl des Ab- stimmungsverfahrens eine Unabänderlichkeit der Rege- lungen zur Schuldenbremse – Art. 109, 115 und 143 d GG – zu konstruieren und damit den Verfassungsgeber für die Zukunft zu binden. Bei einigen Kolleginnen und Kollegen führt dieser unangemessene Übergang zu einer „neuen Staatspraxis“ mit all seinen verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen Konsequenzen zur Ablehnung des Fiskalpakts. Pikant ist, dass der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister der Finanzen in seinem jüngsten Gut- achten Kritik am Fiskalpakt und am sogenannten EU- Sixpack übt, weil praktisch kein Land in Europa den er- forderlichen Abbau der Staatsverschuldung schaffen kann. Darin sieht der Beirat ein Glaubwürdigkeitspro- blem mit Rückwirkungen auf den Finanzmarkt. Zur Er- innerung: Das Europäische Parlament hat am 28. Sep- tember 2011 das sogenannte EU-Sixpack von EU- Währungskommissar Olli Rehn – Regeln zur Haushalts- kontrolle und ein neues Verfahren gegen wirtschaftliche Fehlentwicklungen – mit den Stimmen der Konservati- ven und der Liberalen beschlossen. Sozialdemokraten stimmten dagegen, weil einseitiges Sparen ohne Wachs- tumskomponente schnell zu sozialen Verwerfungen füh- ren kann. Nun haben wir also das Sixpack in Europa ohne Beteiligung der nationalen Parlamente. Der Fiskal- pakt hat inhaltlich eine große Ähnlichkeit mit dem Six- pack. Den Fiskalpakt im deutschen Parlament abzuleh- nen, wäre in dieser Hinsicht ein Symbol; denn auch ohne Fiskalpakt gelten die meisten seiner Regeln schon durch das Sixpack. Allerdings erhalte ich auch Post von Bürge- rinnen und Bürgern, die großen Wert darauf legen, dass dem Rettungsgedanken – Geld geben – der Haushalts- sanierungsgedanke gegenübersteht. Insofern ist auch eine Zustimmung ein Symbol im Spannungsfeld von Ge- stalten und Sparen in den nationalen Haushalten der Mit- gliedsländer. Lange Zeit waren die innerstaatlichen Folgewirkun- gen des Fiskalpakts auf die Länder und Kommunen un- klar. Nach den Zusagen der Bundesregierung, alle durch den Fiskalpakt induzierten Kosten für Länder und Kom- munen zu übernehmen, haben die Länder keine fiskali- schen Einwände gegen den Fiskalpakt und werden mei- nes Wissens mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Ein Wort zum ESM – dem Europäischen Stabilitäts- mechanismus: Infolge ihrer reflexartigen Verweigerungshaltung ge- genüber sozialpolitischen, qualitativ wachstumsorien- tierten und finanzmarktregulatorischen Vorschlägen hatte die Kanzlerin stets nur eine Idee zur Lösung der Krisen. Geld. Das liest sich dann als EFSF-Garantien über 780 Milliarden Euro, EZB-Ankäufe in Höhe von 220 Milliarden Euro, IWF-Garantien im Wert von 250 Milliarden Euro, bilaterale Kredite über 110 Milliar- den Euro, ESF-Garantien in einem Volumen von 700 Milliarden Euro, davon 80 Milliarden Euro Barmit- tel. Kein Gedanke an die soziale Situation: Sozialunion, Bekämpfung der Armut, Überwindung der Arbeitslosig- keit, Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsunion und Kon- junkturstimulation, Aufbau von Infrastruktur und Ver- waltung, speziell Steuerverwaltung in Ländern mit Vollzugsdefiziten. Es wurden Geld und Bürgschaften an EU-Mitgliedsländer gegeben, die den Menschen, nicht helfen konnten, wurden sie doch benötigt, um die Gläu- biger – Spekulanten, Schattenbanken, aber auch öffentli- che und private Banken, Versicherungen etc. – der Mit- gliedsländer zu befriedigen. Und warum? Weil der Eiertanz um die Beteiligung der Verursacher der Krisen – Haircut – so lange andauerte, bis sich viele private In- stitute von vielen Staatsanleihen, mit denen zuvor speku- liert wurde, getrennt hatten. Erst sehr spät, zu spät und in zu geringem Umfang wurden auch Spekulanten, Invest- mentbanken etc. durch einen freiwilligen Forderungs- verzicht am Schuldenabbau von zum Beispiel Griechen- land beteiligt. Inzwischen war aber schon die EZB ohne jede demokratische Kontrolle oder Beschlussfassung zu einem riesigen Gläubiger geworden. Um zu verhindern, dass der Markt, über den sich Länder Geld besorgen, zu- sammenbricht, hat die EZB für 220 Milliarden Euro 22756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Staatsanleihen gekauft und für 1 Billion Liquidität zur Verfügung gestellt; eine Notoperation als Ersatz für Handlungsausfälle nationaler Regierungen mit zweifel- hafter Legalität. Aber wenn es brennt, fragen wir auch nicht, aus welchem Eimer das Löschwasser stammt. Für diese Ankäufe und Risiken der EZB haften natürlich die Anteilseigner der EZB, den größten Anteil hat die Deut- sche Bundesbank mit 21 Prozent. Solche Verwerfungen sind eine Konsequenz aus der Wankelmütigkeit einer Kanzlerin mit dem Image der „Eisernen Lady“. Wir soll- ten diesen deutschen Haftungsanteil an den Anleihekäu- fen des Euro-Systems auch im Hinterkopf behalten, wenn die Bundeskanzlerin wieder einmal Euro-Bonds ablehnt. Inzwischen ist die Kanzlerin umgefallen – in die rich- tige Richtung, um von der SPD und den Grünen die Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten, eine Mehrheit, die sie meines Erachtens taktisch fordert, weil die Beteiligung der Opposition verhindert, dass die Re- gierungskoalition auseinanderfliegt. Der ESM und der Fiskalpakt werden also allein – nackt – nicht kommen. Mit Wachstumsprogrammen, mit der Finanztransaktion- steuer und Programmen gegen die Jugendarbeitslosig- keit – mehr ist auf der Website der SPD-Fraktion zu fin- den – werden der Fiskalpakt und der ESM in ein sozial- und wirtschaftspolitisches Konzept eingebettet, das die Hoffnung nährt, wir könnten Europa so aus der Krise winden. Aber das geht nicht über Nacht, und selbst mit den jetzigen Maßnahmen haben wir keine Erfolgsgaran- tie, die Krisen zu überwinden. Wichtige Instrumente – insbesondere solche, die den Staaten unter größtem Druck mehr Zeit geben – fehlen noch. Mir fehlt es aller- dings auch noch an Verbindlichkeit der Zusagen, dass die Vorschläge der SPD-Fraktion seitens der Regierung auch realisiert werden. Mich ärgert, dass viel zu früh der Eindruck entstanden ist, die SPD-Fraktion werde sowieso zustimmen. Da- durch konnte die Kanzlerin den Eindruck erwecken, sie habe ja schon immer Wachstumsimpulse setzen wollen, schon immer Jugendarbeitslosigkeit im Blick gehabt, schon immer die Finanztransaktionsteuer gewollt, schon immer die Finanzmärkte und Finanzprodukte regulieren wollen, und das füge ich zum besseren Verständnis die- ser Kanzlerinnenlogik auch noch hinzu: schon immer die Atomkraftwerke abschalten und die Wehrpflicht ab- schaffen wollen. So gibt es fachliche, taktische und poli- tische Gründe, die es der Opposition noch schwerer ma- chen, dem ESM zuzustimmen. Ich zitiere noch mal aus einem Bürgerbrief von Peer Steinbrück: „Auch ich habe bei den Beschlüssen, die die deutschen Steuerzahler in Mithaftung für die aktuelle Krise nehmen, Bauchschmerzen. Sollte die eingeschla- gene Strategie, mit den Finanzhilfen eine Stabilisierung und Konsolidierung der Staatshaushalte in den betroffe- nen Ländern zu erreichen, scheitern, wird der deutsche Bundeshaushalt ohne Frage in erheblichem Maße belas- tet. Im konkreten Fall des ESM habe ich diese Bauch- schmerzen jedoch nicht. Denn: Im Vergleich zu den ak- tuellen Rettungsmaßnahmen stellt er eine deutliche Ver- besserung dar. Der ESM überführt die provisorischen Rettungsschirme in eine dauerhafte Institution und bietet damit auch einen sicheren Rahmen für die Konditionie- rung weiterer finanzieller Hilfen. Aus der hektisch ent- worfenen provisorischen EFSF wird eine dauerhafte In- stitution, die – ähnlich dem IWF – Staaten auf dem Weg zu einer soliden Finanzpolitik langfristig begleitet. Der ESM kann harte Auflagen und Bedingungen für die be- troffenen Länder vereinbaren, aber auch Wachstum be- fördern. Der ESM kann Not leidenden Staaten Darlehen gewähren oder deren Staatsanleihen aufkaufen“. – So- weit das Zitat. Ärgerlich sind primitive Kampagnen, die auf einen ernsthaften Abwägungsprozess in Pro und Contra ver- zichten und mit halben oder falschen, weil aus dem Kon- text herausgelösten Textfragmenten aus Vertragsentwür- fen zitieren, um vielen Menschen Angst zu machen. Sie formulieren dann nicht einmal einen eigenen Satz – ob- wohl sie so sehr betroffen sind – und klicken sich via Copy und Paste zu einer Massenmail an Hunderte Abge- ordnete, oft ohne Absender, vielleicht sogar als Alias, also anonym, und glauben ernsthaft, das würde Entschei- dungsprozesse beeinflussen. Um Gelegenheit zu geben, sich in die Empfängerseite einzufühlen: Solche Mails landen im Spamfilter, werden bestenfalls in einem sepa- raten Ordner gesammelt und gezählt, im Regelfall aber einfach verworfen. So erhalten wir auch ein Youtube-Video, Lobbyarbeit von Abgeordnetencheck.de. Ich möchte nur auf einen Aspekt eingehen, um Sie zu ermutigen, an dem Video zu zweifeln. Wir bekommen dort den Eindruck vermittelt, der Gouverneursrat könne bedingungslos und unwider- ruflich Geld in beliebiger Höhe abrufen. Na ja, aber nur insoweit zuvor genehmigt und insoweit die genehmigte Summe noch nicht abgerufen ist. Abgesehen davon kann überhaupt nur abgerufen werden, wenn der deutsche Vertreter zustimmt. Er hat also eine Vetomöglichkeit. Im Video klingt das doch anders; aber Abgeordneten- check.de schickt seine User recht häufig auf den Pfad der Massenpost, der gestohlenen Betroffenheit, der halb- seidenen Informationen. Wenn ich dann die Leute an- rufe, sind sie oft recht peinlich berührt und können die Argumente der Plattform nicht verteidigen, fühlen sich hinters Licht geführt. Tatsächlich gilt gemäß Art. 9 Abs. 3 des ESM-Ver- trags, dass der geschäftsführende Direktor Kapital von den Mitgliedstaaten abrufen kann; wie gesagt, sofern be- reits vom Deutschen Bundestag als zugesagt beschlossen und noch nicht abgerufen. Eine Ausweitung des Ret- tungsschirms über die vereinbarte Summe hinaus erfor- dert nach Art. 10 Abs. 1 des ESM-Vertrags die erneute Entscheidung des Bundestages. Hinzu kommen die bis- her festgelegten Volumina aus dem deutschen Anteil der EFSF und der Kredite aus dem Griechenland-Hilfspaket. Der Gouverneursrat ist auch nicht ganz so frei, wie über manche Onlineplattformen verbreitet. Der ESM, der Notkredite und Bürgschaften zur Verfügung stellt, beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag und braucht nach Art. 59/2 Grundgesetz als Grundlage ein innerstaat- liches Zustimmungsgesetz. In diesem Gesetz ist die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22757 (A) (C) (D)(B) Parlamentsbeteiligung dadurch gegeben, dass die Richt- linien, die der Gouverneursrat erlässt, vom Haushalts- ausschuss des Bundestages kontrolliert werden. Wenn wir bedenken, dass es hier um Wirkungen und Rückwir- kungen mit fast 30 Staaten geht, wird schnell deutlich, wie kompliziert die Abstimmungsprozesse sein werden. Oder nehmen Sie die Behauptung, der Gouverneurs- rat sei ein übermächtiges, durch nichts zu bremsendes, fast anonym besetztes Gremium. Starke Worte im Video. Aber der Gouverneursrat sind einfach die Finanzminis- ter; sie müssen alle wichtigen Entscheidungen zunächst in ihren Heimatparlamenten behandeln oder verabschie- den. Yasmin El-Sharif schreibt bei Spiegel Online: „Ohne Bundestag gibt es auch keinen Rettungsmecha- nismus“. Deshalb ist es um die Souveränität der Mit- gliedsländer auch mit ESM gut bestellt. Auch die angeprangerte Immunität und Unantastbar- keit verlieren ihren Schrecken, wenn wir bedenken, dass es ohne unser Parlament, ohne nationales Recht auch keinen ESM geben könnte. Auf dem gleichen Weg könn- ten wir ihm seine Existenz wieder nehmen, wenn es nicht mit rechten Dingen zugeht. ESM-Gouverneursrat klingt so europäisch. Der Gou- verneursrat besteht aus den Finanzministern der Mit- gliedstaaten. Die Finanzminister sind natürlich gegen- über ihren nationalen Parlamenten und Regierungen rechenschaftspflichtig. Außerdem gelten entweder Ein- stimmigkeitsprinzip oder Mehrheitsanforderungen von 85 Prozent, sodass der deutsche Finanzminister stets ein Vetorecht hat, Art. 5 ESM-Vertrag. Mich ärgert dabei, wie schon im Verhältnis zur Kommission und zum Rat, dass wir bestimmte Kompetenzen abgeben – nicht an das Europäische Parlament, sondern an Verwaltungsinstitu- tionen, an den Beamtenapparat. Hier sind Kompetenz- verschiebungen in Richtung Parlament, in Richtung De- mokratie sehr wichtig. Heute erhalte ich eine Postkarte von Attac: „Ermäch- tigungsgesetz 2.0“. Dort wird das Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933 in Beziehung gesetzt der Entschei- dung über den ESM. Zur Postkarte gibt es ein Begleit- schreiben, das, ähnlich fragmentarisch wie das oben er- wähnte Video den ESM kritisiert. Und Attac wird „das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten veröffentlichen …“. Ich bin viele Jahre Mitglied bei At- tac, weil ich schon immer eine Finanztransaktionsteuer befürwortet habe und es für richtig halte, die Mittel im Wesentlichen für die Armutsbekämpfung in der Welt einzusetzen. Mit der SPD hatte Attac ja nun auch einen Erfolg in dieser Hinsicht. Abgesehen davon, dass das Abstimmungsverhalten im Bundestag sowieso öffentlich ist und es nicht Attac bedarf, um hier Transparenz herzu- stellen, ist bemerkenswert, dass bei Attac selbst irgend- welche Arbeitsgruppen, Angestellte oder wer auch immer ohne jegliche demokratische Rückbindung Kam- pagnen fahren, von denen völlig unklar ist, in wessen In- teresse und in wessen Auftrag sie erfolgen und wie sie fi- nanziert sind? Als Mitglied frage ich Attac, wer diese Leute eigentlich ermächtigt hat, mir solche Postkarten zu schicken? Besonders infam wird die Kampagne auch deshalb, weil andere Länder den ESM schon beschlos- sen bzw. ratifiziert haben. Leider sind manche Menschen nicht bereit, eine ab- weichende, wenn auch begründete Entscheidung anzuer- kennen, und werfen mir in Mails der vergangenen Tage sogar Hochverrat vor oder drohen mir ihre Verachtung an, für den Fall, dass ich ihre Ablehnung des ESM nicht teile. Es wird zwar die Freiheit des Mandats beschworen, an die Idee des unabhängigen Volksvertreters erinnert, die Verpflichtung auf das Grundgesetz oder nationale In- teressen eingefordert, aber wehe, der Abgeordnete ist an- derer Ansicht. Auch die ernsthafte Auseinandersetzung vieler Bür- gerinnen und Bürger mit Fiskalpakt und ESM, die ihre Bedenken über die Abgabe von Souveränitätsrechten, ihre Sorgen um den Zusammenhalt in Europa, ihre Kri- tik an der vermeintlichen Kritiklosigkeit der Abgeordne- ten zum Ausdruck bringen, wird dadurch entwertet, ge- hen im Strom der Massenmails und Kampagnen fast unter. Wenn ich Ihnen einen längeren Brief schreibe, soll dies auch auf eine Entwicklung hinweisen, die ich mit Sorge betrachte. Wir – damit meine ich mich, Sie, die Politik, die Medien, eigentlich uns alle – erziehen uns selbst und andere zu kurzen, knappen, (zu) einfachen Botschaften nach dem Motto: „Ich stimme zu, weil …“; manchmal müsste es aber richtigerweise heißen: „Ich stimme zu, obwohl …“ – Diese Abwägung kriege ich nicht in drei Zeilen unter. Eine Meinung zu haben, ist meines Erachtens mehr, als Ja oder Nein sagen zu kön- nen. Genauer über Zusammenhänge, Hintergründe, Ziele nachzudenken, kann nicht schaden, auch wenn ich am Ende vielleicht trotzdem nur zu einem Ergebnis komme, das nicht gut, aber besser als die Alternativen ist. Nachdem die Verfassungsressorts von der Verfas- sungsfestigkeit des ESM-Ratifizierungsgesetzes und der weiteren Begleitgesetze überzeugt sind, es aber gleich- wohl Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht geben soll, ist es gut, dass der Bundespräsident mit seiner Un- terschrift unter die Gesetze noch warten will. Verfas- sungswidrigkeit oder Verfassungskonformität wird vom Verfassungsgericht festgestellt und liegt nicht im Ermes- sen des Parlaments, das nach bestem Wissen und Gewis- sen über Gesetze entscheidet. Leider reduzieren die Absender von Massenschrei- ben, auch einige Bürger, die individuell nachfragen, Europa auf eine rein monetäre Angelegenheit. Das kommt ein wenig geschichtsvergessen daher und ver- drängt die enorme Bedeutung Europas für 60 Jahre Frie- den, die Überwindung der deutschen Teilung und die Entwicklung stabiler Demokratien. Mit Blick auf diese Bedeutung Europas und mit Blick auf die Bedeutung Europas für Deutschland stimme ich dem Fiskalpakt und dem ESM zu. Meine diesbezügli- chen Zweifel sind deutlich geringer als bei einer Ableh- nung – deren langfristige Konsequenzen heute nicht ab- schätzbar sind. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme da- gegen, weil der Fiskalpakt die ohnehin schon bestehende Finanzkrise der Länder und Kommunen weiter ver- schärft. Die Folge ist, dass es noch mehr kaputte Schu- 22758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) len, Schwimmbäder und Sportanlagen geben wird oder sie gleich ganz geschlossen werden. Das ist unerträglich, weil dann wieder und wieder Menschen unter den Fol- gen der Finanzkrise leiden werden, die sie nicht verur- sacht haben. Als Linker will ich, dass endlich diejenigen, die schuld an der Krise sind, zur Verantwortung gezogen werden. Ich stimme dagegen, weil der Fiskalpakt drastischen Sozialabbau zementiert und einen gnadenlosen Wettbe- werb um die Demontage des Sozialstaats in Europa an- heizt. Wer glaubt, die Idee von Europa mit immer neuen Kürzungsdiktaten, mit Lohnkürzungen, Rentenkürzun- gen und dem Abbau von Arbeitsrechten retten zu kön- nen, lässt diese Idee in Wirklichkeit zu einer reinen Marktideologie verkümmern. Diesen Weg halte ich für grundfalsch. Und ich stimme dagegen, weil insbesondere der Fis- kalpakt ein Frontalangriff auf die Demokratie ist. In der Demokratie muss es so sein, dass eine Regierung abge- löst und ihre aus Sicht der Mehrheit falsche Politik rück- gängig gemacht werden kann. Doch selbst wenn sich die Mehrheit in Deutschland künftig für eine andere Politik und eine andere Mehrheit entscheiden sollte, selbst dann könnte eine neu gewählte Regierung den Fiskalpakt nicht einfach kündigen. Die Schuldenbremse steht be- reits im Grundgesetz. Doch eine neue Mehrheit könnte sie dort wieder rausstreichen. Aber die Schuldenbremse wird auch durch den Fiskalpakt festgeschrieben. Da der Fiskalpakt nicht gekündigt werden kann, kann auch eine neue Mehrheit, ein politisch anders zusammengesetztes Parlament, ja selbst eine Volksabstimmung ihn nicht wieder beseitigen. Das ist aus meiner Sicht ausgespro- chen demokratiefeindlich und ein glatter Verfassungs- bruch, an dem ich mich nicht beteiligen möchte. Schulden müssen abgebaut werden. Kaputtkürzen ist der falsche Weg. Stattdessen brauchen wir eine Finanz- transaktionsteuer, eine Reichensteuer und eine Vermö- gensabgabe auf die höchsten Geldvermögen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Durch das Gesetz zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus wird der ESM als dauerhafter Rettungsschirm eingerich- tet und institutionalisiert und so weitere Hilfsmaßnah- men für überschuldete Euro-Staaten möglich. Ich habe solche Hilfsmaßnahmen innerhalb der Euro-Zone bereits in der Vergangenheit abgelehnt, weil dies meiner Auffas- sung von Solidarität zwischen den Euro-Staaten zuwi- derläuft. Am Beispiel Griechenlands sehen wir, dass die eingeleiteten Rettungsmaßnahmen ohne durchgreifen- den Erfolg blieben. Mittlerweile verschärft sich die Situa- tion fast täglich. Zuletzt haben Spanien und Zypern die EU um finanzielle Hilfe gebeten. Ich habe mich klar gegen die Einrichtung eines dauer- haften Rettungsschirms positioniert und für diese Posi- tion beim FDP-Mitgliedsentscheid und innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion gekämpft. Die Mehrheit hat anders entschieden. Das erkenne ich an. Auch den Fiskalpakt sehe ich kritisch. Ich begrüße ausdrücklich, dass er die Vertragsstaaten durch eine Schuldenbremse zur Haushaltsdisziplin verpflichtet. Al- lerdings fehlt es an verbindlichen Regelungen und Me- chanismen, seine Einhaltung effektiv durchzusetzen. Außerdem wurde er politisch erkauft mit der Finanz- transaktionsteuer und den „Bundes-Bonds“, die der Ver- schuldungspolitik einzelner Bundesländer Tür und Tor öffnen. Das parlamentarische Verfahren, mit dem die Ent- scheidungen über den ESM und den Fiskalpakt nun ge- troffen werden sollen, sehe ich kritisch. Ich teile die Sorge des Bundesverfassungsgerichts um eine „Entparla- mentarisierung“ von Entscheidungen in Angelegenhei- ten der Europäischen Union. Die Verfassungsrichter haben in ihrem Urteil vom 19. Juni 2012 die Mitwirkungs- rechte des Deutschen Bundestages klar gestärkt. Die Einstimmigkeit und Eindringlichkeit des Urteils machen deutlich, wie zwingend die frühzeitige und umfassende Information des Parlaments ist. Die Koalitionsfraktionen haben Verbesserungen der Informations- und Unterrich- tungspflichten in das parlamentarische Verfahren einge- bracht, die diese Vorgaben aufgreifen. Dennoch lagen uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch diesmal die entscheidenden Dokumente sehr spät vor. Ich halte den eingeschlagenen Weg weiter für einen Fehler und werde daher bei den namentlichen Abstim- mungen über das ESM-Finanzierungsgesetz, über das ESM-Ratifizierungsgesetz und über den Fiskalvertrag mit Nein stimmen. Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Wäh- rungsgebiets vom 29. Juni 2012 verstärkt meine Sorge und bestätigt mich in meiner ablehnenden Haltung. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als zutiefst überzeugte Europäerin ist für mich die heutige Abstimmung zum Fiskalpakt von großer Bedeutung. Es geht um die Frage, mit welcher Strategie die sich drama- tisch verschärfende Schuldenkrise in Europa gelöst wer- den kann und soll. Der Fiskalpakt gibt darauf die falsche Antwort. Er zeigt keinen nachhaltigen Weg aus der Schuldenkrise auf und kann sich negativ auf die wirt- schaftliche Erholung der Krisenstaaten ebenso wie den Wohlstand und das soziale Gleichgewicht in ganz Europa auswirken. Als junge Politikerin ist für mich Generationenge- rechtigkeit ein grundlegendes Ziel, an dem sich Politik orientieren sollte. Riesige Schuldenberge und die Ver- schwendung von staatlichen Geldern sind nicht Aus- druck einer zukunftsorientierten Politik. Schuldenbrem- sen können bei richtiger Ausgestaltung und verbunden mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen einen Beitrag zur Konsolidierung leisten. Als junge Politikerin und überzeugte Europäerin ma- che ich mir vor diesem Hintergrund große Sorgen, dass die mit dem Fiskalpakt verordnete Schuldenbremse in den einzelnen Mitgliedstaaten dazu führt, dass das euro- päische Projekt gerade aus Sicht der jüngeren Genera- tion noch weiter in Gefahr gerät. Mit Blick auf die ak- tuelle Entwicklung in Staaten wie Spanien, Griechenland und Portugal fühle ich mich in dieser Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22759 (A) (C) (D)(B) Sorge bestärkt. In seiner jetzigen Form, ohne flankie- rende Maßnahmen für eine Senkung des Zinsdrucks und eine Steigerung der Staatseinnahmen, ist der Fiskalpakt der falsche Ansatz. Eine Politik, die einseitig auf das Sparen setzt und zur Folge hat, dass Staaten ihre grund- legenden Aufgaben insbesondere im Bildungs- und So- zialbereich nicht mehr erfüllen können, hat für mich ebenso wenig mit Generationengerechtigkeit zu tun. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diesen „Ka- puttsparkurs“ auf der europäischen Ebene verfolgt. Des- halb möchte ich heute bei der Abstimmung über den Fis- kalpakt auch ein Zeichen setzen, dass diese Strategie der deutschen Bundesregierung meine Unterstützung nicht hat. Dieser Weg führt dazu, dass die Konzepte, die uns in diese tiefe europäische Krise geführt haben, wieder sa- lonfähig werden, die wahren Ursachen nicht angegangen und die notwendigen Lösungsansätze verhindert werden. Für nachhaltige Wege aus der Krise und die Vision eines sozialen und demokratischen Europas haben wir Grüne – sowohl in der Partei als auch in der Fraktion mit großer Einigkeit – bereits viele konkrete Ideen formuliert, zu- letzt in unserem Entschließungsantrag zur Abstimmung über den Fiskalpakt. Die mit dem Fiskalpakt falsch gewählte Strategie zur Lösung der Krise hängt mit einer falschen Analyse des Problems zusammen. Die Krise in Europa hat ihren Ur- sprung nicht in einer gedankenlosen Ausgabenwut und hemmungslosen Geldverschwendung der betroffenen Staaten. Kann man beim Fall Griechenland noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates einen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausreichend, um die Lage des Landes zu erklä- ren. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommt die Schwäche des europäischen Bankensystems, die massive Überschul- dung privater Haushalte, Immobilienblasen, massive ökonomische Ungleichgewichte, die sich insbesondere in der Außenhandelsbilanz äußern sowie die dramatische Ungleichverteilung von Vermögen. Dies zu korrigieren, müsste eigentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen. Die Internationale Arbeitsorganisation warnt, dass die Arbeitslosigkeit, insbesondere auch junger Menschen, bis 2016 nicht sinken wird, wenn kein „dramatischer Politikwechsel“ stattfindet. Massenarbeitslosigkeit in diesem Ausmaß ist nicht nur für jede und jeden Einzel- nen der Millionen betroffenen Menschen eine große Be- lastung, sondern auch eine große Gefahr für den gesell- schaftlichen Zusammenhalt insgesamt in Europa und die soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe einer ganzen Generation. Zu einem deutlichen Politikwechsel gehören wirk- same Maßnahmen zur Minderung des Zinsdrucks auf Krisenstaaten. Ein Altschuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständigenrat der Bundesregierung vorge- schlagen hat, eine Bankenunion und ein umfassendes sozial-ökologisches Investitionsprogramm sind wich- tige Bestandteile eines solchen Gesamtpakets. Das Wachstumsprogramm, das als Ergänzung des Fis- kalpakts beschlossen wurde, reicht nicht aus. Die Um- widmung von Strukturfondsmitteln bringt keine zusätz- lichen Investitionen, sondern schichtet lediglich um. Die beabsichtigte Kapitalerhöhung der Europäischen Investi- tionsbank und der beschlossene eng begrenzte Pilotver- such von Projektanleihen ergeben bei einem Multiplika- tor von circa 2 einen Impuls von rund 125 Milliarden Euro bzw. 1,3 Prozent des EU-Bruttoinlandprodukts. Zudem ist er auf mindestens vier Jahre verteilt und er- reicht somit pro Jahr eine konjunkturelle Wirkung von weit weniger als einem Prozentpunkt. Als Ausgleich der Kürzungen in europäischen Krisenstaaten wären schät- zungsweise 2 Prozent des EU-BIP notwendig, was rund 260 Milliarden in ein bis zwei Jahren entspräche. Die Steuerpolitik der Bundesregierung setzt bislang auf Steuersenkungen für Besserverdienende zulasten der Allgemeinheit. Im Rahmen der Verhandlungen um den Fiskalpakt ist es uns gelungen, diese Steuerpolitik aufzu- brechen. Erstmals wurden konkrete Schritte für die Ein- führung einer Finanztransaktionsteuer, FTT, verbindlich vereinbart. Sie soll noch in diesem Jahr in den ersten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Nach vielen Jahren politischen Engagements aus Zivilgesellschaft und Parlamenten hat sich hiermit endlich eine relevante Besteuerung des Finanzsektors durchgesetzt, mit der ein Teil der durch den Fiskalpakt erzwungenen Konsolidie- rung erreicht werden kann. Dies ist ein großer Erfolg. Die positiven Ergebnisse der Verhandlungen zwi- schen Bundesregierung und Opposition konnten nur er- zielt werden, indem im Gegenzug eine Zustimmung zum Fiskalpakt zugesagt wurde. Gleichzeitig bleibt der vor- liegende Fiskalpakt, so sinnvoll Schuldenbremsen in der richtigen Ausgestaltung und verbunden mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen sein können, als In- strument zur Bekämpfung der Krise der falsche Ansatz. In abschließender Abwägung können aus meiner Sicht die erzielten Verhandlungserfolge (insbesondere die Finanztransaktionsteuer und das Investitionsprogramm) die negativen ökonomischen und politischen Folgen, die durch den Fiskalpakt in seiner jetzigen Ausgestaltung entstehen, nicht aufwiegen. Aufgrund der oben geschilderten inhaltlichen Argu- mente und Überzeugungen lehne ich den Fiskalpakt, wie er zur Abstimmung vorliegt, ab. Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Fiskalpakt gestimmt, weil er soziale und demokratische Errungenschaften in ganz Europa und in Deutschland bedroht. Der Fiskalpakt ist ein autoritärer Vertrag, der Demokratie aushebelt und Parlamente zu- gunsten von nicht gewählten EU-Technokraten entmach- tet. Millionen von Arbeitnehmern in Europa wird mit dem Fiskalpakt ein Verarmungsprogramm wie in Grie- chenland aufgezwungen. Dort hat die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission extrem unsoziale Kürzungs- programme angeordnet. Löhne und Renten wurden dras- 22760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) tisch gekürzt, öffentliches Eigentum privatisiert und Be- schäftige im öffentlichen Dienst entlassen. Das Gesundheitssystem kollabiert. Nicht die griechische Bevölkerung ist Schuld an der desolaten Situation. Die Bundesregierung musste einräu- men, dass das Bild von den „faulen Griechen“ falsch ist. Mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von über 42 Stunden hielten die griechischen Arbeitnehmer schon vor Ausbruch der Krise den Rekord in der EU. Deutsch- land liegt mit knapp 36 Wochenstunden deutlich darun- ter. Auch der öffentliche Sektor in Griechenland ist kei- neswegs aufgebläht und umfasste in den Jahren 2008 bis 2011 zwischen 20,7 und 22,4 Prozent aller Beschäftig- ten. In Deutschland lag der Anteil zwischen 24,7 und 25,6 Prozent. Seit 2008 ist die Arbeitslosigkeit in allen EU-Ländern mit Ausnahme von Deutschland und Luxemburg ge- wachsen und erreichte 2011 fast 10 Prozent. Besonders hart trifft es Jugendliche im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Traurige Spitzenreiter sind Spanien und Grie- chenland mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Der Fis- kalpakt ist ein Angriff auf Arbeitnehmerrechte, Löhne und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Angela Merkel meint, die Krise in Europa mit einem Wettbewerb um die niedrigsten Löhne überwinden zu können. Wir als Linke streiten dagegen für einen Mindestlohn und den Ausbau des Sozialstaats. Durch den Fiskalpakt müssen Bund, Länder und Kommunen auch in Deutschland ab nächstem Jahr min- destens 25 Milliarden einsparen. In meinem Wahlkreis in Offenbach sind wir jetzt schon mit den Auswirkungen der klammen Kassen konfrontiert: Die Beschäftigten des Klinikums wehren sich zu Recht gegen den Verkauf an private Investoren. Jede Privatisierung bedeutet Lohndumping und Personalabbau zulasten der Beschäf- tigten und der Patienten. Der Fiskalpakt wird den Kür- zungs- und Privatisierungsdruck in Ländern und Kom- munen noch steigern. Der Wachstumspakt der Bundesregierung umfasst nur 10 Milliarden, während der Fiskalpakt europaweit 500 Milliarden Kürzungen be- deutet. Die Linke will die Verursacher und Profiteure der Krise zu Kasse bitten. Die Banken und Finanzmärkte müssen endlich entmachtet und Millionäre besteuert werden. Meine Solidarität gilt der Bevölkerung in Grie- chenland, Spanien und den anderen Krisenstaaten, die sich gegen das Verarmungsprogramm wehrt. Ich möchte kein Europa der Banken, sondern ein solidarisches Eu- ropa, und deshalb habe ich heute gegen den Fiskalpakt gestimmt. Marco Bülow (SPD): Zu meinem Abstimmungsver- halten zum heutigen Tage erkläre ich Folgendes: Ich lehne die Gesetzentwürfe ab und möchte dazu eine per- sönliche Erklärung zu Protokoll geben: Ich kann dem vorliegenden Fiskalpakt und dem ESM- Finanzierungsgesetz nicht zustimmen. Ich bin kein Experte in diesen Fragen, habe aber versucht, mich in- tensiv mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Bei allem Respekt vor den von meiner Fraktion erreichten Verän- derungen kann ich bei einer solch wichtigen Entschei- dung mein Gewissen nicht ignorieren. Der Fiskalpakt folgt einer Logik und Politik, welche die Krise auf den Finanzmärkten und in Europa erst hervorgerufen hat. Ich halte die Ausgestaltung für unsozial und undemokra- tisch. Das ESM-Finanzierungsgesetz hat eine Dimen- sion, die ich nicht überschauen kann, und die viel zu kurze Diskussion über seine Wirkung und Konsequenz war völlig unzureichend. Der Fiskalpakt trägt weder zur Beruhigung der Finanzmärkte noch zum Schuldenabbau bei und wirkt kontraproduktiv. Das ergänzende Wachstumsprogramm ist zwar eine wichtige Maßnahme, gleicht aber die Nach- teile des Fiskalpaktes nicht aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass es intelligentere Wege des Sparens gibt und dass ein technokratischer Sparzwang, der wenig Rücksicht auf die soziale Situa- tionen nimmt, sich sicher eher schädlich als nützlich aus- wirken wird. Der Fiskalvertrag wird zu weiteren Ausga- benkürzungen führen, welche nicht nur zu weiteren sozialen Härten wie Sozial- und Lohnkürzungen führen werden, sondern jede Möglichkeit auf eine notwendige konjunkturelle Belebung zumindest bremsen werden. Ich befürchte, dass so eine Politik Privatisierungen wei- ter fördert und den Druck auf die Löhne erhöht. Die Kaufkraft und Binnennachfrage würden weiter ge- schwächt. Die festgeschriebene europaweite Schuldenbremse im Fiskalpakt wird zudem die öffentlichen Haushalte weiter knebeln und vor allem die Kommunen weiter finanziell unter Druck setzen. Ich befürchte, dass wir dadurch in Zukunft noch weniger aktiv gestalten kön- nen. Die Kommunen haben immer weniger Geld, um ihre Aufgaben wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für die sogenannten freiwilligen Aufgaben, zum Beispiel die Versorgung der Bevölkerung mit kulturellen Angeboten, Sportanlagen oder Schwimmbädern. Mit der Schulden- bremse verliert der Staat weitere Handlungsspielräume für eine sozial gerechte Politik. Ich habe deshalb schon im Bundestag die Schuldenbremse abgelehnt. Die euro- päische Schuldenbremse im Fiskalpakt wäre bis 2020 noch einmal eine Verschärfung der im Bundestag be- schlossenen deutschen Schuldenbremse. Ich halte den Fiskalpakt und den Euro-Rettungs- schirm ESM auch aus verfassungsrechtlichen und demo- kratischen Gründen für problematisch. Diese wichtigen Verträge werden erneut binnen weniger Tage zur Ab- stimmung gestellt. In den neuen Verträgen geht es um ungeheure Milliardensummen, es finden sich Rechts- konstruktionen, wie sie das Recht bisher nicht kennt. Die Eile, dieses Gesetz jetzt noch vor der Sommerpause zu verabschieden, war nicht geboten. Es gab keine Zeit für ausreichende und umfassende Diskussionen, die bei solch wichtigen Gesetzen eingeräumt werden muss. Ich glaube, dass kein Abgeordneter – vor allem, wenn er kein Experte in diesen Fragen ist – die Konsequenzen solcher Maßnahmen wirklich überschauen kann. Ich halte es für unerträglich, dass der Bundestag immer häu- figer weitreichende Gesetze in immer kürzerer Zeit und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22761 (A) (C) (D)(B) ohne ausreichende Beratung und Diskussion durch das Parlament jagt. Damit werden wir unserer Verantwor- tung als Volksvertreter nicht gerecht. Die nationalen Parlamente können fatalerweise nichts am Vertrag ändern, sondern nur noch Ja oder Nein sagen. Eines der wichtigsten Rechte des Parlaments – das Haus- haltsrecht – wird durch den Zwang, Schuldenbremsen in die nationalen Verfassungen einzuführen, sowie durch die automatischen Korrektur- und Sanktionsmechanis- men massiv eingeschränkt. Bei Ländern im Defizitver- fahren erhalten die Europäische Kommission und der Rat künftig sogar ein Vetorecht gegenüber den nationa- len Haushaltsplänen. Eine ausführliche Diskussion nicht nur im Parlament, sondern auch in der Bevölkerung wäre wünschenswert gewesen. Der Zeitplan zur Verabschiedung dieser Ge- setze folgt nicht dem Urteil des Bundesverfassungsge- richts. Auch die Kündigungsklausel ist problematisch. Da die Aufhebung des Vertrags allenfalls einstimmig mög- lich wäre und damit praktisch ausgeschlossen ist, gilt der Fiskalpakt nach Inkrafttreten quasi für alle Ewigkeit. Künftigen Generationen wird damit das Recht genom- men, selbst über die Sinnhaftigkeit des Fiskalpakts zu entscheiden. Das ist mit meinem demokratischen Grund- verständnis nicht vereinbar. Ebenfalls unvereinbar finde ich die Regelung, dass sämtliche Entscheidungen des ESM geheim erfolgen, dass die handelnden Organe und die Führungskräfte we- der zivilrechtlich noch strafrechtlich für ihre Handlun- gen belangt werden können und dass die Finanzminister selbst darüber entscheiden, wann ein Interessenkonflikt der Direktoren vorliegt. Der ESM hat keine Veröffent- lichungspflichten, keine Finanzaufsicht wird ihn über- wachen. Wenn wir Europa bauen wollen, brauchen wir eine sinnvolle Architektur. Europa braucht Gemeinsamkei- ten, soziale, kulturelle, wirtschaftliche, finanzpolitische Ideen. Mit einem Spardiktat werden die Menschen von Europa abrücken; auch wenn man überlegt, dass euro- päische Beamte und nicht das Europäische Parlament über die Ausgestaltung des Fiskalpaktes entscheiden werden. Die Bundesregierung ist mit der Krisenbewältigung völlig überfordert und politisch auf einem desaströsen Kurs. Die SPD konnte in den Verhandlungen wichtige Punkte durchsetzen, zum Beispiel die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Neun EU-Partner sollen diese Steuer ab Anfang 2013 auf den Weg bringen. Die SPD hofft, dass damit die Verursacher der Krise substanziell an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Das umfassende Modell einer Besteuerung insbesondere von Aktien, Anleihen, Investmentanteilen, Devisentransak- tionen sowie Derivatkontrakten liegt dabei zugrunde. Klar ist aber nicht, wie diese Besteuerung genau ausse- hen soll. Eine wirkungsvolle Finanztransaktionsteuer müsste auf den Handel mit Devisen, Aktien und Anlei- hen sowie auf die davon abgeleiteten Wertpapiere – De- rivatgeschäfte – Steuern erheben, und zwar mit einem Steuersatz von mindestens 0,1 Prozent. Nach den Vor- stellungen der Kommission soll der Steuersatz auf Deri- vatgeschäfte zum Beispiel nur 0,01 Prozent betragen. Das wäre in dem Fall zu wenig. Auch stellt sich die Frage, ob die durch die Steuer eingenommenen Gelder wirklich in Zukunftsprojekte investiert werden oder nur zur Haushaltsdeckung genutzt werden. Zudem hat die SPD erreicht, dass die Bundesregie- rung sich zu erheblichen Impulsen für höhere Investitio- nen in Wachstum und Beschäftigung bekennt. Dazu ge- hört unter anderem, dass nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der laufenden Finanzperiode rasch und ge- zielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maß- nahmen eingesetzt werden. Außerdem darf es bei den Verhandlungen über den neuen mittelfristigen Finanz- rahmen 2014 bis 2020 zu keinen Kürzungen bei den In- vestitionen in den Struktur- und Kohäsionsfonds sowie im Sozialfonds kommen. Weiter wird die Bundesregie- rung eine Kapitalaufstockung der Europäischen Investi- tionsbank um 10 Milliarden Euro anstreben, was zu In- vestitionen von bis zu 180 Milliarden Euro führt. Schließlich wird das Recht der Jugendlichen auf Ausbil- dung und Arbeit gestärkt, wozu ein Ausbildungsplatz oder ein Arbeitsangebot spätestens vier Monate nach Verlassen der Schule oder nach Eintritt in Arbeitslosig- keit gehört. Auch über den Bundesrat wurden Veränderungen erreicht. Zum Beispiel wird die verfassungsrechtlich geschützte Haushaltsautonomie der Länder nicht be- einträchtigt. Zudem erhalten die Länder zusätzliche Investitionsmittel für den Kitaausbau in Höhe von 580,5 Millionen Euro und eine Erhöhung der Betriebs- mittel um 75 Millionen Euro. Eine Neuordnung der Ein- gliederungshilfe soll in der nächsten Legislaturperiode erfolgen. Aus meiner Sicht sind das wichtige Maßnahmen. Für mich stellt sich allerdings die Frage, ob diese vereinbar- ten Punkte auch wirklich so durchgesetzt werden. Häufig genug wurden unter Druck Versprechungen und Verein- barungen getroffen, die dann aber nicht in aller Konse- quenz durchgesetzt wurden. Schon einmal hat die Bun- desregierung versprochen, die Finanztransaktionsteuer einzuführen, ist dann aber wieder davon abgerückt. Ich glaube zudem, dass diese vereinbarten Punkte nicht reichen werden, um die erheblichen Nachteile und Risiken der vorliegenden Gesetze auszugleichen. Wir bräuchten nachhaltige Maßnahmen, zum Beispiel einen umfassenden Sozial- und Wachstumspakt. Ratingagentu- ren bedürfen dringend einer gesetzlichen Regelung. Euro-Bonds wären unter anderem auch eine faire Mög- lichkeit, Ungleichgewichte angemessen zu verteilen. Vor allem brauchen wir endlich eine umfassende Regulie- rung des Finanzmarktes. Nur dann wird Europa wirklich eine Chance haben zusammenzuwachsen. Notwendig wäre auch eine europäische Wirtschaftsregierung, die für eine bessere Abstimmung in der Wirtschaftspolitik und für wirkungsvollere Verteilungs- und Ausgleichsmecha- nismen sorgt, um die Ungleichgewichte in der EU aus- zugleichen. 22762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Wenn man gegen diese Verträge stimmt und der Fis- kalpakt scheitert, wäre es kein endgültiges Scheitern. Dann müsste neu verhandelt werden, und es würde die Möglichkeit eröffnen, intensiver zu beraten und nachhal- tigere Maßnahmen zu entwickeln. Zeitnot gibt es allen- falls beim ESM, bei dem zu befürchten ist, dass er nur ein Zwischenschritt ist und viele weitere Rettungsmaß- nahmen noch folgen müssen. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Nach den Erfah- rungen aus der Anwendung bzw. Nichtanwendung der Stabilitätskriterien aus dem Vertrag von Maastricht hätte man sich für die Vorgaben des Fiskalvertrags eine we- sentlich deutlichere Linie gewünscht. Dies gilt insbeson- dere für die Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof und die Sanktionen, die sich mit Verstößen gegen den Fiskalvertrag verbinden. Leider sind die Sanktionen, wie schon bei Maastricht, fast ausschließ- lich materieller Natur. Zu klaren Regeln und der Einhal- tung klarer Regeln hätte gehört, dass der andauernde Verstoß gegen dieselben zum Beispiel den Verlust der Stimmrechte oder auch die Möglichkeit des Ausschlus- ses aus der Euro-Zone zur Folge haben muss. Wenn ich dem Fiskalvertrag heute dennoch zustimme, dann in der Anerkennung der Verhandlungsergebnisse der Bundes- regierung, die etwa die Etablierung der Schuldenbremse in nationalem Recht der Mitgliedstaaten bedeute. Be- trachtet man die Positionen der Mitgliedstaaten vor dem Eintritt in die Verhandlungen zum Fiskalvertrag, dann ist der Verhandlungserfolg der Bundesregierung durchaus bemerkenswert, auch wenn – wie gesagt – an einzelnen Punkten deutlichere Regeln wünschenswert gewesen wären. Fazit: Der Fiskalvertrag hat zwar Mängel, er deu- tet aber wenigstens in die richtige Richtung. Dem Gesetz über die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Ausführungs- gesetzen hierzu vermag ich aber nicht zuzustimmen. Hier wird ein Weg perpetuiert, der nach meiner Überzeu- gung schon bei der Schaffung der Europäischen Finanz- stabilisierungsfazilität, EFSF, falsch war. Wer sich aus eigenem Verschulden in eine Situation manövriert hat, in der seine Handlungsfähigkeit an den Kapitalmärkten nicht länger gegeben ist, dem ist durch die Gewährung neuer Kredite und Garantiezusagen nicht geholfen. Wie auf dem privaten und unternehmerischen Sektor auch ist dann ein Insolvenzverfahren angezeigt, verbunden mit klaren Vorgaben zur Restrukturierung von Finanzmarkt, Realwirtschaft und Verwaltung mit dem Ziel der Wettbe- werbsfähigkeit. Ein solches Insolvenzverfahren für Staa- ten liegt bis dato leider immer noch nicht vor; es hätte längst geschaffen werden müssen, um einerseits den be- troffenen Staaten einen Ausweg aus der Krise und einen vernünftigen Neustart zu ermöglichen und andererseits das klare Signal an die Märkte zu senden, dass der Euro- Währungsraum seine eigene Existenz und sein Fortbe- stehen durch die Schaffung klarer Regeln und die Sank- tionierung von Verstößen sichert und sich nicht durch das Aufspannen immer neuer und größerer Rettungs- schirme lediglich Zeit erkauft. Das für den Bundeshaushalt und damit für den Steu- erzahler verbundene Risiko ist beträchtlich und aus mei- ner Sicht nicht zu verantworten. Der Bundesrechnungs- hof geht nach seinen jüngsten Darstellungen von einer Summe von 310,3 Milliarden Euro aus, auf die sich die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland mitt- lerweile belaufen. Auch wenn von dieser Summe bislang nur ein vergleichsweise kleiner Teil tatsächlich kassen- wirksam geworden ist, bestehen für mich erhebliche Zweifel, ob die infolge der Rettungsschirme verausgab- ten oder noch zu verausgebenden Mittel in den Bundes- haushalt je wieder zurückfließen werden können. Die Euro-Zone würde Glaubwürdigkeit und das Ver- trauen der Märkte zurückgewinnen, wenn sie sich auf ihre Stärke und ihre marktfähigen Mitglieder konzen- trierte, und nicht, wenn sie ihre Schwächen und die marktunfähigen Mitglieder durch die Rettungsschirmpo- litik zu kaschieren suchte. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ich kann dem Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Sta- bilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, dem sogenannten Fiskalpakt, nicht zustimmen. Die Unterzeichnerstaaten sollen durch den Vertrag zu einer dauerhaften Politik der Ausgabenkürzung und Austerität verpflichtet werden. Dazu müssen sie Schul- denbremsen – vorzugsweise in ihren Verfassungen – ein- richten und Staatsschulden über 60 Prozent des Bruttoin- landsprodukts, BIP, um jährlich 5 Prozent abbauen. Die aufgelaufenen Staatsschulden gehen nicht auf laxe Haushaltsführung und überhöhte Sozialausgaben zurück, sondern auf fehlende Regulierung der Finanz- märkte, die Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Fi- nanzmärkten, die Leistungsbilanzüberschüsse innerhalb des Euro-Raumes und die Bankenrettungspakete ab 2007. Der Fiskalpakt wird den angestrebten Wachstumspakt ins Leere laufen lassen. Wegen der harten Sparauflagen wird ohnehin klammen EU-Ländern wie Griechenland und Spanien zum Beispiel das Geld zur Kofinanzierung der EU-Projekte fehlen. Auch werden keine neuen Gel- der für den Wachstumspakt in die Hand genommen. Ausreichen soll eine Absichtserklärung, die bisher in der EU-Förderperiode bis 2013 nicht abgerufenen Gelder umzuwidmen. Wie das Fördervolumen in der neuen Pe- riode ab 2014 aussieht, darauf konnte die Bundesregie- rung bisher keine Antwort geben. Auch die von Bundesregierung, SPD und Grünen ver- abredete Finanztransaktionsteuer wird es frühestens ab 2014 und nur in einem Teil der EU-Länder geben. Damit fehlen aber die Einnahmen aus der Steuer für 2013. Un- klar ist nach wie vor die Ausgestaltung der Finanztrans- aktionsteuer. Kommt zum Beispiel nur eine Börsen- steuer auf Aktien und Anleihen zustande, ergeben sich in der Bundesrepublik Einnahmen von circa 2 Milliarden Euro. Werden jedoch alle Finanzinstrumente und auch Devisen berücksichtigt, könnten bis zu 27 Milliarden Zusammenkommen. Das sind erhebliche Unterschiede. Nicht der Rede wert sind auch die Zugeständnisse, die die Bundesländer bei den Fiskalpaktverhandlungen mit der Bundesregierung erreicht haben wollen. So war be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22763 (A) (C) (D)(B) reits beim Hartz-IV-Kompromiss Anfang 2011 verein- bart worden, dass der Bund die Kosten für die Grund- sicherung im Alter übernimmt. Warum die Länder das jetzt als Verhandlungserfolg in Sachen Fiskalpakt feiern, erschließt sich nicht. Tatsächlich lassen die Länder ihre Kommunen weitgehend im Regen stehen. Leider haben es die anderen Oppositionsparteien im Bundestag – SPD und Grüne – bei den Fiskalpaktver- handlungen weitgehend bei einem Sturm im Wasserglas belassen. Alexander Funk (CDU/CSU): Mit der Einrichtung eines sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus verstetigt die Bundesregierung ihren seit Mai 2010 ein- geschlagenen Weg, durch Garantien und Bürgschaften überschuldete Staaten aus der Euro-Zone weiter zu finanzieren. Diesen Weg kann und will ich nicht mitgehen und lehne die zugrunde liegenden Gesetzentwürfe ab. Ich beklage das Versagen der sogenannten parlamen- tarischen Opposition aus SPD und Grünen; die willfäh- rig jeder weiteren Vergrößerung der Gemeinschaftshaf- tung das Wort redet und die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger hinter eine ideologisch moti- vierte Rhetorik von angeblicher europäischer Solidarität stellt. Damit und mit der Übernahme der Forderungen der südeuropäischen Schuldenländer sind diese Kräfte mit- verantwortlich dafür, dass selbst die großzügigen und für mich nicht hinnehmbaren bisherigen Schuldenhaftungen durch Deutschland als kleinlich und unzureichend darge- stellt werden können. Eine Diskussion über mögliche Alternativen wird und wurde durch diesen Opportunis- mus erheblich erschwert. Vor diesem Hintergrund be- kenne ich mich ausdrücklich zu den letzten verbliebenen Zusagen der bürgerlichen Koalition, eine Kollektivhaf- tung mittels Euro-Bonds, Euro-Bills oder Schuldentil- gungsfonds entschieden abzulehnen. Ich unterstütze darin die Haltung unserer Bundesregierung. Die Fortführung des Bail-out-Wegs hat indes bereits zur Übernahme von gigantischen Risiken zulasten des Haushalts unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger geführt. Indes bleiben die erhofften Wirkungen der Maßnahmen aus: Die Schuldendynamik der betroffe- nen Länder verschärft sich, Absprachen und Vereinba- rungen können nicht eingehalten werden oder werden willentlich gebrochen, der Rückgriff auf die EZB als Staatsfinancier mittels Notenpresse ist zum Usus dieser Ausrichtung geworden. Noch vor Verabschiedung des ESM stehen mit Spa- nien und Zypern zwei weitere Euro-Staaten vor massi- ven Refinanzierungsproblemen. Die nächsten Jahre wer- den nach meiner festen Überzeugung zum massiven Abfluss der ESM-Mittel führen, ohne dass eine nachhal- tige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der betrof- fenen Länder absehbar ist. Der Kreditbedarf alleine Spaniens bis 2014 übersteigt die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts um beinahe 50 Milliarden Euro. Jeder, der dem ESM zustimmt, sollte sich bereits auf eine weitere Erhöhung der Haf- tungssummen einstellen. Als Alternative werbe ich für folgende zehn Punkte zur Bewältigung der Euro-Krise: Erstens. Der temporäre Rettungsschirm EFSF muss wie geplant 2013 auslaufen. Die dauerhafte Nachfolge- einrichtung ESM darf es nicht geben. Jedes Mitglied der Euro-Zone muss selbst für seine finanziellen Verpflich- tungen einstehen. Haftung und Eigenverantwortung ge- hören untrennbar zusammen. Zweitens. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit muss Schwerpunkt von Hilfen sein. Es darf nicht um die Ansprüche privater Gläubiger gehen. Überschuldete Staaten müssen sparen und gezielte Anreize für Investi- tionen für den Wiederaufbau setzen. Dazu muss der betroffene Staat seine Wirtschaft und Verwaltung wett- bewerbsfähig machen. Das erfordert tiefgreifende struk- turelle Reformen im Steuersystem und im Sozialver- sicherungswesen, denn nur so entsteht dauerhaft Wachstum. Drittens. Regelverstöße müssen automatisch Konse- quenzen haben. Der Klagemechanismus des Fiskalpakts ist ein leeres Versprechen. Es bestehen politisch gewollte Spielräume, um von einer Klage trotz Verstößen gegen verbindliche Haushaltsvorgaben abzusehen. Diese Spiel- räume werden sich nicht schließen, wenn nicht der Kreis der vor dem EuGH zur Klage Berechtigten ausgeweitet wird. Viertens. Sowohl unkontrollierte Zahlungsausfälle als auch dauerhafte Transfers über den ESM müssen ver- mieden werden. Dazu etabliert die Euro-Zone anstelle des ESM einen Europäischen Umschuldungsmechanis- mus, EUM. Er erlaubt es der öffentlichen Hand in den Krisenländern, ihre Aufgaben aufrechtzuerhalten, die nationale Budgethoheit zu wahren und einen Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern auszuhandeln. Der EUM bietet den Rahmen für ein Schiedsverfahren, das von einer unparteilichen und allgemein akzeptierten In- stanz geleitet und durch den IWF begleitet wird. Eck- punkte können auf dem US-lnsolvenzrecht aufbauen. Private Gläubiger beteiligen sich unter dem Eindruck einer möglichen Zahlungsunfähigkeit an allen Phasen der Restrukturierung. Fünftens. Finanzhilfen dienen lediglich als Ultima Ratio. Sie können zeitlich befristet systemrelevante Kre- ditinstitute rekapitalisieren sowie zur Einlagensicherung dienen. Die zwangsweise Rekapitalisierung von Finanz- instituten bleibt vorrangig den jeweiligen Sitzstaaten überlassen. Sie kann nötigenfalls durch Finanzhilfen der Euro-Staaten ergänzt werden. Diese erhalten angemes- sene Gegenleistungen. Die bereits gewährten oder in Aussicht gestellten Finanzhilfen sind kein Akt von euro- päischer Solidarität. Sie entzweien uns: Die „Hilfen“ entlassen Gläubiger aus ihrer Verantwortung und gehen zulasten der Steuerzahler. Sechstens. Wo alle Maßnahmen nicht genügen, um zu den Finanzmärkten zurückzukehren, muss das Ausschei- den eines Staates aus der Euro-Zone ermöglicht werden. 22764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Seine Wettbewerbsposition würde sich durch eine Ab- wertung schnell spürbar verbessern. Außerdem hilft die Aussicht auf Austritt bei den Verhandlungen der Staaten mit ihren Gläubigern. Siebtens. Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder strikt getrennt werden. Die Europäische Zentralbank hat durch den Ankauf von Staatsanleihen und die Flutung der Geldmärkte mit Mitteln aus den Langfristtender- geschäften ihren Auftrag weit überdehnt. Sie finanziert Staatsdefizite und nimmt Inflationsrisiken billigend in Kauf. Die Geldpolitik muss der Entscheidungsmacht politischer Mehrheiten entzogen und Inflation verhindert werden. Achtens. Die EZB muss die Bonitätsstandards für Geschäftsbanken dringend überdenken und für die Tar- get-2-Salden eine untadelige Besicherung sowie eine marktnahe Verzinsung vorsehen. Erstrebenswert ist dazu eine jährliche Ausgleichsverpflichtung nach dem Vor- bild des Federal-Reserve-Systems der USA. Neuntens. Die Stimmrechte in der EZB müssen den Kapital- und Haftungsverhältnissen entsprechen. Zehntens. Besonders Deutschland als stärkster Mit- gliedstaat muss mit gutem Beispiel vorangehen und den Stabilitätspakt endlich einhalten. Sonst ist er und sind wir unglaubwürdig. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In einer schwierigen Krisensituation hat der Deutsche Bundestag heute mit der Entscheidung für den ESM und den Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euro und der europäischen Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig ge- troffenen Vereinbarungen zur Einführung einer Finanz- transaktionsteuer, die Zusagen für mehr nachhaltige In- vestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz sowie die stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträ- gen an den ESM sind wichtige und notwendige Schritte zur Stabilisierung der EU und zur Stärkung der Demo- kratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnahmen- paket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine starke grüne Handschrift trägt. Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt. Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland, Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie- gen, und die soziale Schieflage hat sich weiter ver- schärft. Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht. Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo- balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt- schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen. Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu- sammenschlüsse von Staaten. Europa muss beweisen, dass verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlosse- nem Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in Verbindung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen für ein solches entschlossenes Handeln. Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind der von der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im Fis- kalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen- dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver- pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und zur Ver- ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig; denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommunen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Län- der und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich be- grenztere Möglichkeiten zur Refinanzierung haben. Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver- pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In- vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik und dem ESM stärken die wirtschaftliche Leistungsfä- higkeit der EU und sind so in unserem ureigenen Inte- resse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinanderbre- chen der Euro-Zone und damit einen großen Rückschritt in der europäischen Integration mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, sondern für Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro-Gipfels vom 28. Juni 2012 gehen in die richtige Richtung, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken und den Teu- felskreis aus Banken- und Staatsschuldenkrise zu durch- brechen. Wichtige Schritte zur Bereitstellung von not- wendigen Investitionsmitteln wurden vereinbart. Zusätzlich fordern wir weitere Schritte zur Lösung der Euro-Krise. Ein konkreter und realistisch umsetzba- rer Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverständi- genrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro- Zone. Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des Schuldenabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd, wenn die Kanzlerin sich einer inhaltlichen Debatte um konkret zu ergreifende Maßnahmen verweigert. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen. Mit ihrer Weigerung einer realistischen Altschuldenregelung gefährdet sie die positive Wirkung von ESM und Fiskalpakt. Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden. Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbe- wältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäische Parlament muss in seiner Entschei- dungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäische Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22765 (A) (C) (D)(B) Europa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem Schuldenabbaupfad, Stärkung von Investitionen und de- mokratischer Entwicklung Europas wird die Krise über- wunden werden können. Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak- tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö- sung. Deswegen stimmen wir heute für den Fiskalpakt und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes Europa entschieden. Nun gilt es, dafür einzustehen. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe mit Nein zum Fiskalvertrag und dem Vertrag über den dauer- haften „Rettungsschirm“ ESM gestimmt – schon des- halb, weil durch ESM- und Fiskalvertrag nicht die Mit- gliedstaaten der EU und schon gar nicht die Menschen in den verschiedenen Ländern gerettet, sondern die Groß- banken und Finanzmarktzocker gesichert werden. Mit meiner Fraktion werde ich im Organstreitverfahren und mit Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungs- gericht anrufen. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Verträge gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verstoßen. Dieses Prinzip ist nach seinem Art. 79 Abs. 3 unabänder- lich. Die weitgehende Übertragung des parlamentari- schen Haushaltsrechts auf die EU-Kommission und auf die Regierungen der Mitgliedstaaten verstößt gegen den Grundsatz demokratischer Volkssouveränität. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Verträge weiter- hin gegen das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Sozialstaatsprinzip verstoßen. Der Fiskalpakt soll angeb- lich ausgeglichene Haushalte durch Schuldenbremsen sichern. Vor allem die Leistungen an wirtschaftlich und sozial Schwache sollen eingeschränkt werden. Zusätz- liche Staatseinnahmen werden allenfalls Lohnsteuer- und Mehrwertsteuerzahler aufbringen, während die Rei- chen und die Superreichen nicht zur Kasse gebeten wer- den. Ich habe mit Nein gestimmt, weil in den Ländern, die Mittel aus dem ESM erhalten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen, ihre erkämpften sozialen Rechte eingeschränkt werden. Die Memoranden führen durch mangelnde Nachfrage zu weiter schrumpfendem Wirtschaftswachstum und zu sozialem Elend. Wer demokratische und soziale Verantwortung emp- findet, muss Nein zu diesen Gesetzesvorlagen sagen. Wer demokratische und soziale Verantwortung empfin- det, muss auch die erforderlichen verfassungsrechtlichen Schritte einleiten. Eines steht fest: Ohne die Verteidi- gung von Demokratie und Sozialstaat wird die Europäi- sche Union keine Zukunft haben. Dem widersetze ich mich. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ich stimme heute ge- gen den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Fiskalpakt, weil er soziale und demokrati- sche Errungenschaften in ganz Europa und in Deutsch- land bedroht. Der Fiskalpakt ist ein autoritärer Vertrag, der die Demokratie aushebelt und Parlamente zugunsten von nicht gewählten EU-Technokraten entmachtet. Ge- rettet werden mit den mittlerweile kaum noch vorstell- baren Milliardenbeträgen lediglich Banken und andere Finanzmarktakteure. Die Zeche dafür zahlt die Bevöl- kerung in ganz Europa durch soziale Kürzungen, Re- zession und Arbeitslosigkeit. Um das zu verschleiern, wurde und wird der ESM-Vertrag im Eiltempo durch die nationalen Parlamente geschleust. Die fatale Kürzungs- politik, die den Ländern bei Inanspruchnahme von soge- nannten Hilfskrediten diktiert wird, soll durch den Fis- kalpakt für alle Länder Europas unwiderruflich zur Vorschrift werden. Ich halte das für verfassungswidrig. Die radikal verschärfte Neuverschuldungsgrenze führt in allen Ländern gleichzeitig zu einer deflationären Kür- zungspolitik und wird so die Krise weiter verschärfen. Allein Deutschland muss deshalb circa 30 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Ein Kürzungsprogramm von diesem Ausmaß werde ich niemals mittragen. Der zunehmende Abbau sozialstaatlicher Leistungen und die immer drastischeren Kürzungen werden sich auch im Bildungsbereich bemerkbar machen. In Spanien und Griechenland explodieren derzeit die Klassengrö- ßen, und manche Schulen werden bereits geschlossen. Die Jugendarbeitslosigkeit hat mit 50 Prozent in diesen Ländern inzwischen Größenordnungen erreicht, dass ab- sehbar Millionen von jungen Menschen über die kom- menden Jahre in die totale Perspektivlosigkeit gezwun- gen werden. Diese Auswirkungen werden auch die Bundesrepublik treffen, da die Regierung mit dem Fis- kalpakt den drastischen Schuldenabbau festschreibt. Der Versuch, das für die Bankenrettung verpulverte Geld durch immer drastischere Kürzungsprogramme einzu- nehmen, ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlich schädlich. Aus Schulden können sich öffentliche Haushalte nicht heraussparen. Die schon jetzt geplanten Kürzungen und Schließungen bei Kitas, Schulen, Hochschulen und Bibliotheken werden nicht zu einer Lösung der Krise beitragen, sondern sie verschär- fen. Die Bundesregierung legt damit auch ein bildungs- politisches Kürzungsprogramm für Deutschland und ganz Europa auf. Dabei ist doch gerade Bildung die Grundlage für eine demokratische Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt. Die Linke will die Verursacher und Profiteure der Krise zu Kasse bitten. Dem privaten Geldvermögen von 4,7 Billionen Euro in Deutschland stehen 2 Billionen Schulden gegenüber. Diese Krise ist keine Schulden- krise, sondern eine Verteilungskrise. Die Banken und Fi- nanzmärkte müssen deshalb endlich entmachtet und die Millionäre besteuert werden. Mit meiner Gegenstimme zum Fiskalpakt stehe ich auch an der Seite der kämpfen- den Menschen in Griechenland, Spanien und Italien, die sich seit Monaten mit Streiks und Massendemonstratio- nen gegen die Abwälzung einer Politik von Korruption und Profitgier auf ihre Schultern wehren. Meine Gegen- stimme steht auch für den Erhalt des seit Jahrzehnten beschnittenen Sozialstaats in Deutschland. Ich möchte kein Europa der Banken, sondern ein solidarisches Eu- ropa, und deshalb stimme ich heute gegen den Fiskal- pakt! 22766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Josef Göppel (CDU/CSU): Deutschland übernimmt mit dem dritten Rettungsschirm eine Garantieverpflich- tung von rund 190 Milliarden Euro. Das entspricht knapp 7,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2011. Allein das in jedem Fall einzuzahlende Kapital beläuft sich auf gut 21,7 Milliarden Euro. Die Übernahme dieser immensen Garantien geschieht, ohne dass damit eine wirksame Regulierung spekulativer Fi- nanzgeschäfte verbunden wäre. Das Marktversagen auf dem Finanzsektor ist die we- sentliche Ursache der gegenwärtigen Krise. Der deregu- lierte Finanzmarkt ist der politischen Gestaltung entglit- ten. Täglich wird an den Börsen und außerbörslich mehr als das Hundertfache des Produktionswerts aller Güter und Dienstleistungen der Welt gehandelt. Solche Sum- men können mit Steuererträgen aus der Realwirtschaft nicht mehr aufgefangen werden. Immer neue Anleihen für immer neue Garantien treiben vielmehr die Schul- denspirale weiter an und bieten Ansatzpunkte für neue Spekulationsrunden. Die Rettungsmittel sind das Futter für weitere spekulative Angriffe gegen Länder des Euro- Verbunds. Der beste Beweis dafür ist der Zwang zu fortlaufen- den Erhöhungen der Bürgschaftssumme in den Jahren seit 2008. Wenn das bloße Verlangen nach immer höhe- ren Brandmauern eine ganze Staatengemeinschaft vor sich hertreiben kann, dann liegt ein offenkundiger Sys- temfehler vor. Das Kapital dominiert die Politik. Auch der Anstieg der Staatsschulden geht zum großen Teil auf die Bankenrettungsschirme des Jahres 2008 zu- rück. Steuergelder aus der Realwirtschaft mussten da- mals für die spekulative Gier von Banken und anderen Finanzakteuren einstehen. Deshalb ist das Aufspannen von Rettungsschirmen ohne rechtliche Regulierung des Finanzsektors nutzlos und nicht verantwortbar. Wir brauchen eine Finanz- marktordnung, die spekulative Überhitzungen eingrenzt, hochriskante Geschäfte verbietet und Finanzakteure zur persönlichen Haftung heranzieht. Der Finanzsektor muss seine Rettungsschirme in Zukunft selbst finanzieren. Der wirksamste Schritt zur Stabilisierung des Finanz- sektors ist international die Finanztransaktionsteuer. Sie muss vor der Vergabe weiterer Bürgschaften rechtlich verbindlich fixiert sein, damit ihre Einführung nicht wie- der im Sande verläuft und Rettungsaktionen nicht immer wieder verpuffen. Genau das ist aber durch das Vorzie- hen des Beschlusses zur Errichtung des ESM nicht gege- ben. Er schafft vollendete Tatsachen für die Zahlungs- verpflichtungen Deutschlands, ohne die Beteiligung der Finanzmärkte vorher abzusichern. Die Studie der Finanzwissenschaftler Griffith-Jones und Persaud vom Mai 2012 belegt, dass die oft behaup- tete Verlagerung der Finanzgeschäfte aus Europa bei Einführung einer Finanztransaktionsteuer wirksam ein- gegrenzt werden kann. Der Ertrag der Steuer läge bei 60 Milliarden Euro jährlich. Damit würden endlich wie- der Mittel für die Staatsaufgaben im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich frei. Zusätzlich ergäben sich positive Wachstumseffekte. Ich bin entschieden für unsere Gemeinschaftswäh- rung und deren Stützung. Das muss aber im Rahmen ei- ner Finanzordnung geschehen, die den Grundwerten der sozialen Marktwirtschaft entspricht. Das ist jetzt nicht der Fall! Das Konzept des Europäischen Stabilisierungs- fonds bindet in großem Umfang allgemeine Steuermit- tel, die für andere öffentliche Aufgaben fehlen, und kon- zentriert den Ertrag bei anonymen Finanzakteuren. Dieser ordnungspolitischen Fehlsteuerung kann ich nicht zustimmen. Die Politik muss ihre demokratische Gestal- tungshoheit zurückholen, weil Machtlosigkeit gegenüber dem Markt und die Duldung einer faktischen Nebenre- gierung letztlich das Vertrauen in die repräsentative De- mokratie zerstören. Die Entfesselung der Finanzmärkte wurde mit dem Finanzmarktderegulierungsgesetz 1989 von der Politik ausgelöst. Die Politik hat deshalb auch die Aufgabe, die dienende Funktion des Finanzsektors für das Gemeinwohl wiederherzustellen. Der jetzt einge- schlagene Weg schiebt eine durchgreifende Lösung auf, anstatt sie zu beschleunigen. Aus diesen Gründen lehne ich sowohl den Gesetzent- wurf zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsme- chanismus als auch den Gesetzentwurf zu seiner Finan- zierung ab. Annette Groth (Die Linke): Ich stimme gegen den europäischen Fiskalpakt, da dieser Vertrag gegen demo- kratische Prinzipien verstößt. Mit diesem Vertrag wird die parlamentarische Demokratie deutlich eingeschränkt und werden die öffentliche Infrastruktur und die sozialen Errungenschaften in allen Unterzeichnerstaaten infrage gestellt. Dieser Vertrag ist eine deutliche Selbstentmachtung der nationalen Parlamente und damit auch des Deut- schen Bundestages. Das Haushaltsrecht ist eines der wichtigsten Rechte eines Parlaments. Durch das Haus- haltsrecht können gewählte Politikerinnen und Politiker darüber entscheiden, welche Schwerpunkte im Haushalt gesetzt werden und ob ein Staat zur Erreichung seiner Ziele in einer Haushaltsperiode öffentliche Schulden machen kann. Durch die automatischen Sanktionsmechanismen in diesem Vertrag wird die Möglichkeit der demokratischen und freien Gestaltung der Haushalte in allen öffentlichen Ebenen der Bundesrepublik, von den Kommunen bis zum Bundeshaushalt, deutlich eingeschränkt. Völlig inakzeptabel ist, dass bei einem Land, das sich im sogenannten Defizitverfahren befindet, die Euro- päische Kommission und der Rat künftig sogar ein Veto- recht gegenüber den nationalen Haushaltsplänen erhal- ten. Damit bekommt die Exekutive und eine nicht demokratisch gewählte Institution wie die Europäische Kommission Macht über die Gestaltung der Haushalte von demokratisch gewählten Parlamenten. Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist kein Beitrag zur Überwindung der tiefen ökonomi- schen Krise. Es handelt sich real um einen Banken- rettungsschirm, der mit öffentlichen Mitteln der Steuer- zahlerinnen und Steuerzahler bezahlt wird. Durch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22767 (A) (C) (D)(B) Sozialkürzungen und die weitere Einschränkung der öf- fentlichen Handlungsspielräume wird ein milliarden- schwerer Schutz für die Gewinne der Banken errichtet. Beiden Verträgen werde ich nicht zustimmen, da durch sie die Schaffung einer sozialen und demokra- tischen Europäischen Union wesentlich erschwert wird. Die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung dieser Verträge bedient die Interessen einer bürokratischen Elite, die von Wirtschaftslobbyisten gelenkt ist. Als überzeugte Europäerin kann ich dem schleichenden Tod der Demokratie in der Europäischen Union nicht zustim- men, der durch diese Verträge befördert wird. Petra Hinz (Essen) (SPD): Der Deutsche Bundestag entscheidet heute über den Fiskalvertrag für mehr Haus- haltsdisziplin in Europa und den dauerhaften Euro-Ret- tungsschirm, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM. Mein Ja zum ESM und Fiskalvertrag ist jedoch nicht ein Ja zur Merkel’schen Politik, die es bislang nicht vermocht hat, die krisengeschüttelte EU dauerhaft zu stabilisieren. Sie schadet mit ihren anonymen Gipfel- treffen und ihrem nicht nachvollziehbaren Zickzackkurs Europa und der Demokratie. Meine Zustimmung zeigt vielmehr: Ich nehme meine Verantwortung für ein soli- darisches und handlungsfähiges Europa auch als Opposi- tion ernst. Dies ist nicht nur eine Entscheidung für Deutschland, sondern eine historische Entscheidung für ganz Europa. Es ist ein Ja zu zwei Instrumenten gegen die Krise, die sicher nicht in allen Belangen vollständig meinen und sozialdemokratischen Vorstellungen entsprechen, insbesondere der Euro-Rettungsschirm ist ein zentraler Beitrag zur Krisenbewältigung. Ich bin davon überzeugt: ESM und Fiskalvertrag sind nur Etappenziele auf dem Weg zur Rettung der Euro-Zone. Zur Wahrheit gehört auch: Von einer endgültigen Lösung der Krise sind wir nach wie vor weit entfernt. Wir alle müssen die europäi- sche Idee leben, doch über ihre Geschichte wird heute kaum gesprochen. Aber jeden Tag erleben die Menschen die überfrachtete Verwaltung und die Bürokratie der EU. Es liegt an uns, über die eigentliche europäische Idee zu sprechen und die Menschen für Europa zu begeistern. Ich habe mir die Entscheidung zum Fiskalvertrag nicht leicht gemacht. Ein Vertrag, der in strikter Haus- haltsdisziplin und massivem Schuldenabbau die Lösung aller Probleme der Euro-Zone sieht, trägt alles andere als eine sozialdemokratische Handschrift. Ein kategorisches Nein zum Fiskalvertrag wäre aber das falsche Signal in der Krise: Für mich ist unbestritten, dass die Euro-Staa- ten ihre Schuldenberge in den Griff bekommen müssen. Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fän- gen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Sowohl im Bund als auch in einigen Ländern haben wir dazu beige- tragen, Schuldenbremsen verfassungsrechtlich zu veran- kern. Und wir haben dabei durchgesetzt, dass eben nicht nur eine Verantwortung für die Ausgaben, sondern auch Grundlagen für die Einnahmen bestehen. Neben Haushaltsdisziplin brauchen die überschulde- ten Staaten auch Impulse für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, um dauerhaft wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Dem reinen Fiskalvertrag hätte ich nicht zustimmen können, da er die Krise eher verschärft als eingedämmt hätte. Deswegen haben wir als SPD-Fraktion hart mit der Bundesregierung verhan- delt – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Ergän- zung des Fiskalvertrages durch einen europäischen Wachstums- und Beschäftigungspakt ist letztlich auch das Eingeständnis der schwarz-gelben Koalition, dass ihre bisherige fantasielose Sparpolitik krachend geschei- tert ist. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialde- mokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Opposi- tionspartei, einer Bundesregierung einen solchen Kurswechsel abzuringen. Erstens. Union und FDP haben die gerechte Besteue- rung des Finanzsektors lange Zeit blockiert und damit verhindert, dass auch die Verursacher der Krise an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Dank der SPD wird die Finanztransaktionsteuer nun endlich kom- men, leider nicht in allen, aber doch zumindest in vo- raussichtlich zehn Partnerländern. Zweitens. Wir haben erreicht, dass sich die Bundesre- gierung zu erheblichen Impulsen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa bekennt. Dazu gehört, dass nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der lau- fenden Finanzperiode gezielt für wachstums- und be- schäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden. Drittens. Die Bundesregierung hat in den Verhandlun- gen zudem unserer Forderung zugestimmt, ein Sofort- programm gegen Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg zu bringen. Mit einer Jugendgarantie soll jedem Jugendli- chen spätestens vier Monate nach Schulabschluss oder Eintritt in die Arbeitslosigkeit eine Arbeits- oder Ausbil- dungsstelle angeboten werden. Viertens. Die Bundesländer haben weiterhin bis 2020 Zeit, die Regeln der nationalen Schuldenbremse einzu- halten. Der Bund hat sich verpflichtet, die Kommunen im Sozialbereich finanziell um mehrere Milliarden Euro zu entlasten. Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM soll den zeitlich befristeten Rettungsschirm EFSF endgültig ablö- sen, bis dahin laufen beide Mechanismen zunächst paral- lel. Deutschland geht durch die Gewährung von Bürg- schaften für notleidende Staaten im Rahmen der europäischen Rettungsschirme erhebliche finanzielle Ri- siken ein. Diese Risiken sind jedoch vertretbar – denn sie sind nicht nur ein Signal der innereuropäischen Soli- darität, sondern auch ein Gebot der wirtschaftlichen Ver- nunft. Die Stabilität des Euro und unserer Partnerländer liegt vor allem im deutschen Interesse, weil uns ein Zusam- menbruch der Währungsunion am Härtesten treffen würde. Der Exportnation Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn die Wirtschaft im Rest Europas am Boden liegt Unser Wohlstand beruht auf den in Deutschland hergestellten Produkten, die auch von unse- ren europäischen Partnerländern gekauft werden. Wenn es uns nicht gelingt, diese Länder dauerhaft zu stabilisie- ren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzu- 22768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) greifen. Wir retten nicht Griechenland oder Spanien, sondern wir retten letztlich auch den Wohlstand und die Arbeitsplätze in Deutschland. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, Fehlentwicklungen abstellen und Schulden abbauen. Nur wenn die Euro-Zone stabilisiert wird, können die Länder die gewährten Kredite zurückzahlen. Wer jetzt aber ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone fordert, beschleunigt damit nur einen Staatsbankrott und vermindert so die Chance auf die vollständige Rückzah- lung der deutschen Forderungen. Zudem hätte ein un- kontrollierter Staatsbankrott auch verheerende Folgen für andere Krisenstaaten, die dann ebenfalls zur Ziel- scheibe spekulativer Angriffe würden. Aus den oben genannten Gründen stimme ich dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und dem Fiskalvertrag zu. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir den Menschen viel zumuten. Aber wir müssen diesen Schritt gehen. Eine Enthaltung oder eine Ablehnung wäre ein falsches Signal für die europäische Idee. Meine heutige Zustimmung ist jedoch kein Freibrief für zukünftige Ein- zelentscheidungen und Alleingänge der Bundesregie- rung im Rahmen der EU-Finanzkrise. Christian Hirte (CDU/CSU): Den Gesetzen zur Ein- richtung eines dauerhaften Europäischen Stabilitätsme- chanismus, ESM, sowie zum Fiskalpakt stimme ich zu. Dem derzeit beschrittenen Weg zur weiteren europäi- schen Rettungspolitik stehe ich weiterhin mit großer Skepsis und Sorge gegenüber. Ich bin nicht überzeugt, dass damit die Krise dauerhaft erfolgreich bekämpft werden kann. Finanzhilfen und Bürgschaften allein wer- den nicht helfen, um die teils massiven Rückstände der Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder zu überwinden. Ich stimme den Gesetzen dennoch zu, weil die denkba- ren – auch politischen – Alternativen deutlich problema- tischer sind. Das entschiedene Bekenntnis der Bundes- kanzlerin gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa stellt klar, dass bei aller notwendigen Solidari- tät die nationalen Regierungen und Parlamente sich ih- ren schwierigen Aufgaben stellen müssen. Kein Ret- tungsschirm, kein gemeinsamer Tilgungsfonds und auch kein gemeinsames Wachstumspaket kann die Staaten aus dieser Verantwortung entlassen. Die notwendige Solida- rität darf auch nicht dazu führen, dass am Ende alle über- fordert sind. Kein Staat und insbesondere nicht Europa als Ganzes wird stärker, indem die Stärkeren schwach werden. Der ESM, insbesondere in seiner Verbindung mit dem Fiskalpakt, bildet, wie zuvor die EFSF, einen Rahmen, dem ich grundsätzlich zustimme. Er unterstreicht, dass die Euro-Staaten sich mit der gemeinsamen Währung zu einer vertieften gegenseitigen Solidarität verpflichtet haben. Ich halte den Euro und insbesondere die Idee eines freiheitlichen, friedlichen und gemeinsamen Europas für so wichtig, dass ich bereit bin, einen solchen Rahmen mitzutragen. Es ist und bleibt wichtig, dass der Deutsche Bundestag immer dann, wenn es um konkrete Hilfen für einzelne Staaten geht, in die Entscheidung eingebunden bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Urteilen diese Rolle des Parlaments immer wieder betont. Daher möchte ich auch in Zukunft im Einzelfall trennen zwischen der Zustimmung zu einem grundsätzlichen Rahmen und der konkreten Hilfs- zusage für ein Land, für Banken oder andere Hilfsleis- tungen. Insbesondere im Fall Griechenlands glaube ich, dass ein Festhalten am Euro mit allen Mitteln keine dau- erhafte Lösung ist. Kein konkretes Geld ohne Zustim- mung des Bundestages bleibt daher auch mit dem ESM für mich ein Maßstab meines politischen Handelns. Gleichwohl zeigen gerade die Beispiele Portugal oder Irland, dass vorübergehende Hilfen der europäischen Partner eine wichtige und notwendige Unterstützung für Staaten sein können, ihren Reformweg zu verfolgen und umzusetzen. Diese Beispiele zeigen zugleich, dass Kre- dite und Bürgschaften allein nicht helfen, in den betrof- fenen Ländern einen Aufwärtspfad einzuschlagen. Nur ein konsequenter Reformweg, der jeweils national die Verschuldung absenkt und die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften steigert, kann eine positive Perspek- tive eröffnen. Ich war und bin bereit, diese Schritte zu unterstützen, und halte es für richtig, dass auch Deutsch- land verlässlicher Partner dabei ist, diese Wege zu ge- hen. Wachstumsimpulse in Europa sind deshalb auch eine richtige Ergänzung zu Reformen und Haushaltsdis- ziplin. Sie können diese aber nicht ersetzen. Gerade Deutschland hat in den zurückliegenden Jahren gezeigt, dass beides zusammenkommen muss, um die Wettbe- werbsfähigkeit zu erhöhen. Hinweise und Belehrungen der Oppositionsparteien im Bundestag an die Regierung zu Wachstum sind deshalb so unverständlich wie über- flüssig und – im Rückblick auf den aktuellen Brüsseler Gipfel – geradezu schädlich. Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die Bundesregierung haben in den vergangenen Monaten mit ihrer Haltung geholfen, in den Mitgliedstaaten wich- tige Reformen anzustoßen und auf den Weg zu bringen. Mit den Einzahlungen in den ESM, aber auch mit der Übernahme der Haftungsrisiken übernimmt Deutschland eine wichtige solidarische Rolle. Auch bei Wachstums- impulsen über den EU-Haushalt ist letztlich die Bundes- republik mit Zahlungen beteiligt. Diese Solidarität halte ich dem Grunde nach auch für richtig. Gerade Ostdeutschland, aber auch andere struk- turschwache Regionen in Deutschland profitieren von der Solidarität in Europa. Das wirtschaftliche, aber auch das ideelle Europa, das uns Wohlstand, Frieden und Frei- heit sichern soll, kann und sollte uns dies wert sein. Der gleichzeitig notwendige Reformweg in den Ländern muss aber von den jeweiligen Regierungen und Parla- menten getragen werden. Subsidiarität und nationale Eigenverantwortung waren bislang Grundprinzipien des geeinten Europas. Sie sind keine Schönwetterregeln und sollten auch in schwierigen Krisenzeiten Bestand haben. Keine noch so große Krise darf dazu führen, dass wir diese zentralen Bausteine Europas einfach en passant aufgeben, um gegebenenfalls vorübergehend Zinsvor- teile für die Refinanzierung einzelner Staaten zu gewin- nen. Richtigerweise hat das Bundesverfassungsgericht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22769 (A) (C) (D)(B) erst aktuell darauf hingewiesen, dass wir unseren grund- gesetzlichen Rahmen überdenken müssen, wenn ein an- deres, intensiver integriertes Europa gebaut werden soll. Nach meiner festen Überzeugung muss dieser Dis- kussionsprozess in den politischen Institutionen Deutschlands, aber auch und gerade mit unserer Bevöl- kerung geführt werden. Was ist uns in Deutschland Europa wert, ideell und ökonomisch? Was sind wir be- reit und in der Lage, an nationalen Souveränitätsrechten und finanziellen Ressourcen abzugeben, um Europa sta- bil zu halten und auch selbst Vorteile aus dieser Stabilität zu erlangen? Welche Rolle wollen und können wir Deut- sche in Europa spielen? Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass wir über mehr als Transferleistungen reden, dass es um mehr als tagespolitische Einzelentscheidungen geht. Wir sind inmitten von Fragen nach einem Grundverständnis von Europa, darüber, welche Lasten und Einschnitte wir bereit sind, mitzutragen, um Wohlstand, Freiheit und friedlichen Austausch dauerhaft zu sichern. Wir stehen dabei an einschneidenden Weggabelungen. Die finan- zielle Not wird dazu führen, uns den damit verbundenen Fragen stellen zu müssen. Die Diskussion hierüber ist notwendig und überfällig. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann dem Fiskalpakt nicht zustimmen, weil er nicht aus- reichend von Maßnahmen flankiert wird, die wirklich den Zinsdruck von den europäischen Krisenländern neh- men. Die Beschlüsse, die in der Nacht zum 29. Juni auf dem EU-Gipfel in Brüssel gefasst wurden, gehen zwar teilweise in die richtige Richtung, schwächen jedoch die Rechte des Europaparlaments und werden in der Sache nur temporär begrenzte Effekte haben. Ich befürchte, dass die eiserne Sparpolitik, die mit- hilfe des Fiskalpakts allen Vertragspartnern auferlegt werden soll, die in Bedrängnis geratenen Länder noch tiefer in die Krise treiben und dort zu Sozialabbau und dem Verkauf staatlicher Infrastruktur (also unter ande- rem zur Privatisierung von Krankenhäusern, Universitä- ten und der Eisenbahn) führen wird. Mir ist sehr wohl bewusst, dass in den Krisenländern große Eigenanstrengungen notwendig sind (Stärkung ef- fektiver Finanzämter, mehr Steuergerechtigkeit, Aufbau eines funktionierenden Katasterwesens und auch Spar- maßnahmen). Es dürfen aber keine Maßnahmen direkt oder indirekt erzwungen werden, die die Aussicht auf eine wirtschaftliche Erholung gen null laufen lassen und die zu sozialen Verwerfungen führen. Trotz großer Bedenken aufgrund seiner Konstruktions- fehler und des Mangels an Transparenz und parlamentari- scher Kontrolle werde ich in einem anderen Abstim- mungsgang dem ESM zustimmen, weil mir das schnelle Hochziehen einer Brandmauer zur Abwehr von Spekula- tionsangriffen jetzt notwendig erscheint. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Form richtet meines Erachtens aber mehr Schaden als Nutzen an. Ich fühle mich in der wirtschaftlichen Analyse und der Bewertung des Fiskalpakts einig mit vielen Finanz- expertinnen der grünen Bundestagsfraktion und der grü- nen Fraktion im Europaparlament. Auch mit dem Ent- schließungsantrag meiner Fraktion zum Fiskalpakt bin ich einverstanden. Unterschiede gibt es jedoch in der Interpretation bzw. in den Schlussfolgerungen, die aus der äußerst knappen Entscheidung der Sondersitzung des Länderrats von Bündnis 90/Die Grünen gezogen werden können. In meinen Augen ist es weder eine Missachtung des Län- derrats noch eine Kritik an denjenigen, die für Bündnis 90/Die Grünen die Kompromisse mit der Koali- tion ausgehandelt haben (und dabei in Sachen Finanz- transaktionsteuer auch wichtige Teilerfolge errungen ha- ben), wenn eine Minderheit in der Fraktion nach Abwägung aller Pros und Kontras dem Fiskalpakt die Zustimmung verweigert. Uns alle eint in der grünen Bundestagsfraktion und überhaupt in allen Gliederungen von Bündnis 90/Die Grünen die Überzeugung, dass die Krise in Europa nur mit mehr und nicht mit weniger Europa gelöst werden kann. Aus einer Währungsunion muss so schnell wie möglich auch eine Wirtschafts- und Solidarunion wer- den, die sich in Europa und weltweit für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung ein- setzt. Heiner Kamp (FDP): Vor dem Hintergrund von Schuldenbergen und Bankenkrisen in vielen Ländern der Europäischen Union machen sich die Menschen Sorgen um ihre eigene Zukunft, ihr Erspartes und um die Zu- kunft und Stabilität ihrer Länder und Europas. Gleichzeitig werfen die Instrumente zur Bekämpfung dieser Risiken viele Fragen auf, wie etwa: Reichen die Maßnahmen aus? Ist es gerecht, sich anzustrengen, wenn betroffene Länder nicht die notwendigen Reformen be- ginnen? Sichern die Maßnahmen unser Geld, oder ver- nichten sie es? Selbstverständlich teile ich diese Sorgen. Aber diese Krisen sind erstmalig. Die Mechanismen zur Bewältigung sind neu. Niemand kann definitiv Aus- sagen darüber treffen, ob, wann und wie die Maßnahmen greifen. Unterlassenes Handeln würde in dieser Situation aber unkalkulierbare Kettenreaktionen auslösen. Heute entscheiden wir nun über den Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ich stimme beiden nach Abwägung aller Risiken aus folgenden Gründen zu: Ich bin erstens davon überzeugt, dass ein geeintes, friedliches und stabiles Europa größter Anstrengungen wert ist. Eine wichtige Grundlage, um diesen Zustand zu erhalten und zu stärken, sind solide Staatsfinanzen der einzelnen Mitgliedstaaten. Der Fiskalpakt legt hierfür unter anderem durch die Einführung einer Schulden- bremse die Grundlage. Dafür ist die Disziplin aller Be- teiligten bei seiner Umsetzung notwendig. Ich bin zweitens davon überzeugt, dass die Insolvenz eines Mitgliedstaates unkalkulierbare Folgen für die 22770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Währungsunion und die Europäische Union als Ganzes sowie letztlich für den einzelnen Bürger hätte. Die Schutzwirkung des ESM gibt den Mitgliedstaaten die nötige Zeit, Reformen umzusetzen. Gleichzeitig ist er ein starkes Signal an die Finanzwelt, dass Europa ge- schlossen zur Bewältigung der Krise bereit ist. Eine weiter gehende europäische Integration darf al- lerdings nicht unter dem Druck der Staatsschuldenkrise ohne die Beteiligung der Bürger und deren gewählter Vertreter geschehen. Ich fordere deshalb die Regierun- gen der Mitgliedstaaten auf, der allgemein empfundenen Furcht vor einem zentralistischen Europa mit Maßnah- men auf europäischer Ebene entgegenzuwirken, die die Mitbestimmungsrechte von Parlament und Volk stärken. Europäische Integration darf aber nicht bedeuten, dass wir die Fehler einzelner Mitgliedstaaten vergemein- schaften. Ich will ein geeintes, aber kein vereinheitlich- tes Europa. Es ist wichtig, die Vielfalt der Ideen und Lö- sungen zu erhalten. Der Wettbewerb der Ideen und verschiedenen Wege ist ein Grund für die kulturelle und wirtschaftliche Stärke Europas. Harald Koch (DIE LINKE): Ich lehne den Fiskalpakt ab, weil ich weiter für ein demokratisches, soziales und solidarisches Europa kämpfe. Spardiktate sparen Europa kaputt. Die Kürzungspoli- tik kürzt Demokratie und Arbeiterrechte. Sie verschärft die Krise und führt tiefer in die Rezession. Ein weiterer Abbau von Löhnen, Renten und Sozialleistungen be- gräbt so langsam die europäische Idee. Ureigene Rechte der Parlamente wie das Haushaltsrecht werden einge- schränkt. Ist der Fiskalpakt ratifiziert, kann ihn kein Land allein wieder aufkündigen. Austerität wird zum Dogma der EU. Dafür sind die Ursachen der derzeitigen Finanzkrise in der fehlenden strikten Regulierung der Finanzmärkte, in der fatalen Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten sowie in den Leistungsbilanzungleichge- wichten innerhalb des Euro-Raumes zu suchen. Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) stellt ein weiteres Bankenrettungspaket dar. Die Hilfsgelder kom- men nicht den Menschen zugute. Wer Hilfsgelder will, muss sich dem Kaputtsparzwang ergeben. Lasten der Wirtschaftskrise werden mehr und mehr auf die Bürger abgeschoben. Ihre demokratischen Mitbestimmungs- rechte versiegen aber stärker als dass sie zunehmen. Die ohnehin finanziell klammen Kommunen bluten zudem vollends aus. Ich fordere deshalb, die Profiteure und Verursacher der Krise ausreichend an den Kosten zu beteiligen. Ohne eine drastische Besteuerung hoher Vermögen, hoher Ein- kommen und von Finanztransaktionen gibt es keinen Weg aus der Krise. Europa braucht dabei nachhaltige Wachstums- und Investitionsprogramme. In Deutschland brauchen wir geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage – unter anderem Mindestlohn – für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen – unter anderem Gemeindewirtschaftsteuer – und für den Abbau von Leistungsbilanzungleichgewichten. Ich will ein solidarisches Eüropa mit mehr demokrati- schen Mitwirkungs- und Entscheidungsrechten der Bür- gerinnen und Bürger. Ich will mehr Demokratie und mehr Sozialstaat. Deshalb verweigere ich dem Fiskal- pakt meine Zustimmung. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus- gangspunkt meiner Entscheidung ist meine politische Überzeugung, dass die Europäische Integration für eine solidarische, demokratische und ökologische Europäi- sche Union vorangetrieben werden muss. Die friedens- stiftende Idee Europas gilt es zu bewahren. Doch die Krisen haben das Undenkbare plötzlich möglich ge- macht: Das Auseinanderbrechen der Euro-Zone ist wahrscheinlich, wenn nicht geeignete Gegenmaßnah- men ergriffen werden. Zunächst ist es aber wichtig, die Ursachen der Wirt- schafts-, Finanz- und Verschuldungskrisen zu analysie- ren. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um den Kollaps zu verhindern. Hinzu kommt die Schwäche des europäischen Banken- systems, die massive Überschuldung privater Haushalte, Immobilienblasen und massive ökonomische Ungleich- gewichte sowie die dramatische Ungleichverteilung von Vermögen. Diese Ursachen wurden von der Bundesre- gierung nicht konsequent bekämpft, was wir Grünen im- mer heftig kritisiert haben. Inzwischen birgt die Krise enorme Risiken mit unabsehbaren Folgen für unser Ge- meinwesen. Vor diesem Hintergrund sind die Signale zu bewerten, die von den Abstimmungen im Deutschen Bundestag ausgehen. Die vorliegenden Gesetze begleiten einen Prozess, der noch nicht zum Ende gekommen ist. Viel bleibt zu tun. Daher unterstütze ich ausdrücklich die von der grünen Fraktion erreichten veränderten Ausrichtun- gen der deutschen Politik. Doch es muss noch viel mehr geschehen. Um einen deutlichen Politikwechsel einzu- leiten, wären wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zinsdrucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen Altschuldentilgungsfonds. Es ist bitter, dass die Kanzlerin bislang ihren törichten Weg weiterverfolgt, ei- nen solchen Fonds nicht aufzusetzen. Außerdem tut sie nichts, um in der deutschen Bevölkerung für den Weg für ein besseres, integrativeres, solidarischeres und soli- deres Europa zu werben. Ich befürworte den ESM, weil er eine dauerhafte Fi- nanzinstitution schafft, der alle Euro-Staaten angehören werden. Er soll ab Juli dieses Jahres in Kraft treten, und seine Aufgabe wird sein, am Markt Geld aufzunehmen und Stabilitätshilfen zu günstigeren Konditionen an Euro-Staaten mit gravierenden Finanzierungsproblemen weiterzugeben. Das ist ein sehr wichtiges Signal für die von den Krisen gepackten Länder wie Spanien, Italien und Zypern. Aber auch beim ESM ist noch vieles ver- besserungswürdig, auch der ESM muss weiter sehr kri- tisch begleitet werden, weil noch zahlreiche Fallstricke enthalten sind. Ich stimme dem Fiskalpakt nach reiflichem Abwägen zu. Es ist nicht leicht, einen stimmigen Weg durch die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22771 (A) (C) (D)(B) äußerst unterschiedlichen und sich widersprechenden Argumente zu finden. Beim Abklopfen der Inhalte des Fiskalpakts ist festzustellen, dass dieser für die jetzige Situation in mehrfacher Hinsicht das falsche Instrument ist. Der Pakt ist zum einen ein Ablenkungsmanöver der Bundesregierung, um die verantwortungslose Verweige- rung gegenüber wirklichen Lösungen zu legitimieren. So tritt er erst zum 1. Januar 2013 in Kraft, obwohl es heute darum gehen müsste, einen Ausweg aus der Krise für Spanien, Italien und Zypern zu finden. Außerdem be- steht durchaus die Gefahr, dass dieser Pakt in den Jahren ab 2014 zu massiven wirtschaftlichen Problemen in Eu- ropa führt. Aber der Fiskalpakt ist so neu nicht – einige der Re- gelungen – zum Beispiel die Beschreibung eines Schul- denabbauplans – sind bereits durch das Sixpack be- schlossen. Was den Fiskalpakt aber weniger dramatisch macht, ist seine tendenzielle Unverbindlichkeit und Ab- schwächungen, die auch durch den aktuellen EU-Gipfel vorgenommen wurden. Der Fiskalpakt ist nicht in Stein gemeißelt, er operiert zum Beispiel innerhalb der Regeln zum ausgeglichenen Haushalt in den schon in Deutsch- land gesetzten Grenzen oder verweist zum Beispiel beim Korrekturmechanismus auf die uneingeschränkte Wah- rung der Vorrechte der nationalen Parlamente. Er ist in durchaus relevanten Bereichen pflaumenweich formu- liert und hat deshalb voraussichtlich nicht die von vielen befürchtete Wirkung. Dennoch müssen wir sehr auf- merksam verfolgen, wie es weitergeht, denn ob die Risi- ken, insbesondere bei der Frage der Schuldenbremse, wirklich einzudämmen sind, wird künftig zu klären sein. Meine Fraktion hat sich entschieden, die politischen Prozesse konstruktiv und proeuropäisch voranzutreiben. Was mir ein Ja auch ermöglicht, ist der Umstand, dass die Verhandlungen Erfolge hatten. Nachdem unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht über die Mit- wirkungsrechte des deutschen Bundestages erfolgreich war, konnten wir durchsetzen, dass das entsprechende Gesetz jetzt hinsichtlich des Fiskalpakts und ähnlicher europäischer Konstruktionen eine ausdrückliche Klar- stellung erhält. Last, but not least – die Finanztransaktionsteuer. Eine solche wird jetzt auf den Weg gebracht. Als Entwick- lungspolitikerin freut mich das besonders, denn der jah- relange Kampf für eine Steuer, die hoffentlich auch zur Bekämpfung der Armut eingesetzt wird, zeigt endlich Wirkung. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Europäische Union und der Euroraum befinden sich in einer der schwersten Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Einige Mitgliedstaaten sind mit massiv gestiegenen Zinsforderungen für ihre Kredite konfron- tiert, ihnen droht der Staatsbankrott. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines solchen Bankrotts auf andere mit ihnen eng verwobene Volkswirtschaften sowie die poli- tischen Konsequenzen für die weitere europäische Inte- gration wären desaströs. Die Ursachen der Krise sind mannigfaltig. Sie reichen von fehlender Regulierung von Finanzmärkten und Ban- ken, spekulativen Finanzgeschäften über mangelnde Haushaltsdisziplin, der Finanzierung von Konjunktur- paketen bis hin zu erheblichen Leistungsbilanzdefiziten. Um der Krise zu begegnen, sind verschiedene Maß- nahmen notwendig. Rettungsschirme müssen aufge- spannt werden, um den betroffenen Ländern wieder eine Refinanzierung zu ermöglichen und somit deren Zah- lungsunfähigkeit abzuwenden. Verbindliche Regeln, wie Grenzen für nationale Defizite und Schuldenbremsen, müssen zur Sicherstellung nachhaltiger und stabiler Haushaltspolitik eingeführt werden. Die Finanzmärkte müssen reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt werden. Die bestehenden Schulden müssen konsequent zurückgeführt werden. Nicht zuletzt müssen den ange- schlagenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Perspekti- ven aufgezeigt werden – wir brauchen Investitionspro- gramme in nachhaltige Technologien, beispielsweise in den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien. Der Deutsche Bundestag hat heute mit der Entschei- dung für den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Fiskalpakt entlang dieser Linien die Wei- chen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euros und der Europäischen Finanzmärkte gestellt. Mit dem ESM wird dem Euro-Raum ein permanenter Rettungsschirm zur Verfügung stehen. Ausgestattet mit einem eigenen Kapitalstock wird er dazu in der Lage sein, in Not geratene Staaten bei ihrer Refinanzierung zu unterstützen. Der Fiskalpakt ist eine notwendige Ergänzung des ESM. Er stellt verbindliche Regeln zur Erstellung kon- solidierter Haushalte auf. Die Mitgliedstaaten verpflich- ten sich mit ihm zudem zur Einführung nationaler Schul- denbremsen. Diese Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Haushaltskonsolidierung muss sowohl aus der Stei- gerung von Einnahmen als auch aus hoher Disziplin bei den Staatsausgaben bestehen. Im Zuge der Verhandlungen zu ESM und Fiskalpakt konnten durch eine erfolgreiche grüne Verhandlungsfüh- rung noch weitere wichtige Maßnahmen vereinbart wer- den: Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer werden die Märkte endlich an den Kosten der Krise beteiligt. Investitionsimpulse, vor allem für nachhaltige Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz wer- den für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgen. Nicht zu- letzt wird es eine stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträgen an den ESM geben. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommunen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich begrenztere Möglich- keiten zur Refinanzierung haben. Mit der Einigung zu ESM und Fiskalpakt haben wir viel erreicht. Gleichwohl stehen weitere wichtige Ent- scheidungen aus. So konnten wir uns nicht auf die Ein- führung eines gemeinschaftlichen Schuldenabbaus eini- gen. Mit ihrer Blockadehaltung in dieser Frage gefährdet 22772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) die Kanzlerin die positive Wirkung von ESM und Fis- kalpakt. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen. Weiterhin gilt es, Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter auszubauen. Solche Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbewältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäi- sche Parlament muss in seiner Entscheidungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäi- sche Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Europa. Ich habe mich dazu entschlossen, für ESM und Fis- kalpakt zu stimmen. Die Initiativen enthalten nicht alle unsere Forderungen. Ich bin dennoch davon überzeugt, dass sie einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung der Schuldenkrise darstellen und wichtige grüne Forderun- gen umsetzen. Ich will mit meiner Zustimmung das europäische Projekt vor einem herben Rückschlag bewahren. Ich bekenne mich klar zu Europa und will nun auch dafür einstehen. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Durch die ak- tuellen Ereignisse und Entwicklungen in der Euro-Zone sehe ich mich in meiner kritischen Haltung zur bishe- rigen Euro-Rettungsschirmstrategie bestätigt. Daher werde ich auch dem permanenten Rettungsschirm, ESM, nicht zustimmen. Wie alle Rettungsschirme zuvor löst auch ein dauerhafter Rettungsschirm nicht die grund- legenden Probleme der Euro-Zone. Im Kern haben wir es mit einer Krise der preislichen Wettbewerbsfähigkeit in den südlichen Mitgliedstaaten zu tun. Dort sanken die Zinsen infolge der Euro-Einfüh- rung auf das deutsche niedrige Niveau. Das wiederum führte zu einem kreditfinanzierten Boom, die Löhne und Preise explodierten in diesen Ländern innerhalb von zehn Jahren um mehr als 30 Prozent. Die jetzige Rettungsschirmpolitik zielt darauf ab, die Zinsen auch auf lange Sicht künstlich niedrig zu halten. Dies kann jedoch nicht gelingen; denn niedrige Zinsen sind nicht die Lösung, sondern Auslöser der Krise gewe- sen. Damit hat man zwar Zeit gekauft, aber gleichzeitig auch einen Wettlauf gegen die ökonomische Realität be- gonnen, den man nicht gewinnen kann. Das zeigt sich nun mit voller Wucht; der viel befürchtete Dominoeffekt ist längt da. Fast alle Südländer befinden sich im Ret- tungsmodus. Die Euro-Krise hat sich zu einer umfassen- den Vertrauenskrise weiterentwickelt, die die Währungs- union nun als Ganzes gefährdet. Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir uns vom Man- tra, wonach die 17-Euro-Länder eine nicht trennbare Schicksalsgemeinschaft bilden, endlich befreien. Die Finanzmärkte lassen sich nämlich nicht mit mehr Geld beruhigen, sondern nur mit politischer Konsequenz. Mit anderen Worten: Was wir brauchen, sind keine immer größeren Brandschutzmauern, sondern eine Staaten- insolvenzordnung und ein Verfahren zur Suspendierung von der Euro-Zone, sodass es letztlich nur noch zwei Möglichkeiten gibt: Sanierung oder Insolvenz. Dies würde die Durchsetzbarkeit von Einsparungen und Strukturreformen stärken. Zugleich würde einem Staat, der auf absehbare Zeit seine Wettbewerbsfähigkeit in der Euro-Zone nicht wiedergewinnen kann, ein gangbarer Weg außerhalb der Euro-Zone eröffnet. Der ESM geht in eine andere Richtung. Er setzt keine Anreize für ein Umdenken. Mit der Erlaubnis zum An- kauf von Staatsanleihen beispielsweise werden vielmehr die Schulden vergemeinschaftet. Ich befürchte, dass da- mit der Weg in die Transferunion zementiert wird, zumal schon heute absehbar ist, dass viele der vergebenen Kre- dite niemals zurückgezahlt werden. Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich halte den perma- nenten Stabilitätsmechanismus für notwendig, um eine erneute Verschärfung der Euro-Krise und einen Zusam- menbruch der Staatshaushalte weiterer Mitgliedsländer der Euro-Zone zu verhindern. Kernanliegen muss es der- zeit sein, die Europäische Währungsunion vor den Aus- wirkungen unverantwortlicher Spekulationen zu schüt- zen. Das geht nur durch ein Zeichen der Solidarität der einzelnen Mitgliedsländer der Euro-Zone untereinander gegenüber den Akteuren des Finanzmarkts. Eine weitere Destabilisierung des Euro könnte nicht nur zum Zerfall der gemeinsamen Währung führen, son- dern würde auch die Existenz der Europäischen Union als solche gefährden. Eine derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Bürge- rinnen und Bürger am Herzen liegt. Allerdings impliziert die Übertragung von elementa- ren Rechten auf nicht demokratisch legitimierte Institu- tionen – Gouverneursrat, Direktorium –, wie sie zurzeit vorgesehen sind, grundlegende verfassungsrechtliche Probleme. Es gilt, einen Ausgleich zwischen der Hand- lungsfähigkeit entsprechender Institutionen und ausrei- chender parlamentarischer Kontrolle herzustellen. Mei- nes Erachtens ist deshalb vor allem bei der weiteren Ausgestaltung der Institutionen des permanenten Stabili- tätsmechanismus darauf zu achten, dass Hoheitsrechte des Bundestages gewahrt und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts gestaltet werden. Es ist daher zwingend geboten, bei der Implementierung des Vertrags dafür zu sorgen, dass die demokratische Legitimation stets die Richt- schnur bildet. Den Fiskalpakt lehne ich jedoch ab, da er den Verfas- sungsgesetzgeber völkerrechtlich im Rahmen seines Budgetrechts ewig bindet. Damit wird in das Demokra- tieprinzip unseres Grundgesetzes unverhältnismäßig ein- gegriffen. Darüber hinaus erhält die Europäische Kom- mission maßgebliche Befugnisse fiskalpolitischer Art einschließlich einer Klagemöglichkeit vor dem Europäi- schen Gerichtshof. Eine derartige Übertragung auf der- zeit nicht ausreichend demokratisch legitimierte europäi- sche Institutionen halte ich nicht für vertretbar. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Eu- ropa sollten jenseits der aktuellen Rettungsmaßnahmen ein Bild eines demokratischeren und handlungsfähigeren Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22773 (A) (C) (D)(B) Europas entwickeln. Das setzt eine engere Zusammenar- beit voraus, die letztlich eine Grundlage dafür bildet, politische Mehrheiten zu schaffen, auch in Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen ist: nämlich eine wirkliche politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozialunion auf- zubauen. Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn die politische Union geschaffen werden soll. Derartige europäische Pläne werden letztlich auch die Übertragung nationaler Souveränitätsrechte an dann geschaffene demokratisch legitimierte, europäische Institutionen be- inhalten müssen. Dieses wird die Weiterentwicklung des deutschen Grundgesetzes mit einschließen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in ihrer Weisheit bereits durch Art. 146 des Grundgesetzes diesen Weg beschrieben, indem sie eine Öffnungsklausel aufgenom- men haben, die die Weiterentwicklung der Verfassung durch eine Entscheidung des deutschen Volkes vorsieht. Eine solche Entscheidung muss sorgfältig vorbereitet werden. Weite Teile des Grundgesetzes können beibe- halten werden. Es gilt, ein neues Verhältnis von Europa, der Bundesrepublik, den Bundesländern und den Kom- munen zu entwickeln. Die Zeit sollte nicht fahrlässig verschwendet werden. Die Zeit ist reif für einen solchen Prozess. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In ei- ner schwierigen Krisensituation hat der Deutsche Bun- destag heute mit der Entscheidung für den ESM und den Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euro und der Europäischen Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig getroffenen Ver- einbarungen zur Einführung einer Finanztransaktion- steuer, die Zusagen für mehr nachhaltige Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz sowie die Verpflich- tung zur starken parlamentarischen Beteiligung bei Hilfsanträgen an den ESM sind wichtige und notwen- dige Schritte zur Stabilisierung der EU und Stärkung der Demokratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnah- menpaket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine starke grüne Handschrift trägt. Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt. Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland, Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie- gen und die soziale Schieflage hat sich weiter verschärft. Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht. Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo- balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt- schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen. Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu- sammenschlüsse von Staaten, die bisher auf eigene Rechnung handeln, auch wenn sie sich europäischen Sparvorhaben unterwerfen. Europa muss beweisen, dass verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlossenem Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in Verbin- dung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen für ein solches entschlossenes Handeln. Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind auch der von der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im Fiskalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen- dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver- pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und der Ver- ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommunen die finanziellen Folgen des Fiskalpakts mittragen können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich begrenztere Möglichkeiten zur Refi- nanzierung haben. Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver- pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In- vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik und mit dem ESM stärkt die wirtschaftliche Leistungs- fähigkeit der EU und ist so auch in unserem ureigenen Interesse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinander- brechen der Euro-Zone und damit einen großen Rück- schritt in der Europäischen Integration mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, son- dern für Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro- Gipfels vom 28. Juni 2012 gehen in die richtige Rich- tung, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken und den Teufelskreis aus Banken- und Staatsschulden- krise zu durchbrechen. Wichtige Schritte zur Bereitstel- lung von notwendigen Investitionsmitteln wurden ver- einbart. Es sind aber weitere Schritte zur Lösung der Euro- Krise nötig. Ein konkreter und realistisch umsetzbarer Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverstän- digenrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro- Zone. Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des Schul- denabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd und un- verantwortlich, wenn die Kanzlerin sich einer inhalt- lichen Debatte um konkret zu ergreifende Maßnahmen verweigert. Sie wird schon bald in diesem Punkt umden- ken müssen. Mit ihrer Weigerung einer realistischen Alt- schuldenregelung gefährdet sie die positive Wirkung von ESM und Fiskalpakt. Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden. Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit 22774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbe- wältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäische Parlament muss als europäischer Ge- setzgeber und Kontrolleur europäischer exekutiver In- stanzen gestärkt und eine echte Exekutive, also eine eu- ropäische Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung nationalstaatlicher Kompetenzen auf Eu- ropa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem Schul- denabbaupfad, Stärkung von Investitionen und demokra- tischer Entwicklung Europas wird die Krise überwunden werden können. Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak- tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö- sung. Deswegen stimme ich heute für den Fiskalpakt und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes Europa entschieden. Heute gilt es, dafür einzustehen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir sind in einer dramatischen Situation. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann, verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen der Bundes- regierung waren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät kamen und zudem unzureichend waren. Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart und den strukturellen Reformbedarf im Finanz-, Steuer- und Wirtschaftssystem ignoriert, verschärft die Krise, die ähnliche Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren. Auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Antwort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessen- den Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Energieversorgung eine ökologische Komponente haben muss. Wir brauchen also einen „Green New Deal“. Nur Sparen allein hilft in der Krise nicht. Wir brau- chen eine Richtungsänderung in der Politik. Deshalb hat Bündnis 90/Die Grünen Verhandlungen über die Ratifi- zierung des Fiskalpakts geführt und viel erreicht. Mit der Verständigung auf ein Investitionsprogramm ist die Bundesregierung ein Stück weit von ihrer falschen Spar- politik abgerückt. Mit der geplanten Einführung der Finanztransaktionsteuer wird es eine Wende in der Steu- erpolitik geben. Damit werden die Finanzmärkte endlich an den Kosten der Krise beteiligt. Den Verhandlungsergebnissen gebührt Anerkennung und Respekt. Dennoch konnten meine Bedenken über die sozialen Folgen des Fiskalpakts auch mit den Ergeb- nissen der Verhandlungen nicht ausgeräumt werden. Für mich bleibt der Fiskalpakt in der gegenwärtigen Situa- tion nicht der richtige Weg zur nachhaltigen Konsolidie- rung der Haushalte der europäischen Länder. In diesem Sinne besteht letztendlich die Gefahr, dass der Fiskal- pakt die Euro-Krise verschärft. Vor allem aber richtet sich der Fiskalpakt meiner Meinung nach gegen die Inte- ressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner und der sozial Benachteilig- ten in Europa. Er verschärft die soziale Schieflage in den betroffenen Nationalstaaten und spitzt die Krise der europäischen Integration weiter zu. Die Staaten der Europäischen Union müssen gerade in der Krise zeigen, dass sie das europäische Sozialmodell ernst nehmen. Sie haben sich in den Verhandlungen der vergangenen Nacht in der Tat bewegt. Die vereinbarten Punkte wie ein erleichterter Zugang zu den Rettungsschirmen und eine europäische Bankenaufsicht gehen in die richtige Rich- tung. Aber auch diese Schritte sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend. Deshalb werde ich dem Fiskalpakt nicht zustimmen. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Form gefährdet den sozialen Zusammenhalt in Europa. Neben der Bundes- republik Deutschland bindet der Fiskalpakt auch 24 wei- tere Staaten der Europäischen Union. Gerade die schwä- cheren Volkswirtschaften in Europa werden aber durch eine zu rigide Sparpolitik der öffentlichen Haushalte empfindlich getroffen. Schon heute sehen wir die sozial unausgewogenen Auswirkungen dieser Sparpolitik – in Griechenland, Portugal oder Spanien. Ich verfolge mit Entsetzen die immer neuen Meldungen über die immens steigende Jugendarbeitslosigkeit, Auswanderung, Per- spektivlosigkeit, Armutstendenzen und den sozialen Un- frieden in den genannten Ländern. Mich treibt die Sorge um, dass dieser Prozess sich noch verstärken wird. Der Fiskalpakt ändert nichts an den hohen Zinsen, die insbesondere die Defizitländer nach wie vor bedienen müssen. Hohe Zinsen führen dazu, dass die Wahrschein- lichkeit, Schulden zurückzahlen zu können, sinkt. Da- durch steigen die Zinsen noch weiter, ein Teufelskreis entsteht. Es ist zu befürchten, dass der Fiskalpakt einen noch stärkeren Druck auf die nationalen Regierungen und damit auch auf die Sozialsysteme ausüben wird. Die Defizitländer können nur mit radikalen und überstürzten Sparprogrammen reagieren. Der Sparpolitik wurden zwar durch die Verhandlungen Investitionen zur Seite gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der einseitige Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht aber weiterhin ungebrochen und wurde auch nicht mit sozial verträglichen Regeln unterlegt. Letztlich muss ich nach wie vor davon ausgehen, dass der Fiskalpakt erheb- liche soziale Lasten mit sich bringt, die für mich nicht akzeptabel sind. Massive Einsparungen bei Sozialausga- ben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bil- dungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern Europas weiter untergraben und gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben. Ich stehe zu den sozialen Zielen, die sich Europa ge- geben hat. So garantiert die europäische Sozialcharta beispielsweise die Tarifautonomie. In der Realität wird diese jedoch durch die Sparanstrengungen in Griechen- land untergraben. Im Rahmen der EU-2020-Strategie wurden wichtige Ziele zur Verhinderung von Arbeitslo- sigkeit und Armut vereinbart. Auch hier ist die Wirklich- keit eine andere. Durch den Fiskalpakt werden diese Ziele unerreichbar. Natürlich müssen alle europäischen Staaten langfristig ihre Schuldenquoten senken. Aber die Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten der Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer auch die Einnahmeseite in den Blick nehmen, und Ein- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22775 (A) (C) (D)(B) sparungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich ausgestaltet werden. Die Grundwerte von Europa – so- ziale Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben für mich auch in der Krise Bestand. Sie dürfen nicht nur hehre Worte bleiben, sondern müssen auch eingelöst werden. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Ausgestaltung wird dem nicht gerecht. Der Fiskalpakt leistet auch keinen Beitrag zur Über- windung der Euro-Krise. Denn die aktuelle Krise ist keine Staatsschuldenkrise, denn die europäischen Schul- denberge sind nicht das Ergebnis laxer Haushaltspolitik. In den meisten EU-Ländern kam es vor der großen Finanzmarktkrise 2008 zu keinem exzessiven Anstieg der Staatsausgaben. Im Gegenteil: Die öffentlichen Aus- gaben stiegen schwächer als das Sozialprodukt. In den heutigen Krisenländern, beispielsweise in Irland und Spanien, sank sogar die Schuldenlast. Die Schuldenquo- ten – der Anteil der Staatsverschuldung am Sozialpro- dukt – waren rückläufig. Erst die große Finanzmarktkrise ließ die Staatsschul- den europaweit explodieren. Die Bankenrettung machte aus privaten Schulden im Handumdrehen öffentliche Schulden. Konjunkturprogramme und Arbeitslosigkeit belasteten die öffentlichen Kassen. In der Folge kletterte die Schuldenquote aller Länder im Euro-Raum im Ge- samtdurchschnitt von rund 66 Prozent auf über 85 Pro- zent. Diese Auswirkungen der Finanzkrise dürfen nicht verschwiegen werden. Selbstverständlich müssen die Staatshaushalte konso- lidiert werden. Heute droht aber die Gefahr, dass der Fis- kalpakt den europäischen Staaten die Handlungsmög- lichkeiten nimmt. Wenn der Staat zum falschen Zeitpunkt kürzt, dann verlieren Firmen Aufträge und drosseln die Produktion, die Binnennachfrage bricht ein, und die Krise verschärft sich. Wenn staatliche Transfers gekürzt werden, können Erwerbslose und Bedürftige weniger Geld ausgeben. Damit verlängert dieser Nach- frageentzug im Abschwung die wirtschaftliche Talfahrt. In der Folge sinken Wachstum und Steuereinnahmen – Arbeitslosigkeit und Schulden aber steigen. Die katas- trophalen Folgen dieser einseitigen Sparmaßnahmen werden in Südeuropa schon heute, beispielsweise durch eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, sichtbar. Schuldenabbau darf eben öffentliche Investitionen nicht unmöglich machen. Die Staaten Europas müssen in ökologische Nachhaltigkeit, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investieren. Schließlich ist der langfristige Wert dieser Zukunftsinvestitionen größer als ihre Finan- zierungskosten. Defizite müssen auch über höhere Betei- ligung von hohen Einkommen und Vermögen an den ge- sellschaftlichen Belastungen abgebaut werden. Ebenso wird die vordringliche Frage der makroökonomischen Ungleichgewichte vom Fiskalpakt nicht gelöst. Hier müsste sich auch Deutschland endlich zu seiner Verant- wortung bekennen und eine Politik der Nachfragesteige- rung im Inland betreiben. Vor allem aber berührt der Fiskalpakt auch eine Kern- frage der Demokratie in der Europäischen Union. So ist der Fiskalpakt nicht innerhalb, sondern außerhalb der Europäischen Institutionen entwickelt worden. Er hätte seinen Platz innerhalb der Europäischen Vertragswerke haben können. Stattdessen wird der Fiskalpakt durch einen zwischenstaatlichen Vertrag in Kraft gesetzt. Dem Europäischen Parlament wird keine entscheidende Rolle zugedacht. Auch das lehne ich entschieden ab. Explizit unterstütze ich die weitergehenden Forderun- gen, die wir in einem Entschließungsantrag zur Abstim- mung bringen, denn ESM und Fiskalpakt werden die Krise kurzfristig nicht entschärfen. Wir fordern einen europäischen Altschuldentilgungs- fonds nach dem Vorschlag des Sachverständigenrats, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu mindern. Wir brauchen europaweite Vermögensabgaben, um Schulden sozial gerecht abbauen zu können. Notwendig sind insbesondere eine europäische Ban- kenunion mit europäischer Aufsicht, ein gemeinsames Einlagensicherungssystem und ein Bankenrestrukturie- rungsfonds, um die Kapitalflucht aus dem Süden zu beenden und die unselige Verquickung zwischen Ban- ken- und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen. Hier gab es aktuell durch die Verhandlungen der EU-Staats- und -Regierungschefs Bewegung. Allerdings ist wieder nur ein Teil der notwendigen Maßnahmen vereinbart worden. Der ESM muss perspektivisch zu einem echten euro- päischen Währungsfonds weiterentwickelt werden. Dazu bedarf es einer direkten Refinanzierung des ESM bei der Europäischen Zentralbank und der Möglichkeit, Anleihen aufzukaufen. Notwendig ist auf europäischer Ebene auch ein euro- päischer Steuerpakt, um den unfairen Steuerwettbewerb und das Steuerdumping innerhalb der EU zu vermeiden und Steuerhinterziehung, -vermeidung und -flucht zu bekämpfen. Die Bundesregierung muss ihre Forderung nach Kür- zung des EU-Haushalts 2014 bis 2020 um mindestens 100 Milliarden Euro aufgeben. Ansonsten wird ein Wan- del zugunsten von Beschäftigung, Wachstum, Innova- tion, Ausbildung und Forschung nicht zu erreichen sein. Schlussendlich brauchen wir einen europäischen Konvent, um mit breiter Beteiligung der Zivilgesell- schaft und der Sozialpartner die notwendigen Vertrags- änderungen hin zu einer Wirtschafts- und Solidarunion zu diskutieren und auf den Weg zu bringen. Alles zusammen zeigt: Meine Kritik am Krisenmana- gement der Bundesregierung ist groß. Insbesondere der Fiskalpakt ist für mich keine Antwort. Im Gegenteil, er verschärft die Krise und wird einem sozialen Europa, wie ich es mir vorstelle, in das ich Hoffnungen setze und für das ich politisch kämpfe, nicht gerecht. Mechthild Rawert (SPD): Ich werfe der Bundes- regierung, insbesondere Bundeskanzlerin Merkel, vor, das Parlament völlig unzureichend informiert und sich der parlamentarischen Debatte gestellt zu haben. Dieses nachweislich verfassungswidrige Verhalten ist unver- züglich zu ändern. 22776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Nach intensiver Überlegung werde ich – obgleich das politische, wirtschaftliche, finanz- und steuerpolitische Agieren der Bundesregierung völlig falsch ist – dem ESM und Fiskalpakt zustimmen. Ein Grund sind die Verhandlungserfolge der SPD, unter anderem Finanz- transaktionsteuer, Wachstums- und Investitionspakete, aber auch die Stärkung der Kommunen. Ich erwarte eine erstarkende Steuerpolitik durch den Bund, erwarte von uns allen aktive Schritte für ein soziales und politisches Europa. Ich werde meine Entscheidungsgründe in einem Bürgerbrief in meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöne- berg ausführlich und transparent – vergleiche Website – darlegen. Gerold Reichenbach (SPD): Ich lehne den Fiskal- pakt ab, weil er für die Finanzpolitik Europas und ihre künftige Weiterentwicklung das völlig einseitige Signal in Richtung einer reinen Austeritätspolitik setzt. In dieser Einschätzung haben mich die eindringlichen Warnungen vieler Ökonomen und führender Gewerk- schafter, die sich besorgt an uns Bundestagsabgeordnete gewandt haben, ebenso bestärkt wie diesbezügliche Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern. Das Ziel einer nachhaltigen Konsolidierung der Haushalte der europäi- schen Länder ist richtig und wichtig. Dieses Ziel wird mit dem einseitigen Instrument des Fiskalpakts jedoch nicht erreicht werden können, weil er die Frage gerecht organisierter Steuereinnahmen und nachhaltigen und umweltverträglichen Wachstums völlig ausklammert. Der Fiskalpakt ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsfinanzen und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat auch noch drastisch kürzt, dann beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Darum wird entgegen den Versprechen der Verfechter des Fis- kalpakts die Staatsverschuldung nicht sinken! Im Gegen- teil! Schuldenabbau geht nur anders: mit Wachstum, In- vestitionen, guter Arbeit und gerechten Steuern. Eine Sanierung der europäischen Finanzen wird nicht auf dem Weg des Sozialabbaus, der Einschränkung öf- fentlicher Dienstleistungen, schlechterer Infrastruktur, darbender Kommunalfinanzen, zunehmender Armut und Ungleichheit gelingen. Diese Form der Sanierung dient nur dazu, die Folgen der Finanzkrise einseitig auf die Bürger Europas abzuladen und die Verursacher und Pro- fitteure schadlos zu halten. Nicht laxe Haushaltspolitik ist der Hauptverursacher der Krise. Vor der Finanzkrise sind überall in Europa die Staatsschuldenquoten gesun- ken. Erst infolge der Finanzkrise und der notwendigen Rettungsmaßnahmen der Staaten gingen die Defizite in die Höhe. Die notwendigen Regulierungen für den Fi- nanzsektor und die finanzielle Beteiligung der Verur- sacher an den Kosten der Krisenbewältigung blieben je- doch weitgehend aus. Ersichtlich ist die Merkel’sche Politik gescheitert. Ihre seit mehr als zwei Jahren verord- nete Therapie macht den Patienten nicht gesund, sondern kränker. Ganz Südeuropa stürzt immer mehr in den wirt- schaftlichen und sozialen Ruin. Als Folge davon brechen jetzt deutsche Exporte ein, auch für Deutschland kom- men die Einschläge näher. Ich begrüße und anerkenne ausdrücklich, dass es der SPD und den europäischen Sozialdemokraten gelungen ist, mit der Durchsetzung der Finanztransaktionsteuer und der Etablierung eines europäischen Wachstumspro- gramms eine Richtungswende in der europäischen Poli- tik zu erreichen. Gleichwohl beschränkt sich die völker- rechtliche Bindung des Fiskalpakts auf eine reine Politik der Austerität. Meine Befürchtung ist, dass lediglich der völkerrecht- lich vereinbarte Mechanismus, so wie bei der Ausgestal- tung Europas nach den Maastrichter Verträgen, zur Grundlage der Weiterentwicklung der europäischen Politik wird. So wie Maastricht nur zu einem Europa der Märkte, des freien Waren- und Kapitalverkehrs und nicht zu einem Europa der Bürger als Grundlage taugte, so birgt der Fiskalpakt die reale Gefahr in sich, dass dem erneut nur eine Weiterentwicklung in eine reine Fiskal- politik folgt und das soziale Europa der Bürger wieder außen vor bleibt. Ein Europa, das aber nur dem Wirtschaftsverkehr und den Finanzmärkten dient, wird die Akzeptanz seiner Bürger endgültig verlieren. Aus dieser großen Sorge um die europäische Idee eines Europas der Solidarität und des Ausgleichs, das diesem kriegsgeplagten Kontinent nachhaltigen Frieden beschert hat, kann ich persönlich dem Fiskalpakt nicht zustimmen. Ich habe gleichwohl hohen Respekt vor meinen Fraktionskollegen, die mehr- heitlich in ihrer Güterabwägung zu einer anderen Ent- scheidung gekommen sind. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Den ESM in Verbin- dung mit dem Fiskalpakt erachte ich trotz aller Beden- ken als notwendiges Instrumentarium, um der europäi- schen Schuldenkrise mittelfristig begegnen zu können und kurzfristig Hilfeleistungen gewähren zu können, im- mer verbunden mit Auflagen zu Strukturreformen, die auf lange Sicht die Wettbewerbsfähigkeit der Problem- staaten wiederherstellen und diesen ermöglicht, sich wieder selbst am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Große Zweifel haben die Gipfelbeschlüsse der letzten Nacht aufgeworfen, die unter anderem eine direkte Re- kapitalisierung von Banken ohne Einschaltung des je- weiligen Staates enthalten – soweit dies heute aus der Presse und aus den Gesprächen verifiziert werden konnte. Dies ist im EFSF explizit ausgeschlossen und auch in den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzes- entwürfen nicht vorgesehen (Art. 15 ESM). Erstmals werde ich heute einem Vertrag zustimmen im vollen Bewusstsein, dass ein für mich zentraler Be- standteil bereits vor Vertragsunterzeichnung von den Verhandlungsführern auf europäischer Ebene bereits wieder infrage gestellt wird mit Zustimmung unserer Kanzlerin. Ich stimme dennoch zu, da ich – erstens von der Richtigkeit von ESM/Fiskalpakt über- zeugt bin, – zweitens am Inhalt der Gesetzentwürfe selbst sich seit gestern nichts geändert hat – allerdings an der poli- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22777 (A) (C) (D)(B) tisch geäußerten mittelfristigen Zielsetzung, die ich nicht teile, und – drittens mir heute mehrfach unter anderem von unse- rer Kanzlerin, unserem Außenminister und anderen versichert wurde, dass eine Aushebelung des Art. 15 nicht möglich ist ohne eine neuen Parlamentsbe- schluss und obwohl heute keine rechtsverbindliche Erklärung dazu vorlag, die ich in der Kürze der Zeit hätte prüfen (lassen) können – im Vertrauen auf die Richtigkeit der Ausführungen unserer Kanzlerin, die als Einzige den In- halt der gestrigen Verhandlungen mitbestimmt und mit- formuliert hat. Einer Aushebelung der Konditionierung, das heißt der Auflagen und Bedingungen für Staaten, die Hilfeleistun- gen anfordern, werde ich heute und in Zukunft nicht zu- stimmen. René Röspel (SPD): Ich bin überzeugt, dass auch innerhalb der EU Solidarität herrschen muss und wir als größtes europäisches Land und eine der stärksten Wirt- schaftsnationen in der Welt auch Verantwortung gegen- über schwächeren Ländern haben. Das bedeutet nicht, dass ich damit deren Steuereinnahme- oder Ausgabever- halten gutheiße. Ich sehe einige Bestandteile des ESM kritisch und andererseits die Notwendigkeit einiger Staa- ten, Geld aus dem ESM bekommen zu müssen. In der Abwägung dessen habe ich deshalb dem ESM zuge- stimmt. Mit dem sogenannten Fiskalpakt habe ich aus ökono- mischen und grundsätzlichen Gründen große Probleme: Ich halte den Fiskalpakt für ökonomisch falsch. Die zentrale Zielsetzung, das jährliche strukturelle Haus- haltssaldo des Gesamtstaates zu reduzieren und jedes Jahr ein Zwanzigstel des gesamtstaatlichen Schulden- standes abzubauen, der 60 Prozent des BIP überschrei- tet, hört sich gut an. Nach meiner Einschätzung wird das die wirtschaftliche und soziale Situation in vielen Län- dern verschärfen und eher zu Stagnation als zu Wachs- tum führen. Damit wird nicht nur das Ziel der Haus- haltsanierung und des Schuldenabbaus verfehlt, sondern mehr wirtschaftliche und soziale Probleme wie zum Bei- spiel Arbeitslosigkeit werden hervorgerufen. Bei der Krise des Euro-Raumes handelt es sich nicht um eine Staatsschuldenkrise, aber der Fiskalpakt bezieht sich nur auf diese. Insofern war der Verhandlungserfolg der SPD unter der Führung von Sigmar Gabriel sehr gut, der dazu ge- führt hat, dass sich die Regierung Merkel nun für die Fi- nanztransaktionsteuer und ein Wachstumsprogramm auf europäischer Ebene einsetzt. Es ist richtig und wichtig, was die SPD heraus ver- handelt hat, aber unabhängig davon bleiben für mich eine Reihe grundsätzlicher Probleme bestehen, unter an- derem: Erstens. Die Frage nach der Unabänderlichkeit und Rechtswirksamkeit des Fiskalpaktes. Ich habe im Ver- trag keine Möglichkeit zur Kündigung oder zum Aus- stieg gefunden, und ich komme an der Frage nicht vorbei, welchen Spielraum nachfolgende Parlamente überhaupt noch haben werden. Auch bei den Anhörun- gen sind dazu sehr unterschiedliche Auffassungen sei- tens der Sachverständigen vertreten worden. Entweder greifen die im Vertrag zudem unbestimmten „noch vor- zuschlagenden“ Möglichkeiten der EU-Kommission – am Bundestag vorbei – durch oder sie sind nicht rechtsverbindlich, und es handelt sich um reine Symbol- politik. Für beides stehe ich nicht zur Verfügung Zweitens. Die ungeklärten Auswirkungen auf Deutschland. Nach der Ein-Zwanzigstel-Regelung des Fiskalpakts muss der Bund jedes Jahr rund 25 Milliarden Euro Schulden abbauen bzw. einsparen. Bundesfinanzminister Schäuble plant für das Jahr 2013 eine Neuverschuldung von 19 Milliarden Euro und den Haushaltsausgleich für das Jahr 2015/16. Wie gleichzeitig 25 Milliarden Euro eingespart werden sollen, um den Fiskalpakt zu erfüllen, wird an keiner Stelle gesagt. Darauf gibt es aber nur drei Antworten: Erstens. Die Bundesregierung glaubt nicht an die Vor- gaben und plant jetzt schon die Nichteinhaltung des Ver- trages – das wäre eine üble Täuschung der Bevölkerung und der europäischen Partner. Zweitens. Um die 25 Milliarden Euro einzutreiben, werden Steuern erhöht. Am einfachsten durchzusetzen ist zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte. Dies trifft im Wesentlichen untere und mittlere Einkommen und Familien. Drittens. Es wird erhebliche Einsparungen im Haus- halt geben müssen – dies geht nur zulasten des Sozialbe- reiches und auf Kosten von Infrastruktur- und Bildungs- maßnahmen. Alle drei Antworten sind für mich nicht akzeptabel! Viele Fragen sind offengeblieben. Vielleicht hätte es noch Antworten geben können, aber die Bundesregie- rung hat einen nicht nachvollziehbaren und nicht akzep- tablen Zeitdruck aufgebaut, der das nicht zulässt. Auch aus diesen Gründen konnte ich nicht guten Ge- wissens zustimmen und habe daher beim Fiskalpakt mit Nein gestimmt. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Einrichtung des ESM ist notwendig zum Zusam- menhalt der Europäischen Union und des Euro. Mit der Ratifikation des Gesetzes kommt der Bundestag seiner Integrationsverantwortung im Sinne des Grundgesetzes nach. Das Bundesverfassungsgericht hat die Integra- tionsfreudigkeit des Grundgesetzes in seiner Rechtspre- chung mehrfach betont. Der ESM dient dem Schutz der europäischen Integration ebenso wie der Abwehr von Gefahren, die die Stabilität der Euro-Währungszone als Ganzes sowie des Euro als Währung bedrohen. Mit der Einrichtung des ESM kommt der Bundestag ebenfalls seiner Stabilitätsverantwortung nach. Gleichzeitig 22778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) kommt der Bundestag mit den Regelungen des ESMFinG zur fortlaufenden Beteiligung und Information des Bun- destages seiner Haushaltsverantwortung nach. Die Be- willigung von Gewährleistungen aus dem Bundeshaus- halt nach Art. 115 GG wird ergänzt durch zahlreiche fortlaufende Rechte des Bundestages, auf die Geschicke und die Beschlüsse der Entscheidungsgremien des ESM Einfluss zu nehmen. Insbesondere ist dieses der Fall, wenn der Bundestag durch Parlamentsvorbehalte die Politik der Bundesregierung im ESM vorab genehmigen muss. Es ist ein großer Erfolg gerade auch der Arbeit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, eine solche umfas- sende Beteiligung des Bundestages erreicht zu haben. Gleichzeitig ist es für die Stabilität der Euro-Zone eben- falls unerlässlich, dass der ESM als internationale Fi- nanzorganisation effektiv handlungsfähig ist. Zur Wah- rung der Rechte des Bundestages habe ich im Beratungsverlauf des ESMFinG entschieden dafür ge- stritten, einen Parlamentsvorbehalt vor der abschließen- den Entscheidung über eine Stabilitätshilfe nach Art. 13 Abs. 3 Satz 3 (Vereinbarung über die Finanzhilfefazili- tät) und Art. 13 Abs. 4 (Memorandum of Understanding) des ESM-Vertrags vorzusehen. Erst zu diesem Zeitpunkt ist es möglich, die wirtschaftspolitische Prognoseent- scheidung im Lichte der ausgehandelten und festgeleg- ten Konditionalitäten des hilfeersuchenden Staats zu treffen. Genau diese Entscheidung sollte aber öffentlich im Plenum stattfinden. Den Parlamentsvorbehalt für Entscheidung nach Art. 13 Abs. 2 des ESM-Vertrags halte ich hingegen für nicht angemessen. Eine obligato- rische zweifache Befassung des Plenums ist meiner An- sicht nach nicht notwendig, um die Mitwirkung des Deutschen Bundestages am Verfahren zur Gewährung einer Stabilitätshilfe sicherzustellen. Vielmehr errichtet diese Regelung aus meiner Sicht eine unverhältnis- mäßige politische Hürde für das Zustandekommen einer Stabilitätshilfe, die dem Interesse eines effektiven und raschen Zustandekommens von konkreten Verhandlun- gen über Stabilitätshilfe zuwider laufen. Ein solches effektives und rasches Handeln der ESM-Organe kann aber von entscheidender Bedeutung in einer zugespitzten Krisensituation sein. Zudem führt dieser Parlamentsvor- behalt zu einer übermäßigen Inanspruchnahme von Ple- narentscheidungen, ohne dass der Bundestag selber die Möglichkeit hätte, im Einzelfall abzuwägen, wie ge- wichtig bereits die Entscheidung des Art. 13 Abs. 2 des ESM-Vertrags für seine Haushaltsverantwortung ist. Meiner Ansicht nach wäre gerade im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 eine andere Regelung sinnvoller gewesen. Das Urteil betont ausdrücklich, dass auch der ESM und seine Entschei- dungen unter den Art. 23 GG fallen. Der im Art. 23 GG vorgesehene Regelfall der Beteiligung des Deutschen Bundestages über das Mittel der Stellungnahme und ins- besondere in der einfachgesetzlichen Ausprägung des EUZBBG mit dem Mittel der maßgeblichen Stellung- nahme aus § 9 Abs. 4 EUZBBG stellen aus meiner Sicht eine ausreichend starke Möglichkeit der Mitwirkung des Bundestages für Entscheidungen nach Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag dar. Tatsächlich ist es politisch kaum vor- stellbar, dass ein deutscher Vertreter in Gremien des ESM entgegen einer Stellungnahme des Bundestages ab- stimmt, außer eventuell in einer absoluten Notsituation. Eine heimliche Umgehung des Willens des Bundestages durch Nichtinformation wäre aufgrund des Urteils vom 19. Juni 2012 verfassungswidrig und damit so gut wie ausgeschlossen. Zudem kann der Bundestag durch das Mittel der maßgeblichen Stellungnahme eine ab- weichende Beschlussfassung des deutschen Vertreters ohne vorherige Konsultation bzw. ohne das Bemühen, ein Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen ver- hindern. Eine heimliche Umgehung ist somit vollends ausgeschlossen. Die Regelungen des Art. 23 in Verbin- dung mit dem EUZBBG reichen also vollkommen aus, um die Beteiligung des Bundestages vollumfänglich zu gewährleisten. Der Parlamentsvorbehalt bringt keine zu- sätzliche Qualität der Mitwirkung in Bezug auf eine sachliche und inhaltliche Einflussnahme auf die an- schließend stattfindenden Verhandlungen über Kondi- tionalität und konkrete Ausgestaltung der Finanzhilfe- fazilität. Der vorgesehene Parlamentsvorbehalt schließt somit letztlich nur die Möglichkeit der Bundesregierung aus, aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichende Entscheidungen zu treffen. Diese Möglichkeit ist meiner Ansicht nach mit einer solch hohen politischen Hürde für eine von der Mehrheit des Bundestages getragene Regierung verbunden, dass sie ebenso nahezu ausgeschlossen ist. Ein Zuwiderhandeln der Bundesregierung würde vor dem Hintergrund des zweiten noch ausstehenden Parlamentsvorbehalts zur endgültigen Entscheidung über eine Stabilitätshilfe gemäß Art. 13 Abs. 3 Satz 3 (Vereinbarung über die Finanzhilfefazilität) und Art. 13 Abs. 4 (Memorandum of Understanding) des ESM-Vertrags zudem zu keinen Konsequenzen für den Bundeshaushalt führen. Vor die- sem Hintergrund halte ich ein Abweichen vom Re- gelverfahren des Art. 23 GG für die Beteiligung des Deutschen Bundestages, die zwangsläufige Befassung des Plenums zu einem Zeitpunkt, zu dem eine fundierte Debatte über die konkrete Ausgestaltung der Hilfe nur begrenzt geführt werden kann, und vor dem Hintergrund der unnötigen politischen Hürde für die Handlungsfähig- keit einer Einrichtung wie des ESM, die im Notfall Hand- lungsfähigkeit beweisen muss, um konkrete Risiken für die Stabilität der Euro-Zone abzuwenden, für nicht an- gemessen. Ebenfalls trägt dieses Verfahren auch im Par- lament nicht zur Effizienz des Entscheidungsprozesses bei. Mit dieser Position konnte ich mich im Laufe der Beratungen nicht durchsetzen. Dennoch stimme ich heute dem ESMFinG zu. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Ich stimme gegen die Ratifizierung des sogenannten Fiskalpakts. Er ist mit seiner reduzierten Sicht auf Ausgabenkür- zungen Ausdruck und Kernstück einer vollkommen ver- fehlten Politik. Das Ziel der Reduzierung der Staats- verschuldung unterstütze ich. Doch die Entwicklung in Europa zeigt, dass die Sparvorgaben zu untragbaren so- zialen Verwerfungen führen und das Ziel der Haushalts- konsolidierung eben nicht erreichen, sondern sogar kon- terkarieren. Ausgeglichene Haushalte können nur durch höhere Steuereinnahmen und Wachstum erzielt werden, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22779 (A) (C) (D)(B) wie auch die Erfahrung Deutschlands in der Bankenkrise vor wenigen Jahren zeigt. Die Auswirkungen der Krise von Euro-Ländern erreichen bereits heute erkennbar auch unsere Wirtschaft. Anstatt diese Politik zu ver- schärfen, muss gegengesteuert werden. Aber auch die Auswirkungen des Fiskalpakts auf Deutschlands Haushalt werden erheblich sein. Die Ver- einbarungen der Bundesregierung mit den Bundeslän- dern zeigen, dass die europäische Schuldenbremse eben nicht, wie von der Bundesregierung behauptet, durch die Schuldenbremse des Grundgesetzes abgedeckt ist. Die Lasten trägt nun einseitig der Bund. Die zusätzliche Re- gel, wonach die Länder ihren Schuldenstand über der Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts um jährlich ein Zwanzigstel verringern müssen, führt zu- sätzlich zu Einsparvorschriften in Höhe von 25 Milliar- den Euro jährlich. Es ist vollkommen unklar, wie und zu wessen Lasten dieses Ziel erreicht werden soll. Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich, dass nach Verhandlungen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf europäischer Ebene eine Trendwende er- reicht werden konnte zugunsten einer aktiven Politik der Wachstumsimpulse und der Einführung einer Finanz- transaktionsteuer, die geeignet ist, die Finanzmärkte zu entschleunigen und an den Kosten der von ihnen verur- sachten Krise zu beteiligen. Allerdings ändert diese nun begonnene gute Entwick- lung nichts an dem im Kern falschen Fiskalpakt. Über- dies stehen die von mir positiv bewerteten Vereinbarun- gen noch auf unsicherem Boden und sind von begrenzter Haltbarkeit, während der Bundestag nun über ein festes, verbindliches und unkündbares Vertragswerk abstimmt. Die damit verbundenen Einschränkungen auch der Handlungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages – ohne dass etwa mit der Ausweitung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments ein demokratisches Ge- gengewicht geschaffen wird – kann ich nicht akzeptie- ren. Frank Schwabe (SPD): Ich stimme dem heutigen „europäischen Rettungspaket“ zu. Das mache ich nicht, weil ich davon überzeugt bin, dass beides „die“ Lösung der europäischen Krise ist. Ich will allerdings vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage nicht verant- worten, dass die EU bei einer Ablehnung dieser beiden Instrumente durch Deutschland in eine chaotische Lage geraten könnte. Im Kern ist die europäische Krise eben keine „Staats- schuldenkrise“. Es fehlt vielmehr eine stärker ab- gestimmte Wirtschafts-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik. Und es fehlen die klaren und unmissver- ständlichen Signale an die Spekulanten, dass sie es nicht schaffen, den Euro in die Knie zu zwingen. Dabei ist die deutsche schwarz-gelbe, von Kanzlerin Merkel geführte Bundesregierung Teil des Problems und nicht der Lösung. Dennoch habe ich den Eindruck und hoffe, dass sich zurzeit ein Paradigmenwechsel in der Debatte über die Lösung der europäischen Krise vollzieht. Es ist auch meiner Partei und Fraktion in Deutschland – gemeinsam mit europäischen Partnern – gelungen, die Richtung der Debatte zu verändern. Die Finanztransaktionsteuer muss kommen, um auch die zu beteiligen, die die Krise zu verantworten haben und um Spekulationen unattraktiver zu machen. Und wir brauchen wieder eine Zukunftsper- spektive für Europa. Das geht nicht durch eine rigide Sparpolitik, die die Spirale nach unten verstärken muss. Jetzt geht es um Perspektiven für Jugendliche und nach- haltiges Wachstum, zum Beispiel durch den Ausbau von erneuerbaren Energien. Zu einer gemeinschaftlichen Verantwortung auch in Finanzfragen in der EU gibt es im Kern keine Alterna- tive, die einen Fortbestand der so wichtigen Währungs- union ermöglicht. Deshalb braucht es den ESM im Grundsatz. Der Fiskalpakt ist geeignet, die so falsche Sparspirale zu verschärfen und für die Zukunft festzule- gen. Eine nachhaltige Haushaltspolitik ist richtig, sie muss aber vor allem durch eine Verbesserung der Ein- nahmebasis der Staaten erreicht werden. Vor dem Hin- tergrund des Gesamtpakets stimme ich jedoch auch dem Fiskalpakt mit durchaus großen Bedenken zu. Bei alldem bleiben außerdem verfassungsrechtliche Bedenken. Ich finde es ausdrücklich richtig, dass die europäische Integration voranschreitet. Damit ist natür- lich verbunden, dass die nationale Ebene an Gestaltungs- möglichkeiten verliert. Dabei dürfen aber Entscheidun- gen nicht an den demokratisch legitimierten Parlamenten vorbei getroffen werden. Es geht also zum einen um einen verfassungsrechtlich angemessenen Weg der wei- teren Übertragung von Verantwortlichkeiten und Ent- scheidungskompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union und zum anderen um eine Stärkung des Europäi- schen Parlaments gegenüber dem Europäischen Rat. Auch diese Bedenken stelle ich in der Abwägung zurück. Rolf Schwanitz (SPD): Wir halten die Stärkung der Haushaltsdisziplin innerhalb der Europäischen Union sowie die bessere Koordinierung der Fiskal-, Wirt- schafts- und Sozialpolitik zwischen den Euro-Ländern für richtig und geboten. Das von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ratifizierungs- gesetz zum Fiskalpakt haben wir dennoch abgelehnt, weil: – die verfassungsrechtliche Wirkung des Ratifizierungs- gesetzes unserer Rechtsauffassung widerspricht und von uns nicht geteilt wird. Das Ratifizierungsgesetz gibt vor, den Verfassungsgeber unmittelbar innerstaatlich zu bin- den und insoweit eine Unabänderbarkeit der deutschen Schuldenbremse im Grundgesetz (Versteinerung) zu be- wirken. Diese behauptete innerstaatliche, verfassungs- rechtliche Wirkung des Ratifizierungsgesetzes wurde bei der Anhörung im Haushaltsausschuss von nahezu allen Sachverständigen verneint. Sie verwiesen darauf, dass es sich beim Fiskalpakt lediglich um die Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrags handelt, die nach der übli- chen Staatspraxis einfachgesetzlich erfolgen kann, und eine innerstaatliche Bindung des Verfassungsgebers in- soweit nicht entsteht. Ergäbe sich aus diesem völker- 22780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) rechtlichen Vertrag die Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen Rechts, so erfolge dies in Deutsch- land üblicherweise durch entsprechende Änderungsge- setze. – der Deutsche Bundestag mit der heute beschlossenen verfassungsrechtlichen Wirkung des Ratifizierungsge- setzes zum Fiskalpakt eine neue, von uns abgelehnte Staatspraxis schafft. Nach bisheriger Staatspraxis wur- den völkerrechtliche Verträge in Deutschland einfachge- setzlich ratifiziert. Wenn sich aus diesen Verträgen die Notwendigkeit einer Änderung des innerstaatlichen Rechts ergab, so wurden entsprechende Änderungsge- setze eingebracht, beraten und verabschiedet – im Falle des Grundgesetzes erfolgten entsprechende Änderungen mit den dafür erforderlichen Mehrheiten. Nach der nun über den Fiskalpakt erstmals eröffneten neuen Staatspra- xis erwachsen diese innerstaatlichen Wirkungen unmit- telbar aus dem Ratifizierungsgesetz, ohne dass dafür ein entsprechendes Änderungsgesetz vorgelegt, beraten und beschlossen werden muss. Das halten wir auch im Blick auf das Demokratieprinzip für eine äußerst fragwürdige und bedenkliche Entwicklung; denn den Bürgerinnen und Bürgern wird durch das Entfallen eines kompletten Gesetzgebungsganges zur Änderung des geltenden Rechts ein wesentliches Element der Transparenz und der demokratischen Teilhabe genommen. Darüber hi- naus können sich aus dieser neuen Staatspraxis viele, bisher nicht diskutierte Weiterungen ergeben. Allgemei- nen völkerrechtlichen Verträgen könnte nach dieser neuen Staatspraxis generell eine unmittelbare innerstaat- liche Wirkung zuerkannt werden, wie wir sie bisher nur aus dem Prozess der europäischen Integration und dem Recht nach Art. 23 Grundgesetz kennen. Dies könnte sich zu einer neuen Methode für ein neues, völkerrechts- basiertes Integrationsmodell entwickeln, an dessen Ende vielleicht ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ und zugleich eine Relativierung der Europäischen Union ste- hen könnte. In der deutschen Öffentlichkeit wurde dies bisher jedoch in keiner Weise hinreichend diskutiert. Wir sind deshalb nicht bereit, zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle eine dafür geeignete neue Staatspraxis zu eröffnen. Darüber hinaus kritisieren wir den Gesetzentwurf, weil: – der fiskalpolitische Erfolg der neuen Schuldenregelung mehr als zweifelhaft ist. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen kritisiert in sei- nem aktuellen Gutachten zu den fiskalpolitischen Institutionen in der Euro-Zone insbesondere die mit dem sogenannten Sixpack und dem Fiskalpakt verbundene neue Regelung zum Schuldenstand. Länder, deren Schuldenstand über der 60-Prozent-Grenze liegt, sollen künftig den überschießenden Betrag jedes Jahr um ein Zwanzigstel (5 Prozent) verringern müssen. Der Wissen- schaftliche Beirat kritisiert, dass diese Regelung im Blick der Finanzmärkte mit einem massiven Glaubwür- digkeitsproblem behaftet ist, da außer Deutschland im Jahr 2013 alle anderen betroffenen Mitgliedstaaten den sich aus der neuen Regel ergebenden Defizitabbau nicht realisieren werden. Darüber hinaus weist der Beirat auf die stark prozyklische Wirkung der neuen Schulden- standregel hin. Wir halten beide Kritikpunkte für berech- tigt. – dadurch die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern in bisher noch nicht überschaubarer Art und Weise und nahezu ausschließlich zulasten des Bun- des verändert werden. Die Bundesregierung hat über Monate hinweg gegenüber dem Parlament und der Öf- fentlichkeit erklärt, die deutsche Schuldenbremse sei im Vergleich zum Fiskalpakt die strengere fiskalische Rege- lung, weshalb aus dem Fiskalpakt keine zusätzlichen Haushaltsbelastungen in Deutschland entstehen würden. Die nun zwischen der Bundesregierung und den Ländern getroffenen Vereinbarungen dokumentieren das genaue Gegenteil. Durch die finanziellen Zugeständnisse der Bundesregierung müssen die sich aus dem Fiskalpakt er- gebenden zusätzlichen Konsolidierungsbedarfe nun al- lein und vollständig vom Bund getragen werden. Rolf Schwanitz (SPD): Wir halten die Weiterent- wicklung der EFSF zu einem dauerhaften Rettungs- schirm für richtig und geboten. Das von der Bundes- regierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ratifizierungsgesetz zum ESM haben wir dennoch abge- lehnt, weil: – mit dem ESM-Vertrag von Deutschland gegebenen- falls ein Maß an finanzieller Haftung übernommen wer- den muss, welches die nach dem Grundgesetz zulässige Grenze übersteigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 7. September 2011 zu einer unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgenden Ober- grenze für die Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen der Währungsunion geäußert und deren Verlet- zung bei einem Betrag von 170 Milliarden Euro ver- neint. Der Entwurf zum ESM-Finanzierungsgesetz er- mächtigt die Bundesregierung nun zu einer deutschen Beteiligung am genehmigten Stammkapital des ESM in einem Umfang von 190 Milliarden Euro. Zusammen mit den bereits bisher bei der EFSF, beim EFSM sowie beim Griechenland-Paket eingegangenen Verpflichtungen wird der deutsche Anteil dadurch auf insgesamt 310,3 Mil- liarden Euro ansteigen. Mit dem Art. 25 Abs. 2 des ESM-Vertrags wird darüber hinaus eine weitere Fall- konstellation eröffnet. Danach muss Deutschland gege- benenfalls auch eine Haftung für den finanziellen Aus- fall anderer ESM-Mitglieder übernehmen. Das kann nach unserer Interpretation des Vertragstextes über den Betrag von 190 Milliarden Euro weit hinausgehen und beim Ausfall aller anderen Länder eine Gesamtsumme von bis zu 700 Milliarden Euro umfassen. Zwar fehlt es derzeit an einer innerstaatlichen Ermächtigung der Bun- desregierung in einer solchen Höhe; völkerrechtlich wird jedoch durch den ESM-Vertrag der Mechanismus für ein solches Haftungsvolumen bereits eröffnet. Wir haben er- hebliche Zweifel, ob diese Regelung noch innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen zulässi- gen Obergrenze liegt. Darüber hinaus kritisieren wir den Gesetzentwurf, weil: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22781 (A) (C) (D)(B) – entgegen der monatelang aufrechterhaltenen Behaup- tung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen sowie im Gegensatz zur Fassung des eingebrachten ESM- Ratifizierungsgesetzes durch den ESM tatsächlich auch Kompetenzen und Hoheitsrechte übertragen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 festgestellt, dass mit dem ESM den Orga- nen der Europäischen Union zwar nicht in dem eigent- lich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1 EUV, aber dennoch in der Sache weitere Aufgaben und Befugnisse übertragen werden. Das Gericht führt dazu weiter aus: „Jede Zuweisung von Aufgaben und Befug- nissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheits- rechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die Erledigung der Aufgabe ‚nur‘ im Wege der Organleihe in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestat- tet werden.“ Das eingebrachte ESM-Ratifizierungsge- setz stellte im Gegensatz dazu hinsichtlich seiner verfas- sungsrechtlichen Grundlage jedoch nicht auf Art. 23 Grundgesetz, sondern lediglich auf Art. 59 Abs. 2 Satz 1 ab. Es benannte des Weiteren im Rubrum die für den Be- schluss einer kompetenzerweiternden Übertragung er- forderliche verfassungsändernde Mehrheit nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 Grundge- setz nicht. Das in erster Lesung beratene Ratifizierungs- gesetz war deshalb unvollständig und fehlerhaft. Erst in der Ausschussberatung – zwei Tage vor der Schlussab- stimmung im Plenum – wurde dieser eklatante Fehler durch einen Änderungsantrag zum Teil korrigiert. Auch wenn ein solcher „Kurswechsel kurz vor Toresschluss“ nach den Regeln unserer repräsentativen parlamentari- schen Demokratie als zulässig erscheint, so kritisieren wir den Umstand, dass durch die monatelange Ignoranz der Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen während der Gesetzesberatung gegenüber den Bürgerin- nen und Bürgern eine Verschleierung dieser Kompetenz- übertragung eingetreten ist. Zusätzlich dazu hat die Bun- desregierung das Recht des Bundesrates auf eine neunwöchige Frist zur Stellungnahme nach Art. 76 Abs. 2 Satz 5 Grundgesetz verletzt. – bei der Errichtung und Ausgestaltung des ESM dem Deutschen Bundestag durch die Bundesregierung wich- tige Beteiligungsrechte vorenthalten worden sind und das Parlament dadurch seiner legitimen Einwirkungs- rechte auf den Inhalt des Vertrags beraubt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 festgestellt, dass die Errichtung und Aus- gestaltung des ESM eine Angelegenheit der Europäi- schen Union ist und der Deutsche Bundestag dabei ge- mäß Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz Rechte auf Mitwirkung sowie auf umfassende und frühestmögliche Unterrich- tung besitzt. Das Gericht hat festgestellt, dass die Bun- desregierung diese Rechte des Parlaments verletzt hat. – der ESM im Vergleich zur EFSF deutlich an Wirkungs- macht gewinnt, ohne dass im ESM-Vertrag zugleich ein höheres Maß an Transparenz, Verantwortlichkeit und de- mokratischer Kontrolle gesichert worden ist. Der Deut- sche Bundestag sichert sich im ESM-Finanzierungsge- setz richtigerweise zwar umfassende Entscheidungs-, Kontroll- und Beteiligungsrechte gegenüber der Bundes- regierung und ihrem Vertreter im ESM-Gouverneursrat. Die Arbeit im ESM selbst bleibt aber nahezu vollständig intransparent und ohne Kontrolle. So ist der ESM insbe- sondere durch die Regelungen in Art. 32 ESM-Vertrag der sonst üblichen Kontrolle, Überwachung und Auf- sicht entzogen. Darüber hinaus können die Bediensteten des ESM durch die in Art. 35 ESM-Vertrag enthaltene Immunitätsregelung weder zivilrechtlich noch straf- rechtlich für ihre Handlungen belangt werden. Es wird sich zeigen, ob dies der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Sicherung eines hinreichenden parlamentari- schen Einflusses auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln entspricht. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wir sind in einer dramatischen Situa- tion. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann, verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen wa- ren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät kamen und unzureichend waren. Der Zug der Euro-Ret- tung ging bisher an den Kernproblemen vorbei. Bei dem bisherigen Kurs wird sich die Situation weiter ver- schlechtern. Schlimmer noch: Wir drohen vor die Wand zu fahren. Wir brauchen einen Richtungswechsel. Ohne einen Richtungswechsel ist eine Zustimmung zum Fis- kalpakt ein großer Fehler und nicht zu verantworten. Auch in dem Länderratsbeschluss vom vergangenen Wochenende heißt es „Voraussetzung für eine Zustim- mung zum Fiskalpakt ist, dass die Bundesregierung ihr Krisenmanagement korrigiert“. Für uns ist ein solcher Richtungswechsel nicht zu sehen. Deshalb ist unsere Einschätzung, dass der Fiskalpakt die Krise verschärft, und es droht die Gefahr, dass der Euro scheitert. Dem können wir als überzeugte Europäer nicht zustimmen. Falsche Analysen führen zu falschen Diagnosen. Des- wegen wäre für einen Kurswechsel zuallererst eine Ver- änderung der Analyse notwendig. Die Analyse, wir hät- ten eine Staatsschuldenkrise, ist falsch und greift zu kurz. Die Höhe der Staatsschulden ist zweifellos ein Pro- blem und muss angegangen werden. Aber nicht die Staatsschulden alleine sind das Problem – so hat bei- spielsweise Spanien eine geringere Staatsverschuldung als Deutschland –, sondern die Gesamtverschuldung: des Staates, der Unternehmen, der Konsumentinnen und Konsumenten und nicht zuletzt der Banken. Das ökono- mische Problem ist, dass diese Gesamtverschuldung mittlerweile ein Vielfaches dessen beträgt, was produ- ziert wird – übrigens auch bei uns. Aber das ist nur die eine Seite des Problems: Wichtig ist, zu verstehen, dass jedes Mal, wenn jemand Schulden macht, auf der anderen Seite ein Guthaben entsteht, also Vermögen. Wenn wir auf der einen Seite eine zu hohe Verschuldung, eine Schuldenblase, haben, gibt es auf der anderen Seite zu viel (Finanz-)Vermögen, eine Vermö- gensblase. Wir haben also nicht nur eine Schuldenkrise, sondern auch eine Vermögenskrise. Dieses überschüs- sige Vermögen ist extrem ungleich verteilt. Es ist sogar so weit, dass die Werte der Ungleichverteilung des Ver- mögens ein ähnliches Ausmaß erreicht haben wie vor der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er. 22782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Auch die Diskurse über Lösungen ähneln sich. So wurde in Deutschland mit einem strikten Sparkurs die Krise verschärft – mit bekannten politischen Folgen – während die USA mit dem New Deal von Roosevelt mit den drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infra- struktur und nicht zuletzt einer Politik von mehr Umver- teilung und sozialer Sicherheit einen Weg aus der Krise gefunden haben. Zweitens brauchen wir sowohl einen Abbau der Schulden als auch eine Verringerung der Vermögens- blase. Wenn auf der einen Seite Schulden, auf der ande- ren Seite Vermögen zu hoch sind, geht kein Weg daran vorbei, gleichzeitig Schulden und Vermögen zu senken. Wenn die Schulden in einem Sektor abgebaut werden, aber dafür auf der anderen Seite entstehen, ändert sich an dem ökonomischen Problem nichts. Um die gleichzei- tige Senkung von Schulden und Vermögen zu erreichen, sind im Grundsatz drei Wege möglich: erstens ein Schul- denerlass, wie er in Griechenland stattgefunden hat. Weitere Schuldenerlasse wären allerdings ein Problem, weil dadurch das Vertrauen in den Euro für jeweils wei- tere Länder sinken würde. Die Krise würde sich verstär- ken. Zweite Möglichkeit ist Inflation, durch die der Wert von Schulden und Vermögen gleichzeitig sinken würde. Auch das ist kein erstrebenswerter und ökonomisch ris- kanter Weg. Bleibt drittens: Abbau der Verschuldung durch Umverteilung. Deswegen der Vorschlag der Grü- nen einer Vermögensabgabe, die zur Schuldentilgung verwendet werden soll. Damit sind die Grünen die ein- zige Partei, die einen konkreten Vorschlag zum Abbau der Schulden vorgeschlagen hat, und fordern Vermö- gensabgaben auch in den anderen europäischen Ländern. Einen noch weiter gehenden Vorschlag, den die Grü- nen übernommen haben, hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft gemacht. Sie schlagen einen Schuldentil- gungsfonds vor, mit dem über einen langen Zeitraum die Schulden getilgt werden sollen, die über dem Maas- tricht-Kriterium von 60 Prozent des Bruttoinlandspro- dukts liegen. Idealerweise sollte dabei nach unserer Mei- nung die Tilgung wieder durch eine Vermögensabgabe erfolgen, weil das der ökonomisch sinnvollste Weg wäre. Dadurch würde einerseits das oben beschriebene Problem der Vermögensverteilung angegangen und an- dererseits ein starkes Signal für einen Abbau der Schul- den gesetzt, der Vertrauen schafft. Ein solcher langfristiger Schuldenabbaupfad ist we- sentlich wichtiger als eine Begrenzung der Neuverschul- dung. Durch Letztere werden ja die Schulden nicht redu- ziert. Im Gegenteil kann sich durch eine Begrenzung der Neuverschuldung die Situation sogar verschlimmern, wenn überwiegend auf der Ausgabenseite gekürzt wird und Investitionen unterbleiben, wie das zurzeit in Grie- chenland, aber auch in der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren zu beobachten war. Dadurch wird der Abbau der Verschuldung verhindert, und das Problem ver- schärft sich. Gerade in einer ökonomischen Krise ist die- ser Weg fatal. Drittens brauchen wir einen Green New Deal für Europa mit seinen drei Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infrastruktur und einen neuen sozialen Ausgleich durch Umverteilung. Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart, verschärft die Krise, die ähnli- che Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jah- ren. Auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Ant- wort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessenden Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Energieversorgung eine ökologische Komponente haben muss, also ein Green New Deal sein muss. Dazu gehört erstens endlich eine Regulierung der Finanzmärkte, der Banken und die Austrocknung von Steueroasen, was alles in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. So sind Banken immer noch „too big to fail“ und müssen schon wieder gerettet werden, und reiche Griechen schaffen ihr Vermögen in die Schweiz, damit sie nicht besteuert wer- den können. Zweitens braucht es ein Investitionspro- gramm in Infrastruktur, zum Beispiel in Stromnetze, in Windräder, in Solaranlagen, um dadurch die Wirtschaft in den Krisenstaaten zu stärken. Drittens ist aber auch eine Politik für mehr Umverteilung notwendig. Neben der beschriebenen Vermögensumverteilung braucht es einen Aufbau bzw. eine Stärkung von Mindestsiche- rungsleistungen und der Sozialversicherungen und nicht einen Abbau. Viertens braucht es Antworten auf eine wichtige Ursache für die Krise: die sogenannten außenwirtschaft- lichen Ungleichgewichte, die eng mit der Verschul- dungskrise zusammenhängen. Insbesondere Deutsch- land hat über Jahre mehr Güter exportiert als importiert, während zum Beispiel Griechenland mehr Güter impor- tiert als exportiert hat. Anders – und etwas vereinfacht ausgedrückt – heißt das: Wir haben dauerhaft mehr pro- duziert, als wir selbst konsumiert haben, während das in Griechenland umgekehrt war. Wir haben also gespart und Vermögen aufgebaut – allerdings nur bei einem Teil der Bevölkerung –, während in Griechenland die Schul- den gestiegen sind. Oft wird gelobt, dass wir Exportwelt- meister sind. Ein dauerhafter Exportüberschuss ist aber wohlfahrtsökonomisch nicht erstrebenswert. Wenn mehr produziert als konsumiert wird, heißt das Konsumver- zicht zugunsten von Sparen und Vermögensaufbau. Das macht nur Sinn, wenn irgendwann das Vermögen wieder abgebaut wird und dann mehr konsumiert werden kann. Völlig abstrus wird das Ganze, wenn die Schulden, durch die das Vermögen aufgebaut wurde, nicht voll oder gar nicht zurückgezahlt werden können. Die Ex- portüberschüsse in Deutschland sind nicht vom Himmel gefallen und sind insbesondere die Folge einer Politik für bessere „Wettbewerbsfähigkeit“ durch geringere Löhne, um den Export zu steigern. Die außenwirtschaft- lichen Ungleichgewichte und der starke Anstieg des Nie- driglohnsektors hängen miteinander zusammen. Das fällt jetzt wieder auf uns zurück. Deshalb wäre die Ein- führung von Mindestlöhnen eine wichtige Forderung im Rahmen der Verhandlungen um den Fiskalpakt gewesen. Unter anderem wegen der außenwirtschaftlichen Un- gleichgewichte ist eine koordinierte Wirtschafts- und Fiskalpolitik der Europäischen Union unbedingt notwen- dig, um aus der Krise zu kommen und, vor allem, um weitere Krisen zu vermeiden. Eine gemeinsame Fiskal- politik darf dabei nicht auf Haushaltspolitik beschränkt bleiben, sondern muss, um effektiv zu sein, auch Kom- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22783 (A) (C) (D)(B) petenzen in der Steuerpolitik beinhalten. Um zu einer europäischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu kommen, sind umfangreiche institutionelle Veränderungen not- wendig, die letztlich nur durch Veränderungen des Euro- päischen Vertrags möglich sind. Dabei ist wichtig, dass diese Veränderungen mit einer Stärkung des Europäi- schen Parlaments und der nationalen Parlamente einher- gehen müssen. Das ist alles nicht einfach und schnell zu erreichen. Die Einberufung eines Europäischen Kon- vents wäre aber ein starkes ökonomisches Signal, das so- fort wirken würde, weil dadurch einer der Grundfehler bei der Einführung des Euro beseitigt würde. Noch stär- ker wäre das Signal, wenn deutlich gemacht würde, dass das Ziel nicht nur eine Wirtschafts- und Fiskalunion, sondern eine echte politische Union mit einer europäi- schen Verfassung wäre. Fünftens muss bereits kurzfristig das Problem gelöst werden, dass die Krisenstaaten Zinsen zahlen müssen, die dazu führen, dass sie gar nicht aus der Schuldenspi- rale herauskommen können. Die hohen Zinsen führen dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Schulden zu- rückgezahlt werden, sinkt. Dadurch steigen die Zinsen noch weiter usw. Dieser Teufelskreis muss unterbrochen werden. Eine Möglichkeit wäre, dass wieder die EZB einspringt und Staatspapiere kauft. Besser wäre es, wenn der ESM eine Banklizenz erhält und dadurch die Staaten mit Krediten zu bezahlbaren Zinsen versorgen kann. Mittelfristig werden nur Euro-Bonds diesen Teufelskreis durchbrechen können und das notwendige Vertrauen herstellen können, dass die Schulden wieder zurückge- zahlt werden können. Darüber hinaus gibt es verfassungsrechtliche Beden- ken gegen den Fiskalpakt; denn er überträgt hoheitliche Rechte dauerhaft auf ein zwischenstaatliches – und nicht demokratisches – Organ. Der Fiskalvertrag sieht keine Kündigungsmöglichkeit vor, und dies bedeutet gemäß Art. 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention, dass er grundsätzlich nicht einseitig kündbar ist – es gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Diese unkündbare Übertragung von Hoheitsrechten verstieße deshalb ge- gen die rote Linie, die das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil gezogen hat. Es ist nicht zulässig, dass zwischenstaatliche Einrichtungen permanent weitge- hende Kontrollbefugnisse über den Haushalt der Bun- desrepublik Deutschland erlangen, ohne dass dies zu- nächst über eine Änderung des Grundgesetzes gemäß Art. 146 GG erlaubt worden ist. Wir sehen die Zukunft Deutschlands in einem verei- nigten Europa – wir brauchen mehr Integration, nicht weniger. Allerdings muss dies ein soziales Europa sein, kein Europa der Banken und der Reichen. Nur ein soli- darisches Europa wird den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein – nicht nur in Bezug auf das Finanzsystem, sondern auch zur Abwendung der Gefah- ren für unsere globalen Ökosysteme. Ohne eine Schuldentilgung, die vor allem an der Ein- nahmeseite ansetzt, und ohne Maßnahmen gegen die hohen Zinsbelastungen gefährdet der Fiskalpakt den so- zialen Zusammenhalt in Europa. Schon heute sehen wir die sozial unausgewogenen Auswirkungen dieser rigiden Sparpolitik. Insbesondere in Defizitländern wird durch die hohen Zinsen, die diese nach wie vor bedienen müs- sen, in Verbindung mit den Vorgaben des Fiskalpakts ein großer Druck auf die nationalen Regierungen und damit auch auf die Sozialsysteme ausgeübt. Sie können nur mit radikalen und überstürzten Sparprogrammen reagieren. Der ausschließlichen Sparpolitik wurden zwar durch die Verhandlungen Investitionen zur Seite gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der einseitige Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht weiterhin ungebrochen und wurde auch nicht mit sozialverträg- lichen Regeln unterlegt. Letztlich wird der Fiskalpakt somit erhebliche soziale Lasten mit sich bringen, die wir nicht hinnehmen können. Massive Einsparungen bei Sozialausgaben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bildungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern Europas weiter untergraben und gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben. Wir wollen ein soziales Europa und stehen zu den so- zialen Zielen, die sich Europa gegeben hat. So garantiert die europäische Sozialcharta beispielsweise die Tarif- autonomie, und doch wird diese durch die Sparanstren- gungen in Griechenland untergraben. Im Rahmen der EU-2020-Strategie wurden wichtige Ziele zur Verhinde- rung von Arbeitslosigkeit und Armut vereinbart. Durch den Fiskalpakt werden diese Ziele unerreichbar. Natür- lich müssen alle europäischen Staaten langfristig ihre Schuldenquoten senken – das erwarten auch wir. Aber die Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten der Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer auch die Einnahmeseite in den Blick nehmen. Einspa- rungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich aus- gestaltet werden. Die Grundwerte von Europa – soziale Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben für uns auch in der Krise Bestand. Ohne die genannten weiteren Maßnahmen gefährdet der Fiskalpakt unsere Vision eines sozialen Europas, er verschärft die ökonomische Krise bis hin zu einem dro- henden Scheitern des Euro. Wir lehnen deswegen den Fiskalpakt ab. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): ESM und Fiskalpakt stimme ich nicht zu. ESM und Fiskalpakt sind die falschen Mittel. Mit ihnen ist die europäischen Finanz- und Bankenkrise nicht zu bewälti- gen. Sie sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik, vielleicht sogar ihr Höhepunkt. Aber dieses Sanierungs- rezept ist gescheitert. Die Krise wurde nicht bewältigt, sondern verschärft. Alle Befürchtungen, denen mit der Einrichtung neuer Rettungsschirme und immer größerer Milliardenhilfen entgegengewirkt werden sollte, haben sich bewahrheitet. Immer mehr und größere Staaten ge- raten in den Strudel der Krise und drohen darin unterzu- gehen. Der bisherige Weg war der falsche. Der gnadenlose Sparkurs führt wie in Griechenland zur Verarmung gro- ßer Teile der Bevölkerung und schadet der Entwicklung der Wirtschaft und der Erholung der Staatsfinanzen. Er ändert nichts daran, dass Finanzmärkte und Ratingagen- 22784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) turen weiter die Richtlinien der Politik bestimmen. Kre- dite und Garantien des ESM an die Staaten, die die Krise nicht mehr bewältigen können, dienen ganz überwie- gend nur der Bedienung der Geldinstitute und der Siche- rung ihrer Gewinne. Von europäischen Insolvenzrege- lungen, auch für zu große Banken, ist keine Rede mehr. Diese gescheiterte Politik darf nicht fortgesetzt und nicht durch Fiskalpakt und ESM unwiderruflich festgeklopft werden. ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grund- gesetz zu vereinbaren. Beide Verträge sind vielfach mit- einander verzahnt. So ist ab 2013 der ESM nur noch an- wendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert haben. Die Regelungen beider Vertragswerke sind in Teilen unklar und unbestimmt. Das Verhältnis zu EU- Einrichtungen bleibt offen. Die internationalen Finanzinstitutionen, die mit die- sen Verträgen geschaffen werden, stärken die EU nicht. Sie stehen neben den EU-Einrichtungen. Gleichwohl werden EU-Institutionen wie der Europäische Kommis- sion Aufgaben durch ESM-Vertrag und Fiskalvertrag zu- gewiesen. Art und Umfang sind unklar und strittig. Der EU-Kommission gehören aber auch Staaten an, die den ESM ablehnen. Vor allem das Europäische Parlament bleibt außen vor und hat keine Kontrollrechte. ESM und Fiskalpakt haben außerdem schwerwiegende Folgen für die Wirtschafts- und Währungsunion. Gleichwohl wird nicht der Weg über eine Änderung der EU-Verträge ge- gangen, nur weil der Konsens dafür nicht erreicht wurde. ESM und Fiskalpakt schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die konstitutiven Entscheidungs- rechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über Steuern und Abgaben, substanziell und auf Dauer unwi- derruflich ein. Im ESM und im Gesetz zum ESM-Vertrag ist die par- lamentarische Beteiligung und Kontrolle von Entschei- dungen über Erhöhungen des Stammkapitals und Sta- bilitätshilfen durch den Bundestag nicht lückenlos gesichert. Gouverneursrat und Direktorium sind bei al- len Beschlüssen beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind. Auch wenn der deutsche Vertreter abwesend ist, können sie also weit- tragende Beschlüsse fassen. Dass Deutschland über 27,1 Prozent der Stimmanteile verfügt, hilft dann wenig. Die Verpflichtungen, welche die Mitglieder des ESM eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die Rege- lungen zum Haftungsumfang sind unvollständig. Die Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und unein- geschränkt, ihren Beitrag zu leisten. Zwar bleibt grund- sätzlich die Haftung eines jeden auf seinen Anteil am ge- nehmigten Stammkapital begrenzt. Aber was ist, wenn ein Mitglied selbst Finanzhilfe benötigt? Dann bleibt dessen Verpflichtung zur Leistung erhalten. Das gilt bei- spielsweise auch für Griechenland. Wenn ein Mitglied trotzdem nicht einzahlt, so ergeht ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Ka- pitalzahlung in voller Höhe erhält. Dann kommen doch weitere Verpflichtungen auf die Mitglieder zu. Offen bleibt die Haftung für Defizitsünder und wer eigentlich haftet, wenn ein oder mehrere Vertragspartner Beiträge nicht zahlen wollen oder können. Auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte der Vertragsstaaten und ihrer Parlamente. Die willkür- lich festgesetzte Schuldengrenze wird zum unveränder- baren Recht, möglichst sogar mit Verfassungsrang. Sie geht weit über die Regelung im Grundgesetz hinaus, die eine Übergangsphase für den Bund bis 2016 und für die Länder bis 2020 vorsieht. Die Möglichkeiten der Staaten zur Kreditaufnahme werden auf Dauer begrenzt. Der Pakt ist in seiner Substanz nicht veränderbar. Daran än- dert sich auch dadurch nichts, dass binnen fünf Jahren die notwendigen Schritte unternommen werden, um den Inhalt des Pakts in den Rechtsrahmen der EU zu über- führen. Es geht nur darum, den jetzigen Inhalt in EU- Recht zu überführen. Wird dieses Ziel aber nicht er- reicht, gilt der Fiskalpakt weiter. ESM und Fiskalpakt sind verfassungsrechtlich zwei- felhaft und auch politisch nicht verantwortbar, weil sie für die Bewältigung der Krise nicht zweckmäßig sind und große Teile der Bevölkerung vor allem in ökono- misch schwachen Ländern Europas der Gefahr von Ar- mut und Elend aussetzen. Deshalb stimme ich mit Nein. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Wir stimmen heute über den sogenannten Fiskalpakt ab, und ich möchte meine Ablehnung hier deutlich machen und begründen. Ich stimme dagegen, weil mit diesem Paket allen Staaten der Europäischen Union sowie dem Bund, den Ländern und Kommunen ein massives Sozialkürzungs- paket aufgezwungen wird. Das ist ein massiver Eingriff in die Budgethoheit der einzelnen Nationalstaaten, in- dem die Neuverschuldung auf maximal 0,5 Prozent be- grenzt wird. Wir müssen doch nur einmal nach Griechenland schauen, um zu sehen, was ein verordnetes Diktat für Konsequenzen hat: Menschen werden entlassen und ver- lieren zum Teil ihre Existenz, Löhne sinken, Sozialaus- gaben werden zusammengestrichen, staatliche Konjunk- turprogramme gibt es nicht, die Binnennachfrage sinkt ins Bodenlose, wirtschaftliche Strukturen fallen zusam- men, Armut steigt. Durch den Fiskalpakt würgen wir die Binnennachfrage in Europa ab, was zur Folge haben wird, dass mittelfristig auch unser Export einbricht und die Menschen in Deutschland die gleichen Folgen erlei- den werden wie die in Griechenland. Wollen wir allen Ernstes griechische Verhältnisse in ganz Europa? – Ich sage ganz deutlich Nein. In meinem Wahlkreis Steinfurt III gibt es jetzt schon massive Kürzungen in den Kommunen. Dass der Bund die Kosten für die Eingliederungshilfe übernimmt, ist richtig, aber nicht im Rahmen eines Kuhhandels, um die Zustimmung zum Fiskalpakt zu ergattern. Viel zu lange wurden das Konnexitätsprinzip nicht gewahrt und Auf- gaben an Kommunen ohne jeglichen Finanzausgleich weitergeben. Steuersenkungen tun ihr Übriges, um die- sen Notstand der Städte und Gemeinden zu verschärfen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22785 (A) (C) (D)(B) Und wer zahlt die Zeche für diese Finanzkrise der Banken und Zocker? Die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeitslosen, die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Emp- fänger, die Rentner, Alleinerziehenden und auch die Ar- beitnehmer. Schwimmbäder werden zugemacht, Sport- förderung und Jugendarbeit zusammengestrichen und vieles mehr. Reden Sie einfach mal mit Ihren kommuna- len Mandatsträgern. Es ist ein wirklich düsteres Bild. Und das ist das Problem: Die Verursacher kommen mal wieder ungeschoren davon. Sie retten mit dem Fiskalpakt nur die Banken, und was machen diese? Sie zocken weiter. Diese müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden. Wir brauchen eine gerechte Besteue- rung, und bei Krisen muss endlich das Verursacherprin- zip gelten. Es darf nicht sein, dass Gewinne privatisiert, Verluste oder Pleiten aber der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Erstens. Ich halte den permanenten Stabilitätsmechanismus für not- wendig, um die Europäische Währungsunion vor den Auswirkungen von Spekulationen zu schützen. Deshalb werde ich bei dieser Abstimmung mit Ja stimmen. Zweitens. Der Fiskalpakt geht von der falschen An- nahme aus, dass die Verschuldung der europäischen Länder eine Konsequenz übermäßiger Staatsausgaben sei, während – bis auf Griechenland – für alle EU-Staa- ten gilt, dass ihre gewachsene Verschuldung Ergebnis der Rettungsaktionen der europäischen Staaten für die Finanzmärkte 2008/2009 ist. Insofern wäre er als alleini- ges Instrument angesichts der marktradikalen Politik ei- ner Reihe von nationalen EU-Regierungen eine falsche Weichenstellung der Austeritätspolitik. Er lässt ein vergleichbares Rechtsinstrument vermis- sen, das eine aktive makroökonomische Politik festlegt, die auf Beschäftigungswachstum setzt. Er ist ein zwischenstaatlicher Vertrag, der praktisch die EU-lnstitutionen und auch das Europäische Parla- ment aushebelt. Drittens. Angesichts dieser falschen Grundorientie- rung war es wichtig, die grundlegenden Fehler zu korri- gieren. Das ist der Sozialdemokratischen Partei, das ist den Ländern in zähen Verhandlungen in wichtigen Be- reichen gelungen: Endlich wird es eine Finanztransaktionsteuer geben, für die ich mich bereits vor zehn Jahren starkgemacht habe – damals noch als „exotische“, unrealistische Posi- tion diffamiert und von der CDU noch im letzten Bun- destagswahlkampf vehement bekämpft. Die Initiative dieser „willigen“ europäischen Staaten muss dazu beitragen, endlich diejenigen zur Kasse zu bitten, die die Finanzmarktkrise verursacht haben. Gleichzeitig wird es auch angesichts der politischen Veränderungen in Frankreich Festlegungen auf einen „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“ geben, verbunden mit einem Sofortprogramm gegen Ju- gendarbeitslosigkeit. Damit kann endlich ein Kurswech- sel in der verfehlten Austeritätspolitik eingeleitet wer- den. Viertens. Ungelöst ist nach wie vor der Umgang mit den sogenannten Altschulden. Notwendig ist die ge- meinschaftliche Sicherung für einen Teil der Anleihen der Euro-Staaten. Eine gemeinschaftliche Währung hätte ansonsten keine dauerhafte Zukunft angesichts der fort- dauernden Spekulationen gegen den Euro. Der Erhalt und die Sicherung des Euro ist aber sowohl unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Arbeitsplätze bei uns als auch aus politischen Gründen für Deutschland von zentraler Bedeutung. Schließlich ist es notwendig, endlich die erforderli- chen Schritte zu einer wirklichen Finanzmarktregulie- rung voranzubringen. Hier besteht noch maßgeblicher Handlungsbedarf. Fünftens. Meine Abwägung bei der Entscheidung zur Ratifizierung des Fiskalpakts sieht so aus: Bei einer Ab- lehnung würde die Zweidrittelmehrheit im Bundestag scheitern. Eine Phase der massiven Instabilität in der Eu- ropäischen Union wäre die Folge. Die würde auch ge- rade den Euro als Gemeinschaftswährung destabilisie- ren, dies könnte die Europäische Union gefährden. Eine derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die EU in der globalen Entwicklung und für die wirtschaftli- che und soziale Entwicklung seiner Bürger und Bürge- rinnen am Herzen liegt. Darum werde ich mit Ja stim- men. Wichtig ist es aus meiner Sicht, diese Instabilität zu verhindern, die angesichts der Situation in Griechenland und Spanien ohnehin eine Gefahr ist und durch sie noch vergrößert würde. Stattdessen sollten Sozialdemokraten und Sozialde- mokratinnen in Europa enger zusammenarbeiten, politi- sche Mehrheiten schaffen, auch in Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht ge- lungen ist, nämlich eine wirkliche politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozialunion aufzubauen. Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn die politische Union geschaffen werden soll. Derartige europäische Pläne müssten einem Volksentscheid unter- liegen. Für einen Volksentscheid zum Maastricht-Vertrag bin ich übrigens schon zu Beginn der 90er-Jahre einge- treten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin und Joachim Günther (Plauen) (beide FDP) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion 22786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Grundsätzlich ist die Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus sinnvoll. Leider müssen wir er- leben, dass Entscheidungen und Bedingungen des ESM immer unklarer werden. Wir sind nicht bereit, in nur we- nigen Stunden nach einer Sitzung in Brüssel Entschei- dungen von so großer Tragweite für Deutschland zu tref- fen. Wir können in so kurzer Zeit nicht beurteilen, ab die direkten Bankenhilfen für Spanien oder mögliche Anlei- henkäufe für Italien Folgen für unser Land und die Stabi- lität des Euro haben. Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Wäh- rungsgebiets vom 29. Juni 2012 kann uns unsere Sorge nicht nehmen, sondern sie verstärkt sie eher noch. Wir fordern auch weiterhin von den nehmenden Ländern Re- formbereitschaft und Haushaltsdisziplin. Mit der Gipfel- erklärung vom 29. Juni 2012 wird diese bisherige Linie verlassen. Wir befürchten, dass nun auch bald die bishe- rigen Entscheidungen betreffend Griechenland aufge- weicht werden. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günter Gloser und Martin Burkert (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmecha- nismus, ESM, ist ein unterlässlicher Beitrag zur Stabili- sierung der Euro-Zone und der Bewältigung der Folgen der Finanzmarkt- und Hypothekenkrise, die 2008 be- gann. Daher befürworten wir die Einrichtung dieser Fi- nanzinstitution. Allerdings sehen wir einen unaufgelös- ten Zielkonflikt zwischen der Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle einerseits und der Unab- hängigkeit des Gouverneursrates und des Direktoriums andererseits. Die Nichtauskunftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag sowie die Immunität der Leitungsgremien des ESM stel- len einen großen Vertrauensvorschuss gegenüber den Mitgliedern des Gouverneursrates und des Direktoriums dar. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Philip Winkler und Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die Europäische Union und der Euro-Raum befinden sich in einer der schwersten Krisen seit Ende des Zwei- ten Weitkrieges. Einige Mitgliedstaaten sind mit massiv gestiegenen Zinsforderungen für ihre Kredite konfron- tiert, ihnen droht der Staatsbankrott. Die wirtschaftlichen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22787 (A) (C) (D)(B) Auswirkungen auf andere mit ihnen eng verwobene Volkswirtschaften sowie die politischen Konsequenzen für die weitere europäische Integration wären desaströs. Die Ursachen der Krise sind mannigfaltig. Sie reichen von fehlender Regulierung von Finanzmärkten und Ban- ken, spekulativen Finanzgeschäften über mangelnde Haushaltsdisziplin, der Finanzierung von Konjunktur- paketen bis hin zu erheblichen Leistungsbilanzdefiziten. Um der Krise zu begegnen sind verschiedene Maß- nahmen notwendig. Rettungsschirme müssen aufge- spannt werden, um den betroffenen Ländern wieder eine Refinanzierung zu ermöglichen und somit deren Zah- lungsunfähigkeit abzuwenden. Verbindliche Regeln, wie Grenzen für nationale Defizite und Schuldenbremsen, müssen zur Sicherstellung nachhaltiger und stabiler Haushaltspolitik eingeführt werden. Die Finanzmärkte müssen reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt werden. Die bestehenden Schulden müssen konsequent zurückgeführt werden. Nicht zuletzt müssen den ange- schlagenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Perspekti- ven aufgezeigt werden – wir brauchen Investitionspro- gramme in nachhaltige Technologien beispielsweise in den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien. Der Deutsche Bundestag hat heute mit der Entschei- dung für den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Fiskalpakt entlang dieser Linien die Wei- chen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen Union, des Euros und der europäischen Finanzmärkte gestellt. Mit dem ESM wird dem Euroraum ein perma- nenter Rettungsschirm zur Verfügung stehen. Ausgestat- tet mit einem eigenen Kapitalstock wird er dazu in der Lage sein, in Not geratene Staaten bei ihrer Refinanzie- rung zu unterstützen. Der Fiskalpakt ist eine notwendige Ergänzung des ESM. Er stellt verbindliche Regeln zur Erstellung kon- solidierter Haushalte auf. Die Mitgliedstaaten verpflich- ten sich mit ihm zudem zur Einführung nationaler Schul- denbremsen. Diese Abkehr von der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig. Eine Haushaltskonsolidierung muss sowohl aus der Stei- gerung von Einnahmen als auch aus hoher Disziplin bei den Staatsausgaben bestehen. Im Zuge der Verhandlungen zu ESM und Fiskalpakt konnten durch eine erfolgreiche grüne Verhandlungsfüh- rung noch weitere wichtige Maßnahmen vereinbart wer- den: Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer werden die Märkte endlich an den Kosten der Krise be- teiligt. Investitionsimpulse, vor allem für nachhaltige In- vestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz, werden für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgen. Nicht zuletzt wird es eine stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträgen an den ESM geben. In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommu- nen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist rich- tig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Ver- gleich zum Bund deutlich begrenztere Möglichkeiten zur Refinanzierung haben. Mit der Einigung zu ESM und Fiskalpakt haben wir viel erreicht. Gleichwohl stehen weitere wichtige Ent- scheidungen aus. So konnten wir uns nicht auf die Ein- führung eines gemeinschaftlichen Schuldenabbaus eini- gen. Mit ihrer Blockadehaltung in dieser Frage gefährdet die Kanzlerin die positive Wirkung von ESM und Fis- kalpakt. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen. Weiterhin gilt es, Investitionen in eine ökologische und soziale Gesellschaft noch weiter auszubauen. Solche Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbewältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäi- sche Parlament muss in seiner Entscheidungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäi- sche Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Europa. Noch einige Anmerkungen zu den Rechten des Bun- destages im Rahmen des ESM und des Fiskalpaktes: Grundsätzlich darf keine wesentliche Entscheidung – weder im Rahmen des ESM noch im Rahmen des Fis- kalvertrags – ohne die vorherige Zustimmung oder Be- teiligung des Deutschen Bundestages getroffen werden. Im Einzelnen: Die Parlamentsbeteiligung beim ESM wird geregelt im interfraktionellen Änderungsantrag zum ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG. Dieser ent- hält die §§ 3 bis 7 zu den Parlamentsbeteiligungsrechten. Diese beinhalten folgende Regeln: a) Zustimmung Plenum erforderlich bei Veränderung des Stammkapitals, Veränderung des maximalen Dar- lehnsvolumens, Änderung der Finanzhilfeinstrumente sowie zweimalige Zustimmung, bevor ein Land unter den Rettungsschirm kommt. Dabei ist die erste Abstim- mung erforderlich, um einem Mitglied grundsätzlich Hilfe zu gewähren. Dafür müssen folgende Einschätzun- gen von der KOM und der EZB vorliegen: Erstens. Besteht eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro- Währungsgebiets? Zweitens. Kann der Staat die Staats- verschuldung tragen (Schuldentragfähigkeitsanalyse)? Drittens. Wie hoch ist der tatsächliche oder potenzielle Finanzierungsbedarf des Mitgliedstaats? Die zweite Ab- stimmung ist erforderlich, um dem Land tatsächlich Hil- fen zu zahlen. Dafür muss eine Einigung der Troika mit dem Mitgliedstaat vorliegen über: Erstens. Ein Memo- randum of Understanding mit detaillierten Auflagen Zweitens. Eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazili- tät, mit den Finanzierungsbedingungen und den einzel- nen Instrumenten. Grundsätzlich gilt: Nur mit einem vorherigen zustimmenden Votum des Bundestages darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat einem entspre- chenden Beschlussvorschlag zustimmen. Erteilt der Bundestag dieses Votum nicht, muss der deutsche Ver- treter den Beschlussvorschlag ablehnen. b) Zustimmung Haushaltsausschuss erforderlich bei: Änderungen an den Instrumenten innerhalb eines beste- hendes Programms, Kapitalabrufen – von genehmigten aber noch nicht eingezahlten Summen –, Annahme und Änderung von Durchführungsbestimmungen bei Finanz- hilfeinstrumenten. Auch hier gilt: Nur mit einem vorhe- rigen zustimmenden Votum des Haushaltsausschusses 22788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat oder Di- rektorium einem entsprechenden Beschlussvorschlag zu- stimmen. Erteilt der Haushaltsausschuss dieses Votum nicht, muss der deutsche Vertreter den Beschlussvor- schlag ablehnen. c) Zustimmung Sondergremium erforderlich bei Staatsanleihenkäufen auf dem Sekundärmarkt. Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Fiskalvertrags: Dank unseres grünen Siegs vor dem Bundesverfassungs- gericht sind auch im Rahmen des Fiskalvertrags umfas- sende Informations- und Mitwirkungsrechte sicherge- stellt. Monatelang lehnte es die Koalition ab, das EU- Beteiligungsgesetz, EUZBBG, an die Neuerungen des Fiskalvertrags anzupassen. Neue Verfahren, Dokumente und Steuerungsgruppen – wie beispielsweise der Euro- Gipfel – wären ohne gesetzlich verankerte Parlaments- rechte geblieben. Doch mit dem Rückenwind aus Karlsruhe konnten wir uns trotz heftigen Widerstands der Koalition durchsetzen: Das EUZBBG wird geän- dert – verankert in Art. 2 des Fiskalvertragsratifizie- rungsgesetzes – und regelt, dass alle Beratungsgegen- stände, Vorschläge und Initiativen von den Informations- und Mitwirkungsrechten des Bundestages erfasst sind und die Bundesregierung den Bundestag zum frühest- möglichen Zeitpunkt, umfassend, fortlaufend und in der Regel schriftlich unterrichten muss, die Unterrichtungs- und Übersendungspflichten der Bundesregierung auch für Dokumente, Protokolle, Berichte von, für und über wichtige Entscheidungsgremien wie den Euro-Gipfel, die Euro-Gruppe, die Euro-Arbeitsgruppe gelten. Doch nicht nur das. Auch bei allen künftigen intergouverne- mentalen/völkerrechtlichen Vereinbarungen/Verträgen muss der Bundestag frühestmöglich eingebunden wer- den – inklusive der Übersendung erster Vertragsent- würfe. Dies alles führt uns zu folgender Schlussfolgerung: Wir haben uns dazu entschlossen, für ESM und Fiskal- pakt zu stimmen. Die Initiativen enthalten nicht alle un- sere Forderungen. Wir sind dennoch davon überzeugt, dass sie einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung der Schuldenkrise darstellen und wichtige grüne Forderun- gen umsetzen. Wir wollen mit unserer Zustimmung das europäische Projekt vor einem herben Rückschlag be- wahren. Wir bekennen uns klar zu Europa und wollen nun auch dafür einstehen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Edelgard Bulmahn und Dr. Ernst Dieter Rossmann (beide SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanis- mus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Ich halte den permanenten Stabilitätsmechanismus für notwendig, um eine erneute Verschärfung der Euro- Krise und einen Zusammenbruch der Staatshaushalte weiterer Mitgliedsländer der Euro-Zone zu verhindern. Kernanliegen muss es derzeit sein, die Europäische Währungsunion vor den Auswirkungen unverantwort- licher Spekulationen zu schützen. Das geht nur durch ein Zeichen der Solidarität der einzelnen Mitgliedsländer der Euro-Zone untereinander gegenüber den Akteuren des Finanzmarkts. Eine weitere Destabilisierung des Euro könnte nicht nur zum Zerfall der gemeinsamen Währung führen, son- dern würde auch die Existenz der Europäischen Union als solche gefährden. Eine derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Bürge- rinnen und Bürger am Herzen liegt. Allerdings impliziert die Übertragung von elemen- taren Rechten auf nicht demokratisch legitimierte Insti- tutionen – Gouverneursrat, Direktorium –, wie sie zur Zeit vorgesehen sind, grundlegende verfassungsrecht- liche Probleme. Es gilt, einen Ausgleich zwischen der Handlungsfähigkeit entsprechender Institutionen und ausreichender parlamentarischer Kontrolle herzustellen. Meines Erachtens ist deshalb vor allem bei der weiteren Ausgestaltung der Institutionen des permanenten Stabili- tätsmechanismus darauf zu achten, dass Hoheitsrechte des Bundestages gewahrt und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts gestaltet werden. Es ist daher zwingend geboten, bei der Implementierung des Vertrags dafür zu sorgen, dass die demokratische Legitimation stets die Richt- schnur bildet. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Europa sollten jenseits der aktuellen Rettungsmaßnah- men ein Bild eines demokratischeren und handlungs- fähigeren Europas entwickeln. Das setzt eine engere Zu- sammenarbeit voraus, die letztlich eine Grundlage dafür bildet, politische Mehrheiten zu schaffen, auch in Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen ist: nämlich eine wirkliche Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22789 (A) (C) (D)(B) politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozial- union aufzubauen. Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn die politische Union geschaffen werden soll. Derartige europäische Pläne werden letztlich auch die Übertragung nationaler Souveränitätsrechte an dann geschaffene, de- mokratisch legitimierte europäische Institutionen be- inhalten müssen. Dieses wird die Weiterentwicklung des deutschen Grundgesetzes einschließen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in ihrer Weisheit bereits durch Art. 146 des Grundgesetzes diesen Weg beschrie- ben, indem sie eine Öffnungsklausel aufgenommen ha- ben, die die Weiterentwicklung der Verfassung durch eine Entscheidung des deutschen Volkes vorsieht. Eine solche Entscheidung muss sorgfältig vorbereitet werden. Weite Teile des Grundgesetzes können beibehalten wer- den. Es gilt, ein neues Verhältnis von Europa, der Bun- desrepublik, den Bundesländern und den Kommunen zu entwickeln. Die Zeit sollte nicht fahrlässig verschwendet werden. Die Zeit ist reif für einen solchen Prozess. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lisa Paus, Katja Dörner und Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die weitere Verschärfung der Finanz- und Wirt- schaftskrise in Europa fordert von uns, grundlegende Richtungsentscheidungen für die Zukunft der Europäi- schen Union zu treffen. Die Krise in Europa spitzt sich momentan dramatisch zu. Viele Staaten in Europa befin- den sich in einer schweren Rezession. Millionen Men- schen, vor allem Jugendliche, sind arbeitslos. Die soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich nimmt weiter zu. Der Zinsdruck auf Länder wie Italien oder Spanien ist enorm. Die Kapitalflucht aus Südeuropa verschärft sich. Noch nie war der Fortbestand der Währungsunion in ih- rer bisherigen Form so stark gefährdet wie jetzt. Noch nie war die Sorge während dieser Krise so groß, dass Eu- ropa die Weltwirtschaft in eine Rezession reißt. Wir streiten in dieser Situation für mehr Europa. Wir wenden uns entschieden gegen nationalistische Ressenti- ments und Anti-Europa-Populismus. Wir wollen ein starkes, demokratisches, soziales und ökologisches Eu- ropa, weil wir wissen, dass das unsere Zukunft ist und nur so die Krise nachhaltig zu lösen ist. Der Fiskalpakt ist in dieser Situation allerdings die falsche Antwort. Die Analyse, die dem Fiskalpakt zu- grunde liegt, trifft nicht zu. Europa leidet nicht an einer durch staatliche Ausgabenwut entstandenen Krise. Kann man beim Fall Griechenland noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates ei- nen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausrei- chend, um die Lage des Landes zu erklären. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommen die Schwäche des europäischen Bankensys- tems, die massive Überschuldung privater Haushalte wie in Spanien, Immobilienblasen wie auch in den Nie- derlanden und massive ökonomischen Ungleichge- wichte in der Euro-Zone sowie die dramatische Un- gleichverteilung von Vermögen, zu denen auch die Politik der Maximierung von Exportüberschüssen, ge- rade auch in Deutschland, beigetragen hat. Dies zu korri- gieren, müsste eigentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen. Der Fiskalpakt setzt dagegen nur auf die Einführung nationaler Schuldenbremsen. Wir halten Schuldenbrem- sen im Grundsatz für richtig und wollen Schulden des Staats begrenzen. Sie sind aber nur unter zwei Bedin- gungen hilfreich. Erstens. Wenn ein strukturelles Einnahmeproblem des Staats besteht, erzwingen Schuldenbremsen einen Rück- bau des Staats durch Kürzungen in allen staatlichen Be- reichen und umfangreiche Privatisierungen. Am Ende einer solchen Entwicklung steht eine Gesellschaft, die dem Wunsch von Marktradikalen entspricht: mit einem schwachen Staat, der nicht einmal mehr im Kernbereich der Daseinsversorgung handlungsfähig ist. Wir sind die Partei der öffentlichen Güter, wir stehen für Zukunftsin- vestitionen und einen leistungsfähigen öffentlichen Sek- tor. Deswegen muss für uns gelten: kein Fiskalpakt ohne Korrektur des strukturellen Einnahmeproblem der euro- päischen Staaten. Eine faire Lastenverteilung ist für uns kein Beiwerk zu den nötigen ökonomischen und strukturellen Refor- men, sondern muss im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Dafür muss ein europäischer Steuerpakt auf den Weg gebracht werden. Als Grüne kämpfen wir auf allen Ebenen dafür, dass Vermögende und Besserverdienende 22790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden, dass Subventionen auf ökologisch schädliches Verhalten abgebaut werden und Steuern auf Umwelt- verbrauch erhöht werden. Bei der Beteiligung der Kri- senverursacherinnen und -verursacher an den Kosten zeichnet sich mit dem Verhandlungserfolg bei der Fi- nanztransaktionsteuer ein erstes Umschwenken an. Zu- sätzlich braucht es aber auch die Einführung von Vermö- gensabgaben europaweit zum Abbau der Schulden, die als „Verstärkte Zusammenarbeit“ koordiniert werden könnte. Steuerdumping, Steuerhinterziehung und der le- gale, aber unfaire Steuerwettbewerb durch Gewinnver- rechnung über Briefkastenfirmen müssen beendet wer- den. Ziel unserer Steuerpolitik ist ein steueroasenfreies Europa ohne Bankgeheimnis. Wir wollen bei der Unter- nehmensbesteuerung einen europäischen Mindeststeuer- satz und eine gemeinsame konsolidierte Bemessungs- grundlage. Zweitens. Schuldenbremsen müssen wirtschaftlich sensibel sein und dürfen nicht fiskalisch prozyklisch wir- ken. Ansonsten verschärfen sie in konjunkturellen Kri- sen die Rezession und führen so zu mehr Schulden. Wer Schulden nachhaltig begrenzen will, muss gerade in Kri- senzeiten Investitionen ermöglichen. Die Berechnungs- methode für eine Schuldenbremse darf zudem nicht ge- staltungsanfällig sein, da sie sonst zum einen dem Ziel, der Schuldenbegrenzung entgegenwirken zu können, schadet und zum anderen zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen und damit zu Rechtsunsicherheit führen. Der Fiskalpakt erlaubt den Vertragsstaaten in Zukunft nur noch eine strukturelle Nettokreditaufnahme in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Zah- len und Regelungen erwecken den Anschein von Objek- tivität und Stabilität, doch das Gegenteil ist der Fall. In der Fachanhörung zum Fiskalpakt im Februar 2012 in der grünen Bundestagsfraktion hat der Sachverständige Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies auf die große Gestaltungsanfälligkeit der Schuldenbremsen- regelung hingewiesen. So wird jeweils nach Vorgaben der Europäischen Kommission das strukturelle und das konjunkturelle Defizit ermittelt. Dabei müssen das Po- tenzialwachstum, die Outputlücke und die Budgetsensi- tivität durch die Europäische Kommission ermittelt bzw. geschätzt werden; ein hochkomplexes mathematisches Verfahren und damit eben auch gestaltbar. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK, hat im Januar 2012 die Studie „Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der De- tailanalyse“ veröffentlicht und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Schuldenbremsenregelung intransparent, komplex und gestaltungsanfällig ist und zudem prozy- klisch wirkt und damit ökonomisch extrem gefährlich werden kann. Für die Berechnung des strukturellen Defi- zits ließen sich auf Grundlage der wissenschaftlichen Li- teratur leicht 70 und mehr Varianten beschreiben, die alle den maßgeblichen Vorgaben der EU-Kommission genügen. Je nach verwendeter Variante ergaben sich für das strukturelle Defizit Deutschlands im Jahr 2010 Werte zwischen 10 und 40 Milliarden Euro, rechneten die IMK-Ökonomen Henner Will und Achim Truger vor. Im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt wird weiter- hin behauptet, Vereinbarungen zwischen Staatsober- häuptern seien besser als Beschlüsse der gesamteuropäi- schen Volksvertreterinnen und Volksvertreter gemeinsam mit dem Ministerrat. Dabei haben gerade fehlender europäischer Ehrgeiz, die Vernetzung und Ab- hängigkeit der Einzelstaaten in ihrer Konjunktur, ihren Finanzmärkten, ihrem privaten und staatlichen Wirt- schaften Europa an den Rand des Scheiterns gebracht. Der Fiskalpakt verweist zurück in die Vergangenheit und wühlt damit vieles vom Müllhaufen der Geschichte auf, das schon überwunden geglaubt war: nationale Ressen- timents, deutsche Sonderwege, eine darwinistische Inter- pretation von wirtschaftlichen Unterschieden in Europa und Szenarien von „Lieber ein Ende mit Schrecken“. Er fördert die Einteilung in Geberländer und Nehmer- länder, bei denen Geld immer nur in eine Richtung flie- ßen soll und europäische Probleme vor allem die Pro- bleme der Schwachen seien. Dabei ist die Bundesrepu- blik ein Nehmer riesiger Vorteile durch den europäi- schen Binnenmarkt, gerade auch in der Krise. Gut 50 Milliarden Euro Zinsvorteil ist für den Bundeshaus- halt durch das überschießende Zinsgefälle 2009 bis 2012 für den Bundeshaushalt bereits entstanden. Weitere rund 50 Milliarden Euro mehr an Exporteinnahmen dürf- ten darauf zurückgehen, dass nur durch die Währungs- union Exporte aus Deutschland, als dem einzigen öko- nomisch prosperierenden Land, umgeben von Ländern in Rezession nicht durch Währungsaufwertung verteuert und dramatisch verringert wurden, sondern noch weiter zulegen konnten. Wir finden es brandgefährlich, diese riesigen Vorteile Deutschlands mit wortloser Selbstver- ständlichkeit einzustreichen und mit dem Fiskalpakt aus- schließlich Schuldzuweisungen zurückzugeben. Während die EU dringend mehr Gemeinsamkeit und mehr Demokratie braucht, führt der Pakt auf den grund- falschen Weg fort von den Gemeinschaftsinstitutionen, weg vom Europäischen Parlament. Dieses hat im Rah- men des intergouvernementalen Fiskalpakts keine Betei- ligungs- und Kontrollrechte. Die im Fiskalpakt nicht zu- letzt auf Drängen des Europaparlaments aufgegriffene Zielstellung, das Recht des Fiskalpakts binnen fünf Jah- ren in das EU-Recht zu integrieren, ist wenig mehr als eine unverbindliche Absichtserklärung. Man kann auch sagen: Es ist weiße Salbe. Denn ohne Mitwirkung des Vereinigten Königreiches wird das nicht gehen. Damit droht der Fiskalpakt aber zum Parallelrecht auf Dauer zu werden. Europarechtlich ist der Fiskalpakt ein Rück- schritt, ein Rückfall in die Zeit des Intergouvernementa- lismus und eine Blockade gegen mehr supranationale Demokratie. Die Demokratie ist in den Staaten der Europäischen Union seit langem verankert, aber jahrelange Massenar- beitslosigkeit hat bereits das Erstarken rassistischer, so- gar faschistischer Kräfte in mehreren Ländern der EU begünstigt. Zweifellos sind Reformen in den Wirt- schaftssystemen und Arbeitsmärkten vieler EU-Mit- gliedstaaten notwendig. Zu Recht erwarten die betroffe- nen Menschen aber, dass dies mit der nötigen demokratischen Mitbestimmung und Legitimität sowie einem gerechten sozialen Ausgleich passiert. Die Inter- nationale Arbeitsorganisation warnt, dass ohne einen dramatischen Politikwechsel die Arbeitslosigkeit, insbe- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22791 (A) (C) (D)(B) sondere auch für Jugendliche, vor 2016 nicht absinken wird. Der Fiskalpakt enthält weder die nötige antizykli- sche Flexibilität noch jeglichen sozialen Ausgleich mit einer gerechten Steuerpolitik, um ein prognostiziertes verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen in vielen Staaten Europas zu verhindern. Er schränkt Demokratie weiter ein, statt sie auszuweiten. Um einen deutlichen Politikwechsel einzuleiten, wä- ren wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zins- drucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen Altschuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständi- genrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine echte Bankenunion mit einer europäischen Aufsicht, einem Restrukturierungsregime und einer Einlagen- sicherung sowie durch ein sozial-ökologisches Investi- tionsprogramm in einer Höhe, die mindestens den Haus- haltskürzungen in den von Rezession betroffenen Staaten entspricht. Außerdem brauchen wir europaweite Vermögensabgaben und eine Korrektur der strukturellen Unterfinanzierung der Staaten in Europa. Diesen Politikwechsel wird es mit dem Fiskalpakt, auch nach den grünen Verhandlungserfolgen, leider nicht geben. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung ist es gelungen, konkrete Schritte für die Einführung einer Fi- nanztransaktionsteuer verbindlich zu vereinbaren. Hier konnten wir also eine Richtungsveränderung durchset- zen, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Die Finanz- transaktionsteuer soll noch in diesem Jahr im Wege der Methode der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in den ers- ten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Außerdem wurde als Verhandlungsergebnis zwischen Opposition und Regierung über eine Ergänzung des Fis- kalpakts mit weiteren Maßnahmen vor diesem Hinter- grund ein sogenanntes Wachstumsprogramm beschlos- sen. Die Umwidmung von Strukturfondsmitteln führt jedoch zu keinen zusätzlichen Investitionen; denn diese Mittel sind in voller Höhe bereits Teil der bestehenden Konjunkturschätzungen der mehrjährigen Finanzpla- nung der Bundesregierung. Der Kommissionsvorschlag einer Connecting Europe Faszilität mit 50 Milliarden Euro wird von der Bundesregierung zwar nicht als sol- che abgelehnt. Die Bundesregierung fordert aber weiter- hin in den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrah- men der EU statt einer Ausweitung eine Kürzung um rund 100 Milliarden Euro. Übrig bleibt die beabsichtigte Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank und ein eng begrenzter Pilotversuch von Projektanleihen. Bei einem Multiplikator von circa zwei ergibt dies einen Im- puls von rund 125 Milliarden Euro bzw. 1,3 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts, der sich aber über wenigs- tens vier Jahre verteilt und pro Jahr eine konjunkturelle Wirkung von weit weniger als einem Prozentpunkt er- reicht. Dies ist zu wenig, um die Kürzungen in den euro- päischen Krisenstaaten ausgleichen zu können. Histori- sche Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Kürzungen so groß sind, dass die negativen Auswirkungen das Defi- zit der Länder tatsächlich sogar vergrößern und ein ange- messeneres Tempo der Sparprogramme sogar zur Be- schleunigung des Schuldenabbaus beitragen könnte. Die bisher bekannten Ergebnisse des Europäischen Rates vom 28./29. Juni bremsen die Krise wahrschein- lich für eine kurze Atempause, lassen aber leider vermu- ten, dass auch auf europäischer Ebene die Defizite des Fiskalpakts nicht ausgeglichen wurden. Angela Merkel hat sich über ihre selbst beschriebenen Grenzen hinaus auf von uns geforderte Fortschritte eingelassen: eine teil- weise Vereinheitlichung der Bankenaufsicht bei der Eu- ropäischen Zentralbank, die direkte Rekapitalisierung von Banken durch den Europäischen Stabilitätsmecha- nismus und die flexiblere Nutzung seiner Instrumente. An wichtigen Stellen hat Merkel aber konsequentere Fortschritte verhindert: Um ein wirklich gemeinsames Vorgehen zu vermeiden, war die Bundesregierung bereit zu einer Lösung, die auch große Kapitalgeber von Ban- ken von jeder Haftung ausnehmen wird, wenn der ESM Banken direkte Hilfe zukommen lässt. Die Übernahme der Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank erfolgt wohl unvollständig nicht für alle grenzüber- schreitend tätigen Institute, sondern für eine politisch ge- kürzte Liste an Instituten. Auch hier fordern wir weiter- hin eine stringent europäische Lösung, bei der die Abwicklung von Banken, die Einlagensicherung und die Aufsicht auf der gleichen, nämlich der Ebene der EU als echte Bankenunion zusammengeführt werden sollte. Es fehlt weiterhin an fast jeglicher parlamentarischer Mit- wirkung und Kontrolle über das Abnicken vorher getrof- fener Vereinbarungen hinaus. In diesem Mangel an Be- reitschaft zu gemeinsamen europäischen Lösungen, an diesen nationalen Vorbehalten sehen wir die falsche Lo- gik des Fiskalpakts erneut auftauchen. Wir haben als Partei gemeinsam die Ergebnisse dieser Verhandlungen auf dem Länderrat am 24. Juni in Berlin kontrovers diskutiert. Eine Mehrheit des Länderrats hat nach einer kontroversen Debatte eine Zustimmung zum Fiskalpakt empfohlen. Dieses Votum des Länderrats ha- ben wir bei der Entscheidungsfindung für das heutige Abstimmungsverhalten intensiv mit einbezogen. Aber auch nach zwei Jahren Euro-Krise ist nach den intensi- ven Verhandlungen in Deutschland zum Fiskalpakt und nach dem Europäischen Rat am 28./29. Juni immer noch keine dauerhafte und stabile Lösung der Krise erkenn- bar. Der Fiskalpakt bleibt für uns immer noch als Instru- ment zur Bekämpfung der Krise der grundsätzlich fal- sche Ansatz. Ohne eine Minderung des Zinsdrucks und eine Korrektur des strukturellen Einnahmeproblems wird eine weitere Kaputtsparpolitik in Europa die Krise weiter verschärfen und zu einem weiteren Abbau des So- zialstaats führen. Außerdem ist der Fiskalpakt ein Rück- schritt für die europäische Demokratie. Die Situation für den Euro und Europa in dieser dramatischen Krise ist sehr ernst. Wir tragen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag eine Verantwortung für Europa. Wir können deshalb diesem Fiskalpakt nicht zustimmen und werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Maria Klein-Schmeink und Sylvia Kotting-Uhl (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 22792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Die Analyse, die dem von der Bundesregierung aus- gehandelten Fiskalpakt zugrunde liegt, ist irreführend. Europa leidet nicht an einer durch staatliche Ausgaben- wut entstandenen Krise. Kann man beim Fall Griechen- land noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates einen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausreichend, um die Lage des Landes zu erklären. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommen die Schwäche des europäischen Bankensystems, die massive Überschuldung privater Haushalte wie in Spa- nien, Immobilienblasen wie auch in den Niederlanden und massive ökonomischen Ungleichgewichte in der Euro-Zone sowie die dramatische Ungleichverteilung von Vermögen, zu denen auch die Politik der Maximie- rung von Exportüberschüssen, gerade auch in Deutsch- land, beigetragen hat. Dies zu korrigieren, müsste ei- gentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen. Die Demokratie ist in den Staaten der Europäischen Union heute fest verankert, aber jahrelange Massen- arbeitslosigkeit hat bereits zum Erstarken rechtsextre- mer, sogar faschistischer Kräfte in mehreren Ländern der EU geführt. Zweifellos sind Reformen in den Wirt- schaftssystemen und Arbeitsmärkten vieler EU-Mit- gliedstaaten notwendig. Zu Recht erwarten die betroffe- nen Menschen aber, dass dies mit der nötigen demokratischen Mitbestimmung und Legitimität sowie einem gerechten sozialen Ausgleich passiert. Der Fiskal- pakt enthält weder die nötige antizyklische Flexibilität noch jeglichen sozialen Ausgleich, um ein prognostizier- tes „verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen“ in vielen Staaten Europas zu verhindern. Er schränkt De- mokratie weiter ein, statt sie auszuweiten. Die Internationale Arbeitsorganisation warnt, dass ohne einen „dramatischen Politikwechsel“ die Arbeits- losigkeit, insbesondere auch für Jugendliche, vor 2016 nicht absinken wird. Massenarbeitslosigkeit in diesem Ausmaß ist nicht nur für die Millionen betroffener Men- schen unmittelbar schwierig, zu ertragen, sondern kann große Teile einer Generation dauerhaft von einer aktiven Rolle in der Gesellschaft entfremden und zu entspre- chenden bleibenden Schäden auch in der politischen Kultur führen. Auch ökonomisch und haushälterisch kann dies zu einer Belastung weit über den Zeitraum der akuten Rezession hinaus führen, well eine verfestigte Entfremdung vom Arbeitsmarkt nicht einfach rückgän- gig zu machen ist. Um einen deutlichen Politikwechsel einzuleiten, wä- ren wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zins- drucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen Altschulden-Tilgungsfonds, wie ihn der Sachverständi- genrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine Bankenunion sowie durch ein sozial-ökologisches Inves- titionsprogramm in einer Höhe, die den Kürzungen in den von Rezession betroffenen Staaten entspricht. Auf dem Europäischen Rat wurden nun kurzfristige Maßnahmen zur Linderung des Zinsdrucks bei Spanien und Italien vereinbart. Sie bedeuten für Spanien, dass die Bankenrettung – anders als bisher geplant – nicht über eine zusätzliche Schuldenbelastung für Spanien, sondern über direkte Hilfen aus dem ESM organisiert werden soll. Das löst für Spanien, nicht aber für andere Staaten, das Problem der gegenseitigen Verstärkung von Banken- krise und Staatsschuldenkrise. Außerdem sollen italieni- sche Staatsanleihen aufgekauft werden. Das kann den Zinsdruck mildern, löst aber das grundsätzliche Problem nicht, dass Italien in den nächsten Jahren immer wieder einer neuen Welle von Investorenmisstrauen gegenüber- stehen kann, die das Land in Schwierigkeiten bringen. Als Verhandlungsergebnis zwischen Opposition und Regierung über eine Ergänzung des Fiskalpaktes mit weiteren Maßnahmen wurde vor diesem Hintergrund ein „Wachstumspaket“ beschlossen. Beim Großteil der ver- einbarten Maßnahmen handelt es sich nicht um zusätzli- che Mittel, sondern lediglich um Umschichtungen und bestenfalls einen Vorzieheffekt. Andere Maßnahmen wie die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investi- tionsbank setzen darauf, einen Anreiz für private Investi- tionen zu schaffen. Solange aber in den Krisenländern die Unsicherheit über einen Fortbestand des Euro weiter- besteht und die Länder bereits In der Rezession sind, wird es dort nicht zu zusätzlichen privaten Investitionen kommen. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung ist es gelungen, konkrete Schritte für die Einführung einer Fi- nanztransaktionsteuer verbindlich zu vereinbaren. Hier konnten wir also eine Richtungsveränderung durchset- zen, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Die Finanz- transaktionsteuer, FTT, soll noch in diesem Jahr im Wege der Methode der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in den ersten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22793 (A) (C) (D)(B) Damit gelingt es nach vielen Jahren politischen Drucks aus Zivilgesellschaft und Parlamenten, eine relevante Besteuerung des Finanzsektors voranzubringen. Gleich- zeitig wird damit sichergestellt, dass ein Teil des Konso- lidierungsbedarfs, den der Fiskalpakt erzwingt, durch neue Einnahmen erreicht werden kann. Das mildert die zu befürchtende einseitige Wirkung des Fiskalpakts. Diese Veränderungen waren nur möglich um den Preis einer Zustimmung zum Fiskalpakt. Auf diesen Weg haben wir uns als Partei und Fraktion eingelassen. Vor diesem Hintergrund habe ich dem Fiskalpakt zuge- stimmt. Was jetzt notwendig ist, sind weitere Maßnahmen, die dafür sorgen, dass der Fiskalpakt seine potenziell schad- haften Wirkungen nicht entfalten kann. Grundsätzlich ist die ökonomisch verträgliche Rückführung staatlicher Defizite sinnvoll, denn Staatsverschuldung ist immer auch ein Verteilungsproblem: Einfache Arbeitnehmer fi- nanzieren über ihre Steuern die Zinszahlungen des Staa- tes mit, während Gutverdiener mit einer Anlage in Staatsanleihen noch Geld verdienen können. Aber eine ökonomisch vernünftige Schuldenbremse braucht Rah- menbedingungen, die für eine Linderung des Zinsdrucks der Altschulden sorgen. Sie muss insofern einhaltbar sein, dass Anpassungsdruck nicht nur auf der Ausgaben-, son- dern auch auf der Einnahmeseite entsteht, und sie muss flexibel in Bezug auf Investitionen und wirtschaftliche Schwächephasen sein. Diese Bedingungen erfüllt der Fiskalpakt gegenwärtig noch nicht. Sie müssen jetzt als Nächstes durchgesetzt werden. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Ulrich Schneider, Beate Walter-Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Der Fiskalpakt – eigentlich: Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – ist zu Recht umstritten. Man kann mit guten Gründen gegen oder für den Vertrag sein, wie auch das knappe Votum des Sonderländerrats der Grünen ge- zeigt hat. In so einer Entscheidungssituation haben wir als Abgeordnete nur die Wahl zwischen Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung. Wir können den Vertrag nicht ändern oder ergänzen oder eine ganz andere Lö- sung fordern, sondern müssen abwägen, ob der Vertrag mehr Nutzen oder mehr Schaden bewirkt. Der Fiskal- pakt ist bei weitem nicht ideal: Er liefert weder eine kurzfristige Lösung gegen den Zinsdruck noch geht er die eigentlichen Ursachen der Banken- und Finanzkrise an, sondern er zielt allein auf die Staatsschuldenkrise. Dennoch stimmen wir mit Ja. Warum? Dazu ließe sich viel sagen, wir möchten hier nur auf einige Hauptaspekte eingehen, die gegen den Fiskalpakt vorgebracht werden. Der Fiskalpakt schränkt die Autonomie der demokra- tisch gewählten Parlamente über das Budgetrecht ein. Das stimmt – aber nur, solange der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte über 60 Prozent des BIP liegt. Seit den 70er-Jahren ist der Schuldenstand immer weiter gewachsen. Offenbar sind die Parteienwettbewerbs- demokratien kaum in der Lage, eine nachhaltige Haus- haltspolitik zu machen. Man kann sagen, dass der Fiskal- pakt eine Bindung der Parlamente ist, die – ähnlich wie die politische Unabhängigkeit der Notenbank in der Geldpolitik – den Regierungen und ihren Parlaments- mehrheiten die Freiheit entzieht, eine Politik auf Pump zu machen. Das Problem ist, dass die Phase, in der daran gearbeitet wird, von den gegenwärtigen Schulden herun- terzukommen, hart wird und sehr lange dauern wird. Ein weiteres Problem ist der Entscheidungsmechanis- mus des Fiskalpakts. Dieser ist intergovernmental. Dies bedeutet, dass nur die Regierungschefs beschließen. Dies ist im Kern der gleiche Mechanismus wie im Bun- desrat in Deutschland. Beides ist problematisch, denn es handelt sich um Exekutivdemokratie. Die Parlamente entscheiden nur mittelbar durch Wahl und Kontrolle der Regierung und nicht direkt, aber es ist nicht per se un- demokratisch. Es schließt sich die Frage an, ob der Fiskalpakt unso- zial ist. Der Fiskalpakt ist dann unsozial, wenn ein aus- geglichener Haushalt nur über Ausgabenkürzungen und Sozialabbau erreicht wird. Viele befürchten, dass dies eine automatische Folge des Fiskalpakts ist, weil Ein- nahmeerhöhungen sich nicht durchsetzen ließen und der Fiskalpakt hierzu keine Pflichten auferlege. Für uns gilt, dass die Vermögenden einen wesentlichen Beitrag leis- ten müssen und wir uns immer für solide Haushaltspoli- tik ohne Sozialabbau einsetzen werden. Staatsschulden sind Ausdruck der politischen Feigheit, die erforder- lichen Finanzmittel durch ausreichende Besteuerung ein- zuholen. Staatsschulden sind außerdem die ungerech- 22794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) teste Art, den Staat zu finanzieren, denn Zins und Zinseszins zahlen alle Bürgerinnen und Bürger und künftige Generationen, und zwar an die Vermögenden, die dem Staat das Geld leihen. Nicht zuletzt können wir dem Fiskalpakt zustimmen, weil die Grünen in den Verhandlungen mit der Bundes- regierung einiges erreicht haben, vor allem ein seit Jah- ren verfolgtes Ziel, nämlich den Einstieg in die Einfüh- rung der Finanztransaktionsteuer. Selbst unter Rot-Grün in der Ära Schröder wurden die grünen Vorstöße als un- realistisch abgetan. Natürlich reicht dies alles nicht aus, um die Banken- und Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Die starke Zunahme der Staatsschulden ist nicht die Ursache der seit 2008 herrschenden Krise, sondern in den meisten Ländern eine Folge davon. Zum Beispiel hatte Irland vor der Krise 2007 eine Verschuldung von 24,83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und hat momentan, durch den Zu- sammenbruch seines Bankensystems bedingt, eine Ver- schuldung von 113,13 Prozent. In Spanien lag die Ver- schuldung 2007 bei 36,30 Prozent. Die Verschuldung ist dort nicht ganz so schnell gestiegen wie die Irlands, da die Banken Spaniens erst in diesen Jahr am zusammen- brechen sind. Die Verschuldung beträgt im Moment circa 79 Prozent. Aber auch Länder wie Portugal hatten vor der Banken- und Finanzkrise eine Verschuldung, die sich kaum von der Deutschlands unterschied. Im Falle Portugals waren es im Jahr 2007 68 Prozent, und jetzt sind es 112 Prozent. In Deutschland hat sich der Schul- denstand von 65 Prozent im Jahre 2007 auf 80 Prozent in 2012 erhöht. Die Regierung Merkel bekämpft mit der Schulden- krise nicht die Ursache der Krise, sondern deren Folgen. Sie sorgt nicht für eine Regulierung der Finanzmärkte und eine Beschränkung der Bankenmacht. Dies tut sie, weil sie aus ideologischen Gründen und aus Feigheit vor der Macht der Finanzmärkte lieber die Schuld populis- tisch zum Beispiel auf die Rentner in Griechenland schiebt. Griechenland hat einen Anteil von circa 2 Pro- zent am gesamten Bruttoinlandsprodukt der EU. Die Be- hauptung, dass die Menschen in Griechenland den Euro in die Pleite führen könnten, ist genauso wenig logisch, wie die Behauptung, eine mittelgroße Stadt wie Bremen, Nürnberg oder Essen könnte Deutschland in die Pleite führen. Nein! Frau Merkel will von ihrem Versagen und dem der anderen Regierungschefs der EU ablenken, die Banken und die Finanzmärkte zu regulieren. Als dringlichste Maßnahme ist es jetzt notwendig, die Staaten vom hohen Zinsdruck zu entlasten. Dies kann über unterschiedliche Wege geschehen, zum Beispiel über Euro-Bonds, eine Banklizenz für den ESM oder über Interventionen der Zentralbank am Sekundärmarkt für Staatsanleihen. Frau Merkel blockiert alle diese Aus- wege. Die Folge ist: Die Staaten und damit die Bürger dieser Staaten müssen immer höhere Zinsen für die alten Schulden bezahlen. Diese hohen Zinsen führen zu Ge- winnen für die Akteure an den Finanzmärkten, zum Bei- spiel die Banken. Ein erheblicher Teil der Schulden ist aber erst durch die Rettung der Banken entstanden. Die deutsche Regierung zwingt mit ihrer Blockadehaltung die Bürger vieler Staaten und am Ende auch die deut- schen Bürger, gigantische Summen an die Banken zu be- zahlen – für Schulden die es nur gibt, weil die Banken gerettet wurden. Ein erster Einstieg, die Finanzmärkte an den von ih- nen verursachten Kosten der Krise zu beteiligen, ist die Finanzmarkttransaktionsteuer. Dies reicht nicht aus. Wir brauchen einen Abbau der Ungleichgewichte in der EU, wir müssen die Banken verkleinern und regulieren, wir müssen das EU-Parlament stärken und vieles Weitere. Aber es ist den Grünen gelungen, in schwierigen Ver- handlungen erste richtige Schritte zu erreichen. Deshalb stimmen wir dem Gesamtpaket, trotz aller berechtigten Bedenken, zu. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Alexander Süßmair und Katrin Werner (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäi- schen Rates vom 25. März 2011 zur Ände- rung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hin- sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Der sogenannte Fiskalvertrag soll Anfang 2013 in Kraft treten und die Europäische Union, EU, angeblich in eine Stabilitätsunion verwandeln. Die Unterzeichner- staaten sollen durch den Vertrag auf den Kurs einer dau- erhaften Politik der Ausgabenkürzung und Austerität ge- bracht werden, indem sie sich dazu verpflichten, Schuldenbremsen – vorzugsweise in ihren Verfassun- gen – einzurichten und Staatsschulden über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP, um jährlich 5 Prozent abzubauen. Ich lehne die Ratifizierung des Fiskalpakts aus den folgenden Gründen ab: Erstens. Der Fiskalpakt ist ein offener Angriff auf die Demokratie in Europa: Er hebelt das Haushaltsrecht des Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22795 (A) (C) (D)(B) Bundestages und der anderen nationalen Parlamente fak- tisch aus. Einmal ratifiziert, kann ihn kein Land allein wieder aufkündigen. Der Fiskalpakt soll so den maßgeb- lich von der deutschen Bundesregierung forcierten Aus- teritätskurs unumkehrbar machen. Auch das Europäi- sche Parlament, EP, wird marginalisiert. Stattdessen sollen Kompetenzen auf nicht ausreichend demokratisch legitimierte Institutionen wie die EU-Kommission über- tragen werden. Zweitens. Der Fiskalpakt basiert auf einer falschen Analyse der aktuellen Krise des Euroraums: Diese geht nicht auf zu laxe Haushaltsführung und überhöhte Sozial- ausgaben zurück, sondern auf die fehlende Regulierung der Finanzmärkte, die Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten, die Leistungsbilanzüberschüsse innerhalb des Euro-Raums und die Bankenrettungspakete im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007. Drittens. Der Fiskalpakt ist wirtschaftlich unsinnig: Die vermeintliche Lösung der Euro-Krise – strenge Haushaltsdisziplin und Ausgabenkürzungen – hat die Krise noch weiter vertieft. Das Beispiel Griechenland zeigt, dass das Spardiktat der Troika aus Internationalem Währungsfonds, lWF, Europäischer Zentralbank, EZB, und Europäischer Kommission die Krise verschlimmert hat. Diese fatale Politik soll nun im Fiskalpakt verewigt werden. Viertens. Der Fiskalpakt bedroht die Sozialstaatlich- keit in ganz Europa: Weil eine Beteiligung der Krisen- verursacher und -profiteure ausgeschlossen wird, werden die darin vereinbarten haushaltspolitischen Re- gelungen den Druck erhöhen, Sozialabbau, Privatisie- rungen und Abbau öffentlicher Leistungen zu verschär- fen. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler, Sylvia Canel und Dr. Lutz Knopek (alle FDP), Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (beide CDU/CSU) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Heute treffen wir eine Richtungsentscheidung. Es geht um die Frage, welche Gestalt das politische Europa annehmen soll. Es geht um die Frage seiner Organisation und die Frage, wo seine politischen Kompetenzen an- gesiedelt sein sollen. Es geht daher um die Frage, ob Europa zentral oder dezentral organisiert wird und auf welcher Ebene sein Kern der Staatlichkeit liegt. Genau diese Entscheidung trifft heute das Parlament. Das ist nicht zulässig, denn die Verlagerung des Kerns demokra- tischer Staatlichkeit lässt das geltende Grundgesetz nicht zu. Man kann nicht einmal das Grundgesetz dahin ge- hend ändern. Dennoch wird heute über die Überführung der Staatlichkeit an eine höhere Ebene entschieden. Diese höhere Ebene ist indes nicht die Europäische Union, sondern ein neuer Euro-Staat, der keine Vorbilder kennt. Über diesen Umstand spricht niemand, weil die Dis- kussion um die vorgebliche Rettung des Euro durch Fis- kalvertrag und ESM den Blick auf die wahre Bedeutung der heutigen Entscheidung im Plenum verstellt. Wir hal- ten dies für einen Fehler. Die Entscheidung über die Ver- schiebung der Staatlichkeit von Deutschland in den neuen Euro-Staat darf nicht unter dem Deckmantel von ESM und Fiskalvertrag gefällt werden. Sie muss viel- mehr als solche deutlich bezeichnet und mit mindestens gleicher rechtlicher Qualität wie die über den Vertrag von Lissabon getroffen werden. Die heutige Entscheidung ist daher ein absoluter Tiefpunkt in der Geschichte des Deutschen Bundesta- ges. Niemals zuvor wurde eine bedeutendere Entschei- dung unter so falschen Voraussetzungen getroffen. In unser Bewusstsein muss gerückt werden, dass der Deut- sche Bundestag mit der Zustimmung zum ESM auf sein Budgetrecht – das Königsrecht – bereitwillig verzichtet. Das Budgetrecht ist Königsrecht, weil ein Parlament ohne eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmit- tel machtlos, also seiner eigentlichen Aufgabe beraubt ist. Eine Demokratie ist nicht denkbar ohne ein Parla- ment mit voller Budgethoheit. Aus diesem Grund schlussfolgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 38 GG, dass der Bestimmungsgehalt des Demokratieprin- zips missachtet wird, wenn das parlamentarische Budgetrecht entleert wird. Indes führt der ESM aus sowohl rechtlichen wie öko- nomischen Gründen zu unabsehbaren und unbegrenzten finanziellen Verpflichtungen Deutschlands. Dadurch saugt er das Budgetrecht des Bundestages aus und hin- terlässt nicht mehr als dessen leere Hülle. Rechtliche Grenzen sind dem Zugriff des ESM auf den Bundeshaushalt nicht gesetzt; denn die haushalts- rechtliche Beschränkung auf 190 Milliarden Euro wirkt nicht. Nach dem Vertrag über den Europäischen Stabili- tätsmechanismus sind alle Entscheidungen seiner Gre- 22796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) mien völkerrechtlich verbindlich, bis auf die Erhöhung des genehmigten Kapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV. Sie wird erst wirksam mit einer bundesgesetzlichen Er- mächtigung zur Bereitstellung neuer Mittel für den ESM. Doch diese einzige Vorkehrung gegen eine unge- wollte völkerrechtlich begründete Zahlungspflicht reicht nicht aus, wenn Deutschland auch auf andere Art und Weise zur Zahlung verpflichtet werden kann. Dies ist erstens der Fall beim Abruf genehmigten Kapitals zu einem höheren Ausgabepreis als zum Nennwert. Deutschland ist verpflichtet, jedem Abruf des genehmig- ten Kapitals nachzukommen, selbst wenn dieses mit einem Aufgeld auf den Nennwert, also zu einem höheren Ausgabepreis erfolgt. Dadurch entsteht eine völkerrecht- lich wirksame Zahlungspflicht, die Deutschland erfüllen muss, selbst wenn ihre Höhe die haushaltsrechtliche Vorsorge von 190 Milliarden Euro übersteigt. Dies ist zweitens der Fall, wenn ein erhöhter Kapitalabruf zur Verlustdeckung erfolgt, mit dem die Nichterfüllung der Zahlungspflicht eines anderen ESM-Mitglieds ausgegli- chen wird. Deutschland hat in diesen Fällen kein oder jedenfalls kein abschließendes Vetorecht, da einerseits Streitigkeiten über den Bestand von Zahlungspflichten in letzter Instanz vom EuGH entschieden werden und andererseits mit dem bestimmungsgemäßen Eintritt wei- terer Staaten zur Euro-Zone der deutsche Kapitalanteil am ESM absinken wird, wodurch sich die Sperrminorität in Luft auflöst. Ökonomisch bringt der ESM die Haftungsunion; denn jede Anleihe, die er auflegt, um damit die Schul- denstaaten zu finanzieren, ist ein Euro-Bond. Alle ESM- Mitglieder haften gemeinschaftlich mit dem Vermögen des ESM. Die Anleihen des ESM werden wegen der gemeinschaftlichen Haftung und größeren Sicherheit attraktiver sein als die Anleihen seiner Mitglieder. Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird sinken, wodurch die von den Mitgliedstaaten geforderten Zinsen steigen wer- den. Das drängt weitere ESM-Mitglieder in Hilfspro- gramme des ESM. Die Darlehen, die der ESM an diese Schuldenländer vergibt, sind vorrangig gegenüber ande- ren Staatsschulden zu bedienen. Das verteuert die Kre- ditaufnahme für die Programmländer zusätzlich. Wenn ein ESM-Mitglied auch nur ein einziges Mal ein Darle- hen vom ESM bekommen hat, wird es sich nie mehr ei- genständig am Kapitalmarkt finanzieren können, weil seine Refinanzierung teurer und nicht billiger wird. An- dererseits bringen die Anpassungsprogramme des ESM geringere Sanierungsanreize als hohe Kapitalmarktzin- sen. Griechenland, Irland und Portugal liegen jeweils hinter den Zielen ihres Anpassungsprogramms zurück. Das ist kein unglücklicher Zufall, sondern das zu erwar- tende ökonomische Ergebnis, wenn ein Land sich nicht am Kapitalmarkt finanzieren muss. Der ESM wird sich daher stetig ausweiten, schon bald die Rolle einer euro- päischen Schuldenagentur einnehmen und größeren Ka- pitalbedarf haben. Der ESM ist kein Rettungsschirm, sondern ein Ansteckungsmechanismus. Nicht das Fehlen der politischen Union bei Gründung der Währungsunion war der Fehler, sondern der ab- sichtsvolle Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im Jahr 2010. Dieser Rechtsbruch hat die aktuelle Krise ge- radezu ausgelöst. Mit dem ESM wird diese Krise nicht bekämpft, sondern die Saat gelegt, aus der die Schulden- und Transferunion heranwachsen wird. Die Haftungsge- meinschaft der ESM-Mitglieder ist nicht Zukunftsmusik, sondern Gegenwart; denn der ESM verfolgt ausweislich seines Vertragsstatuts nicht nur den Zweck, die Euro- Zone zu schützen, sondern auch die Finanzstabilität aller seiner Mitgliedstaaten. Der ESM wird dadurch die Staatsinsolvenz jedes einzelnen seiner Mitgliedstaaten verhindern und als gemeinsame Bank zur Staatsschul- denfinanzierung dienen. Dadurch werden Staatsinsol- venzen innerhalb der Euro-Zone faktisch unmöglich. Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr bankrott gehen können, dann kann nur noch der neue Euro-Staat als Ganzes bankrott gehen. Es ist daher ökonomisch un- vermeidlich, dass es zu einer Sozialisierung sämtlicher Staatsschulden der ESM-Mitgliedstaaten kommen muss. Dieser Sozialisierung des Insolvenzrisikos steht keine adäquate Möglichkeit gegenüber, die Haushalte der Mit- gliedstaaten zu kontrollieren; denn der Fiskalvertrag ist ein zahnloser Tiger, der als Medizin gegen die geradezu widersinnige Anreizsituation herhalten soll, Schulden auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten zu machen. Doch diese Medizin wird sich als wirkungslos erweisen. Es gibt nur ein einziges Mittel, das Regierungen und Parlamente zu einem verhandlungsbewussten Umgang mit den Staatsfinanzen veranlasst, nämlich die Drohung des Kapitalmarkts, Schulden nicht länger zu finanzieren. Doch genau dieses disziplinierende Mittel haben wir plangemäß und absichtlich abgeschafft. Die heutige Gründung des Euro-Staats als Haftungs- union mit dem Euro-Bonds ausgebenden ESM als seiner Schuldenagentur lehnen wir ab. Dieser Euro-Staat ist nicht demokratisch legitimiert, er hat kein Parlament, und seine Organe sind weitgehend einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Sein Machtzentrum ist eine Finanz- institution, deren Gremien von Mitgliedern der natio- nalen Exekutiven besetzt werden. Sie müssen sich ge- genüber dem deutschen Gesetzgebungsorgan nicht verantworten. Nicht einmal der deutsche Gouverneur muss sich dem Bundestag gegenüber verantworten, weil das Kabinett nur der Bundeskanzlerin verantwortlich ist. Eine politische Verantwortlichkeit ist daher nicht gege- ben. Sie genießen überdies eine weitgehende und völker- rechtlich abgesicherte strafrechtliche Immunität. Der ESM ist ausführendes Organ des neuen Euro-Staats, ähnelt in seiner Ausgestaltung aber einer herkömmlichen Bank. Seine Organe unterliegen einer Schweigepflicht, sein Archiv ist unverletzlich. In der Wirkung ist der ESM somit durch das Bankgeheimnis geschützt, wel- ches wir für alle anderen europäischen Banken abge- schafft haben. Der ESM darf nicht nur Kredite vergeben und Staatsanleihen aufkaufen, sondern alle Geschäfte in Bezug auf Anleihen durchführen. Damit kann er den Zins durch Geschäfte mit Derivaten auf Staatsanleihen beliebig manipulieren. Aufgekaufte Staatsanleihen darf er wiederum als Sicherheit hinterlegen, um sein Volu- men durch die Aufnahme weiterer Gelder am Kapital- markt zu hebeln. Seine Bediensteten zahlen keine Steu- ern. Sie dürfen nach Handelserfolg bezahlt werden, also umso höher, je größere Gewinne sie für den ESM am Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22797 (A) (C) (D)(B) Kapitalmarkt erzielen. Keines der vom ESM und seinen Bediensteten durchgeführten Geschäfte ist transparent oder in irgendeiner Weise kontrollierbar, sei es durch das Parlament oder die Justiz. Diese enorme Machtfülle eines Exekutivorgans ohne „checks and balances“ ist ein Rückfall in eine vormo- derne Staatsform. Sie ist ein veritabler Verstoß gegen die hergebrachten Grundsätze der Gewaltenteilung, die maßgebliches Kennzeichen unserer freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung sind. Wir kennen keine Um- stände, unter denen wir davon auch nur ein Jota abwei- chen dürften. Selbst in der Not gelten Gebote! Sogar und gerade in der Not müssen Gebote gelten; denn sie sollen genau in diesen schlechten Zeiten Orientierung geben. In der Krise unserer Währung darf nichts anderes gelten. Wenn die Ordnungsregeln der Währung gebrochen wer- den, dann bricht die Währung. Wir müssen daher ab- schließend festhalten: Wenn Währung, Recht und frei- heitlich-demokratische Grundordnung durch politisches Handeln gefährdet werden, dann ist dieses Handeln falsch. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Schieder (Weiden), Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe (Leipzig), Hilde Mattheis, Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Wir lehnen den Fiskalpakt ab, weil er politisch falsch, ökonomisch unsinnig und sozial ungerecht ist – und weil er zur Lösung der Euro-Krise nicht taugt. Wir nehmen die eindringlichen Warnungen vieler Ökonomen und führender Gewerkschafter, die sich besorgt an uns Bun- destagsabgeordnete gewandt haben, ebenso ernst wie diesbezügliche Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb stimmen wir beim Fiskalpakt mit Nein. Der Fiskalpakt verschärft deutlich die schon im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und ist deswe- gen ein problematischer Eingriff in die Haushaltsautono- mie von Bund und Ländern. Er bedeutet einen weiteren Schritt der Entdemokratisierung Europas: mehr Macht für die EU-Bürokratie ohne parlamentarische Gegenkon- trolle. Wir plädieren ausdrücklich für ein Europa der So- lidarität und für vertiefte Zusammenarbeit – die demo- kratisch und parlamentarisch legitimiert sein muss. Mit dem Fiskalpakt wird der Zwang zu Ausgabenkür- zungen in fast ganz Europa regelrecht institutionalisiert, die Frage gerecht organisierter Steuereinnahmen bleibt völlig ausgeklammert. Auch wir treten dafür ein, dass öffentliche Haushalte konsolidiert und zu hohe Staats- schuldenquoten wieder zurückgeführt werden. Ohne Wachstum geht das aber nicht. Der Fiskalpakt jedoch ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsfinanzen und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat auch noch drastisch kürzt, dann beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Unsere feste Überzeugung ist: Prozyklische Haushaltspolitik und anhaltende Aus- gabensenkungen führen Europa geradewegs in eine lange Phase von Stagnation und Rezession. Der Fiskal- pakt ist eine Wachstumsbremse! Entgegen den Erwar- tungen der Verfechter des Fiskalpakts wird die Staatsver- schuldung nicht sinken. Kurzum: Schuldenabbau geht nur anders, mit Wachstum, Investitionen, guter Arbeit und gerechten Steuern. Stattdessen wird mit dem Fiskalpakt ein Weg des So- zialabbaus, der Einschränkung öffentlicher Dienstleis- tungen, schlechterer Infrastruktur, darbender Kommu- nalfinanzen, zunehmender Armut und Ungleichheit vorgezeichnet. Und das als Kernstück europäischer Poli- tik! Unsere Vorstellung von Europa ist eine andere. Die Krise im Euroraum spitzt sich gefährlich zu. Er- sichtlich ist die Merkelsche Politik gescheitert. Ihre seit mehr als zwei Jahren verordnete Therapie macht den Pa- tienten nicht gesund, sondern kränker. Ganz Südeuropa stürzt immer mehr in den wirtschaftlichen und sozialen Ruin. Als Folge davon brechen jetzt deutsche Exporte ein, auch für Deutschland kommen die Einschläge näher. Falsche Diagnosen haben zu schädlichen Rezepten geführt. Nicht laxe Haushaltspolitik hat uns in die Krise getrieben; vor der Finanzkrise sind überall in Europa die Staatsschuldenquoten gesunken. Erst infolge der Finanz- krise und der notwendigen Rettungsmaßnehmen der Staaten gingen die Defizite in die Höhe. Dass die Anle- ger Staatsanleihen nicht mehr trauen, liegt nicht an unso- lider Haushaltspolitik, sondern daran, dass die gemein- same Garantie der Staatsanleihen – zusammen mit der Zentralbank, wie das in allen Ländern der Fall ist (!) – ausdrücklich politisch verweigert wird. Das muss sich dringend ändern, und das fordern wir. Die Währungsunion braucht eine Wachstumsperspek- tive. Das wird zunehmend erkannt. Doch Wachstumspla- cebos, die mit künstlich aufgeblähten Zahlen kommuni- ziert werden, überzeugen uns nicht. Wer Wachstum will, 22798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) muss die völlig überzogenen und deswegen kontrapro- duktiven Konsolidierungsprogramme für die Südeuro- päer zeitlich strecken, damit die Ökonomien dort wieder atmen können. Wer Wachstum will, muss – gerade weil auch Deutschland mit Niedriglohnpolitik zu erheblichen Ungleichgewichten in der Währungsunion beigetragen hat – in Deutschland dafür sorgen, dass es ordentliche Löhne und mehr Binnennachfrage gibt. Genau dafür tre- ten wir ein. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Süßmair und Katrin Werner (beide DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, wollen 17 Länder der Euro-Zone eine neue Finanzinstitu- tion gründen, die Staaten und Banken in finanziellen Notsituationen mit Milliardenkrediten helfen soll. Er soll eine Ausleihkapazität von 500 Milliarden Euro bekom- men, während sich die Unterzeichner für insgesamt 700 Milliarden Euro haftbar machen. Der deutsche An- teil beläuft sich auf 21,7 Milliarden Euro, die binnen fünf Jahren eingezahlt werden müssen, und 168,3 Mil- liarden Euro, für die Deutschland haftet. Ich lehne den ESM aus den folgenden Gründen ab: Erstens. Die Risiken, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern durch den ESM aufgebürdet werden, sind gigantisch: Der Anteil des deutschen Haftungsanteils in Höhe von insgesamt 190 Milliarden Euro entspricht etwa zwei Dritteln des Bundeshaushalts. Das Stamm- kapital von anfänglich 700 Milliarden Euro kann darüber hinaus jederzeit durch einen Beschluss des Gouverneurs- rats und die Zustimmung der Mitgliedsländer ausgewei- tet werden. Zweitens. Die sogenannten Hilfsgelder, die der ESM in Zukunft auszahlen soll, kommen nicht der Bevölke- rung zugute, sondern werden für Zins- und Tilgungszah- lungen der Staaten an Banken und andere Gläubiger auf- gewendet werden. An keiner Stelle sind in dem Vertrag Klauseln vorgesehen, die die Empfänger der Hilfsgelder dazu verpflichten, soziale Standards einzuhalten. Der ESM ist also ein weiteres Instrument zur Rettung von Banken und der Vermögen von Superreichen – und nicht zur Unterstützung der Menschen. Drittens. Beantragt ein Land Gelder aus dem ESM, so muss es den undemokratischen und unsozialen Fiskal- pakt ratifiziert haben und sich zu rigiden Auflagen ver- pflichten, die von der EU-Kommission, der Europäi- schen Zentralbank, EZB, und nach Möglichkeit dem Internationalen Währungsfonds, IWF, diktiert werden, Art. 13.3. Die dramatischen Folgen dieses Spardiktats können wir aktuell In Griechenland beobachten. Viertens. Beim ESM ist praktisch keine parlamenta- rische Kontrolle vorgesehen. Während in dem Vertrag explizit begrüßt wird, Vertreterinnen und Vertreter des IWF einzuladen, werden Vertreterinnen und Vertreter der Parlamente ausgeschlossen. Die Entscheidungen des ESM werden durch den Gouverneursrat, also allein durch die Exekutive, getroffen, eine effektive parlamen- tarische Kontrolle ist dadurch unmöglich. Fünftens. Dem ESM wird volle Immunität gegenüber Gerichten und Parlamenten zugesichert, während alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegen. Dadurch wird eine öffentliche Kontrolle der Entscheidungen des ESM verunmöglicht. Sechstens. Genauso wie im Fiskalpakt, ist im ESM- Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit für einzelne Ver- tragspartner vorgesehen. Dem ESM soll damit ebenfalls eine Ewigkeitsgarantie gegeben werden, die demokra- tischen Grundsätzen Hohn spricht. Anlage 14 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zu: – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22799 (A) (C) (D)(B) am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG) – namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro- päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (Tagesordnungspunkt 50 a bis e) Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, wollen 17 Länder der Euro-Zone eine neue Finanz- institution gründen, die Staaten und Banken in finanziel- len Notsituationen mit Milliardenkrediten helfen soll. Er soll eine Ausleihkapazität von 500 Milliarden Euro be- kommen, während sich die Unterzeichner für insgesamt 700 Milliarden Euro haftbar machen. Der deutsche An- teil beläuft sich auf 21,7 Milliarden Euro, die binnen fünf Jahren eingezahlt werden müssen, und 168,3 Mil- liarden Euro, für die Deutschland haftet. Ich lehne den ESM aus den folgenden Gründen ab: Erstens. Die Risiken, die den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern durch den ESM aufgebürdet werden, sind gigantisch: Der Anteil des deutschen Haftungsanteils in Höhe von insgesamt 190 Milliarden Euro entspricht etwa zwei Dritteln des Bundeshaushaltes. Das Stammka- pital von anfänglich 700 Milliarden Euro kann darüber hinaus jederzeit durch einen Beschluss des Gouverneurs- rats und der Zustimmung der Mitgliedsländer ausgewei- tet werden. Zweitens. Die so genannten Hilfsgelder, die der ESM in Zukunft auszahlen soll, kommen nicht der Bevölke- rung zugute, sondern werden für Zins- und Tilgungszah- lungen der Staaten an Banken und andere Gläubiger ver- wendet werden. An keiner Stelle sind in dem Vertrag Klauseln vorgesehen, die die Empfänger der Hilfsgelder dazu verpflichten, soziale Standards einzuhalten. Der ESM ist also ein weiteres Instrument zur Bankenrettung – und nicht zur Unterstützung der Menschen. Drittens. Beantragt ein Land Gelder aus dem ESM, so muss es den undemokratischen und unsozialen Fiskal- pakt ratifiziert haben und sich zu rigiden Auflagen ver- pflichten, die von der EU-Kommission, der Europäi- schen Zentralbank, EZB, und „nach Möglichkeit“ dem Internationalen Währungsfonds, IWF, diktiert werden (Art. 13 Abs. 3). Die dramatischen Folgen dieses Spar- diktats können wir aktuell in Griechenland beobachten. Viertens. Beim ESM ist keine parlamentarische Kontrolle vorgesehen. Während in dem Vertrag explizit begrüßt wird, Vertreterinnen und Vertreter des IWF ein- zuladen, werden Vertreterinnen und Vertreter der Par- lamente ausgeschlossen. Die Entscheidungen des ESM werden durch den Gouverneursrat allein durch die Exe- kutive getroffen; eine effektive parlamentarische Kon- trolle ist dadurch unmöglich. Fünftens. Dem ESM wird volle Immunität gegenüber Gerichten und Parlamenten zugesichert, während alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegen. Dadurch wird eine öffentliche Kontrolle der Entscheidungen des ESM verunmöglicht. Sechstens. Genauso wie der Fiskalpakt, ist im ESM- Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit für einzelne Ver- tragspartner vorgesehen. Dem ESM soll damit ebenfalls eine Ewigkeitsgarantie gegeben werden, die demokrati- schen Grundsätzen Hohn spricht. Anlage 15 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 897. Sitzung am 15. Juni 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- kel 93) – Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes – Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz – Gesetz zur Änderung des Transplantationsgeset- zes Der Bundesrat hat ferner die nachfolgende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat stellt mit Blick auf die unterschiedli- chen regionalen Strukturen, insbesondere im Kranken- haussektor, fest, dass die Berücksichtigung der spezifi- schen regionalen Gegebenheiten von großer Bedeutung ist, um den Organspendeprozess durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation und ihre regionalen Unter- gliederungen bestmöglich zu organisieren. Er bedauert, dass das Gesetz insofern hinter den Er- wartungen zurückbleibt, weil es eine regionale Flexibili- tät nicht in dem erforderlichen Maße gewährleistet. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, im Rahmen ihrer Möglichkeiten beiden Partnern des Vertrags nach § 11 TPG auf eine Vertragsänderung mit dem Ziel hinzuwirken, den regionalen Untergliederun- gen der Koordinierungsstelle in geeigneter Weise stär- kere Eigenverantwortlichkeit bei der Wahrnehmung der Aufgaben in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich einzuräumen. Insbesondere soll den regionalen Untergliederungen zur grundsätzlich eigenverantwortlichen Aufgabenerle- digung ein Regionalbudget, das mit entsprechender Budget- und Personalverantwortung verbunden ist, von der Koordinierungsstelle zugewiesen werden. Dabei sol- len im Vertrag nach § 11 TPG die Kompetenzen zwi- schen regionalen Untergliederungen und überregionaler Koordinierungsstelle sachgerecht austariert werden. 22800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 (A) (C) (D)(B) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, ihm inner- halb eines Jahres über ihre Bemühungen zu berichten. – Gesetz zur Errichtung eines Nationalen Waffen- registers (Nationales-Waffenregister-Gesetz – NWRG) – Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbst- ständigen Kraftfahrern – Gesetz zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopp- lungsgesetzes Ferner hat der Bundesrat die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Erstens. Der Bundesrat hält folgende weitergehende Maßnahme für geboten: Anhebung der maximalen Fördersumme für Wärme-/ Kältespeicher in § 7 b KWKG von 5 Millionen Euro je Projekt auf 10 Millionen Euro je Projekt. Zweitens. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Ver- zicht auf KWK-Zuschläge für Anlagen, die aus indus- trieller Abwärme Strom erzeugen – z. B. mit Hilfe von ORC-Anlagen –, große Abwärmemengen für die Strom- erzeugung weiterhin ungenutzt bleiben werden dürften. Der Bundesrat bedauert es auch, dass kein Technolo- giebonus für Brennstoffzellen als KWK-Anlagen ge- währt wird. Dieser hätte zu einer Marktdurchdringung und zu Skaleneffekten beitragen und somit dieser beson- ders effizienten Technologie zum Durchbruch verhelfen können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, inwieweit die genannten Technologien nicht doch noch bei einer zukünftigen Änderung des Kraft-Wärme- Kopplungsgesetzes berücksichtigt oder in Förderpro- gramme integriert werden können, um die damit verbun- denen Energieeffizienzpotenziale auszuschöpfen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die durch die Beauftragte der Bundes- regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Zweiter Integrationsindikatorenbericht – Drucksachen 17/8540, 17/8959 Nr. 1.2 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland – Drucksache 17/6927 – Ausschuss für Gesundheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversi- cherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland – Drucksachen 17/8332, 17/8641 Nr. 1.7 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 17/8227 Nr. A.1 EP P7_TA-PROV(2011)0467 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/9475 Nr. A.11 EuB-BReg 31/2012 Drucksache 17/9475 Nr. A.12 EuB-BReg 32/2012 Innenausschuss Drucksache 17/9647 Nr. A.3 EP P7_TA-PROV(2012)0073 Drucksache 17/9647 Nr. A.5 Ratsdokument 9122/12 Finanzausschuss Drucksache 17/9475 Nr. A.13 Ratsdokument 7988/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.7 Ratsdokument 6898/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.8 Ratsdokument 8779/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/6176 Nr. A.10 EuB-BReg 163/2011 Drucksache 17/9475 Nr. A.14 Ratsdokument 7565/12 Drucksache 17/10069 Nr. A.1 KOM(2012)342 endg. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/6985 Nr. A.29 Ratsdokument 12046/11 Drucksache 17/9797 Nr. A.5 Ratsdokument 8427/12 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/8515 Nr. A.38 EP P7_TA-PROV(2011)0587 Drucksache 17/8515 Nr. A.39 EP P7_TA-PROV(2011)0589 Drucksache 17/8673 Nr. A.12 Ratsdokument 5166/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.13 Ratsdokument 5582/12 Drucksache 17/8856 Nr. A.14 Ratsdokument 5733/12 Drucksache 17/9130 Nr. A.7 EP P7_TA-PROV(2012)0047 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22801 (A) (C) (D)(B) Drucksache 17/9252 Nr. A.8 Ratsdokument 7293/12 Drucksache 17/9475 Nr. A.18 Ratsdokument 8239/12 Drucksache 17/9475 Nr. A.19 Ratsdokument 8241/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.11 Ratsdokument 8552/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.12 Ratsdokument 8553/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.13 Ratsdokument 8554/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.14 Ratsdokument 8555/12 Drucksache 17/9647 Nr. A.15 Ratsdokument 8556/12 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/9252 Nr. A.11 Ratsdokument 6893/12 188. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 44 Reform der Pflegeversicherung TOP 45 Wissenschaftsfreiheitsgesetz TOP 46 Stärkung der deutschen Finanzaufsicht TOP 47 Deutsche Bahn AG TOP 48 Steuerabkommen mit der Schweiz TOP 49 Tierschutz ZP 10, TOP 50 Regierungserklärung zur Stabilitätsunion, Fiskalvertrag und Europäischer Stabilitätsmechanismus Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Alexander Süßmair


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach län-

    gerer Zeit haben wir endlich wieder das Thema Tier-

    schutz auf der Tagesordnung des Deutschen Bundesta-
    ges. Darüber freue auch ich mich. Im Mittelpunkt stehen
    hier der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur
    Neuregelung des Tierschutzgesetzes, des Weiteren der
    Antrag der SPD zum Verbot des Schenkelbrands bei
    Pferden sowie ein Antrag von meiner Fraktion zur zeitli-
    chen Begrenzung von Tiertransporten.


    (Dieter Stier [CDU/CSU]: Die Redezeit ist gleich schon abgelaufen!)


    Die Linke beantragt eine Begrenzung von Tiertrans-
    porten auf maximal vier Stunden. Wir wissen, dass dafür
    ein dezentrales Netz von Schlachthöfen erforderlich ist.
    Das ist auch richtig;


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dieter Stier [CDU/CSU]: Sie waren doch früher immer für zentral!)


    denn so bleibt die Wertschöpfung vor Ort. Zudem wird
    durch die Reduzierung des Verkehrs die Umwelt ge-
    schont. Wenn Sie also den Tieren und der regionalen
    Wirtschaft helfen möchten und auch noch etwas für die
    Umwelt tun wollen, dann stimmen Sie einfach dem An-
    trag der Linken zu.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novel-
    lierung des Tierschutzgesetzes werden wir heute leider
    nicht beraten; das haben wir schon gehört. Wie so oft hat
    Frau Bundesministerin Aigner auch bei diesem Thema
    gesagt, dass dringend Handlungsbedarf besteht, und an-
    gekündigt, dass sie einen Gesetzentwurf mit deutlichen
    Verbesserungen im Tierschutz vorlegen will. Das Ganze
    ist schon mehr als ein Jahr her. Jetzt erfahren wir, dass
    der Gesetzentwurf der schwarz-gelben Regierung erst im
    Herbst dieses Jahres im Plenum eingebracht werden soll.
    Der Grund für diese Verschiebung hat sich hier teilweise
    schon abgezeichnet: ein Streit innerhalb der CDU/CSU
    über Themen, zu denen die überwältigende Mehrheit der
    Bevölkerung eine eindeutige und klare Meinung hat,
    nämlich dass wir endlich ein Verbot von Wildtieren im
    Zirkus brauchen und dass der Schenkelbrand bei Pferden
    verboten werden muss. Das sieht die Linke genauso.


    (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heinz Paula [SPD])


    Deshalb werden wir dem Antrag der SPD zum Thema
    Schenkelbrand zustimmen. Die Debatte war sehr aussa-
    gekräftig und hat gezeigt, welche Ansichten hier beste-
    hen, von denen wir einige nicht nachvollziehen können.

    Allerdings glaube ich, dass sich die Koalition mit die-
    ser Debatte um die wahren Probleme herumdrücken
    will; denn Tierschutzthema Nummer eins ist zurzeit die
    Situation bei der Intensivtierhaltung.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Dazu gehören die Qualzucht, das Beschneiden von
    Schnäbeln, Schwänzen und Hörnern, die Käfighaltung
    bei Geflügel, das Schreddern von Küken in der Legehen-
    nenzucht, die betäubungslose Kastration von Ferkeln.





    Alexander Süßmair


    (A) (C)



    (D)(B)


    All das und noch vieles mehr sollten wir hier engagiert
    diskutieren. Wir von der Opposition werden Ihnen nicht
    durchgehen lassen, dass Sie sich davor drücken.

    In diesem Jahr begehen wir ein Jubiläum – das ist
    schon gesagt worden –: zehn Jahre Tierschutz als Staats-
    ziel. Was hat sich seitdem getan? Leider ist das Tier-
    schutzrecht das alte geblieben; das muss sich dringend
    ändern.

    In dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen
    steht sehr viel Richtiges. Ich begrüße es, Kollegin Kurth,
    dass Sie diesen Entwurf vorlegen. Allerdings sind wir
    von der Linken der Meinung, dass wir primär nicht neue
    und schärfere Normen brauchen, sondern die Normen
    und Gesetze endlich umsetzen müssen. Natürlich gibt es
    Bereiche, in denen wir Verschärfungen brauchen. Aber
    was nützen uns gute Gesetze und Verordnungen, wenn
    die Länder und Kommunen vor Ort kein Geld haben, um
    das Personal einzustellen, das die Einhaltung der Nor-
    men und Gesetze umsetzt? Das muss sich ändern, wenn
    wir den Tieren konkret helfen wollen.


    (Beifall bei der LINKEN – Dieter Stier [CDU/ CSU]: Das Geld fällt aber nicht vom Himmel!)


    Einen Widerspruch im Bereich Tierschutz löst leider
    auch der Gesetzentwurf der Grünen nicht auf. Ich meine
    § 90 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Darin steht, dass
    Tiere keine Sache sind, aber wie Sachen zu behandeln
    sind. Das müssen wir dringend ändern.


    (Beifall der Abg. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Wir brauchen im Tierschutzrecht endlich eine rechtliche
    Position der Tiere als leidensfähige Wesen, zwischen ei-
    ner Sache auf der einen Seite und den Menschen auf der
    anderen Seite. Darum geht es. Sie können uns Linke ha-
    ben, wenn wir endlich zu wirklichen Verbesserungen im
    Tierschutz kommen.


    (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Wollen wir nicht!)


    Vielen Dank.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Eduard Oswald
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

Vielen Dank, Kollege Alexander Süßmair. – Letzter

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Josef Rief. Bitte schön, Kol-
lege Rief.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Josef Rief


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

    und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
    Grünen, ich halte es schon für ein starkes Stück, dass Sie
    uns mit einem rund 100 Seiten umfassenden Entwurf ei-
    nes Tierschutzgesetzes beschäftigen, obwohl Sie genau
    wissen – das haben meine Vorredner schon gesagt –,
    dass die Bundesregierung an einer Novellierung des Ge-
    setzes arbeitet.


    (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ankündigungspolitik!)


    Ich glaube, dass Sie an der geplanten Anhörung ein sehr
    geringes Interesse haben, obwohl gerade Sie eine grö-
    ßere Einbindung der Verbände fordern.

    Ich hoffe nicht, dass wir jetzt, wie vergangenen
    Freitag, jeden Freitag von der Opposition mehr Theater
    als Politik erwarten müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Heinz Paula [SPD]: Dafür seid ihr zuständig! Das ist euer Theater! – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr macht es ja am Wochenende!)


    Die Auseinandersetzung über den Tierschutz muss auf
    wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und darf nicht
    ausschließlich einem hocherregten Teil der Bevölkerung
    folgen, welcher Nutztiere meist aus dem Fernsehen
    kennt. Aus Umfragen wissen wir: Die überwältigende
    Mehrheit der Landwirte geht mit ihren Tieren ordentlich
    um. Es kommt eben auf den Landwirt an.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Die permanent scharf geführte Debatte über Tier-
    schutz verunglimpft einen ganzen Berufsstand. Ich bin
    davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung die
    heutige Nutztierhaltung mit ihren hohen Tierschutzvor-
    gaben richtig findet.


    (Heinz Paula [SPD]: 80 Prozent sind anderer Meinung!)


    Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölke-
    rung den Tierhaltern vertraut. Zudem sind wir hier im in-
    ternationalen Vergleich spitze.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben ist ja nicht verboten! – Zuruf von der SPD: Da wäre ich mir nicht so sicher!)


    Eine weitere Erhöhung der Tierschutzstandards ist nicht
    kostenlos zu haben. Auch das muss klar sein. Wo sind
    denn Ihre glaubwürdigen Ausgleichsmaßnahmen für die
    Tierhalter? Höhere Standards im deutschen Alleingang
    gefährden unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit Ar-
    beitsplätze auch im vor- und nachgelagerten Bereich. Sie
    führen – auch das ist schon gesagt worden – analog zur
    Legehennenhaltung zur Abwanderung der Produktion in
    die Nachbarländer.


    (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Quatsch! So funktioniert Markt eben nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wettbewerbsvorteile!)


    Ihre Vorschläge sind letzten Endes ein Programm zum
    Höfesterben hierzulande, ohne dass die Tiere irgendei-
    nen Vorteil davon haben.


    (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht jetzt aber echt an der Realität vorbei!)






    Josef Rief


    (A) (C)



    (D)(B)


    Sie wissen genau, dass die Legebatterien, die in
    Deutschland abgebaut wurden, jetzt im Ausland stehen.
    Das kann doch nicht unsere Politik sein.


    (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Dann muss man doch auch verbieten, dass die Eier, die daher stammen, bei uns verarbeitet werden!)


    Die deutschen Landwirte setzen sich gerade mit ihrer
    Zukunftsstrategie Tierhaltung dafür ein, dass das Wohl-
    befinden des einzelnen Tiers im Vordergrund steht, und
    das ist gut so.

    Der Antrag der Linken zu Tiertransporten zeigt völ-
    lige Praxisferne.


    (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Nö!)


    Die Behauptung, Transporte seien für die Tiere generell
    eine Tortur, trifft schlichtweg nicht zu.


    (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sicher! Das ist eine Belastung für die Tiere!)


    Ich habe als Landwirt seit 30 Jahren mit dem Verladen
    von Tieren zu tun. Ich weiß bei diesem Bereich, wovon
    ich spreche. Glauben Sie ernsthaft, dass Transportunter-
    nehmen, Bauern und die beteiligten Behörden täglich
    Transporte und Fahrzeuge zulassen würden, bei denen
    Tiere, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, Hunger, Durst,
    Luftmangel und Schmerzen erleiden? Diese Vorwürfe
    mögen öffentlichkeitswirksam sein. Sie haben aber mit
    der Realität in Deutschland nichts zu tun.


    (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! Schauen Sie in Ihren eigenen Tierschutzbericht! Da sind die Verstöße drin, Herr Kollege Rief!)


    – Negativbeispiele sind nicht repräsentativ, sehr geehrter
    Herr Kollege.