Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen!Bitte nehmen Sie Platz.Die Sitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Ih-nen sagen, dass wir Grund zur Freude haben, weil unserKollege Ulrich Petzold heute mit uns gemeinsam seinen60. Geburtstag feiert.
Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu sehrherzlich und wünsche alles Gute.Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell istvereinbart worden, die heutige Tagesordnung um dieBeschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zumSteuervereinfachungsgesetz 2011 zu erweitern, diegleich als Erstes aufgerufen werden soll. – Sie sind da-mit einverstanden; ich höre keinen Widerspruch. Dannist das auch so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
chungsgesetz 2011alu1FnKmRedet– Drucksachen 17/5125, 17/5196, 17/6105,17/6121, 17/6146, 17/6583, 17/6875, 17/7025 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael MeisterKollege Michael Meister, wollen Sie Bericht erstat-ten?
– Es ist nicht erforderlich. Dann kommen wir gleich zurAbstimmung. Das spart uns an diesem FreitagmorgenZeit.Der Vermittlungsausschuss hat gemäß §Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossenDeutschen Bundestag über die Änderungen g
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-serung der Versorgungsstrukturen in der
– Drucksache 17/6906 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Martina Bunge, Agnes Alpers, Karin Binder,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEWirksamere Bedarfsplanung zur Sicherungexteiner wohnortnahen und bedarfsgerechten ge-sundheitlichen Versorgung– Drucksache 17/3215 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
InnenausschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Siesind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne nun die Aussprache. Als Erster in unsererdesminister Daniel Bahr für die Bundes-ort. Herr Bundesminister, bitte. bei der FDP und der CDU/CSU)10 Abs. 3, dass imemeinsamDebatte hat Bunregierung das W
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15060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
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Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Jetzt, wo der Sommer zu Ende ist,
können viele Deutsche darauf zurückblicken, welcheGesundheitssysteme sie im Ausland erlebt haben. Eineskönnen wir immer wieder feststellen: Wenn ihnen imAusland etwas passiert, möchten sie so schnell wie mög-lich zurück nach Deutschland, um hier behandelt zu wer-den.
Die Patienten in Deutschland wissen, dass sie hier denArzt, das Krankenhaus und auch die Krankenkasse ihresVertrauens selbst wählen können. Die Patienten inDeutschland vertrauen darauf, dass alles medizinischMögliche für ihre Gesundheit getan wird und sinnvolleInnovationen schnell Eingang in die Praxis finden. Kurz:Sie vertrauen auf unser deutsches Gesundheitssystem.Wir stellen fest, dass andere Länder uns um unser Ge-sundheitssystem beneiden.
Bei aller Kritik im Detail, bei allem, was man nochbesser machen kann – darum streiten wir hier im Deut-schen Bundestag –, wissen wir, dass es kaum ein anderesLand auf dieser Welt gibt, das es schafft, freie Arztwahl,freie Krankenhauswahl, Therapiefreiheit, freie Wahl derKrankenkasse miteinander zu verbinden. Das, liebe Kol-leginnen und Kollegen, gilt es auch für die Zukunft zuerhalten.Die Herausforderungen, vor denen das deutsche Ge-sundheitssystem steht, sind nicht leicht zu bewältigen.Die demografische Entwicklung, die alternde Bevölke-rung und der medizinisch-technische Fortschritt sind He-rausforderungen, die an die Finanzierbarkeit, aber auchan die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswe-sens große Herausforderungen stellen. Tagtäglich leistenTausende von Pflegern und Pflegerinnen, von Ärztenund Ärztinnen, von Arzthelferinnen und Arzthelfern,von Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Ergothera-peuten und Angehörige vieler anderer Berufsgruppenihre Arbeit. Vor dem Hintergrund der demografischenEntwicklung wird die Belastung bei dieser Arbeit zuneh-men. Für die Leistung, die in den Gesundheitsberufentagtäglich erbracht wird, braucht es Motivation, Ver-trauen und Anerkennung. Genau das ist das Ziel des Ver-sorgungsstrukturgesetzes.
Wir wollen denjenigen, die im Gesundheitswesen arbei-ten, Motivation, Vertrauen und Anerkennung für ihreLeistung geben und die Versorgung für die Patientendeutlich verbessern.dliEshhliesdtikMkwsmSagguinnwtiHFGddkksDbMuVKhbgMmfüxMud„M
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doppelt bestraft wird, weil er möglicherweise mehr Arz-neimittel verschreiben muss.
Wir stärken die Notdienste durch Kooperationen zwi-schen Ärzten und Krankenhäusern. Wenn alle diese An-reize nicht wirken, werden wir dafür sorgen, dass dieKassenärztliche Vereinigung oder sogar Kommunen miteigenen Einrichtungen eine medizinische Versorgungvor Ort gewährleisten können. Wir bauen Bürokratie ab.Wir regeln, dass delegationsfähige Leistungen von Ärz-ten auf andere Berufsgruppen übertragen werden kön-nen, um den Arzt in seiner Tätigkeit zu entlasten und an-dere Berufsbilder in ihrer Tätigkeit zu stärken.Während SPD und Grüne während ihrer Regierungs-zeit und in den Debatten der letzten Wochen und Monateimmer den drohenden Ärztemangel geleugnet haben, pa-cken wir als Koalition dieses Problem an.
Wir wollen, dass der Landarzt für die Menschen nichtnur in einer idyllischen Vorabendserie existiert. Wir sor-gen mit gezielten Anreizen – nicht mit der Gießkanne –dafür, dass sich auch die Menschen in der Fläche daraufverlassen können, dass sie eine medizinische Versorgungvor Ort bekommen.Es stimmt: Es gibt nicht überall unterversorgte Ge-biete. Aber wenn ich mir den Altersschnitt der Ärzte inder Praxis anschaue, dann wird deutlich, dass dieses Pro-blem auf uns zukommen wird. Da gilt es, jetzt zu han-deln.Es gilt, den Medizinern eine verlässliche Perspektivezu eröffnen und den Pflegern und Arzthelfern verlässli-che Rahmenbedingungen zu bieten. Wir schaffen eineBedarfsplanung, die sich am wirklichen Bedarf orien-tiert. Die bisherige Bedarfsplanung war rein historischbegründet, setzte auf den Zustand Anfang der 90er-Jahreauf, anstatt die Demografie und die Morbidität zu be-rücksichtigen, anstatt den wirklichen Bedarf zu berück-sichtigen. Wir schaffen Flexibilität,
damit vor Ort geschaut werden kann: Wo gibt es wirk-lich Überversorgung? Wo droht Unterversorgung? Womüssen gezielt Anreize gesetzt werden, damit sich dortjemand niederlässt?Wir schaffen eine Regionalisierung in der Vergütung.Das heißt, vor Ort wird wieder entschieden, wie vergütetwird. Wir können doch angesichts der unterschiedlichenSituationen nicht glauben, man könne zentralistisch vonBerlin aus die richtige Vergütung in ganz Deutschlandfestlegen.Wir bauen die Überversorgung ab, indem wir dieMöglichkeit bieten, dass frei werdende Arztsitze in über-versorgten Gebieten aufgekauft werden. Das ist der rich-tige Weg, um die Überversorgung in Ballungsräumenschrittweise abzubauen. Ich halte nichts davon, dass wirdurch Strafen Ärzte demotivieren, die auch in überver-sorgten Gebieten viele Patienten zu versorgen haben.Wenn Sie durch Deutschland fahren, werden Sie in vie-lelabmgnzlicMkkbdcsMbtuvGnuihVlareBmsliudrufümdcVasKeegASrezssli
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zu deutlich höheren Kosten, als wenn wir jetzt die richti-gen Anreize setzen, um Mediziner in die Fläche zu lo-cken und damit die Versorgung in der Fläche zu gewähr-leisten.Herzlichen Dank und auf eine gute Beratung diesesGesetzentwurfs.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Der nächste
Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion der Sozial-
demokraten unser Kollege Professor Karl Lauterbach.
Bitte schön, lieber Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Zunächst einmal ganz konkret: Was
hat uns der Minister vorgetragen?
Was hat der Minister wirklich gesagt?
Erster Punkt. Er hat die Verbesserung der Situation
der Hausärzte und Landärzte angesprochen. Was passiert
denn konkret? Es werden insgesamt 100 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt, nachdem vorher die Hausarztver-
träge auf dem Land mehr oder weniger sang- und klang-
los gekappt worden sind. Dem System wird bei der haus-
ärztlichen Versorgung netto Geld entzogen. Die
Hausärzte gehören nicht zu der Gruppe, die sich der
Klientelpolitik der FDP sicher sein könnte; die Haus-
ärzte sind nicht geschützt durch den Lobbyismus der
FDP. Den Hausärzten ist zunächst ein großer Teil des
Geldes entzogen worden. Jetzt werden auch noch Zu-
schläge für die unterversorgten Gebiete entzogen. Dann
gibt es zusätzlich ein Almosen von 100 Millionen Euro,
und das will der Minister hier als eine Förderung der
hausärztlichen Versorgung verkaufen. Das ist doch Au-
genwischerei. In Wirklichkeit wird den Hausärzten Geld
entzogen, und nichts anderes.
Zweiter Punkt. Es wurde darüber gesprochen, was in
den überversorgten Gebieten passiert. In den überver-
sorgten Gebieten können die Kassenärztlichen Vereini-
gungen ein Vorkaufsrecht geltend machen; sie können
dort Kassensitze kaufen. Aber welchen Anreiz dazu ha-
ben sie denn? Dazu hat der Minister nichts gesagt. Im
Prinzip ist es so: Die Kassenärztliche Vereinigung kann
zwar ein paar Sitze kaufen, die Politik aber macht nichts.
Es ist doch Ihre Aufgabe, sehr verehrter Herr Minister,
für den Abbau der Überversorgung zu sorgen. Sie als
Minister können bei den Kassenärztlichen Vereinigun-
gen doch nicht als Bittsteller auftreten, ohne einen Me-
chanismus nennen zu können, wie das Ganze funktionie-
ren soll. Die Überversorgung wird durch dieses Gesetz
überhaupt nicht angegangen. Das ist dem Minister auch
klar; daher bestritt er die Überversorgung. Er hat gesagt:
Wenn man in die überversorgten Gebiete fährt, dann
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Das Gesetz ist erneut handwerklich gescheitert.eine Kritik ist: Wenn man eine Überversorgung ein-umt, was der größte Teil im Hause jederzeit bereit istu tun, weil es offensichtlich ist – anderes zu behaupten,ürde der Bestreitung gleichen, dass die Erde eine Ku-el ist –, und sie beseitigen will, muss man hier tätigerden. Da kann der Minister nicht zum Bittsteller beier Kassenärztlichen Vereinigung degenerieren.
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Das war die Antwort auf die Zwischenfrage der Kol-
legin Aschenberg-Dugnus. – Bitte schön, Sie haben das
Wort.
Nichtsdestotrotz: Dieses Gesetz enthält eine Reihevon Kostensteigerungen, über die nicht so schnell hin-weggegangen werden darf. Es ist zwar so, dass sich dieVersorgung nicht verbessert, aber die vorhandene Ver-sorgung – das darf man nicht außer Acht lassen – wirddeutlich teurer. So wird beispielsweise in den Regionen,in denen Ärztemangel besteht, die Mengenabstaffelungabgeschafft, was ökonomisch völlig unsinnig ist. Wennich mehr Leistungen der gleichen Art erbringe, habe ichnatürlich geringere Fixkosten pro Leistung; somit sinkenauch meine Kosten für die Grenzleistung. Das ist ökono-misch ein völlig natürlicher Prozess. Aber diese Abstaf-felung wird abgeschafft.
Von einer Erhöhung spreche ich doch gar nicht, HerrLanfermann. Die Abstaffelung ist im Großen und Gan-zen ein Ergebnis der Arbeit der Großen Koalition. Daswar nicht das Schlechteste, was wir gemacht haben.Meine Kritik, dass die Abschaffung der Abstaffelungeine Verteuerung der bestehenden Leistungen darstellt,ist berechtigt. Die vorhandene Versorgung wird teurer.Das spiegelt sich auch in diesem Gesetzentwurf wider.Weshalb sollte das gemacht werden? Weshalb stellen wirnicht das Ziel in den Vordergrund, die Leistungen auszu-dehnen und zu verbessern? Was ist der Grund dafür? DieLeistungen in den unterversorgten Gebieten müssen aus-gedehnt werden; denn dort besteht ein Leistungsbedarf.Dieser Leistungsbedarf wird im vorliegenden Gesetzent-wurf aber nicht angesprochen. Die Leistung bei beste-hender Unterversorgung wird einfach nur höher vergü-tet. Somit handelt es sich hierbei nur um ein Geschenkan ein paar Ärzte. Für die Patienten bessert sich die Ver-sorgung in keiner Weise.
Es handelt sich nicht um den Entwurf eines Strukturge-setzes, sondern um ein Geschenk an ein paar Ärzte. EineVeränderung der Versorgungssituation wird es nicht ge-ben.
Eine ähnliche Entwicklung ist bei der spezialärztli-chen Versorgung zu beobachten. In Zukunft wird jederonkologische Leistungen anbieten können, der auf derGrundlage einer Einschätzung der Kassenärztlichen Ver-einigungen die Kriterien dafür erfüllt. Das wird natürlichdazu führen, dass jede noch so kleine onkologische Ein-richtung – ob Praxis oder Krankenhaus – diese spezial-ärztlichen Leistungen extrabugdetär abrechnet. Auch dasist nichts anderes als eine Verteuerung, wenn nicht sogareine Verschlechterung der jetzigen Leistungen. Das wirddcaObbsnbdtemDBzndeLsdkgagHLdevddAVudSnluwgsBÄenedbvVo
Hinzu kommt, dass der Vorbehalt des Verbots im Hin-lick auf die Leistungen im Krankenhaus schwerer wird;enn um eine neue Leistung im Krankenhaus zu verbie-n, müssen zwei Drittel der Mitglieder des Gemeinsa-en Bundesausschusses ein Verbotsvorbehalt äußern.ie Krankenhausgesellschaft kann also im Prinzip imlock neue Leistungen im Krankenhaus zulassen, undwar selbst dann, wenn deren medizinischer Wert in kei-er Weise erwiesen ist. Auch das ist ein Beispiel dafür,ass durch dieses Gesetz – wenn es denn konkret wird –ntweder die bestehenden Leistungen teurer werden odereistungen eingeführt werden, die in medizinischer Hin-icht unsinnig sind und deren medizinischer Wert zumin-est zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestätigt werdenann. Das ist also auch keine Verbesserung der Versor-ung.Durch dieses Gesetz wird es in Zukunft möglich sein,ls bisher nicht zugelassener Leistungserbringer Leistun-en zu erbringen. Ich spreche dabei beispielsweise vonomöopathen oder Heilern. Im Prinzip kann dann eineeistung zulasten der Krankenkasse erbracht werden,ie wir nach unserem jetzigen Verständnis gar nicht alsine medizinische Leistung ansehen. Bei allem Respektor der Homöopathie: Sind das tatsächlich Leistungen,ie über die Zusatzbeiträge der Versicherten bezahlt wer-en sollten? Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?uch das ist doch nichts anderes als das Bemühen, dieersorgung aufzubohren.Ich komme zum Ende
nd will das Gesetz in Gänze beurteilen. Sie selbst habenie Frage gestellt, wen Sie mit diesem Gesetz beglücken.ie beglücken in erster Linie die Kassenärztlichen Verei-igungen; denn sie werden den größten Teil der Rege-ngen dieses Gesetzes umsetzen müssen. Die Politikird somit zum Bittsteller der Kassenärztlichen Vereini-ungen. Das bezieht sich sowohl auf den Bundesaus-chuss als auch auf die Regelungen der regionalisiertenedarfsplanung. Außerdem beglücken Sie ein paarrzte, die die bestehenden Leistungen schlicht undrgreifend höher abrechnen können. Es wird dadurchicht mehr Hausärzte geben. Es wird auch nicht zuinem Abbau der Unterversorgung oder zu einem Abbauer Überversorgung kommen. Wen Sie definitiv nichteglücken, sind die Versicherten und die Patienten, daon diesem Gesetz keine Initiative zur Verbesserung derersorgungsqualität ausgeht. Es sind bestenfalls neutraleder bedenkliche Vorschläge. Sie beglücken auch nicht
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Dr. Karl Lauterbach
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die Beitragszahler; denn die Versorgungsstruktur wirdverschlechtert und die Zusatzangebote werden am Endeüber Zusatzbeiträge zu finanzieren sein, die dann dieNettoeinkünfte der Geringverdiener und Rentner schmä-lern. Das ist das, worüber wir hier konkret sprechen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner in
unserer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser
Kollege Johannes Singhammer. Bitte schön, Kollege
Singhammer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen dieGesundheitsversorgung demokratischer, patientennäherund gerechter gestalten.
Deshalb bringen wir jetzt und heute das GKV-Versor-gungsstrukturgesetz ein und beenden damit die unerfreu-liche jahrelange Praxis, Gesundheitsgesetze ausschließ-lich am Sparzwang auszurichten. Wir gestalten damitnachhaltig eine bessere ärztliche Versorgung, vor allemin ländlichen Regionen. Wir wollen gleiche Lebensver-hältnisse in den Ballungsräumen und den ländlichenRegionen. Deshalb ist das Versorgungsstrukturgesetz da-rauf ausgerichtet, eine Balance zu finden und die Land-flucht zu stoppen.
Wir haben uns auf folgende Maßnahme verständigt– jetzt hören Sie einmal zu! –:Erstens: Demokratisierung der Bedarfsplanung. DieLänder erhalten bei der Bedarfsplanung mehr Mitwir-kungsrechte und können damit regionale Besonderheitenganz anders berücksichtigen.
Damit wird mehr Kompetenz dahin verlagert, wo dieEntscheidungen getroffen werden.Zweitens: mehr Ärzte in ländlichen Regionen. Ärzte,die bereit sind, sich in unterversorgten Regionen nieder-zulassen, erhalten – ja, selbstverständlich, HerrLauterbach – einen Blumenstrauß an erheblichen finan-ziellen Anreizen. Sie werden von Begrenzungen der Ver-gütung ausgenommen, können Preiszuschläge für ihreLeistungen erhalten und über einen Strukturfonds vonden Kassenärztlichen Vereinigungen gefördert werden,damit die Attraktivität gesteigert wird.
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Siebtens – das ist ganz wichtig – sorgen wir für mehrransparenz in der Selbstverwaltung. Wir werden dietruktur des Gemeinsamen Bundesausschusses neu ge-talten. Wir wollen ein transparenteres, nachvollziehba-s Verfahren. Damit sorgen wir für eine größere Akzep-nz der Entscheidungen.
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Johannes Singhammer
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Schließlich wollen wir mehr Offenheit. Damit sichVersicherte bei der Wahl ihrer Krankenkasse umfassendauch über die wirtschaftliche Situation der Kassen infor-mieren können, werden die Krankenkassen künftig ver-pflichtet sein, die Geschäftsergebnisse des vergangenenJahres in verständlicher Form regelmäßig zu veröffent-lichen. Auch damit schaffen wir ein großes Stück mehrVerbraucherschutz und -freundlichkeit.
Neben der Vielzahl von Verbesserungen, die bereitsjetzt im Gesetzentwurf vorgesehen ist, werden wir unsim Rahmen des Beratungsverfahrens für eine Reihe vonzusätzlichen Verbesserungen einsetzen:Dazu gehören erstens praktische Hilfen für Familien.Wir wollen beispielsweise, dass die Haushaltshilfe künf-tig eine verpflichtende Leistung der Krankenkasse ist.Warum ist das so wichtig? Weil wir aus einer Vielzahlvon Gesprächen wissen, dass das notwendig ist. Wenn ineiner Familie beispielsweise die Mutter krank wird, imKrankenhaus liegt, ist es notwendig, dass über einen län-geren Zeitraum hinweg eine häusliche Unterstützung daist. Diese Verlässlichkeit muss gegeben sein. Deshalbwollen wir an dieser Stelle eine Verbesserung.Zweitens. Wir wollen neue Versorgungsformen unter-stützen. Kooperative Versorgungsformen wie Ärztenetzewollen wir unterstützen. Sie sollen gerecht gestaltet seinund nicht zu Verwerfungen, sondern zu sinnvollen Syner-gieeffekten führen.Drittens. Wir wollen kürzere Wartezeiten. Das istselbstverständlich. Die Wartezeit für einen Behandlungs-termin beim Facharzt soll verkürzt werden. Die Selbst-verwaltung soll die Maßnahmen für ein besseres Versor-gungsmanagement vereinbaren.Wir haben einen ganz entscheidenden Schritt nachvorne unternommen, und zwar im Sinne einer Neuaus-richtung der Gesundheitspolitik. Wir können das deshalbtun, und zwar nur deshalb, weil wir anders als im ver-gangenen Jahr nicht mehr darüber diskutieren müssen,ob wir ein riesiges Haushaltsloch bei den gesetzlichenKrankenkassen schließen müssen. Damals betrug dasdrohende Haushaltsloch bis zu 11 Milliarden Euro. Jetztdiskutieren wir möglicherweise darüber, was wir mit denvorhandenen Überschüssen des Gesundheitsfonds ma-chen wollen. Eine Diskussion darüber, wie wir Milliar-den aus dem Gesundheitsfonds richtig und nachhaltigverwenden, ist mir viel lieber als eine Diskussion da-rüber, wie wir vorhandene Haushaltslöcher schließenkönnen.
Das zeigt, dass sich in der Gesundheitspolitik Entschei-dendes getan hat. Weiteres wird mit diesem Gesetz fol-gen.Die Opposition behauptet immer, diese Regierungwürde in besonderer Weise Klientelpolitik betreiben;weil mich das ärgert, muss ich das ansprechen.
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ber man muss einmal schauen, was Sie eigentlich wol-n und wie fähig Sie sind.
h möchte auf einen Punkt kommen, über den in dieseroche auch im Ausschuss diskutiert worden ist. Es gingm die Abschaffung der Zuzahlungen; das ist ein wichti-er Punkt. Die Linken haben beantragt, alle Zuzahlun-en abzuschaffen. Es geht ja nur um eine Kleinigkeiton 5 Milliarden Euro.
ntsprechende Hinweise darauf, wie dies ermöglichterden soll, sind natürlich nicht erfolgt. Die Sozialde-okraten lehnen das ab – das ist, finde ich, richtig underantwortlich –, die Grünen enthalten sich der Stimme.o wollen Sie Regierung machen. Wir in Deutschland,ie deutschen Patienten und die in der Gesundheitswirt-chaft Tätigen, brauchen keine Chaoscombo, sondernine seriöse Regierung.
ass wir eine solche sind, zeigen wir mit diesem Gesetz-ntwurf.
Nächste Rednerin in unserer Debatte ist unsere Kolle-in Frau Dr. Martina Bunge für die Fraktion Die Linke.itte schön, Frau Kollegin Dr. Bunge.
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Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! „Gesetz zur Verbesserung der Versor-gungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversiche-rung“, das ist ein vollmundiger Titel, der große Erwar-tungen weckt. Aber leider folgen den vollmundigenAnkündigungen – wie so oft bei dieser Regierung –keine, falsche oder nur halbherzige Taten.Was sind für Sie eigentlich die Versorgungsstrukturender gesetzlichen Kassen? Ein großer Teil der Versorgungfindet in Krankenhäusern statt. In Ihrem Gesetzentwurffinde ich kein Wort dazu. Ein großer Teil der Versorgungfindet durch Krankenpflegepersonal statt. In Ihrem Ge-setzentwurf finde ich kein Wort dazu. Besonders beimPflegepersonal drückt doch der Schuh erheblich. Ein an-derer großer Teil der Versorgung findet durch Heilberufewie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten usw. statt. Diesist für Sie offensichtlich Gedöns; denn dazu finde ich inIhrem Gesetzentwurf kein Wort.Wir alle sind in der Pflicht, die UN-Behinderten-rechtskonvention umzusetzen. Dazu muss der Zugangzur Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinde-rungen endlich barrierefrei werden. Auch hier Fehlan-zeige. Das alles ist untragbar.
Für Sie besteht die Versorgung offensichtlich alleinaus ärztlichen Ambulanzen. Aber von den acht Schwer-punkten, die Sie selber in diesem Gesetzentwurf formu-liert haben, beschäftigt sich nur einer mit der flächen-deckenden ambulanten ärztlichen Versorgung. Wirsehen: Nicht nur der Name Ihres Gesetzes, sondern auchinhaltlich ist Ihr Gesetz aufgebauscht. Das ist angesichtsder Probleme, die wir haben und die auch von Ihnenschon beschrieben wurden, fatal.
Eines muss ich noch loswerden. Es dürfte als ein No-vum in der Gesundheitspolitik in Deutschland gelten,dass der Finanzminister, dass das Finanzministerium ineiner derart massiven Weise Einfluss auf ein Gesund-heitsgesetz genommen hat. Weil der Bundeshaushaltkünftig mit den Kosten für den Sozialausgleich zu IhrerKopfpauschale belastet wird, hat der Finanzministerfestschreiben lassen, dass zusätzliche Kosten für Ärzteund Zahnärzte aus dem Geld für den Sozialausgleich he-rausgerechnet werden müssen, wenn nicht an andererStelle im Gesundheitssystem gespart wurde. Für das zu-sätzliche Geld für Ärzte haften also immer die Versicher-ten, entweder mit Leistungsminderungen oder mit Kür-zungen des Sozialausgleichs. Beides, also dieLeistungen und der Sozialausgleich, sind aber Rechtsan-sprüche. Wie Sie das praktisch hinbekommen wollen, istmir völlig schleierhaft.
Herr Bahr, ich schätze die Satzungsleistungen völliganders ein. Ich denke, Sie machen deshalb ein Einfallstorfür Leistungsminderungen auf, indem Sie den Umfangder freiwilligen Leistungen, also Satzungsleistungen derKrankenkassen, erweitern. Selbst die Kassen gehen da-vgg–aDdetedVevgskvns1bhgoV1timtehAntelih1wütrUdpWgdD
Dann lesen Sie einmal die Stellungnahmen.Eines ist klar: Noch bevor der erste Cent beim Sozial-usgleich aus Bundesmitteln bezahlt wurde, steht fest:ieser Sozialausgleich ist eine Farce, und: Wer sich aufiese Regierung verlässt, ist verlassen.
Nun zur Versorgung. Sie haben vielfach angekündigt,twas gegen den vorhandenen und zu erwartenden Ärz-mangel zu tun, aber Sie haben bis heute nicht verstan-en, dass wir in allererster Linie ein Problem bei dererteilung der Ärztinnen und Ärzte haben. Also nochinmal von vorne: Wir wissen doch gar nicht genau, wieiele Ärztinnen und Ärzte wir eigentlich für die Versor-ung der Menschen brauchen. Aber wie wollen wir Ver-orgung sicherstellen, wenn wir das Erforderliche nichtennen? Die heutige Bedarfsplanung beruht auf Datenon 1990. Da wurden einfach die vorhandenen Ärztin-en und Ärzte gezählt, in Relation zur Bevölkerung ge-etzt und der so ermittelte Wert für jede Arztgruppe als00-Prozent-Wert zugrunde gelegt. Damit agieren wiris heute. Seit über zwei Jahrzehnten!Ausgehend von dieser völlig unzulänglichen Basisaben wir heute im Bundesdurchschnitt bei allen Arzt-ruppen eine Versorgung von mehr als 100 Prozent, alsoffiziell Überversorgung. Bei Hausärzten reichen dieersorgungszahlen nach jetzigem Maßstab von 67 bis67 Prozent. Aber die praktischen Erfahrungen der Pa-entinnen und Patienten sind: Überall klemmt es; manuss ewig auf einen Arzttermin warten, lange Wartezei-n in Kauf nehmen und, und, und. Das ist doch nichtinnehmbar.
n der Ausgangsbasis soll in Ihrem Versorgungsgesetzichts geändert werden.Ganz speziell sieht die Lage bei den Psychotherapeu-n aus. 1999 wurde das Psychotherapeutengesetz novel-ert, um Unterversorgung zu beheben. Die damals vor-andene Unterversorgung wurde 1999 dennoch mit einer00-Prozent-Versorgung gleichgesetzt. Inzwischen sindir aber vorangekommen. Die Versorgung hat gegen-ber dem damaligen Stand 150 bis 190 Prozent erreicht;otzdem haben wir in etlichen Gebieten immer nochnterversorgung. Gemäß den Regelungen des vorliegen-en Gesetzentwurfs könnten jedoch Psychotherapeuten-raxen aufgekauft und geschlossen werden, solange einert von 110 Prozent der damals festgestellten Versor-ung überschritten wird. Das bedeutet: Fast die Hälfteer Psychotherapeutensitze könnte zugemacht werden.ieser Vorschlag ist doch unglaublich.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15067
Dr. Martina Bunge
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Was wir brauchen, ist, dass endlich wissenschaftlichevaluiert wird, wie viele Ärztinnen und Ärzte, aber auchwie viel Pflegepersonal, wie viele Physiotherapeuten,Hebammen usw. für die Versorgung eigentlich notwen-dig sind. Grundlage dafür muss der Gesundheitszustandder Menschen und der zeitliche Aufwand sein, einenArzt oder einen anderen Gesundheitsdienstleister zu er-reichen. Sie wollen den tatsächlichen Bedarf an Ärztin-nen und Ärzten aber gar nicht wissen; das erinnert Sieviel zu sehr an Planwirtschaft. Es geht hier aber um Da-seinsvorsorge. Hier ist der Staat gefordert und nicht dervon Ihnen so geliebte Markt.
Unabhängig davon, ob wir nun zu viele oder zu we-nige Ärzte haben, steht fest, dass die Regionen unter-schiedlich gut versorgt sind. Es müssen mehr Ärztinnenund Ärzte in die offiziell unterversorgten Gebiete undweniger Ärztinnen und Ärzte in die offiziell überver-sorgten Gebiete. Nur wenn an diesen beiden Stellschrau-ben gedreht wird, können wir wirklich etwas erreichen.Nach Ansicht der Bundesregierung reicht es aber aus,vor allem finanzielle Anreize zu schaffen, damit Ärztin-nen und Ärzte vermehrt in unterversorgte ländliche Be-reiche gehen. Eine wissenschaftliche Studie hat aber ge-zeigt, dass man sie mit Geld nicht aufs Land lockenkann.
Wenn man die Versorgung gerechter organisieren will,muss man tatsächlich an die Strukturen heran, wie es derGesetzesname verspricht, und nicht nur an die Geldscha-tulle der Versicherten.
Wenn sich die Versorgung nicht oder nur schwer überfreiberufliche Ärzte mit lebenslangen, sogar von Gene-ration zu Generation vererbbaren Zulassungen organisie-ren lässt, muss man davon Abstand nehmen. Wir brau-chen mehr oder eigentlich generell befristeteKassenzulassungen, und es muss viel mehr auf ange-stellte Ärztinnen und Ärzte gesetzt werden.
Damit wären die Sitze und Anstellungen in unterver-sorgten Gebieten viel attraktiver und zukunftssicherer,und das starre System wäre endlich flexibilisiert, dasheißt planbarer.
Wir brauchen auf dem Land mobile Arztpraxen undShuttledienste zu Ärztezentren. So sehen moderne Struk-turen aus.HihIhÄLDuAwcdd–k–teinvfübzGdflWlebfiguti
Natürlich muss die Landarzttätigkeit mit ihren vielenausbesuchen und langen Anfahrtswegen, aber auch mitrer sozialen Funktion adäquat vergütet werden. Nur:r Vorschlag, die Abstaffelung der Leistungsmenge fürrzte in unterversorgten Gebieten aufzuheben, ist eineachnummer.
iese Regelung betrifft nicht einmal 40 Ärzte
nd bringt keinen Arzt zusätzlich aufs Land.
ber Sie gehen damit hausieren – das tun Sie auch heuteieder –, als sei es das Ei des Kolumbus. Was wir brau-hen, ist eine dauerhaft aufwandsdeckende Vergütunger Landärzte für ihr oft unermüdliches Engagement inünnbesiedelten Gebieten.
Ja, aber dauerhaft; das muss man wissen. – Es darfein ständiges Hin und Her geben.
Hören Sie ordentlich zu!
Das größte Hindernis für eine gerechtere, bessere Ver-ilung der Ärzte ist Ihr fehlender Wille,
offiziell überversorgten Gebieten die Arztdichte zuerringern. So sollen zum Beispiel die gerade erst einge-hrten Abschläge wegfallen. Wir denken: Um für eineessere, gerechtere Verteilung der Ärztinnen und Ärzteu sorgen, müssen wir in den offiziell überversorgtenebieten ansetzen. Sonst bleibt alles beim Alten.Auf Dauer müssen wir dahin kommen, dass das Geldem Bedarf an Versorgung entsprechend in eine Regionießt und dort bleibt.
ird es nicht abgerufen, weil Ärztinnen und Ärzte feh-n, können damit andere Versorgungsformen wie mo-ile Praxen, Shuttledienste oder eingerichtete Praxennanziert werden. Es ist doch ein Unding, dass das Geldegenwärtig dorthin fließt, wo die meisten Ärztinnennd Ärzte sind, und nicht dorthin, wo die meisten Ärz-nnen und Ärzte gebraucht werden.
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Dr. Martina Bunge
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Ich denke, Sie sollten sich, wenn Sie mir schon nichtzuhören, einmal in Ruhe den vorliegenden Antrag derLinksfraktion anschauen, in dem es darum geht, wie manzukunftsfähige Versorgungsstrukturen gestalten kann. Eslohnt sich, hineinzuschauen.
Mein Fazit: Ihrer vollmundigen Ankündigung, eineflächendeckende Versorgung zu sichern, kommen Siemit diesem Gesetzentwurf nicht oder zumindest nichtausreichend nach.
Das ist kein Versorgungsgesetz für die Patientinnen undPatienten, sondern ein Versorgungsgesetz für die Ärzte-schaft, aber nicht einmal für die Ärztinnen und Ärzte,die es am dringendsten bräuchten, sondern für den Be-rufsstand insgesamt. Insofern sage ich – ich bin ja er-staunt, dass Sie den Begriff „Beglückung“ übernommenhaben –: Für den Berufsstand ist es ein Beglückungspa-ket.
In nicht einmal zwei Jahren Regierungszeit haben Siees geschafft, dafür zu sorgen, dass der Bundesfinanz-minister im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung derBevölkerung mitbestimmt. Eines ist doch wohl klar: DieEntscheidung, ob Geld in Banken oder in die medizini-sche Versorgung investiert wird, fällt bei Ihnen immerzugunsten der Banken aus. Für die gesetzlich Versicher-ten bleibt eine Versorgung nach Kassenlage. Eine Politikfür die Menschen, die Patientinnen und Patienten unddie Versicherten sieht anders aus.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin
in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen unsere Kollegin Birgitt Bender. Bitte schön,
Frau Kollegin Bender.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für dieKoalition besteht unser Gesundheitswesen offensichtlichnur aus Ärztinnen und Ärzten.
Wie anders lässt sich erklären, dass der Bundesgesund-heitsminister den Anspruch erhebt, die medizinischeVersorgung, vor allem die auf dem Lande, zu verbessern,und dann einen Gesetzentwurf vorlegt, der sich nur aufeine einzige Berufsgruppe im Gesundheitswesen be-zieht, nämlich auf die Ärztinnen und Ärzte?
Herr Minister, Sie sollten vielleicht weniger Fernse-en schauen und nicht die Soapoperas mit den Landärz-n zum Leitbild erheben, sondern einmal mit Ihrenachleuten im Ministerium reden.
ann würden Sie nämlich erfahren, dass Ihre eigenenachbeamtinnen und Fachbeamten im Jahre 2008 imuftrag der Gesundheitsministerkonferenz an einem Be-cht zur Sicherstellung der Primärversorgung ineutschland mitgearbeitet haben. Das ist heute unserhema. Damals wurde errechnet, dass aufgrund derlterung der Bevölkerung alleine bis zum Jahr 20205 000 zusätzliche Hausärztinnen und Hausärzte not-endig sein werden, und zwar nur, um den Status quo zurhalten. Darin waren Versorgungsengpässe, die es inndlichen Gegenden oder in den ärmeren Vierteln derroßstädte bereits gibt, noch nicht eingerechnet.Weiter hätten Sie, Herr Minister, dem Bericht entneh-en können, dass ein derartiger Anstieg eine Verdoppe-ng der jährlichen Niederlassungen innerhalb derächsten zehn Jahre voraussetzt. Des Weiteren hätten Sieann festgestellt, dass nach Einschätzung sowohl Ihrerigenen Fachleute als auch der Fachleute aus den Län-ern ein derartiger Anstieg in so kurzer Frist schlichticht möglich ist und allein schon deshalb die vorhande-en Potenziale nichtärztlicher Gesundheitsberufe, wieum Beispiel die von Pflegekräften, zu erschließen sind.ber genau das tun Sie nicht.
as heißt, die steigende Nachfrage nach Hausbesuchen,ach Patientenberatung und -schulung und auch nachnterstützung betreuender Angehöriger wird sich durchr Gesetz nicht befriedigen lassen.Diese seit drei Jahren vorliegenden Erkenntnisse undmpfehlungen entsprechen auch dem, was 2007 derachverständigenrat für das Gesundheitswesen festge-tellt hat. Aber davon ist in Ihren Gesetzentwurf nichtsingegangen, außer einigen Plattitüden. Man kann auchagen: Außer Spesen nichts gewesen.Auch ist in Ihrem Gesetzentwurf keine Rede voneuen Versorgungsformen, wie etwa von Kommunen ge-ründeten Arztstationen, um die Versorgung auf demand zu verbessern. Stattdessen wird der weitere Aus-au von medizinischen Versorgungszentren, in denenatientinnen und Patienten eine Versorgung aus einerand vorfinden, behindert, zum Beispiel indem Grün-ungswilligen der Zugang zum Kapitalmarkt versperrtird. Stattdessen wird der Geldhahn für die Ärztinnennd Ärzte aufgedreht. Zum vierten Mal innerhalb vonier Jahren steigen die Honorarmittel für die Ärzte-chaft, und das nicht etwa mit einer spezifischen Steue-ngswirkung, nein, für alle, unabhängig davon, ob sie inber- oder unterversorgten Regionen praktizieren.
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Birgitt Bender
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Die bereits vor Jahren beschlossenen, aber bis heute vonder Selbstverwaltung nicht umgesetzten Honorarab-schläge in überversorgten Bezirken werden ersatzlos ge-strichen. Wirksame Anreize hingegen für die Niederlas-sung auf dem Land oder in sozialen Brennpunkten gibtes keine.An fehlenden Hausbesuchen, ermüdenden Wartezei-ten und langen Anfahrten zur nächsten Landarztpraxiswird dieses Gesetz nichts ändern.
Aber offensichtlich – ich kann es Ihnen nicht ersparen –hat diese Regierung gar nicht vor, Probleme der Gesund-heitsversorgung wirklich zu lösen. Vielmehr kämpft dieFDP um ihr Überleben. Sie überlegt sich, wo sie viel-leicht noch ein Klientel vorfinden und befriedigenkönnte – dies könnte innerhalb der Ärzteschaft sein –,um einmal wieder 1 Prozent hinzuzugewinnen.Ich muss schon sehr ernsthaft sagen, Herr Minister:Für die Zusammenschlüsse der Ärzteschaft ist es ein ab-solut legitimes Anliegen, für die wirtschaftlichen Inte-ressen ihrer eigenen Mitglieder zu kämpfen. Wenn sichaber eine Regierung dies zu eigen macht, dann ist daseine politische Bankrotterklärung. Das werfen wir Ihnenvor.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in
unserer Debatte ist unsere Kollegin Frau Christine
Aschenberg-Dugnus für die Fraktion der FDP. Bitte
schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich muss Ihnen sagen: Wenn es hier imPlenum um Gesundheitsthemen geht, freue ich mich im-mer schon Tage vorher darauf, hier vor Ihnen zu spre-chen. Ich schaue in die netten Gesichter der Kolleginnenund Kollegen,
vor allem auf der linken Seite, von denen unentwegtVorwürfe kommen: Lobbyismus, Klientelpolitik undwen wir angeblich alles beglücken. Ich freue mich jedesMal darauf. Dabei sind Sie doch eigentlich nur verärgertdarüber, dass wir etwas regeln und etwas tun. Sie hinge-gen haben jahrelang nichts getan und immer behauptet,es müsse auch nichts getan werden. Sie ärgern sich dochnur darüber.
Meine Damen und Herren, unser Minister DanielBahr hat Ihnen soeben einen Gesetzentwurf vorgestellt,mit dem die zentralen Probleme in der Gesundheitsver-sorgung gelöst werden. Mit dem Gesetzentwurf gehenwdszBuMdwdOledVmdWzuwNflwuäVnbmdsihwteNren
it unserem Gesetzentwurf verbessern wir ganz konkretie medizinische Versorgung der Patienten und rückenir den Menschen dorthin, wo er hingehört, nämlich inen Mittelpunkt unseres Handelns. Die Menschen vorrt werden spüren, dass ihre tatsächliche und auch er-bte Versorgungssituation besser ist als in Zeiten sozial-emokratischer Gesundheitspolitik unter Ulla Schmidt.
erantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel von Maßnah-en. Sie müssen sich den Gesetzentwurf nur einmalurchlesen. Ich nenne vier Beispiele:Erstens. Die am Wohl des Patienten ausgerichteteeiterentwicklung der Bedarfsplanung. Sie ist nichtentralistisch, Frau Bunge, sondern zielgenau, flexibelnd die regionalen Besonderheiten berücksichtigend,as uns besonders wichtig ist.Zweitens. Die Weiterentwicklung der Steuerung desiederlassungsverhaltens von Ärzten. Diese ist ebenfallsexibel und regionalisiert ausgestaltet; denn vor Orteiß man besser, was zu tun ist.
Drittens. Die stärkere Verzahnung von ambulanternd stationärer Behandlung.Viertens. Die sektorenübergreifende Organisation desrztlichen Notdienstes. Auch durch den Ausbau mobilerersorgungskonzepte werden wir zur Sicherstellung ei-er flächendeckenden und bedarfsgerechten Versorgungeitragen.
Während die eine Hälfte des Hauses die Ärzte gebets-ühlenartig als eigennützige Berufsgruppe bezeichnet,ie möglichst viel Geld raffen will,
ehen wir es als selbstverständlich an, dass die Ärzte mitrem Beruf auch Geld verdienen müssen. Das ist dochohl ganz klar. Deswegen finden wir es ganz im Gegen-il zu Ihnen auch überhaupt nicht schlimm, dass dasiederlassungsverhalten der Ärzte über finanzielle An-ize geregelt wird. Frau Bunge, ich habe es eben in ei-em Zwischenruf schon einmal gesagt: In der DDR gab
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Christine Aschenberg-Dugnus
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es eine Medaille zum Ehrentitel „Verdienter Arzt desVolkes“. Ich glaube, dafür gab es 8 000 Ostmark. Inso-fern müsste Ihnen das eigentlich bekannt vorkommen.
Meine Damen und Herren, ich komme aus einer länd-lichen Region in Schleswig-Holstein. Mein Wahlkreis istRendsburg-Eckernförde. Glauben Sie wirklich, dass icheinen jungen Arzt aus Kiel mit gutem Zureden überredenkann, sich in einer ländlichen Gegend wie zum BeispielBrekendorf niederzulassen, nur weil dort ein Bedarfbesteht? Meinen Sie, er würde sein gesamtes bisherigesfamiliäres und kulturelles Umfeld aufgeben, weil diePolitik nach zehn Jahren Ulla Schmidt gegensteuern undden Ärztemangel auf dem Land bekämpfen muss, waswir jetzt ja tun? Das glaube ich nicht.Wir haben mit den Ärzten gesprochen und ihnen zu-gehört. Das rate ich Ihnen auch.
Natürlich ist den Ärzten das Honorar wichtig. Man mussschließlich auch Geld verdienen; das ist völlig legitim.Deswegen schaffen wir einen finanziellen Anreiz da-durch, dass Landärzte von der Abstaffelung der Hono-rare ausgenommen werden, damit sie für mehr Arbeitnicht auch noch weniger Geld bekommen.
Wer den Ärzten zuhört, der wird auch feststellen, dassdie Finanzen nicht das Wichtigste sind, sondern ganz be-sonders wichtig ist für junge Ärzte das Umfeld, in demsie arbeiten und leben. Genau deshalb lockern wir dieResidenzpflicht. Dass Mediziner dort wohnen müssen,wo sie ihre Praxis haben, ist einfach nicht mehr zeitge-mäß. Wenn Menschen auf dem Land wohnen und in derStadt arbeiten können, dann muss das genauso gut auchumgekehrt möglich sein.
Eine Lockerung der Residenzpflicht wird dazu beitra-gen, dass Mediziner ihre Lebensentwürfe stärker als bis-her an der Vereinbarkeit von Familie, Privatleben undBeruf ausrichten können. Das betrifft vor allen Dingenauch Frauen. Wir alle wissen ja: Die Medizin wird weib-lich. Durch diese Maßnahme wird die ärztliche Versor-gung auf dem Land immens gestärkt.Nicht nur unsere konkreten Schritte zur Verbesserungder medizinischen Versorgung sind wegweisend, son-dern auch der Geist dieses Gesetzentwurfs und der Men-talitätsunterschied zu den Ansätzen der Opposition sindim besten Sinne bemerkenswert.
Wir setzen eben nicht auf Zwang, wie es der SPD-Men-talität entsprechen würde, sondern wir setzen auf An-reize und Motivation.WdugdtetituIhmMwuteFusVluDsgwsDAddWdwkZteimPhShe
ir sagen nicht einfach: Geh aufs Land! Mach, dass duort hinkommst! – Vielmehr bieten wir Anreize, sich innterversorgten Regionen niederzulassen. Wir ermuti-en und bestärken junge Mediziner, sich bewusst aufem Land niederzulassen, weil es eben nicht mit Nach-ilen verbunden sein wird, weil es eben nicht unattrak-v ist, sondern gewürdigt wird.
Sie werden es erleben: Wenn unser Versorgungsstruk-rgesetz in Kraft ist, werden Sie zugeben müssen, dassre verbale Geisterfahrt völlig unangemessen war. Wirachen nämlich kein Ärztebeglückungsgesetz. Unserinister macht ein Patientenbeglückungsgesetz. Daserden Ihnen die Patienten demnächst bestätigen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in
nserer Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokra-
n unsere Kollegin Dr. Marlies Volkmer. Bitte schön,
rau Kollegin Dr. Volkmer.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Alle Menschen in unserem Land müssenich darauf verlassen können, eine gute medizinischeersorgung zu bekommen, ganz gleich, ob sie in Bal-ngsgebieten der Großstadt oder auf dem Land leben.azu gehört die Teilhabe am wissenschaftlichen Fort-chritt. All das muss unter den Bedingungen der Demo-rafie in einer älter werdenden Gesellschaft erbrachterden.Ein Versorgungsgesetz muss sich daran messen las-en, wie es diese Ziele umsetzt. Ich sage von vornherein:ieser Gesetzentwurf wird den Zielen nicht einmal imnspruch gerecht,
enn man kann die Anforderungen von morgen nicht miten Strukturen von gestern lösen. Zu klären ist doch:as müssen wir in unserem Gesundheitssystem verän-ern? Wie müssen wir die Strukturen gestalten, damitir tatsächlich zu einer bedarfsgerechten Versorgungommen? Dabei ist die Frage entscheidend: Wie ist derugang in dieses Gesundheitssystem?Im geltenden Gesetz haben wir das geregelt. Wir hat-n noch niemals so viele Medizinerinnen und Mediziner Lande wie heute. Trotzdem wissen wir alle aus derraxis, dass Patientinnen und Patienten Schwierigkeitenaben, Termine beim Facharzt zu bekommen. Sie habenchwierigkeiten, einen Hausarzt zu finden, wenn ihr bis-eriger Hausarzt in Rente geht. Das liegt an vielem, abers liegt auch daran, dass wir in den strukturschwachen
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Dr. Marlies Volkmer
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Regionen eine Unterversorgung und in den Ballungsge-bieten häufig eine Überversorgung haben.Ein Versorgungsgesetz muss für eine bessere Vertei-lung der Ärzte sorgen. Dazu gehört es, Überversorgungabzubauen, und zwar wirksam.
Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Inzwi-schen fordern auch Teile der Ärzteschaft, gesetzlich zuregeln, dass überflüssige Praxen nicht wiederbesetzt,sondern aufgekauft werden.
Freiwilligkeit nützt hier nichts. Damit kommen Sie nichtweiter.Der Gesetzentwurf dieser Bundesregierung wird dazuführen, dass der Ärztemangel regional sogar noch ver-stärkt wird, nämlich durch die Regelung für die spezial-ärztliche Versorgung.
Ich will es ganz klar sagen: Sie sehen in Ihrem Gesetz-entwurf vor, für die spezialärztliche Versorgung jeglicheBedarfsplanung und jegliche Mengenbegrenzung abzu-schaffen. Das heißt, ein Arzt kann seine Leistungenüberall im Lande erbringen, und zwar ohne Mengenbe-grenzung. Wer kann, der darf.
Ich muss keine Hellseherin sein, um vorauszusagen, waspassieren wird: Die Ärzte werden danach drängen, in diespezialärztliche Versorgung zu gehen.Das hat zwei Folgen. Die eine Folge ist – das wissenSie ganz genau – eine deutliche Verteuerung dieses Ge-sundheitssystems. Zu bezahlen haben es die Versichertenallein, nämlich durch Zusatzbeiträge.
Die zweite negative Folge ist: Der Anreiz von Medizin-studenten, sich zum Allgemeinmediziner ausbilden zulassen, sinkt. Dadurch wird es nicht mehr, sondern weni-ger Hausärzte geben.
Das ist gegen die Interessen der Patientinnen und Patien-ten, und es ist auch gegen die Interessen vieler Ärztinnenund Ärzte. Um Überversorgung abzubauen, müssen au-ßerdem die Honorarzuschläge in unterversorgten Gebie-ten Honorarabschlägen in überversorgten Gebieten ge-genüberstehen.Sie haben von einem Blumenstrauß an finanziellenAnreizen gesprochen, den Sie Ärzten zur Verfügungstellen wollen, die sich auf dem Land niederlassen. Mitdiesem Blumenstrauß werden Sie nicht viel erreichen.Denn es sind nicht in erster Linie finanzielle Gründe, dieÄoEEaFSubbVzsMSGihKdinnrumLkwrahvDüdhisdteS
in wesentlicher Grund ist vielmehr, dass sie nicht alsinzelkämpfer rund um die Uhr für ihre Patienten ver-ntwortlich sein wollen. Da ist es sehr schwer, Beruf undamilie zu vereinbaren.
ie wollen auch Zeit für eine kontinuierliche Fortbildungnd den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ha-en.Deswegen liegt es auf der Hand, dass wir Strukturenrauchen, die mehr Teamarbeit ermöglichen. Integrierteersorgungskonzepte und medizinische Versorgungs-entren auch in Krankenhäusern sind gerade in dentrukturschwachen ländlichen Regionen extrem wichtig.it dem Gesetzentwurf tun Sie aber nichts, um diesetrukturen zu verbessern. Sie erschweren vielmehr dieründung von medizinischen Versorgungszentren undr Fortbestehen. Das ist zwar durchaus im Interesse derassenärztlichen Bundesvereinigung, aber es ist gegenie Interessen von Patientinnen und Patienten und auch diesem Fall wieder gegen die Interessen vieler Ärztin-en und Ärzte.Es ist auch an der Zeit, nichtärztliche Gesundheitsbe-fe stärker einzubinden. Ihre Forderung an den Ge-einsamen Bundesausschuss, eine Liste delegierbarereistungen zu erstellen, ist bloß ein Feigenblatt. Ärzteönnen doch schon heute Leistungen delegieren. Dasird auch praktiziert.Viele Maßnahmen der Bundesregierung kranken da-n, dass Sie den Arzt immer noch als Einzelkämpfer se-en. Das ist aber überholt.Zusammenfassend stelle ich fest: Der Gesetzentwurferbessert die Versorgung nicht, er verteuert sie aber.ie steigenden Kosten sind allein durch die Versichertenber Zusatzbeiträge aufzubringen.Der Entwurf dieses Gesetzes mit dem wohlklingen-en Namen Versorgungsstrukturgesetz oder, wie icheute gelernt habe, Patientenbeglückungsgesetz
t nichts anderes als eine teure, schillernde Seifenblase,ie schon beim bloßen Hinsehen zerplatzt.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Jetzt spricht als Nächs-r für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Jenspahn. Bitte schön, Kollege Jens Spahn.
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Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Man könnte schadenfroh sein, Herr KollegeLauterbach und Frau Kollegin Volkmer, wenn man sieht,wie Sie sich hier winden müssen,
um Argumente zu suchen und Haare in der Suppe zu fin-den. Denn Sie wissen genau, dass Sie das, was wir mitdem Versorgungsstrukturgesetz angehen und was imGrunde die Debatte fast der letzten zehn Jahre über dieVersorgung im ländlichen Raum widerspiegelt, in denvergangenen Jahren längst hätten tun müssen. Es wurmtSie, dass wir das jetzt tun. Deswegen suchen Sie mit al-ler Gewalt und mit zum Teil etwas verqueren Argumen-tationen das Haar in der Suppe.
Ärgern Sie sich nicht! Arbeiten Sie konstruktiv mit,damit der Gesetzentwurf in den Beratungen im Deut-schen Bundestag noch besser wird!
Wir haben im letzten Jahr die Finanzierung der ge-setzlichen Krankenversicherung neu geregelt. Wir habeneine zusätzliche Einnahmequelle jenseits einer lohnab-hängigen Finanzierung gefunden, die tragfähig und aufDauer angelegt ist. In diesem Jahr geht es, nachdem wirim letzten Jahr die Finanzierung besprochen haben, imSchwerpunkt um die Frage, was mit dem Geld passiert.Wie können wir die beiden entscheidenden Qualitäts-merkmale des deutschen Gesundheitswesens, die unsdeutlich von allen anderen Ländern in Europa und aufder Welt unterscheiden, auch für die Zukunft sichern?Diese beiden Merkmale sind erstens der schnelle Zugangzu Innovation – man findet kaum noch ein Land, in demein neu zugelassenes Medikament erstattungsfähig ist;die Erstattungsfähigkeit in Deutschland beizubehalten, istuns wichtig, weil sie für viele Patienten, etwa für krebs-kranke, die Hoffnung auf Leidminderung bedeutet – undzweitens eine flächendeckende Versorgung; Spitzenme-dizin darf nicht nur in München oder in Hamburg ange-siedelt sein, sondern es muss sie auch andernorts geben;wir wollen, dass es überall rund um die Uhr einen gutenZugang zur Versorgung gibt. Die Sicherung dieser bei-den Qualitätsmerkmale ist das eigentliche Ziel dessen,was wir hier tun.
Es geht hier heute um ein – dieser Begriff ist zu Rechtverwandt worden; mit dem Wort „Patientenbe-glückungsgesetz“ tue ich mich allerdings schwer – Pa-tientengesetz. Das ganze Jahr schon stellen wir den Pa-tienten und seine Bedürfnisse, seinen Blick, seinenerlebten Versorgungsalltag in den Mittelpunkt.
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atürlich steht im Mittelpunkt all dieses Tuns die Ab-icht, sich anzuschauen, wie ein Patient die Versorgunguf Grundlage dieses Versorgungsgesetzes erlebt.Ein großes Thema in diesem Zusammenhang ist – dast hier schon angesprochen worden – die flächende-kende Versorgung. In einer 20 000-Einwohner-Stadtie Gescher im Münsterland, meiner Heimatregion, gibts noch sieben Hausärzte. Wenn man dort eine Veran-taltung zum Thema Patientenversorgung durchführt,ommen 200 Menschen. Die Menschen dort wissenämlich: Von den sieben Hausärzten dort sind fünf über5 Jahre. Da man weiß, dass es für Hausärzte im Mo-ent nicht attraktiv ist, aufs Land zu gehen, bewegen dieenschen die Fragen: Was ist eigentlich in zehn Jahren?as tun die Politiker gegen diese mangelnde Attraktivi-t?
s geht hier nicht um ein Ärztegesetz. Man bringt eineute Versorgung der Menschen nur mit den Menschenustande, nicht gegen sie. Wir denken von den Sorgener Menschen her, wenn wir über diese Maßnahmen anieser Stelle reden.
Ansetzen muss man bei der Definition des Istzustan-es. Sie haben recht: Die heutige Bedarfsplanung funk-oniert nicht. Sie wurde in den 1990er-Jahren zu Zeitener Ärzteschwemme diskutiert. Aus den uns vorliegen-en Zahlen lässt sich die Frage, ob eine Region gut ver-orgt ist oder nicht, nicht angemessen beantworten. Des-egen führen wir eine neue Bedarfsplanung durch. Wirchauen dabei nicht mehr nur in die Landkreise odertädte, sondern wir gehen kleinräumiger vor, damit wirenau wissen, wo im Land es einen Versorgungsbedarfibt.Das Ganze ist übrigens nicht nur – vieles in dieserebatte war für mich arg verkürzt – ein Stadt-Land-Pro-lem. Natürlich gibt es bei uns im Münsterland, in derifel, in Mecklenburg-Vorpommern und in vielen ande-n Gegenden Versorgungsprobleme. Aber diese Pro-leme gibt es auch in den Städten. Vielleicht sollten wiruch darüber einmal eine Diskussion führen. In Berlin-eukölln gibt es zwar die meisten Kinder, aber in Ber-n-Charlottenburg gibt es die meisten Kinderärzte. Auch
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Jens Spahn
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in den Städten gibt es also Verteilungsprobleme. Auchda müssen wir entsprechende Anreize setzen.
– Wenn das Einzige, was Ihnen zum Thema „flächende-ckende Versorgung“ einfällt, der Abbau von Überversor-gung ist, dann ist das aber arg wenig; das muss ich Ihnensagen. Das in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen,wird dem Thema nun wirklich nicht gerecht, zumal Siegenau wissen, dass wir dieses Problem angehen.Jetzt komme ich zum Thema „flächendeckende Ver-sorgung“. Frau Kollegin Bunge, ich muss mich schonsehr wundern. Ich finde es gut, dass wir in einem frei-heitlichen Staat leben, in dem jeder selbst entscheidenkann, wo er eine Praxis eröffnet.
Sie sprachen auch von angestellten Ärzten. Ich weißnicht, ob Sie damit eine Art kubanisches Modell „ange-stellte Parteiärzte“ meinen. Wir jedenfalls haben ein Bildvon freiberuflichen Ärzten, die natürlich selbst entschei-den, wo sie sich in unserem freien Land niederlassen.
Man muss über Anreize reden, durch die es attraktivwird, sich auf dem Land niederzulassen. Über ein Staats-dekret geht das seit 1990 glücklicherweise jedenfallsnicht mehr.Aus den beschriebenen Gründen reden wir über sol-che Anreize. Dazu gehören finanzielle Anreize. Selbst-verständlich muss es sich finanziell lohnen, aufs Land zugehen; schließlich muss man dort viel mehr arbeiten alsin der Stadt: Praxen sind länger voll; man ist womöglichder einzige Arzt weit und breit. In Mecklenburg-Vor-pommern etwa muss man für einen Hausbesuch zumTeil 30 Kilometer fahren. Auf dem Lande hat man we-gen der Zersiedelung und der Kleinräumigkeit weitereWege.Hinzu kommen andere wichtige Rahmenbedingun-gen. Geld allein wird es nicht richten; da haben Sierecht. In diesem Zusammenhang geht es um die bereitsangesprochene Residenzpflicht: Muss ein Arzt in derNähe seiner Praxis wohnen, oder ist es ihm gestattet, inder Stadt zu wohnen und auf dem Land zu arbeiten? Da-rüber hinaus geht es um die Organisation von Notdiens-ten. Ärzte auf dem Land haben zweimal im Monat amWochenende Notdienst, Ärzte in der Stadt hingegen nurein Mal im halben Jahr. Angesichts dessen kann, glaubeich, jeder verstehen, dass dieser Aspekt für eine jungeÄrztin oder einen jungen Arzt ein Kriterium bei der Be-antwortung der Frage ist, ob man aufs Land oder in dieStadt geht.Deswegen ist nicht nur Geld ein Thema, sondern esmüssen auch viele andere Rahmenbedingungen berück-sichtigt werden. Genau das tun wir mit diesem Gesetz.Es enthält viele Maßnahmen – größere wie kleinere –,um es insgesamt attraktiver zu machen, sich als Arzt inszDeEDseebvgawmMmmntesLbUSd–AsnugmsdmeläteficdnPEerurew
ine Apotheke ohne Rezept funktioniert nicht gut. Dieiskussion darüber, wie wir eine flächendeckende Ver-orgung mit Ärzten hinbekommen, ist nichts anderes alsine Vorbotendebatte über die Frage, wie wir insgesamtine gute medizinische Versorgung der Bevölkerung hin-ekommen. Es wäre gut, wenn Sie sich etwas konstrukti-er und etwas weniger plakativ in diese Debatte einbrin-en würden.
Ein weiteres Thema, das die Menschen auf allen Ver-nstaltungen wahnsinnig bewegt, sind die Wartezeiten,enn es darum geht, einen Facharzttermin zu bekom-en. Zum Teil gibt es objektive Probleme. Bei uns imünsterland etwa ist die Zahl der Neurologen im Mo-ent leider noch sehr überschaubar. Deswegen mussan dort als Parkinsonpatient fünf, sechs Monate auf ei-en Termin zur Neueinstellung der Medikamente war-n. Zum Teil gibt es auch subjektive Probleme, wie manie aus den großen Städten kennt. Herr Kollegeauterbach, da unterscheiden wir uns sehr deutlich. Ichin Ihnen dankbar, dass Sie in den letzten Monaten dienterschiede so deutlich gemacht haben. Sie wollen mittrafen arbeiten. Der Arzt, der nicht innerhalb von zwei,rei Wochen einen Termin anbietet, soll 20 000 Eurooder wie viel auch immer – Strafe zahlen. Nach Ihremrztbild müssen die Ärzte gezwungen werden, die Men-chen zu versorgen. Sie tun so, als ob die Ärzte garichts mit Patienten zu tun haben wollten. Das ist nichtnser Arztbild. Wir wissen, dass wir eine gute Versor-ung der Menschen nicht gegen die Ärzte, sondern nurit den Ärzten hinbekommen. Es ist schön, dass Sie die-en Unterschied zwischen uns im Zusammenhang miten Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, deutlich ge-acht haben.
Wir wollen bei den Wartezeiten auf gemeinsame Ver-inbarungen setzen, aus denen hervorgeht, wie die Ab-ufe zu erfolgen haben, wann ein Hausarzt einen Patien-n an den Facharzt überweist, wie schnell Termine zunden sind. Ärzte und Krankenkassen sollen vertragli-he Rahmenbedingungen vereinbaren. Natürlich geht esabei auch um Vergütungsstrukturen. Es muss sich loh-en, sich um schwierige Fälle zu kümmern und einenatienten intensiv zu untersuchen.
s dürfen nicht einmal im Quartal nur leichtere Fälleinbestellt werden, weil dann die pauschale Finanzie-ng ausgelöst wird. Wir müssen also über die Anreizeden und dürfen die Ärzte nicht pauschal diffamieren,ie Sie das tun. Wir haben hier einen anderen Ansatz.
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Jens Spahn
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Ein weiteres Thema, das die Menschen bewegt, istdas Entlassungsmanagement im Krankenhaus. Wenn ichals Patient am Freitagnachmittag nach einer Hüftopera-tion das Krankenhaus verlasse, dann möchte ich michnicht fragen müssen, was jetzt passiert. Es gibt schonviele Häuser, in denen das sehr gut klappt. Aber es gibtauch viele, in denen es noch Probleme gibt. Es geht da-bei um folgende Fragen: Wie geht es nach der Entlas-sung aus dem Krankenhaus weiter, ambulante Pflegeoder stationäre Pflege? Gibt es eine Familie, die den Pa-tienten auffängt, oder lebt der Patient allein? Wie geht esmit der Medikation weiter? Braucht der Patient vielleichtein Rezept für die Physiotherapie oder für ein Arzneimit-tel? Bislang sind all diese Fragen zu oft ungeklärt. Wirsagen: Das muss besser laufen. Das Einfachste ist einebessere Kommunikation zwischen Krankenhäusern undniedergelassenen Ärzten. Aber auch zwischen Haus- undFachärzten muss es besser laufen. Deswegen wollen wirvernetzte Strukturen und eine bessere Zusammenarbeit.Der Patient soll einen Anspruch darauf haben, dass zwi-schen Krankenhaus und niedergelassenem Arzt eineKommunikation stattfindet. Das wollen wir regeln. Da-bei setzen wir aber nicht auf Strafen, sondern auf An-reize; denn wir glauben, dass das die Versorgung letzt-lich verbessert.
Kollege Spahn, der Kollege Dr. Lauterbach möchte
eine Zwischenfrage stellen und damit Ihre Redezeit ver-
längern. Gestatten Sie dies?
Mit Freuden.
Bitte schön.
Sie haben die Problemlage beschrieben,
zum Teil nicht falsch. Aber Sie haben aus meiner Sicht
zum Gesetzentwurf eigentlich nichts gesagt. Daher
greife ich das einzige konkrete Beispiel auf, das Sie ge-
nannt haben. Sie haben gesagt, dass man als Parkinson-
patient in Münster – wenn man so will, in Ihrer Heimat-
stadt – auf einen Termin für die Neueinstellung der
Medikamente sechs Monate warten muss. Was ändert
denn Ihr Gesetzentwurf, den wir heute beraten, an die-
sem konkreten Fall? Meines Erachtens ändert sich da-
durch nichts. Münster ist die Stadt, die vom Kollegen
Bahr und Ihnen sozusagen mit betreut wird. In dem ein-
zigen Fall, den Sie als Beispiel genannt haben, ändert
sich durch das Gesetz aus meiner Sicht nichts.
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doch; hören Sie einmal genau zu, Herr Kollege Kuhn –,at mit den Vergütungsstrukturen zu tun. Wenn es nurauschalvergütungen gibt, dann ist das ein Anreiz dafür,öglichst viele Patienten mit leichten Krankheiten ein-al im Quartal zu bestellen.
enn es aber die Möglichkeit der Einzelleistungsvergü-ng gibt, dann stellt das einen Anreiz dar, sich als Fach-rzt in unterversorgten Gebieten niederzulassen. Wir ha-en viele konkrete Punkte aufgegriffen. Man hat aberchon an Ihrer Rede gemerkt, dass Sie den Gesetzent-urf nicht besonders intensiv gelesen haben.
ie können das aber bei den Beratungen in den nächstenochen noch nachholen, Herr Kollege Lauterbach.
Auch das Thema Regress beschäftigt die Menschen.abei geht es nicht nur um die Ärzte. Vielmehr habenie Patienten Angst, dass ihnen ihr Arzt aus Angst voregressforderungen nicht die Medikamente verschreibt,ie er wirklich braucht. Mit dieser Angst der Patientenüssen wir umgehen. Wir können doch nicht nur miten Achseln zucken, sondern wir müssen darauf reagie-n. Wir wollen den Ärzten die Angst vor dem Regressehmen, sie aber trotzdem zu wirtschaftlichem Verord-en anhalten; denn es soll nichts verschwendet werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15075
Jens Spahn
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Deswegen muss das Prinzip „Beratung vor Regress“ und„Beratung vor Bestrafung“ gelten, damit der Arzt keineAngst haben muss, wenn er Medikamente verschreibt,und vor allem der Patient sicher sein kann, dass er dasbekommt, was er braucht. Wir tun mit vielen Einzelmaß-nahmen etwas für die Patienten. Diese Beispiele machendas sehr deutlich.
Abschließend kann man mit Fug und Recht sagen,
dass wir mit diesem Gesetzentwurf die erlebte Versor-gungsrealität des Patienten in den Mittelpunkt stellen.Erstmals seit 10, 15 Jahren ist dies auch der Entwurf ei-nes Gesetzes im Gesundheitswesen, das kein Spargesetzist, sondern durch das Strukturen verändert werden.
Es geht darum, wofür wir wie viel Geld ausgeben, umdie Versorgung der Patienten zu verbessern.Ich verstehe, dass Sie sich ärgern und etwas schmal-lippig sind, weil wir diese Dinge anstoßen, während Siezehn Jahre lang nur darüber geredet haben.
Es wäre schön, wenn Sie sich in den nächsten Wochenkonstruktiv in diese Debatte einbringen würden. Sie ha-ben noch viele Gelegenheiten dazu. Ich sage Ihnen eineszu:
Das war doch schon ein wunderbarer Schlusssatz.
Wenn Sie zur Abwechslung einmal einen konstrukti-
ven Vorschlag machen, greifen wir ihn gerne auf.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in un-
serer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
unser Kollege Dr. Harald Terpe. Bitte schön, Kollege
Dr. Terpe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer nach denbisherigen enttäuschenden Gesundheitsgesetzen derschwarz-gelben Koalition einen gesundheitspolitischenAufbruch erwartet hat, der wird auch diesmal enttäuscht:Trippelschrittchen in die Zukunft und weit ausholendeSchritte in die Vergangenheit.üreuIccruVadAssdticoaVDdlusdg–uednEZulaVnhwdlihtiEon
Nun will ich nicht behaupten, dass der Gesetzentwurfberhaupt keine für die Versorgung sinnvollen Einzel-gelungen enthält. Es ist manches darunter, wofür Siensere konstruktive Unterstützung haben.
h nenne beispielsweise die Überarbeitung der ärztli-hen Bedarfsplanung mit regionalem Bezug, die Locke-ng der Residenzpflicht, die Datengrundlage für dieersorgungsforschung und nach meiner Meinung – trotzller Unbestimmtheit – im Grundsatz auch die Schaffunger spezialärztlichen Versorgung.
ber gemessen an dem, was zur Verbesserung der Ver-orgung eigentlich getan werden müsste, ist dieser Ge-etzentwurf ein Flop.Wir wissen, dass durch den demografischen Wandelie Zahl der chronisch und mehrfach erkrankten Patien-nnen und Patienten zunehmen wird, vor allem in ländli-hen Räumen. Deshalb wird sich die Art der Versorgunghnehin ändern müssen, und zwar weg von der reinrztzentrierten Behandlung hin zu einer ganzheitlichenersorgung der Patientinnen und Patienten.
azu liegen zahlreiche Studien vor. Beispielsweise hater Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwick-ng im Gesundheitswesen wiederholt darauf hingewie-en, dass schon heute ein erheblicher Verbesserungsbe-arf in der gesundheitlichen Versorgung besteht. Dabeieht es nicht nur um die erlebte Versorgungsqualitätohne Frage ein wichtiger Punkt –, sondern es geht auchm tiefgreifende Strukturveränderungen. Es geht umine Stärkung der integrierten Versorgung, damit endlichie überkommene Grenze zwischen dem niedergelasse-en Bereich und den Krankenhäusern überwunden wird.s geht um eine andere Aufgabenverteilung, um bessereusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen undm eine Stärkung der Primärversorgung. Meine Theseutet, dass sektoren- und professionenübergreifendeersorgungsstrukturen die besten Chancen für eineachhaltig gute Versorgungsqualität bieten.Der Sachverständigenrat hat auch wiederholt daraufingewiesen, dass die Anreize in unserem Gesundheits-esen nicht stimmen. Der gesunde Patient lohnt sich füren Arzt überhaupt nicht. Es geht nur noch darum, mög-chst viele Leistungen zu erbringen. Das führt zu eineräufig entseelten, nicht am Gesundheitsnutzen der Pa-entinnen und Patienten orientierten Medizin.
s tut mir leid: Ich sehe in diesem Gesetzentwurf wenigder nichts, durch das dieses spezifische Problem auchur im Ansatz zu lösen wäre.
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Dr. Harald Terpe
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Stattdessen öffnen Sie die Tür für größtenteils unkon-ditionierte Honorargeschenke an Ihre vermeintlicheKlientel. Ich glaube, es werden mehr Anreize für einebessere Versorgung, gerade im Primärbereich, ge-braucht; gebraucht wird nicht die Belohnung der clevers-ten Leistungsausweitung. Honorare ja, aber leistungsge-recht und transparent.
Ähnlich verfahren Sie mit dem Gemeinsamen Bun-desausschuss. Auch dort stärken Sie die finanziellen In-teressen der Leistungserbringer. Künftig wird es nochschwerer sein, Behandlungsmethoden auszuschließen,die uns alle nur Geld kosten, für die Patientinnen und Pa-tienten aber keinen gesundheitlichen Nutzen bringen.
Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass un-solidarische Politik zulasten vieler und zum Nutzen we-niger leider Tradition in der FDP hat.
Der Vorgänger im Amt des Gesundheitsministers, HerrRösler, hat bei der Verabschiedung des GKV-Finanzie-rungsgesetzes im vergangenen Jahr an dieser Stelle be-klagt, dass im Gesundheitswesen reglementiert werde,wer wann welche Leistung bei wem an welchem Ort er-bringen dürfe oder eben nicht. Deshalb muss hier gefragtwerden: Warum und zu wessen Nutzen reglementierenSie eigentlich, wer in Deutschland ein MedizinischesVersorgungszentrum gründen darf? Sollen die MVZ inKliniken gar ausgebremst werden? Warum begrenzenSie sogar die Wahl der Rechtsform eines solchen Versor-gungszentrums? Von den 1 700 MVZ sind ganze 5 MVZin der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Trotzdemwird Zeit darauf verschwendet, eine Regelung für diesefünf Fälle zu treffen. Ich finde, das ist Placebopolitik.
Auch andere Regelungen in diesem Gesetzentwurfsind mehr als dürftig. Sie rühmen sich unter anderem da-mit, dass Ärztinnen und Ärzte in unterversorgten Regio-nen künftig keine Angst mehr vor Honorarkürzungen ha-ben müssen. Wir haben dazu in einer Kleinen Anfragenachgefragt. Daraufhin wurde uns gesagt: Diese gesetz-liche Regelung würde im Grunde aktuell 37,3 Ärztinnenund Ärzte betreffen. Wenn man dann noch berücksich-tigt, dass Hausärztinnen und Hausärzte in den wirklichunterversorgten Regionen eigentlich ohnehin keineHonorarkürzungen haben, dann betrifft das nur noch7,3 Ärztinnen und Ärzte.
Es ist also auch eine Regelung, die im Grunde kaum eineBedeutung hat.Wir sind dann bei der Frage, die auch schon aufge-worfen worden ist: Wie gehen wir mit der Unterversor-gung um – das ist das Wichtigste bei diesem Thema –,aber auch mit der Überversorgung? Dazu ist schon einBmäbruPLvFRVkSVdqcbddSfrDsmwuteÄsdshpFvopsdMwds
Abschließend: Dieser unzulängliche Gesetzentwurfräuchte im Verfahren eine grundlegende Neuorientie-ng, nämlich eine Orientierung an den Patientinnen undatienten und nicht am monetären Nutzen einzelnereistungserbringer. Dafür hätten Sie jedenfalls unsereolle Unterstützung.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner für die
raktion der CDU/CSU ist unser Kollege Lothar
iebsamen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!or der Sommerpause haben wir den Entwurf des Kran-enhaushygienegesetzes vorgelegt, und kurz nach derommerpause, also heute, legen wir den Entwurf desersorgungsstrukturgesetzes vor. Sie können erkennen,ass wir bei beiden Gesetzentwürfen die Versorgungs-ualität der Menschen in Deutschland in den Fokus rü-ken. Sie können auch erkennen, dass der Gesetzge-ungsprozess des vergangenen Jahres – es ging darum,ie GKV-Finanzierung auf der Einnahmeseite wie aufer Ausgabenseite auf sichere Beine zu stellen – keinelbstzweck war. Damit haben wir sozusagen Mitteleigeschaufelt, um die Versorgungsqualität, die ineutschland weitestgehend gut ist, zu sichern. Dort, woie weniger gut ist – in ländlichen Räumen, aber auch inanchen Stadtbezirken –, soll sie deutlich verbesserterden.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf orientieren wirns an der Lebenssituation der Patientinnen und Patien-n, aber auch an der Lebenssituation der Ärztinnen undrzte im 21. Jahrhundert, an den Strukturen unseres Ge-undheitssystems, insbesondere in den Sektoren und aneren Grenzen.Entscheidende Weichenstellungen sind in diesem Zu-ammenhang im Bereich der Bedarfsplanung vorgese-en. Wir wollen weg von einer eher zentralen Bedarfs-lanung hin zu einer dezentralen Bedarfsplanung. Dieachleute vor Ort kennen die Situation. Sie wissen, wieiele Kilometer es bis zum nächsten Hausarzt, Facharztder Krankenhaus sind. Es ist wichtig, diese Bedarfs-langrenzen nicht an politischen Grenzen festzumachen,ondern an Grenzen, die an der Vernunft und am Wissener Fachleute vor Ort orientiert sind.Es ist folgerichtig, dass die Länder erheblich mehritwirkungsrechte bekommen. In den Landesausschüssenerden Sie mitberaten können. Die Bedarfsplanung isten Ländern vorzulegen. Sie werden auch beim Gemein-amen Bundesausschuss ein Mitspracherecht bekom-
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Lothar Riebsamen
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men. Bei der Umsetzung werden allerdings nicht nur dieLänder einbezogen, sondern auch die Gemeinden. Wenndie Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit denGemeinden erkennen, dass die Notwendigkeit besteht,eine Versorgungslücke zu schließen, können die Ge-meinden eigene Einrichtungen betreiben.Neben der Bedarfsplanung geht es um die sektorüber-greifende Versorgung und um deren Ausbau. Hier ent-stehen zusätzliche Möglichkeiten, insbesondere im spe-zialärztlichen Bereich. Jeder, der eine entsprechendemedizinische Leistung erbringen kann – die Betonungliegt auf „kann“; die Qualität der Behandlung ist dieerste und wichtigste Voraussetzung – darf behandeln. Inbeiden Sektoren muss die gleiche Leistung erbracht wer-den.
Wir orientieren uns an der Lebenssituation der Ärztin-nen und Ärzte, die sich in den letzten Jahrzehnten geän-dert hat. Wir haben in den medizinischen Berufen derzeitmehr Abgängerinnen als Abgänger zu verzeichnen. Des-wegen spielt es eine besondere Rolle, dass die Verein-barkeit von Familie und Beruf verbessert wird. Auch indiesem Zusammenhang spielen die Sektoren eine Rolle.Es ist eine Erleichterung für Männer wie für Frauen,wenn zum Beispiel die niedergelassenen Ärzte bei dernotärztlichen Versorgung nicht auf sich alleine gestelltsind, sondern wenn großräumiger gedacht wird und auchKrankenhäuser einbezogen werden und damit die Wo-chenenden und die Nächte bei der Notversorgung freige-stellt sind.Eine weitere Erleichterung für Ärztinnen, die entbun-den haben, sind die Entlastungsassistenten, die künftigfür einen Zeitraum von bis zu drei Jahren eingestelltwerden können.Auch die Residenzpflicht wurde angesprochen. Lei-der ist es natürlich so, dass nicht alle Ärztinnen undÄrzte, die grundsätzlich bereit sind, ihren Beruf im länd-lichen Raum oder in bestimmten Stadtbereichen auszu-üben, dort auch leben und wohnen wollen. Es geht auchum die Situation der Ehegatten bzw. um die Arbeits-platzfindung der Ehegatten. Deswegen macht es Sinn,die Residenzpflicht nicht mehr vorzusehen.Außerdem haben wir im Gesetzentwurf vorgesehen,dass Aufgaben vom ärztlichen Bereich an den Pflegebe-reich delegiert werden können. Auch dies ist eine Er-leichterung insbesondere für die Versorgung des ländli-chen Raums.Natürlich geht es auch um wirtschaftliche Anreize. Esgeht darum, dass es dort, wo es zu viele Arztsitze gibt,erleichtert wird, diese aufzukaufen. Ferner geht es da-rum, die Honorarverteilung vor Ort dezentral vorzuneh-men, sodass den örtlichen Gegebenheiten besser Rech-nung getragen wird.
Dabei spielt die Abstaffelung, die heute schon mehr-fach angesprochen worden ist, eine ganze besondereRaluGWAadDdAsMtimtiuteFrerenssncghGlehawngkAsgazZ
renzt es schon an ein kleines Wunder, dass Sie über-aupt noch in der Lage sind, diesem Parlament einenesetzentwurf vorzulegen.Hinsichtlich der Pflege – der Minister hat an das ka-ndarische Ende des Sommers erinnert – können Sieeute noch nicht einmal grobe Eckpunkte vorlegen. Beill dem, was wir inzwischen von Schwarz-Gelb so ge-ohnt sind, sind das geradezu überraschende Ansätze ei-es gemeinsamen Handlungswillens, die viele von unsar nicht mehr erwartet hatten.Die Abläufe bei Ihren hilflosen Reformbemühungenennen wir aber leider inzwischen zu gut, um uns übernsätze so richtig freuen zu können. Egal ob bei der Ge-undheitsreform, bei der Pflege oder jetzt beim Versor-ungsstrukturgesetz: Die Abläufe sind gleich. Es wirdusgiebig gestritten. Dann wird monatelang entgegenahlreichen Ankündigungen – die Stichworte waren dasweibettzimmer oder die Terminvergabe bei Fachärz-
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Dr. Carola Reimann
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ten – weiter gestritten und nichts vorgelegt. Wenn dannam Ende doch noch etwas mit Hängen und Würgen prä-sentiert wird, dann wünscht man sich, es wäre gar nichterst zu einer Einigung gekommen.
Entweder wurde wieder einmal munter an den eigent-lichen Problemen vorbeireformiert, oder – schlimmernoch – das schwarz-gelbe Reformwerk präsentiert neuezusätzliche Probleme.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf ist eine Mischungaus beidem. Er ist ein Sammelsurium von Vorschlägenund Maßnahmen mit allen möglichen Auswirkungen aufdie Versorgung.Das Hauptziel, nämlich die Versorgung, werden Siedamit aber sicher nicht erreichen. Die Versorgung derPatientinnen und Patienten in unserem Land wird sonicht verbessert.Beginnen wir einmal mit der Kategorie „Gut gemeint,aber an den eigentlichen Problemen vorbeireformiert“.Sie gehen von der Annahme aus – davon muss ich aus-gehen –, dass das, was für den Arzt gut ist, auch gut fürden Patienten ist und ihm hilft. Der Minister hat selbstdavon gesprochen, wer mit diesem Gesetz beglücktwird. Nur so kann man das verstehen; denn sonst ist eslupenreine Klientelpolitik.Natürlich ist es richtig, Anreize auch finanzieller Artzu geben, um Ärztinnen und Ärzte aufs Land zu locken.Wenn man aber auf der einen Seite den Versichertendiese zusätzlichen Kosten zumutet, dann muss es dochauf der anderen Seite auch möglich sein, beim Abbauder Überversorgung den Ärzten etwas abzuverlangen.Zur Erinnerung: Wir hatten noch nie so viele Ärzte imLand wie heute. Es gibt genug; aber sie sind nicht immerda – in der Analyse sind wir uns alle einig –, wo man siebraucht.Um das zu ändern, müssen Sie, liebe Kolleginnen undKollegen, mit Privilegien brechen und etablierte Struktu-ren verändern.
Aber dazu fehlt Ihnen die Kraft. Ihnen fehlt der Mut, bei-spielsweise nicht nur Honorarzuschläge – also mehrGeld – zu verteilen, sondern in überversorgten GebietenAbschläge festzuschreiben. Ihnen fehlt der Mut – Kolle-gen haben das angesprochen –, noch stärker auf einebessere Kooperation der Berufsgruppen zu setzen undneue Aufgabenverteilungen einzufordern. Ihnen fehlteinfach der Mut, auch der eigenen Klientel etwas abzu-verlangen.Stattdessen belasten Sie die Versicherten weiter durchhöhere Ausgaben für Ärztehonorare. Der Gesundheits-minister spricht zwar immer noch von Ausgabenneutra-lität, der Ministerkollege Schäuble aber, der für die Fi-nanzen zuständig ist, besteht auf einer Klausel zurMinderung der Zahlungen für den Sozialausgleich. Da-bei kommt es doch nach Ihrer Überzeugung zu gar kei-nen Mehrkosten. Das muss mir erst mal einer erklären.ihPddmtuwHkläHAtudAmdLBePsdtikdhgIhbBSvaDinPdM
Damit sind wir an der Stelle, wo Gesetze nicht nurre Ziele nicht erreichen, sondern wo neue, zusätzlicherobleme geschaffen werden. Eben erst haben Sie mitem GKV-Finanzierungsgesetz eine Kopfpauschale miter Beruhigungspille „Sozialausgleich“ eingeführt. Jetzt,it dem nächsten Gesetz, dem GKV-Versorgungsstruk-rgesetz, werden die Gelder für den Sozialausgleichieder genommen. Sie werden genommen, damit dieonorarmehrausgaben für die Ärzte finanziert werdenönnen.Die Liste der Fehlentscheidungen in dem Entwurfsst sich weiter fortführen. Nachdem wir mit der letztenonorarreform gemeinsam in der Großen Koalition diengleichung der bis dahin sehr verschiedenen Vergü-ngsniveaus in den Kassenärztlichen Vereinigungen aufen Weg gebracht haben, kehren Sie jetzt wieder um.ls Niedersächsin weiß ich, wovon ich rede. Was nutzenir denn Zuschläge für unterversorgte Gebiete im Nor-en – wie zum Beispiel im Harz –, wenn die eigentlicheeistung wesentlich schlechter vergütet wird als zumeispiel bei Ihnen in Bayern? Herr Singhammer, das istin Blumenstrauß allein für die Bayern.
Diese Regelung ist ein Rückschritt genauso wie Ihrlan, weitreichende Einschränkungen bei den medizini-chen Versorgungszentren vorzunehmen, obwohl geradeiese im Sinne der Patientinnen und Patienten eine wich-ge Brücke für eine bessere ärztliche Versorgung bildenönnen.
Bei der Erarbeitung dieses Entwurfs haben die Be-ürfnisse und Interessen der Patienten – anders, als esier gesagt worden ist – ganz offensichtlich keine Rolleespielt. Sie stellen, wie so häufig, den Arzt ins Zentrumrer Bemühungen und werden deshalb das Ziel, eineessere Versorgung in Stadt und Land, nicht erreichen.
Ich kann Ihnen nur raten: Hören Sie auf, sich an altenesitzständen zu orientieren. Überwinden Sie etabliertetrukturen, rückständige Zuständigkeiten und Arbeits-erteilungen. Haben Sie auch einmal den Mut, wirklichllen die Bereitschaft zu Veränderungen abzuverlangen.ann und nur dann werden Sie die Versorgungssituation unserem Land – auch auf dem Land – im Sinne deratientinnen und Patienten wirklich verbessern.Danke.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner fürie Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Dietrichonstadt. Bitte schön, Kollege Dietrich Monstadt.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser De-batte einige Kritik der Opposition zu hören bekommen.Es gab aber nicht nur Kritik, sondern wir haben auch ler-nen dürfen, welche Fernsehsendungen die KolleginBender offensichtlich bevorzugt.Meine Damen und Herren von der SPD, liebe FrauKollegin Dr. Reimann, ich befürchte, es ist Ihnen nichtklar, was Sie permanent kritisieren. Das, was Sie kritisie-ren, sind Auswirkungen der Politik, die Ihre Ministerin,Frau Ulla Schmidt, auf den Weg gebracht hat. DieseAuswirkungen müssen wir jetzt mühsam wieder einfan-gen.Herr Kollege Dr. Lauterbach, Sie haben uns eine Bür-gerversicherung angekündigt. Auf dieses Konzept war-ten wir bis heute. Offensichtlich sind Sie mit der Arbeitder Koalition so zufrieden, dass Sie auf eigene Konzeptegänzlich verzichten.
Trotzdem und gerade deswegen: Der vorliegende Ge-setzentwurf ist ein erfreulicher Anlass für unsere heutigeDebatte. Die Versorgung von Patientinnen und Patientenwird sich verbessern. Arztpraxen und Krankenhäuserwerden schrittweise besser miteinander verzahnt. In derneuen spezialärztlichen Versorgung werden Kranken-hausärzte und niedergelassene Ärzte ihre Patienten am-bulant versorgen.Lassen Sie mich auf einen Kernbereich unseres Ge-setzgebungsvorhabens hinweisen, der gerade für meinBundesland Mecklenburg-Vorpommern besonders wich-tig ist: die Sicherstellung der flächendeckenden Versor-gung. Die bundesweiten Zahlen zeigen zwar keinen Ärz-temangel auf. Wir haben aber ein zunehmendesÄrzteverteilungsproblem. Einerseits gibt es in attrakti-ven städtischen Ballungsräumen überversorgte Regio-nen, andererseits sehen wir in ländlichen Gebieten, wiees sie in Mecklenburg-Vorpommern und auch in anderenLändern gibt, eine drohende Unterversorgung. Die de-mografische Entwicklung wird diese Probleme noch ver-stärken; Herr Minister Bahr ist darauf intensiv eingegan-gen. Es ist richtig, in unterversorgten Regionen neueVersorgungsstrukturen zu ermöglichen, die über dieklassischen Praxismodelle hinausgehen. Deshalb gibt eseinen umfassenden Katalog von Anreizen und finanziel-len Unterstützungen, der Ärzten die Entscheidung, sichin ländlichen oder strukturschwachen Regionen nieder-zulassen, erleichtern soll.
Mit einer leistungsgerechten Vergütung wollen wirdie Bedingungen für die Ärzte in strukturschwachen Ge-bieten verbessern. So soll der Arzt, der mehr arbeitet,weil er mehr Patienten versorgen muss, nicht finanzielldafür büßen. Er wird von der Abstaffelung der Vergü-tung bei Mengenüberschreitungen befreit und damit ent-scheidend bessergestellt. Wichtig ist auch, dass die Bun-desländer künftig mehr Mitwirkungsrechte bei derBedarfsplanung erhalten. Auf diese Weise können regio-ndsuimsdtupinddcÜnddaeWnbednDRdBnsBkkBzc§tiriwswhmzazongbhmh
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der Rollstuhl durch eine solche Erprobung, eine klini-sche Studie. Solche Befürchtungen sind nicht begründet.Es handelt sich um Medizinprodukte, die ihre klinischeBewertung nach dem Medizinproduktegesetz längst hin-ter sich haben, verkehrsfähig sind, legal vermarktet wer-den dürfen und als Nachweis dafür die CE-Kennzeich-nung tragen. Wenn der G-BA feststellt, dass der Nutzeneines solchen Medizinproduktes noch nicht hinreichendbelegt ist, heißt dies also nicht, dass das Produkt amNullpunkt seiner klinischen Entwicklung steht.In § 137 c und e des Fünften Buches Sozialgesetz-buch geht es gar nicht um die Frage, ob solche Medizin-produkte auf den Markt kommen und verwendet werdendürfen oder nicht, sondern darum, ob die gesetzlichenKrankenkassen dafür zahlen oder nicht. Mit den Rege-lungen des neuen § 137 e SGV V erleichtern wir den Pa-tientinnen und Patienten den Zugang zu Innovationen.
Meine Damen und Herren, mit dem GKV-Versor-gungsstrukturgesetz setzen wir unsere Reformen für einstabiles, zukunftsfähiges, soziales Gesundheitssystemfort. Ich lade Sie dazu ein, sich konstruktiv in die jetztanstehenden Beratungen einzubringen.Herzlichen Dank.
Herr Kollege, wir haben zu danken. Sie waren der
letzte Redner in unserer Debatte. – Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/6906 und 17/3215 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages-
ordnungspunkte 29 a bis c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
40-jähriges BAföG-Jubiläum für soziale Wei-
terentwicklung nutzen
– Drucksache 17/6372 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer
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richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Swen Schulz , Dr. Ernst
Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Notfallplan für die Hochschulzulassung
zum Wintersemester 2011/12 jetzt starten
– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Hochschulzulassung bundesgesetzlich re-
geln – Sozialen Zugang und Durchlässigkeit
in Masterstudiengängen sichern
– Drucksachen 17/5899, 17/5475, 17/7051 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Tankred Schipanski
Swen Schulz
Dr. Martin Neumann
Nicole Gohlke
Kai Gehring
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
raktion Die Linke unserer Kollegin Nicole Gohlke.
itte schön, Frau Kollegin Gohlke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!as BAföG hat am 1. September seinen 40. Geburtstagefeiert. Auch die Fraktion Die Linke gratuliert demundesausbildungsförderungsgesetz zu seinem Jubi-um, war doch das BAföG der erste Versuch in der Bun-esrepublik, die Hochschulen für die Breite der Gesell-chaft und nach sozialen Kriterien zu öffnen: eintudium nicht mehr nur für die Kinder von Rechtsanwäl-n und höheren Beamten, sondern auch für die Söhnend endlich auch vermehrt für die Töchter von Fabrik-rbeiterinnen und Bäckern. Wenn man sich das BAföGeute anschaut, dann will es einem zu diesem Jubiläumber nicht so richtig feierlich zumute werden. Denn dieusbildungsförderung wird ihren ursprünglichen Zielen
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Nicole Gohlke
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immer weniger gerecht; sie ist eigentlich nur noch einSchatten ihrer selbst.In der Gesetzesbegründung des BAföG von 1971wurde der Anspruch formuliert, „soziale Unterschiede …auszugleichen“ und „durch Gewährung von individuel-ler Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancen-gleichheit der jungen Menschen hinzuwirken“. DiesemAnspruch wurde das BAföG wahrscheinlich nie völliggerecht; aber es gab zunächst eine sehr positive Entwick-lung. Heute sind wir davon allerdings weiter entferntdenn je, obwohl diese Regierung angeblich eine „Bil-dungsrepublik“ ausrufen möchte.
Was sind die Fakten? In den 60er-Jahren, vor Einfüh-rung des BAföG, lag der Anteil der Studierenden aus so-genannten sozial niedrigen Herkunftsgruppen bei durch-schnittlich 6 Prozent. 1982, nach Einführung des BAföG,war der Anteil dieser Gruppe auf 23 Prozent gestiegen.Und heute? Im Jahr 2009 gab es einen Rückgang auf nur15 Prozent. Eine andere Zahl: Nach der Einführung 1971wurden 44 Prozent der Studierenden mit dem BAföG ge-fördert; heute sind es nur noch knapp 20 Prozent.Während das BAföG in den ersten Jahren für vieleStudierende eine bedarfsdeckende Finanzierung war,deckt das BAföG heute nur noch 15 Prozent der Gesamt-finanzierung der Studierenden ab. Zwei Drittel der Stu-dierenden müssen parallel zum Studium arbeiten, um ihrLeben und ihr Studium bestreiten zu können. Bei denheutigen Mietpreisen und Lebenshaltungskosten erlaubtes nicht einmal der Höchstsatz den Studierenden, ohneNebenjob auszukommen.Das BAföG war in seiner ursprünglichen Konzeptionein Vollzuschuss. Die Regierung Kohl hat es komplettauf ein Darlehen umgebaut. Das war ein Fehler, den lei-der auch die nachfolgenden Regierungen nicht mehrvollständig korrigiert haben. Seit 1990 ist das BAföGzur Hälfte ein Darlehen und zwingt seitdem die Studie-renden, sich zumindest teilweise zu verschulden.All diese Zahlen machen deutlich, wie sehr die der-zeitige Ausgestaltung des BAföG an dem vorbeigeht,was die Studierenden brauchen. Das ist für diese selbst-ernannte Bildungsrepublik der eigentliche Skandal.
In dieser Situation lässt Frau Schavan vermelden,dass die BAföG-Erhöhung des Jahres 2010 das vorgezo-gene Geschenk zum 40-jährigen Jubiläum gewesen seiund sie weitere, von vielen Seiten dringend geforderteErhöhungen ablehne.
Als Ausgleich – das ist ihr Vorschlag – könnten die Stu-dierenden ja noch ein Darlehen aufnehmen. Noch einDarlehen! Also weitere Verschuldung statt Förderung.So ein Vorschlag, so ein Umgang mit den Studierendenist aus meiner Sicht wirklich zynisch und völlig lebens-fern;
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Mittlerweile unterliegen die meisten Studiengänge inDeutschland lokalen oder bundesweiten Zulassungs- undZugangsbeschränkungen. Im Wintersemester 2010/11waren rund 51 Prozent örtlich zulassungsbeschränkt; beiden Masterstudiengängen sind es mindestens 37 Prozent.Für die meisten Studiengänge reicht schon lange nichtmehr die Abiturnote aus. Nein, es gibt Eignungs- undSprachtests, es werden Praktikumsnachweise und Moti-vationsschreiben verlangt. Jede Hochschule, jeder Stu-diengang entwickelt eigene Ranking- und Auswahlsys-teme. Diese für die Bewerberinnen und Bewerberwirklich schwierige Situation ist nicht neu, doch sie wirdseit Jahren hingenommen, obwohl der Bund seit 2006für die Hochschulzulassung zuständig sein kann. Mankann das Thema also nicht einfach den Ländern in dieSchuhe schieben. Doch die Regierung schaut beim Zu-lassungschaos zu. Im Moment bewerben sich Tausendevon Studierenden doppelt und dreifach auf Studienplätzeaus Angst, sonst überhaupt keinen Studienplatz zu erhal-ten. Weil es über diese Mehrfachbewerbungen aber kei-nen bundesweiten Überblick gibt, bleiben trotz eigent-lichem Studienplatzmangel Studienplätze unbesetzt. Imletzten Jahr waren es über 16 000. Die Lösung für diesesProblem sollte das dialogorientierte Serviceverfahrenwerden, eine Stelle, bei der alle Studienplätze und alleBewerber registriert und die Informationen abgeglichenwerden. Doch Software- und Schnittstellenproblemeverhindern dessen Einführung seit Monaten. Es ist über-haupt nicht absehbar, wann es zu einer Lösung dieserProbleme kommt.Seien wir einmal ehrlich: Das eigentliche Problemsind doch nicht Software- oder Technikfragen. DasGrundproblem sind schlicht und ergreifend fehlendeStudienplätze und die mangelnde öffentliche Finanzie-rung des Hochschulsystems. Derzeit kommen auf rund1,1 Millionen ausfinanzierte Studienplätze 2,2 MillionenStudierende. Die gesamte Infrastruktur der Hochschulen– die Bibliotheken, die Räume, die Studentenwohnheimeund die Mensen – ist eigentlich nur für die Hälfte derderzeitigen Studierenden ausgelegt. Das ist doch die ei-gentliche Katastrophe.
In der Praxis sieht das dann so aus – diese Bilderkennt man auch aus dem Fernsehen und der Presse –,dass Studierende vor Hörsälen schlafen, um noch einenPlatz für die Vorlesung am nächsten Tag zu bekommen,oder dass Kirchen- und Kinosäle angemietet werden, umdas Raumproblem der Hochschulen zu lösen. Die, diestudieren dürfen, studieren unter erschwerten, oft unzu-mutbaren Bedingungen. Unter diesem Zustand leidennatürlich nicht nur die Studierenden, sondern auch dieLehrenden und die Hochschulmitarbeiter.
Tausende Bewerberinnen und Bewerber erhaltenüberhaupt keinen Studienplatz. Dieses Wintersemesterwerden es wohl bis zu 50 000 sein. Im Rahmen desHochschulpakts II wurden zwar 275 000 Studienplätzegeschaffen, um die doppelten Abiturjahrgänge auszu-gleichen, und im Zuge der Aussetzung der Wehrpflichthat die Regierung die Zahl der Studienplätze auf3swswsNndlenradMrutrggwddWksdaPzmgkaIndMgBInzAvs
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15083
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(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder FDP)Ihre Forderung, „Wer eine Studienberechtigung hat,hat das Recht, ein Studium im Fach und an der Hoch-schule seiner Wahl aufzunehmen“, hat bei mir einSchmunzeln ausgelöst. Im Fach und an der Hochschuleseiner Wahl? Das heißt, jede Hochschule müsste entspre-chend der Nachfrage ihr Studienplatzangebot beliebigerweitern und zusätzlich auch noch alle gewünschtenStudiengänge anbieten. Ich finde, ein bisschen mehr Re-alitätsnähe könnten wir auch von einer Oppositionsparteierwarten.
Nun zu den BAföG-Anträgen. Die Grünen forderngebetsmühlenhaft, die BAföG-Förderung auf ein soge-nanntes Zwei-Säulen-Modell umzustellen. Beide Säulensind natürlich als Vollzuschüsse gedacht. Damit wollenSie erreichen, dass jeder, der sich an einer Hochschuleeinschreibt, einen direkt auszahlbaren, bedarfsunabhän-gigen Studierendenzuschuss bekommt.
Meine Damen und Herren von den Grünen, das hört sichfür mich nach einem bedingungslosen Grundeinkommenan. Ich weiß, dass es in Ihren Reihen und besonders beiden Linken viele Anhänger dieser staatlichen Rundum-versorgung gibt,
aber einmal ganz im Ernst: Wie viel soll Ihre BAföG-Reform kosten? Bei mehr als 2 Millionen Studierenden,die monatlich elternunabhängig einen dreistelligenGrundbetrag überwiesen bekommen, wünsche ich Ihnenviel Spaß bei den Auseinandersetzungen mit Ihren Haus-hältern.
Seltsam ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen, dass wir in Ihrer Regierungszeit von all diesenReformvorschlägen zum BAföG nichts gesehen haben.
Unter Rot-Grün hat sich praktisch überhaupt nichts ge-tan.
Im Jahre 2002 stiegen die Förder- und Freibeträge nurgeringfügig. Zudem betraf dies ausschließlich Neuan-träge. Für die meisten Betroffenen kamen nicht einmal10 Euro mehr im Monat heraus. Deshalb wurde dieseMinierhöhung von den Studenten auch als „Pizzare-form“ verspottet; denn man bekam gerade so viel Geldmehr, dass man sich davon eine Pizza kaufen konnte.EPSh1DliewshwzSimDvpfüdeasAeeGinBkEgpmdB
Doch zurück zu den Anträgen: Wer bietet noch mehr?ie ahnen es: die Linken. Die Linken – wir haben es ge-ört – fordern eine Anhebung der Bedarfssätze um0 Prozent bereits zum 1. Oktober.
as ist aber noch nicht genug: Das BAföG soll sich jähr-ch automatisch erhöhen, und die Freibeträge sollenbenfalls um 10 Prozent steigen. Zudem soll das BAföG,ie auch von den Grünen gefordert, in einen Vollzu-chuss umgewandelt werden.Und nun das Beste: Bei der Berufsausbildungsbei-ilfe soll der Staat zusätzlich die Kosten übernehmen,enn der Auszubildende in eine eigene Wohnung um-ieht. Auszubildende könnten sich also in Zukunft auftaatskosten eine Wohnung dazumieten. Willkommen roten Schlaraffenland, meine Damen und Herren!azu fällt mir, ehrlich gesagt, nur noch ein Ausspruchon Franz Josef Strauß ein. Der hat einmal gefragt: Wasassiert, wenn man in der Sahara den Sozialismus ein-hrt? Antwort: Zehn Jahre gar nichts – und dann wirder Sand knapp.
Für mich zeigen die vorliegenden Anträge vor allemines: Die Opposition zieht wieder die Spendierhosenn. Aber das natürlich nur, solange Sie in der Oppositionind. Ministerin Annette Schavan hat es vorgestern imusschuss angesprochen: Nennen Sie mir doch einmalin einziges Bundesland, das von Ihnen regiert wird, dasine BAföG-Erhöhung mitmachen würde.
erade erst hat die neue grüne Wissenschaftsministerin meinem Heimatland Baden-Württemberg, Theresiaauer, klargestellt, dass eine BAföG-Erhöhung für sieeine Priorität hat.
s ist genau das Gleiche wie beim BAföG-Änderungs-esetz vor einem Jahr. Vormittags fordert die Oppositionressewirksam BAföG-Erhöhungen, und abends im Ver-ittlungsausschuss werden diese dann abgelehnt.
Auch aktuell ist mir ein Drängen der rot-grünen oderer rot-roten Landesregierungen im Bundesrat auf eineAföG-Erhöhung nicht bekannt. Im Gegenteil – darauf
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15084 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Dr. Stefan Kaufmann
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hatte ich bereits in meiner letzten Rede zum BAföG hin-gewiesen –: Von den Linken praktizierte Realpolitiksieht ganz anders aus. In Brandenburg wurden denHochschulen ihre Rücklagen in Höhe von 10 MillionenEuro immer noch nicht zurückgegeben. In Ihrem vorlie-genden Antrag beklagen Sie aber gleichzeitig „die struk-turelle Unterfinanzierung des deutschen Hochschulsys-tems“. Fangen Sie also bitte vor Ihrer eigenen Haustüran!
Unter der CDU-geführten Bundesregierung und unterAnnette Schavan konnten wir hingegen vieles für dieStudierenden erreichen, und das trotz strikter Finanzdis-ziplin und Weltwirtschaftskrise. So wurden zunächst2008 die Bedarfssätze des BAföG um satte 10 Prozentund die Freibeträge um 8 Prozent angehoben. Zusätzlichgab es kleine Verbesserungen wie zum Beispiel einenKinderbetreuungszuschlag. Dies, der Richtigkeit halbergesagt, haben wir zusammen mit Ihnen, den Kolleginnenund Kollegen der SPD, durchgesetzt.
CDU und FDP schafften es bereits zwei Jahre später,das BAföG nochmals zu erhöhen. Es gab eine weitereAnhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge. Außer-dem haben wir die Anhebung der Altersgrenze für dasMasterstudium auf 35 Jahre durchgesetzt, die Auslands-förderung für Schüler ausgeweitet, den BAföG-Höchst-satz auf 670 Euro pro Monat angehoben und, und, und.Dafür haben wir allein 2010 noch einmal 170 MillionenEuro zusätzlich ausgegeben. Insgesamt haben Bund undLänder damit die Rekordsumme von fast 2,9 MilliardenEuro für das BAföG aufgebracht. Damit ist das BAföGder größte Einzelposten im Bildungshaushalt.Die Erfolge stellen sich ein: Die Zahl der BAföG-Empfänger nähert sich der Millionengrenze. Mit einerSteigerung von nochmals 5 Prozent gegenüber 2009 aufderzeit rund 916 000 BAföG-Empfänger ist diese Regie-rung auf einem guten Weg. Das müssen auch Sie, liebeKolleginnen und Kollegen von der Opposition, endlichanerkennen.Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dasssich die Welt verändert. In den 70er-Jahren stehen zubleiben
wie große Teile der Oppositionsfraktionen, hilft denMenschen nicht weiter. Die Biografien werden vielfälti-ger, und somit muss auch die Bildungsfinanzierung viel-fältiger werden. Mit Begabtenförderung und Stipendien-programm setzen wir auf das richtige Pferd.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wortzum Deutschlandstipendium sagen: Das ständigeSchlechtreden des Deutschlandstipendiums, auch wiederin Ihrem Antrag, liebe Kollegen von den Grünen, hatnichts genützt.SednFInddevmgERBpIhvbwSlamhredElateDUs
ie haben sich zu früh gefreut. Natürlich bedarf es Zeit,ine neue Stipendienkultur in Deutschland zu etablieren;as haben wir von Anfang an gesagt. Dennoch geben dieeuesten Zahlen zum Deutschlandstipendium Anlass zurreude.
Baden-Württemberg haben bereits 20 Hochschulenas Kontingent für 2011 voll ausgeschöpft,
arunter auch Kunst- und Musikhochschulen. Das heißt,s ist keineswegs so, dass nur technische Studiengängeom Deutschlandstipendium profitieren.
Insgesamt hat bereits mehr als ein Drittel der teilneh-enden Hochschulen ihr Kontingent für 2011 voll aus-eschöpft.
inige Hochschulen, etwa die FH Eberswalde, dieWTH Aachen, die Universität Augsburg und die TUergakademie Freiberg, haben sogar deutlich mehr Sti-endien eingeworben, als sie in 2011 vergeben können.
re Befürchtungen, liebe Kolleginnen und Kollegenon der Opposition, dass das Programm nur in wohlha-enden Regionen Westdeutschlands funktionierenürde, haben sich also nicht bestätigt.
Bauen Sie bitte keine Luftschlösser, sondern lassenie uns in Zukunft gemeinsam am Erfolg des Deutsch-ndstipendiums weiterarbeiten! Lassen Sie uns auch ge-einsam das BAföG behutsam weiterentwickeln! Dieseißt aus meiner Sicht eher, die Basis der Anspruchsbe-chtigten zu erweitern, als ständig nach einer Erhöhunger Fördersätze zu rufen.
s muss in diesem Zusammenhang schon irritieren, dassut FiBS nur circa 50 Prozent der Anspruchsberechtig-n überhaupt einen BAföG-Antrag stellen.Fazit: In Deutschland steht jedem ein Studium offen.eutschland ist ein attraktiver Studienstandort.
nd: Unser Bildungssystem ermöglicht sozialen Auf-tieg durch Leistung – trotz Ihrer Unkenrufe, liebe Frau
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15085
Dr. Stefan Kaufmann
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Kollegin Gohlke. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele,die Sie der Presse entnehmen können.Also: Hören Sie bitte auf, das BAföG im 40. Jahr sei-nes Bestehens kleinzureden! Das BAföG ist und bleibtdie tragende Säule der Studienfinanzierung in Deutsch-land. Es hat Millionen Menschen eine akademische Aus-bildung ermöglicht, unter anderem mir selbst.Herzlichen Dank.
Swen Schulz ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! 40 JahreBAföG – das ist eine wechselvolle, insgesamt aber sehrstolze Geschichte, über die wir diskutieren.
Das BAföG wurde 1971 eingeführt, und zwar – manhöre und staune – von der sozialliberalen Koalition.
Damals konnte man mit der FDP tatsächlich noch Staatmachen.
Aber es war natürlich die SPD,
die schon damals der Motor war und darauf gedrängthat, das BAföG einzuführen. Die SPD hat das BAföGimmer verteidigt und es, wo sie konnte, nach Kräftenausgebaut. Das war auch 1998 der Fall, als wir gemein-sam mit den Grünen die Bundesregierung übernommenhaben. In der Kohl-Ära ist das BAföG nachgerade ka-puttgemacht worden. Wir mussten es erst wieder auf-bauen.
In der Großen Koalition haben wir das BAföG gegenAngriffe von Ministerin Schavan verteidigt; das ist dieWahrheit.
Wir unterstützen das BAföG nicht etwa aus Prinzi-pienreiterei oder weil es eine schöne Tradition ist, son-dern weil wir davon ausgehen, dass es ein Menschen-recht auf Bildung gibt. Es darf nicht vom GeldbeutelaimdsBMsulawadLdlaBhsAdgwdwSwafiFvcnFDhvliKmsIcreD
Das BAföG war und ist Kernstück der Bildungsoffen-ive, die wir in den 70er-Jahren gestartet haben. DasAföG war in der Tat sehr erfolgreich. Es hat Millionenenschen ermöglicht, ein Studium oder den Schulbe-uch zu finanzieren. Aber, Herr Kaufmann: Wir dürfenns nicht darauf ausruhen. Wir dürfen es nicht dabei be-ssen. Wir müssen das BAföG fortwährend weiterent-ickeln. Es gibt in der Tat einige Studien – wir habenuch im Ausschuss für Bildung und Forschung über sieiskutiert –, deren Ergebnisse zeigen, dass es in ersterinie finanzielle Gründe sind, die Menschen daran hin-ern, Bildungsangebote wahrzunehmen, oder sie veran-ssen, ein Studium abzubrechen. Darum müssen wir dasAföG weiter ausbauen.
Die Linke und vor allen Dingen die Grünen habenierzu Vorschläge vorgelegt, die durchaus diskutabelind. Die SPD hat schon letztes Jahr einen umfassendenntrag zu diesem Thema vorgelegt. Uns geht es darum,ie Förderung zu erhöhen, damit das Geld während deresamten Dauer des Bildungsprozesses ausreicht. Wirollen vor allem, dass mehr Menschen in den Genusser Förderung kommen.Wir beobachten durchaus eine Art Mittelstandsloch,ie wir es nennen: Das Einkommen der Eltern vielertudierender liegt an einer Grenze. Sie bekommen ent-eder gar keine oder nur eine geringe Förderung, habenber trotzdem Schwierigkeiten, ihre Ausbildung zunanzieren. Da müssen wir durch die Ausweitung derörderung und auch durch ein neues Instrument, das wirorschlagen, nämlich das Nullzinsdarlehen, etwas ma-hen. Auch müssen wir auf die Herausforderungen dereuen Studienstruktur reagieren. Bei vielen gibt es in derörderung eine Lücke zwischen Bachelor und Master.as müssen wir ausgleichen.Ich möchte ausdrücklich sagen, dass die Idee des ein-eitlichen, elternunabhängigen Sockels durchaus reiz-oll ist. Darüber müssen wir diskutieren. Dies ist natür-ch eine schwierige Sache, weil wir dann auch dasindergeld und die Steuerfreibeträge mit einbeziehenüssen. Das ist – auch unter verfassungsrechtlichen Ge-ichtspunkten – nicht ganz leicht.
h denke, das müssen wir einmal gemeinsam diskutie-n, wenn wir wieder eine vernünftige Mehrheit imeutschen Bundestag haben.
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15086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Swen Schulz
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In diesem Zusammenhang, weil ich über Steuern ge-sprochen habe, will ich noch etwas zum Thema steuerli-che Absetzbarkeit sagen: Vor einiger Zeit gab es ein Ur-teil des Bundesfinanzhofs. Der Kollege Meinhardt vonder FDP hat dann gleich gesagt: Super! Jetzt gibt es dieMöglichkeit, weniger Steuern zahlen zu müssen. – Ichbitte Sie herzlich, einmal darüber nachzudenken. Das istdoch der falsche Weg. Es kann doch nicht sein, dass die-jenigen, die nach der Ausbildung viel Geld verdienen,Steuergutschriften erhalten. Vielmehr muss es darum ge-hen, dass die Leute jetzt, also in der Phase der Ausbil-dung, Unterstützung erhalten. Da müssen wir Verände-rungen herbeiführen.
Eine bessere Bildungsfinanzierung kostet Geld; daswissen wir. Auch wissen wir, dass das Geld nicht auf denBäumen wächst. Darum haben wir von der SPD einKonzept vorgelegt, nämlich einen Pakt für Entschuldungund Bildung. Wir wollen, dass jährlich 20 MilliardenEuro mehr von Bund und Ländern in Bildung investiertwerden. Da das gegenfinanziert werden muss, wie wirsehr wohl wissen, sagen wir – obwohl dies unpopulärund streitig ist –, dass das mit Steuererhöhungen für die-jenigen mit hohen Einkommen und großen Vermögeneinhergehen muss.
Darüber werden natürlich harte Diskussionen geführtwerden, aber es ist eine klare Ansage und der richtigeWeg.Wir streiten tatsächlich für Bildung. Aber was machtdie Koalition?
Sie dümpelt so vor sich hin.
Im letzten Jahr gab es beim BAföG ein bisschen oben-drauf. In diesem Jahr gibt es eine Nullrunde. Was pas-siert denn im nächsten Jahr? Man weiß es nicht.Aber das Stipendienprogramm soll der große Erfolgsein. Herr Kollege Kaufmann hat gesagt, da gehe es rich-tig voran. Ich habe einmal nachgeschaut – neulich gab eseine Presseerklärung des Ministeriums –: Aktuell gibt es4 793 Stipendien.
Das sind 0,2 bis 0,3 Prozent aller Studierenden. HerzlichenGlückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber dierund 1 Million BAföG-Empfängerinnen und -Empfängerlassen Sie links liegen. Das geht so nicht!
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ie können einem Schwimmer doch keine Bleigewichtenhängen und sagen: Nun schwimm mal schneller! Dast das, was Sie hier veranstalten.
Ich weiß, dass das wehtut und dass Sie das aufregt,ber Sie müssen der Wahrheit einmal ins Gesicht sehen.
Ehrlich gesagt: Die Selbstbeweihräucherung, wie vielller Sie sind, als die rot-grüne Regierungskoalition esinmal war, und wie viel mehr Geld Sie für Bildung undorschung zur Verfügung stellen, geht auf die Nerven.
Herr Kollege Schulz, möchten Sie noch unmittelbar
or Schluss Ihrer Rede eine Zwischenfrage des Kollegen
upprecht beantworten?
Gerne, ja.
Lieber Kollege Schulz, kann es sein, dass Sie überse-
en haben, dass es vor zwei Wochen eine intensive Be-
chterstattung dahin gehend gegeben hat, dass der
rößte Steuerausfall, den wir in den letzten 20 Jahren zu
erzeichnen hatten, durch die große Körperschaftsteuer-
form von Rot-Grün verursacht wurde?
iese Untersuchung wurde nicht von einem konservati-
en Institut, sondern von einem gewerkschaftsnahen In-
titut durchgeführt.
Das war eine Entscheidung, die wir gemeinsam ge-offen haben. In der Tat sind wir in der Lage, gegebe-enfalls auf neue Situationen entsprechend zu reagierennd Konsequenzen daraus zu ziehen.
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Swen Schulz
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Wir haben ein klares Programm. Es muss dann ebenauch Steuererhöhungen für bessere Bildung geben. Siekönnen sich aber nicht darauf einigen. Wir werden dasdann nach der nächsten Bundestagswahl machen.
Ich war gerade dabei, noch einmal die Unterschiedezwischen dieser Koalition und Rot-Grün bei der Finan-zierung von Bildung und Forschung zu skizzieren.
Das geht jetzt aber nicht mehr.
Das ist schade.
Ja, das finde ich auch.
Ich habe Sie vorhin so gelobt, Herr Präsident. Ich
dachte, jetzt bekomme ich eine Minute mehr.
Eigentlich hätte ich jetzt darauf hinweisen wollen,
dass Ihnen die Steigerung im Haushalt durch die Strei-
chung der Eigenheimzulage möglich ist, die wir als Rot-
Grün immer beantragt haben, während Sie sie im Bun-
desrat blockiert haben. Erst in der Großen Koalition ha-
ben wir das gemeinsam geschafft.
Wir stehen zum BAföG und streiten dafür, Sie düm-
peln herum. Na gut, dann machen wir das mit einer
neuen Regierungskoalition besser.
Vielen Dank.
Es ist schade, wenn der Höhepunkt einer Rede dem
brutalen Redezeitregime zum Opfer fällt. Ich kann nur
immer wieder meine Empfehlung wiederholen, mit dem
Höhepunkt zu beginnen. Dann entsteht dieses Problem
regelmäßig nicht.
Nun hat der Kollege Patrick Meinhardt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen!
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h darf hier im Namen des ganzen Hauses zuerst einmalststellen: 40 Jahre BAföG ist eine bildungspolitischerfolgsgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland.
Es war 1971 eine richtige Entscheidung, unter demorzeichen des Bürgerrechts Bildung klarzumachen,ass die Chancenverteilung im Bildungswesen auchurch das Instrument BAföG in eine andere Richtungelenkt werden sollte. Ich glaube, das ist der richtigeusgangspunkt, unter dem man die BAföG-Gesetzge-ung und die BAföG-Reformen in diesen 40 Jahren be-achten muss.Es ist auch gut, dass es unter wechselnden Regierun-en unterschiedliche Akzentuierungen und Fortentwick-ngen beim BAföG gab. Anhand der 23 Novellen, dies in diesen 40 Jahren gegeben hat, sieht man, dass eseim BAföG mit Sicherheit einen lernenden Prozessibt. Ich sage auch ausdrücklich: Es war ein richtigesolitisches Zeichen, dass die Große Koalition im Jahre008 die Bedarfssätze um 10 Prozent und die Freibe-äge um 8 Prozent erhöht hat. Die FDP-Fraktion hat da-als zugestimmt, weil wir es für ein richtiges bildungs-olitisches Zeichen nach einer sehr langen Durststreckeehalten haben, hier ordentlich etwas draufzusatteln.Es ist auch richtig gewesen, dass wir bei der BAföG-odernisierung im vergangenen Jahr noch einmal rich-g etwas draufgelegt haben: ungefähr 500 Millionenuro mehr pro Jahr bzw. 1,6 Milliarden Euro mehr inen kommenden drei Jahren. 43 000 Studierende mehrönnen wir durch diese BAföG-Modernisierung schontzt fördern. Wir sind auf dem Weg zur Millionen-renze. Entfall der Grenze von 30 Jahren bei der Master-rderung, verlässliches Beibehalten der Förderungsartuch nach Fachrichtungswechsel, neue Berücksichti-ung von Kinderbetreuungszeiten, Gleichstellung deringetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe beimAföG, Nichtanrechnung des Stipendiums von 300 Eurouf das BAföG: All das zeigt, dass wir erkannt haben,ass das BAföG ein wichtiges Instrument ist. Deswegenar es ein richtiges Zeichen dieser Regierungskoalition,ier zu modernisieren und einen großen Schritt voranzu-ehen.
In den vorliegenden Anträgen fordern Sie eine Erhö-ung der Fördersätze. Bei den Grünen sind es 5 Prozentnd bei den Linken 10 Prozent. Beide Anträge sind of-nsichtlich mit sehr heißer Nadel gestrickt, nach demotto „Wünsch Dir was“. Sie setzen hier einfachgendwelche Beträge ein. Ich glaube, es ist wichtigerdas müssen wir ehrlich sagen –, dass wir eine verlässli-
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Patrick Meinhardt
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che Finanzierung haben. Das bedeutet, dass wir vomBund und von den Ländern her Verlässlichkeit sicher-stellen müssen.Erinnern wir uns alle gemeinsam bitte an die letzteDebatte über das BAföG im vergangenen Jahr und da-ran, welches Hickhack es hier aufgrund der 65/35-Finan-zierung mit den Ländern gab.
Wir als Fraktion sind gerne bereit, darüber nachzuden-ken, wie wir erreichen können, dass es zu einer regelmä-ßigen Anpassung kommt. Aber eines muss dabei sicher-gestellt werden: Jeder muss seine Hausaufgabenmachen, auch in den eigenen Bundesländern.
Ich weiß, Frau Gohlke, was passieren würde, wennSie Ihrer brandenburgischen Landesregierung eine Erhö-hung des BAföG um 10 Prozent vorschlagen würden.Die dortigen Minister würden sagen: Mit uns nicht! –Das gefällt mir an dieser Stelle überhaupt nicht. Wirmüssen in diese Debatte eine ehrliche und verlässlicheFinanzierungsstruktur als Thema hineinbringen.
Wir alle wissen doch – die HIS-Studie ist hier schonmehrfach angesprochen worden –, was eines der großenProbleme überhaupt ist: Im Zusammenhang mit demBAföG fühlen sich 33 Prozent – so das Ergebnis derHIS-Studie – schlecht beraten; bei denjenigen mit einerniedrigen sozialen Herkunft waren es sogar 44 Prozent.Bei der BAföG-Beratung haben wir insgesamt einenenormen Nachholbedarf und müssen in allen Bundeslän-dern etwas voranbringen. Angesichts einer Förderquotevon nur 25 Prozent, obwohl über 70 Prozent der Studie-renden einen Anspruch auf Förderung haben, muss einesklar sein: Wir müssen zusätzlich in ein frühzeitiges In-formationssystem über die Fördermöglichkeiten im Be-reich des BAföG investieren.Es geht darum, eine kluge Studienfinanzierung zu er-reichen. Dabei geht es einerseits um Bildungsdarlehenund andererseits um BAföG. Darüber hinaus geht es da-rum, eine moderne, intelligente, kluge, zeitgemäße undsozial gerechte Stipendienkultur in der BundesrepublikDeutschland zu justieren. Wir brauchen eine neue Sti-pendienkultur, um das hier sehr deutlich zu formulieren.Der Grund, über die Einführung eines dezentralenDeutschlandstipendiums nachzudenken, ist in allerersterLinie der, dass wir innerhalb der OECD-Staaten dasSchlusslicht in der Stipendienförderung sind. Es ist füreine Wirtschafts- und Bildungsnation wie die Bundes-republik Deutschland fahrlässig, die Besten der Bestennicht zu fördern.
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h zitiere eine entsprechende Meldung aus Nordrhein-estfalen: SPD und Grüne wollen das NRW-Stipendiumo lange weiterführen, bis das Deutschlandstipendium inntsprechendem Umfang greift. – Ich wäre froh, wennieser Pragmatismus, der hinsichtlich der Studierenden Nordrhein-Westfalen richtigerweise an den Tag gelegtird, auch bundesweit bei Rot und Grün in der Debattem Bildungsgerechtigkeit vorherrschen würde.
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tags die staatliche Studienfinanzierung weiterentwi-ckeln. Sie muss den Studienplatzmangel bei Bachelor-und Masterstudiengängen wirksam bekämpfen. Sie mussbundesweit für ein funktionierendes Hochschulzulas-sungsverfahren sorgen.
Es ist nicht hinnehmbar, dass unzureichendes BAföG,fehlende Studienplätze, Zulassungschaos und bundes-weit gestiegene lokale NCs junge Menschen vom Stu-dium abhalten.
Dass die OECD letzte Woche in ihrer Vergleichsstu-die Bildung auf einen Blick erneut festgestellt hat, dasshierzulande Hochqualifizierte fehlen, nehmen wir alsGrüne sehr ernst. Die Bildungspolitiker der Koalitionwürden diese alarmierende Botschaft am liebsten vomTisch wischen. Fakt ist aber: In Deutschland fehlenFachkräfte und Akademiker. Das muss Warn- und Weck-ruf für die Bundesregierung sein.
Der von Schwarz-Gelb beklagte Fachkräftemangel istim Übrigen größtenteils hausgemacht. Sie nutzen dasStudierendenhoch nicht. Im Wintersemester fehlen min-destens 50 000 Studienplätze. Deshalb fordern wir einenHochschulpaktnotfallplan sowie Nachverhandlungenzwischen Bund und Ländern. Kein Studienberechtigtersollte ohne Platz in einer Warteschleife landen. Alle jun-gen Menschen brauchen einen Zugang zur Hochschule.
Sie verwalten das anhaltende Zulassungschaos nur,Sie lösen es aber nicht. Es ist ein Fiasko, dass das dialog-orientierte Serviceverfahren nach wie vor nicht funktio-niert. Es ist auch ein Fiasko, dass trotz der KnappheitStudienplätze unbesetzt geblieben sind – fast 10 000 al-lein im letzten Semester –, da es nach vier Jahren Redennoch immer kein funktionierendes Einschreibungs- undZulassungsverfahren gibt. Deshalb brauchen wir bun-deseinheitliche Zulassungsregeln und ein funktionieren-des und transparentes Vergabesystem, an dem sich mög-lichst alle Hochschulen beteiligen und das angemessenausfinanziert ist.
Sie sorgen im Ausbildungsbereich nicht dafür, dass esweniger Warteschleifen, Abbrecher und Altbewerbergibt. Sie hoffen einfach auf eine demografische Lösungund lehnen sich zurück. Im Übrigen knausern Sie auchnoch bei der Weiterbildung, statt ein umfassendesErwachsenenbildungsförderungsgesetz auf den Weg zubringen.Das alles ist mangelhaft und hilft nicht, den Fach-kräfte- und Akademikermangel zu bekämpfen. Bundes-ministerin Schavan müsste endlich die Bekämpfung desFachkräftemangels zur Chefinnensache machen. SiemmgmmggVteAegkcmPduvdWgssdhßBefognwfrddMmHngiseS
Moderne Hochschulpolitik eröffnet Chancen und er-öglicht Teilhabe. An den Schnittstellen und Übergän-en in unserem Bildungssystem zeigt sich, ob Chancen-leichheit besteht und Aufstieg durch Bildung gelingt.ergleichsstudien stellen uns immer wieder ein schlech-s Zeugnis aus: Ein Sechstel aller Kinder wächst inLG-II-Bedarfsgemeinschaften auf. Deren Chancen aufinen Universitätsabschluss sind leider weiterhin sehrering.Jugendliche aus einkommensärmeren Nichtakademi-er-Elternhäusern werden nach wie vor völlig unzurei-hend gefördert und zu wenig zum Bildungsaufstieg er-untert. Es ist eine traurige Realität, dass Konto oderass der Eltern stärker über Bildungserfolg oder Bil-ungsmisserfolg in unserem Land entscheiden als Talentnd Potenzial.
Das muss sich ändern. Bisher ist es so. Daher kannon Bildungsgerechtigkeit keine Rede sein. Wir müssenie krassen Bildungsungerechtigkeiten weiter abbauen.ir brauchen breite Zugänge zum Campus, und deshalbeht es auch darum, die Studienfinanzierung zu verbes-ern.Vor 40 Jahren wurde das BAföG eingeführt. Es hateitdem 4 Millionen Menschen ein Studium finanziert,ie es sich sonst nicht hätten leisten können. Wir könneneute sagen: Herzlichen Glückwunsch zu einer der gro-en Erfolgsstorys des deutschen Sozialstaates! DasAföG hat unser Land definitiv gerechter gemacht.
40 Jahre sind Anlass zum Feiern, aber auch zum Fort-ntwickeln. Alle Seiten dieses Hauses haben BAföG-Re-rmen auf den Weg gebracht. Seit 1998 unter der rot-rünen Bundesregierung ging es dabei glücklicherweiseur noch um Aufbau und Ausbau statt um den Abbauie in den Zeiten davor.In dem von uns vorgelegten Antrag fordern wir kurz-istige Reformschritte, darunter eine Erhöhung der Be-arfssätze und Freibeträge um mindestens 5 Prozent, umen Berechtigtenkreis zu erweitern und mehr jungenenschen den BAföG-Bezug zu ermöglichen.Über diese Reparaturen hinaus wollen wir das BAföGittelfristig zu einem Zwei-Säulen-Modell ausbauen.err Kaufmann, ich erkläre es Ihnen und anderen gerneoch einmal: Dieses Modell kombiniert bedarfsabhän-ige und bedarfsunabhängige Elemente. Die erste Säulet ein Zuschuss für alle Studierenden und schafft damitine gewisse Basisabsicherung. Damit würden wir allentudienberechtigten einen starken Anreiz bieten, ein Stu-
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Kai Gehring
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dium aufzunehmen. Die zweite Säule ist ein Bedarfszu-schuss, der eine starke soziale Komponente für Studie-rende aus einkommensarmen Elternhäusern garantiert.Das Ganze ist also bedarfsabhängig.Im Rahmen dieses Zwei-Säulen-Modells würden wirdie familienbezogenen Leistungen, also das Kindergeldund Steuerfreibeträge, in einen Sockel für alle überfüh-ren. Dieses Geld käme dann den Studierenden direkt zu-gute. Das wäre ein großer Vorteil im Vergleich zum bis-herigen BAföG.
Mit unserem Modell würden wir im Übrigen Studien-berechtigte aus dem bisherigen BAföG-Mittelschichts-loch herausholen. Das ist eine ganz wichtige Herausfor-derung. BAföG-Mittelschichtsloch heißt doch: DieEltern verdienen knapp über der Grenze und könnentrotzdem ihren Kindern das Studium nicht finanzieren.Die Gruppe derjenigen, die in dieses Loch fallen, istziemlich groß, und da müssen wir Angebote machen. Esist spannend, dass Linksfraktion, GEW und CHE ver-gleichbare Säulenmodelle vorschlagen. Vielleicht – sohabe ich Herrn Schulz vorhin verstanden – macht sichdie SPD ebenfalls noch auf den Weg, das mit uns ge-meinsam zu diskutieren oder womöglich bald einzufüh-ren.
Bei Schwarz-Gelb scheint einerseits endlich diePhase überwunden zu sein, das BAföG schlechtzureden,zu attackieren und stattdessen Studienkredite für alle zupropagieren, wie man es gerade Ende der 1990er-Jahreund in den 2000er-Jahren gemacht hat. Andererseits istes bedauerlich, dass sich die Bundesministerin zum40. BAföG-Geburtstag verweigert, ein Reformpaket zuschnüren. BAföG ist kein Almosen, kein Geschenk, son-dern Lebensunterhaltsfinanzierung vieler junger Men-schen in unserem Land. Sie brauchen es dringend.
Schwarz-Gelb wandert trotz gelegentlicher Erleuch-tungen weiter auf Irrwegen. Im vergangenen Jahrzehnthaben sieben schwarz-gelb-regierte Bundesländer Stu-diengebühren eingeführt. Das war sozial ungerecht. Dasist und bleibt ungerecht. Das hat Studienberechtigte rei-henweise vom Studium abgeschreckt, und es hat nichtmehr Mittel an die Hochschulen gebracht, weil Siegleichzeitig die Grundfinanzierung dieser Hochschulenin den Ländern abgesenkt haben.
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etzte Gebührenbastionen sind jetzt Niedersachsen undayern. Das sind die letzten Mohikaner, bei denen Stu-iengebühren für alle anfallen. Ich sage Ihnen voraus:uch die werden wir knacken, und wir werden endlichine studiengebührenfreie Republik schaffen.
Ein weiterer Irrweg bleiben Ihre Deutschlandstipen-ien. Die Energie und das Geld, mit dem Sie Ihren La-enhüter auch heute hier promoten, sollten Sie wirklicheber ins BAföG investieren. Das brächte auch ein di-kes Plus für Bildungsgerechtigkeit.
as Deutschlandstipendium ist doch nichts anderes alsine Eliteförderung für bisher 0,3 Prozent aller Studie-nden in Deutschland.
a kann man doch nicht von einer neuen Säule der Stu-ienfinanzierung reden. Daran kann man erkennen: Sieetzen ganz klar eine falsche Priorität. Wir müssen eineessere staatliche Studienförderung in der Breite errei-hen.Wenn 71 Prozent der Akademikerkinder ein Studiumufnehmen, aber nur 24 Prozent der Nichtakademiker-inder,
eigt das doch, dass sich eine gerechte Studienfinanzie-ng auf diese potenziellen Bildungsaufsteigerinnen undildungsaufsteiger konzentrieren muss. Ihre neue Sti-endienkultur, die Sie auch heute hier proklamiert ha-en, ist nichts anderes als eine Fata Morgana.
r Programm ist die falsche Reaktion auf die sozialechieflage beim Hochschulzugang.
Womöglich ist die Bundesregierung derzeit wiederabei, einen neuen Irrweg einzuschlagen, nämlich beimmgang mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs zur steu-rlichen Absetzbarkeit von Erstausbildungskosten. Wirollen keine nachlaufende Gutschrift, die vom Studien-ch oder der Gehaltshöhe abhängt. Wir wollen auch
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15091
Kai Gehring
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nicht, dass Studiengebühren an privaten Hochschulenüber die Hintertür des Steuerrechts vom Steuerzahlersubventioniert werden, sondern wir wollen eine bessere,direkte Förderung während der Ausbildungs- und Stu-dienzeiten, die sich an der Bedürftigkeit des Einzelnenbemisst. Fakt ist: Die staatliche Studienfinanzierungmuss gerechter, besser, verlässlicher und leistungsfähigerwerden. Niemand soll aus finanziellen Gründen auf einStudium verzichten müssen.
Ich setze dabei auch auf die Erkenntnisse in der Ko-alition, dass Fachkräfte- und Akademikermangel Wohl-stand, Wachstum und Innovation bremsen, und das umsomehr in Zeiten demokratischer Schrumpfung und Alte-rung, in denen das Arbeitskräftepotenzial dramatischsinkt. Wir brauchen daher dringend mehr Bildungsauf-steiger. Kein Talent darf zurückgelassen werden. Das istkeine Floskel und keine Phrase, sondern das muss dieabsolute Priorität haben. Alles andere wäre wirtschaft-lich widersinnig und absolut ungerecht.Vielen Dank.
Das Wort erteile ich nun dem Kollegen Reinhard
Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir feiern in diesen Tagen 40 Jahre BAföG. Das ist einguter Grund, zu feiern; denn über Jahrzehnte hinweg hatdas BAföG Millionen von Schülern und Studenten ge-holfen,
ihre Ausbildungskosten zu decken. Die christlich-libe-rale Koalition wird die Geschichte des BAföG erfolg-reich weiterschreiben. Gerade in Zeiten, in denen land-auf, landab vom Fachkräftemangel gesprochen wird,wird deutlich, welche zentrale Bedeutung eine gute Aus-bildung nicht nur für den Einzelnen, sondern auch fürunser Land als Ganzes hat.Die Förderung von Bildung und Forschung war vonAnfang an eines der zentralen Projekte dieser Koalition.Der Haushaltsentwurf 2012 für das Bundesministeriumfür Bildung und Forschung sieht wie die Jahre zuvor er-neut eine massive Steigerung vor: im Vergleich zu 2011um fast 10 Prozent auf 12,8 Milliarden Euro. Noch niehat eine Bundesregierung so viel Geld für Bildung undForschung ausgegeben.
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nd das, ohne unser anderes großes Ziel, die Konsolidie-ng der Staatsfinanzen, aus den Augen zu verlieren.infach mehr ausgeben, das kann jeder.
ber die Neuverschuldung konsequent zurückzuführennd dennoch einen solchen Akzent zu setzen, das istachhaltige, das ist generationengerechte Politik.
as ist ein Markenzeichen dieser Bundesregierung undieser Koalition.
Von unserem Schwerpunkt auf Bildung und For-chung haben in den vergangenen Jahren auch dieAföG-Empfänger profitiert. Nach der großen BAföG-ovelle 2008 haben wir 2010 das BAföG noch einmalrhöht. Die Bedarfssätze sind um 2 Prozent gestiegen,ie Einkommensfreibeträge um 3 Prozent. Bund undänder haben im Jahr 2010 über 2,8 Milliarden Euro füras BAföG ausgegeben. Das waren 170 Millionen Euroehr als im Vorjahr. 916 000 Schüler und Studenten ha-en 2010 BAföG-Leistungen erhalten. Das waren über0 000 mehr als 2009. Kollege Kaufmann hat weitereerbesserungen beim BAföG angesprochen, die wir imuge dieser Novelle vorgenommen haben. Ich braucheas daher nicht zu wiederholen. Hinzu kommt, dass dernteil derer, die ein Studium aufnehmen, in den letztenahren konstant gestiegen ist, allein in den vergangenennf Jahren um 10 Prozentpunkte auf heute 46 Prozentes Altersjahrgangs.Das alles kann man natürlich kleinreden. Es geht im-er noch mehr. Ich weiß auch, dass im Bildungssystemoch längst nicht alles in Ordnung ist. Aber wir habenben nicht nur Verantwortung für die finanzielle Unter-tützung von Schülern und Studenten während ihrerusbildungszeit, sondern auch Verantwortung für dentaatshaushalt und den Staat als Ganzes. Genauso wieei jeder anderen staatlichen Transferleistung müssenir beim BAföG immer wieder das Interesse derer, dieie Leistung beziehen, mit den Interessen derer in Aus-leich bringen, die mit ihren Steuern diese Leistungenezahlen, obwohl sie selbst sie nie in Anspruch nehmen.uch das gehört zur Gerechtigkeit. Es kann dabei nichtanach gehen, wer am lautesten schreit; denn das schafftur Ungerechtigkeit.
Gerecht kann es nur auf einer sachlichen Basis ge-chehen. Die Bundesregierung schafft seit Einführunges BAföG eine solche Basis, indem sie alle zwei Jahreen BAföG-Bericht vorlegt, der aufzeigt, wie sich Ein-
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15092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Dr. Reinhard Brandl
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kommen und Verbraucherpreise entwickeln. Bei derletzten Erhöhung 2010 sind wir sogar bewusst darüberhinausgegangen, um unser Schwerpunktthema Bildungnoch einmal besonders herauszustellen. Der nächsteBAföG-Bericht kommt 2012. Auf dieser Basis und jenach Lage der Staatsfinanzen werden wir im nächstenJahr darüber beraten, um wie viel wir das BAföG erhö-hen können.Sie können sich darauf verlassen: Bildung und For-schung bleiben auch in Zukunft ein Schwerpunktthemadieser Bundesregierung und der Koalition. Wir dürfenaber auch nicht überziehen. Nur wenn wir das BAföGmit Vernunft und Ernsthaftigkeit weiterentwickeln,bleibt auch die breite Akzeptanz für dieses internationalherausragende Instrument der Studienfinanzierung er-halten. Nur dann werden wir in zehn Jahren einen gutenGrund zu feiern haben, nämlich das fünfzigjährige Jubi-läum des BAföG.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Burchardt für die
SPD-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geldallein bringt noch nichts Gutes. Das sehen wir bei demneuen dialogorientierten Serviceverfahren, das zu die-sem Wintersemester in Kraft treten sollte. Die Einfüh-rung eines modernen effizienten Zulassungsverfahrensist abermals verschoben worden. Das ist – ich glaube,das sehen wir alle so – eine Blamage für den Hochschul-und Wissenschaftsstandort Deutschland.
Der Ansturm der Bewerber zu diesem Wintersemesterkommt nicht unerwartet. Er ist schon länger bekannt.Das wissen alle. Die Studenten dieses Bewerberjahr-gangs finden keinen geebneten Zugang zu den Fächern,die sie studieren wollen, sofern die Hochschulen über-haupt eine ausreichende Zahl an Studienplätzen zur Ver-fügung stellen. Selbst für diejenigen, die einen der knap-pen Plätze erhalten, wird der Einstieg nicht geebnet,sondern sie finden wieder einen Bürokratiedschungelvor. Es ist zu befürchten, dass mit viel Geld finanzierteStudienplätze brachliegen werden. So war es im letztenJahr. Lieber Kollege Gehring, die Zahl des BMBF hin-sichtlich nicht besetzter Studienplätze, die mir bekanntist, lautet 20 000. Das kann nicht länger hingenommenwerden.
Mit diesem Flop setzt sich eine fast zehn Jahre wäh-rende Geschichte, ein neues Zulassungsverfahren einzu-führen, fort. Es ist eine Geschichte von Pleiten, Pech undPle–Sdtrhbhtu1dHoMPdtePtidJdHwswgvluRwAHwanITk8SkeraWdmrevreSd
ie hat zwar die 15 Millionen Euro vollmundig verkün-et, sich aber anschließend um nichts mehr gekümmert.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15093
Ulla Burchardt
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Insofern hat nicht die Technik versagt, sondern das Ma-nagement, und zwar auf ganzer Linie.Das BMBF hat nicht eingegriffen, als es aufgrund desFinanzierungsstreits zwischen Ländern und Hochschu-len mit dem versprochenen Full Service für die Bewer-ber nichts wurde, sondern eine Version „light minus“ he-rauskam. Es hat kein zentrales Bewerbungsmanagementgegeben. Das ist keine Entlastung der Bewerber von Bü-rokratie. Es hat keine Entlastung für die Hochschulen ge-geben. Hochschulen mit Mehrfachstudiengängen konntenüberhaupt nicht mitmachen. Damit war das Versprechender HRK überhaupt nicht einlösbar.Sie sind mit dafür verantwortlich, dass es in diesemSystem und in dem ganzen Verfahren keinen Plan B gab.Das kann keiner verstehen. Jeder muss wissen: Wenn esum ein hochkompliziertes Modell geht, muss es einenPlan B geben. Aber aufgrund des Finanzierungsstreitshaben Sie darauf verzichtet, im System eine Funktionprogrammieren zu lassen, die einen Plan B ermöglichthätte, nach dem die Hochschulen das Ganze in IhremAuftrag, nach Ihren Wünschen an die Zentrale in Dort-mund, an die Stiftung, hätten verlagern können.Wenn jetzt HIS, also das Unternehmen Hochschul-In-formations-System, zum Sündenbock gemacht wird,dann ist das degoutant und kaschiert nur die eklatanteFehleinschätzung, die es bei Ländern, bei den Hoch-schulrektoren und auch an der Spitze des BMBF gege-ben hat. Das BMBF ist zusammen mit den Ländern Ge-sellschafter von HIS. Man hätte wissen können, dass an80 Prozent der Hochschulen eine 13 Jahre alte HIS-Soft-ware in Betrieb war. Kein Mensch käme auf die Idee,dass man einen 13 Jahre alten Gebrauchtwagen so tunenkann, dass er bei der Formel 1 mitfahren kann, um danndem Unternehmen die Schuld aufs Auge zu drücken undzu sagen: Ach, er hat leider nicht das ganze Rennenfunktioniert. – Für ein solches Vorgehen fehlt wirklichjegliches Verständnis. Man sollte in Klausur gehen underkennen: So geht es nicht weiter.
Jetzt hat der Neustart begonnen. Im Oktober sollendie ersten Testläufe stattfinden. Zum Wintersemester2012/13 soll das ganze System in Betrieb gehen. Einpaar Forderungen von uns sind erfüllt worden. Endlichist ein Lenkungsausschuss eingesetzt worden. Klasse,muss ich sagen; Hauptsache, man hat gelernt. Es hat aberleider ein bisschen zu lange gedauert.Einen Notfallplan haben Sie leider nicht entwickelt.Die Studienplatzbörse, die nie richtig funktioniert hat, istauf dem alten Stand. Darum hat sich keiner gekümmert.Vor allen Dingen aber – das beunruhigt mich wirklichund, ich glaube, auch Frau Grütters; sie hat gestern imAusschuss entsprechende Andeutungen gemacht –: Manmuss ernsthafte Zweifel haben, ob dieses System zumWintersemester 2012/2013 tatsächlich zum Einsatzkommen kann, unter anderem deshalb, weil es wieder ei-nen unerträglichen Finanzierungsstreit gibt, diesmal um5 Millionen Euro, die dem Unternehmen HIS zur Verfü-gung gestellt werden sollen, damit es die alte SoftwareawwbuEmsDImhbekabadaScvKwsdSleIdreDSddnbAkkzsdn
Oktober soll das Ganze anlaufen, und HIS hat biseute kein Geld gesehen. Meine Damen und Herren, lie-er Herr Staatssekretär, vielleicht kümmern Sie sich jetztndlich einmal um die Sache.
Ich sage Ihnen heute: Aus dieser Verantwortungommt keiner mehr heraus. Es geht nicht an, das alleinuf die Länder zu schieben. Die Länder darf man zwarei der Kritik nicht außen vor lassen, aber Sie könnenuch nicht sagen: Das ist alles Ländersache; wir habenamit nichts zu tun.Es gibt viele gute Gründe, über mehr zu diskutierenls nur über dieses Zulassungsverfahren. Der wirklichekandal ist, dass es einen flächendeckenden Numeruslausus gibt. Deswegen brauchen wir eine strukturellernünftige Bildungsfinanzierung, eine Aufhebung desooperationsverbots. Ich kann Ihnen sagen: Die SPDird dies auf ihrem Bundesparteitag im Dezember be-chließen. Wir haben die Verständigung zwischen Bun-es- und Landespolitikern erreicht.
ie haben die Chance, drei Wochen vorher etwas vorzu-gen. – Jetzt hätte es mal Beifall geben dürfen.
Wir müssen vor allen Dingen Schluss machen mit dereologie der Bestenauslese. Ich habe den Satz von Ih-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
er NC ist eine Frage der Qualitätsauswahl. Machen Siechluss mit dieser Mottenkiste, sonst kommen wir anieser Stelle nicht weiter.Wir brauchen endlich eine solide Bestandsaufnahmearüber, wie viele Studienplätze es gibt. Es kann dochicht sein, dass die KMK in ihrem Bericht zum Master-ereich lapidar feststellt, dass es keine Kenntnis über dienzahl bundesweit vorhandener Studienplätze gibt. Esann auch nicht sein, dass Sie nicht im Traum daran den-en, eine solche Erhebung durchzuführen, weil sie mitu viel Bürokratie verbunden wäre. Das ist des Wissen-chaftsstandorts Deutschland nicht würdig. Man mussoch eine vernünftige Ressourcenplanung machen kön-en, und dafür braucht man eine empirische Basis.
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Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen ein Bundes-
zulassungsgesetz und keine Wundertüte, wie die Linke
das verspricht. Wir brauchen solide, vernünftige Instru-
mente und empirische Daten, und zwar nicht nur, damit
man weiß, ob ausreichend Studienplätze zur Verfügung
stehen, sondern auch, damit man weiß, wie viele Stu-
dienplätze es insgesamt gibt und wie viele Menschen ei-
nen Studienplatz erhalten.
Ich habe die dringende Bitte an die Ministerin und die
Koalition: Machen Sie von Ihrer Kompetenz Gebrauch!
Sie haben im Zuge der Föderalismusreform zugestimmt,
dass der Bund die Kompetenz für die Zulassung hat.
Frau Kollegin.
Wenn Sie es nicht machen, dann werden wir es in An-
griff nehmen.
Martin Neumann ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Ich möchte mich in meiner zur Verfü-gung stehenden Zeit auf die Anträge von SPD und Lin-ken zum Thema Hochschulzulassung konzentrieren.Schauen wir uns die Anträge genau an. Wir sollten hin-terfragen, wie die Probleme, die aufgezeigt werden, tat-sächlich gelöst werden können.Zum Antrag der SPD, in dem ein Notfallplan für dieHochschulzulassung gefordert wird. Es ist klar – FrauBurchardt hat das eben deutlich gemacht –, dass das Ver-schieben des Starts des dialogorientierten Zulassungs-verfahrens mehr als nur ärgerlich ist. Darüber sind wiruns einig. Wir haben über die verschiedenen Ursachen,zum Beispiel die Softwareprobleme, diskutiert. Wir ge-hen davon aus, dass alles geklärt werden kann. Allen Be-teiligten ist klar, dass eine große Aufgabe vor uns liegt,die aber erfüllt werden kann.Der Notfallplan und die damit verbundenen konkre-ten Forderungen an den Bund können nicht allein vomBund erfüllt werden. Das muss man deutlich sagen. Hierhilft nur – das ist wichtig hervorzuheben – eine gemein-same Kraftanstrengung der Länder, der Stiftung fürHochschulzulassung und der beteiligten Hochschulen.Der Bund hat vieles gemacht, vor allen Dingen hat er dasgemacht, wozu er rechtlich und insbesondere finanziellinsvbnbdwvJpzdngqJnmdfüWPdgkoAsdfrderemtewfraW–kg
Wenn man sämtliches Abstraktionsvermögen, überas man verfügt, einmal zusammennimmt und versucht,in Ziel herauszuarbeiten, dann stellen sich gleich meh-re Fragen. Sie forderten gestern in diesem Hohen Hausehr Planungssicherheit für wissenschaftliche Mitarbei-rinnen und Mitarbeiter sowie für Wissenschaftler. Sieollen also de facto weniger Zeitarbeit und weniger be-istete Arbeitsverträge auf diesem Gebiet.
So weit, so gut. Das erfordert aber – jetzt kommen wiruf den Punkt – Planungssicherheit für die Hochschulen.ie sollen die Hochschulen das denn machen?
Liebe Frau Gohlke, ohne entsprechende Steuerungäme jedes Jahr eine unbekannte Zahl an Studienanfän-ern an die Hochschulen oder eben nicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15095
Dr. Martin Neumann
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Umso wichtiger wäre es in dem Fall für Hochschulen, jenach Bedarf Personal einstellen zu können und nicht be-nötigte Kapazitäten abzuwickeln. Letztere Alternativestellt im Übrigen ein Problem dar. Werden wenigerpopuläre Universitäten nicht mehr so stark frequentiert,dann müssten dort Stellen abgebaut werden.Aus Zeitgründen möchte ich nur ganz kurz auf dasBundeshochschulzulassungsgesetz eingehen. Sie forderndamit etwas heraus. Das muss Ihnen bewusst sein. Wirwollen die Autonomie der Hochschulen. Wir sehen dasals einen sehr wichtigen Punkt an, weil damit in einemgewissen Sinne Freiheit für Wissenschaft entwickeltwerden kann. Diese Forderung, die Sie gestellt haben,werden wir von der FDP nicht mittragen.Nun noch zu einer Behauptung, die Sie immer wiederanführen, nämlich zum angeblichen Mangel an Master-studienplätzen an deutschen Hochschulen. Ich will es andieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen. Wir habenin Deutschland keinen Mangel an Masterstudienplätzen.
90 Prozent der Bachelorabsolventen 2009, die ein Mas-terstudium aufgenommen haben, gaben an, sowohl ihrWunschfach als auch einen Platz an ihrer Wunschhoch-schule bekommen zu haben.
Drei Viertel aller Masterstudiengänge sind nicht miteinem Numerus clausus belegt. Selbst bei den örtlich zu-lassungsbeschränkten Fächern blieben nach Ende desNachrückverfahrens
– Frau Burchardt, hören Sie doch erst einmal zu – fast20 Prozent der Plätze frei. Wie erklären Sie das?
Nicht alle Bachelorabsolventen – an dieser Stellekomme ich auf den Sinn von Bologna zu sprechen; dasdürfen wir nicht vergessen – streben einen Masterab-schluss an. Dies anzunehmen beweist wieder einmal Ihrvöllig falsches Verständnis des neuen Studiensystems.
Sie verdrehen den Sinn des Bologna-Prozesses.
Ich stelle gerade fest, dass die Zeit etwas knapp wird.Ich habe noch eine Minute.regwnHbdvedudHzTBe–kfoledTBz–
Zum Abschluss noch ein Zitat von Herrn Brecht, der
inst so treffend schrieb:
Wer A sagt, muß nicht B sagen. Er kann auch er-
kennen, daß A falsch war.
In diesem Sinne lege ich Ihnen nahe, Ihre Haltung zu
en eben genannten Punkten noch einmal zu überdenken
nd sie in ein nicht so ganz weltfremdes Licht zu rücken.
Ich bedanke mich.
Das Wort erhält nun die Kollegin Monika Grütters für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Kolleginnen und Kollegen! Für Sie und nichtuletzt die jungen und anderen Zuhörer oben auf denribünen möchte ich noch einmal sagen: 40 JahreAföG sind eigentlich ein freudiger und guter Anlass fürine Plenardebatte.
Das sehen wir alle gemeinsam so; auch das ist bemer-enswert. – BAföG ist immerhin eines der weltweit er-lgreichsten Studienfördermodelle, um das wir von vie-n anderen Ländern beneidet werden.
Es ist richtig, dass die Opposition und wir die Gunster Stunde nutzen, um noch einmal über das leidigehema Hochschulzulassung zu diskutieren. Frauurchardt hat natürlich recht: Die Situation ist zum Ver-weifeln; auch das eint uns leider. Wir haben im Plenum das letzte Mal, glaube ich, im Frühjahr – und immer
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15096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Monika Grütters
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wieder in den Ausschüssen, inklusive Anhörungen, da-rüber sprechen müssen: Der Bund hat jenseits aller Zu-ständigkeiten mit seiner Unterstützung in Form der Anfi-nanzierung in Höhe von 15 Millionen Euro – um die wirringen mussten; aber diese Maßnahme war sicher rich-tig – seinerseits das Notwendige getan, um die Situationfür die Studierenden maßgeblich zu verbessern: mit derMöglichkeit, maximal 12 Studienwünsche anzugeben,und durch die Möglichkeit der Kombination von Fachund Studienort die Suche wesentlich zu erleichtern. Esgeht immerhin um nicht weniger als eine Entscheidungfür den künftigen Lebensweg. Insofern ist das keineKleinigkeit, sondern ein zentraler Punkt der Hochschul-politik.Aber: Selbst wenn das dialogorientierte Servicever-fahren für die Hochschulzulassung derart stolpert, soll-ten wir es jetzt noch nicht totreden und nicht infrage stel-len.
Liebe Frau Gohlke, ich glaube, dass selbst die PiratenSoftwareprobleme nicht einfach wegbellen können.
Sie können sich natürlich hier hinstellen und fordern, dasChaos gefälligst mal eben zu beseitigen. Es geht aberschließlich nicht um politische Maßnahmen, sondern umComputerprobleme.Die SPD fordert, dass wir eine Taskforce Hochschul-zulassung einrichten sollen. Da kann ich nur fragen: Wasversprechen Sie sich von einer solchen Bundessteue-rung? Die steht uns weder zu, noch wird sie angestrebt,noch könnten wir sie ausfüllen,
weil die Verantwortung für das Gelingen des neuen Ver-fahrens formal und materiell bei den Ländern, bei derStiftung, bei den Hochschulen und bei den Vertragspart-nern liegt. Wir sind keine KMK-Dompteure, wir sindauch keine HRK-Feuerwehr.
Übrigens nimmt der Bund seinen Sitz in dem Gremiumnatürlich wahr, selbst wenn er nicht stimmberechtigt ist.Es wäre frech, das hier in Abrede zu stellen. Mit Geset-zen lassen sich Softwareprobleme eben nicht lösen;
im Übrigen auch nicht durch ein Bundeszulassungs-gesetz.
Frau Gohlke, in Ihrem Antrag steht noch ein andererbemerkenswerter Satz, nämlich:Der Ansatz, dass die Hochschulen selbst die aus ih-rer Sicht besten Studieninteressierten auswählensollen, muss als gescheitert betrachtet werden …Darüber kann man sich jetzt lange streiten. Was aber diepolitische Aussage dabei ist, möchte ich nicht verhehlen.IcdlegSinroPsdnGgsgaZwdcnwtisPdhNsdzwdWzhgleIcg
h finde es nämlich unverantwortlich, wenn Sie aufiese Weise vor allen Dingen eines zur Disposition stel-n: die Autonomie der Hochschulen. Diese Autonomieilt bei Ihnen offensichtlich reichlich wenig.
ie wäre das erste Opfer einer linken Hochschulpolitik.In diesem Zusammenhang erlaube ich mir einen Blick das Hochschulgesetz des soeben abgewählten rot-ten Senats in Berlin. Dieses Gesetz hat immerhin derräsident der FU beklagt. Die kleinteilige und bürokrati-che Gängelung könne er nicht mögen. Und der Präsi-ent der Universität der Künste, Martin Rennert – dericht verdächtig ist, ein Bürgerlicher zu sein –, hat dasesetz schlichtweg als Misstrauensvotum des Senats ge-enüber den Hochschulen bezeichnet.
Die Anträge von Linkspartei und SPD, die Hoch-chulzulassung durch ein Bundesgesetz zu regeln, zei-en keine Möglichkeit auf, wie es in dem Bereich berg-uf gehen könnte, sondern spiegeln Ihren Wunsch nachentralismus und staatsgläubiger, kleinlicher Gängelungider. Das können wir nicht haben. Die Entmündigunger deutschen Hochschulen wird es jedenfalls mit derhristlich-liberalen Koalition nicht geben. Wir glaubenach wie vor, dass die Hochschulen am besten wissen,ie sie bei der Auswahl der Studierenden qualitätsorien-ert und sozial ausgewogen agieren.Zur Forderung der SPD, die Deckelung des Hoch-chulpakts 2020 aufzuheben und einen „Hochschulpaktlus“ zu etablieren, möchte ich wissen: Wie sehen dasenn Ihre Ministerpräsidenten? Da käme doch eine er-ebliche finanzielle Mehrbelastung nicht zuletzt aufordrhein-Westfalen zu. Herr Gehring, Sie wagen sichogar so weit vor, zu sagen: Wir fordern bis 2015 min-estens 400 000 zusätzliche Studienplätze. Die Zahl vonusätzlich 335 000 Plätzen bis 2015 haben wir ja nichtillkürlich gegriffen. Sie beruhte auf einer Berechnunger KMK.
ir haben immer gesagt: Wenn es mehr werden, finan-ieren wir diese nachlaufend nach zwei Jahren nach; soaben wir das auch im Hinblick auf den Hochschulpakt Iemacht. Ich finde es verwegen, hier irgendwelche Zah-n in den Raum zu stellen.
h will Sie nur davor warnen, unsere Zahlen durch ei-ene Spekulationen zu überbieten. Denn diese Zahlen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15097
Monika Grütters
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sind wahrscheinlich nicht stichhaltig. Das gemeinsamvon Bund und Ländern vereinbarte System zur Finanzie-rung – zwei Jahre nachlaufend, weil dann die Zahlenfeststehen – ist doch besser, als neue Zahlen in denRaum zu stellen.Ich darf Sie daran erinnern, dass diese Regierung denEtat des BMBF um satte 54 Prozent gesteigert hat.
Wenn wir uns trotz der verfassungsrechtlichen Zuständig-keiten mit den Ländern auf einen „Hochschulpakt ohneGrenzen“, den die Opposition fordert, einigen würden,glaube ich, dass er möglicherweise die SPD- und Grünen-geführten Landesregierungen überfordern würde. Schönwäre es, wenn das Stichwort von dieser Seite gekommenwäre. Aber auch in Berlin, lieber Herr Kollege Schulz,muss man erst einmal um jede Komplementärfinanzie-rung – so auch bei Exzellenzinitiative und Hochschul-pakt – betteln.
– Berlin hat 62 Milliarden Euro Schulden. Das war keingutes Stichwort, Herr Schulz.
Einen Augenblick! Für die Verlängerung des Berliner
Wahlkampfes ist jetzt weder Anlass noch Zeit. Die Kol-
legin sollte Gelegenheit bekommen, ihre Rede zu Ende
zu führen.
Das stimmt. Ich bringe meine Rede zu Ende. Aller-
dings sind Schulden in Höhe von 62 Milliarden Euro
nach zehn Jahren unter Rot-Rot eine eindeutige Antwort
auf Ihre Frage, Herr Schulz.
Wir haben dem Qualitätspakt für die Lehre zusätzli-
che 2 Milliarden Euro an Bundesgeldern zugeführt. Wir
haben einen Rekordetat für den Bildungsbereich mög-
lich gemacht. Wir verbessern damit die Situation der
Studierenden nachhaltig. Wir arbeiten am Erreichen des
10-Prozent-Ziels und an der Weiterentwicklung Deutsch-
lands zu einer Bildungsrepublik. Sie sollten weder die
Erhöhung der Bundeszuschüsse zu den Begabtenförde-
rungswerken noch das Deutschlandstipendium schlecht-
reden.
Sie sollten auch die BAföG-Erhöhung dieser Regierung
nicht schlechtmachen.
Eines haben wir damit doch schließlich gemeinsam er-
reicht: Noch nie gab es so viele junge studierende Men-
schen in Deutschland. Noch nie wurden so viele vom
Bund und von den Ländern gefördert.
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Wir müssen das BAföG an die veränderten sozialenedingungen anpassen. Damals war es – das ist nichtiskriminierend gemeint – das katholische Arbeitermäd-hen vom Lande, das man durch die BAföG-Förderungr weiterführende Bildung gewinnen wollte. Heute ists der eingewanderte Jugendliche aus Duisburg, der vorlgende Frage gestellt wird: Mache ich eine Berufsaus-ildung und verdiene schnell Geld, oder nehme ich eintudium in Angriff? Er könnte dann über die Oberstu-nfinanzierung seine Schulausbildung weiterführen undanach sogar ein Studium aufnehmen. Vor diesem Hin-
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Dr. Ernst Dieter Rossmann
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tergrund sollten Sie einmal ernsthaft darüber nachden-ken.Drittens. Das BAföG, das vor 40 Jahren aktuell war,muss sich auf neue Studienstrukturen einstellen. Ange-sichts der heutigen Bachelor- und Masterstruktur musses eine Anpassung geben, zum einen durch Einführungeiner Förderung ohne Unterbrechung für den Übergangvom Bachelor zum Master, zum anderen durch einedeutliche Anhebung, wenn nicht gar einen Wegfall derAltersgrenzen; wir wollen doch gerade den Wechselzwischen Studium und Arbeit fördern, aber das funktio-niert mit einer Altersbegrenzung nicht.
Es muss auch in Bezug auf die Teilzeitstudiengängeeine Verbesserung geben. Wir leben in einer Zeit, in dervermehrt Teilzeitstudiengänge aufgenommen werden;aber dies bildet sich noch nicht im BAföG ab. Dement-sprechend müssten Aufstockungsbeträge für Teilzeitstu-denten hinzukommen.Eine weitere neue Dimension: Wir haben gemeinsamin der Großen Koalition die Anerkennung von Kinderer-ziehungszeiten beim BAföG deutlich verbessert, abernoch nicht die Pflegeverantwortung berücksichtigt, dieMenschen möglicherweise tragen, wenn sie – vielleichtsogar in einem höheren Alter – im Studium sind. Auchdas muss integriert werden; es ist eine neue soziale Qua-lität, die sich im BAföG wiederfinden sollte.Viertens. Das BAföG hat durch das Meister-BAföGeine Erweiterung erhalten. Wenn wir darüber nachden-ken, müssen wir anerkennen, dass wir auch beimMeister-BAföG zu weiteren Verbesserungen kommenmüssen, unter anderem bei der Maßnahmenförderung.Andererseits muss das vielleicht heißen, dass jemand,der spät einen Masterstudiengang anfängt, auch eineMaßnahmenförderung erhält; aktuell müsste er den Le-bensunterhalt während des Studiums alleine tragen.Es gibt also genügend konkrete Sacharbeit beimBAföG, die wir im Hinblick auf die „Perspektive Bil-dung 2021“ zu leisten haben. Das gilt umso mehr, als dieganze europäische Dimension 2021 viel virulenter seinwird, als sie 1971 war. Wenn man die europäische Per-spektive einnimmt, dann erkennt man, dass es in Europabei der Studienförderung zwei Denkschulen gibt: zumeinen die skandinavische Denkschule – Elternunabhän-gigkeit –, zum anderen die angelsächsische Denkschule,nach der das Studium von den Betroffenen selbst finan-ziert wird. Wir in Deutschland haben zum Glück eineAffinität zum skandinavischen Modell, aber noch nichtin Bezug auf die Elternunabhängigkeit der Förderung,die von den Grünen immer wieder eingefordert wird.Es ist natürlich ein gewaltiger Schritt, ein solchesFundament, ein Bildungsgeld, zu finanzieren. Könnenwir nicht darüber nachdenken, ob es eine Plausibilitätdafür gibt, das Kindergeld für über 18-Jährige, das bis-her an die Eltern gezahlt wird, stattdessen an die erwach-senen Kinder zu zahlen?
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eil SPD und Grüne dies nicht allein schaffen, werbenir jetzt dafür, dass auch die anderen das voranbringen.
Wir schaffen es auch deshalb nicht, weil wir im gesam-n Bildungsförderungsverfahren des nächsten Jahr-ehnts – es gibt die Perspektive eines Bildungsgesetzbu-hes – die Unterstützung der anderen Seite im Bundesratrauchen.Ich will ausdrücklich Herrn Brandl unterstützen, dererspektivisch fragte: Wie sieht das BAföG im Jahr021, beim 50. Geburtstag des BAföG, aus? Wenn wirhrlich sind, müssen wir zugeben, dass es 2002 unterot-Grün mit der Deckelung der Darlehen und derichtanrechnung des Kindergeldes eine deutliche Ver-esserung gegeben hat.
008 hat es unter Schwarz-Rot mit der Aufstockung derreibeträge um 10 Prozentpunkte – das war dertruck’sche Kampf, den wir erfolgreich mit Ihnen führenonnten – und der besseren Anerkennung für studie-nde Eltern deutliche Verbesserungen gegeben.
Herr Kaufmann, wenn wir es bis 2021 schaffen, dass5 Prozent der Studierenden mit BAföG gefördert wer-en, und die neuen Bedingungen des Bachelors und desasters, die Anerkennung der Pflegeverantwortung undie europäische Dimension einarbeiten, dann soll einemm das BAföG nicht bange sein.
Herr Kollege.
Dann haben wir hier bei der Bildungsförderung in
eutschland nicht nur eine stabile, stressresistente
atze, sondern auch eine richtig schöne Katze.
Danke.
Das Wort erhält nun der Kollege Axel Knoerig für die
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!as 40. Jubiläum des BAföG ist ein Anlass, dieses Ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15099
Axel Knoerig
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setz zunächst einmal zu würdigen. Es hat den berufli-chen Werdegang vieler junger Menschen erheblich er-leichtert bzw. überhaupt erst möglich gemacht.Insbesondere Kindern aus einkommensschwächeren Fa-milien hat dieses Gesetz die Tür zu einer akademischenLaufbahn geöffnet. Wir sollten auch erwähnen: Für vieleAbgeordnete des Deutschen Bundestages ist das BAföGTeil der persönlichen Lebensgeschichte.
Es gibt ganz prominente Mitglieder des Hauses, dieBAföG erhalten haben; damit ist viel gesagt.In Ergänzung zu meinen Vorrednern möchte ich michder Wirkung dieses Gesetzes und der Idee, die ihm zu-grunde liegt, widmen. Dabei möchte ich vor allem diewirtschaftlichen Aspekte beleuchten. Grundlage war be-kanntermaßen das Wissen um die Notwendigkeit, diegeistigen Ressourcen in unserer Volkswirtschaft zu för-dern. Die staatliche Förderung von Bildung fließt in dieKosten-Nutzen-Rechnung eines jeden Einzelnen ein.Wir sollten uns einmal anschauen, wie die Rechnungohne BAföG aussieht. Sich über ein Studium zu bilden,ist für den Studenten mit verschiedenen Kosten verbun-den. Da sind einmal die Kosten für die Ausbildungselbst. Hinzu kommt der Ausfall des Verdienstes aus ei-ner anderen, oft geringer qualifizierten Tätigkeit, derman sonst nachgegangen wäre. Diesen Kosten steht dieDifferenz zwischen dem erwarteten, höheren Einkom-men nach dem Studium und dem Einkommen, das manohne akademischen Abschluss beziehen würde, also dermögliche Mehrverdienst aufgrund höherer Bildung, ge-genüber. Es ist erwähnenswert, dass der Wert der Per-sönlichkeitsentwicklung, die man durch ein Studium er-fährt, einen besonderen Stellenwert hat.Das Gesetz leistet somit einen sinnvollen Beitrag zurWohlfahrt unserer Volkswirtschaft. Ohne BAföG ent-ginge der Allgemeinheit der Wohlstandsbeitrag, der spä-ter von dem Geförderten geschaffen wird. Dieser schlägtsich unter anderem in höheren Steuerzahlungen nieder.Ich möchte Ihnen aber auch eine andere Betrach-tungsweise nahebringen: Die BAföG-Leistungen müs-sen von Steuerzahlern aufgebracht werden. Diese sinddurchaus für die oben dargelegte Argumentation zu ge-winnen, auch dann, wenn sie selbst keine Akademikersind. Allerdings ist ihnen nicht zu vermitteln, dass derje-nige, der später meist mehr verdient, seine Ausbildung,wie von der Fraktion Die Linke gefordert, voll staatsbe-zuschusst und darlehensfrei erhalten soll. Ich frage Sie:Warum soll nicht weiterhin ein Teil der Ausbildungskos-ten zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Geförderte inseinem Beruf tätig ist, zurückgezahlt werden? Das ist fürmich nicht nachvollziehbar, insbesondere nicht vor demHintergrund, dass es eine Gruppe von Studierenden gibt,die von uns zu wenig gewürdigt wird. Das sind diejeni-gen, die berufsbegleitend studieren und deswegen auchkein BAföG erhalten. Wenn ihre Studiengebühren nichtvom Arbeitgeber übernommen werden, müssen siedurchweg fast alle Kosten tragen.DudadFmDmgdCvSxäaJAWSßczhhgDcinhwmsdKKm
Die Situation beim sogenannten Meister-BAföG siehthnlich aus. Der Kollege von der SPD hat das zu Rechtngesprochen. Auch hier wird dieses Jahr ein kleinesubiläum gefeiert: 1996, vor 15 Jahren, wurde dasufstiegsfortbildungsförderungsgesetz – schwierigesort – verabschiedet. Junge Menschen, die nach derchule eine berufliche Ausbildung erfolgreich abschlie-en, erwerben dadurch einen Rechtsanspruch auf staatli-he Unterstützung, wenn sie sich beruflich weiterqualifi-ieren wollen. Diese Förderung ist – das sollten wirerausstellen – von Einkommen und Vermögen unab-ängig. 166 000 berufstätige Menschen wurden im ver-angenen Jahr mit Meister-BaföG-Leistungen gefördert.iese Zahl steigt weiter an.Vor dem Hintergrund, dass Fachkräfte aus den Berei-hen Industrie, Handel, Dienstleistungen und Handwerk unserer Wirtschaft eine essenzielle Aufgabe erfüllen,alte ich das Meister-BAföG für besonders förderungs-ürdig. Das ist insbesondere zu berücksichtigen, wennan über den Ausbau der Maßnahmen reden möchte.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich bedanke mich für die vorbildliche Nichtinan-
pruchnahme einer vorhandenen Redezeit. Ich nehme
as als leuchtendes Beispiel zu Protokoll.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Philipp Murmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich werde versuchen, vier Höhepunkte ineine Rede einzubauen.
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15100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Dr. Philipp Murmann
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Erstens. Nicht nur in Unternehmen, sondern auch inder Politik gilt: Wer Erfolg haben will, braucht klareZiele und Prioritäten. 10 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes für Bildung und Forschung, das ist ein mutigesund klares Ziel, wie es vor uns niemand so klar formu-liert hat.
Das macht deutlich: Bildung und Forschung habenklare Priorität in unserer Politik. Wenn etwas Prioritäthat, dann muss dies auch erkennbar sein. 6 MilliardenEuro mehr für Bildung – davon übrigens ein großer Teilfür das BAföG – und 6 Milliarden Euro mehr für For-schung, das verbessert die Chancen für unsere Jugendund für unser Land. Wo stehen wir heute? In 2010 liegenwir bereits bei 9,3 Prozent, und das bei einem steigendenBruttoinlandsprodukt. Im Forschungsbereich – dort ha-ben wir das 3-Prozent-Ziel – liegen wir zum ersten Malbei über 2,8 Prozent; denn nicht nur der Staat, sondernauch die Unternehmen haben ihre Forschungsanstren-gungen erhöht. Das macht sich bemerkbar: Starke Unter-nehmen bedeuten starke Wirtschaft, geringe Arbeitslo-sigkeit, steigende Löhne, steigende Zahlen derAuszubildenden und nicht zuletzt steigende Steuerein-nahmen. Das ist nicht nur Glück, sondern auch das Er-gebnis einer Politik mit klaren Prioritäten.
– Menschlich kann ich natürlich verstehen, dass sich beidem einen oder der anderen aus der Opposition ein we-nig Neid einschleicht.
– Politisch können wir es auch verstehen.Zweiter Punkt: das BAföG. Wir feiern heute Geburts-tag; das soll auch so sein. Mit 1,5 Milliarden Euro ist esder größte Einzeltitel in unserem Bildungshaushalt. Dasbegrüßen wir alle, wenn auch mit unterschiedlicher Aus-prägung. Zu Recht ist das BAföG eine wichtige Säuleder Bildungspolitik, aber das BAföG ist keine sozialisti-sche Wunderwaffe, wie Sie es uns manchmal glaubenmachen wollen. Es ist ein wichtiges Instrument im In-strumentenkasten. Bei aller Euphorie über die hohe Zahlder Studienanfänger – die Quote liegt bei 46 Prozent; da-rüber freuen wir uns alle –, müssen wir zur Kenntnisnehmen, dass die Absolventenquote immer noch unter30 Prozent liegt. Diese Zahl gilt es jetzt anzugehen. Wirbrauchen nicht noch mehr Studienanfänger, wir brau-chen mehr Absolventen.
Dies gilt ganz besonders in diesem Jahr, in dem derdemografische Wandel zum ersten Mal richtig zuschlägt.Für 100 Akademiker, die in den Ruhestand gehen, kom-men nur 90 nach. Das wird eine Wachstumsbremse; da-rum müssen wir uns jetzt kümmern. Deswegen werdendie Studienberatung und der Qualitätspakt Lehre zukünf-tig sehr hohe und klare Priorität haben.sgAfeDscHdgdehdskraddfonvdd1andWkcSSwbssSktrB
ies würde einen Angriff auf die Autonomie der Hoch-chulen darstellen. Das wollen wir nicht, und das ma-hen wir auch nicht mit. Wir wollen eigenständigeochschulen; denn nur eigenständige Hochschulen sinder Garant für hohe Qualität.
Wenn Sie eine Garantie für einen Masterstudienplatzeben wollen, so können Sie das ja in Brandenburg, einemer letzten Bundesländer, in denen Sie noch mitregieren,inführen. Dann werden Sie sehen, dass das keinen Erfolgat. Man muss auch klar darauf hinweisen: Es gibt eineniskriminierungsfreien Zugang zum Masterstudium. Die-er Zugang wird an transparente Leistungskriterien ge-nüpft. Das ist gut so; denn nur das Leistungsprinzip ga-ntiert eine hohe Qualität des Masterabschlusses, undiese Qualität brauchen wir. Deshalb ist Ihr Antrag, inem eine reine Garantie für einen Masterstudienplatz ge-rdert wird, auf keinen Fall zustimmungsfähig.
Nun zu meinem vierten Punkt. Bildungspolitik lebtatürlich nicht nur von Zahlen, Bildungspolitik lebt auchon Vorbildern. Vorgestern waren die Preisträger desiesjährigen „Jugend forscht“-Wettbewerbs bei der Bun-eskanzlerin. Zum ersten Mal haben sich mehr als0 000 Schülerinnen und Schüler bei „Jugend forscht“ngemeldet, mehr als je zuvor. Auf der Tribüne sitzen ei-ige junge Menschen; vielleicht war der eine oder an-ere von euch dabei.
enn Sie sich diese jungen Menschen anschauen, dannommt Begeisterung auf. Sie stellen sich Fragen und su-hen Antworten. Sie sind interessiert und setzen sich ein.ie arbeiten selbstständig und häufig gemeinschaftlich.ie trauen sich etwas zu und haben Spaß am Wettbe-erb. Sie geben nicht auf, bis sie Lösungen gefunden ha-en. Wenn ich die Begeisterung dieser jungen Leuteehe, dann weiß ich: Wir sind bei Bildung und For-chung auf einem richtigen und guten Weg.Zum Schluss. Die Zahlen sprechen eine deutlicheprache. Wir alle haben sie heute gehört. Deswegenann ich nicht verstehen, warum man mit so vielen An-ägen – es liegen vier Anträge vor – den Geburtstag desAföG ein bisschen an den Rand schiebt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15101
Dr. Philipp Murmann
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Solche undurchdachten, unfinanzierbaren, undurchführ-baren und zum Teil auch rechtlich gar nicht umsetzbarenForderungen können wir nicht unterstützen.Wir wollen klare Linien. Irrwege werden wir nichtmitgehen. Wir lehnen sie ab und bleiben bei unseremZiel: Vorfahrt für Bildung und Forschung. Das ist dasMarkenzeichen der Politik dieser Bundesregierung.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/6372 und 17/7026 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Dazu gibt es offenkundig Einvernehmen. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 29 c. Hier geht es um die Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung auf der Drucksache 17/7051.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der SPD-
Fraktion auf der Drucksache 17/5899 mit dem Titel
„Notfallplan für die Hochschulzulassung zum Winterse-
mester 2011/2012 jetzt starten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist
mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
17/5475 mit dem Titel „Hochschulzulassung bundesge-
setzlich regeln – Sozialen Zugang und Durchlässigkeit in
Masterstudiengängen sichern“. Wer stimmt dieser Be-
schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Auch hier ist die Beschlussempfehlung
mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a und b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Eingliederungschancen
am Arbeitsmarkt
– Drucksachen 17/6277, 17/6853 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 17/7065 –
Berichterstattung:
Abg. Katja Mast
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/7068 –
e
n
B
d
A
S
z
A
s
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Mast,
Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Arbeitsmarktpolitik an den Herausforde-
rungen der Zeit orientieren – Weichen für
gute Arbeit, Vollbeschäftigung und Fach-
kräftesicherung stellen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Agnes Alpers, Jutta Krellmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Arbeitsmarktpolitik neu ausrichten und
nachhaltig finanzieren
– zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth, Katrin Göring-
Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arbeitsmarktpolitik – In Beschäftigung und
Perspektiven investieren statt Chancen kür-
zen
– Drucksachen 17/6454, 17/5526, 17/6319,
17/7065 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Mast
Die Aussprache soll nach einer interfraktionellen Ver-
inbarung eine Stunde dauern. – Das ist offenkundig
icht umstritten, sodass wir so verfahren können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
undesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. von
er Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
rbeit und Soziales:
Vielen Dank, Herr Präsident.
Vielleicht, Frau Ministerin, warten wir noch ein paarekunden, um den Schichtwechsel ordnungsgemäß ab-uwickeln. – Bitte schön.Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürrbeit und Soziales:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge-etz, das wir heute abschließend beraten, behandelt die
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15102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Instrumente der Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen mit derNeuordnung der Instrumente vor allen Dingen die Zahlder Instrumente reduzieren; denn wir wissen, dass Ver-mittlerinnen und Vermittler vor Ort aus dem Instrumen-tenkasten ein bestimmtes Reservoir kennen und das dannauch anwenden. Masse ist hier nicht gefragt – sie ver-wirrt nur –, sondern Zielgenauigkeit. Wir wollen deshalbauch mehr Flexibilität für die Vermittlerinnen und Ver-mittler vor Ort ermöglichen. Schließlich haben wir dieAkzente verschoben. Über all das wollen wir heute de-battieren.Das Gesetz kommt zur rechten Zeit; denn die Nach-frage nach Arbeit ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr.Das zeigt sich auch an allen Daten: Wir haben eine Re-kordbeschäftigung, die höchste seit der Wiedervereini-gung; es gibt 1 Million offene Stellen; die Arbeitslosig-keit ist unter 3 Millionen gesunken; und es gelingt unsinzwischen, die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeitlangsam, aber sicher abzubauen. Das war viele, vieleJahre nicht der Fall. Allein in den letzten fünf Jahren istdie Zahl der Langzeitarbeitslosen von 1,7 Millionen fastauf die Hälfte gesunken, nämlich auf 880 000. Das ist er-freulich für die Menschen; das ist erfreulich für den Ar-beitsmarkt. Es ist ein Zeichen der guten Bilanz der Bun-desregierung unter Angela Merkel.
Diese gute Zeit am Arbeitsmarkt wollen wir nutzenund die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu ausrich-ten. Wir rechnen weiterhin mit einer stabilen Wirtschaftund einem robusten Arbeitsmarkt, auch wenn wir wis-sen, dass es internationale Risiken gibt. Trotzdem: DerArbeitsmarkt ist robust.Wir müssen umstellen von dem Szenario der Massen-arbeitslosigkeit, das wir lange hatten, auf das Szenario„Wir suchen Fachkräfte“. Dazu müssen die Menschenpassgenau qualifiziert werden. Das heißt, wir müssenauch die alten Förderrezepte, die in der Zeit der Massen-arbeitslosigkeit funktioniert haben, sorgfältig überprü-fen. Das haben wir getan. Wir räumen gewissermaßenden Instrumentenkasten mit diesem Gesetz auf.Wir wollen eine einfache Handhabung, wir wollenpassgenaue und individuelle Hilfen. Deshalb möchte ichzwei Punkte aufgreifen, die oft in der Kritik sind, dieaber auch zeigen, wo die neuen Akzente liegen.Wir gehen weg von der globalen Betrachtung der Ar-beitslosen, insbesondere der Langzeitarbeitslosen, undsagen nicht mehr: „Alle Instrumente müssen für alle pas-sen“ – also nach dem Motto: „One fits all“, Instrumentevon der Stange –, sondern wir wollen Instrumente, diepersonenzentriert, individuell und passgenau sind.
Nehmen wir zum Beispiel die Gruppe der Alleiner-ziehenden. Langzeitarbeitslose Alleinerziehende warenüber Jahre ein Block, in dem sich kaum etwas bewegthat, weil die Grundhaltung in etwa lautete: Sie hat einKind; es lohnt sich sowieso nicht. – Wir haben im letztenJahr eine Umstellung vorgenommen und gesagt: DasMotto muss lauten: Weil sie ein Kind hat, müssen wirddNShinsmwsasg2KDzaMgEgZADdwBkZMhagrezAcpGgJwPs
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Wir müssen weg von der künstlich geförderten Be-schäftigung und viel stärker auf Weiterbildung und Qua-lifizierung setzen, damit die Menschen aufgrund ihrerQualifikation Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt fin-den. Deshalb investieren wir bei weniger als 3 MillionenArbeitslosen 3 Milliarden Euro in Weiterbildung und,insbesondere mit Blick auf Jugendliche, 3,2 MilliardenEuro in den Bereich des Übergangs von Schule, Ausbil-dung und Beruf. Dadurch helfen wir passgenau den jun-gen Menschen, die, obwohl es derzeit viele offene Lehr-stellen gibt, noch nicht die richtige Lehrstelle gefundenhaben. 500 000 jungen Menschen greifen wir damit un-ter die Arme.Ich glaube, wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,der zur rechten Zeit kommt, die richtigen Akzente setztund die richtige Politik unterstreicht.Vielen Dank.
Hubertus Heil ist der nächsten Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Frau Ministerin, was wir gerade erlebt haben, warder Versuch einer doppelten Täuschung der deutschenÖffentlichkeit. Ich will Ihnen sagen, warum. Das, wasSie uns eben geboten haben, war der Versuch, für eineKürzungspolitik, die Sie mit dem schön klingenden Be-griff „Instrumentenreform“ verschleiern, eine Sprachezu finden. Aber die Wahrheit ist: Es geht Ihnen nicht umzielgenaue arbeitsmarktpolitische Instrumente, sondernum die Anpassung der Instrumente an Ihre Kürzungsbe-schlüsse aus dem letzten Jahr. Das war der erste Versuchder Täuschung.
Frau Ministerin, weil Sie, wie so oft, so mit Zahlenhantiert haben, wie es Ihnen gerade in den Kram passt– ich frage mich übrigens, warum Sie nicht 2008 als Re-ferenzjahr genannt haben; denn 2008 war das Jahr vorder Krise, nicht 2007 –, will ich Ihnen und der deutschenÖffentlichkeit sagen, was in den Jahren bis 2015 gesche-hen wird – die Kürzungspolitik zulasten langzeitarbeits-loser und arbeitsloser Menschen, die Sie in den nächstenJahren fortsetzen, kann man nämlich, wenn man dieZahlenwerke insgesamt betrachtet, eindrucksvoll bele-gen –: Sie kürzen erstens im Bereich des SGB II, alsozulasten von langzeitarbeitslosen Menschen, bis 2015,also innerhalb von vier Jahren, allein 8 Milliarden Eurobei der Eingliederung. Sie kürzen zweitens durch die so-genannte Instrumentenreform zusätzlich 7,5 MilliardenEuro. Das macht zusammen „round about“ 15 Milliar-den Euro zulasten von Langzeitarbeitslosen.dnsdeuWmz4MdPmrewbctemmFvsksfenmbdmgbgmtuIhgwnsla
Damit bin ich, weil ich davon gesprochen habe, dassas eine doppelte Täuschung ist, bei einem weiterenunkt, der in Ihrer Rede wieder zum Vorschein gekom-en ist. Frau von der Leyen, es ist eine Milchmädchen-chnung – ich kann Ihnen diesen Begriff nicht ersparen –,
enn Sie nach dem Motto verfahren: Da es weniger Ar-eitslose gibt, braucht es auch weniger Mittel. – Tatsa-he ist: Wir bekommen in Deutschland einen tief gespal-nen Arbeitsmarkt. Während auf der einen Seite immerehr Unternehmen aufgrund der Auswirkungen des de-ografischen Wandels am Arbeitsmarkt händeringendachkräfte suchen werden, haben wir nach wie vor einenerfestigten Sockel von Dauer- und Langzeitarbeitslo-igkeit. Jeder, der sich in der Materie ein bisschen aus-ennt, weiß, dass die Menschen, die drei, vier, fünf,echs Jahre und länger arbeitslos sind, begleitende Hil-n, Qualifizierung und Maßnahmen brauchen, um zu ei-em selbstbestimmten Leben in Beschäftigung zu kom-en.Frau von der Leyen, wenn Sie uns schon nicht glau-en, dann glauben Sie wenigstens den Profis der Bun-esagentur für Arbeit, die das letzte Woche deutlich ge-acht haben. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dannlauben Sie den Wohlfahrtsverbänden und den arbeitge-ernahen oder arbeitnehmernahen Weiterbildungsträ-ern an diesem Punkt. Sie sagen Ihnen: Was Sie jetztachen, ist eine Zerstörung von Maßnahmen und Struk-ren. Die langzeitarbeitslosen Menschen werden vonnen abgehängt, und zwar dauerhaft.
Frau von der Leyen, wenn Sie das fiskalisch damit be-ründen – Sie könnten das ja –: „Es ist weniger Geld da;ir müssen auch bei mir sparen“, dann sage ich Ihnen ei-es: Kurzfristig bewirken diese Kürzungen im Haushaltchöne Zahlen bei Ihnen und bei Herrn Schäuble. Aberngfristig läuft das Ganze auf eines hinaus: Diese Ge-
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Hubertus Heil
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sellschaft findet sich mit Langzeitarbeitslosigkeit ab.Wir lassen die Menschen im Transfer mit allen Folge-kosten, die das hat.
Das wird für den Staat und die Gesellschaft verdammtteuer.Reden wir einmal über die Menschen, die das, wasSie hier an Kürzungen machen, betrifft. Wer sind denndie Langzeitarbeitslosen in dieser Zeit in diesem Land?Das sind die jungen Menschen, die aufgrund von Proble-men in den Familien oder Fehlleistungen im Bildungswe-sen keine anständige Qualifikation haben. 65 000 jungeMenschen verlassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohneSchulabschluss. 1,5 Millionen Menschen zwischen20 und 30 Jahren haben keine berufliche Erstausbildung.Und was machen Sie? Sie hängen diese Jugendlichendauerhaft ab. Sie schaffen dauerhaften Nachwuchs fürHartz IV, indem Sie beispielsweise den Qualifizierungs-zuschuss vollständig streichen. Das, Frau von der Leyen,müssen Sie sich zurechnen lassen. Sie spalten den Ar-beitsmarkt in einer Zeit des Fachkräftebedarfs, indemSie junge Menschen dauerhaft zurücklassen.
Und was machen Sie noch? Wir haben ein bewährtesInstrument – nach allen Expertenmeinungen ist es eingutes Instrument –, das beispielsweise Arbeitslosen inder Vergangenheit die Möglichkeit eröffnet hat, nicht nurin reguläre Beschäftigung zu kommen, sondern auch,sich selbstständig zu machen, nämlich den Gründungs-zuschuss. Viele Arbeitslose konnten sich mit dieser Hilfeselbstständig machen. Das ist also ein Instrument sowohlder Arbeitsmarkt- als auch der Wirtschaftsförderung, dasbewirkte, dass auch noch weitere Arbeitsplätze geschaf-fen wurden. Sie jedoch trocknen dieses Instrument inwesentlichen Teilen aus. Auch das wird Folgen haben.Frau Ministerin, ich kann Ihnen an dieser Stelle einesnicht ersparen – das Motto „Warme Worte, kalte Taten“kennen wir ja schon; auch heute haben wir es wieder er-lebt –: Ich befürchte langsam, dass in den Reihen derschwarz-gelben Koalition möglicherweise ein Men-schenbild zu finden ist, das klammheimlich davon aus-geht, dass es einen großen Sockel von Langzeitarbeitslo-sigkeit, von Menschen gibt, die man gar nicht mehr inBeschäftigung bringen mag und die man mit sozialemTransfer abspeisen will.
Ich sage Ihnen: Wir bleiben bei dem Grundsatz „För-dern und Fordern“. Wir sagen: Fördern und Fordern istrichtig. Es ist zwar richtig, zu sagen, dass sich Menschenselbst anstrengen müssen. Aber Menschen, die beson-dere Vermittlungshemmnisse haben, brauchen an diesemPunkt Unterstützung.
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Frau von der Leyen, ich finde es schier unerträglich,ass Sie hier – das tun Sie auch sonst verstärkt – dieortvernebelungsmaschine angeworfen haben. Das tunie in Talkshows, wie gestern Abend im Politikmagazinarkus Lanz, und das tun Sie auch heute hier im Deut-chen Bundestag wieder. Ich kann Ihnen diesen Vorwurficht ersparen.
Herr Kollege.
Wir haben gestern Seine Heiligkeit hier erlebt. Heute
aben wir hier Ihre Scheinheiligkeit erlebt.
Herzlichen Dank.
Na ja. – Jetzt hat jedenfalls der Kollege Johannes
ogel für die FDP-Fraktion das Wort.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Herr Heil, ich glaube, Ihre letzte Bemer-ung richtet sich selbst.
Ich will Ihnen sagen, was ich unerträglich finde: Un-rträglich finde ich es, wie Sie hier die Öffentlichkeituschen. Ich will nur einmal auf die Lage auf dem deut-chen Arbeitsmarkt hinweisen: Wir haben unter 3 Mil-onen Arbeitslose. Das ist so wenig wie seit 20 Jahrenicht mehr.
ie Sockelarbeitslosigkeit, die Zahl derjenigen, die lang-eitarbeitslos mit einer schlechten Perspektive sind,
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Johannes Vogel
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sinkt in diesem Aufschwung, lieber Herr Heil. Man kannsich bei der Jugendarbeitslosigkeit ja auch einmal dieVergleichszahlen in den Ländern anschauen, in denenSie in der Landesregierung Verantwortung tragen, zumBeispiel hier in Berlin.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist die nied-rigste aller großen Industrienationen in Europa.
Frankreich und auch Schweden haben eine doppelt sohohe Jugendarbeitslosigkeit wie wir, lieber Herr Heil.Gerade in dieser Lage sagt die Koalition eben nicht:„Auf dem Arbeitsmarkt läuft alles gut“, sondern wirwidmen uns jetzt der Aufgabe, allen Menschen eine Per-spektive zu geben.
Das ist auch der Gedanke, der hinter dieser Instrumen-tenreform steht. Wir wollen die Arbeitsmarktvermittlungbesser machen. Dieser Gesetzentwurf ist ein sehr guterBeitrag auf diesem Weg.
Sie nennen immer wieder die Zahlen. Das klingt na-türlich auch erst einmal gut. Sie addieren die Milliarden-beträge, die möglicherweise zurückgenommen werden.
Herr Heil, Sie vergessen aber, darauf hinzuweisen, dassdie einzig seriöse Betrachtung von Zahlen in diesem Falldarin liegt, zu ermitteln, wie viel Geld pro Arbeitslosenzur Verfügung steht.
Lieber Herr Heil, ich kann nur sagen: Wir stellen uns derAufgabe, den Haushalt zu konsolidieren.Ich will auch auf die großen Risiken für den Arbeits-markt hinweisen. Wir befinden uns mitten in der euro-päischen Schuldenkrise. Wir konsolidieren den Haus-halt, Sie wollen Schulden vergemeinschaften. Währendwir konsolidieren, sorgen wir dafür, dass nicht an der fal-schen Stelle gespart wird.
Lieber Herr Heil, pro Langzeitarbeitslosen steht indiesem und im nächsten Jahr genauso viel Geld wie2008 zur Verfügung, als Sie noch Regierungsverantwor-tung getragen haben. Das ist die Wahrheit. Alles andereist eine Täuschung der Öffentlichkeit.
Sie haben von der Gefahr der Spaltung des Arbeits-marktes gesprochen.DiskDsM53RfübdSdsdhssuzsdfrFimkEudLa
as ist richtig. Ich kann Ihnen aber sagen, was das Bestet, um einer Spaltung vorzubeugen, nämlich in Qualifi-ation zu investieren.
er Arbeitsmarkt wird nicht durch Flexibilität gespalten,ondern durch die mangelnde Qualifikation von einigenenschen.
Ich schaue mir einmal die Zahlen an: 2005 hatten wir Millionen Arbeitslose, in diesem Jahr sind es unterMillionen. 2005 war das letzte Regierungsjahr vonot-Grün. Dieses Jahr geben wir 1 Milliarde Euro mehrr Qualifikation aus, als Sie das 2005 getan haben.
Von wegen schlechte Perspektive und gespaltener Ar-eitsmarkt! Das war Ihre Politik. Wir machen eine an-ere.
In den letzten zwei Minuten will ich noch ein paarätze zum Gesetzentwurf selbst sagen. Es geht in der Tatarum, dass wir den Instrumentenkasten aufräumen. Wiragen: Es ist richtig, auf Instrumente zu verzichten, mitenen Menschen nicht in Arbeit gebracht werden. Des-alb ist es eine gute Nachricht, dass zum Beispiel das In-trument ABM wegfällt, was nie ein erfolgreiches In-trument war,
nd dass wir uns gleichzeitig auf die Instrumente kon-entrieren, durch die den Menschen wirklich eine Per-pektive gegeben wird. Das ist der Gedanke, der hinteriesem Gesetzentwurf steht. So etwas legen wir hier vor.
Ich will noch auf einen anderen Aspekt eingehen. Icheue mich nämlich – das sage ich besonders für meineraktion –, dass wir auch die privaten Arbeitsvermittler Instrumentenkasten der Arbeitsvermittlung erhaltenonnten.
s geht darum, kreative Konkurrenz im Markt zu haben,nd zwar Konkurrenz um die besten Lösungen, wie wiren Menschen eine Perspektive geben können.
iebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ichhne schon, was gleich kommen wird. Es wäre für das
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Johannes Vogel
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Niveau unserer Debatte – das sage ich offen – schön,wenn wir auf derselben Grundlage ehrlich miteinanderdiskutieren würden.
Deshalb, Frau Kollegin Pothmer, würde ich mich freuen,wenn Sie gleich darauf verzichten würden, hier wiederdie Lüge zu erzählen, das sei ein schlechtes Instrument.Die Evaluation des IAB hat ergeben: Das ist ein gutesInstrument. Es bringt nämlich Menschen in Beschäfti-gung. Deswegen erhalten wir es.In der Tat wollen wir auch bei der öffentlich geförder-ten Beschäftigung dafür sorgen, dass diese nicht das In-strument der ersten Wahl ist, zum Beispiel für jungeMenschen, sondern dass es um Qualifikation geht unddass wir uns in der öffentlich geförderten Beschäftigungauf die konzentrieren, die sie wirklich brauchen und siein diesem Bereich wirkungsvoll halten. Mein KollegeKober wird dazu gleich etwas sagen.Zum Schluss will ich einen Aspekt, auf den Sie garnicht eingehen – ich kann verstehen, warum –, hier inder Debatte anführen. Ich meine den Paradigmenwech-sel bei der Förderung der Weiterbildung von beschäftig-ten Arbeitnehmern. Wir stellen uns mit diesem Gesetz-entwurf auch der Aufgabe, den Arbeitsmarkt derZukunft zu bauen. Es wird Regionen geben – diese gibtes in diesem Land auch schon heute –, in denen Vollbe-schäftigung herrscht. Die Frage ist hier: Wie reagierenwir auf den Fachkräftemangel?Wir schaffen hier einen echten Paradigmenwechsel.Erstmalig wird nicht nur die Möglichkeit geschaffen, dieWeiterbildung von beschäftigten Arbeitnehmern, vonGeringqualifizierten und Älteren weiter zu finanzieren,sondern auch die Möglichkeit, dass alle Arbeitnehmervon kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Land– bei denen ist die Weiterbildungsquote nicht so hochwie bei den Konzernen – durch die Bundesagentur fürArbeit teilgefördert werden.
Das ist eine echte Innovation, die Sie nie geschafft ha-ben. Wir stellen uns der Aufgabe, auf den Fachkräfte-mangel und das Problem von mangelnder Qualifikation,das eine Spaltung des Arbeitsmarkts bewirkt, zu reagie-ren. Dieser Gesetzentwurf bringt einen echten Paradig-menwechsel.Sie haben nichts Besseres zu tun, als über angeblicheHaushaltskürzungen zu reden. Man könnte das schon alsKompliment sehen: Was man an diesem Gesetzentwurfinhaltlich kritisieren könnte, fällt Ihnen offenbar nichtein. Ich bin gespannt, ob dazu im Laufe der Debatte et-was kommt. Ich rechne nicht wirklich damit.Vielen Dank.
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och, ich habe ganz bewusst ausgesprochen – das hatei Ihnen auch Wirkung gezeigt –, was die Sozialver-ände, Gewerkschaften, Erwerbsloseninitiativen und dieehrheit der Bürgerinnen und Bürger von diesem Ge-etz denken.
Die Bundesregierung sorgt damit nur ein weiteresal für einen gigantischen Kahlschlag in der Arbeits-arktpolitik, und das auf dem Rücken von erwerbslosenenschen in diesem Land. Während der Rettungsschirmr die Banken immer größer wird, drückt die Bundesre-ierung den vielen erwerbslosen Menschen nur einenleinen löchrigen Knirps in die Hand. Das ist ungerecht,ber das ist Ihre Politik. Dabei machen wir nicht mit.
Selbst in Zeiten des Aufschwungs gelingt es nicht,angzeitarbeitslose in nennenswerten Größenordnun-en in Beschäftigung zu bringen. Ihr Anteil an allen Er-erbslosen blieb im August mit 33 Prozent genauso wie Vorjahr. Damit liegt Deutschland deutlich über demurchschnitt der europäischen Länder. Nur die Slowakeiat einen noch höheren Anteil langzeitarbeitsloser Men-chen. Mit Ihrem Gesetz zur vermeintlichen Verbesse-ng der Eingliederungschancen werden Sie es baldchaffen, den Spitzenplatz in Europa zu erobern. Dazuönnen wir nur sagen: Glückwunsch! Deutschland, dasand der Langzeitarbeitslosen! – Das ist Ihr Verdienston Ihrer Regierung, meine Damen und Herren derchwarz-gelben Koalition.
Ich möchte noch etwas zu den absoluten Zahlen sa-en. Im Juni betrug die offizielle Zahl der Langzeitar-eitslosen im Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur fürrbeit 868 000. Im Juli belief sich diese Zahl dann auf62 000. Nun fragen Sie bestimmt, warum, Herr Vogel,er Sie uns so schön Ihre Rechnungen aufmachen. Ichann Ihnen sagen, woran es liegt. Erstmals konnten näm-ch Langzeitarbeitslose ausgewiesen werden, die vonen Optionskommunen betreut werden. All die Jahre zu-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15107
Sabine Zimmermann
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vor – das waren sieben Jahre; seit dieser Zeit bestehendie Optionskommunen – wurden sie vor der Öffentlich-keit offenbar versteckt.Ich frage mich: Was ist hier los?
Genau genommen weiß man gar nicht genau, wie vieleArbeitslose es in unserem Land gibt. Außerdem gibt esnoch die knapp 100 000 über 58-jährigen arbeitslosenHartz-IV-Bezieher – die Sie vergessen haben, Herr Vogel –,die aus der Statistik herausgefallen sind,
weil sie in den letzten zwölf Monaten kein Jobangebotvom Jobcenter bekommen haben.
Ich frage mich: Was ist hier los? Wie wollen Sie unsdarstellen, dass die Arbeitsmarktpolitik greift und dieArbeitslosigkeit zurückgeht? Wenn etwas in Bewegungist, dann sind es nicht die Langzeitarbeitslosen auf demWeg in ihren neuen Job, sondern allenfalls die Statisti-ken. Nur 2,2 Prozent der Langzeitarbeitslosen gelang esin den letzten zwölf Monaten, in einen Job zu kommen.Von großen Erfolgen am Arbeitsmarkt, insbesondere fürLangzeitarbeitslose, zu reden, halten wir für Augenwi-scherei.
Sie, allen voran unsere Ministerin Frau von der Leyen,verschließen die Augen vor der Realität.Vor allem Langzeiterwerbslose benötigen dringendWeiterbildung und Qualifizierung, um eine Chance aufeinen Job zu erhalten. Das wurde heute schon mehrfachangesprochen. Die Hälfte von ihnen verfügt nicht übereine abgeschlossene Berufsausbildung. Doch die Maß-nahmen zur Weiterbildung und Qualifizierung haben Siebereits in diesem Jahr drastisch zusammengestrichen.Die Teilnehmerzahlen sind um 36 Prozent zurückgegan-gen, Herr Vogel.Gleichzeitig redet die Regierung, auch Sie, HerrVogel, von einem Fachkräftemangel. Auf der einen Seitewerden die Gelder für aktive Maßnahmen gestrichen.Auf der anderen Seite jammern Sie auf hohem Niveau,dass wir einen Fachkräftemangel haben. Ich bitte Sie,das passt doch nicht zusammen.Die Linke steht für eine andere Arbeitsmarktpolitik.
Ich denke, das wird Sie nicht wundern. Dazu haben wireinen Antrag eingebracht, den Sie vielleicht einmal lesensollten.Notwendig ist eine Reform der Arbeitsmarktinstru-mente – darin sind wir uns einig –, die aber nicht auf Bil-ligbAdnssSdLßIhggDrubSZfüsAAtiewmsnBPedimsnECtim
Die Linke möchte nachhaltige Maßnahmen stärken,ie am individuellen tatsächlichen Bedarf der Betroffe-en ausgerichtet sind. Damit verbunden sind Rechtsan-prüche der Betroffenen auf Fördermaßnahmen. Insbe-ondere müssen die Erwerbslosen mit den größtenchwierigkeiten am Arbeitsmarkt besser unterstützt wer-en: Ältere, Menschen mit Behinderungen, aber auchangzeiterwerbslose. Denn diese Gruppen sind die gro-en Verlierer der letzten Jahre und werden dies aufgrundres Gesetzentwurfs auch weiter sein.Die Bundesagentur für Arbeit darf von der Bundesre-ierung nicht weiter in die chronische Unterfinanzierungetrieben werden. Damit meine ich die Abschaffung derefizithaftung des Bundes, die vorgesehene Reduzie-ng des Beitrages zur Arbeitsförderung und die Strafge-ühr beim Übergang vom Arbeitslosengeld I in Hartz IV.ie pressen die Bundesagentur für Arbeit aus wie eineitrone. Das geht zulasten der erwerbslosen Menschen.
Zudem darf die Arbeitsverwaltung nicht länger Motorr prekäre Beschäftigung sein. Wir fordern eine Neuge-taltung der Zumutbarkeitsregelungen und eine besserebsicherung gegen Arbeitslosigkeit, um dem Druck zurufnahme von niedrig entlohnter und nicht qualifika-onsgerechter Beschäftigung entgegenzuwirken. Denns kann nicht sein, dass Menschen in Arbeit vermittelterden und zusätzlich Hartz IV beziehen müssen. Damituss endlich Schluss sein in diesem Land!
Statt die öffentlich geförderte Beschäftigung einzu-tampfen, wie es die Regierung derzeit tut, wollen wireue Rahmenbedingungen für gute öffentlich geförderteeschäftigung schaffen, um Langzeiterwerbslosen eineerspektive zu geben. Dies sind eben nicht 1-Euro-Jobs;s geht vielmehr um sinnvolle zusätzliche Arbeit, voner man leben und seine Familie ernähren kann.Die Arbeitsverwaltung wurde in den letzten Jahrenmer mehr zu einem System umgestaltet, das sich aus-chließlich negativ definiert: über Sperrzeiten, Sanktio-en und wenig Förderung. Dieser falsche Weg muss einnde haben.
Solange Sie mit Ihrem vorgelegten Gesetzentwurf diehancen von langzeitarbeitslosen Menschen so drama-sch verschlechtern, werden wir als Linke nie zustim-en.Danke.
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15108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
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Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hierheute vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich nicht anden Anforderungen des Arbeitsmarktes. Der hier heutevorliegende Gesetzentwurf orientiert sich am Rotstift-diktat des Finanzministers.
Dem werden jedenfalls wir nicht zustimmen.Sie behaupten immer, Herr Vogel und Frau von derLeyen, dass die vorgesehenen Einsparungen durch Effi-zienz und Zielgenauigkeit aufgefangen werden. DieseEffizienz und diese Zielgenauigkeit wollen Sie dadurcherreichen, dass die Entscheidungskompetenz der Jobcen-ter gesteigert wird. Deswegen werden Pflichtleistungenin Ermessensleistungen umgewandelt. Jetzt will ich Ih-nen einmal am Beispiel des Gründungszuschusses erläu-tern, wie das aussieht. Beim Gründungszuschuss sollen5 Milliarden Euro eingespart werden; das sind 83 Pro-zent des Etats. Die Ausweitung der Entscheidungskom-petenz vor dem Hintergrund dieser Einsparungen istnichts anderes, als dass Sie die Drecksarbeit der Ableh-nung nach unten verlagern.
Es gibt aber interessanterweise eine Ausnahme: Die Ver-mittlungsgutscheine für private Vermittler werden nichtin eine Ermessensleistung umgewandelt. Die Vermitt-lungsgutscheine für private Vermittler sind so etwas wiedie Mövenpick-Steuer der Arbeitsmarktpolitik.
Das ist das einzige Instrument, das nicht zur Ermessens-leistung wird.Sie sind angetreten, um den Instrumentenkasten nachdem Prinzip der Effizienz zu organisieren. Wie sieht dieEffizienz bei den privaten Vermittlern eigentlich aus? ImJahr 2010 sind 634 000 Vermittlungsgutscheine ausgege-ben worden. Eingelöst worden sind davon 50 000. Dasentspricht 7,9 Prozent.
Arbeit haben davon nur 4,2 Prozent gefunden. Das istdas Prinzip der Effizienz à la FDP.
Ich will hier aber gar nicht den Eindruck erwecken, alswürden schon mit dem Ausgeben des Vermittlungsgut-scheines Kosten fällig, auch wenn damit durchaus Be-rariPs4DkSFndaBtessomruaIhIcdWlessdddgdnnvzRASDd
as hier ist kein Effizienzinstrument; das ist Wahl-ampfhilfe für die FDP.
o viele private Vermittler gibt es aber gar nicht, um derDP über die Fünfprozenthürde zu helfen. Hinzu kommtoch – das besagt im Übrigen auch die IAB-Studie –,ass die privaten Vermittler im Wesentlichen den Rahmbschöpfen. Die wirklich schweren Fälle bleiben bei derundesagentur für Arbeit und bleiben bei den Jobcen-rn.Aber die schwer Vermittelbaren interessieren Sie jaowieso nicht; die haben Sie längst abgeschrieben. Die-er Gesetzentwurf konzentriert sich auf diejenigen, diehne großen Unterstützungsbedarf in den ersten Arbeits-arkt kommen. Frau von der Leyen, es geht Ihnen da-m, sich im schönen Schein der durch die Konjunkturbnehmenden Arbeitslosenzahlen zu sonnen. Ich sagenen: Wo Sonne ist, da ist auch Schatten.
h finde, die Aufgabe einer Arbeitsministerin bestehtarin, sich diesem Schatten einmal zuzuwenden.
as wir nämlich nicht brauchen, ist eine Schattenkanz-rin. Was wir brauchen, ist eine Arbeitsministerin, dieich genau um diese Schattenseiten kümmert, und dasind die schwer Vermittelbaren,
as sind die gesundheitlich Eingeschränkten, das sindie ohne Ausbildung, das sind die Älteren, und das sindie Alleinerziehenden.Frau von der Leyen, wenn Sie hier auftreten und sa-en, die Zahl der Arbeitslosen unter den Alleinerziehen-en sei überproportional zurückgegangen, dann kann ichur sagen: Das stimmt nicht. Genauso stimmt Ihre Rech-ung nicht, dass Sie pro Kopf mehr als in den Jahren zu-or ausgeben werden. Wenn Sie allerdings das Jahr 2005um Referenzjahr nehmen, also das Jahr, in dem dieseegelung eingeführt worden ist und die Jobcenter imufbau begriffen waren, dann zeigt das den Mangel aneriosität in Ihrer Argumentation.
ie Zahl, die wirklich relevant ist, ist folgende: Die Zahler Langzeitarbeitslosen ist im letzten Jahr um 4 bis 5 Pro-
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Brigitte Pothmer
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zent gesunken. Aber Sie kürzen in diesem Bereich um25 Prozent. Sie können vieles außer Kraft setzen, nichtaber Adam Riese.
Die Probleme, die wir heute auf dem Arbeitsmarkthaben, sind grundsätzlich anderer Natur als vor zweiJahren. Heute sind die Menschen arbeitslos, nicht weilArbeitsplätze fehlen, sondern weil ihnen die Qualifika-tion für die vorhandenen Arbeitsplätze fehlt. Es ist Auf-gabe der Arbeitsmarktpolitik, das zu verändern. Wenndas nicht gelingt, dann hat die Arbeitsmarktpolitik ver-sagt. Fachkräftemangel bei gleichzeitig hoher Arbeits-losigkeit, das ist das Versagen der verantwortlichenMinisterin. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
Die Anhörung hat das noch einmal deutlich gemacht.Alle fordern eine Rücknahme der Kürzungen, aber aucheine qualitative Verbesserung. Wir brauchen einen bes-seren Personalschlüssel. Wir brauchen besser qualifizier-tes Personal in den Jobcentern. Wir brauchen Qualifizie-rungsmaßnahmen insbesondere für Geringqualifizierte,die zu einem Abschluss führen. Wir brauchen die volleFinanzierung von Umschulungen, besonders in nachge-fragten Berufen wie in der Pflege. Welchen Sinn machtes eigentlich, dass die Kosten der Umschulungen hiernicht übernommen werden? Tatsächlich ist jede Um-schulung im Pflegebereich mit einer Jobgarantie verbun-den.
Dazu finden wir in Ihrem Gesetzentwurf nichts, rein garnichts. Mit diesem Gesetz treiben Sie die Spaltung desArbeitsmarktes und damit auch die Spaltung in der Ge-sellschaft voran. Leider hat der Änderungsantrag, dendie Fraktionen vorgelegt haben, daran nicht wirklich et-was geändert. Deswegen werden wir diesem Gesetzent-wurf nicht zustimmen.Ich danke Ihnen.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Karl Schiewerling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es amüsant, dass
sich die Opposition an unserer Bundesarbeitsministerin
in persönlichen Fragen handfest abarbeitet. Sie scheint
eine so gute Politik zu machen, dass Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, nur noch mit Schlägen
unterhalb der Gürtellinie operieren können.
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h sage es Ihnen sehr deutlich: Auch Sie, Frau Kollegin
othmer, können Adam Riese nicht außer Kraft setzen.
Millionen Arbeitslose sind nun einmal mehr als knapp
Millionen Arbeitslose.
enn Sie die Zahlen nicht zur Kenntnis nehmen wollen,
ann nenne ich Ihnen hier in der Öffentlichkeit die Zah-
n noch einmal: 2006 gab es 5 Millionen Arbeitslose.
ir haben damals 1 643 Euro pro Kopf ausgegeben. Wir
erden im Jahr 2011 2 524 Euro pro Kopf ausgeben,
amit Langzeitarbeitslose bzw. Arbeitslose in den Ar-
eitsmarkt integriert werden können.
egen Adam Riese werden Sie, Frau Kollegin Pothmer,
icht argumentieren können.
Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwi-
chenfrage der Kollegin Mast?
Mit verhaltener Freude.
Bitte schön, Frau Mast.
Herr Kollege Schiewerling, vielen Dank, dass Sie
eine Zwischenfrage zulassen. – Mich interessiert, wie
ich die Pro-Kopf-Ausgaben für Langzeitarbeitslose in
eutschland seit Ihrer Regierungsübernahme entwickelt
aben bzw. entwickeln werden. Da Sie offenbar gerne
it Zahlen agieren, wird es für Sie sicherlich kein Pro-
lem sein, uns auch hierzu konkrete Zahlen zu nennen.
Die habe ich Ihnen gerade genannt.
Nein, Frau Kollegin, ich habe Ihnen die Zahlen ge-annt. – 2011 gibt es geschätzt 2,1 Millionen Arbeitslose SGB-II-Bereich. Die Pro-Kopf-Ausgaben liegen bei524 Euro. 2006 gab es 2,8 Millionen Langzeitarbeits-se. Damals wurden pro Kopf 1 643 Euro ausgegeben.as sind die Zahlen.
rau Kollegin Mast, es tut mir leid, dass die Zahlen nuninmal so sind, wie sie sind, und dass Sie mit Ihrer Argu-
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Karl Schiewerling
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mentation nicht durchdringen. Aber auch Sie müssendiese Zahlen einmal zur Kenntnis nehmen.
Wir schließen nach der Organisationsreform und derReform der Regelsätze mit dem Gesetz, über dessen Ent-wurf wir heute abschließend beraten, nun den drittenTeil der Arbeitsmarktgesetzgebung, die Reform der ar-beitsmarktpolitischen Instrumente, ab. Ich finde, dasswir in den letzten zwei Jahren einiges auf den Weg ge-bracht haben.
Herr Kollege Schiewerling, auch Frau Kollegin
Pothmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, jetzt nicht.
Die Notwendigkeit, die arbeitsmarktpolitischen In-strumente zu reformieren – ich sage Ihnen das in allerDeutlichkeit –, besteht unabhängig von der Konjunkturund den Finanzen. Selbst wenn wir 4 Milliarden Euromehr zur Verfügung hätten, müssten wir die arbeits-marktpolitischen Instrumente effizienter gestalten; dennob 4 Milliarden Euro mehr oder 500 Millionen Euro we-niger, es geht in jedem Fall darum, die Steuergelder effi-zient einzusetzen, weil wir gegenüber dem Steuerzahlerfür das, was wir tun – das bleibt immer so –, Verantwor-tung tragen.
Es geht bei dem, was wir tun, um einen Umbau undnicht – das wollen einige von Ihnen suggerieren – um ei-nen Abbau der Sozialleistungen. Es geht erst recht nichtum einen Kahlschlag. Es geht darum, dass auch dieLangzeitarbeitslosen ihre Chancen nutzen können, aufdem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden.
Diese Gesetzgebung stellt in der Tat einen Paradigmen-wechsel dar. Wir müssen konsequent in die Qualifizie-rung investieren und konsequent eine Treppe zum erstenArbeitsmarkt bauen. Einige brauchen mehr Stufen, umdorthin zu kommen, einige brauchen nur eine Stufe odermüssen nur einen Schritt gehen; es geht aber darum, dasswir die Menschen in den ersten Arbeitsmarkt integrie-ren.Sie, Frau Kollegin Pothmer, sagen, uns habe die Kon-junktur geholfen. Die Konjunktur hat uns überhauptnicht geholfen; sie ist vielmehr die Basis dafür, Men-schen wieder im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen.Arbeitsmarktpolitische Instrumente schaffen keine Ar-beitsplätze, sondern sie ebnen den Weg, um wieder inBeschäftigung zu kommen.
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eil die Situation der Menschen höchst unterschiedlicht. Dort, wo wir etwas leisten können, damit Jugendli-he, Heranwachsende und Menschen, die gerade in Be-chäftigung gekommen sind, weiterqualifiziert werden,m eine Perspektive zu haben, weil wir ihre Kraft, ihreegabungen und ihre Fähigkeiten brauchen, investierenir und bieten Qualifizierungsmöglichkeiten. Wir bittenlle Träger und Institutionen, die sich in diesem Bereichngagieren, dies weiter mit voller Kraft zu tun.
Es ist mir an dieser Stelle ein Anliegen, ein deutlichesort des Dankes an die vielen Initiativen und Träger zuchten.
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Karl Schiewerling
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Ich weiß, dass in einigen Bereichen der Beschäftigungs-initiativen, die sich für Langzeitarbeitslose einsetzen,Umstrukturierungen stattfinden werden.
Diejenigen, die ausschließlich Beschäftigung organisie-ren, werden es schwer haben, weil wir sie auffordern,Beschäftigung mit Qualifizierung zu verbinden und denWeg in den ersten Arbeitsmarkt zu organisieren.
Dafür werden wir die Mittel bereitstellen. Dafür werdenwir die Rahmenbedingungen schaffen. Wir erreichenmehr Effizienz, weil mehr Entscheidungsfreiheit vor Ortentsteht.
Ich bin ganz sicher, dass es nicht nur um die Frage geht,wie wir die Mittel verteilen, sondern auch um die Frage,wie wir die Mittel effizient einsetzen.In diesem Sinne freue ich mich darauf, dass wir zuneuen Aufbrüchen in diesem Bereich kommen. Es gehtnicht um Abbau. Es geht um Umbau. Es geht um Schär-fung. Es geht um gute Perspektiven für die Menschen,junge wie ältere, damit sie eine gute und hoffnungsvolleZukunft am Arbeitsmarkt haben. Ich bin froh darüber,dass sich die Zahlen so entwickelt haben, wie sie sichentwickelt haben. Ich rate Ihnen, den Menschen das auchnicht schlechtzureden;
denn sie brauchen Mut, und sie brauchen nicht perma-nent Schwarzmaler, die ihnen sagen: Ihr habt sowiesokeine Perspektive. – Sie haben eine Perspektive, und wireröffnen sie ihnen.
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Gabriele
Lösekrug-Möller.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Verehrter KollegeSchiewerling, wer sich Effekte des Aufschwungs so andie Brust heftet, wie Sie es getan haben, der sollte dieandere Seite der Brust freilassen; denn dahin heften wirdann die Effekte, die entstehen, wenn der Aufschwungnachlässt.Was hier geschieht, ist unverantwortlich. Es ist unver-antwortlich, dass Sie sagen: All das Gute auf dem Ar-beitsmarkt haben wir gemacht. – Ich glaube, die Men-schen in Deutschland wissen das besser. Auch wenn Sieso froh sind über das Gesetz, das heute verabschiedetwird, und sich einer Noch-Mehrheit im Parlament rüh-men können, so haben Sie doch nicht die Mehrheit derGfavwZZdPeMNfalemwbemMbDsAmbNkaMskwgWFCaZgIhwBisdfü
wei Dinge müssen zusammen gesehen werden, Herrimmer: Ihre radikalen Kürzungen und die Veränderunger Instrumente. Die Kollegin Pothmer hat es auf denunkt gebracht. Ich will es noch einmal sagen, weil Sies offenbar noch nicht verstanden haben: Sie geben denitarbeitern in den Jobcentern vor Ort nur die Chance,ein zu sagen, wenn sie ihr Ermessen ausüben. Das isthrlässig. Das haben sie auch wirklich nicht verdient.
Wir wissen: Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist al-s nichts. – Wir Sozialdemokraten haben einmal Instru-ente reformiert, zusammen mit der CDU/CSU. Dasar ein guter Schritt. Wir haben signalisiert: Wir sindereit, weiterzumachen. – Das gilt aber nicht, wenn Sieine Instrumentenreform machen und sich die Instru-ente nur noch auf das beziehen, was nach Ihrenilliardenkürzungen hinter dem Komma noch übrigleibt. Das ist Missbrauch von Reform.
as führt dazu, dass der Graben zwischen jenen Men-chen, die in guter Arbeit sind, und denen, die gar keinerbeit haben oder zu schlechten Bedingungen arbeitenüssen, noch tiefer wird. Das sind die Effekte Ihrer Ar-eitsmarktpolitik, auf die Sie so stolz sind.Wir können das am Beispiel der Jugendwerkstätten iniedersachsen durchbuchstabieren. Frau Ministerin, Sieennen sich da aus. Sie wissen: Über 100 Einrichtungenrbeiten seit Jahren erfolgreich. Mehr als 5 000 jungeenschen ohne Chance bekommen dort genau das, wasie brauchen, damit sie gut in Ausbildung und Arbeitommen. Wenn es nicht Proteste gegeben hätte, dannären diese Werkstätten radikal ans Ende ihrer Existenzekommen.
as wir jetzt haben, Kollege Straubinger, ist ein kleinerortschritt. Sie könnten sich bei Ihrer Kolleginonnemann aus Niedersachsen informieren. Sie hatuch berechtigte Sorge in der Frage, wie es in diesemusammenhang weitergeht.Das alles zeigt mir: Wenn es konkret darum geht, jun-en Menschen Chancen zu eröffnen, dann passen Siere Politik nicht der Wirklichkeit an, sondern legenunderbare Sachen ins Schaufenster. Betreten dann aberedürftige den Laden, finden sie leere Regale vor. – Dast die Politik, die Sie machen. Das gilt für den Grün-ungszuschuss. Das gilt für den Vermittlungsgutscheinr junge Leute. Da ist es ja eine wunderbare Ausnahme,
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Gabriele Lösekrug-Möller
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wenn es mit den Privaten funktioniert; wir haben dashier hinreichend erörtert. Auch das wird der FDP alsPartei nicht weiterhelfen. Möglicherweise eröffnet esPersonen, die irgendwann einmal ohne Mandat sein wer-den, die Chance auf Vermittlung. Ich empfehle da auchunsere öffentlichen Einrichtungen. Auch die vermittelngut. Diese Aktion wäre nicht notwendig gewesen.
Leider müssen wir den Gesetzentwurf ablehnen,
trotz der Änderungsvorschläge, die von CDU/CSU undFDP immerhin noch gekommen sind. Einige waren bit-ter nötig. Ich denke hier an die Wohnheime und an dieFörderung kleiner Einrichtungen, die offenbar von derFrau Ministerin nicht beachtet worden sind. Es wirddringend Zeit, dass sich die Arbeitsmarkt- und Sozial-politik in dieser Republik ändert.Vielen Dank.
Für die FDP spricht jetzt der Kollege Pascal Kober.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, Sie tunmir schon leid;
denn es ist offensichtlich sehr schwer, gegen eine so er-folgreiche Regierung Opposition zu machen. Ihnen fälltnichts anderes ein, als auf persönliche Angriffe unter derGürtellinie auszuweichen.
Ich kann es nur wiederholen: Diese Regierung ist soerfolgreich, wie Sie es sich im Interesse der Menschen inunserem Land nur wünschen könnten. Wir haben in derBundesrepublik gegenwärtig 41 Millionen Erwerbstä-tige, so viele wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.Wir haben weniger als 3 Millionen Arbeitslose. DieLangzeitarbeitslosigkeit, die die Schwächsten derSchwachen betrifft, sank im letzten Jahr erstmalig seitEinführung des Hartz-IV-Systems um 6 Prozent. Die Ju-gendarbeitslosenquote liegt bei unter 10 Prozent, alsonur halb so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Imletzten Jahr wurden 684 000 zusätzliche sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen.Von daher kann ich schon verstehen, dass es schwer ist,Opposition gegen eine so erfolgreiche Regierung zu ma-chen.eleHdnkPgLruWcgsfehinredWwdweeteüIcbvhInkb
Ich möchte Sie für Folgendes sensibilisieren. Was ichben genannt habe, waren die nackten Zahlen. Aber stel-n Sie sich vor, wie viele persönliche Lebensschicksaleunderttausender sich konkret dahinter verbergen: Hun-erttausende Menschen, die jetzt wieder schlafen kön-en, Hunderttausende Familien, die in den Urlaub fahrenönnen, Hunderttausende Menschen, die wieder eineerspektive haben – das, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der Opposition, sollten Sie anerkennen um desebensglücks dieser Menschen willen.
Wir sind nicht so vermessen, alles auf unsere Regie-ngsführung zurückzuführen.
ir wissen, dass bereits in der Vergangenheit Wesentli-hes im Bereich der Wirtschaft geschehen ist, das dazueführt hat, dass es jetzt so viele Chancen für die Men-chen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Es gibt 1 Million of-ne Stellen, die darauf warten, besetzt zu werden. Des-alb ist es richtig, dass wir in die Weiterbildungvestieren. Wir investieren mehr, als Sie je zu investie-n bereit waren. Sie haben 2005 2 Milliarden Euro inie Weiterbildung investiert.
ir investieren 3 Milliarden Euro. Das zeigt deutlich,o wir uns in der Verantwortung sehen. Wir ergänzenas, was auf dem Arbeitsmarkt durch eine glücklicher-eise gute Konjunkturentwicklung möglich war, durchine kluge Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Lassen Sie mich daran erinnern, dass ich Sie bei derrsten Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes gebe-n habe, sich nicht darauf zurückzuziehen, nur ständigber die Rückführung von Mitteln zu klagen.
h habe Sie aufgefordert, sich konstruktiv an der Ver-esserung der einzelnen Instrumente zu beteiligen; aberon Ihnen ist in dieser Hinsicht nichts gekommen. Wiringegen haben bei den bereits zur Verfügung stehendenstrumenten die Stellschrauben justiert, um so in Zu-unft größere Erfolge zeitigen können.Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Bei den 1-Euro-Jobszw. den Arbeitsgelegenheiten haben wir eine soge-
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Pascal Kober
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nannte Nachrangigkeitsklausel eingeführt, sodass das In-strument nur dann anwendbar ist, wenn – –
Herr Kollege Kober, ich wollte Sie eigentlich nicht
mitten im Satz unterbrechen. Möchten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Heil zulassen?
Eine Zwischenfrage des Kollegen Heil natürlich
gerne.
Bitte schön.
Geschätzter Kollege Kober, in der vergangenen Wo-
che war auf meine Einladung hin Herr Staatssekretär
Brauksiepe in meinem Heimatwahlkreis. Dies ist der
Landkreis Peine, zwischen Braunschweig und Hannover
ge
Pro Kopf wird überhaupt nicht gespart. –
Komischerweise erleben wir gerade, dass die Strukturen
einer hocheffizienten Berufsbildungs- und Beschäfti-
gungsgesellschaft des Landkreises Peine zusammenbre-
chen. Derzeit vollzieht sich dort ein Strukturwandel.
Dass die Caritas und die Diakonie über die Jugendwerk-
stätten einiges zu berichten haben, hat die Kollegin
Lösekrug-Möller bereits angesprochen.
Ich habe eine einfache Frage an Sie. Ich schlage vor,
dass wir vereinbaren, dass Sie in einem Jahr in meinen
Wahlkreis kommen und den Menschen vor Ort erklären,
dass alles so toll ist, wie Sie es hier prognostizieren.
Nehmen Sie meine Einladung an?
Lieber Hubertus Heil, zunächst einmal möchte ich da-
rauf hinweisen, dass dieses Gesetz noch gar nicht wirk-
sam ist. Wenn die Träger jetzt verunsichert sind, was ih-
nen in Zukunft bevorsteht, dann liegt das im
Wesentlichen daran, dass Sie hier nicht sachlich argu-
mentieren, sondern den Trägern Angst machen.
Nun zu Ihrer Frage, Herr Heil. Ich komme gerne und
lade Sie zugleich in meinen Wahlkreis ein. Danach tau-
schen wir uns darüber aus. Ich freue mich darauf.
Wir haben im Bereich des 1-Euro-Jobs eine Nachran-
gigkeitsklausel eingeführt, damit genau diejenigen da-
von profitieren, die es nötig haben und für die diese Ar-
beitsgelegenheit sinnvoll ist, statt sie zu verwenden, um
irgendwelchen Trägern oder sonstigen Auftraggebern
billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. So haben
wir – die Zeit reicht nicht mehr, dies auszuführen – an
ganz vielen Stellen gerade im Bereich des SGB II ganz
konkrete kleine Veränderungen vorgenommen, um diese
Instrumente zielgerichteter einzusetzen, damit mehr
Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Uns
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lle Arbeitsagenturen begrüßen die Möglichkeit der Ei-eninitiative, die damit zukünftig verbessert wird.
Natürlich. – Darüber hinaus werden damit den Men-chen mehr Chancen eröffnet.In den vergangenen Jahren haben wir bereits eine er-lgreiche Arbeitsmarktpolitik betrieben, auch in dereit der Großen Koalition; das möchte ich in keinereise in Abrede stellen. Mittlerweile ist ein signifikan-r Rückgang der Dauerarbeitslosigkeit festzustellen;enn wir sind das Problem der Arbeitslosigkeit kontinu-rlich angegangen.Unter Rot-Grün gab es 5 Millionen Arbeitslose. Jetztind es 2,8 Millionen Arbeitslose. Gestern wurde gemel-et, dass der Monat September den neuesten Tiefpunktei der Arbeitslosigkeit in Deutschland bedeuten wird.s wird 200 000 Arbeitslose weniger geben als vor ei-em Jahr im Monat September. Das zeigt sehr deutlich,ass der Arbeitsmarkt aufnahmefähig ist und dass eseshalb geboten ist, die Instrumente so einzusetzen, dassunächst in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wird undicht in irgendwelche Arbeitsgelegenheiten oder andereormen der Eingliederung.
iel dieses Gesetzes ist es, den ersten Arbeitsmarkt zuedienen. Ich habe natürlich Verständnis für diejenigen,
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Max Straubinger
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die sich als Leistungsanbieter von Eingliederungsmaß-nahmen betätigt haben. Wichtiger aber ist es, Menschenin den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.Dass dieser Arbeitsmarkt aufnahmefähig ist, möchteich durch ein Beispiel aus meinem Heimatwahlkreis un-termauern. Jüngst in der letzten Woche erschien dorteine Meldung von der Bundesagentur für Arbeit, dassderzeit 197 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden kön-nen. Das bedeutet, dass es große Chancen für Jugendli-che gibt. Sosehr ich die Leistungsfähigkeit von Jugend-netzwerken und sonstigen Einrichtungen schätze,weitaus entscheidender ist es, die jungen Menschen zu-erst in eine Lehrstelle zu bringen. Nichts ist lehrreicherals die praktische Erfahrung im Betrieb, um damit einselbstbestimmtes Leben führen zu können. Das ist derSinn dieser Gesetzgebung.Häufig wird kritisiert, es würden ständig nur finan-zielle Kürzungen vorgenommen. Es ist aber ein Unter-schied – Vorredner haben es bereits gesagt –, ob wir5 Millionen Arbeitslose haben oder 3 Millionen oder un-ter 3 Millionen. Weil auch das oft bezweifelt wird,möchte ich darlegen: Im Jahr 2007 hatten wir imSGB-II-Rechtskreis 2,5 Millionen Arbeitslose zu ver-melden. Im Jahr 2011 sind wir bei 2 Millionen ange-langt. Das heißt, wir haben 500 000 Arbeitslose weniger.Im SGB-III-Rechtskreis hatten wir im Jahr 20071,25 Millionen Arbeitslose zu verzeichnen, im Jahr 2010waren es 900 000, und im Jahr 2011 – davon bin ichüberzeugt – werden wir knapp 800 000 erreichen.Das zeigt sehr deutlich: Auch wenn wir geringereMittelansätze im Haushalt tätigen, steht trotzdem je Fallmehr Geld zur Verfügung. In dem Zusammenhang kannman hervorheben – es wurde bereits dargelegt –: Im Jahr2007 wurden je Fall ungefähr 2 000 Euro aufgewandt;im laufenden Jahr werden es ungefähr 2 500 Euro je Fallsein. Wir werden unserer Verantwortung gegenüber denArbeitslosen mitten in unserem Land gerecht und inte-grieren sie in den ersten Arbeitsmarkt. Das ist zuvörderstunsere Aufgabe.
Deshalb ist es kleinlich, was die Opposition heute be-trieben hat.
– Ja natürlich ist das alles kleinlich, was Sie dargelegthaben. – Sie haben selbst kein richtiges Konzept, außernach immer mehr Geld und Finanzmitteln zu rufen, dannaber nicht bereit zu sein, den Arbeitslosen die Chancen,die der Arbeitsmarkt bietet, mit effizienter und effektiverArbeitsvermittlung zu eröffnen. Das werden wir mit denneuen Instrumenten tun. Deshalb werbe ich für Zustim-mung des ganzen Hauses.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Angelika
Krüger-Leißner.
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ie massive Kritik von der anderen Seite des Hauses,err Kolb, die hören Sie gar nicht. Die ignorieren Sieenauso wie die Frau Ministerin, die die Oppositionskri-k und die Kritik auch der Verbände, der BA, der Ge-erkschaften und des Deutschen Landkreistags perma-ent ignoriert. Eigentlich wundert mich das aber nicht.chon seit langer Zeit beobachte ich, dass Ihr Programmeißt: Große Ankündigung, Versprechungen, Schönre-en, Sparen zulasten der Ärmsten und dann wider besse-s Wissen Durchziehen mit der Kraft der Mehrheit dertimmen dieses Hauses.
Ich möchte eines klarstellen: Keiner von uns entziehtich der Verpflichtung, auch Reformen der Instrumenteer Arbeitsmarktpolitik zu machen. Nach den Evaluie-ngen erscheint es mir ohnehin notwendig, hier Verbes-erungen zu erbringen. Auch die Veränderungen in deresellschaft und in der Arbeitswelt erfordern das. Ichage Sie allerdings: Was ist eine Reform wert, die sichicht den dringendsten Fragen dieser Zeit stellt? Dazuehören folgende Fragen:
ie gelingt es, die Verfestigung in der Langzeitarbeits-sigkeit aufzubrechen? Wie begegnen wir dem zuneh-enden Fachkräftemangel? Oder: Wie verhindern wirumpinglöhne im Niedriglohnbereich? Auf all dieseragen sind in diesem Gesetzentwurf keine Antwortenu finden. Stattdessen höre ich von Ihnen, dass mit derstrumentenreform alles viel einfacher, viel transparen-r und viel effizienter werden soll. Es soll mehr Gestal-ngsmöglichkeiten geben. Sie reden sogar von neuenerspektiven.
ber wo sind diese Perspektiven?In der Anhörung haben selbst die Sachverständigeniese neuen Perspektiven nicht gesehen. Bei allem Ge-de über Chancen für die Arbeitsuchenden und insbe-ondere für die Langzeitarbeitslosen ist eines gewiss:it diesem Gesetzentwurf wird alles viel schwieriger.as gilt sowohl für die öffentliche Beschäftigung alsuch für die Qualifizierung, die berufliche Weiterbil-ung, Umschulungen und die Chance, den Existenzgrün-ungszuschuss zu bekommen. Das betrifft nicht nur ein-elne Gruppen, sondern alle, quer durch die Bank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15115
Angelika Krüger-Leißner
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All das ist schon schlimm genug. Das Fatale an die-sem Gesetzentwurf ist aber die Verknüpfung mit demSparhaushalt, den wir in der letzten Sitzungswoche zumersten Mal beraten haben. Die Spielräume für die Job-center und die BA werden enger und enger. Auch dieGestaltungsspielräume sind nicht mehr gegeben. Das giltinsbesondere für die individuelle Beratung, für eine län-gerfristige Förderung und für zielgenaueres Handeln. Dageht den Jobcentern die Luft aus.Sie haben den Schwerpunkt Ihrer Sparmaßnahmengenau im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik ange-setzt. Allein die für das nächste Jahr geplanten Kürzun-gen in Höhe von 4 Milliarden Euro sind Beleg dafür,dass diese Reform, über die wir heute reden, nichts wei-ter als eine Makulatur ist. Auch die am Mittwoch vorge-nommenen Änderungen ändern nichts an der Fehlaus-richtung Ihres Gesetzentwurfs. Sie zeigen lediglich, dassdas, was Sie eingebracht haben, ziemlich stümperhaftist.Liebe Ministerin, ich bin überzeugt, dass Sie sehrbald zu der Erkenntnis kommen werden, dass die Kür-zungen im Bereich der öffentlichen Beschäftigung derschwerwiegendste Fehler sind. Das wird Ihnen auf dieFüße fallen. Denn gerade in diesem Bereich brauchenwir intensive Aktivitäten und viele neue Anreize, umdem künftigen Fachkräftebedarf gerecht zu werden.
Diese dringenden Investitionen in die Zukunft fehlen.Stattdessen gibt es ganz kuriose Regelungen – anderskann man das nicht sagen, Herr Vogel –, mit denen Siean erfolglosen Instrumenten festhalten. Aber es ist ja al-les durchschaubar.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Danke, Herr Präsident. Auf der anderen Seite kürzen
Sie die Mittel für Instrumente wie den Gründungszu-
schuss, für den es in diesem Land einen großen Bedarf
gibt. Man kann nur sagen: ziemlich kopfloses Agieren,
nicht weitsichtig und purer Lobbyismus.
Kommen Sie jetzt bitte wirklich zum Schluss.
Diese Reform steht unter keinem guten Stern.
Danke.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Dr. Matthias Zimmer von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
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enn ich mir das eine oder andere, was heute von derpposition vorgetragen wird, anhöre, bekomme ich denindruck, Sie sind der Meinung, ein hörendes Herz be-its dann zu haben, wenn Sie spendierende Hosen anha-en. Das ist falsch.
Dies ist in der Anhörung vor einigen Tagen sehr deut-ch geworden. Dort hat die Kollegin Mast erklärt: Ge-de dann, wenn die Arbeitslosigkeit abnimmt, müssenir doch mehr Geld ausgeben. Demnach müssen wirehr Geld ausgeben, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt,ber auch, wenn sie steigt. Da kann ich doch nur fragen:önnen Sie mir eigentlich irgendeinen Zeitraum nennen, dem wir weniger Geld ausgeben können? Oder führtr Modell dazu, dass für die Betreuung des letzten Ar-eitslosen 8 Milliarden Euro und 15 000 Eingliederungs-eamte zur Verfügung stehen? Was Sie hier vorschlagen,ann doch eigentlich nicht Ihr Ernst sein.
as erinnert mich ein wenig an die britische Kolonial-erwaltung, die in der Zeit von 1935 bis 1957 ihr Perso-al verdreifacht hat, obwohl die Zahl der Kolonien starkbgenommen hat. Das muss eine sozialdemokratischeegierung gewesen sein.
Meine Damen und Herren, ich will, weil das nicht er-ähnt worden ist, auf einige Höhepunkte der Instrumen-nreform eingehen; ich glaube, das ist wichtig. Wir ha-en nicht nur die Instrumente gestrafft, sondern habenuch – das finde ich besonders wichtig – die Mittel fürie freie Förderung deutlich erhöht: Wir haben den An-il der Eingliederungsmittel, den die Bundesagentur fürie freie Förderung nach § 16 e und f SGB II aufwendenarf, auf insgesamt 20 Prozent aufgestockt. Das gibt denermittlern vor Ort erheblich mehr Flexibilität.
ir haben das Aufstockungs- und Umgehungsverbot he-usgenommen. Auch das trägt zu erheblich mehr Flexi-ilität bei.Wir haben bei den Arbeitsgelegenheiten – sie sollenettbewerbsneutral ausgestaltet sein, zusätzlich geschaf-
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Dr. Matthias Zimmer
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fen werden und im öffentlichen Interesse liegen – dieRolle der Beiräte gestärkt. Ich bin schon der Meinung,dass die Beiräte eine wichtige Funktion erfüllen können,wenn es darum geht, vor Ort zu entscheiden, welche Ar-beitsgelegenheiten geschaffen werden können.
Wir haben die Senkung der Trägerpauschale auf maxi-mal 150 Euro pro Teilnehmer vom Tisch bekommen.Die Maßnahmen werden, sofern sie wirtschaftlich effi-zient sind, nach wie vor gefördert; da gab es große Be-denken bei den Trägern.Last, but not least – auch das ist mir wichtig; KolleginLösekrug-Möller hat es erwähnt –: Das Jugendwohnenist wieder ins Gesetz aufgenommen worden. VerehrteFrau Kollegin, es war der Arbeitsminister Scholz, der esherausgenommen hat; wir haben es jetzt wieder hinein-genommen. Ich finde das gut. Zudem haben wir eine pä-dagogische Betreuung installiert.
Ich finde, darauf kann man einmal stolz sein. Wirkönnen sagen, wir haben hier eine gute Reform hinbe-kommen.
Bei der einen oder anderen Wortmeldung, die ich hierhöre, hatte ich ein wenig den Eindruck, dass die Kritik,die geübt wurde, weit über das Ziel hinausschießt. FrauKollegin Pothmer, das betrifft vor allen Dingen die Kür-zung des Gründungszuschusses.
Ich bin nicht der Meinung – es entspricht auch nicht derüblichen Diktion –, dass wir damit, wie Sie es formulierthaben, „die Drecksarbeit der Ablehnung nach unten ver-lagern“.
Ich finde, das ist starker Tobak. Ich glaube, die Beamtenund Mitarbeiter vor Ort machen das sehr verantwortlich.
Frau Pothmer, es ist aber nicht verantwortlich, die Mit-nahmeeffekte beim Gründungszuschuss zu leugnen. Siekönnten sonst auch gleich das Geld unter das Branden-burger Tor legen und sagen: „Nehmt es doch mit!“ Sogeht es nicht.
Letzter Punkt: die private Arbeitsvermittlung. Ichfinde es schon richtig, dass wir mit der privaten Arbeits-vermittlung einen Wettbewerber der Bundesagentur fürArbeit aufgestellt haben. Ich glaube auch, dass der Wett-bewerb der Bundesagentur und den privaten Arbeitsver-mittlern guttut. Eine Kollegin hat es bereits gesagt – ichsgatrdIcmGcSed1AcedtiusEAmAAsti„ouBhmOlesadESüd
Abschließend sage ich: Es ist ein gutes Gesetz, dasen Notwendigkeiten am Arbeitsmarkt Rechnung trägt.h empfehle Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Tagesordnungspunkt 30 a. Wir kommen zur Abstim-ung über den von der Bundesregierung eingebrachtenesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungs-hancen am Arbeitsmarkt. Der Ausschuss für Arbeit undoziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 17/7065, den Gesetzentwurfer Bundesregierung – Drucksachen 17/6277 und7/6853 – in der Ausschussfassung anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derusschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei-hen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-ntwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmener Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-onsfraktionen angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-timmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –nthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichenbstimmungsverhältnis angenommen.Tagesordnungspunkt 30 b. Wir setzen die Abstim-ung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses fürrbeit und Soziales auf Drucksache 17/7065 fort. Derusschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-chlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-on der SPD auf Drucksache 17/6454 mit dem TitelArbeitsmarktpolitik an den Herausforderungen der Zeitrientieren – Weichen für gute Arbeit, Vollbeschäftigungnd Fachkräftesicherung stellen“. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-altungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-en der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen derppositionsfraktionen angenommen.Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-hnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-ache 17/5526 mit dem Titel „Arbeitsmarktpolitik neuusrichten und nachhaltig finanzieren“. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –nthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen dietimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen allerbrigen Fraktionen angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Grünen auf Drucksache 17/6319 mit dem Titel „Arbeits-marktpolitik – In Beschäftigung und Perspektiven inves-tieren statt Chancen kürzen“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-tionsfraktionen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten MarleneRupprecht , Petra Crone, PetraErnstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPDKinderrechte in Deutschland umfassend stär-ken– Drucksache 17/6920 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt esWiderspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann istdas so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Kollegin Marlene Rupprecht für dieantragstellende SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Die SPD hat einen Antrag „Kinderrechte in Deutschlandumfassend stärken“ eingebracht. Worum geht es uns? Indiesem Jahr feiern wir „22 Jahre UN-Kinderrechtskon-vention“. Darin sind alle Rechte von Kindern – gemeintsind alle Kinder von 0 bis 18 Jahren – niedergelegt. Dasist übrigens das meistgezeichnete Dokument. Bis aufzwei Staaten, nämlich USA und Somalia, haben alle dieKonvention gezeichnet und ratifiziert, auch wir.Wir haben als Staat bei der Zeichnung aber festgelegt,dass wir bei bestimmten Punkten Vorbehalte, Anmer-kungen haben. Das Parlament fand das eigentlich über-flüssig und hat immer wieder angemahnt, dies zurückzu-nehmen. Das Parlament und die Kinderkommissionwaren sich darüber einig, dass es auf internationalerEbene nicht besonders gut aussieht, wenn Deutschlandbei bestimmten Punkten Ausnahmen machen will. DieseAusnahmen betrafen unter anderem Adoptionskinder,Kindersoldaten, aber auch Flüchtlingskinder. Im Grundegenommen waren alle Punkte geregelt, bis auf dieFlüchtlingskinder. Das führte jedoch dazu, dass die Vor-behaltserklärung nach wie vor Bestand hatte. LetztesJahr ist es gelungen – danke an die Koalition; das mussich einfach sagen –, dass sie zurückgenommen wurde.International hat es uns geholfen, weil endlich gesehenwurde: Deutschland nimmt es zurück. Ein erster großerSchritt ist getan.dswdDbvDhebKteeddzOKpfeaddhvskisdGninublosfondhninsnhgnwsPsWed
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kindgerecht und altersgemäß mit ihnen arbeitet und in-dem man ihre Rechte gut nachlesbar verankert. Das istdie Aufgabe und die Herausforderung für die nächstenJahre. Aus diesem Grund haben wir einen Antrag vorge-legt, von dem wir hoffen, dass er Ihre Zustimmung fin-det und unterstützt wird, damit wir mit dem, was begon-nen wurde, fortschreiten können.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Dr. Peter Tauber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! MeineHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wirüber das Thema Kinderrechte sprechen, wenn wir da-rüber sprechen, wie wir Kinderrechte umfassend stärkenwollen, so ist es ganz gut, wie es die Kollegin Rupprechtauch getan hat, die Probleme in den Blick zu nehmen. Esist aber auch ganz gut, wenn wir uns einmal darüber ver-ständigen, wie viel Gutes in den letzten Jahren eigentlichgeschehen ist.Sie haben dankenswerterweise einen Punkt genannt,nämlich die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zu derUN-Kinderrechtskonvention. Ich glaube, dass das einganz starkes und wichtiges Signal war, dass wir als poli-tische Entscheidungsträger die Rechte der Kinder ernstnehmen und dafür die entsprechenden Rahmenbedin-gungen schaffen wollen.
Sie wissen aber auch, dass der einzige Punkt, dernoch offen ist, ein bisschen komplizierter ist. Hier gehtes um Kinder, die im Rahmen eines Asylverfahrens nachDeutschland kommen. Es beginnt bei der Frage, wie dieIdentität der Kinder festgestellt werden kann, wenn sieohne Papiere einreisen. Hier muss man auch fragen, wa-rum sie keine Papiere haben. Es geht weiter mit derFrage, ob es eine Verpflichtung zur Ausstellung einerGeburtsurkunde geben soll. Auch das ist ja eine Forde-rung, die erhoben wird. Hier muss zunächst einmal ge-sagt werden, auf welcher Basis denn dann eine Geburts-urkunde ausgestellt werden soll.Das alles ist also ein bisschen schwieriger und kom-plizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Deswegenrate ich dazu, ein bisschen vorsichtiger zu sein und nichtfrank und frei darüber zu sprechen. Ansonsten könntenämlich der Eindruck entstehen, als ob hinter gewissemstaatlichen Handeln böser Wille steht. Das, glaube ich,ist nicht so. Das kann man zurückweisen. Auch Ihre Par-tei selbst hat das in der Vergangenheit ja so gewertet,wenn ich das richtig sehe.Wir diskutieren dieses Thema nicht erst seit gestern.Es gab wechselnde politische Mehrheiten in der Frage,ob die Vorbehaltserklärung überhaupt zurückgenommenwzhAInlelimdteedgdte–AcAgsdnbfüKisDdDsriaAriFDreWBsBinälelebresa
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den. Ich glaube, dieser Eindruck ist falsch. Wir könnendas so definitiv nicht stehenlassen. Denn die Politik hatin den letzten Jahren an unheimlich vielen Stellen dieRahmenbedingungen für Familien und damit für Kinderdeutlich verbessert.
Das beginnt beim Ausbau der Betreuungsangebote.Sie wissen, dass der Bund die Kommunen und die Län-der hierbei mit einem unglaublich umfangreichen Pro-gramm, dem Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz, un-terstützt, sowohl bei den investiven Maßnahmen imGebäudebereich als auch bei den laufenden Betriebskos-ten. Wir werden dafür ab 2014 weiterhin 770 MillionenEuro jährlich zur Verfügung stellen.Es geht weiter mit der Unterstützung und dem stärke-ren Einsatz von Familienhebammen; auch dies ist einganz wichtiges Instrument, das wir den Familien an dieHand geben wollen.
Ein weiterer Aspekt ist das Bundeskinderschutzgesetz,das wir auf den Weg bringen. Zudem bleiben trotz derSparbemühungen im Hinblick auf den Bundeshaushaltdie Mittel des KJP weitgehend ungekürzt.
Lediglich im Bereich der Bürokratie sparen wir ein. DieLeistungen für die Verbände und damit für die Kinderund Jugendlichen bleiben gleich; auch dies ist ein ganzwichtiges und starkes Signal.
Hinzu kommt die Offensive „Frühe Chancen“ zurSprach- und Integrationsförderung. In diesem Rahmenstellen wir für 4 000 Schwerpunktkitas Sprache & Inte-gration 400 Millionen Euro bereit.
Auch durch die Erhöhung des Kindergeldes werden dieFamilien gestärkt.
Damit stärken wir auch das Recht der Kinder, in einerFamilie groß zu werden. An dieser Stelle sei darüber hi-naus die Initiative „Jugend stärken“ erwähnt.Da ich eben vonseiten der Sozialdemokraten denZwischenruf gehört habe,
ich würde nicht zum Thema reden, sage ich Ihnen: Ichrede sehr wohl zum Thema. Denn all diese Maßnahmentragen am Ende dazu bei, dass Kinder in diesem Land sogkDDJmZlepGedKezbszBwliwreedAwliIcüdohnInCdratiz
ie Maßnahmen, die ich erwähnt habe, helfen dabei.eswegen gehören sie in diese Rede.Ich könnte ferner das Bildungspaket, das Kindern undugendlichen die Teilhabe an unserer Gesellschaft er-öglichen soll, erwähnen.
um Beispiel wollen wir Kindern den Zugang zur digita-n Welt ermöglichen. Die Projektgruppe Medienkom-etenz der Enquete-Kommission „Internet und digitaleesellschaft“ unter Leitung von Thomas Jarzombek hatinen wunderbaren Vorschlag gemacht, um allen Kin-ern, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, digitaleompetenzen zu vermitteln: Jedem Schüler soll künftigin Laptop zur Verfügung gestellt werden.Wir versuchen, die Menschen, die mit jungen Leutenu tun haben, fit zu machen, zu qualifizieren und auszu-ilden. Hierbei spielen die Ausbildung frühpädagogi-cher Fachkräfte und die Medienqualifizierung für Er-ieherinnen und Erzieher im Netzwerk Frühkindlicheildung mit dem wunderbaren Namen BIBER eineichtige Rolle.Ein weiteres Element ist das Elterngeld, das ermög-cht, dass Familie in diesem Land ganz anders gelebterden kann und Väter ihrer Verantwortung stärker ge-cht werden können; auch darauf haben Kinder nämlichin Recht. Außerdem sind wir der Auffassung, dass Kin-erlärm keine Belästigung, sondern Zukunftsmusik ist.uch dies muss man deutlich sagen. Das gehört dazu,enn wir über Kinderrechte in dieser Gesellschaft reden.
Ich habe eine Menge politischer Maßnahmen aufge-stet.
h persönlich bin der festen Überzeugung: Wenn wirber Kinderrechte reden, dann geht es in allererster Liniearum, dass Kinder ein Anrecht auf Liebe und Fürsorgeder, wie es der Heilige Vater gestern gesagt hat, auf einörendes Herz haben. Das kann die Politik nicht verord-en. Das können nur die Eltern ihren Kindern geben.
Zum Schluss ist mir wichtig, Folgendes festzustellen: diesem Land haben Kinder trotz vieler Probleme allehancen. Es gibt nur wenige Länder auf dieser Erde, inenen Kinder unter solch guten Rahmenbedingungen he-nwachsen können und in denen sie solch gute Perspek-ven haben. Wenn wir dies den jungen Menschen nichturufen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn
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Dr. Peter Tauber
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sich zu wenige von ihnen für ein eigenes Kind entschei-den.Aus meiner Sicht haben Kinder vor allem ein Recht:das Recht auf liebende und fürsorgliche Eltern. Weitüber 80 Prozent der Eltern in diesem Land machen einenguten Job.
In einer Diskussion über Kinderrechte muss man zu-nächst einmal ihnen herzlich Dank sagen. Sie machendas besser als wir, wenn wir nur reden und Regelungenins Grundgesetz schreiben. Das hilft den Kindern selten.Die Kinder brauchen Eltern, die sich um sie kümmern.
Viele von ihnen machen das ganz toll. Ihnen gilt esDanke zu sagen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Diana Golze von der
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Kinder sind keine kleinen Er-wachsenen. Das sagen nicht nur viele Kolleginnen undKollegen hier im Haus, das sagt auch das Bundesverfas-sungsgericht. Ich bin der Meinung, dass diese Auffas-sung endlich auch eine Mehrheit hier im Haus bekom-men sollte, mit der Folge, dass Kinderrechte imGrundgesetz verankert werden.
Ein achtjähriger Junge hat mir gegenüber bei einemWorkshop einmal den Satz geprägt: Kinderrechte sinddas, was Kinder brauchen, damit es ihnen gut geht. – Ichfinde, treffender kann man es gar nicht formulieren.Doch was so einfach klingt, scheint schwer in die Reali-tät überführbar zu sein; denn sonst würden wir uns heutenicht zum ich weiß nicht wievielten Mal im Parlamentmit diesem Thema befassen.Es ist nicht zu bestreiten, dass sich der Blick auf dieKinder in unserer Gesellschaft verändert hat. Bei diesemveränderten Blick auf die Kinder merken wir natürlichauch, welche Aufgaben alle noch vor uns liegen.1992 – Marlene Rupprecht hat es gesagt – wurde dieUN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesrepublikratifiziert. Das ist ziemlich lange her. Doch Deutschlandist heute nach wie vor weit davon entfernt, ein wirklichkinderfreundliches Land zu sein.KgmJdvgnvläeDdVzasnEafavdgwnHdteztaAredsdcs2nsrevKruuP
ie betroffenen Kinder sind vor Krieg, Gewalt, drohen-er Zwangsrekrutierung, drohender Zwangsverheiratung,erfolgung und Beschneidung geflüchtet. Sie kommenum Teil nach einer dramatischen Flucht in Deutschlandn, erhalten aber nach wie vor nicht das, was wir deut-chen Kindern ohne Vorbehalte zubilligen, indem wir ih-en Rechte und einen Rechtsbeistand an die Seite stellen.s fängt doch schon damit an, dass Kinder ab 16 Jahrenuch nach der Rücknahme des Vorbehaltes ein Asylver-hren ohne Beistand durchstehen müssen, dass sie inollgestopften Sammelunterkünften untergebracht wer-en, dass sie nur die notdürftigste Gesundheitsversor-ung haben und dass sie in Abschiebehaft genommenerden. Das ist ein unhaltbarer Zustand!
Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kinder – undach der UN-Kinderrechtskonvention sind es Kinder,err Dr. Tauber, auch wenn sie 16 oder 17 Jahre alt sind;ie UN-Kinderrechtskonvention gilt für alle Kinder un-r 18 Jahren – auch als solche behandelt werden, undwar menschenwürdig und ihrer Situation entsprechend.Wir wollen keine reine Symbolpolitik anstelle vontsächlicher Umsetzung. Wir wollen, dass das deutschesylrecht, das Aufenthaltsrecht, das Asylverfahrens-cht und das Sozialrecht endlich angepasst werden undass die Rücknahme des Vorbehaltes endlich in die Ge-etzgebung einbezogen wird.
Wir bleiben dabei: Kinderrechte müssen für alle Kin-er gelten. Aber das bezieht sich auch auf andere Berei-he in unserer Gesellschaft. Ich habe das Thema geradechon einmal kurz angesprochen, nämlich Kinderarmut.,6 Millionen Kinder in Deutschland leben auf Armuts-iveau. Die Regelsätze der Grundsicherung für Kinderind nicht an den Bedarfen von Kindern orientiert. Sieichen nicht für gesunde Ernährung, Beiträge für Sport-ereine oder Musikunterricht, ganz zu schweigen vonino- oder Theaterbesuch. Das wollte die Bundesregie-ng durch das großangekündigte sogenannte Bildungs-nd Teilhabepaket regeln. Aber wie jeder weiß: In derraxis ist es ein Flop. Es ist bürokratisch und lebensfern.
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Diana Golze
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Die Nachweispflicht und die ständige gesonderte Bean-tragung drangsalieren die betroffenen Eltern. Zudemgrenzt es Kinder nach wie vor vom freien und vor allemgleichberechtigten Zugang zu Bildung und Gesellschaftaus. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die UN-Kinderrechtskonvention einfordert.Seit Jahren wird die Bundesrepublik vom UN-Aus-schuss für die Rechte der Kinder kritisiert, weil hier, wiein kaum einem anderen Industrieland, der soziale Statusder Elternhäuser über Schullaufbahn und Bildungserfolgentscheidet. Die Bundesrepublik sagt zwar in ihrem letz-ten Staatenbericht, Kinder und Jugendliche haben ihreeigenen Rechte, aber davon ist in der praktischen Umset-zung und in der praktischen Politik nichts zu sehen.Ich wiederhole es daher: Kinder sind keine kleinenErwachsenen. Um Kindern einklagbare Rechte zu ver-leihen, ist es überfällig, den Vorgaben der UN-Kinder-rechtskonvention zu folgen und Kinderrechte aufSchutz, Förderung und Beteiligung im Grundgesetz zuverankern.Im April nächsten Jahres jährt sich die Ratifizierungdurch Deutschland zum 20. Mal. Ich fände das einen gu-ten Anlass dafür, dass Deutschland hier einen deutlichenSchritt vorwärtsgeht. Die Kinder warten darauf.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Miriam Gruß.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Ich gebe es zu: Der Antrag der SPDklingt sympathisch. Er beinhaltet aber nur wenig Neues.Deswegen möchte ich anhand von drei Punkten aufzei-gen, wie wir die Kinderrechte in Deutschland konkretgestärkt haben und weiterhin stärken:Erstens: die UN-Kinderrechtskonvention; sie ist jetztschon mehrfach angesprochen worden. Sie wurde imJahre 1992 mit einer Vorbehaltserklärung ratifiziert. Eswar diese Bundesregierung, die die Vorbehalte 2010 zu-rückgenommen hat. Insofern freut mich die Anerken-nung von dir, Marlene, in diesem Punkt.
Ich finde wirklich, ein besseres Zeichen der Kinder-freundlichkeit konnten wir in dieser Regierung fast nichtsetzen. Das hat vorher nämlich keine Regierung hinbe-kommen.Es war stets die Auffassung aller Bundesregierungen,dass die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, ins-besondere der Schutz der Flüchtlingskinder nach Art. 22,in Deutschland ohne Einschränkung umgesetzt werdensollten. Mit der Rücknahme der Erklärung entsteht des-halb auch keine Notwendigkeit, das innerstaatlicheRdImeshddSatredsofrwdkvgsddwunbGn–vinLfivgastrK
Übrigen haben wir in Bayern in vorbildlicher Weiseiniges zugunsten der Familien verändert, die hier inchlimmen Unterkünften hausen mussten.Die Vertragsstaaten der UN-Kinderrechtskonventionaben sich außerdem verpflichtet, dem Generalsekretärer UN Berichte über entsprechende Maßnahmen undie dabei erzielten Fortschritte vorzulegen. Wenn diePD jetzt einen EU-Staatenbericht fordert, dann ist daslso kein Mehrwert, sondern etwas, was von den Ver-agsstaaten bereits geliefert wird. Eines ist aber ganzntscheidend: Mit der Rücknahme haben wir gezeigt,ass das Kindeswohl im Mittelpunkt unserer Politikteht.Zweitens: das Individualbeschwerdeverfahren. Rechtehne Durchsetzungsverfahren sind nichts wert. Deshalbeut es mich, dass auf unsere Initiative hin erreichturde, dass der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2011em Entwurf des Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechts-onvention zur Errichtung eines Individualbeschwerde-erfahrens zugestimmt hat. Damit bekommen die Kinderanz individuell ein Werkzeug an die Hand, mit dem sieich gegen die Verletzung ihrer Rechte wehren können.Mit dem Individualbeschwerdeverfahren können Kin-er und Jugendliche ihre Rechte im UN-Ausschuss fürie Rechte des Kindes in Genf rügen, und das – daraufurde Wert gelegt – im kindgerechten Verfahren. Es warnsere Regierung, die diesen Antrag gemeinsam miteun anderen Staaten beim Menschenrechtsrat einge-racht hat.Drittens: Debatte zum Thema „Kinderrechte insrundgesetz“. Ich mache kein Hehl daraus und steheach wie vor dazu: Als Mitglied der Kinderkommission ich gehöre ihr nach wie vor an, wenn auch nur als stell-ertretendes Mitglied – bin ich dafür, dass Kinderrechtes Grundgesetz aufgenommen werden.
eider hat sich in unserer Koalition keine Mehrheit dafürnden können, aber ich mache mich persönlich nach wieor dafür stark.
Die Kinderrechte müssen in Deutschland umfassendestärkt und weiter bekannt gemacht werden. Es gibtber auch die Möglichkeit – darauf haben wir uns ver-tändigt, und das hat auch Eingang in den Koalitionsver-ag gefunden –, unterhalb der Ebene des Grundgesetzesinderrechte zu stärken, und das tun wir.
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Miriam Gruß
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Das beste Beispiel dafür ist der Kinderlärm; das istschon angesprochen worden. Wir haben erreicht, dassKinderlärm kein Grund mehr zur Klage ist. Tatsächlichgilt der alte Spruch der Kinderkommission: Für uns istKinderlärm jetzt endlich Zukunftsmusik. – Kinderlärmdarf nicht mehr mit Industrielärm gleichgesetzt werden.Kinder haben ein Recht auf kindertypischen Lärm, unddas ist gut so. Das ist das beste Beispiel dafür, dass wirauch unterhalb der Ebene des Grundgesetzes eine Mengefür die Rechte von Kindern tun konnten und getan ha-ben.
Für die Grünen hat jetzt die Kollegin Katja Dörner
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Wenn man der Rede von Herrn Tauberlauscht, könnte man glatt meinen, man sei bei Alice imWunderland.
Das ist aber nicht der Fall. Ich werde in meiner Rededarlegen, dass die Wirklichkeit dieser Bundesregierungdurchaus etwas anders aussieht.Fakt ist nämlich: Die Stärkung der Kinderrechte stehtnicht weit vorne auf der Agenda, wenn sie bei dieserBundesregierung überhaupt vorkommt. Die Ministerinhat ganz lapidar verkündet: Die UN-Konvention ist inDeutschland voll umgesetzt. Es gibt überhaupt keinenHandlungsbedarf. – Der Aktionsplan „Für ein kinderge-rechtes Deutschland“ ist ausgelaufen. Er wurde sang-und klanglos beerdigt. Es soll keinen Nachfolgeplan ge-ben. Ein Lichtschimmer an Aktivität – das haben wirheute schon gehört –, die Rücknahme der Vorbehaltser-klärung, verlischt letztlich ohne Wirkung, weil die Rück-nahme ausdrücklich keine konkreten Folgen haben soll.Ich finde, das ist eine Farce.
Die Bundesregierung dreht im Zusammenhang mitder Rücknahme der Vorbehaltserklärung und den Folgenfür die minderjährigen Flüchtlinge ganz seltsame Pirou-etten. Das kann man in der Antwort auf unsere KleineAnfrage zur Situation und zur Stärkung der Kinderrechtesehr schön nachlesen.Ich möchte ein Beispiel nennen. Wir haben gefragt,ob alle 16- und 17-jährigen Jugendlichen nach Auffas-sung der Bundesregierung Kinder im Sinne der Konven-tion seien. Die Antwort – Zitat –:Ja, weil Artikel 1 der VN-Kinderrechtskonventiondas so bestimmt.Wir haben weiter gefragt, ob alle 16- und 17-jährigen Ju-gendlichen die gleichen Rechte haben. Antwort: Ja,hEswantidwkAsmuteuuskKwAleSBAtrwtigdsbIceFDwfoti
ntweder haben alle unter 18-Jährigen die Rechte, wieie in der Kinderrechtskonvention dargelegt sind, oderir unterscheiden nach Staatsangehörigkeit. Letzteres istber der Kinderrechtskonvention zufolge überhaupticht zulässig.Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der Ra-fizierung der UN-Kinderrechtskonvention längst selbstazu verpflichtet, minderjährige Flüchtlinge eben nichtie Erwachsene zu behandeln. Wir Grünen fordern ganzlar, endlich die notwendigen Änderungen im Asyl-, imufenthalts- und im Sozialrecht vorzunehmen. Die un-elige Geschichte dieser Vorbehaltserklärung sollte unduss endlich voll und ganz ein Ende haben.
Wir hören und lesen sehr oft den Satz: Kinder sindnsere Zukunft. Das stimmt. Kinder sind aber bei wei-m nicht nur unsere Zukunft, sondern Kinder sind heutend jetzt. Kinder haben heute und jetzt eigene Rechte,nd zwar aus sich selbst heraus. „Kinder haben was zuagen“ – das ist auch das Motto des diesjährigen Welt-indertages. Wir müssen uns alle selber fragen, wo wirinder zu Wort kommen lassen. Wo und wie beziehenir selbst die Perspektive von Kindern in unser eigenesrbeiten, in die Gesetzgebung mit ein?Die Kinderkommission, der ich selber angehört habe,istet hier einen ganz wichtigen Beitrag als – im besteninne – Lobby für Kinder im Bundestag. Aber auch dieundesregierung ist gefragt – vor allem nach den großennkündigungen, die zu diesem Thema im Koalitionsver-ag zu lesen sind, die aber bisher keine besonderen Aus-irkungen hatten –, echte Beteiligungs- und Partizipa-onsverfahren zu schaffen und auch anzuwenden.Ähnlich verquer wie bei der Vorbehaltserklärung ar-umentieren Bundesregierung, CDU/CSU und FDP beier Frage der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundge-etz. Die Argumentation läuft nach dem Motto: Dasrauchen wir nicht, das hätte sowieso keine Folgen. –h frage mich: Warum gibt es diesen Widerstand gegenine Maßnahme, die nach eigener Angabe sowieso keineolgen hätte?
ie Antwort ist ganz simpel: weil Sie es selber besserissen.In der UN-Kinderrechtskonvention ist eine klare An-rderung formuliert. Ich möchte Art. 3 dieser Konven-on zitieren:Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen … istdas Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorran-gig zu berücksichtigen ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15123
Katja Dörner
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Diesem Vorrangprinzip kann unserer Meinung nachdurch nichts mehr Durchschlagskraft verschafft werdenals durch die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundge-setz. Deshalb ist diese Aufnahme überfällig.
Ich mache der Bundesregierung und den Koalitions-fraktionen einen Vorschlag: Sie machen das einfach sowie bei der Rücknahme der Vorbehaltserklärung. Wir er-arbeiten zusammen einen Gesetzentwurf zur Aufnahmeder Kinderrechte ins Grundgesetz.Die Opposition unterstützt das alles und verschafft diefür die Verfassungsänderung notwendige Zweidrittel-mehrheit. Die rechte Seite des Hauses sagt einfach wei-terhin: Das hat keine Folgen. Die linke Seite des Hausesmacht dann etwas daraus.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Norbert Geis das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Ich gehe gleich auf die Forderungein, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Mankann zwar darüber diskutieren, aber denken Sie daran,dass die Menschenrechte für alle Menschen gelten unddeshalb auch für die Kinder; denn Kinder sind ebenfallsMenschen. Wer bezweifelt, dass die Menschenrechte füralle Menschen Geltung haben, der bezweifelt ihre Reich-weite.
Dies ergibt sich letztlich auch aus der Konvention derVereinten Nationen vom 20. November 1989, die dieRechte der Kinder hervorhebt. Darin wird betont, dassdas Kind von Anfang an eine Person ist und eine eigeneWürde hat, wie jeder andere Mensch auch.Deshalb ist es nach meiner bescheidenen Auffassungund auch nach Auffassung vieler anderer nicht notwen-dig, diese Rechte eigens in das Grundgesetz aufzuneh-men. Das würde unter Umständen sogar, statt einen Ak-zent zugunsten der Kinder zu setzen, zum Nachteil derKinder wirken, wenn nicht alles so im Grundgesetz nie-dergelegt wird, wie wir uns das vorstellen, was die Frageangeht, welche Rechte Kinder haben.
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er Vorrang des Wohles des Kindes ist – das liegt in deratur der Sache – schon im Grundgesetz niedergelegt.
Die UN-Konvention vom 20. November 1989 überie Rechte des Kindes ist deshalb entstanden, weil manstgestellt hat, dass die Kinder weltweit am ehesten undls Erste darunter zu leiden haben, wenn es zu Hungers-öten, Epidemien und Konflikten kommt.Es gibt aber auch andere interessante Aspekte in deronvention, mit denen man sich ebenfalls beschäftigenuss. Das Übereinkommen stellt nämlich klar, dass, wieie vorhin schon richtig gesagt haben, Kinder keine Er-achsenen im Kleinformat sind, sondern das Recht aufrziehung haben. Dazu gehören eine liebende Umge-ung und das Recht, angenommen zu werden. Dass sieas Recht auf Erziehung durch ihre Eltern haben, steht iner Konvention. Das hat weitreichende Folgen, die ichleich noch darlegen werde. Ich weiß jetzt schon, dassie nicht mit allem einverstanden sein werden.
ie haben das Recht auf Erziehung durch ihre Eltern.
Das Recht auf Erziehung durch ihre Eltern ist im Üb-gen auch durch ein interessantes Urteil des Bundesver-ssungsgerichts vom 1. April 2008 herausgestellt wor-en. Darin wird festgestellt, dass die Eltern nach Art. 6rundgesetz die Pflicht haben, Kinder zu erziehen, dassber daraus auch folgt – das kommt in Art. 6 Grundge-etz nicht direkt zum Ausdruck –, dass die Kinder einecht darauf haben, dass die Eltern sie erziehen.
Ich habe Sie nicht verstanden. Sie müssen eine Zwi-chenfrage stellen; sonst kann ich nicht darauf eingehen.
Wenn Sie das nicht wollen. Sie werden es mir sicher-ch nicht übelnehmen, wenn ich meine Redezeit aus-utze.
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Norbert Geis
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– Dann ist es ja gut. Aber die Schmerzen, die Sie berei-ten, sind manchmal kaum noch zu ertragen.
Am besten geht man dann hinaus.Aber wir wollen jetzt nicht über Schmerzfreiheit re-den, sondern über Kinderrechte. Wenn es richtig ist, dassdie Kinder ein Recht darauf haben, von ihren Eltern er-zogen zu werden, wie es im Bundesverfassungsgerichts-urteil von 2008 und in der Konvention aus dem Jahr1989 festgestellt wird, dann ist es auch richtig, dass dieFamilien stärker in den Fokus gelangen. Wir müssen dieFamilien stärker ins Blickfeld nehmen. Kinder könnennämlich nur dann richtig erzogen werden, wenn ihre Fa-milien funktionieren.
Bei manchen Äußerungen hat man das Gefühl – ganzund gar nicht bei Ihren, Frau Rupprecht –, dass die El-tern geradezu gefährlich sind für die Erziehung der Kin-der, dass man alles dem Staat überlassen muss
und dass man die Kinder – ich weiß, dass Sie jetzt wider-sprechen – möglichst schnell in die Kita geben muss, da-mit sie dort ordentlich erzogen werden. Das ist falsch.
– Ich weiß, dass das Ihren ideologischen Vorstellungendurchaus nicht entspricht. –
Alle Gutachten bestätigen dies.
– Sie kennen sie nicht, und Sie lesen sie nicht, weil Siebereits eine ideologische Schranke haben.
Das ist ja das Problem. Man kann sich mit Ihnen über-haupt nicht darüber unterhalten. Sie regen sich bei die-sem Thema sofort auf und gehen hoch wie einHB-Männchen. Man kann mit Ihnen überhaupt nicht or-dentlich diskutieren. Sie degradieren dieses Parlamentgeradezu zum Kindergarten. Das ist wirklich wahr.
–dliezgssdfepmteun–KtedMLcMmshgNliwWhgimzHUMRsuWMichKebsS
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15125
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Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Christoph
Strässer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Kollege Geis, ich glaube, Ihr Exkurs
in das Verfassungsrecht, was den Art. 6 des Grundgeset-
zes angeht, beruht auf einem Verständnis des Gewollten,
das fundamental anders ist als das, was Sie in diese Be-
stimmung hineinzuinterpretieren versuchen. Niemand
hier braucht eine Belehrung darüber, dass Kinder Per-
sönlichkeiten sind, Persönlichkeitsrechte haben und den
Schutz des Grundgesetzes genießen – schon jetzt.
Darüber kann und darf es keinen Streit geben. Aber
das, was mit der geplanten Änderung des Art. 6 des
Grundgesetzes geplant und gewollt ist, bezieht exakt das
ein, was im Prinzip alle Rednerinnen und Redner vorge-
tragen haben, nämlich dass Kinder eines besonderen
Schutzes bedürfen, dass Kinder in bestimmten Situatio-
nen eben nicht mit eigener Stimme sprechen können und
dass sie deshalb mehr als alle anderen auf staatlichen
Schutz angewiesen sind. Kinder bedürfen daher nach
meiner Überzeugung des Schutzes des Art. 6 GG.
Da das alles sehr theoretisch klingt, möchte ich auf
die Praxis zu sprechen kommen.
– Ich bin mir nicht sicher, ob das verfahrensmäßig geht.
Natürlich geht das. Wenn Sie es zulassen, kann der
Kollege Geis Ihnen eine Zwischenfrage stellen. – Bitte
schön.
Ich will nur darauf hinweisen – ich denke, dass Sie
mit mir darin übereinstimmen –, dass ich versucht habe,
genau den Inhalt des Urteils des Bundesverfassungsge-
richts vom 1. April 2008 wiederzugeben. Danach haben
die Eltern die Verpflichtung, ihre Kinder zu erziehen.
Aber darauf begründet sich auch das Recht der Kinder
auf Erziehung gegenüber den Eltern. Insofern meine ich,
dass das, was Sie wollen, durch das Bundesverfassungs-
gericht ordentlich ausgelegt worden ist.
Es gibt einen Brief des ehemaligen Bundespräsiden-
ten und Verfassungsgerichtspräsidenten Roman Herzog
an die Bundeskanzlerin, in dem er klar darlegt, dass auf-
grund dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine
Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz nicht
erforderlich ist.
Ich will die hektische Debatte nicht fortführen, son-
dern nur das darlegen, was weder Sie noch offenbar Herr
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Sie haben schon sehr oft auf die Kinderrechtskonven-
on verwiesen. Art. 3 der Kinderrechtskonvention hat
us meiner Sicht genau das, was wir im Hinblick auf das
rundgesetz einfordern, nämlich Verfassungsrang. Das
ollte auch in der deutschen Rechtsordnung so sein.
ann könnten wir uns vielleicht andere Sachen sparen.
ber wir kämpfen noch immer darum, dass Art. 3 der
inderrechtskonvention, in dessen Zentrum das Wohl
es Kindes steht, in der Gesetzgebung dieser Regierung
nd dieser Koalition Berücksichtigung findet.
Ich will deutlich auf das Recht derjenigen Kinder hin-
eisen, die im Gegensatz zu vielen anderen Kindern in
eutschland – der überwiegenden Mehrheit geht es gut;
as will ich nicht bestreiten; man wäre völlig verrückt,
enn man das täte – weniger Rechte haben. Diese Kin-
er bedürfen auch eines besonderen Schutzes durch die
usgestaltung der einfachgesetzlichen Regelungen.
Herr Kollege Strässer, die Kollegin Deligöz möchte
nen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie es er-
uben.
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Strässer, können Sie mir bestätigen,ass Herr Herzog im Jahre 2006 – das habe ich soeben Internet gelesen – gemeinsam mit National Coalitionine Erklärung in der Akademie der Künste in Berlin ab-egeben hat, in der er fordert, Kinderrechte im Grundge-
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15126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011
Ekin Deligöz
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setz aufzunehmen? Das bestätigt alle Thesen, die Sie ge-rade vorgetragen haben.
Da ich nach der Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages nicht befugt bin, am Rednerpult das Inter-
net zu nutzen, gehe ich davon aus, dass die Quelle rich-
tig zitiert ist. Mich würde auch verwundern, wenn Herr
Herzog etwas anderes vertreten hätte; denn er ist in der
von Ihnen erwähnten National Coalition höchst aktiv.
Ich bestätige das also, ohne es zu wissen. Ich glaube, es
stimmt.
Ich möchte gerne noch einmal auf die Regelung der
besonders schutzbedürftigen Kinder zurückkommen – sie
ist hier angesprochen worden –, die ohne Pass nach
Deutschland kommen. Sie, Herr Kollege Tauber, bekla-
gen, dass sie keinen Pass haben. Wenn sie mit einem
Pass an die deutsche Grenze kämen, würden sie zurück-
gewiesen, weil sie dann keine Flüchtlinge wären. Das al-
les sind Widersprüche, die hier jetzt keine Rolle spielen.
Herr Dr. Stadler, ich glaube, dass die Regelung in § 12
Asylverfahrensgesetz, wonach auch ein Ausländer, der
das 16. Lebensjahr vollendet hat, zur Vornahme von Ver-
fahrenshandlungen fähig ist, nicht in Übereinstimmung
mit der Kinderrechtskonvention steht, insbesondere
nicht mit Art. 20 und 22. Dort wird nämlich differenziert
zwischen Kindern, die in Deutschland leben, und Kin-
dern, die nach dem Schutzrecht der internationalen Kon-
vention geschützt werden. Hier wird die Grenze bei
18 Jahren gezogen.
Es gibt den Einwand, dass es in Deutschland Bereiche
gibt, in denen das Alter von 18 auf 16 Jahre gesenkt wor-
den ist. Aber § 12 Asylverfahrensgesetz ist Verfahrens-
recht. Verfahrensrechte sind Schutzrechte. Im Rechts-
staat wird Schutz durch das Verfahrensrecht gewährt.
Wenn man Kindern, die in diesem Alter nach Deutsch-
land kommen, diesen Verfahrensschutz nimmt oder ihn
relativiert, dann verstößt das für mich ganz klar gegen
die Regeln der internationalen Kinderrechtskonvention.
Das muss geändert werden.
Ich glaube, dass auch an anderen Stellen viel nachzu-
bessern und viel nachzuholen ist. Das betrifft insbeson-
dere die Frage: Was passiert eigentlich mit Kindern, die
zum Beispiel mit dem Flugzeug in Frankfurt ankommen
und um Asyl bitten? Kann man auf diese Kinder wirk-
lich das Flughafenverfahren anwenden? Können Kinder
in diesem Alter, die ohne Schutz, ohne Beistand, ohne
vernünftige Betreuung sind und die keine Schulbildung
haben, diesem Verfahren unterzogen werden? Nein, an
dieser Stelle waren wir froh über die Rücknahme. Wenn
es aber bei einem Placeboeffekt bleibt, dann machen wir
nicht mit. Wir werden Sie weiterhin mit Initiativen – in
Anführungszeichen – belästigen, um die Kinderrechte
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Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Florian Bernschneider für die FDP-Fraktion
as Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nachge-ehen: Zum 18. Mal in dieser Legislaturperiode diskutie-n wir heute das Thema Kinderrechte.
Dies ist ein wichtiges Thema, völlig zu Recht. – Grobberschlagen sind das etwa 13 Stunden Diskussion überie Rechte der Kinder. Wenn man die Diskussionszeiter vergangenen Legislaturperioden dazu zählt, habenir mehrere Tage über die Rechte von Kindern gespro-hen. Das ist zunächst einmal – da haben Sie völligcht – ein gutes Zeichen; denn es zeigt, dass uns allendas ist einer der beliebtesten Sätze aus all diesen De-atten – die Rechte von Kindern am Herzen liegen.Wenn man sich einige der bisherigen Debatten einmalnschaut, dann muss man etwas schmunzeln, besondersber die Debatten, bei denen Redner aller Fraktionen amednerpult stehen und sich darüber ereifern, Kinder anolitischen Entscheidungen partizipieren zu lassen, undas gegen 22 Uhr, also zu einer Tageszeit, zu der jedesind im Bett liegt. Ich weiß, wir Fachpolitiker bestim-en nicht den Ablauf der Tagesordnung. Wir haben unsuch heute nicht in die Primetime eingetaktet. Trotzdemuss man einmal kritisch sagen: Es ist auch gut, dassinder nicht alle Diskussionen, die wir in den vergange-en Jahren geführt haben, tatsächlich miterleben konn-n. Sie würden uns zu Recht fragen, warum wir Jahr-ehnte brauchten, um eine Selbstverständlichkeit,ämlich die Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinder-chtskonvention, umzusetzen. Wir als christlich-liberaleoalition haben das jetzt endlich geschafft. Anstatt diesnzuerkennen, nehmen Sie Fahrt auf für das nächsteammutprojekt, nämlich die Aufnahme der Kinder-chte ins Grundgesetz. Ich wage einmal den Blick in dielaskugel:
elbst wenn es uns einmal gelingen wird, die Kinder-chte in das Grundgesetz aufzunehmen, dann werdenns die Kinder die Frage stellen: Jetzt habt ihr jahrelangarüber diskutiert, aber was bringt das genau? Es wurdeeute von allen Oppositionsrednern versprochen, daraufonkrete Antworten zu geben. Richtig konkrete Antwor-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. September 2011 15127
Florian Bernschneider
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ten habe ich aber nicht gehört. Die Verfassungsrechtlersagen uns, die Kinderrechte sind im Grundgesetz schonabgebildet. Deswegen wünsche ich mir, dass wir keineZeit mit abstrakten Debatten verlieren, sondern uns kon-kret damit beschäftigen, wie wir die Kinderrechte stär-ken können.
Das haben in der Vergangenheit auch alle anderenKoalitionsfraktionen getan. Ich glaube aber trotzdem,dass wir die Leistung von Schwarz-Gelb in den letztenzwei Jahren auf keinen Fall kleinreden dürfen.
Kinderlärm ist kein Grund mehr für Klagen. Das Bun-deskinderschutzgesetz sorgt dafür, dass viel Wichtigesauf den Weg gebracht wird. Die Familienhebammen sinddie richtige Entscheidung, wenn es um den Präventions-gedanken geht. Wir investieren 12 Milliarden Euro mehrin Bildung und Forschung. Mit der Offensive „FrüheChancen“ setzen wir 400 Millionen Euro für Chancen-gerechtigkeit ein. Die Freiwilligendienste, die Sommer-ferienjob-Regelung, alles das sind konkret erlebbareRechte für Kinder und Jugendliche in unserem Land.So berechtigt einige der im vorliegenden SPD-Antragaufgeworfenen Fragen auch sein mögen: Der Antrag lie-fert wenig Konkretes. Selbst wenn man ihn beschlösse,kämen am Ende wenig spürbare Ergebnisse für die Kin-der dabei heraus. Spürbare Ergebnisse aber müssen un-ser Ziel sein. Ich habe gerade ein paar Punkte aufgezählt,die zeigen, dass die christlich-liberale Koalition genaudiesen Weg eingeschlagen hat, nämlich Konkretes zu lie-fern, anstatt viele abstrakte Debatten zu führen. Ichwürde mich freuen, wenn Sie uns dabei begleiten wür-den.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/6920 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
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1)
Deswegen kommen wir gleich zur Abstimmung. Der
usschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner
eschlussempfehlung auf Drucksache 17/7063, den Ge-
tzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/6276
nd 17/6852 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
itte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
chussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
egenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
t mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
raktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
PD-Fraktion und Enthaltung der Fraktion Die Linke
ngenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
egenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
t mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 28. September 2011, 13 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.