Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22751
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlage 2
        Erklärungen nach § 31 GO
        zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich werde dem
        oben genannten Gesetz nicht zustimmen.
        Heute treffen wir eine Richtungsentscheidung. Es
        geht um die Frage, welche Gestalt das politische Europa
        annehmen soll. Es geht um die Frage seiner Organisation
        und die Frage, wo seine politischen Kompetenzen ange-
        siedelt sein sollen. Es geht daher um die Frage, ob
        Europa zentral oder dezentral organisiert wird und auf
        welcher Ebene seinen Kern der Staatlichkeit liegt. Ge-
        nau diese Entscheidung trifft heute das Parlament. Das
        ist nicht zulässig, denn die Verlagerung des Kerns demo-
        kratischer Staatlichkeit lässt das geltende Grundgesetz
        nicht zu. Man kann nicht einmal das Grundgesetz dahin
        gehend ändern. Dennoch wird heute die Überführung
        von Staatlichkeit an eine höhere Ebene entschieden.
        Diese höhere Ebene ist indes nicht die Europäische
        Union, sondern ein neuer Euro-Staat, der keine Vorbilder
        kennt.
        Über diesen Umstand spricht niemand, weil die Dis-
        kussion um die vorgebliche Rettung des Euro durch Fis-
        kalvertrag und ESM den Blick auf die wahre Bedeutung
        der heutigen Entscheidung im Plenum verstellt. Ich halte
        dies für einen Fehler. Die Entscheidung über die Ver-
        schiebung von Staatlichkeit von Deutschland in den
        neuen Euro-Staat darf nicht unter dem Deckmantel von
        ESM und Fiskalvertrag gefällt werden. Sie muss viel-
        mehr als solche deutlich bezeichnet und mit mindestens
        gleicher rechtlicher Qualität wie die über den Vertrag
        von Lissabon getroffen werden.
        Die heutige Entscheidung ist daher ein absoluter Tief-
        punkt in der Geschichte des Deutschen Bundestages.
        Niemals zuvor wurde eine bedeutendere Entscheidung
        unter so falschen Voraussetzungen getroffen. In unser
        Bewusstsein muss gerückt werden, dass der Deutsche
        Bundestag mit der Zustimmung zum ESM auf sein Bud-
        getrecht – das Königsrecht – bereitwillig verzichtet. Das
        Budgetrecht ist Königsrecht, weil ein Parlament ohne
        eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmittel kas-
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Bär, Dorothee CDU/CSU 29.06.2012
        Bätzing-Lichtenthäler,
        Sabine
        SPD 29.06.2012
        Bockhahn, Steffen DIE LINKE 29.06.2012
        Brandner, Klaus SPD 29.06.2012
        Brinkmann
        (Hildesheim),
        Bernhard
        SPD 29.06.2012
        Granold, Ute CDU/CSU 29.06.2012
        Hempelmann, Rolf SPD 29.06.2012
        Kolbe (Leipzig),
        Daniela
        SPD 29.06.2012
        Kramme, Anette SPD 29.06.2012
        Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29.06.2012
        Lay, Caren DIE LINKE 29.06.2012
        Liebich, Stefan DIE LINKE 29.06.2012
        Luksic, Oliver FDP 29.06.2012
        Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29.06.2012
        Nietan, Dietmar SPD 29.06.2012
        Schmidt (Eisleben),
        Silvia
        SPD 29.06.2012
        Walter-Rosenheimer,
        Beate
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29.06.2012
        Zapf, Uta SPD 29.06.2012
        Anlagen
        22752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
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        triert, also seiner eigentlichen Aufgabe beraubt ist. Eine
        Demokratie ist nicht denkbar ohne ein Parlament mit
        voller Budgethoheit. Aus diesem Grund schlussfolgert
        das Bundesverfassungsgericht aus Art. 38 GG, dass der
        Bestimmungsgehalt des Demokratieprinzips missachtet
        wird, wenn das parlamentarische Budgetrecht entleert
        wird.
        Indes führt der ESM aus sowohl rechtlichen wie öko-
        nomischen Gründen zu unabsehbaren und unbegrenzten
        finanziellen Verpflichtungen Deutschlands. Dadurch
        saugt er das Budgetrecht des Bundestages aus und hin-
        terlässt nicht mehr als dessen leere Hülle.
        Rechtliche Grenzen sind dem Zugriff des ESM auf
        den Bundeshaushalt nicht gesetzt. Denn die haushalts-
        rechtliche Beschränkung auf 190 Milliarden Euro wirkt
        nicht. Nach dem Vertrag über den Europäischen Stabili-
        tätsmechanismus sind alle Entscheidungen seiner Gre-
        mien völkerrechtlich verbindlich, bis auf die Erhöhung
        des genehmigten Kapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV.
        Sie wird erst wirksam mit einer bundesgesetzlichen Er-
        mächtigung zur Bereitstellung neuer Mittel für den
        ESM. Doch diese einzige Vorkehrung gegen eine unge-
        wollte völkerrechtlich begründete Zahlungspflicht reicht
        nicht aus, wenn Deutschland auch auf andere Art und
        Weise zur Zahlung verpflichtet werden kann. Dies ist
        erstens der Fall beim Abruf genehmigten Kapitals zu
        einem höheren Ausgabepreis als zum Nennwert.
        Deutschland ist verpflichtet, jedem Abruf des genehmig-
        ten Kapitals nachzukommen, selbst wenn dieses mit
        einem Aufgeld auf den Nennwert, also zu einem höheren
        Ausgabepreis erfolgt. Dadurch entsteht eine völkerrecht-
        lich wirksame Zahlungspflicht, die Deutschland erfüllen
        muss, selbst wenn ihre Höhe die haushaltsrechtliche
        Vorsorge von 190 Milliarden Euro übersteigt. Dies ist
        zweitens der Fall, wenn ein erhöhter Kapitalabruf zur
        Verlustdeckung erfolgt, mit dem die Nichterfüllung der
        Zahlungspflicht eines anderen ESM-Mitglieds ausgegli-
        chen wird. Deutschland hat in diesen Fällen kein oder
        jedenfalls kein abschließendes Vetorecht, da einerseits
        Streitigkeiten über den Bestand von Zahlungspflichten
        in letzter Instanz vom EuGH entschieden werden und
        andererseits mit dem bestimmungsgemäßen Eintritt wei-
        terer Staaten zur Euro-Zone der deutsche Kapitalanteil
        am ESM absinken wird, wodurch sich die Sperrminorität
        in Luft auflöst.
        Ökonomisch und rechtlich zwingt uns der ESM mit
        seinem Haftungs- und Leistungsautomatismus in eine
        Transferunion. Denn jede Anleihe, die er auflegt, um
        damit die Schuldenstaaten zu finanzieren, ist ein Euro-
        Bond. Alle ESM-Mitglieder haften gemeinschaftlich mit
        dem Vermögen des ESM. Die Anleihen des ESM wer-
        den wegen der gemeinschaftlichen Haftung und größe-
        ren Sicherheit attraktiver sein als die Anleihen seiner
        Mitglieder. Die Nachfrage nach Staatsanleihen wird sin-
        ken, wodurch die von den Mitgliedstaaten geforderten
        Zinsen steigen werden. Das drängt weitere ESM-Mit-
        glieder in Hilfsprogramme des ESM. Die Darlehen, die
        der ESM an diese Schuldenländer vergibt, sind vorran-
        gig gegenüber anderen Staatsschulden zu bedienen. Das
        verteuert die Kreditaufnahme für die Programmländer
        zusätzlich. Wenn ein ESM-Mitglied auch nur ein einzi-
        ges Mal ein Darlehen vom ESM bekommen hat, wird es
        sich nie mehr eigenständig am Kapitalmarkt finanzieren
        können, weil seine Refinanzierung teurer und nicht billi-
        ger wird. Andererseits bringen die Anpassungspro-
        gramme des ESM geringere Sanierungsanreize als hohe
        Kapitalmarktzinsen. Griechenland, Irland und Portugal
        liegen jeweils hinter den Zielen ihres Anpassungspro-
        gramms zurück. Das ist kein unglücklicher Zufall, son-
        dern das zu erwartende ökonomische Ergebnis, wenn ein
        Land sich nicht am Kapitalmarkt finanzieren muss. Der
        ESM wird sich daher stetig ausweiten, schon bald die
        Rolle einer europäischen Schuldenagentur einnehmen
        und größeren Kapitalbedarf haben. Der ESM ist kein
        Rettungsschirm, sondern ein Ansteckungsmechanismus.
        Nicht das Fehlen der politischen Union bei Gründung
        der Währungsunion war der Fehler, sondern der ab-
        sichtsvolle Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im
        Jahr 2010. Dieser Rechtsbruch hat die aktuelle Krise ge-
        radezu ausgelöst. Mit dem ESM wird diese Krise nicht
        bekämpft, sondern die Saat gelegt, aus der die Schulden-
        und Transferunion heranwachsen wird. Die Haftungsge-
        meinschaft der ESM-Mitglieder ist nicht Zukunftsmusik,
        sondern Gegenwart. Denn der ESM verfolgt ausweislich
        seines Vertragsstatuts nicht nur den Zweck, die Euro-
        Zone zu schützen, sondern auch die Finanzstabilität aller
        seiner Mitgliedstaaten. Der ESM wird dadurch die
        Staatsinsolvenz jedes einzelnen seiner Mitgliedstaaten
        verhindern und als gemeinsame Bank zur Staatsschul-
        denfinanzierung dienen. Dadurch werden Staatsinsol-
        venzen innerhalb der Euro-Zone faktisch unmöglich.
        Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr bankrott
        gehen können, dann kann nur noch der neue Euro-Staat
        als Ganzes bankrott gehen. Es ist daher ökonomisch un-
        vermeidlich, dass es zu einer Sozialisierung sämtlicher
        Staatsschulden der ESM-Mitgliedstaaten kommen muss.
        Dieser Sozialisierung des Insolvenzrisikos steht keine
        adäquate Möglichkeit gegenüber, die Haushalte der Mit-
        gliedstaaten zu kontrollieren. Denn der Fiskalvertrag ist
        ein zahnloser Tiger, der als Medizin gegen die geradezu
        perverse Anreizsituation herhalten soll, Schulden auf
        Kosten der anderen Mitgliedstaaten zu machen. Doch
        diese Medizin wird sich als wirkungslos erweisen. Es
        gibt nur ein einziges Mittel, das Regierungen und Parla-
        mente zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit
        den Staatsfinanzen veranlasst, nämlich die Drohung des
        Kapitalmarkts, Schulden nicht länger zu finanzieren.
        Doch genau dieses disziplinierende Mittel haben wir
        plangemäß und absichtlich abgeschafft.
        Die heutige Gründung des Euro-Staats als Haftungs-
        union mit dem Euro-Bonds ausgebenden ESM als seiner
        Schuldenagentur lehne ich ab. Dieser Euro-Staat ist
        nicht demokratisch legitimiert, er hat kein Parlament,
        und seine Organe sind weitgehend einer gerichtlichen
        Kontrolle entzogen. Sein Machtzentrum ist eine Finanz-
        institution, deren Gremien von Mitgliedern der nationa-
        len Exekutiven besetzt werden. Sie müssen sich gegen-
        über dem deutschen Gesetzgebungsorgan nicht
        verantworten. Nicht einmal der deutsche Gouverneur
        muss sich dem Bundestag verantworten, weil das Kabi-
        nett nur der Bundeskanzlerin verantwortlich ist. Eine
        politische Verantwortlichkeit ist daher nicht gegeben.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22753
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        Sie genießen überdies eine weitgehende und völker-
        rechtlich abgesicherte strafrechtliche Immunität. Der
        ESM ist ausführendes Organ des neuen Euro-Staats,
        ähnelt in seiner Ausgestaltung aber einer herkömmlichen
        Bank. Seine Organe unterliegen einer Schweigepflicht,
        sein Archiv ist unverletzlich. In der Wirkung ist der
        ESM somit durch das Bankgeheimnis geschützt, wel-
        ches wir für alle anderen europäischen Banken abge-
        schafft haben. Der ESM darf nicht nur Kredite vergeben
        und Staatsanleihen aufkaufen, sondern alle Geschäfte in
        Bezug auf Anleihen durchführen. Damit kann er den
        Zins durch Geschäfte mit Derivaten auf Staatsanleihen
        beliebig manipulieren. Aufgekaufte Staatsanleihen darf
        er wiederum als Sicherheit hinterlegen, um sein Volu-
        men durch die Aufnahme weiterer Gelder am Kapital-
        markt zu hebeln. Seine Bediensteten zahlen keine Steu-
        ern. Sie dürfen nach Handelserfolg bezahlt werden, also
        umso höher, je größere Gewinne sie für den ESM am
        Kapitalmarkt erzielen. Keines der vom ESM und seinen
        Bediensteten durchgeführten Geschäfte ist transparent
        oder in irgendeiner Weise kontrollierbar, sei es durch das
        Parlament oder die Justiz.
        Diese enorme Machtfülle eines Exekutivorgans ohne
        „checks and balances“ ist ein Rückfall in eine vor-
        moderne Staatsform. Sie ist ein veritabler Verstoß gegen
        die hergebrachten Grundsätze der Gewaltenteilung, die
        maßgebliches Kennzeichen unserer freiheitlich-demo-
        kratischen Grundordnung sind. Ich kenne keine Um-
        stände, unter denen wir davon auch nur ein Jota abwei-
        chen dürften. Selbst in der Not gelten Gebote! Sogar und
        gerade in der Not müssen Gebote gelten, denn sie sollen
        genau in diesen schlechten Zeiten Orientierung geben. In
        der Krise unserer Währung darf nichts anderes gelten.
        Wenn die Ordnungsregeln der Währung gebrochen wer-
        den, dann bricht die Währung. Ich muss daher abschlie-
        ßend festhalten: Wenn Währung, Recht und freiheitlich-
        demokratische Grundordnung durch politisches Handeln
        gefährdet werden, dann ist dieses Handeln falsch.
        Europa steht nicht unbedingt an einem Scheideweg,
        ganz sicher aber an einem „Ent-Scheideweg“!
        Die Kosten der kurzfristigen Euro-Stabilisierung für
        den deutschen Steuerzahler sind enorm und ansteigend.
        Schlägt die Rettung eines festen Euro fehl, was aufgrund
        der politischen Gegebenheiten und Anreize absehbar ist,
        wird Deutschland mit in den Abgrund gezogen. Eine ra-
        sche Entflechtung des unseligen Euro-Konstrukts ist für
        Deutschland die günstigere Lösung. Die Euro-Rettung
        hat mit Ökonomie und Vernunft nichts mehr zu tun. Sie
        ist mittlerweile zu einer Ideologie verkommen, die in ei-
        ner Währungsunion nichts zu suchen hat. Es sei denn,
        man nimmt einen Super-GAU in Kauf, der den Kollaps
        Deutschlands nach sich zieht. Denn tagtäglich erhöht
        sich durch die angebliche Stabilisierung der Euro-Zone
        das Risiko für den deutschen Steuerzahler und seit den
        gestrigen Gipfelbeschlüssen auch noch für den deut-
        schen Sparer. Wir liegen mit den EZB-Verpflichtungen
        in etwa bei 3,4 Billionen Euro. Mit 27,5 Prozent sind wir
        auf jeden Fall beteiligt, wenn Verluste eintreten. Wenn
        immer mehr Länder – Spanien, Italien, Belgien, Zypern,
        Frankreich – unter die Rettungsschirme schlüpfen, steigt
        der deutsche Haftungsanteil dramatisch an, gegegbenen-
        falls auf 2 Billionen Euro. Jahrzehnte würden wir an die-
        ser Schuld tragen und ganz sicher Steuern und andere
        Einnahmen drastisch erhöhen müssen, was wiederum
        die deutsche Wirtschaft in den Bankrott triebe und Infla-
        tion bedeuten würde. In jedem Falle würde ein Großteil
        des deutschen Sparvermögens einfach in den verschwen-
        derischen Wohlfahrtsstaaten der Peripherie, in Löchern
        von Bankbilanzen und Immobilienblasen verschwunden
        sein.
        Unter politischem Druck unterschreiben wir Schuld-
        schein für Schuldschein zugunsten fremder Staaten, weil
        die Solidarität und der Friede in Europa gefährdet seien.
        Solidität, Eigenverantwortung und Eigenhaftung spielen
        keine Rolle mehr. Wir können in Deutschland nicht
        Wohlstand, Grundgesetz, Rechtsstaat und Demokratie
        zugunsten eines imaginären Europas opfern und gleich
        gar nicht, um eine nicht funktionierende Währungsunion
        zu retten.
        Wenn überhaupt, dann müssen wir das Projekt Europa
        und das europäische Währungssystem, was nach den
        jüngsten Erfahrungen nicht zwangsläufig eine Wäh-
        rungsunion sein muss, neu verhandeln und dabei auf die
        unverzichtbaren Rechte deutscher Verfassungsorgane
        achten, vor allem das Haushaltrecht. Die Entscheidung
        über die Zukunft der EU dürfen wir nicht Büro- und
        Technokraten und auch nicht alleine den Staatschefs
        überlassen. Im Sinne des Demokratieprinzips sind die
        Parlamentsrechte zu verstärken und Volksabstimmun-
        gen, auch über den Euro, unabdingbar. Ich stehe für ein
        Europa der Vaterländer, einen Staatenbund, der mit sei-
        nem freien Binnenmarkt und der verstärkten Zusammen-
        arbeit ein Raum des Friedens, des Rechts, der Sicherheit
        und der Demokratie bleiben soll. Ich stehe nicht für
        einen Bundesstaat, in dem Gewinne privatisiert, Verluste
        sozialisiert, Schulden und Risiken mit Deutschland als
        Hauptverantwortungsträger vergemeinschaftet werden.
        Der ESM ist der Anfang vom Ende eines solidarischen
        und gleichberechtigten Europas. Deshalb lehne ich ihn
        entschieden ab.
        Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Warum ich
        dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmecha-
        nismus zustimme:
        Was wir genau wissen: Seit einigen Jahren haben wir
        dramatische Krisen in Europa, aber die bisherigen Maß-
        nahmen der Bundesregierung, die bisherigen Verhand-
        lungen, ob bilateral zwischen Merkel und Sarkozy, oder
        auf EU-Gipfeln und in Räten, waren nicht ausreichend,
        oft kontraproduktiv, kamen zu spät, waren zu schwach
        und diplomatisch schlecht vorbereitet. Viele Maßnah-
        men hätten Teil einer komplexen Lösung sein können
        – deshalb haben wir auch zugestimmt –, leider sind die
        Lösungsansätze der Kanzlerin in Unterkomplexen ste-
        cken geblieben.
        Im Ergebnis geraten die Menschen vieler Länder un-
        ter extremen Druck. Die Gewinne Weniger steigen noch
        immer, Arbeitslosigkeit, insbesondere Jugendarbeitslo-
        sigkeit, und Armut vieler nehmen zu. Verantwortungslo-
        ser Umgang mit hohen Risiken im Privaten – Banken,
        Schattenbanken, Fonds, „Akteure“ im Finanzmarkt –
        22754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
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        hilft im Einzelfall, Einzelne zu bereichern. Zu oft müs-
        sen aber die exorbitanten Verluste von Steuerzahlern
        übernommen werden.
        Mit dieser Erfahrung können wir, die SPD-Fraktion,
        weder dem nackten Fiskalpakt noch dem nackten ESM
        zustimmen. Wieder hat die Regierung Merkel vergessen,
        dass Sparen allein in der Krise kein Lösungsansatz sein
        kann; nicht einmal zur Senkung der staatlichen Neuver-
        schuldung. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und das
        Wirtschaftswachstum schwächelt, muss Sparen allein in
        die Rezession führen. Und in Deutschland? Hätten wir
        nach der Pleite von Lehman Brothers so agiert wie die
        Kanzlerin nach der Griechenland-Pleite – Arbeitslosig-
        keit und Wachstum wären auch hier ein riesiges
        Problem. Aber in Deutschland haben wir nicht in die Re-
        zession gespart, sondern mit dicken Konjunkturpro-
        grammen, der Abwrackprämie und der richtig teuren
        Kurzarbeiterregelung über die Krise hinweg geholfen. In
        diesen Erfolgen – und wer sich erinnert, denkt an
        Steinbrück, Steinmeier und Olaf Scholz – sonnt sich
        heute die Kanzlerin.
        Wer bei Haushaltssanierung nur an die Ausgabenseite
        denkt, ist Teil des Problems. Zur Lösung gehört auch die
        Einnahmeseite. Natürlich sollen jene, denen es vor, wäh-
        rend und in den Krisen, womöglich noch durch die Kri-
        sen, besonders gut gegangen ist, sich auch an deren Be-
        kämpfung beteiligen. Ich denke an gerechte Steuern,
        aber noch viel mehr an die Beteiligung derjenigen, die
        durch ihre Spekulation mit dem Geld anderer Menschen
        die Krise ausgelöst und ihre Verschärfung zu verantwor-
        ten haben. Die Bundesregierung hat es immer noch nicht
        geschafft, eigentlich auch nicht ernsthaft versucht, diese
        verschiedenen losen Regulierungsstränge in die Hand zu
        nehmen und zu einer integrierten Strategie zur Überwin-
        dung der europäischen Schulden- und Finanzkrise zu
        verknüpfen. Wir brauchen aber eine Gesamtperspektive
        für den Finanzmarkt mit unterschiedlichen Werkzeugen,
        die zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Stellen anset-
        zen und zusammenwirken.
        Wer in einem virtuellen Spekulationsmarkt mit über
        700 Billionen US-Dollar Risiken eingeht, der darf nicht
        erwarten, dass jene Menschen, die reale Werte schaffen
        – weltweit circa 70 Billionen US-Dollar – und Steuern
        bezahlen, für die Fehlspekulationen im Investmentban-
        king aufkommen. Das oberste Gebot ist es, Risiko und
        Haftung, Entscheidung und Verantwortung wieder zu
        verknüpfen. Wie schwer sich CDU/CSU und FDP damit
        tun –, ob es um Bankenabgabe oder Finanztransaktion-
        steuer geht, ob um Wachstumsimpulse für Europa oder
        ein Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit –: immer
        war es ein langer Kampf, die Regierung und die Regie-
        rungskoalition von solchen Maßnahmen zu überzeugen.
        Im Regelfall war es so, dass die Vorschläge der SPD-
        Fraktion zur Regulierung der Märkte etc. zunächst abge-
        lehnt wurden, um sie dann doch zu akzeptieren. Mit
        Blick auf diese Regel können wir getrost darauf warten,
        bis Kanzlerin Merkel und im Gefolge auch die CDU/
        CSU-FDP-Regierungskoalition den vom Sachverständi-
        genrat empfohlenen Altschuldentilgungsfonds, Euro-
        Bonds und ein Trennbankensystem akzeptieren werden.
        Schade nur, dass solche Zickzackmanöver den Weg zur
        Krisenbewältigung verlängern, komplizierter und auch
        teurer machen.
        Auch mit Blick auf diese Erfahrungen dürften wir we-
        der dem Fiskalpakt noch dem ESM zustimmen. Aber
        dürfen wir wirklich das Schicksal Europas von einer
        Kanzlerin auf Zickzackkurs in Unterkomplexen abhän-
        gig machen?
        Ein Wort zum Fiskalpakt: Für den Fiskalpakt habe ich
        eine schöne Beschreibung gelesen: Das Haus brennt
        lichterloh, es sollte eilig gelöscht werden – stattdessen
        nimmt man sich mit dem Fiskalpakt vor, künftig nicht
        mehr mit dem Feuer zu spielen. In einigen Bürgerbriefen
        wird die Sorge geäußert, mit dem Fiskalpakt, also der
        Schuldenbremse in Europa, könnten die Zwangskräfte
        zum Sparen so groß werden, dass die sozialen Siche-
        rungssysteme unter Druck geraten, Armut und Alters-
        armut in hochverschuldeten Ländern zunehmen könnten.
        Deshalb wird empfohlen, den Fiskalpakt abzulehnen.
        Das ist zu verstehen, und die Gefahr ist meines Erach-
        tens nicht zu leugnen. Eine überbordende Staatsver-
        schuldung jedoch hat im Regelfall ähnliche Effekte. Wie
        wir in Griechenland gesehen haben, gibt es einen Punkt
        der Staatsverschuldung, der das Gesamtsystem über
        Nacht in die Insolvenz treiben kann. Ob mit oder ohne
        Fiskalpakt – Schuldenbremse hinsichtlich der strukturel-
        len Verschuldung –: eine solche Entwicklung muss ver-
        mieden werden.
        Dabei führt uns die reine Betrachtung der Staatsver-
        schuldung an den Ursachen der Krisen vorbei. Peer
        Steinbrück formuliert: „In diesem Zusammenhang gilt es
        darauf hinzuweisen, dass keinesfalls nur Staaten mit ho-
        her Verschuldung Probleme mit der Refinanzierung ihres
        Staatshaushalts haben. Bis zur Finanzkrise hatten Spa-
        nien (2008: 40,2 Prozent) und Irland (2008: 44,2 Pro-
        zent) deutlich geringere Schuldenquoten als Deutschland
        (2008: 66,7 Prozent). Die notwendigen Rettungsmaß-
        nahmen im Zuge der Bankenkrise und die Bewältigung
        der Konjunktureinbrüche im Anschluss daran tragen ei-
        nen erheblichen Anteil an den Refinanzierungsproble-
        men in einigen EU-Staaten. Die Schuld für die aktuelle
        Krise einseitig den nationalen Regierungen anzuheften,
        geht also fehl.“
        Insgesamt ist es also fallweise viel wichtiger, sich um
        die Regulierung der Banken und des Finanzplatzes zu
        kümmern und darum, die „reine“ Spekulation ohne Bei-
        trag zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung einzudäm-
        men.
        Exkurs: Für mich ist es eine wichtige Frage, wie das
        strukturelle Defizit berechnet wird und wann welche
        Konsequenzen aus den Feststellungen der EU-Kommis-
        sion gezogen werden. Wenn die Folgen aus dem struktu-
        rellen Finanzierungssaldo des Staatshaushalts im
        europäischen Haushaltsüberwachungsverfahren zu pro-
        zyklischen Maßnahmen führen, wäre das fatal. Deshalb
        ist es wichtig, dass Konsequenzen bzw. Sanktionen bei
        besonderen Ereignissen – Einmaleffekte – nicht greifen.
        Dabei ist der strukturelle Finanzierungssaldo des Staats-
        haushalts im europäischen Haushaltsüberwachungsver-
        fahren der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo – berei-
        nigt um Konjuktur- und Einmaleffekte. Man könnte
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22755
        (A) (C)
        (D)(B)
        sagen, die strukturellen Defizite in der Maastricht-Ab-
        grenzung beziehen sich auf die Kurve des volkswirt-
        schaftlichen Trendwachstums und nicht auf die Phase
        der aktuellen Konjunkturlage.
        Das BMF erläutert im Haushaltssauschuss am
        27. Juni 2012: „Die Bereinigung um Konjunktureffekte
        erfolgt mittels der von der Europäischen Kommission
        angewendeten Methode, wonach sich der konjunkturell
        bedingte Finanzierungssaldo als Produkt aus Budget-
        elastizität und Produktionslücke ergibt. Die gesamtstaat-
        liche Budgetelastizität gibt die Konjunkturreagibilität
        des Staatshaushalts an; sie wurde empirisch als Durch-
        schnittswert der Vergangenheit ermittelt. Die Schätzung
        der Produktionslücke wird zu jeder gesamtwirtschaftli-
        chen Vorausschätzung der Bundesregierung auf Basis
        des Produktionsfunktionsansatzes der Europäischen
        Kommission aktualisiert.
        Als Einmaleffekte bezeichnet man temporäre fiskali-
        sche Effekte, die keinen nachhaltigen Einfluss auf die
        Situation der öffentlichen Haushalte haben. Als Bei-
        spiele hierfür nennt der Verhaltenskodex zum Europäi-
        schen Stabilitäts- und Wachstumspakt den Verlauf nicht-
        finanzieller Forderungen, Erlöse aus der Versteigerung
        öffentlicher Lizenzen, kurzfristige Kosten aufgrund von
        Naturkatastrophen, Steueramnestien oder Einnahmen
        aus der Übertragung von Pensionsverpflichtungen.“
        In seinen grundsätzlichen Wirkungen entspricht der
        Fiskalpakt der Schuldenbremse, wie sie in der deutschen
        Verfassung verankert ist.
        Ärgerlich, weil nichts anderes als eine primitive takti-
        sche Variante der Kanzlerin, ihre eigene Regierungs-
        koalition in Schach zu halten und jene in der CDU/CSU
        und FDP einzubinden, die den Fiskalpakt aus allgemei-
        ner Europaskepsis ablehnen wollen, ist die Forderung,
        den Fiskalpakt mit einer Zweidrittelmehrheit zu ratifizie-
        ren. In den Anhörungen des Bundestages wurde deut-
        lich, dass der Fiskalpakt als völkerrechtlicher Vertrag
        einfachgesetzlich, also mit einfacher Mehrheit ratifiziert
        werden kann, also eine Zweidrittelmehrheit nicht erfor-
        derlich ist. Damit wurde auch deutlich, dass das Kalkül
        der Bundesregierung deutlich durch die Wahl des Ab-
        stimmungsverfahrens eine Unabänderlichkeit der Rege-
        lungen zur Schuldenbremse – Art. 109, 115 und 143 d
        GG – zu konstruieren und damit den Verfassungsgeber
        für die Zukunft zu binden. Bei einigen Kolleginnen und
        Kollegen führt dieser unangemessene Übergang zu einer
        „neuen Staatspraxis“ mit all seinen verfassungsrechtlich
        nicht unbedenklichen Konsequenzen zur Ablehnung des
        Fiskalpakts.
        Pikant ist, dass der Wissenschaftliche Beirat beim
        Bundesminister der Finanzen in seinem jüngsten Gut-
        achten Kritik am Fiskalpakt und am sogenannten EU-
        Sixpack übt, weil praktisch kein Land in Europa den er-
        forderlichen Abbau der Staatsverschuldung schaffen
        kann. Darin sieht der Beirat ein Glaubwürdigkeitspro-
        blem mit Rückwirkungen auf den Finanzmarkt. Zur Er-
        innerung: Das Europäische Parlament hat am 28. Sep-
        tember 2011 das sogenannte EU-Sixpack von EU-
        Währungskommissar Olli Rehn – Regeln zur Haushalts-
        kontrolle und ein neues Verfahren gegen wirtschaftliche
        Fehlentwicklungen – mit den Stimmen der Konservati-
        ven und der Liberalen beschlossen. Sozialdemokraten
        stimmten dagegen, weil einseitiges Sparen ohne Wachs-
        tumskomponente schnell zu sozialen Verwerfungen füh-
        ren kann. Nun haben wir also das Sixpack in Europa
        ohne Beteiligung der nationalen Parlamente. Der Fiskal-
        pakt hat inhaltlich eine große Ähnlichkeit mit dem Six-
        pack. Den Fiskalpakt im deutschen Parlament abzuleh-
        nen, wäre in dieser Hinsicht ein Symbol; denn auch ohne
        Fiskalpakt gelten die meisten seiner Regeln schon durch
        das Sixpack. Allerdings erhalte ich auch Post von Bürge-
        rinnen und Bürgern, die großen Wert darauf legen, dass
        dem Rettungsgedanken – Geld geben – der Haushalts-
        sanierungsgedanke gegenübersteht. Insofern ist auch
        eine Zustimmung ein Symbol im Spannungsfeld von Ge-
        stalten und Sparen in den nationalen Haushalten der Mit-
        gliedsländer.
        Lange Zeit waren die innerstaatlichen Folgewirkun-
        gen des Fiskalpakts auf die Länder und Kommunen un-
        klar. Nach den Zusagen der Bundesregierung, alle durch
        den Fiskalpakt induzierten Kosten für Länder und Kom-
        munen zu übernehmen, haben die Länder keine fiskali-
        schen Einwände gegen den Fiskalpakt und werden mei-
        nes Wissens mit Zweidrittelmehrheit zustimmen.
        Ein Wort zum ESM – dem Europäischen Stabilitäts-
        mechanismus:
        Infolge ihrer reflexartigen Verweigerungshaltung ge-
        genüber sozialpolitischen, qualitativ wachstumsorien-
        tierten und finanzmarktregulatorischen Vorschlägen
        hatte die Kanzlerin stets nur eine Idee zur Lösung der
        Krisen. Geld. Das liest sich dann als EFSF-Garantien
        über 780 Milliarden Euro, EZB-Ankäufe in Höhe von
        220 Milliarden Euro, IWF-Garantien im Wert von
        250 Milliarden Euro, bilaterale Kredite über 110 Milliar-
        den Euro, ESF-Garantien in einem Volumen von
        700 Milliarden Euro, davon 80 Milliarden Euro Barmit-
        tel.
        Kein Gedanke an die soziale Situation: Sozialunion,
        Bekämpfung der Armut, Überwindung der Arbeitslosig-
        keit, Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsunion und Kon-
        junkturstimulation, Aufbau von Infrastruktur und Ver-
        waltung, speziell Steuerverwaltung in Ländern mit
        Vollzugsdefiziten. Es wurden Geld und Bürgschaften an
        EU-Mitgliedsländer gegeben, die den Menschen, nicht
        helfen konnten, wurden sie doch benötigt, um die Gläu-
        biger – Spekulanten, Schattenbanken, aber auch öffentli-
        che und private Banken, Versicherungen etc. – der Mit-
        gliedsländer zu befriedigen. Und warum? Weil der
        Eiertanz um die Beteiligung der Verursacher der Krisen
        – Haircut – so lange andauerte, bis sich viele private In-
        stitute von vielen Staatsanleihen, mit denen zuvor speku-
        liert wurde, getrennt hatten. Erst sehr spät, zu spät und in
        zu geringem Umfang wurden auch Spekulanten, Invest-
        mentbanken etc. durch einen freiwilligen Forderungs-
        verzicht am Schuldenabbau von zum Beispiel Griechen-
        land beteiligt. Inzwischen war aber schon die EZB ohne
        jede demokratische Kontrolle oder Beschlussfassung zu
        einem riesigen Gläubiger geworden. Um zu verhindern,
        dass der Markt, über den sich Länder Geld besorgen, zu-
        sammenbricht, hat die EZB für 220 Milliarden Euro
        22756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Staatsanleihen gekauft und für 1 Billion Liquidität zur
        Verfügung gestellt; eine Notoperation als Ersatz für
        Handlungsausfälle nationaler Regierungen mit zweifel-
        hafter Legalität. Aber wenn es brennt, fragen wir auch
        nicht, aus welchem Eimer das Löschwasser stammt. Für
        diese Ankäufe und Risiken der EZB haften natürlich die
        Anteilseigner der EZB, den größten Anteil hat die Deut-
        sche Bundesbank mit 21 Prozent. Solche Verwerfungen
        sind eine Konsequenz aus der Wankelmütigkeit einer
        Kanzlerin mit dem Image der „Eisernen Lady“. Wir soll-
        ten diesen deutschen Haftungsanteil an den Anleihekäu-
        fen des Euro-Systems auch im Hinterkopf behalten,
        wenn die Bundeskanzlerin wieder einmal Euro-Bonds
        ablehnt.
        Inzwischen ist die Kanzlerin umgefallen – in die rich-
        tige Richtung, um von der SPD und den Grünen die
        Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten, eine
        Mehrheit, die sie meines Erachtens taktisch fordert, weil
        die Beteiligung der Opposition verhindert, dass die Re-
        gierungskoalition auseinanderfliegt. Der ESM und der
        Fiskalpakt werden also allein – nackt – nicht kommen.
        Mit Wachstumsprogrammen, mit der Finanztransaktion-
        steuer und Programmen gegen die Jugendarbeitslosig-
        keit – mehr ist auf der Website der SPD-Fraktion zu fin-
        den – werden der Fiskalpakt und der ESM in ein sozial-
        und wirtschaftspolitisches Konzept eingebettet, das die
        Hoffnung nährt, wir könnten Europa so aus der Krise
        winden. Aber das geht nicht über Nacht, und selbst mit
        den jetzigen Maßnahmen haben wir keine Erfolgsgaran-
        tie, die Krisen zu überwinden. Wichtige Instrumente
        – insbesondere solche, die den Staaten unter größtem
        Druck mehr Zeit geben – fehlen noch. Mir fehlt es aller-
        dings auch noch an Verbindlichkeit der Zusagen, dass
        die Vorschläge der SPD-Fraktion seitens der Regierung
        auch realisiert werden.
        Mich ärgert, dass viel zu früh der Eindruck entstanden
        ist, die SPD-Fraktion werde sowieso zustimmen. Da-
        durch konnte die Kanzlerin den Eindruck erwecken, sie
        habe ja schon immer Wachstumsimpulse setzen wollen,
        schon immer Jugendarbeitslosigkeit im Blick gehabt,
        schon immer die Finanztransaktionsteuer gewollt, schon
        immer die Finanzmärkte und Finanzprodukte regulieren
        wollen, und das füge ich zum besseren Verständnis die-
        ser Kanzlerinnenlogik auch noch hinzu: schon immer die
        Atomkraftwerke abschalten und die Wehrpflicht ab-
        schaffen wollen. So gibt es fachliche, taktische und poli-
        tische Gründe, die es der Opposition noch schwerer ma-
        chen, dem ESM zuzustimmen.
        Ich zitiere noch mal aus einem Bürgerbrief von Peer
        Steinbrück: „Auch ich habe bei den Beschlüssen, die die
        deutschen Steuerzahler in Mithaftung für die aktuelle
        Krise nehmen, Bauchschmerzen. Sollte die eingeschla-
        gene Strategie, mit den Finanzhilfen eine Stabilisierung
        und Konsolidierung der Staatshaushalte in den betroffe-
        nen Ländern zu erreichen, scheitern, wird der deutsche
        Bundeshaushalt ohne Frage in erheblichem Maße belas-
        tet.
        Im konkreten Fall des ESM habe ich diese Bauch-
        schmerzen jedoch nicht. Denn: Im Vergleich zu den ak-
        tuellen Rettungsmaßnahmen stellt er eine deutliche Ver-
        besserung dar. Der ESM überführt die provisorischen
        Rettungsschirme in eine dauerhafte Institution und bietet
        damit auch einen sicheren Rahmen für die Konditionie-
        rung weiterer finanzieller Hilfen. Aus der hektisch ent-
        worfenen provisorischen EFSF wird eine dauerhafte In-
        stitution, die – ähnlich dem IWF – Staaten auf dem Weg
        zu einer soliden Finanzpolitik langfristig begleitet. Der
        ESM kann harte Auflagen und Bedingungen für die be-
        troffenen Länder vereinbaren, aber auch Wachstum be-
        fördern. Der ESM kann Not leidenden Staaten Darlehen
        gewähren oder deren Staatsanleihen aufkaufen“. – So-
        weit das Zitat.
        Ärgerlich sind primitive Kampagnen, die auf einen
        ernsthaften Abwägungsprozess in Pro und Contra ver-
        zichten und mit halben oder falschen, weil aus dem Kon-
        text herausgelösten Textfragmenten aus Vertragsentwür-
        fen zitieren, um vielen Menschen Angst zu machen. Sie
        formulieren dann nicht einmal einen eigenen Satz – ob-
        wohl sie so sehr betroffen sind – und klicken sich via
        Copy und Paste zu einer Massenmail an Hunderte Abge-
        ordnete, oft ohne Absender, vielleicht sogar als Alias,
        also anonym, und glauben ernsthaft, das würde Entschei-
        dungsprozesse beeinflussen. Um Gelegenheit zu geben,
        sich in die Empfängerseite einzufühlen: Solche Mails
        landen im Spamfilter, werden bestenfalls in einem sepa-
        raten Ordner gesammelt und gezählt, im Regelfall aber
        einfach verworfen.
        So erhalten wir auch ein Youtube-Video, Lobbyarbeit
        von Abgeordnetencheck.de. Ich möchte nur auf einen
        Aspekt eingehen, um Sie zu ermutigen, an dem Video zu
        zweifeln. Wir bekommen dort den Eindruck vermittelt,
        der Gouverneursrat könne bedingungslos und unwider-
        ruflich Geld in beliebiger Höhe abrufen. Na ja, aber nur
        insoweit zuvor genehmigt und insoweit die genehmigte
        Summe noch nicht abgerufen ist. Abgesehen davon kann
        überhaupt nur abgerufen werden, wenn der deutsche
        Vertreter zustimmt. Er hat also eine Vetomöglichkeit. Im
        Video klingt das doch anders; aber Abgeordneten-
        check.de schickt seine User recht häufig auf den Pfad
        der Massenpost, der gestohlenen Betroffenheit, der halb-
        seidenen Informationen. Wenn ich dann die Leute an-
        rufe, sind sie oft recht peinlich berührt und können die
        Argumente der Plattform nicht verteidigen, fühlen sich
        hinters Licht geführt.
        Tatsächlich gilt gemäß Art. 9 Abs. 3 des ESM-Ver-
        trags, dass der geschäftsführende Direktor Kapital von
        den Mitgliedstaaten abrufen kann; wie gesagt, sofern be-
        reits vom Deutschen Bundestag als zugesagt beschlossen
        und noch nicht abgerufen. Eine Ausweitung des Ret-
        tungsschirms über die vereinbarte Summe hinaus erfor-
        dert nach Art. 10 Abs. 1 des ESM-Vertrags die erneute
        Entscheidung des Bundestages. Hinzu kommen die bis-
        her festgelegten Volumina aus dem deutschen Anteil der
        EFSF und der Kredite aus dem Griechenland-Hilfspaket.
        Der Gouverneursrat ist auch nicht ganz so frei, wie
        über manche Onlineplattformen verbreitet. Der ESM,
        der Notkredite und Bürgschaften zur Verfügung stellt,
        beruht auf einem völkerrechtlichen Vertrag und braucht
        nach Art. 59/2 Grundgesetz als Grundlage ein innerstaat-
        liches Zustimmungsgesetz. In diesem Gesetz ist die
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22757
        (A) (C)
        (D)(B)
        Parlamentsbeteiligung dadurch gegeben, dass die Richt-
        linien, die der Gouverneursrat erlässt, vom Haushalts-
        ausschuss des Bundestages kontrolliert werden. Wenn
        wir bedenken, dass es hier um Wirkungen und Rückwir-
        kungen mit fast 30 Staaten geht, wird schnell deutlich,
        wie kompliziert die Abstimmungsprozesse sein werden.
        Oder nehmen Sie die Behauptung, der Gouverneurs-
        rat sei ein übermächtiges, durch nichts zu bremsendes,
        fast anonym besetztes Gremium. Starke Worte im Video.
        Aber der Gouverneursrat sind einfach die Finanzminis-
        ter; sie müssen alle wichtigen Entscheidungen zunächst
        in ihren Heimatparlamenten behandeln oder verabschie-
        den. Yasmin El-Sharif schreibt bei Spiegel Online:
        „Ohne Bundestag gibt es auch keinen Rettungsmecha-
        nismus“. Deshalb ist es um die Souveränität der Mit-
        gliedsländer auch mit ESM gut bestellt.
        Auch die angeprangerte Immunität und Unantastbar-
        keit verlieren ihren Schrecken, wenn wir bedenken, dass
        es ohne unser Parlament, ohne nationales Recht auch
        keinen ESM geben könnte. Auf dem gleichen Weg könn-
        ten wir ihm seine Existenz wieder nehmen, wenn es
        nicht mit rechten Dingen zugeht.
        ESM-Gouverneursrat klingt so europäisch. Der Gou-
        verneursrat besteht aus den Finanzministern der Mit-
        gliedstaaten. Die Finanzminister sind natürlich gegen-
        über ihren nationalen Parlamenten und Regierungen
        rechenschaftspflichtig. Außerdem gelten entweder Ein-
        stimmigkeitsprinzip oder Mehrheitsanforderungen von
        85 Prozent, sodass der deutsche Finanzminister stets ein
        Vetorecht hat, Art. 5 ESM-Vertrag. Mich ärgert dabei,
        wie schon im Verhältnis zur Kommission und zum Rat,
        dass wir bestimmte Kompetenzen abgeben – nicht an das
        Europäische Parlament, sondern an Verwaltungsinstitu-
        tionen, an den Beamtenapparat. Hier sind Kompetenz-
        verschiebungen in Richtung Parlament, in Richtung De-
        mokratie sehr wichtig.
        Heute erhalte ich eine Postkarte von Attac: „Ermäch-
        tigungsgesetz 2.0“. Dort wird das Ermächtigungsgesetz
        aus dem Jahr 1933 in Beziehung gesetzt der Entschei-
        dung über den ESM. Zur Postkarte gibt es ein Begleit-
        schreiben, das, ähnlich fragmentarisch wie das oben er-
        wähnte Video den ESM kritisiert. Und Attac wird „das
        Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten
        veröffentlichen …“. Ich bin viele Jahre Mitglied bei At-
        tac, weil ich schon immer eine Finanztransaktionsteuer
        befürwortet habe und es für richtig halte, die Mittel im
        Wesentlichen für die Armutsbekämpfung in der Welt
        einzusetzen. Mit der SPD hatte Attac ja nun auch einen
        Erfolg in dieser Hinsicht. Abgesehen davon, dass das
        Abstimmungsverhalten im Bundestag sowieso öffentlich
        ist und es nicht Attac bedarf, um hier Transparenz herzu-
        stellen, ist bemerkenswert, dass bei Attac selbst irgend-
        welche Arbeitsgruppen, Angestellte oder wer auch
        immer ohne jegliche demokratische Rückbindung Kam-
        pagnen fahren, von denen völlig unklar ist, in wessen In-
        teresse und in wessen Auftrag sie erfolgen und wie sie fi-
        nanziert sind? Als Mitglied frage ich Attac, wer diese
        Leute eigentlich ermächtigt hat, mir solche Postkarten zu
        schicken? Besonders infam wird die Kampagne auch
        deshalb, weil andere Länder den ESM schon beschlos-
        sen bzw. ratifiziert haben.
        Leider sind manche Menschen nicht bereit, eine ab-
        weichende, wenn auch begründete Entscheidung anzuer-
        kennen, und werfen mir in Mails der vergangenen Tage
        sogar Hochverrat vor oder drohen mir ihre Verachtung
        an, für den Fall, dass ich ihre Ablehnung des ESM nicht
        teile. Es wird zwar die Freiheit des Mandats beschworen,
        an die Idee des unabhängigen Volksvertreters erinnert,
        die Verpflichtung auf das Grundgesetz oder nationale In-
        teressen eingefordert, aber wehe, der Abgeordnete ist an-
        derer Ansicht.
        Auch die ernsthafte Auseinandersetzung vieler Bür-
        gerinnen und Bürger mit Fiskalpakt und ESM, die ihre
        Bedenken über die Abgabe von Souveränitätsrechten,
        ihre Sorgen um den Zusammenhalt in Europa, ihre Kri-
        tik an der vermeintlichen Kritiklosigkeit der Abgeordne-
        ten zum Ausdruck bringen, wird dadurch entwertet, ge-
        hen im Strom der Massenmails und Kampagnen fast
        unter.
        Wenn ich Ihnen einen längeren Brief schreibe, soll
        dies auch auf eine Entwicklung hinweisen, die ich mit
        Sorge betrachte. Wir – damit meine ich mich, Sie, die
        Politik, die Medien, eigentlich uns alle – erziehen uns
        selbst und andere zu kurzen, knappen, (zu) einfachen
        Botschaften nach dem Motto: „Ich stimme zu, weil …“;
        manchmal müsste es aber richtigerweise heißen: „Ich
        stimme zu, obwohl …“ – Diese Abwägung kriege ich
        nicht in drei Zeilen unter. Eine Meinung zu haben, ist
        meines Erachtens mehr, als Ja oder Nein sagen zu kön-
        nen. Genauer über Zusammenhänge, Hintergründe, Ziele
        nachzudenken, kann nicht schaden, auch wenn ich am
        Ende vielleicht trotzdem nur zu einem Ergebnis komme,
        das nicht gut, aber besser als die Alternativen ist.
        Nachdem die Verfassungsressorts von der Verfas-
        sungsfestigkeit des ESM-Ratifizierungsgesetzes und der
        weiteren Begleitgesetze überzeugt sind, es aber gleich-
        wohl Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht geben
        soll, ist es gut, dass der Bundespräsident mit seiner Un-
        terschrift unter die Gesetze noch warten will. Verfas-
        sungswidrigkeit oder Verfassungskonformität wird vom
        Verfassungsgericht festgestellt und liegt nicht im Ermes-
        sen des Parlaments, das nach bestem Wissen und Gewis-
        sen über Gesetze entscheidet.
        Leider reduzieren die Absender von Massenschrei-
        ben, auch einige Bürger, die individuell nachfragen,
        Europa auf eine rein monetäre Angelegenheit. Das
        kommt ein wenig geschichtsvergessen daher und ver-
        drängt die enorme Bedeutung Europas für 60 Jahre Frie-
        den, die Überwindung der deutschen Teilung und die
        Entwicklung stabiler Demokratien.
        Mit Blick auf diese Bedeutung Europas und mit Blick
        auf die Bedeutung Europas für Deutschland stimme ich
        dem Fiskalpakt und dem ESM zu. Meine diesbezügli-
        chen Zweifel sind deutlich geringer als bei einer Ableh-
        nung – deren langfristige Konsequenzen heute nicht ab-
        schätzbar sind.
        Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme da-
        gegen, weil der Fiskalpakt die ohnehin schon bestehende
        Finanzkrise der Länder und Kommunen weiter ver-
        schärft. Die Folge ist, dass es noch mehr kaputte Schu-
        22758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
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        len, Schwimmbäder und Sportanlagen geben wird oder
        sie gleich ganz geschlossen werden. Das ist unerträglich,
        weil dann wieder und wieder Menschen unter den Fol-
        gen der Finanzkrise leiden werden, die sie nicht verur-
        sacht haben. Als Linker will ich, dass endlich diejenigen,
        die schuld an der Krise sind, zur Verantwortung gezogen
        werden.
        Ich stimme dagegen, weil der Fiskalpakt drastischen
        Sozialabbau zementiert und einen gnadenlosen Wettbe-
        werb um die Demontage des Sozialstaats in Europa an-
        heizt. Wer glaubt, die Idee von Europa mit immer neuen
        Kürzungsdiktaten, mit Lohnkürzungen, Rentenkürzun-
        gen und dem Abbau von Arbeitsrechten retten zu kön-
        nen, lässt diese Idee in Wirklichkeit zu einer reinen
        Marktideologie verkümmern. Diesen Weg halte ich für
        grundfalsch.
        Und ich stimme dagegen, weil insbesondere der Fis-
        kalpakt ein Frontalangriff auf die Demokratie ist. In der
        Demokratie muss es so sein, dass eine Regierung abge-
        löst und ihre aus Sicht der Mehrheit falsche Politik rück-
        gängig gemacht werden kann. Doch selbst wenn sich die
        Mehrheit in Deutschland künftig für eine andere Politik
        und eine andere Mehrheit entscheiden sollte, selbst dann
        könnte eine neu gewählte Regierung den Fiskalpakt
        nicht einfach kündigen. Die Schuldenbremse steht be-
        reits im Grundgesetz. Doch eine neue Mehrheit könnte
        sie dort wieder rausstreichen. Aber die Schuldenbremse
        wird auch durch den Fiskalpakt festgeschrieben. Da der
        Fiskalpakt nicht gekündigt werden kann, kann auch eine
        neue Mehrheit, ein politisch anders zusammengesetztes
        Parlament, ja selbst eine Volksabstimmung ihn nicht
        wieder beseitigen. Das ist aus meiner Sicht ausgespro-
        chen demokratiefeindlich und ein glatter Verfassungs-
        bruch, an dem ich mich nicht beteiligen möchte.
        Schulden müssen abgebaut werden. Kaputtkürzen ist
        der falsche Weg. Stattdessen brauchen wir eine Finanz-
        transaktionsteuer, eine Reichensteuer und eine Vermö-
        gensabgabe auf die höchsten Geldvermögen.
        Nicole Bracht-Bendt (FDP): Durch das Gesetz zur
        Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus
        wird der ESM als dauerhafter Rettungsschirm eingerich-
        tet und institutionalisiert und so weitere Hilfsmaßnah-
        men für überschuldete Euro-Staaten möglich. Ich habe
        solche Hilfsmaßnahmen innerhalb der Euro-Zone bereits
        in der Vergangenheit abgelehnt, weil dies meiner Auffas-
        sung von Solidarität zwischen den Euro-Staaten zuwi-
        derläuft. Am Beispiel Griechenlands sehen wir, dass die
        eingeleiteten Rettungsmaßnahmen ohne durchgreifen-
        den Erfolg blieben. Mittlerweile verschärft sich die Situa-
        tion fast täglich. Zuletzt haben Spanien und Zypern die
        EU um finanzielle Hilfe gebeten.
        Ich habe mich klar gegen die Einrichtung eines dauer-
        haften Rettungsschirms positioniert und für diese Posi-
        tion beim FDP-Mitgliedsentscheid und innerhalb der
        FDP-Bundestagsfraktion gekämpft. Die Mehrheit hat
        anders entschieden. Das erkenne ich an.
        Auch den Fiskalpakt sehe ich kritisch. Ich begrüße
        ausdrücklich, dass er die Vertragsstaaten durch eine
        Schuldenbremse zur Haushaltsdisziplin verpflichtet. Al-
        lerdings fehlt es an verbindlichen Regelungen und Me-
        chanismen, seine Einhaltung effektiv durchzusetzen.
        Außerdem wurde er politisch erkauft mit der Finanz-
        transaktionsteuer und den „Bundes-Bonds“, die der Ver-
        schuldungspolitik einzelner Bundesländer Tür und Tor
        öffnen.
        Das parlamentarische Verfahren, mit dem die Ent-
        scheidungen über den ESM und den Fiskalpakt nun ge-
        troffen werden sollen, sehe ich kritisch. Ich teile die
        Sorge des Bundesverfassungsgerichts um eine „Entparla-
        mentarisierung“ von Entscheidungen in Angelegenhei-
        ten der Europäischen Union. Die Verfassungsrichter haben
        in ihrem Urteil vom 19. Juni 2012 die Mitwirkungs-
        rechte des Deutschen Bundestages klar gestärkt. Die
        Einstimmigkeit und Eindringlichkeit des Urteils machen
        deutlich, wie zwingend die frühzeitige und umfassende
        Information des Parlaments ist. Die Koalitionsfraktionen
        haben Verbesserungen der Informations- und Unterrich-
        tungspflichten in das parlamentarische Verfahren einge-
        bracht, die diese Vorgaben aufgreifen. Dennoch lagen
        uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch
        diesmal die entscheidenden Dokumente sehr spät vor.
        Ich halte den eingeschlagenen Weg weiter für einen
        Fehler und werde daher bei den namentlichen Abstim-
        mungen über das ESM-Finanzierungsgesetz, über das
        ESM-Ratifizierungsgesetz und über den Fiskalvertrag
        mit Nein stimmen.
        Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Wäh-
        rungsgebiets vom 29. Juni 2012 verstärkt meine Sorge
        und bestätigt mich in meiner ablehnenden Haltung.
        Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als
        zutiefst überzeugte Europäerin ist für mich die heutige
        Abstimmung zum Fiskalpakt von großer Bedeutung. Es
        geht um die Frage, mit welcher Strategie die sich drama-
        tisch verschärfende Schuldenkrise in Europa gelöst wer-
        den kann und soll. Der Fiskalpakt gibt darauf die falsche
        Antwort. Er zeigt keinen nachhaltigen Weg aus der
        Schuldenkrise auf und kann sich negativ auf die wirt-
        schaftliche Erholung der Krisenstaaten ebenso wie den
        Wohlstand und das soziale Gleichgewicht in ganz
        Europa auswirken.
        Als junge Politikerin ist für mich Generationenge-
        rechtigkeit ein grundlegendes Ziel, an dem sich Politik
        orientieren sollte. Riesige Schuldenberge und die Ver-
        schwendung von staatlichen Geldern sind nicht Aus-
        druck einer zukunftsorientierten Politik. Schuldenbrem-
        sen können bei richtiger Ausgestaltung und verbunden
        mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen einen
        Beitrag zur Konsolidierung leisten.
        Als junge Politikerin und überzeugte Europäerin ma-
        che ich mir vor diesem Hintergrund große Sorgen, dass
        die mit dem Fiskalpakt verordnete Schuldenbremse in
        den einzelnen Mitgliedstaaten dazu führt, dass das euro-
        päische Projekt gerade aus Sicht der jüngeren Genera-
        tion noch weiter in Gefahr gerät. Mit Blick auf die ak-
        tuelle Entwicklung in Staaten wie Spanien,
        Griechenland und Portugal fühle ich mich in dieser
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22759
        (A) (C)
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        Sorge bestärkt. In seiner jetzigen Form, ohne flankie-
        rende Maßnahmen für eine Senkung des Zinsdrucks und
        eine Steigerung der Staatseinnahmen, ist der Fiskalpakt
        der falsche Ansatz. Eine Politik, die einseitig auf das
        Sparen setzt und zur Folge hat, dass Staaten ihre grund-
        legenden Aufgaben insbesondere im Bildungs- und So-
        zialbereich nicht mehr erfüllen können, hat für mich
        ebenso wenig mit Generationengerechtigkeit zu tun.
        Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diesen „Ka-
        puttsparkurs“ auf der europäischen Ebene verfolgt. Des-
        halb möchte ich heute bei der Abstimmung über den Fis-
        kalpakt auch ein Zeichen setzen, dass diese Strategie der
        deutschen Bundesregierung meine Unterstützung nicht
        hat. Dieser Weg führt dazu, dass die Konzepte, die uns in
        diese tiefe europäische Krise geführt haben, wieder sa-
        lonfähig werden, die wahren Ursachen nicht angegangen
        und die notwendigen Lösungsansätze verhindert werden.
        Für nachhaltige Wege aus der Krise und die Vision eines
        sozialen und demokratischen Europas haben wir Grüne
        – sowohl in der Partei als auch in der Fraktion mit großer
        Einigkeit – bereits viele konkrete Ideen formuliert, zu-
        letzt in unserem Entschließungsantrag zur Abstimmung
        über den Fiskalpakt.
        Die mit dem Fiskalpakt falsch gewählte Strategie zur
        Lösung der Krise hängt mit einer falschen Analyse des
        Problems zusammen. Die Krise in Europa hat ihren Ur-
        sprung nicht in einer gedankenlosen Ausgabenwut und
        hemmungslosen Geldverschwendung der betroffenen
        Staaten. Kann man beim Fall Griechenland noch davon
        reden, dass die Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten
        des Staates einen wichtigen Anteil an der desolaten
        Haushaltslage hat, so ist diese verengte Analyse schon
        hier nicht ausreichend, um die Lage des Landes zu erklä-
        ren. Mit Bezug auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie
        einfach falsch. Es war vor allem die Finanzkrise, die
        dazu führte, dass viele Staaten die Schulden ihres
        Finanzsektors übernehmen mussten, um diesen vor dem
        Kollaps zu bewahren. Hinzu kommt die Schwäche des
        europäischen Bankensystems, die massive Überschul-
        dung privater Haushalte, Immobilienblasen, massive
        ökonomische Ungleichgewichte, die sich insbesondere
        in der Außenhandelsbilanz äußern sowie die dramatische
        Ungleichverteilung von Vermögen. Dies zu korrigieren,
        müsste eigentlich im Vordergrund politischen Handelns
        stehen.
        Die Internationale Arbeitsorganisation warnt, dass die
        Arbeitslosigkeit, insbesondere auch junger Menschen,
        bis 2016 nicht sinken wird, wenn kein „dramatischer
        Politikwechsel“ stattfindet. Massenarbeitslosigkeit in
        diesem Ausmaß ist nicht nur für jede und jeden Einzel-
        nen der Millionen betroffenen Menschen eine große Be-
        lastung, sondern auch eine große Gefahr für den gesell-
        schaftlichen Zusammenhalt insgesamt in Europa und die
        soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe einer
        ganzen Generation.
        Zu einem deutlichen Politikwechsel gehören wirk-
        same Maßnahmen zur Minderung des Zinsdrucks auf
        Krisenstaaten. Ein Altschuldentilgungsfonds, wie ihn
        der Sachverständigenrat der Bundesregierung vorge-
        schlagen hat, eine Bankenunion und ein umfassendes
        sozial-ökologisches Investitionsprogramm sind wich-
        tige Bestandteile eines solchen Gesamtpakets.
        Das Wachstumsprogramm, das als Ergänzung des Fis-
        kalpakts beschlossen wurde, reicht nicht aus. Die Um-
        widmung von Strukturfondsmitteln bringt keine zusätz-
        lichen Investitionen, sondern schichtet lediglich um. Die
        beabsichtigte Kapitalerhöhung der Europäischen Investi-
        tionsbank und der beschlossene eng begrenzte Pilotver-
        such von Projektanleihen ergeben bei einem Multiplika-
        tor von circa 2 einen Impuls von rund 125 Milliarden
        Euro bzw. 1,3 Prozent des EU-Bruttoinlandprodukts.
        Zudem ist er auf mindestens vier Jahre verteilt und er-
        reicht somit pro Jahr eine konjunkturelle Wirkung von
        weit weniger als einem Prozentpunkt. Als Ausgleich der
        Kürzungen in europäischen Krisenstaaten wären schät-
        zungsweise 2 Prozent des EU-BIP notwendig, was rund
        260 Milliarden in ein bis zwei Jahren entspräche.
        Die Steuerpolitik der Bundesregierung setzt bislang
        auf Steuersenkungen für Besserverdienende zulasten der
        Allgemeinheit. Im Rahmen der Verhandlungen um den
        Fiskalpakt ist es uns gelungen, diese Steuerpolitik aufzu-
        brechen. Erstmals wurden konkrete Schritte für die Ein-
        führung einer Finanztransaktionsteuer, FTT, verbindlich
        vereinbart. Sie soll noch in diesem Jahr in den ersten
        EU-Staaten auf den Weg gebracht werden. Nach vielen
        Jahren politischen Engagements aus Zivilgesellschaft
        und Parlamenten hat sich hiermit endlich eine relevante
        Besteuerung des Finanzsektors durchgesetzt, mit der ein
        Teil der durch den Fiskalpakt erzwungenen Konsolidie-
        rung erreicht werden kann. Dies ist ein großer Erfolg.
        Die positiven Ergebnisse der Verhandlungen zwi-
        schen Bundesregierung und Opposition konnten nur er-
        zielt werden, indem im Gegenzug eine Zustimmung zum
        Fiskalpakt zugesagt wurde. Gleichzeitig bleibt der vor-
        liegende Fiskalpakt, so sinnvoll Schuldenbremsen in der
        richtigen Ausgestaltung und verbunden mit anderen
        wirtschaftspolitischen Maßnahmen sein können, als In-
        strument zur Bekämpfung der Krise der falsche Ansatz.
        In abschließender Abwägung können aus meiner Sicht
        die erzielten Verhandlungserfolge (insbesondere die
        Finanztransaktionsteuer und das Investitionsprogramm)
        die negativen ökonomischen und politischen Folgen, die
        durch den Fiskalpakt in seiner jetzigen Ausgestaltung
        entstehen, nicht aufwiegen.
        Aufgrund der oben geschilderten inhaltlichen Argu-
        mente und Überzeugungen lehne ich den Fiskalpakt, wie
        er zur Abstimmung vorliegt, ab.
        Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich habe heute
        gegen den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP
        eingebrachten Fiskalpakt gestimmt, weil er soziale und
        demokratische Errungenschaften in ganz Europa und in
        Deutschland bedroht. Der Fiskalpakt ist ein autoritärer
        Vertrag, der Demokratie aushebelt und Parlamente zu-
        gunsten von nicht gewählten EU-Technokraten entmach-
        tet. Millionen von Arbeitnehmern in Europa wird mit
        dem Fiskalpakt ein Verarmungsprogramm wie in Grie-
        chenland aufgezwungen. Dort hat die Troika aus IWF,
        EZB und EU-Kommission extrem unsoziale Kürzungs-
        programme angeordnet. Löhne und Renten wurden dras-
        22760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
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        tisch gekürzt, öffentliches Eigentum privatisiert und Be-
        schäftige im öffentlichen Dienst entlassen. Das
        Gesundheitssystem kollabiert.
        Nicht die griechische Bevölkerung ist Schuld an der
        desolaten Situation. Die Bundesregierung musste einräu-
        men, dass das Bild von den „faulen Griechen“ falsch ist.
        Mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von über
        42 Stunden hielten die griechischen Arbeitnehmer schon
        vor Ausbruch der Krise den Rekord in der EU. Deutsch-
        land liegt mit knapp 36 Wochenstunden deutlich darun-
        ter. Auch der öffentliche Sektor in Griechenland ist kei-
        neswegs aufgebläht und umfasste in den Jahren 2008 bis
        2011 zwischen 20,7 und 22,4 Prozent aller Beschäftig-
        ten. In Deutschland lag der Anteil zwischen 24,7 und
        25,6 Prozent.
        Seit 2008 ist die Arbeitslosigkeit in allen EU-Ländern
        mit Ausnahme von Deutschland und Luxemburg ge-
        wachsen und erreichte 2011 fast 10 Prozent. Besonders
        hart trifft es Jugendliche im Alter zwischen 15 und
        25 Jahren. Traurige Spitzenreiter sind Spanien und Grie-
        chenland mit 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Der Fis-
        kalpakt ist ein Angriff auf Arbeitnehmerrechte, Löhne
        und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Angela Merkel
        meint, die Krise in Europa mit einem Wettbewerb um
        die niedrigsten Löhne überwinden zu können. Wir als
        Linke streiten dagegen für einen Mindestlohn und den
        Ausbau des Sozialstaats.
        Durch den Fiskalpakt müssen Bund, Länder und
        Kommunen auch in Deutschland ab nächstem Jahr min-
        destens 25 Milliarden einsparen. In meinem Wahlkreis in
        Offenbach sind wir jetzt schon mit den Auswirkungen
        der klammen Kassen konfrontiert: Die Beschäftigten des
        Klinikums wehren sich zu Recht gegen den Verkauf an
        private Investoren. Jede Privatisierung bedeutet
        Lohndumping und Personalabbau zulasten der Beschäf-
        tigten und der Patienten. Der Fiskalpakt wird den Kür-
        zungs- und Privatisierungsdruck in Ländern und Kom-
        munen noch steigern. Der Wachstumspakt der
        Bundesregierung umfasst nur 10 Milliarden, während
        der Fiskalpakt europaweit 500 Milliarden Kürzungen be-
        deutet.
        Die Linke will die Verursacher und Profiteure der
        Krise zu Kasse bitten. Die Banken und Finanzmärkte
        müssen endlich entmachtet und Millionäre besteuert
        werden. Meine Solidarität gilt der Bevölkerung in Grie-
        chenland, Spanien und den anderen Krisenstaaten, die
        sich gegen das Verarmungsprogramm wehrt. Ich möchte
        kein Europa der Banken, sondern ein solidarisches Eu-
        ropa, und deshalb habe ich heute gegen den Fiskalpakt
        gestimmt.
        Marco Bülow (SPD): Zu meinem Abstimmungsver-
        halten zum heutigen Tage erkläre ich Folgendes: Ich
        lehne die Gesetzentwürfe ab und möchte dazu eine per-
        sönliche Erklärung zu Protokoll geben:
        Ich kann dem vorliegenden Fiskalpakt und dem ESM-
        Finanzierungsgesetz nicht zustimmen. Ich bin kein
        Experte in diesen Fragen, habe aber versucht, mich in-
        tensiv mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Bei allem
        Respekt vor den von meiner Fraktion erreichten Verän-
        derungen kann ich bei einer solch wichtigen Entschei-
        dung mein Gewissen nicht ignorieren. Der Fiskalpakt
        folgt einer Logik und Politik, welche die Krise auf den
        Finanzmärkten und in Europa erst hervorgerufen hat. Ich
        halte die Ausgestaltung für unsozial und undemokra-
        tisch. Das ESM-Finanzierungsgesetz hat eine Dimen-
        sion, die ich nicht überschauen kann, und die viel zu
        kurze Diskussion über seine Wirkung und Konsequenz
        war völlig unzureichend.
        Der Fiskalpakt trägt weder zur Beruhigung der
        Finanzmärkte noch zum Schuldenabbau bei und wirkt
        kontraproduktiv. Das ergänzende Wachstumsprogramm
        ist zwar eine wichtige Maßnahme, gleicht aber die Nach-
        teile des Fiskalpaktes nicht aus.
        Ich bin fest davon überzeugt, dass es intelligentere
        Wege des Sparens gibt und dass ein technokratischer
        Sparzwang, der wenig Rücksicht auf die soziale Situa-
        tionen nimmt, sich sicher eher schädlich als nützlich aus-
        wirken wird. Der Fiskalvertrag wird zu weiteren Ausga-
        benkürzungen führen, welche nicht nur zu weiteren
        sozialen Härten wie Sozial- und Lohnkürzungen führen
        werden, sondern jede Möglichkeit auf eine notwendige
        konjunkturelle Belebung zumindest bremsen werden.
        Ich befürchte, dass so eine Politik Privatisierungen wei-
        ter fördert und den Druck auf die Löhne erhöht. Die
        Kaufkraft und Binnennachfrage würden weiter ge-
        schwächt.
        Die festgeschriebene europaweite Schuldenbremse
        im Fiskalpakt wird zudem die öffentlichen Haushalte
        weiter knebeln und vor allem die Kommunen weiter
        finanziell unter Druck setzen. Ich befürchte, dass wir
        dadurch in Zukunft noch weniger aktiv gestalten kön-
        nen. Die Kommunen haben immer weniger Geld, um
        ihre Aufgaben wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für
        die sogenannten freiwilligen Aufgaben, zum Beispiel die
        Versorgung der Bevölkerung mit kulturellen Angeboten,
        Sportanlagen oder Schwimmbädern. Mit der Schulden-
        bremse verliert der Staat weitere Handlungsspielräume
        für eine sozial gerechte Politik. Ich habe deshalb schon
        im Bundestag die Schuldenbremse abgelehnt. Die euro-
        päische Schuldenbremse im Fiskalpakt wäre bis 2020
        noch einmal eine Verschärfung der im Bundestag be-
        schlossenen deutschen Schuldenbremse.
        Ich halte den Fiskalpakt und den Euro-Rettungs-
        schirm ESM auch aus verfassungsrechtlichen und demo-
        kratischen Gründen für problematisch. Diese wichtigen
        Verträge werden erneut binnen weniger Tage zur Ab-
        stimmung gestellt. In den neuen Verträgen geht es um
        ungeheure Milliardensummen, es finden sich Rechts-
        konstruktionen, wie sie das Recht bisher nicht kennt. Die
        Eile, dieses Gesetz jetzt noch vor der Sommerpause zu
        verabschieden, war nicht geboten. Es gab keine Zeit für
        ausreichende und umfassende Diskussionen, die bei
        solch wichtigen Gesetzen eingeräumt werden muss. Ich
        glaube, dass kein Abgeordneter – vor allem, wenn er
        kein Experte in diesen Fragen ist – die Konsequenzen
        solcher Maßnahmen wirklich überschauen kann. Ich
        halte es für unerträglich, dass der Bundestag immer häu-
        figer weitreichende Gesetze in immer kürzerer Zeit und
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22761
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        ohne ausreichende Beratung und Diskussion durch das
        Parlament jagt. Damit werden wir unserer Verantwor-
        tung als Volksvertreter nicht gerecht.
        Die nationalen Parlamente können fatalerweise nichts
        am Vertrag ändern, sondern nur noch Ja oder Nein sagen.
        Eines der wichtigsten Rechte des Parlaments – das Haus-
        haltsrecht – wird durch den Zwang, Schuldenbremsen in
        die nationalen Verfassungen einzuführen, sowie durch
        die automatischen Korrektur- und Sanktionsmechanis-
        men massiv eingeschränkt. Bei Ländern im Defizitver-
        fahren erhalten die Europäische Kommission und der
        Rat künftig sogar ein Vetorecht gegenüber den nationa-
        len Haushaltsplänen.
        Eine ausführliche Diskussion nicht nur im Parlament,
        sondern auch in der Bevölkerung wäre wünschenswert
        gewesen. Der Zeitplan zur Verabschiedung dieser Ge-
        setze folgt nicht dem Urteil des Bundesverfassungsge-
        richts.
        Auch die Kündigungsklausel ist problematisch. Da
        die Aufhebung des Vertrags allenfalls einstimmig mög-
        lich wäre und damit praktisch ausgeschlossen ist, gilt der
        Fiskalpakt nach Inkrafttreten quasi für alle Ewigkeit.
        Künftigen Generationen wird damit das Recht genom-
        men, selbst über die Sinnhaftigkeit des Fiskalpakts zu
        entscheiden. Das ist mit meinem demokratischen Grund-
        verständnis nicht vereinbar.
        Ebenfalls unvereinbar finde ich die Regelung, dass
        sämtliche Entscheidungen des ESM geheim erfolgen,
        dass die handelnden Organe und die Führungskräfte we-
        der zivilrechtlich noch strafrechtlich für ihre Handlun-
        gen belangt werden können und dass die Finanzminister
        selbst darüber entscheiden, wann ein Interessenkonflikt
        der Direktoren vorliegt. Der ESM hat keine Veröffent-
        lichungspflichten, keine Finanzaufsicht wird ihn über-
        wachen.
        Wenn wir Europa bauen wollen, brauchen wir eine
        sinnvolle Architektur. Europa braucht Gemeinsamkei-
        ten, soziale, kulturelle, wirtschaftliche, finanzpolitische
        Ideen. Mit einem Spardiktat werden die Menschen von
        Europa abrücken; auch wenn man überlegt, dass euro-
        päische Beamte und nicht das Europäische Parlament
        über die Ausgestaltung des Fiskalpaktes entscheiden
        werden.
        Die Bundesregierung ist mit der Krisenbewältigung
        völlig überfordert und politisch auf einem desaströsen
        Kurs. Die SPD konnte in den Verhandlungen wichtige
        Punkte durchsetzen, zum Beispiel die Einführung einer
        Finanztransaktionsteuer. Neun EU-Partner sollen diese
        Steuer ab Anfang 2013 auf den Weg bringen. Die SPD
        hofft, dass damit die Verursacher der Krise substanziell
        an den Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Das
        umfassende Modell einer Besteuerung insbesondere von
        Aktien, Anleihen, Investmentanteilen, Devisentransak-
        tionen sowie Derivatkontrakten liegt dabei zugrunde.
        Klar ist aber nicht, wie diese Besteuerung genau ausse-
        hen soll. Eine wirkungsvolle Finanztransaktionsteuer
        müsste auf den Handel mit Devisen, Aktien und Anlei-
        hen sowie auf die davon abgeleiteten Wertpapiere – De-
        rivatgeschäfte – Steuern erheben, und zwar mit einem
        Steuersatz von mindestens 0,1 Prozent. Nach den Vor-
        stellungen der Kommission soll der Steuersatz auf Deri-
        vatgeschäfte zum Beispiel nur 0,01 Prozent betragen.
        Das wäre in dem Fall zu wenig. Auch stellt sich die
        Frage, ob die durch die Steuer eingenommenen Gelder
        wirklich in Zukunftsprojekte investiert werden oder nur
        zur Haushaltsdeckung genutzt werden.
        Zudem hat die SPD erreicht, dass die Bundesregie-
        rung sich zu erheblichen Impulsen für höhere Investitio-
        nen in Wachstum und Beschäftigung bekennt. Dazu ge-
        hört unter anderem, dass nicht abgerufene Mittel aus den
        Strukturfonds der laufenden Finanzperiode rasch und ge-
        zielt für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maß-
        nahmen eingesetzt werden. Außerdem darf es bei den
        Verhandlungen über den neuen mittelfristigen Finanz-
        rahmen 2014 bis 2020 zu keinen Kürzungen bei den In-
        vestitionen in den Struktur- und Kohäsionsfonds sowie
        im Sozialfonds kommen. Weiter wird die Bundesregie-
        rung eine Kapitalaufstockung der Europäischen Investi-
        tionsbank um 10 Milliarden Euro anstreben, was zu In-
        vestitionen von bis zu 180 Milliarden Euro führt.
        Schließlich wird das Recht der Jugendlichen auf Ausbil-
        dung und Arbeit gestärkt, wozu ein Ausbildungsplatz
        oder ein Arbeitsangebot spätestens vier Monate nach
        Verlassen der Schule oder nach Eintritt in Arbeitslosig-
        keit gehört.
        Auch über den Bundesrat wurden Veränderungen
        erreicht. Zum Beispiel wird die verfassungsrechtlich
        geschützte Haushaltsautonomie der Länder nicht be-
        einträchtigt. Zudem erhalten die Länder zusätzliche
        Investitionsmittel für den Kitaausbau in Höhe von
        580,5 Millionen Euro und eine Erhöhung der Betriebs-
        mittel um 75 Millionen Euro. Eine Neuordnung der Ein-
        gliederungshilfe soll in der nächsten Legislaturperiode
        erfolgen.
        Aus meiner Sicht sind das wichtige Maßnahmen. Für
        mich stellt sich allerdings die Frage, ob diese vereinbar-
        ten Punkte auch wirklich so durchgesetzt werden. Häufig
        genug wurden unter Druck Versprechungen und Verein-
        barungen getroffen, die dann aber nicht in aller Konse-
        quenz durchgesetzt wurden. Schon einmal hat die Bun-
        desregierung versprochen, die Finanztransaktionsteuer
        einzuführen, ist dann aber wieder davon abgerückt.
        Ich glaube zudem, dass diese vereinbarten Punkte
        nicht reichen werden, um die erheblichen Nachteile und
        Risiken der vorliegenden Gesetze auszugleichen. Wir
        bräuchten nachhaltige Maßnahmen, zum Beispiel einen
        umfassenden Sozial- und Wachstumspakt. Ratingagentu-
        ren bedürfen dringend einer gesetzlichen Regelung.
        Euro-Bonds wären unter anderem auch eine faire Mög-
        lichkeit, Ungleichgewichte angemessen zu verteilen. Vor
        allem brauchen wir endlich eine umfassende Regulie-
        rung des Finanzmarktes. Nur dann wird Europa wirklich
        eine Chance haben zusammenzuwachsen. Notwendig
        wäre auch eine europäische Wirtschaftsregierung, die für
        eine bessere Abstimmung in der Wirtschaftspolitik und
        für wirkungsvollere Verteilungs- und Ausgleichsmecha-
        nismen sorgt, um die Ungleichgewichte in der EU aus-
        zugleichen.
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        Wenn man gegen diese Verträge stimmt und der Fis-
        kalpakt scheitert, wäre es kein endgültiges Scheitern.
        Dann müsste neu verhandelt werden, und es würde die
        Möglichkeit eröffnen, intensiver zu beraten und nachhal-
        tigere Maßnahmen zu entwickeln. Zeitnot gibt es allen-
        falls beim ESM, bei dem zu befürchten ist, dass er nur
        ein Zwischenschritt ist und viele weitere Rettungsmaß-
        nahmen noch folgen müssen.
        Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Nach den Erfah-
        rungen aus der Anwendung bzw. Nichtanwendung der
        Stabilitätskriterien aus dem Vertrag von Maastricht hätte
        man sich für die Vorgaben des Fiskalvertrags eine we-
        sentlich deutlichere Linie gewünscht. Dies gilt insbeson-
        dere für die Klagemöglichkeiten vor dem Europäischen
        Gerichtshof und die Sanktionen, die sich mit Verstößen
        gegen den Fiskalvertrag verbinden. Leider sind die
        Sanktionen, wie schon bei Maastricht, fast ausschließ-
        lich materieller Natur. Zu klaren Regeln und der Einhal-
        tung klarer Regeln hätte gehört, dass der andauernde
        Verstoß gegen dieselben zum Beispiel den Verlust der
        Stimmrechte oder auch die Möglichkeit des Ausschlus-
        ses aus der Euro-Zone zur Folge haben muss. Wenn ich
        dem Fiskalvertrag heute dennoch zustimme, dann in der
        Anerkennung der Verhandlungsergebnisse der Bundes-
        regierung, die etwa die Etablierung der Schuldenbremse
        in nationalem Recht der Mitgliedstaaten bedeute. Be-
        trachtet man die Positionen der Mitgliedstaaten vor dem
        Eintritt in die Verhandlungen zum Fiskalvertrag, dann ist
        der Verhandlungserfolg der Bundesregierung durchaus
        bemerkenswert, auch wenn – wie gesagt – an einzelnen
        Punkten deutlichere Regeln wünschenswert gewesen
        wären. Fazit: Der Fiskalvertrag hat zwar Mängel, er deu-
        tet aber wenigstens in die richtige Richtung.
        Dem Gesetz über die Errichtung des Europäischen
        Stabilitätsmechanismus, ESM, und den Ausführungs-
        gesetzen hierzu vermag ich aber nicht zuzustimmen.
        Hier wird ein Weg perpetuiert, der nach meiner Überzeu-
        gung schon bei der Schaffung der Europäischen Finanz-
        stabilisierungsfazilität, EFSF, falsch war. Wer sich aus
        eigenem Verschulden in eine Situation manövriert hat, in
        der seine Handlungsfähigkeit an den Kapitalmärkten
        nicht länger gegeben ist, dem ist durch die Gewährung
        neuer Kredite und Garantiezusagen nicht geholfen. Wie
        auf dem privaten und unternehmerischen Sektor auch ist
        dann ein Insolvenzverfahren angezeigt, verbunden mit
        klaren Vorgaben zur Restrukturierung von Finanzmarkt,
        Realwirtschaft und Verwaltung mit dem Ziel der Wettbe-
        werbsfähigkeit. Ein solches Insolvenzverfahren für Staa-
        ten liegt bis dato leider immer noch nicht vor; es hätte
        längst geschaffen werden müssen, um einerseits den be-
        troffenen Staaten einen Ausweg aus der Krise und einen
        vernünftigen Neustart zu ermöglichen und andererseits
        das klare Signal an die Märkte zu senden, dass der Euro-
        Währungsraum seine eigene Existenz und sein Fortbe-
        stehen durch die Schaffung klarer Regeln und die Sank-
        tionierung von Verstößen sichert und sich nicht durch
        das Aufspannen immer neuer und größerer Rettungs-
        schirme lediglich Zeit erkauft.
        Das für den Bundeshaushalt und damit für den Steu-
        erzahler verbundene Risiko ist beträchtlich und aus mei-
        ner Sicht nicht zu verantworten. Der Bundesrechnungs-
        hof geht nach seinen jüngsten Darstellungen von einer
        Summe von 310,3 Milliarden Euro aus, auf die sich die
        Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland mitt-
        lerweile belaufen. Auch wenn von dieser Summe bislang
        nur ein vergleichsweise kleiner Teil tatsächlich kassen-
        wirksam geworden ist, bestehen für mich erhebliche
        Zweifel, ob die infolge der Rettungsschirme verausgab-
        ten oder noch zu verausgebenden Mittel in den Bundes-
        haushalt je wieder zurückfließen werden können.
        Die Euro-Zone würde Glaubwürdigkeit und das Ver-
        trauen der Märkte zurückgewinnen, wenn sie sich auf
        ihre Stärke und ihre marktfähigen Mitglieder konzen-
        trierte, und nicht, wenn sie ihre Schwächen und die
        marktunfähigen Mitglieder durch die Rettungsschirmpo-
        litik zu kaschieren suchte.
        Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ich kann
        dem Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Sta-
        bilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts-
        und Währungsunion, dem sogenannten Fiskalpakt, nicht
        zustimmen.
        Die Unterzeichnerstaaten sollen durch den Vertrag zu
        einer dauerhaften Politik der Ausgabenkürzung und
        Austerität verpflichtet werden. Dazu müssen sie Schul-
        denbremsen – vorzugsweise in ihren Verfassungen – ein-
        richten und Staatsschulden über 60 Prozent des Bruttoin-
        landsprodukts, BIP, um jährlich 5 Prozent abbauen.
        Die aufgelaufenen Staatsschulden gehen nicht auf
        laxe Haushaltsführung und überhöhte Sozialausgaben
        zurück, sondern auf fehlende Regulierung der Finanz-
        märkte, die Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den Fi-
        nanzmärkten, die Leistungsbilanzüberschüsse innerhalb
        des Euro-Raumes und die Bankenrettungspakete ab 2007.
        Der Fiskalpakt wird den angestrebten Wachstumspakt
        ins Leere laufen lassen. Wegen der harten Sparauflagen
        wird ohnehin klammen EU-Ländern wie Griechenland
        und Spanien zum Beispiel das Geld zur Kofinanzierung
        der EU-Projekte fehlen. Auch werden keine neuen Gel-
        der für den Wachstumspakt in die Hand genommen.
        Ausreichen soll eine Absichtserklärung, die bisher in der
        EU-Förderperiode bis 2013 nicht abgerufenen Gelder
        umzuwidmen. Wie das Fördervolumen in der neuen Pe-
        riode ab 2014 aussieht, darauf konnte die Bundesregie-
        rung bisher keine Antwort geben.
        Auch die von Bundesregierung, SPD und Grünen ver-
        abredete Finanztransaktionsteuer wird es frühestens ab
        2014 und nur in einem Teil der EU-Länder geben. Damit
        fehlen aber die Einnahmen aus der Steuer für 2013. Un-
        klar ist nach wie vor die Ausgestaltung der Finanztrans-
        aktionsteuer. Kommt zum Beispiel nur eine Börsen-
        steuer auf Aktien und Anleihen zustande, ergeben sich in
        der Bundesrepublik Einnahmen von circa 2 Milliarden
        Euro. Werden jedoch alle Finanzinstrumente und auch
        Devisen berücksichtigt, könnten bis zu 27 Milliarden
        Zusammenkommen. Das sind erhebliche Unterschiede.
        Nicht der Rede wert sind auch die Zugeständnisse, die
        die Bundesländer bei den Fiskalpaktverhandlungen mit
        der Bundesregierung erreicht haben wollen. So war be-
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        reits beim Hartz-IV-Kompromiss Anfang 2011 verein-
        bart worden, dass der Bund die Kosten für die Grund-
        sicherung im Alter übernimmt. Warum die Länder das
        jetzt als Verhandlungserfolg in Sachen Fiskalpakt feiern,
        erschließt sich nicht. Tatsächlich lassen die Länder ihre
        Kommunen weitgehend im Regen stehen.
        Leider haben es die anderen Oppositionsparteien im
        Bundestag – SPD und Grüne – bei den Fiskalpaktver-
        handlungen weitgehend bei einem Sturm im Wasserglas
        belassen.
        Alexander Funk (CDU/CSU): Mit der Einrichtung
        eines sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus
        verstetigt die Bundesregierung ihren seit Mai 2010 ein-
        geschlagenen Weg, durch Garantien und Bürgschaften
        überschuldete Staaten aus der Euro-Zone weiter zu
        finanzieren.
        Diesen Weg kann und will ich nicht mitgehen und
        lehne die zugrunde liegenden Gesetzentwürfe ab.
        Ich beklage das Versagen der sogenannten parlamen-
        tarischen Opposition aus SPD und Grünen; die willfäh-
        rig jeder weiteren Vergrößerung der Gemeinschaftshaf-
        tung das Wort redet und die Interessen unserer
        Bürgerinnen und Bürger hinter eine ideologisch moti-
        vierte Rhetorik von angeblicher europäischer Solidarität
        stellt.
        Damit und mit der Übernahme der Forderungen der
        südeuropäischen Schuldenländer sind diese Kräfte mit-
        verantwortlich dafür, dass selbst die großzügigen und für
        mich nicht hinnehmbaren bisherigen Schuldenhaftungen
        durch Deutschland als kleinlich und unzureichend darge-
        stellt werden können. Eine Diskussion über mögliche
        Alternativen wird und wurde durch diesen Opportunis-
        mus erheblich erschwert. Vor diesem Hintergrund be-
        kenne ich mich ausdrücklich zu den letzten verbliebenen
        Zusagen der bürgerlichen Koalition, eine Kollektivhaf-
        tung mittels Euro-Bonds, Euro-Bills oder Schuldentil-
        gungsfonds entschieden abzulehnen. Ich unterstütze
        darin die Haltung unserer Bundesregierung.
        Die Fortführung des Bail-out-Wegs hat indes bereits
        zur Übernahme von gigantischen Risiken zulasten des
        Haushalts unseres Landes und seiner Bürgerinnen und
        Bürger geführt. Indes bleiben die erhofften Wirkungen
        der Maßnahmen aus: Die Schuldendynamik der betroffe-
        nen Länder verschärft sich, Absprachen und Vereinba-
        rungen können nicht eingehalten werden oder werden
        willentlich gebrochen, der Rückgriff auf die EZB als
        Staatsfinancier mittels Notenpresse ist zum Usus dieser
        Ausrichtung geworden.
        Noch vor Verabschiedung des ESM stehen mit Spa-
        nien und Zypern zwei weitere Euro-Staaten vor massi-
        ven Refinanzierungsproblemen. Die nächsten Jahre wer-
        den nach meiner festen Überzeugung zum massiven
        Abfluss der ESM-Mittel führen, ohne dass eine nachhal-
        tige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der betrof-
        fenen Länder absehbar ist.
        Der Kreditbedarf alleine Spaniens bis 2014 übersteigt
        die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts um beinahe
        50 Milliarden Euro. Jeder, der dem ESM zustimmt,
        sollte sich bereits auf eine weitere Erhöhung der Haf-
        tungssummen einstellen.
        Als Alternative werbe ich für folgende zehn Punkte
        zur Bewältigung der Euro-Krise:
        Erstens. Der temporäre Rettungsschirm EFSF muss
        wie geplant 2013 auslaufen. Die dauerhafte Nachfolge-
        einrichtung ESM darf es nicht geben. Jedes Mitglied der
        Euro-Zone muss selbst für seine finanziellen Verpflich-
        tungen einstehen. Haftung und Eigenverantwortung ge-
        hören untrennbar zusammen.
        Zweitens. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
        muss Schwerpunkt von Hilfen sein. Es darf nicht um die
        Ansprüche privater Gläubiger gehen. Überschuldete
        Staaten müssen sparen und gezielte Anreize für Investi-
        tionen für den Wiederaufbau setzen. Dazu muss der
        betroffene Staat seine Wirtschaft und Verwaltung wett-
        bewerbsfähig machen. Das erfordert tiefgreifende struk-
        turelle Reformen im Steuersystem und im Sozialver-
        sicherungswesen, denn nur so entsteht dauerhaft
        Wachstum.
        Drittens. Regelverstöße müssen automatisch Konse-
        quenzen haben. Der Klagemechanismus des Fiskalpakts
        ist ein leeres Versprechen. Es bestehen politisch gewollte
        Spielräume, um von einer Klage trotz Verstößen gegen
        verbindliche Haushaltsvorgaben abzusehen. Diese Spiel-
        räume werden sich nicht schließen, wenn nicht der Kreis
        der vor dem EuGH zur Klage Berechtigten ausgeweitet
        wird.
        Viertens. Sowohl unkontrollierte Zahlungsausfälle als
        auch dauerhafte Transfers über den ESM müssen ver-
        mieden werden. Dazu etabliert die Euro-Zone anstelle
        des ESM einen Europäischen Umschuldungsmechanis-
        mus, EUM. Er erlaubt es der öffentlichen Hand in den
        Krisenländern, ihre Aufgaben aufrechtzuerhalten, die
        nationale Budgethoheit zu wahren und einen Ausgleich
        zwischen Gläubigern und Schuldnern auszuhandeln. Der
        EUM bietet den Rahmen für ein Schiedsverfahren, das
        von einer unparteilichen und allgemein akzeptierten In-
        stanz geleitet und durch den IWF begleitet wird. Eck-
        punkte können auf dem US-lnsolvenzrecht aufbauen.
        Private Gläubiger beteiligen sich unter dem Eindruck
        einer möglichen Zahlungsunfähigkeit an allen Phasen
        der Restrukturierung.
        Fünftens. Finanzhilfen dienen lediglich als Ultima
        Ratio. Sie können zeitlich befristet systemrelevante Kre-
        ditinstitute rekapitalisieren sowie zur Einlagensicherung
        dienen. Die zwangsweise Rekapitalisierung von Finanz-
        instituten bleibt vorrangig den jeweiligen Sitzstaaten
        überlassen. Sie kann nötigenfalls durch Finanzhilfen der
        Euro-Staaten ergänzt werden. Diese erhalten angemes-
        sene Gegenleistungen. Die bereits gewährten oder in
        Aussicht gestellten Finanzhilfen sind kein Akt von euro-
        päischer Solidarität. Sie entzweien uns: Die „Hilfen“
        entlassen Gläubiger aus ihrer Verantwortung und gehen
        zulasten der Steuerzahler.
        Sechstens. Wo alle Maßnahmen nicht genügen, um zu
        den Finanzmärkten zurückzukehren, muss das Ausschei-
        den eines Staates aus der Euro-Zone ermöglicht werden.
        22764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Seine Wettbewerbsposition würde sich durch eine Ab-
        wertung schnell spürbar verbessern. Außerdem hilft die
        Aussicht auf Austritt bei den Verhandlungen der Staaten
        mit ihren Gläubigern.
        Siebtens. Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder
        strikt getrennt werden. Die Europäische Zentralbank hat
        durch den Ankauf von Staatsanleihen und die Flutung
        der Geldmärkte mit Mitteln aus den Langfristtender-
        geschäften ihren Auftrag weit überdehnt. Sie finanziert
        Staatsdefizite und nimmt Inflationsrisiken billigend in
        Kauf. Die Geldpolitik muss der Entscheidungsmacht
        politischer Mehrheiten entzogen und Inflation verhindert
        werden.
        Achtens. Die EZB muss die Bonitätsstandards für
        Geschäftsbanken dringend überdenken und für die Tar-
        get-2-Salden eine untadelige Besicherung sowie eine
        marktnahe Verzinsung vorsehen. Erstrebenswert ist dazu
        eine jährliche Ausgleichsverpflichtung nach dem Vor-
        bild des Federal-Reserve-Systems der USA.
        Neuntens. Die Stimmrechte in der EZB müssen den
        Kapital- und Haftungsverhältnissen entsprechen.
        Zehntens. Besonders Deutschland als stärkster Mit-
        gliedstaat muss mit gutem Beispiel vorangehen und den
        Stabilitätspakt endlich einhalten. Sonst ist er und sind
        wir unglaubwürdig.
        Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): In einer schwierigen Krisensituation hat der
        Deutsche Bundestag heute mit der Entscheidung für den
        ESM und den Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer
        Stabilisierung der Europäischen Union, des Euro und der
        europäischen Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig ge-
        troffenen Vereinbarungen zur Einführung einer Finanz-
        transaktionsteuer, die Zusagen für mehr nachhaltige In-
        vestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz sowie
        die stärkere parlamentarische Beteiligung bei Hilfsanträ-
        gen an den ESM sind wichtige und notwendige Schritte
        zur Stabilisierung der EU und zur Stärkung der Demo-
        kratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnahmen-
        paket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine starke
        grüne Handschrift trägt.
        Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre
        hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt.
        Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende
        mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen
        waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland,
        Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie-
        gen, und die soziale Schieflage hat sich weiter ver-
        schärft. Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht.
        Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der
        gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo-
        balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben
        unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den
        Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt-
        schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die
        der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen
        Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen.
        Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone
        sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu-
        sammenschlüsse von Staaten. Europa muss beweisen,
        dass verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlosse-
        nem Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in
        Verbindung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen
        für ein solches entschlossenes Handeln.
        Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind der von
        der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im Fis-
        kalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung
        eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen-
        dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver-
        pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und zur Ver-
        ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von
        der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten
        ist für uns wichtig; denn nur ausreichend finanzierte
        Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man
        nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen.
        In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt,
        dass Länder und Kommunen den Fiskalpakt mittragen
        können. Auch dies ist richtig und notwendig, weil Län-
        der und Kommunen im Vergleich zum Bund deutlich be-
        grenztere Möglichkeiten zur Refinanzierung haben.
        Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver-
        pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit
        der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In-
        vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik
        und dem ESM stärken die wirtschaftliche Leistungsfä-
        higkeit der EU und sind so in unserem ureigenen Inte-
        resse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinanderbre-
        chen der Euro-Zone und damit einen großen Rückschritt
        in der europäischen Integration mit unabsehbaren Folgen
        nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, sondern für
        Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro-Gipfels vom
        28. Juni 2012 gehen in die richtige Richtung, um den
        Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken und den Teu-
        felskreis aus Banken- und Staatsschuldenkrise zu durch-
        brechen. Wichtige Schritte zur Bereitstellung von not-
        wendigen Investitionsmitteln wurden vereinbart.
        Zusätzlich fordern wir weitere Schritte zur Lösung
        der Euro-Krise. Ein konkreter und realistisch umsetzba-
        rer Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend
        für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge
        dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverständi-
        genrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro-
        Zone. Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des
        Schuldenabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd,
        wenn die Kanzlerin sich einer inhaltlichen Debatte um
        konkret zu ergreifende Maßnahmen verweigert. Sie wird
        in diesem Punkt umdenken müssen. Mit ihrer Weigerung
        einer realistischen Altschuldenregelung gefährdet sie die
        positive Wirkung von ESM und Fiskalpakt.
        Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische
        und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden.
        Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit
        Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbe-
        wältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen
        Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden.
        Das Europäische Parlament muss in seiner Entschei-
        dungsbefugnis gestärkt und eine geeignete Exekutive,
        also eine europäische Regierung, etabliert werden. Dies
        erfordert die Übertragung staatlicher Kompetenzen auf
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22765
        (A) (C)
        (D)(B)
        Europa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem
        Schuldenabbaupfad, Stärkung von Investitionen und de-
        mokratischer Entwicklung Europas wird die Krise über-
        wunden werden können.
        Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak-
        tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der
        Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö-
        sung. Deswegen stimmen wir heute für den Fiskalpakt
        und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland
        hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes
        Europa entschieden. Nun gilt es, dafür einzustehen.
        Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe mit
        Nein zum Fiskalvertrag und dem Vertrag über den dauer-
        haften „Rettungsschirm“ ESM gestimmt – schon des-
        halb, weil durch ESM- und Fiskalvertrag nicht die Mit-
        gliedstaaten der EU und schon gar nicht die Menschen in
        den verschiedenen Ländern gerettet, sondern die Groß-
        banken und Finanzmarktzocker gesichert werden. Mit
        meiner Fraktion werde ich im Organstreitverfahren und
        mit Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungs-
        gericht anrufen.
        Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Verträge gegen
        das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verstoßen.
        Dieses Prinzip ist nach seinem Art. 79 Abs. 3 unabänder-
        lich. Die weitgehende Übertragung des parlamentari-
        schen Haushaltsrechts auf die EU-Kommission und auf
        die Regierungen der Mitgliedstaaten verstößt gegen den
        Grundsatz demokratischer Volkssouveränität.
        Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Verträge weiter-
        hin gegen das ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte
        Sozialstaatsprinzip verstoßen. Der Fiskalpakt soll angeb-
        lich ausgeglichene Haushalte durch Schuldenbremsen
        sichern. Vor allem die Leistungen an wirtschaftlich und
        sozial Schwache sollen eingeschränkt werden. Zusätz-
        liche Staatseinnahmen werden allenfalls Lohnsteuer-
        und Mehrwertsteuerzahler aufbringen, während die Rei-
        chen und die Superreichen nicht zur Kasse gebeten wer-
        den.
        Ich habe mit Nein gestimmt, weil in den Ländern, die
        Mittel aus dem ESM erhalten, Arbeitnehmerinnen und
        Arbeitnehmer entlassen, ihre erkämpften sozialen
        Rechte eingeschränkt werden. Die Memoranden führen
        durch mangelnde Nachfrage zu weiter schrumpfendem
        Wirtschaftswachstum und zu sozialem Elend.
        Wer demokratische und soziale Verantwortung emp-
        findet, muss Nein zu diesen Gesetzesvorlagen sagen.
        Wer demokratische und soziale Verantwortung empfin-
        det, muss auch die erforderlichen verfassungsrechtlichen
        Schritte einleiten. Eines steht fest: Ohne die Verteidi-
        gung von Demokratie und Sozialstaat wird die Europäi-
        sche Union keine Zukunft haben. Dem widersetze ich
        mich.
        Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ich stimme heute ge-
        gen den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP
        eingebrachten Fiskalpakt, weil er soziale und demokrati-
        sche Errungenschaften in ganz Europa und in Deutsch-
        land bedroht. Der Fiskalpakt ist ein autoritärer Vertrag,
        der die Demokratie aushebelt und Parlamente zugunsten
        von nicht gewählten EU-Technokraten entmachtet. Ge-
        rettet werden mit den mittlerweile kaum noch vorstell-
        baren Milliardenbeträgen lediglich Banken und andere
        Finanzmarktakteure. Die Zeche dafür zahlt die Bevöl-
        kerung in ganz Europa durch soziale Kürzungen, Re-
        zession und Arbeitslosigkeit. Um das zu verschleiern,
        wurde und wird der ESM-Vertrag im Eiltempo durch die
        nationalen Parlamente geschleust. Die fatale Kürzungs-
        politik, die den Ländern bei Inanspruchnahme von soge-
        nannten Hilfskrediten diktiert wird, soll durch den Fis-
        kalpakt für alle Länder Europas unwiderruflich zur
        Vorschrift werden. Ich halte das für verfassungswidrig.
        Die radikal verschärfte Neuverschuldungsgrenze führt in
        allen Ländern gleichzeitig zu einer deflationären Kür-
        zungspolitik und wird so die Krise weiter verschärfen.
        Allein Deutschland muss deshalb circa 30 Milliarden
        Euro pro Jahr einsparen. Ein Kürzungsprogramm von
        diesem Ausmaß werde ich niemals mittragen.
        Der zunehmende Abbau sozialstaatlicher Leistungen
        und die immer drastischeren Kürzungen werden sich
        auch im Bildungsbereich bemerkbar machen. In Spanien
        und Griechenland explodieren derzeit die Klassengrö-
        ßen, und manche Schulen werden bereits geschlossen.
        Die Jugendarbeitslosigkeit hat mit 50 Prozent in diesen
        Ländern inzwischen Größenordnungen erreicht, dass ab-
        sehbar Millionen von jungen Menschen über die kom-
        menden Jahre in die totale Perspektivlosigkeit gezwun-
        gen werden. Diese Auswirkungen werden auch die
        Bundesrepublik treffen, da die Regierung mit dem Fis-
        kalpakt den drastischen Schuldenabbau festschreibt. Der
        Versuch, das für die Bankenrettung verpulverte Geld
        durch immer drastischere Kürzungsprogramme einzu-
        nehmen, ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch
        volkswirtschaftlich schädlich. Aus Schulden können
        sich öffentliche Haushalte nicht heraussparen. Die schon
        jetzt geplanten Kürzungen und Schließungen bei Kitas,
        Schulen, Hochschulen und Bibliotheken werden nicht zu
        einer Lösung der Krise beitragen, sondern sie verschär-
        fen. Die Bundesregierung legt damit auch ein bildungs-
        politisches Kürzungsprogramm für Deutschland und
        ganz Europa auf. Dabei ist doch gerade Bildung die
        Grundlage für eine demokratische Entwicklung und den
        sozialen Zusammenhalt.
        Die Linke will die Verursacher und Profiteure der
        Krise zu Kasse bitten. Dem privaten Geldvermögen von
        4,7 Billionen Euro in Deutschland stehen 2 Billionen
        Schulden gegenüber. Diese Krise ist keine Schulden-
        krise, sondern eine Verteilungskrise. Die Banken und Fi-
        nanzmärkte müssen deshalb endlich entmachtet und die
        Millionäre besteuert werden. Mit meiner Gegenstimme
        zum Fiskalpakt stehe ich auch an der Seite der kämpfen-
        den Menschen in Griechenland, Spanien und Italien, die
        sich seit Monaten mit Streiks und Massendemonstratio-
        nen gegen die Abwälzung einer Politik von Korruption
        und Profitgier auf ihre Schultern wehren. Meine Gegen-
        stimme steht auch für den Erhalt des seit Jahrzehnten
        beschnittenen Sozialstaats in Deutschland. Ich möchte
        kein Europa der Banken, sondern ein solidarisches Eu-
        ropa, und deshalb stimme ich heute gegen den Fiskal-
        pakt!
        22766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Josef Göppel (CDU/CSU): Deutschland übernimmt
        mit dem dritten Rettungsschirm eine Garantieverpflich-
        tung von rund 190 Milliarden Euro. Das entspricht
        knapp 7,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts
        im Jahr 2011. Allein das in jedem Fall einzuzahlende
        Kapital beläuft sich auf gut 21,7 Milliarden Euro. Die
        Übernahme dieser immensen Garantien geschieht, ohne
        dass damit eine wirksame Regulierung spekulativer Fi-
        nanzgeschäfte verbunden wäre.
        Das Marktversagen auf dem Finanzsektor ist die we-
        sentliche Ursache der gegenwärtigen Krise. Der deregu-
        lierte Finanzmarkt ist der politischen Gestaltung entglit-
        ten. Täglich wird an den Börsen und außerbörslich mehr
        als das Hundertfache des Produktionswerts aller Güter
        und Dienstleistungen der Welt gehandelt. Solche Sum-
        men können mit Steuererträgen aus der Realwirtschaft
        nicht mehr aufgefangen werden. Immer neue Anleihen
        für immer neue Garantien treiben vielmehr die Schul-
        denspirale weiter an und bieten Ansatzpunkte für neue
        Spekulationsrunden. Die Rettungsmittel sind das Futter
        für weitere spekulative Angriffe gegen Länder des Euro-
        Verbunds.
        Der beste Beweis dafür ist der Zwang zu fortlaufen-
        den Erhöhungen der Bürgschaftssumme in den Jahren
        seit 2008. Wenn das bloße Verlangen nach immer höhe-
        ren Brandmauern eine ganze Staatengemeinschaft vor
        sich hertreiben kann, dann liegt ein offenkundiger Sys-
        temfehler vor. Das Kapital dominiert die Politik.
        Auch der Anstieg der Staatsschulden geht zum großen
        Teil auf die Bankenrettungsschirme des Jahres 2008 zu-
        rück. Steuergelder aus der Realwirtschaft mussten da-
        mals für die spekulative Gier von Banken und anderen
        Finanzakteuren einstehen.
        Deshalb ist das Aufspannen von Rettungsschirmen
        ohne rechtliche Regulierung des Finanzsektors nutzlos
        und nicht verantwortbar. Wir brauchen eine Finanz-
        marktordnung, die spekulative Überhitzungen eingrenzt,
        hochriskante Geschäfte verbietet und Finanzakteure zur
        persönlichen Haftung heranzieht. Der Finanzsektor muss
        seine Rettungsschirme in Zukunft selbst finanzieren.
        Der wirksamste Schritt zur Stabilisierung des Finanz-
        sektors ist international die Finanztransaktionsteuer. Sie
        muss vor der Vergabe weiterer Bürgschaften rechtlich
        verbindlich fixiert sein, damit ihre Einführung nicht wie-
        der im Sande verläuft und Rettungsaktionen nicht immer
        wieder verpuffen. Genau das ist aber durch das Vorzie-
        hen des Beschlusses zur Errichtung des ESM nicht gege-
        ben. Er schafft vollendete Tatsachen für die Zahlungs-
        verpflichtungen Deutschlands, ohne die Beteiligung der
        Finanzmärkte vorher abzusichern.
        Die Studie der Finanzwissenschaftler Griffith-Jones
        und Persaud vom Mai 2012 belegt, dass die oft behaup-
        tete Verlagerung der Finanzgeschäfte aus Europa bei
        Einführung einer Finanztransaktionsteuer wirksam ein-
        gegrenzt werden kann. Der Ertrag der Steuer läge bei
        60 Milliarden Euro jährlich. Damit würden endlich wie-
        der Mittel für die Staatsaufgaben im sozialen, kulturellen
        und ökologischen Bereich frei. Zusätzlich ergäben sich
        positive Wachstumseffekte.
        Ich bin entschieden für unsere Gemeinschaftswäh-
        rung und deren Stützung. Das muss aber im Rahmen ei-
        ner Finanzordnung geschehen, die den Grundwerten der
        sozialen Marktwirtschaft entspricht. Das ist jetzt nicht
        der Fall! Das Konzept des Europäischen Stabilisierungs-
        fonds bindet in großem Umfang allgemeine Steuermit-
        tel, die für andere öffentliche Aufgaben fehlen, und kon-
        zentriert den Ertrag bei anonymen Finanzakteuren.
        Dieser ordnungspolitischen Fehlsteuerung kann ich nicht
        zustimmen. Die Politik muss ihre demokratische Gestal-
        tungshoheit zurückholen, weil Machtlosigkeit gegenüber
        dem Markt und die Duldung einer faktischen Nebenre-
        gierung letztlich das Vertrauen in die repräsentative De-
        mokratie zerstören. Die Entfesselung der Finanzmärkte
        wurde mit dem Finanzmarktderegulierungsgesetz 1989
        von der Politik ausgelöst. Die Politik hat deshalb auch
        die Aufgabe, die dienende Funktion des Finanzsektors
        für das Gemeinwohl wiederherzustellen. Der jetzt einge-
        schlagene Weg schiebt eine durchgreifende Lösung auf,
        anstatt sie zu beschleunigen.
        Aus diesen Gründen lehne ich sowohl den Gesetzent-
        wurf zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsme-
        chanismus als auch den Gesetzentwurf zu seiner Finan-
        zierung ab.
        Annette Groth (Die Linke): Ich stimme gegen den
        europäischen Fiskalpakt, da dieser Vertrag gegen demo-
        kratische Prinzipien verstößt. Mit diesem Vertrag wird
        die parlamentarische Demokratie deutlich eingeschränkt
        und werden die öffentliche Infrastruktur und die sozialen
        Errungenschaften in allen Unterzeichnerstaaten infrage
        gestellt.
        Dieser Vertrag ist eine deutliche Selbstentmachtung
        der nationalen Parlamente und damit auch des Deut-
        schen Bundestages. Das Haushaltsrecht ist eines der
        wichtigsten Rechte eines Parlaments. Durch das Haus-
        haltsrecht können gewählte Politikerinnen und Politiker
        darüber entscheiden, welche Schwerpunkte im Haushalt
        gesetzt werden und ob ein Staat zur Erreichung seiner
        Ziele in einer Haushaltsperiode öffentliche Schulden
        machen kann.
        Durch die automatischen Sanktionsmechanismen in
        diesem Vertrag wird die Möglichkeit der demokratischen
        und freien Gestaltung der Haushalte in allen öffentlichen
        Ebenen der Bundesrepublik, von den Kommunen bis
        zum Bundeshaushalt, deutlich eingeschränkt.
        Völlig inakzeptabel ist, dass bei einem Land, das sich
        im sogenannten Defizitverfahren befindet, die Euro-
        päische Kommission und der Rat künftig sogar ein Veto-
        recht gegenüber den nationalen Haushaltsplänen erhal-
        ten. Damit bekommt die Exekutive und eine nicht
        demokratisch gewählte Institution wie die Europäische
        Kommission Macht über die Gestaltung der Haushalte
        von demokratisch gewählten Parlamenten.
        Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)
        ist kein Beitrag zur Überwindung der tiefen ökonomi-
        schen Krise. Es handelt sich real um einen Banken-
        rettungsschirm, der mit öffentlichen Mitteln der Steuer-
        zahlerinnen und Steuerzahler bezahlt wird. Durch
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22767
        (A) (C)
        (D)(B)
        Sozialkürzungen und die weitere Einschränkung der öf-
        fentlichen Handlungsspielräume wird ein milliarden-
        schwerer Schutz für die Gewinne der Banken errichtet.
        Beiden Verträgen werde ich nicht zustimmen, da
        durch sie die Schaffung einer sozialen und demokra-
        tischen Europäischen Union wesentlich erschwert wird.
        Die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung dieser
        Verträge bedient die Interessen einer bürokratischen
        Elite, die von Wirtschaftslobbyisten gelenkt ist. Als
        überzeugte Europäerin kann ich dem schleichenden Tod
        der Demokratie in der Europäischen Union nicht zustim-
        men, der durch diese Verträge befördert wird.
        Petra Hinz (Essen) (SPD): Der Deutsche Bundestag
        entscheidet heute über den Fiskalvertrag für mehr Haus-
        haltsdisziplin in Europa und den dauerhaften Euro-Ret-
        tungsschirm, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus,
        ESM. Mein Ja zum ESM und Fiskalvertrag ist jedoch
        nicht ein Ja zur Merkel’schen Politik, die es bislang
        nicht vermocht hat, die krisengeschüttelte EU dauerhaft
        zu stabilisieren. Sie schadet mit ihren anonymen Gipfel-
        treffen und ihrem nicht nachvollziehbaren Zickzackkurs
        Europa und der Demokratie. Meine Zustimmung zeigt
        vielmehr: Ich nehme meine Verantwortung für ein soli-
        darisches und handlungsfähiges Europa auch als Opposi-
        tion ernst. Dies ist nicht nur eine Entscheidung für
        Deutschland, sondern eine historische Entscheidung für
        ganz Europa.
        Es ist ein Ja zu zwei Instrumenten gegen die Krise,
        die sicher nicht in allen Belangen vollständig meinen
        und sozialdemokratischen Vorstellungen entsprechen,
        insbesondere der Euro-Rettungsschirm ist ein zentraler
        Beitrag zur Krisenbewältigung. Ich bin davon überzeugt:
        ESM und Fiskalvertrag sind nur Etappenziele auf dem
        Weg zur Rettung der Euro-Zone. Zur Wahrheit gehört
        auch: Von einer endgültigen Lösung der Krise sind wir
        nach wie vor weit entfernt. Wir alle müssen die europäi-
        sche Idee leben, doch über ihre Geschichte wird heute
        kaum gesprochen. Aber jeden Tag erleben die Menschen
        die überfrachtete Verwaltung und die Bürokratie der EU.
        Es liegt an uns, über die eigentliche europäische Idee zu
        sprechen und die Menschen für Europa zu begeistern.
        Ich habe mir die Entscheidung zum Fiskalvertrag
        nicht leicht gemacht. Ein Vertrag, der in strikter Haus-
        haltsdisziplin und massivem Schuldenabbau die Lösung
        aller Probleme der Euro-Zone sieht, trägt alles andere als
        eine sozialdemokratische Handschrift. Ein kategorisches
        Nein zum Fiskalvertrag wäre aber das falsche Signal in
        der Krise: Für mich ist unbestritten, dass die Euro-Staa-
        ten ihre Schuldenberge in den Griff bekommen müssen.
        Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fän-
        gen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche
        Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Sowohl im
        Bund als auch in einigen Ländern haben wir dazu beige-
        tragen, Schuldenbremsen verfassungsrechtlich zu veran-
        kern. Und wir haben dabei durchgesetzt, dass eben nicht
        nur eine Verantwortung für die Ausgaben, sondern auch
        Grundlagen für die Einnahmen bestehen.
        Neben Haushaltsdisziplin brauchen die überschulde-
        ten Staaten auch Impulse für nachhaltiges Wachstum
        und Beschäftigung, um dauerhaft wieder auf eigenen
        Beinen stehen zu können. Dem reinen Fiskalvertrag
        hätte ich nicht zustimmen können, da er die Krise eher
        verschärft als eingedämmt hätte. Deswegen haben wir
        als SPD-Fraktion hart mit der Bundesregierung verhan-
        delt – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Ergän-
        zung des Fiskalvertrages durch einen europäischen
        Wachstums- und Beschäftigungspakt ist letztlich auch
        das Eingeständnis der schwarz-gelben Koalition, dass
        ihre bisherige fantasielose Sparpolitik krachend geschei-
        tert ist. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialde-
        mokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Opposi-
        tionspartei, einer Bundesregierung einen solchen
        Kurswechsel abzuringen.
        Erstens. Union und FDP haben die gerechte Besteue-
        rung des Finanzsektors lange Zeit blockiert und damit
        verhindert, dass auch die Verursacher der Krise an den
        Kosten ihrer Überwindung beteiligt werden. Dank der
        SPD wird die Finanztransaktionsteuer nun endlich kom-
        men, leider nicht in allen, aber doch zumindest in vo-
        raussichtlich zehn Partnerländern.
        Zweitens. Wir haben erreicht, dass sich die Bundesre-
        gierung zu erheblichen Impulsen für mehr Wachstum
        und Beschäftigung in Europa bekennt. Dazu gehört, dass
        nicht abgerufene Mittel aus den Strukturfonds der lau-
        fenden Finanzperiode gezielt für wachstums- und be-
        schäftigungsfördernde Maßnahmen eingesetzt werden.
        Drittens. Die Bundesregierung hat in den Verhandlun-
        gen zudem unserer Forderung zugestimmt, ein Sofort-
        programm gegen Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg zu
        bringen. Mit einer Jugendgarantie soll jedem Jugendli-
        chen spätestens vier Monate nach Schulabschluss oder
        Eintritt in die Arbeitslosigkeit eine Arbeits- oder Ausbil-
        dungsstelle angeboten werden.
        Viertens. Die Bundesländer haben weiterhin bis 2020
        Zeit, die Regeln der nationalen Schuldenbremse einzu-
        halten. Der Bund hat sich verpflichtet, die Kommunen
        im Sozialbereich finanziell um mehrere Milliarden Euro
        zu entlasten.
        Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM soll den
        zeitlich befristeten Rettungsschirm EFSF endgültig ablö-
        sen, bis dahin laufen beide Mechanismen zunächst paral-
        lel. Deutschland geht durch die Gewährung von Bürg-
        schaften für notleidende Staaten im Rahmen der
        europäischen Rettungsschirme erhebliche finanzielle Ri-
        siken ein. Diese Risiken sind jedoch vertretbar – denn
        sie sind nicht nur ein Signal der innereuropäischen Soli-
        darität, sondern auch ein Gebot der wirtschaftlichen Ver-
        nunft.
        Die Stabilität des Euro und unserer Partnerländer liegt
        vor allem im deutschen Interesse, weil uns ein Zusam-
        menbruch der Währungsunion am Härtesten treffen
        würde. Der Exportnation Deutschland kann es auf Dauer
        nicht gut gehen, wenn die Wirtschaft im Rest Europas
        am Boden liegt Unser Wohlstand beruht auf den in
        Deutschland hergestellten Produkten, die auch von unse-
        ren europäischen Partnerländern gekauft werden. Wenn
        es uns nicht gelingt, diese Länder dauerhaft zu stabilisie-
        ren, dann droht die Krise auch auf Deutschland überzu-
        22768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
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        greifen. Wir retten nicht Griechenland oder Spanien,
        sondern wir retten letztlich auch den Wohlstand und die
        Arbeitsplätze in Deutschland.
        Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die betroffenen
        Staaten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden,
        Fehlentwicklungen abstellen und Schulden abbauen.
        Nur wenn die Euro-Zone stabilisiert wird, können die
        Länder die gewährten Kredite zurückzahlen. Wer jetzt
        aber ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone
        fordert, beschleunigt damit nur einen Staatsbankrott und
        vermindert so die Chance auf die vollständige Rückzah-
        lung der deutschen Forderungen. Zudem hätte ein un-
        kontrollierter Staatsbankrott auch verheerende Folgen
        für andere Krisenstaaten, die dann ebenfalls zur Ziel-
        scheibe spekulativer Angriffe würden.
        Aus den oben genannten Gründen stimme ich dem
        Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und dem
        Fiskalvertrag zu. Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir den
        Menschen viel zumuten. Aber wir müssen diesen Schritt
        gehen. Eine Enthaltung oder eine Ablehnung wäre ein
        falsches Signal für die europäische Idee. Meine heutige
        Zustimmung ist jedoch kein Freibrief für zukünftige Ein-
        zelentscheidungen und Alleingänge der Bundesregie-
        rung im Rahmen der EU-Finanzkrise.
        Christian Hirte (CDU/CSU): Den Gesetzen zur Ein-
        richtung eines dauerhaften Europäischen Stabilitätsme-
        chanismus, ESM, sowie zum Fiskalpakt stimme ich zu.
        Dem derzeit beschrittenen Weg zur weiteren europäi-
        schen Rettungspolitik stehe ich weiterhin mit großer
        Skepsis und Sorge gegenüber. Ich bin nicht überzeugt,
        dass damit die Krise dauerhaft erfolgreich bekämpft
        werden kann. Finanzhilfen und Bürgschaften allein wer-
        den nicht helfen, um die teils massiven Rückstände der
        Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder zu überwinden.
        Ich stimme den Gesetzen dennoch zu, weil die denkba-
        ren – auch politischen – Alternativen deutlich problema-
        tischer sind. Das entschiedene Bekenntnis der Bundes-
        kanzlerin gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden
        in Europa stellt klar, dass bei aller notwendigen Solidari-
        tät die nationalen Regierungen und Parlamente sich ih-
        ren schwierigen Aufgaben stellen müssen. Kein Ret-
        tungsschirm, kein gemeinsamer Tilgungsfonds und auch
        kein gemeinsames Wachstumspaket kann die Staaten aus
        dieser Verantwortung entlassen. Die notwendige Solida-
        rität darf auch nicht dazu führen, dass am Ende alle über-
        fordert sind. Kein Staat und insbesondere nicht Europa
        als Ganzes wird stärker, indem die Stärkeren schwach
        werden.
        Der ESM, insbesondere in seiner Verbindung mit dem
        Fiskalpakt, bildet, wie zuvor die EFSF, einen Rahmen,
        dem ich grundsätzlich zustimme. Er unterstreicht, dass
        die Euro-Staaten sich mit der gemeinsamen Währung zu
        einer vertieften gegenseitigen Solidarität verpflichtet
        haben. Ich halte den Euro und insbesondere die Idee
        eines freiheitlichen, friedlichen und gemeinsamen
        Europas für so wichtig, dass ich bereit bin, einen solchen
        Rahmen mitzutragen. Es ist und bleibt wichtig, dass der
        Deutsche Bundestag immer dann, wenn es um konkrete
        Hilfen für einzelne Staaten geht, in die Entscheidung
        eingebunden bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat
        in seinen jüngsten Urteilen diese Rolle des Parlaments
        immer wieder betont. Daher möchte ich auch in Zukunft
        im Einzelfall trennen zwischen der Zustimmung zu
        einem grundsätzlichen Rahmen und der konkreten Hilfs-
        zusage für ein Land, für Banken oder andere Hilfsleis-
        tungen. Insbesondere im Fall Griechenlands glaube ich,
        dass ein Festhalten am Euro mit allen Mitteln keine dau-
        erhafte Lösung ist. Kein konkretes Geld ohne Zustim-
        mung des Bundestages bleibt daher auch mit dem ESM
        für mich ein Maßstab meines politischen Handelns.
        Gleichwohl zeigen gerade die Beispiele Portugal oder
        Irland, dass vorübergehende Hilfen der europäischen
        Partner eine wichtige und notwendige Unterstützung für
        Staaten sein können, ihren Reformweg zu verfolgen und
        umzusetzen. Diese Beispiele zeigen zugleich, dass Kre-
        dite und Bürgschaften allein nicht helfen, in den betrof-
        fenen Ländern einen Aufwärtspfad einzuschlagen. Nur
        ein konsequenter Reformweg, der jeweils national die
        Verschuldung absenkt und die Wettbewerbsfähigkeit der
        Volkswirtschaften steigert, kann eine positive Perspek-
        tive eröffnen. Ich war und bin bereit, diese Schritte zu
        unterstützen, und halte es für richtig, dass auch Deutsch-
        land verlässlicher Partner dabei ist, diese Wege zu ge-
        hen. Wachstumsimpulse in Europa sind deshalb auch
        eine richtige Ergänzung zu Reformen und Haushaltsdis-
        ziplin. Sie können diese aber nicht ersetzen. Gerade
        Deutschland hat in den zurückliegenden Jahren gezeigt,
        dass beides zusammenkommen muss, um die Wettbe-
        werbsfähigkeit zu erhöhen. Hinweise und Belehrungen
        der Oppositionsparteien im Bundestag an die Regierung
        zu Wachstum sind deshalb so unverständlich wie über-
        flüssig und – im Rückblick auf den aktuellen Brüsseler
        Gipfel – geradezu schädlich.
        Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die
        Bundesregierung haben in den vergangenen Monaten
        mit ihrer Haltung geholfen, in den Mitgliedstaaten wich-
        tige Reformen anzustoßen und auf den Weg zu bringen.
        Mit den Einzahlungen in den ESM, aber auch mit der
        Übernahme der Haftungsrisiken übernimmt Deutschland
        eine wichtige solidarische Rolle. Auch bei Wachstums-
        impulsen über den EU-Haushalt ist letztlich die Bundes-
        republik mit Zahlungen beteiligt.
        Diese Solidarität halte ich dem Grunde nach auch für
        richtig. Gerade Ostdeutschland, aber auch andere struk-
        turschwache Regionen in Deutschland profitieren von
        der Solidarität in Europa. Das wirtschaftliche, aber auch
        das ideelle Europa, das uns Wohlstand, Frieden und Frei-
        heit sichern soll, kann und sollte uns dies wert sein. Der
        gleichzeitig notwendige Reformweg in den Ländern
        muss aber von den jeweiligen Regierungen und Parla-
        menten getragen werden. Subsidiarität und nationale
        Eigenverantwortung waren bislang Grundprinzipien des
        geeinten Europas. Sie sind keine Schönwetterregeln und
        sollten auch in schwierigen Krisenzeiten Bestand haben.
        Keine noch so große Krise darf dazu führen, dass wir
        diese zentralen Bausteine Europas einfach en passant
        aufgeben, um gegebenenfalls vorübergehend Zinsvor-
        teile für die Refinanzierung einzelner Staaten zu gewin-
        nen. Richtigerweise hat das Bundesverfassungsgericht
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22769
        (A) (C)
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        erst aktuell darauf hingewiesen, dass wir unseren grund-
        gesetzlichen Rahmen überdenken müssen, wenn ein an-
        deres, intensiver integriertes Europa gebaut werden soll.
        Nach meiner festen Überzeugung muss dieser Dis-
        kussionsprozess in den politischen Institutionen
        Deutschlands, aber auch und gerade mit unserer Bevöl-
        kerung geführt werden. Was ist uns in Deutschland
        Europa wert, ideell und ökonomisch? Was sind wir be-
        reit und in der Lage, an nationalen Souveränitätsrechten
        und finanziellen Ressourcen abzugeben, um Europa sta-
        bil zu halten und auch selbst Vorteile aus dieser Stabilität
        zu erlangen? Welche Rolle wollen und können wir Deut-
        sche in Europa spielen?
        Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass
        wir über mehr als Transferleistungen reden, dass es um
        mehr als tagespolitische Einzelentscheidungen geht. Wir
        sind inmitten von Fragen nach einem Grundverständnis
        von Europa, darüber, welche Lasten und Einschnitte wir
        bereit sind, mitzutragen, um Wohlstand, Freiheit und
        friedlichen Austausch dauerhaft zu sichern. Wir stehen
        dabei an einschneidenden Weggabelungen. Die finan-
        zielle Not wird dazu führen, uns den damit verbundenen
        Fragen stellen zu müssen. Die Diskussion hierüber ist
        notwendig und überfällig.
        Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
        kann dem Fiskalpakt nicht zustimmen, weil er nicht aus-
        reichend von Maßnahmen flankiert wird, die wirklich
        den Zinsdruck von den europäischen Krisenländern neh-
        men. Die Beschlüsse, die in der Nacht zum 29. Juni auf
        dem EU-Gipfel in Brüssel gefasst wurden, gehen zwar
        teilweise in die richtige Richtung, schwächen jedoch die
        Rechte des Europaparlaments und werden in der Sache
        nur temporär begrenzte Effekte haben.
        Ich befürchte, dass die eiserne Sparpolitik, die mit-
        hilfe des Fiskalpakts allen Vertragspartnern auferlegt
        werden soll, die in Bedrängnis geratenen Länder noch
        tiefer in die Krise treiben und dort zu Sozialabbau und
        dem Verkauf staatlicher Infrastruktur (also unter ande-
        rem zur Privatisierung von Krankenhäusern, Universitä-
        ten und der Eisenbahn) führen wird.
        Mir ist sehr wohl bewusst, dass in den Krisenländern
        große Eigenanstrengungen notwendig sind (Stärkung ef-
        fektiver Finanzämter, mehr Steuergerechtigkeit, Aufbau
        eines funktionierenden Katasterwesens und auch Spar-
        maßnahmen). Es dürfen aber keine Maßnahmen direkt
        oder indirekt erzwungen werden, die die Aussicht auf
        eine wirtschaftliche Erholung gen null laufen lassen und
        die zu sozialen Verwerfungen führen.
        Trotz großer Bedenken aufgrund seiner Konstruktions-
        fehler und des Mangels an Transparenz und parlamentari-
        scher Kontrolle werde ich in einem anderen Abstim-
        mungsgang dem ESM zustimmen, weil mir das schnelle
        Hochziehen einer Brandmauer zur Abwehr von Spekula-
        tionsangriffen jetzt notwendig erscheint.
        Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Form richtet meines
        Erachtens aber mehr Schaden als Nutzen an.
        Ich fühle mich in der wirtschaftlichen Analyse und
        der Bewertung des Fiskalpakts einig mit vielen Finanz-
        expertinnen der grünen Bundestagsfraktion und der grü-
        nen Fraktion im Europaparlament. Auch mit dem Ent-
        schließungsantrag meiner Fraktion zum Fiskalpakt bin
        ich einverstanden.
        Unterschiede gibt es jedoch in der Interpretation bzw.
        in den Schlussfolgerungen, die aus der äußerst knappen
        Entscheidung der Sondersitzung des Länderrats von
        Bündnis 90/Die Grünen gezogen werden können. In
        meinen Augen ist es weder eine Missachtung des Län-
        derrats noch eine Kritik an denjenigen, die für
        Bündnis 90/Die Grünen die Kompromisse mit der Koali-
        tion ausgehandelt haben (und dabei in Sachen Finanz-
        transaktionsteuer auch wichtige Teilerfolge errungen ha-
        ben), wenn eine Minderheit in der Fraktion nach
        Abwägung aller Pros und Kontras dem Fiskalpakt die
        Zustimmung verweigert.
        Uns alle eint in der grünen Bundestagsfraktion und
        überhaupt in allen Gliederungen von Bündnis 90/Die
        Grünen die Überzeugung, dass die Krise in Europa nur
        mit mehr und nicht mit weniger Europa gelöst werden
        kann. Aus einer Währungsunion muss so schnell wie
        möglich auch eine Wirtschafts- und Solidarunion wer-
        den, die sich in Europa und weltweit für eine
        menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung ein-
        setzt.
        Heiner Kamp (FDP): Vor dem Hintergrund von
        Schuldenbergen und Bankenkrisen in vielen Ländern der
        Europäischen Union machen sich die Menschen Sorgen
        um ihre eigene Zukunft, ihr Erspartes und um die Zu-
        kunft und Stabilität ihrer Länder und Europas.
        Gleichzeitig werfen die Instrumente zur Bekämpfung
        dieser Risiken viele Fragen auf, wie etwa: Reichen die
        Maßnahmen aus? Ist es gerecht, sich anzustrengen, wenn
        betroffene Länder nicht die notwendigen Reformen be-
        ginnen? Sichern die Maßnahmen unser Geld, oder ver-
        nichten sie es? Selbstverständlich teile ich diese Sorgen.
        Aber diese Krisen sind erstmalig. Die Mechanismen
        zur Bewältigung sind neu. Niemand kann definitiv Aus-
        sagen darüber treffen, ob, wann und wie die Maßnahmen
        greifen. Unterlassenes Handeln würde in dieser Situation
        aber unkalkulierbare Kettenreaktionen auslösen.
        Heute entscheiden wir nun über den Fiskalpakt und
        den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ich stimme
        beiden nach Abwägung aller Risiken aus folgenden
        Gründen zu:
        Ich bin erstens davon überzeugt, dass ein geeintes,
        friedliches und stabiles Europa größter Anstrengungen
        wert ist. Eine wichtige Grundlage, um diesen Zustand zu
        erhalten und zu stärken, sind solide Staatsfinanzen der
        einzelnen Mitgliedstaaten. Der Fiskalpakt legt hierfür
        unter anderem durch die Einführung einer Schulden-
        bremse die Grundlage. Dafür ist die Disziplin aller Be-
        teiligten bei seiner Umsetzung notwendig.
        Ich bin zweitens davon überzeugt, dass die Insolvenz
        eines Mitgliedstaates unkalkulierbare Folgen für die
        22770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
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        Währungsunion und die Europäische Union als Ganzes
        sowie letztlich für den einzelnen Bürger hätte. Die
        Schutzwirkung des ESM gibt den Mitgliedstaaten die
        nötige Zeit, Reformen umzusetzen. Gleichzeitig ist er
        ein starkes Signal an die Finanzwelt, dass Europa ge-
        schlossen zur Bewältigung der Krise bereit ist.
        Eine weiter gehende europäische Integration darf al-
        lerdings nicht unter dem Druck der Staatsschuldenkrise
        ohne die Beteiligung der Bürger und deren gewählter
        Vertreter geschehen. Ich fordere deshalb die Regierun-
        gen der Mitgliedstaaten auf, der allgemein empfundenen
        Furcht vor einem zentralistischen Europa mit Maßnah-
        men auf europäischer Ebene entgegenzuwirken, die die
        Mitbestimmungsrechte von Parlament und Volk stärken.
        Europäische Integration darf aber nicht bedeuten, dass
        wir die Fehler einzelner Mitgliedstaaten vergemein-
        schaften. Ich will ein geeintes, aber kein vereinheitlich-
        tes Europa. Es ist wichtig, die Vielfalt der Ideen und Lö-
        sungen zu erhalten. Der Wettbewerb der Ideen und
        verschiedenen Wege ist ein Grund für die kulturelle und
        wirtschaftliche Stärke Europas.
        Harald Koch (DIE LINKE): Ich lehne den Fiskalpakt
        ab, weil ich weiter für ein demokratisches, soziales und
        solidarisches Europa kämpfe.
        Spardiktate sparen Europa kaputt. Die Kürzungspoli-
        tik kürzt Demokratie und Arbeiterrechte. Sie verschärft
        die Krise und führt tiefer in die Rezession. Ein weiterer
        Abbau von Löhnen, Renten und Sozialleistungen be-
        gräbt so langsam die europäische Idee. Ureigene Rechte
        der Parlamente wie das Haushaltsrecht werden einge-
        schränkt. Ist der Fiskalpakt ratifiziert, kann ihn kein
        Land allein wieder aufkündigen. Austerität wird zum
        Dogma der EU.
        Dafür sind die Ursachen der derzeitigen Finanzkrise
        in der fehlenden strikten Regulierung der Finanzmärkte,
        in der fatalen Abhängigkeit der Staatsfinanzen von den
        Finanzmärkten sowie in den Leistungsbilanzungleichge-
        wichten innerhalb des Euro-Raumes zu suchen. Auch
        der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) stellt ein
        weiteres Bankenrettungspaket dar. Die Hilfsgelder kom-
        men nicht den Menschen zugute. Wer Hilfsgelder will,
        muss sich dem Kaputtsparzwang ergeben. Lasten der
        Wirtschaftskrise werden mehr und mehr auf die Bürger
        abgeschoben. Ihre demokratischen Mitbestimmungs-
        rechte versiegen aber stärker als dass sie zunehmen. Die
        ohnehin finanziell klammen Kommunen bluten zudem
        vollends aus.
        Ich fordere deshalb, die Profiteure und Verursacher
        der Krise ausreichend an den Kosten zu beteiligen. Ohne
        eine drastische Besteuerung hoher Vermögen, hoher Ein-
        kommen und von Finanztransaktionen gibt es keinen
        Weg aus der Krise. Europa braucht dabei nachhaltige
        Wachstums- und Investitionsprogramme. In Deutschland
        brauchen wir geeignete Maßnahmen zur Stärkung der
        Binnennachfrage – unter anderem Mindestlohn – für
        eine bessere Finanzausstattung der Kommunen – unter
        anderem Gemeindewirtschaftsteuer – und für den Abbau
        von Leistungsbilanzungleichgewichten.
        Ich will ein solidarisches Eüropa mit mehr demokrati-
        schen Mitwirkungs- und Entscheidungsrechten der Bür-
        gerinnen und Bürger. Ich will mehr Demokratie und
        mehr Sozialstaat. Deshalb verweigere ich dem Fiskal-
        pakt meine Zustimmung.
        Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus-
        gangspunkt meiner Entscheidung ist meine politische
        Überzeugung, dass die Europäische Integration für eine
        solidarische, demokratische und ökologische Europäi-
        sche Union vorangetrieben werden muss. Die friedens-
        stiftende Idee Europas gilt es zu bewahren. Doch die
        Krisen haben das Undenkbare plötzlich möglich ge-
        macht: Das Auseinanderbrechen der Euro-Zone ist
        wahrscheinlich, wenn nicht geeignete Gegenmaßnah-
        men ergriffen werden.
        Zunächst ist es aber wichtig, die Ursachen der Wirt-
        schafts-, Finanz- und Verschuldungskrisen zu analysie-
        ren. Es war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte,
        dass viele Staaten die Schulden ihres Finanzsektors
        übernehmen mussten, um den Kollaps zu verhindern.
        Hinzu kommt die Schwäche des europäischen Banken-
        systems, die massive Überschuldung privater Haushalte,
        Immobilienblasen und massive ökonomische Ungleich-
        gewichte sowie die dramatische Ungleichverteilung von
        Vermögen. Diese Ursachen wurden von der Bundesre-
        gierung nicht konsequent bekämpft, was wir Grünen im-
        mer heftig kritisiert haben. Inzwischen birgt die Krise
        enorme Risiken mit unabsehbaren Folgen für unser Ge-
        meinwesen.
        Vor diesem Hintergrund sind die Signale zu bewerten,
        die von den Abstimmungen im Deutschen Bundestag
        ausgehen. Die vorliegenden Gesetze begleiten einen
        Prozess, der noch nicht zum Ende gekommen ist. Viel
        bleibt zu tun. Daher unterstütze ich ausdrücklich die von
        der grünen Fraktion erreichten veränderten Ausrichtun-
        gen der deutschen Politik. Doch es muss noch viel mehr
        geschehen. Um einen deutlichen Politikwechsel einzu-
        leiten, wären wirksame Maßnahmen zur Linderung des
        Zinsdrucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch
        einen Altschuldentilgungsfonds. Es ist bitter, dass die
        Kanzlerin bislang ihren törichten Weg weiterverfolgt, ei-
        nen solchen Fonds nicht aufzusetzen. Außerdem tut sie
        nichts, um in der deutschen Bevölkerung für den Weg
        für ein besseres, integrativeres, solidarischeres und soli-
        deres Europa zu werben.
        Ich befürworte den ESM, weil er eine dauerhafte Fi-
        nanzinstitution schafft, der alle Euro-Staaten angehören
        werden. Er soll ab Juli dieses Jahres in Kraft treten, und
        seine Aufgabe wird sein, am Markt Geld aufzunehmen
        und Stabilitätshilfen zu günstigeren Konditionen an
        Euro-Staaten mit gravierenden Finanzierungsproblemen
        weiterzugeben. Das ist ein sehr wichtiges Signal für die
        von den Krisen gepackten Länder wie Spanien, Italien
        und Zypern. Aber auch beim ESM ist noch vieles ver-
        besserungswürdig, auch der ESM muss weiter sehr kri-
        tisch begleitet werden, weil noch zahlreiche Fallstricke
        enthalten sind.
        Ich stimme dem Fiskalpakt nach reiflichem Abwägen
        zu. Es ist nicht leicht, einen stimmigen Weg durch die
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22771
        (A) (C)
        (D)(B)
        äußerst unterschiedlichen und sich widersprechenden
        Argumente zu finden. Beim Abklopfen der Inhalte des
        Fiskalpakts ist festzustellen, dass dieser für die jetzige
        Situation in mehrfacher Hinsicht das falsche Instrument
        ist. Der Pakt ist zum einen ein Ablenkungsmanöver der
        Bundesregierung, um die verantwortungslose Verweige-
        rung gegenüber wirklichen Lösungen zu legitimieren. So
        tritt er erst zum 1. Januar 2013 in Kraft, obwohl es heute
        darum gehen müsste, einen Ausweg aus der Krise für
        Spanien, Italien und Zypern zu finden. Außerdem be-
        steht durchaus die Gefahr, dass dieser Pakt in den Jahren
        ab 2014 zu massiven wirtschaftlichen Problemen in Eu-
        ropa führt.
        Aber der Fiskalpakt ist so neu nicht – einige der Re-
        gelungen – zum Beispiel die Beschreibung eines Schul-
        denabbauplans – sind bereits durch das Sixpack be-
        schlossen. Was den Fiskalpakt aber weniger dramatisch
        macht, ist seine tendenzielle Unverbindlichkeit und Ab-
        schwächungen, die auch durch den aktuellen EU-Gipfel
        vorgenommen wurden. Der Fiskalpakt ist nicht in Stein
        gemeißelt, er operiert zum Beispiel innerhalb der Regeln
        zum ausgeglichenen Haushalt in den schon in Deutsch-
        land gesetzten Grenzen oder verweist zum Beispiel beim
        Korrekturmechanismus auf die uneingeschränkte Wah-
        rung der Vorrechte der nationalen Parlamente. Er ist in
        durchaus relevanten Bereichen pflaumenweich formu-
        liert und hat deshalb voraussichtlich nicht die von vielen
        befürchtete Wirkung. Dennoch müssen wir sehr auf-
        merksam verfolgen, wie es weitergeht, denn ob die Risi-
        ken, insbesondere bei der Frage der Schuldenbremse,
        wirklich einzudämmen sind, wird künftig zu klären sein.
        Meine Fraktion hat sich entschieden, die politischen
        Prozesse konstruktiv und proeuropäisch voranzutreiben.
        Was mir ein Ja auch ermöglicht, ist der Umstand, dass
        die Verhandlungen Erfolge hatten. Nachdem unsere
        Klage vor dem Bundesverfassungsgericht über die Mit-
        wirkungsrechte des deutschen Bundestages erfolgreich
        war, konnten wir durchsetzen, dass das entsprechende
        Gesetz jetzt hinsichtlich des Fiskalpakts und ähnlicher
        europäischer Konstruktionen eine ausdrückliche Klar-
        stellung erhält.
        Last, but not least – die Finanztransaktionsteuer. Eine
        solche wird jetzt auf den Weg gebracht. Als Entwick-
        lungspolitikerin freut mich das besonders, denn der jah-
        relange Kampf für eine Steuer, die hoffentlich auch zur
        Bekämpfung der Armut eingesetzt wird, zeigt endlich
        Wirkung.
        Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die Europäische Union und der Euroraum befinden sich
        in einer der schwersten Krise seit Ende des Zweiten
        Weltkrieges. Einige Mitgliedstaaten sind mit massiv
        gestiegenen Zinsforderungen für ihre Kredite konfron-
        tiert, ihnen droht der Staatsbankrott. Die wirtschaftlichen
        Auswirkungen eines solchen Bankrotts auf andere mit
        ihnen eng verwobene Volkswirtschaften sowie die poli-
        tischen Konsequenzen für die weitere europäische Inte-
        gration wären desaströs.
        Die Ursachen der Krise sind mannigfaltig. Sie reichen
        von fehlender Regulierung von Finanzmärkten und Ban-
        ken, spekulativen Finanzgeschäften über mangelnde
        Haushaltsdisziplin, der Finanzierung von Konjunktur-
        paketen bis hin zu erheblichen Leistungsbilanzdefiziten.
        Um der Krise zu begegnen, sind verschiedene Maß-
        nahmen notwendig. Rettungsschirme müssen aufge-
        spannt werden, um den betroffenen Ländern wieder eine
        Refinanzierung zu ermöglichen und somit deren Zah-
        lungsunfähigkeit abzuwenden. Verbindliche Regeln, wie
        Grenzen für nationale Defizite und Schuldenbremsen,
        müssen zur Sicherstellung nachhaltiger und stabiler
        Haushaltspolitik eingeführt werden. Die Finanzmärkte
        müssen reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt
        werden. Die bestehenden Schulden müssen konsequent
        zurückgeführt werden. Nicht zuletzt müssen den ange-
        schlagenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Perspekti-
        ven aufgezeigt werden – wir brauchen Investitionspro-
        gramme in nachhaltige Technologien, beispielsweise in
        den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien.
        Der Deutsche Bundestag hat heute mit der Entschei-
        dung für den Europäischen Stabilitätsmechanismus,
        ESM, und den Fiskalpakt entlang dieser Linien die Wei-
        chen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen
        Union, des Euros und der Europäischen Finanzmärkte
        gestellt.
        Mit dem ESM wird dem Euro-Raum ein permanenter
        Rettungsschirm zur Verfügung stehen. Ausgestattet mit
        einem eigenen Kapitalstock wird er dazu in der Lage
        sein, in Not geratene Staaten bei ihrer Refinanzierung zu
        unterstützen.
        Der Fiskalpakt ist eine notwendige Ergänzung des
        ESM. Er stellt verbindliche Regeln zur Erstellung kon-
        solidierter Haushalte auf. Die Mitgliedstaaten verpflich-
        ten sich mit ihm zudem zur Einführung nationaler Schul-
        denbremsen. Diese Abkehr von der Toleranz gegenüber
        strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn
        nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig.
        Eine Haushaltskonsolidierung muss sowohl aus der Stei-
        gerung von Einnahmen als auch aus hoher Disziplin bei
        den Staatsausgaben bestehen.
        Im Zuge der Verhandlungen zu ESM und Fiskalpakt
        konnten durch eine erfolgreiche grüne Verhandlungsfüh-
        rung noch weitere wichtige Maßnahmen vereinbart wer-
        den: Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer
        werden die Märkte endlich an den Kosten der Krise
        beteiligt. Investitionsimpulse, vor allem für nachhaltige
        Investitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz wer-
        den für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgen. Nicht zu-
        letzt wird es eine stärkere parlamentarische Beteiligung
        bei Hilfsanträgen an den ESM geben. In Deutschland
        wurde darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und
        Kommunen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies
        ist richtig und notwendig, weil Länder und Kommunen
        im Vergleich zum Bund deutlich begrenztere Möglich-
        keiten zur Refinanzierung haben.
        Mit der Einigung zu ESM und Fiskalpakt haben wir
        viel erreicht. Gleichwohl stehen weitere wichtige Ent-
        scheidungen aus. So konnten wir uns nicht auf die Ein-
        führung eines gemeinschaftlichen Schuldenabbaus eini-
        gen. Mit ihrer Blockadehaltung in dieser Frage gefährdet
        22772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
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        die Kanzlerin die positive Wirkung von ESM und Fis-
        kalpakt. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen.
        Weiterhin gilt es, Investitionen in eine ökologische
        und soziale Gesellschaft noch weiter auszubauen. Solche
        Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas
        und gehören zu unserer Strategie der Krisenbewältigung.
        Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen
        Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäi-
        sche Parlament muss in seiner Entscheidungsbefugnis
        gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäi-
        sche Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die
        Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Europa.
        Ich habe mich dazu entschlossen, für ESM und Fis-
        kalpakt zu stimmen. Die Initiativen enthalten nicht alle
        unsere Forderungen. Ich bin dennoch davon überzeugt,
        dass sie einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung der
        Schuldenkrise darstellen und wichtige grüne Forderun-
        gen umsetzen. Ich will mit meiner Zustimmung das
        europäische Projekt vor einem herben Rückschlag
        bewahren. Ich bekenne mich klar zu Europa und will
        nun auch dafür einstehen.
        Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Durch die ak-
        tuellen Ereignisse und Entwicklungen in der Euro-Zone
        sehe ich mich in meiner kritischen Haltung zur bishe-
        rigen Euro-Rettungsschirmstrategie bestätigt. Daher
        werde ich auch dem permanenten Rettungsschirm, ESM,
        nicht zustimmen. Wie alle Rettungsschirme zuvor löst
        auch ein dauerhafter Rettungsschirm nicht die grund-
        legenden Probleme der Euro-Zone.
        Im Kern haben wir es mit einer Krise der preislichen
        Wettbewerbsfähigkeit in den südlichen Mitgliedstaaten
        zu tun. Dort sanken die Zinsen infolge der Euro-Einfüh-
        rung auf das deutsche niedrige Niveau. Das wiederum
        führte zu einem kreditfinanzierten Boom, die Löhne und
        Preise explodierten in diesen Ländern innerhalb von
        zehn Jahren um mehr als 30 Prozent.
        Die jetzige Rettungsschirmpolitik zielt darauf ab, die
        Zinsen auch auf lange Sicht künstlich niedrig zu halten.
        Dies kann jedoch nicht gelingen; denn niedrige Zinsen
        sind nicht die Lösung, sondern Auslöser der Krise gewe-
        sen. Damit hat man zwar Zeit gekauft, aber gleichzeitig
        auch einen Wettlauf gegen die ökonomische Realität be-
        gonnen, den man nicht gewinnen kann. Das zeigt sich
        nun mit voller Wucht; der viel befürchtete Dominoeffekt
        ist längt da. Fast alle Südländer befinden sich im Ret-
        tungsmodus. Die Euro-Krise hat sich zu einer umfassen-
        den Vertrauenskrise weiterentwickelt, die die Währungs-
        union nun als Ganzes gefährdet.
        Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir uns vom Man-
        tra, wonach die 17-Euro-Länder eine nicht trennbare
        Schicksalsgemeinschaft bilden, endlich befreien. Die
        Finanzmärkte lassen sich nämlich nicht mit mehr Geld
        beruhigen, sondern nur mit politischer Konsequenz. Mit
        anderen Worten: Was wir brauchen, sind keine immer
        größeren Brandschutzmauern, sondern eine Staaten-
        insolvenzordnung und ein Verfahren zur Suspendierung
        von der Euro-Zone, sodass es letztlich nur noch zwei
        Möglichkeiten gibt: Sanierung oder Insolvenz. Dies
        würde die Durchsetzbarkeit von Einsparungen und
        Strukturreformen stärken. Zugleich würde einem Staat,
        der auf absehbare Zeit seine Wettbewerbsfähigkeit in der
        Euro-Zone nicht wiedergewinnen kann, ein gangbarer
        Weg außerhalb der Euro-Zone eröffnet.
        Der ESM geht in eine andere Richtung. Er setzt keine
        Anreize für ein Umdenken. Mit der Erlaubnis zum An-
        kauf von Staatsanleihen beispielsweise werden vielmehr
        die Schulden vergemeinschaftet. Ich befürchte, dass da-
        mit der Weg in die Transferunion zementiert wird, zumal
        schon heute absehbar ist, dass viele der vergebenen Kre-
        dite niemals zurückgezahlt werden.
        Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich halte den perma-
        nenten Stabilitätsmechanismus für notwendig, um eine
        erneute Verschärfung der Euro-Krise und einen Zusam-
        menbruch der Staatshaushalte weiterer Mitgliedsländer
        der Euro-Zone zu verhindern. Kernanliegen muss es der-
        zeit sein, die Europäische Währungsunion vor den Aus-
        wirkungen unverantwortlicher Spekulationen zu schüt-
        zen. Das geht nur durch ein Zeichen der Solidarität der
        einzelnen Mitgliedsländer der Euro-Zone untereinander
        gegenüber den Akteuren des Finanzmarkts.
        Eine weitere Destabilisierung des Euro könnte nicht
        nur zum Zerfall der gemeinsamen Währung führen, son-
        dern würde auch die Existenz der Europäischen Union
        als solche gefährden. Eine derartige Entwicklung darf
        niemand riskieren, dem die wirtschaftliche und soziale
        Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Bürge-
        rinnen und Bürger am Herzen liegt.
        Allerdings impliziert die Übertragung von elementa-
        ren Rechten auf nicht demokratisch legitimierte Institu-
        tionen – Gouverneursrat, Direktorium –, wie sie zurzeit
        vorgesehen sind, grundlegende verfassungsrechtliche
        Probleme. Es gilt, einen Ausgleich zwischen der Hand-
        lungsfähigkeit entsprechender Institutionen und ausrei-
        chender parlamentarischer Kontrolle herzustellen. Mei-
        nes Erachtens ist deshalb vor allem bei der weiteren
        Ausgestaltung der Institutionen des permanenten Stabili-
        tätsmechanismus darauf zu achten, dass Hoheitsrechte
        des Bundestages gewahrt und unter Berücksichtigung
        der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        richts gestaltet werden. Es ist daher zwingend geboten,
        bei der Implementierung des Vertrags dafür zu sorgen,
        dass die demokratische Legitimation stets die Richt-
        schnur bildet.
        Den Fiskalpakt lehne ich jedoch ab, da er den Verfas-
        sungsgesetzgeber völkerrechtlich im Rahmen seines
        Budgetrechts ewig bindet. Damit wird in das Demokra-
        tieprinzip unseres Grundgesetzes unverhältnismäßig ein-
        gegriffen. Darüber hinaus erhält die Europäische Kom-
        mission maßgebliche Befugnisse fiskalpolitischer Art
        einschließlich einer Klagemöglichkeit vor dem Europäi-
        schen Gerichtshof. Eine derartige Übertragung auf der-
        zeit nicht ausreichend demokratisch legitimierte europäi-
        sche Institutionen halte ich nicht für vertretbar.
        Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Eu-
        ropa sollten jenseits der aktuellen Rettungsmaßnahmen
        ein Bild eines demokratischeren und handlungsfähigeren
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22773
        (A) (C)
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        Europas entwickeln. Das setzt eine engere Zusammenar-
        beit voraus, die letztlich eine Grundlage dafür bildet,
        politische Mehrheiten zu schaffen, auch in Deutschland,
        um das nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten
        nicht gelungen ist: nämlich eine wirkliche politische
        Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozialunion auf-
        zubauen.
        Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn
        die politische Union geschaffen werden soll. Derartige
        europäische Pläne werden letztlich auch die Übertragung
        nationaler Souveränitätsrechte an dann geschaffene
        demokratisch legitimierte, europäische Institutionen be-
        inhalten müssen. Dieses wird die Weiterentwicklung des
        deutschen Grundgesetzes mit einschließen. Die Mütter
        und Väter des Grundgesetzes haben in ihrer Weisheit
        bereits durch Art. 146 des Grundgesetzes diesen Weg
        beschrieben, indem sie eine Öffnungsklausel aufgenom-
        men haben, die die Weiterentwicklung der Verfassung
        durch eine Entscheidung des deutschen Volkes vorsieht.
        Eine solche Entscheidung muss sorgfältig vorbereitet
        werden. Weite Teile des Grundgesetzes können beibe-
        halten werden. Es gilt, ein neues Verhältnis von Europa,
        der Bundesrepublik, den Bundesländern und den Kom-
        munen zu entwickeln. Die Zeit sollte nicht fahrlässig
        verschwendet werden. Die Zeit ist reif für einen solchen
        Prozess.
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In ei-
        ner schwierigen Krisensituation hat der Deutsche Bun-
        destag heute mit der Entscheidung für den ESM und den
        Fiskalpakt die Weichen in Richtung einer Stabilisierung
        der Europäischen Union, des Euro und der Europäischen
        Finanzmärkte gestellt. Die gleichzeitig getroffenen Ver-
        einbarungen zur Einführung einer Finanztransaktion-
        steuer, die Zusagen für mehr nachhaltige Investitionen in
        Klimaschutz und Energieeffizienz sowie die Verpflich-
        tung zur starken parlamentarischen Beteiligung bei
        Hilfsanträgen an den ESM sind wichtige und notwen-
        dige Schritte zur Stabilisierung der EU und Stärkung der
        Demokratie. Wir stimmen damit heute über ein Maßnah-
        menpaket zur wirtschaftlichen Belebung ab, das eine
        starke grüne Handschrift trägt.
        Die dogmatische Sparpolitik der letzten zwei Jahre
        hat die Krisenstaaten nicht aus der Krise herausgeführt.
        Eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit und am Ende
        mehr statt weniger Schulden trotz aller Sparmaßnahmen
        waren die Folge. Die Schuldenstände in Griechenland,
        Spanien und Portugal sind nicht gefallen, sondern gestie-
        gen und die soziale Schieflage hat sich weiter verschärft.
        Es zeigt sich: Wer nur spart, konsolidiert nicht.
        Die Vereinbarungen müssen vor dem Hintergrund der
        gesamtwirtschaftlichen Situation Europas sowie der glo-
        balen Lage bewertet werden. Italien und Spanien haben
        unverhältnismäßig hohe Refinanzierungskosten an den
        Finanzmärkten. Japan und die USA, deren volkswirt-
        schaftliche Kennzahlen keineswegs besser sind als die
        der Euro-Zone, zahlen bei einer gleichermaßen hohen
        Staatsverschuldung deutlich niedrigere Schuldzinsen.
        Der Grund dafür ist einfach: Die EU und die Euro-Zone
        sind anders als die Nationalstaaten Japan oder USA Zu-
        sammenschlüsse von Staaten, die bisher auf eigene
        Rechnung handeln, auch wenn sie sich europäischen
        Sparvorhaben unterwerfen. Europa muss beweisen, dass
        verschiedene Staaten gemeinsam zu entschlossenem
        Handeln fähig sind. Der Rettungsschirm ESM in Verbin-
        dung mit dem Fiskalpakt sind wichtige Zeichen für ein
        solches entschlossenes Handeln.
        Wichtige Bestandteile zur Krisenlösung sind auch der
        von der EU beschlossene sogenannte Sixpack und die im
        Fiskalpakt verbindlich festgelegten Regeln zur Erzielung
        eines ausgeglichenen Haushaltes. Sie sind eine notwen-
        dige Ergänzung zum ESM. Die Mitgliedstaaten ver-
        pflichten sich zur Haushaltskonsolidierung und der Ver-
        ankerung nationaler Schuldenbremsen. Die Abkehr von
        der Toleranz gegenüber strukturellen Haushaltsdefiziten
        ist für uns wichtig, denn nur ausreichend finanzierte
        Haushalte sind nachhaltig. Eine Schuldenkrise kann man
        nicht mit immer neuen Schulden bekämpfen.
        In Deutschland wurde darüber hinaus sichergestellt,
        dass Länder und Kommunen die finanziellen Folgen des
        Fiskalpakts mittragen können. Auch dies ist richtig und
        notwendig, weil Länder und Kommunen im Vergleich
        zum Bund deutlich begrenztere Möglichkeiten zur Refi-
        nanzierung haben.
        Zur Solidität gehört auch die Solidarität. Die Ver-
        pflichtung zu mehr Haushaltsdisziplin in Verbindung mit
        der Einführung einer Finanzmarkttransaktionsteuer, In-
        vestitionsimpulsen für mehr wirtschaftliche Dynamik
        und mit dem ESM stärkt die wirtschaftliche Leistungs-
        fähigkeit der EU und ist so auch in unserem ureigenen
        Interesse. Gleichzeitig verhindern sie ein Auseinander-
        brechen der Euro-Zone und damit einen großen Rück-
        schritt in der Europäischen Integration mit unabsehbaren
        Folgen nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft, son-
        dern für Europa insgesamt. Die Ergebnisse des Euro-
        Gipfels vom 28. Juni 2012 gehen in die richtige Rich-
        tung, um den Zinsdruck auf die Krisenländer zu senken
        und den Teufelskreis aus Banken- und Staatsschulden-
        krise zu durchbrechen. Wichtige Schritte zur Bereitstel-
        lung von notwendigen Investitionsmitteln wurden ver-
        einbart.
        Es sind aber weitere Schritte zur Lösung der Euro-
        Krise nötig. Ein konkreter und realistisch umsetzbarer
        Abbaupfad für die hohe Verschuldung ist zwingend für
        eine erfolgreiche Bewältigung der Krise. Vorschläge
        dazu liegen auf dem Tisch, wie der des Sachverstän-
        digenrates für einen Altschuldentilgungsfonds in der Euro-
        Zone.
        Dabei werden wir uns auf lange Zeiträume des Schul-
        denabbaus einrichten müssen. Es ist weltfremd und un-
        verantwortlich, wenn die Kanzlerin sich einer inhalt-
        lichen Debatte um konkret zu ergreifende Maßnahmen
        verweigert. Sie wird schon bald in diesem Punkt umden-
        ken müssen. Mit ihrer Weigerung einer realistischen Alt-
        schuldenregelung gefährdet sie die positive Wirkung
        von ESM und Fiskalpakt.
        Zusätzlich müssen Investitionen in eine ökologische
        und soziale Gesellschaft noch weiter ausgebaut werden.
        Diese Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit
        22774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Europas und gehören zu unserer Strategie der Krisenbe-
        wältigung. Nicht zuletzt müssen die demokratischen
        Strukturen Europas deutlich weiterentwickelt werden.
        Das Europäische Parlament muss als europäischer Ge-
        setzgeber und Kontrolleur europäischer exekutiver In-
        stanzen gestärkt und eine echte Exekutive, also eine eu-
        ropäische Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die
        Übertragung nationalstaatlicher Kompetenzen auf Eu-
        ropa. Nur mit diesem Dreiklang aus realistischem Schul-
        denabbaupfad, Stärkung von Investitionen und demokra-
        tischer Entwicklung Europas wird die Krise überwunden
        werden können.
        Diese Schritte können wir erst nach Lösung der ak-
        tuellen Probleme gehen. Der Paradigmenwechsel in der
        Haushaltspolitik ist Grundvoraussetzung für diese Lö-
        sung. Deswegen stimme ich heute für den Fiskalpakt
        und den ESM zur Stabilisierung Europas. Deutschland
        hat sich vor vielen Jahren für ein zusammenwachsendes
        Europa entschieden. Heute gilt es, dafür einzustehen.
        Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Wir sind in einer dramatischen Situation. Die
        Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann, verschärft
        sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen der Bundes-
        regierung waren nur Notmaßnahmen, die allerdings
        jeweils zu spät kamen und zudem unzureichend waren.
        Eine Politik, die nur auf der Ausgabenseite spart und den
        strukturellen Reformbedarf im Finanz-, Steuer- und
        Wirtschaftssystem ignoriert, verschärft die Krise, die
        ähnliche Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor
        80 Jahren. Auch diesmal wäre ein New Deal die richtige
        Antwort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessen-
        den Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit
        und Energieversorgung eine ökologische Komponente
        haben muss. Wir brauchen also einen „Green New
        Deal“.
        Nur Sparen allein hilft in der Krise nicht. Wir brau-
        chen eine Richtungsänderung in der Politik. Deshalb hat
        Bündnis 90/Die Grünen Verhandlungen über die Ratifi-
        zierung des Fiskalpakts geführt und viel erreicht. Mit der
        Verständigung auf ein Investitionsprogramm ist die
        Bundesregierung ein Stück weit von ihrer falschen Spar-
        politik abgerückt. Mit der geplanten Einführung der
        Finanztransaktionsteuer wird es eine Wende in der Steu-
        erpolitik geben. Damit werden die Finanzmärkte endlich
        an den Kosten der Krise beteiligt.
        Den Verhandlungsergebnissen gebührt Anerkennung
        und Respekt. Dennoch konnten meine Bedenken über
        die sozialen Folgen des Fiskalpakts auch mit den Ergeb-
        nissen der Verhandlungen nicht ausgeräumt werden. Für
        mich bleibt der Fiskalpakt in der gegenwärtigen Situa-
        tion nicht der richtige Weg zur nachhaltigen Konsolidie-
        rung der Haushalte der europäischen Länder. In diesem
        Sinne besteht letztendlich die Gefahr, dass der Fiskal-
        pakt die Euro-Krise verschärft. Vor allem aber richtet
        sich der Fiskalpakt meiner Meinung nach gegen die Inte-
        ressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der
        Rentnerinnen und Rentner und der sozial Benachteilig-
        ten in Europa. Er verschärft die soziale Schieflage in den
        betroffenen Nationalstaaten und spitzt die Krise der
        europäischen Integration weiter zu. Die Staaten der
        Europäischen Union müssen gerade in der Krise zeigen,
        dass sie das europäische Sozialmodell ernst nehmen. Sie
        haben sich in den Verhandlungen der vergangenen Nacht
        in der Tat bewegt. Die vereinbarten Punkte wie ein
        erleichterter Zugang zu den Rettungsschirmen und eine
        europäische Bankenaufsicht gehen in die richtige Rich-
        tung. Aber auch diese Schritte sind aus meiner Sicht
        noch nicht ausreichend.
        Deshalb werde ich dem Fiskalpakt nicht zustimmen.
        Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Form gefährdet den
        sozialen Zusammenhalt in Europa. Neben der Bundes-
        republik Deutschland bindet der Fiskalpakt auch 24 wei-
        tere Staaten der Europäischen Union. Gerade die schwä-
        cheren Volkswirtschaften in Europa werden aber durch
        eine zu rigide Sparpolitik der öffentlichen Haushalte
        empfindlich getroffen. Schon heute sehen wir die sozial
        unausgewogenen Auswirkungen dieser Sparpolitik – in
        Griechenland, Portugal oder Spanien. Ich verfolge mit
        Entsetzen die immer neuen Meldungen über die immens
        steigende Jugendarbeitslosigkeit, Auswanderung, Per-
        spektivlosigkeit, Armutstendenzen und den sozialen Un-
        frieden in den genannten Ländern. Mich treibt die Sorge
        um, dass dieser Prozess sich noch verstärken wird.
        Der Fiskalpakt ändert nichts an den hohen Zinsen, die
        insbesondere die Defizitländer nach wie vor bedienen
        müssen. Hohe Zinsen führen dazu, dass die Wahrschein-
        lichkeit, Schulden zurückzahlen zu können, sinkt. Da-
        durch steigen die Zinsen noch weiter, ein Teufelskreis
        entsteht. Es ist zu befürchten, dass der Fiskalpakt einen
        noch stärkeren Druck auf die nationalen Regierungen
        und damit auch auf die Sozialsysteme ausüben wird. Die
        Defizitländer können nur mit radikalen und überstürzten
        Sparprogrammen reagieren. Der Sparpolitik wurden
        zwar durch die Verhandlungen Investitionen zur Seite
        gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der
        einseitige Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht
        aber weiterhin ungebrochen und wurde auch nicht mit
        sozial verträglichen Regeln unterlegt. Letztlich muss ich
        nach wie vor davon ausgehen, dass der Fiskalpakt erheb-
        liche soziale Lasten mit sich bringt, die für mich nicht
        akzeptabel sind. Massive Einsparungen bei Sozialausga-
        ben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bil-
        dungsbereich werden den Zusammenhalt in den Ländern
        Europas weiter untergraben und gerade die Menschen
        treffen, die die Krise nicht verschuldet haben.
        Ich stehe zu den sozialen Zielen, die sich Europa ge-
        geben hat. So garantiert die europäische Sozialcharta
        beispielsweise die Tarifautonomie. In der Realität wird
        diese jedoch durch die Sparanstrengungen in Griechen-
        land untergraben. Im Rahmen der EU-2020-Strategie
        wurden wichtige Ziele zur Verhinderung von Arbeitslo-
        sigkeit und Armut vereinbart. Auch hier ist die Wirklich-
        keit eine andere. Durch den Fiskalpakt werden diese
        Ziele unerreichbar. Natürlich müssen alle europäischen
        Staaten langfristig ihre Schuldenquoten senken. Aber die
        Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten der
        Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt
        werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer
        auch die Einnahmeseite in den Blick nehmen, und Ein-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22775
        (A) (C)
        (D)(B)
        sparungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich
        ausgestaltet werden. Die Grundwerte von Europa – so-
        ziale Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben
        für mich auch in der Krise Bestand. Sie dürfen nicht nur
        hehre Worte bleiben, sondern müssen auch eingelöst
        werden. Der Fiskalpakt in seiner jetzigen Ausgestaltung
        wird dem nicht gerecht.
        Der Fiskalpakt leistet auch keinen Beitrag zur Über-
        windung der Euro-Krise. Denn die aktuelle Krise ist
        keine Staatsschuldenkrise, denn die europäischen Schul-
        denberge sind nicht das Ergebnis laxer Haushaltspolitik.
        In den meisten EU-Ländern kam es vor der großen
        Finanzmarktkrise 2008 zu keinem exzessiven Anstieg
        der Staatsausgaben. Im Gegenteil: Die öffentlichen Aus-
        gaben stiegen schwächer als das Sozialprodukt. In den
        heutigen Krisenländern, beispielsweise in Irland und
        Spanien, sank sogar die Schuldenlast. Die Schuldenquo-
        ten – der Anteil der Staatsverschuldung am Sozialpro-
        dukt – waren rückläufig.
        Erst die große Finanzmarktkrise ließ die Staatsschul-
        den europaweit explodieren. Die Bankenrettung machte
        aus privaten Schulden im Handumdrehen öffentliche
        Schulden. Konjunkturprogramme und Arbeitslosigkeit
        belasteten die öffentlichen Kassen. In der Folge kletterte
        die Schuldenquote aller Länder im Euro-Raum im Ge-
        samtdurchschnitt von rund 66 Prozent auf über 85 Pro-
        zent. Diese Auswirkungen der Finanzkrise dürfen nicht
        verschwiegen werden.
        Selbstverständlich müssen die Staatshaushalte konso-
        lidiert werden. Heute droht aber die Gefahr, dass der Fis-
        kalpakt den europäischen Staaten die Handlungsmög-
        lichkeiten nimmt. Wenn der Staat zum falschen
        Zeitpunkt kürzt, dann verlieren Firmen Aufträge und
        drosseln die Produktion, die Binnennachfrage bricht ein,
        und die Krise verschärft sich. Wenn staatliche Transfers
        gekürzt werden, können Erwerbslose und Bedürftige
        weniger Geld ausgeben. Damit verlängert dieser Nach-
        frageentzug im Abschwung die wirtschaftliche Talfahrt.
        In der Folge sinken Wachstum und Steuereinnahmen –
        Arbeitslosigkeit und Schulden aber steigen. Die katas-
        trophalen Folgen dieser einseitigen Sparmaßnahmen
        werden in Südeuropa schon heute, beispielsweise durch
        eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, sichtbar.
        Schuldenabbau darf eben öffentliche Investitionen
        nicht unmöglich machen. Die Staaten Europas müssen in
        ökologische Nachhaltigkeit, Bildung, Gesundheit und
        Infrastruktur investieren. Schließlich ist der langfristige
        Wert dieser Zukunftsinvestitionen größer als ihre Finan-
        zierungskosten. Defizite müssen auch über höhere Betei-
        ligung von hohen Einkommen und Vermögen an den ge-
        sellschaftlichen Belastungen abgebaut werden. Ebenso
        wird die vordringliche Frage der makroökonomischen
        Ungleichgewichte vom Fiskalpakt nicht gelöst. Hier
        müsste sich auch Deutschland endlich zu seiner Verant-
        wortung bekennen und eine Politik der Nachfragesteige-
        rung im Inland betreiben.
        Vor allem aber berührt der Fiskalpakt auch eine Kern-
        frage der Demokratie in der Europäischen Union. So ist
        der Fiskalpakt nicht innerhalb, sondern außerhalb der
        Europäischen Institutionen entwickelt worden. Er hätte
        seinen Platz innerhalb der Europäischen Vertragswerke
        haben können. Stattdessen wird der Fiskalpakt durch
        einen zwischenstaatlichen Vertrag in Kraft gesetzt. Dem
        Europäischen Parlament wird keine entscheidende Rolle
        zugedacht. Auch das lehne ich entschieden ab.
        Explizit unterstütze ich die weitergehenden Forderun-
        gen, die wir in einem Entschließungsantrag zur Abstim-
        mung bringen, denn ESM und Fiskalpakt werden die
        Krise kurzfristig nicht entschärfen.
        Wir fordern einen europäischen Altschuldentilgungs-
        fonds nach dem Vorschlag des Sachverständigenrats, um
        den Zinsdruck auf die Krisenländer zu mindern.
        Wir brauchen europaweite Vermögensabgaben, um
        Schulden sozial gerecht abbauen zu können.
        Notwendig sind insbesondere eine europäische Ban-
        kenunion mit europäischer Aufsicht, ein gemeinsames
        Einlagensicherungssystem und ein Bankenrestrukturie-
        rungsfonds, um die Kapitalflucht aus dem Süden zu
        beenden und die unselige Verquickung zwischen Ban-
        ken- und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen. Hier
        gab es aktuell durch die Verhandlungen der EU-Staats-
        und -Regierungschefs Bewegung. Allerdings ist wieder
        nur ein Teil der notwendigen Maßnahmen vereinbart
        worden.
        Der ESM muss perspektivisch zu einem echten euro-
        päischen Währungsfonds weiterentwickelt werden.
        Dazu bedarf es einer direkten Refinanzierung des ESM
        bei der Europäischen Zentralbank und der Möglichkeit,
        Anleihen aufzukaufen.
        Notwendig ist auf europäischer Ebene auch ein euro-
        päischer Steuerpakt, um den unfairen Steuerwettbewerb
        und das Steuerdumping innerhalb der EU zu vermeiden
        und Steuerhinterziehung, -vermeidung und -flucht zu
        bekämpfen.
        Die Bundesregierung muss ihre Forderung nach Kür-
        zung des EU-Haushalts 2014 bis 2020 um mindestens
        100 Milliarden Euro aufgeben. Ansonsten wird ein Wan-
        del zugunsten von Beschäftigung, Wachstum, Innova-
        tion, Ausbildung und Forschung nicht zu erreichen sein.
        Schlussendlich brauchen wir einen europäischen
        Konvent, um mit breiter Beteiligung der Zivilgesell-
        schaft und der Sozialpartner die notwendigen Vertrags-
        änderungen hin zu einer Wirtschafts- und Solidarunion
        zu diskutieren und auf den Weg zu bringen.
        Alles zusammen zeigt: Meine Kritik am Krisenmana-
        gement der Bundesregierung ist groß. Insbesondere der
        Fiskalpakt ist für mich keine Antwort. Im Gegenteil, er
        verschärft die Krise und wird einem sozialen Europa,
        wie ich es mir vorstelle, in das ich Hoffnungen setze und
        für das ich politisch kämpfe, nicht gerecht.
        Mechthild Rawert (SPD): Ich werfe der Bundes-
        regierung, insbesondere Bundeskanzlerin Merkel, vor,
        das Parlament völlig unzureichend informiert und sich
        der parlamentarischen Debatte gestellt zu haben. Dieses
        nachweislich verfassungswidrige Verhalten ist unver-
        züglich zu ändern.
        22776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Nach intensiver Überlegung werde ich – obgleich das
        politische, wirtschaftliche, finanz- und steuerpolitische
        Agieren der Bundesregierung völlig falsch ist – dem
        ESM und Fiskalpakt zustimmen. Ein Grund sind die
        Verhandlungserfolge der SPD, unter anderem Finanz-
        transaktionsteuer, Wachstums- und Investitionspakete,
        aber auch die Stärkung der Kommunen. Ich erwarte eine
        erstarkende Steuerpolitik durch den Bund, erwarte von
        uns allen aktive Schritte für ein soziales und politisches
        Europa. Ich werde meine Entscheidungsgründe in einem
        Bürgerbrief in meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöne-
        berg ausführlich und transparent – vergleiche Website –
        darlegen.
        Gerold Reichenbach (SPD): Ich lehne den Fiskal-
        pakt ab, weil er für die Finanzpolitik Europas und ihre
        künftige Weiterentwicklung das völlig einseitige Signal
        in Richtung einer reinen Austeritätspolitik setzt.
        In dieser Einschätzung haben mich die eindringlichen
        Warnungen vieler Ökonomen und führender Gewerk-
        schafter, die sich besorgt an uns Bundestagsabgeordnete
        gewandt haben, ebenso bestärkt wie diesbezügliche
        Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern. Das Ziel einer
        nachhaltigen Konsolidierung der Haushalte der europäi-
        schen Länder ist richtig und wichtig. Dieses Ziel wird
        mit dem einseitigen Instrument des Fiskalpakts jedoch
        nicht erreicht werden können, weil er die Frage gerecht
        organisierter Steuereinnahmen und nachhaltigen und
        umweltverträglichen Wachstums völlig ausklammert.
        Der Fiskalpakt ignoriert den engen Zusammenhang
        von Staatsfinanzen und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft
        schrumpft und der Staat auch noch drastisch kürzt, dann
        beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Darum
        wird entgegen den Versprechen der Verfechter des Fis-
        kalpakts die Staatsverschuldung nicht sinken! Im Gegen-
        teil! Schuldenabbau geht nur anders: mit Wachstum, In-
        vestitionen, guter Arbeit und gerechten Steuern.
        Eine Sanierung der europäischen Finanzen wird nicht
        auf dem Weg des Sozialabbaus, der Einschränkung öf-
        fentlicher Dienstleistungen, schlechterer Infrastruktur,
        darbender Kommunalfinanzen, zunehmender Armut und
        Ungleichheit gelingen. Diese Form der Sanierung dient
        nur dazu, die Folgen der Finanzkrise einseitig auf die
        Bürger Europas abzuladen und die Verursacher und Pro-
        fitteure schadlos zu halten. Nicht laxe Haushaltspolitik
        ist der Hauptverursacher der Krise. Vor der Finanzkrise
        sind überall in Europa die Staatsschuldenquoten gesun-
        ken. Erst infolge der Finanzkrise und der notwendigen
        Rettungsmaßnahmen der Staaten gingen die Defizite in
        die Höhe. Die notwendigen Regulierungen für den Fi-
        nanzsektor und die finanzielle Beteiligung der Verur-
        sacher an den Kosten der Krisenbewältigung blieben je-
        doch weitgehend aus. Ersichtlich ist die Merkel’sche
        Politik gescheitert. Ihre seit mehr als zwei Jahren verord-
        nete Therapie macht den Patienten nicht gesund, sondern
        kränker. Ganz Südeuropa stürzt immer mehr in den wirt-
        schaftlichen und sozialen Ruin. Als Folge davon brechen
        jetzt deutsche Exporte ein, auch für Deutschland kom-
        men die Einschläge näher.
        Ich begrüße und anerkenne ausdrücklich, dass es der
        SPD und den europäischen Sozialdemokraten gelungen
        ist, mit der Durchsetzung der Finanztransaktionsteuer
        und der Etablierung eines europäischen Wachstumspro-
        gramms eine Richtungswende in der europäischen Poli-
        tik zu erreichen. Gleichwohl beschränkt sich die völker-
        rechtliche Bindung des Fiskalpakts auf eine reine Politik
        der Austerität.
        Meine Befürchtung ist, dass lediglich der völkerrecht-
        lich vereinbarte Mechanismus, so wie bei der Ausgestal-
        tung Europas nach den Maastrichter Verträgen, zur
        Grundlage der Weiterentwicklung der europäischen
        Politik wird. So wie Maastricht nur zu einem Europa der
        Märkte, des freien Waren- und Kapitalverkehrs und nicht
        zu einem Europa der Bürger als Grundlage taugte, so
        birgt der Fiskalpakt die reale Gefahr in sich, dass dem
        erneut nur eine Weiterentwicklung in eine reine Fiskal-
        politik folgt und das soziale Europa der Bürger wieder
        außen vor bleibt.
        Ein Europa, das aber nur dem Wirtschaftsverkehr und
        den Finanzmärkten dient, wird die Akzeptanz seiner
        Bürger endgültig verlieren. Aus dieser großen Sorge um
        die europäische Idee eines Europas der Solidarität und
        des Ausgleichs, das diesem kriegsgeplagten Kontinent
        nachhaltigen Frieden beschert hat, kann ich persönlich
        dem Fiskalpakt nicht zustimmen. Ich habe gleichwohl
        hohen Respekt vor meinen Fraktionskollegen, die mehr-
        heitlich in ihrer Güterabwägung zu einer anderen Ent-
        scheidung gekommen sind.
        Dr. Birgit Reinemund (FDP): Den ESM in Verbin-
        dung mit dem Fiskalpakt erachte ich trotz aller Beden-
        ken als notwendiges Instrumentarium, um der europäi-
        schen Schuldenkrise mittelfristig begegnen zu können
        und kurzfristig Hilfeleistungen gewähren zu können, im-
        mer verbunden mit Auflagen zu Strukturreformen, die
        auf lange Sicht die Wettbewerbsfähigkeit der Problem-
        staaten wiederherstellen und diesen ermöglicht, sich
        wieder selbst am Kapitalmarkt zu refinanzieren.
        Große Zweifel haben die Gipfelbeschlüsse der letzten
        Nacht aufgeworfen, die unter anderem eine direkte Re-
        kapitalisierung von Banken ohne Einschaltung des je-
        weiligen Staates enthalten – soweit dies heute aus der
        Presse und aus den Gesprächen verifiziert werden
        konnte. Dies ist im EFSF explizit ausgeschlossen und
        auch in den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzes-
        entwürfen nicht vorgesehen (Art. 15 ESM).
        Erstmals werde ich heute einem Vertrag zustimmen
        im vollen Bewusstsein, dass ein für mich zentraler Be-
        standteil bereits vor Vertragsunterzeichnung von den
        Verhandlungsführern auf europäischer Ebene bereits
        wieder infrage gestellt wird mit Zustimmung unserer
        Kanzlerin.
        Ich stimme dennoch zu, da ich
        – erstens von der Richtigkeit von ESM/Fiskalpakt über-
        zeugt bin,
        – zweitens am Inhalt der Gesetzentwürfe selbst sich seit
        gestern nichts geändert hat – allerdings an der poli-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22777
        (A) (C)
        (D)(B)
        tisch geäußerten mittelfristigen Zielsetzung, die ich
        nicht teile, und
        – drittens mir heute mehrfach unter anderem von unse-
        rer Kanzlerin, unserem Außenminister und anderen
        versichert wurde, dass eine Aushebelung des Art. 15
        nicht möglich ist ohne eine neuen Parlamentsbe-
        schluss
        und obwohl heute keine rechtsverbindliche Erklärung
        dazu vorlag, die ich in der Kürze der Zeit hätte prüfen
        (lassen) können – im Vertrauen auf die Richtigkeit der
        Ausführungen unserer Kanzlerin, die als Einzige den In-
        halt der gestrigen Verhandlungen mitbestimmt und mit-
        formuliert hat.
        Einer Aushebelung der Konditionierung, das heißt der
        Auflagen und Bedingungen für Staaten, die Hilfeleistun-
        gen anfordern, werde ich heute und in Zukunft nicht zu-
        stimmen.
        René Röspel (SPD): Ich bin überzeugt, dass auch
        innerhalb der EU Solidarität herrschen muss und wir als
        größtes europäisches Land und eine der stärksten Wirt-
        schaftsnationen in der Welt auch Verantwortung gegen-
        über schwächeren Ländern haben. Das bedeutet nicht,
        dass ich damit deren Steuereinnahme- oder Ausgabever-
        halten gutheiße. Ich sehe einige Bestandteile des ESM
        kritisch und andererseits die Notwendigkeit einiger Staa-
        ten, Geld aus dem ESM bekommen zu müssen. In der
        Abwägung dessen habe ich deshalb dem ESM zuge-
        stimmt.
        Mit dem sogenannten Fiskalpakt habe ich aus ökono-
        mischen und grundsätzlichen Gründen große Probleme:
        Ich halte den Fiskalpakt für ökonomisch falsch. Die
        zentrale Zielsetzung, das jährliche strukturelle Haus-
        haltssaldo des Gesamtstaates zu reduzieren und jedes
        Jahr ein Zwanzigstel des gesamtstaatlichen Schulden-
        standes abzubauen, der 60 Prozent des BIP überschrei-
        tet, hört sich gut an. Nach meiner Einschätzung wird das
        die wirtschaftliche und soziale Situation in vielen Län-
        dern verschärfen und eher zu Stagnation als zu Wachs-
        tum führen. Damit wird nicht nur das Ziel der Haus-
        haltsanierung und des Schuldenabbaus verfehlt, sondern
        mehr wirtschaftliche und soziale Probleme wie zum Bei-
        spiel Arbeitslosigkeit werden hervorgerufen.
        Bei der Krise des Euro-Raumes handelt es sich nicht
        um eine Staatsschuldenkrise, aber der Fiskalpakt bezieht
        sich nur auf diese.
        Insofern war der Verhandlungserfolg der SPD unter
        der Führung von Sigmar Gabriel sehr gut, der dazu ge-
        führt hat, dass sich die Regierung Merkel nun für die Fi-
        nanztransaktionsteuer und ein Wachstumsprogramm auf
        europäischer Ebene einsetzt.
        Es ist richtig und wichtig, was die SPD heraus ver-
        handelt hat, aber unabhängig davon bleiben für mich
        eine Reihe grundsätzlicher Probleme bestehen, unter an-
        derem:
        Erstens. Die Frage nach der Unabänderlichkeit und
        Rechtswirksamkeit des Fiskalpaktes. Ich habe im Ver-
        trag keine Möglichkeit zur Kündigung oder zum Aus-
        stieg gefunden, und ich komme an der Frage nicht
        vorbei, welchen Spielraum nachfolgende Parlamente
        überhaupt noch haben werden. Auch bei den Anhörun-
        gen sind dazu sehr unterschiedliche Auffassungen sei-
        tens der Sachverständigen vertreten worden. Entweder
        greifen die im Vertrag zudem unbestimmten „noch vor-
        zuschlagenden“ Möglichkeiten der EU-Kommission
        – am Bundestag vorbei – durch oder sie sind nicht
        rechtsverbindlich, und es handelt sich um reine Symbol-
        politik. Für beides stehe ich nicht zur Verfügung
        Zweitens. Die ungeklärten Auswirkungen auf
        Deutschland.
        Nach der Ein-Zwanzigstel-Regelung des Fiskalpakts
        muss der Bund jedes Jahr rund 25 Milliarden Euro
        Schulden abbauen bzw. einsparen. Bundesfinanzminister
        Schäuble plant für das Jahr 2013 eine Neuverschuldung
        von 19 Milliarden Euro und den Haushaltsausgleich für
        das Jahr 2015/16. Wie gleichzeitig 25 Milliarden Euro
        eingespart werden sollen, um den Fiskalpakt zu erfüllen,
        wird an keiner Stelle gesagt.
        Darauf gibt es aber nur drei Antworten:
        Erstens. Die Bundesregierung glaubt nicht an die Vor-
        gaben und plant jetzt schon die Nichteinhaltung des Ver-
        trages – das wäre eine üble Täuschung der Bevölkerung
        und der europäischen Partner.
        Zweitens. Um die 25 Milliarden Euro einzutreiben,
        werden Steuern erhöht. Am einfachsten durchzusetzen
        ist zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer um
        3 Prozentpunkte. Dies trifft im Wesentlichen untere und
        mittlere Einkommen und Familien.
        Drittens. Es wird erhebliche Einsparungen im Haus-
        halt geben müssen – dies geht nur zulasten des Sozialbe-
        reiches und auf Kosten von Infrastruktur- und Bildungs-
        maßnahmen.
        Alle drei Antworten sind für mich nicht akzeptabel!
        Viele Fragen sind offengeblieben. Vielleicht hätte es
        noch Antworten geben können, aber die Bundesregie-
        rung hat einen nicht nachvollziehbaren und nicht akzep-
        tablen Zeitdruck aufgebaut, der das nicht zulässt.
        Auch aus diesen Gründen konnte ich nicht guten Ge-
        wissens zustimmen und habe daher beim Fiskalpakt mit
        Nein gestimmt.
        Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die Einrichtung des ESM ist notwendig zum Zusam-
        menhalt der Europäischen Union und des Euro. Mit der
        Ratifikation des Gesetzes kommt der Bundestag seiner
        Integrationsverantwortung im Sinne des Grundgesetzes
        nach. Das Bundesverfassungsgericht hat die Integra-
        tionsfreudigkeit des Grundgesetzes in seiner Rechtspre-
        chung mehrfach betont. Der ESM dient dem Schutz der
        europäischen Integration ebenso wie der Abwehr von
        Gefahren, die die Stabilität der Euro-Währungszone als
        Ganzes sowie des Euro als Währung bedrohen. Mit der
        Einrichtung des ESM kommt der Bundestag ebenfalls
        seiner Stabilitätsverantwortung nach. Gleichzeitig
        22778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        kommt der Bundestag mit den Regelungen des ESMFinG
        zur fortlaufenden Beteiligung und Information des Bun-
        destages seiner Haushaltsverantwortung nach. Die Be-
        willigung von Gewährleistungen aus dem Bundeshaus-
        halt nach Art. 115 GG wird ergänzt durch zahlreiche
        fortlaufende Rechte des Bundestages, auf die Geschicke
        und die Beschlüsse der Entscheidungsgremien des ESM
        Einfluss zu nehmen. Insbesondere ist dieses der Fall,
        wenn der Bundestag durch Parlamentsvorbehalte die
        Politik der Bundesregierung im ESM vorab genehmigen
        muss.
        Es ist ein großer Erfolg gerade auch der Arbeit der
        Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, eine solche umfas-
        sende Beteiligung des Bundestages erreicht zu haben.
        Gleichzeitig ist es für die Stabilität der Euro-Zone eben-
        falls unerlässlich, dass der ESM als internationale Fi-
        nanzorganisation effektiv handlungsfähig ist. Zur Wah-
        rung der Rechte des Bundestages habe ich im
        Beratungsverlauf des ESMFinG entschieden dafür ge-
        stritten, einen Parlamentsvorbehalt vor der abschließen-
        den Entscheidung über eine Stabilitätshilfe nach Art. 13
        Abs. 3 Satz 3 (Vereinbarung über die Finanzhilfefazili-
        tät) und Art. 13 Abs. 4 (Memorandum of Understanding)
        des ESM-Vertrags vorzusehen. Erst zu diesem Zeitpunkt
        ist es möglich, die wirtschaftspolitische Prognoseent-
        scheidung im Lichte der ausgehandelten und festgeleg-
        ten Konditionalitäten des hilfeersuchenden Staats zu
        treffen. Genau diese Entscheidung sollte aber öffentlich
        im Plenum stattfinden. Den Parlamentsvorbehalt für
        Entscheidung nach Art. 13 Abs. 2 des ESM-Vertrags
        halte ich hingegen für nicht angemessen. Eine obligato-
        rische zweifache Befassung des Plenums ist meiner An-
        sicht nach nicht notwendig, um die Mitwirkung des
        Deutschen Bundestages am Verfahren zur Gewährung
        einer Stabilitätshilfe sicherzustellen. Vielmehr errichtet
        diese Regelung aus meiner Sicht eine unverhältnis-
        mäßige politische Hürde für das Zustandekommen einer
        Stabilitätshilfe, die dem Interesse eines effektiven und
        raschen Zustandekommens von konkreten Verhandlun-
        gen über Stabilitätshilfe zuwider laufen. Ein solches
        effektives und rasches Handeln der ESM-Organe kann
        aber von entscheidender Bedeutung in einer zugespitzten
        Krisensituation sein. Zudem führt dieser Parlamentsvor-
        behalt zu einer übermäßigen Inanspruchnahme von Ple-
        narentscheidungen, ohne dass der Bundestag selber die
        Möglichkeit hätte, im Einzelfall abzuwägen, wie ge-
        wichtig bereits die Entscheidung des Art. 13 Abs. 2 des
        ESM-Vertrags für seine Haushaltsverantwortung ist.
        Meiner Ansicht nach wäre gerade im Lichte des Urteils
        des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 eine
        andere Regelung sinnvoller gewesen. Das Urteil betont
        ausdrücklich, dass auch der ESM und seine Entschei-
        dungen unter den Art. 23 GG fallen. Der im Art. 23 GG
        vorgesehene Regelfall der Beteiligung des Deutschen
        Bundestages über das Mittel der Stellungnahme und ins-
        besondere in der einfachgesetzlichen Ausprägung des
        EUZBBG mit dem Mittel der maßgeblichen Stellung-
        nahme aus § 9 Abs. 4 EUZBBG stellen aus meiner Sicht
        eine ausreichend starke Möglichkeit der Mitwirkung des
        Bundestages für Entscheidungen nach Art. 13 Abs. 2
        ESM-Vertrag dar. Tatsächlich ist es politisch kaum vor-
        stellbar, dass ein deutscher Vertreter in Gremien des
        ESM entgegen einer Stellungnahme des Bundestages ab-
        stimmt, außer eventuell in einer absoluten Notsituation.
        Eine heimliche Umgehung des Willens des Bundestages
        durch Nichtinformation wäre aufgrund des Urteils vom
        19. Juni 2012 verfassungswidrig und damit so gut wie
        ausgeschlossen. Zudem kann der Bundestag durch das
        Mittel der maßgeblichen Stellungnahme eine ab-
        weichende Beschlussfassung des deutschen Vertreters
        ohne vorherige Konsultation bzw. ohne das Bemühen,
        ein Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen ver-
        hindern. Eine heimliche Umgehung ist somit vollends
        ausgeschlossen. Die Regelungen des Art. 23 in Verbin-
        dung mit dem EUZBBG reichen also vollkommen aus,
        um die Beteiligung des Bundestages vollumfänglich zu
        gewährleisten. Der Parlamentsvorbehalt bringt keine zu-
        sätzliche Qualität der Mitwirkung in Bezug auf eine
        sachliche und inhaltliche Einflussnahme auf die an-
        schließend stattfindenden Verhandlungen über Kondi-
        tionalität und konkrete Ausgestaltung der Finanzhilfe-
        fazilität. Der vorgesehene Parlamentsvorbehalt schließt
        somit letztlich nur die Möglichkeit der Bundesregierung
        aus, aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen
        Gründen abweichende Entscheidungen zu treffen. Diese
        Möglichkeit ist meiner Ansicht nach mit einer solch
        hohen politischen Hürde für eine von der Mehrheit des
        Bundestages getragene Regierung verbunden, dass sie
        ebenso nahezu ausgeschlossen ist. Ein Zuwiderhandeln
        der Bundesregierung würde vor dem Hintergrund des
        zweiten noch ausstehenden Parlamentsvorbehalts zur
        endgültigen Entscheidung über eine Stabilitätshilfe
        gemäß Art. 13 Abs. 3 Satz 3 (Vereinbarung über die
        Finanzhilfefazilität) und Art. 13 Abs. 4 (Memorandum
        of Understanding) des ESM-Vertrags zudem zu keinen
        Konsequenzen für den Bundeshaushalt führen. Vor die-
        sem Hintergrund halte ich ein Abweichen vom Re-
        gelverfahren des Art. 23 GG für die Beteiligung des
        Deutschen Bundestages, die zwangsläufige Befassung
        des Plenums zu einem Zeitpunkt, zu dem eine fundierte
        Debatte über die konkrete Ausgestaltung der Hilfe nur
        begrenzt geführt werden kann, und vor dem Hintergrund
        der unnötigen politischen Hürde für die Handlungsfähig-
        keit einer Einrichtung wie des ESM, die im Notfall Hand-
        lungsfähigkeit beweisen muss, um konkrete Risiken für
        die Stabilität der Euro-Zone abzuwenden, für nicht an-
        gemessen. Ebenfalls trägt dieses Verfahren auch im Par-
        lament nicht zur Effizienz des Entscheidungsprozesses
        bei. Mit dieser Position konnte ich mich im Laufe der
        Beratungen nicht durchsetzen. Dennoch stimme ich
        heute dem ESMFinG zu.
        Swen Schulz (Spandau) (SPD): Ich stimme gegen
        die Ratifizierung des sogenannten Fiskalpakts.
        Er ist mit seiner reduzierten Sicht auf Ausgabenkür-
        zungen Ausdruck und Kernstück einer vollkommen ver-
        fehlten Politik. Das Ziel der Reduzierung der Staats-
        verschuldung unterstütze ich. Doch die Entwicklung in
        Europa zeigt, dass die Sparvorgaben zu untragbaren so-
        zialen Verwerfungen führen und das Ziel der Haushalts-
        konsolidierung eben nicht erreichen, sondern sogar kon-
        terkarieren. Ausgeglichene Haushalte können nur durch
        höhere Steuereinnahmen und Wachstum erzielt werden,
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22779
        (A) (C)
        (D)(B)
        wie auch die Erfahrung Deutschlands in der Bankenkrise
        vor wenigen Jahren zeigt. Die Auswirkungen der Krise
        von Euro-Ländern erreichen bereits heute erkennbar
        auch unsere Wirtschaft. Anstatt diese Politik zu ver-
        schärfen, muss gegengesteuert werden.
        Aber auch die Auswirkungen des Fiskalpakts auf
        Deutschlands Haushalt werden erheblich sein. Die Ver-
        einbarungen der Bundesregierung mit den Bundeslän-
        dern zeigen, dass die europäische Schuldenbremse eben
        nicht, wie von der Bundesregierung behauptet, durch die
        Schuldenbremse des Grundgesetzes abgedeckt ist. Die
        Lasten trägt nun einseitig der Bund. Die zusätzliche Re-
        gel, wonach die Länder ihren Schuldenstand über der
        Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts um
        jährlich ein Zwanzigstel verringern müssen, führt zu-
        sätzlich zu Einsparvorschriften in Höhe von 25 Milliar-
        den Euro jährlich. Es ist vollkommen unklar, wie und zu
        wessen Lasten dieses Ziel erreicht werden soll.
        Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich,
        dass nach Verhandlungen von SPD und Bündnis 90/Die
        Grünen auf europäischer Ebene eine Trendwende er-
        reicht werden konnte zugunsten einer aktiven Politik der
        Wachstumsimpulse und der Einführung einer Finanz-
        transaktionsteuer, die geeignet ist, die Finanzmärkte zu
        entschleunigen und an den Kosten der von ihnen verur-
        sachten Krise zu beteiligen.
        Allerdings ändert diese nun begonnene gute Entwick-
        lung nichts an dem im Kern falschen Fiskalpakt. Über-
        dies stehen die von mir positiv bewerteten Vereinbarun-
        gen noch auf unsicherem Boden und sind von begrenzter
        Haltbarkeit, während der Bundestag nun über ein festes,
        verbindliches und unkündbares Vertragswerk abstimmt.
        Die damit verbundenen Einschränkungen auch der
        Handlungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages
        – ohne dass etwa mit der Ausweitung der Kompetenzen
        des Europäischen Parlaments ein demokratisches Ge-
        gengewicht geschaffen wird – kann ich nicht akzeptie-
        ren.
        Frank Schwabe (SPD): Ich stimme dem heutigen
        „europäischen Rettungspaket“ zu. Das mache ich nicht,
        weil ich davon überzeugt bin, dass beides „die“ Lösung
        der europäischen Krise ist. Ich will allerdings vor dem
        Hintergrund der aktuellen politischen Lage nicht verant-
        worten, dass die EU bei einer Ablehnung dieser beiden
        Instrumente durch Deutschland in eine chaotische Lage
        geraten könnte.
        Im Kern ist die europäische Krise eben keine „Staats-
        schuldenkrise“. Es fehlt vielmehr eine stärker ab-
        gestimmte Wirtschafts-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und
        Finanzpolitik. Und es fehlen die klaren und unmissver-
        ständlichen Signale an die Spekulanten, dass sie es nicht
        schaffen, den Euro in die Knie zu zwingen. Dabei ist die
        deutsche schwarz-gelbe, von Kanzlerin Merkel geführte
        Bundesregierung Teil des Problems und nicht der
        Lösung.
        Dennoch habe ich den Eindruck und hoffe, dass sich
        zurzeit ein Paradigmenwechsel in der Debatte über die
        Lösung der europäischen Krise vollzieht. Es ist auch
        meiner Partei und Fraktion in Deutschland – gemeinsam
        mit europäischen Partnern – gelungen, die Richtung der
        Debatte zu verändern. Die Finanztransaktionsteuer muss
        kommen, um auch die zu beteiligen, die die Krise zu
        verantworten haben und um Spekulationen unattraktiver
        zu machen. Und wir brauchen wieder eine Zukunftsper-
        spektive für Europa. Das geht nicht durch eine rigide
        Sparpolitik, die die Spirale nach unten verstärken muss.
        Jetzt geht es um Perspektiven für Jugendliche und nach-
        haltiges Wachstum, zum Beispiel durch den Ausbau von
        erneuerbaren Energien.
        Zu einer gemeinschaftlichen Verantwortung auch in
        Finanzfragen in der EU gibt es im Kern keine Alterna-
        tive, die einen Fortbestand der so wichtigen Währungs-
        union ermöglicht. Deshalb braucht es den ESM im
        Grundsatz. Der Fiskalpakt ist geeignet, die so falsche
        Sparspirale zu verschärfen und für die Zukunft festzule-
        gen. Eine nachhaltige Haushaltspolitik ist richtig, sie
        muss aber vor allem durch eine Verbesserung der Ein-
        nahmebasis der Staaten erreicht werden. Vor dem Hin-
        tergrund des Gesamtpakets stimme ich jedoch auch dem
        Fiskalpakt mit durchaus großen Bedenken zu.
        Bei alldem bleiben außerdem verfassungsrechtliche
        Bedenken. Ich finde es ausdrücklich richtig, dass die
        europäische Integration voranschreitet. Damit ist natür-
        lich verbunden, dass die nationale Ebene an Gestaltungs-
        möglichkeiten verliert. Dabei dürfen aber Entscheidun-
        gen nicht an den demokratisch legitimierten Parlamenten
        vorbei getroffen werden. Es geht also zum einen um
        einen verfassungsrechtlich angemessenen Weg der wei-
        teren Übertragung von Verantwortlichkeiten und Ent-
        scheidungskompetenzen auf die Ebene der Europäischen
        Union und zum anderen um eine Stärkung des Europäi-
        schen Parlaments gegenüber dem Europäischen Rat.
        Auch diese Bedenken stelle ich in der Abwägung
        zurück.
        Rolf Schwanitz (SPD): Wir halten die Stärkung der
        Haushaltsdisziplin innerhalb der Europäischen Union
        sowie die bessere Koordinierung der Fiskal-, Wirt-
        schafts- und Sozialpolitik zwischen den Euro-Ländern
        für richtig und geboten. Das von der Bundesregierung
        und den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ratifizierungs-
        gesetz zum Fiskalpakt haben wir dennoch abgelehnt,
        weil:
        – die verfassungsrechtliche Wirkung des Ratifizierungs-
        gesetzes unserer Rechtsauffassung widerspricht und von
        uns nicht geteilt wird. Das Ratifizierungsgesetz gibt vor,
        den Verfassungsgeber unmittelbar innerstaatlich zu bin-
        den und insoweit eine Unabänderbarkeit der deutschen
        Schuldenbremse im Grundgesetz (Versteinerung) zu be-
        wirken. Diese behauptete innerstaatliche, verfassungs-
        rechtliche Wirkung des Ratifizierungsgesetzes wurde bei
        der Anhörung im Haushaltsausschuss von nahezu allen
        Sachverständigen verneint. Sie verwiesen darauf, dass es
        sich beim Fiskalpakt lediglich um die Ratifizierung eines
        völkerrechtlichen Vertrags handelt, die nach der übli-
        chen Staatspraxis einfachgesetzlich erfolgen kann, und
        eine innerstaatliche Bindung des Verfassungsgebers in-
        soweit nicht entsteht. Ergäbe sich aus diesem völker-
        22780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        rechtlichen Vertrag die Notwendigkeit der Anpassung
        des innerstaatlichen Rechts, so erfolge dies in Deutsch-
        land üblicherweise durch entsprechende Änderungsge-
        setze.
        – der Deutsche Bundestag mit der heute beschlossenen
        verfassungsrechtlichen Wirkung des Ratifizierungsge-
        setzes zum Fiskalpakt eine neue, von uns abgelehnte
        Staatspraxis schafft. Nach bisheriger Staatspraxis wur-
        den völkerrechtliche Verträge in Deutschland einfachge-
        setzlich ratifiziert. Wenn sich aus diesen Verträgen die
        Notwendigkeit einer Änderung des innerstaatlichen
        Rechts ergab, so wurden entsprechende Änderungsge-
        setze eingebracht, beraten und verabschiedet – im Falle
        des Grundgesetzes erfolgten entsprechende Änderungen
        mit den dafür erforderlichen Mehrheiten. Nach der nun
        über den Fiskalpakt erstmals eröffneten neuen Staatspra-
        xis erwachsen diese innerstaatlichen Wirkungen unmit-
        telbar aus dem Ratifizierungsgesetz, ohne dass dafür ein
        entsprechendes Änderungsgesetz vorgelegt, beraten und
        beschlossen werden muss. Das halten wir auch im Blick
        auf das Demokratieprinzip für eine äußerst fragwürdige
        und bedenkliche Entwicklung; denn den Bürgerinnen
        und Bürgern wird durch das Entfallen eines kompletten
        Gesetzgebungsganges zur Änderung des geltenden
        Rechts ein wesentliches Element der Transparenz und
        der demokratischen Teilhabe genommen. Darüber hi-
        naus können sich aus dieser neuen Staatspraxis viele,
        bisher nicht diskutierte Weiterungen ergeben. Allgemei-
        nen völkerrechtlichen Verträgen könnte nach dieser
        neuen Staatspraxis generell eine unmittelbare innerstaat-
        liche Wirkung zuerkannt werden, wie wir sie bisher nur
        aus dem Prozess der europäischen Integration und dem
        Recht nach Art. 23 Grundgesetz kennen. Dies könnte
        sich zu einer neuen Methode für ein neues, völkerrechts-
        basiertes Integrationsmodell entwickeln, an dessen Ende
        vielleicht ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ und
        zugleich eine Relativierung der Europäischen Union ste-
        hen könnte. In der deutschen Öffentlichkeit wurde dies
        bisher jedoch in keiner Weise hinreichend diskutiert. Wir
        sind deshalb nicht bereit, zu diesem Zeitpunkt und an
        dieser Stelle eine dafür geeignete neue Staatspraxis zu
        eröffnen.
        Darüber hinaus kritisieren wir den Gesetzentwurf, weil:
        – der fiskalpolitische Erfolg der neuen Schuldenregelung
        mehr als zweifelhaft ist. Der Wissenschaftliche Beirat
        beim Bundesministerium der Finanzen kritisiert in sei-
        nem aktuellen Gutachten zu den fiskalpolitischen
        Institutionen in der Euro-Zone insbesondere die mit dem
        sogenannten Sixpack und dem Fiskalpakt verbundene
        neue Regelung zum Schuldenstand. Länder, deren
        Schuldenstand über der 60-Prozent-Grenze liegt, sollen
        künftig den überschießenden Betrag jedes Jahr um ein
        Zwanzigstel (5 Prozent) verringern müssen. Der Wissen-
        schaftliche Beirat kritisiert, dass diese Regelung im
        Blick der Finanzmärkte mit einem massiven Glaubwür-
        digkeitsproblem behaftet ist, da außer Deutschland im
        Jahr 2013 alle anderen betroffenen Mitgliedstaaten den
        sich aus der neuen Regel ergebenden Defizitabbau nicht
        realisieren werden. Darüber hinaus weist der Beirat auf
        die stark prozyklische Wirkung der neuen Schulden-
        standregel hin. Wir halten beide Kritikpunkte für berech-
        tigt.
        – dadurch die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund
        und den Ländern in bisher noch nicht überschaubarer Art
        und Weise und nahezu ausschließlich zulasten des Bun-
        des verändert werden. Die Bundesregierung hat über
        Monate hinweg gegenüber dem Parlament und der Öf-
        fentlichkeit erklärt, die deutsche Schuldenbremse sei im
        Vergleich zum Fiskalpakt die strengere fiskalische Rege-
        lung, weshalb aus dem Fiskalpakt keine zusätzlichen
        Haushaltsbelastungen in Deutschland entstehen würden.
        Die nun zwischen der Bundesregierung und den Ländern
        getroffenen Vereinbarungen dokumentieren das genaue
        Gegenteil. Durch die finanziellen Zugeständnisse der
        Bundesregierung müssen die sich aus dem Fiskalpakt er-
        gebenden zusätzlichen Konsolidierungsbedarfe nun al-
        lein und vollständig vom Bund getragen werden.
        Rolf Schwanitz (SPD): Wir halten die Weiterent-
        wicklung der EFSF zu einem dauerhaften Rettungs-
        schirm für richtig und geboten. Das von der Bundes-
        regierung und den Koalitionsfraktionen vorgelegte
        Ratifizierungsgesetz zum ESM haben wir dennoch abge-
        lehnt, weil:
        – mit dem ESM-Vertrag von Deutschland gegebenen-
        falls ein Maß an finanzieller Haftung übernommen wer-
        den muss, welches die nach dem Grundgesetz zulässige
        Grenze übersteigt. Das Bundesverfassungsgericht hat
        sich in seinem Urteil vom 7. September 2011 zu einer
        unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgenden Ober-
        grenze für die Übernahme von Gewährleistungen im
        Rahmen der Währungsunion geäußert und deren Verlet-
        zung bei einem Betrag von 170 Milliarden Euro ver-
        neint. Der Entwurf zum ESM-Finanzierungsgesetz er-
        mächtigt die Bundesregierung nun zu einer deutschen
        Beteiligung am genehmigten Stammkapital des ESM in
        einem Umfang von 190 Milliarden Euro. Zusammen mit
        den bereits bisher bei der EFSF, beim EFSM sowie beim
        Griechenland-Paket eingegangenen Verpflichtungen wird
        der deutsche Anteil dadurch auf insgesamt 310,3 Mil-
        liarden Euro ansteigen. Mit dem Art. 25 Abs. 2 des
        ESM-Vertrags wird darüber hinaus eine weitere Fall-
        konstellation eröffnet. Danach muss Deutschland gege-
        benenfalls auch eine Haftung für den finanziellen Aus-
        fall anderer ESM-Mitglieder übernehmen. Das kann
        nach unserer Interpretation des Vertragstextes über den
        Betrag von 190 Milliarden Euro weit hinausgehen und
        beim Ausfall aller anderen Länder eine Gesamtsumme
        von bis zu 700 Milliarden Euro umfassen. Zwar fehlt es
        derzeit an einer innerstaatlichen Ermächtigung der Bun-
        desregierung in einer solchen Höhe; völkerrechtlich wird
        jedoch durch den ESM-Vertrag der Mechanismus für ein
        solches Haftungsvolumen bereits eröffnet. Wir haben er-
        hebliche Zweifel, ob diese Regelung noch innerhalb der
        vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen zulässi-
        gen Obergrenze liegt.
        Darüber hinaus kritisieren wir den Gesetzentwurf,
        weil:
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22781
        (A) (C)
        (D)(B)
        – entgegen der monatelang aufrechterhaltenen Behaup-
        tung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen
        sowie im Gegensatz zur Fassung des eingebrachten ESM-
        Ratifizierungsgesetzes durch den ESM tatsächlich auch
        Kompetenzen und Hoheitsrechte übertragen werden.
        Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
        19. Juni 2012 festgestellt, dass mit dem ESM den Orga-
        nen der Europäischen Union zwar nicht in dem eigent-
        lich dafür vorgesehenen Verfahren nach Art. 48 Abs. 1
        EUV, aber dennoch in der Sache weitere Aufgaben und
        Befugnisse übertragen werden. Das Gericht führt dazu
        weiter aus: „Jede Zuweisung von Aufgaben und Befug-
        nissen an die Europäische Union und/oder ihre Organe
        ist daher in der Sache eine Übertragung von Hoheits-
        rechten, und zwar auch dann, wenn die Organe für die
        Erledigung der Aufgabe ‚nur‘ im Wege der Organleihe
        in Anspruch genommen und mit Befugnissen ausgestat-
        tet werden.“ Das eingebrachte ESM-Ratifizierungsge-
        setz stellte im Gegensatz dazu hinsichtlich seiner verfas-
        sungsrechtlichen Grundlage jedoch nicht auf Art. 23
        Grundgesetz, sondern lediglich auf Art. 59 Abs. 2 Satz 1
        ab. Es benannte des Weiteren im Rubrum die für den Be-
        schluss einer kompetenzerweiternden Übertragung er-
        forderliche verfassungsändernde Mehrheit nach Art. 23
        Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 Grundge-
        setz nicht. Das in erster Lesung beratene Ratifizierungs-
        gesetz war deshalb unvollständig und fehlerhaft. Erst in
        der Ausschussberatung – zwei Tage vor der Schlussab-
        stimmung im Plenum – wurde dieser eklatante Fehler
        durch einen Änderungsantrag zum Teil korrigiert. Auch
        wenn ein solcher „Kurswechsel kurz vor Toresschluss“
        nach den Regeln unserer repräsentativen parlamentari-
        schen Demokratie als zulässig erscheint, so kritisieren
        wir den Umstand, dass durch die monatelange Ignoranz
        der Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
        während der Gesetzesberatung gegenüber den Bürgerin-
        nen und Bürgern eine Verschleierung dieser Kompetenz-
        übertragung eingetreten ist. Zusätzlich dazu hat die Bun-
        desregierung das Recht des Bundesrates auf eine
        neunwöchige Frist zur Stellungnahme nach Art. 76 Abs.
        2 Satz 5 Grundgesetz verletzt.
        – bei der Errichtung und Ausgestaltung des ESM dem
        Deutschen Bundestag durch die Bundesregierung wich-
        tige Beteiligungsrechte vorenthalten worden sind und
        das Parlament dadurch seiner legitimen Einwirkungs-
        rechte auf den Inhalt des Vertrags beraubt wurde. Das
        Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom
        19. Juni 2012 festgestellt, dass die Errichtung und Aus-
        gestaltung des ESM eine Angelegenheit der Europäi-
        schen Union ist und der Deutsche Bundestag dabei ge-
        mäß Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz Rechte auf Mitwirkung
        sowie auf umfassende und frühestmögliche Unterrich-
        tung besitzt. Das Gericht hat festgestellt, dass die Bun-
        desregierung diese Rechte des Parlaments verletzt hat.
        – der ESM im Vergleich zur EFSF deutlich an Wirkungs-
        macht gewinnt, ohne dass im ESM-Vertrag zugleich ein
        höheres Maß an Transparenz, Verantwortlichkeit und de-
        mokratischer Kontrolle gesichert worden ist. Der Deut-
        sche Bundestag sichert sich im ESM-Finanzierungsge-
        setz richtigerweise zwar umfassende Entscheidungs-,
        Kontroll- und Beteiligungsrechte gegenüber der Bundes-
        regierung und ihrem Vertreter im ESM-Gouverneursrat.
        Die Arbeit im ESM selbst bleibt aber nahezu vollständig
        intransparent und ohne Kontrolle. So ist der ESM insbe-
        sondere durch die Regelungen in Art. 32 ESM-Vertrag
        der sonst üblichen Kontrolle, Überwachung und Auf-
        sicht entzogen. Darüber hinaus können die Bediensteten
        des ESM durch die in Art. 35 ESM-Vertrag enthaltene
        Immunitätsregelung weder zivilrechtlich noch straf-
        rechtlich für ihre Handlungen belangt werden. Es wird
        sich zeigen, ob dies der vom Bundesverfassungsgericht
        geforderten Sicherung eines hinreichenden parlamentari-
        schen Einflusses auf die Art und Weise des Umgangs mit
        den zur Verfügung gestellten Mitteln entspricht.
        Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN): Wir sind in einer dramatischen Situa-
        tion. Die Krise, die mit der Finanzkrise 2008 begann,
        verschärft sich. Die bisherigen Rettungsmaßnahmen wa-
        ren nur Notmaßnahmen, die allerdings jeweils zu spät
        kamen und unzureichend waren. Der Zug der Euro-Ret-
        tung ging bisher an den Kernproblemen vorbei. Bei dem
        bisherigen Kurs wird sich die Situation weiter ver-
        schlechtern. Schlimmer noch: Wir drohen vor die Wand
        zu fahren. Wir brauchen einen Richtungswechsel. Ohne
        einen Richtungswechsel ist eine Zustimmung zum Fis-
        kalpakt ein großer Fehler und nicht zu verantworten.
        Auch in dem Länderratsbeschluss vom vergangenen
        Wochenende heißt es „Voraussetzung für eine Zustim-
        mung zum Fiskalpakt ist, dass die Bundesregierung ihr
        Krisenmanagement korrigiert“. Für uns ist ein solcher
        Richtungswechsel nicht zu sehen. Deshalb ist unsere
        Einschätzung, dass der Fiskalpakt die Krise verschärft,
        und es droht die Gefahr, dass der Euro scheitert. Dem
        können wir als überzeugte Europäer nicht zustimmen.
        Falsche Analysen führen zu falschen Diagnosen. Des-
        wegen wäre für einen Kurswechsel zuallererst eine Ver-
        änderung der Analyse notwendig. Die Analyse, wir hät-
        ten eine Staatsschuldenkrise, ist falsch und greift zu
        kurz. Die Höhe der Staatsschulden ist zweifellos ein Pro-
        blem und muss angegangen werden. Aber nicht die
        Staatsschulden alleine sind das Problem – so hat bei-
        spielsweise Spanien eine geringere Staatsverschuldung
        als Deutschland –, sondern die Gesamtverschuldung: des
        Staates, der Unternehmen, der Konsumentinnen und
        Konsumenten und nicht zuletzt der Banken. Das ökono-
        mische Problem ist, dass diese Gesamtverschuldung
        mittlerweile ein Vielfaches dessen beträgt, was produ-
        ziert wird – übrigens auch bei uns.
        Aber das ist nur die eine Seite des Problems: Wichtig
        ist, zu verstehen, dass jedes Mal, wenn jemand Schulden
        macht, auf der anderen Seite ein Guthaben entsteht, also
        Vermögen. Wenn wir auf der einen Seite eine zu hohe
        Verschuldung, eine Schuldenblase, haben, gibt es auf der
        anderen Seite zu viel (Finanz-)Vermögen, eine Vermö-
        gensblase. Wir haben also nicht nur eine Schuldenkrise,
        sondern auch eine Vermögenskrise. Dieses überschüs-
        sige Vermögen ist extrem ungleich verteilt. Es ist sogar
        so weit, dass die Werte der Ungleichverteilung des Ver-
        mögens ein ähnliches Ausmaß erreicht haben wie vor
        der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er.
        22782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Auch die Diskurse über Lösungen ähneln sich. So wurde
        in Deutschland mit einem strikten Sparkurs die Krise
        verschärft – mit bekannten politischen Folgen – während
        die USA mit dem New Deal von Roosevelt mit den drei
        Säulen Finanzmarktregulierung, Investitionen in Infra-
        struktur und nicht zuletzt einer Politik von mehr Umver-
        teilung und sozialer Sicherheit einen Weg aus der Krise
        gefunden haben.
        Zweitens brauchen wir sowohl einen Abbau der
        Schulden als auch eine Verringerung der Vermögens-
        blase. Wenn auf der einen Seite Schulden, auf der ande-
        ren Seite Vermögen zu hoch sind, geht kein Weg daran
        vorbei, gleichzeitig Schulden und Vermögen zu senken.
        Wenn die Schulden in einem Sektor abgebaut werden,
        aber dafür auf der anderen Seite entstehen, ändert sich an
        dem ökonomischen Problem nichts. Um die gleichzei-
        tige Senkung von Schulden und Vermögen zu erreichen,
        sind im Grundsatz drei Wege möglich: erstens ein Schul-
        denerlass, wie er in Griechenland stattgefunden hat.
        Weitere Schuldenerlasse wären allerdings ein Problem,
        weil dadurch das Vertrauen in den Euro für jeweils wei-
        tere Länder sinken würde. Die Krise würde sich verstär-
        ken. Zweite Möglichkeit ist Inflation, durch die der Wert
        von Schulden und Vermögen gleichzeitig sinken würde.
        Auch das ist kein erstrebenswerter und ökonomisch ris-
        kanter Weg. Bleibt drittens: Abbau der Verschuldung
        durch Umverteilung. Deswegen der Vorschlag der Grü-
        nen einer Vermögensabgabe, die zur Schuldentilgung
        verwendet werden soll. Damit sind die Grünen die ein-
        zige Partei, die einen konkreten Vorschlag zum Abbau
        der Schulden vorgeschlagen hat, und fordern Vermö-
        gensabgaben auch in den anderen europäischen Ländern.
        Einen noch weiter gehenden Vorschlag, den die Grü-
        nen übernommen haben, hat der Sachverständigenrat für
        Wirtschaft gemacht. Sie schlagen einen Schuldentil-
        gungsfonds vor, mit dem über einen langen Zeitraum die
        Schulden getilgt werden sollen, die über dem Maas-
        tricht-Kriterium von 60 Prozent des Bruttoinlandspro-
        dukts liegen. Idealerweise sollte dabei nach unserer Mei-
        nung die Tilgung wieder durch eine Vermögensabgabe
        erfolgen, weil das der ökonomisch sinnvollste Weg
        wäre. Dadurch würde einerseits das oben beschriebene
        Problem der Vermögensverteilung angegangen und an-
        dererseits ein starkes Signal für einen Abbau der Schul-
        den gesetzt, der Vertrauen schafft.
        Ein solcher langfristiger Schuldenabbaupfad ist we-
        sentlich wichtiger als eine Begrenzung der Neuverschul-
        dung. Durch Letztere werden ja die Schulden nicht redu-
        ziert. Im Gegenteil kann sich durch eine Begrenzung der
        Neuverschuldung die Situation sogar verschlimmern,
        wenn überwiegend auf der Ausgabenseite gekürzt wird
        und Investitionen unterbleiben, wie das zurzeit in Grie-
        chenland, aber auch in der Weltwirtschaftskrise vor
        80 Jahren zu beobachten war. Dadurch wird der Abbau
        der Verschuldung verhindert, und das Problem ver-
        schärft sich. Gerade in einer ökonomischen Krise ist die-
        ser Weg fatal.
        Drittens brauchen wir einen Green New Deal für
        Europa mit seinen drei Säulen Finanzmarktregulierung,
        Investitionen in Infrastruktur und einen neuen sozialen
        Ausgleich durch Umverteilung. Eine Politik, die nur auf
        der Ausgabenseite spart, verschärft die Krise, die ähnli-
        che Züge trägt wie die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jah-
        ren. Auch diesmal wäre ein New Deal die richtige Ant-
        wort, der allerdings aufgrund der nicht zu vergessenden
        Probleme wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder
        Energieversorgung eine ökologische Komponente haben
        muss, also ein Green New Deal sein muss. Dazu gehört
        erstens endlich eine Regulierung der Finanzmärkte, der
        Banken und die Austrocknung von Steueroasen, was
        alles in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. So sind
        Banken immer noch „too big to fail“ und müssen schon
        wieder gerettet werden, und reiche Griechen schaffen ihr
        Vermögen in die Schweiz, damit sie nicht besteuert wer-
        den können. Zweitens braucht es ein Investitionspro-
        gramm in Infrastruktur, zum Beispiel in Stromnetze, in
        Windräder, in Solaranlagen, um dadurch die Wirtschaft
        in den Krisenstaaten zu stärken. Drittens ist aber auch
        eine Politik für mehr Umverteilung notwendig. Neben
        der beschriebenen Vermögensumverteilung braucht es
        einen Aufbau bzw. eine Stärkung von Mindestsiche-
        rungsleistungen und der Sozialversicherungen und nicht
        einen Abbau.
        Viertens braucht es Antworten auf eine wichtige
        Ursache für die Krise: die sogenannten außenwirtschaft-
        lichen Ungleichgewichte, die eng mit der Verschul-
        dungskrise zusammenhängen. Insbesondere Deutsch-
        land hat über Jahre mehr Güter exportiert als importiert,
        während zum Beispiel Griechenland mehr Güter impor-
        tiert als exportiert hat. Anders – und etwas vereinfacht
        ausgedrückt – heißt das: Wir haben dauerhaft mehr pro-
        duziert, als wir selbst konsumiert haben, während das in
        Griechenland umgekehrt war. Wir haben also gespart
        und Vermögen aufgebaut – allerdings nur bei einem Teil
        der Bevölkerung –, während in Griechenland die Schul-
        den gestiegen sind. Oft wird gelobt, dass wir Exportwelt-
        meister sind. Ein dauerhafter Exportüberschuss ist aber
        wohlfahrtsökonomisch nicht erstrebenswert. Wenn mehr
        produziert als konsumiert wird, heißt das Konsumver-
        zicht zugunsten von Sparen und Vermögensaufbau. Das
        macht nur Sinn, wenn irgendwann das Vermögen wieder
        abgebaut wird und dann mehr konsumiert werden kann.
        Völlig abstrus wird das Ganze, wenn die Schulden,
        durch die das Vermögen aufgebaut wurde, nicht voll
        oder gar nicht zurückgezahlt werden können. Die Ex-
        portüberschüsse in Deutschland sind nicht vom Himmel
        gefallen und sind insbesondere die Folge einer Politik
        für bessere „Wettbewerbsfähigkeit“ durch geringere
        Löhne, um den Export zu steigern. Die außenwirtschaft-
        lichen Ungleichgewichte und der starke Anstieg des Nie-
        driglohnsektors hängen miteinander zusammen. Das
        fällt jetzt wieder auf uns zurück. Deshalb wäre die Ein-
        führung von Mindestlöhnen eine wichtige Forderung im
        Rahmen der Verhandlungen um den Fiskalpakt gewesen.
        Unter anderem wegen der außenwirtschaftlichen Un-
        gleichgewichte ist eine koordinierte Wirtschafts- und
        Fiskalpolitik der Europäischen Union unbedingt notwen-
        dig, um aus der Krise zu kommen und, vor allem, um
        weitere Krisen zu vermeiden. Eine gemeinsame Fiskal-
        politik darf dabei nicht auf Haushaltspolitik beschränkt
        bleiben, sondern muss, um effektiv zu sein, auch Kom-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22783
        (A) (C)
        (D)(B)
        petenzen in der Steuerpolitik beinhalten. Um zu einer
        europäischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik zu kommen,
        sind umfangreiche institutionelle Veränderungen not-
        wendig, die letztlich nur durch Veränderungen des Euro-
        päischen Vertrags möglich sind. Dabei ist wichtig, dass
        diese Veränderungen mit einer Stärkung des Europäi-
        schen Parlaments und der nationalen Parlamente einher-
        gehen müssen. Das ist alles nicht einfach und schnell zu
        erreichen. Die Einberufung eines Europäischen Kon-
        vents wäre aber ein starkes ökonomisches Signal, das so-
        fort wirken würde, weil dadurch einer der Grundfehler
        bei der Einführung des Euro beseitigt würde. Noch stär-
        ker wäre das Signal, wenn deutlich gemacht würde, dass
        das Ziel nicht nur eine Wirtschafts- und Fiskalunion,
        sondern eine echte politische Union mit einer europäi-
        schen Verfassung wäre.
        Fünftens muss bereits kurzfristig das Problem gelöst
        werden, dass die Krisenstaaten Zinsen zahlen müssen,
        die dazu führen, dass sie gar nicht aus der Schuldenspi-
        rale herauskommen können. Die hohen Zinsen führen
        dazu, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Schulden zu-
        rückgezahlt werden, sinkt. Dadurch steigen die Zinsen
        noch weiter usw. Dieser Teufelskreis muss unterbrochen
        werden. Eine Möglichkeit wäre, dass wieder die EZB
        einspringt und Staatspapiere kauft. Besser wäre es, wenn
        der ESM eine Banklizenz erhält und dadurch die Staaten
        mit Krediten zu bezahlbaren Zinsen versorgen kann.
        Mittelfristig werden nur Euro-Bonds diesen Teufelskreis
        durchbrechen können und das notwendige Vertrauen
        herstellen können, dass die Schulden wieder zurückge-
        zahlt werden können.
        Darüber hinaus gibt es verfassungsrechtliche Beden-
        ken gegen den Fiskalpakt; denn er überträgt hoheitliche
        Rechte dauerhaft auf ein zwischenstaatliches – und nicht
        demokratisches – Organ. Der Fiskalvertrag sieht keine
        Kündigungsmöglichkeit vor, und dies bedeutet gemäß
        Art. 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention, dass er
        grundsätzlich nicht einseitig kündbar ist – es gilt der
        Grundsatz „pacta sunt servanda“. Diese unkündbare
        Übertragung von Hoheitsrechten verstieße deshalb ge-
        gen die rote Linie, die das Bundesverfassungsgericht im
        Lissabon-Urteil gezogen hat. Es ist nicht zulässig, dass
        zwischenstaatliche Einrichtungen permanent weitge-
        hende Kontrollbefugnisse über den Haushalt der Bun-
        desrepublik Deutschland erlangen, ohne dass dies zu-
        nächst über eine Änderung des Grundgesetzes gemäß
        Art. 146 GG erlaubt worden ist.
        Wir sehen die Zukunft Deutschlands in einem verei-
        nigten Europa – wir brauchen mehr Integration, nicht
        weniger. Allerdings muss dies ein soziales Europa sein,
        kein Europa der Banken und der Reichen. Nur ein soli-
        darisches Europa wird den Herausforderungen der
        Zukunft gewachsen sein – nicht nur in Bezug auf das
        Finanzsystem, sondern auch zur Abwendung der Gefah-
        ren für unsere globalen Ökosysteme.
        Ohne eine Schuldentilgung, die vor allem an der Ein-
        nahmeseite ansetzt, und ohne Maßnahmen gegen die
        hohen Zinsbelastungen gefährdet der Fiskalpakt den so-
        zialen Zusammenhalt in Europa. Schon heute sehen wir
        die sozial unausgewogenen Auswirkungen dieser rigiden
        Sparpolitik. Insbesondere in Defizitländern wird durch
        die hohen Zinsen, die diese nach wie vor bedienen müs-
        sen, in Verbindung mit den Vorgaben des Fiskalpakts ein
        großer Druck auf die nationalen Regierungen und damit
        auch auf die Sozialsysteme ausgeübt. Sie können nur mit
        radikalen und überstürzten Sparprogrammen reagieren.
        Der ausschließlichen Sparpolitik wurden zwar durch die
        Verhandlungen Investitionen zur Seite gestellt, um das
        Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der einseitige
        Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht weiterhin
        ungebrochen und wurde auch nicht mit sozialverträg-
        lichen Regeln unterlegt. Letztlich wird der Fiskalpakt
        somit erhebliche soziale Lasten mit sich bringen, die wir
        nicht hinnehmen können. Massive Einsparungen bei
        Sozialausgaben, Sozialversicherungen, im Gesundheits-
        und Bildungsbereich werden den Zusammenhalt in den
        Ländern Europas weiter untergraben und gerade die
        Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben.
        Wir wollen ein soziales Europa und stehen zu den so-
        zialen Zielen, die sich Europa gegeben hat. So garantiert
        die europäische Sozialcharta beispielsweise die Tarif-
        autonomie, und doch wird diese durch die Sparanstren-
        gungen in Griechenland untergraben. Im Rahmen der
        EU-2020-Strategie wurden wichtige Ziele zur Verhinde-
        rung von Arbeitslosigkeit und Armut vereinbart. Durch
        den Fiskalpakt werden diese Ziele unerreichbar. Natür-
        lich müssen alle europäischen Staaten langfristig ihre
        Schuldenquoten senken – das erwarten auch wir. Aber
        die Konsolidierungspfade müssen den Möglichkeiten
        der Staaten entsprechen und in der Konsequenz gestreckt
        werden. Konsolidierungsanstrengungen müssen immer
        auch die Einnahmeseite in den Blick nehmen. Einspa-
        rungen bei den Ausgaben müssen sozialverträglich aus-
        gestaltet werden. Die Grundwerte von Europa – soziale
        Gerechtigkeit und Sozialstandards für alle – haben für
        uns auch in der Krise Bestand.
        Ohne die genannten weiteren Maßnahmen gefährdet
        der Fiskalpakt unsere Vision eines sozialen Europas, er
        verschärft die ökonomische Krise bis hin zu einem dro-
        henden Scheitern des Euro.
        Wir lehnen deswegen den Fiskalpakt ab.
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): ESM und Fiskalpakt stimme ich nicht zu. ESM
        und Fiskalpakt sind die falschen Mittel. Mit ihnen ist die
        europäischen Finanz- und Bankenkrise nicht zu bewälti-
        gen. Sie sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik,
        vielleicht sogar ihr Höhepunkt. Aber dieses Sanierungs-
        rezept ist gescheitert. Die Krise wurde nicht bewältigt,
        sondern verschärft. Alle Befürchtungen, denen mit der
        Einrichtung neuer Rettungsschirme und immer größerer
        Milliardenhilfen entgegengewirkt werden sollte, haben
        sich bewahrheitet. Immer mehr und größere Staaten ge-
        raten in den Strudel der Krise und drohen darin unterzu-
        gehen.
        Der bisherige Weg war der falsche. Der gnadenlose
        Sparkurs führt wie in Griechenland zur Verarmung gro-
        ßer Teile der Bevölkerung und schadet der Entwicklung
        der Wirtschaft und der Erholung der Staatsfinanzen. Er
        ändert nichts daran, dass Finanzmärkte und Ratingagen-
        22784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        turen weiter die Richtlinien der Politik bestimmen. Kre-
        dite und Garantien des ESM an die Staaten, die die Krise
        nicht mehr bewältigen können, dienen ganz überwie-
        gend nur der Bedienung der Geldinstitute und der Siche-
        rung ihrer Gewinne. Von europäischen Insolvenzrege-
        lungen, auch für zu große Banken, ist keine Rede mehr.
        Diese gescheiterte Politik darf nicht fortgesetzt und nicht
        durch Fiskalpakt und ESM unwiderruflich festgeklopft
        werden.
        ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grund-
        gesetz zu vereinbaren. Beide Verträge sind vielfach mit-
        einander verzahnt. So ist ab 2013 der ESM nur noch an-
        wendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert
        haben. Die Regelungen beider Vertragswerke sind in
        Teilen unklar und unbestimmt. Das Verhältnis zu EU-
        Einrichtungen bleibt offen.
        Die internationalen Finanzinstitutionen, die mit die-
        sen Verträgen geschaffen werden, stärken die EU nicht.
        Sie stehen neben den EU-Einrichtungen. Gleichwohl
        werden EU-Institutionen wie der Europäische Kommis-
        sion Aufgaben durch ESM-Vertrag und Fiskalvertrag zu-
        gewiesen. Art und Umfang sind unklar und strittig. Der
        EU-Kommission gehören aber auch Staaten an, die den
        ESM ablehnen. Vor allem das Europäische Parlament
        bleibt außen vor und hat keine Kontrollrechte. ESM und
        Fiskalpakt haben außerdem schwerwiegende Folgen für
        die Wirtschafts- und Währungsunion. Gleichwohl wird
        nicht der Weg über eine Änderung der EU-Verträge ge-
        gangen, nur weil der Konsens dafür nicht erreicht wurde.
        ESM und Fiskalpakt schränken die Souveränität der
        Vertragsstaaten und die konstitutiven Entscheidungs-
        rechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über
        Steuern und Abgaben, substanziell und auf Dauer unwi-
        derruflich ein.
        Im ESM und im Gesetz zum ESM-Vertrag ist die par-
        lamentarische Beteiligung und Kontrolle von Entschei-
        dungen über Erhöhungen des Stammkapitals und Sta-
        bilitätshilfen durch den Bundestag nicht lückenlos
        gesichert. Gouverneursrat und Direktorium sind bei al-
        len Beschlüssen beschlussfähig, wenn zwei Drittel der
        Stimmberechtigten anwesend sind. Auch wenn der
        deutsche Vertreter abwesend ist, können sie also weit-
        tragende Beschlüsse fassen. Dass Deutschland über
        27,1 Prozent der Stimmanteile verfügt, hilft dann wenig.
        Die Verpflichtungen, welche die Mitglieder des ESM
        eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die Rege-
        lungen zum Haftungsumfang sind unvollständig. Die
        Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und unein-
        geschränkt, ihren Beitrag zu leisten. Zwar bleibt grund-
        sätzlich die Haftung eines jeden auf seinen Anteil am ge-
        nehmigten Stammkapital begrenzt. Aber was ist, wenn
        ein Mitglied selbst Finanzhilfe benötigt? Dann bleibt
        dessen Verpflichtung zur Leistung erhalten. Das gilt bei-
        spielsweise auch für Griechenland. Wenn ein Mitglied
        trotzdem nicht einzahlt, so ergeht ein revidierter erhöhter
        Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Ka-
        pitalzahlung in voller Höhe erhält. Dann kommen doch
        weitere Verpflichtungen auf die Mitglieder zu. Offen
        bleibt die Haftung für Defizitsünder und wer eigentlich
        haftet, wenn ein oder mehrere Vertragspartner Beiträge
        nicht zahlen wollen oder können.
        Auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte
        der Vertragsstaaten und ihrer Parlamente. Die willkür-
        lich festgesetzte Schuldengrenze wird zum unveränder-
        baren Recht, möglichst sogar mit Verfassungsrang. Sie
        geht weit über die Regelung im Grundgesetz hinaus, die
        eine Übergangsphase für den Bund bis 2016 und für die
        Länder bis 2020 vorsieht. Die Möglichkeiten der Staaten
        zur Kreditaufnahme werden auf Dauer begrenzt. Der
        Pakt ist in seiner Substanz nicht veränderbar. Daran än-
        dert sich auch dadurch nichts, dass binnen fünf Jahren
        die notwendigen Schritte unternommen werden, um den
        Inhalt des Pakts in den Rechtsrahmen der EU zu über-
        führen. Es geht nur darum, den jetzigen Inhalt in EU-
        Recht zu überführen. Wird dieses Ziel aber nicht er-
        reicht, gilt der Fiskalpakt weiter.
        ESM und Fiskalpakt sind verfassungsrechtlich zwei-
        felhaft und auch politisch nicht verantwortbar, weil sie
        für die Bewältigung der Krise nicht zweckmäßig sind
        und große Teile der Bevölkerung vor allem in ökono-
        misch schwachen Ländern Europas der Gefahr von Ar-
        mut und Elend aussetzen. Deshalb stimme ich mit Nein.
        Kathrin Vogler (DIE LINKE): Wir stimmen heute
        über den sogenannten Fiskalpakt ab, und ich möchte
        meine Ablehnung hier deutlich machen und begründen.
        Ich stimme dagegen, weil mit diesem Paket allen
        Staaten der Europäischen Union sowie dem Bund, den
        Ländern und Kommunen ein massives Sozialkürzungs-
        paket aufgezwungen wird. Das ist ein massiver Eingriff
        in die Budgethoheit der einzelnen Nationalstaaten, in-
        dem die Neuverschuldung auf maximal 0,5 Prozent be-
        grenzt wird.
        Wir müssen doch nur einmal nach Griechenland
        schauen, um zu sehen, was ein verordnetes Diktat für
        Konsequenzen hat: Menschen werden entlassen und ver-
        lieren zum Teil ihre Existenz, Löhne sinken, Sozialaus-
        gaben werden zusammengestrichen, staatliche Konjunk-
        turprogramme gibt es nicht, die Binnennachfrage sinkt
        ins Bodenlose, wirtschaftliche Strukturen fallen zusam-
        men, Armut steigt. Durch den Fiskalpakt würgen wir die
        Binnennachfrage in Europa ab, was zur Folge haben
        wird, dass mittelfristig auch unser Export einbricht und
        die Menschen in Deutschland die gleichen Folgen erlei-
        den werden wie die in Griechenland.
        Wollen wir allen Ernstes griechische Verhältnisse in
        ganz Europa? – Ich sage ganz deutlich Nein.
        In meinem Wahlkreis Steinfurt III gibt es jetzt schon
        massive Kürzungen in den Kommunen. Dass der Bund
        die Kosten für die Eingliederungshilfe übernimmt, ist
        richtig, aber nicht im Rahmen eines Kuhhandels, um die
        Zustimmung zum Fiskalpakt zu ergattern. Viel zu lange
        wurden das Konnexitätsprinzip nicht gewahrt und Auf-
        gaben an Kommunen ohne jeglichen Finanzausgleich
        weitergeben. Steuersenkungen tun ihr Übriges, um die-
        sen Notstand der Städte und Gemeinden zu verschärfen.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22785
        (A) (C)
        (D)(B)
        Und wer zahlt die Zeche für diese Finanzkrise der
        Banken und Zocker? Die Bürgerinnen und Bürger, die
        Arbeitslosen, die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Emp-
        fänger, die Rentner, Alleinerziehenden und auch die Ar-
        beitnehmer. Schwimmbäder werden zugemacht, Sport-
        förderung und Jugendarbeit zusammengestrichen und
        vieles mehr. Reden Sie einfach mal mit Ihren kommuna-
        len Mandatsträgern. Es ist ein wirklich düsteres Bild.
        Und das ist das Problem: Die Verursacher kommen
        mal wieder ungeschoren davon. Sie retten mit dem
        Fiskalpakt nur die Banken, und was machen diese? Sie
        zocken weiter. Diese müssen endlich zur Verantwortung
        gezogen werden. Wir brauchen eine gerechte Besteue-
        rung, und bei Krisen muss endlich das Verursacherprin-
        zip gelten. Es darf nicht sein, dass Gewinne privatisiert,
        Verluste oder Pleiten aber der Allgemeinheit aufgebürdet
        werden.
        Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Erstens. Ich
        halte den permanenten Stabilitätsmechanismus für not-
        wendig, um die Europäische Währungsunion vor den
        Auswirkungen von Spekulationen zu schützen. Deshalb
        werde ich bei dieser Abstimmung mit Ja stimmen.
        Zweitens. Der Fiskalpakt geht von der falschen An-
        nahme aus, dass die Verschuldung der europäischen
        Länder eine Konsequenz übermäßiger Staatsausgaben
        sei, während – bis auf Griechenland – für alle EU-Staa-
        ten gilt, dass ihre gewachsene Verschuldung Ergebnis
        der Rettungsaktionen der europäischen Staaten für die
        Finanzmärkte 2008/2009 ist. Insofern wäre er als alleini-
        ges Instrument angesichts der marktradikalen Politik ei-
        ner Reihe von nationalen EU-Regierungen eine falsche
        Weichenstellung der Austeritätspolitik.
        Er lässt ein vergleichbares Rechtsinstrument vermis-
        sen, das eine aktive makroökonomische Politik festlegt,
        die auf Beschäftigungswachstum setzt.
        Er ist ein zwischenstaatlicher Vertrag, der praktisch
        die EU-lnstitutionen und auch das Europäische Parla-
        ment aushebelt.
        Drittens. Angesichts dieser falschen Grundorientie-
        rung war es wichtig, die grundlegenden Fehler zu korri-
        gieren. Das ist der Sozialdemokratischen Partei, das ist
        den Ländern in zähen Verhandlungen in wichtigen Be-
        reichen gelungen:
        Endlich wird es eine Finanztransaktionsteuer geben,
        für die ich mich bereits vor zehn Jahren starkgemacht
        habe – damals noch als „exotische“, unrealistische Posi-
        tion diffamiert und von der CDU noch im letzten Bun-
        destagswahlkampf vehement bekämpft.
        Die Initiative dieser „willigen“ europäischen Staaten
        muss dazu beitragen, endlich diejenigen zur Kasse zu
        bitten, die die Finanzmarktkrise verursacht haben.
        Gleichzeitig wird es auch angesichts der politischen
        Veränderungen in Frankreich Festlegungen auf einen
        „Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“
        geben, verbunden mit einem Sofortprogramm gegen Ju-
        gendarbeitslosigkeit. Damit kann endlich ein Kurswech-
        sel in der verfehlten Austeritätspolitik eingeleitet wer-
        den.
        Viertens. Ungelöst ist nach wie vor der Umgang mit
        den sogenannten Altschulden. Notwendig ist die ge-
        meinschaftliche Sicherung für einen Teil der Anleihen
        der Euro-Staaten. Eine gemeinschaftliche Währung hätte
        ansonsten keine dauerhafte Zukunft angesichts der fort-
        dauernden Spekulationen gegen den Euro. Der Erhalt
        und die Sicherung des Euro ist aber sowohl unter dem
        Gesichtspunkt der Erhaltung der Arbeitsplätze bei uns
        als auch aus politischen Gründen für Deutschland von
        zentraler Bedeutung.
        Schließlich ist es notwendig, endlich die erforderli-
        chen Schritte zu einer wirklichen Finanzmarktregulie-
        rung voranzubringen. Hier besteht noch maßgeblicher
        Handlungsbedarf.
        Fünftens. Meine Abwägung bei der Entscheidung zur
        Ratifizierung des Fiskalpakts sieht so aus: Bei einer Ab-
        lehnung würde die Zweidrittelmehrheit im Bundestag
        scheitern. Eine Phase der massiven Instabilität in der Eu-
        ropäischen Union wäre die Folge. Die würde auch ge-
        rade den Euro als Gemeinschaftswährung destabilisie-
        ren, dies könnte die Europäische Union gefährden. Eine
        derartige Entwicklung darf niemand riskieren, dem die
        EU in der globalen Entwicklung und für die wirtschaftli-
        che und soziale Entwicklung seiner Bürger und Bürge-
        rinnen am Herzen liegt. Darum werde ich mit Ja stim-
        men.
        Wichtig ist es aus meiner Sicht, diese Instabilität zu
        verhindern, die angesichts der Situation in Griechenland
        und Spanien ohnehin eine Gefahr ist und durch sie noch
        vergrößert würde.
        Stattdessen sollten Sozialdemokraten und Sozialde-
        mokratinnen in Europa enger zusammenarbeiten, politi-
        sche Mehrheiten schaffen, auch in Deutschland, um das
        nachzuarbeiten, was in den letzten Jahrzehnten nicht ge-
        lungen ist, nämlich eine wirkliche politische Union, eine
        wirkliche Wirtschafts- und Sozialunion aufzubauen.
        Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn
        die politische Union geschaffen werden soll. Derartige
        europäische Pläne müssten einem Volksentscheid unter-
        liegen. Für einen Volksentscheid zum Maastricht-Vertrag
        bin ich übrigens schon zu Beginn der 90er-Jahre einge-
        treten.
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin
        und Joachim Günther (Plauen) (beide FDP) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        22786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Grundsätzlich ist die Einrichtung eines Europäischen
        Stabilitätsmechanismus sinnvoll. Leider müssen wir er-
        leben, dass Entscheidungen und Bedingungen des ESM
        immer unklarer werden. Wir sind nicht bereit, in nur we-
        nigen Stunden nach einer Sitzung in Brüssel Entschei-
        dungen von so großer Tragweite für Deutschland zu tref-
        fen. Wir können in so kurzer Zeit nicht beurteilen, ab die
        direkten Bankenhilfen für Spanien oder mögliche Anlei-
        henkäufe für Italien Folgen für unser Land und die Stabi-
        lität des Euro haben.
        Die Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Wäh-
        rungsgebiets vom 29. Juni 2012 kann uns unsere Sorge
        nicht nehmen, sondern sie verstärkt sie eher noch. Wir
        fordern auch weiterhin von den nehmenden Ländern Re-
        formbereitschaft und Haushaltsdisziplin. Mit der Gipfel-
        erklärung vom 29. Juni 2012 wird diese bisherige Linie
        verlassen. Wir befürchten, dass nun auch bald die bishe-
        rigen Entscheidungen betreffend Griechenland aufge-
        weicht werden.
        Anlage 4
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Günter Gloser und Martin
        Burkert (beide SPD) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmecha-
        nismus, ESM, ist ein unterlässlicher Beitrag zur Stabili-
        sierung der Euro-Zone und der Bewältigung der Folgen
        der Finanzmarkt- und Hypothekenkrise, die 2008 be-
        gann. Daher befürworten wir die Einrichtung dieser Fi-
        nanzinstitution. Allerdings sehen wir einen unaufgelös-
        ten Zielkonflikt zwischen der Notwendigkeit einer
        parlamentarischen Kontrolle einerseits und der Unab-
        hängigkeit des Gouverneursrates und des Direktoriums
        andererseits. Die Nichtauskunftspflicht gegenüber dem
        Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag
        sowie die Immunität der Leitungsgremien des ESM stel-
        len einen großen Vertrauensvorschuss gegenüber den
        Mitgliedern des Gouverneursrates und des Direktoriums
        dar.
        Anlage 5
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Josef Philip Winkler und
        Tabea Rößner (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Die Europäische Union und der Euro-Raum befinden
        sich in einer der schwersten Krisen seit Ende des Zwei-
        ten Weitkrieges. Einige Mitgliedstaaten sind mit massiv
        gestiegenen Zinsforderungen für ihre Kredite konfron-
        tiert, ihnen droht der Staatsbankrott. Die wirtschaftlichen
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22787
        (A) (C)
        (D)(B)
        Auswirkungen auf andere mit ihnen eng verwobene
        Volkswirtschaften sowie die politischen Konsequenzen
        für die weitere europäische Integration wären desaströs.
        Die Ursachen der Krise sind mannigfaltig. Sie reichen
        von fehlender Regulierung von Finanzmärkten und Ban-
        ken, spekulativen Finanzgeschäften über mangelnde
        Haushaltsdisziplin, der Finanzierung von Konjunktur-
        paketen bis hin zu erheblichen Leistungsbilanzdefiziten.
        Um der Krise zu begegnen sind verschiedene Maß-
        nahmen notwendig. Rettungsschirme müssen aufge-
        spannt werden, um den betroffenen Ländern wieder eine
        Refinanzierung zu ermöglichen und somit deren Zah-
        lungsunfähigkeit abzuwenden. Verbindliche Regeln, wie
        Grenzen für nationale Defizite und Schuldenbremsen,
        müssen zur Sicherstellung nachhaltiger und stabiler
        Haushaltspolitik eingeführt werden. Die Finanzmärkte
        müssen reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt
        werden. Die bestehenden Schulden müssen konsequent
        zurückgeführt werden. Nicht zuletzt müssen den ange-
        schlagenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Perspekti-
        ven aufgezeigt werden – wir brauchen Investitionspro-
        gramme in nachhaltige Technologien beispielsweise in
        den Bereichen Klimaschutz und erneuerbare Energien.
        Der Deutsche Bundestag hat heute mit der Entschei-
        dung für den Europäischen Stabilitätsmechanismus,
        ESM, und den Fiskalpakt entlang dieser Linien die Wei-
        chen in Richtung einer Stabilisierung der Europäischen
        Union, des Euros und der europäischen Finanzmärkte
        gestellt. Mit dem ESM wird dem Euroraum ein perma-
        nenter Rettungsschirm zur Verfügung stehen. Ausgestat-
        tet mit einem eigenen Kapitalstock wird er dazu in der
        Lage sein, in Not geratene Staaten bei ihrer Refinanzie-
        rung zu unterstützen.
        Der Fiskalpakt ist eine notwendige Ergänzung des
        ESM. Er stellt verbindliche Regeln zur Erstellung kon-
        solidierter Haushalte auf. Die Mitgliedstaaten verpflich-
        ten sich mit ihm zudem zur Einführung nationaler Schul-
        denbremsen. Diese Abkehr von der Toleranz gegenüber
        strukturellen Haushaltsdefiziten ist für uns wichtig, denn
        nur ausreichend finanzierte Haushalte sind nachhaltig.
        Eine Haushaltskonsolidierung muss sowohl aus der Stei-
        gerung von Einnahmen als auch aus hoher Disziplin bei
        den Staatsausgaben bestehen.
        Im Zuge der Verhandlungen zu ESM und Fiskalpakt
        konnten durch eine erfolgreiche grüne Verhandlungsfüh-
        rung noch weitere wichtige Maßnahmen vereinbart wer-
        den: Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer
        werden die Märkte endlich an den Kosten der Krise be-
        teiligt. Investitionsimpulse, vor allem für nachhaltige In-
        vestitionen in Klimaschutz und Energieeffizienz, werden
        für mehr wirtschaftliche Dynamik sorgen. Nicht zuletzt
        wird es eine stärkere parlamentarische Beteiligung bei
        Hilfsanträgen an den ESM geben. In Deutschland wurde
        darüber hinaus sichergestellt, dass Länder und Kommu-
        nen den Fiskalpakt mittragen können. Auch dies ist rich-
        tig und notwendig, weil Länder und Kommunen im Ver-
        gleich zum Bund deutlich begrenztere Möglichkeiten zur
        Refinanzierung haben.
        Mit der Einigung zu ESM und Fiskalpakt haben wir
        viel erreicht. Gleichwohl stehen weitere wichtige Ent-
        scheidungen aus. So konnten wir uns nicht auf die Ein-
        führung eines gemeinschaftlichen Schuldenabbaus eini-
        gen. Mit ihrer Blockadehaltung in dieser Frage gefährdet
        die Kanzlerin die positive Wirkung von ESM und Fis-
        kalpakt. Sie wird in diesem Punkt umdenken müssen.
        Weiterhin gilt es, Investitionen in eine ökologische
        und soziale Gesellschaft noch weiter auszubauen. Solche
        Investitionen erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit Europas
        und gehören zu unserer Strategie der Krisenbewältigung.
        Nicht zuletzt müssen die demokratischen Strukturen
        Europas deutlich weiterentwickelt werden. Das Europäi-
        sche Parlament muss in seiner Entscheidungsbefugnis
        gestärkt und eine geeignete Exekutive, also eine europäi-
        sche Regierung, etabliert werden. Dies erfordert die
        Übertragung staatlicher Kompetenzen auf Europa.
        Noch einige Anmerkungen zu den Rechten des Bun-
        destages im Rahmen des ESM und des Fiskalpaktes:
        Grundsätzlich darf keine wesentliche Entscheidung
        – weder im Rahmen des ESM noch im Rahmen des Fis-
        kalvertrags – ohne die vorherige Zustimmung oder Be-
        teiligung des Deutschen Bundestages getroffen werden.
        Im Einzelnen: Die Parlamentsbeteiligung beim ESM
        wird geregelt im interfraktionellen Änderungsantrag
        zum ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG. Dieser ent-
        hält die §§ 3 bis 7 zu den Parlamentsbeteiligungsrechten.
        Diese beinhalten folgende Regeln:
        a) Zustimmung Plenum erforderlich bei Veränderung
        des Stammkapitals, Veränderung des maximalen Dar-
        lehnsvolumens, Änderung der Finanzhilfeinstrumente
        sowie zweimalige Zustimmung, bevor ein Land unter
        den Rettungsschirm kommt. Dabei ist die erste Abstim-
        mung erforderlich, um einem Mitglied grundsätzlich
        Hilfe zu gewähren. Dafür müssen folgende Einschätzun-
        gen von der KOM und der EZB vorliegen: Erstens.
        Besteht eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-
        Währungsgebiets? Zweitens. Kann der Staat die Staats-
        verschuldung tragen (Schuldentragfähigkeitsanalyse)?
        Drittens. Wie hoch ist der tatsächliche oder potenzielle
        Finanzierungsbedarf des Mitgliedstaats? Die zweite Ab-
        stimmung ist erforderlich, um dem Land tatsächlich Hil-
        fen zu zahlen. Dafür muss eine Einigung der Troika mit
        dem Mitgliedstaat vorliegen über: Erstens. Ein Memo-
        randum of Understanding mit detaillierten Auflagen
        Zweitens. Eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazili-
        tät, mit den Finanzierungsbedingungen und den einzel-
        nen Instrumenten. Grundsätzlich gilt: Nur mit einem
        vorherigen zustimmenden Votum des Bundestages darf
        der deutsche Vertreter im Gouverneursrat einem entspre-
        chenden Beschlussvorschlag zustimmen. Erteilt der
        Bundestag dieses Votum nicht, muss der deutsche Ver-
        treter den Beschlussvorschlag ablehnen.
        b) Zustimmung Haushaltsausschuss erforderlich bei:
        Änderungen an den Instrumenten innerhalb eines beste-
        hendes Programms, Kapitalabrufen – von genehmigten
        aber noch nicht eingezahlten Summen –, Annahme und
        Änderung von Durchführungsbestimmungen bei Finanz-
        hilfeinstrumenten. Auch hier gilt: Nur mit einem vorhe-
        rigen zustimmenden Votum des Haushaltsausschusses
        22788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        darf der deutsche Vertreter im Gouverneursrat oder Di-
        rektorium einem entsprechenden Beschlussvorschlag zu-
        stimmen. Erteilt der Haushaltsausschuss dieses Votum
        nicht, muss der deutsche Vertreter den Beschlussvor-
        schlag ablehnen.
        c) Zustimmung Sondergremium erforderlich bei
        Staatsanleihenkäufen auf dem Sekundärmarkt.
        Parlamentsbeteiligung im Rahmen des Fiskalvertrags:
        Dank unseres grünen Siegs vor dem Bundesverfassungs-
        gericht sind auch im Rahmen des Fiskalvertrags umfas-
        sende Informations- und Mitwirkungsrechte sicherge-
        stellt. Monatelang lehnte es die Koalition ab, das EU-
        Beteiligungsgesetz, EUZBBG, an die Neuerungen des
        Fiskalvertrags anzupassen. Neue Verfahren, Dokumente
        und Steuerungsgruppen – wie beispielsweise der Euro-
        Gipfel – wären ohne gesetzlich verankerte Parlaments-
        rechte geblieben. Doch mit dem Rückenwind aus
        Karlsruhe konnten wir uns trotz heftigen Widerstands
        der Koalition durchsetzen: Das EUZBBG wird geän-
        dert – verankert in Art. 2 des Fiskalvertragsratifizie-
        rungsgesetzes – und regelt, dass alle Beratungsgegen-
        stände, Vorschläge und Initiativen von den Informations-
        und Mitwirkungsrechten des Bundestages erfasst sind
        und die Bundesregierung den Bundestag zum frühest-
        möglichen Zeitpunkt, umfassend, fortlaufend und in der
        Regel schriftlich unterrichten muss, die Unterrichtungs-
        und Übersendungspflichten der Bundesregierung auch
        für Dokumente, Protokolle, Berichte von, für und über
        wichtige Entscheidungsgremien wie den Euro-Gipfel,
        die Euro-Gruppe, die Euro-Arbeitsgruppe gelten. Doch
        nicht nur das. Auch bei allen künftigen intergouverne-
        mentalen/völkerrechtlichen Vereinbarungen/Verträgen
        muss der Bundestag frühestmöglich eingebunden wer-
        den – inklusive der Übersendung erster Vertragsent-
        würfe.
        Dies alles führt uns zu folgender Schlussfolgerung:
        Wir haben uns dazu entschlossen, für ESM und Fiskal-
        pakt zu stimmen. Die Initiativen enthalten nicht alle un-
        sere Forderungen. Wir sind dennoch davon überzeugt,
        dass sie einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung der
        Schuldenkrise darstellen und wichtige grüne Forderun-
        gen umsetzen. Wir wollen mit unserer Zustimmung das
        europäische Projekt vor einem herben Rückschlag be-
        wahren. Wir bekennen uns klar zu Europa und wollen
        nun auch dafür einstehen.
        Anlage 6
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Edelgard Bulmahn und
        Dr. Ernst Dieter Rossmann (beide SPD)
        zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen
        Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur
        Änderung des Artikels 136 des Vertrags
        über die Arbeitsweise der Europäischen
        Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanis-
        mus für die Mitgliedstaaten, deren Währung
        der Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Ich halte den permanenten Stabilitätsmechanismus für
        notwendig, um eine erneute Verschärfung der Euro-
        Krise und einen Zusammenbruch der Staatshaushalte
        weiterer Mitgliedsländer der Euro-Zone zu verhindern.
        Kernanliegen muss es derzeit sein, die Europäische
        Währungsunion vor den Auswirkungen unverantwort-
        licher Spekulationen zu schützen. Das geht nur durch ein
        Zeichen der Solidarität der einzelnen Mitgliedsländer
        der Euro-Zone untereinander gegenüber den Akteuren
        des Finanzmarkts.
        Eine weitere Destabilisierung des Euro könnte nicht
        nur zum Zerfall der gemeinsamen Währung führen, son-
        dern würde auch die Existenz der Europäischen Union
        als solche gefährden. Eine derartige Entwicklung darf
        niemand riskieren, dem die wirtschaftliche und soziale
        Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Bürge-
        rinnen und Bürger am Herzen liegt.
        Allerdings impliziert die Übertragung von elemen-
        taren Rechten auf nicht demokratisch legitimierte Insti-
        tutionen – Gouverneursrat, Direktorium –, wie sie zur
        Zeit vorgesehen sind, grundlegende verfassungsrecht-
        liche Probleme. Es gilt, einen Ausgleich zwischen der
        Handlungsfähigkeit entsprechender Institutionen und
        ausreichender parlamentarischer Kontrolle herzustellen.
        Meines Erachtens ist deshalb vor allem bei der weiteren
        Ausgestaltung der Institutionen des permanenten Stabili-
        tätsmechanismus darauf zu achten, dass Hoheitsrechte
        des Bundestages gewahrt und unter Berücksichtigung
        der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        richts gestaltet werden. Es ist daher zwingend geboten,
        bei der Implementierung des Vertrags dafür zu sorgen,
        dass die demokratische Legitimation stets die Richt-
        schnur bildet.
        Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in
        Europa sollten jenseits der aktuellen Rettungsmaßnah-
        men ein Bild eines demokratischeren und handlungs-
        fähigeren Europas entwickeln. Das setzt eine engere Zu-
        sammenarbeit voraus, die letztlich eine Grundlage dafür
        bildet, politische Mehrheiten zu schaffen, auch in
        Deutschland, um das nachzuarbeiten, was in den letzten
        Jahrzehnten nicht gelungen ist: nämlich eine wirkliche
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22789
        (A) (C)
        (D)(B)
        politische Union, eine wirkliche Wirtschafts- und Sozial-
        union aufzubauen.
        Die EU neu zu begründen, das ist notwendig, wenn
        die politische Union geschaffen werden soll. Derartige
        europäische Pläne werden letztlich auch die Übertragung
        nationaler Souveränitätsrechte an dann geschaffene, de-
        mokratisch legitimierte europäische Institutionen be-
        inhalten müssen. Dieses wird die Weiterentwicklung des
        deutschen Grundgesetzes einschließen. Die Mütter und
        Väter des Grundgesetzes haben in ihrer Weisheit bereits
        durch Art. 146 des Grundgesetzes diesen Weg beschrie-
        ben, indem sie eine Öffnungsklausel aufgenommen ha-
        ben, die die Weiterentwicklung der Verfassung durch
        eine Entscheidung des deutschen Volkes vorsieht. Eine
        solche Entscheidung muss sorgfältig vorbereitet werden.
        Weite Teile des Grundgesetzes können beibehalten wer-
        den. Es gilt, ein neues Verhältnis von Europa, der Bun-
        desrepublik, den Bundesländern und den Kommunen zu
        entwickeln. Die Zeit sollte nicht fahrlässig verschwendet
        werden. Die Zeit ist reif für einen solchen Prozess.
        Anlage 7
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Lisa Paus, Katja Dörner und
        Sven-Christian Kindler (alle BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Die weitere Verschärfung der Finanz- und Wirt-
        schaftskrise in Europa fordert von uns, grundlegende
        Richtungsentscheidungen für die Zukunft der Europäi-
        schen Union zu treffen. Die Krise in Europa spitzt sich
        momentan dramatisch zu. Viele Staaten in Europa befin-
        den sich in einer schweren Rezession. Millionen Men-
        schen, vor allem Jugendliche, sind arbeitslos. Die soziale
        Ungleichheit zwischen Arm und Reich nimmt weiter zu.
        Der Zinsdruck auf Länder wie Italien oder Spanien ist
        enorm. Die Kapitalflucht aus Südeuropa verschärft sich.
        Noch nie war der Fortbestand der Währungsunion in ih-
        rer bisherigen Form so stark gefährdet wie jetzt. Noch
        nie war die Sorge während dieser Krise so groß, dass Eu-
        ropa die Weltwirtschaft in eine Rezession reißt.
        Wir streiten in dieser Situation für mehr Europa. Wir
        wenden uns entschieden gegen nationalistische Ressenti-
        ments und Anti-Europa-Populismus. Wir wollen ein
        starkes, demokratisches, soziales und ökologisches Eu-
        ropa, weil wir wissen, dass das unsere Zukunft ist und
        nur so die Krise nachhaltig zu lösen ist.
        Der Fiskalpakt ist in dieser Situation allerdings die
        falsche Antwort. Die Analyse, die dem Fiskalpakt zu-
        grunde liegt, trifft nicht zu. Europa leidet nicht an einer
        durch staatliche Ausgabenwut entstandenen Krise. Kann
        man beim Fall Griechenland noch davon reden, dass die
        Klientelwirtschaft von Eliten auf Kosten des Staates ei-
        nen wichtigen Anteil an der desolaten Haushaltslage hat,
        so ist diese verengte Analyse schon hier nicht ausrei-
        chend, um die Lage des Landes zu erklären. Mit Bezug
        auf Spanien, Portugal oder Italien ist sie einfach falsch. Es
        war vor allem die Finanzkrise, die dazu führte, dass viele
        Staaten die Schulden ihres Finanzsektors übernehmen
        mussten, um diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu
        kommen die Schwäche des europäischen Bankensys-
        tems, die massive Überschuldung privater Haushalte
        wie in Spanien, Immobilienblasen wie auch in den Nie-
        derlanden und massive ökonomischen Ungleichge-
        wichte in der Euro-Zone sowie die dramatische Un-
        gleichverteilung von Vermögen, zu denen auch die
        Politik der Maximierung von Exportüberschüssen, ge-
        rade auch in Deutschland, beigetragen hat. Dies zu korri-
        gieren, müsste eigentlich im Vordergrund politischen
        Handelns stehen.
        Der Fiskalpakt setzt dagegen nur auf die Einführung
        nationaler Schuldenbremsen. Wir halten Schuldenbrem-
        sen im Grundsatz für richtig und wollen Schulden des
        Staats begrenzen. Sie sind aber nur unter zwei Bedin-
        gungen hilfreich.
        Erstens. Wenn ein strukturelles Einnahmeproblem des
        Staats besteht, erzwingen Schuldenbremsen einen Rück-
        bau des Staats durch Kürzungen in allen staatlichen Be-
        reichen und umfangreiche Privatisierungen. Am Ende
        einer solchen Entwicklung steht eine Gesellschaft, die
        dem Wunsch von Marktradikalen entspricht: mit einem
        schwachen Staat, der nicht einmal mehr im Kernbereich
        der Daseinsversorgung handlungsfähig ist. Wir sind die
        Partei der öffentlichen Güter, wir stehen für Zukunftsin-
        vestitionen und einen leistungsfähigen öffentlichen Sek-
        tor. Deswegen muss für uns gelten: kein Fiskalpakt ohne
        Korrektur des strukturellen Einnahmeproblem der euro-
        päischen Staaten.
        Eine faire Lastenverteilung ist für uns kein Beiwerk
        zu den nötigen ökonomischen und strukturellen Refor-
        men, sondern muss im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
        stehen. Dafür muss ein europäischer Steuerpakt auf den
        Weg gebracht werden. Als Grüne kämpfen wir auf allen
        Ebenen dafür, dass Vermögende und Besserverdienende
        22790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt
        werden, dass Subventionen auf ökologisch schädliches
        Verhalten abgebaut werden und Steuern auf Umwelt-
        verbrauch erhöht werden. Bei der Beteiligung der Kri-
        senverursacherinnen und -verursacher an den Kosten
        zeichnet sich mit dem Verhandlungserfolg bei der Fi-
        nanztransaktionsteuer ein erstes Umschwenken an. Zu-
        sätzlich braucht es aber auch die Einführung von Vermö-
        gensabgaben europaweit zum Abbau der Schulden, die
        als „Verstärkte Zusammenarbeit“ koordiniert werden
        könnte. Steuerdumping, Steuerhinterziehung und der le-
        gale, aber unfaire Steuerwettbewerb durch Gewinnver-
        rechnung über Briefkastenfirmen müssen beendet wer-
        den. Ziel unserer Steuerpolitik ist ein steueroasenfreies
        Europa ohne Bankgeheimnis. Wir wollen bei der Unter-
        nehmensbesteuerung einen europäischen Mindeststeuer-
        satz und eine gemeinsame konsolidierte Bemessungs-
        grundlage.
        Zweitens. Schuldenbremsen müssen wirtschaftlich
        sensibel sein und dürfen nicht fiskalisch prozyklisch wir-
        ken. Ansonsten verschärfen sie in konjunkturellen Kri-
        sen die Rezession und führen so zu mehr Schulden. Wer
        Schulden nachhaltig begrenzen will, muss gerade in Kri-
        senzeiten Investitionen ermöglichen. Die Berechnungs-
        methode für eine Schuldenbremse darf zudem nicht ge-
        staltungsanfällig sein, da sie sonst zum einen dem Ziel,
        der Schuldenbegrenzung entgegenwirken zu können,
        schadet und zum anderen zu langwierigen juristischen
        Auseinandersetzungen und damit zu Rechtsunsicherheit
        führen.
        Der Fiskalpakt erlaubt den Vertragsstaaten in Zukunft
        nur noch eine strukturelle Nettokreditaufnahme in Höhe
        von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Zah-
        len und Regelungen erwecken den Anschein von Objek-
        tivität und Stabilität, doch das Gegenteil ist der Fall. In
        der Fachanhörung zum Fiskalpakt im Februar 2012 in
        der grünen Bundestagsfraktion hat der Sachverständige
        Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies auf
        die große Gestaltungsanfälligkeit der Schuldenbremsen-
        regelung hingewiesen. So wird jeweils nach Vorgaben
        der Europäischen Kommission das strukturelle und das
        konjunkturelle Defizit ermittelt. Dabei müssen das Po-
        tenzialwachstum, die Outputlücke und die Budgetsensi-
        tivität durch die Europäische Kommission ermittelt bzw.
        geschätzt werden; ein hochkomplexes mathematisches
        Verfahren und damit eben auch gestaltbar. Das Institut
        für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK,
        hat im Januar 2012 die Studie „Gestaltungsanfällig und
        pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der De-
        tailanalyse“ veröffentlicht und kommt zu dem Ergebnis,
        dass diese Schuldenbremsenregelung intransparent,
        komplex und gestaltungsanfällig ist und zudem prozy-
        klisch wirkt und damit ökonomisch extrem gefährlich
        werden kann. Für die Berechnung des strukturellen Defi-
        zits ließen sich auf Grundlage der wissenschaftlichen Li-
        teratur leicht 70 und mehr Varianten beschreiben, die
        alle den maßgeblichen Vorgaben der EU-Kommission
        genügen. Je nach verwendeter Variante ergaben sich für
        das strukturelle Defizit Deutschlands im Jahr 2010
        Werte zwischen 10 und 40 Milliarden Euro, rechneten
        die IMK-Ökonomen Henner Will und Achim Truger vor.
        Im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt wird weiter-
        hin behauptet, Vereinbarungen zwischen Staatsober-
        häuptern seien besser als Beschlüsse der gesamteuropäi-
        schen Volksvertreterinnen und Volksvertreter
        gemeinsam mit dem Ministerrat. Dabei haben gerade
        fehlender europäischer Ehrgeiz, die Vernetzung und Ab-
        hängigkeit der Einzelstaaten in ihrer Konjunktur, ihren
        Finanzmärkten, ihrem privaten und staatlichen Wirt-
        schaften Europa an den Rand des Scheiterns gebracht.
        Der Fiskalpakt verweist zurück in die Vergangenheit und
        wühlt damit vieles vom Müllhaufen der Geschichte auf,
        das schon überwunden geglaubt war: nationale Ressen-
        timents, deutsche Sonderwege, eine darwinistische Inter-
        pretation von wirtschaftlichen Unterschieden in Europa
        und Szenarien von „Lieber ein Ende mit Schrecken“.
        Er fördert die Einteilung in Geberländer und Nehmer-
        länder, bei denen Geld immer nur in eine Richtung flie-
        ßen soll und europäische Probleme vor allem die Pro-
        bleme der Schwachen seien. Dabei ist die Bundesrepu-
        blik ein Nehmer riesiger Vorteile durch den europäi-
        schen Binnenmarkt, gerade auch in der Krise. Gut
        50 Milliarden Euro Zinsvorteil ist für den Bundeshaus-
        halt durch das überschießende Zinsgefälle 2009 bis
        2012 für den Bundeshaushalt bereits entstanden. Weitere
        rund 50 Milliarden Euro mehr an Exporteinnahmen dürf-
        ten darauf zurückgehen, dass nur durch die Währungs-
        union Exporte aus Deutschland, als dem einzigen öko-
        nomisch prosperierenden Land, umgeben von Ländern
        in Rezession nicht durch Währungsaufwertung verteuert
        und dramatisch verringert wurden, sondern noch weiter
        zulegen konnten. Wir finden es brandgefährlich, diese
        riesigen Vorteile Deutschlands mit wortloser Selbstver-
        ständlichkeit einzustreichen und mit dem Fiskalpakt aus-
        schließlich Schuldzuweisungen zurückzugeben.
        Während die EU dringend mehr Gemeinsamkeit und
        mehr Demokratie braucht, führt der Pakt auf den grund-
        falschen Weg fort von den Gemeinschaftsinstitutionen,
        weg vom Europäischen Parlament. Dieses hat im Rah-
        men des intergouvernementalen Fiskalpakts keine Betei-
        ligungs- und Kontrollrechte. Die im Fiskalpakt nicht zu-
        letzt auf Drängen des Europaparlaments aufgegriffene
        Zielstellung, das Recht des Fiskalpakts binnen fünf Jah-
        ren in das EU-Recht zu integrieren, ist wenig mehr als
        eine unverbindliche Absichtserklärung. Man kann auch
        sagen: Es ist weiße Salbe. Denn ohne Mitwirkung des
        Vereinigten Königreiches wird das nicht gehen. Damit
        droht der Fiskalpakt aber zum Parallelrecht auf Dauer zu
        werden. Europarechtlich ist der Fiskalpakt ein Rück-
        schritt, ein Rückfall in die Zeit des Intergouvernementa-
        lismus und eine Blockade gegen mehr supranationale
        Demokratie.
        Die Demokratie ist in den Staaten der Europäischen
        Union seit langem verankert, aber jahrelange Massenar-
        beitslosigkeit hat bereits das Erstarken rassistischer, so-
        gar faschistischer Kräfte in mehreren Ländern der EU
        begünstigt. Zweifellos sind Reformen in den Wirt-
        schaftssystemen und Arbeitsmärkten vieler EU-Mit-
        gliedstaaten notwendig. Zu Recht erwarten die betroffe-
        nen Menschen aber, dass dies mit der nötigen
        demokratischen Mitbestimmung und Legitimität sowie
        einem gerechten sozialen Ausgleich passiert. Die Inter-
        nationale Arbeitsorganisation warnt, dass ohne einen
        dramatischen Politikwechsel die Arbeitslosigkeit, insbe-
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22791
        (A) (C)
        (D)(B)
        sondere auch für Jugendliche, vor 2016 nicht absinken
        wird. Der Fiskalpakt enthält weder die nötige antizykli-
        sche Flexibilität noch jeglichen sozialen Ausgleich mit
        einer gerechten Steuerpolitik, um ein prognostiziertes
        verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen in vielen
        Staaten Europas zu verhindern. Er schränkt Demokratie
        weiter ein, statt sie auszuweiten.
        Um einen deutlichen Politikwechsel einzuleiten, wä-
        ren wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zins-
        drucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen
        Altschuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständi-
        genrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine
        echte Bankenunion mit einer europäischen Aufsicht,
        einem Restrukturierungsregime und einer Einlagen-
        sicherung sowie durch ein sozial-ökologisches Investi-
        tionsprogramm in einer Höhe, die mindestens den Haus-
        haltskürzungen in den von Rezession betroffenen
        Staaten entspricht. Außerdem brauchen wir europaweite
        Vermögensabgaben und eine Korrektur der strukturellen
        Unterfinanzierung der Staaten in Europa.
        Diesen Politikwechsel wird es mit dem Fiskalpakt,
        auch nach den grünen Verhandlungserfolgen, leider
        nicht geben.
        In den Verhandlungen mit der Bundesregierung ist es
        gelungen, konkrete Schritte für die Einführung einer Fi-
        nanztransaktionsteuer verbindlich zu vereinbaren. Hier
        konnten wir also eine Richtungsveränderung durchset-
        zen, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Die Finanz-
        transaktionsteuer soll noch in diesem Jahr im Wege der
        Methode der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in den ers-
        ten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden.
        Außerdem wurde als Verhandlungsergebnis zwischen
        Opposition und Regierung über eine Ergänzung des Fis-
        kalpakts mit weiteren Maßnahmen vor diesem Hinter-
        grund ein sogenanntes Wachstumsprogramm beschlos-
        sen. Die Umwidmung von Strukturfondsmitteln führt
        jedoch zu keinen zusätzlichen Investitionen; denn diese
        Mittel sind in voller Höhe bereits Teil der bestehenden
        Konjunkturschätzungen der mehrjährigen Finanzpla-
        nung der Bundesregierung. Der Kommissionsvorschlag
        einer Connecting Europe Faszilität mit 50 Milliarden
        Euro wird von der Bundesregierung zwar nicht als sol-
        che abgelehnt. Die Bundesregierung fordert aber weiter-
        hin in den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrah-
        men der EU statt einer Ausweitung eine Kürzung um
        rund 100 Milliarden Euro. Übrig bleibt die beabsichtigte
        Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank und
        ein eng begrenzter Pilotversuch von Projektanleihen. Bei
        einem Multiplikator von circa zwei ergibt dies einen Im-
        puls von rund 125 Milliarden Euro bzw. 1,3 Prozent des
        EU-Bruttoinlandsprodukts, der sich aber über wenigs-
        tens vier Jahre verteilt und pro Jahr eine konjunkturelle
        Wirkung von weit weniger als einem Prozentpunkt er-
        reicht. Dies ist zu wenig, um die Kürzungen in den euro-
        päischen Krisenstaaten ausgleichen zu können. Histori-
        sche Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Kürzungen
        so groß sind, dass die negativen Auswirkungen das Defi-
        zit der Länder tatsächlich sogar vergrößern und ein ange-
        messeneres Tempo der Sparprogramme sogar zur Be-
        schleunigung des Schuldenabbaus beitragen könnte.
        Die bisher bekannten Ergebnisse des Europäischen
        Rates vom 28./29. Juni bremsen die Krise wahrschein-
        lich für eine kurze Atempause, lassen aber leider vermu-
        ten, dass auch auf europäischer Ebene die Defizite des
        Fiskalpakts nicht ausgeglichen wurden. Angela Merkel
        hat sich über ihre selbst beschriebenen Grenzen hinaus
        auf von uns geforderte Fortschritte eingelassen: eine teil-
        weise Vereinheitlichung der Bankenaufsicht bei der Eu-
        ropäischen Zentralbank, die direkte Rekapitalisierung
        von Banken durch den Europäischen Stabilitätsmecha-
        nismus und die flexiblere Nutzung seiner Instrumente.
        An wichtigen Stellen hat Merkel aber konsequentere
        Fortschritte verhindert: Um ein wirklich gemeinsames
        Vorgehen zu vermeiden, war die Bundesregierung bereit
        zu einer Lösung, die auch große Kapitalgeber von Ban-
        ken von jeder Haftung ausnehmen wird, wenn der ESM
        Banken direkte Hilfe zukommen lässt. Die Übernahme
        der Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank
        erfolgt wohl unvollständig nicht für alle grenzüber-
        schreitend tätigen Institute, sondern für eine politisch ge-
        kürzte Liste an Instituten. Auch hier fordern wir weiter-
        hin eine stringent europäische Lösung, bei der die
        Abwicklung von Banken, die Einlagensicherung und die
        Aufsicht auf der gleichen, nämlich der Ebene der EU als
        echte Bankenunion zusammengeführt werden sollte. Es
        fehlt weiterhin an fast jeglicher parlamentarischer Mit-
        wirkung und Kontrolle über das Abnicken vorher getrof-
        fener Vereinbarungen hinaus. In diesem Mangel an Be-
        reitschaft zu gemeinsamen europäischen Lösungen, an
        diesen nationalen Vorbehalten sehen wir die falsche Lo-
        gik des Fiskalpakts erneut auftauchen.
        Wir haben als Partei gemeinsam die Ergebnisse dieser
        Verhandlungen auf dem Länderrat am 24. Juni in Berlin
        kontrovers diskutiert. Eine Mehrheit des Länderrats hat
        nach einer kontroversen Debatte eine Zustimmung zum
        Fiskalpakt empfohlen. Dieses Votum des Länderrats ha-
        ben wir bei der Entscheidungsfindung für das heutige
        Abstimmungsverhalten intensiv mit einbezogen. Aber
        auch nach zwei Jahren Euro-Krise ist nach den intensi-
        ven Verhandlungen in Deutschland zum Fiskalpakt und
        nach dem Europäischen Rat am 28./29. Juni immer noch
        keine dauerhafte und stabile Lösung der Krise erkenn-
        bar. Der Fiskalpakt bleibt für uns immer noch als Instru-
        ment zur Bekämpfung der Krise der grundsätzlich fal-
        sche Ansatz. Ohne eine Minderung des Zinsdrucks und
        eine Korrektur des strukturellen Einnahmeproblems
        wird eine weitere Kaputtsparpolitik in Europa die Krise
        weiter verschärfen und zu einem weiteren Abbau des So-
        zialstaats führen. Außerdem ist der Fiskalpakt ein Rück-
        schritt für die europäische Demokratie. Die Situation für
        den Euro und Europa in dieser dramatischen Krise ist
        sehr ernst. Wir tragen als Abgeordnete im Deutschen
        Bundestag eine Verantwortung für Europa. Wir können
        deshalb diesem Fiskalpakt nicht zustimmen und werden
        uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten.
        Anlage 8
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Maria
        Klein-Schmeink und Sylvia Kotting-Uhl (alle
        BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        22792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Die Analyse, die dem von der Bundesregierung aus-
        gehandelten Fiskalpakt zugrunde liegt, ist irreführend.
        Europa leidet nicht an einer durch staatliche Ausgaben-
        wut entstandenen Krise. Kann man beim Fall Griechen-
        land noch davon reden, dass die Klientelwirtschaft von
        Eliten auf Kosten des Staates einen wichtigen Anteil an
        der desolaten Haushaltslage hat, so ist diese verengte
        Analyse schon hier nicht ausreichend, um die Lage des
        Landes zu erklären. Mit Bezug auf Spanien, Portugal
        oder Italien ist sie einfach falsch. Es war vor allem die
        Finanzkrise, die dazu führte, dass viele Staaten die
        Schulden ihres Finanzsektors übernehmen mussten, um
        diesen vor dem Kollaps zu bewahren. Hinzu kommen
        die Schwäche des europäischen Bankensystems, die
        massive Überschuldung privater Haushalte wie in Spa-
        nien, Immobilienblasen wie auch in den Niederlanden
        und massive ökonomischen Ungleichgewichte in der
        Euro-Zone sowie die dramatische Ungleichverteilung
        von Vermögen, zu denen auch die Politik der Maximie-
        rung von Exportüberschüssen, gerade auch in Deutsch-
        land, beigetragen hat. Dies zu korrigieren, müsste ei-
        gentlich im Vordergrund politischen Handelns stehen.
        Die Demokratie ist in den Staaten der Europäischen
        Union heute fest verankert, aber jahrelange Massen-
        arbeitslosigkeit hat bereits zum Erstarken rechtsextre-
        mer, sogar faschistischer Kräfte in mehreren Ländern der
        EU geführt. Zweifellos sind Reformen in den Wirt-
        schaftssystemen und Arbeitsmärkten vieler EU-Mit-
        gliedstaaten notwendig. Zu Recht erwarten die betroffe-
        nen Menschen aber, dass dies mit der nötigen
        demokratischen Mitbestimmung und Legitimität sowie
        einem gerechten sozialen Ausgleich passiert. Der Fiskal-
        pakt enthält weder die nötige antizyklische Flexibilität
        noch jeglichen sozialen Ausgleich, um ein prognostizier-
        tes „verlorenes Jahrzehnt für Millionen Menschen“ in
        vielen Staaten Europas zu verhindern. Er schränkt De-
        mokratie weiter ein, statt sie auszuweiten.
        Die Internationale Arbeitsorganisation warnt, dass
        ohne einen „dramatischen Politikwechsel“ die Arbeits-
        losigkeit, insbesondere auch für Jugendliche, vor 2016
        nicht absinken wird. Massenarbeitslosigkeit in diesem
        Ausmaß ist nicht nur für die Millionen betroffener Men-
        schen unmittelbar schwierig, zu ertragen, sondern kann
        große Teile einer Generation dauerhaft von einer aktiven
        Rolle in der Gesellschaft entfremden und zu entspre-
        chenden bleibenden Schäden auch in der politischen
        Kultur führen. Auch ökonomisch und haushälterisch
        kann dies zu einer Belastung weit über den Zeitraum der
        akuten Rezession hinaus führen, well eine verfestigte
        Entfremdung vom Arbeitsmarkt nicht einfach rückgän-
        gig zu machen ist.
        Um einen deutlichen Politikwechsel einzuleiten, wä-
        ren wirksame Maßnahmen zur Linderung des Zins-
        drucks auf Krisenstaaten nötig, vor allem durch einen
        Altschulden-Tilgungsfonds, wie ihn der Sachverständi-
        genrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine
        Bankenunion sowie durch ein sozial-ökologisches Inves-
        titionsprogramm in einer Höhe, die den Kürzungen in
        den von Rezession betroffenen Staaten entspricht.
        Auf dem Europäischen Rat wurden nun kurzfristige
        Maßnahmen zur Linderung des Zinsdrucks bei Spanien
        und Italien vereinbart. Sie bedeuten für Spanien, dass die
        Bankenrettung – anders als bisher geplant – nicht über
        eine zusätzliche Schuldenbelastung für Spanien, sondern
        über direkte Hilfen aus dem ESM organisiert werden
        soll. Das löst für Spanien, nicht aber für andere Staaten,
        das Problem der gegenseitigen Verstärkung von Banken-
        krise und Staatsschuldenkrise. Außerdem sollen italieni-
        sche Staatsanleihen aufgekauft werden. Das kann den
        Zinsdruck mildern, löst aber das grundsätzliche Problem
        nicht, dass Italien in den nächsten Jahren immer wieder
        einer neuen Welle von Investorenmisstrauen gegenüber-
        stehen kann, die das Land in Schwierigkeiten bringen.
        Als Verhandlungsergebnis zwischen Opposition und
        Regierung über eine Ergänzung des Fiskalpaktes mit
        weiteren Maßnahmen wurde vor diesem Hintergrund ein
        „Wachstumspaket“ beschlossen. Beim Großteil der ver-
        einbarten Maßnahmen handelt es sich nicht um zusätzli-
        che Mittel, sondern lediglich um Umschichtungen und
        bestenfalls einen Vorzieheffekt. Andere Maßnahmen wie
        die Aufstockung der Mittel der Europäischen Investi-
        tionsbank setzen darauf, einen Anreiz für private Investi-
        tionen zu schaffen. Solange aber in den Krisenländern
        die Unsicherheit über einen Fortbestand des Euro weiter-
        besteht und die Länder bereits In der Rezession sind,
        wird es dort nicht zu zusätzlichen privaten Investitionen
        kommen.
        In den Verhandlungen mit der Bundesregierung ist es
        gelungen, konkrete Schritte für die Einführung einer Fi-
        nanztransaktionsteuer verbindlich zu vereinbaren. Hier
        konnten wir also eine Richtungsveränderung durchset-
        zen, die es ohne uns nicht gegeben hätte. Die Finanz-
        transaktionsteuer, FTT, soll noch in diesem Jahr im
        Wege der Methode der „Verstärkten Zusammenarbeit“ in
        den ersten EU-Staaten auf den Weg gebracht werden.
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22793
        (A) (C)
        (D)(B)
        Damit gelingt es nach vielen Jahren politischen Drucks
        aus Zivilgesellschaft und Parlamenten, eine relevante
        Besteuerung des Finanzsektors voranzubringen. Gleich-
        zeitig wird damit sichergestellt, dass ein Teil des Konso-
        lidierungsbedarfs, den der Fiskalpakt erzwingt, durch
        neue Einnahmen erreicht werden kann. Das mildert die
        zu befürchtende einseitige Wirkung des Fiskalpakts.
        Diese Veränderungen waren nur möglich um den
        Preis einer Zustimmung zum Fiskalpakt. Auf diesen
        Weg haben wir uns als Partei und Fraktion eingelassen.
        Vor diesem Hintergrund habe ich dem Fiskalpakt zuge-
        stimmt.
        Was jetzt notwendig ist, sind weitere Maßnahmen, die
        dafür sorgen, dass der Fiskalpakt seine potenziell schad-
        haften Wirkungen nicht entfalten kann. Grundsätzlich ist
        die ökonomisch verträgliche Rückführung staatlicher
        Defizite sinnvoll, denn Staatsverschuldung ist immer
        auch ein Verteilungsproblem: Einfache Arbeitnehmer fi-
        nanzieren über ihre Steuern die Zinszahlungen des Staa-
        tes mit, während Gutverdiener mit einer Anlage in
        Staatsanleihen noch Geld verdienen können. Aber eine
        ökonomisch vernünftige Schuldenbremse braucht Rah-
        menbedingungen, die für eine Linderung des Zinsdrucks
        der Altschulden sorgen. Sie muss insofern einhaltbar sein,
        dass Anpassungsdruck nicht nur auf der Ausgaben-, son-
        dern auch auf der Einnahmeseite entsteht, und sie muss
        flexibel in Bezug auf Investitionen und wirtschaftliche
        Schwächephasen sein. Diese Bedingungen erfüllt der
        Fiskalpakt gegenwärtig noch nicht. Sie müssen jetzt als
        Nächstes durchgesetzt werden.
        Anlage 9
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten
        Dr. Anton Hofreiter, Ulrich Schneider, Beate
        Walter-Rosenheimer (alle BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN):
        zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen
        Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Der Fiskalpakt – eigentlich: Vertrag über Stabilität,
        Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und
        Währungsunion – ist zu Recht umstritten. Man kann mit
        guten Gründen gegen oder für den Vertrag sein, wie auch
        das knappe Votum des Sonderländerrats der Grünen ge-
        zeigt hat. In so einer Entscheidungssituation haben wir
        als Abgeordnete nur die Wahl zwischen Zustimmung,
        Ablehnung oder Enthaltung. Wir können den Vertrag
        nicht ändern oder ergänzen oder eine ganz andere Lö-
        sung fordern, sondern müssen abwägen, ob der Vertrag
        mehr Nutzen oder mehr Schaden bewirkt. Der Fiskal-
        pakt ist bei weitem nicht ideal: Er liefert weder eine
        kurzfristige Lösung gegen den Zinsdruck noch geht er
        die eigentlichen Ursachen der Banken- und Finanzkrise
        an, sondern er zielt allein auf die Staatsschuldenkrise.
        Dennoch stimmen wir mit Ja. Warum? Dazu ließe sich
        viel sagen, wir möchten hier nur auf einige Hauptaspekte
        eingehen, die gegen den Fiskalpakt vorgebracht werden.
        Der Fiskalpakt schränkt die Autonomie der demokra-
        tisch gewählten Parlamente über das Budgetrecht ein.
        Das stimmt – aber nur, solange der Schuldenstand der
        öffentlichen Haushalte über 60 Prozent des BIP liegt.
        Seit den 70er-Jahren ist der Schuldenstand immer weiter
        gewachsen. Offenbar sind die Parteienwettbewerbs-
        demokratien kaum in der Lage, eine nachhaltige Haus-
        haltspolitik zu machen. Man kann sagen, dass der Fiskal-
        pakt eine Bindung der Parlamente ist, die – ähnlich wie
        die politische Unabhängigkeit der Notenbank in der
        Geldpolitik – den Regierungen und ihren Parlaments-
        mehrheiten die Freiheit entzieht, eine Politik auf Pump
        zu machen. Das Problem ist, dass die Phase, in der daran
        gearbeitet wird, von den gegenwärtigen Schulden herun-
        terzukommen, hart wird und sehr lange dauern wird.
        Ein weiteres Problem ist der Entscheidungsmechanis-
        mus des Fiskalpakts. Dieser ist intergovernmental. Dies
        bedeutet, dass nur die Regierungschefs beschließen.
        Dies ist im Kern der gleiche Mechanismus wie im Bun-
        desrat in Deutschland. Beides ist problematisch, denn es
        handelt sich um Exekutivdemokratie. Die Parlamente
        entscheiden nur mittelbar durch Wahl und Kontrolle der
        Regierung und nicht direkt, aber es ist nicht per se un-
        demokratisch.
        Es schließt sich die Frage an, ob der Fiskalpakt unso-
        zial ist. Der Fiskalpakt ist dann unsozial, wenn ein aus-
        geglichener Haushalt nur über Ausgabenkürzungen und
        Sozialabbau erreicht wird. Viele befürchten, dass dies
        eine automatische Folge des Fiskalpakts ist, weil Ein-
        nahmeerhöhungen sich nicht durchsetzen ließen und der
        Fiskalpakt hierzu keine Pflichten auferlege. Für uns gilt,
        dass die Vermögenden einen wesentlichen Beitrag leis-
        ten müssen und wir uns immer für solide Haushaltspoli-
        tik ohne Sozialabbau einsetzen werden. Staatsschulden
        sind Ausdruck der politischen Feigheit, die erforder-
        lichen Finanzmittel durch ausreichende Besteuerung ein-
        zuholen. Staatsschulden sind außerdem die ungerech-
        22794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        teste Art, den Staat zu finanzieren, denn Zins und
        Zinseszins zahlen alle Bürgerinnen und Bürger und
        künftige Generationen, und zwar an die Vermögenden,
        die dem Staat das Geld leihen.
        Nicht zuletzt können wir dem Fiskalpakt zustimmen,
        weil die Grünen in den Verhandlungen mit der Bundes-
        regierung einiges erreicht haben, vor allem ein seit Jah-
        ren verfolgtes Ziel, nämlich den Einstieg in die Einfüh-
        rung der Finanztransaktionsteuer. Selbst unter Rot-Grün
        in der Ära Schröder wurden die grünen Vorstöße als un-
        realistisch abgetan.
        Natürlich reicht dies alles nicht aus, um die Banken-
        und Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Die starke
        Zunahme der Staatsschulden ist nicht die Ursache der
        seit 2008 herrschenden Krise, sondern in den meisten
        Ländern eine Folge davon. Zum Beispiel hatte Irland vor
        der Krise 2007 eine Verschuldung von 24,83 Prozent des
        Bruttoinlandsprodukts und hat momentan, durch den Zu-
        sammenbruch seines Bankensystems bedingt, eine Ver-
        schuldung von 113,13 Prozent. In Spanien lag die Ver-
        schuldung 2007 bei 36,30 Prozent. Die Verschuldung ist
        dort nicht ganz so schnell gestiegen wie die Irlands, da
        die Banken Spaniens erst in diesen Jahr am zusammen-
        brechen sind. Die Verschuldung beträgt im Moment
        circa 79 Prozent. Aber auch Länder wie Portugal hatten
        vor der Banken- und Finanzkrise eine Verschuldung, die
        sich kaum von der Deutschlands unterschied. Im Falle
        Portugals waren es im Jahr 2007 68 Prozent, und jetzt
        sind es 112 Prozent. In Deutschland hat sich der Schul-
        denstand von 65 Prozent im Jahre 2007 auf 80 Prozent in
        2012 erhöht.
        Die Regierung Merkel bekämpft mit der Schulden-
        krise nicht die Ursache der Krise, sondern deren Folgen.
        Sie sorgt nicht für eine Regulierung der Finanzmärkte
        und eine Beschränkung der Bankenmacht. Dies tut sie,
        weil sie aus ideologischen Gründen und aus Feigheit vor
        der Macht der Finanzmärkte lieber die Schuld populis-
        tisch zum Beispiel auf die Rentner in Griechenland
        schiebt. Griechenland hat einen Anteil von circa 2 Pro-
        zent am gesamten Bruttoinlandsprodukt der EU. Die Be-
        hauptung, dass die Menschen in Griechenland den Euro
        in die Pleite führen könnten, ist genauso wenig logisch,
        wie die Behauptung, eine mittelgroße Stadt wie Bremen,
        Nürnberg oder Essen könnte Deutschland in die Pleite
        führen. Nein! Frau Merkel will von ihrem Versagen und
        dem der anderen Regierungschefs der EU ablenken, die
        Banken und die Finanzmärkte zu regulieren.
        Als dringlichste Maßnahme ist es jetzt notwendig, die
        Staaten vom hohen Zinsdruck zu entlasten. Dies kann
        über unterschiedliche Wege geschehen, zum Beispiel
        über Euro-Bonds, eine Banklizenz für den ESM oder
        über Interventionen der Zentralbank am Sekundärmarkt
        für Staatsanleihen. Frau Merkel blockiert alle diese Aus-
        wege. Die Folge ist: Die Staaten und damit die Bürger
        dieser Staaten müssen immer höhere Zinsen für die alten
        Schulden bezahlen. Diese hohen Zinsen führen zu Ge-
        winnen für die Akteure an den Finanzmärkten, zum Bei-
        spiel die Banken. Ein erheblicher Teil der Schulden ist
        aber erst durch die Rettung der Banken entstanden. Die
        deutsche Regierung zwingt mit ihrer Blockadehaltung
        die Bürger vieler Staaten und am Ende auch die deut-
        schen Bürger, gigantische Summen an die Banken zu be-
        zahlen – für Schulden die es nur gibt, weil die Banken
        gerettet wurden.
        Ein erster Einstieg, die Finanzmärkte an den von ih-
        nen verursachten Kosten der Krise zu beteiligen, ist die
        Finanzmarkttransaktionsteuer. Dies reicht nicht aus. Wir
        brauchen einen Abbau der Ungleichgewichte in der EU,
        wir müssen die Banken verkleinern und regulieren, wir
        müssen das EU-Parlament stärken und vieles Weitere.
        Aber es ist den Grünen gelungen, in schwierigen Ver-
        handlungen erste richtige Schritte zu erreichen. Deshalb
        stimmen wir dem Gesamtpaket, trotz aller berechtigten
        Bedenken, zu.
        Anlage 10
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko,
        Ulla Jelpke, Alexander Süßmair und Katrin
        Werner (alle DIE LINKE) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäi-
        schen Rates vom 25. März 2011 zur Ände-
        rung des Artikels 136 des Vertrags über die
        Arbeitsweise der Europäischen Union hin-
        sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für
        die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Der sogenannte Fiskalvertrag soll Anfang 2013 in
        Kraft treten und die Europäische Union, EU, angeblich
        in eine Stabilitätsunion verwandeln. Die Unterzeichner-
        staaten sollen durch den Vertrag auf den Kurs einer dau-
        erhaften Politik der Ausgabenkürzung und Austerität ge-
        bracht werden, indem sie sich dazu verpflichten,
        Schuldenbremsen – vorzugsweise in ihren Verfassun-
        gen – einzurichten und Staatsschulden über 60 Prozent
        des Bruttoinlandsprodukts, BIP, um jährlich 5 Prozent
        abzubauen.
        Ich lehne die Ratifizierung des Fiskalpakts aus den
        folgenden Gründen ab:
        Erstens. Der Fiskalpakt ist ein offener Angriff auf die
        Demokratie in Europa: Er hebelt das Haushaltsrecht des
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22795
        (A) (C)
        (D)(B)
        Bundestages und der anderen nationalen Parlamente fak-
        tisch aus. Einmal ratifiziert, kann ihn kein Land allein
        wieder aufkündigen. Der Fiskalpakt soll so den maßgeb-
        lich von der deutschen Bundesregierung forcierten Aus-
        teritätskurs unumkehrbar machen. Auch das Europäi-
        sche Parlament, EP, wird marginalisiert. Stattdessen
        sollen Kompetenzen auf nicht ausreichend demokratisch
        legitimierte Institutionen wie die EU-Kommission über-
        tragen werden.
        Zweitens. Der Fiskalpakt basiert auf einer falschen
        Analyse der aktuellen Krise des Euroraums: Diese geht
        nicht auf zu laxe Haushaltsführung und überhöhte Sozial-
        ausgaben zurück, sondern auf die fehlende Regulierung
        der Finanzmärkte, die Abhängigkeit der Staatsfinanzen
        von den Finanzmärkten, die Leistungsbilanzüberschüsse
        innerhalb des Euro-Raums und die Bankenrettungspakete
        im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007.
        Drittens. Der Fiskalpakt ist wirtschaftlich unsinnig:
        Die vermeintliche Lösung der Euro-Krise – strenge
        Haushaltsdisziplin und Ausgabenkürzungen – hat die
        Krise noch weiter vertieft. Das Beispiel Griechenland
        zeigt, dass das Spardiktat der Troika aus Internationalem
        Währungsfonds, lWF, Europäischer Zentralbank, EZB,
        und Europäischer Kommission die Krise verschlimmert
        hat. Diese fatale Politik soll nun im Fiskalpakt verewigt
        werden.
        Viertens. Der Fiskalpakt bedroht die Sozialstaatlich-
        keit in ganz Europa: Weil eine Beteiligung der Krisen-
        verursacher und -profiteure ausgeschlossen wird,
        werden die darin vereinbarten haushaltspolitischen Re-
        gelungen den Druck erhöhen, Sozialabbau, Privatisie-
        rungen und Abbau öffentlicher Leistungen zu verschär-
        fen.
        Anlage 11
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Frank Schäffler, Sylvia
        Canel und Dr. Lutz Knopek (alle FDP),
        Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (beide
        CDU/CSU) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Heute treffen wir eine Richtungsentscheidung. Es
        geht um die Frage, welche Gestalt das politische Europa
        annehmen soll. Es geht um die Frage seiner Organisation
        und die Frage, wo seine politischen Kompetenzen an-
        gesiedelt sein sollen. Es geht daher um die Frage, ob
        Europa zentral oder dezentral organisiert wird und auf
        welcher Ebene sein Kern der Staatlichkeit liegt. Genau
        diese Entscheidung trifft heute das Parlament. Das ist
        nicht zulässig, denn die Verlagerung des Kerns demokra-
        tischer Staatlichkeit lässt das geltende Grundgesetz nicht
        zu. Man kann nicht einmal das Grundgesetz dahin ge-
        hend ändern. Dennoch wird heute über die Überführung
        der Staatlichkeit an eine höhere Ebene entschieden.
        Diese höhere Ebene ist indes nicht die Europäische
        Union, sondern ein neuer Euro-Staat, der keine Vorbilder
        kennt.
        Über diesen Umstand spricht niemand, weil die Dis-
        kussion um die vorgebliche Rettung des Euro durch Fis-
        kalvertrag und ESM den Blick auf die wahre Bedeutung
        der heutigen Entscheidung im Plenum verstellt. Wir hal-
        ten dies für einen Fehler. Die Entscheidung über die Ver-
        schiebung der Staatlichkeit von Deutschland in den
        neuen Euro-Staat darf nicht unter dem Deckmantel von
        ESM und Fiskalvertrag gefällt werden. Sie muss viel-
        mehr als solche deutlich bezeichnet und mit mindestens
        gleicher rechtlicher Qualität wie die über den Vertrag
        von Lissabon getroffen werden.
        Die heutige Entscheidung ist daher ein absoluter
        Tiefpunkt in der Geschichte des Deutschen Bundesta-
        ges. Niemals zuvor wurde eine bedeutendere Entschei-
        dung unter so falschen Voraussetzungen getroffen. In
        unser Bewusstsein muss gerückt werden, dass der Deut-
        sche Bundestag mit der Zustimmung zum ESM auf sein
        Budgetrecht – das Königsrecht – bereitwillig verzichtet.
        Das Budgetrecht ist Königsrecht, weil ein Parlament
        ohne eine Letztentscheidungshoheit über Haushaltsmit-
        tel machtlos, also seiner eigentlichen Aufgabe beraubt
        ist. Eine Demokratie ist nicht denkbar ohne ein Parla-
        ment mit voller Budgethoheit. Aus diesem Grund
        schlussfolgert das Bundesverfassungsgericht aus Art. 38
        GG, dass der Bestimmungsgehalt des Demokratieprin-
        zips missachtet wird, wenn das parlamentarische
        Budgetrecht entleert wird.
        Indes führt der ESM aus sowohl rechtlichen wie öko-
        nomischen Gründen zu unabsehbaren und unbegrenzten
        finanziellen Verpflichtungen Deutschlands. Dadurch
        saugt er das Budgetrecht des Bundestages aus und hin-
        terlässt nicht mehr als dessen leere Hülle.
        Rechtliche Grenzen sind dem Zugriff des ESM auf
        den Bundeshaushalt nicht gesetzt; denn die haushalts-
        rechtliche Beschränkung auf 190 Milliarden Euro wirkt
        nicht. Nach dem Vertrag über den Europäischen Stabili-
        tätsmechanismus sind alle Entscheidungen seiner Gre-
        22796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        mien völkerrechtlich verbindlich, bis auf die Erhöhung
        des genehmigten Kapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV.
        Sie wird erst wirksam mit einer bundesgesetzlichen Er-
        mächtigung zur Bereitstellung neuer Mittel für den
        ESM. Doch diese einzige Vorkehrung gegen eine unge-
        wollte völkerrechtlich begründete Zahlungspflicht reicht
        nicht aus, wenn Deutschland auch auf andere Art und
        Weise zur Zahlung verpflichtet werden kann. Dies ist
        erstens der Fall beim Abruf genehmigten Kapitals zu
        einem höheren Ausgabepreis als zum Nennwert.
        Deutschland ist verpflichtet, jedem Abruf des genehmig-
        ten Kapitals nachzukommen, selbst wenn dieses mit
        einem Aufgeld auf den Nennwert, also zu einem höheren
        Ausgabepreis erfolgt. Dadurch entsteht eine völkerrecht-
        lich wirksame Zahlungspflicht, die Deutschland erfüllen
        muss, selbst wenn ihre Höhe die haushaltsrechtliche
        Vorsorge von 190 Milliarden Euro übersteigt. Dies ist
        zweitens der Fall, wenn ein erhöhter Kapitalabruf zur
        Verlustdeckung erfolgt, mit dem die Nichterfüllung der
        Zahlungspflicht eines anderen ESM-Mitglieds ausgegli-
        chen wird. Deutschland hat in diesen Fällen kein oder
        jedenfalls kein abschließendes Vetorecht, da einerseits
        Streitigkeiten über den Bestand von Zahlungspflichten
        in letzter Instanz vom EuGH entschieden werden und
        andererseits mit dem bestimmungsgemäßen Eintritt wei-
        terer Staaten zur Euro-Zone der deutsche Kapitalanteil
        am ESM absinken wird, wodurch sich die Sperrminorität
        in Luft auflöst.
        Ökonomisch bringt der ESM die Haftungsunion;
        denn jede Anleihe, die er auflegt, um damit die Schul-
        denstaaten zu finanzieren, ist ein Euro-Bond. Alle ESM-
        Mitglieder haften gemeinschaftlich mit dem Vermögen
        des ESM. Die Anleihen des ESM werden wegen der
        gemeinschaftlichen Haftung und größeren Sicherheit
        attraktiver sein als die Anleihen seiner Mitglieder. Die
        Nachfrage nach Staatsanleihen wird sinken, wodurch die
        von den Mitgliedstaaten geforderten Zinsen steigen wer-
        den. Das drängt weitere ESM-Mitglieder in Hilfspro-
        gramme des ESM. Die Darlehen, die der ESM an diese
        Schuldenländer vergibt, sind vorrangig gegenüber ande-
        ren Staatsschulden zu bedienen. Das verteuert die Kre-
        ditaufnahme für die Programmländer zusätzlich. Wenn
        ein ESM-Mitglied auch nur ein einziges Mal ein Darle-
        hen vom ESM bekommen hat, wird es sich nie mehr ei-
        genständig am Kapitalmarkt finanzieren können, weil
        seine Refinanzierung teurer und nicht billiger wird. An-
        dererseits bringen die Anpassungsprogramme des ESM
        geringere Sanierungsanreize als hohe Kapitalmarktzin-
        sen. Griechenland, Irland und Portugal liegen jeweils
        hinter den Zielen ihres Anpassungsprogramms zurück.
        Das ist kein unglücklicher Zufall, sondern das zu erwar-
        tende ökonomische Ergebnis, wenn ein Land sich nicht
        am Kapitalmarkt finanzieren muss. Der ESM wird sich
        daher stetig ausweiten, schon bald die Rolle einer euro-
        päischen Schuldenagentur einnehmen und größeren Ka-
        pitalbedarf haben. Der ESM ist kein Rettungsschirm,
        sondern ein Ansteckungsmechanismus.
        Nicht das Fehlen der politischen Union bei Gründung
        der Währungsunion war der Fehler, sondern der ab-
        sichtsvolle Verstoß gegen die Nichtbeistandsklausel im
        Jahr 2010. Dieser Rechtsbruch hat die aktuelle Krise ge-
        radezu ausgelöst. Mit dem ESM wird diese Krise nicht
        bekämpft, sondern die Saat gelegt, aus der die Schulden-
        und Transferunion heranwachsen wird. Die Haftungsge-
        meinschaft der ESM-Mitglieder ist nicht Zukunftsmusik,
        sondern Gegenwart; denn der ESM verfolgt ausweislich
        seines Vertragsstatuts nicht nur den Zweck, die Euro-
        Zone zu schützen, sondern auch die Finanzstabilität aller
        seiner Mitgliedstaaten. Der ESM wird dadurch die
        Staatsinsolvenz jedes einzelnen seiner Mitgliedstaaten
        verhindern und als gemeinsame Bank zur Staatsschul-
        denfinanzierung dienen. Dadurch werden Staatsinsol-
        venzen innerhalb der Euro-Zone faktisch unmöglich.
        Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nicht mehr bankrott
        gehen können, dann kann nur noch der neue Euro-Staat
        als Ganzes bankrott gehen. Es ist daher ökonomisch un-
        vermeidlich, dass es zu einer Sozialisierung sämtlicher
        Staatsschulden der ESM-Mitgliedstaaten kommen muss.
        Dieser Sozialisierung des Insolvenzrisikos steht keine
        adäquate Möglichkeit gegenüber, die Haushalte der Mit-
        gliedstaaten zu kontrollieren; denn der Fiskalvertrag ist
        ein zahnloser Tiger, der als Medizin gegen die geradezu
        widersinnige Anreizsituation herhalten soll, Schulden
        auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten zu machen.
        Doch diese Medizin wird sich als wirkungslos erweisen.
        Es gibt nur ein einziges Mittel, das Regierungen und
        Parlamente zu einem verhandlungsbewussten Umgang
        mit den Staatsfinanzen veranlasst, nämlich die Drohung
        des Kapitalmarkts, Schulden nicht länger zu finanzieren.
        Doch genau dieses disziplinierende Mittel haben wir
        plangemäß und absichtlich abgeschafft.
        Die heutige Gründung des Euro-Staats als Haftungs-
        union mit dem Euro-Bonds ausgebenden ESM als seiner
        Schuldenagentur lehnen wir ab. Dieser Euro-Staat ist
        nicht demokratisch legitimiert, er hat kein Parlament,
        und seine Organe sind weitgehend einer gerichtlichen
        Kontrolle entzogen. Sein Machtzentrum ist eine Finanz-
        institution, deren Gremien von Mitgliedern der natio-
        nalen Exekutiven besetzt werden. Sie müssen sich ge-
        genüber dem deutschen Gesetzgebungsorgan nicht
        verantworten. Nicht einmal der deutsche Gouverneur
        muss sich dem Bundestag gegenüber verantworten, weil
        das Kabinett nur der Bundeskanzlerin verantwortlich ist.
        Eine politische Verantwortlichkeit ist daher nicht gege-
        ben. Sie genießen überdies eine weitgehende und völker-
        rechtlich abgesicherte strafrechtliche Immunität. Der
        ESM ist ausführendes Organ des neuen Euro-Staats,
        ähnelt in seiner Ausgestaltung aber einer herkömmlichen
        Bank. Seine Organe unterliegen einer Schweigepflicht,
        sein Archiv ist unverletzlich. In der Wirkung ist der
        ESM somit durch das Bankgeheimnis geschützt, wel-
        ches wir für alle anderen europäischen Banken abge-
        schafft haben. Der ESM darf nicht nur Kredite vergeben
        und Staatsanleihen aufkaufen, sondern alle Geschäfte in
        Bezug auf Anleihen durchführen. Damit kann er den
        Zins durch Geschäfte mit Derivaten auf Staatsanleihen
        beliebig manipulieren. Aufgekaufte Staatsanleihen darf
        er wiederum als Sicherheit hinterlegen, um sein Volu-
        men durch die Aufnahme weiterer Gelder am Kapital-
        markt zu hebeln. Seine Bediensteten zahlen keine Steu-
        ern. Sie dürfen nach Handelserfolg bezahlt werden, also
        umso höher, je größere Gewinne sie für den ESM am
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22797
        (A) (C)
        (D)(B)
        Kapitalmarkt erzielen. Keines der vom ESM und seinen
        Bediensteten durchgeführten Geschäfte ist transparent
        oder in irgendeiner Weise kontrollierbar, sei es durch das
        Parlament oder die Justiz.
        Diese enorme Machtfülle eines Exekutivorgans ohne
        „checks and balances“ ist ein Rückfall in eine vormo-
        derne Staatsform. Sie ist ein veritabler Verstoß gegen die
        hergebrachten Grundsätze der Gewaltenteilung, die
        maßgebliches Kennzeichen unserer freiheitlich-demo-
        kratischen Grundordnung sind. Wir kennen keine Um-
        stände, unter denen wir davon auch nur ein Jota abwei-
        chen dürften. Selbst in der Not gelten Gebote! Sogar und
        gerade in der Not müssen Gebote gelten; denn sie sollen
        genau in diesen schlechten Zeiten Orientierung geben. In
        der Krise unserer Währung darf nichts anderes gelten.
        Wenn die Ordnungsregeln der Währung gebrochen wer-
        den, dann bricht die Währung. Wir müssen daher ab-
        schließend festhalten: Wenn Währung, Recht und frei-
        heitlich-demokratische Grundordnung durch politisches
        Handeln gefährdet werden, dann ist dieses Handeln
        falsch.
        Anlage 12
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Werner Schieder (Weiden),
        Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Gabriele
        Hiller-Ohm, Daniela Kolbe (Leipzig), Hilde
        Mattheis, Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und
        Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Wir lehnen den Fiskalpakt ab, weil er politisch falsch,
        ökonomisch unsinnig und sozial ungerecht ist – und weil
        er zur Lösung der Euro-Krise nicht taugt. Wir nehmen
        die eindringlichen Warnungen vieler Ökonomen und
        führender Gewerkschafter, die sich besorgt an uns Bun-
        destagsabgeordnete gewandt haben, ebenso ernst wie
        diesbezügliche Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern.
        Deshalb stimmen wir beim Fiskalpakt mit Nein.
        Der Fiskalpakt verschärft deutlich die schon im
        Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und ist deswe-
        gen ein problematischer Eingriff in die Haushaltsautono-
        mie von Bund und Ländern. Er bedeutet einen weiteren
        Schritt der Entdemokratisierung Europas: mehr Macht
        für die EU-Bürokratie ohne parlamentarische Gegenkon-
        trolle. Wir plädieren ausdrücklich für ein Europa der So-
        lidarität und für vertiefte Zusammenarbeit – die demo-
        kratisch und parlamentarisch legitimiert sein muss.
        Mit dem Fiskalpakt wird der Zwang zu Ausgabenkür-
        zungen in fast ganz Europa regelrecht institutionalisiert,
        die Frage gerecht organisierter Steuereinnahmen bleibt
        völlig ausgeklammert. Auch wir treten dafür ein, dass
        öffentliche Haushalte konsolidiert und zu hohe Staats-
        schuldenquoten wieder zurückgeführt werden. Ohne
        Wachstum geht das aber nicht. Der Fiskalpakt jedoch
        ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsfinanzen
        und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der
        Staat auch noch drastisch kürzt, dann beschleunigt sich
        die wirtschaftliche Talfahrt. Unsere feste Überzeugung
        ist: Prozyklische Haushaltspolitik und anhaltende Aus-
        gabensenkungen führen Europa geradewegs in eine
        lange Phase von Stagnation und Rezession. Der Fiskal-
        pakt ist eine Wachstumsbremse! Entgegen den Erwar-
        tungen der Verfechter des Fiskalpakts wird die Staatsver-
        schuldung nicht sinken. Kurzum: Schuldenabbau geht
        nur anders, mit Wachstum, Investitionen, guter Arbeit
        und gerechten Steuern.
        Stattdessen wird mit dem Fiskalpakt ein Weg des So-
        zialabbaus, der Einschränkung öffentlicher Dienstleis-
        tungen, schlechterer Infrastruktur, darbender Kommu-
        nalfinanzen, zunehmender Armut und Ungleichheit
        vorgezeichnet. Und das als Kernstück europäischer Poli-
        tik! Unsere Vorstellung von Europa ist eine andere.
        Die Krise im Euroraum spitzt sich gefährlich zu. Er-
        sichtlich ist die Merkelsche Politik gescheitert. Ihre seit
        mehr als zwei Jahren verordnete Therapie macht den Pa-
        tienten nicht gesund, sondern kränker. Ganz Südeuropa
        stürzt immer mehr in den wirtschaftlichen und sozialen
        Ruin. Als Folge davon brechen jetzt deutsche Exporte
        ein, auch für Deutschland kommen die Einschläge näher.
        Falsche Diagnosen haben zu schädlichen Rezepten
        geführt. Nicht laxe Haushaltspolitik hat uns in die Krise
        getrieben; vor der Finanzkrise sind überall in Europa die
        Staatsschuldenquoten gesunken. Erst infolge der Finanz-
        krise und der notwendigen Rettungsmaßnehmen der
        Staaten gingen die Defizite in die Höhe. Dass die Anle-
        ger Staatsanleihen nicht mehr trauen, liegt nicht an unso-
        lider Haushaltspolitik, sondern daran, dass die gemein-
        same Garantie der Staatsanleihen – zusammen mit der
        Zentralbank, wie das in allen Ländern der Fall ist (!) –
        ausdrücklich politisch verweigert wird. Das muss sich
        dringend ändern, und das fordern wir.
        Die Währungsunion braucht eine Wachstumsperspek-
        tive. Das wird zunehmend erkannt. Doch Wachstumspla-
        cebos, die mit künstlich aufgeblähten Zahlen kommuni-
        ziert werden, überzeugen uns nicht. Wer Wachstum will,
        22798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        muss die völlig überzogenen und deswegen kontrapro-
        duktiven Konsolidierungsprogramme für die Südeuro-
        päer zeitlich strecken, damit die Ökonomien dort wieder
        atmen können. Wer Wachstum will, muss – gerade weil
        auch Deutschland mit Niedriglohnpolitik zu erheblichen
        Ungleichgewichten in der Währungsunion beigetragen
        hat – in Deutschland dafür sorgen, dass es ordentliche
        Löhne und mehr Binnennachfrage gibt. Genau dafür tre-
        ten wir ein.
        Anlage 13
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Alexander Süßmair und
        Katrin Werner (beide DIE LINKE)
        zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM,
        wollen 17 Länder der Euro-Zone eine neue Finanzinstitu-
        tion gründen, die Staaten und Banken in finanziellen
        Notsituationen mit Milliardenkrediten helfen soll. Er soll
        eine Ausleihkapazität von 500 Milliarden Euro bekom-
        men, während sich die Unterzeichner für insgesamt
        700 Milliarden Euro haftbar machen. Der deutsche An-
        teil beläuft sich auf 21,7 Milliarden Euro, die binnen
        fünf Jahren eingezahlt werden müssen, und 168,3 Mil-
        liarden Euro, für die Deutschland haftet. Ich lehne den
        ESM aus den folgenden Gründen ab:
        Erstens. Die Risiken, die den Steuerzahlerinnen und
        Steuerzahlern durch den ESM aufgebürdet werden, sind
        gigantisch: Der Anteil des deutschen Haftungsanteils in
        Höhe von insgesamt 190 Milliarden Euro entspricht
        etwa zwei Dritteln des Bundeshaushalts. Das Stamm-
        kapital von anfänglich 700 Milliarden Euro kann darüber
        hinaus jederzeit durch einen Beschluss des Gouverneurs-
        rats und die Zustimmung der Mitgliedsländer ausgewei-
        tet werden.
        Zweitens. Die sogenannten Hilfsgelder, die der ESM
        in Zukunft auszahlen soll, kommen nicht der Bevölke-
        rung zugute, sondern werden für Zins- und Tilgungszah-
        lungen der Staaten an Banken und andere Gläubiger auf-
        gewendet werden. An keiner Stelle sind in dem Vertrag
        Klauseln vorgesehen, die die Empfänger der Hilfsgelder
        dazu verpflichten, soziale Standards einzuhalten. Der
        ESM ist also ein weiteres Instrument zur Rettung von
        Banken und der Vermögen von Superreichen – und nicht
        zur Unterstützung der Menschen.
        Drittens. Beantragt ein Land Gelder aus dem ESM, so
        muss es den undemokratischen und unsozialen Fiskal-
        pakt ratifiziert haben und sich zu rigiden Auflagen ver-
        pflichten, die von der EU-Kommission, der Europäi-
        schen Zentralbank, EZB, und nach Möglichkeit dem
        Internationalen Währungsfonds, IWF, diktiert werden,
        Art. 13.3. Die dramatischen Folgen dieses Spardiktats
        können wir aktuell In Griechenland beobachten.
        Viertens. Beim ESM ist praktisch keine parlamenta-
        rische Kontrolle vorgesehen. Während in dem Vertrag
        explizit begrüßt wird, Vertreterinnen und Vertreter des
        IWF einzuladen, werden Vertreterinnen und Vertreter
        der Parlamente ausgeschlossen. Die Entscheidungen des
        ESM werden durch den Gouverneursrat, also allein
        durch die Exekutive, getroffen, eine effektive parlamen-
        tarische Kontrolle ist dadurch unmöglich.
        Fünftens. Dem ESM wird volle Immunität gegenüber
        Gerichten und Parlamenten zugesichert, während alle
        Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweigepflicht
        unterliegen. Dadurch wird eine öffentliche Kontrolle der
        Entscheidungen des ESM verunmöglicht.
        Sechstens. Genauso wie im Fiskalpakt, ist im ESM-
        Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit für einzelne Ver-
        tragspartner vorgesehen. Dem ESM soll damit ebenfalls
        eine Ewigkeitsgarantie gegeben werden, die demokra-
        tischen Grundsätzen Hohn spricht.
        Anlage 14
        Erklärung nach § 31 GO
        der Abgeordneten Inge Höger, Andrej Hunko,
        Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zu:
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März
        2012 über Stabilität, Koordinierung und
        Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
        rungsunion
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Fe-
        bruar 2012 zur Einrichtung des Europäi-
        schen Stabilitätsmechanismus
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22799
        (A) (C)
        (D)(B)
        am Europäischen Stabilitätsmechanismus
        (ESM-Finanzierungsgesetz – ESMFinG)
        – namentliche Abstimmung über den Entwurf
        eines Gesetzes zu dem Beschluss des Euro-
        päischen Rates vom 25. März 2011 zur Än-
        derung des Artikels 136 des Vertrags über
        die Arbeitsweise der Europäischen Union
        hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
        für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
        Euro ist
        (Tagesordnungspunkt 50 a bis e)
        Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM,
        wollen 17 Länder der Euro-Zone eine neue Finanz-
        institution gründen, die Staaten und Banken in finanziel-
        len Notsituationen mit Milliardenkrediten helfen soll. Er
        soll eine Ausleihkapazität von 500 Milliarden Euro be-
        kommen, während sich die Unterzeichner für insgesamt
        700 Milliarden Euro haftbar machen. Der deutsche An-
        teil beläuft sich auf 21,7 Milliarden Euro, die binnen
        fünf Jahren eingezahlt werden müssen, und 168,3 Mil-
        liarden Euro, für die Deutschland haftet. Ich lehne den
        ESM aus den folgenden Gründen ab:
        Erstens. Die Risiken, die den Steuerzahlerinnen und
        Steuerzahlern durch den ESM aufgebürdet werden, sind
        gigantisch: Der Anteil des deutschen Haftungsanteils in
        Höhe von insgesamt 190 Milliarden Euro entspricht
        etwa zwei Dritteln des Bundeshaushaltes. Das Stammka-
        pital von anfänglich 700 Milliarden Euro kann darüber
        hinaus jederzeit durch einen Beschluss des Gouverneurs-
        rats und der Zustimmung der Mitgliedsländer ausgewei-
        tet werden.
        Zweitens. Die so genannten Hilfsgelder, die der ESM
        in Zukunft auszahlen soll, kommen nicht der Bevölke-
        rung zugute, sondern werden für Zins- und Tilgungszah-
        lungen der Staaten an Banken und andere Gläubiger ver-
        wendet werden. An keiner Stelle sind in dem Vertrag
        Klauseln vorgesehen, die die Empfänger der Hilfsgelder
        dazu verpflichten, soziale Standards einzuhalten. Der
        ESM ist also ein weiteres Instrument zur Bankenrettung –
        und nicht zur Unterstützung der Menschen.
        Drittens. Beantragt ein Land Gelder aus dem ESM, so
        muss es den undemokratischen und unsozialen Fiskal-
        pakt ratifiziert haben und sich zu rigiden Auflagen ver-
        pflichten, die von der EU-Kommission, der Europäi-
        schen Zentralbank, EZB, und „nach Möglichkeit“ dem
        Internationalen Währungsfonds, IWF, diktiert werden
        (Art. 13 Abs. 3). Die dramatischen Folgen dieses Spar-
        diktats können wir aktuell in Griechenland beobachten.
        Viertens. Beim ESM ist keine parlamentarische
        Kontrolle vorgesehen. Während in dem Vertrag explizit
        begrüßt wird, Vertreterinnen und Vertreter des IWF ein-
        zuladen, werden Vertreterinnen und Vertreter der Par-
        lamente ausgeschlossen. Die Entscheidungen des ESM
        werden durch den Gouverneursrat allein durch die Exe-
        kutive getroffen; eine effektive parlamentarische Kon-
        trolle ist dadurch unmöglich.
        Fünftens. Dem ESM wird volle Immunität gegenüber
        Gerichten und Parlamenten zugesichert, während alle
        Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schweigepflicht
        unterliegen. Dadurch wird eine öffentliche Kontrolle der
        Entscheidungen des ESM verunmöglicht.
        Sechstens. Genauso wie der Fiskalpakt, ist im ESM-
        Vertrag keine Kündigungsmöglichkeit für einzelne Ver-
        tragspartner vorgesehen. Dem ESM soll damit ebenfalls
        eine Ewigkeitsgarantie gegeben werden, die demokrati-
        schen Grundsätzen Hohn spricht.
        Anlage 15
        Amtliche Mitteilungen
        Der Bundesrat hat in seiner 897. Sitzung am 15. Juni
        2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
        stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
        des Grundgesetzes nicht zu stellen:
        – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti-
        kel 93)
        – Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in
        Wahlsachen
        – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU
        und zur Änderung des Börsengesetzes
        – Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im
        Transplantationsgesetz
        – Gesetz zur Änderung des Transplantationsgeset-
        zes
        Der Bundesrat hat ferner die nachfolgende Entschlie-
        ßung gefasst:
        Der Bundesrat stellt mit Blick auf die unterschiedli-
        chen regionalen Strukturen, insbesondere im Kranken-
        haussektor, fest, dass die Berücksichtigung der spezifi-
        schen regionalen Gegebenheiten von großer Bedeutung
        ist, um den Organspendeprozess durch die Deutsche
        Stiftung Organtransplantation und ihre regionalen Unter-
        gliederungen bestmöglich zu organisieren.
        Er bedauert, dass das Gesetz insofern hinter den Er-
        wartungen zurückbleibt, weil es eine regionale Flexibili-
        tät nicht in dem erforderlichen Maße gewährleistet.
        Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf,
        im Rahmen ihrer Möglichkeiten beiden Partnern des
        Vertrags nach § 11 TPG auf eine Vertragsänderung mit
        dem Ziel hinzuwirken, den regionalen Untergliederun-
        gen der Koordinierungsstelle in geeigneter Weise stär-
        kere Eigenverantwortlichkeit bei der Wahrnehmung der
        Aufgaben in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich
        einzuräumen.
        Insbesondere soll den regionalen Untergliederungen
        zur grundsätzlich eigenverantwortlichen Aufgabenerle-
        digung ein Regionalbudget, das mit entsprechender
        Budget- und Personalverantwortung verbunden ist, von
        der Koordinierungsstelle zugewiesen werden. Dabei sol-
        len im Vertrag nach § 11 TPG die Kompetenzen zwi-
        schen regionalen Untergliederungen und überregionaler
        Koordinierungsstelle sachgerecht austariert werden.
        22800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012
        (A) (C)
        (D)(B)
        Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, ihm inner-
        halb eines Jahres über ihre Bemühungen zu berichten.
        – Gesetz zur Errichtung eines Nationalen Waffen-
        registers (Nationales-Waffenregister-Gesetz –
        NWRG)
        – Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbst-
        ständigen Kraftfahrern
        – Gesetz zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopp-
        lungsgesetzes
        Ferner hat der Bundesrat die nachstehende Entschlie-
        ßung gefasst:
        Erstens. Der Bundesrat hält folgende weitergehende
        Maßnahme für geboten:
        Anhebung der maximalen Fördersumme für Wärme-/
        Kältespeicher in § 7 b KWKG von 5 Millionen Euro je
        Projekt auf 10 Millionen Euro je Projekt.
        Zweitens. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Ver-
        zicht auf KWK-Zuschläge für Anlagen, die aus indus-
        trieller Abwärme Strom erzeugen – z. B. mit Hilfe von
        ORC-Anlagen –, große Abwärmemengen für die Strom-
        erzeugung weiterhin ungenutzt bleiben werden dürften.
        Der Bundesrat bedauert es auch, dass kein Technolo-
        giebonus für Brennstoffzellen als KWK-Anlagen ge-
        währt wird. Dieser hätte zu einer Marktdurchdringung
        und zu Skaleneffekten beitragen und somit dieser beson-
        ders effizienten Technologie zum Durchbruch verhelfen
        können.
        Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen,
        inwieweit die genannten Technologien nicht doch noch
        bei einer zukünftigen Änderung des Kraft-Wärme-
        Kopplungsgesetzes berücksichtigt oder in Förderpro-
        gramme integriert werden können, um die damit verbun-
        denen Energieeffizienzpotenziale auszuschöpfen.
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3
        Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung
        zu den nachstehenden Vorlagen absieht:
        Innenausschuss
        – Unterrichtung durch die durch die Beauftragte der Bundes-
        regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
        Zweiter Integrationsindikatorenbericht
        – Drucksachen 17/8540, 17/8959 Nr. 1.2 –
        Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Aktionsplan der
        Bundesrepublik Deutschland
        – Drucksache 17/6927 –
        Ausschuss für Gesundheit
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Fünfter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversi-
        cherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in
        der Bundesrepublik Deutschland
        – Drucksachen 17/8332, 17/8641 Nr. 1.7 –
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
        Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
        ner Beratung abgesehen hat.
        Petitionsausschuss
        Drucksache 17/8227 Nr. A.1
        EP P7_TA-PROV(2011)0467
        Auswärtiger Ausschuss
        Drucksache 17/9475 Nr. A.11
        EuB-BReg 31/2012
        Drucksache 17/9475 Nr. A.12
        EuB-BReg 32/2012
        Innenausschuss
        Drucksache 17/9647 Nr. A.3
        EP P7_TA-PROV(2012)0073
        Drucksache 17/9647 Nr. A.5
        Ratsdokument 9122/12
        Finanzausschuss
        Drucksache 17/9475 Nr. A.13
        Ratsdokument 7988/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.7
        Ratsdokument 6898/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.8
        Ratsdokument 8779/12
        Haushaltsausschuss
        Drucksache 17/6176 Nr. A.10
        EuB-BReg 163/2011
        Drucksache 17/9475 Nr. A.14
        Ratsdokument 7565/12
        Drucksache 17/10069 Nr. A.1
        KOM(2012)342 endg.
        Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
        Drucksache 17/6985 Nr. A.29
        Ratsdokument 12046/11
        Drucksache 17/9797 Nr. A.5
        Ratsdokument 8427/12
        Ausschuss für Arbeit und Soziales
        Drucksache 17/8515 Nr. A.38
        EP P7_TA-PROV(2011)0587
        Drucksache 17/8515 Nr. A.39
        EP P7_TA-PROV(2011)0589
        Drucksache 17/8673 Nr. A.12
        Ratsdokument 5166/12
        Drucksache 17/8856 Nr. A.13
        Ratsdokument 5582/12
        Drucksache 17/8856 Nr. A.14
        Ratsdokument 5733/12
        Drucksache 17/9130 Nr. A.7
        EP P7_TA-PROV(2012)0047
        Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 188. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2012 22801
        (A) (C)
        (D)(B)
        Drucksache 17/9252 Nr. A.8
        Ratsdokument 7293/12
        Drucksache 17/9475 Nr. A.18
        Ratsdokument 8239/12
        Drucksache 17/9475 Nr. A.19
        Ratsdokument 8241/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.11
        Ratsdokument 8552/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.12
        Ratsdokument 8553/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.13
        Ratsdokument 8554/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.14
        Ratsdokument 8555/12
        Drucksache 17/9647 Nr. A.15
        Ratsdokument 8556/12
        Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
        Union
        Drucksache 17/9252 Nr. A.11
        Ratsdokument 6893/12
        188. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 44 Reform der Pflegeversicherung
        TOP 45 Wissenschaftsfreiheitsgesetz
        TOP 46 Stärkung der deutschen Finanzaufsicht
        TOP 47 Deutsche Bahn AG
        TOP 48 Steuerabkommen mit der Schweiz
        TOP 49 Tierschutz
        ZP 10, TOP 50 Regierungserklärung zur Stabilitätsunion, Fiskalvertrag und Europäischer Stabilitätsmechanismus
        Anlagen