Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. –Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu un-serer Plenarsitzung.Die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen hat am1. März ihren 75. Geburtstag gefeiert und die KolleginEdelgard Bulmahn einige Tage später ihren60. Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses möchteich dazu auch auf diesem Wege noch einmal herzlichgratulieren und alle guten Wünsche übermitteln.
Der Kollege Holger Haibach hat mit Wirkung vom1. März auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundes-tag verzichtet. Als seinen Nachfolger begrüße ich denKollegen Helmut Heiderich.
Ebenso herzlich willkommen heiße ich den KollegenIngo Egloff, der als Nachfolger des Kollegen OlafScholz die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag er-worben hat.
Die CDU/CSU-Fraktion hat mitgeteilt, dass die Kol-Redelegin Sibylle Pfeiffer ihr Amt als Schriftführerin nieder-gelegt hat.
Als neuer Schriftführer wird der Kollege PeterWichtel vorgeschlagen.
– Alle entsprechenden Tests sind durchgefüfen da ganz beruhigt sein. – Sind Sie damit einverstan-zung den 17. März 2011.00 Uhrden? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der KollegeWichtel hiermit gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-geführten Punkte zu erweitern:ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten JürgenTrittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, wei-teren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-rung des Atomgesetzes und zur Wiederherstel-lung des Atomkonsenses– Drucksache 17/5035 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-fahrentextErgänzung zu TOP 32Beratung des Antrags der Abgeordneten AgnesKrumwiede, Dr. Konstantin von Notz, JerzyMontag, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENZugang zu verwaisten Werken erleichtern– Drucksache 17/4695 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medienng des Antrags der Abgeordnetenegor Gysi, Jan van Aken, Christineolz, weiterer Abgeordneter und der Frak-ttentesthrt. Sie dür-ZP 3 BeratuDr. GrBuchhtion DIE LINKE
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10882 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Alle Exporte von Kriegswaffen und sonstigenRüstungsgütern stoppen– Drucksache 17/5039 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger AusschussVerteidigungsausschussZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie zu dem Antrag der Abge-ordneten Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt,Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRüstungsexportberichte zeitnah zum Jahres-abrüstungsbericht vorlegen– Drucksachen 17/1167, 17/1627 –Berichterstattung:Abgeordneter Rolf HempelmannZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie zu dem Antrag der Abge-ordneten Katja Keul, Marieluise Beck ,Volker Beck , weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGemeinsamen Standpunkt der EU für Waffen-ausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU-,NATO- und NATO-gleichgestellte Länderkonsequent umsetzen– Drucksachen 17/2438, 17/3291 –Berichterstattung:Abgeordnete Kerstin AndreaeVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Die Tagesordnungspunkte 27 d und 30 werden abge-setzt.Außerdem mache ich auf einige geänderte Aus-schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktlisteaufmerksam:Der am 27. Januar 2011 überwiesene nachfolgendeAntrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend zur Mitbe-ratung überwiesen werden; die Mitberatung des Aus-schusses für Gesundheit soll entfallen:Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ,Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENBildungsberichte nutzen – Bildungssystem ge-rechter und besser machen– Drucksache 17/4436 –überwiesen:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendDie am 25. Februar 2011 überwiesene nachfolgendeUnterrichtung soll nunmehr nicht mehr dem Ausschussfür Kultur und Medien zur Mitbera-tung überwiesen werden:Unterrichtung durch die BundesregierungTätigkeitsberichte 2008 und 2009 der Bundes-netzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommu-nikation, Post und Eisenbahnen für den Be-reich Eisenbahnen gemäß § 14 b desAllgemeinen EisenbahngesetzesundStellungnahme der Bundesregierung– Drucksache 17/4630 –überwiesen:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitDer am 24. Februar 2011 überwiesene nachfolgendeAntrag soll nunmehr nicht mehr dem Haushaltsaus-schuss gemäß § 96 GO überwiesen wer-den; die Mitberatung des Haushaltsausschusses soll je-doch bestehen bleiben:Antrag der Abgeordneten Harald Koch, HeidrunDittrich, Diana Golze, weiterer Abgeordneter undder Fraktion DIE LINKEJugendfreiwilligendienste weiter ausbauenstatt Bundesfreiwilligendienst einführen– Drucksache 17/4845 –überwiesen:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussSportausschussRechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuss mitberatendSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir das sobeschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie denZusatzpunkt 1 auf:5 Abgabe einer Regierungserklärung durch dieBundeskanzlerinzur aktuellen Lage in JapanZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten JürgenTrittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, wei-teren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-rung des Atomgesetzes und zur Wiederherstel-lung des Atomkonsenses– Drucksache 17/5035 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussRechtsausschuss
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10883
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussZu der Regierungserklärung liegen je ein Entschlie-ßungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Fraktion derSPD und der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschlie-ßungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Alle Fraktionen haben namentliche Abstimmung überihre Entschließungsanträge verlangt. Insgesamt werdenwir zu den Entschließungsanträgen sieben namentlicheAbstimmungen durchführen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung zwei Stunden vorgesehen. – Auch dies ist offen-kundig einvernehmlich und damit so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatdie Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! AmFreitag der letzten Woche, 14.45 Uhr Ortszeit, bebte inJapan die Erde. Seismologen maßen eine Stärke von 8,9,später korrigiert auf 9,0. Es war das schwerste Erdbebenin der Geschichte Japans. Sein Epizentrum lag circa130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und circa400 Kilometer nordöstlich der japanischen HauptstadtTokio. Um 16 Uhr Ortszeit desselben Tages traf eine biszu 10 Meter hohe Flutwelle auf die Ostküste der japani-schen Hauptinsel Honshu. Sie richtete schwerste Ver-wüstungen an. Noch am Abend dieses Tages gab es Mel-dungen, wonach in einem Reaktor des KernkraftwerksFukushima I die Kühlung ausgefallen und im Atom-kraftwerk Onagawa ein Feuer ausgebrochen war. Die ja-panische Regierung rief den atomaren Notstand aus.In den folgenden Tagen und Nächten erschüttertenzahlreiche, zum Teil schwere Nachbeben das Land – unddas bis heute. Erdbeben und Tsunami haben weite Land-striche von Japans Nordosten verwüstet. Ganze Ort-schaften wurden ausgelöscht. Die Zahl der Opferschnellt seit Tagen in die Höhe. Wie viele es tatsächlichsind – wir wissen es nicht. Zu viele Menschen werdenvermisst. Unzählige Häuser und Straßen sind zerstört.Unendlich viele Menschen haben ihr Obdach verloren.Strom wird rationiert oder ist ganz weg. Treibstoff,Trinkwasser, Nahrungsmittel sind knapp.Rund um das Kernkraftwerk Fukushima wurde dieEvakuierungszone seit Freitag immer wieder erweitert.Arbeiter dort führen einen ebenso – man kann es nichtanders sagen – heldenhaften wie verzweifelten Kampfgegen den atomaren Super-GAU. Sie setzen dabei nichtnur ihre Gesundheit aufs Spiel, sondern auch ihr Lebenein. Immer dramatischer entwickeln sich die Ereignissedort: ausgefallene Kühlanlagen, Berichte über freilie-gende Brennstäbe, die sich immer stärker erhitzen,Explosionen in verschiedenen Reaktoren, in einem Fallwohl auch mit der Folge der Beschädigung eines Sicher-heitsbehälters, Radioaktivität tritt aus. Es ist davon aus-zugehen, dass es in drei der Anlagen zu schweren Schä-den an den Reaktorkernen gekommen ist.Was uns angesichts all dieser Berichte und Bilder, diewir seit letztem Freitag sehen und zu verstehen versu-chen, erfüllt, das sind Entsetzen, Fassungslosigkeit, Mit-gefühl und Trauer. Die Katastrophe in Japan hat ein ge-radezu apokalyptisches Ausmaß, und es fehlen dieWorte. Unsere tiefste Anteilnahme, unsere Gedankenund unsere Gebete sind bei den Menschen in Japan.
In dieser Stunde schwerster Prüfung steht Deutsch-land an der Seite Japans. Was immer wir tun können, umden Menschen in Japan bei der Bewältigung dieserschier unfassbaren Katastrophe zu helfen, das werdenwir weiter tun. Das habe ich Premierminister Kan über-mittelt, und das hat auch der Bundesaußenminister sei-nem japanischen Kollegen gesagt.Experten des Technischen Hilfswerks haben in denvergangenen Tagen vor Ort bei der Suche nach Überle-benden geholfen. Ich danke ihnen, und ich danke denHelfern anderer Organisationen für ihren Einsatz für dieMenschen in Japan.
Ich danke allen Helfern des Krisenstabes im Auswär-tigen Amt und der Botschaft vor Ort. Sie koordinierenunsere Hilfe. Sie unterstützen auch alle deutschenStaatsangehörigen im Krisengebiet bei einer Ausreise,wenn sie das wünschen.Auch die Vereinten Nationen haben ein Team nachJapan entsandt. Es soll die japanische Regierung dabeiunterstützen, die Aufbaumaßnahmen zu koordinieren.Ebenfalls ihre Hilfe angeboten hat die EuropäischeUnion.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen dieserKatastrophe sind überhaupt noch nicht absehbar. Die Be-troffenen vor Ort hatten noch fast gar keine Chance, fest-zustellen, in welchen Bereichen sie tatsächlich weitereHilfe genau benötigen. Denn der Albtraum immer neuerBeben und nuklearer Horrorszenarien hat noch keinEnde gefunden.In dieser Lage ist es unverzichtbar, dass wir den Men-schen in Japan zeigen: Sie sind nicht allein. Dabei zähltdie Geste jedes Einzelnen. Namhafte deutsche Hilfsorga-nisationen haben Spendenkonten eingerichtet. Der Bun-despräsident hat am Montag dazu aufgerufen, mithilfevon Spenden über diese Organisationen Soforthilfe fürJapan zu leisten. Ich möchte diesen Aufruf ausdrücklichunterstützen.Die Spendenaktionen sollen vor allem den Menschenin Japan zugutekommen, die durch Beben, Flutwelle unddie nuklearen Folgen ihr Zuhause verloren haben. Wirsollten ihnen mit unserer unmittelbaren Unterstützungein Zeichen der Solidarität senden.
Das ist Hilfe unter Freunden. Japan war und ist ein engerFreund Deutschlands, und das sage ich gerade im150. Jahr des Bestehens unserer diplomatischen Bezie-hungen.
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10884 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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In dieser Stunde geht es für Unzählige nur um dasnackte Überleben. Beinahe verbietet es sich angesichtsihrer Tragödie, bereits jetzt an die wirtschaftlichen Aus-wirkungen dieser Katastrophe zu denken. Ich will esdeshalb hier auch nur kurz tun, obwohl es für die Zu-kunft Japans von größter Bedeutung ist, wenn die sichüberschlagenden Schreckensmeldungen hoffentlich baldein Ende gefunden haben werden.Die wirtschaftlichen Auswirkungen der dreifachenKatastrophe sind – kurz gesagt – noch nicht abschätzbar.Nach vergangenen Naturkatastrophen kam JapansVolkswirtschaft durch staatliche Wiederaufbaupro-gramme schnell wieder auf die Beine. Selbst nach demschweren Erdbeben um die Stadt Kobe 1995 konnte eineRezession verhindert werden. Dennoch – so denke ich –muss die Welt dieses Mal darauf vorbereitet sein, dassdie Katastrophe die japanische Wirtschaft vor noch grö-ßere Herausforderungen stellt, als dies frühere Katastro-phen getan haben.Japan – auch das dürfen wir nicht vergessen – ist diedrittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ich befürchte der-zeit nicht, dass die Weltwirtschaft signifikant beeinträch-tigt wird. Trotzdem – das ergänze ich ausdrücklich –werden wir zusammen mit unseren internationalen Part-nern daran arbeiten, wie mögliche Folgen der Katastro-phe für die globale Konjunktur bestmöglich minimiertwerden können.Meine Damen und Herren, die Ereignisse in Japan be-deuten nicht allein für Japan eine unfassbare Katastro-phe. Sie sind ein Einschnitt für die ganze Welt, für Eu-ropa, auch für Deutschland. Ich habe es in denvergangenen fünf Tagen wieder und wieder gesagt, undich wiederhole es heute: Wir können und wir dürfennicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir gehenauch nicht zur Tagesordnung über, weder die Menschenin Deutschland – das zeigt das außergewöhnlich großeInteresse an allen Sondersendungen im Fernsehen –noch die Politik. Auch die Bundesregierung kann dasnicht, und sie ist nicht zur Tagesordnung übergegangen.Ja, es bleibt wahr: Derart gewaltige Erdbeben undFlutwellen, wie sie Japan getroffen haben, treffen unsnach allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erwar-tungen nicht. Auch mit gesundheitlichen Beeinträchti-gungen durch die nukleare Katastrophe in Japan ist füruns in Deutschland nach menschlichem Ermessen nichtzu rechnen. Wir sind zu weit von dem Ort der Katastro-phe entfernt.Ja, es bleibt wahr: Wir wissen, wie sicher unsereKernkraftwerke sind. Sie gehören zu den weltweit si-chersten,
und ich lehne es auch weiterhin ab, zwar die Kernkraft-werke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom ausKernkraftwerken anderer Länder zu beziehen. Das istmit mir nicht zu machen.
Ja, es bleibt wahr: Ein Industrieland wie Deutschland,die größte Wirtschaftsnation Europas, kann nicht vonjetzt auf gleich vollständig auf Kernenergie als Brücken-technologie verzichten, wenn wir unseren Energiever-brauch weiter eigenständig zuverlässig decken wollen.Ich möchte an dieser Stelle, weil es heute ja sicherlichauch noch eine Reihe von Auseinandersetzungen gebenwird, noch einmal eines festhalten: In Deutschland gibtes einen Konsens aller Parteien, dass wir keine neuenKernkraftwerke bauen und dass die Kernkraft eineBrückentechnologie ist, dass die Kernkraft ausläuft.
– Die Linke hat wie immer eine Sonderrolle. Entschuldi-gung, dass ich Sie mit einbezogen habe. Das werde ichnatürlich nicht mehr tun.
Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß.Ein Land wie Deutschland hat im Übrigen auch denVerpflichtungen zum Schutz unseres Klimas weiter ge-recht zu werden; denn der Klimawandel ist und bleibteine der großen Herausforderungen der Menschheit.
Es geht nicht an, dass wir an einem Tag den Klimawan-del als eines der größten Probleme der Menschheit klas-sifizieren und an einem anderen Tag so tun, als ob das al-les nicht gilt. Wir müssen schon mit einer Zungesprechen.
Ja, es bleibt auch wahr: Energie in Deutschland mussfür die Menschen bezahlbar sein, und wir haben keinProblem gelöst, wenn Arbeitsplätze in andere Länder ab-wandern, wo die Sicherheit der Kernkraftwerke nichtbesser, vielleicht sogar noch geringer ist.
Und dennoch: Die Bundesregierung konnte und kanntrotz all dieser unbestrittenen Fakten nicht einfach zurTagesordnung übergehen, und zwar aus einem allesüberragenden Grund:
Die unfassbaren Ereignisse in Japan lehren uns, dass et-was, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben fürunmöglich gehalten wurde, doch möglich werdenkonnte.
Sie lehren uns, dass Risiken, die für absolut unwahr-scheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends un-wahrscheinlich waren, sondern Realität wurden.Wenn das so ist, wenn also in einem so hoch entwi-ckelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche mög-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10885
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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lich, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde,dann verändert das die Lage.
Dann haben wir eine neue Lage, dann muss gehandeltwerden. Und wir haben gehandelt. Denn die Menschenin Deutschland können sich darauf verlassen: Ihre Si-cherheit und ihr Schutz waren und sind für die Bundesre-gierung oberstes Gebot.
Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit.
Deshalb haben wir im Lichte der Ereignisse in Japanveranlasst, dass alle deutschen Kernkraftwerke noch ein-mal einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogenwerden – im Lichte der neuen Lage! Dazu setzen wir dieVerlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraft-werke aus,
indem wir für den Zeitraum eines dreimonatigen Mora-toriums alle Kernkraftwerke, die 1980 und früher in Be-trieb gegangen sind, vom Netz nehmen. Besser gesagt:Wir tun mehr, als ein Moratorium bedeuten würde; dennein Moratorium der Verlängerung der Laufzeiten führteuns zurück auf die Rechtsgrundlage der rot-grünen Re-gierung. Die wiederum würde jetzt nur zur Folge haben,dass Neckarwestheim 1 abgeschaltet werden müsste.
Alle anderen Kernkraftwerke würden heute, zum jetzi-gen Zeitpunkt, weiterlaufen.
Was tun wir?
– Jetzt hören Sie genau zu! Darf ich Sie einfach bitten,Herr Kelber, dass Sie mal zuhören?
Was tun wir? Bund und Länder sind sich einig, dassdiese Abschaltung durch rechtliche Verfügung der Auf-sichtsbehörden der Länder angeordnet wird. Das Gesetzüber die friedliche Verwendung der Kernenergie und denSchutz gegen ihre Gefahren, kurz „Atomgesetz“ ge-nannt, sieht genau das vor, also eine Anlage vorüberge-hend stillzulegen, bis sich die Behörden Klarheit übereine neue Lage verschafft haben.Ich danke an dieser Stelle dem Kollegen Oppermannausdrücklich für das Angebot seiner Fraktion an die Ko-alition, in der nächsten Woche ein gemeinsames, wie Siees formulieren, Abschaltgesetz zu verabschieden. Wirsind dennoch der Auffassung, dass wir dieses Angebotnicht anzunehmen brauchen, weil wir im beschriebenenSinne handeln können – und das umgehend, meine Da-men und Herren.Ich will es noch einmal präzisieren, weil das wirklichwichtig ist: Die bisher unbestrittene Sicherheit der deut-schen Kernkraftwerke beruht auf der Einhaltung desAtomgesetzes, der auf dem Atomgesetz beruhendenRechtsverordnungen und der erteilten Genehmigungen.Die Vorkommnisse in Japan haben jedoch gezeigt, dassEreignisse auch jenseits der bisher berücksichtigten Sze-narien eintreten können.
– Entschuldigung, die Genehmigungen sind auch zu Ih-ren Zeiten vergeben worden. – Hieraus resultiert dieNotwendigkeit, die Lage unter Berücksichtigung der ak-tuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysieren und hie-raus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
Für die dreimonatige Betriebseinstellung der siebenältesten Anlagen als vorläufige aufsichtliche Maßnah-men sieht das Atomgesetz in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3eine einschlägige Rechtsgrundlage vor. Auf dieserRechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefahrenver-dachts die einstweilige Betriebseinstellung angeordnetwerden.Jetzt hören Sie wieder gut zu: Ein derartiger Verdachtist nach dem Atomrecht – das ist so genau – dann gege-ben, wenn sich wegen begründeter Unsicherheiten imRahmen der Risikovorsorge Schadensmöglichkeitennicht völlig ausschließen lassen.
– Hören Sie doch bitte mal zu! Entschuldigung, darf ichnoch einmal wiederholen?
Es ist eine neue Lage.
– Im Augenblick rede ich. – Es ist eine neue Lage.
Hochverehrter Herr Steinmeier, die Kernkraftwerke– mit Ausnahme von Neckarwestheim – würden nachder von Rot-Grün geschaffenen Rechtslage heute amNetz sein. Das ist die Wahrheit.
Nehmen Sie es doch einfach einmal hin und sagen eben-falls: Wir haben eine neue Lage. – Das kann man docherwarten!Da sich gerade bei älteren Anlagen die Frage nachden in der Auslegung berücksichtigten Szenarien in be-
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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sonderer Weise stellen kann, haben sich die Bundesre-gierung und die Ministerpräsidenten der Bundesländermit Kernkraftwerken
dazu entschlossen, diese Anlagen für den Zeitraum derÜberprüfung vom Netz zu nehmen. Dies ist Ausdruckäußerster Vorsorge, der sich die Bundesregierung unddie Ministerpräsidenten zum Schutz der Bevölkerungverpflichtet sehen.Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Dies ist eineaufsichtsrechtliche Maßnahme. Dies ist kein Deal, diesist keine Absprache, dies ist gar nichts von dem, sonderndies ist die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuenLage,
nicht mehr und nicht weniger. Das ist Verantwortung,meine Damen und Herren.
Ich bin mir dazu sowohl in der Sache als auch im Ver-fahren mit den Ministerpräsidenten der Standortländervollkommen einig.
Bund und Länder sind hier gemeinsam in der Verantwor-tung.Deshalb sage ich auch, dass ich nicht verhehle, dassich die Debatte des gestrigen Tages über die rechtlichenGrundlagen des Handelns von Bund und Ländern – diewird sicherlich gleich fortgesetzt – nur schwer nachvoll-ziehen kann.
Wir müssen sicher in unserem politischem Handeln allejuristischen Anforderungen stets ernst nehmen. Darüberkann und darf es nicht den geringsten Zweifel geben.Das sage ich, damit da überhaupt kein Missverständnisentsteht. Aber wir sollten uns in einer Situation äußersterGefahrenvorsorge – um diese geht es Bund und Ländernim Licht der Ereignisse von Japan – nicht juristischeTricks unterstellen, wo keine juristischen Tricks unter-stellt werden können, meine Damen und Herren.
Dazu gehört im Übrigen auch, dass während des Mo-ratoriums meine Gespräche natürlich nicht, wie das zu-nächst mit Blick auf die Anwendung des Atomgesetzessinnvoll ist, auf den Kreis der Ministerpräsidenten be-schränkt bleiben, die vorgestern mit mir beraten haben.Das gilt für alle Gespräche, die die Bundesregierung innächster Zeit führen wird.Wenn es um die Akzeptanz und Fortentwicklung derEnergiepolitik insgesamt geht, werden natürlich auch ge-sellschaftliche Gruppen einbezogen: Wirtschaft, Ge-werkschaften, Umweltverbände, Kirchen. Natürlichwerden alle Ministerpräsidenten aller Bundesländer ein-bezogen, zum Beispiel wenn es um neue Leitungen undTrassen gehen wird. Das wird sehr zeitnah geschehen,noch vor Ostern.
Auch hier sollten wir uns nicht immer als Erstes ver-dächtigen.Meine Damen und Herren, Sicherheit der Kernener-gie hat nicht nur eine nationale, sondern mindestensebenso eine internationale Dimension.
Wir werden daher in Europa, international und auch imRahmen der G 20 dafür eintreten, dass die notwendigenSchlussfolgerungen aus den Ereignissen in Japan gezo-gen werden.Ich habe das Thema „Nukleare Sicherheit“ für dennächsten Europäischen Rat der Staats- und Regierungs-chefs in der nächsten Woche am 24. und 25. März ange-meldet. Der Ratspräsident hat der Aufsetzung dieses Ta-gesordnungspunkts bereits zugestimmt.Auf EU-Ebene hat Energiekommissar Oettingerschnell gehandelt. Ich begrüße, dass er schon begonnenhat, Gespräche mit den wichtigsten Akteuren zu führen,und ich unterstütze die Initiative für einen EU-weitenStresstest für alle Kernkraftwerke. Wir brauchen in dergesamten Europäischen Union hohe Sicherheitsstan-dards, denn bei Sicherheitsrisiken ist nicht nur der Staat,in dem das Kernkraftwerk steht, betroffen.
Ich habe mit Nicolas Sarkozy verabredet, dass Frank-reich gemeinsam mit Deutschland eine Initiative derG 20 zur weltweiten Sicherheit von Kernkraftwerkeneinbringt. Der G-20-Präsident, der französische Präsi-dent, hat bereits die Energieminister der G-20-Ländernach Paris zu einem Sondertreffen eingeladen.Nach dem dreimonatigen Moratorium werden wirüber die endgültigen Konsequenzen für den Betrieb derKernkraftwerke entscheiden.
Dabei wiederhole ich auch an diesem Ort das, was ichseit Montag sage: Die Lage nach dem Moratorium wirdeine andere sein als die Lage vor dem Moratorium, dennalles kommt auf den Prüfstand.Sie wird darüber hinaus – das sage ich, damit auch dakein Missverständnis entsteht – auch eine andere Lagesein als die Lage zur Zeit des rot-grünen Gesetzes.
Weder konnten wir nach den Ereignissen in Japan ein-fach so zur Tagesordnung übergehen, noch ist das rot-grüne Konzept tragfähig für ein Land wie Deutschland,für die größte Wirtschaftsnation Europas mit dem An-spruch höchster Sicherheitsstandards im Lichte aller Er-kenntnisse.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Wir werden deshalb die bewusst ehrgeizig kurz bemes-sene Zeit des Moratoriums nutzen, um die Energiewendevoranzutreiben und, wo immer möglich, zu beschleuni-gen. Denn wir wollen so schnell wie möglich das Zeital-ter der erneuerbaren Energien erreichen – das ist unserZiel –,
und das mit einem Ausstieg mit Augenmaß.Klar ist dabei: Wenn jetzt die Sicherheit der Kern-energie neu bewertet wird
und möglicherweise – ich kann den Ergebnissen des Mo-ratoriums nicht vorgreifen – Anlagen schneller vomNetz zu nehmen sind, dann müssen wir – das ist dieSchlussfolgerung – auch schneller zu einem System derEnergieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Ener-gien kommen.
Das heißt: Wir werden die sehr ambitionierten Maßnah-men des Energiekonzepts nicht nur konsequent umset-zen, sondern sie, wo es geht, auch beschleunigen.Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energienund der notwendigen Netzinfrastruktur noch schnellervoranbringen. Wir werden für die Umsetzung eine klareZeitplanung vorlegen; denn eines ist klar: Wir braucheneine Brückentechnologie wie die Kernenergie so lange,bis wir einen Anschluss gefunden haben. Alles anderehieße, die Probleme unter den Tisch zu kehren. Das tunwir nicht. Das widerspräche dem Anspruch der christ-lich-liberalen Koalition.
– Sie sind doch bloß neidisch, dass Sie Heiner Geißlernicht haben. Meine Güte, also wirklich!
– Darf ich ausreden? Wir reden hier über sehr ernsthafteDinge, meine Damen und Herren.
Ich erinnere noch einmal: Unser Energiekonzept siehtfür das Jahr 2050 einen Anteil der erneuerbaren Ener-gien von 80 Prozent vor. Das ist extrem anspruchsvoll.Wenn wir das diskutieren, müssen wir ehrlich über dieVoraussetzungen sprechen; dann müssen wir allerdingsauch ganz konkret werden.
Das betrifft etwa den Ausbau der Windenergie anLand und auf See. Wir werden zeigen, wie konkret neueWindparks errichtet werden können und die Windener-gie langfristig zu einer tragenden Säule unserer Strom-versorgung ausgebaut werden kann. Schon bald wird eingroßes KfW-Programm starten, mit dem wir den Start-schuss für neue Investitionen in Offshorewindparks ge-ben.Eine wichtige – ich sage: eine unabdingbare – Voraus-setzung ist auch der Ausbau der Stromnetze. Wer erneu-erbare Energien will, darf sich dem Bau der dafür erfor-derlichen großen Stromtrassen, die neu errichtet werdenmüssen, nicht verweigern.
Wir müssen in der Perspektive auch über ein Systemdebattieren, das Strom aus erneuerbaren Energien flexi-bel zum Verbraucher bringt, ihn bedarfsgerecht speichertund jederzeit verfügbar verteilt.Nicht zuletzt ist die Steigerung der Energieeffizienzunverzichtbar, und zwar durch moderne Technologien inallen Bereichen, vom Verbraucher bis zur Industrie. Zudiesem zentralen Handlungsfeld hat der EU-Energie-kommissar Oettinger gerade einen neuen Aktionsplanfür Energieeffizienz vorgelegt.Für all das brauchen wir – das ist mir besonders wich-tig – breite Unterstützung und Akzeptanz in der Gesell-schaft. Wir wollen kein Dagegen, sondern ein Dafür.
Die erneuerbaren Energien können wir nur ausbauen,wenn die notwendigen Stromnetze errichtet werden.Hierfür müssen alle, die den Ausbau der erneuerbarenEnergien wollen, um mehr Akzeptanz bei den Bürgerin-nen und Bürgern vor Ort werben. Das ist schlicht und er-greifend heute nicht der Fall.
Die einen werben, die anderen sind dagegen, wo immerdas geht, oder spielen auf Zeit und sagen, man müsselange darüber diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist
wie vereinbart im Anschluss an die Regierungserklärung
vorgesehen.
Wann es reicht, Frau Künast, bestimmt die Fraktion,indem sie entscheidet, wie viel Redezeit sie mir gibt. Siehaben das nicht zu entscheiden. Das ist auch gut so.
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10888 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Schauen Sie sich einmal Ihre Parteitagsbeschlüsse zumAusbau der Stromtrassen an.Stromeinsparung können wir nur dann erreichen,wenn die Verbraucher aktiv mitmachen. Neue Anlagen,seien es Windkraftwerke, Pumpspeicherwerke – auch dabitte ich, zu schauen, wer wo protestiert –
oder hocheffiziente konventionelle Kraftwerke – schauenSie sich an, wer alles gegen Kohlekraftwerke ist –,
können wir nur errichten, wenn alle hier in diesemHause dafür eintreten, dass sie gebaut werden.Meine Damen und Herren, schließlich müssen wirauch bei einem weiteren Streitthema endlich vorankom-men: bei der Entsorgung von radioaktiven Abfällen. Eskann nicht sein, dass wir diese Aufgabe weiter in die Zu-kunft und damit auf zukünftige Generationen schieben.Wir packen daher auch dieses Thema, das Rot-Grün inunverantwortlicher Weise hat liegen lassen, entschlossenan.
Sie haben damals bei dem vermeintlich tragfähigenAusstieg in zwei Bereichen nicht die Zukunft im Blickgehabt und den Kopf in den Sand gesteckt: bei der Ent-sorgung – da haben Sie ein Moratorium für Gorlebenvereinbart – und, das kann ich Ihnen nicht ersparen, beider Sicherheit. Herr Trittin, Sie wissen genau: Damals,im sogenannten Atomkonsens aus dem Jahre 2000, un-terzeichnet 2001, ist vereinbart worden:Während der Restlaufzeiten– ich sage noch einmal, heute wäre nur Neckarwest-heim 1 abgeschaltet; alle anderen wären am Netz –wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Si-cherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundes-regierung wird keine Initiative ergreifen, um diesenSicherheitsstandard und die diesem zugrundelie-gende Sicherheitsphilosophie zu ändern.
… die Bundesregierung wird keine Initiativeergreifen …– so war das.
– Ja, natürlich:Bei Einhaltung – –
– Hören Sie doch einmal zu! Ich bin nicht so wie Sie,dass ich Ausschnitte lese. Ich lese weiter:Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungengewährleistet die Bundesregierung den ungestörtenBetrieb der Anlagen.
Aber: keine neuen Sicherheitsstandards.
Meine Damen und Herren, heute wird von Ihnen einAntrag zur sofortigen Inkraftsetzung des kerntechni-schen Regelwerks zur Abstimmung gestellt. Lassen Siemich dazu ein Wort sagen. Unter Rot-Grün wurde ersteinmal gar nichts unternommen, außer dass man etwasausgearbeitet hat; aber angewandt hat man es nicht.
Dann ging es in der Großen Koalition um die Frage,„Was machen wir damit?“, weil sich Herr Gabriel derFrage „Stillstand in der Sicherheit“ dankenswerterweisenicht mehr ganz so verpflichtet gefühlt hat.
– Ich sage das doch ausdrücklich lobend.
Dann hat Herr Gabriel dieses kerntechnische Regelwerkzur Erprobung parallel zu den gängigen und geltendenSicherheitsvorschriften laufen lassen. Herr Gabriel istdafür kritisiert worden, pikanterweise vom ehemaligenStaatssekretär Herrn Baake von den Grünen. HerrGabriel hat im Juni 2009 diese Vorwürfe – ich sage: ge-rechterweise – ausführlich zurückgewiesen; ich emp-fehle, die Pressemitteilung des BMU vom 16. Juni 2009zu lesen, in der steht, dass diese Vorwürfe „haltlos“ sind.Er hat im Juni 2009 ebenso gesagt, dass dieses Verfahren15 Monate lang erprobt wird, also nach meinen Berech-nungen bis zum September 2010. Dann haben wir, dieneue Regierung, über die Verlängerung der Laufzeitendebattiert und in diesem Zusammenhang das Atomge-setz bezüglich der Sicherheitsanforderungen verändert
und dafür gesorgt, dass in § 7 d des Atomgesetzes eineneue Verpflichtung eingeführt wird – –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10889
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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– Ich finde wirklich, wir sollten uns in diesem Hause– dazu sind wir verpflichtet – um die Wahrheit bemühen.
Das gilt auch für die Opposition.Wir haben mit der Einführung des neuen § 7 d desAtomgesetzes neu die Verpflichtung der Betreiber derKernkraftwerke zur weiteren Risikovorsorge eingeführt,sich immer wieder am neuesten Stand von Forschungund Technik zu orientieren
– diese Kategorie hat es in diesem Maß noch nicht gege-ben – und immer wieder dynamisch auf neue Anforde-rungen zu reagieren. Das ist die Realität, und das äußertsich in der Spezifizierung der Sicherheitsanforderungenfür jede einzelne Anlage.
Wer hier behauptet, wir hätten die Sicherheit nicht imBlick gehabt, der sagt schlicht und ergreifend die Un-wahrheit. Die höchsten Sicherheitsanforderungen gab esunter der christlich-liberalen Koalition. Das ist die Wahr-heit, und die müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, es ist gut und nötig undauch sinnvoll, dass wir uns in energiepolitischen Fragenum die besten Antworten bemühen. Es ist auch gut undrichtig, dass wir darüber immer wieder streiten. Dasmacht Opposition und Regierung aus, und das macht un-sere Demokratie lebendig. Auch ich war einmal Vorsit-zende einer Oppositionsfraktion und weiß, wie das ist.Aber eines muss beachtet werden: Sie werfen der Regie-rung und auch mir persönlich vor, jetzt oder vor sechsMonaten oder bei der Verabschiedung der Laufzeiten-verlängerung oder wahrscheinlich durchgehend die Un-wahrheit zu sagen. Sie werfen uns Täuschung, Trickse-rei, mehr oder weniger Rechtsbruch und natürlichWahlkampftaktik und Ähnliches vor.
– Ja, meine Damen und Herren, schauen Sie sich das ge-nau an. – Ich halte das hinsichtlich der Aufgabe für abso-lut nicht angemessen. Es geht hier um ein wesentlichesThema. Es geht hier um eine Situation, in der wir überFragen debattieren, die die Welt vor eine neue Lage ge-stellt haben.Meine Damen und Herren von der Opposition, ichfinde, dass Ihre Art und Weise der Argumentation abso-lut respektlos ist.
Ihr Verhalten, das ich in den letzten Tagen gesehen habe,ist an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten.
Ich rate Ihnen nur eines: Schließen Sie bei dem, was Siesagen, nicht dauernd von sich auf andere.
Höchste Sicherheit für die noch laufenden Kernkraft-werke, höchstes Engagement für erneuerbare Energienund eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversor-gung – dies ist meine, dies ist die Formel der christlich-liberalen Koalition für einen neuen energiepolitischenKonsens.Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönlichesWort. So wichtig und unverzichtbar alle Bewertungen,Lehren und Maßnahmen hier in Deutschland sind, sowichtig und unerlässlich ist es, dass wir in dieser Stundezugleich nie den Blick für die Leidenden in Japan verlie-ren, die so schwer geprüft werden.
Ihnen gilt unser Mitgefühl. Sie können heute und in derZukunft auf die Unterstützung Deutschlands zählen.Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-deskanzlerin, für den ersten und den letzten Teil IhrerRede haben Sie die volle Zustimmung nicht nur derSPD, sondern, wie ich glaube, des ganzen Hauses.
In der Tat berührt jeden Menschen in Deutschland dasSchicksal der Menschen in Japan ungeheuer. Selten hatein Land in Friedenszeiten eine solche Kette von Kata-strophen durchleiden müssen wie in diesen Tagen Japan.Ich sage offen: Ich glaube, wir alle haben in diesen Ta-gen viel über den Mut und auch die Tapferkeit diesesVolkes gelernt. Neben Mitgefühl, Trauer und Entsetzenhaben wir auch tiefen Respekt gegenüber der Haltungund dem Kampf dieser Menschen entwickelt. Wir hof-fen, dass es am Ende, obwohl die Hoffnung täglichschwindet, doch noch gelingt, den Super-GAU, also dasunkontrollierte Austreten ungeheurer Mengen von Ra-dioaktivität, zu verhindern. Deswegen haben Sie, FrauBundeskanzlerin, jede Unterstützung des deutschen Par-laments verdient, wenn Sie der japanischen RegierungHilfe und Unterstützung anbieten. Wir denken, dass dasdie Verpflichtung Deutschlands und auch der internatio-nalen Völkergemeinschaft ist. Wir danken Ihnen aus-drücklich dafür, dass Sie sehr frühzeitig damit begonnenhaben, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.
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10890 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Sigmar Gabriel
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Ich bin nicht sicher, ob es angemessen ist, wenn wiruns gegenseitig unterstellen, wir seien respektlos undwürden uns unanständig benehmen. Sie meinten, das ge-höre zu Ihrer Rede.
– Na ja, wenn man im Parlament ein scharfes Wort führt,muss man gelegentlich überlegen, ob das Ende einerRede auch zu dem passt, was man vorher gesagt hat,Frau Bundeskanzlerin.
Wir erleben gerade das Ende des Atomzeitalters. Eswar gekennzeichnet durch zwei tiefe Überzeugungen:erstens, dass die Technik nie versagt, und zweitens, dassder Mensch nie versagt, und vor allen Dingen, dass nichtbeides zum gleichen Zeitpunkt passiert. Wir haben bitterlernen müssen, dass diese beiden Grundannahmen desAtomzeitalters falsch sind: Weder funktioniert die Tech-nik immer, noch versagen Menschen nie. Tun wir nichtso, als würden uns die Risiken der Atomtechnologieerstmals in Japan vor Augen geführt.
Dutzende von Unfällen, viele Beinahekatastrophen undnicht zuletzt die Katastrophen 1979 in Harrisburg und1986 in Tschernobyl in der früheren Sowjetunion führenuns schon seit langer Zeit vor Augen, dass der GAU undder Super-GAU eben keine rein mathematischen Un-wahrscheinlichkeiten sind, sondern ganz reale Gefahren,die mit unendlichem Leid von Menschen verbundensind.Das berühmte Restrisiko, das der Atomwirtschaft undden Gläubigen der atomaren Heilslehre in Wissenschaft,Medien und politischen Parteien so lächerlich und ver-nachlässigbar vorkam, ist gerade zur ganz realen Kata-strophe für Millionen von Menschen in Japan geworden.Trotzdem sind schon wieder die Beschwichtiger derAtomwirtschaft unterwegs: Das alles könne in Deutsch-land und Europa nicht passieren; wir hätten schließlichkeine Erdbeben und Tsunamis. Oder: Wir hätten dochdie sichersten Atomkraftwerke der Welt.Ich erinnere mich noch gut, dass das schwedischeAtomkraftwerk Forsmark im Jahre 2006 in einer gefähr-lichen Lage war, weil auch dort die Notstromversorgungversagte, und zwar völlig ohne Erdbeben und Tsunami.Als wir damals die deutschen Atomkraftwerksbetreiberfragten, wie das bei ihnen sei, kam sofort, ohne jede Prü-fung, die Antwort: Das kann bei uns nicht passieren. –Als wir dann über § 19 Atomgesetz – damals gab esnämlich die ganz konkrete reale Gefahr, dass die Wech-selrichter nicht funktionieren – gefordert haben, das ge-nau zu erfahren, haben sie nach kurzer Zeit kleinlaut zu-gegeben, dass auch in deutschen Atomkraftwerkendieses technische Problem existiert hat.Meine Damen und Herren, das alles war vor Japan.Auch in Deutschland gab es Wasserstoffexplosionen: inBrunsbüttel in der Nähe des Reaktordruckbehälters. Esgab auch bei uns fehlerhafte Installationen, Kühlmittel-verluste, mangelhafte Rohrleitungssysteme. Das alleswar vor Japan, und das alles wussten Sie, Frau Bundes-kanzlerin. Trotzdem haben Sie damals in der GroßenKoalition versucht, mich dazu zu zwingen,
zwei der ältesten und gefährlichsten Atommeiler inDeutschland länger laufen zu lassen:
Biblis A und Neckarwestheim 1. Sie haben mich schrift-lich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beidenAtomkraftwerke zu verlängern.
Das sind die beiden, bei denen Sie jetzt so stolz daraufsind, dass Sie sie, neben einigen anderen, für drei Mo-nate vom Netz nehmen. Frau Bundeskanzlerin, Sie ha-ben einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren für dieseReaktoren zugestimmt. Ohne Ihren Deal und – auch dasgehört zur Wahrheit – ohne Ihre Kumpanei mit derAtomwirtschaft, die durch Tricks, durch geringeres Aus-fahren ihrer Kapazitäten, versucht hat, die im Gesetz ur-sprünglich vorgesehenen Laufzeiten zu überschreiten,wären diese Reaktoren längst vom Netz.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben alle, die gegen dieseabenteuerliche Laufzeitverlängerung waren, als Ideolo-gen verleumdet. Ihr Vizekanzler, Herr Westerwelle, hatdiejenigen, die gesagt haben, dass das so nicht geht unddass wir aus der Kernenergie heraus müssen, wörtlichals „Geisterfahrer“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund Ih-rer verbalen Kehrtwende frage ich Sie: Wer waren tat-sächlich die eigentlichen Geisterfahrer der deutschenEnergiepolitik in Deutschland?
Frau Merkel, ich weiß gar nicht, ob es Ihnen auffällt:Aber vor einem halben Jahr war der rot-grüne Beschlusszum Ausstieg aus der Atomenergie für Sie unvertretbar,weil er nach Ihrer Meinung die Atomwirtschaft zu sehrbedrängte und weil wir längere Laufzeiten für Deutsch-land doch brauchten. Sie haben diesen Beschluss kriti-siert, weil wir zu schnell aussteigen wollten. Heute ha-ben Sie die Chuzpe, SPD und Grüne zu kritisieren, weilwir angeblich zu langsam ausgestiegen sind. Das istdoch das Spiel, das Sie hier treiben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10891
Sigmar Gabriel
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Frau Dr. Merkel, damit Sie nicht glauben, jeder imHaus hätte ein schlechtes Gedächtnis: Ich hatte Ihnen alsBundesumweltminister in der Großen Koalition vorge-schlagen und angeboten, die ältesten Atomkraftwerkeschneller, als es ursprünglich im Gesetz vorgesehen war,vom Netz zu nehmen. Sie haben das als Kanzlerin ver-weigert. Wir hätten sie heute schon nicht mehr, wenn wirdas damals gemacht hätten.
Zum Thema Sicherheitspolitik. Am 28. Oktober 2010haben Sie hier mit der Mehrheit von CDU/CSU undFDP die Laufzeitverlängerung durchgepeitscht. FrauMerkel, ich und wir alle haben Sie damals gewarnt undgesagt: Bevor Sie generelle Laufzeitverlängerungen be-schließen, machen Sie bitte das, was jeder normaleMensch machen würde, nämlich jedes einzelne Atom-kraftwerk darauf zu prüfen, ob deren aktuelle Sicher-heitsstandards dem Stand von Wissenschaft und Technikentsprechen.
Das haben Sie abgelehnt. Die äußerste Gefahrenvorsorgemüssen Sie nicht jetzt machen, die müssen Sie bei einemAtomkraftwerk immer machen. Das ist immer Ihre Auf-gabe.
Aber als wir im Parlament zu entscheiden hatten, warja längst alles beschlossene Sache. Den Bundestag habenSie nur noch pro forma und den Bundesrat überhauptnicht mehr beteiligt. Sie hatten schon mit den Herren derAtomwirtschaft im Hinterzimmer alles dingfest ge-macht.
Damit nicht genug. Sie waren einmal Bundesumwelt-ministerin.
Dass Sie den Mut haben, hier dem Parlament die Un-wahrheit über die Anwendung des § 19 des Atomgeset-zes zu sagen, ist schon ein starkes Stück.
Damals wollten Sie jede Gefahr für den Deal mit derAtomwirtschaft ausschließen. Deshalb haben Sie die Si-cherheitsanforderungen, die wir 2009 in Kraft gesetzt ha-ben – die Arbeit daran wurde übrigens unter dem Kolle-gen Trittin begonnen; ich habe sie dann abgeschlossen –,abgeschafft.
Wir hätten sie übrigens damals gerne ganz ohne Weiter-geltung der alten Sicherheitsanforderungen in Kraft ge-setzt. Es handelte sich hier um einen Kompromiss, weildie Ministerpräsidenten von CDU und CSU gesagt ha-ben: Wir wollen überhaupt keine neuen Sicherheitsan-forderungen. – Das ist doch die Wahrheit.
Damals haben wir gesagt: Damit keine Unsicherhei-ten in der Atomwirtschaft auftreten, machen wir beides.Wir lassen die alten weitergelten und erproben dieneuen. – Im Herbst letzten Jahres hätten Sie in der Tatdie alten völlig abschaffen müssen und die Bewertungder Sicherheitslage deutscher Atomkraftwerke auf demheutigen Stand von Wissenschaft und Technik vorneh-men müssen.
– Nein, das steht gerade nicht im Gesetz, Herr KollegeGröhe. – Die Menschen draußen wissen das nicht; dasdarf man ihnen aber nicht vorwerfen. Aber wissen Sie,wie viele Seiten das kerntechnische Regelwerk mit denmodernen Sicherheitsanforderungen umfasst? Über1 000 Seiten. Da wird beschrieben, was die Kraftwerks-betreiber bei der Notstromversorgung machen müssen.Da wird beschrieben, was sie bei den Kühlsystemen ma-chen müssen. Da wird beschrieben, wie sie Sicherheitkonkret verbessern. Das haben Sie abgeschafft. Sie ar-beiten mit einem über 30 Jahre alten kerntechnischenRegelwerk.
Herr Gröhe, wenn Sie mit uns über so etwas reden, müs-sen Sie immer davon ausgehen: Wir kennen die Rechts-lage sehr genau.
Dann haben Sie in § 7 d des Atomgesetzes nur einenSatz, der in Deutschland seit 1973 geltende Rechtslageist, hineingeschrieben, statt ein Regelwerk von 1 000Seiten anzuwenden. Seit dem Urteil über Kalkar müssenSie das einhalten, was Sie in den § 7 d Atomgesetz hi-neingeschrieben haben. Ich habe gar nichts dagegen,dass das im Atomgesetz steht, aber daran mussten sichvorher schon alle halten.Schlimm ist, dass Sie die modernen Sicherheitsanfor-derungen für die Prüfung von Kernkraftwerken außerKraft gesetzt haben.
Warum haben Sie das getan? Sie haben das getan, weildie Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dasseine ganze Reihe von Atomkraftwerken diesen moder-nen Sicherheitsstandards nicht standhalten können, weildie Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dassdie alten Meiler nicht auf den Stand von Wissenschaftund Technik hochgerüstet werden können und dass siedeshalb endgültig und bereits vor Ablauf der Restlauf-
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10892 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Sigmar Gabriel
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zeiten vom Netz hätten gehen müssen. Das hätte die Mil-liardengeschäfte der Atomwirtschaft geschmälert, undda haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, etwas gemacht,was unverantwortlich ist: Sie persönlich haben Sicher-heit gegen Geld getauscht.
Sie sagen jetzt, es gäbe eine tabulose Prüfung. WennSie mit völlig veralteten Sicherheitsanforderungen – mehrals 30 Jahre alt – jetzt eine tabulose Prüfung beginnenwollen, dann brauchen Sie damit gar nicht erst anzufan-gen, außer Sie setzen als Allererstes das kerntechnischeRegelwerk 2009 wieder in Kraft. Das ist der erste Prüf-stein für Ihre Glaubwürdigkeit.
Die Meiler, die wegen dieses kerntechnischen Regel-werks vom Netz genommen werden müssten, wollen Siejetzt gerade einmal für drei Monate vom Netz nehmen.Die wären aber schon weg, wenn Sie nicht mitgeholfenhätten, Sicherheitsmängel in diesen Kernkraftwerken zuvertuschen.
– Keine Sorge, wir können das alles belegen.Derjenige, der Ihnen das aufgeschrieben hat, war ei-ner der Cheflobbyisten der deutschen Atomindustrie.Mit Herrn Hennenhöfer haben Sie ausgerechnet einenCheflobbyisten der Atomwirtschaft zum obersten Aufse-her der Reaktorsicherheit in Deutschland gemacht.
Herr Hennenhöfer ist bis heute im Amt und soll jetzt dieSicherheitsüberprüfung vornehmen, die er vorher ver-hindern wollte. Wenn Sie, Frau Merkel, auch nur einenFunken Glaubwürdigkeit zurückerobern wollen, dannmüssen Sie ihn sofort entlassen. Das verlangen wir vonIhnen!
Frau Merkel, nicht wir werfen Ihnen vor, dass Sie dasRecht beugen, sondern das tut inzwischen ein frühererPräsident des Bundesverfassungsgerichtes. Ihr soge-nanntes Moratorium wirft ja nicht nur energiepolitische,sondern auch verfassungsrechtliche Fragen auf. Ich leseIhnen jetzt einmal vor, wie nach der öffentlichen Erklä-rung Ihres Umweltministers § 19 Abs. 3 des Atomgeset-zes angewandt werden soll, nämlich… durch gemeinsames staatliches Handeln … nichtdurch Absprachen, nicht durch Verträge, sondernunter dem Gesichtspunkt der staatlichen Verantwor-tung.Wenn das so ist, Frau Merkel, dann will ich wissen, wiedie Rechtsakte aussehen. Das will ich allerdings nichtvon Ihrem Atomexperten Mappus in Baden-Württem-berg wissen, der ja eine schizophrene Persönlichkeit ist,nämlich Atomlobbyist und Atomaufsicht zugleich – ichfrage mich, wie das funktionieren soll –,
sondern Sie, Herr Bundesumweltminister und FrauMerkel, fordere ich auf, dem Parlament diese Rechtsaktevorzulegen, und zwar in diesen Tagen, nicht erst in einpaar Monaten.
Wenn die Atomwirtschaft das akzeptiert, dann habenSie, Frau Merkel, einen historischen Erfolg erzielt, dannhaben Sie wirklich etwas durchgesetzt. Denn dann ist dieAtomwirtschaft zum ersten Mal bereit, zu akzeptieren,dass festgestellt wird, dass von sieben ihrer Meiler eineGefahr für die Bevölkerung, für Leib, Leben und Ge-sundheit ausgeht. Das wäre ein historisches Ereignis.
Frau Merkel, Sie haben § 19 Atomgesetz völlig zuRecht zitiert. Die erste Handlung ist nun, dass Sie, HerrBundesumweltminister, den Atomkraftwerksbetreiberndie entsprechenden Anordnungen schicken, und zwardurch die Länder. Wenn sie das nicht machen, dann müs-sen Sie sie atomrechtlich weisen. Dann wollen wir ein-mal sehen, ob die Atomwirtschaft das akzeptiert. Wennsie das machen: à la bonne heure!
Dann haben Sie etwas Historisches erreicht. Wir habenschon immer gesagt, dass von diesen alten Reaktoren di-rekte Gefahren ausgehen. Das haben Sie und die Atom-kraftwerksbetreiber immer zurückgewiesen.
Wenn das allerdings nicht der Fall ist, dann haben Sie ei-nen Deal gemacht. Dann wollen wir die Preise kennen.Meine Damen und Herren, wir wollen also zunächstwissen, wie das läuft.
Und dann stellt sich doch, was auch immer Sie jetzt derÖffentlichkeit erzählen, die Frage: Wie glaubwürdigsind Sie, wenn Sie das nur für drei Monate tun?
Wir wollen erstens, dass das sicher ist und dass wirdas nach dem Atomgesetz abschalten, und zwar nichtnur im Rahmen eines Moratoriums, sondern auf Dauer.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10893
Sigmar Gabriel
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Wir wollen zweitens zum Ausstiegsgesetz bis 2020zurückkehren. Denn Ihre Laufzeitverlängerungen sindkeine Brücke, sondern eine Dauereinrichtung mindes-tens bis 2035 und 2040. Das ist keine Übergangstechno-logie. Deswegen wollen wir zum Gesetz zurück. Wirwollen das nicht irgendwie durch einen zweiten Deal re-geln lassen. Das Parlament ist das Gremium, das das zuentscheiden hat.Im Übrigen, Frau Merkel, wenn es stimmt, dass Sieeine Energiewende wollen, warum haben Sie dann imjetzigen Haushalt gar nichts dafür getan, außer die Mög-lichkeiten für die Energiewende zu verschlechtern?
– Das muss man der Öffentlichkeit einmal sagen. Sie ha-ben am Mittwoch die Eckpunkte des Haushalts beschlos-sen. Heute stellt sich die Kanzlerin hin und sagt, siewolle mehr für die Energiewende tun.
Jetzt sage ich Ihnen einmal, was in den Eckpunktensteht: Gegenüber 2010 werden die Mittel zur Förderungerneuerbarer Energien um 700 Millionen Euro runterge-fahren,
werden die Mittel für das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm um ein Drittel und für das Gebäudesanie-rungsprogramm gegen zu hohen Energieverbrauch,durch das die Menschen richtig Geld sparen könnten,von 2,2 Milliarden Euro in 2009 auf unter 1 MilliardeEuro gekürzt. Das ist die Wahrheit über das, was Sie damachen.
Gestern, einen Tag nach Verkündigung Ihrer Ener-giewende, haben Sie dem Kabinett die Eckpunkte vorge-legt und zugestimmt. Sie hätten doch diesen Beschluss,Frau Merkel, eigentlich verschieben müssen.
Sie hätten doch sagen müssen: „Jetzt machen wir einmalein ordentliches Programm“, oder: „Wir lassen wenigs-tens die Mittel da, wo sie bisher waren“. Nichts davonhaben Sie getan. Es ist einfach so, dass man nicht einmalmehr weiß, ob Sie Ihre eigenen Widersprüche eigentlichnoch erkennen.
Die Glaubwürdigkeit von Politik – ich weiß, dass dasnicht Ihnen allein zugeordnet wird, sondern die Men-schen leider immer über „die Politiker“ reden – leidetenorm, Frau Merkel, wenn Sie dieses Maß an Unseriosi-tät zur Messlatte Ihrer Politik machen. Man kann sichauf nichts verlassen, was Sie sagen. Deshalb können undwollen wir uns auch nicht darauf verlassen, dass Sie indrei Monaten zu klügeren Entscheidungen gekommensind als noch drei Monate zuvor. Wir wollen deshalb imParlament entscheiden, weil bei Ihnen nicht sicher ist,was Sie denn morgen denken. Mal sind Sie gegen denEuro-Rettungsschirm, mal dafür.
Mal sind Sie für Steuersenkungen, mal dagegen. Malsind Sie für Atomenergie, mal dagegen. Weil wir unsnicht auf Sie verlassen können, wollen wir hier im Parla-ment selber entscheiden und nicht Ihnen vertrauen. Da-rum geht es hier in Deutschland.
Herr Kollege Gabriel, achten Sie freundlicherweise
auf die Redezeit.
Das mache ich.
„Mehrheit ist Mehrheit“, sagt Ihr Kollege. Das zeigt
ja schon, worauf Sie hinauswollen.
Der Zwischenruf ist interessant. „Mehrheit ist Mehr-
heit“, sagt er. Das heißt, Sie wollen den Ausstieg nicht.
Ich glaube, dass Sie da die Wahrheit sagen.
Ich sage Ihnen: So kann man auf Dauer keine Politik
machen. Sie versuchen nur, jetzt wahltaktisch mit den
Ängsten der Menschen umzugehen.
Das ist etwas, was die Bevölkerung in Deutschland
merkt. Der Titel der Zeit heute ist die Überschrift für das,
was Sie eigentlich machen müssten: „Keine Lügen
mehr!“, Frau Bundeskanzlerin.
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiralle stehen unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan.Diese epochale Naturkatastrophe hat Tausende Tote ge-fordert, Tausende Verletzte, zigtausendfaches menschli-ches Leid. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen beiunseren japanischen Freunden. Unsere Anteilnahme undunser Mitgefühl gelten den Hinterbliebenen. Die Bilder,
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10894 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Birgit Homburger
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die wir sehen, zeigen das Ausmaß der Zerstörung: GanzeStädte sind durch den Tsunami wie weggespült. DieseBilder begleiten viele von uns tagtäglich in den Gedan-ken, genauso das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber ei-ner solchen Naturkatastrophe.Angesichts einer solch beispiellosen Katastrophesollte man einmal innehalten und die Frage aufwerfen,was in einer solchen Situation tatsächlich zuerst gefor-dert ist, was wichtig ist. Während die Menschen in Japanversuchen, diese Situation mit einer bewundernswertenDisziplin zu bewältigen, und in anderen Ländern dasMitgefühl an erster Stelle steht, führt die Opposition hiereine Debatte, die geradezu dazu führen muss, dass dieMenschen in diesem Land Angst bekommen, dass sieden Eindruck bekommen, das Problem, die Katastrophe,sei hier. Nein, die Katastrophe ist in Japan. Die Men-schen in Japan brauchen jetzt in der akuten Phase undbei der Bewältigung langfristiger Folgen unsere Unter-stützung. Deshalb ist es gut, dass der Krisenstab derBundesregierung unter Leitung von AußenministerWesterwelle sofort Hilfe gegeben und diese Hilfe in denVordergrund gestellt hat. An einem solchen Tag ist eswichtig, an dieser Stelle den Helfern ein herzliches Dan-keschön zu sagen.
Wir sind uns vollkommen einig darüber, dass ange-sichts der dramatischen Ereignisse in den japanischenKernkraftwerken nicht einfach zur Tagesordnung über-gegangen werden kann. Nun höre ich immer wieder, wirmüssten die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Ja, dieSorgen der Menschen sind auch unsere Sorgen; sie sinddie Sorgen jedes einzelnen Kollegen und jeder einzelnenKollegin hier in diesem Haus.
Es ist richtig, dass die Regierung in einer solchen Si-tuation schnell und besonnen handeln muss. Wir sinduns bewusst, dass wir über den Tag hinaus Verantwor-tung tragen. Insofern ist das Moratorium zum Zweck derSicherheitsüberprüfung richtig. Ich bin dankbar dafür,dass die Bundesregierung sofort die Initiative ergriffenhat, um eine solche Überprüfung auch auf europäischerund internationaler Ebene anzustoßen; das ist in glei-chem Maße notwendig wie hier in Deutschland.
Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnissedarüber, wie sich die Abläufe in den japanischen Kern-kraftwerken tatsächlich darstellen, aber wir haben ersteErkenntnisse: Es gab Probleme trotz Mehrfachredundan-zen beim Kühlsystem und bei den Notstromaggregaten.Die FDP erwartet, dass die Überprüfung, die jetzt durch-geführt wird, den neuesten Sicherheitsstandards ent-spricht.
Herr Gabriel, Sie haben hier davon gesprochen, dassdie Bundesregierung etwas „mit den Herren der Atom-wirtschaft im Hinterzimmer“ ausgehandelt habe. Des-halb will ich nochmals aus der Vereinbarung zitieren:Während der Restlaufzeiten wird der von Recht undGesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weitergewährleistet; die Bundesregierung wird keine Ini-tiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard unddie diesem zugrunde liegende Sicherheitsphiloso-phie zu ändern.Dieser Vertrag, Herr Gabriel, trägt die Unterschrift vonHerrn Schröder und Herrn Trittin und ist von HerrnSteinmeier mit ausgehandelt worden.
Wenn jemand etwas „mit den Herren der Atomwirtschaftim Hinterzimmer“ ausgehandelt hat, dann sind Sie es,nicht diese Bundesregierung.
Sie haben einen Sicherheitsrabatt gewährt, und jetzt ge-rieren Sie sich hier als Moralinstanz.Wir haben bei der Änderung des Atomgesetzes imletzten Jahr erstmals in der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland die Sicherheitsanforderungen dynami-siert,
indem wir den § 7 d in das Atomgesetz eingefügt haben.Sie haben hier kritisiert, dass das nur zwei Zeilen seien.Ein Paragraf hat in der Regel auch nur wenige Zeilen.Dieses Gesetz wird aber selbstverständlich ausgefülltmit einem untergesetzlichen Regelwerk, das den neues-ten, modernsten Standards entspricht. Das ist die Sicher-heitsphilosophie, die wir anlegen, und diese hohen Si-cherheitsstandards werden jetzt nochmals überprüft.
Mit uns wird es keinen Sicherheitsrabatt geben. Mituns wird es aber auch kein hektisches Überbordwerfenaller Entscheidungen geben. Wir machen erst eine ergeb-nisoffene Prüfung, und danach werden wir die Konse-quenzen ziehen. Ich glaube, dass das ein angemessenes,überlegtes und konsequentes Vorgehen ist.Diejenigen, die die sofortige Abschaltung der Kern-kraftwerke fordern, nehmen für sich in Anspruch, im Be-sitz der Wahrheit zu sein. Das hat sich auch in der De-batte heute Morgen gezeigt. Sie sprechen anderenverantwortungsvolles Handeln ab.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10895
Birgit Homburger
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– Herr Kuhn, weil Sie gerade dazwischenrufen, will ichIhnen sagen: Ich finde ein solches Verhalten unerträg-lich.
Die Wahrheit ist, dass die Kernkraftwerke auf Basiseiner Risikoanalyse betrieben werden. Dieses Risiko ha-ben wir unter hohen Sicherheitsauflagen in der Vergan-genheit als verantwortbar betrachtet. Das gilt nicht nurfür die Koalition, sondern auch für Grüne und SPD. Da-durch, dass Sie einen Atomkonsens vorgelegt haben, ha-ben Sie deutlich gemacht, dass die Kernkraftwerke auchaus Ihrer Sicht weiterbetrieben werden können. Sie ha-ben gezeigt, dass auch Sie nach einer Risikoanalyse zudem Schluss kamen, dass der Betrieb technisch verant-wortbar ist. Sonst hätten Sie eine solche Entscheidungnicht treffen können.
Genauso richtig ist es, dass jetzt eine Neubewertung die-ser hohen Sicherheitsstandards angezeigt ist. Es ist rich-tig, noch einmal darüber nachzudenken, ob noch mehrgetan werden muss. Genau das tun wir.Herr Gabriel, Sie haben Ihre bemerkenswerte Redemit einer Vielzahl von Diffamierungen gespickt. Sie ha-ben gesagt, dass die Regierung Sicherheitsprobleme ver-tuscht hat, dass Tricks der Atomwirtschaft gebilligt wer-den, und Sie haben von Deals gesprochen. Sie sprechendenen, die zu einem anderen Ergebnis kommen, die Ehreund die Verantwortung ab. Deshalb will ich Ihnen in al-ler Ruhe, aber auch mit allem Nachdruck sagen: DieseDebatte wird von Ihnen in einem Duktus geführt, derAnstand und den nötigen Respekt vor der Meinung an-derer vermissen lässt.
Auch die Emotionalität dieser Debatte rechtfertigt einsolches Vorgehen nicht. Das ist ein erschreckendes Bei-spiel für Ihr Verständnis von demokratischer Kultur undzeigt, dass Sie nicht regierungsfähig sind.
Wenn wir über das Energiekonzept sprechen, dannsprechen wir über Versorgungssicherheit, über Bezahl-barkeit und über Umweltverträglichkeit. Deshalb müs-sen wir auch einmal darüber reden, was passiert, wenndiese sieben Kernkraftwerke jetzt vorübergehend stillge-legt werden. Wir wollen vor allen Dingen eines nicht:Wir wollen nicht, dass Stromimporte aus Kernkraftwer-ken, die weniger sicher sind, in Deutschland als Ersatzdienen.
Im Augenblick führt das Stilllegen dieser Kernkraft-werke dazu, dass in der Grundlast ein Ausgleich durcheine stärkere Nutzung von Steinkohle und Erdgas, alsodurch fossile Energieträger, erfolgt. Wenn dieser Aus-gleich je zur Hälfte durch Steinkohle und Erdgas erfolgt,dann verursacht diese dreimonatige Abschaltung zusätz-lich 6,3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. So viel zumThema Klima. Auch das muss in einer solchen Debattedeutlich gemacht werden. Wir brauchen einen Ausgleichzwischen den verschiedenen Zielen. Dieser Ausgleichmuss auch in Zukunft berücksichtigt werden. Deshalbrate ich Ihnen dringend, Ihre Position zur Energiepolitik,beispielsweise bezogen auf die Modernisierung vonKohlekraftwerken, zu überdenken.Es gibt mittlerweile eine hocheffiziente neue Genera-tion von Kohlekraftwerken, die deutlich weniger CO2-Emissionen ausstoßen. Wenn wir die alten Kraftwerkedurch diese neuen ersetzen würden, dann könnten wir andieser Stelle hinsichtlich der Grundlast weiterkommen.Sie sind es, die im Augenblick in Nordrhein-Westfalendiese hocheffiziente Technik verhindern.
Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, undauch unser Energiekonzept sieht vor, dass die Nutzungder Kernenergie ausläuft. Aber wir wollten eben nichtnur vom Zeitalter der erneuerbaren Energien träumen,sondern wir haben auch gesagt, wir müssen ein Gesamt-konzept haben, wie das tatsächlich erreicht werden kann.Dieses Gesamtkonzept haben wir im letzten Jahr vorge-legt.Wir wollen unser Ziel schneller erreichen, aber dannmüssen wir in der Tat über Wasserkraftwerke sprechen,die von der Opposition bekämpft werden,
dann müssen wir über Biogasanlagen sprechen, die vonden Grünen bekämpft werden, und dann müssen wirüber die Nutzung von Windenergie sprechen, die wir ge-rade auch offshore ausbauen wollen. Das haben wir imEnergiekonzept festgelegt. Nur, wenn das kommt, dannmuss man auch dafür sorgen, dass diese Energie zumVerbraucher kommt, indem die Leitungen entsprechendausgebaut werden.
Deshalb ist es notwendig, dass wir über diese Fragesprechen und hier auch ein Gesetz auf den Weg bringen,das diesen Leitungsausbau beschleunigt.
Ich finde es ganz bemerkenswert, dass jetzt in demEnergiekonzept der SPD Geld aus dem Bundeshaushaltfür den Leitungsausbau gefordert wird. Das brauchenwir nicht. Dafür gibt es Netzentgelte.Ich will Ihnen deutlich sagen: Der Netzausbau, derzwingend notwendig ist, um die erneuerbaren Energienweiter voranzutreiben, ist bisher nicht am Geld geschei-tert, er ist am Protest gescheitert. Zwischenzeitlich zeigtsich in Deutschland: Stuttgart 21 ist überall, die Dage-
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10896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Birgit Homburger
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gen-Gesellschaft hat sich unter Führung von SPD undGrünen etabliert.
Deshalb ist die Gretchenfrage an die Opposition, obauch Sie zum Umdenken bereit sind, um ein neues Ener-giekonzept auf den Weg zu bringen. Beenden Sie denDauerprotest
gegen die Modernisierung der deutschen Energieland-schaft!
Meine Damen und Herren von der Opposition, wirwollen diese Situation, diese schwierige Lage zum An-lass nehmen, neu nachzudenken. Wir haben unser Ener-giekonzept überdacht. Wir haben jetzt angeordnet, dasses nochmals eine Sicherheitsüberprüfung aller Kern-kraftwerke gibt, und zwar unter Einbeziehung der Er-kenntnisse aus diesem Unglück in Japan.Ich sage ganz deutlich: Wir wollen das Zeitalter er-neuerbarer Energien schneller erreichen. Sie sind gefor-dert, dazu beizutragen. Wie glaubwürdig Ihre Positionist, wird daran gemessen, ob auch Sie bereit sind, umzu-denken.
Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japanist eine furchtbare, unvorstellbare Katastrophe passiert.Die Menschen erlebten ein schweres Erdbeben und indessen Folge einen Tsunami mit Tausenden Opfern,Hunderttausenden Obdachlosen und verheerenden Zer-störungen. Nun werden sie auch noch einen Super-GAUmit unvorstellbaren Folgen erleben. Millionen Men-schen können durch die Radioaktivität an Krebs erkran-ken – mit allen Folgen.Dies geschieht den Japanerinnen und Japanern, die alsEinzige schon die furchtbaren Leiden eines Atombom-beneinsatzes durch die USA 1945 auf Hiroshima undNagasaki erleben mussten. Wir trauern um die zahlrei-chen Opfer. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehöri-gen.Es ist aber unvorstellbar und unverantwortlich, dassgerade nach den schrecklichen Erlebnissen 1945 japani-sche Konzerne und japanische Politik den vielfachenBau von Atomkraftwerken vorantrieben. Japan hätte dererste Verweigerer sein müssen.
Aber nun ist die Katastrophe geschehen. Durch keineKritik wird sie ungeschehen. Es trifft vornehmlich im-mer Unbeteiligte und Unschuldige. Unsere gemeinsameerste Entscheidung muss sein, den Menschen in Japanjegliche mögliche Hilfe zu leisten.
Das Ereignis in Japan ist eine Zäsur, ein Zivilisations-bruch in der Geschichte des industriell-kapitalistischenZeitalters. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhundertsgelang es deutschen Physikern im Laborversuch, dieerste künstliche radioaktive Kernspaltung auszulösen.Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die erste darausfolgende Katastrophe war die Entwicklung der Atom-bombe.Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zwischender militärischen und der friedlichen Nutzung der Atom-energie unterschieden. In den 50er-Jahren setzten die In-dustriestaaten, das heißt sowohl die kapitalistischen alsauch die staatssozialistischen Länder, auf die friedlicheNutzung der Atomenergie. Doch die Unterscheidungzwischen unfriedlicher und friedlicher Atomenergie istaus zwei Gründen falsch und mit hohen Risiken verbun-den, die weder beherrschbar noch kontrollierbar sind.
Erstens. Wer über die Technologie der friedlichenNutzung der Atomenergie verfügt und aus AKW Stromerzeugen kann, ist potenziell in der Lage, auch Atom-waffen herzustellen. Wir wissen, dass trotz des Nichtver-breitungsvertrages inzwischen mehr Staaten als die fünfdamaligen Atommächte über Atomwaffen verfügen. Au-ßer den USA, Russland, China, Großbritannien undFrankreich verfügen auch Pakistan, Indien und Israelüber Atomwaffen. Die Beispiele Iran und Nordkorea zei-gen, dass diese Gefahren nicht beseitigt sind. Es mussendlich konsequent damit begonnen werden, alle Atom-waffen in dieser Welt zu vernichten. Erst dann hat die in-ternationale Gemeinschaft das Recht, weltweit den Bauneuer Atomwaffen zu unterbinden.
Zweitens. Mit der Unterscheidung zwischen militäri-scher und friedlicher Nutzung der Atomkraft gab mansich dem Trugschluss hin, dass die militärische Nutzungviel riskanter wäre. In vielen Industriegesellschaften,insbesondere in Frankreich und Japan, erzielte die fried-liche Nutzung der Atomkraft zur Stromerzeugung einehohe Akzeptanz. Diese Akzeptanz beruhte darauf, dassman die Risiken bei der friedlichen Nutzung für be-herrschbar hielt, sich einen GAU oder gar einen Super-GAU nicht vorstellen konnte. Die Unterscheidung zwi-schen gutem und schlechtem Uran ist falsch. Beides – derAbwurf einer Atombombe wie ein nicht vorhersehbarerUnfall in einem Atomkraftwerk – ist hinsichtlich derFolgen nicht beherrschbar. Unsere Zivilisation kannstark beschädigt, sogar vernichtet werden.
Die Frage stellt sich: Hätten wir alle – die Verantwort-lichen in Japan, in Deutschland und in allen anderenLändern – nicht klüger und sehr viel vorsichtiger sein
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müssen? Es gab den Atomunfall im AKW Three MileIsland bei Harrisburg in den USA im Jahre 1979. Dorttrat – auch ohne Erdbeben, ohne Tsunami – bereits einebegrenzte Kernschmelze ein, weil die Kühlsysteme ver-sagten. Dann kam die unvorstellbar große Katastrophevon Tschernobyl vor 25 Jahren mit einer vollständigenKernschmelze. Noch immer glüht dieser Reaktor umge-ben von einem Betonsarkophag vor sich hin. Die genaueZahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt.Diese deutlichen Warnungen wollten nicht verstandenwerden. Harrisburg wurde nicht wirklich ernst genom-men und bei Tschernobyl einfach die Unfähigkeit derRussen und der Staatssozialisten unterstellt. Im Unter-schied dazu – so konnte man es lesen – bauen die Japa-ner, die Deutschen und andere nur höchst sichere Atom-kraftwerke, bei denen nichts passieren könne. Nun sindwir in Japan auf tragische Weise vom Gegenteil über-zeugt worden. Wir alle dürfen und müssen eine einzigelogische Konsequenz ziehen: Der 11. März 2011 mussdas Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeleitet ha-ben.
Das ist nicht nur eine wissenschaftlich-technische,sondern auch eine politische, eine Macht- und eineMenschheitsfrage. Die Atomindustrie besteht aus Unter-nehmen, die die AKW bauen, und Unternehmen, die dieAKW betreiben. Diese besitzen nicht nur finanzielle undökonomische Macht, sie haben nicht nur beträchtlichenEinfluss auf politische Entscheidungen; sie dominierendiese und damit auch die Bundesregierung und einegroße Zahl von Abgeordneten.Schon die Bundesregierung aus SPD und Grünentraute sich nicht, den Atomausstieg einfach per Gesetzim Bundestag durchzusetzen. Sie ließ sich auf Verhand-lungen mit der Atomlobby ein und schloss mit ihr einenAusstiegskompromiss ab. Warum, Herr Trittin, konntenSie und Ihre sozialdemokratischen Mitstreiter den Atom-lobbyisten nicht einfach sagen, dass die Mehrheit desBundestages entscheiden wird? Wir sind das höchste de-mokratisch gewählte Organ der BundesrepublikDeutschland. Warum feilschten Sie mit den nicht ge-wählten Atomlobbyisten herum, bis Sie einen unzurei-chenden Ausstiegskompromiss erzielten?
Warum haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, diesenKompromiss auch noch aufgekündigt und auf Drängender Atomlobbyisten die Verlängerung der Laufzeiten derAtomkraftwerke beschlossen? Es ging um nichts anderesals um Extraprofite der Stromkonzerne Eon, EnBW,RWE und Vattenfall in Höhe von 120 Milliarden Euro.Diese Lobbyistenpolitik gefährdet unsere Demokratie.
Frau Bundeskanzlerin, besitzen Sie doch die Souverä-nität, den Mut, den Atomlobbyisten klar und deutlich zuwidersprechen, sich hier hinzustellen und Ihren Irrtumhinsichtlich der Risikogefahren einzuräumen und denunverzüglichen Ausstieg aus der Gewinnung der Atom-energie zu verkünden. Nur das entspräche Ihrem Amts-eid. Nur das könnte Schaden von unserer Bevölkerungabwenden. Nur dann verhielten Sie sich wie eine Bun-deskanzlerin für das gesamte Volk. Ihre heutige Erklä-rung spricht noch nicht für Ihre Bereitschaft, diesennotwendigen Weg zu gehen. Ein dreimonatiges Morato-rium, unabhängig von der rechtlichen Bewertung,täuscht und hilft nicht weiter. Wir brauchen keine vo-rübergehende, sondern eine endgültige Abschaltung derAtomkraftwerke.
Unabhängig davon müssen Sie unverzüglich und soforteinen Strompreisstopp durchsetzen. Die Konzerne habengenügend Profitpolster. Sie müssen die Verluste tragen,nicht die Bürgerinnen und Bürger und nicht die anderenUnternehmen.
Die Politik muss wieder für die Strompreiskontrolle zu-ständig werden.Meine Damen und Herren von der SPD und von denGrünen, Sie haben beim Bundesverfassungsgericht eineNormenkontrollklage eingereicht, weil Ihr frühererAtomkompromiss von der Mehrheit des Bundestagesunter Ausschluss des Bundesrates aufgekündigt wurde.Diesen Ausschluss und andere Regelungen halten Sieund wir für grundgesetzwidrig. Wir haben Ihnen angebo-ten, diese Normenkontrollklage gemeinsam zu erarbei-ten. Sie haben dies abgelehnt mit dem Hinweis, das seiIhr Thema und nicht unseres. Sie haben tatsächlich nichtbegriffen, dass dies ein Thema für die gesamte Bevölke-rung, auch für den linken Teil der Bevölkerung ist.
Sie haben uns vorgestern, auch im Angesicht der gewal-tigen Katastrophe, erklärt, dass wir die Klage nur dannmit unterschreiben dürften, wenn wir trotz Ihres Beteili-gungsverbots ein Drittel der Kosten übernähmen. Über-winden Sie Ihre Kleinkariertheit! Überwinden Sie IhrenEgoismus! Überwinden Sie Ihren Egozentrismus! Las-sen Sie alle, die es wollen, unterschreiben!
Sie können nicht bei Ihrem alten Kompromiss – mitAusnahme der älteren und pannengeprägten AKW –bleiben. Auch die neueren AKW können nicht mit lan-gen Fristen – Herr Gabriel, auch nicht zehn Jahre – wei-terlaufen. Auch Sie müssen sich einen Ruck geben undbegreifen, dass das nukleare Zeitalter nicht irgendwann,sondern unverzüglich zu beenden ist.
Es geht nicht nur um die Frage des Ausstiegs, sondernzugleich auch darum, ob sich die Politik endlich gegendie Atomindustrie durchsetzt, ob diesbezüglich das Pri-mat der Politik hergestellt, die Demokratie wieder funk-tionsfähig wird. Im letzten Jahr konnte während der Fi-nanzkrise jeder erleben, dass die Spekulanten undBankenchefs das Geschehen und die Politik dominier-
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ten. Diese sind eng mit den Atomlobbyisten verbunden.Gemeinsam scheinen sie eine kaum zu durchdringendeungeheuerliche Macht zu besitzen. Aber sie haben nurein wirkliches Interesse: die Steigerung ihres Profits.Nur wenn die Politik den Mut und die Kraft entwickelt,die Dominanz dieser Spekulanten, Bankenchefs, Atom-lobbyisten und anderer Konzernlobbyisten zu durchbre-chen und den Vorrang der demokratischen Institutionenzu sichern, sind wir für unsere Bevölkerung tätig, rettenwir unsere Demokratie und werden wir unserer Funktionals Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Bundestaggerecht!
Die Linke fordert: Erstens. Wir brauchen unverzüg-lich ein Konzept für die mögliche Hilfe gegenüber denJapanerinnen und Japanern. Diese Hilfe ist auch zu leis-ten.Zweitens. Die Nutzung der Atomkraft für militärischeZwecke und zur Energieerzeugung muss grundsätzlichausgeschlossen werden, um den Ausstieg unumkehrbarzu machen. Deshalb brauchen wir diese Verpflichtungim Grundgesetz.
Das Verbot der Nutzung von Atomenergie ist Bestandteilder Verfassung von Österreich, einem Mitgliedsland derEU. Es ist also machbar, wenn der politische Wille dazuvorhanden ist.Drittens. Die ältesten und pannengeschüttelten achtAKW sind sofort und auf Dauer stillzulegen.
Es handelt sich um Biblis A, Neckarwestheim 1,Biblis B, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg 1sowie Krümmel. Die verbleibenden neun AKW sind un-verzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Verzögern, still-zulegen. Hierzu muss die Bundesregierung einen ent-sprechenden Atomausstiegsgesetzentwurf bis spätestens30. April 2011 vorlegen.
Viertens. Verboten werden muss der Export vonAtomtechnologie. Siemens und andere Unternehmen ha-ben auch für die AKW in Japan Ausrüstungen geliefert.Sie müssen verpflichtet werden, diesen Produktionszy-klus stillzulegen und aus der Technologie auszusteigen.
Ebenso ist folgerichtig, Frau Bundeskanzlerin, dass wirkeinen Atomstrom importieren dürfen.Fünftens. Die Bundesregierung muss sich für die Auf-lösung des Euratom-Vertrages einsetzen, damit die damiteinhergehende Förderung der Atomenergie beendetwird.Sechstens. Wir fordern einen Strompreisstopp
und die Wiedereinführung der Strompreisregulierungdurch die Politik statt durch die Energiekonzerne.
Siebtens. Wir brauchen unverzüglich ein Energiekon-zept der Zukunft, das mit unabhängigen Wissenschaftle-rinnen und Wissenschaftlern, Umweltverbänden undkommunalen Energieversorgern erarbeitet werden muss,also nicht mehr die Handschrift der Energiekonzerne tra-gen darf. Dazu gehören aus unserer Sicht ein Sofortpro-gramm für die erneuerbaren Energien, ein umfassendesEnergieeffizienzprogramm, ein Netzumbauplan, die Ent-wicklung und Etablierung effizienter Speichertechnolo-gien und eine Dezentralisierung und Rekommunalisie-rung der Energieerzeugung.
Achtens. Die Bundesregierung muss sich bei der Or-ganisation der Vereinten Nationen und der EuropäischenUnion entschieden für einen weltweiten bzw. europäi-schen Ausstieg aus der Atomenergie für militärischeZwecke sowie zur Energiegewinnung einsetzen. DasGleiche gilt für ein Moratorium für sämtliche weltweitbzw. europaweit geplanten Neubauten von Atomanlagen –egal ob für militärische Zwecke oder zur Energiegewin-nung.
Eine Volksinitiative der europäischen Völker zu diesenFragen wäre sehr zu begrüßen.
Heute haben wir die Chance, zu beweisen, dass wirspät – für die Japanerinnen und Japaner zu spät – Lehrenaus Ereignissen ziehen können. Heute können wir be-weisen: Der Deutsche Bundestag entscheidet nicht län-ger im Interesse der Atomlobbyisten, sondern im Inte-resse der Bevölkerung unseres Landes und sendet zurLösung einer Menschheitsfrage ein wichtiges Signalweit über Deutschland hinaus.
Das Wort hat nun der Kollege Volker Kauder für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Wenn man abends die Nachrichten einschaltet oder tags-über im Büro einen Blick auf das Fernsehgerät wirft,kann man die Bilder, die aus Japan zu uns herüberkom-men, kaum aushalten. Man kann sich buchstäblich vor-stellen, wie man selber in einer solchen Situation reagie-ren würde, welche Sorgen und Ängste man um sich,seine Familie, seine Kinder hätte.Gleichzeitig erlebt man Menschen, die in einer Ruhe,wie ich sie bei solchen Katastrophen bisher noch nichterlebt habe, versuchen, ihr Land wieder aufzubauen unddie Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann nur sagen:Man ist betroffen und beeindruckt zugleich. Die Bilder,die aus Japan kommen, verschlagen einem die Sprache.
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Volker Kauder
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Vor diesem Hintergrund habe ich es als eine völlignormale Reaktion betrachtet, dass der Parteivorsitzendeder SPD, Gabriel, am Sonntag gesagt hat, dass man ge-nau dieses Unfassbare, was in Japan geschehen ist, nichtinstrumentalisieren darf. Ich fand das eine bemerkens-werte Aussage, Herr Gabriel. Leider Gottes hat sie nurein paar Stunden gehalten. Das ist das Traurige daran.
Natürlich ist doch völlig klar, dass man sich die Fragestellt: Wie geht es nach diesem Drama in Japan weiter –in diesem Land, in Deutschland, in Europa und überall inder Welt? Als ob es nicht schon genug gewesen wäre,dass durch Erdbeben und Tsunami ein Teil des Landeseinfach weggespült wurde, kommt jetzt auch noch diesesDrama um das Kernkraftwerk in Japan hinzu.Um es noch einmal klar zu sagen, Herr Gabriel: IhreAussage stimmt nicht. Wir haben in unserem Energie-konzept klar formuliert: Ausstieg aus der Kerntechnolo-gie und Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Ener-gien. Das war vor den Ereignissen in Japan, HerrGabriel, nicht danach.
Ich glaube, dass die Menschen für die Schlachten derVergangenheit überhaupt kein Verständnis haben.
Es kommt auch gerade nicht darauf an, zu sagen, ob manrecht gehabt hat oder nicht.
Es kommt jetzt auf die entscheidende Frage an: Was ler-nen wir und was müssen wir aus dem konkreten Vorganglernen, und wie sieht die Zukunft der Energieversorgungin unserem Land und in Europa aus? Das ist die ent-scheidende Frage.
Um eine solche Diskussion nach diesem Aufwühlen-den, das wir aus Japan sehen, wirklich ernsthaft führenzu können, war es richtig, Frau Bundeskanzlerin, das Si-gnal zu geben: Wir meinen es ernst mit der Überprüfung,wir machen nicht einfach so weiter, sondern wir habendeswegen ein Moratorium beschlossen, sodass wir einenTeil aussetzen und noch einmal genau überprüfen, wiedie Lage nach den Ereignissen in Japan jetzt aussieht. –Das ist richtig, und das tragen wir aus den Koalitions-fraktionen auch mit.
Natürlich hat es im Vorfeld dieses EnergiekonzeptesDiskussionen über die Frage gegeben, wie Laufzeitenausgestaltet werden sollen – auch in unserer Fraktion.Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, von dem wir derMeinung sind, dass es in der konkreten Situation richtigwar. Umso beeindruckter und dankbarer war ich danndarüber – das muss ich auch einmal sagen –, dass derAntrag, der heute vorgelegt wird, am letzten Dienstag inunserer Fraktionssitzung einstimmig verabschiedetwurde. Das zeigt: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktionsteht geschlossen hinter dem, was die Bundeskanzlerinheute Morgen vorgetragen hat.
Natürlich erlebe ich Diskussionen, in denen Fragengestellt werden. Das ist völlig in Ordnung. Wir habenuns auf ein Moratorium, eine Denkpause, verständigt.Dieses Moratorium kann man nur dann ernsthaft durch-führen, wenn man nicht schon beim Start weiß, was amEnde herauskommen soll.
Das wäre keine Überprüfung, sondern die Fortsetzungeiner Ideologie,
die wir jetzt gerade nicht brauchen können.
Natürlich wissen wir, dass es trotz aller Sicherheitsan-forderungen – und ich bin der Überzeugung, dass wirjetzt schon die sichersten Kernkraftwerke haben – in die-ser Technologie ein Restrisiko geben kann und gibt.
Es wird die Frage zu klären sein: Welches Restrisiko tra-gen wir?Ich will Ihnen von Rot-Grün einmal etwas sagen:
Es ist unglaublich, wie Sie sich aufführen. Sie sagen,Kernenergie sei nicht verantwortbar, haben aber in Ih-rem rot-grünen Kompromiss zur Kernenergiepolitik dieKernkraftwerke 20 Jahre lang weiter am Netz gehalten.
Was gilt nun eigentlich? Sie haben sich damals – HerrTrittin spricht ja gleich –, als Sie ausgestiegen sind, die-sen Ausstieg mit Verzicht auf Sicherheit erkauft, meineDamen und Herren von Rot-Grün.
Wir haben immer formuliert: Wir wollen, dass an derSicherheit keinerlei Abstriche gemacht werden. Deswe-gen habe ich die Differenzierung zwischen alten undneuen Kernkraftwerken nie akzeptiert.
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Volker Kauder
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Ein Kernkraftwerk muss die bestmögliche Sicherheit ha-ben, ganz egal, wie jung oder wie alt es ist.
Es überzeugt nicht, wenn Sie sagen: Die alten nehmenwir vom Netz, ohne zu prüfen, ob sie sicher sind, und dieneuen lassen wir einfach weiterlaufen.
Unsere Politik heißt: Sicherheit zuerst! Das ist unserMotto.
Danach verfahren wir jetzt auch in dem Moratorium.Dieses Moratorium ist nichts anderes als die Konkreti-sierung unserer Aussage „Sicherheit zuerst“.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist rich-tig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir könnennicht blauäugig nach dem Motto „Sicherheit zuerst“ nurin Deutschland verfahren. Wir sind umgeben von Kern-kraftwerken, zum Beispiel von Kernkraftwerken imOberrheingraben, auf der anderen Seite des Rheins. Dortmüssen die Fragen nach der Sicherheit genauso gestelltwerden. Die Frage der Sicherheit der Kernenergie istkeine nationale, sondern inzwischen eine weltweite He-rausforderung.
Sämtliche kleinkarierte Diskussionen nützen da über-haupt nichts.
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Schlecht?
Es ist ebenfalls klar, dass wir in dem Moratoriumnicht nur die Frage „Sicherheit zuerst“, sondern auch dieFrage nach der Sicherstellung der Energieversorgungstellen müssen und werden. Es ist völlig klar, dass wir ineinem Land, das die Arbeitslosigkeit durch den Erfolgder Industrie überwunden hat, nicht so tun können, alsob Industrie und Sicherheit von Arbeitsplätzen mit derEnergieversorgung nichts zu tun hätten. Das geht aufkeinen Fall.
Ich höre bereits die Rufe aus der einen oder anderenEcke: Natürlich muss das, wenn wir zum Abschaltenoder früheren Vom-Netz-Nehmen von Kernkraftwerkenkommen, ausgeglichen werden. Ich kann nur sagen:Wenn wir es in diesem Hause ernst meinen mit den vie-len Diskussionen, die wir bezüglich des Klimawandelsbereits geführt haben und die wir noch führen werden,dann kann man jetzt nicht auf einmal so tun, als ob dasThema „Sicherstellung der Energieversorgung“ frei vonsolchen Überlegungen wäre.
Das ist es eben nicht. Deswegen geht es nicht nachdem Motto: Dann müssen mehr Kohlekraftwerke gebautwerden.Heute Morgen las ich, was Ministerpräsident Platzeckgesagt hat. Angesichts der Tatsache, dass 13 000 Ar-beitsplätze im Kohleabbau und der -verstromung beste-hen, antwortet Herr Platzeck auf die Fragen, ob jetztnicht bei der Kohle aufgerüstet werden müsse, wie esmit der Umwelt aussehe und ob man nicht CCS machenwolle: Wenn CCS keine beherrschbare Technologie ist,verwenden wir sie nicht.
Aber ich sage Ihnen: Einen weiteren Ausbau der Koh-leverstromung, ohne dass wir die CO2-Problematik be-achten, sehe ich noch nicht, meine sehr verehrten Damenund Herren.
Deswegen führt der Weg ganz eindeutig in den schnelle-ren Ausbau erneuerbarer Energie.
– Da brauchen Sie gar nicht so zu rufen.Ich will Ihnen jetzt eine Zahl vorstellen: Als Sie da-mals den Ausstieg beschlossen haben – man muss immerbetonen, dass das ein Ausstieg war, der Kernkraftwerkenoch weitere 20 Jahre am Netz hält –, haben Sie relativwenig für den Ausbau erneuerbarer Energie getan.
Sie haben die Photovoltaik – –
– Sehr gut, Frau Künast, Sie geben mir das Stichwort.
Sie haben den bemerkenswerten Satz gesagt: Die erfolg-reiche Automobilindustrie muss schrumpfen, und dieSolarenergie muss wachsen.
Jetzt sage ich Ihnen, was Sie mit Rot-Grün erreichthaben. Der Anteil des Stroms, der aus erneuerbarenEnergien stammt, liegt heute bei 17 Prozent.
Die Solarenergie macht genau 2 Prozent aus, meine Da-men und Herren.
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Volker Kauder
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Mit diesem Ausbau werden wir in 20 Jahren nicht beimehr als den 50 Prozent sein, die wir brauchen.
Deswegen muss der Weg rasch zur Windenergie und indie großen Windparks führen.Frau Künast und Herr Trittin, ich freue mich schondarauf, dass Sie mit uns Seite an Seite von Kommune zuKommune ziehen und dafür werben, dass wir die dafürnotwendigen Trassen ausbauen. Das ist eine Demonstra-tion für den Ausbau der Infrastruktur, die notwendig ist,um dieses Land voranzubringen.
Ich bin sehr gespannt, ob Sie bereit sind, aus der Da-gegen-Partei zu einer Dafür-Partei zu werden.
Das, was die Bundeskanzlerin ausgeführt hat, ist rich-tig. Es gibt Situationen im privaten und im öffentlichenLeben, bei denen nachher nichts mehr so ist, wie es vor-her war. Deshalb machen wir in diesem MoratoriumErnst mit der Aussage: Sicherheit zuerst. Wir laden alleein, sich an dieser Diskussion zu beteiligen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
lege Schlecht für die Fraktion Die Linke.
Herr Kauder, wenn man Ihre Rede anhört, kann man
sicherlich Übereinstimmungen mit Ihnen bei der Bewer-
tung der bedrückenden Situation in Japan finden.
Aber ich muss feststellen: Sie haben aus Ihren Be-
obachtungen überhaupt nichts gelernt.
Ihre Philosophie ist nach wie vor, dass man Atomkraft-
werke sichermachen könne.
Japan hat Folgendes gezeigt – das war vor 25 Jahren
nach Tschernobyl schon völlig klar; das ist spätestens
nach der Katastrophe in Japan überdeutlich geworden –:
Das einzig Sichere an der Atomkraft sind die Unsicher-
heit und die gigantische Gefährdung der Bevölkerung.
Sie verfolgen weiterhin die Philosophie, man müsse die
Atomkraft nur sicherer machen; dann könne man sie
auch noch weitere 10, 20 oder 30 Jahre in diesem Lande
tolerieren. Es ist unverantwortlich, was Sie hier vorge-
tragen haben.
Das wird auch dadurch überdeutlich, dass sich Ihr Mi-
nisterpräsident in Baden-Württemberg, der im Volks-
mund einmal Rambo-Mappus, ein anderes Mal Atom-
Mappus heißt, im letzten Jahr als Vorkämpfer der Lauf-
zeitverlängerung aufgespielt hat. Er wollte Minister
Röttgen sogar aus dem Kabinett werfen, weil er nicht za-
ckig genug funktioniert hat. Es ist absolut unglaubwür-
dig, was in Baden-Württemberg passiert. Ihre Bemer-
kungen hier belegen sehr deutlich, dass man davon
ausgehen muss, dass bestenfalls die Kraftwerke ein biss-
chen optimiert werden. Aber auch Sicherheitsoptimie-
rungen bieten keine Gewähr dafür, dass nicht apokalyp-
tische Katastrophen auf die Bevölkerung zukommen.
Danke schön.
Sehr geehrter Herr Kollege, man sollte nicht glauben,
dass Sie während meiner Rede hier auf Ihrem Platz im
Deutschen Bundestag gesessen sind. Ich habe nämlich
das glatte Gegenteil von dem gesagt, was Sie gerade un-
terstellt haben. Ich habe gesagt, dass wir während des
Moratoriums alles auf den Prüfstand stellen und nach
dem Moratorium auf Grundlage der zusätzlichen Er-
kenntnisse, die wir gewonnen haben, entscheiden. Ich
will heute eigentlich keine Schärfe in die Diskussion
bringen.
– Warten Sie einmal ab, wenn es wirklich ernst wird. –
Aber eines will ich Ihnen sagen: Jemand, der jeden Tag
demonstriert, dass er offenkundig aus seiner eigenen
Vergangenheit nichts gelernt hat, braucht mir keine Be-
lehrungen zu geben.
Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich, wieviele Grüne, kämpfe seit 30 Jahren gegen die Atomener-gie. Wir haben in Brokdorf demonstriert, wir haben inGrohnde im Wendland demonstriert. Wir haben in einemsehr schwierigen Kompromiss ein Ausstiegsgesetz aufden Weg gebracht, das zum ersten Mal in der Geschichtebis dahin unbegrenzte Laufzeiten endlich begrenzt.
Aufgrund dieses Gesetzes sind die Kraftwerke inStade, Obrigheim und Mülheim-Kärlich vom Netz ge-gangen, in diesem Jahr wären die Kraftwerke Neckar-westheim 1, Biblis A und Isar 1 dazugekommen. Sie wä-ren endgültig stillgelegt worden und müssten nicht nurdrei Monate pausieren.
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10902 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Jürgen Trittin
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Für dieses Engagement haben wir einen Grund: EineTechnik, bei der nichts schiefgehen darf, ist nicht verant-wortbar, sie ist nicht menschengerecht; denn Menschenund ihre Technik machen Fehler. Ich sage Ihnen den-noch: Ich hätte nie geglaubt, dass in einem Land wie Ja-pan parallel in sechs Reaktorblöcken diese Anlagen au-ßer Kontrolle geraten können. Ich hätte nicht geglaubt,dass wir in drei Reaktorblöcken heute von einer Kern-schmelze ausgehen müssen. Ich hätte auch, ehrlich ge-sagt, nicht geglaubt, dass wir in eine Situation geraten, inder drei Brennelementelager nicht mehr zu kühlen sindund sich entzünden. Ich hätte mir nicht vorstellen kön-nen, dass nach Hiroshima Japan mit Fukushima einezweite atomare Katastrophe droht. Deswegen muss un-ser Mitgefühl den Menschen gelten. Wir sollten jenenTapferen, die unter Einsatz ihres Lebens – das ist wört-lich zu nehmen: unter Einsatz ihres Lebens – zu rettenversuchen, was vielleicht nicht mehr zu retten ist, dan-ken.
Dieser Unfall ist eine tiefe Zäsur; die Menschen emp-finden das so. Vor zwei Tagen haben spontan über100 000 Menschen an Mahnwachen teilgenommen.Aber auch in ganz anderen Kreisen spielt das plötzlicheine Rolle. Ich bekomme monatlich von einem Finanz-berater ein Finanztelegramm in Form einer E-Mail. Waspassiert im März? Da, wo sonst für langfristige Wertpa-piere geworben wird, prangt ein Aufkleber, auf demsteht: „Atomkraft? Nein danke“. Und: Tun Sie was fürden Ausstieg – wechseln Sie Ihren Stromanbieter. Daszeigt, es gibt in diesem Lande heute einen breiten Kon-sens, auszusteigen, und zwar wirklich, und es gibt einenKonsens, schneller auszusteigen.
Diesen Konsens spüren auch Sie. Herr Mappus hatgesagt, er sei in einem emotionalen Ausnahmezustand.In dieser Situation gehört alles auf den Prüfstand. Dazugehört auch, dass wir Risiken realistisch betrachten unddarstellen. Den Menschen müssen wir sagen: Ja, es istwahr, dass in Deutschland Erdbeben dieser Größenord-nung nicht wahrscheinlich sind. Aber es ist auch wahr,dass das im Rheingraben stehende AKW Biblis überJahre nicht gegen die dort möglichen Erdstöße ausgelegtwar, weil über 1 000 armdicke Dübel falsch montiertwaren. Wir haben das nicht mehr durchgehen lassen. Wirhaben die hessische Atomaufsicht gezwungen, diesenMissstand endlich zu beenden.
Von wegen Sicherheitsrabatt!Wir alle mussten jetzt lernen, dass man Kühlwasserkorrekt mit Bor versetzen muss. Das war im Atomkraft-werk Philippsburg 1 nicht die Regel. Ich musste damalsper Bundesaufsicht die baden-württembergische Auf-sicht zwingen, dieses AKW so lange vom Netz zu neh-men, bis EnBW endlich für ein richtiges Sicherheits-management gesorgt hat.
Es gibt Wasserstoffexplosionen, wie in Brunsbüttel2001. Es gibt auch ein Verhalten wie das von Vattenfall,das geglaubt hat, es könne den Reaktor einfach weiterbetreiben, bis es von der Aufsicht gezwungen wurde, ihnvom Netz zu nehmen.Meine Damen und Herren, verehrte Frau Bundes-kanzlerin, die Kraftwerke, von denen ich hier rede, nen-nen Sie „die sichersten Atomkraftwerke der Welt“.
Was glauben Sie eigentlich, was die Schweizer oder dieschwedische Regierung über ihre Kraftwerke sagen?Was glauben Sie, hätte der japanische Ministerpräsidentnoch letzte Woche über seine Kraftwerke gesagt? Sieüberschätzen sich und Ihre eigenen Anlagen, wenn Sieso über die realistischen Risiken in deutschen Atom-kraftwerken hinwegreden.
Sie haben diesen Altanlagen ohne Sicherheitsüber-prüfung, ohne Nachrüstauflage, mit abgesenkten Sicher-heitsstandards in Ihrem Herbst der Entscheidungen achtJahre Laufzeitverlängerung gegeben. Lieber HerrKauder, natürlich unterscheiden Sie zwischen Alt undNeu. Schauen Sie einmal in das von Ihnen verabschie-dete Gesetz: Die Anlagen der einen Kategorie habeneine Laufzeitverlängerung von 14 Jahren bekommen,und die Anlagen der anderen Kategorie haben eine von8 Jahren bekommen. Auch Herr Kauder unterscheidetzwischen Alt und Neu, aber nur bei der Auswahl der Ge-schenke für die Atomindustrie.
Wir wollen, dass diese Kraftwerke plus Krümmel jetztund endgültig und nicht vorübergehend vom Netz gehen.Das ist die Voraussetzung für jedes ernsthafte Nachden-ken.Es ist nicht ernsthaft, Frau Bundeskanzlerin, zu be-haupten, man schaffe ein dreimonatiges Moratorium. Ichhätte nicht geglaubt, dass ich jemals in die Situationkomme, dem Kollegen Heinrich Sander von der FDP zu-zustimmen. Er hat recht: Eine ernsthafte Sicherheits-überprüfung von Anlagen ist in drei Monaten nicht mög-lich; dafür braucht man ein bis anderthalb Jahre. Aufwelcher Grundlage wollen Sie vorgehen? Wollen Sievorgehen auf der Grundlage Ihrer mit der letzten Atom-gesetznovelle abgesenkten Sicherheitsstandards? Sollendann nur die angemessenen und geeigneten Maßnahmengelten, oder soll dabei der Stand von Wissenschaft undTechnik gelten?
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Jürgen Trittin
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Wenn dieser gelten soll, lieber Herr Röttgen, dannmüssen Sie das kerntechnische Regelwerk in Kraft set-zen. Das ist übrigens ganz einfach: Sie müssen ein Do-kument unterschreiben;
das kommt dann in den Bundesanzeiger. Sie müssen we-der die Bundeskanzlerin noch Herrn Brüderle nochHerrn Fuchs fragen. Sie können es einfach machen. Esist allein Ihre Kompetenz, aber es ist auch Ihre Verant-wortung.
Deswegen sage ich zum Schluss: Frau Bundeskanzle-rin, Sie haben davon gesprochen: Wir brauchen einenAusstieg mit Augenmaß. – Ihr Regierungssprecher hatdas Wort „Augenmaß“ präzisiert. Herr Seibert sagt:Selbstverständlich gilt das Energiekonzept weiter, unddeswegen laufen die Anlagen bis 2040. – Das ist einAusstieg mit Augenmaß?Das ist übrigens noch nicht einmal die ganze Wahr-heit. Wenn die Betreiber der Altkraftwerke – und dassteht allein in ihrem Belieben – diese Laufzeiten auf dieneueren Anlagen übertragen, dann reden wir von Lauf-zeiten bis 2050. Das ist kein Ausstieg mit Augenmaß;das ist die Bestandsgarantie für eine gescheiterte Tech-nik.
Ja, wir müssen raus, und zwar schneller. Das ist unbe-quem. Das ist unbequem für Sie, weil Sie Ihre Blockadeder Windenergie in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg endlich aufgeben müssen, wo weniger als1 Prozent des Stroms aus Windenergie erzeugt wird.
Es ist unbequem für die FDP, für Herrn Lindner undauch für manche Sozialdemokraten, die meinen, damitkönnte man wieder auf die Kohle setzen. Kohle wird denAusbau erneuerbarer Energien jedoch ausbremsen. Des-wegen geht das nicht.
Es ist unbequem für die Grünen, weil es jetzt nichtmehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie vonmehr Strom aus Biogas geht. Es ist unbequem für unsalle, weil wir Leitungen bauen und Pumpspeicherkraft-werke errichten müssen.
– Ja. – Wir alle werden uns mit unseren Ortsverbändendarüber auseinandersetzen müssen.
– Auch Sie im Thüringer Wald mit Ihren FDP-Ratsfrak-tionen, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Trittin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Es
wird nicht billiger. Es kostet mehr. Wir müssen anderer-
seits aber auch klar sagen: Was ist das gegen die Kosten,
vor denen heute Japan angesichts dieser Katastrophe
steht?
Deswegen heißt es: Wir müssen raus aus der Atomener-
gie, schneller als vorgesehen. Das Restrisiko ist nach Fu-
kushima nicht länger zu verantworten. Das ist der rich-
tige Weg.
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei derSicherheitsdebatte geht es nicht darum, ob wir Kern-kraftwerke im Rahmen der genehmigten Auslegung si-cher betreiben können. Wenn das nicht gewährleistetwäre, dann hätten Sie, Herr Trittin, und Sie, HerrGabriel, die Pflicht gehabt, diese Kraftwerke unverzüg-lich abzuschalten und keinen Übergang von 20 Jahren zugestatten.
Die Lehre aus Japan ist eine andere. Sie besteht in derFrage, ob die Annahmen unserer Sicherheitsphilosophiekorrekt sind. Reichen die Sicherheitspuffer aus? Sind diePuffer für die größtanzunehmenden äußeren Einwirkun-gen – ich nenne nur: Erdbeben – ausreichend? Genau dasist das Problem, das Japan ereilt hat. Die Puffer habennicht gereicht.Deshalb genügt es nicht, nach dem bisherigen oderdem neuen kerntechnischen Regelwerk die Kernkraft-werke zu überprüfen. Nein, auch das Regelwerk selbstmuss überprüft werden; denn es geht um die Annahmen,die den Sicherheitsregeln zugrunde liegen. Das ist eineneue Dimension der Diskussion um die Sicherheit unse-rer Kernkraftwerke.
Die Sicherheitsüberprüfung ist notwendig, weil diegleichen Risiken vor diesem Hintergrund anders zu be-werten sind. Die Kernkraftwerke müssen, wenn sie denneuen Anforderungen an die Sicherheitspuffer nicht ent-
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10904 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Michael Kauch
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sprechen, nachgerüstet werden. Wenn sie nicht nachge-rüstet werden können oder wenn das wirtschaftlich kei-nen Sinn macht, dann müssen sie abgeschaltet werden,unabhängig von möglichen Laufzeiten.
Die Koalition von Union und FDP hat bereits bei derDebatte über die Laufzeitverlängerung einen neuen Pa-ragrafen in das Atomgesetz eingefügt, durch den dieAufsicht die Handhabe dafür hat, so zu handeln, wie wires jetzt tun. Aufgrund des alten Atomgesetzes, wie esunter Rot-Grün existierte, war die Aufsicht nur in derLage, die Anlage dem genehmigten Auslegungszustandentsprechend immer wieder nach Wissenschaft undTechnik nachrüsten zu lassen.
Die Aufsicht hatte jedoch nicht die Handhabe,
auch die Sicherheitsannahmen grundlegend zu revidie-ren. Das ist erst mit § 7 d, den Schwarz-Gelb in dasAtomgesetz eingefügt hat, möglich geworden.
Das heißt, wir haben schon im letzten Jahr die Voraus-setzung dafür geschaffen, dass in einer Situation, wie siejetzt eingetreten ist, entsprechend gehandelt werdenkann.
Wenn wir über Kernenergie sprechen, dann müssenwir über das Energiekonzept sprechen. Denn klar ist:Wir betreiben die Kernkraftwerke in Deutschland nicht,um einigen Unternehmen einen Gefallen zu tun,
sondern wir betreiben sie, weil das IndustrielandDeutschland darauf angewiesen ist, dass wir eine Ener-gieversorgung bereitstellen, die jederzeit die Nachfragedeckt. Dabei geht es nicht ausschließlich um die Mengeerzeugter Energie. Es geht um die Stabilität unsererEnergieversorgung. Das ist die Herausforderung, vor derwir stehen. Wenn wir Atomkraftwerke vom Netz neh-men, geht es nicht einfach um die Erhöhung der Strom-menge aus erneuerbaren Energien; vielmehr geht es da-rum, dass diese Strommengen in das Netz integriertwerden können. Das ist die Herausforderung: Wir müs-sen die Stabilität unserer Energieversorgung sichern.Das kann man im Deutschen Bundestag nicht einfachmit Schnellschüssen mal eben beschließen. Es sind dieFolgen mit zu bedenken.
Deswegen müssen wir, wenn wir wissen, wie vieleKraftwerke abgeschaltet werden sollen, das Energiekon-zept anpassen. Aber die Grundachse des Energiekonzep-tes bleibt auch bei einer vorzeitigen Abschaltung einesTeils der Kernkraftwerke erhalten: Wir wollen das Zeit-alter der erneuerbaren Energien erreichen. Wir habenschon im bisherigen Energiekonzept beschlossen, dassim Jahr 2050 kein einziges Kernkraftwerk mehr am Netzsein wird. Wir haben beschlossen, dass 80 Prozent desStroms aus erneuerbaren Quellen kommen sollen. Daswollen wir deshalb erreichen, weil wir die CO2-Emissio-nen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent mindern wollen. Dasist der Kern des Energiekonzeptes: der Umbau der Ener-gieversorgung hin zu erneuerbaren Energien. Das wer-den wir als Koalition jetzt beschleunigen.
Wir dürfen die Debatte um die Kernkraft nicht vonder Debatte um den Klimaschutz loslösen. Das, was vorwenigen Wochen auch hier im Deutschen Bundestag dis-kutiert worden ist, ist heute nicht weniger wichtig ge-worden. Klimaschutz bedeutet eine Zukunftsvorsorgefür kommende Generationen. Er bedeutet auch eineZukunftsvorsorge in Bezug auf die Sicherung von Men-schenleben, die ansonsten in vielen Ländern durchÜberschwemmungen, Wetterereignisse und ähnlichePhänomene gefährdet wären. Deshalb geht es bei unse-rem Energiekonzept um die Versorgungssicherheit, abereben auch um den Klimaschutz. Diesen können wir nichteinfach über Bord werfen. Aus diesem Grunde könnenwir nicht einfach die Kohlekraftwerke oder die Gaskraft-werke hochfahren. Nein, wir brauchen mehr erneuerbareEnergien, und das geht nur, wenn die Netze ausgebautwerden, wenn die Proteste endlich aufhören und Geneh-migungsverfahren mit einer Dauer von bis zu acht Jah-ren der Vergangenheit angehören. Wir müssen den Netz-ausbau schneller hinbekommen, sonst wird es nichtmehr erneuerbare Energien in diesem Lande geben.
Wir werden die Speicherentwicklung vorantreiben.Wir werden im Erneuerbare-Energien-Gesetz Anreizefür die Integration in das Netz geben und damit dafürsorgen, dass erneuerbare Energien eingespeist werden,wenn es notwendig ist. Es gibt daneben die unbequemeWahrheit: Wir werden auch die CO2-Abscheidung und -Ein-lagerung in die Erde als technologische Option brauchen.Auch hier muss der eine oder andere umdenken, seineregionalen Interessen zurückstellen und die nationaleAufgabe des Klimaschutzes und der Versorgungssicher-heit sehen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Frank-Walter Steinmeiervon der SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10905
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der sich bei
den Bildern dieser Tage an 9/11 erinnert fühlt. An die-
sem Tag gab es Tausende von Opfern, ein Symbolbau-
werk des Westens stürzte in sich zusammen. Wir wuss-
ten damals von dieser Stunde an: Die Welt wird nicht
dieselbe sein.
Was wir in Japan mit Grauen und Entsetzen den
stündlich neuen Nachrichten – so auch jetzt wieder – und
Bildern entnehmen, zeigt: Das ist im Vergleich zu 9/11
eine Katastrophe in geradezu quälender Zeitlupe – Tage
ohne Gewissheit über die wirklichen Dimensionen die-
ser schrecklichen Folgen. Doch ahnen wir in diesen Ta-
gen der Ungewissheit: Auch dieses Mal wird die Welt
danach nicht dieselbe sein.
Was wir erleben, ist ganz ohne Zweifel eine Katastro-
phe apokalyptischen Ausmaßes, eine Katastrophe mit
unfassbarem Leid und Tod, eine Katastrophe, die Ge-
wissheiten aus der Vergangenheit radikal infrage stellt.
Angesichts der sich weiter zuspitzenden Schreckensmel-
dungen ist es schwer, in den Routinen unseres Alltags
immer die richtige Sprache zu finden. Wenn wir an sol-
chen Tagen des tausendfachen Leids gelegentlich um
Worte ringen, dann muss das vielleicht gar nicht schlecht
sein; denn ganz zuvörderst ist dies die Stunde der Anteil-
nahme und Solidarität. Ich möchte dem Bundestagsprä-
sidenten ausdrücklich für die Worte danken, die er ges-
tern in unser aller Namen gefunden hat.
Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Op-
fer, bei den mittlerweile 100 000 Kindern, die nach ihren
Eltern suchen und die jetzt bei den vielen Helferinnen
und Helfern sind. In diesen Stunden sind unsere Gedan-
ken ganz besonders bei denen, die in Fukushima unter
Einsatz ihres Lebens – ich vermute, in Kenntnis aller Ri-
siken – darum kämpfen, das Allerschlimmste zu verhin-
dern. Möglicherweise gelingt ihnen nicht einmal das.
In dieser Situation des Schreckens muss sich das japa-
nische Volk auf unsere Solidarität und unsere Hilfe ver-
lassen können. Nicht nur die Bundesregierung und die
Hilfsorganisationen, sondern auch die Menschen in
Deutschland – da bin ich mir ganz sicher – werden ihre
Hilfsbereitschaft in den nächsten Tagen unter Beweis
stellen.
Die Menschen in Deutschland werden Solidarität
üben. Aber sie sind zugleich besorgt. Sie zeigen zwar
keine Anzeichen von Panik und Hysterie, aber sie sind
verunsichert und irritiert. Japan ist weit entfernt, aber
uns in vielem doch so ähnlich. Manche sagen: in dem
Hang zur Perfektion; andere sagen: auch in der Arbeits-
moral; Dritte sagen: ganz sicherlich, was die wirtschaft-
liche Stärke angeht.
Wir sind wie Japan ein rohstoffarmes und ein Hoch-
technologieland. Weil das so ist, fragen sich jetzt ganz
viele, ob das, was in Japan passiert, auch bei uns passie-
ren kann. Sie fragen eben nicht die Wirtschaft und spe-
ziell die Energiewirtschaft, sondern sie fragen uns, die
Politik, ob wir verantworten können, was wir tun.
So sehr ich verstehe, Frau Merkel, dass Ihnen die Dis-
kussion zur Unzeit kommt: Wir werden diese Fragen
nicht einfach wegdrücken können. Das haben auch Sie
in den letzten Tagen lernen müssen. Das Leid in Japan
zu instrumentalisieren, um hier in Deutschland eine De-
batte über die Folgen einer falschen Politik nicht führen
zu müssen, das wird nicht gehen, und das wird Ihnen
auch die Bevölkerung nicht durchgehen lassen.
Herr Kollege Steinmeier, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Schlecht?
Ja.
Bitte, Herr Schlecht.
Herr Steinmeier, Sie haben eben die momentanen
Sorgen der Bevölkerung beschrieben. Diese Sorgen
müsste die Bevölkerung und müssten wir alle gemein-
sam nicht haben, wenn der Atomausstieg in den sieben
Jahren Amtszeit von Rot-Grün wirklich vollzogen wor-
den wäre, und zwar unumkehrbar.
Weshalb haben Sie eigentlich damals in den sieben
Jahren Ihrer Amtszeit nicht Ihr Versprechen aus dem
Wahlkampf 1998, das auch in der Koalitionsvereinba-
rung festgeschrieben wurde – dass Sie so schnell wie
möglich den Atomausstieg vollziehen wollen; „so
schnell wie möglich“ kann ja wohl nicht sieben Jahre
heißen –, gehalten und die AKW-Politik in Deutschland
beendet? Dann hätten Sie dem deutschen Volk all die
Probleme, die wir jetzt mit der Laufzeitverlängerung
usw. haben, ersparen können. Was waren die Gründe,
weshalb Sie das so gemacht haben?
Herr Kollege, das nenne ich wirklich Mut! Sie kom-men aus der Tradition einer Partei, die in für mich unver-ständlicher Weise immer wieder gesagt hat: Atomkraft-werke in Volkshand sind vertretbar und verantwortbar. –Wer das sagt, der hat uns keine Belehrungen zu erteilen!
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10906 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Herr Kauder, Sie haben in Ihrer gerade gehaltenenRede dafür plädiert, keine Debatte über die Vergangen-heit zu führen. Die Debatte, die nicht nur im DeutschenBundestag, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeitgeführt wird, ist eben keine Debatte über die Vergangen-heit, sondern eine Debatte über die verhängnisvoll fal-sche Politik Ihrer Gegenwart, Herr Kauder. Darum gehtes!
Ich unterstelle Ihnen, dass Sie nicht all das, was Siehier gesagt haben, wirklich ernst meinen. Denn Sie ha-ben in den letzten Tagen gemerkt, dass Sie mit Ihrenenergiepolitischen Pirouetten, die Sie auf ganz dünnemEis vollführen, nicht wirklich glaubwürdig sind.Niemandem ist es verwehrt, aus Katastrophen zu ler-nen, ganz im Gegenteil: Wer aus solchen Katastrophennichts lernt, der hat in der Politik nichts zu suchen. Aberdieses Lernen muss ernsthaft und glaubwürdig sein. Werheute das Gegenteil von dem verkündet, was er überJahre hinweg vertreten hat, der muss verstehen und ak-zeptieren, dass es Zweifel an seiner Glaubwürdigkeitgibt,
und der kann auch nicht beklagen, Frau Merkel, dass ander einen oder anderen Stelle bohrend nachgefragt wird.Frau Merkel, Ihr Glaubwürdigkeitsproblem, das heuteMorgen noch einmal zutage getreten ist, können nur Sieselbst aus der Welt schaffen. Sie haben die Atomkraft inIhrer gesamten politischen Laufbahn gegen alle Kritikverteidigt. Sie haben Tschernobyl als Betriebsunfall ei-nes verlotterten Sozialismus abgetan. Sie haben geleug-net und nicht akzeptiert, dass erstmals mit Tschernobyldie Beherrschbarkeit einer Hochrisikotechnologie in-frage gestellt war. Sie haben den Atomkonsens leichtfer-tig und ohne Not aufgekündigt und die Verlängerung derLaufzeiten durchgesetzt. Und da können Sie alle mitei-nander noch so viel darum herumreden: Das werden dieMenschen nicht vergessen. Machen Sie sich daraufkeine Hoffnungen!
Mein Eindruck war schon im letzten Jahr, dass es Ih-nen allen an dem nötigen Verständnis nicht nur für diegesellschaftspolitische, sondern auch für die ökologischeund am Ende sogar wirtschaftspolitische Dimension die-ser Frage und des Atomkonsenses immer schon gefehlthat.Ich habe schon damals, lange vor Japan, Herr Kauder,befürchtet und sogar gesagt, dass selbst die Energiewirt-schaft den Tag verfluchen wird, an dem sie diese Regie-rung zur Laufzeitverlängerung getrieben hat. Ich habenicht geahnt und nicht gewusst, dass dieser Tag soschnell kommen wird. Ich habe ihn mir nicht einmal her-beigewünscht. Aber heute weiß die Energiewirtschaft:Sie wird schlechter dastehen als nach den Vereinbarun-gen, die sie mit dieser Bundesregierung getroffen hat.
Denn was ist jetzt nach der Katastrophe in Japan ein-getreten? Statt Laufzeitverlängerung haben wir eine Un-sicherheit, wie wir sie in der Geschichte der deutschenEnergiepolitik lange nicht gehabt haben. Zehntausendevon Menschen sind wieder auf der Straße. Sie können esja drehen und wenden, wie sie wollen: Kernkraftbefür-wortern wie Herrn Mappus steht doch die blanke Panikim Gesicht.Wir haben mit dem Atomkonsens – das sei an allediejenigen gesagt, die hier kritisch dazu berichtet haben;das ist vergessen worden – einen jahrzehntelangen Groß-konflikt in dieser Gesellschaft befriedet und gleichzeitigeinen verlässlichen Rahmen geschaffen, auch für dieWirtschaft – verlässliches Auslaufen der Kernenergieund gleichzeitig eine Brücke, mit der neue Formen derEnergieerzeugung etabliert werden können. Ganz neben-bei, weil das hier noch niemand erwähnt hat: Nur demAtomkonsens ist es zu verdanken, dass ein Reaktor in ei-nem deutschen Erdbebengefahrengebiet, nämlich dervon Mülheim-Kärlich, nicht ans Netz gegangen ist.Auch der war nach Ihrer Auffassung und nach Auffas-sung der Energiewirtschaft ein sicherer Reaktor.
Sie haben einen Konsens aufgekündigt – gegen dieMehrheit der Bevölkerung. Wenn sie jetzt sagen: „Wirnehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst“, dann ist daseben – mit Verlaub – nicht glaubwürdig. Diese Sorgengibt es nicht erst seit Fukushima; die gibt es seit Sella-field, seit Harrisburg, seit Tschernobyl, seit Forsmark.Ich könnte die Liste der Namen fortsetzen. Es ist ja gut,dass Sie jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmenwollen. Aber dann gehört eben auch – verdammt nochmal! – ein Wort der Einsicht dazu, warum Sie in der Ver-gangenheit so leichtfertig über diese Sorgen hinwegge-gangen sind.
Frau Merkel, nicht wir, diejenigen, die wir damalsden Atomkonsens auf die Beine gestellt haben und denAusstieg aus der Kernenergie vorbereitet haben, habenuns hier in diesem Hohen Haus und in der Öffentlichkeitzu entschuldigen. Zu entschuldigen haben sich diejeni-gen, die das Problem jahrelang, jahrzehntelang ignoriert,sich über alle Bedenken hinweggesetzt und Laufzeitenverlängert haben.
Die haben öffentlich Einsicht zu bekennen.Wenn Sie sich jetzt hinstellen und in verzweifelter Artund Weise völlig unglaubwürdig Kritik an Rot und Grünund den Versuchen, frühzeitig aus der Kernenergie he-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10907
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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rauszukommen, äußern, ist das nur allzu durchschaubar.Ich finde es dreist und unanständig.
Frau Merkel, da gibt es nichts zu lachen, sondern ichmeine das ganz ernst.
Wer sich so verhält wie Sie in dem mittleren Teil IhrerRegierungserklärung heute Morgen, darf nicht seiner-seits Respekt vom Parlament und der Opposition verlan-gen. Darum geht es.
Herr Kollege Steinmeier, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Herr Goldmann, Respekt darf auch derjenige verlan-
gen, der dieses Parlament ernst nimmt. Da bin ich mit
Ihnen einig.
Das Parlament nimmt man ernst, indem man das Parla-
ment mit den Fragen der Zukunft der Energiepolitik in
diesem Land beschäftigt und nicht nach dem Muster
handelt: Was kümmert mich das Gesetz von gestern? Es
ist doch peinlich, dass Verfassungsrechtler wie Herr
Morlok und – das beunruhigt Sie noch mehr –
der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
Herr Papier, Sie an den schlichten und einfachen Grund-
satz erinnern: Wer per Gesetz Laufzeiten verlängert,
muss sie auch per Gesetz zurücknehmen. Das ist ein
ganz schlichter Grundsatz.
Frau Homburger, wenn ich es richtig gelesen habe:
Sie haben das „Erbsenzählerei“ genannt. Ich nenne das
Rechtsstaat.
Wenn man in diesem Hause an einen wichtigen Grund-
satz des Rechtsstaats erinnern muss, dann beunruhigt
mich das wirklich – ich hoffe, auch Sie.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieKernforderung unseres Entschließungsantrags zur Kata-strophe in Japan und den Konsequenzen für Deutschlandist „ein Innehalten und Nachdenken über das Gesche-hene.“ Es geht nicht um Hysterie und Hektik, sonderndarum, die Gelegenheit zu einer besonnenen Überprü-fung der eigenen Standpunkte zu schaffen. Die logischeKonsequenz aus dem „Innehalten und Nachdenken“ istauch das Moratorium bei der Laufzeitverlängerung unddie einstweilige Abschaltung der genannten Kraftwerke.
Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat unsgestern daran erinnert, dass wir die Debatte in diesemHause mit der „angemessenen Sachlichkeit“ führen sol-len. Ich bedaure sehr, dass heute und in den letzten Ta-gen gerade bei der Opposition von Sachlichkeit und Be-sonnenheit kaum die Rede sein kann; es ist plumpePolemik. Das Geheule und Gejohle von Teilen der Op-position ist beschämend
und dem Ernst der Lage nicht angemessen.
Herr Steinmeier, wenn Sie uns unterstellen, dass wirerst jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen undmit diesen Sorgen leichtfertig umgehen; wenn Sie derKanzlerin unterstellen, dass sie die Sorgen nicht ernstnimmt, dann ist das eine Beleidigung und Verleumdung,die ich gerade von Ihnen in dieser Schärfe niemals er-wartet hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zumErnst der Debatte. Im letzten Herbst hat die Bundesre-gierung ein umfassendes, bis 2050 reichendes Energie-konzept vorgestellt, das wir, die Fraktionen der Unionund unseres Koalitionspartners, der FDP, mitgestaltetund verabschiedet haben; ich selbst durfte daran mitar-
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10908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Christian Ruck
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beiten und bin von der Richtigkeit dieses Konzepts voll-kommen überzeugt.
– Jawohl, immer noch. Denn das Konzept bringt in Ein-klang, was unabhängig von den Ereignissen in Japan fürdie Zukunft unseres Landes entscheidend ist: Klima-schutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit derEnergie. Der Strom aus der Steckdose muss zunächsteinmal in die Steckdose.
Das Konzept enthält Klimaschutzziele und sieht einenAusbau der erneuerbaren Energien in einem bisher nichtbekannten Maße vor. Das stellt alles in den Schatten,was von Rot-Grün jemals auf den Tisch gelegt wurde.Das, was Sie, Herr Steinmeier und Herr Trittin, alsAtomkonsens propagiert haben, war nichts anderes alseine Mogelpackung. Ihr Energiekonzept war ein Sam-melsurium von Ungereimtheiten, Unbezahlbarkeitenund Unwägbarkeiten.Es ist richtig – dazu stehe ich –, dass dieser Atomkon-sens auch die Verlängerung der Laufzeiten unserer Kern-kraftwerke beinhaltet. Dadurch wollten wir uns die fürden Ausbau der Netze erforderliche Zeit und das dafürnotwendige Geld verschaffen; denn die Speicherkapazi-tät muss erhöht und neue Technologien müssen entwi-ckelt werden. Ich habe aber immer auch gesagt – HerrTrittin, wir haben uns in den letzten 20 Jahren des Öfte-ren darüber austauschen können –: Grundvoraussetzun-gen sind der sichere Betrieb der Kernkraftwerke inDeutschland und die Klärung der Endlagerfrage. Das un-terscheidet uns, Herr Trittin. Sie haben gerade selber ge-sagt, dass Sie seit 30 Jahren gegen die Kernkraft kämp-fen. Ganz egal, welche rationalen Argumente dafür oderdagegen sprechen: Für Sie ist das Thema abgehakt. Daszeigt, dass die Bevölkerung von Ihnen keine ideologie-freie und ergebnisoffene Diskussion erwarten darf.Ich sage ganz deutlich, dass es in diesen Tagen vor al-lem um die Sicherheit geht. Fakt ist, dass wir zurzeitnicht davon ausgehen müssen, dass von den japanischenKernkraftwerken eine Gefahr für uns ausgeht. Fakt ist,dass wir nicht in einem Erdbebengebiet wohnen. Fakt istauch, dass wir in unseren Kraftwerken eine andere Si-cherheitslage haben. Aber wir müssen uns trotzdem Zeitnehmen, um die Situation in Deutschland vor dem Hin-tergrund des Versagens der Technik in Japan – dabeigeht es vielleicht auch um menschliches Versagen – zuüberprüfen: Sind die Annahmen zur Erdbebensicherheitin Deutschland richtig? Hat der Klimawandel vielleichtAuswirkungen auf die Sicherheit unserer Kernkraft-werke? Können terroristische Angriffe auf Kernkraft-werke wirklich ausgeschlossen werden, bzw. sind dieKernkraftwerke hinreichend abgesichert? Das und ande-res mehr müssen wir vor dem Hintergrund der Katastro-phe in Japan prüfen, und zwar ergebnisoffen und ohneTabus, aber auch ohne Hysterie und ohne Panikmache.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sieentlarven sich in diesen Tagen immer wieder selbst. Siefordern von uns, dass wir die Ergebnisse des Morato-riums schon jetzt benennen, obwohl diese doch erst nachAbschluss des Moratoriums zutage treten. Das heißtdoch nichts anderes, als dass Ihnen das Ergebnis der Un-tersuchungen, die in den nächsten drei Monaten stattfin-den, völlig wurscht ist.
Das zeigt, dass Sie sich hinter kleinkarierten Diskussio-nen und juristischen Spiegelgefechten verschanzen,
statt mit uns zu sagen: Die Sicherheitsüberprüfung derKernkraftwerke in den nächsten drei Monaten ist unsergemeinsames oberstes Ziel.
Auch wenn es wehtut, Herr Trittin, möchte ich Sienoch einmal an den Vertrag von 2000 erinnern. Wer indem Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern ohne Not aufjegliche Sicherheitsverbesserungen in den Kernkraftwer-ken in der Zukunft verzichtet hat, der hat meiner Ansichtnach jedes Recht verwirkt, hier den Moralapostel zuspielen.
Noch etwas anderes verstehe ich nicht: Sie haben siebenJahre Zeit gehabt, die Kernkraftwerke abzuschalten. Zu-erst haben Sie die Chance dazu gehabt, danach HerrGabriel. Das ist aber nicht passiert.
– Als Herr Trittin in der Regierung war, gab es keineKanzlerin.
Dafür, dass Sie die Kernkraftwerke nicht abgeschaltethaben, gibt es einen einfachen Grund: Auch Sie wissen,dass die deutschen Kernkraftwerke nicht nur aus unsererSicht, sondern auch aus Sicht der Internationalen Atom-energiebehörde zu den sichersten der Welt gehören.Minister Röttgen packt jetzt an, was seine Vorgänger,Herr Gabriel, und Sie, Herr Trittin, nicht anzufassen ge-wagt haben, auch die Endlagerfrage.Wir werden konsequent umsetzen, was jetzt zu tunist: erstens aufgrund der Erfahrungen in Japan unsereKraftwerke auch in Bezug auf ganz anders gearteteSchadensfälle, die bei uns vielleicht noch nicht so be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10909
Dr. Christian Ruck
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rücksichtigt worden sind, durchchecken, zweitens beieventuellen Sicherheitslücken die erforderlichen Konse-quenzen einleiten, drittens überprüfen, ob wir beim Aus-bau der erneuerbaren Energien oder bei der Erhöhungder Energieeffizienz nicht schneller vorangehen können,und die europäische und internationale Dimension ver-stärkt betrachten. Ich glaube, Kommissar Oettinger hatvollkommen recht, wenn er sagt, dass die europäischenKernkraftwerke einen generellen Sicherheitscheck brau-chen. Es ist aber reine Heuchelei, zu sagen: Wir schaltenunsere Kraftwerke ab; aber die rund 150 europäischenKraftwerke von Temelin bis Cattenom können unbe-grenzt und ohne Check weiterlaufen. Das ist völlig un-sinnig und auch inkonsistent.
Wir sind bereit, Konsequenzen zu ziehen, wenn dieÜberprüfungsergebnisse dies erfordern. Wir tun dies an-gesichts der Tragweite für unser Land mit der nötigenBesonnenheit und der nötigen Verantwortung. Ich fügehinzu, dass allein die Abschaltung der infrage kommen-den Kraftwerke für die nächsten drei Monate einen zu-sätzlichen Ausstoß von 20 Millionen bis 30 MillionenTonnen CO2 beinhaltet. Auch das gehört zu den Punkten,die wir abwägen müssen.Was die Besonnenheit anbetrifft, so rate ich uns, un-sere japanischen Freunde als Vorbild zu nehmen. Ichhabe tiefen Respekt vor der Tapferkeit der Japaner indieser schlimmen Situation. Ich habe auch tiefes Mitge-fühl für unsere japanischen Freunde in diesem Jubilä-umsjahr, dem 150-jährigen Bestehen der deutsch-japani-schen diplomatischen Beziehungen. Wir sollten ihnenjede Hilfe geben, die wir zu geben in der Lage sind, unddamit zeigen, dass wir auch in dieser schweren Stundean der Seite Japans stehen.
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japansind wieder Uhren stehen geblieben, fünf Minuten vordrei. Im Hiroshima Peace Memorial Museum kann manebenfalls stehen gebliebene Uhren sehen: 8.15 Uhr am6. August 1945. Dasselbe hochmoderne Land ist von dermilitärischen wie auch von der zivilen Nutzung derAtomkraft gleichermaßen grauenvoll getroffen worden.Es ist an der Zeit, die Uhren des Glaubens an die Atom-kraft zum Stehen zu bringen.
Frau Merkel und Sie, Herr Röttgen, bemühen sich, zuüberzeugen, dass Sie die Zäsur für die Industriegesell-schaften begriffen hätten. Es ist nicht entscheidend, obdie Opposition Ihnen glaubt. Das fällt schwer angesichtsIhrer Haltung: Wir sehen jetzt alles anders; aber wir hat-ten immer recht. Für Sie ist entscheidend, ob die Men-schen außerhalb dieses Hauses Ihnen glauben, und ichfrage Sie: Warum sollten sie?
Sie machen jetzt, was Sie vor dem Gesetz zur Laufzei-tenverlängerung hätten tun müssen, und versuchen, diesals Lehre aus dem Ereignis von Fukushima zu verkau-fen. Brauchen Sie erst einen GAU, um Laufzeitverlänge-rungen und Sicherheitsüberprüfungen zusammenzubrin-gen?
Als baden-württembergische Abgeordnete möchte icheinen Blick in mein eigenes Bundesland werfen. In die-sen Zeiten ist es für eine CDU-Bundeskanzlerin ganz be-sonders wichtig, dass die Menschen den ParteikollegenFrau Gönner und Herrn Mappus glauben, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der eine Lauf-zeit von 60 Jahren und Ihren Rücktritt, Herr Röttgen,forderte, weil Sie ihm zu defensiv waren, der den über-teuerten Kauf von 45 Prozent der EnBW auf Staatskos-ten damit begründete, er wolle nicht in Paris oder Mos-kau nach Energie fragen müssen. Alternativen zuentwickeln, ist Herrn Mappus beim Regierungshandelnfremd. Er hat alles getan, das Wachstum der Erneuerba-ren in Baden-Württemberg zu verhindern.
Sein stolzes Verhinderungsergebnis für Baden-Württem-berg lautet: 0,7 Prozent Strom aus Windenergie, 52 Pro-zent Atomstrom. Das ist ein Armutszeugnis.
Wer soll einer Landesatomaufsicht ihre neue Besorg-nis um die Sicherheit der Atomkraftwerke abnehmen,nachdem sie im letzten Jahr den Abfluss von 270 000 Li-tern Reaktorwasser aus dem Philippsburger Brennele-mentebecken kurzerhand vertuschte, weil der Störfall inZeiten der Verlängerungsdebatte störte, und die Mängel-liste von Neckarwestheim drei Jahre lang in der Schub-lade ließ und keinerlei Nachrüstung vor dem Geschenkder Laufzeitverlängerung einforderte?
Nein, wem die Interessen der Konzerne immer näherwaren als die Wahrnehmung der Kontrolle und Sicher-heit, dem nimmt niemand die Krokodilstränen ab.
Es ist eine Feier wert, dass Neckarwestheim 1 endlichabgeschaltet wird;
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10910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Sylvia Kotting-Uhl
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aber es lässt keinen Glauben an Einsicht zu, wennMappus das in den Kontext eines emotionalen Ausnah-mezustandes seiner Bürger stellt.Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem Umden-ken, damit, dass Sie aus dem GAU von Japan lernenwollen, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu. BeugenSie nicht das Atomrecht, und ziehen Sie nicht § 19 desAtomgesetzes zu etwas heran, wozu er nicht gedacht ist.Machen Sie kein windiges Moratorium ohne juristischeGrundlage. Nehmen Sie die 11. und 12. Novelle zumAtomgesetz seriös zurück.
Überprüfen Sie die Sicherheit der Atomkraftwerke nachdem neuen kerntechnischen Regelwerk, und schalten Siedie ältesten sieben Reaktoren und Krümmel dauerhaftab. Erst auf dieser Grundlage können wir über das disku-tieren, was tatsächlich die Lehre aus Fukushima seinmuss: eine Neubewertung des Risikos Kernschmelze,die kein Restrisiko mehr ist und für die Schadensvor-sorge betrieben werden muss.Als Konsequenz brauchen wir ein neues Energiekon-zept mit einem deutlich schnelleren Atomausstieg, derübrigens durch die juristische Formulierung der Linken,die Atomkraftwerke müssten unverzüglich, „ohneschuldhaftes Verzögern“ abgeschaltet werden, nicht be-schleunigt wird. Die Welt hat sich gegenüber dem Jahr2000 verändert. Das Risiko ist näher, die Frage nach denAlternativen mit dem Wachstum der erneuerbaren Ener-gien aber auch beantwortbarer.Wenn wir für Japan etwas tun können, dann das: alshochindustrialisiertes Land beispielhaft vorangehen undein effizientes Energiekonzept auf der Basis erneuerba-rer Energien mit Anreizen, Förder- und Ordnungspolitikumsetzen. Zeigen, dass es geht – das könnte unsere ge-meinsame Würdigung der Opfer dieser Katastrophe sein.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! LiebeFrau Kotting-Uhl, auf Ihren Beitrag zum baden-württembergischen Wahlkampf will ich hier gar nichteingehen. Ich muss aber anmerken, dass ich von Ihnenals einer mir bekannten aufrechten Gegnerin der Kern-energie ein bisschen mehr erwartet hätte, als dass Sie andieser Stelle nur Wahlkampfpolitik machen.
Ich möchte auf den Gesetzentwurf der Grünen, denSie am Ende Ihrer Rede immerhin noch gestreift haben,eingehen. Darin heißt es, die Bundesregierung habe an-gesichts der aktuellen Geschehnisse in Japan nunmehrfestgestellt, dass sie im Gesetzgebungsverfahren zurLaufzeitverlängerung Sicherheitsfragen nicht hinrei-chend beachtet hat. Wenn Sie, die Grünen, das so formu-lieren, dann muss ich sagen: Wäre die Situation in Japannicht so traurig und wäre der Umdenk- und Bewertungs-prozess bei uns nicht so ernst, müsste man das als Heu-chelei bezeichnen.Ich stelle fest, dass es ganz bestimmt kein Positions-papier der CDU oder der CSU zum Thema Kernenergiegibt, in dem nicht klar festgehalten ist, dass Sicherheitoberste Priorität hat und Sicherheit vor jeder ökonomi-schen Erwägung steht.
Was immer wir in den nächsten drei Monaten politischentscheiden werden, es wird in der Kontinuität dieserPolitik und unter der schon immer geltenden Überschrift„Sicherheit ist das erste Gebot“ stehen.Man wird genügend Schriften finden, in denen esheißt, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher. Jetztkomme ich zu dem Grund, aus dem ich mich über denscheinheiligen Gesetzentwurf der Grünen ärgere. Derbisher gültige Maßstab für die Sicherheit war nicht alleinder Maßstab dieser Bundesregierung. Er war ein ge-meinsamer Sicherheitsmaßstab. In der Ausstiegsverein-barung von 2000 hat die damalige rot-grüne Bundesre-gierung ausdrücklich bestätigt, dass die deutschenKernkraftwerke auf einem international hohen Sicher-heitsniveau betrieben werden. Ich will gar nicht die Vor-haltung wiederholen, dass Sie sich in einem Deal mitden Versorgern verpflichtet haben, keine Initiative zu er-greifen, um den Sicherheitsstandard und die ihm zu-grunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Aberfest steht: Nach dem bisherigen Maßstab muss man un-sere Kernkraftwerke als sicher betrachten. Das haben diefrüheren Minister Trittin und Gabriel offenkundig ge-nauso gesehen, wie es jetzt Minister Röttgen beurteilt;sonst hätten wir nämlich keine Kernkraftwerke mehr.Was mich heute wirklich irritiert hat, war die Aussagevon Herrn Gabriel, er habe schon immer gewusst, dassvon den älteren Kernkraftwerken Gefahren für Leib undLeben der Bevölkerung ausgehen, und er habe nur nichtgehandelt, weil die Bundeskanzlerin ihn dazu angewie-sen habe. Was ist denn das für eine Verantwortung? Wasist das für ein Minister? Hat er seinen Amtseid verges-sen?
Diese Frage muss er sich gefallen lassen. Wenn einMinister der Überzeugung ist, dass von etwas, das er inseinem Fachressort zu verantworten hat, Gefahren fürLeib und Leben der Bevölkerung ausgehen, dann kanner sich doch nicht einfach beiläufig der Richtlinienkom-petenz der Kanzlerin beugen, sondern dann muss er sei-nen Rücktritt einreichen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10911
Dr. Georg Nüßlein
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Sie glauben doch wohl nicht, dass wir Herrn Gabrieldiese plumpe Ausrede an dieser Stelle tatsächlich durch-gehen lassen.Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir uns die Frage stel-len müssen: Was hat sich seit dem schrecklichen Erdbe-ben in Japan bei uns geändert? Die Antwort, die man aufdiese Frage geben muss, lautet: nichts und alles. DieMenschen erleben, dass das Unwahrscheinlichste Reali-tät geworden ist. Die Menschen in Japan und wir alle se-hen, dass das Restrisiko eingetreten ist und die High-technation Japan die Technik nicht so beherrscht, wiewir uns das vorstellen. Da ist es natürlich unumgänglich,über bestimmte Themen nachzudenken: über Sicher-heitsreserven, über das „Was wäre wenn?“, über Natur-katastrophen in einem bislang unbekannten Ausmaß,über deren Kombination, über Anschläge, Flugzeugab-stürze und Ähnliches. Mit all diesen Themen müssen wiruns ohne Panik und Hysterie befassen. An dieser Stellemuss ich das, was manche Kollegen schon gesagt haben,unterstreichen: Für ihre Duldsamkeit können wir die Ja-paner, denen unser Mitgefühl gilt, nur bewundern undihnen unseren Respekt aussprechen.
Das Moratorium über drei Monate und das Abschal-ten der vor 1980 in Betrieb gegangenen Reaktoren kön-nen Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Oppo-sition, gerne als Wahlkampfmanöver verunglimpfen. Siekönnen gerne behaupten, das sei bloß ein Mittel, um Zeitzu gewinnen. Sie können gerne einen Juristenstreit überdie rechtlichen Grundlagen entfachen. Nur dürfen Siesich am Ende der drei Monate über eines nicht wundern:Es wird mit uns kein Weiter-so geben, wie Sie es uns auswahltaktischen Gründen an dieser Stelle gerne anhängenwollen.Wenn ich das so formuliere, dann bitte ich, aufzumer-ken: Sie wissen sehr genau, dass ich mich zwar einer-seits für die erneuerbaren Energien einsetze, dass ichaber andererseits kein Kernenergiegegner bin. In mei-nem Wahlkreis steht das Kernkraftwerk Gundremmin-gen, das über 1 000 Familien die Existenz sichert und beiuns in der Bürgerschaft wohl akzeptiert und weit gelittenist. Trotzdem rechne ich persönlich mit sehr grundsätzli-chen Entscheidungen. Es wäre allerdings unseriös, be-reits heute die Konsequenzen der anstehenden Sicher-heitsüberprüfung beschreiben zu wollen. – Ein paarFakten im Umfeld möchte ich dennoch beschreiben.Nachdem die Kanzlerin das Moratorium angekündigthat, ist der EEX-Großhandelspreis für Strom, welcherauf Basis der German Power Futures ermittelt wird, in-nerhalb der beiden letzten Handelstage um 9,5 Prozentgestiegen; ein weiterer Anstieg ist absehbar. Der EEX-Preis für CO2-Emissionsrechte stieg von Montag aufDienstag um 8,5 Prozent, Tendenz steigend. Bei zusätz-licher Kohleverstromung wird dieser Anstieg weiteresGewicht bekommen. Damit steht doch eines fest: Dieökonomischen Folgen einer Reduktion von Kernenergie-strom, wie wir sie immer vorhergesehen haben, werdeneintreten.Ich will nichts zum Anteil des Energiepreises an derallgemeinen Preisentwicklung sagen. Ich will auchnichts zum Vorschlag der Linken sagen, Herr Gysi, wie-der die Planwirtschaft in Deutschland einzuführen. Dashatten wir schon, und das ist schon einmal kläglich ge-scheitert.
Wir müssen diesen Versuch, der immerhin über 40 Jahrein diesem Land unternommen wurde, nicht wiederholen.Ich möchte anmerken, dass nach derzeitigem Standdie anderen europäischen Staaten nicht aus der Kernener-gienutzung aussteigen werden. Das heißt für Deutschlandzweierlei: Erstens. Wir werden Wettbewerbsnachteile er-dulden müssen. Zweitens. Einen Sicherheitsgewinn, wiewir ihn uns wünschen, wird es jedenfalls auf Basis dieserKonstellation nicht geben. Deshalb bin ich froh, dass sichdie Kanzlerin international für eine entsprechende Politikeinsetzt. Hinzu kommt, dass das Moratorium unsere Ver-sorgungssicherheit tangiert, dass wir nach dem Abschal-ten von sieben Kraftwerken auf Kante nähen, was insbe-sondere in Süddeutschland – ich sage das all jenen, diebehaupten, das sei kein Problem, wir würden genug ex-portieren – zu spüren sein wird.Noch viel entscheidender ist: Eine Säule des Energie-konzeptes dieser Bundesregierung ist bereits heute inTeilen weggebrochen, nämlich ein Teil der Finanzierungder erneuerbaren Energien aus dem Energie- und Klima-fonds. Ich sage Ihnen: Wir brauchen nichts so dringendwie Energieforschung; denn das, was wir bei Anerken-nung allen Engagements im Bereich der erneuerbarenEnergien momentan machen, ist nicht der Weisheit letz-ter Schluss, wenn man von so etwas in der Energiepoli-tik überhaupt noch reden darf.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-rung darauf hingewiesen: Vor zweieinhalb Monaten ha-ben wir hier gemeinsam mit dem VizeaußenministerJapans die Feierlichkeiten anlässlich des 150-jährigenBestehens der deutsch-japanischen diplomatischen Be-ziehungen begangen. Wir haben hier im Bundestag aucheine Debatte dazu geführt. Das zeigt, dass wir, Japan undDeutschland, in den letzten 150 Jahren trotz einer wech-selvollen Geschichte gemeinsam und mit großer gegen-seitiger Unterstützung erfolgreich große Krisen bewäl-tigt haben. Das liegt auch daran, dass Japan undDeutschland in dieser Weltgemeinschaft eine seltene,tiefe und einmalige Freundschaft verbindet und beideLänder trotz der geografischen Ferne und der kulturellenUnterschiede viel Verständnis füreinander haben. Diese
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10912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Jürgen Klimke
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Freundschaft ist gerade in dieser Stunde der Not einwertvolles Gut; denn neben unserem Mitgefühl und un-serer tiefen Trauer möchte ich keinen Zweifel daran las-sen, dass die deutsche Politik alles dafür tun wird, dassdie japanische Nation zu alter Stärke zurückfindet.Die Herausforderungen, die sich aus dieser Natur-und Umweltkatastrophe ergeben, werden von den Japa-nern nicht allein zu bewältigen sein. Angesichts derschrecklichen Zahlen von Opfern und Geschädigten, dermöglicherweise aufkommenden Rezession in Japan undder zu erwartenden Umweltschäden stehen die Japanernicht vor einem Gesichtsverlust, wenn sie aktiv auslän-dische Hilfe anfordern und auch annehmen; denn bei je-der Katastrophe in der Welt waren es die Japaner, die alsErste mit ihren Hilfstruppen und mit finanzieller Unter-stützung vor Ort waren. Diese Bereitschaft zur Nothilfewird die Welt jetzt zurückgeben.Angesichts der bedrückenden Opferzahlen und derMasse der Geschädigten in Japan ist internationale Hilfebesonders hilfreich und sinnvoll. Wir müssen uns nocheinmal deutlich vor Augen führen: Bisher gibt es 3 300Todesopfer. Unbestätigte Schätzungen gehen davon aus,dass es nach Abschluss der Aufräumarbeiten Zehntau-sende von Toten geben wird. 150 000 Kinder haben ihrZuhause verloren. Internationale Wirtschaftsexperten sa-gen in ihren Schätzungen voraus, dass der Wiederaufbauder besonders betroffenen Region den japanischen Staateinen dreistelligen Milliardenbetrag kosten wird. Die in-ternationalen Finanzmärkte beben. 440 Milliarden Eurowurden durch die Katastrophe bereits vernichtet. DieBank of Japan hat 200 Milliarden Euro in die Finanz-märkte gepumpt, damit es zu keinem ernsthaften Crashkommt. Kurzfristig wird sich die internationale Außen-politik auf die humanitäre Hilfe beschränken. Mittel-und langfristig müssen die internationalen Gremien An-strengungen unternehmen, die gemäß den Lehren, dieaus der Katastrophe in Japan gezogen werden müssen,notwendig sind.Die Freundschaft zu Japan ist in der G 8 unbestritten.Es gab bereits ein Treffen der zuständigen Außenminis-ter, um den Wiederaufbau aktiv zu unterstützen. Ichfinde es gut, dass der französische Präsident als G-8-Prä-sident Vorschläge ausarbeitet, um die negativen Folgenfür die Weltwirtschaft zu begrenzen.Die G 20 steht vor einer weitaus größeren Herausfor-derung. Ihr muss es gelingen, dass sich die vorüberge-hende Schwäche Japans nicht zu einer dauerhaften poli-tischen Schwäche auswächst; denn Japan istinternational und vor allen Dingen in der asiatischen Re-gion ein großer und gleichberechtigter Player. Es ist imdeutschen Interesse, dass Japan als Stimme der Demo-kratie weiter eine prägende Rolle in der Region und inder Welt einnimmt. Damit dies gelingen kann, müssengerade die anderen asiatischen Länder gemeinsam mitJapan in der G 20 voranschreiten. Indonesien und Indienwerden dies tun. Ich hoffe, dass sich auch China interna-tional für seinen asiatischen Nachbarn einsetzen wirdund die Phase der Schwäche Japans nicht für sich aus-nutzt.Lassen Sie mich einige kritische Bemerkungen zu derbisherigen Rolle der Internationalen Atomenergiebe-hörde machen, der IAEA, die ihren Sitz in Wien hat. SeitTagen zeigt sich, dass die Organisation angesichts derEreignisse in den Kernkraftwerken wie gelähmt ist: keinExperte, keine Expertin in den Krisengebieten, groteskePressekonferenzen, Beschwichtigungstaktik. Die Rolleder IAEA bei der Atomkatastrophe in Japan sorgt fürgroßen Unmut. Hinter vorgehaltener Hand hören Sie ausDiplomatenkreisen, dass es inzwischen massive Be-schwerden über die Informationspolitik, über die inter-nationale Rolle und vor allen Dingen über die Tatsachegibt, dass die Organisation ihrer Wächterrolle nicht ge-recht wird.Man spricht in Diplomatenkreisen von PR-Desasternund der unmöglichen Situation, dass eine Organisation,die immerhin angeblich 2 200 Experten und 90 Aus-landsbüros hat, nicht in der Lage ist, in angemessenerForm Experten nach Japan zu schicken und dort zu hel-fen. Ich vermute, dass die Organisation dieses Gremiumsnicht in Ordnung ist. Ich glaube, der Sicherheitsrat mussdieses Thema dringend auf die Tagesordnung setzen.Die Behörde ist im Ernstfall ein dramatischer Ausfall,und das darf nicht sein.
Ich möchte mich beim Auswärtigen Amt und beimAußenminister dafür bedanken, dass er besonnen undmit großem Anstand den Deutschen in Japan geholfenhat und vor allen Dingen auch bei der Koordinierung derHilfe für Japan einen kühlen und klaren Kopf bewahrthat.
Lassen Sie mich als Freund Japans abschließend be-merken: Ich glaube, es ist jetzt richtig, dass wir alle, vorallen Dingen auch dieses Parlament, gegenüber unserenjapanischen Parlamentskollegen deutlich machen, dasswir dauerhaft, ernst, in Freundschaft und in tiefer Unter-stützung an ihrer Seite stehen.Danke sehr.
Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Es gibt Bilder, die verstummen lassen. Das, was wirin den letzten Tagen gesehen und gehört haben, ist voneiner albtraumhaften Schrecklichkeit. Zunächst einmalist es in erster Linie Zeit, den Menschen in Not Hilfe zuleisten und ihnen, soweit es in unseren Kräften steht, bei-zustehen.Japan braucht Hilfe durch die Weltgemeinschaft unddurch uns. Ich bin froh, dass die Bundesregierung sofort
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10913
Erika Steinbach
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Hilfe angeboten hat. Es ist für uns aber auch Zeit, in allerSachlichkeit zu überprüfen, ob und wo wir bei der Kern-energie umsteuern sollen oder müssen.Allerdings muss ich eines sagen: Die Debatte der letz-ten Stunden und das Verhalten der Opposition waren ab-surd. Es erinnert mich an einen Schlagabtausch KonradAdenauers im Deutschen Bundestag, als er zu Beginn ei-ner Rede sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die Op-position schrie: „Nein, nein, nein!“. Dann setzte er wie-der an und sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und dieOpposition empörte sich. Daraufhin sagte KonradAdenauer: „Hätte ich gesagt, ich habe die Lage nicht ge-prüft, dann hätten Sie auch revoltiert“.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, so geht es indieser Frage nicht. Was auch immer die Bundesregie-rung heute gesagt und getan hätte, Sie wären aus Prinzipdagegen gewesen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat sich auch in Oppositionszei-ten niemals so verantwortungslos verhalten, wie Sie esheute getan haben.
Sie machen Wahlkampf. Wenn ich alles zusammenad-diere, was seitens der Opposition heute selbstherrlich ge-sagt wurde, und wenn Sie das, was Sie heute gesagt ha-ben, ehrlich meinen, dann hätten Rot und Grün zu ihrenRegierungszeiten alle Kernkraftwerke abschalten müs-sen.
Atomare Gefahren werden aber bei Ihnen offensicht-lich mit zweierlei Maß gemessen. Als Umweltministerwar Herr Trittin Schirmherr der Castortransporte. Da-mals sollten sie ohne Demonstrationen über die Bühnegehen. Heute demonstrieren die Grünen wieder gegendie Castortransporte. Das ist unanständig. Verantwor-tungsloser und unanständiger geht es nicht.
Etwas anderes schadet, glaube ich, der Demokratieinsgesamt und jedem einzelnen Abgeordneten: Das Kon-glomerat von Herrn Gabriel mit Vokabeln wie Hinter-zimmer, Lüge und Atomlobby, zusammengemischt zueinem Brei, schadet allen. Das schadet der ganzen demo-kratischen Klasse.
Ich unterstelle keiner Fraktion in diesem Hause, nichtnach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen zutreffen, zu denen sie gefunden hat. Ich unterstelle auchIhnen von der Opposition nicht, dass Sie in Hinterzim-mern mit wem auch immer kungeln und keine Entschei-dung eigenständig treffen. Unterstellen Sie dies uns bitteauch nicht. Schließen Sie nicht von sich auf andere,wenn Sie so handeln sollten.
– Scheinbar haben Sie einen anderen Ansatz, denn sonstkönnten Sie nicht so einen Brei zusammenrühren.
Schließen Sie vor allen Dingen nicht von den Din-gen, die Sie vielleicht betreiben – ich muss das soannehmen –, auf die Handlungsweise der Bundeskanz-lerin.Gestatten Sie noch einige Sätze zur juristischen De-batte. Als Nichtjuristin habe ich mehr als einmal
aus der Juristenriege den Satz gehört: zwei Juristen, dreiMeinungen. Im Zweifel entscheide ich mich natürlichfür die tragfähigsten Argumente und für die Sicherheit.
Der Weg der Bundeskanzlerin ist verantwortungsvoll,der Weg der Bundesregierung ist verantwortungsvoll,und der Weg der Regierungsfraktionen ist verantwor-tungsvoll.Danke.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Bareiß von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Niemanden von uns lassen die Bilder, die wir inden letzten drei bis vier Tagen gesehen haben, kalt: einErdbeben von diesem Ausmaß verbunden mit einer töd-lichen Flutwelle, über 5 000 Tote und immer noch über10 000 Vermisste in Japan.
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10914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Thomas Bareiß
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Am Ende dieser Debatte sage ich: Bezeichnend ist,dass von Rot-Grün heute nur die Frage nach der Sicher-heit deutscher Kernreaktoren gestellt wurde. Das findeich erbärmlich.
Trotz aller verständlichen Emotionen in dieser De-batte lassen Sie uns bitte nicht vergessen, dass Sicherheiteine objektive und keine psychologische Grundlage ist.An der objektiven Sicherheitslage deutscher Kernkraft-werke hat sich in den letzten sieben Tagen nichts, aberauch gar nichts verändert.
Ich sage ganz deutlich: Ich habe aus Überzeugung voreinem halben Jahr der Laufzeitverlängerung zuge-stimmt. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dassdiese Entscheidung richtig war.
Sie ist aus meiner Sicht deswegen richtig, weil der As-pekt der Sicherheit von Kernkraftwerken in unseremLand immer oberste Priorität hat und die Sicherheit nochvor einem halben Jahr verbessert worden ist.
Mit diesem Anspruch sind wir heute das Land mit denhöchsten Sicherheitsanforderungen an die Kernenergie.Aber, liebe Freunde, sicherlich ist unbestritten,
dass trotz höchster Sicherheitsanforderungen ein Rest-risiko bestehen bleibt. Auch Ihnen, Herr Gabriel, sageich deutlich: Ich halte dieses Restrisiko bei deutschenKernkraftwerken unter deutschen Sicherheitsstandardsnach wie vor für ethisch verantwortbar.Wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,zu der Einschätzung gelangen, dass dieses Risiko nichtmehr verantwortbar ist, müssen Sie, wenn Ihnen die Si-cherheit der Menschen in unserem Land wichtig ist,noch heute sofort abschalten und alle Kernreaktorenvom Netz nehmen. Aber das haben auch Sie, HerrTrittin, und Sie, Herr Gabriel, in Ihren acht Regierungs-jahren nicht gemacht.
Natürlich ist auch unser Anspruch, das Restrisiko sogering wie möglich zu halten und weiterhin zu reduzie-ren.Vor diesem Hintergrund begrüße ich das Moratoriumunserer Bundeskanzlerin. Während dieser Zeit muss dieLage analysiert werden, und es muss aus meiner Sichtdie Frage beantwortet werden, was wir aus der Analyselernen können und was die Konsequenz für unsere Si-cherheitsstandards und unsere Kernreaktoren ist. Da-rüber hinaus halte ich es ebenfalls für richtig, dass dieBundeskanzlerin gemeinsam mit dem Energiekommis-sar Oettinger für eine Neubewertung der Reaktorsicher-heit auf europäischer und internationaler Ebene kämpft;denn eines muss uns klar sein: Es wird in Europa auchweiterhin Kernenergie geben. Wir werden, auch wennwir alle Reaktoren abschalten, in Deutschland weiterhinKernenergie haben. Ich halte es für nicht verantwortbar,wenn wir deutsche Kernkraftwerke abschalten und unsvon ausländischen, unsicheren Kraftwerken abhängigmachen.
Ich glaube, wir brauchen einen offenen Diskussions-prozess. Das kann in der Konsequenz auch heißen, dassKernkraftwerke endgültig vom Netz genommen werden.Wir stehen aber – daran hat sich in den letzten drei Ta-gen nichts geändert – nach wie vor vor großen Heraus-forderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien.Ein Kernbestandteil unseres Energiekonzepts war, dieBrücke in das Zeitalter der regenerativen Energien zugestalten. Auch daran wollen wir zukünftig festhalten.Ich bitte zum Schluss, dass wir die kommenden Debat-ten sachlich und seriös führen; denn Seriosität habe ichin den letzten drei Tagen hier im Hause vermisst.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge. Ich möchte darauf hinweisen, dass wirnun insgesamt sieben namentliche Abstimmungen undeine einfache Abstimmung durchführen werden. Bitteachten Sie darauf, dass die Stimmkarten, die Sie verwen-den, auch Ihren Namen tragen.Wir beginnen mit der namentlichen Abstimmung überden Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSUund FDP auf Drucksache 17/5048. Dazu liegen uns vierpersönliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord-nung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Ich bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenenPlätze einzunehmen. – Sind die Schriftführerinnen undSchriftführer an Ort und Stelle? – Das scheint der Fall zusein. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimm-karten einzuwerfen.Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarteneingeworfen? – Das ist anscheinend der Fall. Ichschließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-nen und Schriftführer, auszuzählen. Das Ergebnis derAbstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zudem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD aufDrucksache 17/5049. Die Fraktion der SPD hat getrennteAbstimmungen verlangt. Über Nr. 1 des Entschließungs-antrags werden wir mittels Handzeichen abstimmen.1) Anlage 22) Ergebnis Seite 10921 A
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10915
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Über die Nrn. 2, 3 und 4 des Entschließungsantrags wer-den wir namentlich abstimmen.Wir stimmen zunächst über Nr. 1 des Entschlie-ßungsantrags ab. Diejenigen, die für Nr. 1 des Ent-schließungsantrags der SPD stimmen, bitte ich um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Letzteres ist offenkundig die Mehrheit gewesen.Nr. 1 dieses Entschließungsantrags ist damit abgelehnt.Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung überNr. 2 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPDauf Drucksache 17/5049.1) – Die Urnen sind weiterhinbesetzt. Ich eröffne diese Abstimmung und gebe gleich-zeitig bekannt, dass dazu zwei Erklärungen nach § 31unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir zu Proto-koll nehmen.2)Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte zurzweiten namentlichen Abstimmung eingeworfen? – Ichschließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Wir kommen damit zur dritten namentlichen Abstim-mung, nämlich über Nr. 3 des Entschließungsantrags derFraktion der SPD auf Drucksache 17/5049. Die Urnensind besetzt. Deswegen eröffne ich die Abstimmung undbitte, die Stimmkarten einzuwerfen.Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte zurdritten namentlichen Abstimmung eingeworfen? – Dasist offenkundig der Fall. Dann schließe ich den Wahl-gang und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.3)Wir kommen jetzt unverzüglich zur vierten namentli-chen Abstimmung, nämlich über Nr. 4 des Ent-schließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-che 17/5049. Ich bitte, die Stimmkarten einzuwerfen.Die Abstimmung ist eröffnet.Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm-karte für die vierte namentliche Abstimmung abgege-ben? Bei mir melden sich nämlich immer mehr Kolle-gen, die eine Abstimmung versäumt haben. Deswegenbitte ich um Aufmerksamkeit. – Wenn alle ihre Stimm-karte abgegeben haben, schließe ich den Wahlgang undbitte, mit der Auszählung zu beginnen.4)Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung überden Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 17/5050. – Die Urnen sind weiterhin be-setzt. Ich eröffne die Abstimmung – es handelt sich umdie fünfte namentliche – und bitte, die Stimmkarten ein-zuwerfen.Haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimmkarte einge-worfen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann schließeich den Wahlgang. Ich bitte, mit der Auszählung zu be-ginnen.5)Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung überden Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die1) Ergebnis Seite 10923 B2) Anlage 33) Ergebnis Seite 10926 A4) Ergebnis Seite 10928 B5) Ergebnis Seite 10930 BGrünen auf Drucksache 17/5051. Das ist die sechste na-mentliche Abstimmung. Ich bitte, mit der Abstimmungzu beginnen.Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar-ten zur sechsten namentlichen Abstimmung eingewor-fen? Gibt es noch Nachzügler? – Das ist offenkundignicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte,mit der Auszählung zu beginnen.6)Wir kommen schließlich zur namentlichen Abstim-mung über den zweiten Entschließungsantrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5052.7)Das ist die siebte namentliche Abstimmung. Ich eröffnedie Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwer-fen.Haben nun alle Kolleginnen und Kollegen ihreStimmkarte zur siebten namentlichen Abstimmung ein-geworfen? – Das ist der Fall. Dann schließe ich jetzt diesiebte namentliche Abstimmung und bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-nen.8)Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungenwerden Ihnen später bekannt gegeben. Ich weise daraufhin, dass wir in etwa anderthalb Stunden eine weitere na-mentliche Abstimmung durchführen werden.Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 1. Interfraktio-nell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-che 17/5035 an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten VolkerBeck , Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,weiteren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun-deswahlgesetzes– Drucksache 17/4694 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungRechtsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibtes Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieserAussprache nicht teilnehmen wollen, ihre Beratungenaußerhalb des Plenarsaales fortzusetzen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Volker Beck von Bündnis 90/Die Grü-nen das Wort.6) Ergebnis Seite 10933 A7) Anlage 48) Ergebnis Seite 10935 B
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10916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! JoséOrtega y Gasset sagte einmal:Das Heil der Demokratien, von welchem Typus undRang sie immer seien, hängt von einer geringfügi-gen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Al-les andere ist sekundär.Das Wahlrecht ist das Kernstück der Demokratie. Esist greifbares und begreifbares Mittel der Teilnahme derBürger am politischen Prozess. Das Wahlsystem alsGanzes ist Transformator des Volkswillens. In ihm mani-festiert sich – in der Stimmabgabe, in der mandatsgemä-ßen Machtverteilung der politischen Parteien im Parla-ment – der Wille des Volkes. Fragen des Wahlrechtesgehören daher zu den Grundfragen der Demokratie.Das Bundesverfassungsgericht hat uns am 3. Juli2008 in seinem Urteil zur fehlenden Verfassungsmäßig-keit des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag aufgege-ben, bis zum 30. Juni 2011 die Effekte des negativenStimmgewichtes – das ist etwas Kompliziertes, das derBürger nicht so einfach versteht – zu beseitigen. Das ne-gative Stimmgewicht bedeutet: Ich wähle eine Partei,aber eine andere Partei profitiert davon, und bei meinerPartei fällt ein Mandat weg. – Das verkehrt den Sinn desWahlrechts ins Gegenteil. Deswegen müssen wir uns mitdieser Thematik befassen.
Wir als Fraktion haben bereits im Februar 2009 erst-mals hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, um diesesnegative Stimmgewicht zu beseitigen und die Chance zueröffnen, dass dieser Deutsche Bundestag mit einem ver-fassungsgemäßen Wahlrecht gewählt wird. Das ist da-mals gescheitert. Die Kolleginnen und Kollegen der heu-tigen Koalition meinten damals, das gehe zu schnell; derDebattenbedarf sei groß, und man müsse das gründlicherörtern. Nun ist ein Jahr ins Land gegangen. Die Grenze30. Juni 2011 steht vor uns. Im März dieses Jahres gibtes wieder keinen Vorschlag der regierenden Mehrheit,obwohl sich die Geschäftsführer unzählige Male im De-zember und im Januar getroffen haben. Die Koalition istsich – genauso wie bei Hartz IV – beim Wahlrecht nichteinig. Es gibt keinen entsprechenden Vorschlag, den derDeutsche Bundestag in den Ausschüssen mit Sorgfaltprüfen kann. Deshalb haben wir heute unseren Vorschlagerneut vorgelegt, allerdings im Lichte der Anhörung imInnenausschuss entsprechend verbessert.
Wir schlagen vor, dass in Zukunft zwei Prinzipien imWahlrecht gelten. Zunächst wird nach dem Verhältnis-wahlrecht festgestellt, wie viele Mandate einer Partei zu-stehen. Hat sie mehr Direktmandate gewonnen, als ihrnach dem Verhältniswahlrecht zustehen, dann werdendiese Direktmandate nach der Reihenfolge der Wahler-folge quasi von hinten weggenommen. Das sieht übri-gens auch das bayerische Landeswahlrecht so vor. Derbayerische Gerichtshof hat dazu gesagt, es sei nicht zubeanstanden, wenn eine Regelung dazu führt, dass beiÜberhängen die Stimmkreisbewerber in der Reihenfolgeder niedrigsten Stimmzahlen ausscheiden.
Das ist der erste Prinzip.Das zweite Prinzip ist: Hat eine Partei in einem Wahl-gebiet in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt,als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustehen, dannwerden diese Direktmandate mit den Listenerfolgen an-derer Bundesländer verrechnet, sodass es zu keiner Ver-größerung der betreffenden Fraktion kommt.
Warum ist es so wichtig, dass wir diese Überhang-mandate abschaffen?
Ich habe beim Wissenschaftlichen Dienst des DeutschenBundestages eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Ichzitiere daraus mit Erlaubnis des Präsidiums
und mache mir diese Erkenntnisse zu eigen. Danach ist,legt man die jetzigen Wahlumfragen zugrunde, zu be-fürchten, dass bei der nächsten Wahl zum DeutschenBundestag 30 bis 60 Überhangmandate entstehen. Dasheißt, die Zahl der Überhangmandate ist durchaus be-achtlich und hat hier im Deutschen Bundestag mindes-tens Fraktionsstärke. Es besteht die ernsthafte Gefahr,dass der Wählerwille durch den Effekt der Überhang-mandate in sein Gegenteil verkehrt wird, indem ein Teildes Hauses die Mehrheit der Zweitstimmen erringt, aberein anderer Teil des Hauses die Mehrheit der Mandatehat. Wenn es dazu kommt, dann wird der Hund in derPfanne verrückt. Dann sagen unsere Wählerinnen undWähler: Das ist keine Demokratie. Wir wollen, dass derDeutsche Bundestag den Wählerwillen des deutschenVolkes abbildet.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Effekte desnegativen Stimmgewichts kritisiert. Zum einen kann derWille des einzelnen Wählers in einem Wahlkreis ins Ge-genteil verkehrt werden. Zum anderen – das betrifft ei-nen anderen Prüfmaßstab, der bei der Frage der Über-hangmandate von Bedeutung ist – könnten dieMehrheitsverhältnisse verändert werden. Wir müssendeshalb eine Lösung wählen, bei der Überhangmandatevermieden werden.Unsere Fraktion klebt nicht an dem vorgelegten Vor-schlag, auch wenn ihn das Bundesverfassungsgericht inseinem Urteil ausdrücklich als einen der möglichen Lö-sungswege bezeichnet hat. Meine Damen und Herrenvon der Koalition, wir von der Opposition lassen es Ih-nen aber auf keinen Fall durchgehen, dass Sie uns hierein Wahlgesetz vorlegen und mit Ihrer knappen Mehr-heit beschließen, das dazu führen kann, dass die Mehr-heit der abgegebenen Stimmen nicht zu einer Mehrheit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10917
Volker Beck
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der Mandate im Deutschen Bundestag führt. Einen sol-chen Versuch eines Putsches im Wahlrecht werden wirIhnen nicht durchgehen lassen.
Ich fordere Sie auf: Kommen Sie auf der Grundlageunseres Gesetzentwurfs zurück zum Verhandlungstisch!Verhandeln Sie mit SPD, Grünen und Linken gemein-sam über die Wahlrechtsreform! Wir haben einen Vor-schlag gemacht, Ihrer liegt nicht auf dem Tisch. LassenSie uns diese Frage gemeinsam regeln!Sie haben die ganze Zeit gepennt. Damit haben Sieuns in eine Situation gebracht, in der echte Sorgfalt nichtmehr möglich ist. Die Berücksichtigung weiterer Fragen,die man an das Wahlrecht stellen könnte – unabhängigdavon, ob das verfassungsrechtlich zwingend ist –, istnicht mehr möglich; das kann nicht mehr seriös geprüftund diskutiert werden. Wir müssen jetzt zu Potte kom-men. Sie können Ihre internen Differenzen nicht dazunutzen, um hier quasi am letzten Tag, in der letztenNacht vor der Sommerpause ein Wahlrecht durchzudrü-cken, das am Ende einer Überprüfung in Karlsruhe nichtstandhalten wird. Ich sage Ihnen: Wenn Sie ein Wahl-recht beschließen, das den Volkswillen nicht eindeutigabbildet und dessen Umsetzung nicht garantiert, dannsehen wir uns in Karlsruhe wieder, und zwar – wenn Siebis zum Ende der Wahlperiode durchhalten sollten – vorder Bundestagswahl.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es fällt mir – ich denke, auch den anderenRednern in der Debatte – nicht leicht, sich nach der De-batte über die Ereignisse in Japan und die Konsequenzenin Deutschland wieder einem rein innenpolitischenThema – man könnte sagen: einem Luxusproblem derdeutschen Politik – zuzuwenden: dem negativen Stimm-gewicht.Ich darf eine einleitende Bemerkung in eigener Sachemachen. Der Zeitplan ist heute bei uns allen deutlichdurcheinandergeraten. Das führt unter anderem dazu,dass fast parallel zu dieser Debatte die jährliche Richter-wahl im Deutschen Bundestag stattfindet. Ich bitte, esausnahmsweise zu entschuldigen, wenn ich etwas früher,vor Ende der Debatte, verschwinden muss. Das gehörtsich normalerweise nicht; aber ich hoffe, Sie sehen esmir nach.Die Grünen sind in Sachen Wahlrecht eine umtriebigePartei;
vielleicht hat das etwas mit ihrer eigenen Geschichte zutun. Sie haben einen ähnlichen Antrag wie heute schoneinmal am Ende der 16. Wahlperiode und in der13. Wahlperiode vorgelegt.
Dabei kommt die Frage auf: Wo bleiben denn die An-träge in der 14. und 15. Wahlperiode? Da haben Sie re-giert; da hätten Sie die Mehrheit gehabt, um das „Übel“– aus Ihrer Sicht – zu beseitigen.
Sie haben die Möglichkeit nicht genutzt. Man muss alsoganz sachlich und neutral festhalten: Das Thema war Ih-nen jedenfalls zu jener Zeit nicht ganz so wichtig.
Ich habe grundsätzlich Verständnis dafür, dass Siedieses Anliegen heute im Deutschen Bundestag vortra-gen. In der Tat: Die Frist drängt; sie läuft Mitte des Jah-res aus.
Wir können uns jetzt natürlich gegenseitig mangelndenFleiß oder mangelnden Willen bei der Lösung des Pro-blems vorwerfen. Aber ich glaube, wir müssen bei einerehrlichen Betrachtung der Sache zugeben, dass das nichtden Kern der Sache trifft. Das Problem ist hochkomplex,und wer das nicht einsieht, zeigt, dass er sich mit der Sa-che nicht hinreichend befasst hat.
2008 hat die große Mehrheit des Deutschen Bundes-tages, einschließlich der Kollegen der SPD, das geltendeWahlrecht inklusive des negativen Stimmgewichts inKarlsruhe verteidigt. Wir wussten genau, dass dieses ne-gative Stimmgewicht kein Betriebsunfall, kein Schön-heitsfehler des Wahlrechts ist, sondern die unmittelbare,fast logische Konsequenz der besonderen Verknüpfungvon Direktwahl und Listenwahl in unserem Wahlrecht.Man kann ein anderes Wahlrecht wollen. Man kann einMehrheitswahlrecht oder ein reines Verhältniswahlrechtwollen. Dann würde dieses Problem nicht auftauchen.Ich glaube aber, dass diese Verknüpfung richtig ist – ichdenke, darüber sind wir uns im Grundsatz einig –, auchwenn sie systembedingt in Einzelfällen zu einem negati-ven Stimmgewicht führt.Am Beginn dieser Wahlperiode haben wir uns mit ei-nigen Kollegen – die Kollegen Ruppert, Uhl und anderewaren dabei – intensiv Gedanken darüber gemacht, wel-che Lösungen es gibt. Die Sache ist komplex und kom-pliziert.
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10918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Günter Krings
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Wir haben festgestellt, dass die meisten Lösungen, dieangeboten werden, entweder noch schlimmere Folgenhaben – das gilt auch für Ihren Vorschlag; darauf kommeich gleich noch zu sprechen – oder das negative Stimm-gewicht gar nicht oder nur zu einem geringen Teil besei-tigen.Hätte es eines Beweises bedurft, dass die Sacheschwierig und nicht einfach zu lösen ist, so haben Siediesen Beweis, Herr Kollege Beck, mit diesem wirklichsehr dürftigen Gesetzentwurf erbracht.
Ihr Gesetzentwurf lässt – das ist mein erster Kritikpunkt –jegliche Auseinandersetzung mit alternativen Lösungs-ansätzen vermissen. Wenn der Gesetzgeber, gerade wennes um die eigene Sache geht, zwischen gänzlich ver-schiedenen Lösungen auswählen muss, dann ist es auchim Licht der aktuellen Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts in Karlsruhe geboten, dass er dabei einMindestmaß an Rationalität und Transparenz erkennenlässt. Genau das fehlt aber bei Ihrem Gesetzentwurf. Siehaben auf etwa einer halben Seite eine dünne Analyse– das ist eher eine Nacherzählung – des Urteils des Bun-desverfassungsgerichts in Karlsruhe vorgenommen.Es gibt keine Auseinandersetzung mit Alternativen.Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit einerAlternative, die sich geradezu aufdrängt, wenn man da-nach fragt, welches die Ursache für das negative Stimm-gewicht ist. Die Ursache haben Sie gar nicht angespro-chen. Die Ursache ist die Verknüpfung der Landeslisten,die Reststimmenverwertung. Es ist doch naheliegend,sich damit auseinanderzusetzen. Wenn das Problem dieVerbindung der Landeslisten ist, könnte die Trennungder Landeslisten doch die Lösung sein. Es ist immer gut,wenn die Lösung etwas mit dem Problem zu tun hat. Dasgilt nicht nur, aber insbesondere in diesem Fall.
Dieses Modell ist immerhin in den ersten beiden Bun-destagswahlen erfolgreich angewendet worden. Inso-fern hätte man sich damit zumindest auseinandersetzenmüssen. Mehr verlange ich von Ihnen gar nicht. Ichglaube, das ist nicht zu viel verlangt.Ihr Gesetzentwurf – diesen Vorwurf kann ich Ihnenleider nicht ersparen – ist auch handwerklich miserabel.
Ich will aus der Begründung zitieren: „Alternativ wäredie Fraktion“, also Sie, „gesprächsbereit“, auch eine an-dere „Lösung zu unterstützen“. Das können Sie in einemBrief oder einer E-Mail an mich schreiben. Das könnenSie auch in einem Telefonat mit mir sagen. Das stehtaber in einem Dokument,
das aus Ihrer Sicht die amtliche Begründung eines Ge-setzes der Bundesrepublik Deutschland werden soll. Wirmachen uns doch lächerlich, wenn wir so etwas in die-sem Hause zur Gesetzesbegründung erheben.
Da Sie zu diesem Thema schon öfter etwas vorgelegt ha-ben, wäre es gut, wenn Sie die Sache das nächste Mal ei-nem Juristen überlassen oder einen Juristen zumindesteinmal drübergucken lassen – Sie haben in Ihrer Frak-tion ja kompetente Kollegen –, bevor wir uns hier damitbefassen.
Ich komme zum dritten, vielleicht entscheidendenKritikpunkt. Das, was Sie in diesem Gesetzentwurf vor-schlagen, ist unter regionalen und föderalen Gesichts-punkten in hohem Maße ungerecht und unfair. Ihr Vor-schlag basiert im Kern darauf, dass Überhangmandate,die in einem Bundesland entstehen, in einem anderenBundesland kompensiert werden. Für Überhangman-date sollen in einem anderen Bundesland Listenmandateweggenommen werden. Abgeordneten, die nach demWahlergebnis eines Bundeslandes bereits gewählt sind,soll das Mandat also entzogen werden, um Überhang-mandate zu kompensieren. Schon heute sind – das istrichtig – die Länder, in denen es relativ viele Überhang-mandate gibt, in föderaler Hinsicht im Vorteil; denn siehaben aufgrund der Überhangmandate auf Bundesebeneein größeres politisches Gewicht. Was wäre die Folge Ih-res Vorschlages? Dieses Problem würde verschärft.Die Länder, in denen üblicherweise keine Überhang-mandate anfallen, hätten dadurch einen Nachteil. Ichkomme aus einem solchen Bundesland. Nordrhein-West-falen hatte noch nie ein Überhangmandat. Wir haben einausgewogenes Verhältnis von Erst- und Zweitstimmen.Hier gibt es Hochburgen beider großen Parteien. Wirsind bereits tendenziell im Nachteil, weil wir nie Über-hangmandate bekommen können. Das kann man als Teildieses Wahlsystems akzeptieren. Aber wir wären danndoppelt im Nachteil, weil wir zusätzlich quasi als Stein-bruch für andere Bundesländer mit Überhangmandatenherhalten müssten. Diese föderale Ungerechtigkeittaucht in Ihrer Begründung nicht einmal auf. Sie ist mei-nes Erachtens der Hauptkritikpunkt und das Hauptpro-blem bei Ihrem Vorschlag. Ich frage mich auch, ob eswirklich demokratisch und föderal fair wäre, wenn bei-spielsweise ein sächsisches Überhangmandat dazuführte, dass ein bereits in Nordrhein-Westfalen oder imkleinen Saarland gewählter Abgeordneter sein Mandatverlieren müsste.Wenn man das ganz nüchtern auf die letzte Bundes-tagswahl anwendet, sieht man: Das führt zu groteskenErgebnissen. In Brandenburg hat knapp ein Viertel derWähler bei der letzten Bundestagswahl der CDU das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10919
Dr. Günter Krings
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Vertrauen ausgesprochen. Nach Ihrer Lösung würde nurein einziger Abgeordneter für Brandenburg im Deut-schen Bundestag sitzen. Das hätte bedeutet, dass etwa330 000 CDU-Wähler in Brandenburg
von einem einzigen Abgeordneten im Deutschen Bun-destag vertreten würden. Im Durchschnitt vertritt in derRepublik ein Abgeordneter etwa 65 000 Wähler. Dieseseklatante Missverhältnis ist wirklich nicht mehr be-gründbar und nicht mehr darstellbar.
Man kann das weiter durchspielen. Bei realistischenSzenarien sind durchaus Extremfälle denkbar, zum Bei-spiel dass ein Land knapp die Hälfte der ihm zustehen-den Mandate verliert, dass es statt der üblichen 20 Man-date nur noch 11, 12 oder 13 Mandate hat. Das ist eineeklatante Benachteiligung von bestimmten Bundeslän-dern. Es ist nicht zu akzeptieren, dass ein Drittel oder einViertel der Menschen in einem Bundesland eine Parteiwählt, diese Partei dann aber ohne ein Mandat ausgeht.In Brandenburg hätte nur ein Wahlkreis verloren werdenmüssen, und dann wären die 330 000 CDU-Wähler ohnejegliche Vertretung im Deutschen Bundestag gewesen.Das ist das Gegenteil von Demokratie, und das ist nichtakzeptabel.
Herr Kollege Krings, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Beck?
Ich habe ausreichend Redezeit; die brauche ich nicht
zu verlängern.
Die Redezeit wird angehalten.
Das ist ein ganz reizendes Angebot. Aber das ist nichtnotwendig. Vielen Dank.
Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihr Vor-schlag ist – das wird vielleicht noch deutlicher, wenn Siees im Zusammenhang hören – ein besonderes Beispielfür Willkür. Wenn hier Preise für Willkür und für man-gelnde demokratische Reife eines Vorschlags
zu verteilen gewesen wären, hätten Sie beide Preise spie-lend abgeräumt.Interessant ist auch, dass Ihnen die wissenschaftlichenUnterstützer Ihres Vorschlags so langsam, aber sicherausgehen. Es gab in der letzten Wahlperiode bei Ihneneine Anhörung mit dem Mathematiker Pukelsheim, derversucht hat, Ihnen da ein wenig auf die Sprünge zu hel-fen. Er hat sich inzwischen offenbar von Ihrem Gesetz-entwurf distanziert. Sie zitieren ihn auch gar nicht mehr.Er hat offenbar andere Präferenzen und hat erkannt, dasses eine föderale Unwucht in ihrem Vorschlag gibt.
Ich freue mich daher, dass die Einwände gegen diese fö-derale Ungerechtigkeit, die in der letzten Wahlperiodenur ich hier im Deutschen Bundestag kritisiert habe, zu-mindest in der Wissenschaft auf fruchtbaren Boden ge-fallen sind. Die Lernkurve bei den Grünen ist wiedereinmal etwas ungünstiger.
Meine Damen und Herren, vollends lächerlich – jetztwird es ganz bitter für Sie – und absurd ist § 7 Abs. 6 Ih-res Gesetzentwurfs. Wenn ich darf, zitiere ich:Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direkt-mandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, sowerden die überzähligen Wahlkreissitze der Kandi-daten dieser Partei mit dem geringsten prozentualenStimmenanteil nicht besetzt; …Ich will der Mehrheit Ihrer Fraktion zugutehalten, dasssie diese Vorschrift vielleicht nicht gelesen hat, dass sieder eine oder andere vielleicht auch nicht verstanden hat.Das mag sein – es ist eine komplizierte Materie –, aberich möchte gern Ihre Fraktionskollegen bösgläubig ma-chen. Das ist der erste Vorschlag in der Geschichte desWahlrechts der Bundesrepublik Deutschland – mankönnte auch bis zu den Reichstagswahlen zurückgehen –,nach dem einem in einem Wahlkreis direkt gewähltenAbgeordneten sein Mandat verweigert wird. Was darandemokratisch sein soll, möchte ich einmal wissen. Je-denfalls ist es Gift für die demokratische Akzeptanz undfür das Vertrauen der Menschen in die Integrität desWahlvorgangs. Diese hanebüchene Regelung kanndurchaus – ich habe zuerst gar nicht glauben wollen,dass man so etwas ernsthaft vorschlägt; ich habe es drei-mal lesen müssen – dazu beizutragen, dass das Vertrauender Menschen in den Wahlvorgang abnimmt. Ich glaubekaum, dass jemand, der als Wähler Opfer Ihrer Regelunggeworden ist, dann noch freudig zur nächsten Bundes-tagswahl geht. Ihr Vorschlag ist nichts anderes als eingroßes Programm zur Reduzierung der Wahlbeteiligungin unserem Land.Das ist natürlich auch für einen Kandidaten misslich.Er hat einen spannenden Wahlkampf geführt – es kommtja gerade in den Wahlkreisen zum Tragen, wo es zwi-schen zwei oder drei großen Parteien knapp wird –, erhat, vielleicht knapp, gesiegt, und dann zieht er nicht in
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10920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Günter Krings
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den Bundestag ein. Diese Perspektive des Kandidatenhalte ich aber für gar nicht so wichtig. Ich betrachte dasmehr aus der Perspektive des Wählers – Sie würden sa-gen: der Wählerinnen und Wähler – in einem Wahlkreis.
Es könnte zu folgendem Fall kommen: In einemWahlkreis hat sich die Mehrheit für einen bestimmtenKandidaten entschieden, und dann müssen die Wähleram nächsten Tag in der Zeitung lesen, dass der Kandi-dat, der ihre Interessen in Berlin vertreten soll, nicht inden Bundestag einrücken kann, weil irgendwo 500 Kilo-meter weiter weg so viele Überhangmandate angefallensind, dass sein Mandat sozusagen als Kompensations-masse, als Steinbruch benutzt wird. Das hätte zwei mög-liche Folgen.Folge eins: Der Kandidat, der gewählt worden ist,kommt nicht in den Bundestag, aber ein anderer Kandi-dat, der auf einer Liste abgesichert ist, kommt in denBundestag und kann die Wahlkreisinteressen vertreten.Der Gewinner bleibt dann draußen, und der Verliererkommt rein. Das wäre geradezu die Verkehrung desWahlergebnisses in einem Wahlkreis in sein Gegenteil.Auch das Gegenteil von demokratischer Akzeptanz wäredie Folge.
Folge zwei träte ein, wenn keiner der Kandidaten aufder Landesliste abgesichert ist. Es ist ja möglich, dass imWahlkreis keiner der Kandidaten auf einer Liste abgesi-chert ist. Dann wäre dieser Wahlkreis ohne jegliche Ver-tretung im Deutschen Bundestag. Ich frage auch hier, obdas demokratisch ist.Gestatten Sie mir diese Bemerkung: Es mag ja sein,dass eine Fraktion, Herr Beck, die als einzigen direkt ge-wählten Kandidaten den Kollegen Ströbele hat,
es vielleicht nicht ganz so wichtig findet, dass viele überDirektmandate in den Bundestag kommen – das müssensie unter sich ausmachen; vielleicht haben Sie auch einProblem mit direkt gewählten Kandidaten –,
aber das, was Sie vorschlagen, wäre nicht gut für die De-mokratie, nicht gut für die Akzeptanz des Wahlvorgan-ges.Was ich hier angesprochen habe, ist keine blankeTheorie. Bei der letzten Bundestagswahl wären dreiCSU-Abgeordnete nicht in den Deutschen Bundestaggekommen, obwohl sie in ihren Wahlkreisen gewähltwurden. Das wäre nicht in Ordnung.
Das hätte die Wähler vor Ort nicht motiviert, zur Wahlzu gehen. Das hätte die Wahlbeteiligung bei der nächstenBundestagswahl bestimmt nicht gesteigert.Hätte die CDU deutschlandweit in einem der 16 Bun-desländer nur einen Wahlkreis mehr gewonnen, wäreauch bei ihr ein Direktmandat abgezogen worden. Dannwäre der gleiche Effekt auch bei der CDU eingetreten.Insofern betrifft das Phänomen des Abzuges nicht nurdie CSU, wie Sie es in der Begründung Ihres Gesetzent-wurfs fälschlicherweise schreiben, sondern es betrifftalle Volksparteien.
Alle Volksparteien, deren Kandidaten Direktmandate inihren Wahlkreisen gewinnen können, sind von diesemProblem betroffen.Wir haben den Gesetzentwurf der Grünen gewogenund für zu leicht befunden. Er beweist, wie kompliziertdie Aufgabe ist. Dies erklärt auch, warum wir von denKoalitionsfraktionen leider – das sage ich bewusst –heute noch keinen Gesetzentwurf vorlegen können. Mirist es aber lieber, dass wir die Frist des Verfassungsge-richts notfalls bis zur Neige ausschöpfen, als dass wirdem Deutschen Bundestag ein dürftiges Machwerk vor-legen, wie Sie es heute getan haben.
Das Wahlrecht – das haben, glaube ich, auch Sie be-tont, Herr Beck – ist die Grundlage der Demokratie. Daserfordert, dass die Menschen Vertrauen in die Integritätdes Wahlvorganges haben. Ein Wahlsystem muss daherfür den Bürger nachvollziehbar und durchschaubar sein.Es darf nicht willkürlich erscheinen. Ich glaube, ich habeeben hinreichend deutlich gemacht, wie willkürlich dasvon Ihnen vorgeschlagene Wahlsystem dem Bürger vorOrt erscheinen würde. Ein Wahlsystem muss die Sitzver-teilung zwischen den Parteien, aber auch zwischen denLandeslisten dem Wählerwillen gemäß abbilden. Auchdas wird mit Ihrem Gesetzentwurf in föderaler Hinsichtnicht erreicht. Sie haben die beiden zentralen Problemeder Wahlrechtsreform nicht gelöst.Ich stimme Ihnen zu: Wir müssen mit Hochdruckweiterarbeiten und miteinander reden, um die Sache zuregeln. Aber tun Sie sich bitte selber einen Gefallen: Er-sparen Sie sich die Peinlichkeit und ziehen Sie Ihren Ge-setzentwurf zurück, ehe ihn noch mehr Leute lesen!Vielen Dank.
Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmun-gen. Ich gebe die von den Schriftführerinnen und
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10921
Vizepräsidentin Petra Pau
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Jürgen Klimke Eckhard Pols Dr. Johann Wadephul
Erich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzMichael Frieser Julia Klöckner Thomas Rachel Marco WanderwitzSchriftführern ermittelten Echen Abstimmungen bekannEntschließungsantrag der Fder Fraktion der FDP zu der Aklärung durch die BundeskanEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 586;davonja: 308nein: 272enthalten: 6JaCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrichrgebnisse der namentli-t.raktion der CDU/CSU undbgabe einer Regierungser-zlerin zur aktuellen Lage inNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJapan, Drucksache 17/5048:Mit Ja haben 308 Kolleginnmit Nein haben 272 Kollestimmt. Es gab 6 Enthaltungtrag ist angenommen.Dr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht Polenzabgegebene Stimmen 586.en und Kollegen gestimmt,ginnen und Kollegen ge-en. Der Entschließungsan-Johannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid Voßhoff
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10922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
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Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerMichael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelGisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara Höll
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10923
Vizepräsidentin Petra Pau
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Dr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannFriedrich OstendorffDr. Hermann OttFDPErgebnis der zweiten nNr. 2 des EntschließungsantrDrucksache 17/5049: abgegeEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 588;davonja: 277nein: 311JaCDU/CSUJosef GöppelFrank HeinrichRüdiger KruseDr. Johann WadephulSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel Basamentlichen Abstimmung,ags der Fraktion der SPD,bene Stimmen 588. Mit JaSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter Friedrichhaben gestimmt 277, mit Neileginnen und Kollegen, es gaSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip Juratovicn haben gestimmt 311 Kol-b keine Enthaltungen.Oliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerDr. Martin Lindner
Hans-Joachim Otto
Dr. Rainer StinnerRaju Sharma Bettina Herlitzius Lisa Paus Holger KrestelAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerEnthaltenCDU/CSUJosef Göppel
Metadaten/Kopzeile:
10924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
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(B)
Franz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias Heider
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10925
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Helmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
Metadaten/Kopzeile:
10926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Wolfgang Gunkel Ingrid Hönlinger Dr. Christoph BergnerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Axel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Uwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerHans-Joachim Hacker Anton Schaaf Thilo Hoppe Peter BeyerWir kommen zu Nr. 3 desFraktion der SPD, DrucksaStimmen 584. Mit Ja haben 2Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 585;davonja: 205nein: 310enthalten: 70JaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael Groß Entschließungsantrags derche 17/5049: abgegebene05 Kolleginnen und Kolle-Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprechtgen gestimmt, mit Nein 309, uDer Entschließungsantrag istWerner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel Höhnnd es gab 70 Enthaltungen.abgelehnt.Maria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10927
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Wolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick Meinhardt
Metadaten/Kopzeile:
10928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 588;davonja: 273nein: 315JaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannNr. 4 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD,Drucksache 17/5049: abgegebene Stimmen 593. Mit Jahaben gestimmt 275, mit Nein 318 Kolleginnen und Kol-legen, es gab keine Enthaltungen. Der Entschließungsan-trag ist abgelehnt.Gabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
EnthaltenCDU/CSUJosef GöppelRüdiger KruseDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn Wunderlich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10929
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Karin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Metadaten/Kopzeile:
10930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Bartholomäus KalbVolker KauderEduard OswaldBeatrix PhilippMichael StübgenAndrea Astrid VoßhoffHeiner KampDr. h. c. Jürgen KoppelinDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierErgebnis der namentlichEntschließungsantrag der Frache 17/5050: abgegebene StRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena Strothmannen Abstimmung über denktion Die Linke, Drucksa-immen 589. Mit Ja habenDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner Hoyergestimmt 69, mit Nein 316,Kollegen haben sich enthalttrag ist abgelehnt.Sebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
und 204 Kolleginnen unden. Der Entschließungsan-Hans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Henning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun Kopp
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10931
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 588;davonja: 69nein: 315enthalten: 204JaSPDKarin Evers-MeyerDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichNeinCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole Schröder
Metadaten/Kopzeile:
10932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Bernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
EnthaltenSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter Steinmeier
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10933
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
davonja: 278Josef GöppelElvira Drobinski-WeißKarin Evers-MeyerElke FernerDr. Eva HöglLars KlingbeilHans-Ulrich KloseJohannes PflugDr. Carola ReimannSönke RixFrank HeinrichRüdiger KruseDr. Peter TauberDr. Johann WadephulSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingJaCDU/CSUIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold Reichenbachnein: 309Garrelt DuinSebastian EdathyChristel HummeJosip JuratovicJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Ergebnis der namentlichEntschließungsantrag der Franen, Drucksache 17/5051:Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 587;Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja Keulen Abstimmung über denktion Bündnis 90/Die Grü-abgegebene Stimmen 588.Martin BurkertPetra CroneMartin DörmannMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffMit Ja haben gestimmt 278,und Kollegen, Enthaltungen gßungsantrag ist abgelehnt.Gabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip Winkler mit Nein 310 Kolleginnenab es keine. Der Entschlie-Holger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz Paula
Metadaten/Kopzeile:
10934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Sonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsBettina Kudla
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10935
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
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Dr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertIngbert LiebingMatthias LietzDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Norbert SchindlerTankred SchipanskiIngo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerFDPJens AckermannSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtMichael Link
Dr. Erwin LotterDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertErgebnis der siebten namdiesem Fall über den EntschlBündnis 90/Die Grünen aufGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
entlichen Abstimmung, inießungsantrag der FraktionDrucksache 17/5052: abge-Christian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen Koppelingebene Stimmen 584. Mit JaNein 311 Kolleginnen und Khaltungen. Der EntschließungOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
haben gestimmt 273, mitollegen, es gab keine Ent-santrag ist abgelehnt.Katharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
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10936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 584;davonja: 273nein: 311JaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinHeidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Rosemarie HeinInge HögerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJan KorteJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Michael SchlechtDr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderAlexander BondeViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Ulrike HöfkenDr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerThilo HoppeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeFritz KuhnStephan KühnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Monika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann Ott
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10937
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Lisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerNeinCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannManfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannEckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeJulia KlöcknerAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterDr. Angela MerkelMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannBernd Neumann
Michaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlDr. Matthias ZimmerWolfgang ZöllerWilli ZylajewFDPJens AckermannChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian BernschneiderSebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick Döring
Metadaten/Kopzeile:
10938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
sungsgericht vor fast drei Jahren entschieden hat, dassunser Wahlrecht in Teilen nicht der Verfassung ent-
spricht und repariert werdenMonate vor Ablauf der geseIch muss sagen: Das ist arms
irekt nach der letzten Bun-boten. Wir haben auch Ge-Wir haben als OppositionU/CSU]: Auch nichtle!) vertagt. Seit drei Monatenmehr, weil Sie, Union undt einigen können.U/CSU]: Darum gehts Abg. Dr. KonstantinAlso: Wahlen sind Verfassumokratierecht. Das Wahlrechdass das Vertrauen in die Funmokratie nicht beeinträchtigt
n und Bürger das Wahlge-sie fest: Dort steht, dass dieer des Deutschen Bundes-rdnete werden in Wahlkrei-9 werden mit der Zweit-n gewählt. Würde man beiählen, würde man feststel-ordnete, sondern 621. Vor2. Dann ist allerdings dererg zurückgetreten und hatrgelegt.Rainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerHeiner KampMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorWir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat derKollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Krings, vielenDank für Ihre Offenheit. Nach der wortreichen Kritik amGesetzentwurf der Grünen haben Sie kurz vor SchlussIhrer Rede in zwei einfachen Sätzen doch noch die Ho-sen heruntergelassen
und etwas eingeräumt. Sie haben keine Lösung,
Sie können nichts vorlegen. Nachdem das Bundesverfas-Jan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Sondern?)Sie rechnen ununterbrochen hin und her und versuchen,für die eigene Fraktion in den Verhandlungen den größt-möglichen Vorteil herauszuholen. Sie können sich abernicht einigen. Das, Herr Krings, ist kein angemessenerUmgang mit dem Wahlrecht.
Das Wahlrecht ist nicht irgendein Recht. Nach unsererVerfassung geht die Staatsgewalt vom Volke aus,
und sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungenausgeübt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10939
Thomas Oppermann
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Normalerweise kommt dann ein Nachrücker von derLandesliste und ersetzt den Abgeordneten, der sein Man-dat niedergelegt hat. Bei Herrn zu Guttenberg ist dasnicht passiert. Das liegt jetzt nicht an der Einzigartigkeitoder Unersetzlichkeit von Herrn zu Guttenberg, sonderndaran, dass Herr zu Guttenberg aus einem Landesver-band kommt, nämlich aus Bayern,
wo die CSU drei Überhangmandate erzielt hat. Solangees Überhangmandate gibt, werden verlorene Mandate in-folge von Mandatsniederlegungen nicht ersetzt. Dasheißt, der Deutsche Bundestag ist eine variable Größe.
Wir werden schon in 14 Tagen das zweite Schauspielerleben: Dann wird Frau Julia Klöckner,
wenn sie als Oppositionsführerin in den rheinland-pfäl-zischen Landtag wechselt,
ihr Mandat niederlegen, und – das werden Sie feststellen –auch für sie rückt niemand nach.
Denn auch in Rheinland-Pfalz hatte die CDU Überhang-mandate.Insgesamt hat die CDU/CSU-Fraktion im DeutschenBundestag 24 Überhangmandate.
So viele gab es im Deutschen Bundestag noch nie.
Um 24 Überhangmandate durch Zweitstimmen zu erzie-len, müsste man 1,6 Millionen Zweitstimmen erhalten.Sie haben 24 Extra-Mandate, für die Sie keinerlei Wäh-ler aktivieren mussten.
Das ist eine grobe Verzerrung des politischen Wähler-willens in Deutschland.
Davon hat in der Vergangenheit auch die SPD profi-tiert.
Das macht die Sache aber nicht gut, Herr Kollege, unddeshalb plädieren wir auch mit Blick darauf, dass dieSPD nach den augenblicklichen Umfragen schon wiederin den Genuss von Überhangmandaten kommen würde,dafür, neben dem negativen Stimmgewicht gleichzeitigdie grob ergebnisverzerrende Wirkung von Überhang-mandaten zu beseitigen.
Wir machen dies also auch zu unserem eigenen Nachteilfür den Fall, dass wir wieder in den Genuss von Über-hangmandaten kommen sollten.
Das kann also kein Maßstab sein.
Wir dürfen das nicht allein durch die parteipolitischeBrille betrachten, sondern wir sollten mit Sorge sehen,dass im Fünfparteiensystem, das wir bedauerlicherweisehaben
– ja, mit der CSU ist es sogar ein Sechsparteiensystem –,der Trend zum Stimmensplitting stärker ausgeprägt seinwird.
Die Konsequenz wird sein, dass wir noch mehr Über-hangmandate bekommen, und der Kollege Beck hatschon darauf hingewiesen: Es besteht die konkrete Ge-fahr, dass Regierungsmehrheiten nach Zweitstimmendurch Überhangmandate umgedreht werden können undwir dann eine in ihrer Legitimität angezweifelte Mehr-heit haben. Darauf eine Regierung zu stützen, würdeDeutschland ganz sicher direkt in die Verfassungskriseführen.Deshalb sagen wir: Die Überhangmandate müssenwir jetzt gleich mit angehen. 24 Überhangmandate, dieSie jetzt haben, das bewegt sich schon sehr stark auf dieFünfprozentgrenze zu. Mit anderen Worten: Die Inhabervon Überhangmandaten sind so etwas wie die sechsteoder, wie Sie wollen, siebte Fraktion hier im DeutschenBundestag. Sie sind ein Fremdkörper in unserem Wahl-recht. Es geht jetzt darum, die Gelegenheit der verfas-sungsrechtlichen Reparatur des Wahlrechts zu nutzen,um diesen Fremdkörper aus unserem Wahlrecht zu ent-fernen.
Wir schlagen deshalb vor, dass Überhangmandatedurch Ausgleichmandate kompensiert werden sollen.
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10940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Thomas Oppermann
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Allerdings ist auch das kein Vorschlag, der überhauptkeine Probleme mit sich bringt. Es gibt übrigens keineLösung ohne Probleme; das muss man fairerweise ein-mal sagen.
Auch das, was Sie überlegen, hat positive, aber auch ne-gative Ansätze.Wir wollen Ausgleichsmandate schaffen, sodass dieProportionalität der abgegebenen Zweitstimmen wieder-hergestellt wird, damit sich der Deutsche Bundestag sozusammensetzt, wie es die Wählerinnen und Wähler mitihren Zweitstimmen entschieden haben. Das ist unserZiel. Wir wollen Ausgleichsmandate für die Überhang-mandate schaffen. Wir wissen: Bei 24 Überhangmanda-ten kommt man auf ungefähr 45 Ausgleichsmandate.
Das würde zu einer erheblichen Vergrößerung des Deut-schen Bundestages führen.
Das streben wir jedoch nicht an. Deshalb sagen wir:In der übernächsten Wahlperiode müssen wir uns an dieArbeit machen und die Zahl der Wahlkreise verringern.
– Nein, nicht alle Wahlkreise, aber es ist ein erheblichesStück Arbeit.
– Wenn Sie ein demokratisches Wahlergebnis auch imDeutschen Bundestag abgebildet haben wollen, dannmüssen Sie sich schon Mühe geben. Im Augenblick istdas jedenfalls nicht so. – Das ist also unser Vorschlag.Was die Grünen vorschlagen, ist eine mögliche Lö-sung, aber nicht die beste. Die Konsequenz, dass ein di-rekt gewählter Abgeordneter sein Mandat hier nichtübernehmen kann, ist jedenfalls nicht basisdemokra-tisch.
Ich darf hier an eine der vier Wurzeln der Grünen erin-nern. Immerhin ist das aber ein Vorschlag. Sie haben da-gegen noch gar keinen Vorschlag.
Herr Krings, ich darf jetzt einmal an das anknüpfen,was Sie bisher zur Diskussion gestellt haben, dass Sie alsKoalition nämlich darüber nachdenken, das deutscheWahlvolk auf 16 autonome Teilgebiete zu verteilen, dierechtlich voneinander abgegrenzt sind.
Das würde zu ganz erheblichen Konsequenzen führen.
Es ist so, dass wir ein Bundesstaat sind und ein Bun-desvolk haben. Ihr Vorschlag bedeutete also eine Föde-ralisierung unseres Wahlrechtes, und die Konsequenzwäre auch, dass die Fünfprozentklausel dann natürlichnicht mehr bundesweit,
sondern landesweit gelten würde.
Das heißt, eine verfassungsfeindliche und verfassungs-widrige Partei wie die NPD – noch ist das leider nichtfestgestellt worden – würde dann in den Ländern, in de-nen sie Chancen hat, in den Deutschen Bundestag einzu-ziehen, Schwerpunktwahlkämpfe durchführen.
Bewahren Sie uns vor einem solchen Wahlrecht mit sol-chen Konsequenzen. Bitte nicht!
Ich meine, wir sollten alles dafür tun, dass wir amEnde zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. Wirstreben das nach wie vor an.Wir sind davon überzeugt, dass wir uns mit unseremVorschlag nicht zu 100 Prozent durchsetzen können,aber ich glaube, es wäre für die Demokratie gut, wennwir uns über die grundsätzlichen Spielregeln, wie politi-scher Einfluss in Deutschland demokratisch verteilt wer-den soll, vernünftig verständigen könnten. Wir sind dazubereit. Sie müssen sich jetzt aber ein bisschen bewegen;in drei Monaten läuft die Frist ab.
Nachdem schon bei den Neuregelungen zu Hartz IVdie Frist um Monate versäumt wurde, sollten wir nichterneut eine vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Fristverstreichen lassen und dadurch das Bundesverfassungs-gericht missachten. Bewegen Sie sich also! Wir sind zuVerhandlungen bereit.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Ruppert dasWort.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10941
Vizepräsidentin Petra Pau
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Wahlrecht – das haben alle Vorredner zu
Recht betont – ist einerseits ein hochpolitisches Recht,
das andererseits aber möglichst im breiten Konsens aller
Demokraten zu regeln ist. Es ist so etwas wie die Gram-
matik des demokratischen Diskurses. Der Bürger muss
diese Regeln kennen und verinnerlichen. Er muss wis-
sen, wie sich sein Wahlverhalten in ein konkretes Wahl-
ergebnis umsetzt und was seine Erst- und seine Zweit-
stimme inhaltlich bewirken. Wenn man das ernst nimmt,
dann muss man wissen, dass jedwede Änderung am
Wahlrecht auch Auswirkungen auf eine eingeübte Praxis
des Wählers hat: Der Wähler muss sich bei der Beant-
wortung der Frage, wie er nun in Zukunft wählen muss,
umstellen.
Ich glaube, hier ist es wie mit der Grammatik der
Sprache oder der Rechtschreibung: Abrupte Änderungen
und ein Systemwechsel – bei einem an sich bewährten
Wahlrecht – bieten sich hier nicht an, weil wir damit
auch an der Legitimation des Verfahrens rütteln würden.
Deswegen sollten wir aus meiner Sicht keinen System-
wechsel vornehmen, obwohl uns das Bundesverfas-
sungsgericht klar gesagt hat, dass die Bandbreite mögli-
cher Wahlsysteme in der Bundesrepublik, die
verfassungsgemäß wären, durchaus groß ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich dieses
Wahlrecht bewährt hat und dass wir deswegen den Auf-
trag des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass nehmen
müssen, sozusagen minimalinvasiv an der Stelle gegen
das Problem vorzugehen, an der es entsteht.
Ich zitiere aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil
– das hätte Herr Beck vielleicht auch noch einmal lesen
sollen –:
Der Effekt des negativen Stimmgewichts lässt sich
daher nicht isoliert beheben, sondern erfordert
grundlegende Vorarbeiten, die die verschiedenen
Vor- und Nachteile in den Blick nehmen.
Leider sind die Grünen diesem Rat nicht gefolgt; sie ha-
ben isoliert einen einzelnen Vorschlag vorgelegt.
Was mich daran auch in kollegialer Hinsicht ausge-
sprochen ärgert, ist, dass das Zugehen auf Herrn Beck
am Rande des Plenarsaals, das Telefonieren mit seinem
Büro und die Gesprächsangebote bei allen gleichen Inte-
ressen, die wir beide als Vertreter kleiner Parteien durch-
aus haben – auch wenn Sie sich derzeit stärker fühlen
mögen, als Sie sind –, immer huldvoll mit der Aussage
beantwortet wurde, die Zahlen bzw. Berechnungen
könne man liefern, aber Gesprächsbedarf sei derzeit
nicht vorhanden.
Mehrere Initiativen gerade von mir und meiner Frak-
tion, auf die Grünen zuzugehen, und alle Gesprächsan-
gebote haben Sie abgelehnt. Gleiches ist mir mit dem
Kollegen Wieland als zuständigem Berichterstatter pas-
siert, der auch zweimal Gesprächsangebote abgelehnt
hat. Deshalb sollten Sie nicht so tun, als ob Sie keine Ge-
sprächsangebote bekommen hätten.
Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Beck?
Ja, gerne.
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich,
nachdem wiederholt die angesetzten Gespräche abgesagt
und die bereits für den Dezember versprochenen Formu-
lierungen der Koalition weder im Dezember noch im Ja-
nuar oder Februar übermittelt wurden, den Parlamentari-
schen Geschäftsführern mitgeteilt habe, dass wir unseren
Vorschlag zur Debatte stellen werden, damit das Gesetz-
gebungsverfahren eingeleitet wird?
Wir haben ausdrücklich betont, dass wir jederzeit zu
Gesprächen bereit sind. Aber da die Gesprächstermine
abgesagt und die zugesagten Formulierungen nicht über-
mittelt wurden – das ist aber notwendig, damit die Dis-
kussion über die Vorschläge der Koalition stattfinden
kann –, haben wir gesagt: Jetzt müssen wir das Gesetz-
gebungsverfahren einleiten, damit das Hohe Haus die
wahlrechtlichen Fragen in angemessener Form prüft.
Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
der Weg, den unser Gesetzentwurf vorsieht, am Schluss
des Urteils ausdrücklich als eine der zwei Hauptideen
des Verfassungsgerichtes hierzu erwähnt wird? An ande-
rer Stelle werden noch weitere Ideen wie das Graben-
wahlsystem erwähnt, denen wir beide als Vertreter klei-
nerer Parteien wahrscheinlich nicht nähertreten wollen.
Wir sind auch zu Gesprächen mit Ihnen jederzeit be-
reit. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir den Vor-
schlag der Koalition kennen und wissen, ob es auf der
Grundlage dieses Vorschlags Gesprächsmöglichkeiten
und Veränderungsmöglichkeiten gibt. Bislang steht die
Koalition beim Wahlrecht nackt da.
Sehr geehrter Herr Beck, zunächst einmal muss manfesthalten: Alle angebotenen Gespräche wurden Ihrer-seits abgesagt. Ich habe mehrere Fachgespräche mit Ver-fassungsrechtlern und Mathematikern geführt und ver-sucht, mich tief in das Thema hineinzudenken. Ich habedaran Interesse als Demokrat, der zwar nicht persönlich,aber aus historischer Sicht die Situation einer Großen
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10942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Stefan Ruppert
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Koalition kennt, bei der es in den 60er-Jahren seitens derVolksparteien Initiativen zur Änderung des Wahlrechtsgegeben hat. Ich war bereit, mit Ihnen darüber ins Ge-spräch zu kommen.Wie Sie und auch Herr Oppermann richtig gesagt ha-ben, gibt es nicht die eine Lösung, die alle Probleme be-hebt. Aber wir müssen miteinander darüber reden, wel-che Vor- und Nachteile bestehen. Das geht aber nicht,wenn Sie jeden Gesprächstermin absagen.
– Zwei Termine haben Sie abgesagt, einen hat HerrWieland abgesagt.
Jetzt kommen wir zu Ihrem Vorschlag. Zunächst ein-mal muss man noch einen Aspekt isoliert betrachten. DieOSZE hat uns kritisiert, weil wir die Wahlzulassung undWahlprüfung in Deutschland nicht regeln. In einem Be-richt zur Bundestagswahl 2009 hat die OSZE festge-stellt, dass weder die Wahlzulassung noch die Wahlprü-fung in Deutschland ausreichend geregelt sind.Unser Verfassungsgericht ist zwar mit den bestehen-den Regelungen einverstanden, wie wir wissen, aber esist kein Ruhmesblatt, sage ich, wenn etwa im Falle derPauli-Partei keine Möglichkeit besteht, gegen eine Ent-scheidung des Bundeswahlausschusses vorzugehen. Daswurde uns auch mehrfach ins Stammbuch geschrieben.Aber leider verlieren Sie im grünen Gesetzentwurf keineinziges Wort zu diesem dringenden und wichtigenrechtsstaatlichen Problem.
Ich kann Ihnen sagen – auch das hätte ich in den Ge-sprächen mit Ihnen gern erörtert –:
In der Tat gibt es auch dort große fachliche Schwierig-keiten. In ein knappes zeitliches Verfahren mit 72 Tagenvor der Wahl müssen Sie die Zulassung eines Rechts-schutzes etwa zum Bundesverwaltungsgericht integrie-ren.
Sie müssen das auch in Einklang mit Art. 41 GG brin-gen, der die Wahlprüfung dem Bundesverfassungsge-richt und dem Bundestag und nicht etwa dem Bundes-verwaltungsgericht zuweist.Also liegen viele Probleme im Detail. Sie wären eswert, fachlich, in aller Ruhe und möglichst konsens-orientiert debattiert zu werden. Nur, dazu sind wir – viel-leicht bin ich zu sehr von der Perspektive des kleinenBerichterstatters geprägt – meiner Meinung nach nichtgekommen. Das lag nicht an den Berichterstattern. Ichhabe zum Beispiel mit Frau Fograscher sehr interessanteGespräche geführt, in denen wir uns über diese Pro-bleme ausgetauscht haben. Frau Fograscher sagt die Ter-mine also nicht ab.Insofern glaube ich, dass es noch nicht zu spät, aberan der Zeit ist, jetzt zu einer Lösung zu kommen, dienicht nur punktuell ein Problem in den Blick nimmt, wieSie es getan haben, sondern die mehrere Dinge beachtet:Berliner Zweitstimme – das haben Sie aus meiner Sichtvöllig zu Recht und richtig mit gelöst –, Wahlprüfung,Wahlzulassung sowie die Frage des negativen Stimmge-wichts.Bei Ihrem Vorschlag haben Sie leider einen Fehler ge-macht. Sie haben sich zwei Berater geholt – so lese ich eszumindest –, nämlich Herrn Meyer und Herrn Pukelsheim.Herr Pukelsheim wird im Vorschlag zur 16. Legislatur-periode erwähnt, Herr Meyer im zweiten Teil, mit demSie die CSU-Überhangmandate adressieren. Sie habennur leider den Fehler gemacht, dass Sie die beiden pro-blematischsten Teile von deren Vorschlägen kombinierthaben. Das hat Ihnen Herr Krings sachlich richtig undnachvollziehbar vorgeführt.
Sie haben die beiden verfassungsrechtlich prekärstenDinge kombiniert und kommen so zu einer Lösung, diein dieser Form sicherlich nicht verfassungsgemäß wäre.
342 000 Wähler in Brandenburg sollen genauso vielGewicht haben wie 62 000 Wähler in Baden-Württem-berg. Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass Sie dasProblem des negativen Stimmgewichts auf der einenSeite beheben, um dann einen derart ungleichen Erfolgs-wert an anderer Stelle wieder einzuführen? Wenn Sie dasnachrechnen würden, würden Sie selbst feststellen, dassein solcher Vorschlag untragbar und grotesk ist.
Auch beim Problem der Überhangmandate kurierenSie ein Phänomen,
über das man durchaus reden kann. Aber mit der födera-len Unwucht, die dadurch entsteht, führen Sie einenneuen Fehler ein.
– Genau, darauf komme ich noch zu sprechen. Sie ent-steht bei Ausgleichsmandaten nicht.
Insofern ist die Lösung mit Blick auf die Ausgleichs-mandate eindeutig zu bevorzugen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10943
Dr. Stefan Ruppert
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Allerdings – jetzt komme ich auf die Ausgleichsman-date zu sprechen – kurieren die Ausgleichsmandate,Herr Oppermann, im strengen Wortsinn der Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts das negativeStimmgewicht nicht.
Sie kurieren das Ergebnis und das Verhältnis untereinan-der, also sozusagen die Folgen. Wenn man nur den ein-zelnen Abgeordneten betrachtet, bleibt das folgendePhänomen: Es kann sich schädlich auswirken, dass einCDU-Wähler die CDU gewählt hat, weil er seiner Parteiin der Summe aller Mandate ein Mandat weniger be-schert hat.
– Doch.
– In der Summe wird es ein Mandat weniger. Sie kurie-ren dann die Folgen, indem Sie das wieder in ein richti-ges Verhältnis zueinander setzen. Aber wenn Sie denWortlaut der Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts lesen, müssen Sie zumindest darüber diskutieren,ob das wirklich das Problem beseitigt. Sonst wäre IhrVorschlag meiner Ansicht nach einer der wichtigen, diezu debattieren sind.Allerdings setzten Sie sich einem Vorwurf aus; dashat der Kollege Krings auch schon in einem Zwischenrufgesagt. Wenn Sie ausgleichen, gibt es in einem Bundes-tag, der viele Überhangmandate umfasst, einen sehr gro-ßen Hebel für den Ausgleich.Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das man der CSU nichtwünschen will; das wird nie passieren, keine Angst. Siesinkt bei den Zweitstimmen auf 30 Prozent ab.
Das ist wirklich ein rein hypothetisches Modell. Nehmenwir also an, sie sinkt auf 30 Prozent ab, gewinnt abernach wie vor alle Wahlkreise. Dann werden nach demModell der Grünen reihenweise die Mandate ihrer direktgewählten Abgeordneten aberkannt, was sicherlich – dashat Herr Krings schon gesagt – zu untragbaren Ergebnis-sen führt.
Aber nicht nur das: Sie erzielt auch 15 oder 16 Über-hangmandate, die dann im Verhältnis zu einer Partei wieder SPD, die vielleicht 45 Prozent erreicht hat, ausgegli-chen werden müssen. Das bedeutete, dass Sie alleine fürdie SPD einen Ausgleich von 60 oder 70 Mandatenschaffen müssten.
Das heißt in dem einen Fall, dass Überhangmandateauftreten, erzeugen Sie einen enormen Hebel zur Vergrö-ßerung des Parlaments. In dem anderen Fall, dass keineÜberhangmandate auftreten, gibt es diesen Hebel nicht.Deswegen kuriert Ihr Vorschlag, den Bundestag auf 450oder 500 Mitglieder zu verkleinern, das Problem in derSache nicht ernsthaft. Verkleinern Sie den Bundestag auf500 Mitglieder, dann bleiben Sie in dem einen Fall bei500, in dem anderen Fall aber erreichen Sie 680 Mitglie-der. Diese Bandbreite zu erklären, ist meiner Meinungnach nur schwer möglich.
Ich will einige Takte zu dem sagen, was meiner Mei-nung nach jetzt folgen muss. Es gibt einen relativ schma-len Korridor von denkbaren Lösungsansätzen.Sie haben das Trennungsmodell angeführt. Bei einemunitarischen Wahlvorgang ist es uns aus meiner Sichtmöglich, die 5-Prozent-Hürde auf die Bundesebene zuverlagern. Das ist kein verfassungsrechtliches Problem.Es gibt aber bei sehr kleinen Wahlgebieten verfassungs-rechtliche Probleme, weil die 5-Prozent-Hürde dort fak-tisch angehoben wird.Sie können ein Ausgleichsmodell erarbeiten, das nureinen geringeren Ausgleich vorsieht, oder bei IhremAusgleichsmodell Modifikationen vornehmen.All diese Systeme führen verfassungsrechtlich aberzu Kollateralschäden, die es gegeneinander abzuwägengilt. Das hätten wir lieber im Gespräch miteinander undnicht im Streit untereinander gemacht.
Insofern fand ich das Vorpreschen gerade für eine Parteiwie die Grünen, die an einem demokratischen Konsensinteressiert ist, äußerst unangebracht. Wir sollten denDiskussionsprozess insofern jetzt beschleunigen und in-tensivieren.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Wawzyniak das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir Linken wollen ein einfaches, demokrati-sches und transparentes Wahlrecht. Die Vorschläge derLinken hierzu kommen ungefähr ab Minute sieben mei-ner Rede.Die Bürgerinnen und Bürger können derzeit maximalalle vier Jahre direkt auf Politik Einfluss nehmen, indemsie uns für vier Jahre ein Mandat geben. Fakt ist: Das
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10944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Halina Wawzyniak
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Wahlrecht ist unübersichtlich und kompliziert. Doch re-den wir bedauerlicherweise nicht deshalb hier darüber,sondern – das ist zu Recht gesagt worden – weil uns dasBundesverfassungsgericht einen Auftrag gegeben hat,nämlich den Auftrag, das Problem zu lösen, dass unterUmständen ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einemVerlust an Sitzen der Landesliste oder ein Verlust anZweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landes-liste führt. Das nennt man negatives Stimmgewicht derZweitstimmen, also der Stimmen, die man für die Lan-desliste einer Partei abgibt.Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben,bis zum 30. Juni eine Lösung zu finden. Die Grünen ha-ben dankenswerterweise wenigstens einen Vorschlag aufden Tisch gelegt, auch wenn dieser nicht wirklich über-zeugend ist. Was wollen die Grünen? Die Grünen wol-len, dass die Direktmandate auf das Zweitstimmenergeb-nis auf Bundesebene angerechnet werden, und einigevon diesen, wenn man mehr Direktmandate als Zweit-stimmen bundesweit hat, wegfallen. Aus diesen bundes-weit so errechneten Sitzen der Parteien werden dannwieder per Verhältnisrechnung die Sitze auf Landes-ebene bestimmt. Ob der Vorschlag verfassungsgemäß ist– darauf ist hier schon hingewiesen worden –, muss be-zweifelt werden. Das Verfahren, das die Grünen vor-schlagen, klingt kompliziert,
und es ist kompliziert. Genau das ist das Problem.
Die Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wäh-ler können überhaupt nicht nachvollziehen, was gemäßIhrem Gesetz passieren soll.Nehmen wir ein zunächst theoretisches Beispiel: DieLinke gewinnt bei einer Bundestagswahl 76 Listenplätzeund 80 Direktmandate.
In diesem Fall würden die vier Direktmandate mit demschlechtesten prozentualen Ergebnis, die die Linke ge-wonnen hat, herausfallen. Jetzt könnten wir sagen: Dasist uns egal.Ich gebe Ihnen nun ein einfacheres Beispiel: Bei derBundestagswahl 2009 hätte es nach dem Modell derGrünen beispielsweise den Abgeordneten Singhammervon der CSU getroffen.
Jetzt erzählen Sie mir einmal, wie Sie das den Wählerin-nen und Wählern des Wahlkreises München-Nord erklä-ren wollen.
Soll man sich vor diese Wählerinnen und Wähler stellenund sagen: „Entschuldigung, Sie haben HerrnSinghammer zwar direkt ins Parlament gewählt, aber lei-der hat die CSU zu viele Listenmandate, und deswegensitzt Herr Singhammer jetzt nicht im Parlament“? Ganzehrlich, wer soll denn nach so einer Entscheidung nocheinmal wählen gehen?
Ich finde, ein CSU-Bashing ist an der einen oder anderenStelle angebracht, aber bitte bei Inhalten und nicht bei soeinem wichtigen Punkt wie dem Wahlrecht.
Jetzt lassen wir das Verfassungsrecht einmal kurz bei-seite und betrachten ein politisches Argument gegen dasArgument der Grünen. Die Nichtanerkennung gewonne-ner Direktmandate stärkt das Parteimonopol. Querköpfein den eigenen Reihen finden häufig keinen Platz auf denLandeslisten, sondern gewinnen Mandate meist direkt.Die Stimmen für diese Kandidaten würden bei Verab-schiedung dieses Gesetzentwurfs unter Umständen über-haupt nicht mehr zur Geltung kommen. Ich finde, an die-ser Stelle werfen Sie, die Grünen, das Problem derListenverbindung CDU/CSU völlig zu Recht auf; aberdie Lösung geht allein zulasten Bayerns und hat wenigmit Gerechtigkeit zu tun. Wir Linken lassen keine Lö-sung zulasten Bayerns zu.
Es ist ja nicht so, dass in der Wissenschaft nicht auchandere Lösungen debattiert werden. Es gibt den Vor-schlag, ein reines Mehrheitswahlrecht einzuführen. Daslehnt die Linke ab. Es gibt den Vorschlag, ein reines Ver-hältniswahlrecht einzuführen. Ich persönlich kann demsehr viel abgewinnen. Wir, die Linke, debattieren da-rüber aber noch. Es gibt den Vorschlag, ein Grabenwahl-system einzuführen. Dieses System finden wir nichtüberzeugend. Es gibt den Vorschlag, eine Bundeslisteeinzuführen. Diesen Vorschlag lehnt die Linke ab. Au-ßerdem gibt es den Vorschlag, Listenverbindungen abzu-schaffen. Auch das lehnen wir ab. Worüber wir ebenfallsdiskutieren, ist die Schaffung von Ausgleichsmandaten.
Die spannende Frage ist, wann die Koalition einenAntrag vorlegt. Die Grünen haben wenigstens, wie ichschon gesagt habe, etwas vorgelegt. Ich befürchte, dasswir Folgendes erleben werden – in diesem Parlament einnormales Schauspiel –: Kurz vor knapp kommt ein An-trag. Er wird an die Ausschüsse überwiesen. Dann findeteine Anhörung statt. Diese Anhörung wird nicht ausge-wertet, und dann wird hier ruck, zuck ohne seriöse De-batte entschieden. – Dieses Verfahren lässt Bürgerinnenund Bürger außen vor, im Übrigen auch Parteien; denndann entscheiden allein die Fraktionen.Wir als Linke debattieren seit mehr als einem halbenJahr über das Wahlrecht. Wir debattieren darüber, dass
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10945
Halina Wawzyniak
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Änderungen am Wahlrecht an mehr Stellen als allein inBezug auf das negative Stimmgewicht nötig sind. Wirfinden, dass die Gestaltung unseres Wahlrechts eineFrage der Demokratiegestaltung ist. Es muss beim Wahl-recht darum gehen, wie wir Bürgerinnen und Bürgernmehr Einfluss auf Politik geben.
Bürgerinnen und Bürger engagieren sich: Tausendewaren bei Antiatomprotesten. 20 000 haben das Bündnis„Dresden Nazifrei!“ bei der Blockade unterstützt.Circa 20 000 haben an der Demonstration „Freiheit stattAngst“ teilgenommen. Die Wahlbeteiligung hingegensinkt. Dass die Wahlbeteiligung sinkt, hat sicherlich et-was mit Schröders Basta-Politik zu tun, und auch „Mut-tis Moratoriumspolitik“ wird daran nichts ändern.
– Ich habe noch ein bisschen Redezeit. Warten Sie ab. –Wir haben jedoch zur Kenntnis zu nehmen, dass sichBürgerinnen und Bürger zwar engagieren, aber entwederweniger oder gar nicht in Parteien. Das ist ein Problem.Wir müssen uns fragen, ob nicht das Wahlrecht eineMöglichkeit bietet, die Demokratie zu demokratisieren.Reden wir doch einmal über das Verfahren der Zulas-sung von Parteien. Man trifft sich im Bundeswahlaus-schuss, in dem die im Bundestag vertretenen Parteienüber die Zulassung ihrer Konkurrenz entscheiden,
und das nach den Kriterien des § 2 Parteiengesetz, indem es um so wichtige Fragen wie die Ernsthaftigkeitder politischen Zielsetzung geht. Ehrlich gesagt, findeich es schon absurd, dass die Parteien über die eigeneKonkurrenz entscheiden. Dass diese Entscheidung an-hand dieser interpretierbaren Kriterien getroffen wird, istviel absurder. Der Gipfel der Unverschämtheit ist aber,dass Parteien, die vom Bundeswahlausschuss nicht zu-gelassen werden, nicht einmal die Chance haben, sicheinzuklagen. Mindestens das hätten die Grünen in ihremGesetzentwurf aufgreifen müssen.
Wir, die Linke, debattieren seit einem halben Jahrüber die Demokratisierung des Wahlrechts. Ich verspre-che Ihnen: Wir legen Ihnen mehr auf den Tisch als nurAntworten auf die bereits gestellten Fragen.Wir debattieren darüber, wie der Einfluss der Bürge-rinnen und Bürger auf die Parteilisten erhöht werdenkann, und wir debattieren darüber, ob es dazu sinnvollist, drei Stimmen innerhalb einer Landesliste verteilenzu können.Wir debattieren darüber, ob es das Wahlrecht verein-fachen würde, wenn die Erststimme entfallen würde.Wir debattieren darüber, wie konkret der Rechts-schutz einer Partei bei Nichtzulassung zur Wahl ausse-hen kann und ob wir die Wahlausschüsse wirklich benö-tigen.Wir debattieren darüber, ob die 5-Prozent-Hürde inDeutschland tatsächlich erforderlich ist, um die Demo-kratie zu bewahren.Wir debattieren, ob neben dem aktiven Wahlalterauch das passive Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werdensoll.
Wir debattieren, ob das Wahlrecht für Menschen, dielegal länger hier in Deutschland leben, aber keine deut-sche Staatsbürgerschaft haben, eingeführt werden soll.Seien Sie sicher, in Kürze erhalten Sie einen umfas-senden Vorschlag von uns!Es geht aber um mehr als das Wahlrecht. Für uns istdas Wahlrecht nur ein Bestandteil der Erneuerung derDemokratie. Wir finden, dass ein umfassendes Demo-kratisierungskonzept nötig ist. Dazu gehören für uns bei-spielsweise die Ausweitung des Petitionsrechts, mehrMöglichkeiten zu direkter Demokratie, das Verbot vonLeihbeamten in Ministerien und das Verbot von Spendenvon Unternehmen an Parteien.Wir wollen auch einen Demokratisierungs-TÜV beiallen Gesetzen, die beschlossen werden, und eine Bun-desregierung, die ihr Handeln an Recht und Gesetzorientiert.
Mit einem Demokratisierungs-TÜV beispielsweise wäreHartz IV gescheitert, und nicht nur, weil Hartz IV Armutper Gesetz ist. Hartz IV ist nämlich auch ein Demokra-tiebeteiligungsausschlussgesetz. Gerade im ländlichenRaum ist es mit dem Regelsatz fast unmöglich, sich anpolitischen Entscheidungsprozessen und Aktionen zubeteiligen. Schauen Sie sich einmal an, wie viel im Re-gelsatz für Fahrtkosten vorgesehen ist. Außerdem – wirreden ja über Wahlen – stellt die Anrechnung von Auf-wandsentschädigungen für die Wahrnehmung kommu-naler Mandate, zumindest teilweise, eine Unverschämt-heit dar, weil sie eine Schlechterbehandlung ist.
Die Grünen springen zu kurz mit ihrem Gesetzent-wurf. Er ist inhaltlich nicht überzeugend. Es ist mehr nö-tig als eine Änderung des Wahlgesetzes anhand der vonIhnen aufgeworfenen Fragen. Die Regierungskoalitionsollte schnell etwas auf den Tisch packen. Wir alle sindaufgefordert, das Wahlrecht umfassend zu reformieren.Ich bitte Sie: Denken Sie über die Einführung eines De-mokratie-TÜV nach!
Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat für die Unions-fraktion das Wort.
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10946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(C)
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Darauf komme ich noch zu sprechen.Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undKollegen! Wir haben ein in der Tat kompliziertesRechtsproblem zu lösen. Als Jurist sagt man gewöhn-lich: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.Ein Blick ins Grundgesetz erleichtert vielleicht die Klä-rung dieser komplizierten Rechtsfrage. Art. 38 Abs. 1Satz 1 lautet:Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wer-den in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicherund geheimer Wahl gewählt.Es geht also darum, wie wir unser Wahlrecht organisie-ren, um diese Grundsätze unserer Demokratie zu erfül-len.Nun haben die Grünen einen Vorschlag gemacht, dernicht ganz taufrisch ist. Er kommt uns bekannt vor; denner ist ziemlich wortgleich vor zwei Jahren, wie ichglaube, schon einmal eingebracht worden.
– Ein Plagiat in eigener Sache.Es ist also nicht so, dass Sie, Kollege Beck, sich ganzneue Gedanken gemacht haben, über die wir uns jetztunbedingt austauschen müssen. Dennoch müssen wiruns damit beschäftigen, und ich setze mich gern mit Ih-rem Antrag auseinander.
Sie sagen, dass im Falle von Überhangmandaten vomVolk gewählte Abgeordnete, die einen Wahlkreis direktgewonnen haben, nicht in dieses Hohe Haus einziehendürfen sollen.
Man muss sich die Absurdität dieses Vorschlags einmalzu Gemüte führen. In Ihrem Vorschlag heißt es:Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direkt-mandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, sowerden die überzähligen Wahlkreissitze der Kandi-daten dieser Partei mit dem geringsten prozentualenStimmenanteil nicht besetzt; …Man muss sich das einmal vorstellen. Von einer Parteiwurden 20 oder 30 Personen gewählt, und man suchtsich die heraus, die den geringsten prozentualen Anteilhaben. Diese sind zwar vom Volke gewählt, können abernicht ins Parlament einziehen. Das ist allen Ernstes IhrVorschlag, meine Damen und Herren!Was ist das für ein Signal, das Sie nach außen senden?Was haben Sie für eine Beziehung zum Wählervolk?Was für eine Beziehung haben Sie zum Wahlkreis? Wieernst nehmen Sie die Mehrheitsentscheidung von Wäh-lern bei einer demokratischen Wahl im jeweiligen Wahl-kreis? Die Wähler entscheiden sich doch aus gutenGründen für diesen oder jenen Kandidaten. Dann wer-den die Stimmen zusammengezählt, und man kommt zueinem Ergebnis. Der Wähler hat sich entschieden, undsei es nur mit einer Stimme – diese Mehrheitswahl ist einehernes Prinzip der Demokratie –: Der Kandidat A oderdie Kandidatin B soll uns im deutschen Parlament ver-treten.Jetzt sagen Sie, wenn es zu viele Überhangmandategebe, müssten diese ausgeglichen werden. Das würdedazu führen, dass die Wähler in dem einen oder anderenWahlkreis Pech gehabt haben, es für sie dumm gelaufenist.
– Eben, Wahlkreis zweiter Klasse. – Das heißt, die Erst-stimmen der Minderheit verfallen ebenso wie die Erst-stimmen der Mehrheit. Damit werden alle Erststimmeneines gesamten Wahlkreises in den Papierkorb geworfen.Das kann man doch nicht allen Ernstes vorschlagen.Herr Ströbele, reden Sie mit Ihrem Kollegen Beck!
Stellen Sie sich einmal vor, man würde mit Ihnen, demglorreichen grünen Abgeordneten Ströbele, dem einzi-gen direkt gewählten Abgeordneten der Grünen, so ver-fahren,
indem in Ihrem Wahlkreis sowohl die Erststimmen fürdie anderen als auch die Erststimmen für den großenStröbele unter den Tisch fallen gelassen würden, weilSie dort so knapp abgeschnitten haben.Ich kann mir schon vorstellen, dass die Partei derGrünen ein gestörtes Verhältnis zum direkt gewähltenAbgeordneten hat.
– Weil Sie nur einmal eine Erfahrung mit einem direktgewählten Abgeordneten gemacht haben, nämlich mitHerrn Ströbele. Man schaue sich einmal an, wie er vonseiner Fraktion behandelt wird, wie oft er für die Grünenim Parlament sprechen darf. Er ist ein unsicherer Kanto-nist, weil er vom Volk direkt gewählt ist, und deswegenist er keine schützenswerte Persönlichkeit.Ihr Vorschlag ist wirklich wirr. Ich bitte Sie: ZiehenSie Ihren Antrag zurück! Sie können damit nur Schadenanrichten.
Der Antrag ist auch deswegen verwunderlich, weildie Grünen doch eigentlich die Partei sind, die sich aufdie Fahnen geschrieben hat: mehr direkte Demokratie,mehr unmittelbarer Bezug zwischen Volk und Regieren-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10947
Dr. Hans-Peter Uhl
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den, mehr direkte Einflussnahme der Menschen draußenim Lande auf das, was wir hier tun. Aber nun wollen Siebeschließen, dass das Mandat einer Person, für die sichdie Menschen in einem Wahlakt klar entschieden haben,zusammen mit den anderen, die zu viel sind, da sie ausarithmetischen Gründen nicht ins Schema passen, gestri-chen wird. Damit treffen Sie die von der Mehrheit desVolkes direkt Gewählten. Das ist doch kein grüner Ge-danke; das ist ein völlig abwegiger Gedanke. Ich ver-stehe überhaupt nicht, wie Sie auf eine solche Idee kom-men können.Dann sagen Sie, die Wähler in dem Wahlkreis, die dasPech gehabt haben, dass keiner ihrer Kandidaten ins Par-lament gekommen ist, können ja 50 Kilometer weiterfahren, in den Nachbarwahlkreis, wo die Wähler viel-leicht mehr Glück gehabt haben, weil sie ihren Kandida-ten in den Bundestag bringen konnten. Ist das Ihr Vor-schlag als Notlösung für diese Fälle?
Nach der Evidenztheorie ist dieser Idee, wie man alsJurist sagt, die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn ge-schrieben. Sie ist völlig abwegig.
Herr Wieland, Sie sind doch auch ein guter Jurist. Wa-rum haben Sie nicht gegen diesen wirren Vorschlag Pro-test eingelegt?
Frustrieren Sie die Wähler nicht durch solche Vor-schläge; denn Sie würden ihnen die Wirkungslosigkeitihrer Stimme vor Augen führen, wenn Sie so etwas zumGesetz machen würden.
Ich rede hier nicht pro domo. Ich bin in einem groß-städtischen Wahlbezirk, in München, viermal direkt ge-wählt worden. Ich habe mit Ihrem Vorschlag keine Pro-bleme; nicht dass Sie denken, ich hätte Angst davor. Wirhaben in Bayern – es wurde schon von der Kollegin derLinken angesprochen – alle 44 Wahlkreise direkt gewon-nen, ohne Ausnahme. Dadurch haben wir viele Über-hangmandate. Wir haben das einmal durchgerechnet.Wenn Ihr Vorschlag Gesetz würde, würde es auf dieCSU, auf Bayern, auf uns angewandt werden. Schauenwir einmal, wer diejenigen sind, die jetzt im Parlamentsitzen und das geringste Wahlergebnis haben. Da sind inder Tat der Kollege aus München-Nord, der KollegeSinghammer, und der Kollege aus München-Ost, derKollege Frankenhauser, zu nennen. Wenn es drei wären,wäre noch die Kollegin Dagmar Wöhrl aus Nürnberg be-troffen. Sie alle wären dann nicht mehr im Parlament.Meine Damen und Herren von den Grünen, ichkönnte damit leben, zusammen mit dem KollegenGauweiler München im Deutschen Bundestag allein zuvertreten.
Aber ist das wirklich Ihr Hauptinteresse? Wollen Sie daswirklich?
Ich könnte, wie gesagt, gut mit der Schlagzeile leben:Gauweiler und Uhl vertreten München im Parlament.
– Bei uns beiden wird es Ihnen nicht gelingen; das istdas Problem, das Sie haben.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir solltenuns dem Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht unsgegeben hat, mit allem Ernst widmen. Das Bundesver-fassungsgericht hat nicht gesagt, dass Überhangmandateverfassungswidrig sind, und es hat nicht gefordert, Über-hangmandate abzuschaffen. Es hat nur die abwegige, bi-zarre Situation bei der Nachwahl in Dresden zum Anlassgenommen, festzustellen: Ein Wahlsystem, bei dem einePartei davor warnt, ihr die Zweitstimme zu geben, weilsie durch mehr Zweitstimmen einen Nachteil hat, kannnicht richtig sein. Das ist in der Tat eine bizarre Situa-tion. Die Ursache dafür muss beseitigt werden. Daransollten alle Parteien arbeiten.Ich halte es für ganz schädlich, bei der Reform desWahlrechts eine knappe Mehrheitsentscheidung herbei-zuführen. Wahlrecht ist materielles Verfassungsrecht.Jede Mehrheit im Parlament sollte bemüht sein, so vieleStimmen der Opposition wie möglich für ein verändertesWahlsystem zu gewinnen. Unser Wahlsystem hat uns60 Jahre lang gute Dienste erwiesen. Die Kombinationaus Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht ist zu-gegebenermaßen etwas kompliziert, aber dem Grundenach gar nicht so schlecht. Wir sollten uns zusammen-setzen und den Effekt des negativen Stimmgewichts– vielleicht nicht vollständig, aber zu großen Teilen –ausgleichen. Wenn wir uns zusammensetzen – die Grü-nen haben sich zwei-, dreimal einer Teilnahme an Be-sprechungen mit uns verweigert; das sollte hier auch ein-mal erwähnt werden –,
sollte es möglich sein, mit möglichst vielen Fraktionendieses Hohen Hauses ein neues Wahlrecht zu kreieren.Wir sind daran interessiert. Wir wollen keinen Allein-gang der Koalition. Wir wollen mit allen Kräften in die-
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10948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Hans-Peter Uhl
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sem Parlament dem Auftrag des Bundesverfassungsge-richts gerecht werden
und das negative Stimmgewicht – aber nur dieses – be-seitigen.
Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Es gibt in diesen Tagen sicherlich andere Themen,die die Menschen bewegen, als das Wahlrecht. Aber dasWahlrecht ist nun einmal Grundlage unserer Demokra-tie. Es ist Voraussetzung für die demokratische Teilhabeder Bürgerinnen und Bürger. Das Wahlrecht muss garan-tieren, dass der Wählerwille in diesem Hause abgebildetwird. Es regelt die Legitimation von uns allen hier imHause. Herr Krings, es handelt sich eben nicht um einLuxusproblem.Wahlrechtsfragen sind natürlich immer auch Macht-fragen. Das Wahlrecht entscheidet über die Mehrheits-verhältnisse im Haus. Deshalb betrifft dieses Thema alleFraktionen. Daher haben wir in der Vergangenheit Ände-rungen im Wahlrecht stets gemeinsam vorgenommen.Herr Uhl, das Gesprächsangebot, das Sie heute gemachthaben, nehmen wir von der SPD natürlich gerne an.Aber es hat sehr lange gedauert, bis Sie uns dieses unter-breitet haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2008 dassogenannte negative Stimmgewicht für verfassungswid-rig erklärt. Ich will noch einmal den Grund nennen: Beibestimmten Konstellationen kann ein Zuwachs bei denZweitstimmen einer Partei dazu führen, dass sie einMandat verliert. Auf der anderen Seite kann die Nichtab-gabe einer Stimme für die Partei, die der Wähler eigent-lich unterstützen will, von Vorteil sein. Dieser Effektwurde bei der Nachwahl 2005 in Dresden offensichtlich.Dadurch werden die Grundsätze der Gleichheit und Un-mittelbarkeit der Wahl verletzt. Deshalb hat der ZweiteSenat des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeberverpflichtet, bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsge-mäße Neuregelung zu finden.Leider müssen wir aber heute, gut drei Monate vorAblauf dieser Frist, feststellen: Die Bundesregierungund die sie tragenden Fraktionen tun nichts. Es gibt kei-nen Gesetzentwurf, nicht einmal Eckpunkte. Auch in derheutigen Debatte habe ich keinen entsprechenden Vor-schlag gehört. Es gab Gespräche zwischen den Fraktio-nen. Sie sind nicht weitergeführt worden. Ich weiß nicht,mit wem Herr Ruppert Gespräche geführt hat, aber manmuss das einmal auf eine vernünftige Basis stellen. Esgab Gespräche zwischen den Parlamentarischen Ge-schäftsführern, und wir können natürlich untereinanderjederzeit Gespräche führen. Aber wir werden nicht zu ei-ner Lösung kommen, wenn es dafür keinen offiziellenRückhalt von oben gibt.Was können wir tun? Es gibt natürlich – das ist schonangesprochen worden – rechnerische, theoretische Mög-lichkeiten, das Wahlrecht zu ändern, um ein negativesStimmgewicht zu vermeiden. Wir wollen aber das Sys-tem, das sich auch nach unserer Ansicht bewährt hat,nicht gänzlich aushebeln, indem wir ein reines Mehr-heitswahlrecht oder ein reines Verhältniswahlrecht ein-führen. Wir wollen im System bleiben, aber zugleichauch die Problematik der Überhangmandate regeln.Überhangmandate können einer Fraktion an die Re-gierung verhelfen, auch wenn sie nicht die Mehrheit derWählerstimmen hat. Überhangmandate können zu wech-selnden Mehrheiten im Bundestag führen. Scheidet einAbgeordneter, in dessen Bundesland es Überhangman-date gibt, aus dem Bundestag aus, so gibt es keinenNachrücker über die Landesliste. Es ist schon angespro-chen worden, dass es zum Beispiel für Herrn zuGuttenberg keine Nachbesetzung gibt. Bei knappen Re-gierungsmehrheiten könnte das dazu führen, dass sichwährend einer Legislaturperiode die Mehrheiten verän-dern.Was schlagen die Grünen jetzt vor? Sie wollen dieÜberhangmandate einer Partei mit den Listenmandatendieser Partei in einem anderen Bundesland verrechnen.Das hätte zur Konsequenz, dass eine Partei, die in einemBundesland ein Überhangmandat erzielt, in einem ande-ren Bundesland ein Listenmandat weniger erhält. Das istzwar rechtlich machbar, weil das Bundesvolk und nichtdie Ländervölker wählen. Aber die Akzeptanz in denLandesverbänden, die vermutlich keine Überhangman-date haben werden und auf Listenmandate verzichtenmüssten, geht gegen null.Sie regeln in dem vorgelegten Entwurf die Schwach-stelle Ihres letzten Entwurfs neu, nämlich die Frage, wieÜberhangmandate verrechnet werden sollen, wenn einePartei nur in einem Bundesland antritt. Das betrifft jainsbesondere die CSU. Sie schlagen vor, dass, wennÜberhangmandate entstehen, nur so viele direkte Bewer-ber ein Mandat erhalten, wie ihre Partei Mandate überZweitstimmen bekommt.Ich spreche jetzt nicht so sehr für die CSU, aber dieserFall kann natürlich auch in Bezug auf alle anderen Par-teien eintreten, auch hinsichtlich der SPD in Bayern.Deshalb wollen wir das nicht. Es ist den Bürgerinnenund Bürgern nämlich nicht vermittelbar, dass ein Direkt-kandidat, den sie mit Mehrheit im Wahlkreis gewählt ha-ben, diesen Wahlkreis im Bundestag dann nicht vertritt.Wir schlagen Ihnen ein zweistufiges Verfahren vor;Kollege Oppermann hat das mehrfach auch schonschriftlich getan. Für die Wahl des nächsten Bundestageswollen wir die Überhangmandate zunächst durch Aus-gleichsmandate ausgleichen. Diese zusätzlichen Aus-gleichsmandate würden den Bundestag vergrößern; dasist richtig. Deshalb bieten wir an, in einem zweitenSchritt die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, um den
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10949
Gabriele Fograscher
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Bundestag auf die Größe von knapp 600 Abgeordnetenzurückzuführen.Wir haben heute viel darüber diskutiert, wo dieSchwierigkeiten und Nachteile der einzelnen Modelleliegen. Wir haben allerdings keinen wirklichen Vor-schlag vonseiten der Koalitionsfraktionen gehört. Ichschlage Ihnen deshalb vor, noch einmal in ernsthafte Ge-spräche einzutreten und uns noch einmal Sachverstandvon außen zu holen. Lassen Sie uns deshalb noch einmaleine Anhörung terminieren und uns wirklich darum be-mühen, dieses spezielle Problem, dessen Lösung uns dasBundesverfassungsgericht aufgetragen hat, noch vor dernächsten Bundestagswahl zu lösen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 17/4694 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a bis d sowieZusatzpunkt 2 auf:32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung der Verordnung Nr. 4/2009 undzur Neuordnung bestehender Aus- und Durch-führungsbestimmungen auf dem Gebiet desinternationalen Unterhaltsverfahrensrechts– Drucksache 17/4887 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dievorläufige Durchführung unmittelbar gelten-der Vorschriften der Europäischen Union überdie Zulassung oder Genehmigung des Inver-kehrbringens von Pflanzenschutzmitteln– Drucksache 17/4985 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrichLange, Dirk Fischer , Arnold Vaatz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der Abgeordneten PatrickDöring, Werner Simmling, Oliver Luksic, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern –Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten– Drucksache 17/5046 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieHaushaltsausschussd) Beratung des Antrags der Abgeordneten MartinGerster, Sönke Rix, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRechtsextremistische Einstellungen im Sportkonsequent bekämpfen – Toleranz und Demo-kratie nachhaltig fördern– Drucksache 17/5045 –Überweisungsvorschlag:Sportausschuss
InnenausschussZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-fahrenErgänzung zu TOP 32Beratung des Antrags der Abgeordneten AgnesKrumwiede, Dr. Konstantin von Notz, JerzyMontag, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENZugang zu verwaisten Werken erleichtern– Drucksache 17/4695 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und MedienEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vor-geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-weisungen so beschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 33 a bis o auf.Es handelt um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu de-nen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich weise daraufhin, dass wir über Tagesordnungspunkt 33 e namentlichabstimmen werden. Bitte begeben Sie sich erst zu denUrnen, wenn ich die namentliche Abstimmung aufrufe.Tagesordnungspunkt 33 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des BVL-Gesetzes– Drucksache 17/4381 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz
– Drucksache 17/5034 –Berichterstattung:Abgeordnete Franz-Josef HolzenkampElvira Drobinski-WeißDr. Christel Happach-KasanDr. Kirsten TackmannFriedrich Ostendorff
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10950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/5034, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf 17/4381 anzunehmen. Ich bitte die-jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungmit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthal-tung der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Grünen an-genommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-vor angenommen.Tagesordnungspunkt 33 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie zu der Verordnung derBundesregierungEinhundertsechzigste Verordnung zur Ände-rung der Einfuhrliste – Anlage zum Außen-wirtschaftsgesetz –– Drucksachen 17/4403, 17/4499 Nr. 2, 17/4774 –Berichterstattung:Abgeordneter Erich G. FritzDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/4774, die Aufhebung der Ver-ordnung auf Drucksache 17/4403 nicht zu verlangen.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Das ganze Haus hatzugestimmt. Die Beschlussempfehlung ist damit ange-nommen.Tagesordnungspunkt 33 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zudem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKEVerbraucherfreundliche Rücknahmepflichtdes Einzelhandels für Energiesparlampendurchsetzen– Drucksachen 17/2121, 17/3684 –Berichterstattung:Abgeordnete Josef RiefWaltraud Wolff
Dr. Erik SchweickertKarin BinderNicole MaischDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/3684, den Antrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 17/2121 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge-gen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen ange-nommen.Tagesordnungspunkt 33 d:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu demAntrag der Abgeordneten Dorothea Steiner,Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBürgerfreundliches Rücknahmesystem für ge-brauchte Energiesparlampen im Handel ein-richten– Drucksachen 17/1583, 17/3278 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael BrandGerd BollmannJudith SkudelnyRalph LenkertDorothea SteinerDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/3278, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1583 abzu-lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-fraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei uneinheitlicher Stimmabgabe der Frak-tion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt 33 e:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union zu demAntrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm,Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEGegen Armut und soziale Ausgrenzung – So-ziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags-werk aufnehmen– Drucksachen 17/902, 17/4773 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Johann WadephulDr. Eva HöglGabriele MolitorAlexander UlrichManuel SarrazinDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/4773, den Antrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 17/902 abzulehnen.Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktion DieLinke namentlich über die Beschlussempfehlung ab. Zudieser Abstimmung liegen mir Erklärungen nach § 31
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10951
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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unserer Geschäftsordnung vor.1) Ich bitte die Schriftfüh-rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein-zunehmen. – Kann ich die Abstimmung eröffnen? Sindalle notwendigen Schriftführer an den vorgesehenenPlätzen versammelt? – Das ist der Fall. Dann ist die Ab-stimmung eröffnet.Darf ich fragen, ob alle anwesenden Mitglieder desHauses ihre Stimme abgegeben haben? – Ich höre keinenProtest. Dann ist das also der Fall. Ich schließe die Ab-stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnisder Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)Wir setzen die Abstimmungen fort.Wir kommen zu Beschlussempfehlungen des Peti-tionsausschusses, Tagesordnungspunkt 33 f bis o.Tagesordnungspunkt 33 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 224 zu Petitionen– Drucksache 17/4864 –Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelüber-sicht 224 ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 33 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 225 zu Petitionen– Drucksache 17/4865 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 225 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt 33 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 226 zu Petitionen– Drucksache 17/4866 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 226 ist mit den Stim-men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmender Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 227 zu Petitionen– Drucksache 17/4867 –1) Anlagen 5 bis 82) Ergebnis Seite 10954 DWer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 227 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt 33 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 228 zu Petitionen– Drucksache 17/4868 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 228 ist bei Enthaltungder Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktionen an-genommen.Tagesordnungspunkt 33 k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 229 zu Petitionen– Drucksache 17/4869 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 229 ist gegen die Stim-men der SPD-Fraktion mit den Stimmen der anderenFraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 l:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 230 zu Petitionen– Drucksache 17/4870 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 230 ist mit den Stim-men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmenvon Linken und Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 m:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 231 zu Petitionen– Drucksache 17/4871 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 231 ist mit den Stim-men von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stim-men der SPD und der Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 33 n:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 232 zu Petitionen– Drucksache 17/4872 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 232 ist mit den Stim-men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmenvon SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken ange-nommen.
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10952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Tagesordnungspunkt 33 o:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 233 zu Petitionen– Drucksache 17/4873 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stim-men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender drei Oppositionsfraktionen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 a und b auf:a) –Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung derBekämpfung von Geldwäsche und Steuerhin-terziehung
– Drucksache 17/4182 –– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Verbesserung der Bekämpfung von Geld-
– Drucksache 17/4802 –– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktionder SPD eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
– Drucksache 17/1411 –Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 17/5067 –Berichterstattung:Abgeordnete Manfred KolbeMartin GersterDr. Daniel Volkb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichtsdes Finanzausschusses
– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU undFDPSteuerhinterziehung wirksam und zielgenaubekämpfen– zu dem Antrag der Fraktion der SPDInstrumente zur Bekämpfung der Steuerhin-terziehung nutzen und ausbauen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. BarbaraHöll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEDen Kampf gegen Steuerhinterziehung nichtdem Zufall überlassen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. GerhardSchick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSteuerhinterziehung wirksam bekämpfen– Drucksachen 17/1755, 17/4670, 17/1149, 17/1765,17/5067 –Berichterstattung:Abgeordnete Manfred KolbeMartin GersterDr. Daniel VolkZu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSUund FDP liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile KollegenManfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitdem vorliegenden Gesetzentwurf beweisen die Koali-tionsfraktionen CDU/CSU und FDP erneut, dass unions-geführte Bundesregierungen seit 2005 die Steuerhinter-ziehung energisch bekämpfen.
Ich nenne einige Beispiele: Wir haben die Strafverfol-gung bandenmäßiger Hinterziehung von Umsatz- undVerbrauchsteuern auf eine rechtlich tragfähige Grund-lage – § 370 Abs. 3 der Abgabenordnung – gestellt. Wirhaben erstmals die Möglichkeit der Anordnung der Tele-kommunikationsüberwachung bei schweren Steuerhin-terziehungstatbeständen eingeführt. Wir haben die Ver-jährungsfrist für besonders schwere Steuerhinterziehungauf zehn Jahre verlängert. In diesem Jahr haben wir eserreicht, dass der Informationsaustausch mit zahlreichenFinanzzentren nach OECD-Standard erfolgt.Suaviter in modo, fortiter in re, wie schon die altenRömer sagten, also verbindlich im Umgang, aber hart inder Sache, das ist dabei unser Motto. Wir beleidigen we-der die Indianer noch die Republik Burkina Faso mit ih-rer Hauptstadt Ouagadougou; dafür bekämpfen wir dieSteuerhinterziehung wirkungsvoll.Zentrales Thema dieses Gesetzentwurfs war dieFrage, ob wir die strafbefreiende Selbstanzeige gemäߧ 371 Abgabenordnung beibehalten wollen oder nicht.Grundsätzlich halten wir, die Koalitionsfraktionen, ander Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige fest,da wir den an der Steuerhinterziehung Beteiligten einenBerichtigungsweg offenhalten wollen. Außerdem liegtdie strafbefreiende Selbstanzeige im staatlichen, fiskali-schen Interesse, da viele Sachverhalte ansonsten nichtaufgedeckt würden, auch nicht bei einem wesentlichgrößeren Ermittlungseinsatz. Deshalb führt dieser Weg
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10953
Manfred Kolbe
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letztendlich zu einem höheren Steueraufkommen. Ge-rade in letzter Zeit erfolgten als Folge des Ankaufs derCDs Zehntausende von Selbstanzeigen, die zu Mehrein-nahmen von mehreren Milliarden Euro führten.Wir halten daher grundsätzlich an der strafbefreien-den Selbstanzeige fest. Diese ist entgegen einer weit ver-breiteten Meinung auch kein Fremdkörper im Strafrecht.Wir haben im Strafrecht zahlreiche Regelungen, woauch nach Vollendung der Tat noch durch tätige Reue eingesetzlicher Anspruch auf Strafbefreiung entsteht,
etwa, Herr Poß, bei der freiwilligen Aufgabe der Geld-fälschung, auch wenn das gefälschte Geld bereits in Um-lauf gebracht worden ist. Wenn der Täter dann das Tat-werkzeug vernichtet, hat er immer noch einen Anspruchauf Strafbefreiung. Ein anderes Beispiel ist die Selbstan-zeige bei Geldwäsche oder bei der Verhinderung vonSubventionsbetrug.
Also, die strafbefreiende Selbstanzeige entspricht ei-nem allgemeinen Grundsatz des Strafrechts, dass es inbestimmten Fällen im staatlichen Interesse liegt, die tä-tige Reue auch mit einem Strafbefreiungsanspruch zuhonorieren.Auch die die Steuern verwaltenden Länder befürwor-ten das letztlich. Herr Poß, ich zitiere da Ihren Finanz-minister von Rheinland-Pfalz, den Herrn Kühl,
wortwörtlich:Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit der Strafbe-freiung durch Selbstanzeige beibehalten. Letztlichprofitiert der Staat davon, denn wer sich selbst an-zeigt, muss alles offenlegen. Das ist viel effektiverals der Einsatz von Ermittlern.So Herr Kühl, SPD.
Dementsprechend hat auch der Bundesrat am 11. Fe-bruar 2011 mit überragender Mehrheit einen entspre-chenden Gesetzentwurf gebilligt.Der heute hier zu beratende Gesetzentwurf geht aufeine Initiative meiner Fraktion vom März des vergange-nen Jahres zurück, bei der wir gesagt haben, wir wollendie strafbefreiende Selbstanzeige grundsätzlich beibe-halten, aber wir wollen sie dahin gehend einschränken,dass sie nicht mehr als Teil einer Hinterziehungsstrategiemissbraucht werden kann.Deshalb haben wir damals drei Maßnahmen vorge-schlagen. Wir wollen erstens den Ausschluss der Teil-selbstanzeige. Wir wollen eine Straffreiheit nur bei um-fassender Selbstanzeige.Wir wollen zweitens den früheren Ausschluss derSelbstanzeige, nicht erst beim Erscheinen des Prüfers,sondern bereits bei der Bekanntmachung der Prüfungs-anordnung.Wir wollen drittens einen Zuschlag zu den Hinterzie-hungszinsen, um den Steuerhinterzieher wirtschaftlichstärker zu belasten.Lassen Sie mich mit dem Ausschluss der Teilselbst-anzeige beginnen. In der gestrigen Sitzung des Finanz-ausschusses wurde der Ausschluss der Teilselbstanzeigenoch einmal präzisiert.Bis Anfang letzten Jahres hatte die Rechtsprechungdes BGH Teilselbstanzeigen als wirksam angesehen. Esreichte also aus, dass ein Konto angegeben wurde, dannwar man insoweit straffrei. Das galt auch während derAmtszeit Ihres – das sage ich in Richtung der linkenSeite des Hauses – Bundesfinanzministers Lafontaine.Der sah damals offenbar keinen Anlass, an dieser dochrelativ großzügigen Regelung irgendetwas zu ändern.Mit Grundsatzbeschluss vom 20. Mai 2010 hat derBGH das eingeengt. Er hat eine ausreichende Teilselbst-anzeige nur noch dann angenommen, wenn der Steuer-pflichtige seine unvollständige Einkommensteuererklä-rung dahin gehend berichtigt, dass er bislang gänzlichverschwiegene Zinseinkünfte nicht nur eines Kontos an-gibt, sondern aller Konten. Der BGH verlangt also zu-mindest seit Mai des letzten Jahres eine vollständigeSelbstanzeige der gesamten Tat, also etwa die kompletteEinkommensteuererklärung für einen Veranlagungszeit-raum.Unser Gesetzentwurf wird hier noch deutlicher. Füreine wirksame Selbstanzeige ist es künftig erforderlich,dass alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerartvollständig offenbart werden. Anknüpfungspunkt ist dieeinzelne hinterzogene Steuer, sodass mit der Neurege-lung nunmehr alle unverjährten Steuerverkürzungen ei-ner Steuerart, also zum Beispiel alle verkürzten Ein-kommensteueransprüche der noch nicht verjährtenVeranlagungszeiträume, offenbart werden müssen. Nurnoch dann tritt die strafbefreiende Wirkung der Selbstan-zeige ein.Dabei – das sei hinzugefügt – bedeutet „in vollemUmfang“ natürlich nicht, dass auf Euro und Cent allesangegeben werden muss. Bagatellabweichungen sindnach wie vor möglich. Aber es muss für alle noch offe-nen Veranlagungszeiträume die Selbstanzeige erklärtwerden. Es wird also keine Salamitaktik bei der Selbst-anzeige mehr geduldet, bei der scheibchenweise vorge-gangen wird.Herr Schick, als Folge dieser deutlichen Ausweitungist eine Übergangsregelung erforderlich,
weil eine Strafbarkeit nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetzim Voraus bestimmt sein muss. Nulla poena sine lege.Diese Übergangsregelung musste also auch aus verfas-sungsrechtlichen Gründen eingeführt werden.
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10954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Manfred Kolbe
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verfolgung abgesehen, wenn neben der Entrichtung von führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis dervon 5 Prozent der jeweiligen verkürzten Steuern zuguns-ten der Staatskasse erfolgt. Wir fassen also die schwerenSteuerhinterzieher deutlich härter an als bisher.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 561;davonja: 434nein: 64enthalten: 63JaCDU/CSUPeter AltmaierPeter AumerThomas BareißNorbert BarthleGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph BergnerPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserMichael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim Fuchteldes Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi-schen Union zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Ge-gen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fort-schrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen“,Drucksachen 17/902 und 17/4773, bekannt: abgegebeneStimmen 561. Mit Ja haben gestimmt 434, mit Nein ha-ben gestimmt 64, Enthaltungen 63. Die Beschlussemp-fehlung ist damit angenommen.Alexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenPeter HintzeChristian HirteRobert HochbaumFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerAlois KarlBernhard Kaster
Volker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterSteuern und Hinterziehungszinsen eine Zahlung in Höhe namentlichen Abstimmung zur BeschlussempfehlungLassen Sie mich zum zwmen: zur zusätzlichen Zahluder hinterzogenen Steuern. Dten diskutiert. Politischer Wiwar, den Steuerhinterzieher wlasten als den bloß säumigenWir haben deshalb gesternschlagen, dass bei SteuerhinEuro pro Tat, das heißt progungszeitraum, eine zusätzli5 Prozent auf den Hinterziehführt wird. Die Betragshöhedie Rechtsprechung des BGH§ 370 Abs. 3 Nr. 1 Abgabenmal des „großen Ausmaßes“gener Steuer als erfüllt angesRechtstechnisch wird diesausgestaltet. Für eine Steuervterziehungsvolumen von übeund VeranlagungszeitraumSelbstanzeige allein nicht mfreiheit eintreten. Vielmehr§ 398 a Abgabenordnung, denung nachempfunden ist, nueiten strittigen Punkt kom-ng in Höhe von 5 Prozentarüber wurde am intensivs-lle der Koalitionsfraktionenirtschaftlich stärker zu be-Steuerzahler. im Finanzausschuss vorge-terziehungen über 50 000Steuerart und pro Veranla-che Zahlung in Höhe vonungsbetrag erstmalig einge-von 50 000 Euro knüpft an zu dem Regelbeispiel desordnung an, wo das Merk- bei 50 000 Euro hinterzo-ehen wird.e Zusatzzahlung wie folgterkürzung mit einem Hin-r 50 000 Euro je Steuerartwird künftig nach einerehr die Rechtsfolge Straf- wird nach dem neuenr § 153 a Strafprozessord-r noch dann von der Straf-
nktgenau zum Schluss ge-olfgang Thierse:ben eine Minute überzogen.keit)U):r Gesetzentwurf. Wir wäh- Weg zwischen der Beibe- Selbstanzeige und ihreren Missbrauch als Teil ei-u verhindern./CSU und der FDP)olfgang Thierse:: Sie haben Ihre Rede umich sofort im Kopf ausge-Ihnen das von den Schrift-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10955
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Eckart von KlaedenEwa KlamtVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenManfred KolbeDr. Rolf KoschorrekHartmut KoschykMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Hermann KuesGünter LachDr. Karl A. Lamers
Andreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeDr. Max LehmerPaul LehriederDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzDr. Carsten LinnemannDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigDr. Michael LutherKarin MaagDr. Thomas de MaizièreHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Dr. Michael MeisterMaria MichalkPhilipp MißfelderDietrich MonstadtMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Dr. Philipp MurmannMichaela NollDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldHenning OtteDr. Michael PaulRita PawelskiUlrich PetzoldSibylle PfeifferBeatrix PhilippRonald PofallaChristoph PolandRuprecht PolenzEckhard PolsThomas RachelDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanDr. Andreas ScheuerKarl SchiewerlingNorbert SchindlerTankred SchipanskiGeorg SchirmbeckChristian Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Kristina SchröderDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe Schummer
Detlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelErika SteinbachChristian Freiherr von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Peter TauberAntje TillmannDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzStefanie VogelsangAndrea Astrid VoßhoffDr. Johann WadephulMarco WanderwitzKai WegnerMarcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherPeter WichtelAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar WöhrlWolfgang ZöllerWilli ZylajewSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseMartin BurkertPetra CroneMartin DörmannElvira Drobinski-WeißGarrelt DuinSebastian EdathyIngo EgloffSiegmund EhrmannPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeDagmar FreitagPeter FriedrichSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeGünter GloserUlrike GottschalckAngelika Graf
Kerstin GrieseMichael GroschekMichael GroßWolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Dr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsDr. h. c. Susanne KastnerUlrich KelberLars KlingbeilHans-Ulrich KloseDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Nicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerFranz MünteferingDr. Rolf MützenichManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Marlene Rupprecht
Anton SchaafAxel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
Werner Schieder
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Carsten Schneider
Ottmar SchreinerSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeRolf SchwanitzStefan SchwartzeRita Schwarzelühr-SutterSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackDr. h. c. Wolfgang ThierseFranz ThönnesWolfgang TiefenseeRüdiger VeitUte VogtDr. Marlies VolkmerAndrea WickleinWaltraud Wolff
Uta ZapfDagmar ZieglerManfred ZöllmerBrigitte ZypriesFDPChristian AhrendtChristine Aschenberg-DugnusDaniel Bahr
Florian Bernschneider
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10956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Sebastian BlumenthalClaudia BögelNicole Bracht-BendtKlaus BreilRainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst BurgbacherMarco BuschmannSylvia CanelHelga DaubHans-Joachim Otto
Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerDr. Barbara HöllAndrej HunkoUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenJutta KrellmannCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichKai GehringKatrin Göring-EckardtBritta HaßelmannBettina HerlitziusWinfried HermannPriska Hinz
Dr. Anton HofreiterBärbel HöhnIngrid HönlingerReiner DeutschmannDr. Bijan Djir-SaraiPatrick DöringRainer ErdelJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeDr. Edmund Peter GeisenDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannHeinz GolombeckMiriam GrußJoachim Günther
Dr. Christel Happach-KasanHeinz-Peter HausteinManuel HöferlinElke HoffBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Lutz KnopekPascal KoberDr. Heinrich L. KolbGudrun KoppDr. h. c. Jürgen KoppelinSebastian KörberHolger KrestelPatrick Kurth
Heinz LanfermannSibylle LaurischkHarald LeibrechtSabine Leutheusser-SchnarrenbergerLars LindemannChristian LindnerDr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin LotterOliver LuksicHorst MeierhoferPatrick MeinhardtGabriele MolitorJan MückePetra Müller
Burkhardt Müller-SönksenDr. Martin Neumann
Dirk NiebelChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsJoachim SpatzDr. Max StadlerTorsten StaffeldtDr. Rainer StinnerStephan ThomaeFlorian ToncarSerkan TörenJohannes Vogel
Dr. Daniel VolkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker WissingHartfrid Wolff
NeinDIE LINKEJan van AkenAgnes AlpersDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmSteffen BockhahnChristine BuchholzEva Bulling-SchröterDr. Martina BungeRoland ClausDr. Diether DehmHeidrun DittrichWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiInge HögerUlla LötzerDr. Gesine LötzschThomas LutzeDorothee MenznerCornelia MöhringKornelia MöllerNiema MovassatWolfgang NeškovićThomas NordPetra PauJens PetermannRichard PitterleYvonne PloetzIngrid RemmersPaul Schäfer
Dr. Ilja SeifertKathrin Senger-SchäferRaju SharmaDr. Petra SitteKersten SteinkeSabine StüberAlexander SüßmairDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerJohanna VoßSahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergJörn WunderlichEnthaltenBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderViola von Cramon-TaubadelEkin DeligözKatja DörnerHans-Josef FellDr. Thomas GambkeUwe KekeritzKatja KeulMemet KilicSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkUte KoczyTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerAgnes KrumwiedeStephan KühnRenate KünastMarkus KurthMonika LazarAgnes MalczakJerzy MontagKerstin Müller
Beate Müller-GemmekeIngrid NestleDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffDr. Hermann OttLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Krista SagerManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergChristine ScheelDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtDorothea SteinerDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDaniela WagnerWolfgang WielandDr. Valerie WilmsJosef Philip WinklerThilo Hoppe
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10957
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Nun erteile ich als nächstem Redner in dieser Debattedem Kollegen Martin Gerster für die SPD-Fraktion dasWort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Geschätzter Herr Kolbe, wenn man Ihnen hier zu-hört, kann man sich eigentlich nur wundern. Sie sagen,wie toll und wie schön diese Koalition sei, wie toll die-ses Schwarzgeldbekämpfungsgesetz sei. Der Beifall ausden Reihen der Koalition war ja auch phänomenal; erwar richtig tosend.
Wenn man sich die Entwicklung dieses Gesetzent-wurfes und das Ergebnis genauer anschaut, könnte manleicht auf die Idee kommen, bei dem Titel Ihres Gesetz-entwurfes handele es sich um einen Tippfehler. Mankönnte denken, dass Sie statt Schwarzgeldbekämpfungs-gesetz eigentlich ein Schwarz-Gelb-Bekämpfungsgesetzmeinten.
Um es mit den Worten des französischen PolitikersEdgar Faure zu sagen: Ein Kompromiss ist dann voll-kommen, wenn beide bekommen, was sie eigentlich garnicht haben wollten. – Selten passte dieses Zitat so gutwie bei diesem schwarz-gelben Schwarzgeldbekämp-fungsgesetz.
Auf die Abstimmung mussten wir – mit „wir“ meineich die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler –lange genug warten. Wir erinnern uns: Ein Jahr ist ver-gangen seit der Ankündigung einer Initiative durch dieUnionsfraktion. Damals, Anfang 2010 – wir wissen esgenau –, kamen die sogenannten Steuer-CDs auf denMarkt, die reuigen Sünder waren unterwegs und erstatte-ten Selbstanzeige. Es gab vollmundige Ankündigungen.CSU-Kollege Michelbach – er ist heute leider nicht da;er wird wissen, warum – forderte damals in der ARD diekomplette Abschaffung der strafbefreienden Selbstan-zeige.
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sagte,Steuerflüchtlinge dürften nicht mehr straffrei davonkom-men. Wörtlich sagte er den Satz – er ist fast maßge-schneidert im Hinblick auf Ihren jetzigen Gesetzentwurf,Ihren Änderungsantrag und die heutige Debatte –: DerStaat darf sich seinen Anspruch, Unrecht zu bestrafen,nicht abkaufen lassen. – Wo Herr Müller recht hat, hat errecht. Das muss man ganz klar sagen.
Wir, die SPD-Fraktion, haben einen Gesetzentwurfzur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige vor-gelegt. Dieser Vorstoß wird von den Praktikern derSteuer-Gewerkschaft und vielen anderen zweifelsfreiunterstützt. Es hat allerdings unglaublich lange gedauert,bis Schwarz-Gelb überhaupt etwas zu Papier gebrachthat. Ich will anmerken: Womöglich auch vom Urteil desBGH getrieben – sonst wäre von Ihnen vielleicht garnichts gekommen –, haben Sie ein Papier vorgelegt. Un-fertig, unsicher und unabgesprochen war Ihr Gesetzent-wurf in der ersten Lesung. Von einer Abschaffung derstrafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung,wie ursprünglich angekündigt, war bei Ihnen letztend-lich kein Wort mehr zu lesen.Drei Anhörungen zu diesem Thema im Finanzaus-schuss haben wir hinter uns. Sachverständige haben unseindringlich und wiederholt darauf hingewiesen, welchfachliche Unzulänglichkeiten Ihr Gesetzentwurf beinhal-tet und welche heute schon absehbaren Probleme es beider Umsetzung Ihres Gesetzentwurfes in der Praxis ge-ben wird. Doch von all dem wollten Sie nichts wissen.Ihnen ging es in den Anhörungen – das war der Ein-druck von vielen – um etwas anderes. Beide Fraktionen,die Union auf der einen Seite, die FDP auf der anderenSeite, haben ihre eigenen Sachverständigen in den Stel-lungskrieg geschickt, als es um die Frage „Strafzu-schlag: ja oder nein?“ ging. Das war in den Anhörungendes Finanzausschusses das eigentliche Thema. So wardie Gefechtslage.
Eines war deutlich spürbar: Kopf und Hinterteil derKoalition marschierten los. Das Problem war nur: Siemarschierten in unterschiedliche Richtungen. Dann be-wegt sich bekanntermaßen gar nichts.
Im Übrigen: Wer Kopf und wer Hinterteil ist, das über-lasse ich an dieser Stelle Ihnen.
Es ist kein Wunder, Herr Kollege Wissing, dass wir die-ses Thema in der letzten Sitzungswoche leider nicht ab-schließend beraten konnten, weil Sie sich noch nicht ei-nig waren. Aber ich billige Ihnen gerne zu – Sie haben esgesagt –: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.
Das ist richtig, solange das Ergebnis stimmt.
Gleich vorweg: Es stimmt nicht.
Ihr Ziel haben Sie nämlich gründlich verfehlt. Dies giltauch im Hinblick auf die Ankündigungen und die gewal-tigen Erwartungen, die Sie in dieser Frage selbst ge-weckt haben. Hier haben Sie kläglich versagt.
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10958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Martin Gerster
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Die größte öffentliche Beachtung fand der Eiertanzum den Strafzuschlag. Ich gebe Ihnen einen kurzenRückblick auf die formulierten Ansprüche und die Wirk-lichkeit der Kompromissfindung innerhalb der Koali-tion. In der Zeitschrift Das Parlament hat der FDP-Kol-lege Daniel Volk noch am 28. Februar dieses Jahres, alsovor weniger als drei Wochen, einen Aufschlag abge-lehnt. Wörtlich wurde er wie folgt zitiert:Der Verwaltungszuschlag ist ein verkappter Straf-zuschlag.
Das passt nicht zu der strafbefreienden Erklärung.Klaus-Peter Flosbach und Manfred Kolbe von der CDUsagten dazu wörtlich in derselben Ausgabe der Zeit-schrift Das Parlament:Es ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit, dass dieNachzahlung eines Steuerhinterziehers nichtebenso behandelt wird wie die Nachzahlung einesehrlichen Steuerzahlers.
Nur, die Wahrheit ist: Das Problem, dass Steuersäu-mige finanziell schlechter gestellt sind als der zur Selbst-anzeige bereite Steuerkriminelle, beheben Sie mit demjetzt auf dem Tisch liegenden Gesetzentwurf überhauptnicht.
Sie treten letztendlich Ihr selbst formuliertes Gebot derSteuergerechtigkeit mit Füßen. Aus meiner Sicht nochschlimmer: Demjenigen, der mehr Geld als den neuenGrenzbetrag von 50 000 Euro auf dem Hinterzieherkerb-holz hat, wird die relativ bequeme Möglichkeit eröffnet,sich gegen Zahlung eines 5-Prozent-Zuschlags von derStrafverfolgung freizukaufen. Ich frage mich: WelcheBotschaft soll denn davon ausgehen? Wie sagte es dochder CDU-Ministerpräsident Peter Müller vor einemJahr? Ich wiederhole es gerne noch einmal. Er mahnte,der Staat dürfe sich seinen Anspruch, Unrecht zu bestra-fen, nicht abkaufen lassen.Oder anders: Wer strategisch und in großem MaßstabSteuern hinterzieht, sollte vielleicht besser gleich die5 Prozent mit einplanen. Nur wer sich den Zuschlagnicht leisten kann, wird bestraft. Ihr Koalitionskompro-miss – ich denke, das wird deutlich – hat nur ein einzigesMotiv: Angst vor Gesichtsverlust. Generalprävention,werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sieht an-ders aus – effektive Bekämpfung von Steuerhinterzie-hung auch.
Geradezu gebetsmühlenartig haben Sie in der Vergan-genheit immer wieder beschworen, Steuerhinterziehungsei kein Kavaliersdelikt. Damit haben Sie natürlichrecht. Denn Steuerhinterziehung ist eine Straftat, die un-serem Gemeinwesen das dringend benötigte Geld fürwichtige Aufgaben und Vorhaben entzieht. Sie ziehendaraus aber leider nicht die notwendigen Konsequenzen.Ihre Versuche, den Gesetzentwurf zu verteidigen, sinduntauglich.Herr Kolbe, Sie haben wieder das Prinzip der tätigenReue beschworen. Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Reueist reine Fiktion, genauso wie die Behauptung, der Steu-erhinterzieher sei künftig gezwungen, vollständig reinenTisch zu machen. Ich zitiere nochmals die KollegenFlosbach und Kolbe vom 7. März in der Zeitschrift DasParlament:Strafbefreiung soll nur derjenige erwarten dürfen,der noch alle verfolgbaren Steuerhinterziehungender Vergangenheit vollständig offenbart.In der Praxis ist dieser Anspruch nicht umsetzbar.
Sie wissen das spätestens seit der Anhörung, aber Sie ha-ben öffentlichkeitswirksam die Kulisse einer allumfas-senden Beichte reumütiger Steuersünder aufgebaut – eineKulisse, die sich in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nichtwiederfindet.Ich sage Ihnen voraus: Die Steuerverwaltungen wer-den sich bei Ihnen noch ganz herzlich bedanken, wenndie ersten Widersprüche eingegangen und die erstenStreitfälle anhängig sind. Die Sachverständigen haben inder Anhörung dazu alles Notwendige gesagt, aber Sietragen es auf dem Rücken der Beamtinnen und Beamtenaus.Angesichts dieser mageren Bilanz des Gesetzent-wurfs wäre es besser gewesen, Sie hätten den Mut aufge-bracht, einen klaren Schnitt zu machen und die strafbe-freiende Selbstanzeige abzuschaffen, wie wir es inunserem Gesetzentwurf fordern.Danke schön.
Das Wort hat nun Kollege Volker Wissing für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Über dieses Thema wurde hier schon viel gesprochen;das ist ganz klar. Wir haben intensive Beratungen im Fi-nanzausschuss geführt. Nur, lieber Kollege Gerster, Sieerwecken hier den Eindruck, als hätte die SPD bei die-sem Thema jemals gehandelt. Sie reden nur darüber. DieKoalition hingegen handelt und legt einen konkreten Ge-setzentwurf vor. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen,die es mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehungnicht ernst meinen, und uns, die Fakten schaffen.
Meine Damen und Herren, wir verfolgen mit dem Ge-setzentwurf genau das, was wir den ehrlichen Steuerzah-lerinnen und Steuerzahlern schuldig sind: Wir sorgen da-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10959
Dr. Volker Wissing
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für, dass kein ehrlicher Bürger unter Verdacht gerät, nurweil er vergessen hat, etwas beim Finanzamt einzurei-chen. Deshalb bleibt es bis 50 000 Euro bei der strafbe-freienden Selbstanzeige für ehrliche Steuerzahlerinnenund Steuerzahler, meine Damen und Herren.
Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der Ehrliche inDeutschland nicht länger der Dumme ist, und erhöhendie Sanktionen. Schwere Fälle der Steuerhinterziehungwerden trotz strafbefreiender Selbstanzeige in Zukunftschärfer sanktioniert.Es darf nämlich nicht so wie unter SPD-Finanzminis-tern bleiben. Damals konnte man die strafbefreiendeSelbstanzeige als Geschäftsmodell nutzen. Wer künftig50 000 Euro an Steuern hinterzieht, bleibt nicht mehrstraffrei, nur weil er sich selbst anzeigt. In diesen Fällengilt künftig, dass die Steuerhinterziehung auch bei Selbst-anzeige strafbar bleibt. Nur wer sich selbst offenbart undzusätzlich zu den fälligen Zinsen eine Geldbuße zahlt,kommt künftig um eine Verurteilung herum. Es kommtalso zur strafverfahrensrechtlichen Einstellung gegenGeldauflage. Das ist die Konstruktion, die wir gewählthaben. Das haben Sie noch nicht verstanden. Deswegenhaben Sie hier wenig Sinnvolles gesagt.
Die unwürdige Situation, dass erst ein Beamter zuHause klingeln muss, damit man als entdeckt gilt, wirdvon uns abgeschafft. Künftig kann man eine strafrechtli-che Prüfungsanordnung zustellen, und dann ist die Fallezu. Das erhöht das Entdeckungsrisiko, und jeder, der et-was zu offenbaren hat, sollte die Chance nutzen und sichjetzt ehrlich machen. Unter Schwarz-Gelb wird es ernstmit der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Das istdas Signal, das auch von dieser Debatte ausgehen muss.
Wir haben uns viel Mühe mit der Beratung dieses Ge-setzentwurfs gemacht, und das nicht, weil wir unter-schiedliche Auffassungen gehabt hätten, sondern weil eseine komplizierte Sache war. Wir mussten eine verfas-sungskonforme Lösung finden, wir mussten eine praxis-taugliche Lösung finden, und wir mussten – das war derFDP besonders wichtig – für die ehrlichen Steuerzahle-rinnen und Steuerzahler einen fairen Weg der Verschär-fung finden. Nicht die Kriminalisierung, die Verdächti-gung der Ehrlichen, sondern die Sanktion der Unehr-lichen war unser Ziel. Genau das haben wir erreicht.
Ein Zuschlagen im Falle einer bloßen Korrektur derSteuererklärung hätte dazu geführt, dass jeder Arbeit-nehmer, der eine Kleinigkeit korrigiert hätte, unter demVerdacht gestanden hätte, dass er die Korrektur nach ei-ner vorsätzlichen Täuschung vorgenommen hat.
Wir wollten nicht die Verdächtigung der ehrlichen Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die schär-fere Sanktionierung derjenigen, die systematisch Steuernhinterziehen. Sie verhalten sich unehrlich.
Mit der jetzt gefundenen Lösung wird schärfer sank-tioniert. Das Geschäftsmodell der Steuerhinterziehunggibt es in Deutschland nicht mehr. Die Teilehrlichkeitwird nicht mehr belohnt. Das alles ist uns gelungen. Wirhaben damit eine Lösung erreicht, durch die der Anstän-dige nicht zum Verlierer gemacht wird. Das ist gute Ge-setzgebung.
Wenn einige Sachverständige, die bei der Anhörungim Finanzausschuss anwesend waren, diese Debatte ver-folgen, dann kann ich ihnen sagen: Herzlichen Dank fürall den Sachverstand, den Sie uns zur Verfügung gestellthaben. Ihre wertvollen Hinweise sind hier ganz konkretin die Gesetzgebung mit eingeflossen.
Deswegen haben wir den Entwurf nach der Anhörungauch noch einmal korrigiert und uns mit der BeratungZeit genommen. Wir haben im Ziel keine Unterschiedegehabt, aber wir wollten die Interessen der ehrlichenSteuerzahlerinnen und Steuerzahler eben auch berück-sichtigt finden, und wir wollten eine verfassungskon-forme Lösung.Sie von der SPD tun hier so, als wären Sie diejenigen,die die Bekämpfung der Steuerhinterziehung immer ver-folgt hätten.
Seit Jahren reden Sie darüber, passiert ist in der Regie-rungsverantwortung unter SPD-Finanzministern nichts.
– Frau Kressl, die SPD hat es mit den Grünen nicht ge-schafft, die strafbefreiende Selbstanzeige zu verschärfen,und Sie haben es auch nicht in der Großen Koalition ge-schafft, dieses Problem zu lösen.Jetzt kann man sich natürlich fragen, warum das soist. Wenn man sich Ihren Alternativvorschlag näher an-schaut, dann wird das klar. Sie wollen nämlich keinewirkliche Lösung und schlagen etwas vor, was nichtgeht. Beantworten Sie doch einmal glaubwürdig fol-gende Fragen:Sie wollen die strafbefreiende Selbstanzeige abschaf-fen. Warum machen Sie einen solchen Vorschlag, durchden die Verfassung verletzt wird, nach der sich kein Bür-ger selbst belasten muss und nach der er gleichzeitig an
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10960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Volker Wissing
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der vollständigen Erhebung seiner Steuerdaten mitwir-ken muss? Warum lehnen denn amtierende Finanzminis-ter Ihren Vorschlag ab? Warum haben Sie in elf Jahreneigener Verantwortung das, was jetzt angeblich ein soguter Vorschlag ist, nicht umgesetzt? An der CDU/CSUkann das in der letzten Legislaturperiode jedenfalls nichtgelegen haben; sie war schnell mit uns einig.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Richard Pitterle für die Fraktion Die
Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Herr Wissing, ich befürchte,Schwarz-Gelb hat ein neues Geschäftsmodell eingeführt.Das wird sich künftig vielleicht „5 plus“ nennen, aberdazu komme ich noch.Die Möglichkeit, durch eine Selbstanzeige der Bestra-fung zu entgehen, ist ein Privileg. Von diesem Privilegprofitieren überwiegend Menschen mit viel Geld. Weilsie das Geld mehr lieben als ihre gesellschaftlichen Ver-pflichtungen, werden sie zu Steuerhinterziehern, oder sieentziehen sich der Steuerpflicht, indem sie aus steuerli-chen Gründen ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, wiemanches Supermodel oder mancher Supertrainer.Die Hartz-IV-Empfänger, die sich etwas dazuverdie-nen, ohne es der Agentur für Arbeit mitzuteilen, habendieses Privileg nicht. Sie werden knallhart wegen der Er-schleichung von Sozialleistungen angeklagt und müssensich vor Gericht verantworten. Finden Sie das gerecht?Wir nicht. Deshalb gehört nach Meinung der Linken diestrafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft. Diese wirdvon zu vielen als taktisches Instrument benutzt, wenn esdarum geht, dem Staat die Steuern, die ihm zustehen,vorzuenthalten.Steuerhinterziehung ist kriminell. Sie ist kein Kava-liersdelikt. Bei keiner anderen Straftat weiß der Tätervon vornherein, dass die Straftat schon dann, wenn ernur eine Bedingung erfüllt, ohne Folgen bleibt. Das be-deutet, dass die strafbefreiende Selbstanzeige dazu bei-trägt, Steuerhinterziehung attraktiv zu machen. Sie machtdie Hinterziehung ein Stück weit kalkulierbar und nimmtdem Risiko der Entdeckung den Schrecken.Durch Berichte über CDs in den Medien wissen dieSteuerhinterzieher, ob ein Entdeckungsrisiko besteht unddass sie dem Staat eventuell doch ihre verheimlichten,ins Ausland transferierten Einkünfte anzeigen sollten.Würde die strafbefreiende Selbstanzeige ganz abge-schafft, hätte dies zwei Folgen: Die Steuerhinterziehungwürde gefährlicher, sodass sich weniger Menschentrauen, Steuern zu hinterziehen. Dadurch erhöhten sichdie Steuereinnahmen für den Staat. Deshalb hat die Ab-schaffung der strafbefreienden Selbstanzeige eine gene-ralpräventive und eine fiskalische Wirkung.Damit komme ich zum springenden Punkt: Nur dasRisiko der Entdeckung bringt dem Staat die gewünsch-ten Steuereinnahmen. Das letzte Jahr war das beste Bei-spiel: Nach den Berichten in den Medien über Steuer-CDs ging eine Flut von 30 000 Selbstanzeigen ein. Dergrößte Teil der hinterzogenen Gelder kam aus den be-kanntgewordenen Herkunftsländern und Geldinstituten.Statt nur ein bisschen an der Selbstanzeige herumzu-doktern, muss die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerhinter-ziehung aufgedeckt wird, erhöht werden. Deshalb ver-langen wir, dass die Finanzämter mehr Personal be-kommen, um effektiv Steuerhinterzieher verfolgen undaufdecken zu können.Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich auf ei-nem internationalen automatischen Informationsaustauschin Steuersachen zu bestehen. Der vorgelegte Gesetzent-wurf führt nicht dazu, dass sich die Steuerhinterzieher inDeutschland bei ihren kriminellen Machenschaften we-niger sicher fühlen. Die Regierungskoalition behauptetzwar, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verhindernzu wollen, dass die strafbefreiende Selbstanzeige als In-strument der Steuergestaltung missbraucht wird. Aberselbst nach Ihren jüngsten Nachbesserungen im Finanz-ausschuss besteht ein Widerspruch zwischen Text undBegründung des Gesetzentwurfs. In der Begründungheißt es wörtlich – ich zitiere –:Nur wer sich für eine vollständige Rückkehr in dieSteuerehrlichkeit entscheidet, kann sich der Straf-freiheit sicher sein.Nach dem Text des Gesetzentwurfs wird man jedochschon straflos gestellt, wenn man die falschen Angabenzu einer Steuerart vollständig berichtigt.Es geht gar nicht um das in der Diskussion angespro-chene Argument der Nichtzahlung der Hundesteuer.Aber erklären Sie mir doch bitte, warum jemand, derseine Angaben zur Einkommensteuer korrigiert, abernicht seine Hinterziehung bei der Umsatzsteuer offen-bart, straflos gestellt wird. Das ist nach Ihrem Gesetzent-wurf der Fall.So ist aus der von Ihnen behaupteten bissigen Ver-schärfung ein Papiertiger geworden. Sie gaukeln denBürgerinnen und Bürgern vor, etwas zu unternehmen.Ich frage Sie: Warum haben Sie nicht einmal vorgese-hen, dass die Korrektur der falsch erklärten Steueranga-ben mit einer Versicherung an Eides statt ergänzt wird?Das würde das Risiko der Strafbarkeit derjenigen erhö-hen, die sich nicht vollständig offenbaren.Sie haben die Dreistigkeit, zu behaupten, mit IhremGesetzentwurf wäre dem Taktieren mit der Selbstan-zeige bei Steuerhinterziehung ein Riegel vorgeschoben.Damit das Taktieren wirklich beendet wird, muss diestrafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft werden.
Die Regierung verweist darauf, dass der Staat vom In-strument der strafbefreienden Selbstanzeige profitiere,weil Quellen aufgedeckt würden, die der Staat nicht er-schlossen hätte. Aber auch hier täuschen Sie die Öffent-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10961
Richard Pitterle
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lichkeit. In anderen Staaten gibt es dieses Instrumentnicht, aber es gibt dort eine Bestimmung, dass das Ge-richt bei einer Selbstanzeige von der Bestrafung absehenkann. Ich sage Ihnen, worin der Unterschied liegt: DasGanze findet nicht zwischen der Finanzverwaltung unddem Steuerhinterzieher statt, sondern ist ein öffentlichesgerichtliches Verfahren. Dadurch wird auch klar, dass essich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.In Kanada ist übrigens die Möglichkeit, durch eineSelbstanzeige der Strafbarkeit zu entgehen, auf ein einzi-ges Mal beschränkt. Warum nehmen Sie sich das nichtzum Vorbild? Wie viele Brücken wollen Sie den Unehr-lichen noch bauen?Die Bundesregierung schafft es sogar, den kriminel-len Steuerhinterzieher weiterhin besser zu behandeln alseinen säumigen Steuerehrlichen. Bei steuerehrlichenBürgerinnen und Bürger, die ihre Einkünfte dem Staatoffenlegen, wird die Steuer festgesetzt. Wenn sie mit derZahlung der festgesetzten Steuer in Verzug kommen,müssen sie darauf 12 Prozent pro Jahr an Säumniszu-schlag zahlen.Der kriminelle Hinterzieher jedoch, der sich selbst an-zeigt, zahlt mit 6 Prozent Hinterziehungszinsen pro Jahrnur die Hälfte. Im Gesetzentwurf schlagen Sie vor, beihinterzogenen Steuern von über 50 000 Euro einen Zu-schlag von 5 Prozent einzuführen, um straffrei zu blei-ben. Dann zahlt er also 11 Prozent insgesamt. In jedemFall muss er weniger bezahlen als der steuerehrlicheBürger, der gerade nicht flüssig ist. Wir fordern, dass derZuschlag schon für den ersten Euro hinterzogener Steu-ern gelten muss. 5 Prozent sind zu wenig; 12 Prozentsind angemessen. Ihre Ablehnung eines höheren Zu-schlags zeugt nur davon, wie egal Ihnen Steuerehrlich-keit und Steuergerechtigkeit sind.
Unsere Zustimmung für diese Politik bekommen Sienicht.
Das Wort hat nun Kollege Gerhard Schick für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwerde als Erstes einen Satz zum Thema Geldwäsche sa-gen, das mir sehr am Herzen liegt. Ich glaube, dass wirin Deutschland einen massiven Fehler machen, indemwir in Bund und Ländern dieses Thema nebenbei in demeinen oder anderen Gesetz behandeln. Denn in derSumme ebnen Bund und Länder organisierter Kriminali-tät den Weg nach Deutschland und unterstützen damit imAusland genau die Strukturen, die wir angeblich sofalsch und problematisch finden. Deswegen müssen wiruns das Thema Geldwäsche noch einmal gründlichervornehmen. In diesem Gesetzentwurf ist nur ein kleinerSchritt enthalten. Wir fordern die umfassende Behand-lung des Themas aber für die nächsten Beratungen imAusschuss ein.Der Kern dieses Gesetzentwurfs ist die strafbefrei-ende Selbstanzeige. Was Sie da machen
in der Öffentlichkeitsarbeit und in Ihren heutigen Reden,ist ein großer Bluff.
Sie stellen wenige Punkte der Verschärfung in denVordergrund, die teilweise bereits der Bundesgerichtshoffestgelegt hat, und Sie machen den Leuten damit vor,dass es wirklich darum ginge, systematisch durchzugrei-fen. Aber an vielen Passagen in diesem Gesetzentwurfstellen wir fest, dass das Gegenteil der Fall ist.
– Genau. Deswegen komme ich auf die einzelnen Punktezu sprechen.Aber die rechtlichen Verhältnisse werden sich durchdieses Gesetz an manchen Stellen verschlechtern. HerrWissing, ich finde es sehr interessant, wie Sie argumen-tieren, Stichwort: die ehrlichen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer. Welcher Arbeitnehmer und welcheArbeitnehmerin hat denn die Möglichkeit, pro Jahr50 000 Euro Steuern zu hinterziehen?
Werfen Sie doch einmal einen Blick in die Statistik. Diemeisten Menschen wären froh, wenn Sie so viel im Jahrverdienen würden.
Aber Sie appellieren hier an die ehrlichen Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer. Das Gros der Menschenhat von dieser Regelung überhaupt nichts; seien Sie dochehrlich.
Wenn Sie wenigstens Ihren eigenen Ansprüchen ge-recht werden würden; das aber tun Sie nicht. Ich zitiereaus dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP.Unterzeichnet haben ihn Volker Kauder, Hans-PeterFriedrich und Birgit Homburger. Darin heißt es:… dem Steuerhinterzieher darf durch seine Hinter-ziehungsstrategie gegenüber einem bloß säumigenSteuerpflichtigen, der eine ordnungsgemäße Erklä-rung abgegeben hat, kein wirtschaftlicher Vorteilentstehen.
Das setzen Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht um.
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10962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Gerhard Schick
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– Sie setzen es unterhalb der Grenze von 50 000 Europro Jahr nicht um, weil es da bei der bisherigen Rege-lung bleibt, nämlich Hinterziehungszinsen in Höhe von6 Prozent und Säumniszuschlag in Höhe von 12 Prozent.
Sie setzen es aber noch nicht einmal bei den Fällenüber 50 000 Euro um; denn dann gelten 11 Prozent, dasheißt, der Säumniszuschlag in Höhe von 12 Prozent istimmer noch höher. Sie sind also an Ihren eigenen An-sprüchen gescheitert.Das gilt auch für den zweiten Anspruch, den Sie da-mals formuliert haben – ich zitiere wieder –:Strafbefreiung soll nur noch derjenige erwartendürfen, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterzie-hungen der Vergangenheit vollständig offenbart.Das schränken Sie jetzt auf eine einzige Steuerart ein.Das heißt eben nicht: alle Hinterziehungen. Damit ver-schlechtern Sie die Lage gegenüber der Rechtsprechungdes Bundesgerichtshofes einmal mehr, der sagt:Die Benennung aller denkbaren Handlungsvarian-ten zur Korrektur von unrichtigen und unvollständi-gen Angaben … macht deutlich, dass das Gesetzdie vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeitwill. Nur unter dieser Voraussetzung wird der Täterstraffrei.Die vollständige Ehrlichkeit, die auch in der Begrün-dung zu dem Gesetzentwurf steht, ist nicht mehr erfor-derlich, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt.
Notwendig wäre es, einzuschränken, dass man dasmehrmals im Leben tun kann. Reue heißt doch nicht,dass ich am nächsten Tag gleich wieder damit anfange.Warum ist es nicht möglich, einen klaren Schnitt zu ma-chen, damit man die Tat nicht mehrfach wiederholenkann?Ich komme auf den Kernpunkt, den wir mit einemÄnderungsantrag in den Vordergrund gestellt haben, weilwir ein Verhalten besonders unanständig finden: Durchdie Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann sichjemand, der nur sein Konto bei der Credit Suisse aufge-deckt hat, aber nicht das Konto bei der UBS, nicht mehrauf seine unehrliche Teilselbstanzeige berufen. Es bedarfeiner Übergangsfrist; da haben Sie, Herr Kolbe, voll-kommen recht. Aber so, wie Sie die Übergangsfrist aus-gestalten, wird diese Trickserei bei der Selbstanzeige fürdie Zukunft unter Bestandsschutz gestellt. Damit versto-ßen Sie wieder gegen einen Grundsatz, den Sie in derÖffentlichkeit hochhalten, nämlich dass sich Tricksereinicht mehr lohnen soll. Doch genau das schreiben Sie indem Gesetzentwurf fest. Sie sagen, etwas anderes seiverfassungsrechtlich nicht möglich.
Eine Zwischenfrage von Herrn Kolbe. Bitte schön.
Herr Kollege Schick, sind Sie bereit, zur Kenntnis zunehmen, dass sich die Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs auf eine Tat bezieht, also einen Veranlagungs-zeitraum bzw. eine Einkommensteuererklärung – undnur auf diese eine Tat –, während in unserem Gesetzent-wurf verlangt wird, dass alle Veranlagungszeiträume ei-ner Steuerart angegeben werden müssen, damit es zu ei-ner wirksamen Selbstanzeige kommt? Es gibt also einedeutliche Ausweitung gegenüber der Rechtsprechungdes Bundesgerichtshofs, auch gegenüber dem Beschlussvom 20. Mai.
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war noch vonmehreren Steuerarten die Rede. An dieser Stelle schrän-ken Sie es ein. Damit kommt es nicht zur vollständigenSteuerehrlichkeit. Das ist genau der Punkt, den wir ein-fordern.
Ich will auf den Punkt, den ich angesprochen habe,zurückkommen. Sie sagen, es bedürfe eines Vertrauens-schutzes für die Leute, und Sie beziehen sich auf den al-ten Rechtsgrundsatz: nulla poena sine lege. Aber die un-echte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich möglich. Esbedarf einer Abwägung. Durch die Übergangsfristenkann man dieses Problem, wie wir es vorgeschlagen ha-ben, lösen. Wir schlagen vor, dass die Menschen, dieeine unehrliche Teilselbstanzeige abgegeben haben, sichinnerhalb von zwölf Monaten vollständig ehrlich ma-chen müssen. Das lehnen Sie ab, weil Sie einen Be-standsschutz für Tricksereien festschreiben wollen. Da-mit wird deutlich, um was es hier insgesamt geht.
– Die Rechtsauffassung – das ist in der Anhörungdeutlich geworden – ist genau von zwei, juristischdurchaus kundigen Sachverständigen geäußert worden,nämlich dass die Übergangsregelung, die Sie schaffen,in der Praxis Probleme schafft und einen falschen Anreizsetzt. Es wurde deutlich, dass man rechtlich beide Wegegehen kann, aber Sie entscheiden sich für den problema-tischen Weg. Das ist der Punkt.
Ich finde, wir müssen diesen Gesetzentwurf auch vordem Hintergrund des Zustands des Steuervollzugs inDeutschland, an dem sich dringend etwas verändernmuss, bewerten. Der Bundesgerichtshof hat 2007 festge-stellt: Der Steuervollzug in Deutschland ist gesetzwid-rig, weil ein gleichmäßiger Vollzug nicht möglich ist. –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10963
Dr. Gerhard Schick
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Vor diesem Hintergrund ist es natürlich wichtig, dass wirhier Gesetze machen, die an den Kern des Problems he-rangehen und die Entdeckungswahrscheinlichkeit erhö-hen, anstatt falsche Anreize zu setzen, sodass die Ehrli-chen die Dummen sind. Das muss verhindert werden.
Das Wort hat nun Kollege Peter Aumer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Das Schwarzgeldbekämpfungsge-setz, das wir heute beschließen, geht auf eine Initiativeder Union zurück. Es zeigt konsequentes Handeln undist eine Antwort auf die Flut von Selbstanzeigen nachdem Auftauchen der Steuerhinterziehungs-CDs.
– Das ist eine Frage der Einschätzung. Sie schätzen dasso ein und wir so. Ich glaube, wir sind auf der richtigenSeite.Wir haben frühzeitig eine Verschärfung der Voraus-setzungen für die strafbefreiende Selbstanzeige gefor-dert, und wir setzen das, was wir gefordert haben, auchin konkrete Taten um. Das, was die christlich-liberaleKoalition verspricht, das hält sie auch.Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren ihrenTeil dazu beigetragen, Steuerlücken zu schließen. DieDoppelbesteuerungsabkommen mit unseren europäi-schen Nachbarn sind nahezu abgeschlossen. Aber das al-les allein reicht nicht aus. In den sieben Jahren von Rot-Grün schaffte es die damalige Bundesregierung nicht,Steuerunehrlichkeit erfolgreich zu bekämpfen. Nun, inder Opposition, kann es Ihnen nicht weit genug gehen,und Sie verlangen, dass die strafbefreiende Selbstan-zeige gänzlich abgeschafft wird. Die SPD-Finanzminis-ter der Länder sehen dies jedoch anders. Wieder einmaltypisch SPD: Die Rechte weiß nicht, was die Linke tut.
Oder besser: die Pragmatiker gegen die Utopisten.Herr Gerster, Sie sprachen vorhin von Anspruch undWirklichkeit in Ihrer Regierungszeit. Der Anspruch, denSie an sich stellen sollten, wurde nicht in die Wirklich-keit umgesetzt. Wir reden nicht nur, wir handeln.
Das zeigt ganz klar, dass bei uns Anspruch und Wirk-lichkeit sehr nahe beieinanderliegen.
Die christlich-liberale Koalition hat sich Steuerge-rechtigkeit zum Ziel gesetzt; Herr Poß, ich hoffe, auchdie Opposition agiert in diesem Sinne. Das bedeutet,dass an eine strafbefreiende Selbstanzeige hohe Anfor-derungen zu stellen sind.Der eingebrachte Gesetzentwurf basiert auf dreiGrundlagen:Erstens. Wir korrigieren Defizite im deutschenRechtssystem bei der Bekämpfung von Geldwäsche undTerrorismusfinanzierung. Die Erweiterung des Geldwä-schestraftatbestandes im vorliegenden Gesetzentwurfwird ein wichtiger Beitrag, Geldwäsche und Terroris-musfinanzierung in Deutschland noch wirksamer zu be-kämpfen.Zweitens. Die christlich-liberale Koalition konkreti-siert das Steuerstrafrecht zielgenau. Das erfolgt aufgrundeines Urteils des Bundesgerichtshofs im Mai 2010; Kol-lege Kolbe hat dies vorher schon angesprochen. Darinentschied das Gericht, dass sich Steuersünder mit einerSelbstanzeige vor einer Bestrafung nicht mehr einfach soretten können. Die Selbstanzeige muss alle den Behör-den verheimlichten Konten betreffen, und sie muss vorder Entdeckung der Straftat erfolgen. Eine Selbstanzeigewährend einer polizeilichen Durchsuchung genügt nicht.Zukünftig ist ein Steuersünder nur noch dann straffrei,wenn er die komplette Steuerart im nicht verjährtenSteuerzeitraum zurückzahlt. Damit werden nur diejeni-gen zu Steuerhinterziehern, die versuchen, ihr zu ver-steuerndes Geld in verschiedenen Staaten am Fiskus vor-beizuschleusen. Dieser Hinterziehungstaktik muss einRiegel vorgeschoben werden.Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren der Op-position, setzen das um, was der Bundesgerichtshof ent-schieden hat. Die vom BGH festgestellte Steuerhinter-ziehung großen Ausmaßes – das sind Hinterziehungenvon über 50 000 Euro – werden durch die christlich-liberale Koalition mit einem Strafzuschlag in Höhe von5 Prozent der hinterzogenen Steuer belegt. HerrDr. Schick, Sie haben in Ihren Ausführungen etwasdurcheinandergebracht: Bei denen, die Steuerhinterzie-hung von unter 50 000 Euro begehen, gibt es diesenStrafzuschlag nicht.Außerdem haben wir Rechtssicherheit geschaffen.Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsauffassungder Bundesregierung bestätigt. Die vom Bund gekauftenSteuer-CDs dürfen zur Aufklärung von Steuerhinterzie-hung benutzt werden. Anstatt auf Amnestie zu setzen,wie Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren vonRot-Grün, erhöhen wir den Druck auf die Steuerhinter-ziehungstaktiker. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliers-delikt. Auch Hinterziehungstaktiker müssen erkennen,dass der Staat ernst macht im Kampf gegen die Steuer-hinterziehung. Somit haben wir unser Ziel erreicht, dassein Steuerhinterzieher nach einer Selbstanzeige nichtbesser dasteht als der steuerehrliche Bürger.Die christlich-liberale Koalition macht ernst imKampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Wirwollen den Wirtschaftsstandort Deutschland, aber auchdas Funktionieren unseres Gemeinwesens durch ausge-
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10964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Peter Aumer
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glichene Haushalte und Steuerehrlichkeit sichern. UnserGesetzentwurf enthält hierzu wirksame und zielgenaueSchritte. Wir reden nicht nur, sondern handeln auch.Deswegen bitten wir Sie, für unseren Gesetzentwurf zustimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing hat michein bisschen provoziert, etwas anders vorzugehen, alsich es ursprünglich dachte.
Ich will ihn nämlich an das Gesetz erinnern, das CDU/CSU und SPD im Jahr 2008 gemacht haben. Die Über-schrift lautet: Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz.Damit sollte die Steuerverkürzung bekämpft werden.
Jetzt werden Sie sagen: 2008 ist wahnsinnig spät, daswar lange Zeit nach Rot-Grün. – Denn ich habe diesesGesetz auch genannt, damit die FDP keine Mühe habensoll, sich später daran zu erinnern. Ich will aber auch aufdie 16-jährige CDU/CSU-FDP-Geschichte verweisen.Sie müssen auch immer gucken, woher man kommt.Was fanden wir denn 1998 vor? Was wir vorgefundenhaben, haben wir sofort 2001 und 2003 korrigiert.Ich erinnere Sie an das Steuerverkürzungsbekämp-fungsgesetz aus dem Jahr 2003 und an das Steuerände-rungsgesetz aus dem Jahr 2003. Ich erinnere Sie an so et-was Sensibles wie an die Datenbank ZAUBER, bei deres um Risikoprofile geht, mit denen man abschätzenkann: Wer tut etwas in der Welt, das illegal ist?Ich erinnere Sie insbesondere an die Unternehmen-steuerreformen. Es gibt doch nichts Schöneres, als einenGewinn vermeintlich legal ins Ausland zu verschieben.Das heißt, man nutzt zwar die Infrastruktur in Deutsch-land, um den Gewinn zu erzielen, aber man will dieSteuern, die darauf zu zahlen sind, nicht entrichten. DieFDP war immer aggressiv dagegen, dass wir diese Steu-ergestaltungsmodelle verhindern.
Erinnern Sie sich daran, was wir den Betriebsprüfernan die Hand gegeben haben, wie wir die Abgabenord-nung geändert haben. Noch etwas Sensibles möchte ichnennen: die LUNA zur länderübergreifenden Namensab-frage. Das alles sind Dinge, die in den 16 Jahren unterSchwarz-Gelb überhaupt keine Rolle gespielt haben. Dieganze taktische Vorausschau von Steuerkriminalitäthatte man gar nicht im Blick. Roland Koch hat das janoch genutzt bei seiner Verschiebung von Spenden in dieSchweiz.
Man muss aufpassen, was da wirklich passiert ist. Wirhaben ein Kontenabrufverfahren. Wir haben eine EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung auf eine Weise entwi-ckelt, dass Sie heute überhaupt erst die Möglichkeit ha-ben, über so etwas nachzudenken, wie Sie es tun.Es gab Abkommen mit der Schweiz, Liechtenstein,San Marino, Monaco und Andorra. Das waren Oasen,von denen Sie früher behauptet haben, diese spielten fürDeutschland gar keine Rolle.Ich will Ihnen noch etwas ganz Grundsätzliches sa-gen, etwas, für das wir Peer Steinbrück heute noch dank-bar sein müssen: Das war die Idee, bei der OECD so et-was zu initiieren wie die schwarzen Listen. Das hat dochüberhaupt erst dazu geführt, dass wir heute viele Dop-pelbesteuerungsabkommen korrigieren können, dass esmehr Transparenz zwischen den Ländern gibt, dass wirüber einen automatischen Informationsaustausch nach-denken können. Das gab es früher gar nicht.Sie hatten lange Zeit, aber nichts getan. Ich habe Ih-nen gerade belegt, was wir alles getan haben. Es istschön, dass Sie das alles jetzt als Basis für Ihre Gesetz-gebung nutzen können. So muss es auch sein, wenn sichdie Fraktionen, die die Regierung wählen, in den Legis-laturperioden abwechseln.
Es gibt noch eine weitere Sache. Sie haben nämlichvorhin von Arbeitnehmern gesprochen, die wir beson-ders belastet hätten.
– Ja, genau.Im Gesetzentwurf der SPD steht aber etwas ganz an-deres. Hätten Sie ihn gelesen, dann wüssten Sie, dass wirdie leichtfertige Steuerverkürzung als Ordnungswidrig-keit auffassen. Da gibt es überhaupt gar keine Strafe indieser Art und Weise. Sie wissen, dass auch die Steuer-korrektur als Ordnungswidrigkeit aufgefasst wird. Des-halb bitte ich Sie, das formell zurückzunehmen. In unse-rer Familie würde man sagen: Das war eine glatte Lüge.
Weil das ein brisantes Thema ist und weil das interna-tional von einer viel größeren Bedeutung ist als das, wasich zur Korrektur dessen, was Herr Wissing gesagt hat,einbringen konnte, will ich noch einen anderen Aspektansprechen. Ich war letzten Dienstag in Brüssel. Dabeiist mir etwas aufgefallen, was im Zusammenhang mitDBA, internationaler Steuergestaltung bzw. -hinterzie-hung eine ganz große Rolle spielt: der Blick auf
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10965
Lothar Binding
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Deutschland. Ich habe noch niemals in Brüssel erlebt,dass über Deutschland so viele Witze gemacht wurdenwie jetzt, dass so viele hämische Bemerkungen über dieKanzlerin gemacht wurden von prominenten Teilneh-mern an dieser Konferenz, dass so viele ablehnende Vor-schläge gemacht wurden.
Im Übrigen – da können Sie Ihren Kollegen fragen – ha-ben Vertreter von Opposition und Regierungskoalitiondiese Angriffe in Brüssel sehr gut abgewehrt. Aber dasses sie gibt, ist das Drama. Sie werden nicht erleben, dassich in Brüssel als Oppositionspolitiker auftrete; nein, ichvertrete unser Land. Hier müssen wir aber kritisch da-rüber reden.Da ist etwas beim Umgang mit dem Ausland passiert,sodass es dort kein Vertrauen mehr gibt.Ich glaube, daran müssen wir wieder arbeiten. Dasliegt nicht daran, dass unsere Exekutive schlecht verhan-delt. Auch die Berater von Herrn Koschyk im Finanz-ministerium sind im Regelfall exzellent. Vielmehr liegtes daran, wie wir uns international aufstellen. Darübermüssen wir reden. Denn Schwarzgeld, Steuerhinterzie-hung, Steuerbetrug, Steuergestaltung und Verlagerungvon Gewinn und Einkommen werden gelegentlich so ab-getan, als wären das abstruse Vorstellungen oder alsschummele jemand da nur ein bisschen. Die Menschenvergessen, dass, wenn das in Schutz genommen wird, siediejenigen sind, die dann zur Kasse gebeten werden.Denn immer wenn einer etwas hinterzieht, muss das voneinem anderen bezahlt werden. Wer sich daran erinnert,geht mit diesen Themen sensibler um.
Herr Binding, Sie erinnern sich bitte an die Zeit.
Vielen Dank für die Erinnerung.
Für jeden, der sich daran erinnert, lohnt es sich, den Ent-
schließungsantrag der SPD noch einmal zu lesen, denn
darin ist sehr viel Weiterführendes zu finden.
Schönen Dank.
Der Kollege Dr. Daniel Volk hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Binding, zu dem Thema „Ton-
fall gegenüber dem Ausland“ möchte ich nur kurz daran
erinnern, dass Ihr SPD-Finanzminister Steinbrück
von der „Kavallerie“ gesprochen hat, was, glaube ich, zu
weitaus mehr diplomatischen Verstimmungen geführt
hat als vieles andere. Insofern sollte man bei der Be-
trachtung dieses Themas etwas ehrlicher sein.
Ich glaube, das war kein guter Hinweis von Ihnen.
Wenn ich mir die Redebeiträge von der Opposition
anhöre, habe ich das Gefühl, dass Sie im Wesentlichen
die Praxisnotwendigkeiten nicht vor Augen haben. Mit
dem Bild, das Sie hier zeichnen, unterstellen Sie, dass es
bei der strafbefreienden Selbstanzeige nur um die krimi-
nellen Steuerhinterzieher gehe, die ihr Vermögen ins
Ausland schaffen, um es dort unversteuert zu lagern. Ich
möchte nur kurz an Folgendes erinnern: Tatsächlich geht
es um die kleinen Arbeitnehmer, die kleinen Handwer-
ker, die kleinen Selbstständigen,
die mit einem Steuersystem konfrontiert werden, das
wohl nach einhelliger Auffassung einige Kompliziert-
heiten aufweist. In einem solchen Steuersystem ist die
Gefahr, dass man unbeabsichtigt einen Fehler macht, er-
heblich. Deswegen wollen wir für die Veranlagungspra-
xis das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige
beibehalten, und zwar genau bis zu einem Steuerhinter-
ziehungsbetrag von 50 000 Euro. Herr Kollege Schick,
davon profitieren gerade die kleinen Arbeitnehmer.
Es sind die kleinen Arbeitnehmer, die geschützt werden,
wenn es um einen Steuerhinterziehungsbetrag von 5 bis
50 000 Euro geht.
Wir wollen, dass diejenigen, deren Steuerhinterzie-
hungsbeträge bei über 50 000 Euro im Jahr liegen – da
sind wir uns einig, dass das eben nicht die kleinen Ar-
beitnehmer und Unternehmer sind –, härter angepackt
werden. Das ist für uns der entscheidende Punkt.
Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Ja.
Bitte schön.
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10966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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Herr Kollege Volk, nachdem Sie gerade diejenigen als
die kleinen Arbeitnehmer bezeichnet haben, die über
50 000 Euro Steuern hinterziehen, –
Nein, unter 50 000 Euro!
– frage ich Sie: Könnte es sein, dass Sie in Ihrer Rede
Bruttoeinkommen und Steuerhinterziehungsbeträge ver-
wechselt haben?
Entschuldigung, Frau Kollegin Kressl, ich habe doch
davon gesprochen, dass das Instrument für diejenigen mit
einem Steuerhinterziehungsbetrag von unter 50 000 Euro
gelten soll. Sie müssen mir einfach zuhören. Das Ent-
scheidende an der Sache ist – ich bin noch bei der Beant-
wortung Ihrer Frage, Frau Kollegin –, dass gerade diese
unteren Einkommensschichten im Zweifel keine Steuer-
beratung in Anspruch nehmen, sondern ihre Steuererklä-
rung selber machen. Das heißt, diese stehen besonders in
der Gefahr, eine fehlerhafte Steuererklärung abzugeben.
Frau Kollegin Kressl, die Grenze von 50 000 Euro
– das wissen Sie genauso gut wie ich – stammt aus der
Rechtsprechung. Das ist nämlich die Grenze zu einem
schweren Fall von Steuerhinterziehung.
Die von uns vorgesehene Grenze orientiert sich also an
der Rechtsprechung in Deutschland.
Sie müssen daran denken, dass auch der kleine Kas-
senwart eines Vereins eine Steuererklärung abgeben
muss. Er muss möglicherweise innerhalb einer bestimm-
ten Frist eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben. Da-
bei können sehr schnell Fehler unterlaufen. Für diese
Steuerpflichtigen wurde die entsprechende Regelung ge-
schaffen.
Wir behalten die strafbefreiende Selbstanzeige praxis-
tauglich in dem unteren Einkommensbereich bei. Aber
die schwerkriminellen Steuerhinterzieher fassen wir, weil
es keine Straffreiheit, sondern allenfalls eine Befreiung
von der Strafverfolgung gibt, wenn eine entsprechende
Geldauflage gezahlt wird. Etwas Entsprechendes gibt es
auch in anderen Deliktsbereichen, etwa die Einstellung
nach § 153 a Strafprozessordnung.
Herr Kollege Pitterle, Ihren Vorschlag, dass derjenige,
der eine strafbefreiende Selbstanzeige stellt, an Eides
statt versichern soll, dass er ansonsten keine Steuerstraf-
taten begangen hat, halte ich für besonders „fruchtbar“.
Ich würde vorschlagen, dass wir das auf alle Bürger aus-
weiten. Alle Bürger sollten regelmäßig eine eidesstattli-
che Versicherung abgeben, dass sie keine Straftat began-
gen haben. Das wäre doch eine hervorragende Idee. Da
es dabei darum geht, die Sicherheit des Staates zu ge-
währleisten, müssen wir dafür eine eigenständige Be-
hörde einrichten. Weil es um die Staatssicherheit geht,
empfehle ich, diese Behörde als Behörde für Staatssi-
cherheit zu bezeichnen. Das wäre genau der richtige Be-
griff.
Ich will damit sagen: Ihr Verständnis von Rechtsstaat-
lichkeit ist konträr zu unserem Verständnis. Rechtsstaat-
lichkeit heißt für uns: Wir unterstellen jedem Bürger zu-
nächst einmal nicht Strafbarkeit, sondern wir unter-
stellen ihm erst einmal Ehrlichkeit. Wir wollen jedem
Bürger die Möglichkeit geben, dass er sich selber in die
Steuerehrlichkeit zurückbegibt. Das machen wir mit die-
sem Gesetz.
Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat nun das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Trotz Haushaltskrise, trotz Wirtschaftskrisen und Fi-nanzkrisen arbeiten wir in der christlich-liberalen Koali-tion an einer Vereinfachung des Steuerrechts. Wir wer-den auch weiterhin daran arbeiten – das ist für allewichtig –, dass diejenigen, die diesen Staat mit Sozialab-gaben und Einkommensteuer stützen, insbesondere dieBezieher mittlerer Einkommen, in den nächsten Jahrenentlastet werden.
Das setzt aber voraus, dass wir auf der anderen Seitedafür sorgen müssen, dass diejenigen, die Steuern zahlenmüssen, es auch tun und dass das Steuersubstrat für denStaat erhalten bleibt.
Diejenigen, die Steuern hinterziehen, müssen zur Kassegebeten werden. Das ist einer der wichtigsten Punkte füruns, wenn wir eine Entlastung erreichen wollen.
Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD, setzen wir jetzt mit dem Schwarzgeldbekämp-fungsgesetz konsequent um.
Es geht um Schwarzgeldbekämpfung, und es geht umSteuerhinterziehung. Kollege Binding, in diesem Gesetz– das ist der zentrale Punkt – geht es um Steuerhinterzie-her, die nicht entdeckt sind, das heißt, die keine Steuern
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10967
Klaus-Peter Flosbach
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zahlen. Wie hat Herr Steinbrück gesagt? Lieber25 Prozent von x als 100 Prozent von nix. Es geht füruns um die zentrale Frage: Soll jemand, der Steuern hin-terzogen hat, die Möglichkeit haben, durch eine Selbst-anzeige straffrei auszugehen?
Wir hatten eine Anhörung mit vielen Experten. Diesehaben deutlich gemacht: Genau das ist der richtige Weg.Gebt den Menschen eine Chance, durch eine Selbstan-zeige wieder zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren! Die-ser Meinung waren Wissenschaftler, Praktiker sowie vorallen Dingen die Damen und Herren von der Finanzver-waltung, von der OFD. Allerdings haben Sie recht: DieSteuer-Gewerkschaft war nicht dieser Meinung.Die Experten wollten eine Brücke zur Steuerehrlich-keit haben. Lothar Binding, Herr Poß, Herr Scheelen,mehrfach ist hier in der Geschichte herumgekramt wor-den. Ich brauche allerdings gar nicht weit in die Ge-schichte zurückzugehen, sondern muss nur auf das Jahr2003 verweisen. Damals gab es eine Steueramnestie vonRot-Grün.
– „Das war ein guter Versuch“, sagt Lothar Binding.
Deswegen lese ich einmal vor, was Rot-Grün damals vor-geschlagen hat – ich zitiere aus der Drucksache 15/1521,Seite 1 –:Der Gesetzentwurf– zur Steueramnestie –soll dazu beitragen, durch eine attraktive Regelungfür die Vergangenheit einen Anreiz zu bieten, in dieSteuerehrlichkeit zurückzukehren und damit einenBeitrag zum Rechtsfrieden zu leisten.So steht es im Gesetzentwurf von Rot-Grün.Das zweite Zitat – ich habe noch eine ganze Reihe da-bei – lautet folgendermaßen: Dieses in die Zukunft ge-richtete Angebot zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeitsei gegenüber denjenigen, die in der Vergangenheit Steu-ern hinterzogen hätten, äußerst fair. Gleichzeitig könneder ehrliche Steuerzahler mit dieser Regelung leben,weil die fiskalische Belastung zukünftig auf eine höhereAnzahl Steuerpflichtiger verteilt werde.Darum geht es. Wir wollen diejenigen, die Steuernhinterzogen haben, dazu bewegen, sich selbst anzuzei-gen, damit sie in die Steuerehrlichkeit zurückfinden undanschließend wieder Steuern in diesem Staat zahlen. Dasist der Inhalt des Gesetzes, und das haben Sie damalsauch so gesehen. Deswegen bin ich überrascht, dass Sie,Herr Gerster, nicht nur unsere Verfahrensweise angreifenund inhaltlich wenig sagen, sondern auch eine neuePosition vortragen, die bisher nicht Ihre Position gewe-sen ist und die dem, was Praktiker, Wissenschaftler unddie Finanzverwaltung sagen, völlig entgegensteht.
Das ist einfach eine populistische Wende. Normaler-weise müssten Sie rote Ohren bekommen; denn IhreAmnestie ging weit über das hinaus, was heute durch diestrafbefreiende Selbstanzeige geschehen soll. Bei einerstrafbefreienden Selbstanzeige haben wir folgende Si-tuation: Die Betroffenen zahlen die Steuern für bis zuzehn Jahre zuzüglich 6 Prozent Zinsen für jedes Jahrnach, demnächst außerdem noch einen Zuschlag von5 Prozent.Allein die Steuer-CDs – es hieß ja nur, die CD ist ge-kauft worden – haben im vergangenen Jahr 26 400 Steu-erzahler dazu bewogen, sich selbst anzuzeigen. ImDurchschnitt mussten sie 80 000 Euro Steuern und Zin-sen nachzahlen. Es waren insgesamt 2 Milliarden Euro,die in die Kassen von Bund, Ländern und Gemeindengekommen sind. Deswegen waren auch die Länder aneiner solchen Lösung interessiert: Sie haben in diesemFall allein 850 Millionen Euro bekommen, die Kommu-nen 300 Millionen Euro.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick zulassen?
Zu Ihrem Antrag von damals? – Bitte.
Herr Flosbach, meinen Sie, dass ein schlechtes Gesetz
der Vergangenheit es rechtfertigt, heute ein schlechtes
Gesetz vorzulegen? Ich habe das damalige Gesetz nicht
für richtig gehalten, aber Ihr heutiges Gesetz ist schlecht,
und darum geht es.
Vielen Dank. – Das ist ein ausgesprochen gutes Ge-setz. Sie müssen nur auf die Praktiker aus der Anhörunghören, die deutlich gesagt haben: Das ist genau der rich-tige Weg. Machen Sie nicht, wie von Herrn Gerster vor-geschlagen, den Fehler, die Selbstanzeige abzuschaffen.Das gibt ein Chaos im Steuerrecht. Behalten Sie dieSelbstanzeige bei. Sie ist die einzige Möglichkeit, wie-der zur Steuerehrlichkeit zurückzufinden. Sonst müssenSie möglicherweise, wie von Herrn Pitterle vorgeschla-gen – Sie hätten wahrscheinlich am liebsten alle hinterMauern –, Tausende und Abertausende von Fahnderneinsetzen.Wir wollen die Leute in die Steuerehrlichkeit zurück-führen, und das ist der zentrale Punkt dieses Gesetzes.
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10968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Klaus-Peter Flosbach
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Liebe Kollegen von der SPD, wir haben 2007, 2008und 2009 viele gute Dinge gemacht, von der Telefon-überwachung über die Verlängerung der Verjährungsfristbei Steuerhinterziehung auf zehn Jahre bis hin zu denAuskunftsabkommen mit Luxemburg und Liechtenstein;jetzt kommt noch eines mit der Schweiz hinzu. Wir sindauf dem richtigen Weg, das Risiko zu erhöhen. Das wol-len wir doch auch. Wir wollen das Risiko der Entde-ckung erhöhen. Deswegen sollten wir aber trotzdemnicht die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen.Wir haben im Rahmen der Diskussion erfahren, dasses immer noch Lücken im Gesetz gibt. Deswegen habenwir drei zentrale Änderungen – auch nach dem BGH-Ur-teil – vorgenommen.Wir haben gesagt: Wenn der Prüfer vor der Tür steht,ist es zu spät. Dann gibt es keine Selbstanzeige mehr.Bisher war es so: Wenn eine Prüfungsanordnung er-folgte, hatte der Steuerpflichtige immer noch dieChance, sich selbst anzuzeigen. Das schaffen wir ab.Wenn die Prüfungsanordnung erfolgt ist, ist die Chancezur Selbstanzeige nicht mehr gegeben. Das heißt, wirverschärfen hier drastisch.Das Zweite ist die Teilselbstanzeige. Wenn einer indie Schweiz Geld verschoben hat und dazu eine Selbst-anzeige macht, gleichzeitig beispielsweise nachLuxemburg Geld verschoben, sich dafür aber nichtselbst angezeigt hat, gilt für diesen Tatbestand dieSelbstanzeige nicht. Er ist nach wie vor strafrechtlich zuverfolgen.Drittens gibt es den neuen Strafzuschlag ab einem Be-trag von 50 000 Euro – so hat der BGH die besondersschweren Fälle bezeichnet –, mit dem wir weitere 5 Pro-zent kassieren.Wir haben in der Koalition festgehalten: Es soll teuerwerden. Es soll teurer werden im Vergleich zu allen, diebisher pünktlich ihre Steuern gezahlt haben.Wer die Anhörung aufmerksam verfolgt hat, wirdauch mitbekommen haben, dass der Vertreter der Ober-finanzdirektion deutlich gesagt hat: Es geht hier um Ein-künfte aus Kapitalvermögen. Es geht nicht um die Kfz-Steuer, Hundesteuer oder andere. – Das ist der Punkt.Hier geht es darum, die größeren Beträge für diesenStaat zu erhalten. Gerade die Praktiker aus Steuerverwal-tung und Finanzverwaltung haben gesagt: Versuchtnicht, fahrlässige Steuerverkürzungen oder Fehler zu kri-minalisieren! Es geht darum, denjenigen, die Fehler ma-chen, auch die Möglichkeit zu geben, durch eine Berich-tigung ihrer Steuererklärung in der Veranlagung wiederzur Steuerehrlichkeit zurückzufinden oder ihren Fehlereinzugestehen. Sie müssen nicht strafrechtlich verfolgtwerden.
– Das freut mich, dass auch Sie das wollen. Dann wärees gut, wenn Sie unserem Gesetz zustimmten.
Es ist wichtig, dass auch die Länder dem zustimmenwollen. Es geht hier auch darum, wie wir unseren Staatfinanzieren. Es ist eine wichtige Maßnahme dieses Ge-setzes, dass wir Steuersündern die Rückkehr in die Steu-erehrlichkeit ermöglichen wollen.Wir brauchen die damit zu erzielenden Steuereinnah-men, etwa für die Familien. Wir haben Anfang letztenJahres die Familien um 4,6 Milliarden Euro entlastet.1,6 Milliarden Euro wurden im Rahmen von Hartz IVfür die Bildungsangebote bereitgestellt. All dies müssenwir finanzieren. Dazu brauchen wir eben auch diejeni-gen, die beispielsweise bisher Steuern hinterzogen ha-ben, aber in Zukunft ihre Steuern wieder zahlen wollenund damit einen Beitrag für diesen Staat leisten.Wer in diesem Wirtschaftssystem die Chance nutzt,Geld zu verdienen, wer in diesem Sozialsystem lebt, werRechte in diesem Staat für sich in Anspruch nimmt, –
Herr Kollege.
– ist verpflichtet, seinen Beitrag für diesen Staat zu
leisten.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzent-wurf zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäscheund Steuerhinterziehung. Der Finanzausschuss empfiehltunter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 17/5067 , den Gesetzentwurf aufDrucksache 17/4182 in der Ausschussfassung anzuneh-men. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich um dasHandzeichen. – Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? –Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-nommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Wenn Sie zustimmen wollen,mögen Sie bitte aufstehen. – Die Gegenstimmen! – Ent-haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Bera-tung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionenund Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenom-men.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache17/5085. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derEntschließungsantrag gegen die Stimmen von SPD,Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Finanzausschusses zu dem Gesetzent-wurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Be-kämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10969
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b in sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5067
, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/4802 für erledigt zu erklären. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Sie ist einstimmig ange-nommen.Dann komme ich zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktion der SPD zur Änderung der Abga-
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/5067 , den Gesetzentwurfauf Drucksache 17/1411 abzulehnen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Zugestimmt haben dieSPD und die Fraktion Die Linke; die übrigen Fraktionendes Hauses haben abgelehnt. Damit entfällt die dritte Be-ratung.Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-empfehlungen des Finanzausschusses fort.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Be-schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-tionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1755mit dem Titel „Steuerhinterziehung wirksam und zielge-nau bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmthaben CDU/CSU und FDP, abgelehnt SPD, Linke undBündnis 90/Die Grünen.Unter Buchstabe e empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-che 17/4670 mit dem Titel „Instrumente zur Bekämp-fung der Steuerhinterziehung nutzen und ausbauen“.Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU undFDP, dagegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. DieFraktion Die Linke hat sich enthalten.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe fseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1149 mit demTitel „Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht demZufall überlassen“. Wer stimmt für die Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung wurde angenommen. Die FraktionDie Linke hat dagegen gestimmt, die übrigen Fraktionendafür.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe gseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache17/1765 mit dem Titel „Steuerhinterziehung wirksambekämpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –Was war jetzt bei der SPD: War nur eine dafür oderalle? – Seid ihr zu faul? Ich frage also noch einmal: Werstimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich?
Wollt ihr eine Auszeit? – Also: Die Beschlussempfeh-lung wurde angenommen. Die Koalitionsfraktionen so-wie die SPD haben der Beschlussempfehlung im We-sentlichen zugestimmt.
Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt. DieFraktion Die Linke hat sich enthalten.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a bis c auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten UweBeckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der SPDStillstand in der Verkehrspolitik überwinden –Zukunftskommission zur Reform der Infra-strukturfinanzierung einrichten– Drucksache 17/5022 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung zu dem Antragder Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol,Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDErhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktursichern – Deutschland braucht eine moderneZukunftsstrategie zur Infrastrukturfinanzie-rung– Drucksachen 17/782, 17/1479 –Berichterstattung:Abgeordneter Reinhold Sendkerc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung zu dem Antragder Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol,Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDMobilität nachhaltig gestalten – ErfolgreichenAnsatz der integrierten Verkehrspolitik fort-entwickeln– Drucksachen 17/1060, 17/2226 –Berichterstattung:Abgeordneter Steffen BilgerNach einer interfraktionellen Verabredung ist für dieAussprache hierzu eine Dreiviertelstunde vorgesehen. –
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10970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe als Erstem demKollegen Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion dasWort.
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen undHerren! Wir Sozialdemokraten haben unseren Antragmit dem Satz überschrieben: „Stillstand in der Verkehrs-politik überwinden – Zukunftskommission zur Reformder Infrastrukturfinanzierung einrichten“. Das ist unserZiel.Wir stellen im Hinblick auf den Erhalt und Ausbau ei-nen steigenden Investitionsbedarf fest. Wir erleben, dassSchwarz-Gelb den Stillstand organisiert. Dabei brauchenwir eine gesellschaftliche Reformdebatte; sie ist drin-gend notwendig.Wir müssen die Basis der wirtschaftlichen Prosperitätin Deutschland mit einer guten Infrastruktur sichern. Wirwollen Mobilität sozial gerecht und ökologisch sinnvollorganisieren. Wir wollen die umweltfreundlichen Ver-kehrsträger Schiene und Wasserstraße weiter stärken,und wir wollen Bundesstraßen mit nachgeordneter Be-deutung abstufen, was eine alte Forderung der Reform-kommission ist. Wir wollen deutlich mehr Geld fürLärmschutzmaßnahmen an Straßen und Schienenwegenausgeben. Wir brauchen die Akzeptanz der Menschen inunserem Land für Investitionen in die Infrastruktur. Je-der von uns, der mit den Menschen draußen im Land re-det, weiß, dass diese Menschen fragen: Was macht ihr,um uns vor Lärm zu schützen? Habt ihr spezielle Pro-gramme? Weitet ihr die Programme aus? Wann sindLärmschutzmaßnahmen bei uns dran? – Wir wollen dieMenschen früher am Planungsprozess beteiligen – dieseLehre haben wir aus den Erfahrungen im letzten Jahr ge-zogen –, aber wir wissen auch, dass wir die Planungszei-ten verkürzen müssen. Außerdem wollen wir, dass dieBundesregierung dem Bundestag turnusmäßig einen ver-kehrsträgerübergreifenden Netzzustandsbericht vorlegt.Der letzte Punkt ist: Wir brauchen eine bedarfsgerechteFinanzierung der Investitionen in die Infrastruktur. EineFinanzierung nach Kassenlage ist gerade für die Ver-kehrsinfrastruktur fatal.Herr Minister, ich freue mich, dass Sie an dieser De-batte teilnehmen. Wir erwarten, dass Sie noch in dieserLegislaturperiode ein Konzept zur Sicherung der Infra-strukturfinanzierung vorlegen. Wir müssen – das ist dieVoraussetzung – gemeinsam mit der Gesellschaft einLeitbild für die Mobilität im 21. Jahrhundert erarbeiten.Wir erwarten, dass Sie, der verantwortliche Minister,eine Zukunftskommission zur Weiterentwicklung der In-frastrukturfinanzierung in Deutschland einsetzen.Herr Bundesminister Ramsauer, was ist Ihr Ziel? Voreinigen Tagen charakterisierte jemand Ihre Politik fol-gendermaßen – ich will das gerne zitieren –: Ohne Zielstimmt jede Richtung.
Das ist die Situation. Dabei wissen wir doch alle, dassnur eine gute Verkehrsinfrastruktur wirtschaftlichesWachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Deutsch-land voranbringt. Wir haben einen steigenden Investi-tionsbedarf. Wer will das eigentlich leugnen? Der vonIhnen verantwortete Haushalt zeigt, dass der Bereich derVerkehrsinfrastruktur unterfinanziert ist, auch wenn Sieüber die Presse bekunden, dass das Haushaltsvolumennun bei über 10 Milliarden Euro liegt. Das ist gegenüber9,75 Milliarden Euro eine Steigerung. Wir wissen aber,dass dieser Zuwachs durch Preissteigerungen fast kom-plett aufgefressen wird.Das bedeutet, dass wir etwas tun müssen. Ich erwartevon Ihnen, dass Sie bald etwas tun. Diese Legislaturpe-riode dauert schon anderthalb Jahre. Dafür ist zu weniggeschehen. Wenn wir uns anschauen, was Sie vonSchwarz-Gelb in Ihren Koalitionsvertrag geschriebenhaben, und überlegen, welche Projekte umgesetzt wur-den – wir haben der Bundesregierung entsprechendeFragen gestellt –, stellen wir fest, dass dabei nichts he-rausgekommen ist. Wir haben das Ergebnis der Bemü-hungen der Koalitionsfraktionen wie folgt abgefragt:Erstens. Wie sieht es mit der Kreditfähigkeit derVIFG aus? – Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen,ist die Antwort.Zweitens. Wie sieht es mit den Direktzuweisungender Lkw-Mauteinnahmen an die VIFG im Haushalt 2010aus? – Sie sind nicht vorgesehen.Drittens. Wie sieht es mit dem Finanzierungskreislaufaus? – Er verfehlt bei sinkenden Mauteinnahmen und zu-sätzlichen Steuermitteln, die auch weiter benötigt wer-den, seine Wirkung.Viertens. Gibt es Prioritäten bei der Umsetzung vonVerkehrsprojekten? – Es werden keine Prioritäten ge-setzt.Fünftens. Ist eine Ausweitung der ÖPP vorgesehen? –Fehlanzeige, keine Initiative. Die Bundesregierung, soheißt es, erarbeitet derzeit keine diesbezügliche Geset-zesinitiative.Sechstens. Wie sieht es mit der zweiten Staffel derÖPP-Projekte aus? – Man tritt auf der Stelle. Ausschrei-bungen sind noch nicht erfolgt.Siebtens. Was ist mit der Abstufung bei den Bundes-fernstraßen, die in dem Beschluss von Bundestag undBundesrat vorgesehen ist? – Sie ist zurzeit nicht vorgese-hen. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen, heißtes.Achtens. Gibt es eine Kappung der Gewinnabfüh-rungsverträge zwischen DB Holding und DB Netz? Dasist nicht unsere Position, aber Ihre. BundesministerRamsauer verkündet per Interview mit der Nachrichten-agentur Reuters, diese Pläne seien vom Tisch. In der of-fiziellen Antwort der Bundesregierung heißt es: Ergeb-nisse liegen noch nicht vor.Neuntens. Was ist mit der LuFV Straße? – Diese istderzeit nicht geplant.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10971
Uwe Beckmeyer
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, was planenSie denn? Es herrscht Schweigen. Es kommt nichts. Wirhaben zurzeit kein Konzept der schwarz-gelben Regie-rung zur Finanzierung der Infrastruktur, zur Steigerungder Finanzierungsmöglichkeiten in diesem Land vorlie-gen, und das ist ein Problem, weil uns das zurückwirft.Sie haben unseren Antrag im Ausschuss mit Ihrerschwarz-gelben Mehrheit abgelehnt. Das kann ich nochnachvollziehen. Dass aber die eigene Bundesregierungdem Auftrag der schwarz-gelben Mehrheit – und denAntrag haben Sie selber beschlossen – nicht nachkommt,ihn gar ignoriert, ist erstaunlich und ein bemerkenswer-ter Vorgang.Herr Minister, Sie sind ein Getriebener der Not und,wie ich manchmal den Eindruck habe, ein wenig zu mut-los. Ich hoffe, dass das nicht auch in Ideenlosigkeit mün-det. Ich habe den Wunsch und die Bitte, dass Sie allestun, damit hier in Deutschland ein gesamtgesellschaftli-cher Konsens gefunden werden kann.
Herr Kollege!
Ja, ich komme zum Schluss, sehr geehrte Frau Präsi-
dentin.
Man erzählt sich, dass Sie ein Klavierspieler sind und
das Klavierspiel beherrschen. Wenn man Ihre Politik an-
schaut und sie mit dem Musizieren vergleicht, sage ich
nur: Mit den kleinen Musikstücken – französisch: Baga-
tellen – sind Sie nun wirklich am Ende. Ich glaube, Sie
müssen jetzt langsam zum Konzert kommen; –
Herr Kollege!
– denn das ist gerade in der Verkehrspolitik absolut
notwendig.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Patrick Schnieder hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befindenuns, verehrter Herr Kollege Beckmeyer – so dachte ichjedenfalls nach Lektüre des Antrags und zu Beginn IhrerRede –, auf der gleichen Linie, nämlich dass die Ver-kehrsinfrastruktur in Deutschland eine herausragendeBedeutung hat, dass sie, wie Sie beschrieben haben, dieLebensader für Gesellschaft und Wirtschaft ist, Voraus-setzung für Wohlstand und Chancen in unserem Land,und dass wir kräftig investieren müssen. Allerdingsmuss ich feststellen, dass Sie diesem Anspruch, den Siemit dem, was Sie hier vorgetragen haben, formulieren, inkeinster Weise gerecht werden.
Dem wird auch der Antrag, den Sie vorgelegt haben,in keinster Weise gerecht. Es werden Wahrheiten formu-liert, die wir alle kennen, Wahrheiten, die wir benannthaben, die wir auch freimütig einräumen, nämlich dasswir gern noch mehr Geld hätten, um es in die Verkehrs-infrastruktur zu stecken. Aber Sie suggerieren, wir wür-den die Investitionen zurückfahren. Auf der ersten SeiteIhres Antrags heißt es:Das Investitionsvolumen ist ausgehend von rund12 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 9,75 Milliar-den Euro im Jahr 2011 gesunken.Damit wollen Sie uns weismachen, dass wir die Leistun-gen zurückfahren. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere In-vestitionen sind so hoch wie in den vergangenen Jahrennicht mehr, und das perspektivisch bis 2014. Ich darf da-ran erinnern, dass in den Jahren 2001 bis 2008 die Inves-titionslinien deutlich darunter lagen, und da waren so-zialdemokratische Verkehrsminister für den Etatverantwortlich.
Sie blenden bei dieser Diskussion vollkommen aus,wie es um unsere finanzielle Situation bestellt ist. Sieignorieren die Schuldenbremse. Ich erinnere mich nochgut an die Haushaltsdebatte, die wir hier geführt haben.Wir haben als Koalition dafür gekämpft – und sind aucherfolgreich gewesen; der Minister hat hervorragend ver-handelt –, dass wir das Investitionsvolumen auf diesemStand beibehalten können. Wir haben dennoch Mut ge-zeigt – hier werden wir unserer Verantwortung gerecht –und nehmen die notwendigen Einsparungen im Etat vor,um die Voraussetzungen der Schuldenbremse einzuhal-ten. Dafür haben wir in anderen Bereichen Prügel kas-siert. Man kann aber nicht so tun, als hätten wir im Ver-kehrsbereich nichts geplant und nur Einsparungenvorgenommen.
– Ja, Herr Beckmeyer, wir sehen das genauso wie Sie.Der Bundesverkehrswegeplan ist überzeichnet. Das istein Erbe der rot-grünen Regierung aus dem Jahre 2003.Sie werfen uns das jetzt vor die Füße und sagen: Löstheute das Problem. – So kann es nicht gehen.Sie sagen, es gebe einen Stillstand in der Verkehrspo-litik. Das erlebe ich in meinem Wahlkreis, in meiner Re-gion, dort, wo sozialdemokratische Ministerpräsidentenregieren.
Ich nehme das Beispiel A 1 zwischen Nordrhein-Westfa-len und Rheinland-Pfalz; wir warten seit Jahren, seitJahrzehnten auf den Lückenschluss. Warum? Weil inDüsseldorf blockiert wird, und zwar seit der Übernahmeder Regierungsgeschäfte im Mai 2010 auf ein Neues.
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10972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Patrick Schnieder
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Wir erleben das beim Hochmoselübergang. Dort sind dieGrünen dagegen.
Wir erleben das in der Region Trier. Überall dort, wo Rotund Grün das Sagen haben wollen, rudern sie zurück.
Der Antrag ist voller Widersprüchlichkeiten. Sie for-dern mehr Transparenz, mehr Akzeptanz – dem kannman durchaus zustimmen –, aber gleichzeitig kritisierenSie die Einführung eines Finanzierungskreislaufs Straße.
– Herr Beckmeyer, gerade dadurch, dass wir die Einnah-men aus der Maut in den Straßenbau stecken, vergrößernwir die Transparenz und Akzeptanz. Sie wollen die Ver-kehrsträger gegeneinander ausspielen. Das machen wirnicht mit. Das wird es mit uns nicht geben.
Herr Beckmeyer, Sie fordern eine Berücksichtigungökologischer Belange. Sie fordern eine verstärkte Redu-zierung des CO2-Ausstoßes. Aber ich lese kein einzigesWort – ich habe auch in Ihrer Rede nichts dazu gehört –zur Elektromobilität. Ich wundere mich über Ihr Verhält-nis zum Lang-Lkw, durch den wir gerade im Lastge-schäft Verkehre vermeiden können.
Statt drei Fahrten muss man nur zwei unternehmen.
– Herr Herzog, das ist eine Frage der Begrifflichkeit.Das zeigt, wie man dazu steht.Wer von Umweltschutz, von CO2-Vermeidung redet,kann sich diesen Themen nicht verweigern.
Deshalb sage ich: Die Koalition ist auf einem gutenWeg. Wir stehen für Fortschritt in der Verkehrspolitik.Stillstand produzieren Sie. Wir unternehmen jede Kraft-anstrengung, um die Verkehrsinfrastruktur in Deutsch-land leistungsfähig zu halten. Wir tun dies unter realisti-schen und ehrlichen Rahmenbedingungen.Vielen Dank.
Die Kollegin Sabine Leidig hat das Wort für die Frak-
tion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Ich bin froh, dass die SPD-Fraktion er-neut Gelegenheit gibt, über die grundlegende Ausrich-tung der Verkehrspolitik zu reden; denn ich glaube, dassdies absolut notwendig ist. Ich glaube allerdings nicht,dass es um mehr Geld für die Infrastruktur geht, sondernum eine Frage ganz grundsätzlicher Natur: Wohin treibtunsere Verkehrs- und Mobilitätspolitik? Ich will jetzt garnicht auf einzelne Maßnahmen eingehen – wir haben dasim Rahmen verschiedener Anträge gemacht –, sondernauf zwei Beiträge aufmerksam machen, die mich in die-ser Woche in der Enquete-Kommission, die sich mit denProblemen von Wachstum, Wohlstand und Lebensquali-tät beschäftigt, haben aufhorchen lassen.Der erste Beitrag stammt von Professor Schneidewind,dem Präsidenten des Wuppertal-Instituts. Er hat deutlichgemacht, dass die Klima- und Umweltbelastungen ge-rade im Verkehrsbereich nicht verringert werden, undzwar deshalb, weil Belastungen verschoben werden– wir führen diese Diskussionen gerade im Zusammen-hang mit E 10 und dem Biosprit – und weil die Energie-einsparungen durch mehr Fahrerei aufgefressen werden.Der zweite Hinweis kam vom SachverständigenHerrn Michael Müller, der darauf aufmerksam gemachthat, dass die größte Herausforderung völlig unterschätztwird, nämlich die Tatsache, dass die Erdölförderung seit2004 nicht mehr zunimmt und die Endlichkeit diesesRohstoffes gerade für den Mobilitätssektor sehr harteKonsequenzen hat. Diese Konsequenzen beginnen nichterst, wenn der letzte Tropfen Öl verbraucht ist, sondernschon dann, wenn die Preise drastisch ansteigen.Es geht also nicht nur darum, den Verkehr von derStraße auf die Schiene oder von der Luft auf das Wasserzu verlagern. Es geht nicht nur um einen besseren ÖPNV– darum geht es natürlich auch –, es geht nicht nur umLärmschutz – darum geht es auch –, und es geht nichtnur um mehr Transparenz, damit die Leute neue Ver-kehrsprojekte akzeptieren. Vielmehr geht es eigentlichdarum, Konzepte zu entwickeln, um Verkehr zu reduzie-ren bzw. zu vermeiden.
Das ist in der Verkehrspolitik allerdings ein völligesTabu. Stattdessen wird irrwitzigen Verkehrswachstums-prognosen hinterherbetoniert. Ich will nur darauf hin-weisen: Sie gehen von 3 Prozent mehr privaten Pkw,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10973
Sabine Leidig
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80 Prozent mehr Güterverkehr und einer Verdopplungdes Flugverkehrs in den nächsten 10 bis 15 Jahren aus.Das ist doch völliger Wahnsinn.Der naheliegendste Vorschlag, um den Verkehr zu re-duzieren, wäre, endlich Kostenwahrheit zu praktizieren.Auch dazu hat sich die SPD geäußert. Ich zitiere an die-ser Stelle den ehemaligen Bundespräsidenten HorstKöhler, der beim Internationalen Verkehrsforum im Mailetzten Jahres Folgendes gesagt hat:Wer Menschen oder Waren befördert, der zahltheute Treibstoff, Personal, Verkehrsträger, Gebüh-ren. Er zahlt aber wenig bis gar nicht für Luftver-schmutzung, Lärmbelästigung, Gesundheitskosten,Umwelt- und Klimaschäden. Nur deswegen kannes … billiger sein, Krabben aus der Nordsee nichtan der Nordsee, sondern in Marokko pulen zu las-sen und anschließend doch in Deutschland zu ver-kaufen. Ein wertvolles Hin und Her? Ich findenein …Horst Köhler sagte weiter:Im Gegensatz zur Stromsteuer, die die Bahn bezah-len muss, ist Kerosin weiterhin von der Energie-steuer befreit – ebenso übrigens wie Schiffstreib-stoff. Wäre es im Sinne der Gleichbehandlung derVerkehrsträger nicht gerecht, die Aussetzung derEnergiesteuer für Kerosin und Schiffstreibstoff zubeenden? Am besten so international wie möglich.Ich weiß, das bedeutet schwierige Verhandlungen.Aber wir sollten es anpacken …So Horst Köhler.
Er ist übrigens kurz danach zurückgetreten,
nachdem Herr Joachim Hunold, der Chef von Air Berlin,in der Öffentlichkeit massiv Kritik geübt hat. Ich mussIhnen sagen: Ich schließe nicht aus, dass die Automobil-und Flugzeugkonzerne in der Bundesrepublik genausoviel Druck aufbauen wie die Atom- und Energiekon-zerne im Energiesektor
und damit die Demokratie und der notwendige Umbaugenauso massiv behindert werden.Ein weiteres wichtiges Mittel zur Reduzierung vonVerkehr wäre, dass wir unsere Städte umgestalten. Hiermüssen die Verkehrsinfrastrukturen verändert werden.Wir brauchen viel bessere Bedingungen, beste Bedin-gungen für Leute, die nicht motorisiert unterwegs sind,für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer, für Fußgänge-rinnen und Fußgänger. Wenn nur jede zweite innerstädti-sche Autofahrt, die weniger als 5 Kilometer lang ist – ichbitte Sie, jetzt zuzuhören –, stattdessen mit dem Fahrradunternommen würde, würde in den Städten bereits einViertel weniger Autos fahren. Dieser Anteil entsprichteiner gigantischen Zahl. Das wäre ein sehr großer Bei-trag zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Lebens-qualität. Aber dazu braucht man Investitionsprogramme.Dazu müssten die Städte umgestaltet werden.
Dazu brauchen wir Fahrradringe. Dazu brauchen wir denVorrang von Fahrrad und Fußgängern. Das können dieKommunen aber nicht alleine stemmen. Hier müsste derBund beispringen und Geld investieren.
Zum Thema Elektroautos hat sich der DeutscheStädtetag in der letzten Woche beachtlicherweise ausge-sprochen kritisch geäußert. In einer Stellungnahme heißtes:Auch ein elektrisch angetriebenes Auto bleibt einGefährt mit vier Rädern. Als solches verbraucht esFlächen sowohl im ruhenden als auch im fließendenVerkehr und erhöht den ohnehin schon viel zu gro-ßen Kfz-Bestand in den Städten weiter.Insofern setzen Sie auf ein völlig falsches Pferd, unddas sagen Ihnen Ihre Kommunalpolitiker auch ganzdeutlich.
Zum Schluss möchte ich noch das Thema Geschwin-digkeit ansprechen; denn auch hier wird dem Wahn ge-folgt, dass „immer schneller“ immer besser sei. Giganti-sche Mengen an Investitionsmitteln werden in dieHochgeschwindigkeit gesteckt, und zwar sowohl auf derStraße als auch auf der Schiene. Das ist ausgesprochenfragwürdig. Auch hier ist ein völliges Umdenken nötig;denn Geschwindigkeit hat mit der Verbesserung der Le-bensqualität gar nichts zu tun. Man weiß inzwischen,dass es trotz der Tatsache, dass die Verkehre schnellerfließen, zu keiner Zeitersparnis kommt. Vielmehr ist esso, dass die Menschen die gleiche Zeit für Mobilität auf-wenden, dass sie dabei aber viel weitere Wege zurückle-gen. Wir haben aber kein besseres Leben durch schnelle-res Rasen.Ich muss sagen: Mir wäre es lieber, Herr Beckmeyer,es würde einen Stillstand, ein Innehalten in der Ver-kehrspolitik geben. Das gibt es aber nicht. Die Regie-rungskoalition hat den Finanzierungskreislauf Straße be-schlossen und setzt weiter auf den Auto- und Lkw-Verkehr.
Frau Kollegin!
Wenn es wirklich um die Zukunftsfähigkeit des Lan-des geht, dann brauchen wir ein Moratorium, das keineneinzigen Kilometer Aus- und Neubau von Autobahnenvorsieht, bevor nicht ein Verkehrswendekonzept auf demTisch liegt, das für die Zukunft taugt.
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10974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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Der Kollege Werner Simmling hat nun das Wort für
die FDP-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Her-ren! Ihre Aussage zum Stillstand der Verkehrspolitik istwohl nicht so ganz ernst gemeint.
– Ich kann das nicht nachvollziehen, zumal die hohe Be-deutung der Verkehrsinfrastruktur – ich glaube, da sindwir uns hier alle einig, meine Damen und Herren – ganzunbestritten ist.Wir alle wissen von der Unterfinanzierung, unter derwir leiden. Dazu bedurfte es nicht der Anträge, die unshier vorliegen. Im Kabinett hat der Bundesverkehrsmi-nister – er ist jetzt leider nicht da –
für eine Erhöhung der Investitionslinie gekämpft und siefür 2012 durchgesetzt. Aber – wir wissen es alle – dasreicht bei weitem nicht. Wir alle hätten gerne mehr Geld.
Der Staat hat dafür Sorge zu tragen – ich denke, dasist hier allgemeine Auffassung –, dass die notwendigeVerkehrsinfrastruktur geschaffen und erhalten wird. Derunzureichende Ausbau muss aber nicht nur eine Frageder fehlenden Mittel sein, wenn man innovative Lösun-gen zulässt.
Ihren Aufruf zu einer beschleunigten Umsetzung derpolitischen Prozesse hin zu einer Strategie für eine zu-kunftsfähige Verkehrsinfrastruktur unterschreiben wiralle; der politische Wille dazu ist, so glaube ich, auch in-terfraktionell vorhanden. Sie selbst erwähnen in IhrenAnträgen den Bundestagsbeschluss der Regierungsfrak-tionen. Die Aufträge sind zur Genüge klar formuliert.
Es geht hier um die Herstellung des Finanzierungskreis-laufs Straße, die Beseitigung der Haushaltsabhängigkeitbedarfsgerechter Verkehrsinvestitionen,
mehrjährige Planungssicherheit für Investitionsprojekte,Planungsbeschleunigung sowie die Weiterentwicklungder Priorisierung von Investitionsprojekten im Rahmendes nächsten Bundesverkehrswegeplanes, um nur einigezu nennen.Wir befinden uns doch mitten in der Debatte und auchin der Umsetzung all dieser Punkte. Sie fordern an dieserStelle plakativ ein Leitbild „Mobilität des 21. Jahrhun-derts“, obwohl Sie doch genau wissen, dass die Bundes-regierung nichts verabschieden wird und kann, wofürdas angekündigte Weißbuch Verkehr der EuropäischenKommission entscheidende Bedeutung hat.
Eine Festlegung auf bestimmte ordnungs- und steuer-politische Maßnahmen im Verkehrsbereich findet ebenauf EU-Ebene statt und muss abgewartet bzw. dort ersteinmal verhandelt werden. Ich frage mich sowieso, wes-halb die Fraktion der SPD diesen Forderungskatalog erstjetzt aufstellt – das wurde vorher schon gesagt –, obwohlsie bis zum Herbst 2009, also über elf Jahre, den Ver-kehrsminister stellte.
Was wollen Sie denn tatsächlich? Sie artikulieren bei-spielsweise folgenden Vorwurf:Die Einführung eines FinanzierungskreislaufsStraße durch die Bundesregierung, der die Einnah-men aus der Lkw-Maut lediglich für Investitionenin die Straße vorsieht, schwächt das Gesamtver-kehrsnetz und macht die Schiene damit komplettvon den Steuereinnahmen der öffentlichen Handabhängig.Was das an der Stelle soll, verstehe ich nicht.
Der Bereich Schiene hat gezeigt, dass es positiv seinkann, wenn Mautmittel, also Trassenentgelte, für Inves-titionen zur Verfügung stehen, weil sie von den Begehr-lichkeiten bei der jährlichen Haushaltsplanung entkop-pelt werden und somit ein verlässlicher Finanzierungs-kreislauf entsteht. Warum soll das nicht auch für Straßengelten?
Der Verkehrsträger Straße ist erheblich konjunkturanfäl-liger als der Verkehrsträger Schiene. Eine verlässlicheFinanzierungsgrundlage für die Unterhaltung und denAusbau der Bundesfernstraßen ist daher entsprechenddringlich. Zudem werden die fehlenden Mautmittel inden Bereichen Schiene und Wasserstraßen durch zusätz-liche Haushaltsmittel ergänzt. Sie argumentieren hieralso mit einer krassen Fehldarstellung.
Darüber hinaus denken wir, die CDU/CSU und dieFDP, darüber nach, wie man die Mittel beim Verkehrs-träger Schiene erhöhen kann, zum Beispiel durch dieKappung der Gewinnabführungs- und Beherrschungs-verträge. Das würde nämlich dafür sorgen, dass die Mit-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10975
Werner Simmling
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tel im Netz bleiben. Sie stellen es wieder so dar, alswürde der Staat bei Unabhängigkeit der DB Netz garkeine Mittel mehr als Subventionen bereitstellen. Dasstimmt nicht. Der Verkehrsträger Schiene wird immersubventioniert bleiben; beispielsweise werden die Regio-nalisierungsmittel für den ÖPNV weiter fließen.Zum Schluss noch ein weiteres bemerkenswertes Zi-tat aus Ihrem Antrag:Dabei entlasten die Investitionen aus der Lkw-Mautin die Schieneninfrastruktur den VerkehrsträgerStraße und führen in der Gesamtbilanz auch für dieLogistikunternehmen auf der Straße zu Kostener-sparnissen. Weniger Verkehr auf der Straße führt zuweniger Staus und zu einem besseren Zustand derStraße. Daraus folgen Kostenersparnisse durchZeitgewinn und weniger Verschleiß am rollendenMaterial.Sie sagen also – ich übersetze das einmal ins Verständli-che –: Durch die Mittel aus der Lkw-Maut, die in dieSchieneninfrastruktur geflossen sind, wird der Verkehrs-träger Straße entlastet, weil sich dort dann weniger Ver-kehr abspielt. Gleichzeitig haben die Logistikunterneh-men einen Vorteil, weil sie weniger auf der Straßebefördern. – Das müssen Sie sich einmal auf der Zungezergehen lassen. Ich glaube, da schießen Sie sich schrägvon hinten durch die Brust ins Auge.
Ich meine, auf eine solche Verkehrsinfrastrukturpolitikkönnen wir in einem solch hochindustrialisierten Landgerne verzichten.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Anton Hofreiter für Bündnis 90/DieGrünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es mutet schon etwas seltsam an, dass ausge-rechnet die Vertreter der Partei, die immer ganz lautSteuersenkungen fordert, die Steuerdisziplin verwässertund gleichzeitig fordert, dass der Haushalt saniert wer-den muss, wortreich beklagen, dass nicht genug Geld fürInvestitionen in die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügungsteht.
Was jetzt bitte? Mehr Geld oder Steuersenkungenoder weniger Schulden? Alles passt auf jeden Fall nichtzusammen.Noch seltsamer mutet es an, wenn man sich vergegen-wärtigt, dass die Vertreter der Regierungsparteien wort-reich beklagen, dass die Opposition nicht für alles eineLösung hat. Es mag ja sein, dass wir in unseren Anträ-gen nicht für alles eine Lösung haben; aber es stellt sichdie Frage: Wer regiert denn dieses Land? Wer trägt denndie Regierung? Die Regierung und die Vertreter der Re-gierungsfraktionen sind es, die dieses Land regierenmüssen. Sie dürfen nicht darauf hoffen, dass wir Ihnendie gesamte Arbeit abnehmen.
Wenn man sich dann anschaut, was jetzt eigentlichdringend notwendig wäre, dann wird es ganz düster beidiesen beiden Parteien. Wir wissen, dass die Verkehrsin-frastruktur für lange Zeiträume geplant und gebaut wird.Eine Eisenbahntrasse oder Ähnliches wird für dienächsten 50 bis 100 Jahre errichtet. Eine Autobahn sollmindestens 40 bis 50 Jahre halten.Wenn man sieht, wie die vielen Milliarden investiertwerden, wird es ganz duster. Wissen wir, welche Ent-wicklungen in 30 oder 40 Jahren auf uns zukommen?
Es geht um Entwicklungen, zu denen auch die Bundesre-gierung oder die Bundeskanzlerin, als sie sich noch Kli-makanzlerin nannte, eingestanden haben, dass sie realsind. Wir wissen, dass wir bis zum Jahr 2050 – das istauf der einen Seite mit 40 Jahren noch sehr lange hin,auf der anderen Seite ziemlich nah, was die Verkehrsin-frastruktur und die Planungszeiträume angeht – denCO2-Ausstoß um 95 Prozent senken müssen, nicht etwa,um den Klimawandel zu verhindern, sondern um ihn ineinem für unser Überleben und das unserer Kinder er-träglichen Maß zu halten. Das wissen wir. Wenn Sie mirnicht glauben: Es ist, wie gesagt, der Beschluss der Bun-desregierung.Angesichts dessen muss man sich fragen, wie wir diefür unseren Wohlstand entscheidende Mobilität sinnvol-lerweise aufrechterhalten können. Weil die jetzige Mobi-lität zu über 90 Prozent vom Erdöl abhängt und in demsehr kurzen Zeitraum von 40 Jahren der CO2-Ausstoßum 95 Prozent gesenkt werden muss, müssen wir uns et-was anderes überlegen.
Was haben Sie uns vorgelegt? Sie haben vorgeschla-gen, dass die Mautmittel zu 100 Prozent in den BereichStraße fließen sollen. Das ist alles, was wir an etwasgrundlegenderen Reformen in der Verkehrsinfrastruktur-finanzierung von dieser Regierung gehört haben. Dasheißt, Sie stecken mehr Geld in die Straße, die extremerdölabhängig ist.
Was machen Sie sonst? Die Bahn muss eine Zwangs-dividende von 500 Millionen Euro abgeben. Wird sie da-durch gestärkt?
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Dr. Anton Hofreiter
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Was ist mit den positiven Maßnahmen, die Sie sogarin Ihrem Koalitionsvertrag festgehalten haben, wie dieAufhebung der Gewinnabführungs- und Beherrschungs-verträge? Nichts passiert. Das ist die Tragik. Sie setzennicht einmal das wenige Positive um, das Sie beschlos-sen haben.
Es ist sogar noch mehr Positives in Ihrem Koalitions-vertrag enthalten. Ich will das durchaus sagen: Manchesdarin ist positiv. Die nichtbundeseigenen Eisenbahnensollen eine eigene Finanzierung bekommen. Das ist sehrsinnvoll. Aber was passiert? Nichts. Wie man aus demVerkehrsministerium hört, ist nicht ein einziger Referentdamit beschäftigt.Was soll das? Wenn Sie schon einmal etwas Positivesbeschließen, warum setzen Sie nichts davon um?
Deshalb muss man leider den Schluss ziehen: DerStillstand in der Verkehrspolitik ist in dem Bereich, woMaßnahmen nötig sind, umfassend. Da, wo Sie etwastun, tun Sie das Falsche. Das Richtige, das Sie beschlos-sen haben, setzen Sie nicht um.Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie um! MachenSie eine vernünftige Verkehrspolitik! Wir werden Ihnenaus der Opposition heraus weiter mit konstruktiven An-trägen helfen.
Wenn Sie selber keine Ideen haben, setzen Sie unsereAnträge um!Danke.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Reinhold
Sendker das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen:Dass Sie als SPD den angeblichen Stillstand in der Ver-kehrspolitik der christlich-liberalen Regierung prokla-mieren, den man in langen Regierungsjahren selbst zuverantworten hat, ist für mich alles andere als glaubwür-dig. Selbst Frau Kollegin Leidig ist Ihren Vorwürfen,Herr Beckmeyer, und Ihrem Plädoyer für den Stillstandnicht gefolgt.
Im Übrigen kann auch von mangelnder Initiative undfehlender Zukunftsstrategie keine Rede sein. Ich will dasgerne mit einigen Argumenten begründen.Erstens. Es kann nicht geleugnet werden, dass die In-vestitionen in die Verkehrsinfrastruktur der letzten Jahreeinen sehr positiven Beitrag zur Überwindung der Wirt-schafts- und Finanzkrise in Deutschland geleistet habenund es der Koalition danach gelungen ist, die Investi-tionslinie auf hohem Niveau zu erhalten und in 2012wieder auf 10 Milliarden Euro erhöhen zu können.Sie wenden ein, das seien aber keine 12 MilliardenEuro wie vor einigen Jahren, meine sehr verehrten Da-men und Herren der SPD-Fraktion, wissen aber genau,dass das mit dem Fortfall der Konjunkturfördermittel er-klärbar ist.Darüber hinaus sollten Sie auch nicht vergessen, dassin diesem Jahr, 2011, mehr investive Mittel für die Ver-kehrsinfrastruktur als in den Jahren vor der Krise zurVerfügung stehen. Dies ist ein großer Erfolg, den wir unsin der heutigen Debatte nicht zerreden lassen.
Natürlich – das hat Kollege Schnieder schon deutlichgemacht – hätten wir gern noch mehr Geld zur Verfü-gung. Insofern ist es für uns von ganz hoher Bedeutung,mit den vorhandenen Investitionsmitteln vor allem dieQualität der Bestandsnetze von Schiene, Straße und derWasserwege zu sichern sowie Engpässe zu beseitigen.Ich stimme Ihnen in Ihrer Antragsformulierung aus-drücklich zu, dass „der gestiegene Bedarf nach einemnachhaltigen Schutz der Anwohnerinnen und Anwohneran Verkehrswegen … angemessen mit zu berücksichti-gen“ ist, nicht zuletzt durch den Bau von Umgehungs-straßen.Ich frage aber: Was sind diese plakativen Forderun-gen wert, wenn Sie dort, wo Sie regieren, zum Beispielin Nordrhein-Westfalen – das ist für die nächste Wocheangekündigt –, bedeutende Umgehungsstraßenprojekteauf Eis legen? Da kann ich nur feststellen: Tut nach un-seren Worten, aber nicht nach unseren Werken. Das istalles andere als glaubwürdig.
Mit Blick auf die Substanzerhaltung unserer Ver-kehrswege stehen wir natürlich auch neueren Ansätzender Optimierung von Bestand und Ausbau, die jetzt dis-kutiert werden, mit großem Interesse gegenüber, vor al-lem wenn sie ein Einsparpotenzial und darüber hinausmehr Transparenz bieten.Ein weiterer Punkt ist von Bedeutung, nämlich die öf-fentlich-private Partnerschaft, kurz: ÖPP. Sie sprechensich in Ihrer Antragsformulierung für eine Beteiligungvon privatem Kapital im Rahmen von ÖPP aus, soweit
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Reinhold Sendker
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die Lösung effizienter und kostengünstiger ist. Das se-hen wir genauso.Sie wissen, dass nach den ersten vier erfolgreichenProjekten nun die zweite Staffel am Start ist, die auchwirtschaftliche Anreize bietet, weil allein schon die Bün-delung der baubedingten Staus auf einen kürzeren Zeit-raum volkswirtschaftlichen Nutzen stiftet. Das ist füruns wichtig.Weniger erfreulich ist es aber dann, wenn wir wiedereinmal von der Zurückhaltung in Nordrhein-Westfalenerfahren. Verkehrsstaatssekretär Horst Becker wurdejüngst zitiert: Wir sind keine Freunde dieses Modells.
Bei allem, was auch immer darauf folgt, dürfen wirim Ergebnis feststellen: Von Stillstand kann in der vonuns verantworteten Verkehrspolitik mit Blick auf dieÖPP gar keine Rede sein.
Ich komme nun auf meinen dritten Punkt zu sprechen.Die Koalition hat den Finanzierungskreislauf Straße – Siehaben es eben gesagt – und damit mehr Transparenz her-gestellt, und das ist gut so.Sie fordern in Ihrem Antrag auch mehr Transparenz.Im gleichen Antrag kritisieren Sie den jetzt realisiertenFinanzierungskreislauf Straße, der aber gerade mehrTransparenz stiftet. Ich finde, das passt nun wirklichnicht zusammen. Wer Transparenz will, muss auch dafüreintreten, dass die Lkw-Maut, die für die Straßennutzunggezahlt wird, der Straße zufließt. Alles andere ist denBürgern nicht zu vermitteln und bleibt im Ergebnis in-transparent.
Erlauben Sie mir, abschließend in der Kürze der Zeitbei der modernen Verkehrspolitik noch einen viertenPunkt anzusprechen, Stichwort: Verkehrsinfrastrukturfi-nanzierungsgesellschaft VIFG. Die Koalitionsvereinba-rung der christlich-liberalen Regierung sieht einen Prüf-auftrag zur Herstellung eines FinanzierungskreislaufsStraße
unter direkter Zuweisung der Lkw-Maut an die VIFGvor.
Den ersten Teil haben wir bereits erledigt.Dabei geht es ganz besonders um die Frage, inwieweitdurch die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft mehr-jährige Planungs- und Finanzierungssicherheit – das istvon hoher Bedeutung – beim Straßenbau erreicht werdenkönnen.
Daher lautet mein Fazit: Genau das sind zukunftswei-sende Ansätze. Das ist moderne Verkehrsinfrastruktur-politik. Das ist alles andere, meine sehr verehrten Damenund Herren der Opposition, als Stillstand.
So werden wir auch zukünftig für eine hohe Investi-tionslinie kämpfen und neue zielführende Ansätze derVerkehrsinfrastrukturpolitik verfolgen.Dafür steht unser Minister. Wir unterstützen ihn gernedabei.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Kollege Michael Groß hat das Wort für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HerrSimmling, Sie fordern innovative Konzepte und Lösun-gen. Wo sind die Konzepte?
Sie haben in der Koalitionsvereinbarung darauf hinge-wiesen, dass wir Prioritäten setzen müssen. Wo ist IhrePrioritätensetzung? Sie haben darauf hingewiesen, dasswir transparente Kriterien brauchen. Wo sind die trans-parenten Kriterien? Sie, Herr Schnieder, und Sie, HerrSendker, weisen immer auf die lange Regierungszeit vonRot-Grün hin. In NRW haben Sie fünf Jahre lang dieVerantwortung getragen.
Ihre Minister sind durch NRW gereist und haben vielesversprochen, unter anderem alle Ortsumgehungen, diezur Diskussion standen. Mich wundert, was HerrRamsauer gestern in dapd angekündigt hat. Ich zitiere:Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer
will die schweren Frostschäden auf den Bundes-fernstraßen notfalls mit Mitteln für den Neubau vonOrtsumgehungen ausbessern.Ist das Ihre Antwort? Ist das die Logik, der Sie folgen?
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Michael Groß
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– Nein, ich sage nur, was Ihr Minister dazu sagt. – IhrMinister ist als Infrastrukturminister angetreten. Es feh-len aber nach Aussagen der Experten und Fachverbändemindestens 3 Milliarden Euro im Jahr. Sie haben geradeeine Haushaltsverbesserung von circa 300 MillionenEuro pro Jahr angekündigt. Sie können rechnerischnachvollziehen, dass das bei weitem nicht ausreichenwird.Die Staudatenbank des ADAC zeigt den Handlungs-bedarf: Von 1 000 als Engpässe definierten Autobahn-kilometern sind nur 430 Kilometer im VordringlichenBedarf des Bundesverkehrswegeplans. Auf Anfragenantworten Sie, dass Bauprojekte des Vordringlichen Be-darfs mit abgeschlossener Planung nicht durchgeführtwerden könnten, weil kein Geld vorhanden sei. In NRWwird sich die Umsetzung des RRX verzögern, weil Siezugesagte 15 Millionen Euro dem Land NRW vorenthal-ten. Damit verhindern Sie, dass circa 31 000 Personen-fahrten täglich auf die Schiene verlagert werden können.Sie setzen auf die Finanzierungskreisläufe. Nach demFinanzierungskreislauf Straße soll auch die Schiene ei-nen bekommen. Ein Teil der 500 Millionen Euro der vonder Deutschen Bahn abzuführenden Dividende soll demMinisterium verbleiben. Die Dividende soll ab 2015 auf750 Millionen Euro erhöht werden. Ein großer Teilbleibt im allgemeinen Haushalt und fließt nicht in diewichtigen Schienenprojekte. Eine Frage zu Ihrer Pro-blemlösung stellen Sie sich nicht: Was passiert eigent-lich mit den Wasserstraßen?29 aktuell überprüfte und bedarfsgerechte Bahnpro-jekte, die umgesetzt werden sollen, haben ein Investi-tionsvolumen von 26 Milliarden Euro. Hinzu kommennoch Kosten für die im Bau befindlichen Projekte. DieBahn kündigt zusätzlich ein „WachstumsprogrammSchiene“ an und will Alternativrouten zu den überlaste-ten Hauptverkehrsachsen für den Güterverkehr durchDeutschland ausbauen. Die zusätzlichen Kosten betra-gen 2,2 Milliarden Euro. Wie wollen Sie außerdem dieRheintalbahn und die Hafenhinterlandanbindung finan-zieren? Die Finanzierungskreisläufe werden den not-wendigen Ausbau der Schiene nicht stärken und be-schleunigen, sondern schwächen. Sie verhindern einenintegrierten Netzansatz.Ebenso ist für uns nicht erkennbar, wie Sie eigentlichdie Vorgaben der Europäischen Union umsetzen wollen.Das neue Weißbuch liegt im Entwurf vor. Dort ist for-muliert, dass der großstädtische Verkehr bis 2050 imWesentlichen CO2-frei ausgestaltet sein soll. Ein euro-päisches Kernnetz soll bis 2030 funktionstüchtig umge-setzt sein. 30 Prozent des Straßengüterverkehrs bei Stre-cken über 300 Kilometern sollen bis 2030 auf Schiffoder Bahn verlagert sein und bis 2050 sogar über dieHälfte. Wie wollen Sie das tun?
Mobilität ist eine zentrale Frage der Zukunft. Siemuss den wachsenden Anforderungen gerecht werden.Sie muss bezahlbar, umweltverträglich, sicher und zu-verlässig sein. Lärmschutz ist dabei eine wichtige Vo-raussetzung. Wir brauchen schnellstens Schwachstellen-analysen und Engpassreduzierungen, und wir brauchendie geforderte Reformdebatte zur Mobilität. Das könnteeine Zukunftskommission zur Infrastrukturfinanzierungtun, um einen breiten Konsens in der Diskussion herzu-stellen. Die Lösung kann nicht sein, dass der MasterplanGüterverkehr und Logistik durch den Minister lediglichin einen Aktionsplan Güterverkehr und Logistik umbe-nannt wird, der uns inhaltlich auch noch zurückwirft.Klapp-rechner statt Laptops, Aktionsplan statt Master-plan, das kann nicht die Antwort sein.Danke.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Was uns als Bundesbürger, als Verkehrsteilnehmer– mit Ausnahme der Kollegin Leidig, wie ich eben ge-lernt habe –, eint, ist Ärger über Stau auf Straßen wegenBaustellen
– nein, Sie treten in die Pedale –, über unpünktliche undvolle Züge, über Verspätungen im Flugverkehr.
All das beklagen wir im Einzelfall. Dieses Phänomen istauch nicht neu.Genauso wenig neu ist das Sammelsurium, das Sie,lieber Kollege Beckmeyer, uns heute vorgelegt haben.Keine Ihrer Forderungen ist neu. Allein die Antwort aufdie Frage, wie Sie das alles finanzieren wollen, bleibenSie wieder einmal schuldig. Auch wenn Sie es nicht hö-ren wollen: Elf Jahre Ihrer eigenen Regierungskunst ha-ben uns etwas hinterlassen: eine offene Baustelle; auf-grund des Bundesverkehrswegeplanes von Rot-Grünstehen wir jetzt im Stau. Diesen Stau wird unser Ver-kehrsminister zusammen mit dieser Koalition auflösen,lieber Kollege Beckmeyer.
– Ja. Der Verkehrswegeplan stammt trotzdem aus IhrerRegierungszeit, lieber Kollege Hermann, nicht aus unse-rer.
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Ulrich Lange
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Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause darin einig– diejenigen, die ganz links sitzen, lasse ich einmal au-ßen vor –, dass wir eine nachhaltige Finanzierung einerbesseren Verkehrsinfrastruktur brauchen. Dafür zu sor-gen, ist eine politische Daueraufgabe, die nicht auf ein-mal zu lösen sein wird. Auch über die Bedeutung derVerkehrsnetze dürfte hier kein Streit bestehen.
Aber im Gegensatz zu Ihnen, lieber KollegeBeckmeyer, wissen wir nicht nur um diese Bedeutung
– der Kollege Schnieder hat schon vorhin die Linienganz deutlich gezeichnet –, sondern wir handeln auch:Wir verstetigen nämlich auf hohem Niveau.
– Ja, wir verstetigen auf hohem Niveau.Lieber Kollege Hermann, bei Ihnen waren die An-sätze niedrigschwelliger: 2001 bis 2008 9,4 MilliardenEuro, jetzt 9,7 Milliarden Euro.
Lieber Kollege Beckmeyer, das Jahr 2009 mit den12 Milliarden Euro ist nicht der Maßstab. Sie selber wis-sen ganz genau, dass in diesem Betrag Mittel desKonjunkturpakets II enthalten waren.
Genauso wenig redlich ist es, zu sagen: 8 MilliardenEuro sind im Schienenverkehr gebunden. Wodurch sindsie denn gebunden? Wer hat sie denn gebunden? Werträgt denn die Verantwortung? Schauen Sie in den Spie-gel! Dann wissen Sie, wer dafür verantwortlich ist, dassdiese Mittel bereits gebunden sind.Wendet man sich der Gretchenfrage in Ihrem Antrag,des Pudels Kern, zu, nämlich der Finanzierung, dannstellt man fest: Da kommt nichts. Sie haben lediglicheine vage Vorstellung von der Einrichtung einer Kom-mission.
Herr Kollege Beckmeyer, ich mache Ihnen und demKollegen Groß folgenden Vorschlag: Wir gehen amMittwochvormittag vom Raum 600 im Paul-Löbe-Hausquer hinüber in den Raum 200. Dort tagt der Ausschussfür Arbeit und Soziales, dem auch ich angehöre. Dortwerden rund 45 Prozent unseres Haushaltsvolumens be-raten. Reden Sie dort mit Ihren Kolleginnen und Kolle-gen darüber, dass wir Geld für die Infrastruktur brau-chen; denn auch bei Ihnen gibt es keine wunderbareGeldvermehrung.
Sie schreiben in Ihrem Antrag:Mit jeder in die Verkehrswege investierten Mil-liarde Euro werden rund 20 000 Arbeitsplätze …gesichert.Herr Kollege Beckmeyer, machen Sie mit! Das ist einRegelsatz, der Arbeit schafft für die Infrastruktur. Dannsind wir sofort dabei. Gehen wir nächsten Mittwoch ge-meinsam rüber in den anderen Raum und reden darüber.
Auch hier brauchen wir nicht noch einmal anzusetzen;denn ist es alles mehrfach vorgetragen worden.Natürlich gibt es im Bereich ÖPP noch Potenzial. Wirwerden es heben. Da bin ich mir sicher.Wir sind alle für die Verlagerung von Verkehr auf dieSchiene und auf die Wasserstraße, weil wir wissen, dasswir den Zuwachs der Verkehre auf der Straße alleinenicht bewältigen können. Ich kann Sie nur auffordern,vor Ort mitzugehen und für den Schienenausbau zu wer-ben und nicht dieses Katz-und-Maus-Spiel zu betreibennach dem Motto: Wir sind zwar für den Ausbau, abernicht hier.Kollege Hofreiter hat gerade von der Macht der Bür-gerinitiativen gesprochen. Ich kann das auch anders nen-nen. Das ist die Macht, all das zu verhindern, was Siehier plakativ darstellen. Herr Kollege Hofreiter, ehrlichgesagt finde ich das nicht seriös.
– Sie haben vorhin den Einwurf gebracht: die Macht derBürgerinitiativen.Zeigen Sie gemeinsam mit uns den Mut! Gehen Siegemeinsam mit uns den schwierigen Weg der Finanzie-rung! Wir alle hätten gerne mehr Geld. Gehen Sie nächs-ten Mittwoch gemeinsam mit mir zur größten Haushalts-position. Wir alle wissen um die Notwendigkeit derVerkehrsinfrastruktur. Wir alle wissen um die Notwen-digkeit der Verkehrsnetze. Wir gehen es mutig an. Wirwerden uns innerhalb des Finanzierungsrahmens bewe-gen, den wir gemeinsam mit Ihnen im Zusammenhangmit der Schuldenbremse festgelegt haben. Wir wissen,dass wir dazu den richtigen und mutigen Minister haben.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/5022 an die in der Tagesordnung aufge-
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu demAntrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Erhalt undAusbau der Verkehrsinfrastruktur sichern – Deutschlandbraucht eine moderne Zukunftsstrategie zur Infrastruk-turfinanzierung“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/1479, den Antrag der Fraktionder SPD auf Drucksache 17/782 abzulehnen. Wer stimmtfür die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-men bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen unddie Linke. Dagegen hat die SPD-Fraktion gestimmt.Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 c, zur Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion derSPD mit dem Titel „Mobilität nachhaltig gestalten – Er-folgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fort-entwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 17/2226, den Antragauf Drucksache 17/1060 abzulehnen. Wer stimmt für dieBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls an-genommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.Dagegen gestimmt hat die SPD-Fraktion. Enthalten ha-ben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Bekämpfung der Zwangsheirat und zumbesseren Schutz der Opfer von Zwangsheiratsowie zur Änderung weiterer aufenthalts- undasylrechtlicher Vorschriften– Drucksache 17/4401 –– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe ,Gabriele Fograscher, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes für ein erweitertes Rückkehr-recht im Aufenthaltsgesetz– Drucksache 17/4197 –– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, OlafScholz, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder SPD eingebrachten Entwurfs eines … Geset-zes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes
– Drucksache 17/207 –– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIELINKE eingebrachten Entwurfs eines … Geset-zes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes
– Drucksache 17/1557 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 17/5093 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelRüdiger VeitHartfrid Wolff
Ulla JelpkeMemet KilicJosef Philip Winklerb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKEMenschenrecht auf Freizügigkeit ungeteiltverwirklichen– zu dem Antrag der Abgeordneten SevimDağdelen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEFür ein wirksames Rückkehrrecht und eineStärkung der Rechte der Opfer von Zwangs-verheiratungen– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef PhilipWinkler, Memet Kilic, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENFür eine wirksame und stichtagsunabhän-gige gesetzliche Bleiberechtsregelung imAufenthaltsgesetz– zu dem Antrag der Abgeordneten Memet Kilic,Volker Beck , Ekin Deligöz, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENOpfer von Zwangsverheiratungen wirksamschützen durch bundesgesetzliche Refor-men und eine Bund-Länder-Initiative– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef PhilipWinkler, Volker Beck , Memet Kilic,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENResidenzpflicht abschaffen – Für weitestge-hende Freizügigkeit von Asylbewerbern undGeduldeten– Drucksachen 17/2325, 17/4681, 17/1571,17/2491, 17/3065, 17/5093 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelRüdiger VeitHartfrid Wolff
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10981
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Ulla JelpkeMemet KilicJosef Philip WinklerHierzu ist verabredet worden, eine Dreiviertelstundelang zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Das Wort hat der Bundesminister Dr. Hans-PeterFriedrich.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! In den letzten Jahrzehnten habenMenschen aus aller Welt in Deutschland eine neue Hei-mat gefunden. Sie haben durch ihre Arbeit und ihr ge-sellschaftliches Engagement, sei es in Vereinen, Kultur-einrichtungen oder Sozialinitiativen, einen Beitrag zumWohle unseres Landes geleistet und sich an der Gestal-tung unserer Gesellschaft, ihrer neuen Heimat, beteiligt.
Menschen unterschiedlicher Religionen und unter-schiedlicher Kulturen leben in unserem Lande friedlichzusammen.
Der Respekt vor unterschiedlichen religiösen Überzeu-gungen und kulturellen Traditionen ist ein Grundpfeilerunserer toleranten und weltoffenen Gesellschaft. Die Re-ligionsfreiheit ist ein elementar wichtiger Pfeiler unsererfreiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Das Pflegen von mitgebrachten Traditionen ist einRecht, das in diesem freien Land ein jeder hat.Aber wir sind uns wohl auch einig, dass alle Men-schen, die in unserem Lande leben, sich nach unserenfreiheitlich-demokratischen Werten richten müssen.
Die Mehrheit der in unserem Land lebenden Migrantenhat sich bereits erfolgreich in die Gesellschaft integriert.Gleichwohl kennen wir auch Defizite. Sie anzusprechenund zu beseitigen, ist unser Auftrag. Wir wollen eine Ge-sellschaft, in der Jungen und Mädchen aus Migrantenfa-milien eine echte Chance bekommen, hier in unseremLand erfolgreich ihren Weg zu gehen. Wir wollen einwirkliches Miteinander, kein Nebeneinander und schongar nicht ein Gegeneinander. Deswegen muss es darumgehen, gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden,um Integrationspolitik in unserem Land noch erfolgrei-cher zu machen.Die Änderungen, über die wir heute sprechen, sind ineinem sorgfältigen Reifeprozess geplant und vorbereitetworden.
Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der nach meinerfesten Überzeugung geeignet ist, die Integration derMenschen in unserem Land zu fördern und voranzubrin-gen.
Fördern und Fordern, das sind ehrliche und gute Koordi-naten für eine erfolgreiche Integrationspolitik,
übrigens nicht nur in Bezug auf die Integration von Mi-granten, sondern auch in Bezug auf alle Menschen, diein der Mitte der Gesellschaft aufgenommen werden sol-len.
Wir fördern die Integration der bei uns lebenden Mi-granten, indem wir sie nicht alleinlassen. Wir schaffenRahmenbedingungen, die den Menschen eine erfolgrei-che Eingliederung in unsere Gesellschaft ermöglichen.Zugleich fordern wir die Bereitschaft, sich selbst aktivum Integration zu bemühen. Jeder Migrant trägt selbstdie Verantwortung für seine erfolgreiche Integration inunsere Gesellschaft.Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, umfasstverschiedene Regelungsbereiche:Erstens. Wir gewähren Ausländerinnen, die inDeutschland integriert waren und in ihr Herkunftslandverschleppt und zwangsverheiratet wurden, ein eigen-ständiges Rückkehrrecht. Gleichzeitig führen wir eineneigenen Straftatbestand „Zwangsheirat“ ein.
Das klare Signal, das wir damit geben, lautet: Wer jungeFrauen zwangsverheiratet oder solches Handeln unter-stützt, kann sich nicht auf andersartige kulturelle oder re-ligiöse Traditionen berufen, sondern er begeht strafbaresUnrecht, das unsere Gesellschaft nicht zu tolerieren be-reit ist.
Zweitens. Wir verlängern die Mindestbestandsdauereiner Ehe, die erforderlich ist, um ein eigenständigesAufenthaltsrecht zu erhalten, auf drei Jahre. Damit ver-ringern wir den Anreiz zur Eingehung einer Scheineheund erhöhen die Möglichkeit der Aufdeckung.
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10982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
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Wir fordern von denjenigen, die sich um Zuzug nachDeutschland bemühen, dass sie dies unter Beachtung dergeltenden Zuwanderungsregeln tun. Wer eine Ehe alleinzu dem Zweck eingeht, ein Aufenthaltsrecht zu begrün-den, unterläuft diese Regel. Deswegen machen wir mitunserem Gesetzentwurf deutlich, dass wir diesen Miss-brauch mit aller Entschiedenheit bekämpfen.
Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kilic zulassen?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Nein danke.
Drittens. Wir gewähren bislang nur geduldeten Ju-
gendlichen, die sich schon lange in Deutschland aufhal-
ten, erfolgreich die Schule besuchen, einen Schul- oder
Berufsabschluss haben und gut integriert sind, ein eige-
nes Aufenthaltsrecht. Wenn sie bisher geduldet waren
und sich gut integriert haben, erhalten sie also jetzt ein
eigenes Aufenthaltsrecht. Denn es gehört zu unserer
Politik des Förderns und Forderns, dass erbrachte Inte-
grationsleistungen entsprechend belohnt werden.
Viertens. Zu unserer Politik des Forderns gehört es,
dass wir Verstöße gegen Integrationsverpflichtungen
künftig stärker sanktionieren. Wir verlangen von den
hier lebenden Ausländern, dass sie sich mit den Grund-
werten unserer Gesellschaft vertraut machen und
Deutsch lernen. Denn wer auf Dauer hier leben will,
muss Deutsch sprechen können. Der Besuch der Integra-
tionskurse ist deshalb für noch nicht integrierte Auslän-
der verpflichtend.
Klar ist: Integration ist ein langer Prozess, und Inte-
gration braucht vielfältige Begegnungen: im privaten
Bereich, in der Nachbarschaft, in der Schule, im Verein
und im Beruf. Gerade deswegen ist das Erlernen der
deutschen Sprache der wichtigste Schlüssel zur Integra-
tion.
Aus diesem Grunde machen wir deutlich, dass es auf
eine erfolgreiche Teilnahme an diesen Integrationskur-
sen ankommt. Vor allem verlangen wir, dass ausrei-
chende Deutschkenntnisse erworben werden. Von denje-
nigen, denen das nicht gelingt, werden wir künftig
regelmäßig weitere Integrationsbemühungen einfor-
dern. Ihre Aufenthaltserlaubnis wird deshalb jeweils nur
um maximal ein Jahr verlängert, bis sie den Integrations-
kurs erfolgreich abgeschlossen haben oder nachweisen
können, dass ihre Integration anderweitig erfolgt ist. Wir
schaffen damit einen Anreiz, sich zügig in die Lebens-
verhältnisse in Deutschland zu integrieren.
Keiner wird wohl leugnen, dass sich nur derjenige in
unsere Gesellschaft einbringen und sie aktiv mitgestalten
kann, der auch Deutsch spricht. Wer die aktive Bereit-
schaft zum Erwerb der deutschen Sprache nicht klar und
unmissverständlich einfordert, der schädigt letztlich die
Migranten selbst. Er beraubt sie der Möglichkeit, sich
sozial und wirtschaftlich zu integrieren. Er lässt zu, dass
diese Menschen Gefahr laufen, dauerhaft von Sozialleis-
tungen abhängig zu sein. Das will keiner von uns.
Der vorliegende Gesetzentwurf bietet pragmatische
Lösungsansätze für eine solide und wahrhaftige Integra-
tionspolitik. Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen Ge-
setzentwurf zu unterstützen.
Vielen Dank.
Rüdiger Veit hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister, das war Ihre erste Rede alsBundesinnenminister in diesem Haus. Deswegen habeich alle Veranlassung, Ihnen namens der SPD-Fraktionbei aller Gegensätzlichkeit in der Sache, über die nochzu reden sein wird, gutes Gelingen zu wünschen.
Soweit es in meiner Macht steht, setze ich mich dafürein, mit Ihnen konstruktiv zusammenzuarbeiten, wenndieses Bemühen entsprechend erwidert wird.Es gibt durchaus Unterschiede in der Sache. Das wirdauch heute deutlich. Wenn ich Ihnen das im Hinblick da-rauf, dass Sie den Gesetzentwurf hier begründet haben,sage, dann ist das nicht als ein persönlicher Angriff zuverstehen; denn der Beitrag der übrigen hier Versammel-ten zu diesem Gesetz, von dem Sie gesprochen haben,war wesentlich größer. Sie haben die Vorschriften in die-sem Gesetz jetzt für sich selbst nachvollzogen.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhalteteine Reihe von durchaus lobenswerten Ansätzen. Aberdabei bleibt es meistens. Unter plakative Überschriftenstellen Sie eine Reihe von Regelungen zur Bekämpfungvon Zwangsheirat, zur Schaffung einer gesonderten Alt-fallregelung und zur Lockerung der Residenzpflicht. Inder konkreten Ausgestaltung all dieser Instrumente neh-men Sie aber wieder die Hälfte zurück von dem, was Sieeigentlich regeln wollen. Man hat den Eindruck: Siewollen ein paar Stichworte aus der Koalitionsvereinba-rung abarbeiten und diese Themen – Beerdigung in derHolzklasse – möglichst noch vor dem 27. März irgend-wie erledigt sehen. Das wird allein daran deutlich, dassdie wirklich gute Anhörung, die wir zu allen Gesetzent-würfen durchgeführt haben, von uns allen nur unzurei-chend ausgewertet werden konnte, weil der Zeitablauf– die Anhörung war am Montag – gar nichts anderes zu-lässt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10983
Rüdiger Veit
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Trotzdem gab es einige Versuche. Es gibt aber bis zumheutigen Tag keine Erklärung, warum das so furchtbareilig ist. Wir hätten das genauso gut in der nächsten Sit-zungswoche machen können.Ich will begründen, warum ich von plakativen Über-schriften gesprochen haben. Die Regelung zur Bekämp-fung der Zwangsheirat ist gut und schön; dafür sind wiralle. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf dazu einge-bracht und vertreten diesen in erster Linie. Herr Minis-ter, Sie haben eben gesagt, dass die Opfer von Zwangs-heirat vornehmlich in Deutschland gut integrierte jungeFrauen sind. Warum muss man dann aber noch einmaleine positive Integrationsprognose über sie abgeben, da-mit sie zurückkehren können? Das leuchtet mir über-haupt nicht ein. Wenn wir das Rückkehrrecht gerade des-halb einräumen, weil die betroffenen Frauen unterAndrohung von Gewalt oder durch List aus Deutschlandverbracht wurden und dann zwangsverheiratet wordensind, dann frage ich mich, warum wir ihnen bei dem Ver-such der Rückkehr, die technisch schwierig genug ist,noch eine positive Integrationsprognose abverlangen.Das kann ich nicht nachvollziehen.
Zur Verlängerung der Ehebestandszeiten wird meineKollegin Aydan Özoğuz noch etwas sagen. Mir sei nurder Hinweis erlaubt, dass selbst die Kirchen in ihremSchreiben vom 11. März 2011 – bei aller Achtung vordem Institut der Ehe – sagen, dass man, wenn ausländi-sche Frauen von ihren Männern mit Gewalt hier inDeutschland festgehalten werden, nicht noch einen Tat-beitrag dazu leisten darf, dass sie noch ein Jahr länger indieser verzweifelten Situation ausharren müssen. Daswird meine Kollegin gleich näher ausführen.
Lassen Sie mich zu der Altfallregelung kommen, dieSie uns anbieten. Kollege Grindel hat die humanitäreSeite der Koalition entdeckt und sieht darin einen beson-deren Vorstoß. Ich gebe zu, dass Sie dem, was wir vonIhnen schon lange erwarten, endlich näherkommen. Siewollen keine stichtagsbezogene Altfallregelung, sonderneine, die alle – auch in der Zukunft – erfasst. Das ist zu-nächst im Grundsatz zu begrüßen.
Aber warum beschränken Sie das dann auf Antragstellerzwischen 15 und 21 Jahren? Warum sagen Sie nicht ge-nauso wie wir, dass derjenige, der hier in Deutschlandmindestens einen Hauptschulabschluss erworben hat,bleiben kann? Warum sagen Sie nicht genauso wie wir,dass ein minderjähriger geduldeter Ausländer nach vierJahren bei einer positiven Integrationsprognose ebenfallshier in Deutschland bleiben kann? Warum nicht diesewesentlich umfassendere Regelung?
Ich will auf weitere Einzelheiten unseres Gesetzent-wurfs eingehen. Nach vielen Änderungen im Ausländer-und Aufenthaltsrecht brauchen wir endlich einen Schnittund müssen mit dem Institut der Kettenduldung inDeutschland ein für alle Mal Schluss machen. Dieser Si-tuation müssen wir uns stellen.
Das ist Ihnen nicht gelungen. Es gibt einen nicht ganzproduktiven Kompromiss aus den Vorstellungen vonCDU/CSU und FDP. Wenn ich das einmal sagen darf:Die FDP, die wir in der letzten Legislaturperiode gele-gentlich als Mitstreiter an unserer Seite hatten, kann ichheute leider nicht mehr wiedererkennen.
Wir durften in der Vergangenheit erleben, dass die FDPgemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und uns ver-sucht hat, gerade die Kolleginnen und Kollegen von derUnion von vernünftigen Regelungen im Ausländerrechtzu überzeugen. Das spiegelt sich in dem, was hier undheute vorliegt, aber nicht unbedingt wider.So geht das bei allen Themen, die in dem Gesetzent-wurf angesprochen sind, weiter. Ich nenne nur das Stich-wort „Residenzpflicht“. Da gehen Sie heran.
Da gibt es leichte Lockerungen bei den Regelungen fürArbeitsaufnahme und Ausbildung.
Aber wir müssten viel weiter gehen. Dieses Institut istlängst überholt. Schon heute sind viele Landkreise undLänder – das geschieht sogar länderübergreifend – imBegriff, diese Regelung zu ändern, weil sie keinen Sinnmehr macht. Wir gehen nicht so weit und sagen, dass dasalles abgeschafft werden muss und dass wir überhauptkeine Beschränkungen des Aufenthalts mehr brauchen.Schon aus Gründen der Steuerung der damit verbunde-nen finanziellen Lasten wollen auch wir eine Wohnort-zuweisung für Asylbewerber und Geduldete, damit siesich nicht beispielsweise in Großstädten vermehrt ansie-deln. Aber eine Residenzpflicht in dem Sinne, dass Asyl-bewerber und Geduldete den Kreis oder die Stadt ohneAusnahmegenehmigung und ohne große Verwaltungs-verfahren nicht verlassen dürfen, lehnen wir ab. Wirwerden mit entsprechenden Gesetzentwürfen auf Sie zu-kommen.
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10984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Rüdiger Veit
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Kurzum – damit ich meiner Kollegin die Redezeitnicht wegnehme; das habe ich ihr versprochen –: Rich-tige kleine Trippelschritte unter ganz großen Überschrif-ten, das ist im Grunde genommen der Duktus des Wer-kes, das Sie hier vorgelegt haben. Wir halten an unserenVorlagen fest, insbesondere an der Regelung betreffenddie Wiederkehr von Opfern nach Zwangsheirat, aberauch an der sehr viel ausdifferenzierteren Regelung fürAltfälle, für Geduldete.Wir bitten um Zustimmung zu unseren Vorlagen. Ih-rem Gesetzentwurf können wir aus den genannten Grün-den leider nicht zustimmen.Danke sehr.
Der Kollege Hartfrid Wolff hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):Herr Minister, auch seitens der FDP-Fraktion gratu-lieren wir Ihnen herzlichst zu Ihrem neuen Amt. Wirwünschen Ihnen viel Erfolg. Auf gute, spannende Zu-sammenarbeit!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ko-alition aus Union und FDP hat eine neue Integrations-politik auf den Weg gebracht. Insofern hätten Sie zu Be-ginn keine bessere Rede halten können.
Wir werden die Chancen der Zuwanderung für unserLand besser nutzen und den Zusammenhalt unsererdurch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft stärken;Fördern und Fordern gehören zusammen. Das tun wirmit dem vorliegenden Gesetzespaket. Wir schaffen hier-mit den Einstieg in eine dauerhafte bundesgesetzlicheBleiberechtsregelung. Erstmals wird für minderjährigeund heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Auf-enthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in ei-nem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalitionhat das nicht zustande gebracht. Die christlich-liberaleKoalition dagegen eröffnet Perspektiven für Menschen,die in unser Land gekommen sind.
Wir helfen Frauen in Not. Die Gleichberechtigung derFrau ist einer der wesentlichen Bestandteile unsererRechts- und Werteordnung, deren Vermittlung auch eineder entscheidenden Integrationsaufgaben ist. Zwangs-heirat wird explizit als Straftat benannt.
Besonders wichtig ist uns die Verbesserung des Op-ferschutzes. Wir werden eben nicht nur die Täter bestra-fen, sondern auch den Opfern eine Perspektive geben. Eswird erstmalig ein eigenständiges Wiederkehr- undRückkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsver-heiratungen geben. Die bisherige Regelung, wonach derAufenthaltstitel für verschleppte junge Frauen nachsechs Monaten automatisch erlischt, ermöglichte es lei-der bis heute, diese Zwangslage noch stärker auszunut-zen und Frauen jede Fluchtperspektive zu nehmen.Nachdem über das Rückkehrrecht schon sehr lange dis-kutiert wird, ist es der christlich-liberalen Koalition nunzu verdanken, dieses wichtige Opferschutzrecht für dieBetroffenen geschaffen zu haben.
Jetzt erhalten Opfer von Zwangsheirat und Verschlep-pung wieder eine Chance, sich zu befreien. Dem dientübrigens auch die Verlängerung der Antragsfrist für dieAufhebung der Ehe.Wir lockern die Residenzpflicht für Geduldete undAsylbewerber, um ihnen die Aufnahme einer Beschäfti-gung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wirdie Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeits-markt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaftweiterzuentwickeln.Wir haben uns auf die Verlängerung der Ehemindest-bestandszeit auf drei Jahre zur Erlangung eines eigen-ständigen Aufenthaltstitels geeinigt. Das hilft, Schein-ehen besser zu bekämpfen.
Opfern häuslicher Gewalt, die es leider in viel zu großerZahl gibt und die als Argument gegen die Anhebung derEhemindestbestandszeit angeführt werden, kann durchdie Härtefallregelung geholfen werden. Und die Sach-verständigenanhörung hat gezeigt: Die jetzt getroffene,per Änderungsantrag aufgenommene gesetzliche Klar-stellung wird zu einem stärkeren Schutz der Frauen bei-tragen. Wir mahnen die Ausländerbehörden an dieserStelle zu einer großzügigen Handhabung.
Zentrales integrationspolitisches Anliegen der FDPist das Beherrschen der deutschen Sprache. Eine unbe-fristete Niederlassungserlaubnis erhält nur noch derje-nige, der sich hinreichend auf Deutsch verständigenkann oder sich hier einbringt. Natürlich muss niemandaus Deutschland ausreisen, weil er nicht perfekt Deutschspricht. Aber diejenigen, die sich nicht integrieren wol-len, erhalten in Zukunft nur eine vorübergehende Auf-enthaltserlaubnis.
Der Gesetzentwurf ist ein Signal für eine Abkehr vonideologischer Zuwanderungs- und Integrationspolitik.Mulitkultiromantik oder Desintegration durch Weg-schauen helfen uns nicht weiter.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10985
Hartfrid Wolff
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– Lieber Herr Wieland, Sie bestätigen das gerade.Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht beste-hende Defizite der Integrationspolitik ohne Scheuklap-pen an. Es gilt, die Chancen der Zuwanderung für unserLand besser zu nutzen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Frage des Kollegen
Veit zulassen?
Hartfrid Wolff (FDP):
Das muss jetzt nicht sein.
Mit dem Gesetz, das als Entwurf vorliegt, werden in
ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der In-
tegration ergriffen. Die Koalition aus CDU/CSU und
FDP will die Chancen der Integration für ausländische
Menschen in Deutschland verbessern. Der Schlüssel für
gesellschaftlichen Zusammenhalt ist die erfolgreiche In-
tegration. Hierfür stellen wir die Weichen.
Vielen Dank.
Die Kollegin Ulla Jelpke hat das Wort für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerKollege Veit hat hier eben dargelegt, dass wir heute übereinen Gesetzentwurf beraten, der im Schweinsgaloppdurch den Bundestag getrieben wurde. Am Montag hat-ten wir eine Anhörung, bei der fünf von sieben Sachver-ständigen grundlegende Kritik an diesem Gesetzentwurfgeäußert haben. Ein Protokoll der Anhörung liegt bisheute nicht vor. Das heißt, wir können die Anhörungüberhaupt nicht vernünftig auswerten.
Herr Wolff, Sie haben in Ihrer Rede sehr deutlich ge-macht, warum Sie dieses Gesetzesvorhaben hier schnelldurchziehen wollen. Man kann sich des Eindrucks nichterwehren, dass es Ihnen vor allem um die Wahlen inSachsen-Anhalt und Baden-Württemberg geht, dass Sieauf Stimmungsmache gegen vermeintliche Integrations-verweigerer setzen, die Sie – auch in der Anhörung –nicht einmal beziffern konnten. Seit Monaten fahren Siegemeinsam mit dem Kollegen Grindel diese Kampagne.Damit betreiben Sie meiner Meinung nach rechtspopu-listischen Stimmenfang.
Im Unterschied zum Kollegen Veit sieht die Linke indiesem Gesetzentwurf ein Dokument der Absage an eineoffene und humane Integrationspolitik. Ich komme da-mit zu den Verschärfungen, die Sie jetzt einführen wol-len, insbesondere bei der Aufenthaltserlaubnis, die solange nur um ein Jahr verlängert werden soll, bis die Be-stätigung eines erfolgreichen Sprachtests vorgelegt wor-den ist. Man muss sich einfach einmal vorstellen, was esbedeutet, wenn Menschen immer wieder zur Ausländer-behörde laufen müssen. Ausgerechnet die Fraktionen derUnion und der FDP haben noch vor wenigen Monaten,als wir hier über den Haushalt beraten haben, nicht zuge-stimmt, als es darum ging, ausreichende finanzielle Mit-tel für Integrationskurse zur Verfügung zu stellen.
– Ich bin jetzt dran. – Sie haben die Mittel zur Deckungvon Fahrtkosten und Kinderbetreuungskosten gekürzt.
Eine ausreichende finanzielle Ausstattung ist notwendig.Wenn man sich die Wartelisten anschaut und sieht, wieviele Menschen an Integrationskursen teilnehmen wol-len, dann kann man nicht permanent von Integrations-verweigerern in unserer Gesellschaft reden und diese anden Pranger stellen. Dazu sage ich nur: Sarrazin lässtgrüßen! – Wir von der Linken lehnen das ab.
Zum angeblichen Schutz für Zwangsverheiratete, denSie einführen wollen. Ich meine, es handelt sich hier umreine Symbolpolitik. Sie selber sagen im Übrigen in Ih-rem Gesetz, dass wir bereits einen Straftatbestand haben,der Zwangsheirat unter Strafe stellt.
Die Frage ist, ob ein neuer Straftatbestand die Frauenvor Zwangsverheiratung schützt. In Wahrheit geht eshier meiner Meinung nach in erster Linie nicht um dieOpfer von Zwangsehen. Dasselbe gilt im Übrigen für diehier schon angesprochene Verlängerung der Ehebe-standszeit. Bislang mussten ausländische Ehepartner,die einen deutschen Partner haben, zwei Jahre hier sein,um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen.Jetzt haben Sie die notwendige Ehebestandszeit aufdrei Jahre erhöht und damit für eine Verschärfung ge-sorgt. Alle – Menschenrechtsorganisationen, die Kir-chen, aber auch die Sachverständigen bei der Anhörungam Montag – haben gesagt: Das verlängert das Leid der
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10986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Ulla Jelpke
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Frauen; denn diejenigen, die in Zwangsehen leben undGewalt erfahren, müssen dadurch garantiert noch längerin ehelicher Abhängigkeit verbleiben und haben nichtdie Möglichkeit, sich von ihren Ehemännern zu trennen.Es ist die reinste Heuchelei, wenn Sie hier so tun, alswürden Sie sich für diese Frauen einsetzen. Im Gegen-teil: Mit Ihrem Gesetz verschärfen Sie ihre Situation. Siemachen es den Frauen schwerer.Ich will ganz deutlich sagen: Es gibt keine empiri-schen Untersuchungen, die Ihre These von den vielensogenannten Scheinehen belegen. Das ist uns auch in derAnhörung am Montag bestätigt worden. Dort wurde ge-sagt, dass häufig zu schnell von Verdachtsfällen dieRede ist und sich im Nachhinein herausstellt, dass derVerdacht falsch war.Ein Wort zum Bleiberecht für Jugendliche, das hierschon angesprochen wurde. Es ist wirklich eine Meister-leistung, Jugendlichen, die gute Schulleistungen erbrin-gen, die Verantwortung für ihre Geschwister und ihre El-tern aufzubürden. Sie sollen das Bleiberecht fürGeschwister und Eltern erwirken. Ich frage mich, welchein Verständnis von Pädagogik Sie haben. Wissen Sie ei-gentlich, was es bedeutet, wenn Kinder und Jugendlicheunter einem derartigen Druck schulische Leistungen er-bringen müssen? Ich halte es für unerträglich, dass SiePolitik auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichenbetreiben. Das lehnt die Linke ab.
Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass uns dieser Ge-
setzentwurf in allen Punkten nicht weit genug geht.
Frau Jelpke!
Er zielt in die falsche Richtung.
Frau Jelpke!
Wir sind der Meinung, dass man ihn unbedingt ableh-
nen muss.
Frau Jelpke!
Es ist schon angekündigt worden, dass es weitere An-
träge gibt. Das wird auch die Linke so halten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. – Frau Prä-
sidentin, ein bisschen mehr Toleranz!
Das war der Wunsch nach mehr Toleranz bei der Re-dezeit.
– Ich habe Ihnen das Ende Ihrer Redezeit mit einem Si-gnal angekündigt. Sie haben viele Sätze zu Ende spre-chen können, bevor ich versucht habe, Sie akustisch da-rauf hinzuweisen, dass Ihre Redezeit weit überschrittenwar.Das Wort hat der Kollege Josef Winkler fürBündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister, auch namensmeiner Fraktion biete ich konstruktive Zusammenarbeitan. In der nächsten Sitzungswoche – oder wann auch im-mer Sie vorhaben, den Innenausschuss zu besuchen –können wir über Ihre Perspektiven für die InnenpolitikDeutschlands diskutieren. Das, was heute auf der Tages-ordnung steht, haben Sie aufgrund des Zeitablaufs nichtmaßgeblich mitgestalten können. Dennoch will ich michdarauf konzentrieren.Sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungs-fraktionen, Sie wollen Regelungen zum besseren Schutzder Opfer von Zwangsverheiratungen und eine Bleibe-rechtsregelung für gut integrierte Jugendliche einführen.Die Absicht ist lobenswert. Wir haben aber feststellenmüssen, dass Sie die Regelungen, die eigentlich mög-lichst vielen helfen sollten, so eng gefasst und hand-werklich so schlecht gemacht haben, dass jeweils nur einsehr kleiner Teil der Betroffenen davon profitieren wird.Darüber muss man hier einmal sprechen.
Das gilt zum Beispiel für das Rückkehrrecht der Op-fer einer Zwangsheirat. Es widerspricht der Zielsetzungeines effektiven Schutzes der Frauen, die zum Zweckder Heirat verschleppt wurden, dass das Rückkehrrechtvon einer positiven Integrationsprognose abhängig ge-macht werden soll und nicht ohne Einschränkung alsRechtsanspruch ausgestaltet ist. Schließlich geht es vorallem darum, dass es sich hierbei um Opfer handelt, undnicht darum, ob die Integrationsprognose positiv ist. Dasist schlecht gemacht.
Es fehlt auch eine Beweislastregelung zugunsten derOpfer von Zwangsheirat, die sich nicht ausschließlichauf Fälle körperlicher, häuslicher Gewalt bezieht. In vie-len Fallkonstellationen werden die Frauen durch psychi-schen Druck in eine ausweglose Situation gebracht. IhrVorschlag bzw. die Ergänzung in der Begründung, die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10987
Josef Philip Winkler
(C)
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Sie, Herr Kollege Wolff, vorgenommen haben, hilft denFrauen nicht.
Wie soll das attestiert werden? Das ist wirklich schwie-rig. Das wird in der Regel nicht helfen.Es fehlt auch eine aufenthaltsrechtliche Regelung fürdie aus einer Zwangsehe hervorgegangenen Kinder. Dasheißt, die Frau, die im Ausland lebt, dort Kinder bekom-men hat und aus der Zwangsehe ausbrechen will, kanneben nicht ohne Weiteres nach Deutschland zurückkom-men. Sie müsste erst den Sorgerechtsstreit gewinnen, dasVisumverfahren für sich und ihre Kinder betreiben unddann natürlich noch die von Ihnen so geschätzte positiveIntegrationsprognose vorweisen. Das ist wirklich Stussund wird diesen Frauen nicht helfen. In dem Punkt binich mir mit dem Kollegen Veit von der SPD-Fraktionvöllig einig.
Die SPD-Fraktion wird, glaube ich, unserem Antraghierzu auch zustimmen.
Ein anderer Punkt, der bereits angesprochen wurde.Ich finde es schäbig, dass Sie mit der Verlängerung derMindestehebestandszeit die Abhängigkeit der Opfer vonZwangsverheiratung von ihrem Ehepartner um ein Jahrverlängern. Die Meinung der Kirchen hierzu wurde ebenvorgetragen. Von wegen christlich-liberal!
Nur weil Sie vermuten – übrigens gegen die Daten allerErmittlungsbehörden in der gesamten Bundesrepublik –,dass es heute mehr Scheinehen als früher gibt, müssensich nun die zwangsverheirateten Frauen ein Jahr längerprügeln lassen. Das ist schlicht und ergreifend schäbiggegenüber diesen Frauen.
Ihre Härtefallregelung greift nicht, Herr Wolff. Sie greiftnicht!
Wir werden das in einem Jahr überprüfen. Dann werdenSie sehen: Ihre Härtefallregelung ist Stuss,
und die Änderungen, die von der Opposition vorgelegtwurden und die auch die Sachverständigen in der Anhö-rung im Innenausschuss vorgetragen haben, hätten hel-fen können. Betreiben Sie keine Symbolpolitik! Tun Sienicht so, als hätten Sie geholfen!
Die betroffenen Frauen müssen Anzeige bei der Poli-zei erstatten und ärztliche Atteste vorlegen. Es muss einbesonders schwerer Fall sein, und es dürfen keine Zwei-fel bestehen. Erst dann greift die Härtefallregelung. Dasssie bisher selbst bei schweren Fällen körperlicher Gewaltnicht gegriffen hat, haben Sie versucht zu korrigieren.Aber die Hürden sind viel zu frauenfeindlich gestaltet.Die Frauen müssen sich nicht mehr zwei Jahre verprü-geln lassen, sondern drei Jahre, bis sie einen eigenständi-gen Aufenthaltstitel erwerben. Das ist nicht christlich,und das ist nicht liberal.
Sie konnten das auch nicht begründen. Sie sagen nur, eslägen Anhaltspunkte aus der ausländerbehördlichen Pra-xis vor und es gebe so viele Scheinehen, dass man dasinnerhalb von zwei Jahren nicht aufklären könne; deswe-gen müsse man das auf drei Jahre ausweiten.
– Das kann sowieso widerrufen werden. Das ist richtig,Herr Kollege Veit.Ich will noch einen Punkt ansprechen. Den Vorschlagdes Bundesrats, der eine Bleiberechtsregelung für gut in-tegrierte Jugendliche vorsieht, haben Sie aufgegriffen.Allerdings haben Sie ihn verschlechtert. Der Bundesrathat vorgeschlagen, dass die „überwiegende Lebensunter-haltssicherung“ vonseiten der Eltern ausreichen soll. Dasist eine realistische Regelung, weil die Menschen überJahre vom Arbeitsmarkt ferngehalten wurden. Sie schla-gen vor, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt voll-ständig sichern sollen. Das führt dazu, dass für die Elterndas Bleiberecht nicht erreichbar ist und dass sie spätes-tens mit der Volljährigkeit ihrer Kinder mit der Abschie-bung rechnen müssen.
Herr Kollege.
Oder sie werden nur geduldet. Das ist ein unsicherer
Aufenthalt und keine Zukunftsperspektive.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich
finde, heute ist ein schlechter Tag für die Integrations-
politik in Deutschland. Sie sollten wirklich nicht so wei-
termachen.
Reinhard Grindel hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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10988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Hans-Peter Friedrich, natürlich auch von derCDU/CSU-Fraktion herzlichen Glückwunsch zumneuen Amt als Bundesinnenminister. Spannend muss un-sere Zusammenarbeit nicht unbedingt sein, sondern siemuss gut, vertrauensvoll und harmonisch sein. Ich binganz sicher, dass das gelingen wird. Wir werden einewunderbare Zusammenarbeit
zwischen Franken und allen anderen in unserer Arbeits-gruppe haben. Glück auf für Ihre wichtige Aufgabe!
Wenn ich das richtig verstanden habe, Frau KolleginÖzoğuz, ist Ihr Ehemann heute zum Innensenator inHamburg berufen worden. Grüßen Sie ihn herzlich vonuns! Gratulieren Sie ihm dazu! Ich bin ganz sicher:Wenn er in Zukunft abends nach Hause kommt und vonseinen Problemen als Innensenator berichtet, wird er sa-gen: Die Handlungsmöglichkeiten, die die mir in Berlineröffnet haben, sind eigentlich ganz gut.
Ich glaube, dass wir heute eine Vielzahl von Vorschlä-gen vorlegen, auf die Sie in Ihrer Regierungszeit sehrstolz gewesen wären. Herr Kollege Veit, Herr KollegeWinkler, wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das zu. Blei-berecht für gut integrierte Jugendliche,
eine Rückkehrmöglichkeit für Zwangsverheiratete undZwangsverschleppte
und Verbesserungen bei der Residenzpflicht für Asylbe-werber – Sie hätten sich in einer rot-grünen Sänfte durchKreuzberg tragen lassen, wenn Sie das zu Ihrer Regie-rungszeit hinbekommen hätten. Das möchte ich klar sa-gen.
Das Bleiberecht für gut integrierte ausländische Ju-gendliche ist eine fundamentale humanitäre Verbesse-rung und bedeutet ein großes Stück Zukunftssicherungfür viele junge Menschen mit Migrationshintergrund.Erstmals schaffen wir eine gesetzliche Regelung für dieZukunft und nicht nur eine Altfallregelung mit einemStichtag, die sich häufig als zu starr erwiesen hat.
Wir verbinden auch nicht mehr den Aufenthaltstitelgut integrierter Jugendlicher mit dem Schicksal der El-tern; denn es hat oft zu Leid geführt, wenn der Jugendli-che keine Perspektive in Deutschland hatte, weil sichseine Eltern hier nicht ordnungsgemäß verhalten hatten.Es wird in Zukunft genau umgekehrt sein. Erstmals istdie Integrationsleistung des Jugendlichen entscheidend.Er wird belohnt, wenn er erfolgreich die Schule besuchtund die Gewähr dafür bietet, sich in die Lebensverhält-nisse bei uns in Deutschland einzufügen.
In Zeiten des demografischen Wandels brauchen wirjeden Jugendlichen. Wir machen Ernst damit. Jeder be-kommt die Chance, sein Glück in Deutschland zu ma-chen. Das haben wir als christliche Demokraten und alsfreie Demokraten hinbekommen. Sie haben das nie hin-bekommen, um das ganz deutlich zu sagen.
Es ist wahr: Die Integrationsanforderungen an die Ju-gendlichen sind hoch. Sie müssen erhebliche Integra-tionsleistungen nachweisen. Diese Anforderungen sor-gen dafür, dass wir Pull-Effekte vermeiden. Wir wolleneinen Anreiz für Integration schaffen. Wir wollen Zu-wanderung in die Sozialsysteme verhindern. Aber wirwollen mit dieser Bleiberechtsregelung diejenigen för-dern, die sich anstrengen und die es verdienen, dafür be-lohnt zu werden.Das Gleiche gilt für die Eltern der gut integrierten Ju-gendlichen; was Sie hier dazu gesagt haben, ist falsch.Sie werden in Zukunft in Deutschland bleiben dürfen,weil das Bleiberecht ihrer Kinder ansonsten ins Leerelaufen würde.
Aber wir sagen den Eltern: Wenn ihr euren Lebensunter-halt selbst bestreiten könnt, wenn ihr keine Straftaten be-gangen habt, wenn ihr die Behörden nicht täuscht, dannkönnt ihr über den Status des Geduldeten hinaus ein ei-genständiges Aufenthaltsrecht erwerben. Das ist der ent-scheidende Punkt. Die Eltern dürfen in jedem Fall blei-ben, weil die Bleiberechtsregelung für ihre Kinder sonstins Leere laufen würde. Aber ein eigenständiges Aufent-haltsrecht setzt auch eigenständige Integrationsleistun-gen voraus. Wir setzen einen Anreiz, sich zu integrieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10989
Reinhard Grindel
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Insofern machen wir an dieser Stelle auch bei den Eltern,wie bei den Kindern, ernst mit dem Grundsatz „Fördernund Fordern“. Das halte ich für eine richtige und zu-kunftsweisende Integrationspolitik.
Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärken wir die Inte-grationskurse. Wir sorgen dafür, dass die Ausländerbe-hörden endlich konsequent überprüfen, ob ein Neuzu-wanderer seiner Pflicht, einen Integrationskurs zubesuchen, nachkommt. Wir schreiben vor, dass Neuzu-wanderer nur noch für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubniserhalten und deren Verlängerung davon abhängt, dass sieden Integrationskurs ordnungsgemäß besucht haben.
Es ist nicht so, wie von einigen Organisationenfälschlich verbreitet, dass der Aufenthalt vom erfolgrei-chen Bestehen der Abschlussprüfung abhängt. Das spieltbei der Niederlassungserlaubnis eine Rolle. Das warschon immer so; das ist geltende Rechtslage.
Künftig wird aber schneller auffallen, wenn sich jemandbeharrlich weigert, seiner Pflicht zum Besuch des Inte-grationskurses nachzukommen. Wir werden also erst-mals das bekommen, was Sie immer anmahnen: belast-bare Zahlen über Integrationsverweigerer. Wir gebenden Ausländerbehörden ein Instrument, um dagegenvorzugehen und dafür zu sorgen, dass die Integrations-angebote, die wir vorhalten und in die wir viele HundertMillionen Euro investieren, angenommen werden. Ichhalte das für genau den richtigen Weg.
Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärken wir dieRechte von Zwangsverheirateten, und wir bekämpfenkonsequent Scheinehen. Wir wissen von den Visastellenunserer Botschaften, gerade aus den Hauptherkunftslän-dern der nachziehenden Ehegatten, dass die Zahl derScheinehen nach wie vor hoch ist und der Nachweisschwerfällt.
Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Veit?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Veit.
Herr Kollege Grindel, habe ich das eben aus Ihrem
Munde richtig verstanden, dass Sie bis zum heutigen
Tage überhaupt keine Zahlen oder Schätzungen dazu ha-
ben, wie viele Integrationsverweigerer in dem von Ihnen
beschriebenen Sinne es überhaupt gibt? Das würde sich
mit den Auskünften Ihrer Sachverständigen vom Montag
decken.
Ich habe gesagt, dass solche Untersuchungen zumersten Mal von allen Ausländerbehörden in Deutschlanddurchgeführt werden. Bisher gab es das punktuell. Aufdiesem Wege haben wir valide Zahlen bekommen.
Wir wissen: Ja, es gibt Integrationsverweigerung.
Alle Ausländerbehörden müssen nun nach einem Jahrgenau überprüfen: Sind die Neuzuwanderer, die nichtausreichend Deutsch sprechen, ihrer Pflicht, einen Inte-grationskurs zu besuchen, tatsächlich nachgekommen?
Nach einem Jahr werden wir also wissen, wer von de-nen, die verpflichtet waren, einen Integrationskurs zu be-suchen, sich beharrlich geweigert hat.
Wir werden zum ersten Mal flächendeckend für ganzDeutschland sehr genau wissen, wie viele Personen die-ser Pflicht nicht nachgekommen sind. Natürlich gibt esbestimmte Gründe, die es unmöglich machen können, ei-nen Integrationskurs zu besuchen, zum Beispiel eineSchwangerschaft oder gesundheitliche Probleme. Unsgeht es aber darum, festzustellen, wer sich beharrlichweigert.Die Ausländerbehörden werden mit diesen Personenintensive Gespräche führen, um sie davon zu überzeu-gen, wie wichtig es ist, Deutsch zu lernen. Wer dies kriti-siert, der will nicht nur nicht wissen, wie viel Integra-tionsverweigerung es gibt, sondern der hilft auch nichtdabei, alle Zuwanderer dafür zu gewinnen, die deutscheSprache zu lernen, etwas über unsere Gesetze und dieverfassungsrechtlichen Grundlagen zu erfahren. Das istdas Ziel. Wir wollen die Menschen nicht nach Hauseschicken. Wir wollen gern Zahlen zur Integrationsver-
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Reinhard Grindel
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weigerung. Wir wollen, dass alle Zuwanderer die vor-handenen Integrationsangebote tatsächlich annehmenund die Ausländerbehörden dies überprüfen. Das ist dasZiel unserer Gesetzesänderung.
Ich komme zum Thema Scheinehen zurück. Wir wis-sen von den Visastellen, die die Entwicklung sehr genaubeurteilen und beobachten können, dass die Zahl derScheinehen nach wie vor hoch ist. Eine der wenigenneuen Erkenntnisse, die wir in der Anhörung gewonnenhaben, ist, dass die Ausländerbehörden in der Tat sagen:Wir brauchen mehr Zeit, um Scheinehen aufdecken zukönnen. – Diese zusätzliche Zeit werden wir ihnen mitunserer Gesetzesänderung einräumen.
Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine weitere Zwi-
schenfrage, diesmal des Kollegen Kilic vom Bündnis 90/
Die Grünen?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Grindel, in Ihrem Gesetzentwurf führen
Sie aus, dass die Zahl der Fälle, in denen der Verdacht
einer Scheinehe besteht, zugenommen hat. In diesem
Zusammenhang hat die Linke die Bundesregierung ge-
fragt, weshalb sie vor diesem Hintergrund die Mindest-
ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre verlängern will.
Auf diese Frage hat die Bundesregierung geantwortet,
im Jahre 2010 habe es circa 5 000 und im Jahre 2000
circa 1 000 solcher Fälle gegeben. Als wir, die Grünen,
eine ähnliche Frage gestellt haben, hat das Innenministe-
rium eine andere Zahl erwähnt. Uns wurde für das Jahr
2009 die Zahl 529 genannt.
– Ermittlungsverfahren, ja. – Daraufhin haben wir noch
einmal gefragt, weil uns keine schlüssige Zahl genannt
werden konnte. Herr Ole Schröder hat unsere Frage
heute wie folgt beantwortet: Es gibt dazu überhaupt
keine Statistik; wir können das nicht schlüssig darlegen.
In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie aber, die Zahl
dieser Fälle habe zugenommen. Müssen wir das so ver-
stehen, dass Sie Ihre letzte Patrone ins Blaue schießen?
Ist es anständig, wenn der Gesetzgeber eine solche Be-
gründung anführt?
Herr Kilic, ich habe schon mehrfach, bei der Einbrin-gung des Gesetzentwurfes und auch eben, gesagt – ei-gentlich müssten auch Sie diese Informationen haben;Sie sind ja des Öfteren in der Türkei –, dass Sie die Mit-arbeiterinnen unserer Visastellen in Istanbul, Ankara undIzmir, die für Visa zum Zwecke der Familienzusammen-führung bzw. des Ehegattennachzuges zuständig sind– es sind fast nur Frauen, die dort tätig sind –, einmalfragen sollten, wie ich es getan habe: Wie hoch schätzenSie die Zahl der Scheinehen?
Schließlich haben sie in ihrer jahrelangen Tätigkeit um-fangreiche Erkenntnisse gewonnen.
Die Mitarbeiterinnen werden Ihnen sagen: Diese Zahldürfte in den letzten Jahren stabil geblieben sein.Wenn Sie dann sagen, es habe im Jahr 2000 5 000Verdachtsfälle gegeben – damals galt eine vierjährigeMindestehebestandszeit; die Ausländerbehörden hattenalso vier Jahre Zeit, um solche Scheinehen aufzudecken –und wir hätten jetzt, bei nur zwei Jahren Mindestehebe-standszeit, nur 1 000 Verdachtsfälle, dann ist das dochein Argument zu meinen Gunsten. Denn das ist klar:Wenn man mehr Zeit hat, um Verdachtsfällen nachzuge-hen, dann deckt man auch mehr auf. Genau diese Mög-lichkeit wollen wir den Ausländerbehörden eröffnen.
Um auch das zu sagen, lieber Kollege Winkler: DieHärtefallregelung in § 31 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz prä-zisieren wir, indem wir die häusliche Gewalt als Regel-beispiel in das Gesetz hineinschreiben. Der Tatbestandder häuslichen Gewalt gab den Frauen übrigens schonvorher die Möglichkeit, ein eigenständiges Aufenthalts-recht zu erhalten. Deswegen sind diese Frauen hinrei-chend geschützt.
In der Anhörung haben die Auskunftspersonen keineneinzigen Fall benennen können, in dem die Härtefallre-gelung nicht hinreichend berücksichtigt worden und insLeere gelaufen wäre. Insofern ist es unfair und nicht inOrdnung, wenn Sie unsere Gesetzesänderung hier alsschäbig bezeichnen. Das Gegenteil ist der Fall: DieFrauen, die in der Ehe unter Gewalt und anderen schwe-ren Nachteilen leiden, sind hinreichend geschützt. Daranändert sich mit unserer neuen gesetzlichen Regelungüberhaupt nichts. Das war uns wichtig.
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Insofern möchte ich abschließend sagen: Wir habenmit diesem Gesetzentwurf eine Vielzahl von Anregun-gen aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationenaufgenommen. Wir haben Anregungen aus dem Bereichder Innenministerien aufgenommen. Daher bin ich mirganz sicher: Mit der Bleiberechtsregelung, mit den Ver-besserungen für Opfer von Zwangsheirat und Zwangs-verschleppung und bei der Residenzpflicht
wird es zu einer positiven Entwicklung im Zusammenle-ben zwischen Deutschen und Ausländern kommen. DerGrundsatz, den der Minister hier eingefordert hat, näm-lich „Fördern und Fordern“, findet sich in unserem Ge-setzentwurf exakt wieder, und deshalb bitte ich um Zu-stimmung.Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat die Kollegin Aydan Özoğuz von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Friedrich, ich schließe mich natürlich den gutenWünschen meiner Fraktion an. Ich denke, wir werdenhier durchaus noch einiges auszudiskutieren haben; übergewisse Dinge, die Sie gleich am Anfang Ihrer Amtszeitgesagt haben, möchte ich noch sprechen, aber an andererStelle.Lieber Herr Grindel, ich sage es vorweg: Ich werdeSie auch in Zukunft nie darüber befragen, was Ihre Frauabends zu den Dingen sagt, die Sie hier am Tag von sichgeben.
Ich sage das nur mal; ich kenne Sie schließlich ein biss-chen. Wir sollten es dabei belassen.
– Ich habe es ja freundlich gesagt.Es steht am Ende fest, dass hier ein Gesetz unnötigdurchgepeitscht wird; das haben alle Sachverständigenam Montag gesagt.Ich habe mich gewundert, wie geduldig diese Sach-verständigen eigentlich waren, zumal die CDU/CSU-Fraktion in der letzten Stunde nur noch mit einer Personin dieser Anhörung vertreten war.
Sie haben den Sachverstand überhaupt nicht gewürdigt.Sie haben in der letzten Woche viele Punkte nachge-reicht, und diese Punkte sollten die Sachverständigenmit behandeln. Sie haben selber gesagt, dass das garnicht möglich war. Daher hätte etwas mehr Respekt vordem, was uns Sachverständige liefern, gezeigt, dass Siees mit diesem Gesetz ernst meinen. Dass Sie es nichternst meinen, zeigt, dass Sie es heute in aller Eile durch-peitschen müssen. Auch heute gibt es auf die Frage, wa-rum darüber nicht vernünftig gesprochen wird, nichteine inhaltliche Antwort.
Kurz gesagt: Dass es gut ist, dass das Rückkehrrechteingeführt wird, wurde erwähnt. Es sollte aber unabhän-gig davon gestaltet werden, wie alt die Betroffenen sind.An dieser Stelle noch der kurze Hinweis: Es ist auchegal, ob sie volljährig sind, wenn sie nach Deutschlandeingereist sind. Das wurde hier noch nicht explizit ge-sagt, und daher möchte ich es hier erwähnen. Es ist dochvollkommen unabhängig davon. Denn selbst wenn sienach Ihren Kriterien integriert wären, wäre das kein Hin-dernis. Insofern könnten Sie sich hinsichtlich diesesPunktes wirklich ein wenig bewegen.Dass der eigene Straftatbestand „Zwangsheirat“ Sym-bolpolitik ist, wurde hier schon mehrfach gesagt, undzwar zu Recht. Sie tun immer so – auch Herr Friedrichhat das heute getan –, als wäre das vorher überhaupt keinThema gewesen. Sie wissen: Es war schon ein Straftat-bestand.
Jetzt haben Sie symbolisch einen eigenen Straftatbestandeingeführt und meinen, damit etwas verhindern zu kön-nen. Kein Sachverständiger – auch keiner von Ihren –hat diese Prognose bestätigt. Es bleibt also erst einmalabzuwarten.
– Nein, das haben sie nicht bestätigt. Da waren wir wohlin verschiedenen Anhörungen.
Sie haben eben gesagt, dass Sie mit sehr vielen NGOsgesprochen haben. Ich frage mich wirklich, mit welchen.Gerade weil Sie das Christliche hier immer wieder wie-derholen: Die Prälaten der EKD und des Kommissariatsder deutschen Bischöfe haben am 11. März 2011 an unsalle geschrieben. Sie haben gesagt, dass die Annahme
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Aydan Özoðuz
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Aydan Özoğuzvollkommen haltlos ist, dass man mit der Erhöhung derMindestehebestandszeit von zwei auf drei Jahre etwasverhindern kann. Es bringe die Frauen in eine schlechteLage, hieß es, und man solle das auf gar keinen Fall ma-chen.Es haben uns sehr viele Organisationen geschrieben.Wir haben mit ihnen darüber gesprochen. Man fragtsich: Mit wem haben Sie gesprochen? Vielleicht habenSie ja mit welchen gesprochen, aber das, was sie gesagthaben, haben Sie in dieses Gesetz dann aber nicht einge-arbeitet. Das kann man festhalten.
Bei der Anhörung wurde auch gesagt, dass man dochauch einmal mit der Gruppe der potenziell Betroffenenoder mit denjenigen sprechen sollte, die mit diesen di-rekt zusammenarbeiten. Es gibt beispielsweise ein Ak-tionsbündnis muslimischer Frauen, das sich gegründethat und sogar vom Bundesministerium gefördert wird.Sie haben nie mit ihnen gesprochen, wie ich erfahrenhabe. Auch die haben noch einmal gesagt: Diese Frauenhaben Angst, sich zu melden; sie haben Angst vor Ab-schiebung. Es wird eher so sein, dass sie noch ein drittesJahr in diesem Gefängnis der Ehe bleiben, als dass ihnenmit dieser Regelung wirklich geholfen wird. – Was Sieda machen, geht also einfach nicht.
Die Zahlenspielerei und Ihren Hinweis auf Visastel-len finde ich schon besonders bemerkenswert.
Die Bundesregierung sagt ja selber, belastbare Zahlenkönne man nicht nennen.
Was macht dann der Abgeordnete Grindel? Er fährt indie Visastelle und fragt: Was habt ihr denn für Zahlen?Die antworten: Wir verdächtigen soundso viele. – Dassind dann für Sie all die Scheinehen. Das kann doch nunnicht wirklich irgendeine belastbare Größe für unser Ar-beiten hier im Bundestag sein. Das halte ich für absurd.
Letzter Punkt. Die Integrationskurse.
Sie haben eben noch einmal von Anreizen gesprochen.Das Wort „Anreiz“ ist ja gefallen. Wenn man den Leutendann, wenn sie den Deutschtest bestehen, die Aufent-haltserlaubnis gibt – übrigens nur für bis zu einem Jahr;Sie sagen ja: „bis zu einem Jahr“; es ist einmal festzuhal-ten, dass Sie nicht „ein Jahr“ sagen –, dann schafft dasIhrer Meinung nach einen Anreiz. Was Sie damit inWirklichkeit erreichen, ist doch Folgendes: Diejenigen,die mit guter Bildung hierherkommen und eine gute Vo-raussetzung haben, eine fremde und zudem schwereSprache wie Deutsch schnell zu lernen, sollen schnellraus aus dieser Sache sein, eine solche Aufenthaltser-laubnis längerfristig haben und hier gut bleiben und ar-beiten können. Die anderen werden an einem Gängel-band gehalten.
Frau Özoğuz.
Ich bin sofort beim letzten Satz. – Damit schaffen Sie
so etwas wie eine zweite Kettenduldung.
Es wird also immer scheibchenweise etwas dazugege-
ben. Sie verhindern, dass diejenigen arbeiten können;
denn niemand gibt ihnen Arbeit, wenn sie keine ordentli-
che Aufenthaltsperspektive haben. Sie verhindern, dass
sie wirklich Anreize haben, sich hier viel besser zu inte-
grieren.
Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.
Das wird für die gesamte deutsche Gesellschaft in
meinen Augen kein Vorteil sein.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Serkan Tören von der FDP-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeAydan, ich war am Montag auch in der Anhörung. Dorthaben uns die Sachverständigen ganz eindeutig gesagt,dass ein eigener Straftatbestand „Zwangsehe“ eine Si-gnalwirkung hat und ganz klar zeigt, dass unsere Gesell-schaft mit so etwas nicht klarkommt und dass wir dasauch strikt unterbinden wollen.
Dass wir ein Problem mit Scheinehen haben, zeigt jaauch der Beispielsfall eines ehemaligen SPD-Abgeord-neten aus Hamburg. Ich glaube, dass das durchaus vor-handen ist; darüber brauchen wir uns hier auch nicht zustreiten.
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Serkan Tören
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Sprachkenntnisse sind und bleiben die Voraussetzungfür ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland.Dieses Kriterium gilt übrigens für alle Einwanderungs-länder. Ob Neuseeland oder Kanada: Für eine PermanentResidence, also eine Niederlassungserlaubnis, werdenmindestens grundlegende Sprach- und Landeskenntnissegefordert.Ich halte diese Voraussetzung für sachlich völlig rich-tig. Es ist unerträglich, wie insbesondere die Kollegender Linken immer wieder versuchen, dieses Kriteriumals Schikane gegenüber Zuwanderern darzustellen.
: Das ist es doch
auch!)Deutsche Sprachkenntnisse sind die Voraussetzungfür Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft.Diejenigen, die das leugnen, handeln verantwortungslos.
Wenn wir Zuwanderer verpflichten, Deutsch zu lernen,und kostenintensive Angebote schaffen, dann müssenwir auch klare Erwartungen und Ziele definieren und vorallem auch deren Einhaltung überprüfen, mit allen Kon-sequenzen, und zwar zeitnah. Es soll künftig nach einemJahr erfolgen. Ich halte das nicht nur für die Motivationder Zuwanderer für wichtig, sondern auch – das sage ichin aller Deutlichkeit – für die Arbeit der Ausländerbe-hörden vor Ort.Die meisten Zuwanderer nehmen die Kurse ernst undwollen unsere Sprache zügig lernen.
Für alle anderen gibt es nun klare Anreize.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Bleiberecht fürMinderjährige war längst überfällig. Jetzt werfen unsaber einige Propheten und Hobbystatistiker vor, das vor-liegende Gesetz sei kein echter Fortschritt;
denn letztlich würden nur sehr wenige Jugendliche da-von profitieren, weil wir den erfolgreichen Schulbesuchvoraussetzen, das aber nicht bis auf die letzte Schul- undKopfnote definieren.Die Welt ist jenseits von Zeugnissen und Urkundenkomplizierter, als es Ihre Fantasie vielleicht zulässt. Dasgilt insbesondere für junge Menschen mit einem unsi-cheren Aufenthaltsstatus. Genau deshalb legen wir dasKriterium „erfolgreich“ auch nicht bis ins letzte Detailfest. Die Behörden vor Ort brauchen den Spielraum, umden Realitäten dieser Schüler Rechnung zu tragen. Damag es Krankheit, Traumata oder eine unzureichendeFörderung geben. Vielleicht musste der Jugendliche inseiner Schulkarriere eine Klasse wiederholen. Das alleskann und sollte vor Ort und im Einzelfall berücksichtigtwerden.Uns zu unterstellen, wir wollten den Kreis der be-günstigten jungen Menschen absichtlich besonders kleinhalten, ist nicht nur falsch,
es ist auch den vielen Tausend Jugendlichen und ihrerberechtigten Hoffnung gegenüber unwürdig.Mit diesen Regelungen sagen wir nicht: Seht zu, woihr bleibt und wie ihr zurechtkommt! – Nein, insbeson-dere wir Liberale sagen: Bemüht euch, so gut ihr könnt,und nehmt eure Chancen wahr! Dann habt ihr eine si-chere und gute Zukunft in Deutschland.
Das ist keine Sanktion. Es ist ein Anreiz, eine Einla-dung und ein großartiges Versprechen.In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksam-keit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämp-fung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Op-fer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weitereraufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften.Zuvor will ich noch mitteilen, dass eine Erklärungnach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt, die wir zu Pro-tokoll nehmen.1)Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Ge-setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/4401in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionder SPD für ein erweitertes Rückkehrrecht im Aufent-haltsgesetz. Der Innenausschuss empfiehlt unterBuchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/5093, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPDauf Drucksache 17/4197 abzulehnen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-1) Anlage 10
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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tionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Ent-haltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/DieGrünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-schäftsordnung die weitere Beratung.Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionder SPD zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der In-nenausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Ge-setzentwurf der SPD auf Drucksache 17/207abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenbei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Enthaltung derFraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abge-lehnt. Wiederum entfällt die weitere Beratung.Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion DieLinke zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der Innen-ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 17/5093, den Gesetzentwurfder Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1557 abzuleh-nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung derFraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Auch hierentfällt die weitere Beratung.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 17/2325 mit dem Ti-tel „Menschenrecht auf Freizügigkeit ungeteilt verwirk-lichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der FraktionenDie Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Unter Buchstabe f empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 17/4681 mit dem Titel „Für ein wirksames Rück-kehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer vonZwangsverheiratungen“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstim-men der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen.Weiterhin empfiehlt der Innenausschuss unterBuchstabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnungdes Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 17/1571 mit dem Titel „Für eine wirksameund stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsrege-lung im Aufenthaltsgesetz“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen DieLinke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung derSPD-Fraktion angenommen.Unter Buchstabe h empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 17/2491 mit dem Titel „Opfer vonZwangsverheiratungen wirksam schützen durch bundes-gesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative“.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/DieGrünen sowie Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-men.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-be i seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 17/3065 mit dem Titel „Residenzpflicht abschaffen –Für weitestgehende Freizügigkeit von Asylbewerbernund Geduldeten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auchdiese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen DieLinke und Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung derSPD-Fraktion angenommen.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten MatthiasW. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEFür eine gerechte Angleichung der Renten inOstdeutschland– Drucksache 17/4192 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Roland Claus von der Frak-tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Linke fordert in der Tat gleiche Renten fürgleiche Lebensleistungen in Ost und West. Ich stelle ersteinmal erstaunt fest, dass der neue Bundesinnenminister,der bis eben hier auf der Regierungsbank saß, die seinneuer Arbeitsplatz ist, inzwischen den Plenarsaal verlas-sen hat. Ich weiß, dass der Bundesinnenminister für denOsten zuständig ist. Vielleicht muss ihm jemand erklä-ren, dass es sinnvoller wäre, hier zu bleiben.
Ich weiß, dass derjenige, der die Begriffe Ost undWest in den Mund nimmt, zuweilen als Ewiggestriger
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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angesehen wird. Aber zweigeteiltes Rentenrecht ist nochimmer Realität in dieser Republik und nicht irgendeinPhantomschmerz der Linken.Ich will Ihnen von der jungen Frau Tina H. ausNaumburg an der Saale erzählen. Tina H. wurde am16. November 1989 geboren, eine Woche nach demMauerfall. Im September 2006 begann sie ihre Berufs-ausbildung, und ab diesem Datum erwarb sie Rentenan-sprüche. Das war der Tag, an dem ihr gesagt wurde: Mitdeinem Eintritt in das Berufsleben musst du Rentenab-schläge Ost in Kauf nehmen. Du bist uns 11 Prozent we-niger wert. Du kriegst weniger.
– Natürlich ist das verkürzt, aber Fakt ist doch auch: Dasist 21 Jahre nach der deutschen Einheit so etwas von ab-surd, dass Sie von der Koalition nicht dazwischenrufen,sondern sich einfach nur schämen sollten. Das muss Ih-nen einmal so gesagt werden.
Wenn Sie selbst den Nachwendegeborenen gleichesRecht verweigern, dann ist das ein Anachronismus, denwir überwinden wollen.
Ich darf Sie erinnern: In Ihrem eigenen Koalitionsver-trag steht auf Seite 84 der Satz:Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitli-ches Rentensystem in Ost und West ein.
Nichts ist bisher geschehen. Aber auf die Frau Bundes-kanzlerin – das weiß ich wohl – haben im Osten vieleMenschen vertraut. Sie hatten die Erwartungshaltung:Sie weiß doch, was bei uns los ist. Sie muss sich dochfür uns einsetzen. – Alles bisher Fehlanzeige. Sie ist da-mit verantwortlich für sehr viel Enttäuschung und Frustin den neuen Bundesländern.
Ich will Sie auch daran erinnern, dass es Bundeskanz-lerin Merkel war, die am 9. Deutschen Seniorentag teil-nahm, der im Juni 2009, drei Monate vor der Bundes-tagswahl, stattfand. Dort hat sie eine Lösung für dieAngleichung der Ostrenten noch in der ersten Hälfte derLegislaturperiode versprochen.
Nichts ist bisher geschehen. Deshalb erwarte ich, dassvon der Kanzlerinnenpartei, der CDU, in dieser Debattehier jetzt Klarheit geschaffen wird.
Die Linke hat diese Problematik bekanntlich von An-fang an benannt –
mir ist es seit Volkskammerzeiten 1990 bekannt – undbringt nun einen Vorschlag ein, der von mehreren Ge-werkschaften und Sozialverbänden ausgearbeitet wurde,in dem gewissermaßen schon ein Kompromiss steckt.Zugleich wird damit aber auch klar, dass in diesemBündnis ein Weg gefunden wurde, der gangbar ist. Wirwissen, er ist nicht einfach, aber wir wollen diesen Weggehen und das Problem im Zeitraum 2012 bis 2016 ge-löst wissen.Der Lösungsweg wird in unserem Antrag beschrie-ben: Es muss eine deutliche Verbesserung der Lage derOstrentner von heute geben, die Hochwertung der Ost-löhne soll weiter bleiben, und es soll eine steuerfinan-zierte, stufenweise Zuschlagsregelung für die Jahre 2012bis 2016 geben. Dagegen erheben sich zuweilen Ein-wände; die Argumente sind aber hinlänglich ausge-tauscht.
Wir dürfen hierbei nicht außer Acht lassen, dass imOsten im Moment sehr viele auf ein Leben in Altersar-mut hinarbeiten. Vergessen wir nicht: Nur 50 Prozent derBeschäftigten haben überhaupt einen Arbeitsvertrag mitTarifbindung. Wir haben einen Lohn- und Einkommens-abstand zwischen Ost und West von inzwischen etwa800 Euro monatlich. Wir haben im Osten im Vergleichzur gesamten Bundesrepublik einen doppelt so hohenTeilzeit- und Leiharbeitsanteil. Das alles führt dazu, dassRentenansprüche künftig so gering sind, dass Altersar-mut entsteht. Das ist ein Zustand in dieser Republik, denwir einfach nicht hinnehmen und nicht dulden wollen.
Ich habe schon im Vorfeld gehört, unsere Forderun-gen seien billiger Wahlkampf. Dazu sage ich Ihnen nureines: Billig ist das wirklich nicht, was wir hier vorschla-gen.
Wenn Wahlkampf heißt, den Leuten vor der Wahl dieWahrheit zu sagen und die Lügen der Regierung Lügenzu nennen, dann können Sie das auch Wahlkampf nen-nen.
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Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das Ziel ist klar – wir sind uns an dieser Stelleauch einig –: eine gerechte Angleichung der Renten inOstdeutschland.
Sie haben die entsprechende Passage aus unserer Koali-tionsvereinbarung zitiert. Wir sind auf dem Weg dahin,dieses Ziel zu erreichen. Es geht uns darum, dass eineGleichbehandlung von Ost und West stattfindet, dasheißt, dass es zu einem einheitlichen Rentenwert in Ostund West kommt.Gleichwohl sage ich aus ostdeutscher Perspektive, dieich repräsentiere: Angleichung heißt nicht automatisch,dass ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner mehr Geldbekämen. Der Sachverständigenrat kam zu verschiede-nen Ergebnissen und stellte unter anderem fest, dass diejetzigen Rentner aus den neuen Bundesländern nicht au-tomatisch mehr Rente bekämen, da ein höherer Renten-wert durch weniger Entgeltpunkte – ich weiß, da sindwir anderer Meinung als Sie – ausgeglichen werdenmüsste. Es ist nur recht und billig, dass Sie das den Bür-gerinnen und Bürgern ebenfalls sagen.
Die unterschiedliche Bewertung der Löhne in Ost undWest weiterhin festzuschreiben, wie Sie es fordern,würde meiner Meinung nach gerade nicht zu einerGleichbehandlung führen, um die es uns – Stichwort:Gerechtigkeit – doch eigentlich gehen sollte. Die An-gleichung – so sehen wir das; ich weiß nicht, was Siesich vorstellen – führte dazu, dass diejenigen, die jetzt inFrankfurt an der Oder Anwartschaften erarbeiten, ebennicht oder nur nach einem längeren ArbeitszeitraumRenten in der gleichen Höhe bekommen wie diejenigen,die in Frankfurt am Main Anwartschaften erarbeiten.Das ist ebenfalls ungerecht.
Wenn Sie, liebe Kollegen von der Linken, den Ein-druck erwecken, dass es möglich sei, nur die Entgelt-punkte bzw. Rentenpunkte anzugleichen, ohne dabei dieHöherwertung der Einkommen anzutasten, schüren Sieeine Illusion – unter anderem eine finanzielle –, sowohlbezogen auf den Einzelbürger als auch auf die Kassen.
Letztlich belügen Sie ein Stück weit Ihre Wähler, weildas so nicht machbar ist. Das Ganze ist illusorisch, nichtnur im Hinblick auf das Finanzvolumen. Wenn man aneinem Mobile auf der einen Seite etwas kappt,
dann kann man nicht davon ausgehen, dass es auf der an-deren Seite keinen Ausschlag gibt; schließlich wird dieBalance nicht gewahrt. Wir haben es nicht mehr nur mitden Unterschieden zwischen Ost und West zu tun; inzwi-schen gibt es in Deutschland auch andere Unterschiede.Sich nur darauf zu berufen, dass die Spaltung zwischenOst und West noch da ist – sie ist tatsächlich noch da –,ist nicht legitim; das ist nämlich nicht das Einzige, wasman in die Waagschale werfen muss. Sie wollen Unge-rechtigkeit verhindern. Darin sind wir mit Ihnen einig.Folgte man Ihren Vorschlägen, bliebe aber die Unge-rechtigkeit aufseiten der alten Bundesländer bestehen.Das Problem ist: Die differenzierte Entgeltberech-nung im Osten geschah in der Hoffnung, dass es zu einerLohnsteigerung kommt, die bis heute aufgrund einigerBehinderungen in der gewünschten Schnelligkeit nichteingetreten ist. Aufgrund bestimmter Faktoren ist es alsonicht schnell genug geschafft worden, das Ziel der Ren-tenangleichung zu erreichen. Im Ziel als solchem sindwir mit Ihnen aber einig.Was die Problembeschreibung angeht, liegen wir nahbeieinander. Sie werfen uns vor, seit 20 Jahren nichts ge-tan zu haben. Dabei stellen Sie eine Verbindung zumThema Altersarmut her; das haben Sie hier ebenfalls ein-gebracht. Wir haben aber darüber geredet. Die Kommis-sion für die Entwicklung von Konzepten gegen Altersar-mut macht sich an die Arbeit. Auch wenn dieses Themaerst in einer Weile auf uns zukommt, gehen wir es alsojetzt schon an. Zu sagen, nichts sei geschehen, ist ein-fach ein bisschen lapidar.
Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner unter-halten. Ich habe mit Kollegen aus der SPD-Fraktion ge-sprochen. Wir haben mit Verdi Gespräche über das vonIhnen als Maßstab bezeichnete Verdi-Modell geführt.
Wir haben mit Bürgern verschiedenster ZugehörigkeitGespräche geführt, mit Bürgern aus dem Osten wie ausdem Westen, mit Bestandsrentnern sowie mit zukünfti-gen Rentnern. Wir haben festgestellt: Viele in den neuenBundesländern sind ungehalten. Das liegt aber auch da-ran, dass Sie diese Haltung ein Stück weit schüren.Wenn wir uns aber einzig und allein darum kümmern,führt das dazu, dass Bürger aus dem Westen genauso un-gehalten reagieren. Ich möchte aus einer Bürgerzuschriftzitieren: Das Baumaterial für die Brücke der Renten-überleitung nach 1990 war Geld, viel Geld. Dieses Geldkam ausschließlich aus dem Westen. Der Osten warpleite, wie ein Staat nur pleite sein kann. – Da wird aufdas gleiche Pferd gesetzt und nicht verstanden, warum
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10997
Frank Heinrich
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wir noch einmal nur die eine Seite betonen wollen. Auchaus dieser Perspektive müssen wir als Bundespolitikerdenken.Im Ziel sind wir uns relativ einig. Bei der Bewertungsind wir uns nicht ganz einig. Über den Lösungswegsind wir uns überhaupt nicht einig. Wir wollen gernesorgfältig arbeiten und dann einen Vorschlag präsentie-ren.
Heute Morgen gab es eine Pressemitteilung derVolkssolidarität, in der Professor Dr. Gunnar Winklermit den Worten wiedergegeben wird:Bis heute liegt dem Bundestag lediglich ein Antragder Fraktion DIE LINKE vor, während sich alle an-deren bislang zurückhalten.Das ist nicht wahr. Wir arbeiten. Wir wollen aber erstdann etwas vorlegen, wenn es wirklich eine gute Diskus-sionsgrundlage darstellt.
Jemand sagte mir gestern: Gutes Rechnen und Gründ-lichkeit geht vor Schnelligkeit.
– Nein, wir wollen nicht verzögern. Wir wollen aber, wiees immer wieder angekündigt wird, zur Mitte der Legis-latur dieses Ding sauber vorstellen.
In der heutigen Pressemitteilung der Volkssolidaritätheißt es außerdem:Wir wissen um die Schwierigkeiten einer gerechtenLösung, …Von Vertrösten oder davon, die Umsetzung durch Untä-tigkeit zu übergehen, kann keine Rede sein. Die Schwie-rigkeit besteht darin, eine wirkliche Gleichbehandlungumzusetzen.Unser Ziel ist weiterhin – wie in der Koalitionsverein-barung geschrieben – eine weitgehende Angleichung derLebensverhältnisse in Ost und West bis zum Jahr 2019.Wir suchen nach Möglichkeiten, die auf der einen Seiteeinen Weg bieten, die Bestandsrenten nicht zu mindern,und die auf der anderen Seite die Anwartschaften, diejetzt erarbeitet werden, nicht von vornherein verschlech-tern.
Das wirkt für viele wie die Quadratur des Kreises. Dasist aber unsere Aufgabe, die wir uns vorgenommen ha-ben und der wir uns stellen.Im Ziel sind wir uns einig, aber nicht im Weg. DieÜbertragung des Rentensystems – das habe ich auch ausIhren Mündern gehört – war eine große Leistung, auchwenn noch etwas Arbeit dabei bleibt. Die Löhne sindnach 1990 enorm gestiegen. Daran konnten auch Rent-nerinnen und Rentner teilhaben. Das war nicht selbstver-ständlich. Auch da ist noch etwas nachzulegen.
Genau an dieser Stelle gilt es, anzusetzen. Das haben Sieauch in Ihrem Antrag angesprochen. Dies geht zum ei-nen durch Angleichung und zum anderen durch Maß-nahmen auf dem Arbeitsmarkt.Sie wissen aus unseren Stellungnahmen im Sozialaus-schuss, dass es uns besonders wichtig ist, das Sozialsys-tem über Arbeit stabiler zu machen und damit auch dieRenten für die Menschen in Ostdeutschland zu stützen.Diesen Weg gilt es weiterzugehen. Über die Richtungsind wir uns einig, über den Weg leider noch nicht.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Silvia Schmidt von der
SPD-Fraktion.
Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! 20 Jahre nach der Wiedervereinigung kannman es den Rentnerinnen und Rentnern in den neuenBundesländern wirklich nicht mehr zumuten, dass im-mer noch unterschiedliche Rentenberechnungssystemeexistieren. Das ist so.
Lieber Roland Claus, auf der einen Seite reden wirvon Ungerechtigkeiten. Auf der anderen Seite sagen Sieaber: Die Höherwertung im Osten soll bleiben. Dannwürden neue Ungerechtigkeiten entstehen, zusätzlich zudenen, die zurzeit schon stattfinden. Die Leute in denneuen Bundesländern, die 100 Prozent Tarif bekommen,erhalten natürlich später deutlich mehr Rente als jemand,der in Frankfurt am Main arbeitet.
Das ist so, und das können wir auch nicht wegdenken.Lassen wir es einmal dabei.Ich glaube auch nicht, dass sich die Deutschen schä-men müssen. Gerade die Rentenleistung – das haben dieVäter der Einheit durchaus so gewollt – war ein großerSolidaritätsakt. Diesen muss man einfach anerkennen.Wer das nicht macht, verkennt die Lage.
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10998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Silvia Schmidt
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Wir brauchen – ich habe es schon in meiner letztenRede deutlich gemacht – endlich ein einheitliches Ren-tenrecht, um Ost und West in unserer Gesellschaft zu-sammenzuführen.Sehr verehrter Herr Heinrich, Sie haben das Modelldes Sachverständigenrates angesprochen. Dieses be-inhaltet im Grunde genommen eine rein technische Lö-sung. Im Klartext verlangt es von den Rentnern undRentnerinnen in den neuen Bundesländern, dass sie aufdie höhere Bewertung ihrer Verdienste um die fehlendenungefähr 11 Prozent verzichten. Das halte ich für unge-recht. Hier müssen wir zügig nach neuen Lösungsmög-lichkeiten suchen. Dabei werden auch Sie sicher mitma-chen.
Wir können allerdings sehr schnell dafür sorgen – dashabe ich bereits beim letzten Mal angesprochen; das fin-det sich auch im Positionspapier der SPD-LandesgruppeOst –, dass zum Beispiel die Kindererziehungszeiten unddie Wehrpflichtszeiten in Ost und West einen einheitli-chen Rentenwert erhalten. Auf beiden Seiten haben Müt-ter Kinder erzogen – ich glaube, da gibt es wirklichkeine Unterschiede –, und ebenso gab es auf beiden Sei-ten die Wehrpflicht; diese anderthalb Jahre müssen ingleicher Weise angerechnet werden. Hier können wirschnell handeln. Es gibt keinen sachlichen Grund, daeine Trennung vorzunehmen.
Wir können an diesen Beispielen sehr deutlich machen,dass die Lebensphasen in Ost und West gleich viel wertsind. Die Angleichung der Kindererziehungszeiten würdeim Schnitt pro Person 240 Euro im Jahr mehr kosten. Ichdenke, das kann sich eine Solidargemeinschaft durchausleisten.Die Rentensystemangleichung, das heißt die Anglei-chung der Rentenwerte auf der Basis von Entgeltpunk-ten, sowie die Höherwertung niedriger ostdeutscher Ein-kommen stellen eine sehr schwierige Aufgabe dar.Darüber müssen wir – da sind wir alle uns im DeutschenBundestag wohl einig – noch heftig diskutieren, um einegerechte Lösung zu finden.Den Vorschlag von Verdi finde ich persönlich sehrgut. Er ist auf zehn Jahre angelegt. In Ihrem Vorschlaghingegen, lieber Roland Claus, wird von fünf Jahren aus-gegangen. Das ist etwas zu kurz gesprungen.
Wenn wir die Lebensarbeitszeit der Rentner und Rentne-rinnen im Bestand ansehen und in diesem Zusammen-hang von Redlichkeit sprechen, dann müssen wir unsauch die Frage stellen, ob es redlich ist, davon auszuge-hen, dass diese Aufgabe innerhalb von fünf Jahren ge-stemmt werden kann. Das schafft keiner; da sollten wirganz ehrlich sein. Der Haushalt gibt das im Momentnicht her. Das sollten wir unbedingt zur Kenntnis neh-men.
Wir haben neue Vorschläge vorgelegt, auf die ichganz kurz eingehen möchte. Ich hatte bereits in meinerletzten Rede angesprochen, dass wir vorschlagen, fürbestimmte Personengruppen – bei einigen stimmen wirnatürlich nicht überein –, zum Beispiel mithelfende Fa-milienmitglieder, Balletttänzerinnen und -tänzer oderKrankenschwestern, einen Solidarfonds aufzulegen.
Denn es kann doch Frauen und Männern, die 35 oder40 Jahre gearbeitet haben, nicht zugemutet werden, spä-ter zum Amt gehen und Grundsicherung beantragen zumüssen. Wir erwarten, dass man hier noch einmal tief indie Tasche greift und 500 Millionen Euro in diesenFonds steckt, um diesen Frauen und Männern entgegen-zukommen.Ich will noch einen anderen wichtigen Bereich an-sprechen. Im Grunde genommen brauchen wir entwedereine Mindestrente, wie sie bis 1991 bestanden hat undauch noch fortgeführt wird – allerdings nicht mehr indem Maße –, oder eine Sockelrente, damit Altersarmutin Zukunft gar nicht mehr entstehen kann.
Das wird ein Problem für die Kommunen sein. Das müs-sen wir erneut angehen.
Die SPD hat im Willy-Brandt-Haus beschlossen, ge-meinsam mit der Kommission für Konzepte gegen Al-tersarmut einen Lösungsweg zu suchen. Diesen werdenwir dann sicherlich mit Ihnen gemeinsam gehen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir habenin den letzten Wochen und Monaten oft genug über dasThema Rentenangleichung in Ost und West diskutiertund wissen, dass es für uns alle kein leichtes Thema ist.Wir wollen Gerechtigkeit walten lassen, und zwar, wennes geht, für alle. Ich bin deshalb froh, dass die Koalitionaus CDU/CSU und FDP zum Beispiel Verbesserungenim Bereich des Opferentschädigungsgesetzes vorgenom-men hat. Egal ob jemand in Frankfurt am Main oder inFrankfurt an der Oder Opfer einer Gewalttat gewordenist: Er bekommt von der Unfallversicherung die gleicheEntschädigung.Dieser Weg, den Sie da eingeschlagen haben, ist einrichtiger Weg. Wir sollten diesen Weg gemeinsam wei-tergehen. Die Rentnerinnen und Rentner müssen sich aufdie Politik verlassen können. Für sie ist es nicht nach-vollziehbar, wenn Schwarz-Gelb so entscheidet unddann Rot-Grün vielleicht anders entscheidet. Rentnerin-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10999
Silvia Schmidt
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nen und Rentner brauchen Sicherheit. Das sind wir ihnenschuldig.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Claus, weil Ihre Aussagen seltsam anmuten, willich zunächst an Ihre Adresse Folgendes sagen: Die Un-terschiede zwischen Ost und West in der Rente hattenund haben wir nur, weil 1961 „angeblich“ niemand dieAbsicht hatte, eine Mauer zu bauen.
Auf der einen Seite dieser Mauer wurde in den fol-genden vier Jahrzehnten eine Volkswirtschaft vor dieWand gefahren. Sie können auch sagen: an die Mauergefahren. Auf der anderen Seite der Mauer ist ein Staatmit stabilen sozialen Sicherungssystemen entstanden,
der selbst die große Herausforderung der Überführungder Altersanwartschaften aus der ehemaligen DDR indas System des SGB VI gemeistert und geschultert hat.Das ist eine riesige Leistung.
Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass sichheute die politischen Erben derjenigen, die damals dieMauer gebaut haben, hier hinstellen und sagen: Ihr er-höht die Renten nicht schnell genug.
Herr Claus, so kann man es nicht machen. Das ist poli-tisch nicht glaubwürdig. Sie fischen hier im Trüben.Aber niemand, der das System ernsthaft beleuchtet, wirdIhnen das abnehmen.
Wir wollen unverändert eine zügige und zeitnahe An-gleichung des Rentenrechts in Ost und West. Das ist derPunkt, auf den wir uns im Koalitionsvertrag mit denKollegen der Union verständigt haben. Herr Claus, eineLegislaturperiode umfasst vier Jahre.
Wir haben erst eineinviertel Jahre dieser Legislaturpe-riode hinter uns; wir wollen auch noch in den kommen-den zweidreiviertel Jahren weiter an dem arbeiten, waswir uns im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 vorge-nommen haben. Wir wollen und werden ein einheitlichesRentenrecht einführen.Die FDP-Fraktion hat mit einem Antrag im Juni 2008als erste Fraktion im Deutschen Bundestag deutlich ge-macht, wie sie sich das vorstellt. Wir glauben nämlich,dass es 20 Jahre nach der deutschen Einheit Zeit ist, eineinheitliches Rentenrecht mit einheitlichen Rentenwer-ten, mit einheitlichen Entgeltpunkten und mit einer ein-heitlichen Beitragsbemessungsgrenze einzuführen. BeiWahrung aller Ansprüche, also bei Wahrung aller An-wartschaften, die Rentner in den neuen Bundesländern,aber auch Erwerbstätige mit Rentenanwartschaften er-worben haben – mit einem Wort: bei Besitzstandswah-rung –, soll ab einem Stichtag im ganzen Bundesgebietein gleicher Beitrag einen gleichen Rentenanspruch er-bringen. Ich denke, das ist eine klare und faire Lösung.Das kann die Richtschnur für das sein, was wir tun wol-len.
Dem hat sich übrigens der Sachverständigenrat derBundesregierung in seinem Jahresgutachten 2008/09 an-geschlossen. Ich zitiere von Seite 365 dieses Gutachtens:Da sich der in den ersten Jahren nach der Vereini-gung einsetzende Prozess einer Angleichung der inOstdeutschland gezahlten Löhne in den letzten Jah-ren zunehmend verlangsamt hat, seit dem Jahr 2005zum Stillstand gekommen zu sein scheint und einerzunehmenden Heterogenität der regionalen Entloh-nungsstrukturen in beiden Gebietsständen gewi-chen ist, führt das in den neuen Ländern geltendeRentenrecht zu verteilungspolitisch kaum zu ver-mittelnden Effekten.Auf Seite 376 des gleichen Gutachtens des Sachver-ständigenrats heißt es:Eine … Option besteht darin, eine besitzstandswah-rende Umbasierung der rentenrechtlichen Größensowohl in den alten wie in den neuen Ländern zu ei-nem bestimmten Stichtag … auf bundesweit ein-heitliche Größen durchzuführen.Das ist genau das, was die FDP zuvor schon vorgeschla-gen hatte.Einen Punkt, der für uns ganz wichtig war und denwir auf Vorschlag der Kollegen aus den neuen Ländernin unserer Fraktion aufgenommen haben, hat der Sach-verständigenrat weggelassen: eine Abfindungsregelungfür Entgeltpunkte Ost, die zum Umstellungsstichtagnoch eine Anpassungserwartung haben. Wir wollen hierein Wahlrecht schaffen, was ich nach wie vor für einefaire Lösung halte. Man soll sich für diese Anpassungs-erwartung entweder mit einer Einmalzahlung abfindenlassen oder die weitere Entwicklung des EntgeltpunktesOst abwarten können. Mit dieser Lösung werden die An-wartschaften der Versicherten in den neuen Bundeslän-dern fair berücksichtigt.
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11000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Heinrich L. Kolb
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Den Weg, den Sie, Herr Claus, vorschlagen, halte ichallerdings für nicht gangbar. Sie haben gesagt, dass dasauch etwas kostet. Ja, es kostet etwas.
Sie haben die Zahlen nicht genannt. Das sind in derEndausbaustufe, also nach fünf Jahren, erwartungsge-mäß etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr, und zwar steuer-finanziert.
Wenigstens ist das Ganze nicht auch noch beitragsfinan-ziert, denn dann wäre das Äquivalenzprinzip ganz offen-sichtlich verletzt. Im Ergebnis hätte man nun unter-schiedliche Rentenzahlungen für gleiche Beiträge, unddas ist etwas, was man nur schwer vermitteln kann.Ich sage das auch vor dem Hintergrund – das istmeine letzte Bemerkung in dieser Debatte – des Gutach-tens des Bundesrechnungshofes, das den Kollegen imHaushaltsausschuss im April 2010 zugeleitet wurde. Da-rin ist sehr deutlich gesagt worden – ich zitiere aus demBericht des Rechnungshofes an den Haushaltsausschuss –:Es besteht die Gefahr, dass die Gruppe der Beschäf-tigten, die auf Westniveau bezahlt werden, so großist, dass die Regelungen über die Entgeltpunkte Ostund über die Beitragsbemessungsgrenze Ost nichtmehr mit dem ursprünglichen Zweck vereinbarsind, dem Durchschnittsverdiener Ost einen gleichhohen Rentenertrag wie einem Durchschnittsver-diener im alten Bundesgebiet zu verschaffen.
Herr Claus, dieses Problem, das der Bundesrech-nungshof schon im letzten Jahr beschrieben hat, würdenSie mit Ihrer stufenweise steuerfinanzierten Lösungnoch weiter verschärfen. Am Ende wäre das gar nichtmehr darstellbar. Deswegen können wir Ihrem Vorschlagnicht zustimmen. Nehmen Sie Vernunft an. Sehen Siesich das, was wir vorgeschlagen haben, einmal in Ruhean. Ich glaube, das ist ein fairer und gerechter Weg, aufden man sich verständigen könnte. Aber Ihre Vorschlägekönnen unsere Zustimmung nicht finden.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob-wohl ich nur vier Minuten Zeit habe, muss man den Zu-schauerinnen und Zuschauern erst einmal ganz kurz er-klären, worüber wir hier überhaupt reden.
Entgeltpunkte, allgemeiner Rentenwert, Stufenmodelletc.: Das ist alles unglaublich kompliziert.
Vor 20 Jahren gab es eine Debatte darüber, wie mandie Ost-Mark in D-Mark umrechnet. Viele Ökonomenhaben davor gewarnt, das eins zu eins zu machen. Poli-tisch war das aber nicht anders möglich. In der Rente istdas aber nicht eins zu eins geschehen, sondern man hatgesagt, dass man die Rente während einer Übergangszeitfür Ost und West unterschiedlich berechnet.
Dementsprechend wurde für die Rente eine D-Mark imOsten anders angesetzt als im Westen.
Diese Übergangsfrist gilt immer noch. Deswegen findenwir es sehr richtig, dass, wie im Koalitionsvertrag steht,jetzt endlich ein einheitliches Rentenrecht in Ost undWest hergestellt werden soll.Der Unterschied im Rentenrecht ist Folgender: ImLaufe seines Lebens sammelt man Entgeltpunkte, unddiese Entgeltpunkte werden am Ende mit dem aktuellenRentenwert multipliziert. Bei den Entgeltpunkten zähltein im Osten verdienter Euro mehr für die Rente – imletzten Jahr noch 19 Prozent mehr – als ein im Westenverdienter.Auf der anderen Seite ist der aktuelle Rentenwert imOsten um zehn Prozent geringer. Im letzten Jahr betruger 24,13 Euro im Osten und 27,20 Euro im Westen. Dasführt also dazu, dass bei der Rente die Menschen im Os-ten insgesamt quasi bevorzugt werden, denn 1 Euro imOsten führt zu einer höheren Rente als 1 Euro im Wes-ten. Wir halten das für ungerecht und möchten sowohldiese Aufwertung als auch die unterschiedliche Behand-lung bei der Rente mit unterschiedlichen Rentenwertenabschaffen.
Man muss allerdings an beides herangehen.Das Problem ist: Der Satz im Koalitionsvertrag isttoll, es gibt aber immer noch kein Konzept der Bundes-regierung.
– Stellen Sie eine Frage, Herr Kolb. – Richtige Vor-schläge gibt es noch nicht. Es gibt ein paar Andeutun-gen. Das, was Herr Heinrich gesagt hat, klang relativsympathisch. Das nähert sich sehr dem Konzept der Grü-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11001
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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nen an. Das Konzept der FDP liegt davon allerdingsnoch weit weg. Von der Regierung haben wir bishernoch gar nichts dazu gehört. Es gab Antworten auf An-fragen, die lauteten: Es ist alles kompliziert und mussgerecht sein. – Das ist richtig. Es ist kompliziert, und esmuss auch gerecht sein. Aber wir erwarten von der Re-gierung endlich einmal Vorschläge.
Umgekehrt macht die Linke jetzt einen Vorschlag.Den halten wir allerdings auch nicht für überzeugend.Denn erstens wollen wir ein einheitliches Rentenrecht soschnell wie möglich. Die Rentenversicherung brauchtein bisschen Zeit, jedoch wäre eine Änderung zum Bei-spiel zum 1. Juli nächsten Jahres möglich. Wir brauchennicht, wie die Linke das jetzt vorschlägt, ein Stufenmo-dell bis 2016, das die Grenze zwischen Ost und Westnoch weiter zementiert. Nach Ihrem Vorschlag gäbe esauch nach 2016 noch immer kein einheitliches Renten-recht. Sie wollen einfach nur den aktuellen Rentenwertvereinheitlichen.
Das ist immer noch keine Einheit. Sie wollen die Grenzebeibehalten.Die Kollegin Schmidt sagte vorhin, das sei alles vielzu schnell, was die Linke fordere. Sie wolle lieber nochlänger warten. Auch das ist nicht unsere Position.Wir wollen möglichst bald, so schnell wie möglichein einheitliches Rentenrecht in Ost und West.
Der zweite Punkt, den wir für unbefriedigend halten,ist schon angesprochen worden. Nach dem Konzept derLinken wird wieder einmal Geld ausgeschüttet, ohne zusagen, wo es denn herkommt. Herr Claus sagte selber, essei nicht ganz billig. Aber wo das Geld denn herkommensoll, sagt er nicht.Man sieht also: Die Regierung hat kein Konzept. DieLinke hat ein Konzept, das falsch ist. Bei der SPD weißman nicht so genau, wie das Konzept aussieht. Es istalso gut, dass es die Grünen gibt, die Konzeptpartei.
Wir werden nächste Woche einen Antrag vorlegen, mitdem wir unser Konzept zur Diskussion stellen.
Dann können wir im Ausschuss noch einmal darüber re-den. Wie gesagt, der Herr Heinrich war ja schon so weit,dass er sich unserem Konzept sehr genähert hat. Viel-leicht können wir ihm ein paar Ideen vermitteln. Ichfreue mich auf die weitere Debatte dazu.Vielen Dank.
Der Kollege Max Straubinger hat das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ich bin gespannt auf die Vorschläge von HerrnStrengmann-Kuhn. In der Regel sind Sie immer dage-gen.
Das wissen wir ja in diesem Haus. Von daher werden wirdie Beratungen abwarten.Die Linken fordern heute wieder populistisch eineRentenangleichung, die eine gravierende Besserstellungder Menschen im Osten im Rentensystem bedeutenwürde, nämlich die Angleichung des Rentenwertes aufWestniveau bei gleichzeitiger Beibehaltung der Höher-bewertung der Ostzahlungen.
Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist sicherlichnicht im Sinne eines von den Bürgerinnen und Bürgerngetragenen und auch verstandenen Rentensystems. MitIhrem Antrag würde eine gewaltige Spaltung inDeutschland vollzogen werden. Das lehnen wir natürlichab.
– Das ist das Interesse der Linken in unserem Lande.
Man muss auch darlegen, dass gerade die jetzigenRentnerinnen und Rentner und die zukünftigen Rentne-rinnen und Rentner, die in Ostdeutschland leben, erstdurch die Wiedervereinigung eine wichtige und gute Al-tersversorgung bekommen haben. Denn im bankrottenSystem der DDR waren sie in der Vergangenheit auf dieAlmosen angewiesen, die der Fünfjahresplan den Rent-nerinnen und Rentnern zugestanden hat.
Das ist die Realität, Herr Kollege Claus.Wenn wir über die Rentenüberleitung und die Anglei-chung der Renten in Ost und West reden, dann solltenwir auch anfügen, dass die durchschnittlichen Rentender Menschen im Osten höher sind als im Westen. Dasist eine große solidarische Leistung auch der Beitrags-zahlerinnen und Beitragszahler im Westen. Dazu stehenwir.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie soll-ten in unserem Land keine Spaltung betreiben.
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11002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Max Straubinger
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Der Kollege Strengmann-Kuhn hat bereits verdeut-licht, dass das unterschiedliche Lohnniveau in Ost undWest im jetzigen Rentenrecht gut berücksichtigt wird. Ichmöchte es den Zuschauerinnen und Zuschauern auf derTribüne anhand von Zahlen verdeutlichen: Der Durch-schnittslohn im Westen liegt heute bei 31 000 Euro. Da-mit erwirtschaftet man im Westen einen Entgeltpunkt inder Rentenversicherung. Der Durchschnittsverdienst imOsten liegt bei 26 000 Euro. Damit erwirtschaftet manim Osten ebenfalls einen Entgeltpunkt.
Das bedeutet: Es werden gleiche Verhältnisse geschaf-fen, obwohl ungleiche Beitragszahlungen erfolgt sind.Dazu stehen wir. Herr Kollege Claus, die gesellschaftli-che Spaltung, die die Fraktion der Linken mit ihrem An-trag herbeireden will, gibt es also nicht. Damit sollen nurdumpfe Gefühle geweckt werden, mit denen Sie imWahlkampf bei den Bürgerinnen und Bürgern punktenwollen.
Das wird aber nicht verfangen – davon bin ich über-zeugt –, denn die Bürgerinnen und Bürger in der ehema-ligen DDR, in Ostdeutschland, wissen, dass sie sich aufdas deutsche Rentenversicherungssystem verlassen kön-nen und sie darüber hinaus eine gerechte Leistung fürdas bekommen, was sie in ihrem Leben erwirtschaftethaben.Verehrte Damen und Herren, es ist schon unver-schämt, sich hier hinzustellen und zu sagen: „Wir habenda noch ein kleines Finanzierungsproblem.“ KollegeKolb hat dargelegt, dass die Umsetzung Ihres Antrags zuMehrausgaben der Steuerzahler in unserem Land inHöhe von 6 Milliarden Euro führen würde.
– Pro Jahr, wohlgemerkt. – Das wird von Ihnen ver-brämt.
Wir zahlen bereits Steuermittel in Höhe von 80 Milliar-den Euro in unser Rentensystem, um damit für Solidari-tät in unserer Gesellschaft zu sorgen. Es ist aber notwen-dig, darauf hinzuweisen, dass die Finanzierung unseresRentenversicherungssystems vor allem über Beitrags-zahlungen und weniger über Steuermittel gewährleistetwerden muss.
Mit der Beitragsbezogenheit wird letztendlich die Grund-lage für eine vernünftige Rente geschaffen. Davon wirdaber mit Ihrem Antrag verstärkt Abstand genommen.Deswegen lehnen wir Ihren Antrag auch unter diesemGesichtspunkt ab.Ich möchte auf einen weiteren wichtigen Punkt einge-hen. Damit wir den Bürgerinnen und Bürgern auch zu-künftig gute Rentenleistungen bieten können, ist es ent-scheidend, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit desLandes zu erhalten. Ich erinnere mich noch an die De-batte, die wir heute frühmorgens geführt haben: DerKollege Gysi hat hier seine eigene wirtschaftspolitischePhilosophie dargelegt. Demnach soll der Siemens-Kon-zern auf Exporte von Maschinen und Anlagen für Kraft-werke verzichten. Damit würden wichtige, ertragreicheArbeitsplätze in unserem Land vernichtet, die dazu an-getan sind, unser Rentenversicherungssystem zu stützenund den Menschen soziale Sicherheit zu geben.
Daran zeigt sich sehr deutlich: Sie wollen wieder zurückzum alten sozialistischen System und damit die Men-schen sozusagen in Armut gleichmachen.
Das werden wir verhindern. Wir lehnen deshalb Ihre An-träge ab. Die Menschen können sich auf unser bewährtesRentenversicherungssystem verlassen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/4192 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union
– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund FDPEinvernehmensherstellung von Bundestagund Bundesregierung zur Ergänzung vonArtikel 136 des Vertrages über die Arbeits-weise der Europäischen Union hin-sichtlich der Einrichtung eines Europäi-schen Stabilitätsmechanismus
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 desGrundgesetzes i. V. m. § 10 des Geset-zes über die Zusammenarbeit vonBundesregierung und DeutschemBundestag in Angelegenheiten der Eu-ropäischen Union– zu dem Antrag der Fraktion der SPDzum Entwurf eines Beschlusses des Europäi-schen Rates zur Änderung des Vertrags überdie Arbeitsweise der Europäischen Unionhinsichtlich eines Stabilitätsmechanismusfür die Mitgliedstaaten, deren Währung der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11003
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Euro ist – Ratsdok. 17620/10 ,Anlage 1 –hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 desGrundgesetzes i. V. m. § 10 desGesetzes über die Zusammenarbeitvon Bundesregierung und DeutschemBundestag in Angelegenheiten der Eu-ropäischen UnionHerstellung des Einvernehmens bezüglichder Ergänzung von Artikel 136 AEUV zurEinrichtung eines Europäischen Stabilitäts-mechanismus verantwortlich gestal-ten– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. DietherDehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEzum Entwurf eines Beschlusses des Europäi-schen Rates zur Änderung des Vertrags überdie Arbeitsweise der Europäischen Unionhinsichtlich eines Stabilitätsmechanismusfür die Mitgliedstaaten, deren Währung derEuro ist – Ratsdok. 17620/10 ,Anlage 1 –hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3des Grundgesetzes– zu dem Antrag der Abgeordneten ManuelSarrazin, Alexander Bonde, Dr. GerhardSchick, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHerstellung des Einvernehmens zwischenBundestag und Bundesregierung zur Ände-rung des Artikels 136 des Vertrags über dieArbeitsweise der Europäischen Union hin-sichtlich eines Stabilitätsmechanismus fürdie Mitgliedstaaten, deren Währung derEuro isthier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 GGi. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zu-sammenarbeit von Bundesregierungund Deutschem Bundestag in Angele-genheiten der Europäischen Union– Drucksachen 17/4880, 17/4881, 17/4882,17/4883, 17/5094 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael StübgenMichael Roth
Michael Link
Dr. Diether DehmManuel SarrazinEs liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD zuihrem eigenen Antrag vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieAussprache 45 Minuten dauern. – Auch dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Michael Link für die FDP-Frak-tion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die FDPsetzt als Europapartei fest und konsequent auf die euro-päische Integration. Ein ganz zentraler Teil der europäi-schen Integration ist die gemeinsame Währung. Diesegemeinsame Währung ist in schweres Fahrwasser gera-ten. Ich lege aber großen Wert darauf, zu sagen: Wir ha-ben es nicht mit einer Euro-Krise zu tun.
Das ist eine Verschuldungskrise, teilweise auch eineBanken- und Wirtschaftskrise. Die Ursache für dieseVerschuldungskrise liegt weit vor dem Jahr 2008, in demdie Finanzkrise begonnen hat.
Ursachen waren extrem laxe und nachlässige Ausgaben-programme, eine überbordende Staatsverschuldung undein fortgesetztes Verstoßen gegen den Stabilitäts- undWachstumspakt. In den letzten Jahren hat die Europäi-sche Kommission zwar 26 Defizitverfahren eingeleitet,die Euro-Gruppe hat darauf aber exakt null Mal mitSanktionen reagiert.Aus meiner Sicht ist es wichtig, immer wieder zu sa-gen: Wir haben keine Euro-Krise, aber wir haben eineKrise, was die Art und Weise angeht, wie wir mit unse-ren Regeln umgehen. In zahlreichen Mitgliedstaaten ha-ben wir eine Verschuldungskrise. Das gilt übrigens auchfür die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere seitder Regierungszeit von Rot-Grün, und wir müssen heutehart arbeiten, um das aufzuarbeiten.
FDP- und CDU/CSU-Fraktion wollen, dass mit einemEuropäischen Stabilisierungsmechanismus die Lehre ausdieser Verschuldungs- und Bankenkrise gezogen wird.Der ESM und der Pakt für den Euro müssen ganz ent-scheidend dazu beitragen, dass die Stabilität im Euro-Währungsgebiet wiederhergestellt wird und künftigeVerschuldungskrisen vermieden werden. Dadurch kanndie europäische Integration gefestigt werden.Die EU benötigt daher dringend bessere Regeln, dieGläubiger wie Schuldner zu mehr Vorsicht bei der Kre-ditvergabe anhalten. Keinesfalls – ich unterstreiche das –darf eine Erleichterung bei der Kreditvergabe ermöglichtwerden.
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11004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Michael Link
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Der ESM darf kein Superkreditinstrument werden. ZurDisziplinierung der Regierungen mit Blick auf übergro-ßes Schuldenmachen bedarf es wirksamer, sanktionsbe-wehrter Schuldenschranken im Stabilitätspakt und im je-weiligen nationalen Recht. Die FDP-Fraktion unter-streicht deshalb ausdrücklich – das wird auch in demKoalitionsantrag deutlich –, dass wir im Bereich der au-tomatisierten Sanktionen vorankommen müssen. Das se-hen wir übrigens ebenso wie unsere Kollegen im Euro-päischen Parlament. Die sehr guten Vorschläge vonKommissar Rehn zur sogenannten Reverse Majority– Rückholbarkeit von Sanktionen nur innerhalb vonzehn Tagen mit umgekehrter Mehrheit – zielen aus unse-rer Sicht in die richtige Richtung. Dadurch geraten wirerst gar nicht in die Verschuldungskrise.Viel wichtiger als der ESM und die darin enthaltenenReparaturinstrumente ist die Vorsorge. In den nächstenWochen und Monaten müssen wir diesbezüglich – dassage ich an die Adresse der Bundesregierung – noch in-tensiv arbeiten, damit wir zu automatisierten Sanktionenkommen können.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass Regeln wie die desStabilitätspakts bei entsprechendem Willen politisch sointerpretiert werden können, dass sie ihre Wirksamkeitfaktisch verlieren. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wirdie Kontrollfunktion der Märkte wirken lassen. Die An-leger müssen mit ihren Anlagen im Risiko stehen. Nurdann lassen sie bei der Kreditvergabe Vorsicht walten.Nur dann werden Zinsen verlangt, die dem Risiko des je-weiligen Schuldners entsprechen, um sich gegen denVerlust der Forderungen abzusichern. Nur durch risiko-gerechte Zinsen wird das Schuldenmachen auf ein fürdas jeweilige Land erträgliches Maß begrenzt. DieserMechanismus funktioniert automatisch und besser, alsjeder Pakt es jemals könnte.Eine zentrale Forderung der Koalition war deshalbimmer, dass eine absehbare und kalkulierbare obligatori-sche Begleitbeteiligung der Gläubiger erfolgt. Das ist indem ESM-Verfahren enthalten. Wir hätten uns dasdurchaus noch stärker vorstellen können – das sage ichauch ganz deutlich –, aber wir wissen, dass man bei eu-ropäischen Lösungen natürlich auch immer gewisseKompromisse eingehen muss. Umso klarer muss sein– dies sage ich insbesondere mit Blick auf das Bundes-finanzministerium und die letzten Verhandlungsschrittebei der Euro-Gruppe am 21. März –, dass wir an diesemPunkt keinerlei Aufweichungen mehr zulassen dürfen.
Herr Kollege Link, lassen Sie Zwischenfragen zu?
Gern.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben zur Gläubigerbeteiligung ge-
sprochen. Ich würde mich dafür interessieren, wie die
Position Ihrer Fraktion dazu ist, dass die irische Regie-
rung der Auffassung ist, dass es bei den irischen Banken
eine Gläubigerbeteiligung geben kann, die anderen euro-
päischen Regierungen das aber bisher in der Sache ab-
lehnen, also gerade die Gläubigerbeteiligung, die Sie
einfordern, konkret verhindert wird. Wie steht Ihre Frak-
tion dazu?
Die Dinge, die jetzt zur Gläubigerbeteiligung in demBeschluss stehen – darin stehen sehr lange Passagen zurGläubigerbeteiligung –, sind in der Theorie sehr gut.Bleiben sie allerdings Rhetorik, dann droht dieser ge-samte ESM so, wie wir ihn jetzt machen, zu scheitern.Die Gläubigerbeteiligung muss effizient sein und darf– deshalb habe ich das gerade vorhin gesagt – politischnicht manipuliert werden. Die Weiche zwischen tempo-rär zahlungsunfähig und dauerhaft insolvent darf nichtimmer wieder von der Euro-Gruppe in die Richtung ge-stellt werden, dass es keine Gläubigerbeteiligung gibtund dass man sich anders durchwurschteln kann. Daswollen wir dezidiert nicht.Wir wollen aber auch nicht – das ist ja auch Teil IhrerFrage, Herr Kollege Schick – die Art von Gläubigerbe-teiligung, wie sie beispielsweise in dem Teil Sekundär-marktaufkauf, Buy-back-Aktionen angelegt war. DieseArt von Gläubigerbeteiligung ist für uns keine wirkliche,sie ist keine harte Gläubigerbeteiligung. Sie ist letztlichetwas, was aus unserer Sicht auch gegen das No-bail-out-Gebot verstoßen würde.Ich würde jetzt gern mit meiner Rede fortfahren.
Es ist für uns extrem wichtig – ich habe das Bail-out-Verbot erwähnt –, dass wir das No-bail-out-Gebot in denVerhandlungen sichern konnten. Das No-bail-out-Gebotgilt, und der neue Art. 136 AEUV wird nicht eine ArtSpezialgesetz, eine Lex specialis, zum Art. 125. Es wirdkeine Relativierung des Bail-out-Verbots, jedenfallsnicht mit unserem Koalitionsantrag, den wir heute vorle-gen, geben. Deshalb erwarten wir auch, dass dort, wonoch Fragen sind – zum Beispiel bei den Primärmarktan-leihen –, bei der Umsetzungsgesetzgebung entspre-chende Präzisierungen erfolgen. Es muss deutlich wer-den, dass es auch bei diesen Primärmarktanleihen nichtum organisierte große Programme geht, sondern umAusnahmefälle unter Konditionen und dadurch auch einklarer Abstand sowohl zum Bail-out-Verbot gewahrt istals auch umgekehrt das Ultima-Ratio-Prinzip gewähr-leistet ist. Denn es war für uns auch ein absolut zentralerPunkt, dass alle Hilfsmaßnahmen, gerade wenn es umDarlehen des ESM geht, nur als Ultima Ratio erfolgen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11005
Michael Link
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Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Koalitions-antrag sehr deutlich gemacht – wir werden auch auf demweiteren Weg der Umsetzung darauf achten –, dass esnotwendig ist, dass der Bundestag vor jeder Aktivierungdes ESM im Wege seiner Zustimmungspflicht konstitu-tiv beteiligt wird, das heißt, ein Parlamentsvorbehalt ge-setzt wird. Betroffen ist hierbei nicht mehr und nicht we-niger als das Königsrecht des Parlaments, dieHaushaltssouveränität.Betroffen ist auch – das Verfassungsgericht hat immerwieder darauf hingewiesen – Art. 20 des Grundgesetzes,das Demokratiegebot. Wir werden deshalb großen Wertdarauf legen, dass die Ratifizierung der Vertragsände-rung, zu der wir heute das Einvernehmen erteilen wol-len, und die Umsetzungsgesetzgebung in einem Schritterfolgen, um dadurch immer ein ganz konkretes Kon-troll- und Mitwirkungsrecht des Bundestages zu gewähr-leisten.Im Übrigen wünschen wir, dass wir den Pakt – dasmöchte ich nur einflechten – so gestalten, dass wir denStaaten, die heute noch nicht Teil der Euro-Zone sind,den Beitritt erleichtern können. Ich erinnere immer wie-der daran: Europäische Integration lebt auch davon, dasswir alle 27 mitnehmen. Ich weiß, es gibt diesbezüglichgroße Bedenken bei den Partnern. Wir müssen deshalbunbedingt immer darauf achten, dass wir es auch denje-nigen, die heute noch nicht am Pakt und an der Euro-Zone teilnehmen, ermöglichen, noch aufzuspringen. Wirmüssen das leicht und erreichbar machen.Mit der Verabschiedung des Antrags der Koalitionund unter den in ihm formulierten Rahmenbedingungenstellen wir das gesetzlich gebotene Einvernehmen mitder Bundesregierung für die Änderung des Art. 136AEUV her und werden unserer Integrationsverantwor-tung gerecht. Wir danken insbesondere der Frau Bundes-kanzlerin, dem Bundesaußenminister und dem Bundes-minister der Finanzen für den in den Verhandlungenbisher zurückgelegten weiten Weg und für die erreichtenErgebnisse. Wir wissen, dass diese Verhandlungenschwer sind und herausfordernd bleiben. Wir werden alsFDP-Fraktion die Verhandlungen deshalb weiterhin ak-tiv unterstützen und begleiten.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Michael Roth ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu-ropäischer Stabilitätsmechanismus – was für ein techno-kratisches Wort. Worum geht es? Es geht um Solidaritätim wohlverstandenen Sinne, nicht nur im wohlverstan-denen europäischen Sinne, sondern auch im wohlver-standenen nationalen Sinne. Es geht um Solidarität, weilwir als Exportnation ein Interesse an stabilen Märktenhaben müssen, weil wir an Wohlstand und sozialer Stabi-lität in allen europäischen Mitgliedstaaten ein Interessehaben müssen, weil wir an einem starken Euro und an ei-ner Europäischen Union, die sich nicht ständig mit sichselbst beschäftigt, sondern auch in der Lage ist, ihrer in-ternationalen Verantwortung gerecht zu werden, ein In-teresse haben müssen.
Insofern hat mich die Diskussion der vergangenenMonate, die maßgeblich auf das Konto von CDU/CSUund FDP geht, befremdet. Wenn wir von Solidaritäts-union sprechen, sprechen Sie von Transferunion. Sieflirten mit dem Boulevard nach dem Motto: Gutes deut-sches Geld hat in Griechenland, in Spanien und in Irlandnichts zu suchen. Die sollen sich gefälligst selbst um ihreProbleme kümmern und sie selbst lösen.Es ist uns nicht leichtgefallen, Ihren Weg, den Sieeben als lang beschrieben haben, zu verfolgen. Das wareher ein Zickzackkurs.
Die berühmte Springprozession ist nichts dagegen. Siehaben einmal erklärt, dass es überhaupt keinen Rettungs-schirm geben soll. Dann haben Sie sich nach langemAch und Weh für einen Rettungsschirm ausgesprochen.Dann hat die Bundeskanzlerin erklärt: Ja, Rettungs-schirm schon, aber er ist zeitlich befristet bis 2013.
Jetzt wurde ein Stabilitätsmechanismus, also ein Ret-tungsschirm, implementiert, der über 2013 hinaus dauer-haft gilt. Sie haben lang und breit erklärt – das findetsich auch in Ihren Anträgen –, der ESM, der Rettungs-schirm, dürfe um keinen einzigen Euro aufgestockt wer-den. Jetzt wird der ESM aufgestockt; aus Sicht der SPDgeschieht dies aus guten Gründen.Bei Ihnen weiß man nie, was Sie eigentlich wollen.Sie müssen einmal klären: Werden Sie Ihrer eigenen Tra-dition als europafreundliche Partei gerecht, die in Eu-ropa nicht einen Teil des Problems, sondern einen Teilder Lösung sieht,
oder wollen Sie weiterhin mit dem Boulevard, mit derBild-Zeitung flirten, weil Sie meinen, Sie könnten da-durch Ihr populistisches Mütchen kühlen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von CSU, FDP und leider auchTeilen der CDU?
Man muss deutlich sagen: Es gibt nur noch wenigeEuropaparteien hier in diesem Parlament. Das sind dieSozialdemokratische Partei Deutschlands
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11006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Michael Roth
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und sicherlich auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen.Sie hingegen haben sich von Ihrer eigenen Verantwor-tung verabschiedet.
Sie müssen nur in ein einziges Nachbarland fahren,um das zu sehen. Das deutsch-französische Tandemfunktioniert nicht mehr. Sprechen Sie einmal mit IhremParteifreund Jean-Claude Juncker. Er wird Ihnen insStammbuch schreiben, wie das früher lief und wie esheute unter Bundeskanzlerin Merkel läuft. Ich appellierean Sie: Werden Sie Ihrer eigenen Tradition gerecht.Dann kann etwas Gutes daraus werden. Aber, KollegeLink, erklären Sie uns nicht in acht Minuten nur, was Sienicht wollen. Sagen Sie uns doch einfach einmal, wasSie wollen und wo Sie Europa konstruktiv mitgestaltenwollen.
Dazu habe ich in Ihrem Redebeitrag leider – das sage ichtrotz aller persönlichen Wertschätzung – relativ weniggehört.
Es gibt den Wunsch zu Zwischenfragen, Herr Kollege
Roth.
Okay.
Bitte schön.
Herr Kollege Roth, ist Ihre Partei bzw. Ihre Fraktion
ihrer europäischen Verantwortung dadurch gerecht ge-
worden, dass sie sich bei den Beschlussfassungen im Zu-
sammenhang mit den Rettungsaktionen im Falle Grie-
chenlands hier im Hause verantwortungslos enthalten
hat, oder wie wurde sie ihrer Verantwortung gerecht?
Lieber Herr Kollege, da fragen Sie den Falschen. Ichhabe der Griechenland-Hilfe nämlich zugestimmt.
Ich habe aber großes Verständnis für meine Fraktion, diees sich in dieser Frage nicht leicht gemacht hat.
– Mir ist eine aufrechte Position als frei gewählter Abge-ordneter lieber,
als in Ihrem Windschatten bei der Harakiripolitik, dievon der Bundeskanzlerin betrieben wurde, mit unterzu-gehen.
– Ich persönlich habe zugestimmt, auch wenn es mir, lie-ber Herr Kollege, weniger darum ging, der Bundeskanz-lerin den Weg zu ebnen. Mir war wichtiger, dass die Eu-ropäische Union eine Solidaritätsunion ist und dassPartner, die in eine Krise geraten sind, Hilfe bekommen,allerdings nicht einfach so, sondern mit einer entspre-chenden Konditionierung, mit Bedingungen.Die Bundesregierung hat meine und unsere Zustim-mung auch bei einer anderen mehr als berechtigten For-derung, nämlich im Hinblick auf Zinsvergünstigungenfür Irland. Irland kann nur dann Solidarität von der Euro-päischen Union erwarten, wenn man endlich bereit ist,die FDP-Politik in Irland zu beenden und die Körper-schaftsteuer von 12,5 Prozent im Interesse des Landesund im Interesse der Bürgerinnen und Bürger angemes-sen zu erhöhen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bereit, die-sen Europäischen Stabilitätsmechanismus vom Grund-satz her mitzutragen. Deswegen werden wir dem Antragder Bundesregierung auf Einvernehmensherstellungheute zustimmen. Aber wir knüpfen unsere Zustimmungan die Erfüllung bestimmter Erwartungen. Wir erwarten,dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüberdem Deutschen Bundestag endlich gerecht wird und denBundestag in EU-Angelegenheiten frühestmöglich undumfassend unterrichtet. An dieser Stelle will ich einDankeschön an den Bundestagspräsidenten aussprechen,
der im Interesse aller im Deutschen Bundestag vertrete-nen Parteien deutlich gemacht hat, dass das Armutszeug-nis, das sich die Bundesregierung beim sogenanntenPakt für Wettbewerbsfähigkeit selbst ausgestellt hat,nicht der Maßstab im Hinblick auf ihre Pflichten zur Un-terrichtung des Bundestages sein kann und darf.
In allen Hauptstädten und allen EU-Institutionen wirdüber einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit diskutiert, unddie Medien berichten breit darüber. Aber die Bundesre-gierung stellt sich hin und sagt: Wir können Ihnen keineInformationen zukommen lassen, weil es diesen Pakt garnicht gibt. – Inzwischen gibt es auch einen Pakt für denEuro. Wir sind am 11. März dieses Jahres erstmals da-rüber unterrichtet worden. Ich weiß, dass es Kolleginnenund Kollegen in der FDP-Fraktion, aber auch bei CDUund CSU gibt, die mit uns einer Meinung sind. Insofern
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11007
Michael Roth
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habe ich Ihren Beifall gerade vermisst, liebe Kollegin-nen und Kollegen.
Darüber hinaus sind wir der Auffassung: Der Stabili-tätsmechanismus ist notwendig. Auch die Aufstockungist notwendig. Aber dies allein reicht nicht:Erstens. Wir brauchen eine angemessene Parlaments-beteiligung. Wir müssen auch die Lehren aus der verhee-renden Unterrichtungspolitik der Bundesregierung inden vergangenen Wochen und Monaten ziehen. Ichappelliere an CDU/CSU und FDP, hier eine interfraktio-nelle Verständigung herbeizuführen. Wir sind zu Ge-sprächen bereit. Wir sollten auch die richtigen Konse-quenzen aus dem Status quo ziehen. Hier haben Sie unsauf Ihrer Seite.Zweitens. Wir brauchen nicht nur einen Pakt für denEuro, sondern auch einen Pakt für Wachstum und sozialeStabilität.
Eine Konsolidierung kann nur mit nachhaltigem Wachs-tum erfolgreich sein. Ich bin beeindruckt, was die grie-chische Regierung den Bürgerinnen und Bürgern zuzu-muten und welch hohen Preis sie dafür zu zahlen bereitist. Aber wir erkennen doch schon jetzt, dass all die An-strengungen, die wir in Bundesrat und Bundestag wahr-scheinlich niemals durchbekämen, nicht ausreichen, umdieses Land aus der Krise zu führen.Insofern darf eine notwendige Konsolidierung nichtzu einer Austeritätspolitik führen, die jegliches Wachs-tum hemmt, die die Länder in einen Teufelskreislaufführt und die diese Länder weiterhin zum sozialenSchlusslicht der Europäischen Union werden lässt. Hierbrauchen wir eine andere Politik, die den sozialen Be-reich in den Blickpunkt nimmt, die Wachstum in denBlickpunkt nimmt und die auch die soziale Stabilität inden Blickpunkt nimmt.
Des Weiteren fordern wir eine Beteiligung der Kri-senverursacher. Deshalb nehmen wir Sie, liebe Bundes-regierung, beim Wort. In den Schlussforderungen zumGipfel steht zu lesen, dass die europäische Finanztrans-aktionsteuer sondiert wird. Wir erwarten einen entspre-chenden Vorschlag der EU-Kommission. Darüber hinauserwarten wir, dass sich die Bundesregierung vorbehalt-los hinter das Ziel einer europäischen Finanztransaktion-steuer stellt und dass diejenigen, die diese Krise maß-geblich verursacht haben, stärker in die Pflichtgenommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Gleichermaßen brauchen wir eine entsprechendeGläubigerbeteiligung. Ich gebe es offen zu: Diesbezüg-lich sind wir mit unseren Diskussionen in allen Fraktio-nen noch nicht am Ende angelangt. Hier wäre sicherlichein bisschen mehr Fürsorge und ein bisschen mehr Sen-sibilität auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgerndurchaus angebracht. Denn diese sagen zu Recht: Eskann ja nicht angehen, dass nur die Steuerzahlerinnenund Steuerzahler sowie die Staaten für das aufzukom-men haben, was andere verursacht haben, die Gläubigerund Banken aber weitgehend ungeschoren davonkom-men. – Das ist mit unseren Vorstellungen von Solidaritätin der Europäischen Union auch in Bezug auf den euro-päischen Stabilitätsmechanismus unvereinbar.
Ein Letztes – und das ist für uns als ein wirtschaftlichsehr starkes Land sicherlich nicht ganz einfach –: Auchdie Länder mit einem Leistungsbilanzüberschuss stehenin der Verantwortung.
Es kann nicht angehen, dass die Lohnentwicklung mitder Produktivitätsentwicklung nicht mehr in ein Verhält-nis zu setzen ist. Es kann für die gesamte EuropäischeUnion nicht gut sein, dass die Bundesrepublik Deutsch-land in den letzten zehn Jahren eine Nettolohnentwick-lung von minus 4 Prozent hatte, der EU-Durchschnittaber bei rund 20 Prozent Plus liegt. Daher muss deutlichwerden: Wohlstand und nachhaltiges Wachstum könnennur erreicht werden, wenn auch die Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer sowie die sozial Schwächeren vondiesem Wachstumsmodell profitieren.Insofern erwarten wir von der Bundesregierung einebessere Beteiligung des Parlaments. Wir erwarten, dassSie nicht nur Nein sagen, dass Sie nicht nur zögern undzaudern, sondern dass Sie in den EU-Institutionen wie-der das Maß an Überzeugungsfähigkeit erreichen kön-nen, das Ihre Vorgängerregierungen vorbildlich erreichthaben. Hier arbeiten Sie weit unter den MöglichkeitenDeutschlands –
Herr Kollege, Sie hätten kurz vor – –
– und weit unter den Möglichkeiten, die einer deut-
schen Bundesregierung zustünden.
Vielen Dank.
Ich wollte Ihnen noch die Gelegenheit einer informel-
len Verlängerung der Redezeit durch Zulassung einer
Zusatzfrage zuschustern.
Nun hat das Wort der Kollege Michael Meister für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsollen heute unser Einverständnis
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11008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Michael Meister
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zur Änderung der europäischen Verträge zur Errichtungdes europäischen Stabilitätspaktes erteilen. Ich will zu-nächst einmal feststellen: Wir als Unionsfraktion sindder Meinung, dass wir einen dauerhaft stabilen Euro ha-ben wollen. Dies bedeutet: Wir bekennen uns zum Euro.Wir bekennen uns zum stabilen Euro, und wir bekennenuns zur Dauerhaftigkeit dieser Währung.
Ich glaube, es ist richtig, dass wir an dieser Stelle So-lidarität nicht missverstehen, Kollege Roth, indem wirsagen: Falsche Strukturen werden wir mit viel Geld dau-erhaft aufrechterhalten.
Vielmehr verstehen wir Solidarität so, dass wir motivie-ren und Anreize setzen, damit sich falsche Strukturen zurichtigen Strukturen verändern. Denn dann ist Solidaritätnicht mehr erforderlich. Das heißt, wir müssen die Län-der und Staaten ermutigen, das Richtige zu tun. In die-sem Sinne sind wir bereit, Solidarität zu üben, abernicht, indem wir zu einer Transferunion werden und dau-erhaft falsche Strukturen mitfinanzieren.
Ich will hier ausdrücklich sagen, dass an der No-bail-out-Klausel festgehalten wird und dass sie durch dieseVertragsänderung nicht tangiert wird. Das ist für uns ex-trem wichtig.
Herr Kollege Meister, darf der Kollege Sarrazin Ihnen
schon zu diesem frühen Zeitpunkt Ihrer Rede eine Zwi-
schenfrage stellen?
Es verwundert mich, dass er so wissbegierig ist, aber
ich will ihn nicht hindern. Bitte sehr.
Vielleicht will er ja gar nichts wissen, sondern Ihnen
etwas mitteilen.
Herr Präsident, ich muss das hier als Frage formulie-
ren.
Nein, nicht einmal das.
Herr Kollege, Sie haben ja eindrucksvoll davon gere-
det, dass man falsche Strukturen nach der Erkenntnis,
dass sie falsch sind, nicht weiter aufrechterhalten soll.
Wir wissen jetzt ja, dass die EZB inzwischen über
70 Milliarden Euro an Staatsanleihen in ihrem Portfolio
hat, das inzwischen ein so hohes Risiko trägt, dass das
EZB-Stammkapital im Dezember verdoppelt werden
musste. Damit die EZB wieder eine größere politische
Unabhängigkeit erhält, gab es den Vorschlag, dass sie
durch einen Aufkauf, der durch die EFSF finanziert
wird, von diesen Titeln zum Teil entlastet werden
könnte. Das haben Sie unglaublicherweise abgelehnt.
Sehen Sie es nicht auch so, dass Sie dadurch die fal-
sche Struktur, dass die EZB ein politischer Player am
Markt wird, aufrechterhalten, anstatt die politische Un-
abhängigkeit der EZB zu wahren?
Lieber Herr Kollege Sarrazin, ich bin nicht Mitglieddes EZB-Rates, sondern ich bin Abgeordneter des Deut-schen Bundestages, und ich bin fest davon überzeugt,dass die Grundsäule unserer europäischen Währung unddie Stabilität, von der ich vorhin sprach, dadurch ge-währleistet werden, dass wir als Politik die Unabhängig-keit der Zentralbank wahren.
Deshalb habe ich niemals die Empfehlung an den Zen-tralbankrat gegeben, sich in die von Ihnen skizzierteLage zu bringen. Es ist auch nicht meine Aufgabe alspolitisch Verantwortlicher, Handlungsoptionen der Euro-päischen Zentralbank in welcher Weise auch immer zufordern oder zu bewerten.Das ist mein Verständnis von Unabhängigkeit, undwir als Politiker sollten alles dafür tun, dass wir die Eu-ropäische Zentralbank nicht in eine Lage führen, in dersie selbst glaubt, etwas tun zu müssen, um den Geldwertzu stabilisieren.
Das ist unsere Verantwortung, und dazu tragen wir zumBeispiel bei – ich sehe den Kollegen Barthle an –, indemwir eine ordentliche Fiskalpolitik in Deutschland betrei-ben.
Meine Damen und Herren, wir beschließen heute dieUltima Ratio, und zwar deshalb, weil wir glauben, dasswesentliche Stufen der Prävention vorgeschaltet werdenmüssen.Die erste Prävention ist der Pakt für den Euro. Ichglaube, dass der Pakt für den Euro richtig ist, weil wirhier über die Best Practice reden. Wir wollen uns alsohin zum Besten und nicht zum Durchschnitt bewegen,und wir sagen: Er ist offen für jeden, der mitwirken will,und nicht nur für die Euro-Länder. Ich glaube, dass dasein guter Ansatz ist, um dafür zu sorgen, dass die einzel-nen Volkswirtschaften im Euro-Raum leistungsfähigerwerden, wodurch Fehlentwicklungen, wie wir sie jetzthaben, von vornherein präventiv vermieden werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11009
Dr. Michael Meister
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Herr Kollege Roth, deshalb ist es richtig, dass wir unsüber die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirt-schaften Gedanken machen. Sie bezieht sich doch nichtnur auf den Euro-Raum, wie Sie das skizziert haben. Wirbrauchen ein gemeinsames Niveau und müssen viel-leicht ein paar Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. Un-sere Wettbewerber sitzen aber außerhalb Europas. Esstellt sich doch die Frage, inwieweit der Euro-Raum ge-genüber China, den USA und anderen Ländern über-haupt wettbewerbsfähig ist. Ich glaube, deshalb ist esrichtig, dass wir uns zum Besten hin bewegen und an derWettbewerbsfähigkeit arbeiten.Wir haben ein riesiges Problem hinsichtlich der De-mografie und arbeiten in Deutschland daran. Das ist sehrschwierig und tut uns sehr weh, weil die Sozialsystemetangiert werden. Ich glaube aber, dass wir die Frage be-antworten müssen, wie wir im Sinne einer vernünftigenSolidarität dauerhaft leistungsfähige, nachhaltige Sozial-systeme in Europa haben können. Das ist doch eine ver-nünftige Aufgabe, die wir im Sinne einer besseren Situa-tion für unsere Volkswirtschaften gemeinsam angehensollten. Deshalb ist der Pakt für den Euro ein richtigerSchritt der Prävention.
Zweitens. Wir leisten Prävention, indem wir denMaastricht-Vertrag endlich wieder stärken. 2003/2004wurde er bedauerlicherweise massiv geschwächt, undzwar indem Deutschland plötzlich zu Konsequenzen ge-drängt wurde, die sich aus dem Maastricht-Vertrag erga-ben. An dieser Stelle ist es wichtig, dass wir den Vertragwieder stärken, indem zum Beispiel das Kriterium Ge-samtschulden stärker in den Fokus rückt. Wir müssenvon politischen Einflüssen wegkommen hin zu einemquasi automatischen Entscheidungsverfahren, bei demPolitik eine weniger große Rolle spielt.Wir müssen aber auch unsere Vorbildrolle ausbauen.Statt von anderen ein besseres Verhalten zu fordern,müssen wir von uns selbst ein besseres Verhalten imSinne der Fiskalpolitik einfordern. Das ist die Aufgabe,vor der wir stehen. Dazu bekennen wir uns auch.
Ich glaube, es ist auch notwendig, dass wir für dieeinzelnen Länder mehr Transparenz schaffen, damit frü-her erkennbar wird, ob ihre Entwicklung gut oder weni-ger gut ist, damit die Kapitalmärkte viel früher über dieZinsfestlegung der Risikolage des Landes entsprechendpositives oder weniger positives Verhalten adäquat be-werten. Denn dann werden die jeweiligen Regierungenviel früher ihren Kurs ändern müssen, statt auf eine Not-lage zuzusteuern, wie wir sie in Griechenland oder Ir-land erlebt haben.Wenn ich von Irland spreche, will ich einen weiterenPunkt nennen, der in dieser Debatte bisher nicht vorge-kommen ist, der aber zwingend dazugehört. Sie haben eskurz angesprochen. Ich glaube, es reicht nicht, den Blickallein auf die Fiskalpolitik und den Maastricht-Vertragzu richten. In Irland war das alles in Ordnung. Auch dievolkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit war gegeben.Aber der Bankensektor ist aus dem Ruder gelaufen, undplötzlich musste das nationale Bankensystem gestütztwerden.Deshalb müssen wir, was die Aufsicht über den Fi-nanzsektor angeht, eine bessere Regulierung für denFinanzsektor erarbeiten. Sonst wird all das, was wir zu-gunsten der Euro-Stabilisierung tun, nicht wirksam sein.
– Ja, das machen wir auch. Wir haben die europäischeAufsicht installiert. Sie ist mittlerweile in Arbeit. Wirsind auch dabei, entsprechende Aufsichtsregeln und Re-geln für das Finanzsystem zu entwickeln. Ich glaube, wirsind auf einem guten Weg, und es ist vernünftig, das ge-meinsam zu tun. Denn niemand von uns hat das, wasjetzt eingetreten ist, vorhergesehen.Wir kommen nun zu dem eigentlichen Punkt, demESM. Ich stelle ihn deshalb ans Ende, weil er kein Re-gelwerk sein soll, das wir regelmäßig zur Stabilisierungdes Euro einsetzen, sondern die Ultima Ratio. Ja, wirwollen einen dauerhaften, festen Mechanismus schaffen,aber wir wollen nicht, dass er dauerhaft in Anspruch ge-nommen wird. Vielmehr wollen wir erstens vermeiden,dass er in Anspruch genommen wird, und zweitens soller, wenn er in Anspruch genommen wird, das Land nachkurzer Zeit wieder in die Lage versetzen, ohne ihn aus-zukommen.Deshalb wollen wir Voraussetzungen schaffen, diedem Problem des Landes gerecht werden und eine Ge-fährdung der gesamten Euro-Zone vermeiden. Wir for-dern aber auch harte Auflagen für das jeweilige Land,sich einem Anpassungsprogramm zu unterziehen. Ichglaube, dass das der richtige Ansatz ist, um dieser Ziel-setzung genügen zu können.Eine letzte Bemerkung: Wir haben dafür Sorge getra-gen, dass sich kein Automatismus entwickeln kann. DerStabilitätsmechanismus kann nur mit unserer Zustim-mung aktiviert werden. Auch das halte ich für wichtigund richtig.
Ich freue mich – erlauben Sie mir, abschließend da-rauf hinzuweisen, dass ich das toll finde, Herr Roth –,dass Sie angekündigt haben, dem ESM zustimmen zuwollen. Ich halte es für gut, wenn wir in Deutschlandeine möglichst breite parlamentarische Basis dafür ha-ben.Wir sprechen heute über das Außenverhältnis derBundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union.Dazu geben wir heute eine Stellungnahme ab.Wir haben zu klären, wie wir die Diskussionen inDeutschland selbst führen. Dabei stellt sich die Frage,wie stark wir den Deutschen Bundestag an den Entschei-dungen, die zu treffen sind, beteiligen. Diese Diskussionmüssen wir aber nach innen führen. Ich bin der Mei-nung, dass wir bei solch grundlegenden Entscheidungen
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11010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Michael Meister
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unser Parlament mit einbeziehen. Dafür werden wirSorge tragen. Ich freue mich auf die Debatte, die wir ge-meinsam führen werden.Vielen Dank.
Nur zur Erläuterung: Ich bitte um Nachsicht, dass ich
nach Überschreiten der vorgesehenen Redezeit nicht
auch noch Zwischenfragen aufrufe. Ich glaube, das ver-
steht sich unter dem Gesichtspunkt des beschlossenen
Zeitmanagements im Ergebnis von selbst.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichnehme es vorweg: Die Linke wird dem vorliegenden An-trag nicht zustimmen,
weil wir damit zum wiederholten Male nicht die Ursa-chen der Krise angehen, sondern wieder nur ein einzigesSymptom falsch behandeln.Es ist schon fast absurd, Herr Meister, wenn Sie sa-gen: Wir wollen keine Transferunion. – Irgendwannmüssen doch auch Sie einsehen: Wenn Deutschland dau-erhaft immense Außenhandelsüberschüsse erwirtschaf-tet, dann ist in der Europäischen Union eine Transfer-union unumgänglich. Das zu verschweigen und immerwieder so zu tun, als wäre es nicht so, ist tatsächlich einMärchen. Aber daran glaubt fast niemand mehr.
Es geht auch nicht darum, dass wir tatsächlich die Ur-sachen bekämpfen. Es geht einmal mehr darum, dass wirdie Märkte beruhigen sollen. Ich kann mich gut daranerinnern, dass der Herr Finanzminister im Europa-ausschuss gesprochen hat. Dabei war folgende Aussagewesentlich: Wir müssen das tun, um die Märkte zu beru-higen.Das zeigt im Prinzip, dass wir aus der Krise nichts ge-lernt haben. Die Märkte können weiterhin Staaten vorsich hertreiben. Sie können weiterhin ihre Spielchen anden Börsen treiben. Und wir wollen mit so einem Instru-ment etwas verändern? Nein, im Gegenteil: Sie werdensich auch in Zukunft Wege suchen, um die einzelnenLänder gegeneinander auszuspielen und den Euro zuschwächen, um ihre Börsengeschäfte zu machen. Jederseriöse Banker, mit dem man sich unterhält, sagt auch,dass das alles nur Sonntagsreden gewesen seien, dieauch Sie im Bundestag immer wieder verbreitet haben,als sich die Finanzkrise zu einer Wirtschaftskrise entwi-ckelt hat, dass es genau so weitergehe wie vorher.Im Gegenteil: Das ist falsch. Es geht nicht genau sowie vorher weiter. Vorher wusste die Finanzwelt nicht,ob sie das am Schluss bezahlt bekommt. Mittlerweileweiß sie, dass sie genau so wie vorher weitermachenkann. Der Steuerzahler zahlt es, und Sie heben heutewieder für so ein Geschäft die Hand.Wie oft haben wir – Michael Roth hat angesprochen,dass wir auch das Soziale mitdenken müssen – als Linkeim Bundestag gesagt, dass uns der Lissabon-Vertragkeine Antwort auf solche Fragen gibt? Wie oft haben wirgesagt: Wenn wir das Soziale mitdenken müssen, brau-chen wir zum Beispiel auch die soziale Fortschrittsklau-sel? Immer hieß es, wir könnten die Verträge nicht ver-ändern. Jetzt werden die Verträge verändert, ohne dasSoziale mitzudenken.
Heute Nachmittag haben wir die Chance gehabt, diesoziale Fortschrittsklausel zu beschließen. Die Allpartei-enkoalition des Lissabon-Vertrags hat heute Mittag mitNein gestimmt. Michael Roth, die SPD sollte sich schä-men, dass man vor der Europawahl den Gewerkschaftendie Hand für eine soziale Fortschrittsklausel gereicht hatund heute dagegen stimmt.
Das ist diese unglaubwürdige Politik. Es war wiedereinmal Wählerbetrug von der SPD und von den Grünenbeim Thema der sozialen Fortschrittsklausel.
Nun geht es wieder um eine Vertragsänderung, dienicht dazu dient, die EU sozialer zu machen, sonderndazu, einen dauerhaften Bankenrettungsplan einzufüh-ren. An den Beispielen Irland und Griechenland kannman jetzt schon sehen, wer für diese Bankenrettung im-mer wieder aufs Neue bezahlt:
die Steuerzahler, die Beschäftigten, die Arbeitslosen, dieRentnerinnen und Rentner, Studierende und Kinder. DieProfiteure der Krise müssen weiterhin nichts zahlen. Dahaben manche Vorredner das Richtige gesagt, aber eswerden keine Maßnahmen ergriffen, mit denen man dasändern kann.An die Bundesregierung gerichtet sage ich: Es ist ge-radezu absurd, dass die gute Idee einer europäischenWirtschaftsregierung von der Bundeskanzlerin derartpervertiert wird, wie es im Zusammenspiel mit Frank-reich geplant ist – oder auch nicht.
Wie kommt man auf die Idee zu glauben, die deut-schen Rezepte seien europaweit erfolgreich einzusetzen?Glaubt denn jemand wirklich, dass sich der Euro stabili-sieren wird, wenn man Menschen in ganz Europa jetztempfiehlt, bis 70 zu arbeiten? Glaubt denn wirklich je-mand, dass man in ganz Europa empfiehlt, mit Steu-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11011
Alexander Ulrich
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erdumpingprozessen den Euro zu stabilisieren? Glaubtdenn jemand wirklich, dass mit Sozialabbau die Wachs-tumskräfte entfaltet werden können? Glaubt dennjemand wirklich, dass man mit einem Import von unge-sicherten Arbeitsverhältnissen, Leiharbeit und Niedrig-lohnbereichen Wachstumskräfte entfalten kann?Wer diese Rezepte in eine europäische Wirtschaftsre-gierung einbringen kann, wird die Krise auf eine Art undWeise verschärfen, die wir bisher nicht kennen. DieKrise wird nicht beendet werden, sondern die Reichenwerden reicher, und die Armen werden ärmer. Griechen-land, Portugal, Irland und andere Länder werden nie ihreProbleme beseitigen können.
Ich komme zum Schluss: Die Linke lehnt die vorge-legte Vertragsänderung ab. Wir erwarten, dass wir euro-paweit an die Ursachen der Krise gehen. Dazu gehörtauch, dass wir endlich das Thema umsetzen, über dasHerr Schäuble immer sagt, er würde dafür kämpfen: dieFinanztransaktionsteuer. Das ist auch nur Placebopolitik.Die Bundesregierung kämpft nicht dafür. Das wäre je-doch eine wesentliche Maßnahme, um die Märkte tat-sächlich zu beruhigen. Denn Zocker müssen endlich ru-higgestellt werden, aber diese Bundesregierung reichtihnen weiterhin die Hand.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Wir Grüne stimmen dem vorgelegten Antrag überdie Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bun-desregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV zu. Wirbefürworten die Einführung einer Rechtsgrundlage füreinen permanenten Notfallschirm für den Euro. Dass mitdieser Änderung nicht die Union, sondern die Staaten er-mächtigt werden, halten wir nicht für die beste Lösung.Wir Grüne hätten uns eine europäische Lösung ge-wünscht, vor allem weil wir damit die maßgebliche Kon-trolle des Europäischen Parlaments über diese Institutionermöglicht hätten.
Aber weil sich die Regierungen – leider auch dieseBundesregierung – von Anfang an geweigert haben, derEU mehr Kompetenzen zu geben, ist die vorliegendeÄnderung der Weg, den wir gehen müssen. Auch wir ge-hen ihn mit. Es ist nicht der beste Weg, aber in dieser Si-tuation der bestmögliche.Damit Ihnen das ganz klar ist: Wir billigen damitnicht Ihren Weg einer Renationalisierung europäischerEntscheidungen, wir billigen damit nicht Ihre neue Liebefür die Unionsmethode, und wir werden diese Methodein Zukunft sogar verstärkt bekämpfen, weil sie nicht derWeg ist, der Europa voranbringt.
Wir sind für die Einführung eines europäischen Stabi-litätsmechanismus. Warum? Schauen Sie sich einmal dasvergangene Jahr an. Niemandem von Ihnen ist vorzu-werfen, wenn er dazulernt. Aber wenn man das Gerededer Koalition der letzten Monate mit dem vergleicht,was Sie heute hier beschließen, dann muss ich sagen,dass ich es schon dreist finde, dass Sie nicht einmal denMut haben, hier zu bekennen: Wir haben dazugelernt,weil wir dazulernen mussten.
Ich erinnere an das nationale Geschrei gegen Griechen-land, das Ausschließen eines permanenten Schirms undvieles mehr. Herzliche Glückwünsche, Kollegen, Siesind zurück in der Realität. Aber auch: Willkommen zu-rück in Europa.
– Ich gebe zu: Ich habe viel im letzten Jahr dazugelernt.Ich möchte einmal von Ihnen hören, dass das, was Sieheute beschließen, zum Glück nichts mehr mit dem zutun hat, was vor einem Jahr von den Kollegen der FDP-Fraktion und von Herrn Schlarmann erzählt wurde. Ge-ben Sie das doch einfach zu.
Aber seien wir ganz ehrlich: Könnten wir uns eigent-lich vorstellen, dass ein Scheitern des Euro sinnvoll seinkönnte? Könnten wir, Grüne und SPD, uns vorstellen,dass der Bundestag die Rolle der Bundesregierung ausdem Frühjahr 2010 wiederholt? Nein. Ihr ewiges Zögernwar teuer genug für Deutschland und Europa. Deswegenwerden wir diese Rolle von Ihnen hier nicht wiederho-len.
Ihre Politik hat genug Porzellan zerschlagen. Oftmalsreden Sie von deutschen Interessen, aber Sie wahren da-bei nicht einmal deutsche Interessen. Nehmen wir dasBeispiel, das gerade genannt wurde, nämlich dass dieEZB inzwischen ein massives Interesse daran hat, Staa-ten aufrechtzuerhalten, damit sie nicht zusammenbricht,weil sie einen hohen Anteil von Anleihen aufgekauft hat.Nehmen wir die Frage der Gläubigerbeteiligung, dieHerr Schick gerade dargestellt hat. Auch in diesen Punk-ten vertreten Sie weiterhin ideologische Positionen, dieLösungen verhindern. Das kann man Ihnen immer nochvorwerfen.
Metadaten/Kopzeile:
11012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Manuel Sarrazin
(C)
(B)
Wir haben darüber hinaus in den letzten Monaten be-merkt, wie Sie den Deutschen Bundestag behandelt ha-ben. Der Bundestag – das ist dokumentiert – wurde wie-derholt gesetzeswidrig seiner Informationsrechteberaubt. Die Bundesregierung muss aufhören, sich nichtan das EUZBBG zu halten und es sogar noch offenkun-dig durch die Konstruktion einer Lex specialis – § 5Abs. 4 EUZBBG – falsch zu interpretieren. Wir sagen:Verbessern Sie das, ansonsten werden wir Probleme ha-ben, künftig noch die wichtigen europäischen Entschei-dungen so verfassungsfest durch dieses Haus zu bringen,dass auch Karlsruhe sie akzeptieren kann.
– Was wollten Sie? Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.
– Jetzt kommt sie, wunderbar. – Können Sie, Herr Präsi-dent, die Zwischenfrage bitte während der nächsten25 Sekunden aufrufen?
Das Bestellen von Zwischenfragen sieht die Ge-
schäftsordnung eigentlich nicht vor. Aber bei meiner
sprichwörtlichen Liberalität wollen wir das einmal aus-
probieren.
Herr Präsident, ich habe der Geschäftsordnung ent-
nommen, dass man auch Zwischenbemerkungen machen
darf. Darauf haben Sie ja hingewiesen.
Herr Kollege Sarrazin, wie kommen Sie eigentlich
dazu, uns so schulmeisterlich zu belehren? Schließlich
haben Sie noch nicht einmal dem bisherigen Rettungs-
schirm zugestimmt. Wie kommen Sie angesichts Ihrer
bisherigen Verweigerung dazu, uns in Aussicht zu stel-
len, an praktischer Europapolitik mitzuwirken? Geben
Sie dafür doch einmal eine Erklärung ab.
Sehr geehrter Herr Wadephul, unsere Fraktion hat
dem Euro-Rettungsschirm damals nicht zustimmen kön-
nen,
weil eine Mehrheit kritisierte, dass kein Rahmenvertrag
vorliege und damit die Handlungsgrundlage nicht klar
sei. Aus meiner persönlichen Sicht war das damals nicht
ganz richtig. Als uns aber der Rahmenvertrag vorgelegt
wurde, hatte sich die historische Situation insofern wei-
terentwickelt, als, um das Triple-A-Rating zu erhalten,
dem Direktorium der EFSF weitgehende Kompetenzen
zugebilligt werden mussten – aus meiner Sicht zu Recht –,
wofür aus meiner Sicht eine Ratifizierung gemäß Art. 59
Abs. 2 Grundgesetz durch den Deutschen Bundestag
notwendig gewesen wäre.
Um unsere grundsätzliche Zustimmung zur EFSF und
um auch unsere grundsätzliche Zustimmung zu diesen
weitgehenden Kompetenzen zu dokumentieren sowie
um auf das Versagen der Bundesregierung, die Ratifika-
tion durch den Bundestag einzuholen, hinzuweisen, ha-
ben wir kurz vor der Sommerpause im letzten Jahr den
EFSF-Rahmenvertrag als Entwurf eines Zustimmungs-
gesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Das
heißt, wir haben den Deutschen Bundestag gebeten, den
Vertrag zur Schaffung des Fonds „Europäische Finanz-
Stabilitäts-Fazilität“ mit Sitz in Luxemburg zu ratifizie-
ren, und Sie haben das abgelehnt. Werfen Sie uns nicht
vor, wir hätten uns nicht getraut, uns hinzustellen und zu
sagen: Wir stehen zum Rettungsschirm. – Aufgrund Ih-
rer Schluderei hatten wir zunächst formale Gründe für
unsere Ablehnung. Wir haben noch versucht, Ihnen eine
goldene Brücke zu bauen, und Sie haben die Möglich-
keit ausgeschlagen, darüberzugehen.
Ich komme zum Schluss. Ein Bundeskanzler sagte
einmal:
Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie
wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine
Notwendigkeit für alle.
Das sagte Konrad Adenauer 1963. Wenn Sie, verehrte
Damen und Herren von der Koalition, im Jahre 2011
wieder einen europapolitischen Kurs beschreiten wollen,
der Deutschland gerecht wird, dann folgen Sie den An-
trägen von SPD und Grünen.
Danke sehr.
Das Wort erhält der Kollege Thomas Silberhorn für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Kollegen Michael Roth und ManuelSarrazin haben uns gerade mit starken Worten erklärt,was notwendig wäre, um Deutschland auf den richtigeneuropapolitischen Kurs zu bringen,
und dass sie sich selbst für gute Europäer halten; aberleider haben sie sich jeweils in ihrer eigenen Fraktionnicht durchsetzen können.
So kann man Europapolitik nicht betreiben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11013
Thomas Silberhorn
(C)
Wir beraten heute einen Antrag, der, soweit ich dasüberblicken kann, erstmals ein Verhandlungsmandat fürdie Bundesregierung formuliert, bevor die Bundeskanz-lerin zum Europäischen Rat, also zum Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs, reist. Ich finde, das ist stil-bildend. Das steht dem Bundestag gut zu Gesicht. Dasmacht deutlich, dass wir als Parlamentarier selbstbe-wusst unserer Verantwortung nachkommen.
Wir warten nicht einfach ab, was der Regierung, die wirnatürlich schätzen und die wir unterstützen, am Verhand-lungstisch einfällt, um es hinterher abzunicken, sondernwir formulieren im Vorhinein unsere Erwartungen. Wirlegen Maßgaben fest; so heißt es in diesem Antrag. Wirunterstützen damit ausdrücklich die Verhandlungslinieder Bundesregierung. Wir setzen ihr zugleich höflich,aber bestimmt Grenzen. Ich denke, das ist ein guterKurs. Das sollten wir auch künftig beibehalten, wenn esum die Verhandlung europäischer Verträge geht.Die geplante Vertragsänderung und die Errichtungdes Europäischen Stabilisierungsmechanismus sind einKonstrukt, das wir nochmals sehr genau überdenkenmüssen, spätestens dann, wenn es um die Beantwortungder Frage geht, wie das mit dem vertraglichen Verbot derSchuldenübernahme zu vereinbaren ist; das Verbot derSchuldenübernahme soll ja ausdrücklich nicht angetastetwerden.Deshalb bin ich persönlich gegen den Ankauf vonStaatsanleihen, weil nach meiner Bewertung ein Ankaufvon Staatsanleihen bedeutet, dass man neue Schuldenübernimmt und dass aus nationalen Schulden verge-meinschaftete europäische Schulden werden.Deswegen stelle ich zumindest die Frage, weshalb derAnkauf von Staatsanleihen nach Auffassung der Bun-desregierung keine Schuldenübernahme sein soll. Ichstelle die weitere Frage, wann nach Auffassung der Bun-desregierung denn dann überhaupt eine Übernahme vonSchulden vorliegen soll. Wenn man das Verbot derSchuldenübernahme so interpretiert, dass nur dann,wenn Schulden realisiert werden, sie auch übernommenwerden, dann wäre diese Regelung doch ziemlich ausge-höhlt. Deswegen müssen wir noch einmal gut überlegen,ob das der richtige Schritt ist.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn wirüber diesen Stabilisierungsmechanismus Finanzhilfengewähren, dann kann das natürlich nur dann Sinn ma-chen, wenn die berechtigte Erwartung besteht, dass einStaat, dem geholfen wird, auch wieder auf die Füßekommt, dass er selbst wieder am Finanzmarkt Kapitalerhalten kann, dass er wirtschaftliche Leistungsfähigkeitzurückgewinnt. Wenn das alles nicht mehr gelingt, wennabsehbar ist, dass ein Staat seine Schulden dauerhaftnicht tragen kann, dann muss auch eine Umschuldungmöglich sein.
Deswegen plädiere ich nach wie vor dafür, dass wirRegelungen für eine Umstrukturierung von Staaten undeine Umschuldung von Banken schaffen, wenn es dennnicht anders geht. Eine solche Umschuldung würde auchbedeuten, dass man eine Gläubigerbeteiligung ermög-licht. Denn es ist schon schwer vermittelbar, dass wir mitSteuermitteln das Risiko von denen übernehmen, die mitStaatsanleihen hohe Zinserträge erwirtschaftet haben,während diese Gläubiger selbst keinen angemessenenBeitrag zur Lösung des Problems leisten.
Ich sage: Wer hohe Risiken eingeht, um damit hohe Zins-erträge zu erwirtschaften, der muss dann, wenn sichdiese Risiken realisieren, auch mithaften. Das müssenwir umsetzen.
Schließlich geht es darum, dass der Deutsche Bundes-tag seine Beteiligungsmöglichkeiten wahrt und sich aus-reichende Beteiligungsrechte sichert, wenn dieser Euro-päische Stabilisierungsmechanismus errichtet werdensoll bzw. er im konkreten Einzelfall aktiviert werdensoll. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass in jedem Fall ei-ner Finanzhilfe der Deutsche Bundestag angemessen be-teiligt werden muss.
Über die Einzelheiten werden wir uns unterhalten.Aber das muss Kern der Diskussion der nächsten Tagesein, die wir fraktionsübergreifend führen sollten.
Herr Kollege Silberhorn, erlauben Sie zum Schluss
noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?
Sehr gern.
Bitte schön, Herr Schick.
Herr Kollege, ich habe vorhin schon einmal versucht,beim Kollegen von der FDP-Fraktion herauszufinden,wie denn angesichts der Haltung zur Gläubigerbeteili-gung, die Sie gerade beschrieben haben und die ich auchteile, Sie die Position der europäischen Regierungen undmeines Wissens auch der Bundesregierung einschätzenund bewerten, dass die Gläubiger irischer Banken geradenicht beteiligt werden, sondern dass das Petitum der iri-schen Regierung bisher nicht positiv beantwortet wordenist, die Gläubiger irischer Banken beteiligen zu können.
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11014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Gerhard Schick
(C)
(B)
Zum Hintergrund. Wenn wir die Gläubiger dieserBanken beteiligen, sinkt die Last für den irischen Staat.Damit sinkt das Risiko, dass der deutsche Steuerzahlerim Falle Irlands zur Kasse gebeten wird.Dass das nicht getan worden ist, leuchtet mir nicht einangesichts der Grundposition, die Sie jetzt noch einmalvorgetragen haben.
Herr Kollege, ich stehe hier, um meine Position dar-
zulegen. Deswegen erkläre ich nochmals mit Nachdruck,
dass ich es für richtig und für notwendig halte, dass
dann, wenn mit Steuermitteln ausgeholfen wird, damit
ein Teilverzicht von Gläubigern auf ihre Forderungen
einhergehen muss. Das ist am Ende nur auf europäischer
Ebene verhandelbar und entscheidbar.
Ich muss als Parlamentarier aber doch dieses Interesse
formulieren dürfen. Schön, dass wir da einer Meinung
sind.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Beteili-
gung des Bundestages sagen. Es geht nicht nur um die
Errichtung und die Aktivierung dieses Europäischen Sta-
bilisierungsmechanismus. Wir müssen im Zusammen-
hang damit nochmals unsere Beteiligung an der bereits
etablierten Europäischen Finanz-Stabilisierungs-Fazili-
tät überdenken. Wir müssen auch im Blick behalten,
dass die Vertragsänderung eine recht unbestimmte For-
mulierung beinhaltet, die erst dann bestimmbar wird,
wenn es konkret um Finanzierungshilfen geht. Deswe-
gen ist hier eine Beteiligung des Bundestages notwen-
dig.
Lassen Sie uns auch beim Pakt für den Euro für eine
angemessene Beteiligung des Bundestages sorgen. Denn
wenn die Bundesregierung sich in Brüssel mit den ande-
ren Partnern in Bereichen koordinieren will, die in die
nationale Zuständigkeit fallen, dann ist das einerseits
eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung, anderer-
seits wird sie damit aber auch die Erwartung verbinden,
dass der Deutsche Bundestag nachvollzieht und umsetzt,
was als Ergebnis dieser Koordination auf europäischer
Ebene herausgekommen ist. Das erfordert, dass der
Deutsche Bundestag im Vorhinein ausreichend infor-
miert und angemessen beteiligt wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Mit der vorliegenden Vertragsänderung sollerreicht werden, dass ein permanenter Stabilitätsmecha-nismus für die 17 Euro-Länder geschaffen wird. Zwarhat die Wirtschafts- und Finanzkrise die Einrichtung die-ses Mechanismus beschleunigt; gleichwohl – jetzt bittezuhören, Herr Roth! – geht es um weit mehr als einenbloßen Mechanismus. Es geht darum, die EU zukunfts-fähig zu machen und für dauerhafte Stabilität zu sorgen.Wir haben für die 27 EU-Staaten bereits einen einheitli-chen Binnenmarkt und werden ab Mai dieses Jahresauch einen einheitlichen Arbeitsmarkt haben. 17 Staatenhaben eine einheitliche Währung. Diese Währung – daskann man nicht oft genug betonen – gilt es stabil zu hal-ten.
Von einer instabilen Währung wären alle Bürger betrof-fen, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern.Die Kaufkraft der Währung muss erhalten bleiben, damitdie Bürger für ihr verdientes Geld bei stabilen Preisen ei-nen adäquaten Gegenwert bekommen.Vieles wurde schon gesagt; das werde ich in meinerRede nicht mehr ansprechen.Ein Grundproblem ist, dass nahezu alle europäischenStaaten seit Jahren mehr ausgegeben haben, als sie ein-genommen haben, wodurch sie drastische Schulden-berge angehäuft haben.
Eine Verkleinerung der Schuldenberge öffnet die Sichtauf eine zukunftsorientierte Politik. Eine solche Politikbrauchen wir.
Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass mit den Beschlüs-sen des Europäischen Rates folgendes Ziel formuliertwurde: Alle müssen einen weiteren Beitrag zur langfris-tigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen leisten.Damit werden die Staaten gezwungen, sich den Kern-problemen der öffentlichen Haushalte zu widmen. Diegrößten Ausgabeposten und damit die größten Problemeder öffentlichen Haushalte sind: Rente, Arbeitsmarkt,Krankenversicherung und teilweise auch der Finanz-markt.Die anderen europäischen Länder, insbesondere dieje-nigen mit schrumpfender Bevölkerung, haben fast allemit diesen Problemen zu kämpfen. Wenn wir uns zu-künftig an einem Stabilitätsmechanismus beteiligen, istes nur folgerichtig, dass in anderen Ländern keine Be-dingungen herrschen dürfen, die dann im Grunde auf un-sere Kosten gehen.Nun zum Stabilitätsmechanismus selbst. Die detail-lierte Ausgestaltung des künftigen ESM wird in Kürzeim Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens durch denBundestag zu beschließen sein. Die inhaltlichen Eck-punkte zum ESM sind in dem Antrag der Regierungs-fraktionen festgelegt. Zwei Punkte wurden jetzt mehr-fach angesprochen. Den Ankauf von Staatsanleihen aufdem Primärmarkt halte ich durchaus für vertretbar; denn
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11015
Bettina Kudla
(C)
(B)
das ist im Grunde eine Überbrückungsmaßnahme für ei-nen Staat, der sich am Kapitalmarkt finanzieren will, umsich über eine kurzfristig schwierige Zeit zu retten. EinAnkauf auf dem Sekundärmarkt wäre keinesfalls vertret-bar.
Zur Gläubigerbeteiligung – auch dieses Thema wurdeschon angesprochen –: Wenn man Gläubiger zu einemzu frühen Zeitpunkt beteiligen würde, dann würde es un-ter Umständen eine Kettenreaktion im Bankensektor ge-ben, die zu entsprechenden Verwerfungen führt. Deswe-gen ist es richtig, dass ab Mitte 2013 entsprechendeKlauseln in Anleihen aufgenommen werden, damit sichdie Gläubiger und andere Marktteilnehmer auf eineeventuelle Beteiligung einstellen können. Dann wird dieLage auf dem Kapitalmarkt stabil bleiben.Was unseren eigenen Beitrag zum ESM betrifft: Wirwerden wie auch andere Staaten Bürgschaften in enor-mer Höhe ausstellen und gegebenenfalls auch Einzah-lungen in die künftige Stabilitätsgesellschaft vornehmen.Ein Ausreichen von Geldern aus dieser Gesellschaftwird aber nur als Ultima Ratio unter strengsten Bedin-gungen und unter der Maßgabe erfolgen – ich glaube,das ist der deutliche Unterschied zu den Vorschlägen inden Anträgen der Opposition –, dass in erster Linie dasbetreffende Land seine Probleme selber lösen muss.
Im Hinblick auf die geäußerte Kritik, dass automati-sche Sanktionen fehlen, sei angemerkt: Der Pakt ist soausgestaltet, dass ein Land, welches sich unter den Ret-tungsschirm begibt, weitgehende Eingriffe in seine Sou-veränität hinnehmen muss. Mit Verlaub: Vorschläge inden Anträgen der Opposition wie Euro-Bonds oder diesoziale Fortschrittsklausel hemmen eher das Wirt-schaftswachstum und schützen die Interessen unsererBürger nicht.
Die von der Bundesregierung durchgesetzte gesetzli-che Verankerung einer Schuldenbremse auch in andereneuropäischen Ländern wird maßgeblich zur Trendum-kehr bei der Verschuldung der Staaten beitragen. DieseTrendumkehr muss schnellstmöglich erreicht werden,damit sich die Staaten selbst am Kapitalmarkt finanzie-ren können. Wir erwarten diese Trendumkehr in zwei bisdrei Jahren. Allerdings ist der ESM dauerhaft angelegt.Daher ist es umso wichtiger, dass der Deutsche Bundes-tag in jedem einzelnen Fall entscheiden muss, ob einLand Hilfe aus der Stabilitätsgesellschaft bekommt.Auch das haben wir in unserem Antrag vorgesehen.Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheitender Europäischen Union auf Drucksache 17/5094. Ichinformiere darüber, dass dazu zwei persönliche Erklä-rungen nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen, diewir zu Protokoll nehmen.1)Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-empfehlung, die Annahme des Antrages der Fraktionen derCDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/4880 mit demTitel „Einvernehmensherstellung von Bundestag undBundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136 desVertrages über die Arbeitsweise des EuropäischenUnion hinsichtlich der Einrichtung eines Euro-päischen Stabilitätsmechanismus – hier: Stel-lungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23Abs. 3 GG …“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist angenommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehltder Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktionder SPD auf Drucksache 17/4881 mit dem Titel „Her-stellung des Einvernehmens bezüglich der Ergänzungvon Art. 136 AEUV zur Einrichtung eines EuropäischenStabilitätsmechanismus verantwortlich gestal-ten“. Zu dem Antrag liegt ein Änderungsantrag der Frak-tion der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen. Werstimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/5095? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-trag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak-tionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung derSPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen.Damit kommen wir zur Abstimmung über Nr. 2 derBeschlussempfehlung: Ablehnung des Antrags der Frak-tion der SPD auf Drucksache 17/4881. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommenmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-tion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion undvon Bündnis 90/Die Grünen.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 17/4882 zum Ent-wurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Än-derung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-schen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismusfür die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istangenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen ge-gen die Fraktion Die Linke.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 17/4883 mit dem Titel „Herstellung des Einverneh-mens zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Än-derung des Artikels 136 des Vertrages über dieArbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich einesStabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren1) Anlage 11
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11016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(C)
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Währung der Euro ist“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge-gen die Stimmen der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Hilde Mattheis, Dr. Karl Lauterbach, ElkeFerner, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDQualität und Transparenz in der Pflege konse-quent weiterentwickeln – Pflege-Transparenz-kriterien optimieren– Drucksachen 17/1427, 17/4925 –Berichterstattung:Abgeordneter Willi ZylajewNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Heinz Lanfermann von der FDP-Frak-tion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer gut, zuspäterer Stunde noch einmal über die Pflege zu spre-chen, insbesondere nachdem GesundheitsministerPhilipp Rösler das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege erklärthat und die Dinge durch die in guter Atmosphäre geführ-ten Gesprächsrunden, die allseits gelobt werden, auf ei-nen guten Weg gebracht hat.Wir werden in diesem Jahr noch öfter über die Pflegesprechen. Wir werden auch darüber sprechen, wie wirden finanziellen und demografischen Herausforderungenbegegnen wollen; auch dies wird ein spannendes Themawerden.
Selbstverständlich werden wir auch über Qualitätsver-besserungen sprechen. Wir werden außerdem darübersprechen, wie wir den Pflegebedürftigkeitsbegriff aus-füllen werden.
Darüber könnte man jetzt noch vieles sagen. Aber derAnlass dieser Debatte ist ja – das will ich nicht ver-schweigen – ein Antrag, der kaum noch geeignet ist, eineganze Debatte zu füllen.
Es handelt sich um einen Antrag der SPD, der aus demApril des letzten Jahres stammt. Bevor er jetzt sozusagenaus Zeitgründen verfällt, hat die SPD-Fraktion ihn nocheinmal ins Plenum zurückgeholt.Er ist allerdings in allen wesentlichen Punkten über-holt. Vieles stimmte schon nicht, als Sie ihn geschriebenhaben. Eigentlich hätten Sie ihn im Ausschuss für erle-digt erklären müssen, aber Sie konnten sich nicht vonihm trennen.
Deshalb hören Sie heute noch einmal die Kritik. ImAusschuss wurde selbst von den anderen Oppositions-fraktionen, von den Grünen und von den Linken, erheb-liche Kritik an der Qualität dieses Antrags geübt. Viel-leicht hören wir das alles gleich noch einmal.Kommen wir aber zur Sache selbst. Wir sind uns dochohnehin alle darüber einig, dass die Transparenz im Pfle-gebereich noch weiter erhöht werden soll, dass die Pfle-gebedürftigen und ihre Angehörigen natürlich ein Rechthaben, zu erfahren, wo sie gute Pflege erwarten könnenund wie die einzelnen Einrichtungen einzuschätzen sind,und zwar insbesondere dann, wenn der Pflegefall eintritt.Denn wir wissen, dass das häufig besonders kurzfristigsein kann, dass man von dieser Situation oft überraschtwird, zum Beispiel nach Schlaganfällen. Insofern kannTransparenz gar nicht groß genug geschrieben werden.
Im Übrigen gilt das auch für die Anbieter selbst, denenwir immer wieder empfohlen haben, von sich aus voran-zugehen, auf Transparenz zu setzen, auch weil es natür-lich Wettbewerb gibt. Das ist auch gut so. Die Pflegebe-dürftigen oder ihre Angehörigen, die sich ja meist darumkümmern, sollen wählen können und sollen insofern alsKunden verstanden werden und nicht als Objekte, die ir-gendwie zu versorgen sind. Das Internet bietet zum Bei-spiel neue Möglichkeiten, die genutzt werden. Man kannsich erkundigen, welche Angebote denn in der Umge-bung – das ist meist wichtig – vorhanden sind. Natürlichwar das auch das Ziel, als man die Pflege-Transparenz-vereinbarung oder – wie man so schön sagt – den Pflege-TÜV eingeführt hat.Meine Damen und Herren, gerade auch meine Kolle-gin von der SPD, natürlich steht der Pflege-TÜV seit sei-ner Einführung, insbesondere die Bewertungssystema-tik zur Berechnung der Noten, in der Kritik. Das kannbei einem neuen System auch nicht verwundern, dasbundesweit unter zum Teil unterschiedlichen Bedingun-gen angewandt wird. Selbstverständlich ist für mich,dass zum Beispiel daran festgehalten werden muss, dassdie Prüfungen unangemeldet erfolgen, oder dass nie-mand schlechte pflegerische Leistungen durch gutesEssen – so erfreulich das sein mag – oder eine schöneAussicht ausgleichen kann. Es ist unstrittig, dass es beimBewertungssystem einen gewissen Nachbesserungsbe-darf gibt.Den zu konkretisieren und ein entsprechendes Verfah-ren zu finden, war und ist Aufgabe der Selbstverwaltung,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11017
Heinz Lanfermann
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die aber leider aufgrund einer gewissen Selbstblockadein ihren Reihen diese Aufgabe nicht bewältigt hat.Dabei ist der Vorwurf der SPD, das Ministerium seiuntätig gewesen, objektiv falsch. Wer auch immer sichbemüht hat – Frau Widmann-Mauz, Herr Kapferer oderwer auch immer –, für Einigkeit zu sorgen, zu moderie-ren, zu helfen – es hat nicht funktioniert. Deswegen ha-ben wir jetzt gehandelt.In dem Infektionsschutzgesetz, das gestern im Kabi-nett beschlossen wurde, gibt es einen Artikel, mit demdieses Problem jetzt gelöst wird. Sie wissen: Bishermussten Veränderungen einstimmig beschlossen wer-den. Das hat sich nicht bewährt. Der funktionierendeKonfliktlösungsmechanismus heißt jetzt Schiedsstelle.Wir wollten keine Verordnung; wir wollten nichts vonoben herab machen. Wir wollten nicht, dass die Regie-rung etwas macht. Wir wollten, dass die Selbstverwal-tung zum Zuge kommt, und wir wollten Gruppen oderVerbände natürlich auch nicht ausschließen.Aber sie müssen einsehen: Irgendwann ist Schluss. Esmuss zügig gehandelt werden. Deswegen haben wir ge-wisse Zeitvorstellungen, bis wann man sich einigenmuss oder wann man eine Schiedsstelle anrufen kann.Man sollte durchaus noch einmal darüber diskutieren,was richtig ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wirwerden uns im Ausschuss bei den Beratungen sicherlichnoch damit auseinandersetzen. Sie sind alle herzlich ein-geladen, an diesem – in dem Falle – kleinen Reformvor-haben der Regierung mitzuarbeiten.Ich glaube, wir werden gemeinsam sehen, dass dieserKonfliktlösungsmechanismus die Selbstverwaltungstärkt. Auch das ist gut für die Pflege, für die Betroffe-nen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Lanfermann hat gerade betont, dass die Koalitions-fraktionen das Jahr der Pflege ausgerufen haben. Ichmuss feststellen: Unser Antrag ist genau richtig. Denngestern hat das Kabinett nach vielen Monaten des War-tens endlich eine Lösung für das Problem vorgelegt, daswir im Bereich der Qualität und Transparenz in derPflege beobachten mussten: Es kann zu einer Blockade-haltung kommen. Wir werden in den nächsten Wochenund Monaten darüber zu diskutieren haben, ob dieSchiedsstellenlösung unseren Ansprüchen wirklich ge-recht wird.Unser Antrag vom April letzten Jahres hat vorwegge-nommen, was im Herbst für alle offensichtlich wurde:Die Vereinbarungen zu Qualität und Transparenz sind inzwei ganz wichtigen Punkten wirklich mangelhaft; sieführen deshalb nicht zu dem Ergebnis, das wir uns ge-wünscht haben. Das gewünschte Ergebnis wäre nämlichgewesen, die Transparenz von Einrichtungen und ambu-lanten Pflegediensten zu erhöhen, damit ihre Qualitätrichtig eingeschätzt werden kann. Das sollte dazu füh-ren, dass Angehörige und Pflegebedürftige zum Beispielüber das Internet erfahren können, welche Einrichtungfür sie die richtige ist.Ich darf es an dieser Stelle sagen: Es war für uns alle– für alle Fraktionen – immer ein wichtiges und richtigesAnliegen, für mehr Transparenz und Qualität zu sorgen;dies hat uns geeint. Daher sollten wir uns jetzt auf denWeg machen und in der Tat die richtige Lösung finden.Dafür streiten wir; denn es ist richtig: Die Bewertungs-kriterien, die vereinbart worden sind, lassen oftmalsnicht den Blick in die Einrichtung zu.Ich möchte das am Beispiel einer Einrichtung hier ausBerlin festmachen. Da werden im Qualitätsbereich 1– Pflege und medizinische Versorgung – zum Beispielfolgende Noten vergeben: Ist der Umgang mit Medika-menten sachgerecht? Note: 4,1. Werden erforderlicheDekubitusprophylaxen durchgeführt? Note: 3,4. Werdenerforderliche Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt?Note: 3,6. Wird die Pflege im Regelfall von denselbenPflegekräften durchgeführt? Note: 4,8. Im Gegensatzdazu werden in den weicheren Bereichen, zum Beispielbei der Angehörigenarbeit, Noten wie 1,0 vergeben. Ge-samtnote: 1,3.Das sind genau die Kriterien, an denen es zu arbeitengilt. Wir sagen: Es kann nicht sein, dass bestimmteWohlfühlkriterien dazu führen, dass Mängel im pflegeri-schen Bereich überdeckt werden; deswegen ist dieserPunkt so wichtig. Wir haben die Bewertung der Qualitätvon Pflegeeinrichtungen gemeinsam mit Schwarz imPflege-Weiterentwicklungsgesetz auf den Weg ge-bracht, welches dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetznachfolgte. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Bau-steine für mehr Qualität und Transparenz in der Pflegestimmig sind; sie dürfen nicht dazu führen, dass Ange-hörige keinen richtigen Blick in die Einrichtung erhal-ten, denn dann könnten wir es gleich lassen.
Ich wollte mit meinem Beispiel deutlich machen: Diegravierenden pflegerischen Mängel dürfen nicht vonweichen Kriterien überdeckt werden; das darf nicht sein.Deshalb kam es schon nach Veröffentlichung der erstenPflegenoten im Jahr 2010 unter Fachleuten zu intensivenDiskussionen. Die Fachwelt hat gesagt: Das muss über-arbeitet werden.Schlecht ist, dass sich die Bundesregierung so vielZeit für die Überarbeitung genommen hat und jetzt dieReform an ein Gesetz anhängen muss. Es wäre wichtiggewesen, schon im Herbst darauf hinzuwirken, dass wirin diesem Bereich eine Nachbesserung erhalten.
Die Frage ist in der Tat, ob die Schiedsstellen die rich-tige Lösung sind. Schiedsstellen sind zur Moderationzwischen Blöcken angelegt.
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11018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Hilde Mattheis
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Schiedsstellen sind dazu aufgerufen, einen Kompromiss-vorschlag zu erarbeiten. Neue Lösungen sind nicht ge-fragt. Schiedsstellen brauchen Zeit. Ob dadurch das Ver-trauen der Bevölkerung in die Aussagekraft derErgebnisse steigt, wage ich zu bezweifeln. Wegen derZweifel an der Schiedsstellenlösung fordern wir, auchandere Lösungen in Betracht zu ziehen und zum Beispielden Vorschlag der A-Länder nach einer bundesrechtli-chen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnungaufzugreifen oder das Deutsche Netzwerk für Qualitäts-entwicklung in der Pflege zu beauftragen. Eines ist klar:Wir müssen alles tun, um der Verpflichtung, der wir unsim Pflege-Weiterentwicklungsgesetz gemeinsam ver-schrieben haben, gerecht zu werden.
Für meine Partei und meine Fraktion ist klar: ÜberQualität in der Pflege kann und darf nicht verhandeltwerden. Sie steht für einen Kompromiss nicht zur Verfü-gung. Wenn wir Qualität einfordern, dann meinen wirauch Qualität. Davon rücken wir nicht ab. Die Bevölke-rung hat auch in diesem Bereich ein Recht auf Informa-tion und Transparenz.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habengerade einen Beitrag der Kollegin Mattheis gehört, der,verehrte Frau Mattheis, überhaupt nichts mit dem Antragzu tun hatte, den wir heute beraten.
– Doch. Ich habe ihn sogar dabei. Ich kann Ihnen denAntrag gerne zur Verfügung stellen.
In dem Antrag steht etwas über Qualität und Transpa-renz in der Pflege, zur konsequenten Weiterentwicklungund zur Optimierung. In dem Antrag steht – wenn Siewollen, lesen Sie das nach –: „Der Deutsche Bundestagstellt fest: …“
Das ist aber auch schon alles. Er enthält keine Forderun-gen. Dann steht hier: „Der Deutsche Bundestag ist derAuffassung … Der Deutsche Bundestag fordert die Bun-desregierung auf …“. Etwas Substanzielles ist in IhremAntrag nicht enthalten. Dort steht nichts von dem, wasSie eben gesagt haben.
Frau Mattheis, SPD und CDU/CSU haben in der Gro-ßen Koalition den Pflege-TÜV gemeinsam eingerichtet.Wir wollten die Leistungen stationärer und ambulanterEinrichtungen erfassen und vergleichbar machen – daswar unser gemeinsames Ziel –, und zwar durch unange-meldete Prüfungen. Der Pflege-TÜV ist eine wichtigeHilfe für Angehörige; das wissen wir alle. Wir wollenihn weiterentwickeln. Die Heime profitieren davon.Qualitätsunterschiede werden abgebildet. Schwächen,aber auch positive Dinge werden deutlich. Jeder guteTräger müsste interessiert daran sein, bewertet und beno-tet zu werden.Die SPD erkennt das auch an. In Ihrem Antrag stehtunter II., dass die Transparenzvereinbarungen geeignetsind, um Qualität und Qualitätsunterschiede abzubilden.Ihr Antrag enthält aber überhaupt keinen Vorschlag, wiewir die Dinge verbessern können. Sie haben eben nurdas Verfahren erläutert, das zwischenzeitlich angewen-det wurde.Wir wollten nicht – das wollten Sie übrigens auchnicht –, dass Ministerialbeamte die Begriffe Qualität undTransparenz für den Bereich der Pflege definieren. Wirhaben das der Selbstverwaltung überlassen, also denFachleuten bei den Krankenkassen und den Fachleutenbei den Leistungserbringern, von denen einige heute hiersind. Jetzt hat sich gezeigt, dass die Transparenzkriterienoptimiert werden müssen. Damit waren fast alle Trägereinverstanden. Nur zwei kleine Trägerverbände, der Ver-band Deutscher Alten- und Behindertenhilfe und der Ar-beitgeber- und Berufsverband Privater Pflege, waren an-derer Auffassung. Das Ministerium hat dann sehrbeherzt eingegriffen
– ja, nicht in der Basta-Manier des Herrn Schröder – unddie Fachleute gebeten, sich darauf zu verständigen, dieKriterien weiterzuentwickeln. Dies ist passiert.Wir richten eine Schiedsstelle ein. Gestern hat dasKabinett Entsprechendes auf den Weg gebracht. Wirsind gespannt, welche Optimierungsvorschläge Sie fürdie Schiedsstelle haben. Das werden wir uns dann inRuhe anschauen. Uns ist die Frist von drei Monatenwichtig. Um es noch einmal zu sagen: Die Träger undLeistungserbringer haben, wenn sie Änderungswünschehaben, drei Monate Zeit, sich zu verständigen. Danachwird es eine Schiedsstellenentscheidung geben. Das istder vernünftigste, durch Fachleute geprägte Weg.
Aber auch dazu steht nichts in Ihrem Antrag. Im Antragheißt es nur – ich wiederhole mich –: „Der DeutscheBundestag stellt fest: … Der Deutsche Bundestag ist derAuffassung, dass …“ Das war es. Dass Sie heute ein biss-chen klüger sind, akzeptiere ich gern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11019
Willi Zylajew
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Ich will an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sa-gen, dass die Leistungserbringer mit dem, was wir tun,zum größten Teil ausgesprochen zufrieden sind. Es gibteine neue Befragung der Basis, nicht der Funktionäre.Danach sind in Westfalen-Lippe 98 Prozent der Einrich-tungen der Meinung, die Prüfung sei fachkompetent. –Sie haben den praktischen Nutzen, den Wert der Prüfungherausgestrichen. 53,2 Prozent meinen, der Wert derPrüfung sei hoch, 37,9 Prozent meinen, er sei eher hoch,7,5 Prozent meinen, er sei eher gering, und nur1,4 Prozent meinen, der Wert sei gering. Insofern hat dieBasis dieses Verfahren längst angenommen.Wir schaffen Transparenz, wir optimieren. Wir orien-tieren uns nicht an dem, was Sie im Antrag geschriebenhaben, sind nicht zufrieden mit banalen Feststellungen,die nicht weiterhelfen, sondern machen die Transparenz-vereinbarungen in der Weiterentwicklung zu einem her-vorragenden Instrument für Pflegebedürftige und derenAngehörige. Sie haben ja die Quittung für Ihren Antragbekommen. Nicht einmal die Kolleginnen und Kollegender anderen Oppositionsfraktionen haben Ihrem Antragim Ausschuss auch nur eine Stimme gegeben. Dieses Er-gebnis spricht doch für sich. Die Qualität dieses Antragsist schon vor einem Jahr dürftig gewesen; heute ist derAntrag überholt.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer
von der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Menschen, die gepflegt werden, müssen dasbekommen, was sie brauchen. Die Grundvoraussetzungdafür ist, dass gute Pflege erkennbar wird. Genau daranmüssen sich die Pflegeeinrichtungen messen lassen. Wo-ran sonst sollten sich Angehörige halten, wenn sie denbestmöglichen Pflegeplatz für Mutter oder Vater suchen?Wie wir alle wissen, wird die soziale DienstleistungPflege in Deutschland knallhart über den Wettbewerb or-ganisiert. Wir sagen: Das geht nicht.
Pflege ist eine öffentliche Daseinsfürsorge, und siedarf nichts mit Profitmacherei zu tun haben. HerrLanfermann, auch wenn Sie sagen, dass Pflegebedürf-tige in erster Linie Kunden sind: Für uns sind Pflegebe-dürftige in erster Linie Menschen.
– Das müssen Sie gerade sagen.
Für mich ist dann ganz logisch, dass durch das Sicht-barmachen von guter und schlechter Qualität in Pflege-einrichtungen es eben nicht der Markt sein kann, der da-für sorgt, dass schlechte Pflege verschwindet. Mit dergesetzlichen Pflegeversicherung, die sich sozial nennt,aber nicht den tatsächlichen Pflegebedarf eines Men-schen abdeckt, werden die Pflegebedürftigen gegen diePflegekräfte ausgespielt, und umgekehrt. Solange das soist, brauchen wir im Interesse der Pflegebedürftigen unddes Pflegepersonals eine Weiterentwicklung der Pflege-noten.
So wie die Pflegenoten heute erhoben werden, erge-ben sie ein unklares Abbild der Pflege. Es ist noch im-mer möglich, schlechte Pflege beispielsweise in derWundversorgung mit einem gut sichtbaren Speiseplan zukaschieren. Bei der Weiterentwicklung der Pflegenotenhakt es, und zwar gewaltig. Ich verstehe nicht, warumüber die Weiterentwicklung der Pflegenoten überhauptnoch gestritten wird. Noch viel weniger verstehe ich, wiezwei kleine Arbeitgeberverbände – sie wurden ge-nannt –, die nicht einmal 5 Prozent der Pflegeeinrichtun-gen vertreten, die Weiterentwicklung der Pflegenotenblockieren können.
Das Ganze führt doch im Ergebnis zu einem Vertrauens-verlust und zu Skepsis gegenüber den Pflegeeinrichtun-gen.
Was gut gemeint ist, kann so schlicht keine Wirkung zei-gen.
Allen ist klar: Gute, qualitativ hochwertige Pflegehängt entscheidend von qualifiziertem und motiviertemPersonal ab. Dafür steht die Linke seit jeher.
– Ja, das ist so. – Die äußerst schwere und aufopferungs-volle Arbeit des Pflegepersonals kann, gerade im Inte-resse der Pflegebedürftigen, nicht hoch genug wertge-schätzt werden.Bringen wir es doch einmal auf den Punkt: Wir befin-den uns mitten im Pflegenotstand. Die Hauptursachendafür sind schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Be-zahlung und die daraus resultierende fehlende Attraktivi-tät des Pflegeberufs. Wir meinen, dass es deshalb zwin-gend notwendig ist, die Arbeitsbedingungen bei denPflegenoten zu berücksichtigen.
Eine Pflegerin, die im Minutentakt arbeiten muss, die fürAn- und Auskleiden und Körperpflege nur wenige Mi-nuten zur Verfügung hat, wird auf Dauer so im Stress
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11020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Kathrin Senger-Schäfer
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sein, dass ihr kaum Raum bleibt für ausführliche Gesprä-che und Fürsorge, die zu Pflegende so dringend brau-chen. Das macht die Qualität der Pflege aus meiner Sichtentscheidend aus; denn die Arbeitsbedingungen in derPflege haben Einfluss auf die Pflegequalität.Dieser wichtige Aspekt wird im Antrag der SPD zwarerwähnt, findet sich dann aber in den Forderungen leidernicht wieder.
Die Linke kann sich daher nur enthalten.
Darüber, was die Bundesregierung nun zur Zukunftder Pflegenoten vorschlägt, wird an anderer Stelle zudiskutieren sein. Sie alle können sich ganz sicher sein,dass wir jeden Ihrer Vorschläge im Interesse der zu Pfle-genden und der Pflegekräfte äußerst kritisch begleitenwerden.
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Scharfenbergvon Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die Pflege-Transparenzvereinbarung, besser be-kannt als Pflege-TÜV – er wurde schon mehrmals ge-nannt –, sollte Transparenz erzeugen. Mit dieserVerheißung war man angetreten. Anhand einer einzigenPflegenote sollte die Qualität einer Pflegeeinrichtungoder eines Pflegedienstes zu erkennen sein. Diese eineNote setzt sich aus einer Fülle von Einzelnoten für unter-schiedliche Leistungsbereiche zusammen. Keine Rück-sicht wurde darauf genommen, was miteinander vergli-chen und gegeneinander aufgewogen wurde, ob nunÄpfel mit Birnen oder Speisepläne mit Demenzkonzep-ten. Anstatt in der Pflege für Transparenz zu sorgen, ver-nebelt der Pflege-TÜV die wahre Situation im Pflege-alltag. Transparenz wird auf eine transparenteDokumentation reduziert. Die Frage ist, was für denNutzer und die Nutzerin am Ende dabei herauskommt.Diese Frage ist unbeantwortet geblieben.
Der Fehler beim Pflege-TÜV ist unserer Ansicht nachschon bei seiner Geburt zu finden. Es sollte in allerersterLinie um die Verbraucherinnen und Verbraucher gehen;ihnen sollte er dienen. Doch bei der Erarbeitung der Kri-terien wurden wichtige Geburtshelfer außen vor gelas-sen, zum Beispiel die für uns wichtigste Gruppe, die Ver-braucherverbände und die Selbsthilfeorganisationen.Diese wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie hat-ten gerade einmal ein Stellungnahmerecht. Größere Zu-geständnisse räumte man ihnen nicht ein, und das ganznach dem Motto: zwar für euch, aber bitte ohne euch.Wir haben von Anfang an kritisiert, dass die Kosten-träger und die Leistungserbringer die Bewertungskrite-rien unter sich ausmachen. Dieser Mangel wird leiderauch durch den Antrag der SPD-Fraktion nicht geheilt.
Dies steht auch im Hinblick auf die weitere Überarbei-tung der Transparenzkriterien leider nicht auf derAgenda. Ich frage: Wann beziehen wir endlich dieAdressaten und Adressatinnen des Pflege-TÜV mit ein?Grüne Politik ist für uns immer auch Politik für Ver-braucherinnen und Verbraucher. Wir begrüßen Regelun-gen, die wirklich darauf abzielen, Transparenz für Ver-braucherinnen und Verbraucher herzustellen. Deshalb istes wichtig, diese Zielgruppe nicht länger in die Irre zuführen. Genau das tut derzeit die Gesamtnote des Pflege-TÜV. Wir Grüne plädieren dafür, die Gesamtnote alsErstes abzuschaffen.
Die Gesamtnote hat ihr Ziel, mehr Transparenz zu schaf-fen, verfehlt. Sie verleitet dazu, sich nicht detailliert mitden Einzelbereichen zu beschäftigen. Der Heimalltag istnun einmal komplex; er lässt sich nicht schnell in eineNote packen. Es wäre vermessen, zu meinen, dass manaufgrund dieser Note ein Urteil darüber fällen könnte,wie gut in einem Heim gearbeitet wird oder wo genaudie Defizite eines Pflegedienstes sind. Aber diese Ge-samtnote gaukelt uns den Durchblick vor.Uns geht es darum, auch Lebensqualität zu beurteilen.Pflege, die es schafft, Lebensqualität zu bieten und zu er-höhen, ist eine gute Pflege.
Lebensqualität und Wohlbefinden sind aber in hohemMaße subjektiv. Genau darin liegt die Schwierigkeit. Le-bensqualität bedeutet nicht für jede und jeden das Glei-che. Prüfungen und Benotungen sind im Sinne des Ver-braucherschutzes zwar wichtig. Sie dürfen aber nichtdazu führen, dass die Lebenswelt dadurch standardisiertoder normiert wird. Dann wird der Pflege-TÜV zumSelbstzweck, und dann dient er überhaupt nicht zur Hilfefür die Betroffenen. Wenn der Pflege-TÜV wirklich zumWegweiser werden soll, dann ist noch sehr viel zu tun,und das zusammen mit den Nutzerinnen und Nutzern.Im Übrigen: Herr Lanfermann, Sie sprachen vom Jahrder Pflege.
Es wird sich zeigen, wie dieses Jahr der Pflege mit Inhal-ten gefüllt wird,
und zwar im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer, der Pfle-gebedürftigen, der Angehörigen und der Pflegenden. Andiesen Inhalten wird man Sie letztendlich messen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11021
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Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Stephan Stracke von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Gute Pflege braucht Qualität. Gute Pflegebraucht Instrumente, um Qualität zu sichern und weiter-zuentwickeln. Deswegen haben wir interne Qualitätsma-nagementverfahren, Expertenstandards und Qualitäts-prüfungen. Aber für den Verbraucher, gerade für diePflegebedürftigen und deren Angehörige, ist es wichtig,dass Leistungen im ambulanten wie im stationären Be-reich und ihre Qualität verständlich, übersichtlich undvergleichbar beurteilt werden können. Der Verbrauchermöchte bei der nicht immer einfachen Suche nach derpassenden Pflege eine Entscheidungshilfe bekommen.Deswegen haben wir Pflegequalität sichtbar gemachtund für Transparenz der Pflegeleistungen gesorgt. Des-wegen hat der Medizinische Dienst der Krankenversi-cherung rund 18 000 Pflegeeinrichtungen auf Transpa-renz überprüft und 14 000 Transparenzberichte imInternet veröffentlicht. Das ist ein echter Beitrag zumehr Transparenz in der Pflege.
Die Transparenzvereinbarungen und ihre Weiterent-wicklung haben wir bewusst in die Hände der Selbstver-waltung gelegt. Dort wollen wir sie auch belassen. Denndie Selbstverwaltung verfügt wie kaum jemand andersüber die Möglichkeit, Sachverstand mit praxistauglichenund flexiblen Lösungen zu verbinden. Das ist ihre Auf-gabe und Verantwortung zugleich. Aus dieser Verant-wortung werden wir sie nicht entlassen.Zu verantwortlichem Handeln der Selbstverwaltunggehört auch, zu begreifen, dass die Qualität der Pflegeund nicht zuletzt auch die Transparenz für die Pflegebe-dürftigen und ihre Angehörigen stets weiterentwickeltwerden müssen. Wie in der Pflege selbst muss auch beiden Transparenzvereinbarungen das Ergebnis stimmen,und hieran mangelt es. Hieran mangelt es beispielsweisebei dem System der Zufallsstichprobe, wie sie bislang inden Vereinbarungen verankert ist. So werden wichtigeKriterien wie Flüssigkeitsversorgung, Ernährungszu-stand und Wundliegen gerade im ambulanten Bereichnur unzureichend erfasst. Die Gefahr des Übersehensvon gravierenden Pflegemängeln ist deshalb groß. Zu-dem ist die Vergleichbarkeit der Prüfergebnisse nicht ge-währleistet. Schlechte Bewertungen können aufgrundder Mittelwertbildung einfach ausgeglichen werden, unddurch die Durchschnittsbildung werden Einrichtungenmit einem größeren Anteil an Pflegefällen mit großemRisiko benachteiligt.All das gefährdet die Glaubwürdigkeit des Transpa-renzinstruments als solches. Die Träger, die hieran nichtsändern wollen, leisten gerade den Pflegeeinrichtungen,die gute Arbeit leisten, einen Bärendienst.
Denn diese Einrichtungen haben zu Recht einen An-spruch darauf, dass sich gute, qualitätsvolle Leistungauch lohnt. Deshalb muss eine klare Unterscheidbarkeitzu schlechteren Einrichtungen gegeben sein. Auch darinliegt die Verantwortung der Selbstverwaltung.
Es war gut, dass das Bundesministerium für Gesund-heit von Beginn an den Umsetzungsprozess eng begleitetund immer wieder auf die Wahrnehmung von Verant-wortung der Leistungspartner gedrängt hat. Umso ent-täuschender ist es, dass sich die Selbstverwaltung letzt-lich selbst blockiert. Das liegt zum einen daran, dassaufgrund der Vereinbarungen das Einstimmigkeitsprin-zip angewendet werden muss, und zum anderen daran,dass auch das Kündigungsrecht keine wirkliche Wirkungentfalten kann, da das alte Recht bis zur Geltung einerneuen Vereinbarung weiterhin gilt. Es ist allerdings nichtakzeptabel, dass diese Selbstblockade besteht. Wir wol-len diese Eigenblockade mit einer Schiedsstellenlösungüberwinden. Diese Schiedsstellenlösung entspricht demWunsch relevanter Teile der Selbstverwaltung und ist einKonfliktlösungsmechanismus, der der Systematik desSGB XI Rechnung trägt. Durch die Möglichkeit derFristverkürzung bei der Anrufung der Schiedsstelle be-steht die Chance auf eine rasche Auflösung der derzeiti-gen Blockade.Wenn Sie nun, liebe Frau Kollegin Mattheis, kritisie-ren, dass Schiedsstellenlösungen unter Umständen zuKompromissen verleiten, dann stellen Sie indirekt diegesamte Konzeption infrage. Selbstverständlich ist dieTransparenzvereinbarung, so wie sie angelegt ist, aufeine Vereinbarung der Selbstverwaltung bezogen. Daherverabschieden Sie sich wieder von einem Stück dessen,was wir in der Großen Koalition vereinbart haben. Dasfinde ich etwas schade.
Ich erwarte nun, dass sich die Selbstverwaltung ihrerVerantwortung bewusst ist und dementsprechend han-delt. Ich erwarte von der Selbstverwaltung, dass das der-zeit unzureichende System der Zufallsstichprobe durchein geeigneteres System ersetzt wird und dass Verrech-nungsmöglichkeiten und Überstrahlungseffekte in Zu-kunft nicht mehr gegeben sind. Ich bin mir sicher, dassdas Bundesministerium für Gesundheit diesen anstehen-den Weiterentwicklungsprozess weiterhin eng begleitenwird, und ich bin mir gewiss, dass die Hausspitze aufdiese Weise der Selbstverwaltung den notwendigen Rah-men aufzeigt, in dem Veränderungen notwendig undsinnvoll sind. Diesen Prozess werden nicht zuletzt wirvonseiten der christlich-liberalen Koalition entsprechendbegleiten.Herzlichen Dank.
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11022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(C)
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An-
trag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Qualität und
Transparenz in der Pflege konsequent weiterentwickeln –
Pflege-Transparenzkriterien optimieren“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/4925, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/1427 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Lin-
ken und der Grünen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
– Drucksache 17/4981 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes
– Drucksache 17/2766 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Andreas
Scheuer das Wort.
D
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die freiwilligen Feuerwehren, aber auch die Rettungs-dienste und das Technische Hilfswerk leisten mit ihrenEinsätzen einen unschätzbaren Dienst für unsere Gesell-schaft. Nicht selten setzen sie bei ihrem Einsatz Leib undLeben aufs Spiel: für andere, für den Nächsten. Ichmöchte auch unseren Einsatzkräften, die im Katastro-phenschutz tätig sind, vor allem den Mitgliedern desTHW, für ihren Einsatz und für ihre Bereitschaft, auch inJapan zu helfen, danken. Herzlichen Dank dafür.
Leider gibt es immer weniger junge Ehrenamtliche,die über eine zum Führen der Einsatzfahrzeuge notwen-dige Fahrerlaubnis verfügen. Lediglich ältere Fahr-erlaubnisinhaber, die ihre Fahrerlaubnis vor dem1. Januar 1999 erworben haben, können aufgrund desBestandsschutzes auch schwerere Fahrzeuge mit demFührerschein der alten Klasse 3 fahren. Da diese Fahrerden freiwilligen Feuerwehren nunmehr aus Altersgrün-den langsam nicht mehr zur Verfügung stehen, müssenjüngere Fahrer nachrücken, die aber nicht mehr über diebenötigte Fahrerlaubnis für die zwischenzeitlich austechnischen Gründen auch schwerer gewordenen Ein-satz-fahrzeuge verfügen. Nicht nur in meinem Heimat-land Bayern, in dem rund 300 000 Ehrenamtliche in denfreiwilligen Feuerwehren aktiv sind, führt dies zu dra-matischen Engpässen bei den Einsatzfahrten. Das isteine aus meiner Sicht nicht akzeptable Situation, für diees jetzt endlich eine vernünftige Lösung gibt. Das Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungsetzt die Vorschläge der Ehrenamtlichen um.
Ursache für diese Entwicklung ist die sogenannte2. EU-Führerschein-Richtlinie von 1991, nach der dasFahrerlaubnisrecht und insbesondere die deutschenFahrerlaubnisklassen zum 1. Januar 1999 an die gemein-schaftsrechtlichen Vorgaben anzupassen waren. Seitherdürfen mit einer Fahrerlaubnis der Klasse B für Pkw nurnoch Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmassevon bis zu 3,5 Tonnen gefahren werden. Für Kraftfahr-zeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen ist hingegen eine Fahrerlaub-nis der Klasse C 1 und für Kraftfahrzeuge über 7,5 Ton-nen eine Fahrerlaubnis der Klasse C erforderlich. DieseRechtsänderung wurde von der Europäischen Union ein-geführt. Aus europarechtlichen Gründen ist es leiderausgeschlossen, der Forderung nachzukommen, eineRechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass Angehörige derfreiwilligen Feuerwehren, der nach Landesrecht aner-kannten Rettungsdienste und des Katastrophenschutzesmit einer Fahrerlaubnis der Klasse B Einsatzfahrzeugemit einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 4,25 Ton-nen fahren dürfen.Die in der vergangenen Legislaturperiode beschlos-sene Rechtsgrundlage für eine Sonderfahrberechtigungzum Führen von Einsatzfahrzeugen der freiwilligen Feu-erwehren bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von biszu 4,75 Tonnen bzw. 7,5 Tonnen reicht nach meiner Ein-schätzung und auch aus Sicht der betroffenen Organisa-tionen nicht aus, um die Einsatzfähigkeit der betroffenenOrganisationen tatsächlich zu verbessern.Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden dieVereinbarungen der Koalitionsfraktionen im Koalitions-vertrag umgesetzt. Es werden weitere Erleichterungenfür Ehrenamtliche geschaffen, die kostengünstig und un-bürokratisch zu handhaben sind.Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die betroffenen Or-ganisationen eine organisationsinterne Einweisung und– das ist das Entscheidende – auch eine organisationsin-terne Prüfung auf Einsatzfahrzeugen mit einer zulässi-gen Gesamtmasse von bis zu 7,5 Tonnen durchführenkönnen.So wird ein einfaches und kostengünstiges Verfahrengeschaffen, mit dem den jeweiligen Bedürfnissen vor
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11023
Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
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Ort entsprechend mit den vorhandenen Einsatzfahrzeu-gen ausgebildet und geprüft werden kann. Dabei wirdzwischen einer Sonderfahrberechtigung bis zu einer zu-lässigen Gesamtmasse von 4,75 Tonnen einerseits undbis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen an-dererseits differenziert, da die Anforderungen an dieFahrerinnen und Fahrer mit der Höhe des Fahrzeugge-wichts zunehmen.Im Gegensatz zu vorherigen Regelungen aufgrunddes tatsächlich geltend gemachten Bedarfs werden jetztauch Anhänger in die Fahrberechtigungen aufgenom-men.
Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, in Anlehnung andas in Deutschland bewährte System der professionellenAusbildung die Ausbildung auch durch Fahrlehrer vor-nehmen zu lassen.Die Ermächtigung zur Ausstellung der Fahrberechti-gungen wird dabei unmittelbar auf die Landesregierun-gen übertragen. So wird sichergestellt, dass den jeweili-gen regionalen Gegebenheiten Rechnung getragen wirdund möglichst passgenaue Regelungen getroffen werdenkönnen. Wir appellieren an die Landesregierungen, dieseBasisvereinbarung, die wir jetzt treffen, zum Wohl derEhrenamtlichen zügig umzusetzen.
Ich werbe daher um Ihre Zustimmung zu dem unbü-rokratischen Gesetzentwurf, der sicherstellt, dass das eh-renamtliche Engagement wieder für mehr junge Freiwil-lige beim Technischen Hilfswerk, bei den nachLandesrecht anerkannten Rettungsdiensten, den freiwil-ligen Feuerwehren sowie den Organisationen des Kata-strophenschutzes interessant wird. Wer sich engagiertgewinnt, vor allem mit den Gesetzentwürfen der christ-lich-liberalen Koalition und ihrer Bundesregierung.
In diesem Sinne freuen wir uns, dass wir für die Eh-renamtlichen einen weitreichenden Vorschlag beschlie-ßen, der schon lange diskutiert wird und den wir jetztendlich umsetzen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Anwesende! Als icheben von einer Besuchergruppe, die uns jetzt auf der Tri-büne zuhört, gefragt wurde, worum es in der Debattegeht, habe ich flapsig gesagt: um den Feuerwehrführer-schein. Aber wir sollten einmal klarstellen, worum essich handelt. Es handelt sich nicht um eine neue Art derFahrerlaubnis, sondern um eine Ausnahmeregelung zumbestehenden Führerscheinrecht.Ich möchte kurz – der Staatssekretär hat damit begon-nen – weiter auf die Historie eingehen. Vor etlichen Jah-ren wurde in Brüssel unter Beteiligung der damaligenschwarz-gelben Bundesregierung ein neues Führer-scheinrecht verhandelt. Der Grund waren Sicherheitsbe-denken, dass mit steigendem Kraftfahrzeugverkehr diejetzigen Fahrerlaubnisklassen nicht mehr die Realität ab-bildeten.Das Resultat wurde eben erläutert. Unter anderemkann man mit dem PKW-Führerschein Klasse B nurnoch Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen zulässige Gesamtmasseführen.Die Zustimmung zur Neuregelung auch durch die da-malige Bundesregierung war gut und richtig. Die Folgenhat auch der Herr Staatssekretär eben dargelegt.Nach immerhin elf Jahren des neuen Rechtes gibt esinzwischen immer weniger Ehrenamtliche mit den altenFührerscheinklassen, die noch die Fahrzeuge bis7,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse führen können. Dasist problematisch, weil wir in der BundesrepublikDeutschland unseren Rettungsdienst zum Beispiel in derFeuerwehr, im Technischen Hilfswerk, im DRK, in derDLRG und in vielen anderen Organisationen hauptsäch-lich ehrenamtlich regeln. Die Leistungsfähigkeit war so-mit gefährdet.Dazu kommt, dass die Feuerwehrfahrzeuge immerschwerer und die regulären Fahrerlaubnisse immer teu-rer werden. Die Rettungsdienste waren also in einer sehrschwierigen Situation.Es war die Große Koalition, die darauf reagiert hat,und zwar mit der fünften Änderung des StVG. Dadurchwurden die Länder ermächtigt, Sonderfahrerlaubnisse zuerteilen, um den Ehrenamtlichen im Rettungsdienst zuerlauben, die Fahrzeuge zu führen.Das Ergebnis war ein Kompromiss in Zusammenar-beit mit allen Beteiligten: mit den Verbänden der Ver-kehrssicherheit, mit den betroffenen Rettungsorganisa-tionen und der Politik. Der Inhalt lautete, dass bis4,75 Tonnen eine organisationsinterne Einweisung aus-reichte. Damit durften nur Einsatzfahrzeuge gefahrenwerden. Laut Auskunft des BMVBS haben lediglichBayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg von dieser Regelung Gebrauch gemacht.Das sind lediglich vier von 16 Bundesländern, die dieseMöglichkeit hatten.
Die zweite Regelung bis 7,5 Tonnen sah eine verein-fachte Fahrausbildung und eine vereinfachte Prüfungvor. Hierbei konnte aber eine Umschreibung zur privatenNutzung erst nach einer gewissen Zeit möglich gemachtwerden.Diese zweite Regelung wurde aber niemals umge-setzt, weil das BMVBS die Ermächtigungsverordnungfür die Länder nie erlassen hatte. Wir wissen also garnicht, ob diese Regelung der Großen Koalition ausrei-
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11024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Kirsten Lühmann
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chend gewesen wäre, um das Problem der Rettungs-dienste zu beheben.Trotzdem haben wir jetzt eine neue Regelung vor unsliegen.
Die jetzige Regelung hat einen erheblichen Vorteil: Sieist nahezu kostenfrei. Die alte Regelung sah Kosten füreine reduzierte Schulungs- und Prüfungsgebühr vor. Beider neuen Regelung führt, wenn es möglich ist, der Kol-lege bzw. die Kollegin die Schulung mit einem ganz nor-malen Einsatzfahrzeug durch, also ohne Möglichkeit fürden Schulenden, die Fahrt zu beeinflussen oder selbstdie Prüfung abzunehmen. Organisationsintern entstehennahezu keine Kosten.Aber die Feuerwehrfahrzeuge werden immer schwe-rer, insbesondere die wasserführenden Fahrzeuge. DieseRegelung schafft nur für gut die Hälfte aller Fahrzeuge,nämlich etwa 13 000, Abhilfe. Auf bundesdeutschenStraßen sind jedoch auch Feuerwehrfahrzeuge über7,5 Tonnen in einer Größenordnung von 11 000 Fahr-zeugen unterwegs. Auch über diese sollten wir reden.Wir sollten in den Ausschussberatungen genau prü-fen, ob die vorgelegten Regelungen zumutbar sind. Wasmeine ich damit? Geprüft werden muss, ob sie zum ei-nen für die Begünstigten zumutbar sind. Der Begünstigteist der Ehrenamtliche, der seine Freizeit opfert und nichtselten auch seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Wir möch-ten ihn nicht in schwierige Situationen bringen. Wasmeine ich damit? Ein junger Mensch mit zwei JahrenFahrerlaubniserfahrung und einer kurzen Einweisungdurch einen Kollegen fährt einen Lkw mit 7,5 Tonnen inder Einsatzfahrt mit Sirene und Blaulicht unter starkemnervlichem Druck, denn er stellt sich die Frage: Was er-wartet mich am Einsatzort?Was das bedeutet, weiß ich sehr genau, zumindestwas den Pkw angeht, weil ich in meiner Tätigkeit als Po-lizeibeamtin sehr viele Einsatzfahrten gemacht habe.Obwohl ich daran gewöhnt war, weil ich es vier- bisfünfmal in der Woche tun musste, war das schon sehr be-lastend. Wie erst wird es für die jungen Leute sein, die esmit wesentlich weniger Schulung machen müssen?
Aus der Studie der BASt ergibt sich, dass bei Fahrtenmit Sonderrechten ein achtmal höheres Risiko besteht,einen Unfall mit Schwerverletzten zu verursachen. Manmuss sich die Frage stellen: Kann es Probleme geben,wenn einer der Unfallbeteiligten lediglich eine Sonder-fahrerlaubnis hat und Zweifel an seiner Eignung zumFühren dieses Fahrzeugs geltend gemacht werden?Aber wir sollten auch prüfen, ob diese Regelungenzumutbar für die Schulenden sind. Denn sie befindensich in einer Zwickmühle. Es sind Kollegen, es sindAusbilder, und es sind Prüfer. Als Kollegen wollen sieniemanden verprellen oder in die Pfanne hauen. AlsAusbildende wollen sie sichere Feuerwehrwagenfüh-rende ausbilden. Und als Prüfende stehen sie erheblichunter Druck, weil sie wissen, dass ihre Wehr dringendneue Fahrzeugführende benötigt.Insofern möchte ich mit Ihnen die Frage diskutieren:Ist die Regelung ausreichend, oder brauchen wir nichtvielmehr bundesweit einheitliche Richtlinien über dieAusgestaltung dieser Einweisungsfahrten? Und brau-chen wir nicht unabhängige Prüfer und Prüferinnen, dieanschließend das Ergebnis dieser Einweisung begutach-ten müssen?Ich bitte Sie, noch intensiver als der Staatssekretär aufdie Frage einzugehen, ob diese Regelung konform zumEU-Recht ist. Ich erinnere Sie daran: Im August hat derBundesrat einen Entwurf im Bundestag eingebracht, derwie der jetzige aussah. Das Ministerium hat ihn zurück-gezogen, weil es europarechtliche Bedenken hatte, diejetzt laut Auskunft des BMVBS ausgeräumt sind. Aberdas Ministerium hat mir auch mitgeteilt, dass sich andereHäuser, zum Beispiel das BMJ, noch nicht geäußert ha-ben.Weiterhin stellt sich die Frage: Warum kam es zurÄnderung der Rechtsauffassung? Haben wir eventuelldie Kommission gefragt,
oder verabschieden wir wieder eine Regelung, die gutgemeint ist, die aber dann wieder von der Kommissionals europarechtswidrig gestoppt wird?Meine Herren und Damen, Sie sehen: Es gibt eineMenge Diskussionsstoff. Ich freue mich auf die Beratun-gen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic von der FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirberaten heute über die Entwürfe der Bundesregierungund des Bundesrates zur Schaffung des sogenanntenFeuerwehrführerscheins. Beide Entwürfe stimmen in ih-ren grundlegenden Zielen überein. Wir wollen die Mög-lichkeit schaffen, dass in Zukunft bei der freiwilligenFeuerwehr, bei Rettungsdiensten, beim THW und beisonstigen Katastrophenschutzeinheiten engagierte Eh-renamtliche für ihre dortige Arbeit einen Führerscheinfür Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen bzw. 7,5 Tonnen machenkönnen. Die Koalition setzt damit einen weiteren Punktaus der Koalitionsvereinbarung im Verkehrsbereich um.
Wir tun dies, um die Einsatzfähigkeit der freiwilligenFeuerwehren und anderer Dienste dauerhaft aufrechter-halten zu können; denn seit 1999 dürfen mit den neu er-
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Oliver Luksic
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worbenen Pkw-Führerscheinen nur Fahrzeuge bis3,5 Tonnen gefahren werden. Allerdings übertreffen inder Praxis selbst die kleineren Einsatzfahrzeuge leichtdiese Grenze. Das liegt neben der verstärkten Ausstat-tung mit Fahrerassistenzsystemen auch an der Ausrüs-tung, die zu Einsätzen mitgenommen werden muss.Nach Angaben des Deutschen Feuerwehrverbandes be-nötigen aber bundesweit über 16 000 Fahrzeuge fünfoder mehr mögliche Fahrer, um ständig einsatzfähig zusein, also um rund um die Uhr Sicherheit für die Bürge-rinnen und Bürger gewährleisten zu können.Es musste also eine Lösung gefunden werden, wie wirden Freiwilligendienst in den verschiedenen Rettungs-und Katastrophenschutzorganisationen zukunftsfest ma-chen. Das tun wir mit diesem Gesetz. Spätestens wenndie jetzt noch aktiven Jahrgänge, die im Besitz einerFahrerlaubnis für die Einsatzfahrzeuge über 3,5 Tonnensind, aus dem Dienst ausscheiden, brauchen wir weiter-hin gut ausgebildete Nachwuchskräfte, die die Einsatz-fahrzeuge führen können. Daher sehen sowohl der Ent-wurf der Bundesregierung als auch der des Bundesrateseine Lösung vor, nach der sowohl organisationsinterneingewiesen als auch geprüft wird. Das spart Kosten, dasbaut Bürokratie ab, und das ist genau das, was wir alschristlich-liberale Koalition wollen.
Wir haben immer wieder gehört, dass durch dieseVorgehensweise die Verkehrssicherheit gefährdet werde,doch ich meine, es sind verantwortungsvolle Bürgerin-nen und Bürger, die den Dienst in den Feuerwehren ver-sehen. Außerdem stehen in beiden Gesetzentwürfenklare Anforderungen an diejenigen, die einweisen undprüfen dürfen. Es ist also nicht so, dass in Zukunftschlecht ausgebildete Einsatzfahrer auf den Fahrzeugensitzen. Vor allem ist uns wichtig, dass dieses Vorgehenden klammen Kommunen Geld spart, die sonst in derPraxis häufig Nachschulungen oder Fortbildungen zumErwerb von Führerscheinen gerade bei der freiwilligenFeuerwehr bezuschussen oder ganz übernehmen. Ichkenne das aus meiner Tätigkeit im Rat meiner Heimatge-meinde. Wir gewährleisten mit dem sogenannten Feuer-wehrführerschein dauerhaft die Sicherheit der Bevölke-rung bei Bränden und Unfällen, und wir entlasten dieKommunen. Das ist gerade für unsere Koalition einwichtiger Ansatz.
Ich möchte den Blick noch auf einen weiteren Aspekt,der eben genannt wurde und uns allen sehr wichtig ist,lenken, nämlich die Stärkung des Ehrenamtes. Es mussuns gelingen, dass in Zukunft weiterhin junge Leute sa-gen: Ja, ich möchte mich für die Gesellschaft engagierenund ein Ehrenamt übernehmen. Das muss das Ziel allerParteien hier im Hause sein. Hierfür müssen wir Anreizeschaffen. Ich glaube, der Feuerwehrführerschein ist einsolcher Anreiz. Gerade in kleineren Gemeinden spielenOrganisationen wie die Feuerwehr oder das THW fürdas Leben im Dorf und den Zusammenhalt in der Ge-meinde, auch zwischen den Generationen, eine wichtigeRolle. Wir müssen gerade in diesem Zusammenhang andie Aussetzung der Wehrpflicht denken. Es ist gut, dasswir sie ausgesetzt haben. Das ist ein Erfolg der Regie-rung. Aber durch deren Aussetzung fällt eine Rekrutie-rungsquelle zum Beispiel für das THW weg, nämlich dieVerpflichtung zu einem langjährigen Ersatzdienst.Ich glaube, auch unter diesem Aspekt sollten wir dieEinführung des Feuerwehrführerscheins vorantreiben,damit das Ehrenamt gestärkt wird.
Lassen Sie mich zum Abschluss kurz auf die Diskus-sion eingehen, die auch im Bundesrat geführt wurde. Derfederführende Verkehrsausschuss hat eine bundesein-heitliche Lösung gefordert, auch wenn im Gesetzentwurfdes Bundesrates weiterhin die Länderlösung vorgesehenist. Zwar kann man über eine bundeseinheitliche Lösungdiskutieren, aber es ist sinnvoll, eine Länderlösung anzu-streben. Eine solche Lösung stärkt die Länderhoheit undermöglicht passgenaue Lösungen für jedes Bundesland.Allerdings werden die Länder nicht davon abgehalten,sich eng abzusprechen, damit es zu keiner völligen Zer-splitterung der Rechtslage kommt. Ich hoffe, bei diesemThema finden wir einen breiten Konsens zwischen denFraktionen. Es geht um die Sicherung der Einsatzfähig-keit unserer Rettungsorganisationen und um die Stär-kung des Ehrenamtes.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Angesichts der großen Einigkeit über dieses Themagestatten Sie mir, dass ich mich kurzfasse. Es machtnämlich wenig Sinn, hier sämtliche Details meiner Vor-rednerinnen und Vorredner zu wiederholen.
– Es ist etwas ungewohnt, als Oppositionspolitiker ausdieser Richtung Applaus zu bekommen. – Das meiste,was gesagt wurde, war sachgemäß und richtig.Im Gegensatz zu meiner Kollegin von der SPD seheich keinen sonderlich großen Diskussionsbedarf. Es gibteinzelne Punkte wie die EU-Konformität und die ein-heitlichen Prüfrichtlinien, über die in der Tat diskutiertwerden muss; aber das sind Details. Ich denke, die damitverbundenen Probleme wird man im Verkehrsausschussin absehbarer Zeit einvernehmlich lösen können.Es ist zu Recht gesagt worden: Die freiwilligen Feu-erwehren hatten bei der Vereinheitlichung der Umset-zung des europäischen Rechts das Nachsehen. Ehren-amtlich engagierte junge Menschen mit der alten Führer-scheinklasse 3 gibt es immer weniger. Ich selber – manmerkt an meinem Dialekt, dass ich in der DDR aufge-
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Thomas Lutze
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wachsen bin – hatte einen Führerschein für Fahrzeugebis 2,8 Tonnen. Mit dem Tag der Deutschen Einheit warich berechtigt, Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zu steuern,ohne jemals auf einem solchen Lkw gesessen zu haben.Es gab auch keine Fahrprüfung. Das war halt so. Daswar für mich eine sehr positive Erfahrung. Diese Rege-lung ist, wie gesagt, korrigiert worden.Das Problem für die Betroffenen ist allerdings gleich-zeitig banal und fatal: Wer als junger Mensch nicht ge-rade eine Betätigung als Kraftfahrerin oder Kraftfahrerin der Transportbranche anstrebt, der wird die Kostenund die Mühen einer zusätzlichen offiziellen Führer-scheinausbildung sicherlich nicht in Kauf nehmen. EineLösung, die den Angehörigen der freiwilligen Feuer-wehren und weiterer Dienste das Führen von Fahrzeugenbis 4,75 Tonnen ermöglicht, erweist sich offensichtlichals nicht ausreichend – darauf haben auch die Vorrednerhingewiesen –, weil viele Einsatzfahrzeuge einfach auf-grund der Entwicklung die Gewichtsgrenzen überschrei-ten. Die Fahrzeuge, die angeschafft werden, werden inder Tendenz immer schwerer. Als Lösung bietet sich ein-zig und allein die Anhebung der Gewichtsgrenze imRahmen des sogenannten Feuerwehrführerscheins auf7,5 Tonnen an. Dazu gibt es gar keine Alternative.Kritisiert wurde die Möglichkeit der organisationsin-ternen Ausbildung und Prüfung. Natürlich wäre der opti-male Weg eine ordentliche Ausbildung durch professio-nelle Fahrlehrer. Wir reden allerdings hier im Parlamentüber eine Notlösung. Eine professionelle Ausbildung,wie sie sicherlich wünschenswert wäre, ist für die meis-ten Organisationen und auch für die betroffenen ehren-amtlichen Helfer im Prinzip schlichtweg nicht finanzier-bar.Zur Wahrheit gehört auch: Den Inhabern des altenFührerscheins Klasse 3 wurde die Lkw-Fahrberechtigungerteilt, ohne dass die Auszubildenden jemals eine Ausbil-dung für einen 7,5-Tonner hatten.
Eine organisationsinterne Ausbildung und Prüfung ist imPrinzip eine Verbesserung des Standards, der bis 1999gegolten hat.Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung, weil dasvielleicht an diesem Punkt ein bisschen zur Gretchen-frage wird. Im Gegensatz zum Kollegen Luksic würdeich empfehlen, eine bundesweit einheitliche Regelunganzustreben und dies nicht in die Länderhoheit zu geben.Ich kann nicht erkennen, wie sich eine freiwillige Feuer-wehr in einem Ort in Thüringen unterscheidet von einerfreiwilligen Feuerwehr in einem Ort im Saarland. Dasfunktioniert alles nach demselben Prinzip. Deshalb seheich keinen Grund, ländereinheitliche Regelungen zu ma-chen. Lassen Sie uns das bundesweit einheitlich regeln.Die freiwilligen Feuerwehren, das Technische Hilfswerkund die ganzen Organisationen arbeiten alle nach dem-selben Prinzip. Die Notwendigkeit für eine länderspezi-fische Hoheit kann ich beim besten Willen nicht erken-nen.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage: Feuer-wehren, Technisches Hilfswerk, DLRG und Katastro-phenschützer bilden eine wichtige Grundlage für die Si-cherheit in unserem Land. Sie kommen dorthin, woandere weglaufen. Das sollte uns auch einen Applausdes Hauses wert sein.
Diese Helfer sind auch immer wieder Botschafter un-seres Landes. Sie helfen, wenn andere Länder in Not ge-raten sind. Diese Tage werden völlig überschattet vonder Katastrophe in Japan. Auch hier sind unsere Helfervor Ort. Diese Helfer können in kürzester Zeit Menschenretten, versorgen und erste Schritte zur Normalität ge-hen. Mit einer guten Infrastruktur in der Not- und Kata-strophenhilfe tragen wir ganz entscheidend zur Erhal-tung und Sicherung unseres Wohlstandes bei.
Voraussetzung für einen guten Katastrophenschutzsind viele freiwillige Helfer, die gut ausgestattet und gutausgebildet sind. Gleichzeitig wissen wir, dass beson-ders die freiwilligen Feuerwehren auch eine wichtige so-ziale Aufgabe wahrnehmen. Viele junge Menschen ha-ben hier eine Möglichkeit, sich zu engagieren und sichzu bilden. Nicht wenige finden als Helferinnen und Hel-fer ihren Sinn des Lebens. Das müssen wir unterstützen.
Deswegen müssen wir eine Lösung finden, wie wie-der mehr Menschen die Einsatzfahrzeuge fahren dürfen.Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben relativ deut-lich aufgezeigt, worin die Schwierigkeiten liegen. Aufdiese möchte ich deshalb nicht eingehen. PragmatischeLösungen begrüßen wir an dieser Stelle, wenn sie nichtzulasten der Sicherheit gehen.Für mich gibt es beim vorliegenden Entwurf durchausFragen, die wir nicht so einfach vom Tisch fegen kön-nen. So ist zum Beispiel das Unfallrisiko bei Einsatz-fahrten unter Blaulicht achtmal so hoch wie bei norma-len Fahrten. Dazu werden Katastrophenschützer oftExtremsituationen ausgesetzt, auf die sie gut vorbereitetwerden müssen. Auch die oft hohen Fahrgeschwindig-keiten und die Anforderungen an die Reaktionsfähigkeitbenötigen eigentlich eher eine bessere Ausbildung, alsdass darauf verzichtet werden kann.Im Ernstfall sind manche sonst überfordert und ver-schlimmern die Probleme, statt schnell und gezielt zuhelfen. Als Helfer braucht man deswegen eine gründli-
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Dr. Valerie Wilms
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che theoretische und praktische Ausbildung und solltepsychologisch geschult werden. Ich habe hierbei Ver-trauen in die Fähigkeiten der Feuerwehren, diese Ausbil-dung selbst zu übernehmen. Wir sollten aber darauf ach-ten, dass wir nicht nur handeln, weil es eine kosten-günstige Lösung ist. Wir wollen kein Dumping zulastender Sicherheit.Als Grüne sehen wir daher Diskussionsbedarf undwollen hierzu gern im zuständigen Fachausschuss bera-ten. Wir erkennen klar den Bedarf für eine Lösung. Damüssen wir ran. Wir müssen dies aber in aller Ruhe tunund die Ansätze abwägen. Ich hoffe dabei auf die Bereit-schaft der Koalitionsfraktionen. Ich gehe davon aus, dasswir daraus gelernt haben und durchgepeitschte Gesetzenicht mehr der Stand der Dinge sind.Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt einen Ansatz,den wir in den Ausschüssen beraten werden. Wir Grünearbeiten hieran gern konstruktiv mit. Dabei sollten wirernsthaft die Frage diskutieren, ob wir eine bundesein-heitliche Richtlinie brauchen oder ob wir das den Län-dern überlassen sollten. Lassen Sie uns gemeinsam aneiner guten Lösung für unsere Ehrenamtler vor Ort ar-beiten.Vielen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Gero Storjohann von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles ist hiergesagt worden. Die älteren Kollegen erinnern sich nochan die Anfangsdebatten zum Feuerwehrführerschein.
Wir sind jetzt dabei, ein gutes Gesetz auf den Weg zubringen. Ein schlanker und unbürokratischer Feuerwehr-führerschein wäre längst möglich gewesen, scheiterteaber an der ehemals sozialdemokratischen Hausführungim Bundesverkehrsministerium.
Die christlich-liberale Koalition unterstützt – daskann nicht oft genug gesagt werden – mit dem neuenFeuerwehrführerschein die vielen Tausend Bürgerinnenund Bürger, die sich bei den technischen Hilfswerken,beim Katastrophenschutz oder bei unseren Feuerwehrenehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren. Sie tra-gen mit ihrer Arbeit zu unser aller Sicherheit bei. Geradeim ländlichen Raum sind die Feuerwehren und die Ret-tungsdienste ein wichtiger und fester Bestandteil des ge-sellschaftlichen Lebens.
Unsere Aufgabe – so sehe ich es – ist, diese Arbeit zuunterstützen.
Ein besonderer Dank ist in diesem Zusammenhangdem Bundestagskollegen und jetzigen StaatssekretärAndreas Scheuer auszusprechen, der in unseren Arbeits-gruppen immer wieder deutlich gemacht hat, dass wirhier eine bessere Lösung benötigen, als bisher verein-bart.
Laut einer Schätzung wären 16 000 Einsatzfahrzeugein der Gewichtsklasse 3,5 bis 7,5 Tonnen von der Neure-gelung betroffen. Das bedeutet, dass rund 100 000 eh-renamtliche Einsatzkräfte davon profitieren würden. Fürjedes Fahrzeug müssen in der Regel fünf Personen mitFahrerlaubnis zur Verfügung stehen, damit es im Falledes Falles einsatzfähig ist. Nichts wäre schlimmer, alswenn ein Einsatz anstünde und niemand das Fahrzeugbewegen könnte. Selbstverständlich kann man sich aufdie Straße stellen, einen Lkw anhalten und den Fahrerinnerhalb kürzester Zeit dienstverpflichten. Aber daraufmöchte man sich nicht unbedingt verlassen.Ich halte es für sachgerecht, die Kompetenz, den Feu-erwehrführerschein durch Rechtsverordnungen spezi-fisch auszugestalten, bei den Ländern zu belassen. Daswurde hier schon kritisch diskutiert. Der Feuerwehrfüh-rerschein sollte in diesem Fall aber in allen Bundeslän-dern anerkennungsfähig sein. Denn Feuerwehrleutemüssen ja durchaus beruflich flexibel sein und möchten,wenn sie sich zwischen Schleswig-Holstein und Meck-lenburg-Vorpommern bewegen, nicht jedes Mal mit ei-ner anderen Rechtsverordnung konfrontiert werden.
Wir halten es sehr wohl für sinnvoll, dass die Bundeslän-der hier eigenverantwortlich tätig sind. Denn die Fahr-zeuge in Bayern zeichnen sich durch eine andere Funk-tionsfähigkeit aus als die in Schleswig-Holstein. Die einenhaben Flüsse zu sichern, die anderen Deiche.Die SPD ist die einzige Fraktion, die Zweifel bezüg-lich der Verkehrssicherheit bei Einsatzfahrten ange-bracht hat. Ich glaube nicht, dass es spezielle Untersu-chungen in Bezug auf Feuerwehreinsatzfahrten gibt; dieUntersuchungen beziehen sich allgemein auf Blaulicht-fahrten. Hier geht es in erster Linie um Personen, die indiesem Bereich hauptberuflich tätig sind. Schon heutegibt es Unfallgeschehen bei Einsatzfahrzeugen im Be-reich Polizei und Feuerwehr; das ist nicht zu bestreiten.Deswegen brauchen wir eine Topausbildung.
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Gero Storjohann
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Diese erfolgt bei den Feuerwehren auch. Der Führer-schein allein sichert nicht die Befähigung, das Fahrzeugim Einsatz unter Stress sicher zu lenken.
Aber wir sprechen hier in erster Linie von Fahrzeugenim ländlichen Bereich. Die Verkehrssituation dort istnicht vergleichbar mit der in Hamburg, München oderKöln. Im ländlichen Bereich kann man solche Einsätzeüben. Wenn die jungen Leute Fahrzeugführer werdenwollen, können sie dort entsprechend vorbereitet wer-den.
Die feuerwehrtechnische Ausbildung halten wir sehrwohl für sinnvoll. Wir haben auch keinen Zweifel daran,dass die Feuerwehr die bestmögliche Ausbildung garan-tieren wird. So habe ich jedenfalls meine Feuerwehrkennengelernt. Sie ist korrekt und achtet darauf, dass al-les gut abgewickelt wird.
Meine Damen und Herren, auch ich weiß, dass dieserFeuerwehrführerschein von den Kommunalpolitikern,hauptsächlich Bürgermeistern, aber auch von den Feuer-wehrkameraden förmlich herbeigesehnt wird. Deswegenist hiermit eine gründliche Beratung, aber auch eineschnelle Umsetzung versprochen. Trotzdem wird dasGesetz nicht durchgepaukt; denn wir haben schon einelang andauernde Diskussion geführt und sollten jetzt zueiner Entscheidung kommen.
Die Kommunen werden es uns danken. Da ich schonjetzt Wahlkreisabgeordnete der SPD erlebe, die die Seg-nungen des neuen Feuerwehrführerscheins als eigeneIdee verkaufen, möchte ich die Prognose wagen, dasswir hier im Parlament zu einer breiten Mehrheit kom-men. Es hilft auch den Teams der Feuerwehrkameraden,wenn sie wissen: Sie bekommen unsere breite Unterstüt-zung. Die Punkte, die angesprochen wurden, werden wirnoch würdigen müssen. Glück auf in den Ausschussbe-ratungen!
Wir sollten es kurzfristig schaffen, ein gutes Gesetz aufden Weg zu bringen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 17/4981 und 17/2766 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie zu dem Antrag der Abge-
ordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Barthel,
Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Fairen Rohstoffhandel sichern – Handel mit
Seltenen Erden offenhalten
– Drucksachen 17/4553, 17/4910 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Breil
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist es
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Klaus Breil von der FDP-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wir – damit meine ich die christlich-liberale Koali-tion und unsere Bundesregierung – wissen: Die stark ge-stiegene Nachfrage nach Seltenen Erden hat in denvergangenen Monaten zu einem raschen Preisanstieg ge-führt. Wir wissen auch, dass das protektionistische Ver-halten der Volksrepublik China der deutschen IndustrieSorgen bereitet. China ist derzeit der einzige ExporteurSeltener Erden. Deshalb fürchtet die Industrie um ihreVersorgung mit diesen wichtigen Rohstoffen.Es ist offensichtlich, dass hier die Politik zusammenmit der Wirtschaft reagieren muss.
Aber mit Verlaub: Bundeswirtschaftsminister RainerBrüderle hat im Oktober letzten Jahres seine Roh-stoffstrategie veröffentlicht und entsprechende Rohstoff-dialoge initiiert. Der Antrag der SPD läuft diesen Initia-tiven hinterher.
Rohstoffversorgung ist die Zukunftsaufgabe. Das er-gibt sich schon alleine aus folgendem Zusammenhang:Wachsende Weltbevölkerung bedeutet wachsender Ener-gie- und Rohstoffbedarf. Dabei sind noch unter keinerBundesregierung, schon gar nicht unter Rot-Grün, soviele Initiativen zur Rohstoffversorgung gestartet wor-den wie unter Rainer Brüderle. Zusätzlich zu den Aktivi-täten der auch im weltweiten Vergleich hochkompeten-ten Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffein Hannover hat der Bundeswirtschaftsminister vielesauf den Weg gebracht: Rohstoffdialoge, Rohstoffstrate-gie, Rohstoffagentur, eine eigene Unterabteilung „Roh-stoffpolitik“ im Ministerium und bilaterale Rohstoffpart-
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Klaus Breil
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nerschaften. Das sind unsere Antworten auf diedrängenden Fragen der Rohstoffversorgung.Bei den Rohstoffpartnerschaften möchte ich zudemauf die hervorragende Arbeit eines weiteren liberalenBundesministers hinweisen: Dirk Niebel hat in seinemBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung auf die Fehler der Vergangenheit re-agiert.
Höhere Investitionen in Entwicklungsländer sollen zu-allererst privatwirtschaftlich angestoßen werden. Nurdadurch werden die Strukturen vor Ort stabilisiert. Vo-raussetzung dafür ist aber Transparenz. Sie verhindert il-legale Aktivitäten. Wirtschaftswachstum aus der eigenenMitte ist der Schlüssel, um Armut sukzessive abzu-bauen.Investitionen vor Ort, besonders in den vor- und nach-gelagerten Wertschöpfungsketten, schaffen Arbeits-plätze. Sie führen zu Folgeinvestitionen und damit zuWeiterentwicklungen. Rohstoffpartnerschaften werdenso zu Win-win-Situationen.Wir fordern von den Partnerregierungen aber die Ein-haltung von Menschenrechten, gutes und transparentesRegierungshandeln und die Bekämpfung von Korrup-tion. Wir müssen vor allem ganz besonders darauf ach-ten, dass Umwelt- und Sozialstandards angemessenhohen Maßstäben genügen; sonst darf es keine Unter-stützung geben.Die Bundesregierung hat jedenfalls ihre Hausaufga-ben gemacht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen derSPD, dürfen das natürlich gerne durch nachlaufende An-träge bestätigen.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie kurz aufden aktuellsten Stand bringen. Die Bundesregierung istderzeit in Gesprächen über bilaterale Rohstoffpartner-schaften. Ein Beispiel dafür ist Mongolia. Dort liegt ne-ben der weltweit wichtigsten neu entwickelten Kupfer-mine Oyu Tolgoi die Bayan-Obo-Mine mit einem derattraktivsten Vorkommen Seltener Erden. Dies alleszeigt: Die Bundesregierung bedarf ihrer Fingerzeigenicht, auch dann nicht, wenn es um die Erleichterung desHandels mit Seltenen Erden geht.Noch in diesem Jahr beginnen zwei weitere Minenaußerhalb Chinas mit der Förderung Seltener Erden. Esbleibt abzuwarten, wie sich dies auf Verfügbarkeit undPreise auswirken wird.So birgt die gegenwärtige Situation sicher auch Chan-cen für andere Länder, ihre Vorkommen umweltverträg-licher zu explorieren. Gleichwohl: Die Situation der letz-ten Monate ist für uns und ganz besonders für diedeutsche Wirtschaft ein deutlicher Weckruf. Es war einFehler der Industrieunternehmen, das erste Glied in derWertschöpfungskette der Rohstoffwirtschaft ohne Notaufzugeben. Für eine Rückwärtsintegration ist es heutezu spät. Die Kosten dafür wären schlicht zu hoch. Alsowerden wir uns dafür einsetzen, einseitige Abhängigkei-ten und Handelsbarrieren abzubauen. Im Übrigen müs-sen wir dafür sorgen, dass Sanktionen vonseiten derWTO auch greifen.Dafür stehen wir Liberale, dafür stehen unsere Bun-desminister Rainer Brüderle und Dirk Niebel, und dafürsteht die ganze Bundesregierung.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! AmEnde unserer Beratungen über unseren Antrag zu fairemRohstoffhandel in Plenum und Ausschüssen ist zweierleideutlich: Erstens, Herr Breil, müsste die Koalition ei-gentlich froh sein, dass wir die Debatte über die künftigeRohstoffversorgung in Deutschland und über die welt-weite Rohstoffpolitik einmal von den Homepages desWirtschaftsministeriums und der Institute in den Deut-schen Bundestag geholt haben und unabhängig von denschubweisen Panikattacken auf den Börsenparketten be-handeln. Zweitens müsste die Koalition, wenn sie ihreRedner und ihre Reden ernst nimmt, unserem Antrag ei-gentlich zustimmen. Argumente dagegen haben wir bisheute nicht gehört. Wir haben bemerkt, dass viele in derKoalition insgeheim froh sind, dass wir dem Bundes-wirtschaftsminister endlich einmal Dampf machen, da-mit er es nicht länger bei flotten Sprüchen und der Ver-kündung irgendwelcher Strategien belässt.In der Kürze folgende Anmerkungen: Die Engpässeund die Preisexplosion bei den Seltenen Erden sind nurdie Spitze des Eisbergs. Mit Recht stellt eine aktuelleStudie der Stiftung Wissenschaft und Politik fest – ichzitiere –:Die Allokation von Ressourcen gilt als eines dergrößten Sicherheitsrisiken des 21. Jahrhunderts.Wenn erst einmal die Produktion wichtiger Güter, wiezum Beispiel elektronischer Geräte, wegen Rohstoffeng-pässen eingeschränkt werden müsste, dann stiege derDruck allenthalben sehr schnell. Wenn es erst einmal enggeworden ist, dann kann sich der Druck auch in Rich-tung Panikreaktionen und falscher Risikobereitschaftauswachsen.Auf nationaler Ebene können wir das Rohstoffpro-blem nicht lösen, aber wir können einen Beitrag zur Lö-sung leisten. Der Ruf nach der Wirtschaft und den freienWeltmärkten reicht nicht, weil das Drama der rohstoff-reichen Länder unter dem Regime freier Märkte geradedarin besteht, dass die Menschen dort – mit wenigenAusnahmen – nichts von dem Rohstoffreichtum habenund dass es gerade die Rohstofflieferländer sind, dieweit überdurchschnittlich am Mangel an Demokratie,Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und Wohl-stand leiden. Der Verdacht liegt nahe, dass der Rohstoff-reichtum und diese Mängel etwas miteinander zu tun ha-
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Klaus Barthel
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ben und dass die Gefahr groß ist, dass genau dies zuInstabilität und zu Verwerfungen führt, wie wir das ge-rade in Nordafrika erleben. Hat nicht gerade jener freieMarkt zu den Fehlentwicklungen geführt, die wir heutebeklagen, nämlich dass wir die Erkenntnisse über dieKnappheiten übersehen haben, dass es Monopole undOligopole bei der Gewinnung und dem Handel mit Roh-stoffen gibt, dass es Spekulationen gibt?Wenn wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratin-nen heute vom ungehinderten Zugang zu sicherer Roh-stoffversorgung für die Industrie sprechen, dann meinenwir damit bestimmte Bedingungen: weltweit geltendefaire Regeln, möglichst weitgehende Ausschaltung vonSpekulation und die Vermeidung von einseitigen politi-schen Eingriffen, von welcher Seite auch immer.
Drittens. Eine dieser Regeln ist die Transparenz überVorkommen, Handelsströme und Verbrauch, über Fi-nanzströme und Verteilung der Erträge. Dies finge beiuns damit an, dass die Erkenntnisse unserer steuerfinan-zierten Deutschen Rohstoffagentur und der Bundesan-stalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, allge-mein zugänglich sind und nicht nur ausgewählten bzw.unmittelbar interessierten Kreisen. Die Forderung nachoffenen Märkten und Transparenz verträgt sich nicht mitder Geheimnistuerei, der wir dort teilweise begegnen.Zur internationalen Transparenzinitiative, EITI, wirdKollege Raabe noch einiges sagen. Nur so viel: Verbalunterstützt die Koalition diese Transparenz. Aber wergenau zuhört, erkennt, dass Schwarz-Gelb mit Transpa-renz immer nur die anderen meint. Wie sonst wäre es er-klärbar, dass es ausgerechnet die Bundesregierung ist,die auf europäischer Ebene bisher auf der Bremse steht,wenn es um die volle Unterstützung von EITI durch dieEU geht,
wenn es um die Schaffung wirksamer Regeln zur Kor-ruptionsbekämpfung in der EU geht? Selbst in den USAgibt es mit dem Dodd-Frank-Act solche Regeln schonseit über einem Jahr. Heute, liebe Kollegen und Kolle-ginnen von der Koalition, wäre die Chance für ein klaresWort in dieser Frage, zur Haltung der Bundesregierungzu diesen Initiativen und zu Wahrheit und Klarheit beider Haltung in der Europäische Union.Viertens wären noch Energieeffizienz und Recyclingzu erwähnen. Ein Blick auf die Reden in der ersten Bera-tung über diesen Antrag ergibt: Da sind spannende Sa-chen über erneuerbare Energien und über Erneuerbarkeitinsgesamt gesagt worden, nämlich dass das alles wahn-sinnig teuer sei. Dann wurde wieder auf die billigeAtomenergie angespielt. Lesen Sie es noch einmal nachund korrigieren Sie es bitte! Das wäre sehr hilfreich.
Zum Schluss darf ich noch einmal die SWP zitieren.Ihrer Meinung nach bedarf es „eines integrierten Ansat-zes für eine Rohstoffstrategie, die Wirtschafts- und Ent-wicklungspolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Um-welt- und Technologiepolitik miteinander verbindet, alsoressortübergreifend wirkt“.Ich finde, wir sollten endlich anfangen, daran zu ar-beiten.
Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wenn man täglich die Zeitungen aufschlägt und indie Wirtschaftsteile blickt, stellt man fest: Rohstoffe sinddas Megathema an allen Fronten.
Dabei geht es nicht nur um Seltene Erden, sondern umRohstoffe insgesamt. Wenn man sich die Rangfolge derzehn wertvollsten Unternehmen der Welt genau an-schaut, stellt man fest, dass in diesem Jahr von denTop 10 immerhin fünf Unternehmen mit der Förderung,der Verarbeitung und dem Verkauf von Bodenschätzenbefasst sind. 2006 war es nur ein Unternehmen in denTop 10. Daran kann man also sehen: Rohstoffe sind zumeinen ein wichtiges Thema und zum anderen ein guterStoff, Geschäfte zu machen.Herr Barthel, damit wir uns nicht falsch verstehen:Der von Ihrer Fraktion gestellte Antrag, den Sie vertei-digt haben, ist im Grunde nicht falsch, sondern veraltet.Die Dinge, die Sie fordern – ich komme gleich darauf –,sind nämlich zum großen Teil schon in Arbeit bzw. sindschon erledigt. Es ist interessant, dass die rot-grüne Re-gierung damals nicht in der Lage war, eine Rohstoffstra-tegie zu entwickeln. Erst die christlich-liberale Koalitionhat das Thema angepackt. Sie hat im Dialog mit Politik,Wirtschaft und allen beteiligten Partnern eine Roh-stoffstrategie auf den Weg gebracht, über die wir heutediskutieren können.
Meine Damen und Herren, die Rohstoffstrategie derBundesregierung ist ein ganzheitlicher Ansatz für dieRohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft. Sie gehtbeispielsweise in die aktuelle Technologieoffensive oderin die aktuelle Mittelstandsoffensive des Bundeswirt-schaftsministeriums ein. Ebenso sind organisatorischeMaßnahmen im Bundeswirtschaftsministerium getroffenworden. Es wurde eine Unterabteilung „Rohstoffpolitik“eingerichtet. Herr Barthel, so etwas hat es unter Rot-Grün nie gegeben.Sie haben korrekt angemerkt, dass die Sicherung derRohstoffbasis „zuallererst Aufgabe der Unternehmen“ist; darin stimmen wir überein. Dazu muss man sagen:Die Politik kann nur flankierend wirken, also nur unter-stützende Maßnahmen ergreifen.
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Andreas G. Lämmel
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Ich komme zu drei Punkten aus Ihrem Antrag. Ers-tens. Sie fordern Rohstoffpartnerschaften und Rohstoff-abkommen sowie einen „offenen und fairen Zugang imRohstoffhandel“. Es wird schon seit einiger Zeit überRohstoffpartnerschaften verhandelt. Dafür brauchen wirnicht Ihren Anstoß. Bevor man wirklich über Rohstoff-partnerschaften verhandeln kann, muss die Wirtschaftihre Bedarfe formulieren; sie muss sich darüber klarsein, über welche Rohstoffe, über welche Mengen ver-handelt werden soll. Herr Barthel, die erste Rohstoffpart-nerschaft steht kurz vor ihrem Abschluss bzw. ist schonsehr weit ausverhandelt. Dann werden wir doch einmalsehen, ob Sie diese Partnerschaft wirklich unterstützen.Sie machen einen bemerkenswerten Schwenk. Sieverknüpfen in Ihrem Antrag erstmalig die Außenpolitikund die Entwicklungszusammenarbeit mit der Rohstoff-politik. Eine solche Verknüpfung haben Sie bisher im-mer geleugnet. Ich kann mich noch genau daran erin-nern, wie die SPD-Ministerin für Entwicklungszusam-menarbeit hier im Plenum stand und jeglichen Zusam-menhang geleugnet hat. Wir danken Ihnen für diesenSchwenk; denn er macht die Arbeit in Zukunft mögli-cherweise leichter.Sie wissen, dass hinsichtlich des freien Zugangs zuRohstoffmärkten ein Verfahren der WTO gegen Chinaläuft. Auch hier ist die Bundesrepublik Deutschland, dieBundesregierung aktiv geworden.Zweitens. Sie fordern die Nutzung heimischer Lager-stätten; das ist ein ganz spannendes Thema. Ich halte dasfür einen guten Vorschlag. Er wird übrigens umgesetzt.Vielen Dank, dass Sie mit Ihrem Antrag den Abbau vonRohstoffen in Sachsen unterstützen. Wir werden uns dasgut merken. Jeder Abbau von Rohstoffen ist ein Eingriffin die Natur. Wir sind sehr gespannt, zu sehen, ob Sie dieAbbauaktivitäten vor Ort unterstützen oder ob die SPD,die Grünen oder die Linken vielleicht in vorderster Frontstehen, wenn es darum geht, den Abbau von Rohstoffensowie neue Aufschlüsse zu verhindern. Dann zeigt sichmöglicherweise ein Gegensatz zwischen der Politik, dieSie draußen machen, und dem, was Sie hier am Pult er-zählen.
Wir haben in Deutschland ein großes Problem. GroßeTeile des Landes sind in Flora-Fauna-Habitat-Schutzge-biete eingeteilt. Wir werden darüber diskutieren müssen,ob Sie uns unterstützen, wenn es darum geht, möglicher-weise auch in Natura-2000-Gebieten Rohstoffabbau zubetreiben und dort Rohstoffvorkommen zu erschließen.
Drittens. Sie thematisieren das Recycling. Recyclingist wichtig und richtig. Herr Barthel, hier hoffen wir aufIhre Unterstützung, wenn es im Deutschen Bundestagzur Lesung der Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzeskommt. Dann werden wir sehen, wie viel Ihre Unterstüt-zung wert ist.Ich komme zu einer Maßnahme, die Sie nicht gefor-dert haben – die Bundesregierung hat sie unabhängigvon Ihnen ergriffen –, der Einrichtung der DeutschenRohstoffagentur. Die Deutsche Rohstoffagentur wird derdeutschen Wirtschaft die Daten liefern, die notwendigsind, um zu sehen, welche Rohstoffe in welcher Mengeauf der Welt vorhanden sind, wo abgebaut werden kann,wo man sich an welchen Neuaufschlüssen beteiligenkann. Gerade bei den Seltenen Erden – das wissen Sieganz genau – gibt es weltweit Lagerstätten, also nichtnur in China. Um den Engpass abzubauen, der auchdurch China verursacht wird, muss es jetzt darum gehen,neue Lagerstätten zu erschließen. Wir werden sehen, wieIhre Unterstützung an dieser Stelle letztendlich aussieht.Herr Barthel, in Ihrem Antrag fordern Sie, dass dieBundesregierung Instrumente bereitstellt, die dazu die-nen, die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Roh-stoffen zu gewährleisten. Ich kann Ihnen sagen, welcheInstrumente es gibt – die Bereitstellung dieser Instru-mente hätten Sie in Ihrem Antrag gar nicht fordern müs-sen –: Es gibt Hermesbürgschaften, es gibt die ungebun-denen Finanzkredite, und es wird eine Explorations-unterstützung geben. Das sind die Instrumente, die imMoment erforderlich sind, damit sich die deutschen Un-ternehmen auf dem Rohstoffmarkt stärker einbringenkönnen.
Fazit: Das Thema Rohstoffsicherung ist längst ein be-deutender Teil der politischen Agenda der christlich-li-beralen Koalition. Anträge Ihrer Fraktion dazu brauchenwir nicht. Es ist notwendig, dass wir das Rohstoffthemainsgesamt betrachten und die Diskussion nicht auf dieSeltenen Erden verengen. Die christlich-liberale Koali-tion beachtet diesen Grundsatz. Herr Barthel, weil IhrAntrag veraltet ist, können wir ihm leider nicht zustim-men.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Ulla Lötzer von der Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Stellenwir die Debatte einmal wieder vom Kopf auf die Füße,Herr Lämmel.
Richtig ist: China fördert derzeit 90 Prozent der SeltenenErden. Richtig ist aber auch: China verfügt nur überknapp 30 Prozent der Reserven an Seltenen Erden. Diedeutsche Industrie freute sich wie andere auch über diebilligen Rohstoffe. Niemand scherte sich auch nur einenDeut um die katastrophalen Arbeits- und Umweltbedin-gungen, unter denen sie in China gefördert werden. DenRest der Seltenen Erden hat man in der Erde gelassen,weil die Lieferung aus China viel billiger war. Diese Ab-
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Ulla Lötzer
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hängigkeit hat nicht China produziert, diese Abhängig-keit ist selbst gewählt. Statt jetzt darüber zu klagen oderChina die Schuld zuzuschieben, hätten Sie besser vorhereine andere Rohstoffpolitik gemacht.
Kollege Barthel, die von Ihnen geforderte weiterge-hende Handelsliberalisierung als Lösung verbessert denZustand aber nicht. Wer einen fairen Handel will, musserst einmal anerkennen, dass die Rohstoffe den Roh-stoffländern gehören. Da wir dies anerkennen, habendiese Länder aus unserer Sicht auch die Legitimation,Exportbeschränkungen zu verfügen und regulierendeMaßnahmen zu erlassen.Sie, Kollege Lämmel, führen die Diskussion, alsginge es um den freien Zugriff unserer Wirtschaft aufunsere Rohstoffe, die scheinbar nur aufgrund einesMissverständnisses der Natur im Boden anderer Länderliegen.
Statt einer verschärften Konkurrenz um den Zugangzu begrenzten Rohstoffen, brauchen wir auf internatio-naler Ebene partnerschaftliche Regeln und die Einfüh-rung sozialer und ökologischer Mindeststandards inHandelsverträgen. Statt Freihandel brauchen wir einefaire Beteiligung der Entwicklungs- und Schwellenlän-der an den Gewinnen und eine Verhinderung von Roh-stoffspekulationen.
Hauptziel einer Rohstoffpolitik sollte nicht Beschaf-fungskonkurrenz, sondern die drastische Reduzierungdes Ressourcenverbrauchs sein.
Derzeit verbrauchen einige wenige Industrieländer in-nerhalb weniger Jahrzehnte hemmungslos die begrenz-ten Ressourcen der Welt. Trotz des Bekenntnisses zurRohstoffeffizienz ist der absolute Verbrauch an Rohstof-fen in der EU der 27 in den letzten Jahren um mehr als10 Prozent gestiegen. Einen weiteren wichtigen Beitragmuss der Ausbau eines umfassenden Recyclingsystemsfür die wichtigen Metalle leisten. Kollege Breil, ich weißzwar, dass Ihnen das ein Gräuel ist, aber an dieser Stellemuss der Staat steuernd eingreifen. Er muss Anreizeschaffen und darf nicht, wie in Ihrer Rohstoffstrategie– die eine Luftnummer ist – leere Versprechungen ma-chen.
Wir brauchen konkrete politische Maßnahmen. Wirmüssen Rohstoffeffizienz bei der öffentlichen Beschaf-fung zwingend vorschreiben. Wir brauchen eine Förde-rung des ökologischen Umbaus der Industrie durch eineregulierende Industriepolitik, eine Besteuerung des Roh-stoffverbrauchs, was die EU-Kommission vorgeschlagenhat, und viele andere Maßnahmen. Wir haben jetzt Gele-genheit, in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohl-stand, Lebensqualität“ eine Konzeption zu entwickeln,mit der dann – hoffentlich gemeinsam – bessere Ergeb-nisse vorgelegt werden können, als sie mit diesem An-trag, aber vor allem auch im Rahmen der Rohstoffstrate-gie der Bundesregierung vorgelegt worden sind.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Nestle von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Staatssekretär Pfaffenbach hat in der letz-ten Sitzung des Wirtschaftsausschusses gesagt, Deutsch-land sei ein rohstoffarmes Land.
Das ist typisch für den Tunnelblick von Schwarz-Gelb.
Diese Perspektive ist nicht nur einseitig. Sie geht an derRealität vorbei;
denn wir verfügen über Rohstoffe hier vor Ort. EineTonne Handyschrott enthält 60-mal mehr Gold als eineTonne Golderz, außerdem weitere knappe Rohstoffe wieTantal. Recycling als Rohstoffgewinnungsstrategie hatenormes Potenzial – in Deutschland und darüber hinaus.
Allein in Europa werden nur 40 Prozent des Elektronik-schrotts korrekt recycelt. Nach Schätzungen der UN lan-den weltweit jedes Jahr 40 Millionen Tonnen Elektroge-räte im Müll. Die ausgedienten Telefone, Computer oderFernseher enthalten viele wertvolle und teils sehr selteneMetalle, die in großen Mengen zurückgewonnen werdenund so der Wirtschaft zur Verfügung stehen könnten.
Auch für die Umwelt ist es besser, die Rohstoffe, die wirschon haben, mit innovativen Verfahren aus dem Müllwieder herauszulösen, als sie unter steigenden Belastun-gen für die Umwelt auszugraben. Damit wir dieses Po-tenzial nutzen können, brauchen wir aber eine andereRohstoffstrategie, als die Bundesregierung sie vorgelegthat. Die Kernbotschaft einer modernen Ressourcenstra-tegie ist: Ressourceneffizienz, Recycling, Substitution.Die Industrie muss ressourcensparender arbeiten undschon beim Design der Produkte über die Wiederver-wertbarkeit nachdenken. Hierfür und nicht für das Gra-ben nach den Ressourcen sollte die Wirtschaftspolitik inerster Linie Anreize setzen,
zum Beispiel mit Ordnungspolitik und finanziellen An-reizen wie einer besseren Förderung von Forschungs-
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Ingrid Nestle
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und Entwicklungsausgaben. Das ist auf Dauer aussichts-reicher als die Beschaffungsstrategie. Die Bundesregie-rung setzt mit dem Fokus auf die Beschaffung von Roh-stoffen die falsche Priorität. Aber leider springt auch dieSPD auf diesen Zug auf. Auch sie unterschätzt die Po-tenziale von Ressourceneffizienz, Recycling, Substitu-tion.
Natürlich muss auch die von uns Grünen vorgeschla-gene Innovationsstrategie durch eine Sicherung des Zu-gangs zu Rohstoffen flankiert werden. Vor allem fürkleine und mittlere Unternehmen brauchen wir funktio-nierende offene Rohstoffmärkte. Aber Rohstoffpartner-schaften, wie jetzt mit Kasachstan angedacht, dürfennicht exklusiv sein und damit die offenen Märkte gefähr-den. Sie müssen Win-win-Situationen für alle Beteilig-ten schaffen. Das heißt, auch die Menschen in den Ab-bauländern müssen davon profitieren, durch transparenteZahlungsströme, durch ökologisch und sozial verant-wortbare Abbaubedingungen. Solche Partnerschaftendürfen den berechtigten Anspruch der Menschen auf De-mokratie und Mitbestimmung in ihren Ländern nicht be-hindern.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ih-rem Antrag steht sehr viel Richtiges, aber wir würdendie Schwerpunkte anders setzen. Die Antwort auf Res-sourcenverknappung muss heißen: weniger verwenden,wiederverwenden und durch günstigere Rohstoffe erset-zen.
Sie vernachlässigen darüber hinaus die europäische Per-spektive, und Sie setzen auf die überholte Philosophie„mehr für uns“.
– Nein, wir haben den Antrag durchaus gelesen. – Wirrichten den Fokus eher auf die Ressourceneffizienz, das„Wenigerverwenden“, das Wiederverwenden und dasErsetzen durch günstigere Rohstoffe; denn wir können inden Industrieländern nicht länger erwarten, dass auf-grund eines überproportionalen Verbrauchs ein überpro-portionales Recht auf Zugang zu Rohstoffen besteht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Es mag paradox klingen, dass ausgerech-net in vielen der ärmsten Länder dieser Erde die meistenRohstoffe liegen. Ich glaube, dass wir alle uns fragenmüssen: Warum sind viele Länder arm, warum sind dieMenschen in diesen Ländern arm, obwohl dort Roh-stoffe wie Öl, Gold und Diamanten oder eben auch Sel-tene Erden vorhanden sind? Für viele Entwicklungslän-der sind Rohstoffe leider mehr Fluch als Segen.Natürlich kann man es sich leicht machen und sagen,dass die dortigen Regierungen dafür sorgen müssen,dass mehr entsprechende Steuern erhoben und die Um-weltstandards eingehalten werden. Aber ein Teil derWahrheit ist auch, dass es deutsche, dass es unsere Kon-zerne sind, die in diesen Länder Rohstoffe abbauen, unddass Unternehmen hier von diesen Rohstoffen profitie-ren
und sich zu wenig Gedanken darüber machen, was vorOrt in diesen Ländern passiert. Deswegen können wirdas nicht, wie es in der Rohstoffstrategie der Bundesre-gierung steht, allein der Privatwirtschaft überlassen.Vielmehr brauchen wir verbindliche Regeln, damit Um-welt- und Sozialstandards eingehalten werden und dieRohstoffe endlich den Menschen zugutekommen, die siefördern, und den Ländern, aus denen sie stammen.
Ich möchte kurz aus einem Artikel zitieren, in demdie Situation im Zusammenhang mit dem Abbau inChina beschrieben wird. Hier steht:Aber auch dort, wo der chinesische Staat die Förde-rung der Seltenen Erden direkt kontrolliert, ge-schieht dies unter völliger Missachtung von Um-weltschutz und Gefährdung der Anwohner. …unweit der Stadt Baotou. Auch hier werden die Sel-tenen Erden nicht mit umweltschonenden Metho-den isoliert, sondern durch Auswaschen mit Schwe-felsäure, Nitratsalzen und anderen Chemikalien.Anschließend wird die Brühe einfach in einenkünstlichen See gepumpt, für den ein Staudamm er-richtet wurde. Der Giftsee ist inzwischen zwölf Ki-lometer lang – auch dies ein Weltrekord. Er ist nichtnur voller Chemie, sondern enthält auch Tonnen ra-dioaktiven Thoriums, das so gut wie immer in denSeltene-Erden-Erzen enthalten ist.Wenige Kilometer von der Kloake entfernt lagenbis vor kurzem mehrere Dörfer, die sich den un-rühmlichen Namen „Krebsdörfer“ erwarben.Denn dort sind viele Menschen elendig an Krebs gestor-ben.Ich sage deshalb: Wir dürfen nicht zulassen, dassdiese Zustände in China und in anderen Entwicklungs-ländern vorherrschen, dass wir mit unseren Handys undunserer Produktion entsprechender Güter dazu beitra-gen.Herr Lämmel, Sie haben zitiert, dass auch wir derdeutschen Wirtschaft zum Beispiel Hermesgarantien ge-ben möchten. In unserem Antrag steht aber, dass staatli-
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Dr. Sascha Raabe
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che Garantien nur dann gegeben werden dürfen, wennsich die Unternehmen strikt dazu verpflichten, dieOECD-Leitlinien, den Global Compact der VereintenNationen, die EITI-Vereinbarungen für Transparenz undUmwelt- und Sozialstandards einzuhalten. Nur danndürfen diese Bürgschaften gegeben werden.
Ich sage an dieser Stelle: Diese Bundesregierung gehtmit Hermesbürgschaften ganz anders um, als wir es da-mals zusammen mit den Grünen in unseren Richtlinien2001 vorgesehen haben. Wir haben Hermesbürgschaftennur gegeben, wenn die ökologischen und sozialen Krite-rien gestimmt haben. Sie geben Hermesbürgschaftenmittlerweile nur nach den Kriterien, dass dadurch dieAußenwirtschaft gefördert wird und möglichst viele Pro-fite gemacht werden. Sie schrecken nicht einmal davorzurück, Hermesbürgschaften für den Bau von Atom-kraftwerken in Brasilien und auch anderswo in der Weltzu geben. Das ist ein Skandal. Wir dürfen nicht mit deut-schen Steuergeldern die Umwelt belasten, Menschenausbeuten und Atomkraftwerke in Entwicklungs- undSchwellenländern bauen.
Wir haben in unserem Antrag natürlich keine umfas-sende Antwort auf die Rohstoffstrategie der Bundesre-gierung gegeben; da haben wir einen noch viel breiterenAnsatz. Es ist wichtig, dass wir nicht immer nur mit gu-ten Worten Appelle an die deutsche Industrie und Wirt-schaft richten, sondern dass wir fordern und sagen, dassdas eine mit dem anderen verbunden ist.Wir verstehen unter Rohstoffpartnerschaften – dasmöchte ich zum Schluss noch sagen – Partnerschaften,die über die Einhaltung der Transparenzregelungen nichtnur der Entwicklung des Landes dienen, sondern überdie Verteilung der Gewinne – das steht in unserem An-trag – auch der Bevölkerung zugutekommen. Auch da-rüber müssen wir mit den Regierungen reden.Ich hoffe, dass wir bald auch hier im Deutschen Bun-destag ein Gesetz verabschieden – der Kollege Barthelhat es angesprochen –, mit dem alle Unternehmen, die ander Börse notiert sind, verpflichtet werden, ihre Geld-zahlungen offenzulegen. Wenn selbst die USA ein sol-ches Gesetz verabschieden, –
Herr Kollege.
– werden auch wir in Deutschland das tun können.
Das sind wir den Menschen in Deutschland, vor allem
aber in den Entwicklungsländern schuldig. Dafür sollten
wir gemeinsam kämpfen.
Herr Kollege!
Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem An-
trag.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der SPD mit dem Titel „Fairen Rohstoff-
handel sichern – Handel mit Seltenen Erden offenhal-
ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/4910, den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4553 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zu-
stimmung durch die CDU/CSU, die FDP, Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke angenommen. Die SPD hat
dagegen gestimmt.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung mautrechtlicher Vorschriften für Bun-
desfernstraßen
– Drucksache 17/4979 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Dr. Andreas Scheuer.
D
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Neuregelungmautrechtlicher Vorschriften für Bundesfernstraßen solldie Autobahnmaut für schwere Lkw auch auf Teile derBundesstraßen ausgedehnt werden. Es handelt sich umeine Erweiterung des mautpflichtigen Straßennetzes.Alle anderen Merkmale wie die Mautsätze und dieBemautung nur von Lkw ab 12 Tonnen bleiben unverän-dert. Es sollen auch nur Abschnitte von Bundesstraßenbemautet werden, die ausbaumäßig einer Autobahn na-hekommen.Diesem Projekt, der Maut auf Bundesstraßen, liegtdie Überlegung zugrunde, dass insbesondere zu Auto-bahnen Bundesstraßen führen, die den Fahrkomfort ei-ner Autobahn bieten. Das hat auch der Bundesrech-
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Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
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nungshof schon lange aufgezeigt. Er hat die Möglichkeitder Aufstufung zu Bundesautobahnen thematisiert,durch die der Bund weitere Mauteinnahmen erzielenkönnte.Jedoch erfüllen viele dieser gut ausgebauten Bundes-straßen nicht sämtliche rechtlichen und technischen Vo-raussetzungen, die eine Autobahn zu erfüllen hat. Zunennen wären zum Beispiel Anbauverbotszonen, höhen-freie Knotenpunkte und sonstige Ausbaustandards, zumBeispiel Mindestkurvenradien. Wir haben also gut aus-gebaute Bundesstraßen, die aber im Gegensatz zur Auto-bahn nicht bemautet werden können, weil wir diese Stra-ßen nicht zu Autobahnen aufstufen können, da dasgeltende Recht bis auf geregelte Ausnahmen in derMautstreckenausdehnungsverordnung eine Bemautungnicht vorsieht. Diese Situation ist auch vor dem Hinter-grund des erheblichen Finanzbedarfes für Erhalt undAusbau der betroffenen Verkehrsinfrastruktur mehr alsunbefriedigend.Der hier vorliegende Gesetzentwurf regelt die Aus-dehnung der Lkw-Maut auf mindestens vierstreifigeBundesstraßen, die sich in der Baulast des Bundes befin-den, mit Anbindung an eine Bundesautobahn, damit wirräumlich einen Bezug zum mautpflichtigen Autobahn-netz herstellen können.Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu diesemGesetzentwurf weitere Kriterien für einen zu bemauten-den Bundesstraßenabschnitt vorgeschlagen: eine Min-destlänge von 5 Kilometern, eine bauliche Richtungs-trennung und Verzicht auf eine Bemautung iminnerstädtischen Bereich. Die Bundesregierung hat dieAnliegen geprüft und wird dem Deutschen BundestagÄnderungen am mautpflichtigen Streckennetz durch dieRegelung zusätzlicher Kriterien, wie jetzt folgt, empfeh-len: Mindestlänge von 4 Kilometern, durchgehende bau-liche Richtungstrennung, also ein durchgehender Mittel-streifen, und keine Bemautung von Strecken innerorts.Zudem soll empfohlen werden, die im Gesetzentwurfvorgesehene Bemautung von mittelbar an das Autobahn-netz angebundenen Strecken nicht mehr vorzusehen.Mit diesen vorgesehenen und empfohlenen Änderun-gen werden im Gesetz die zu bemautenden Strecken aus-schließlich abstrakt-generell geregelt. Eine Auflistungwie bei den ursprünglich mittelbaren Strecken soll esnicht geben, auch nicht im Wege einer Rechtsverord-nung. Es ist aber vorgesehen, die einzelnen mautpflichti-gen Bundesstraßenabschnitte, die schon in den soge-nannten Mauttabellen veröffentlicht sind, zusätzlichrechtssicher im elektronischen Bundesanzeiger bekanntzu machen.Mit der Regelung des zusätzlichen Kriteriums einesdurchgehenden Mittelstreifens kommt der zu bemau-tende Bundesstraßenabschnitt einem autobahnähnlichenZustand noch näher. Durch die zusätzlichen Abgren-zungsmerkmale wie Mindestlänge, Herausnahme vonOrtsdurchfahrten und Herausnahme der mittelbarenStrecken wird auch den Befürchtungen der Länder hin-sichtlich Mautausweichverkehren Rechnung getragen.Beim Stichwort Mautausweichverkehre möchte ichauf Folgendes hinweisen: Mautausweichverkehre stellenseit Einführung der Lkw-Maut auf Bundesautobahnenkein Flächenproblem dar; laut den konstatierten Unter-suchungen liegt der verlagerungsbedingte Anstieg desLkw-Verkehrs bei weniger als 4 Prozent. Auch zukünftigwird kein besonderer Anreiz zur Verlagerung erwartet.Wir werden dies allerdings prüfen und die Untersuchungzur Verlagerungswirkung vorlegen.
Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kriteriensollen rund 1 000 Kilometer Bundesstraße zukünftigbemautet werden.
Das sind rund 1 000 Kilometer weniger als ursprünglichgeschätzt. Mit dieser Reduzierung tragen wir gleichzei-tig der Speicherkapazität der Fahrzeuggeräte Rechnung.Inzwischen liegen erste Einschätzungen der Gutach-ter zu den erwarteten Fahrleistungen vor. Danach erwar-ten wir trotz alledem jährlich rund 100 Millionen EuroMehreinnahmen, die in der mittelfristigen Finanzpla-nung ausgewiesen sind.Abschließend noch ein paar Worte zum Thema „Fi-nanzierung der Verkehrsinfrastruktur“. Der Bedarf anMitteln für den beabsichtigten Aus- und Neubau der Ver-kehrsinfrastruktur erfordert neue und ergänzende Finan-zierungsinstrumente zur Sicherung und Stärkung derVerkehrsinfrastruktur.Wie hier alle wissen, wurde die Lkw-Maut vor mehrals sechs Jahren unter anderem zur Sicherung der Finan-zierung der Verkehrsinfrastruktur eingeführt. In diesemSinne muss es in der Konzeption des vorgelegten Ent-wurfes weiterentwickelt werden.Zur Reduzierung der Haushaltsabhängigkeit der Ver-kehrsinfrastrukturfinanzierung und zur Schaffung mehr-jähriger Planungssicherheit wollen wir Nutzerfinanzie-rungskreisläufe stärken. Mit dem Bundeshaushalt 2011haben wir einen ersten Schritt zur Herstellung eines Fi-nanzierungskreislaufs Straße eingeleitet. Die Mautein-nahmen, die bisher für Investitionen in Schiene undWasserstraße verteilt wurden, fließen nunmehr zu100 Prozent in die Straße.
Dies führt zu mehr Transparenz bei der Verwendung derMauteinnahmen, und ich halte es für gerecht, dass dieBrummifahrer wissen, dass 100 Prozent ihrer Mautab-gabe in die Straßen, in die Erhaltung, in den Neubau undin die Baustellen, fließen. So ist die Transparenz ge-währleistet.Die christlich-liberale Koalition und die Bundesregie-rung setzen das um, was die Verkehrspolitiker schonlängst fordern. Ich möchte mich in diesem Zusammen-hang noch einmal persönlich bei Gero Storjohann bedan-ken, der meine Ausführungen zum Feuerwehrführer-schein bei Tagesordnungspunkt 13 sehr gelobt hat.
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Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
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Ich denke, wir werden auch im Ausschuss bei den The-men „Maut“ und „Bemautung der vierspurigen Bundes-straßen“ eine gute Diskussionsebene finden.Glück auf! Wir werden damit die Finanzbasis für dieInfrastruktur weiter stärken.
Der Kollege Uwe Beckmeyer hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Scheuer – – Herr Dr. Scheuer – Entschuldi-gung –,
1 000 Kilometer sind es geworden. 3 000 Kilometer wa-ren einmal geplant. Grundsätzlich ist ja nichts dagegenzu sagen, dass Sie sich nach neuen Einnahmequellenumschauen. Ich habe vorhin schließlich gesagt, dass ichSie geradezu dazu auffordere, sinnvolle Sachen zu ma-chen. Die Frage ist nur, wie es passiert? – Ich habe dazuein paar Fragen. Vielleicht kann im Rahmen der heuti-gen Debatte der eine oder andere Koalitionsvertreter– Sie können dazu schließlich nicht mehr reden – nochetwas dazu sagen.Erstens. Auf der Sparklausur der Bundesregierung2010 wurde diese vierspurige Bundesstraßenmaut schonfür den 1. Januar 2011 angekündigt; daraus ist bekannt-lich nichts geworden.Nun planen Sie die Einführung zum 1. Juli 2011. Weildas Problem ja häufig im Detail liegt, interessiert unsSozialdemokraten, ob die vielen ungeklärten rechtlichenund technischen Fragen inzwischen eigentlich so geklärtwurden, dass man davon ausgehen kann, dass dieseMaut tatsächlich zum 1. Juli 2011 eingeführt werdenkann. Dass dieser Termin verschoben worden ist, deutetja zumindest darauf hin, dass da noch einiges nicht klarist. Im Haushalt 2011 haben Sie hier Einnahmen in Höhevon 50 Millionen Euro eingeplant. Wir hoffen, dass Siedas auch realisieren können.Zweitens. Mit dem Beschluss des Gesetzentwurfesdurch das Kabinett ist nicht klar, auf welchen Bundes-straßen die Lkw-Maut eingeführt werden soll. Zu Rechtfordern Ihr eigenes Bundesland Bayern und andere Bun-desländer, dass sie wenigstens an der Zusammenstellungder Liste beteiligt werden. Die Frage an Sie ist: Sinddiese Länder beteiligt worden?
Sie sind die vor Ort Betroffenen, die mit den Konse-quenzen auf dem nachgeordneten Straßennetz lebenmüssen. Das muss man einfach berücksichtigen.Diese vierspurigen Bundesstraßen gibt es ja nichtüberall, sondern nur an ganz bestimmten neuralgischenPunkten. Sie haben vorhin von Strecken über vier Kilo-metern gesprochen – nicht in den Städten. Also denkeich einmal, dass wir es mit Versatzstücken zu tun haben,die irgendwo angeschlossen sind und Verkehr auf nach-geordneten Straßen der Länder hervorrufen.Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warumdas Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungsbedürftigist. Aus dem, was im Gesetzentwurf steht, habe ich ge-schlossen, dass die Ausdehnung auf Bundesstraßen imBundesrat zustimmungsbedürftig ist. Ich denke, das istauch eine Frage, die geklärt gehört.Drittens. Bisher sind in keinem Fall Untersuchungendarüber durchgeführt worden, welche Auswirkungen dieEinführung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstra-ßen für das nachgeordnete Netz wie Kreis- und Landes-straßen usw. hat. Sollen auch vierspurige Bundesstraßeninnerhalb von größeren Städten – das haben Sie jetztausgeschlossen – oder Ortsumgehungen – das ist meinesErachtens noch unklar – bemautet werden? Auch das istmeines Erachtens noch unklar.Viertens. Wie groß werden die technischen Aufwen-dungen sein, die für eine Erhebung der Lkw-Maut aufvierspurigen Bundesstraßen notwendig sind? Dazu habeich hier heute auch nichts gehört.
Wird es Mautbrücken geben müssen? Wird es ledig-lich Kontrollen durch das BAG geben, und wird damitdas Risiko der Kontrollen zu 100 Prozent auf den Staatübertragen? Das sind ebenfalls Fragen, die ich aus demKreise des Bundeskabinetts bisher nicht beantwortet be-kommen habe.Fünftens. Bis heute ist nicht klar, in welcher Höhe beider Erhebung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundes-straßen Systemkosten anfallen. Bisher heißt es im Ge-setzentwurf lediglich, dass 8,5 Millionen Euro an Voll-zugskosten beim BAG entstehen. Bei Einnahmen vonrund 100 Millionen Euro sind das 8,5 Prozent. Darinsind noch nicht die Kosten enthalten, die ein Unterneh-men, das im Auftrag des Bundes die Lkw-Maut erhebt,in Rechnung stellen wird. Auch das ist nicht geklärt.Sechstens. Bis heute verweigert die Bundesregierungjegliche konkrete Aussage dazu, wie die rechtlichenRahmenbedingungen für eine Vergabe der Erhebung derLkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen aussehen.Wird es eine Direktvergabe geben? Muss europaweitausgeschrieben werden? Das ist dem Parlament gegen-über bisher überhaupt noch nicht eindeutig geklärt. Auchhierzu erwarte ich von der Bundesregierung eine Aus-kunft.
– Vielleicht weiß sie es nicht.Siebtens. Bisher ist nicht bekannt, welche Belastun-gen auf die Unternehmen des Transport- und Logistikge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11037
Uwe Beckmeyer
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werbes zukommen werden. Laut dem Wegekostengut-achten der Bundesregierung ist die Mauthöhe aufBundesstraßen allerdings generell doppelt so hoch wieauf Bundesautobahnen, weil dort weniger Schwerlast-verkehr stattfindet. Die Frage an die Bundesregierungist: Wann werden Sie einen Entwurf für eine neue Maut-höheverordnung auf den Weg bringen, dem DeutschenBundestag, dessen Zustimmung nach der Gesetzeslagezumindest aus unserer Sicht erforderlich ist, vorlegenund die Länder entsprechend informieren? Ich habe denEindruck, dass es noch sehr viele Fragen gibt, die Sieimmer noch nicht geklärt haben und dass bei Ihnen imHause anscheinend eine große Unsicherheit unter denFachleuten existiert. Die Fragen, die ich stelle, stellenebenfalls die Kolleginnen und Kollegen aus den Verbän-den. Auch sie fragen sich, ob Sie möglicherweise dabeisind, das Gewerbe in diesem Zusammenhang hinter dieFichte zu führen. Insofern bitte ich um Aufklärung zudiesem Gesetzentwurf.
Ich möchte nicht, dass Sie den Eindruck gewinnen,dass Sie im Deutschen Bundestag eine unseriöse Ver-kehrspolitik betreiben können, ohne dass es jemandmerkt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Patrick Döring für die FDP-
Fraktion.
Ob er seinem Namen an diesem Tag gerecht wird und
eine missionarische Rede hält, werden wir sehen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will mich bemü-hen, die Debatte, die um diese Uhrzeit überwiegend imgeschlossenen Kreis der Ausschussfreunde stattfindet– über die vielen interessierten Gäste freut man sichselbstverständlich, die Bürgerinnen und Bürger ohnehin –,zu nutzen, um ein paar Fragen, die aufgeworfen wordensind, zu beantworten.Zunächst bedanke ich mich bei der Bundesregierungdafür, dass bereits erkannt worden ist, dass der Gesetz-entwurf vor der zweiten und dritten Beratung noch an ei-nigen Stellen verbessert werden kann, wozu wir alsFDP-Fraktion in jedem Fall bereit sind. Aus den Ände-rungen, die der Herr Staatssekretär vorgetragen hat, las-sen sich schon einige Fragen, die der geschätzte KollegeBeckmeyer gestellt hat, beantworten.Eingangs muss man festhalten – das ist erkennbar –,dass die Umsetzung dieser in der Sparklausur beschlos-senen Änderung tatsächlich deutlich komplizierter ist,als dies seinerzeit erwartet wurde. Das hängt damit zu-sammen, dass zum Beispiel umfangreich gutachterlichgeklärt werden musste, ob im Rahmen des bestehendenKonsortialvertrages mit Toll Collect die Erhebung anToll Collect übertragen werden kann. Das ist nach mei-ner Kenntnis inzwischen durch ein ausführliches Rechts-gutachten geklärt. Wir können im Rahmen dessen, wasmit Toll Collect vereinbart worden ist, auch diese Aus-weitung des Mautnetzes vornehmen, ohne Änderungenam Vertrag durchzuführen, was in der Tat gegebenen-falls Ausschreibungskonsequenzen gehabt hätte.Es war außerdem zu klären, welche der ungefähr3 000 Kilometer vierstreifigen Bundesstraßen wir tat-sächlich bemauten wollen. Deshalb begrüße ich für dieFDP-Fraktion ausdrücklich, dass die Bundesregierungden Gesetzentwurf, dem eine Liste und eine weitere An-lage beigefügt sind – einige von Ihnen wissen, dass ichdas ohnehin nicht gerne habe –, zu einem Gesetzentwurfweiterentwickelt hat, der klar definiert, welche Straßenbemautet werden sollen. Die entscheidende Regelunglautet: Mittelbar an Bundesautobahnen anschließendevierstreifige Bundesstraßen, die jeweils zwei baulich ge-trennte Fahrstreifen aufweisen, sind zu bemauten.
Wenn das so ist, lieber Kollege Beckmeyer, dann er-gibt sich jedenfalls nach meiner Überzeugung keine ne-gative Auswirkung auf Landes- und Kreisstraßen, weildie in der Regel nicht für Substitutionsverkehre geeignetsind, da sie gerade nicht unmittelbar an Bundesautobah-nen anschließen.Die Frage wäre berechtigt gewesen, wenn man einelange Liste erstellt hätte. Aber wenn man sich darauf be-zieht, dass ausschließlich die vierstreifigen Bundesstra-ßen in Verlängerung oder als Zubringer zu Autobahnenbemautet werden, dann ergibt sich die Substitution ananderer Stelle aus meiner Sicht nicht.Das ist nach unserer festen Überzeugung auch derentscheidende Punkt bei der Beteiligung der Länder. Mitdieser Definition und durch die reine Änderung desMautgesetzes ist das nicht mehr nötig. Bei einer Listewäre das – darin stimme ich mit Ihnen überein – allerVoraussicht nach nötig gewesen. Wir wären auch garnicht darum herumgekommen. Denn wir alle habenBriefe von Landräten und Landesverkehrsministern be-kommen, in denen die Herausnahme einzelner Strecken-abschnitte gefordert wurde. Ich habe keinen einzigenBrief bekommen, in dem jemand vorschlägt, einen Stre-ckenabschnitt zu bemauten. Das hätte am Ende ein hefti-ges Gerangel gegeben.Insofern streben wir eine klare gesetzliche Definitionan. Wir werden im Ausschuss sicherlich die notwendi-gen Änderungen vorschlagen und hoffen auf Ihre Unter-stützung.
Nun zur Frage der Mauthöheverordnung. Es ist in derTat richtig, dass der Hinweis auf die Bundesstraßen inder Mauthöheverordnung aufgeführt ist. Ich bin aberauch der festen Überzeugung, dass das, was für die Bun-desstraßen im Allgemeinen gelten mag, für die vierstrei-figen, durch baulich getrennte Fahrstreifen ausgezeich-neten Bundesstraßen nicht gilt, sondern dass hier ganz
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Patrick Döring
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sicher analog die ermittelten Mauthöhesätze übernom-men werden können. Übrigens ist das keine Benachteili-gung der Nutzerinnen und Nutzer. Wenn wir jetzt will-kürlich einen höheren Satz festlegen würden, wäre dassicherlich klageanfällig. Wenn wir aber unter den Emp-fehlungen des Mauthöhegutachtens für Bundesstraßenbleiben und nur die Mauthöhe für Bundesautobahnennehmen, ist das aus meiner Sicht keine Benachteiligungdes Gewerbes, sondern ein positiver Aspekt, der dazuführt, dass die echten Wegekosten dieser Strecke wahr-scheinlich nicht abgebildet werden; dazu müsste derMautsatz wohl höher sein. Aber aus unserer Sicht ist esnicht sinnvoll, für diese 1 000 Kilometer jetzt neueMauthöheermittlungsverfahren einzuleiten. Wir nehmenden Satz, der bei der baulichen Analogie, nämlich einervierstreifigen Autobahn, gilt. Das ist gut für das Ge-werbe und aus unserer Sicht rechtssicher, liebe Kollegin-nen und Kollegen.
Es zeigt sich, wie sinnvoll der FinanzierungskreislaufStraße ist, denn mit dieser Maßnahme organisieren wirgemeinsam mit dem Gewerbe zusätzliche Mittel für denAusbau der Straßeninfrastruktur. Das hilft den Lkw-Fah-rerinnen und -Fahrern. Das hilft den betroffenen Kom-munen. Das will diese Koalition, nämlich zusätzlicheMittel für Straße, Schiene und Wasserstraße organisie-ren: im Bundeshaushalt oder von den Nutzerinnen undNutzern.Ich möchte abschließend einen Gedanken äußern. Wirerleben immer wieder, dass planungsrechtlich die Aus-weitung einer vorhandenen zweistreifigen Bundesstraßeauf die Dreistreifigkeit deutlich leichter als die Erweite-rung zur Vierstreifigkeit ist. Wir sollten uns alle gemein-sam – nicht nur, aber auch wegen der Mauteinnahmen –darüber Gedanken machen, ob es klug und vernünftigist, dass man die Erweiterung einer vorhandenen zwei-streifigen Autobahn auf eine dreistreifige über die Unter-haltungsmittel in der Regel ohne Planfeststellungsver-fahren machen kann, man aber in dem Moment, in demman eine zweistreifige Bundesstraße zu einer vierstreifi-gen Bundesstraße machen will, ein Planfeststellungsver-fahren anschieben muss.Im Rahmen dessen, was wir heute Morgen zumThema Planungsbeschleunigung in ganz anderem Kon-text – das will ich zugeben – besprochen haben, wäre esvielleicht des Schweißes der Edlen wert, darüber nach-zudenken, die Hürden etwas niedriger zu legen, um mehrvierstreifige Bundesstraßen zur Entlastung der betroffe-nen Kommunen einerseits, aber auch zur Erhöhung derEinnahmen für den Verkehrshaushalt andererseits zu er-möglichen.Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die Bundesregierung legt uns heute einen Gesetz-entwurf vor – ein halbes Jahr zu spät und dann auchnoch Murks.
Ihre Bundesstraßenmaut bringt weder ausreichende Ein-nahmen noch verhindert sie, dass die schweren Lkwweiter durch Dörfer und Städte donnern.Sie haben Veränderungsbedarf angekündigt. Hier ei-nige Vorschläge:Erstens. Der Bundesverkehrsminister begnügt sichzunächst mit 2 000 Kilometern Bundesstraßen. Das sindgerade einmal 5 Prozent aller Bundesstraßen. Statt kon-sequent Mautflucht zu verhindern und Lkw-Verkehr zurFinanzierung der Verkehrskosten heranzuziehen, betrei-ben Sie Flickschusterei.
– Genau das wollen wir.
In diesem Gesetz kommt überhaupt nicht vor, welcheBelastungen die Menschen zu ertragen haben, die mitschweren Lkw vor der Haustür leben müssen, weil dieSpediteure ihre Fahrer über Land schicken. Um derMaut auszuweichen, nutzen sie einspurige Bundesstra-ßen.Ich nenne als Beispiel die Bundesstraße 5. Das ist dieklassische Strecke für Mautpreller zwischen Hamburgund Berlin. Die B 5 fehlt – bis auf einen einzigen kurzenAbschnitt – in der Liste der Mautstrecken. Erklären Sie,Herr Minister oder Herr Staatssekretär, das einmal denBewohnerinnen und Bewohnern in Lauenburg und inLudwigslust!Mautflüchtlinge benutzen aber auch Landesstraßen.In meiner Heimatstadt Osterholz-Scharmbeck kämpfenAnwohnerinnen und Anwohner der L 135 gegen 800schwere Lkw, die täglich auf der Strecke zwischen Bre-men und Bremerhaven pendeln, obwohl sie auf der pa-rallel gelegenen A 27 hätten fahren sollen.In einem Bericht des Ministeriums über Verlagerun-gen durch Mautausweichverkehr gibt es dazu eine ge-naue Auflistung. Würden wir nur die am stärksten be-troffenen Strecken, also die mit mehr als 500 schwerenLkw pro Tag, nehmen, dann müssten zum Beispiel inNiedersachsen doppelt so viele Strecken zusätzlichbemautet werden, wie jetzt von Ihnen vorgeschlagen.Unsere Forderung zur Gesetzesvorlage: Die Liste derStreckenabschnitte, also die Liste der 80, muss überar-beitet werden.
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Herbert Behrens
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Auch die Auswirkungen auf Ballungsgebiete müssen un-tersucht und die Einbeziehung von Ortsdurchfahrten inkommunaler Baulast muss überprüft werden. Das hat jaauch der Bundesrat im vergangenen Monat gefordert.Zweitens. Die Maut ist nicht hoch genug. Das sagtselbst eine Studie aus dem Bundesverkehrsministerium.Bei der dort vorgenommenen Wegekostenberechnungkommen 30 Cent pro Kilometer heraus. 30 Cent pro Ki-lometer müssten Spediteure also eigentlich zahlen; heutesind es im Schnitt gerade einmal 18 Cent auf Autobah-nen. Wir fordern, die Mauthöhe auf Bundesstraßen aufGrundlage der realen Wegekosten zu berechnen. In derSchweiz gibt es übrigens eine flächendeckende Maut,die drei- bis viermal höher ist als die aktuelle auf bun-desdeutschen Autobahnen. Die Einnahmen daraus flie-ßen auch in das gesamte Verkehrssystem und nicht nur indie Straße.Drittens. Wir halten die Lkw-Maut für ein absolutsinnvolles Instrument, aber es muss konsequent zu einerökologischen Verkehrslenkung genutzt werden.
Die Spreizung der Maut nach Schadstoffklassen war einerster Schritt. Wir fordern: Die Maut muss zu einemSteuerungsinstrument im Transportwesen weiterentwi-ckelt werden. Mauteinnahmen sind nicht ausschließlichfür den Straßenbau da; sie gehören in das Verkehrssys-tem insgesamt: in die Schiene, in die Straße und in dieWasserwege.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz zeigt,dass die Bundesregierung im Klein-Klein verharrt. Dasist auch auf europäischer Ebene der Fall. So schlägt bei-spielsweise die EU eine Eurovignette für alle Transpor-ter ab 3,5 Tonnen vor. Wie kommt das bei HerrnRamsauer an? Wir hören von ihm nur: Blockade.
Die EU versucht, Staukosten und die Kosten für Lärmund Umweltschäden in die Eurovignette einzubeziehen.Was kommt aus Deutschland? Wieder Blockade.
Der Bundesverkehrsminister hätte heute die Chancegehabt, dazuzulernen. Es ist jetzt an ihm, ob er weiterherummurkst oder ein Gesetz auf den Weg bringt, dasden Verkehr beruhigt und vielen Menschen das Lebeneinfacher macht.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Anton Hofreiter hat das Wort fürBündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vielen Dank für den Applaus.Nachdem der Herr Staatssekretär heute schon aus-führlich gelobt worden ist,
auch ein Lob von unserer Seite; denn wir halten die Aus-weitung der Maut auf Bundesstraßen durchaus für einrichtiges Instrument. Das ist ein Schritt in die richtigeRichtung. Wir loben euch sogar, wenn ihr einmal etwasrichtig macht.
Das Problem ist nur, dass man auf der halben Streckestehen bleibt. Wir haben weitaus mehr Bundesstraßen.Letztendlich müsste man konsequent sein und die Mautauf die gesamten Bundesstraßen ausweiten.
Das wäre von entscheidender Bedeutung für die Steue-rung des Verkehrs.Die Situation auf der B 5 ist bereits erwähnt worden.Auch ich war einmal in Lauenburg und habe mir das an-geschaut. Man findet wenig Bundesstraßen, auf denen insolcher dichten Folge Lkw fahren. Es gibt also durchausBundesstraßen, die nicht vierstreifig sind, auf denen er-heblicher Lkw-Verkehr stattfindet und auf denen nachallen Aussagen und allen Zahlen auch Lkw-Ausweich-verkehr vorhanden ist. Den Anwohnern dieser Straßenwird wieder nicht geholfen. Deshalb wäre zu fordern,dass neben den vierstreifigen Bundesstraßen zumindestauch die Bundesstraßen, auf denen ein massiver Lkw-Ausweichverkehr vorhanden ist, in die Bemautung auf-genommen werden. Das wäre jederzeit möglich.
Wenn man sich die Stellenentwicklung beim Bundes-amt für Güterverkehr anschaut, ist des Weiteren zu fra-gen, ob insgesamt das Modell, wie es gewählt wordenist, wirklich effizient ist. Wenn wir uns anschauen, wieviele Stellen da ausgeschrieben sind und wie viele Leutezusätzlich eingestellt werden müssen, dann stellt sichdurchaus die Frage, ob das Modell, das mit Toll Collectgewählt worden ist, wirklich geeignet ist, um die Lkw-Maut zu einem wirtschaftlich vertretbaren Maß auf dieBundesstraßen auszuweiten.In Kürze werden die Ausschreibungen stattfinden; zu-mindest wird der momentan gültige Mautvertrag verlän-gert. Vielleicht muss man sich überlegen, ob das Modellweiterzuentwickeln ist. Es ist dringend an der Zeit, dassman sich im Verkehrsministerium Gedanken darübermacht. Es gibt große Fragezeichen. Man schaue sich ein-mal an, welch hoher Prozentsatz der Mauteinnahmen anden Betreiber fließt. Zu klären ist, ob das alles effizient
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Dr. Anton Hofreiter
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genug ist und ob damit eine effiziente Ausweitung, wiewir sie uns vorstellen, wirklich möglich ist.Was sind unsere Vorstellungen? Unsere Vorstellungensind einfach: Die Lkw-Maut ist auf alle Bundesstraßenauszuweiten. Die Lkw-Maut ist auf Fahrzeuge bis3,5 Tonnen auszuweiten. Wir stellen fest, dass im Mo-ment eine starke Umschichtung hin zu Fahrzeugenknapp unter 12 Tonnen stattfindet; 11,5-Tonnen-Fahr-zeuge sind plötzlich sehr beliebt. Dieser Entwicklungwäre damit ein Riegel vorgeschoben. Diese Ausweitungder Maut wäre rechtlich und technisch möglich. Mit ei-nem etwas geschickteren Mauterhebungssystem wäre sieauch ökonomisch sinnvoll.Des Weiteren erwarten wir von der Bundesregierung,dass sie die ökonomisch kontraproduktive Nichterhö-hung der Maut für die Euro-3-Fahrzeuge zurücknimmt.Man hat gedacht, man tue insbesondere dem Gewerbeetwas Gutes. Man stellt nun aber fest, dass man dem ein-heimischen Gewerbe damit – es hat weitgehend umge-stellt, und Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge sind schon inder Überlegung – eigentlich nichts Gutes getan hat;
man hat ihm mit der sinnlosen Rücknahme der Erhöhungder Maut für Euro-3-Fahrzeuge einen Bärendienst erwie-sen.
– Wir sprechen mit den Mittelständlern. Die Mittelständ-ler sind viel weiter als Sie; sie haben weitgehend mo-derne Fahrzeuge.Was hat man mit dieser Nichterhöhung erreicht? Manhat insbesondere die Konkurrenz gestärkt, die mit alten,mit schlechten, mit abgeschriebenen Fahrzeugen unter-wegs ist. Man hat diejenigen Unternehmen, die moderneFahrzeuge einsetzen, also Unternehmen, die investierthaben, geschwächt. Man hat noch etwas Weiteres be-wirkt: Dem Bundeshaushalt wurde sinnlos Geld entzo-gen, Geld, das wir dringend für den Unterhalt des Stra-ßennetzes benötigen.
Erweitern Sie Ihr Konzept: Bemautung aller Bundes-straßen, Ausweitung der Maut auf 3,5-Tonner und stär-kere Spreizung der Mauthöhen. Das hätte nämlich einestärkere ökologische Lenkungswirkung.Danke.
Der Kollege Thomas Jarzombek hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hattemit Blick auf die Kollegen der Grünen eigentlich einigeschöne Zitate vorbereitet, war aber auf so viel Lob vonIhrer Stelle gar nicht gefasst. Das nehmen wir doch er-freut zur Kenntnis.Herr Kollege Hofreiter, ich gehe gerne auf Ihr Argu-ment ein, was die Rücknahme der Mauterhöhung für dieEuro-3-Lkws betrifft. Genau das war ja Wunsch derTransportwirtschaft. Wir reden hier ja nicht über dieFahrzeuge, die ganz große Strecken fahren, sondern überdas Drittel der Fahrzeuge der deutschen Transporteure,die nach der Euro-3-Norm ausgerichtet sind, deren Fahr-leistung aber nur 16 Prozent der Streckenkilometer aus-macht. Sie müssen also auch an den kleinen Betrieb mitwenigen Fahrzeugen, die eher im innerstädtischen Be-reich auf kurzen Strecken fahren, denken.
Sie erfahren an dieser Stelle eine deutliche Entlastung.
Ich glaube, dass das, was wir hier tun, richtig ist. Ichfreue mich darauf, dass Sie beide, Kollege Hofreiter,Kollege Behrens – eine Koalition habe ich hier heuteausgemacht –, demnächst einen Gesetzentwurf einbrin-gen, in dem geregelt wird, dass erstens alle Bundesstra-ßen und zweitens alle Lastwagen bis 3,5 Tonnen bemau-tet werden. Darauf sind wir gespannt. Wenn dasgeschieht, können wir hier eine ehrliche Diskussion da-rüber führen, wer was will. Insofern lade ich Sie dazuein, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Dann haben wireine tolle Basis, hier miteinander zu diskutieren.Warum wir das Ganze überhaupt machen, ist relativklar. Ein Unterschied ergibt sich allerdings zwischendem, was wir tun, und der damaligen Konstruktion nochunter Bodewig. Bodewig hat es in der Bundestagsde-batte im Jahre 2001 – die Autobahnmaut für Lkw war jaIhre Erfindung, meine Damen und Herren von Rot-Grün –
gesagt:Das hat eine positive Wirkung; denn diese Bewer-tung führt dazu, dass wir mehr investieren können,und zwar richtig. Es geht um zusätzliche Einnah-men, …
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Thomas Jarzombek
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Diese zusätzlichen Einnahmen, die Sie mit der Lkw-Maut generieren wollten, sind bei den Finanzpolitikernim Laufe der Zeit immer mehr verschwunden.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir für den Einstieg in ei-nen geschlossenen Finanzierungskreislauf bei den Ver-kehrsträgern gesorgt haben, damit die zusätzlichen Mit-tel, die jetzt durch die Einbeziehung der Bundesstraßenerhoben werden, tatsächlich auch beim Straßenbau an-kommen und nicht bei den Sozialpolitikern oder ir-gendwo anders versickern.
Das macht den allergrößten Unterschied zwischen Ihnenund uns aus.Herr Kollege Beckmeyer, Sie haben das Verfahren derAusschreibung kritisiert. Ich sage einmal, wie das da-mals unter Ihnen abgelaufen ist. Das Autobahnmautge-setz ist im Jahre 2002 vom Deutschen Bundestag be-schlossen worden. Funktionsfähig war das System TollCollect tatsächlich erst zum 1. Januar 2005. Dazwischenlagen fast drei Jahre. Sie wollen uns doch wohl nichternsthaft den Ratschlag geben, wir sollten das jetzt wie-derholen und ein neues System europaweit ausschreiben –und das auch noch für 1 000 Kilometer!
Das ist doch total unsinnig. Das wird niemand machen.Dafür wird niemand eine neue Struktur aufbauen. Des-halb ist unser Vorgehen richtig.
Es ist auch realistisch, dass nach einer konservativenSchätzung in den Haushalt 50 Millionen Euro für diesesJahr und 100 Millionen Euro für die Folgejahre einge-stellt wurden. Ich glaube, dass sich die Bundesregierungan dieser Stelle realistische Ziele gestellt hat.
– Das ist schön. Ich hätte mich auch gefreut, wenn Sieeine Zwischenfrage gestellt hätten, anstatt pausenlos wieauch immer geartete Kommentare abzugeben. Das wäremit Sicherheit ein eleganterer Weg gewesen, die Diskus-sion zu führen.
Ich möchte natürlich die Zeit nutzen, die ich nochhabe.
– Ich habe noch zwei Minuten. Vorsicht.
Ich möchte insbesondere der Bundesregierung undHerrn Staatssekretär Dr. Scheuer für die wirklich exzel-lente Arbeit danken,
und zwar, Herr Kollege Beckmeyer, weil genau diese Än-derungen noch kommen. Wir sind nicht beratungs-resistent und haben im Laufe des Gesetzgebungs-verfahrens – –
– Jetzt hören Sie doch einmal auf, ständig dazwischen-zurufen. Sie sind ja schlimmer als Waldorf und Statler.
– Da hat der Kollege Döring absolut recht. Die späteStunde sollte uns zur Ernsthaftigkeit zurückbringen.
– Das war an Herrn Beckmeyer gerichtet.Es ist ein Zeichen für ein vernünftiges Vorgehen, dassdie Kriterien für die Straßen – Herr Kollege Döring hates dargestellt – jetzt noch einmal deutlich verändert wur-den, dass wir jetzt ein praktikableres Verfahren habenund dass auch die Streckenlängen verändert wurden. Daszeigt, dass wir als Fraktion mit der Bundesregierung eingutes Einvernehmen haben und nicht mit dem Kopfdurch die Wand wollen. Wo hat man das sonst schon?Das Letzte, was noch anzusprechen ist, ist die stetigeKritik an Toll Collect, die ich auch im Ausschuss gehörthabe. Toll Collect ist ein System, das von der rot-grünenKoalition eingeführt wurde. Ich glaube, dass das Systemein gutes System ist und dass wir uns das nicht immerschlechtreden lassen sollten.
Ich glaube, dass es eine Menge Potenziale für die Zu-kunft hat. Ich hoffe, dass wir über das Schiedsverfahrenbald zu einem Einvernehmen kommen.
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11042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Thomas Jarzombek
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Ich wünsche mir, dass wir diese Technologie etwas mehrschätzen und nicht leichtfertig glauben, dass man Sys-teme aus anderen Ländern, die zwar gut funktionieren,aber auf ganz anderen Netzen, einfach übertragen könne.Ich freue mich auf den Gesetzentwurf, mit dem Siealle Bundesstraßen bemauten. Bis dahin sind wir aufdem richtigen Weg.Meine Damen und Herren, einen schönen Abendnoch. Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/4979 an die Ausschüsse vorge-
schlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun
Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Aufgaben und Zusammensetzung der Alters-
armutskommission – Altersarmut umfassend
und mit den richtigen Mitteln bekämpfen
– Drucksachen 17/4422, 17/4926 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es han-
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Peter Weiß, Ulrich Lange, Anton Schaaf, Heinrich Kolb,
Matthias Birkwald und Wolfgang Strengmann-Kuhn.
Zum 1. Juli 2011 werden die Renten in Deutschland
um rund 1 Prozent ansteigen, und auch in Zukunft ist
nach den Modellrechnungen im Rentenversicherungsbe-
richt 2010 von einem Rentenanstieg um 29 Prozent bis
2024 oder entsprechend einer durchschnittlichen Steige-
rungsrate von knapp 1,9 Prozent pro Jahr auszugehen.
Das sind erfreuliche Nachrichten angesichts der Tat-
sache, dass im Rentenversicherungsbericht vor zwei
Jahren noch Nullrunden für die Rentnerinnen und Rent-
ner prognostiziert wurden. Gleichzeitig steigt die Rück-
lage in der Rentenversicherung weiter an. Aus heutiger
Sicht kann davon ausgegangen werden, dass schon im
Laufe des Jahres 2012 die Rücklage den Stand von
1,5 Monatsausgaben übersteigt. Damit könnte zum
1. Januar 2013 der Rentenversicherungsbeitrag abge-
senkt werden.
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen
die gesetzliche Rentenversicherung nahezu unbeschadet
die Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden hat. Auch
der Sozialbeirat hat in seinem Bericht zum Rentenversi-
cherungsbericht 2010 festgestellt, dass „hervorzuheben
, dass die Rentenversicherung die weltweite Wirt-
schafts- und Finanzkrise unbeschadet überstanden hat.
Dies hat nicht nur in den Medien Anerkennung gefun-
den, die zum Teil der Rentenversicherung lange Zeit kri-
tisch gegenüberstanden. Die Rentenversicherung wurde
als ,Fels in der Brandung’ beschrieben. Auch die Bevöl-
kerung weiß wieder den Wert der Rentenversicherung
mehr zu schätzen. Nach der jüngsten Postbank-Studie
,Altersvorsorge in Deutschland 2010/2011’ bewerten
drei Viertel der Bevölkerung die Rentenversicherung als
eine ideale Form der Alterssicherung. Damit liegt die
Rentenversicherung weit vor allen anderen Systemen
der Alterssicherung.“
Angesichts dieser Feststellungen ist es umso verwun-
derlicher, dass die Linken in ihrem Antrag einen grund-
legenden Kurswechsel in der Rentenpolitik und einen
Umbau der Deutschen Rentenversicherung fordern. Wir
wollen, dass die Rentensysteme und die Altersvorsorge
insgesamt armutsfest bleiben und Armut im Alter ver-
mieden werden kann. Altersarmut ist ein wichtiges und
komplexes Thema, und deshalb ist es richtig, dass CDU/
CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag die Einset-
zung einer Regierungskommission zur Vermeidung von
Altersarmut beschlossen haben.
Was aber nicht passieren darf, ist, dass man – wie es
die Linken tun – Altersarmut als Begründung dafür
nimmt, die deutsche Rentenversicherung zu einer Aus-
zahlungsstelle für Pauschalrenten zu machen. Die ge-
setzliche Rente in Deutschland ist lohn- und beitragsbe-
zogen. Darauf vertrauen auch die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die in die Rente einzahlen. Ebenso
kurzsichtig ist es, eine Reform der gesetzlichen Renten-
versicherung zu fordern und die Stärkung der privaten
und der betrieblichen Altersvorsorge abzulehnen. Des-
halb haben wir im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und
FDP auch festgeschrieben: „Wir verschließen die Au-
gen nicht davor, dass durch die veränderten wirtschaftli-
chen und demografischen Strukturen in Zukunft die Ge-
fahr einer ansteigenden Altersarmut besteht. Deshalb
wollen wir, dass sich die private und betriebliche Alters-
vorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch die-
jenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vor-
gesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der
Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und
steuerfinanziert ist.“
Unser Rentensystem basiert auf drei Säulen. Eine al-
leinige Sicherung des eigenen Lebensstandards im Alter
durch die gesetzliche Rente kann allein schon aufgrund
der demografischen Entwicklung und des Generationen-
vertrages nicht funktionieren. Der Präsident der Deut-
schen Rentenversicherung Bund, Dr. Herbert Rische,
schreibt dazu: „Die Lebensstandardsicherung bei Ein-
tritt der Altersrente wie der Erwerbsminderung kann vor
dem Hintergrund der Entwicklung des Rentenniveaus
künftig im Regelfall nicht mehr allein durch die Leistun-
gen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleistet
werden, auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung
die stärkste Säule der Sicherung bei Alter und Erwerbs-
minderung bleiben wird.“
Peter Weiß
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(B)
Nach einer Prognose der Deutschen Rentenversiche-
rung Bund wird sich die Bedeutung der einzelnen Teil-
segmente im Drei-Säulen-System – gesetzliche Renten-
versicherung, betriebliche Altersvorsorge und private
Altersvorsorge – in Zukunft immer mehr verlagern. Lag
der Anteil der gesetzlichen Rentenversicherung am ge-
samten Alterssicherungssystem 2005 noch bei 85 Pro-
zent so wird er 2035 nur noch bei 65 Prozent, im Jahre
2050 sogar nur noch bei 56 Prozent liegen. Dementspre-
chend werden sich die Anteile der betrieblichen Alters-
vorsorge von im Jahre 2005 von 10 Prozent auf 24 Pro-
zent für 2035 und sogar auf 31 Prozent für 2050 erhö-
hen. Bei der privaten Altersvorsorge liegen die Zahlen
bei 5 Prozent in 2005, 11 Prozent in 2035 und 13 Pro-
zent in 2050.
Diese Entwicklungen zeigen, dass alle Säulen der Al-
terssicherung zur Lebensstandardsicherung und zur
Vermeidung von Altersarmut beitragen müssen. Deshalb
ist es auch richtig, dass die Bundesregierung private
und betriebliche Zusatzversorgung mit erheblichen För-
derungen stützt, wie beispielsweise die Förderung mit fi-
nanziellen Zuschüssen – Riester-Zulagen –, die Förde-
rung mit Extra-Steuerersparnissen – zusätzlicher
Sonderausgabenabzug – oder die Basis-Rürup-Rente.
Richtig ist auch, dass die gesetzliche Rente die wesentli-
che Säule der Alterssicherung ist und bleibt. Deshalb
gilt es, auch die gesetzliche Rentenversicherung zu stär-
ken.
Ein besserer Schutz vor Altersarmut ist das zentrale
rentenpolitische Vorhaben dieser Koalition. Dazu brau-
chen wir aber keine Panikmache und keine unrealisti-
schen Forderungen, sondern ein echtes Gesamtkonzept.
Ein solches zu erstellen und die Grundlage für weiteres
Handeln zu erarbeiten, ist Ziel der Regierungskommis-
sion zur Vermeidung von Altersarmut, die in den kom-
menden Wochen durch die Bundesregierung eingesetzt
wird.
Derzeit sind nur 2,3 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner wegen zu geringer Alterseinkünfte auf zusätzli-
che staatliche Unterstützung angewiesen. 1957, vor der
Einführung der dynamischen Rente, waren über 70 Pro-
zent der Seniorinnen und Senioren in Deutschland auf
zusätzliche staatliche Hilfen angewiesen. Auch dies
zeigt noch einmal, wie erfolgreich die gesetzliche Ren-
tenversicherung zur Vermeidung von Altersarmut beige-
tragen hat. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so
bleibt. Wir wollen, dass die gesamte Problematik von Al-
tersarmut, Erwerbsminderung und Langzeitarbeitslo-
sigkeit fachkundig, umfassend und mit Blick auf eine zu-
kunftsfähige und bedarfsgerechte Lösung angegangen
wird. Denn nur so kann dieses ernsthafte und komplexe
Thema bewältigt werden.
CDU/CSU und FDP unterstützen das Vorhaben, eine
Regierungskommission einzusetzen. Nach Vorlage des
Berichts der Kommission werden wir als Parlament de-
ren Vorschläge diskutieren und bewerten. Es liegt dann
an uns als Parlamentariern, welche Vorschläge wir auf-
greifen und was wir als Gesetz beschließen. An dieser
klaren Aufgabenteilung zwischen einer Fachkommission
und der Verantwortung von uns Abgeordneten wollen
Zu Protokoll
wir nichts ändern. Eine Verwischung oder Vermengung
von Verantwortlichkeiten, wie das die Linke beantragt,
lehnen wir ab.
Was die Zusammensetzung der neuen Regierungs-
kommission anbelangt, hat die Bundesregierung bereits
mehrfach geäußert, dass die derzeitigen Planungen
auch vorsehen, im Rahmen der Beratungen auch Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler anzuhören und/
oder gegebenenfalls schriftliche Gutachten einzuholen
sowie betroffene Institutionen – zum Beispiel die Ren-
tenversicherungsträger – und die Sozialpartner, Sozial-
verbände und Kirchen zu beteiligen. Es wäre auch nicht
sachgerecht, externen Sachverstand aus dem Bereich
der zusätzlichen Altersvorsorge von vornherein auszu-
schließen. Dies würde auch die Bedeutung der zusätzli-
chen betrieblichen und privaten Altersvorsorge für die
Alterssicherung insgesamt verkennen. Mögliche Pro-
bleme und Risiken müssen nicht nur innerhalb, sondern
auch außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenver-
sicherung genau analysiert werden – nur so können
tragfähige und passgenaue Lösungsansätze zur Vermei-
dung von Altersarmut insgesamt entwickelt werden.
Wir, die Koalitionsfraktionen, sind davon überzeugt,
dass die Regierungskommission wegweisende Empfeh-
lungen zur Vermeidung von Altersarmut in der Zukunft
erarbeiten wird. Wir sind fest entschlossen, dazu im Par-
lament noch in dieser Legislaturperiode konkrete Geset-
zesbeschlüsse zu fassen.
Heute debattieren wir zum wiederholten Male zur Al-tersarmut in Deutschland, weil die Linken mal wiedereinen Antrag eingereicht haben. Diese Fraktion wirdeinfach nicht müde, ihre kommunistischen Forderungenwieder und wieder vorzutragen. Aber dadurch werdensie nicht besser. Und da Sie auch keine stichhaltigen Ar-gumente anführen, werden Sie auch niemanden von Ih-ren leeren Worthülsen überzeugen.Aber kommen wir zu Ihrem Antrag. Gut daran ist,dass wir uns mit der Altersarmut beschäftigen. DiesesProblem ist in unserer Gesellschaft vorhanden, und wirmüssen ihr heute begegnen, damit die Altersarmut inden kommenden Jahren nicht ansteigen, sondern redu-ziert wird. Aus diesem Grund wird die Bundesregierungeine Regierungskommission bilden und nicht eine Parla-mentskommission. Hierzu werden dann Fachleute he-rangezogen, die diese Kommission beraten. Das Ziel derRegierungskommission wird es sein, alle Rentensystemein der Bundesrepublik Deutschland in die Betrachtungeinzubeziehen. Dies betrifft auch die Riester-, Betriebs-und Erwerbsminderungsrenten. Es wird einen ThinkTank geben – eine Diskussion ohne Tabus mit dem Ziel,wirksame Maßnahmen gegen die Altersarmut zu finden.Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich darauf hin-weisen, dass die beste Absicherung gegen die Altersar-mut auch schon die Berufstätigkeit ist. Wir haben die Ar-beitslosigkeit auf ein Niveau gesenkt, wie es keinererwartet hatte, und dies trotz der Finanz- und Wirt-schaftskrise. Wir werden auch weiter dahin wirken, dassdie Arbeitsplätze in Deutschland gesichert und dass
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11043
gegebene RedenUlrich Lange
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neue Stellen geschaffen werden. Die von Ihnen so oft indie Waagschale geworfene Forderung nach einem Min-destlohn wirkt sich da nur negativ aus, würde Arbeits-plätze vernichten und zu vermehrter Altersarmut führen.Deshalb sprechen wir uns dagegen aus.Ja, wir fordern von unseren Bürgerinnen und Bür-gern, auch für die Alterssicherung einen privaten Bei-trag zu leisten. Dies ist notwendig. Dafür vermeiden wiraber eine drastische Erhöhung der Rentenbeiträge, diesonst notwendig wäre. Mit der Einführung der Riester-Rente ist ein Instrument geschaffen worden, mit dessenHilfe der Altersarmut begegnet werden kann. Dieses In-strument zu verunglimpfen ist nicht gerechtfertigt. DieZahlungen aus der Riester-Rente ergänzen die Zahlun-gen der gesetzlichen Rentenversicherung sehr sinnvollund verringern im Wesentlichen die Gefahr der Altersar-mut. Um dies zu gewährleisten, haben wir das Schon-vermögen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahrangehoben. Diese Verdreifachung führt dazu, dass ein60-Jähriger bis zu 45 000 Euro für das Alter ansparendarf. Das ist eine sinnvolle und effektive Vorsorge gegenAltersarmut.Es muss nicht alles staatlich reguliert werden, wiedas die Linken fordern. Die meisten Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer sind durchaus selbst in der Lage, pri-vat die zu erwartende Rente zu ergänzen. Ob dies überLebensversicherungen oder die eigene Immobilie ist,sollen unsere Bürgerinnen und Bürger selbst entschei-den. Denjenigen, denen es nicht gelingt, ordentlichselbst vorzusorgen, müssen wir die helfende Hand rei-chen. Aber die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürgersorgt lieber auf dem Sektor für die Altersvorsorge vor,der ihm selbst am sichersten und profitabelsten er-scheint. Lassen wir ihnen dieses Recht auf Selbstbestim-mung.Was Sie, meine Damen und Herren von der Linken,betreiben, ist doch ein Etikettenschwindel. Sie kennendoch die demografische Entwicklung und wissen genau,dass langfristig die Anzahl derer, die die Rente finanzie-ren, zurückgehen wird und die Anzahl der Rentner an-steigen wird. Wenn wir bei Ihren Forderungen bleiben,würde der Rentenbeitrag ins Unermessliche steigen.Deshalb haben wir den Nachhaltigkeits- sowie denRiester-Faktor in den letzten Jahren bei der Berechnungder Einkommen im Alter einbezogen. Wir wollen eine so-lide Sicherung der Einkommen im Alter und setzen aufein Splittung in gesetzliche Rentenversicherung und pri-vate Vorsorge.Ob und wo es noch sinnvolle und bezahlbare Mög-lichkeiten zur Vermeidung der Altersarmut bei uns inDeutschland gibt, wird jetzt von der Regierungskommis-sion erarbeitet. Lassen wir ihr für diese wichtige Tätig-keit die Zeit, um gründlich zu recherchieren und sich mitden Fachleuten aus allen Bereichen ausführlich zu bera-ten. Versuchen Sie, Ihr Strickmuster zu durchbrechen,und vermeiden Sie eine polemische Debatte. DiskutierenSie mit uns die kommenden Vorschläge zum Nutzen un-serer Bürgerinnen und Bürger und zur Vermeidung derAltersarmut.Zu Protokoll
Mit dem vorliegenden Antrag erkundigt sich dieFraktion Die Linke nach Aufgabe und Zusammenset-zung der von der Bundesregierung angekündigten Al-tersarmutskommission.Die Linke kritisiert auch die feh-lende Beteiligung des Parlaments an der geplantenEinsetzung der regierungsinternen Kommission. Unse-res Erachtens aber ist weniger die Zusammensetzungder Kommission ein Problem als deren Aufgabenstel-lung. Angesichts der politischen Vorgaben im Koali-tionsvertrag von CDU, CSU und FDP für deren Arbeitist für uns eine Beteiligung ohnehin nicht sinnvoll. Da-her können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Weil wiraber die zugrunde liegende Analyse für richtig halten,enthalten wir uns der Stimme.Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP wurdevereinbart, gegen Altersarmut vorzugehen; das ist er-freulich. Aber außer dieser Absichtserklärung wurdebisher noch nichts geliefert.Die Bundesregierung hat es offenbar nicht eilig. ImApril dieses Jahres soll die Kommission ihre Arbeit auf-nehmen, der Abschlussbericht wird erst im September2012 vorliegen. Die Regierungskoalition stellt sich ihrerVerantwortung viel zu spät. Eine Umsetzung noch in die-ser Legislaturperiode ist daher kaum zu erwarten.Deutschland ist stabiler als andere Länder durch dieFinanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Allerdingskommt die aktuell gute wirtschaftliche Lage den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern in zu geringem Maßzugute. Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte ha-ben nach wie vor große Schwierigkeiten auf dem Ar-beitsmarkt. In atypischen Beschäftigungsverhältnissenliegen die Stundenverdienste um ein Drittel niedriger.Über 20 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten sind im Nie-driglohnsektor beschäftigt.Langzeitarbeitslosigkeit und Niedriglohnbeschäfti-gung hinterlassen deutliche Spuren in den Erwerbsbio-grafien der Beschäftigten. Kräftige finanzielle Einbußenbei der Altersversorgung sind die Folge.Altersarmut wird in Zukunft vor allem im Osten zumProblem. Berechnungen des DIW haben ergeben, dassin der Alterskohorte der Jahrgänge 1952 bis 1971 jederdritte Mann – 31,4 Prozent – und fast jede zweite Frau– 46,6 Prozent – einen Rentenzahlbetrag aus der gesetz-lichen Rentenversicherung von unter 600 Euro erhalten,also mit seinem Renteneinkommen unterhalb der Grund-sicherung bleiben wird.Von herausragender Bedeutung für die Vermeidungvon Altersarmut sind:Erstens eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspoli-tik, die dem Leitbild der „guten Arbeit“ verpflichtet ist.Dazu gehören die Einführung eines gesetzlichen Min-destlohns und die Schaffung sozialversicherungspflichti-ger Beschäftigung. Dann können die Versicherten auchwieder mit höheren Renten rechnen.Zweitens – auch wenn der eigentliche Schlüssel zurBekämpfung von Altersarmut auf dem Arbeitsmarkt liegt– muss sozialpolitisch flankierend eingegriffen werden.
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11044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenAnton Schaaf
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Daher müssen wir bereits entstandene Absicherungslü-cken in der Rente schließen. Wir schlagen vor, die Rentenach Mindestentgeltpunkten bis zum 1. Januar 2011fortzuführen sowie Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeitinnerhalb der Gesamtleistungsbewertung besser zu be-werten. Darüber hinaus stellt auch die Erwerbsminde-rung ein Risiko für Altersarmut dar. Dem müssen wir mitbesseren Erwerbsminderungsrenten begegnen.Die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag sind kaumdazu geeignet, Altersarmut zu bekämpfen. Die Leitmo-tive Ihrer Vereinbarungen zur Alterssicherung – privatvor solidarisch und Almosen statt Leistungsgerechtig-keit – degradieren die gesetzliche Rente zum Neben-schauplatz der Alterssicherung. Dies lässt kaum positiveErwartungen aufkommen.Die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDPgetroffenen Vorfestlegungen bestätigen, dass Sie – aufKosten der Versicherten – Konflikten innerhalb der Bun-desregierung aus dem Weg gehen. Daher fehlt ein klaresBekenntnis zur gesetzlichen Rente als erster und wich-tigster Säule der Alterssicherung. Der Koalitionsvertragvon CDU, CSU und FDP wirft mehr Fragen auf, als erbeantwortet:Die private und betriebliche Altersvorsorge soll sichauch für Geringverdiener lohnen. Entsprechende Frei-beträge müssten dann aber auch für Einkünfte aus dergesetzlichen Rente gelten.Sie wollen die kapitalgedeckte Altersvorsorge stär-ken. Inwiefern sogenannte Soloselbstständige aber diefinanziellen Mittel für die zusätzliche Altersvorsorgeaufbringen können, ist fraglich. Tatsächlich ist die staat-lich geförderte Altersvorsorge nur sinnvoll, wenn sie zu-sätzlich betrieben wird.Geprüft wird, ob und wie die Absicherung gegen dasErwerbsminderungsrisiko in der staatlich gefördertenVorsorge kostenneutral verbessert werden kann. Das be-deutet wohl in der Konsequenz Leistungskürzungen.Sie wollen diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit ge-arbeitet und vorgesorgt haben, mit einer neuen Fürsor-geleistung vor Altersarmut bewahren. Ein neben derGrundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungzusätzliches steuerfinanziertes System soll dafür sorgen,dass ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherungerreicht wird. Damit schaffen Sie eine Grundsicherungerster und zweiter Klasse.Aus all diesen Vorgaben wird deutlich, in welch enggestecktem Rahmen Sie nach Lösungen suchen. Siescheuen davor zurück, den Bürgerinnen und Bürgern zuerklären, was Sie mit Ihren Vorgaben bezwecken – ver-mutlich haben Sie Angst vor der öffentlichen Diskussion.Sie übertragen Ihre Arbeitsmarktpolitik konsequent aufdie Alterssicherung. Wer einen gesetzlichen Mindest-lohn verweigert und einen immer weiter wachsendenNiedriglohnsektor akzeptiert, dem fällt auch bei der Al-terssicherung nur die Fürsorge ein: hier prekäre Be-schäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit, dort Alters-einkommen als Almosen.Zu ProtokollBisher waren individuelle Lebensleistung und verant-wortungsvolle Alterssicherungspolitik verantwortlichdafür, dass ältere Menschen in Deutschland heute in derMehrzahl finanziell gut abgesichert sind. Wir wollen,dass dies so bleibt. Und wie wir seit dem 23. CDU-Par-teitag wissen: Die Parteibasis der CDU sorgt sich eben-falls um die Zukunft der Alterssicherung. Eine Fülle vonkonkreten Maßnahmen wurde hier vorgeschlagen, diedie Regierungskommission in ihre Überlegungen mitaufnehmen soll, um zukünftige Altersarmut wirksam zubekämpfen. Greifen Sie diese Vorschläge auf und gestal-ten den Auftrag der Kommission offener. Im Übrigen:Wenn Sie hinter den Vorschlägen des CDU-Parteitagsstünden, hätten Sie unserem Antrag zur Bekämpfung derAltersarmut im vergangenen Herbst getrost zustimmenkönnen.Jede Alterssicherungspolitik muss an Legitimations-grenzen stoßen, wenn selbst jahrzehntelange Beitrags-zahlung nicht mehr zu einer Altersversorgung oberhalbder Armutsgrenze führt. Unser Anliegen ist es, Men-schen zu ermöglichen, von ihrer Arbeit auch zu lebenund zugleich für das Alter vorzusorgen. Die Schließungvon Lücken in der Erwerbsbiografie und eine faire Ent-lohnung sind Voraussetzungen für eine angemessene fi-nanzielle Absicherung im Alter. Zusätzlich müssen wirdem Wandel der Arbeitswelt Rechnung tragen und diegesetzliche Rentenversicherung zur Erwerbstätigenver-sicherung ausbauen; denn Altersarmut findet sich vorallem dort, wo keine Anwartschaften aus der gesetzli-chen Rente vorhanden sind.
Die Vermeidung von Armut ist eine zentrale Aufgabeder Politik. Wir wissen, dass es für ältere Menschen spe-zielle und in Zukunft steigende Risiken gibt. Deshalbwird die Bundesregierung in den nächsten Wochen eineRegierungskommission einsetzen, die sich mit dieserwichtigen Materie fundiert auseinandersetzen wird.Eine Ausweitung des Auftrages und der Zusammenset-zung dieser Kommission im Sinne der Fraktion der Lin-ken lehnen wir ab.Der Ansatz der Linken ist kurativ nachsorgend. UnserAnsatz ist präventiv. Und genau das halte ich nicht nurfür den liberalen Ansatz, sondern auch für die einzigerealistische Lösung dieses wachsenden Problems: Je-dem Bürger die Chance zu geben, seine eigene Alters-versorgung auf eine ausreichende und ihm als geeigneterscheinende Basis zu stellen.Einen wichtigen Schritt haben wir schon zu Beginndieser Wahlperiode gemacht, nämlich den Freibetragbeim Schonvermögen im SGB II, der verbindlich der Al-tersvorsorge dient, auf 750 Euro pro Lebensjahr verdrei-facht. Eigenständige Altersvorsorge darf nicht bestraftwerden – schon gar nicht, wenn jemand auf das Arbeits-losengeld II angewiesen ist.Die aktuelle Situation ist undramatisch. Nur etwa2,5 Prozent der über 64-Jährigen sind auf Leistungender Grundsicherung angewiesen. Die Statistiken besa-gen auch, dass geringe Renten durchaus häufig mit an-deren Einkommen oder Vermögen zusammentreffen. Da-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11045
gegebene RedenDr. Heinrich L. Kolb
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von lassen wir uns nicht täuschen. Die geringe ZahlBetroffener mildert für den Einzelnen nicht die Tragikseiner Situation. Diejenigen, deren politisches Geschäftin der Dramatisierung und Beschwörung sozialer Miss-stände besteht, dürfen sich und die Öffentlichkeit abereben auch nicht täuschen. Kleine Renten bedeuten kei-neswegs automatisch Armut. Die nötigen Korrekturenauf das staatliche Rentensystem zu beschränken geht ander Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschlandvorbei.Ich behaupte nicht, dass eine geringe Rente unproble-matisch wäre, aber der reduzierte Blick auf Anwart-schaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung greiftzu kurz. In einer Anhörung ist uns gesagt worden, dassdie Bezieher geringer gesetzlicher Renten statistisch eindeutlich höheres Haushaltseinkommen haben als die Be-zieher mittlerer Renten.Zur Feststellung von Altersarmut müssen neben demregelmäßigen Einkommen auch das Vermögen und an-dere Einkommensarten berücksichtigt werden. Das be-stätigen ausdrücklich die Gutachter. Auch der Alters-sicherungsbericht 2008 wies aus, dass Rentner mitweniger als 250 Euro gesetzlicher Rente im Schnitt einGesamteinkommen von fast 1 400 Euro im Monat hatten.Die Altersarmutskommission wird unter anderen zweiFragen zu beantworten haben: Wie können wir beför-dern, dass sich private und betriebliche Altersvorsorgeauch für Geringverdiener lohnt? Und wie sichern wir al-len, die langjährig Vollzeit gearbeitet haben, ein Alter-seinkommen oberhalb der Grundsicherung, ohne an an-deren Stellen Ungerechtigkeiten zu schaffen?Ich habe mir noch einmal die vorliegenden Initiativender Oppositionsparteien angeschaut. Das ist alles nichtkreativ. Nach einleitenden Sätzen mit den üblichen so-zial klingenden Floskeln folgt der altbekannte Apparatlinker Forderungen. Unter anderem behaupten sie auch,die Einführung von Mindestlöhnen helfe bei der Vermei-dung von Altersarmut. Das ist nicht durchdacht undführt zum Gegenteil von Armutsbekämpfung, wenn inder Folge Arbeitsplätze verschwinden.Ein Diskussionspunkt, den die Opposition taktischsehr hoch aufhängt, ist die Zahlung der RV-Beiträge fürerwerbsfähige ALG-II-Bezieher. Ich verstehe den prinzi-piellen Ansatz, dass der Träger einer den Lebensunter-halt sichernden Sozialleistung in der Regel auch die Bei-träge zu anderen Sozialversicherungen abdecken soll.Wäre das ein heiliger Grundsatz, hätte die Große Koali-tion den ersten Sündenfall begangen. Ich teile aber nichtdie Theorie, dass ein RV-Beitrag von 2,09 Euro pro Jahrder Arbeitslosigkeit Altersarmut vermeiden kann.Der heute zu behandelnde Antrag hat zum Inhalt, derBundesregierung Vorgaben sowohl dazu zu machen, wiesich die Regierungskommission zusammenzusetzen hat,als auch dazu, welche Inhalte dort beraten werden sol-len. In Wirklichkeit geben Sie der Kommission die vonIhnen gewünschten Ergebnisse vor. Expertenmeinungen,die nicht in das linke Weltbild passen, werden als böseKlientelinteressen bezeichnet. Allen Bundesregierungender letzten Jahre wird nachgesagt, nur auf die InteressenZu Protokollder Banken- und Versicherungswirtschaft zu hören. Ichweise das zurück. Ihre Antragsbegründung ist unsach-lich und böswillig.Auch die Strapazierung des Begriffes „Solidarität“muss kommentiert werden. Ihre „Solidarität“ bedeutetneben massiven Steuererhöhungen für Facharbeiter,mittlere Beamte und kleine Selbstständige auch Beitrags-erhöhungen, in diesem Fall der Rentenversicherung.Das erwähnen Sie im Antrag nicht. Aber es ist klar undanderswo auch nachlesbar. Die Realisierung Ihrer Ideenerzwingt höhere Beiträge. Allein für die Rentenversiche-rung hat Ihr Vorsitzender Klaus Ernst im November maleben 0,5 Prozent höhere Beiträge für akzeptabel erklärt.Dieser Tage bezeichnete Herr Kollege Birkwald ein Pro-zent höhere Beiträge als unproblematisch. SPD undLinke fordern in unterschiedlicher Ausprägung unbe-fristete Aufwertungen der Rentenanwartschaften vonGeringverdienern. Damit durchbrechen Sie das Prinzipder Äquivalenz. Das heißt, Sie schaffen echte Ungerech-tigkeiten, ohne wesentliche Beiträge zur Armutsvermei-dung bewirken zu können.Ich komme zum Ausgangsgedanken zurück. Was ge-gen Altersarmut hilft, sind stabile Erwerbsbiografienund sichere Einkommen. Eine gute wirtschaftliche Ent-wicklung, die sich entsprechend auf dem Arbeitsmarktniederschlägt, bewirkt mehr als noch so gut gemeintenachträgliche Korrekturen.
Altersarmut ist bereits heute ein Problem. Seit die„Grundsicherung im Alter“ in Kraft getreten ist, ist dieZahl der Rentnerinnen und Rentner, die auf sie angewie-sen sind, um über 55 Prozent gestiegen. Im Jahr 2003gab es knapp 260 000 Betroffene, Ende 2009 waren esschon fast 400 000. Bereits heute sind 15 Prozent derMenschen über 65 Jahre in Deutschland armutsgefähr-det – beinahe genauso viele wie im Durchschnitt der Ge-samtbevölkerung. Armut im Alter ist aufgrund des fortge-schrittenen Lebensalters und begrenzter Möglichkeiten,an dieser Situation noch etwas zu ändern, in der Regelverfestigte Armut. Das Problem ist seit langem bekannt.Ebenso bekannt ist, dass in Zukunft mit einer rasant stei-genden Altersarmut – insbesondere in Ostdeutschland –zu rechnen ist.Deswegen ist der Plan der Bundesregierung, eine Al-tersarmutskommission einzusetzen, die Vorschläge zurBekämpfung der Altersarmut entwickeln soll, nichtfalsch. Doch ihre Zielsetzung bleibt diffus, und die ge-plante Beteiligung von Lobbyisten aus der Versiche-rungswirtschaft verheißt nichts Gutes. Zudem wird dieKommission zu spät eingesetzt, und die Verzögerung desAbschlussberichts bis September 2012 lässt befürchten,dass tatsächlich wirksame Maßnahmen letztlich dochwieder unter den Kabinettstisch fallen werden.Altersarmut ist politisch gemacht. Langzeiterwerbs-losigkeit, die Ausbreitung von Niedriglohnbeschäftigungund die von der rot-grünen Bundesregierung beschlos-sene und von späteren Regierungskoalitionen fortge-setzte langfristige Absenkung des Rentenniveaus führendazu, dass viele Beschäftigte keine armutsfesten Renten
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11046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenMatthias W. Birkwald
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aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr erhaltenund auf die unzureichende „Grundsicherung im Alter“angewiesen sind. Die Versicherten im Osten stehen in ei-ner besonderen Gefahr, künftig im Alter in Armut zu le-ben. Frauen sind, waren und werden auch in Zukunftweiter stark von Altersarmut betroffen sein. Erwerbsge-minderte werden ebenfalls sehr häufig Renten unterhalbdes Existenzminimums beziehen.Die bisher bekannte Zielsetzung geht in die falscheRichtung. Denn statt zu prüfen, wie die gesetzliche Ren-tenversicherung so reformiert werden kann, dass sie denLebensstandard im Alter wieder sichert und langjähri-gen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern ein Ren-tenniveau bietet, das deutlich über dem Niveau der„Grundsicherung im Alter“ liegt, will sie die privateund betriebliche Altersvorsorge weiter stärken. Wer hiernicht mitziehen kann, wer keine Mittel für eine privateVorsorge aufzubringen vermag, wird mit einer stigmati-sierenden Fürsorgeleistung abgespeist. Stattdessen willdie Linke ein Leben in Würde für alle statt nur für einige.Die Linke stellt deshalb klare Anforderungen an einesinnvolle Kommissionsarbeit. Wir wollen das Verfahrenbeschleunigen und das Thema Altersarmut aus den mi-nisteriellen Hinterzimmern herausholen. Deshalb mussdie Kommission demokratisch zusammengesetzt sein:Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Sozialverbände, Se-niorenorganisationen und Wissenschaft sowie alle Par-teien des Deutschen Bundestages müssen beteiligt wer-den. Lobbyisten der Versicherungswirtschaft darf keineweitere Einflussmöglichkeit gegeben werden.Wir wollen Klarheit in der Analyse: Die politischenUrsachen von Altersarmut müssen benannt werden – ins-besondere die verfehlte Rentenpolitik durch den Paradig-menwechsel seit 2001, mit dem das Ziel der Lebensstan-dardsicherung mit der gesetzlichen Rente aufgegebenworden ist und die Privatisierung der Alterssicherungebenso eingeführt wurde wie eine nach wie vor stigmati-sierende und unzureichende „Grundsicherung im Al-ter“. Ein besonderes Augenmerk muss auf die Situationvon Frauen und auf die Menschen in Ostdeutschland ge-legt werden.Wir formulieren ein klares Ziel: Wir wollen Lebens-standardsicherung und Altersarmutsvermeidung durchReformen der gesetzlichen Rente und des Arbeitsmark-tes erreichen. Die Kommissionsarbeit muss dem Drei-klang „gute Löhne, gute Arbeit, gute Rente“ folgen.Dazu gehören unweigerlich die Einführung eines flä-chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns sowie ein en-ergischer Ausbau der Konzepte zur Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf. Die Kommission muss darüber hin-aus das Konzept einer solidarischen Erwerbstätigenver-sicherung ebenso prüfen wie innerhalb dieses Konzeptsanzulegende Elemente der Mindestsicherung. Geradefür Ostdeutschland muss endlich ein Konzept entwickeltwerden, mit dem die Renten in Ostdeutschland möglichstschnell auf das Westniveau angehoben werden können.
Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit der Ein-berufung der Altersarmutskommission das Problem derAltersarmut anerkennt. Das ist ein notwendiger Schritt,Zu Protokollum endlich auch zu einer Diskussion über Maßnahmengegen Altersarmut zu kommen.Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit der Kom-mission das Problem der Altersarmut endlich anerkennt,auch wenn einige aus den Regierungsfraktionen dasProblem offenbar immer noch kleinreden.Ich begrüße, dass die Bundesregierung eine Altersar-mutskommission einsetzt, auch wenn ich Zweifel habe,wie ernst die Bundesregierung ihr Engagement auf die-sem Gebiet meint. Ich darf nur daran erinnern, dass die-selbe Bundesregierung gerade im letzten Jahr beschlos-sen hat, die Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld-II-Beziehende zu streichen. Das wird unweigerlich zu mehrAltersarmut führen.Und ich muss auch daran erinnern, wie die Bundesre-gierung derzeit agiert bezüglich der EU-2020-Strategiezur Reduzierung der Armut. Die Bundesregierung ist of-fenbar nicht bereit, ihren fairen Anteil an dem anvisier-ten Ziel einer Reduzierung der Armut in Europa um 20Millionen zu leisten.Dies alles lässt mich zweifeln, wie ernst der Bundes-regierung ihr Engagement gegen Altersarmut ist.Ich bekomme allerdings auch Zweifel, wenn ich denAntrag der Fraktion Die Linke lese, den wir heute ver-handeln. Was mich stutzen lässt, ist, dass die in dem An-trag zuerst genannte Forderung die nach einemVorschlag der Kommission für die Lebensstandardsiche-rung ist. Ich finde das bemerkenswert, wo es bei derKommission doch explizit um die Bekämpfung der Al-tersarmut gehen soll. Eine Rentenpolitik, die sich demZiel der Lebensstandardsicherung verschreibt, kann füreinen Teil der Rentner eine Antwort auf die drohende Al-tersarmut sein. Klar ist aber auch, dass bei einer sol-chen Strategie viele herausfallen und im Alter arm seinwerden. Ich möchte das nicht zu hoch bewerten – unddie Linkspartei nennt in ihrem Antrag auch anderes –,aber stutzen lässt mich diese Rangfolge doch.Altersarmut ist ein Problem, und wir müssen endlichauch handeln. Derzeit sind 2 Millionen ältere Menschenin Deutschland arm. Es ist zwar richtig, dass die Armutbei Kindern höher ist. Und es ist sicher auch richtig,dass die empörende Kinderarmut uns als Gesellschaftvor eine noch dringlichere Aufgabe stellt. Aber ichwarne davor, das Problem der Altersarmut kleinzuredenoder die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen.Armut im Alter ist anders als in anderen Lebenspha-sen. Altersarmut ist verfestigte Armut. Ältere, die armsind, haben in der Regel keine Chance mehr, die Armutzu überwinden. Das unterscheidet sie grundlegend vonallen anderen Altersgruppen. Altersarmut ist dauer-hafte, unbefristete, ja für die Betroffenen lebenslängli-che Armut. Ich bin überzeugt davon, dass die älterenMenschen, die arm sind, in ihrem Leben auf die eineoder andere Weise einen Beitrag zu unserer Gesellschaftgeleistet haben. Manche haben Kinder erzogen, anderehaben Angehörige gepflegt, wieder andere haben sichpolitisch oder sozial engagiert. Manche haben langeJahre für wenig Geld gearbeitet. Manche haben jahre-lang erfolglos versucht, wieder eine Arbeit zu finden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11047
gegebene Reden
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11048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Dadurch entstehen Lücken in den Rentenbiografien, undich finde es empörend, dass die Leistungen dieser Men-schen nicht anerkannt werden und hingenommen wird,dass sie im Alter in Armut leben müssen.Bezüglich der nächsten Jahre erwartet uns nach allenPrognosen ein deutlicher, ein überproportionaler An-stieg der Altersarmut.Gerade heute ist die neue Studie der OECD „Rentenauf einen Blick“ erschienen. Darin ist nachzulesen, dassDeutschland bei der Absicherung der zukünftigen Rent-ner mit niedrigem Einkommen im internationalen Ver-gleich äußerst schlecht dasteht. In der EU bildetDeutschland das Schlusslicht. Unter den OECD-Län-dern sichert nur Japan die derzeitigen Niedrigverdienerschlechter ab. Damit schneidet Deutschland zum Bei-spiel auch schlechter ab als Mexiko und Polen. Altersar-mut in Deutschland ist vorprogrammiert.Und dabei ist bei der Projektion der OECD nochnicht einmal berücksichtigt, dass die Versicherungsbio-grafien in den letzten Dekaden immer lückenhafter ge-worden sind: immer mehr unterbrochene Erwerbsbio-grafien, immer mehr Langzeitarbeitslosigkeit, immermehr Teilzeiterwerbstätige, immer mehr Soloselbststän-dige, immer mehr in der Leiharbeit Beschäftigte, immermehr im Niedriglohnsektor Beschäftigte.Diese Erwerbsbiografien lassen sich nicht mehr ret-ten. Diese Erwerbsbiografien lassen sich auch nichtmehr retten durch eine wie auch immer geartete Wirt-schafts- oder Arbeitsmarktpolitik. Die Rentenbiografiender letzten Dekaden sind nämlich schon geschrieben.Und die Massenarbeitslosigkeit der letzten Jahrzehntehat sich in die Rentenbiografien eingeschrieben. Das istnicht mehr zu ändern. Zu ändern ist aber, ob dies zu Al-tersarmut führt. Und wenn die Kommission der Bundes-regierung dafür Konzepte vorlegt, begrüße ich das aus-drücklich.
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4926,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/4422 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen; dagegen hat die Linke
gestimmt, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grü-
nen und die SPD-Fraktion.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Europäische-Betriebsräte-Ge-
setzes – Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG
– Drucksache 17/4808 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Rechtsausschuss
Interfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Re-
den zu Protokoll zu nehmen. Johann Wadephul, Josip
Juratovic, Heinrich Kolb, Jutta Krellmann, Beate
Müller-Gemmeke und Parlamentarischer Staatssekretär
Brauksiepe sind die Rednerinnen und Redner.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 17/4808 vorgeschlagen. Gibt es an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs,
Volker Beck , Josef Philip Winkler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei
in Deutschland aufnehmen
– Drucksachen 17/2439, 17/4087 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Daniela Kolbe
Hartfrid Wolff
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. Es handelt sich um die Reden von Helmut
Brandt, Daniela Kolbe, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und
Tom Koenigs.2)
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/4087, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2439
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen; die Oppositionsfraktionen haben
dagegen gestimmt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicherheit in
Europa und zur Änderung anderer Gesetze
– Drucksache 17/4978 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
1) Anlage 12
2) Anlage 13
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Wie in der Tagesordnung steht, sollen die Reden zu
Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Wadephul, Lehrieder,
Schaaf, Molitor, Birkwald und Müller-Gemmeke.
Die Europäische Union hat im Rahmen ihrer Zustän-digkeiten bereits einen ganzen Sockel verbindlicherMindeststandards im Arbeits- und Gesundheitsschutzsowie im Arbeitsrecht verabschiedet. Diese Standardsgelten für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inder EU gleichermaßen. Die Mitgliedstaaten können na-türlich darüber hinausgehen. Aber 20 Tage Jahresur-laub, Grundlagen für den Kündigungsschutz und ge-wisse Arbeitszeitregelungen sind immer schon Teil derVerträge. Die Europäische Union hat auch Regeln fürdie Beteiligung der Arbeitnehmer und die Mitwirkungder Sozialpartner geschaffen. Der Europäische Be-triebsrat gehört ebenso dazu wie der „soziale Dialog“.Bereits mit der Lissabon-Strategie – also mit der Stra-tegie, in der es darum geht, Europa zu einem wirt-schaftskräftigen und dynamischen Kontinent zu machen,wobei der Anspruch sogar lautet, ihn zum dynamischs-ten Kontinent weltweit zu machen – haben sich die Mit-gliedstaaten verpflichtet, die Beschäftigungs- und So-zialpolitiken besser zu koordinieren. Um mehr undbessere Arbeitsplätze in Europa zu schaffen, arbeiten dieMitgliedstaaten und die Gemeinschaft seit langem an ei-ner koordinierten Beschäftigungsstrategie und stimmenihre Beschäftigungspolitik aufeinander ab. Diese Koor-dinierung hat über die Lissabon-Strategie ein ganz star-kes Momentum bekommen. Kernstück dieses Prozessessind die beschäftigungspolitischen Leitlinien als wesent-licher Bestandteil der EU-2020-Strategie, die die Lissa-bon-Strategie abgelöst hat. Wir können also festhalten:Es gibt durchaus einen Sockel sozialer Standards, Re-geln für die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern, Regeln für die Koordinierung der sozialenSicherheit, finanzielle Hilfen zur Unterstützung der sozi-alen Kohäsion und europäische Ziele im Bereich der Ko-ordinierung der Beschäftigungs- und Sozialpolitiken.Wie weit aber soll ein soziales Europa auch aus sozi-alen Regelungen auf der europäischen Ebene bestehen?Sozialer Zusammenhalt im Rahmen der Globalisierungund soziale Sicherheit in Europa sind elementare Her-ausforderungen, auf die wir nach der globalen Finanz-und Wirtschaftskrise in Europa kurz- und mittelfristigAntworten finden müssen, um Europa für die nächstenzehn Jahre zukunftsfähig aufzustellen. Wie erhalten undentwickeln wir unser europäisches Sozialstaatsmodellunter den Bedingungen der Globalisierung? Wie weitsoll ein soziales Europa auch aus sozialen Regelungenauf der europäischen Ebene bestehen?Nach meiner Überzeugung geht es bei der Ausgestal-tung der sozialen Dimension nicht in allen Fragen umeine Verlagerung der Kompetenz von der nationalen aufdie europäische Ebene, also auf die Ebene der Kommis-sion. Viele soziale Regelungen auf der nationalen Ebenesollten bestehen bleiben, auch wegen der in ihrem Auf-bau und in ihrem Gewachsensein sehr unterschiedlichenZu ProtokollStrukturen der Sozialsysteme. Wir brauchen aber ange-sichts gewachsener Mobilität immer wieder neue Min-deststandards. Dies zeigt sich beispielsweise bei demProblem der Portabilität betrieblicher Renten und Pen-sionen. Dies ist ein wichtiger Punkt, um Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern bestimmte Grundrechte über-haupt zu ermöglichen.Der Koordinierung der sozialen Sicherung in denMitgliedstaaten kommt dabei eine erhebliche Bedeutungzu. Die soziale Sicherung in der Europäischen Union istin den Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit gere-gelt. Ziel dieser Verordnungen ist es, die sozialen Siche-rungssysteme der Mitgliedstaaten zu koordinieren, da-mit niemand, der von seinem Recht auf Freizügigkeit inder Europäischen Union Gebrauch macht, hierdurchunangemessene sozialrechtliche Nachteile hat. DieseVerordnungen sind ein wichtiges Beispiel für ein Hand-lungsfeld der europäischen Sozialpolitik. Denn nurdurch verbindliche Regelungen auf europäischer Ebenekann sichergestellt werden, dass das Recht auf Freizü-gigkeit – eine der großen europäischen Grundfreiheiten –im Hinblick auf die soziale Absicherung der Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer und der Selbst-ständigenbei ihren erworbenen Anwartschaften angemessen flan-kiert wird.Zahlreiche Zuständigkeitsfragen wurden nicht mehrin den Anhängen der Durchführungsverordnung gere-gelt, sondern sollen in eine öffentlich zugängliche Da-tenbank eingetragen werden. Aus Gründen der Rechtssi-cherheit und der Rechtsklarheit sollen entsprechendeAufgabenzuweisungen durch innerstaatliche Regelun-gen vorgenommen werden. Auch bedingt die Ablösungder bisherigen Verordnungen entsprechende Änderun-gen im Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzen sowieder darin enthaltenen Verweisungen.Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent-wurf zur Koordinierung der Systeme der sozialen Si-cherheit in Europa regelt diese verwaltungsmäßigeDurchführung der neuen Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 zur Koordinierung der Systemeder sozialen Sicherheit in Europa. Insbesondere werdendamit künftig pflichtversicherte Rentner auch mit ihrerausländischen Rente zur Beitragszahlung herangezo-gen. Im Fall von Entsendungen werden dabei die Be-schäftigungsländer durch den Spitzenverband Bund undKrankenkassen oder die Deutsche VerbindungsstelleKrankenversicherung benachrichtigt. Mit diesen Maß-nahmen wird dem Grundsatz der Gleichstellung vonLeistungen, Einkünften, Sachverhalten und Ereignissenim Bereich der Krankenversicherung von Rentnern ent-sprochen. Wesentlicher Zweck des Gesetzentwurfes istdie Feststellung der zuständigen Behörden, Träger so-wie Verbindungs- und Zugangsstellen bei der Anwen-dung und Durchführung der EU-Verordnungen.Verbindungsstelle für den europaweiten Datenaus-tausch berufsständischer Versorgungseinrichtungen solldie Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versor-gungseinrichtungen werden. Sie soll die Verwaltungs-hilfe und den Datenaustausch bei grenzüberschreiten-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11049
gegebene RedenDr. Johann Wadephul
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den Sachverhalten koordinieren. Des Weiteren sind eineVerbindungsstelle für Familienleistungen sowie eineKoordinierungsstelle für die Systeme der Beamtenver-sorgung vorgesehen. Insgesamt sollen fünf Zugangsstel-len als Kontaktstellen für grenzüberschreitenden Daten-austausch geschaffen werden, die alle in der EU-Verordnung Nr. 883/2004 geregelten Bereiche abdecken.Im Gesetz sind auch Anpassungen des Dritten, Sechsten,Siebten und Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie desGesetzes über die Altersversicherung der Landwirte ver-merkt, die sich aus der Umsetzung der EU-Verordnun-gen ergeben.Finanziell wird es nach Aussagen der Regierung zugeringfügigen Mehreinnahmen der gesetzlichen Kran-kenversicherung und der sozialen Pflegeversicherungkommen. Durch den elektronischen Datenaustausch unddie Betreuung der Zugangsstellen rechnet die Bundesre-gierung mit erhöhten Kosten der entsprechenden Leis-tungsträger und Verbindungsstellen. Diese belaufen sichfür die Jahre 2011 und 2012 auf 2 bis 3 Millionen Euro,in den Folgejahren auf ungefähr 1 Million Euro.Erfreulich ist, dass für die Wirtschaft, besonders fürkleinere und mittlere Unternehmen, durch die neu einge-führten Informationspflichten keine zusätzlichen Kostenerwartet werden. Für die Bürgerinnen und Bürger wer-den durch das Gesetz keine Informationspflichten neueingeführt, geändert oder aufgehoben.So wie sich Europa also nach außen neu ausrichtet,so muss es das auch nach innen schaffen. Denn die Si-cherung unseres Wohlstandes, Wachstum, Beschäftigungund soziale Sicherheit – kurz: die Erhaltung und Ent-wicklung unseres europäischen Sozialstaatsmodells, undzwar unter den Bedingungen der Globalisierung –, istdas, was die Bürger von Europa und von ihren Regie-rungen erwarten. Mit der EU-2020-Strategie wollen wirdie Europäische Union zu einem Wirtschaftsraum ma-chen, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstummit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größe-ren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.
Die Europäische Union garantiert ihren Mitgliedernseit vielen Jahrzehnten Stabilität und Wohlstand. Sie istkein Gut, auf dem wir uns ausruhen sollten. Das hat diejüngste Wirtschafts- und Finanzkrise mehr als deutlich-gemacht.Die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischenRahmenbedingungen Europas sind einem ständigenProzess der Veränderung, Verwerfung und Neuorientie-rung unterworfen. Daher sind wir gehalten, die Europä-ische Union ständig fortzuentwickeln. Die EU ist ein or-ganisches Ganzes. Unsere Nationalstaaten sind nichtallein auf sich zurückgeworfen. Die Entwicklungen ineinem Staat können beeinflussen, was im Nachbarlandgeschieht. So werden wir noch in diesem Jahr erleben,dass sich die Bürgerinnen und Bürger der neuen EU-Mitglieder uneingeschränkt auf unserem Arbeitsmarktbewerben können. Auch unsere Sozialsysteme stehen vorbesonderen Herausforderungen.Zu ProtokollIn diesem Zusammenhang ist die EU-Verordnung zurKoordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zusehen, die die Bundesregierung mit dem vorliegendenGesetzentwurf umsetzen will.Demnach sollen pflichtversicherte Rentner künftigauch mit ihrer ausländischen Rente zur Beitragsfinan-zierung ihrer Kranken- und Pflegeversicherung heran-gezogen werden. Nach Art. 30 der EG-Verordnung Nr.987/2009 darf der Betrag an Beiträgen im Ergebniskeinesfalls den Betrag übersteigen, der bei einer Personerhoben wird, die denselben Betrag an Renten imzuständigen Mitgliedstaat erhält. Ausländische Renten-versicherungsträger können darüber hinaus nicht ver-pflichtet werden, wie die deutschen Rentenversicherungs-träger die Hälfte der nach der Rente zu bemessendenBeiträge nach dem um 0,9 Beitragspunkte vermindertenallgemeinen Beitragssatz zu tragen. Deshalb wird dieBeitragsregelung so ausgestaltet, dass Bezieher einerausländischen Rente im Ergebnis nicht stärker belastetwerden als Bezieher einer gleich hohen inländischenRente.Nach bisherigem Recht unterlagen pflichtversicherteMitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung alleinmit ihren ausländischen Versorgungsbezügen im Sinnevon § 229 SGB V der Beitragspflicht zur Krankenver-sicherung der Rentner, nicht aber mit ausländischenRenten, die den Renten der gesetzlichen Rentenver-sicherung im Sinne von § 228 SGB V vergleichbar sind,weil dort eine § 229 Abs. 1 Satz 2 SGB V entsprechendeRegelung fehlt. Bei pflichtversicherten Rentenbeziehern,die sowohl eine deutsche als auch eine ausländischeRente beziehen, wird deshalb lediglich die deutscheRente zur Berechnung der Beiträge zu ihrer Kranken-versicherung herangezogen.Nach der neuen Regelung werden Beschäftigungslän-der entweder durch den Spitzenverband Bund der Kran-kenkassen oder die Deutsche Verbindungsstelle Kranken-versicherung im Fall von Entsendungen benachrichtigt.Unter anderem Deutschland hat den Antrag gestellt, injedem Einzelfall über Entsendungen in unser Land in-formiert zu werden. Sobald der Datenaustausch zwi-schen den Mitgliedstaaten auf elektronischem Weg er-folgt, sollen die entsprechenden Mitteilungen über denSpitzenverband Bund der Krankenkassen, DeutscheVerbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland, ge-leitet werden. Soweit Entsendungen in einen anderenMitgliedstaat stattfinden, sollen die Daten von demGKV-Spitzenverband, DVKA, zentral gespeichert wer-den, um sie gegebenenfalls den Trägern des Beschäfti-gungslandes auf Nachfrage unverzüglich zur Verfügungstellen zu können.Mit diesen Maßnahmen wird dem Grundsatz derGleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhal-ten und Ereignissen im Bereich der Krankenversiche-rung von Rentnern entsprochen.Eine weitere wichtige Änderung betrifft § 4 desSGB VI, auch weiterhin allen Staatsangehörigen derje-nigen Staaten, in denen die Verordnungen zur Koordi-nierung der Systeme der sozialen Sicherheit anwendbarsind, bei Beschäftigung für eine begrenzte Zeit im Aus-
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11050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenPaul Lehrieder
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land die Versicherungspflicht auf Antrag zu ermögli-chen. Die neue Regelung gilt für Mitglieder einer amtli-chen Vertretung des Bundes und der Länder sowie fürdie bei ihnen Beschäftigten, soweit sie nicht bereits auf-grund einer Entsendung nach § 4 SGB IV oder aufgrundzwischen- oder überstaatlichen Rechts der deutschenSozialversicherung unterliegen. Sie ist deshalb insbe-sondere für Ortskräfte in den Fällen von Bedeutung, indenen die Vorschriften über die soziale Sicherheit im Be-schäftigungsstaat keine ausreichende Absicherung ge-währleisten oder in denen eine Rückkehr nach Deutsch-land von Beginn an beabsichtigt ist. Andererseits solldurch das flexible Instrument der Antragspflichtversi-cherung auch vermieden werden können, dass es zu un-nötigen Doppelversicherungen kommt.Zahlreiche Zuständigkeitsfragen werden zudem nichtmehr in den Anhängen der Durchführungsverordnung,sondern dadurch geregelt, dass sie in eine öffentlich zu-gängliche Datenbank eingetragen werden. Deshalb sindKonkretisierungen im nationalen Recht erforderlich.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt da-her im Wesentlichen den Zweck, zuständige Behörden,Träger sowie Verbindungs- und Zugangsstellen bei derAnwendung und Durchführung der EU-Verordnungenfestzustellen. Verbindungsstelle für den europaweitenDatenaustausch berufsständischer Versorgungseinrich-tungen soll die Arbeitsgemeinschaft BerufsständischerVersorgungseinrichtungen werden. Sie soll die Verwal-tungshilfe und den Datenaustausch bei grenzüberschrei-tenden Sachverhalten koordinieren.Außerdem sind eine Verbindungsstelle für Familien-leistungen sowie eine Koordinierungsstelle für die Sys-teme der Beamtenversorgung vorgesehen. Insgesamtsollen fünf Zugangsstellen als Kontaktstellen für grenzü-berschreitenden Datenaustausch geschaffen werden, diealle in der EU-Verordnung Nr. 883/2004 geregelten Be-reiche abdecken.Zwar wird davon ausgegangen, dass sich die Mehr-kosten insgesamt in den Jahren 2011 und 2012, also denJahren der Entwicklung und Einführung der neuen tech-nischen Verfahren, auf rund 2 bis 3 Millionen Euro undin den Folgejahren auf circa 1 Million Euro belaufenwerden. Durch die neuen Verfahren werden auf der an-deren Seite aber auch Effizienzzuwächse erzielt, die sichaus der in der EG-Verordnung Nr. 987/2009 vorgese-henen engeren Zusammenarbeit zwischen den inländi-schen und ausländischen Trägern und Verbindungs-stellen bei der Koordinierung der jeweiligen Systemeder sozialen Sicherheit ergeben. Außerdem wird sichdurch das im Aufbau befindliche europäische Datenaus-tauschverfahren im Bereich der sozialen Sicherheit derVerwaltungsaufwand für die Führung der Datei in denkommenden Jahren sukzessiv in erheblichem Umfangvermindern.Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtigerSchritt hin zur Angleichung der Sozialsysteme der Eu-ropäischen Union. Er verdient daher eine breite Mehr-heit.Zu Protokoll
Mit dem Gesetz zur Koordinierung der Systeme dersozialen Sicherheit in Europa und der damit verbunde-nen Änderung anderer Gesetze soll eine innerstaatlichegesicherte Rechtsgrundlage hergestellt werden, die denzuständigen Behörden Trägern und Verbindungsstellenzu mehr sozialer Sicherheit verhilft. Das dient dem be-reits verankerten Grundsatz der Gleichstellung vonLeistungen, in diesem Fall den Beziehern einer auslän-dischen Rente. Diese soll künftig zur Beitragsfinanzie-rung der Kranken- und Pflegeversicherung herangezo-gen werden. Ferner soll die Benachrichtigung derTräger des Beschäftigungslandes im Fall von Entsen-dungen geregelt werden.Ab dem 1. Juli 2011 sollen in Deutschland damit auchfür Renten aus dem Ausland Beiträge zur Kranken- undPflegeversicherung gezahlt werden. Das sehen zweineue EU-Verordnungen, 883/2004/EG und 987/2009/EG, über die soziale Sicherheit vor, die in allen EU-Staa-ten gelten.Nach bisherigem Recht unterlagen pflichtversicherteMitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung alleinmit ihren ausländischen Versorgungsbezügen im Sinnevon § 229 SGB V der Beitragspflicht zur Krankenversi-cherung der Rentner, nicht aber mit ihren ausländischenRenten im Sinne von § 228 SGB V. Bei pflichtversicher-ten Rentenbeziehern, die sowohl eine deutsche als aucheine ausländische Rente beziehen, wurde deshalb bis-lang lediglich die deutsche Rente zur Berechnung derBeiträge zu ihrer Kranken- und Pflegeversicherung her-angezogen.Dieses eher technische Gesetz soll es erleichtern, dieVerfahren der Leistungen in grenzübergreifenden Sach-verhalten besser zu koordinieren. Bisher kennen wirhauptsächlich den Fall von Erleichterungen bei der Er-stattung von Leistungen aus der bisherigen Praxis. Inder heutigen Thematik geht es um die Anpassung deut-scher Gesetze: des SGB III, SGB IV, SGB V, SGB VI,SGB VII, SGB XI sowie des Gesetzes über die Alters-und Krankenversicherung der Landwirte, des Altersteil-zeitgesetzes und der Umsetzung der EU-Verordnungen.Kostenlos ist dies nicht umzusetzen.Den geringen Mehreinnahmen der gesetzlichenKrankenversicherung und der Pflegeversicherung ste-hen für den elektronischen Datenaustausch und die Be-treuung der Zugangsstellen erhöhte Kosten in den Jah-ren 2011 und 2012 von 2 bis 3 Millionen Euro in denFolgejahren ungefähr 1 Million Euro gegenüber. Diesich hieraus ergebenen Mehrbelastungen für den Bun-deshaushalt müssen in den jeweiligen Einzelplänen imRahmen der bestehenden Ansätze aufgefangen werden;ich bin gespannt, wie die Bundesregierung dies im Rin-gen des Sparwettbewerbes umsetzen wird. Faktisch be-deutet diese Regelung für Grenzgänger eine Kürzung ih-rer Rente.Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Deutsch-land, die lange gearbeitet haben und demnach meist nureinen kleinen Teil ihrer Rente aus Deutschland bekom-men, sind hiervon besonders betroffen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11051
gegebene RedenAnton Schaaf
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Was ich an der Regelung kritisiere, ist, dass Grenz-gänger und Entsandte durch die neue Regelung in diedeutsche Sozialversicherung automatisch „überführt“werden und sie keine Wahlmöglichkeit haben. Sie habenkeine Entscheidungsmöglichkeit darüber, in dem Sys-tem, in dem sie oft jahrzehntelang Beiträge gezahlt ha-ben, zu bleiben, weil das Wohnortprinzip über das Ar-beitsprinzip gestellt wird. Daher muss der Grundsatzgelten, dass Bezieher einer ausländischen Rente im Er-gebnis nicht stärker belastet werden als Bezieher einergleich hohen inländischen Rente.Natürlich ist der Gleichstellung der europäischenBürger und Bürgerinnen in Form der Koordinierung derSysteme der sozialen Sicherheit in Europa Rechnung zutragen, wenn es um Neuregelungen geht, aber nicht mitdem Ziel insgesamt in Europa eine schrittweise Durch-setzung eines niedrigen Niveaus der sozialen Sicherheitzu etablieren, was an vielen Stellen der europäischenHandlungen leider allzu deutlich wird.Wir wissen, dass die europäische Gesellschaft vor ei-nem beispiellosen demografischen Wandel steht, dersich massiv auf die wirtschaftliche und soziale Situationder gesamten Europäischen Union auswirken wird. Diesist für alle EU-Mitgliedstaaten relevant.In allen Mitgliedstaaten wächst der Anteil der älterenMenschen, während die Zahl der Kinder deutlich ab-nimmt. Ab 2025 wird die Bevölkerung der EU nach heu-tigem Erkenntnisstand schrumpfen. In einem Drittel derEU-Regionen nimmt die Bevölkerung bereits seit Endeder 90er-Jahre ab.Die SPD-Fraktion begrüßt, dass die EU-Kommissioneine Gleichstellung der Europäer in den Blick nimmt.Da es in allen Mitgliedstaaten immer mehr ältere Men-schen gibt, stehen die aktuellen Systeme für die Alterssi-cherung unter massivem Druck. Die Wirtschafts- und Fi-nanzkrise hat diesen Druck noch weiter verstärkt.Unabhängig von der Koordination der sozialen Si-cherheit in Europa ist es für die SPD grundsätzlich, dassdie Finanzierung und Bereitstellung von Renten in derZuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben muss. Wirwerden es nicht zulassen, dass europaeinheitliche Stan-dards zu einer Verschlechterung guter Systeme einigerMitgliedstaaten führen.Der Schwerpunkt bei der Sicherung der Renten undPensionen muss es sein, für den sozialen Fortschritt inEuropa einzutreten. Wir wollen soziale Ziele und Grund-rechte im europäischen Binnenmarkt stärken. Es musssichergestellt sein, dass die wirtschaftlichen Grundfrei-heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vorrangvor sozialen Grundrechten und Zielen haben. Die sozia-len Grundrechte müssen im Konfliktfall vorgehen. Wirlehnen es ab, die Finanzierung der gesetzlichen Renten-versicherung ausschließlich auf die Bewältigung des de-mografischen Wandels zu verengen. Wir werden jedeMöglichkeit nutzen, die Diskussion um die Zukunft derAltersvorsorge wieder um die Dimension der Arbeits-marktpolitik zu erweitern.Auch den einsamen europäischen Ruf nach der Erhö-hung des Renteneintrittsalters teilen wir nicht.Zu ProtokollWir glauben, dass es eine Reihe von Alternativen zurPrivatisierung und zur Erhöhung des Renteneintrittsal-ters gibt. Neben der Erhöhung der Verantwortung derArbeitgeber, Renten für ihre Mitarbeiter zu schaffen, be-darf es einer Förderung der Flexibilität des Rentenein-tritts, einer Erhöhung der Sicherheit von Pensionsfondsund einer Garantie für eine Mindestrente. Es bedarf ge-meinsamer Mindeststandards für die Renten. Um Alters-armut erfolgreicher zu bekämpfen, bedarf es der offenenMethode der Koordinierung im Bereich Renten und Ar-mutsbekämpfung.Wir sind für ein Europa mit sozialem Antlitz, wir weh-ren uns gegen Sozialabbau. Wir brauchen ein Europamit hohen Standards der sozialen Sicherheit und guten,sicheren Renten für alle Bürgerinnen und Bürger.
In der Europäischen Union gilt das Recht auf Freizü-gigkeit. Jeder EU-Bürger kann frei entscheiden, in wel-chem anderen EU-Land er leben und arbeiten möchte.Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheitder Mitgliedstaaten soll die Freizügigkeit der Bürger in-nerhalb der Europäischen Union erleichtern. Es gilt dasPrinzip der Gleichbehandlung. Staatsangehörige einesEU-Mitgliedstaats und Bürger, die in diesem Mitglied-staat wohnen, aber nicht dessen Staatsangehörigkeit be-sitzen, haben die gleichen Rechte und Pflichten. Seit Mai2010 gelten für die Koordinierung der Systeme der sozi-alen Sicherheit in Europa zwei neue Verordnungen. Die-ser Schritt wurde notwendig, da die bereits seit 1971geltende Verordnung des Rates vielfach geändert wurdeund die gemeinschaftlichen Regeln der Koordinierungzu unüberschaubar wurden.Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist aus zweiGründen nötig: Um für Rechtssicherheit und -klarheit zusorgen, muss die Aufgabenzuständigkeit festgelegt wer-den, da diese nicht mehr in der Durchführungsverord-nung geregelt wird. Des Weiteren sind Änderungen vonRegelungen im Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzennötig. Auch die anderen Länder in der EuropäischenUnion werden so verfahren. Geregelt werden unter an-derem die Zuständigkeiten für Aufgaben wie beispiels-weise den europaweiten Datenaustausch, Familienleis-tungen und Beamtenversorgung. Neu eingeführt wirdeine Beitragspflicht für Auslandsrenten. Angepasst wirdauch das Gesetz über die Altersversicherung von Land-wirten.Sozialpolitik liegt in der nationalen Zuständigkeit.Jeder Staat betreibt seine Sozialpolitik eigenständig. DieRolle der Europäischen Union in der Sozialpolitik be-schränkt sich auf koordinierende Aufgaben und die Un-terstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.Aufgabe der Europäischen Union ist es aber auch, dar-auf zu dringen, dass die Mitgliedstaaten ihre Sozialsys-teme reformieren und damit den aktuellen Entwicklun-gen, wie zum Beispiel in der Eurostabilisierung,Rechnung tragen.Laut des „Gemeinsamen Berichts über Sozialschutzund soziale Eingliederung von 2010“ der EuropäischenUnion haben die europäischen Sozialsysteme, aber auch
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11052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenGabriele Molitor
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kurzfristige Sozialmaßnahmen entscheidend dazu beige-tragen, die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzender Wirtschaftskrise abzufedern. Die Krise hat aberauch deutlich gezeigt, wo die Schwächen in einzelnenSozialsystemen zu finden sind.Deutschland hat ein gut funktionierendes Sozialsys-tem. In den vergangenen Jahren waren immer wiederzahlreiche Reformen der verschiedenen Zweige nötig.Diese Anpassungen sind sowohl gesellschaftlichen Ver-änderungen wie beispielsweise dem demografischenWandel geschuldet, aber auch aktuellen wirtschaftlichenEinflüssen oder Entwicklungen. Deutschland steht mo-mentan vor der großen und dringenden Aufgabe, dasdeutsche Sozialversicherungssystem zukunftsfest zu ma-chen. Etwa ein Drittel seines jährlichen Bruttoinlands-produktes gibt Deutschland für Sozialleistungen aus.Das beweist: Es ist viel Geld im sozialen Netz.Liberale Sozialpolitik verfolgt einen umfassenden An-satz. Das heißt, allgemeine Lebensrisiken wie Krank-heit, Pflege, Alter und Arbeitslosigkeit sind abgesichert.Eine gute Bildungspolitik und gute Rahmenbedingungenfür die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sinddie beste Sozialpolitik. Sie ermöglichen Aufstiegschan-cen von jungen Menschen. Investitionen in Bildung be-deutet, in Zukunft weniger Geld für Sozialleistungenausgeben zu müssen.Die Verzahnung von beschäftigungs- und wirtschafts-politischen Maßnahmen mit Maßnahmen des sozialenund gesellschaftlichen Zusammenhalts ist ein wesentli-ches Element der Strategie „Europa 2020“. Damit diesoziale Dimension dieser Strategie, also die Förderungder sozialen Eingliederung umgesetzt werden kann,muss die Umsetzung von langfristigen Strategien in denMitgliedstaaten auch tatsächlich erfolgen. Letzten En-des garantiert wirtschaftliche Prosperität soziale Si-cherheit. Deshalb ist es so wichtig, dass die EuropäischeUnion sich den Herausforderungen stellt, um auf denWeltmärkten bestehen zu können.
Die Linke begrüßt grundsätzlich und nachdrücklichdie Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheitin Europa. Im vorliegenden Gesetzentwurf legt die Bun-desregierung dazu Detailregelungen zur Umsetzung derentsprechenden EU-Verordnungen fest. In den dort ge-troffenen Regelungen zur Konkretisierung im nationalenRecht kann auch die Linke kein Problem erkennen.Wir sehen aber generell ein großes Problem darin,dass soziale Sicherheit in Deutschland im europäischenKontext völlig unzureichend ausgestaltet ist. Deutsch-land hat bislang wenig zur Entwicklung eines Europäi-schen Sozialmodells beigetragen, welches sozialeRechte garantiert, vor allem aber die Bürgerinnen undBürger Europas vor Sozialdumping schützt. Der Ge-danke und die Umsetzung einer europäischen Sozialpo-litik darf sich nicht darin erschöpfen, nur Regelungenzur Anwendbarkeit und gegenseitigen Anerkennung vonPrinzipien der Sozialversicherungssysteme zu erlassen.Das ist entschieden zu wenig. Die Bürgerinnen und Bür-ger können zu Recht erwarten, dass hier Inhalte gesetztZu Protokollwerden und auch die Bundesregierung bestrebt ist, ihrenArbeitsmarkt so zu gestalten, dass er soziale Sicherheitbietet, sowohl für Bürgerinnen und Bürger Deutsch-lands als auch aus anderen europäischen Ländern.Doch hier ist die Bundesregierung in erschreckendemAusmaß seit vielen Jahren untätig. Zum 1. Mai 2011werden die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit undDienstleistungsfreiheit hergestellt. Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer aus den im Jahre 2004 der Europäi-schen Union beigetretenen Staaten Osteuropas könnendann ohne Beschränkungen eine Beschäftigung inDeutschland aufnehmen. Eine Arbeitsgenehmigungdurch deutsche Behörden ist nicht mehr nötig. Die Öff-nung der Grenzen für die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer ist zu begrüßen. Sie sollten frei über ihrenAufenthalts- und Arbeitsort entscheiden dürfen. Leiderhat es Deutschland aber bislang völlig versäumt, fürSchutzmechanismen zu sorgen, um einen Lohndumping-wettbewerb auf dem Rücken der osteuropäischen Kolle-ginnen und Kollegen zu verhindern, der zudem das invielen Regionen und Branchen Deutschlands sinkendeReallohnniveau weiter unter Druck setzen wird. Nur einflächendeckender gesetzlicher Mindestlohn könnte diesverhindern. Fast alle anderen Staaten der EU sind dar-auf vorbereitet. Sie haben Regelungen zu flächendecken-den Mindestlöhnen. Ein weiteres großes Problem ist,dass es nur wenige Beratungseinrichtungen für Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen Länderngibt. Viele Beschäftigte haben nur sehr unzureichendeKenntnisse über ihre Rechte und Ansprüche in Deutsch-land, was von immer mehr Arbeitgebern schamlos aus-genutzt wird.Die Bundesregierung muss nun schnell handeln, umdie Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen. Siemuss sich auch in die Sozialpolitik der EuropäischenUnion stärker einbringen und Akzente setzen. In dasVertragswerk der Europäischen Union muss eine sozialeFortschrittsklausel aufgenommen werden, die sozialenGrundrechten den Vorrang vor dem Kapital garantiert.Wir Linken fordern, die Entsenderichtlinie so zu ändern,dass sie lediglich Mindestanforderungen formuliert,aber nicht als Maximalrichtlinie zu verstehen ist. DasPrinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichenArbeitsort“ muss angewandt werden. Schnellstmöglichmuss Deutschland endlich einen flächendeckenden ge-setzlichen Mindestlohn einführen. Gleichzeitig ist dasArbeitnehmerentsendegesetz auf alle Branchen auszu-weiten und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung vonTarifverträgen zu erleichtern. Für die Leiharbeit ist dasGleichstellungsgebot umzusetzen. Der Tarifvorbehaltmuss aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gestri-chen werden. Wo dies hingeführt hat, haben wir bei denchristlichen Pseudogewerkschaften gesehen, die Gefäl-ligkeitstarifverträge zulasten der Leiharbeitskräfte ab-geschlossen haben und diese in vielen Fällen ohne derenWissen von den Leiharbeitsunternehmen zwangsweisezu Mitgliedern der christlichen Leiharbeitsorganisationgemacht wurden. Ganz bewusst vermeide ich den Begriff„Gewerkschaft“, da ja der CGZP die Tariffähigkeit ab-gesprochen wurde und dies bekanntermaßen ein zentra-les Kriterium einer Gewerkschaft ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11053
gegebene Reden
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11054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Matthias W. Birkwald
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Für mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmermuss unverzüglich ein flächendeckendes Netz von Bera-tungsstellen aufgebaut werden. Bei Entsendung von Be-schäftigten über einen längeren Zeitraum ist unbedingtzu prüfen, inwiefern durch eine Pflicht zur Entrichtungder Sozialversicherungsbeiträge in die sozialen Siche-rungssysteme am Arbeitsort verhindert werden kann,dass Arbeitgeber Entsendungen durchführen, um Sozial-versicherungsabgaben zu sparen, da die Höhe der zuentrichtenden Beiträge variiert.Im Bereich der sozialen Sicherheit in Europa gibt esnoch viel zu tun. Gehen Sie es endlich an. Stärken sie diesozialen Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Europa.
Auch wenn die vollständige Arbeitnehmerfreizügig-keit für Menschen aus den neuen Mitgliedsländern abdem 1. Mai 2011 noch einigen Handlungsbedarf auf-zeigt – im Grundsatz ist die Mobilität der Menschen in-nerhalb der Europäischen Union eine Erfolgsge-schichte. Es ist vor allem die Personenfreizügigkeit, dieden Reiz der Europäischen Union ausmacht. Die Frei-heit der Menschen, sich in anderen europäischen Län-dern als Arbeitnehmende oder als Selbstständige nieder-zulassen, die Freiheit, Familienangehörige mit sich zunehmen, die Freiheit, Chancen zu ergreifen, auch wennsie jenseits der Grenzen des Nationalstaats liegen –diese Freiheit ist nach wie vor der größte Reiz einer aufSicherheit und Recht fußenden Europäischen Union.Was bedeutet es, wenn sich Menschen in Europa freibewegen können? Wenn Menschen wandern, dann sindauch viele zutiefst menschliche Belange berührt. DennMenschen sind nie nur Arbeitnehmende oder aus-schließlich selbstständig. Sie führen ihr Leben nicht nurin beruflicher Tätigkeit und in Unternehmen. Menschensind auch mal krank, verlieren ihren Arbeitsplätz, verän-dern ihre Familiensituation oder scheiden wegen hohenAlters aus dem Erwerbsleben aus. In all diesen Lebens-situationen brauchen sie den Schutz der Systeme der so-zialen Sicherheit. Insbesondere wenn durch eigene ma-terielle oder nichtmaterielle Leistungen Ansprüche ansoziale Sicherungssysteme erworben wurden, müssendiese Ansprüche auch im Ausland gewährleistet sein.Dies muss funktionieren, wenn von einem „sozialen Eu-ropa“ die Rede sein soll.In der Praxis bedeutet die Umsetzung dieses sozial-und europapolitischen Ideals ernüchternderweise vorallem technische und regulative Detailarbeit. Sie erfor-dert ein Benennen von Zuständigkeiten, einen Austauschvon Sozialdaten und ein Festschreiben von Pflichten undAnsprüchen. Und sie erfordert regelmäßige Anpassungund Weiterentwicklung. Die Verordnung über die An-wendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeit-nehmer und Selbstständige sowie deren Familienange-hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- undabwandern, und die entsprechende Durchführungsver-ordnung wurden zum 1. Mai 2010 durch neue Verord-nungen abgelöst. Um den Festlegungen der zuständigenBehörde, der zuständigen Träger, der Verbindungsstel-len sowie der Zugangsstellen eine innerstaatlich gesi-cherte Rechtsgrundlage zu schaffen, wurde der vorlie-gende Gesetzentwurf eingebracht.Zunächst ist festzuhalten: Als überzeugte Europäe-rinnen und Europäer begrüßen wir Grünen dies. Denndie damit getroffenen Regelungen sind wichtig, um dasZusammenleben und die Mobilität in der EU zu erleich-tern, mehr noch: die Mobilität in ganz Europa. Denn diebisherigen Verordnungen im Verhältnis zu den Vertrags-staaten des Europäischen Wirtschaftsraums – alsoLiechtenstein, Norwegen und Island – sowie der Schweizbleiben weiterhin anwendbar. Auch das ist wichtig.Der Gesetzentwurf löst die an ihn gestellte Aufgabeinsgesamt ordentlich. Er behebt einzelne bisher beste-hende Ungleichheiten. So sind Rentnerinnen undRentner bereits bisher in der Krankenversicherung fürRentner pflichtversichert und müssen aus ihren Renten-bezügen die Kranken- und Pflegeversicherung mitfinan-zieren. Der festgeschriebene Grundsatz der Gleichstel-lung von Leistungen und Einkünften erfordert, dass diesin Zukunft auch für Beziehende einer ausländischenRente gilt. Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwen-den.Zu begrüßen ist der Schritt, die Benachrichtigung derTräger des Beschäftigungslandes im Falle von Entsen-dungen zu regeln. Wenn das Instrument der grenzüber-schreitenden Arbeitnehmerentsendung zur Anwendungkommt, ist es dringend erforderlich, dass alles unter-nommen wird, um illegale Beschäftigung zu verhindernund die ordnungsgemäße Anwendung der jeweils gelten-den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates unddes Entsendestaates sicherzustellen. An dieser Stellewürden wir uns von der Bundesregierung über den vor-liegenden Gesetzentwurf hinaus weitere Regelungenwünschen, die für Transparenz und bessere Koordinie-rung der sozialen Absicherung auch von entsandten Ar-beitnehmenden sorgen und die Missbrauchsrisiken ein-dämmen.Wir wollen die Mobilität der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer in Europa auch weiterhin erleichtern unddabei die sozial- und arbeitsrechtlichen Schutzstandardshalten und auch grenzübergreifend sicherstellen. Mobi-lität ohne soziale Sicherheit, einen europaweiten Ar-beitsmarkt ohne europaweite Koordination der Schutz-rechte und Absicherungen kann und darf es in Europanicht geben. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Bun-desregierung nicht weiter dagegen sperren, dass auchAnsprüche aus Betriebsrenten in ein anderes europäi-sches Land mitgenommen werden können. Auch fürdiese gilt, dass sie portabel ausgestaltet werden müssen,um die Anspruchsberechtigten nicht in ihrer Freizügig-keit zu behindern. Denn – ich habe das eingangs er-wähnt – der Freiheitsgedanke in Europa wird nur danneine menschengerechte Freiheit sein, wenn er mit sozia-ler Sicherheit verknüpft ist.
Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Druck-sache 17/4978 an die in der Tagesordnung aufgeführten
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11055
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Ausschüsse vorgeschlagen. – Anderweitige Vorschlägesehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung desEinsatzes von Videokonferenztechnik in ge-richtlichen und staatsanwaltschaftlichen Ver-fahren– Drucksache 17/1224 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussIhre Reden zu Protokoll gegeben haben PatrickSensburg, Christine Lambrecht, Jens Petermann, JerzyMontag und der Parl. Staatssekretär Max Stadler.
Fortschritt besteht wesentlich darin, fortschreiten zu
wollen. Als Mitglieder dieses Hohen Hauses obliegt uns
nicht nur die Aufgabe, durch Gesetze Rahmen für zu-
künftige Entwicklungen zu schaffen, sondern auch,
längst vollzogene Entwicklungen und technologische
Entwicklungen klug in Gesetze zu gießen. Der techni-
sche Fortschritt ist rasant und verändert unsere Lebens-
realität jeden Tag auf ein Neues. Wenn wir uns einmal in
unseren Abgeordnetenbüros umschauen, stellen wir fest,
wie sehr der technologische Fortschritt auch unsere Ar-
beit verändert und vor allem erleichtert hat.
Als Abgeordnete sind wir in der Pflicht, die Chancen
von technologischen Veränderungen zu nutzen. Der vor-
liegende Gesetzentwurf zum vermehrten Einsatz von Vi-
deokonferenztechnik ist so ein Fall.
Der Ausgangspunkt der Diskussion über den Einsatz
von Videokonferenztechnik findet sich im Zeugenschutz
der Strafprozessordnung. 1998 trat mit dem Zeugen-
schutzgesetz § 247 a der StPO in Kraft, der in den fol-
genden Jahren um wichtige Gedanken zur Vermeidung
des Beweismittelverlustes ausgedehnt wurde.
Aber auch bei Vernehmungshindernissen in der ge-
richtlichen Hauptverhandlung oder bei großen nicht zu-
mutbaren Entfernungen zum Gerichtsort wird die Video-
konferenztechnik bereits angewandt.
So stößt beispielhaft der verstärkte Einsatz von Video-
konferenztechnik in verschiedenen Bundesländern – es
sei hier nur auf Nordrhein-Westfalen und Hessen hinge-
wiesen – auf positive Resonanz. Bislang zählt diese Ver-
fahrenstechnik aber noch nicht zu den Standards, da bei
den Gerichten, Justizbehörden und Anwaltskanzleien
noch nicht die erforderlichen Ausstattungen verfügbar
sind und das Einverständnis der Beteiligten zum Einsatz
der Videoverfahrenstechnik nach der derzeit geltenden
Rechtslage vorliegen muss.
Wir wissen, dass unsere Justiz nicht über mangelnde
Arbeit klagen kann. Wir wissen um das Problem, dass
Verfahren manchmal sehr lange Zeiträume einnehmen
und sich Aktenstapel an Aktenstapel in den Gerichten
reihen. Die Videokonferenztechnik kann einen guten Bei-
trag zur Entlastung unserer Gerichte leisten. Es handelt
sich um eine Win-win-Situation; denn alle Beteiligten
können deutlich Zeit einsparen, und die Gerichte können
ihre Termine somit besser koordinieren. Die Verfahren
können deutlich beschleunigt werden.
Auch gerade für die Anwaltschaft stellt die Videokon-
ferenztechnik eine große Entlastung dar. Der aktive Ein-
satz der Videokonferenztechnik kann einerseits als Ent-
gelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen
in voller Höhe als Auslage geltend gemacht werden. So-
mit wäre auch keine weitere Änderung des Rechtsan-
waltsvergütungsgesetzes notwendig. Andererseits ent-
fallen Fahrtkosten und Terminierungsprobleme. Der
verstärkte Einsatz der Technik stellt insoweit ein verbes-
sertes Serviceangebot im Sinne einer kundenorientierten
Justiz dar. Die konkreten Bereitstellungskosten betreffen
die Einrichtung von Leitungen und Anschlüssen in den
jeweiligen Sitzungssälen bzw. Vorführräumen der Voll-
zugsanstalten, wo diese noch nicht vorhanden sind. Der
Einsatz von Web-Technik könnte diese Kosten erheblich
senken und sollte im Laufe dieses Gesetzgebungsverfah-
rens noch stärker überdacht werden.
Ich möchte aber hier deutlich darauf hinweisen, dass
die Kosten für die Länder kalkulierbar sein müssen.
Letztlich bleibt die jeweilige Umsetzung eine Entschei-
dung der Länder.
Kommen wir nun zu einzelnen Aspekten des Gesetzes:
Durch eine Änderung des Gerichtsverfahrensgesetzes
wird nach dem Gesetzentwurf ein Einsatz der Dolmet-
scher auch auf die anderen Übertragungsorte durch das
Gericht ermöglicht. Kritisch muss hier jedoch gesehen
werden, dass gerade die Leistung der Dolmetscher eine
hochanstrengende Tätigkeit ist. Es muss genauer geprüft
werden, ob es beispielsweise einem Dolmetscher alleine
möglich ist, über einen längeren Zeitraum im Rahmen
einer Videokonferenz zu dolmetschen. Ich habe hier
meine Bedenken.
Die Verfahrensbeschleunigung soll im Zivilprozess
vor allem dadurch erreicht werden, dass der Einsatz von
Videokonferenztechnik nicht mehr vom Einverständnis
aller Parteien abhängig sein soll. Künftig soll das Ge-
richt diese Entscheidung bei einem Antrag einer der
Parteien treffen können.
Die Möglichkeit der Aufzeichnung beim Einsatz der
Videokonferenztechnik bedarf zudem noch der Klärung,
da es dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann,
durch den Einsatz anders behandelt zu werden als im
herkömmlichen Verfahren, bei dem lediglich protokol-
liert wird. Ich bin der Meinung, dass es grundsätzlich zu
keiner Aufzeichnung kommen darf.
Die Zielsetzung der vorgeschlagenen Änderungen be-
steht in der Verbesserung der Rechtsklarheit und An-
wenderfreundlichkeit. Doch muss natürlich bei einem
anderen Aufenthaltsort des zu Vernehmenden außerhalb
des Sitzungszimmers sichergestellt sein, dass am Ort des
Vernehmens keine Fremdeinflüsse auftreten können.
Für den Bereich des Strafrechts ist beispielsweise
denkbar, eine entsprechende Regelung in den Richtlinien
für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren,
Dr. Patrick Sensburg
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RiStBV, einzufügen, die sicherstellt, dass der Ort der
Vernehmung im Strafprozess ein Gerichtssaal sein muss.
Die Gesetzesänderung belässt es vollkommen zu
Recht dabei, bei Personen, bei denen es auf einen per-
sönlichen Eindruck des Gutachters ankommt, bei der
klassischen Vorladung zu verbleiben, dies aus dem
Grund, da eine Videoübertragung den Eindruck durch
nonverbale und allgemein persönliche Eindrücke nicht
zureichend vermittelt.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Vernehmung
von Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung durch die
Videokonferenztechnik verbessert und beschleunigt den
Verfahrensablauf, da auch der Versand von Verfahrens-
akten und Vernehmungsversuchen an ferne Gerichte und
Polizeidienststellen entbehrlich wird. Dies führt zu einer
erheblichen Verkürzung des Verfahrens und äußert sich
auch durch eine qualitative Verbesserung, da der einge-
arbeitete Staatsanwalt oder Polizeibeamte die Anhörung
übernehmen kann. Auch hier zeigt sich wieder eine nut-
zerfreundliche Ausgestaltung des Rechtssystems, da Zeit-
ersparungen unter Beibehaltung eines hohen Qualitäts-
standards eine ideale Lösung für die betroffenen Bürger
darstellen.
Das Verfahren wird darüber hinaus auch in den Fäl-
len der Reststrafenaussetzung zur Bewährung für die
Strafvollstreckungskammer vereinfacht. Zudem kommt
es zu einer wichtigen sicherheits- und aufwandsrelevan-
ten Vereinfachung für die Vollzugsanstalten. Eine Ver-
einfachung der Anhörung darf aber keineswegs zulasten
des Anzuhörenden gehen, da hier der unmittelbare Kon-
takt mit dem Verurteilten übersehen wird.
Durch dieses Gesetz muss sichergestellt werden, dass
es durch den Einsatz der Videokonferenztechnik nicht zu
qualitativen Mängeln bei Aussagen oder Befragungen
kommt. Wird dies sichergestellt, haben wir ein kunden-
orientiertes Instrument für die Justiz.
Wir dürfen die Augen vor dem technologischen Fort-
schritt nicht verschließen. Die Vorteile der Videokonfe-
renztechnik liegen auf der Hand. Lassen Sie uns in der
Frage der Videokonferenztechnik zusammen fortschrei-
ten, um gemeinsam Fortschritt zu ermöglichen.
Das Gesetz zum verstärkten Einsatz von Videokonfe-renzen in deutschen Gerichten ist sinnvoll und notwen-dig. Die Videokonferenztechnik ist ein zukunftsweisen-der Fortschritt für Verhandlungen, der gerade demBürger zugutekommt. Daher begrüße ich das Bestrebendes Bundesrates, durch das Gesetz Kosten einzusparen,genauso wie die forcierte Zeitersparnis durch den Weg-fall der Anreise der Beteiligten und die daraus resultie-rende Flexibilität. Wenn durch moderne Technik erreichtwerden kann, dass ein Verfahren beschleunigt wird,sprechen wir hier von einer guten Serviceleistung sei-tens der deutschen Gerichte, die dieser Zeit absolut an-gemessen ist.Dennoch gibt es bei dem Gesetzentwurf einen Casusknaxus. Man sollte den verstärkten Einsatz von Video-konferenzen unbedingt nach Verfahrensarten abstufen.Zu ProtokollDas größte Problem sehe ich hier bei der Regelung inder Strafprozessordnung und im Strafvollzugsgesetz.Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Hauptverhand-lung muss als fundamentales Recht um jeden Preis er-halten bleiben. Es reicht nicht, wenn das Gericht alleindie Anordnung trifft. Die Videokonferenz in der Verneh-mung sollte nur mit dem Einverständnis des Beschuldig-ten und in Rücksprache mit seinem Verteidiger erfolgen.Dies ist in Bezug auf die Unmittelbarkeit und Mündlich-keit der Beweisaufnahme unabdingbar. Man sollte nichtunterschätzen, wie wichtig es für die Prognose des Rich-ters ist, dass der Beschuldigte sich persönlich und un-mittelbar äußern kann. „Face to face“ werden Aspektewie das Verhalten, Erscheinungsbild und die Körper-sprache des Angehörten anders wahrgenommen, alswenn dieser in einer unnatürlichen Umgebung sitzt,vielleicht noch sehr nervös vor der Kamera. Warum alsodie Urteilsfindung des Richters erschweren, wenn es zu-dem noch in die Rechte des Beschuldigten eingreift? Sosehr ich auch ein Befürworter der modernen Technikbin, so sehr müssen wir doch darauf achten, dass wir mitihrem Einsatz keine rechtsstaatlichen Prinzipien torpe-dieren.Sehr gut ist es hingegen, den Einsatz der Technik insfreie Ermessen der Gerichte zu stellen. So ist von einemverstärkten Einsatz der Technik auszugehen, ohne dasssich Gerichte gezwungen sehen, nicht auf herkömmlicheArt verfahren zu können, vor allem in den Fällen, in de-nen eine Videokonferenz nicht angemessen ist.Was die Aufzeichnung der Videokonferenzen betrifft,so sehe ich jedoch nichts, was grundsätzlich dagegenspricht. Die obligatorische Aufzeichnung bedeutet nureinen geringen Arbeits- und zusätzlichen Kostenauf-wand. Es wäre ein unglaublicher Fortschritt in gericht-lichen Anhörungen, wenn man sich auf das unver-fälschte Zeugnis einer dokumentierten Aussage berufenkönnte. Es wäre ein Fundament für Kontrolle undSelbstkontrolle, da nicht wie bisher durch langwierigeRecherche versucht werden müsste, Missverständnisse,Suggestionen und Verzerrungen aufzudecken und zu be-seitigen. Es wäre schnell, einfach und unmissverständ-lich. Es wäre ohne Fehler im Protokoll und großen In-terpretationsspielraum nachzuvollziehen, wie eineAussage zustande gekommen ist. Es wäre ein neues Ka-pitel der Glaubhaftigkeitsprüfung, welches ich sehr be-fürworten würde. Ich sehe darin einen wesentlichen Ge-winn für die Richtigkeit des Urteils.Die Aufzeichnung würde sich auch bei staatsanwalt-schaftlichen und polizeilichen Anhörungen anbieten.Gegebenenfalls kann man sie danach wieder löschenoder nur beschränkt zugänglich machen, zum Beispiel,um eine Unterscheidung von öffentlichen und nicht öf-fentlichen Anhörungen vorzunehmen. Aber im Allgemei-nen denke ich, wenn die Aufzeichnung, und sei es nur dieTonaufzeichnung der Anhörung, Bestandteil von Ver-handlungsakten wäre, so würde dem Prinzip der Wahr-heitsfindung ein großer Gefallen getan.Es wäre ein bedeutender Vorteil für die gerichtlichePraxis, den wir unbedingt unterstützen sollten. Der Ein-satz moderner Kommunikationsmittel in deutschen Ge-
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11056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenChristine Lambrecht
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richten ist ein technischer Fortschritt, den es zu förderngilt. Die Anschaffungskosten sind gering im Vergleich zuder Ersparnis, die durch den Wegfall der Reisetätigkeitder Beteiligten zu erwarten ist. Es ist eine Investition indie Zukunft, die sich lohnt. Zeit und Geld zu sparen beisämtlichen Gerichtsverfahren, das freut auch den Steu-erzahler.Ich halte die Nutzung von Videokonferenztechnikauch im Strafverfahren für sinnvoll, wenn es einem Op-fer erspart, seinem Peiniger gegenübertreten zu müssenoder im Einzelfall der Sicherheitsaufwand für einen Ge-fangenentransport eingespart werden kann. Da handelnwir absolut im Interesse der Bürger. Diese Ersparnis,und so sollte es auch aus dem Gesetz hervorgehen, darfnur nicht zum Leidwesen eines essenziellen Rechts-grundsatzes geschehen.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zum intensiven
Einsatz von Videokonferenztechnik ist leider unausge-
goren und nicht bis zum Ende durchdacht.
Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist bereits seit
1998 bzw. 2004 für bestimmte Verfahren vorgesehen,
soll aber nun aufgrund der sehr seltenen Nutzung ge-
setzlich ausgebaut und gefördert werden. Neu ist die
Ausweitung des Einsatzes von Videotechnik auf Verfah-
ren nach der Strafprozessordnung. Dieser Ausbau darf
auf keinen Fall zulasten der Unmittelbarkeit der Verfah-
ren gehen oder zur Beschneidung von Beschuldigten-
rechten führen. Im vorliegenden Entwurf ist das aber der
Fall, da vorgesehen ist, die fakultative videogestützte
Anhörung auch ohne Einverständnis des Betroffenen an-
zuordnen.
Die Verfasser des Entwurfs preisen natürlich die Vor-
teile des vermehrten Einsatzes von Videokonferenztech-
nik an. Dazu zählen eine Verringerung der Reisetätigkeit
und damit die Einsparung von Reisekosten, aber auch
eine angebliche Verfahrensbeschleunigung. Damit pro-
phezeit der Bundesrat, dass beim Einsatz von Videotech-
nik ein Prozess kostengünstiger gestaltet wird. Diese
Schlussfolgerung bezweifle ich sehr.
Wie sieht denn die Kehrseite der Medaille aus? Je Vi-
deokonferenzanlage werden die Kosten auf 5 000 bis
12 000 Euro geschätzt, hinzu kommen noch die Kosten
für die Bereitstellung von Leitungen und Anschlüssen.
Die Einrichtung soll aus dem Etat der Justizverwaltun-
gen gezahlt werden, ohne dass diesen dafür zusätzliche
Mittel im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt werden.
Diese Vorgehensweise halte ich vor dem Hintergrund
der leider immer noch nicht befriedigenden Sach- und
Personalausstattung vieler Gerichte für verfehlt. Meine
Thüringer Richterkolleginnen und Richterkollegen be-
richten mir nach wie vor über Personalmangel, erneue-
rungsbedürftige technische Ausstattung und Platzman-
gel in Justizgebäuden. Von daher ist es nicht
nachvollziehbar, dass nun der Einsatz von teurer Video-
technik forciert werden soll –, dies zulasten der eben ge-
nannten Problemfelder. Bevor moderne Übertragungs-
technik in baufällige Gerichtssäle eingebaut wird,
Zu Protokoll
sollten die vorhandenen Gelder in die Sanierung, die
Sach- und Personalausstattung gesteckt werden.
Die Verfasser sehen für dieses Serviceangebot der
kundenorientierten Justiz eine Gebühr von pauschal
15 Euro je Verfahren und je angefangene halbe Stunde
des Einsatzes vor. Damit sollen lediglich die anfallenden
Betriebs-, Verbindungs- und zusätzlichen Personalkos-
ten abgedeckt werden.
Die Linke sagt: Dieser Service darf nicht zulasten der
ohnehin schon zusammengesparten Justiz und der Geld-
börse der rechtsschutzsuchenden Bürgerinnen und Bür-
ger gehen. Wenn man eine solche moderne Kommunika-
tionsart in Gerichtsverfahren einführen will, müssen die
dafür benötigten Mittel zusätzlich durch den Bund oder
die Länder bereitgestellt werden, und zwar ohne den so-
wieso schon knappen Justizetat zu belasten.
Abgesehen von der Finanzierung begegnen dem Ge-
setzentwurf auch inhaltliche Bedenken:
Die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, wo-
nach Dolmetscherleistungen per Video in den Sitzungs-
saal übertragen werden sollen, halte ich für wenig ziel-
führend. So übersetzt der Dolmetscher regelmäßig nicht
nur für das Gericht selbst, sondern auch die vertrauli-
chen Gespräche der Prozessparteien mit deren Anwäl-
ten. Das Problem mit Dolmetschern liegt meist nicht da-
rin, sie in den Verhandlungssaal zu laden, sondern
überhaupt einen Dolmetscher zu finden. Daran ändert
auch der Einsatz von Videotechnik nichts.
Die Änderung der Strafprozessordnung eröffnet der
Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten die
Möglichkeit, einen Zeugen außerhalb der Hauptver-
handlung durch Videoübertragung zu vernehmen. Bei
der Vernehmung eines Zeugen kommt aber besonders
der persönlich-wahrhaftige Eindruck für die Ermittlung
der Glaubwürdigkeit und des Beweiswertes zum Tragen.
Dies ist Ausdruck der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit
der Beweisaufnahme im Strafrecht. Eine Bild-Ton-Über-
tragung steht einer persönlichen Vernehmung eines Zeu-
gen an Erkenntnisgewinn also nach und durchbricht den
Unmittelbarkeitsgrundsatz. Sogar die Bundesregierung
bemängelt, dass in manchen Fällen ein höchstpersönli-
cher Eindruck von Zeugen oder Angeklagten erforder-
lich ist, dieser jedoch durch Videoübertragung nicht er-
setzt werden kann. Wenn man die Videovernehmung
gleichberechtigt neben der persönlichen Vernehmung
ansiedelt, wird die Ausnahme zur Regel und bedeutet
das Ende der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung. Mit
der Linken ist ein verstärkter Einsatz von Videokonfe-
renztechnik nur zu machen, wenn die Rechte der Pro-
zessbeteiligten nicht abgewertet werden und die Finan-
zierung nicht auf Kosten des ohnehin schon zu niedrigen
Justizetats realisiert wird. Der Entwurf muss dahin ge-
hend dringend nachgebessert werden.
Als die großen Prozessordnungen in Deutschland ent-wickelt wurden, gab es keine Möglichkeiten, mithilfe vonTon- und Bildtechnik Prozesse sozusagen zur gleichenZeit an verschiedenen Orten stattfinden zu lassen oder
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11057
gegebene RedenJerzy Montag
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Prozessteile zeitlich gestaffelt aufzunehmen und späterin die Prozesse einzuspielen. Seit Jahren schon haltendie neuen Ton- und Bildtechniken Einzug in die deut-schen Gerichtssäle. Da, wo sie wirklich nur der Res-sourcenersparnis und Bequemlichkeit dienen, ist ihrEinsatz sinnvoll und zu begrüßen. Dies trifft ferner auchda zu, wo schon bisher die Anwesenheit von Verfahrens-beteiligten nicht vorgeschrieben war und jetzt ihre Mit-wirkung zumindest über eine Zuschaltung in Ton undBild ermöglicht wird.Aber es ist offensichtlich, dass der Einsatz solcherTechniken Gefahren in sich birgt und die Voraussetzun-gen und die Strukturen der Prozesse verändern kann. Zueiner rechtsstaatlichen Justiz gehören ein fairer Prozessund eine objektive Wahrheitsfindung. Prozessordnungentarieren immer die gegensätzlichen Interessen vonGrundrechtsträgern aus, dies macht im Kern einen fai-ren Prozess aus, dessen Grundpfeiler verfassungsrecht-lich geschützt sind.Für gerichtliche Verhandlungen gelten die rechts-staatlichen Verfahrensgrundsätze der Mündlichkeit, derÖffentlichkeit, der Unmittelbarkeit und nicht zuletzt desrechtlichen Gehörs. Alle diese Grundsätze können ten-denziell mit dem Einsatz von Ton- und Bildtechniken kol-lidieren, wenn sich nicht alle Verfahrensbeteiligten zurgleichen Zeit am gleichen Ort – nämlich im Gerichts-saal – befinden. Deshalb sind Bild- und Tontechnikenbisher immer nur als Ausnahme dann zum Einsatz ge-kommen, wenn sie im Einzelfall vorrangige Rechte vonVerfahrensbeteiligten schützen können. Hier sind vor al-lem Opferschutzrechte zu nennen.Deshalb bedarf der Einsatz solcher Techniken, hierder Videokonferenztechnik, einer sorgfältigen Prüfungauf mögliche Auswirkungen auf das Recht des rechtli-chen Gehörs und die verfassungsfesten Maximen einesfairen Verfahrens. Besonders ist darauf zu achten, dassim Strafprozess die Rechte des Beschuldigten und derVerteidigung nicht auf der Strecke bleiben.Bisher sind Ton- und Bildzuschaltungen schon inmindestens zwei Gesetzen eingeführt worden. Mit demZeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 wurde die Mög-lichkeit eröffnet, in der Hauptverhandlung die Verneh-mung eines Zeugen aus einem anderen Raum in den Ge-richtssaal mithilfe von Videotechnik zu übertragen.Damals hat der „im Interesse einer wirksamen Bekämp-fung moderner Kriminalitätsformen erforderliche Zeu-genschutz“ Vorrang vor der Anwesenheit des in derHauptverhandlung zu hörenden Zeugen erhalten. Seit2002 sieht die Zivilprozessordnung, allerdings nur mitZustimmung aller Beteiligten, die Möglichkeit vor,Videokonferenzen im Zivilprozess einzusetzen. Damit istein notwendiger Beitrag zur Modernisierung der Justizgeleistet worden, ohne in Rechte der Beteiligten einzu-greifen.Der vorliegende Gesetzentwurf – übrigens eine Neu-auflage einer ursprünglich hessischen Initiative aus demJahr 2007, die seinerzeit dem Bundestag zwar zugelei-tet, aber nicht zu Ende beraten wurde – sieht unterDurchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes eineAbwesenheit von Beteiligten bei gleichzeitiger Zuschal-Zu Protokolltung über Ton- und Bildtechniken in zahlreichen Fällenvor: Dolmetscher sollen bei Verhandlungen, Anhörun-gen oder Vernehmungen zugeschaltet werden können
; Parteien, ihre Bevollmächtigten und Bei-
stände sollen sich an einem anderen Ort aufhalten und
den können ; auch bei Abwesenheit des
nen ; auch bei Abwesenheitdes Angeklagten soll dieser über die Anklage vernom-men und bei Abwesenheit des Sach-verständigen soll dieser vernom-men werden können; in Abwesenheit des Verurteiltenkann über eine Bewährungsentlassung oder weitere Inhaf-tierung entschieden werden .Ich will aus Zeitgründen heute nur zu den Vorschlä-gen in der ZPO und in der StPO Stellung nehmen. Schonheute ist im Einverständnis der Beteiligten im Zivilpro-zess der Einsatz von Videotechnik möglich. Eine Auswei-tung erscheint möglich, wenn Parteien dies für sich be-antragen und damit auf ihre Anwesenheit bei Gerichtverzichten. Bei der Zeugenvernehmung sollten aber wiebisher alle Verfahrensbeteiligten ihr Einverständnis er-klären müssen. Im Strafverfahren mitsamt der Strafvoll-streckung ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit tra-gend. Das Gericht kann sich bei physischer Anwesenheitvon Beschuldigten und Zeugen ein Bild von den Perso-nen und ihrer Glaubwürdigkeit machen. Der Beschul-digte kann als physisch Anwesender eindeutig besserseine Argumente zu Gehör bringen. Das Recht auf recht-liches Gehör ist ein Grund- und Menschenrecht.Von diesen Grundüberlegungen ausgehend könnenwir alle Änderungen im Ermittlungs- wie im Vollstre-ckungsverfahren begrüßen, die das Recht auf rechtlichesGehör ausweiten. Allerdings wird sorgfältig zu prüfensein, inwieweit der Einsatz der Videotechnik von einerAusnahme zu einer Regel mutieren könnte. Der besteSchutz davor ist die erforderliche Zustimmung des Be-schuldigten zu einem solchen Verfahren. Dies gilt beson-ders für die Bewährungsentscheidungen im Strafvollzug.Die Anhörung durch das Gericht wird für eine richtigeEntscheidung meist eine zwingende Voraussetzung sein.Wo das Gericht eine mündliche Anhörung für notwendighält, kann der Einsatz einer Ton- und Bildübertragungnur mit Zustimmung des Verurteilten erfolgen. Abzuleh-nen ist der Einsatz der Videotechnik beim Einsatz vonDolmetschern und der Anhörung von Sachverständigenund Zeugen. Die Nachteile einer solchen Regelung über-wiegen bei Weitem die möglichen Vorteile.Der hessische Justizminister Banzer von der CDU,auf dessen Initiative der Entwurf 2007 ja zurückging,sah die Vorteile der Videokonferenztechnik vor allem „inder Zeitersparnis“ für die Beteiligten und das Gericht.Die Terminierung werde erleichtert, Verfahren könntenbeschleunigt werden. Durch die eingesparten Reisekos-ten und den reduzierten Zeitaufwand würden gerichtli-che Verfahren insgesamt „kostengünstiger“. Das ist dieeigentliche Absicht des vorliegenden Gesetzentwurfsund das kommt auch in seiner Begründung zum Aus-
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11058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenJerzy Montag
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druck. Ich will nicht missverstanden werden: Gegen eineVerfahrensbeschleunigung als solche haben wir garnichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil: Der Europäi-sche Gerichtshof für Menschenrechte hat ja bereitsvielfach einen effektiven Rechtsschutz gegen überlangeVerfahren von Deutschland eingefordert. Aber Verfah-rensbeschleunigung ist nun mal kein Selbstzweck unddarf keinesfalls dazu führen, dass rechtsstaatliche Ga-rantien geopfert werden.Der Gesetzentwurf enthält schließlich, rechtstech-nisch völlig verunglückt, eine Ermächtigung für dieBundesländer, Zeitpunkt und Ausmaß des Einsatzes derTon- und Bildübermittlung in allen Prozessordnungeneinzusetzen. Die Bundesregierung benennt diesen Vor-schlag klar, deutlich und richtig als ein Verbot des Ein-satzes dieser Techniken mit einem Erlaubnisvorbehalt.Ich füge hinzu: Dies ist ein Erlaubnisvorbehalt nachKassenlage und eine Verschlechterung der bisherigenRechtslage, die von den Bundesländern die Einführungdieser Technik in bestimmten Fällen zwingend verlangt.Verdeutlichen wir uns, dass der Einsatz der Ton- undBildübermittlung mit dem Gedanken des Opferschutzesbegründet ist, dann wird deutlich, dass der Gesetzesvor-schlag des Bundesrates auch gegen den bisher schon er-reichten Opferschutz gerichtet ist.Ich darf zusammenfassen: Die rechtsstaatlichenGrundsätze der deutschen Prozessordnungen dürfendurch den Einsatz der Ton- und Bildübertragung nichtausgehebelt werden. Es ist zu begrüßen, wenn der Ein-satz dieser Technik in Einzelfällen das Recht auf rechtli-ches Gehör stärkt und zu einem Erkenntniszugewinnbeim Gericht führt. Es ist nicht angebracht, Sachver-ständige und Zeugen über Ton- und Bildtechniken zu be-fragen und Dolmetscher über diese Technik zuzuschal-ten. Wir dürfen rechtsstaatliche Standards unsererProzessordnungen nicht unter einen Finanzierungsvor-behalt stellen und den erreichten Stand des Einsatzesder Videotechnik zum Schutz von Opfern nicht aus finan-ziellen Gründen zurückfahren. Und schließlich: Wirsollten ernsthaft darüber nachdenken, die modernenTechniken in unseren Prozessordnungen umfassend zuDokumentationszwecken einzusetzen.D
Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Ge-setz zur Reform des Zivilprozesses wurde die Videokon-ferenz in den Zivilprozess eingeführt. Sie baute dieMöglichkeiten des Einsatzes moderner Kommunikati-onsmittel weiter aus, indem bei Einvernehmen aller Be-teiligten Verfahrensbeteiligte an der mündlichen Ver-handlung im Wege einer Videokonferenz teilnehmenkönnen. Im Strafverfahrensrecht wurden die rechtlichenMöglichkeiten zum Einsatz der Videokonferenztechnik inden letzten Jahren fortlaufend ausgebaut.Die Videokonferenztechnik ist heute – fast zehn Jahrespäter – in vielen Gerichten und Anwaltskanzleien tech-nisch verfügbar, führt aber oft nur ein Schattendasein.Sie sollte nach Auffassung der Bundesregierung häufi-ger eingesetzt werden. Dadurch könnten den BeteiligtenZu Protokollaufwendige und zeitintensive Anreisen erspart werden.Dies kommt nicht nur den Bürgern entgegen, sondernhilft auch, das Verfahren schneller und kostengünstigerzu machen.Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Gesetzent-wurf des Bundesrates im Grundsatz. Der Entwurf bauteinige rechtliche Hürden für den Einsatz der Videokon-ferenztechnik ab: Künftig soll im Zivilprozess der Ein-satz der Videokonferenztechnik in der mündlichen Ver-handlung und bei der Beweisaufnahme im Ermessen desGerichts stehen und nicht mehr vom Einverständnis derParteien abhängen. Im Falle der Gefahr eines zukünfti-gen Beweisverlustes soll das Gericht die Aufzeichnunganordnen können. Im Bereich des Strafverfahrensrechtssoll nach dem Entwurf das Ziel der Verfahrensbeschleu-nigung und der Steigerung der Verfahrensökonomie ins-besondere dadurch erreicht werden, dass unter bestimm-ten Voraussetzungen Vernehmungen oder Anhörungenvon Verfahrensbeteiligten und Zeugen unter Verzicht aufderen persönliche Anwesenheit erfolgen können.Es soll unter anderem ein entsprechender Einsatz derVideokonferenztechnik für die Vernehmung eines Zeugenaußerhalb der Hauptverhandlung nach § 58 b StPO-Ezum Beispiel zur Verhinderung des zeitaufwendigen Ver-sandes von Verfahrensakten mit Vernehmungsersuchenan ferne Polizeidienststellen möglich sein. Auch im Zu-sammenhang mit der mündlichen Haftprüfung soll derEinsatz von Videokonferenztechnik nach § 118 a Abs. 2Satz 2 StPO-E ermöglichen, dass der Beschuldigte inden Fällen, in denen das Gericht wegen Krankheit oderanderer nicht zu beseitigender Hindernisse nach bishe-riger Rechtslage auf dessen Vorführung verzichtet hat,nunmehr an der Haftprüfung per Videokonferenz teil-nehmen kann. Im Bereich der Strafvollstreckung solldurch den vermehrten Einsatz von Videokonferenztech-nik den Strafvollstreckungskammern eine erheblicheVerfahrenserleichterung dadurch zuteilwerden, dass diepersönliche Anwesenheit des Verurteilten zum Beispielbei der Anhörung im Rahmen der Entscheidung einerAussetzung des Strafrestes zur Bewährung nicht mehrstets erforderlich ist. Die Bundesregierung kann aberden Vorschlägen des Bundesrates nicht uneingeschränktzustimmen.Die Videokonferenztechnik wird bereits jetzt im Be-reich des Strafverfahrensrechts eingesetzt. So dürfen dieStaatsanwaltschaft und die Polizei Vernehmungen vonBeschuldigten und Zeugen schon nach der bestehendenGesetzeslage per Videokonferenztechnik vornehmen,ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen Regelung be-dürfte. Denn der die gerichtlichen Verhandlungen be-herrschende Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt hier nicht.Die gesetzliche Verankerung des Einsatzes der Video-konferenztechnik für gerichtliche Vernehmungen undAnhörungen, unter anderem in § 58 b StPO-E, ist dahergrundsätzlich zu begrüßen. Für den Bereich der polizei-lichen Zeugenvernehmung bedeutet die beabsichtigteRegelung des § 58 b StPO-E hingegen eine Einschrän-kung der bislang möglichen Anwendung der Videokonfe-renztechnik. Denn die Vorschrift würde für die polizeili-che Zeugenvernehmung mangels Verweisung in der fürsie ausschlaggebenden Regelung des § 163 Abs. 3 StPO
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nicht gelten und damit den Umkehrschluss nahelegen,dass die Videokonferenztechnik bei der polizeilichenZeugenvernehmung nicht zulässig ist. Das ist kontrapro-duktiv. Die bereits bestehenden Möglichkeiten, die Video-konferenztechnik im Bereich der staatsanwaltschaftli-chen und polizeilichen Vernehmungen einzusetzen,sollten nicht beschränkt werden. Dies muss aus Sicht derBundesregierung durch sprachliche Änderungen im Ge-setzentwurf noch sichergestellt werden.Aus strafprozessualer Sicht muss darüber hinaus wei-terhin gewährleistet sein, dass das Gericht beim Einsatzder Videokonferenztechnik die tragenden und bewährtenGrundsätze des Strafverfahrens, insbesondere denGrundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, so-wie die berechtigten Interessen aller Verfahrensbeteilig-ten miteinander abwägen und zu einem Ausgleichbringen kann, ohne dass von vornherein ein Abwä-gungsvorrang festgelegt würde. Es muss vermieden wer-den, dass durch den Gesetzentwurf Widersprüche zu denbereits vorhandenen Regelungen über den Einsatz vonVideokonferenztechnik, der vor allem zum Schutz desOpfers bereits geltendes Recht ist, entstehen. Schließlichmuss insbesondere vermieden werden, dass durch eineEinschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit derBeweisaufnahme dem erkennenden Gericht die Mög-lichkeit genommen wird, sich einen ganz persönlichenEindruck von dem Zeugen oder dem Angeklagten zu ma-chen.Gerade und in besonderem Maße bei der Anhörungdes Verurteilten im Strafvollstreckungsrecht spielt derpersönliche Eindruck eine wesentliche Rolle. Wenn dasGericht den Verurteilten vor seiner Entscheidung, ob dieReststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, an-hört, gewährt es ihm damit nicht nur rechtliches Gehör.Es verschafft sich, was mindestens ebenso wichtig ist,durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Verurteilteneinen höchstpersönlichen Eindruck von ihm. Es ist da-her von wesentlicher Bedeutung, dass dieser Zweck beiden Vorschlägen zur Einführung der Videokonferenz-technik in den Fällen der §§ 453, 454 StPO-E nicht ausdem Blick gerät.Zum Schluss möchte ich auf einen weiteren problema-tischen Punkt im Entwurf hinweisen. Die Nutzung derVideokonferenztechnik sollte nicht davon abhängen,dass die Länder sie durch eine Rechtsverordnung – wo-möglich für jedes einzelne Gericht gesondert – zulassen.Das in Art. 9 des Entwurfes stehende grundsätzliche„Verbot mit Zulassungsvorbehalt“ wäre ein Rückschrittgegenüber der heutigen Rechtslage, die den Einsatz vonVideotechnik generell zulässt. Die Regelung steht demZiel des Entwurfes, den Einsatz der Videotechnik zu för-dern, entgegen.Die Regelung ist auch nicht zum Schutz der Landes-justizhaushalte vor unkalkulierbaren Kosten notwendig.Im Zivilprozess ist schon jetzt klar, dass die Beteiligtenden Einsatz von Videotechnik nicht beanspruchen kön-nen. Im Strafprozess hat dagegen der Bundesgerichtshofschon entschieden, dass die Justizverwaltungen ver-pflichtet sind, es zu ermöglichen, dass ein Zeuge per Vi-deokonferenz vernommen wird, wenn es anders nichtgeht. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, in dennoch offenen Fragen des Entwurfs in den jetzt anstehen-den Beratungen des Deutschen Bundestages zufrieden-stellende Lösungen zu finden, damit die Videokonferenzin der gerichtlichen Praxis künftig eine größere Bedeu-tung erlangt.
Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfes aufDrucksache 17/1224 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind nicht da-gegen. Deswegen ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Holger Ortel,Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPDDie Reform der Gemeinsamen Fischereipoli-tik zum Erfolg führen– zu dem Antrag der Abgeordneten CorneliaBehm, Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENChancen der EU-Fischereireform 2013 nut-zen und Gemeinsame Fischereipolitikgrundlegend reformieren– Drucksachen 17/3179, 17/3209, 17/3957 –Berichterstattung:Abgeordnete Gitta ConnemannHolger OrtelDr. Christel Happach-KasanDr. Kirsten TackmannCornelia BehmIhre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-ginnen und Kollegen Connemann, Ortel, Happach-Kasan, Tackmann und Behm.1)Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/3957.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-che 17/3179. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung wurde angenommen bei Zustimmung durch dieKoalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen; SPDund Linke haben dagegen gestimmt.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 17/3209. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-men. Dafür haben die Koalitionsfraktionen und die SPD1) Anlage 14
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11061
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen ge-stimmt, die Linke hat sich enthalten.Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Lebensmittel- und Futtermittel-gesetzbuches sowie anderer Vorschriften– Drucksache 17/4984 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für GesundheitIhre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-ginnen und Kollegen Holzenkamp, Tack, Happach-Kasan, Binder und Höfken.
Im vergangenen Jahr, genauer am 21. Dezember,
drangen erste Meldungen über erhöhte Dioxinbelastun-
gen von Futtermitteln an die Öffentlichkeit. Am 14. Ja-
nuar – nur 24 Tage später – stellte Bundesagrarministe-
rin Ilse Aigner ihren Aktionsplan zur Sicherheit in der
Futtermittelkette vor. Wiederum nur 19 Tage später, am
2. Februar, billigte das Kabinett mit den Änderungen
zum Lebens- und Futtermittelgesetzbuch erste gesetz-
liche Umsetzungen einzelner Punkte des Aktionsplans.
Das sind nicht einmal anderthalb Monate nach den ers-
ten Dioxinmeldungen. Ich wiederhole: anderthalb Mo-
nate. Wer den zähen, langen Fluss der Gesetzgebung
kennt, der weiß was dieser Zeitraum bedeutet.
Und was kam in dieser Zeit von der Opposition? Wie-
der einmal nur die übliche Phrasendrescherei, Hysterie
und Angstmacherei. Sie haben Ministerin Aigner Untä-
tigkeit und Überforderung vorgeworfen. Welch ein
Quatsch! Denn die Fakten sprechen eine völlig andere
Sprache: CDU/CSU und FDP haben besonnen reagiert.
CDU/CSU und FDP haben schnell reagiert.
Nun mag der eine oder andere sagen, er höre hier mal
wieder das übliche Selbstlob der Regierung. Dem sei die
Aussage der EU-Kommission entgegengehalten. Diese
sagte Mitte Februar sinngemäß, Deutschland habe in
der Dioxinkrise höchst effizient gehandelt. Also, ein di-
ckeres Lob für das Krisenmanagement der Bundesregie-
rung kann ich mir kaum vorstellen.
Bevor ich zu der heute in erster Lesung beratenen No-
velle des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches komme,
lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Dioxinvor-
fällen sagen. Ich denke, das ist – auch wenn wir darüber
schon debattiert haben – bitter nötig. Die Rolle, die die
Opposition und ein Teil der Medien hier gespielt haben,
war höchst verantwortungslos. Anstatt zur sachlich-
fachlichen Aufklärung beizutragen, überschlug man sich
in immer hysterischeren Überschriften. Und während
der Agrarausschuss des Deutschen Bundestages die
Vorfälle um das dioxinverschmutzte Futtermittel disku-
tierte, hatte die Opposition nichts Besseres zu tun, als
den Sitzungssaal zu verlassen und der Presse angebliche
neue Skandale in die Feder zu diktieren. Wir hätten uns
eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition
gewünscht. Doch von dieser kam, wie so häufig in der
Vergangenheit, nur ein destruktives Skandalisieren, und
das alles zulasten der Verbraucher. Der Opposition
scheint nichts am aufgeklärten, mündigen Verbraucher
zu liegen. Nein, der Verbraucher muss Angst haben.
Dann kann man eigene politische Ziele am besten um-
setzen.
Dabei wurde dann natürlich geflissentlich übergan-
gen, dass wir in den letzten Jahren auch verschiedene
Dioxinskandale bei Bioprodukten hatten. Dabei wurde
dann auch geflissentlich übergangen, dass das Bundes-
institut für Risikobewertung die wenigen geringen
Höchstmengenüberschreitungen von Dioxin in Lebens-
mitteln als für den Verbraucher völlig ungefährlich ein-
gestuft hat. Und dabei wurde ebenso übergangen, dass
die Dioxinbelastung der Menschen in Deutschland – gut
zu messen zum Beispiel am Dioxingehalt in der Mutter-
milch – seit 1990 kontinuierlich zurückgegangen und
heute auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzenten liegt.
Die Opposition betreibt politischen Missbrauch auf dem
Rücken der Verbraucher mit dem Ziel, ihre sogenannte
ökologische Agrarwende zu erreichen.
Die Wirklichkeit sieht aber gänzlich anders aus:
Diese von Ihnen angestrebte Ökologisierung der Land-
wirtschaft verteuert Lebensmittel erheblich. Eben in die-
ser Diskussion offenbaren Sie, wie unsozial Grüne, SPD
und Linke eigentlich sind. De facto ist es doch so: Die
moderne arbeitsteilige und intensive Landwirtschaft ist
dafür verantwortlich, dass die Menschen heute nur
11 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben
müssen. Die moderne Landwirtschaft ist unter anderem
dafür verantwortlich, dass die Lebensmittel heute quali-
tativ so hochwertig sind wie nie zuvor.
Die moderne Landwirtschaft produziert für die Ver-
braucher Lebensmittel gut und preiswert. Das nenne ich
wirklich nachhaltig. Verschonen Sie uns also bitte mit
Ihrem Gerede von der Agrarwende.
Niemand will die Situation schönreden. Es hat die
Verunreinigung des Futtermittels mit Dioxin gegeben.
Aber warum war das so? Wir haben es hier mit kriminel-
len Machenschaften Einzelner zu tun. Es geht um indivi-
duelles Versagen, mit erheblichen finanziellen Auswir-
kungen auf viele Tausend ehrlich wirtschaftende
bäuerliche Familien.
Die negative Entwicklung der bäuerlichen Einkom-
men als Folge der Dioxinpanscherei lässt sich schon an
den Schlachtpreisnotierungen für Schweine in den ver-
gangenen Wochen ablesen. Gesperrte Höfe, gesperrte
deutsche Exporte in Drittländer für Schweine- und Ge-
flügelfleisch sprechen eine deutliche Sprache. Hier zeigt
sich, was von der von der Opposition propagierten öko-
logischen Systemwende und den darin verborgenen An-
schuldigungen gegenüber dem modern wirtschaftenden
Bauernstand zu halten ist. Nichts! Die Landwirte und
ihre Familien sind Opfer von Kriminellen, nicht Täter.
Nein, wir brauchen keine Agrarrolle rückwärts. Die
Grundlage der Lebensmittelproduktion ist und bleibt die
intensiv und ertragreich wirtschaftende Landwirtschaft.
Wir müssen vorwärts schauen und vorwärts handeln.
Franz-Josef Holzenkamp
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Was wir, was die Bundesregierung und – das darf nicht
vergessen werden – was auch die EU plant, sind Maß-
nahmen, Schwachpunkte in der Futtermittelproduktion
so weit zu minimieren, dass in Zukunft die Schlupflöcher
für Betrüger noch kleiner werden.
Der erste Umsetzungsblock der Maßnahmen des Ak-
tionsplans der Bundesregierung und der Länder sind
Änderungen im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch.
Diese betreffen insbesondere die Punkte der Melde-
pflicht von privaten Laboren, wenn sie erhöhte Werte bei
ihren Untersuchungen von Futtermittelproben feststel-
len, sowie eine Meldepflicht von internen Untersuchun-
gen, bei denen erhöhte Werte festgestellt worden sind.
Wir wollen bei der Umsetzung der Maßnahmen des
Aktionsplanes eng mit allen beteiligten Fachkreisen zu-
sammenarbeiten, um die Effizienz der Maßnahmen so
weit wie möglich zu steigern, gleichzeitig aber ineffi-
ziente Reibungsverluste zu vermeiden. Deswegen haben
die Fraktionen von CDU/CSU und FDP beschlossen, zu
dem vorgelegten Gesetzentwurf eine öffentliche Anhö-
rung im Agrarausschuss durchzuführen. Danach werden
die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP entschei-
den, ob und, wenn ja, welche Änderungen am LFGB-
Vorschlag der Bundesregierung vorgenommen werden.
Neben den Anpassungen im Rahmen von bereits gel-tenden EU-Verordnungen enthält der Entwurf aus aktu-ellem Anlass des Dioxinskandals auch Regelungen, dieim gemeinsamen Aktionsplan des Bundes und der Län-der „Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel,Transparenz für den Verbraucher“ festgelegt wurden.Dies ist zunächst grundsätzlich zu begrüßen.Die SPD-Bundestagsfraktion hatte umgehend Forde-rungen für Konsequenzen aus dem Dioxinskandal erho-ben und darin unter anderem die jetzt vorgeschriebeneMeldepflicht für private Untersuchungslabore gefordert.Diese sollen jetzt laut Gesetzentwurf bedenkliche Men-gen von gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen, diesie in untersuchten Lebens- und Futtermitteln festge-stellt haben, an die zuständigen Behörden melden. Wirfordern, dass Untersuchungslabore und das Laborper-sonal alle Ergebnisse von Lebensmittel- und Futter-mitteluntersuchungen unmittelbar an die zuständigenÜberwachungsbehörden melden, das heißt, die Rege-lung im Gesetzentwurf der Bundesregierung greift hierzu kurz.Die Verpflichtung von Lebens- und Futtermittelunter-nehmen, Ergebnisse über Eigenkontrollen hinsichtlichDioxinen und Furanen sowie dioxinähnlichen und nicht-dioxinähnlichen polychlorierten Biphenylen an die zu-ständigen Behörden zu melden, ist ebenfalls ein Fort-schritt. Allerdings muss hier noch eine strengere Kon-trolle von Futterfetten vorgeschrieben werden, und dieHersteller müssen verpflichtet werden, jede Charge be-proben zu lassen. Die Futtermittelfette sind als Haupt-eintragsquelle der fettlöslichen Dioxine besonders sen-sibel und deshalb schärfer zu überwachen Auch musseine offene und vollständige Deklaration aller Futter-mittelinhaltsstoffe umgesetzt werden. Damit wird dafürZu Protokollgesorgt, dass nur sichere Bestandteile in die Futtermit-telkette gelangen.Wir erwarten, dass die vom Bundesministerium fürErnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz an-gekündigte Rechtsverordnung für die nicht erwünschtenStoffe umgehend vorgelegt wird, und werden deren In-halt kritisch überprüfen.Die zuständigen Behörden der Länder sollen nach ei-ner Rechtsverordnung die ihnen vorliegenden Untersu-chungsergebnisse über Gehalte an gesundheitlich nichterwünschten Stoffen an das Bundesamt für Verbraucher-schutz und Lebensmittelsicherheit melden. Das Bundes-amt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheiterstellt aus dem gemeinsamen Datenpool vierteljährlicheinen Bericht, sodass der Ausbau eines Frühwarnsys-tems zu begrüßen ist.Allerdings muss auch das Verbraucherinformations-gesetz, VIG, unverzüglich novelliert und an die neuenAnforderungen angepasst werden. Wir wollen, dasssämtliche Untersuchungsergebnisse der betrieblichenEigenkontrollen sowie die staatlichen Untersuchungser-gebnisse in einer Datenbank veröffentlicht werden. Dieshat unabhängig davon zu geschehen, ob Grenzwerte ein-gehalten oder unterschritten wurden.Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in dieLage versetzt werden, dioxin- oder anderweitig belasteteLebensmittel auch unterhalb der erfassten und zulässi-gen Grenzwerte zu meiden. Nach dem derzeitigen Standder wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten mit Dioxinbelastete Lebensmittel unterhalb bestimmter Grenzwerteals ungefährlich. Die Gifte reichern sich jedoch in derNahrungskette an und lagern sich im Fettgewebe ein.Dioxine können vom Körper kaum abgebaut oder ausge-schieden werden. Ziel muss es sein, die Belastung mitDioxin so weit wie möglich zu vermindern.Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Rechtauf diese Informationen, die Novellierung des VIG mussalso schnellstens vorgelegt werden.Die jetzt vorgesehenen Änderungen des Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuches, LFGB, sind deswegennur ein Anfang der erforderlichen Konsequenzen ausdem Dioxinskandal. Auch wenn die Bundesregierungnicht für die Umsetzung aller Punkte des Aktionsplanszuständig ist, muss Frau Aigner für eine zügigere Abar-beitung sorgen und Maßnahmen bei den Ländern oderauf der EU-Ebene einfordern. Die Bundesländer dürfensich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen oder die imAktionsplan vereinbarten Maßnahmen verzögern.Die Einrichtung der zentralen Informationsplattformwww.lebensmittelwarnung.de ist längst überfällig, Ver-braucherinnen und Verbraucher müssen sich ausführ-lich informieren können. Eine bundesweite und zeitnaheAufstellung über Rückrufaktionen, Warnungen, bean-standete Produkte sowie deren Kennnummern und darü-ber, welche Behörde verantwortlich ist, muss öffentlichgemacht werden.Andere dringende und angekündigte Regelungen feh-len ebenfalls noch oder sind gar nicht vorgesehen. Die
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11062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenKerstin Tack
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Durchsetzung einer Positivliste für Futtermittelinhalts-stoffe in Europa muss intensiviert werden; sollte es dortWiderstände geben, muss es eine nationale Liste geben.Einheitliche Kontrollstandards auf europäischer Ebenemüssen eingefordert werden. Eine Senkung der Grenz-werte für Futtermittelausgangsstoffe muss ebenfalls ein-gefordert werden. Ein funktionierendes Rückverfol-gungssystem, ein bundesweit einheitliches Niveau derLebensmittelüberwachung oder neue Haftungsregelnund Strafverschärfungen sind bisher nur angekündigt.Ein Informantenschutz für Mitarbeiter und Beschäftigte,die die zuständigen Behörden über Missstände bei ihrenArbeitgebern informieren, ist von der Bundesregierunggar nicht vorgesehen; deshalb wird die SPD-Bundes-tagsfraktion dazu zeitnah ein eigenes Gesetz einbringen.
Die Belastung von Lebens- und Futtermitteln durchDioxine, wie sie durch das augenscheinlich kriminelleHandeln eines Fettmischbetriebes verursacht wordensind, haben zu Beginn dieses Jahres für große Verunsi-cherung bei den Verbraucherinnen und Verbraucherngesorgt. Viele landwirtschaftliche Betriebe sind existen-ziell in Bedrängnis geraten. Sie sind die eigentlichenOpfer. Zu keiner Zeit sind Menschen gefährdet worden.Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat zu Rechtdarauf hingewiesen, dass die bestehenden Grenzwertekeine toxikologische Bedeutung haben. Sie verfolgendas Ziel, den Gehalt unserer Lebens- und Futtermittelan Dioxinen, die in unserer Umwelt nahezu überall vor-handen sind, möglichst zu minimieren. Dies ist in denletzten beiden Jahrzehnten gut gelungen, denn die Di-oxinbelastung konnte durch technische Maßnahmen aufein Drittel abgesenkt werden.Um solche Vorkommnisse wie zu Beginn diesesJahres zukünftig zu vermeiden, wurde am 18. Januar dieGemeinsame Erklärung des Bundes und der Länder„Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel,Transparenz für den Verbraucher“ mit einem 14-Punkte-Maßnahmenkatalog verabschiedet. Um die ersten Maß-nahmen umzusetzen, hat das Ministerium jetzt in kurzerZeit einen Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderungdes Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, LFGB,erarbeitet. Enthalten sind hier Vorschläge, wie die Ei-genkontrollen bei Futtermittel- und Lebensmittelunter-nehmen transparenter ausgestaltet werden können.Für die FDP-Fraktion steht die Lebensmittelsicher-heit an erster Stelle. Wir unterstützen die Ziele des Akti-onsplans, die Kontrollen von Futter- und Lebensmittelnnoch effizienter und wirksamer zu gestalten. Wir habenin Deutschland heute so sichere Lebensmittel wie nie zu-vor. Dennoch gilt es, auch hier zu prüfen, ob die Qualitätund Dichte der Kontrollen im Hinblick auf die Risikopo-tenziale ausreichend sind. Die Produzenten haben dieVerantwortung für ihre Produkte. Die große Mehrheitder Produzenten nimmt diese Verantwortung sehr ernst.Wir dürfen die Hersteller nicht durch staatlichen Aktio-nismus aus der Eigenverantwortlichkeit für ihreProdukte entlassen. Staatliche Kontrollen können Ei-genverantwortung nicht ersetzen. Die Qualitätssiche-rungssysteme der Lebens- und FuttermittelherstellerZu Protokollmüssen gestärkt und transparenter ausgestaltet werden,um frühzeitig mögliche Belastungen mit unerwünschtenStoffen erkennen zu können. Nur so können potenzielleGefahren für den Verbraucher und die wirtschaftlichenFolgen für Landwirte und Unternehmen so gering wiemöglich gehalten werden.Der LFGB-Entwurf des Ministeriums sieht in § 44eine Meldepflicht für private Laboratorien vor. Bei ver-dächtigen Untersuchungsergebnissen von Lebens- oderFuttermitteln sind die zuständigen Behörden unverzüg-lich zu informieren. Weiterhin sollen Unternehmen ausder Lebens- und Futtermittelbranche mittels des neuen§ 44 a dazu verpflichtet werden, Ergebnisse aus internenEigenkontrollen über eine ganze Reihe von unerwünsch-ten Stoffen an die zuständigen Behörden zu melden.Nach Ansicht der betroffenen Wirtschaftsverbände undder mit den Untersuchungen betrauten Laboratorienstellt der Entwurf eine vollkommene Neuordnung derbisherigen Rechtspraxis dar. Es werden teilweise pro-blematische Auswirkungen auf die Praxis erwartet. Ver-bände äußerten die Besorgnis, dass das Vertrauensver-hältnis zwischen Laboratorien und Herstellern durchdie Auskunftspflicht nachhaltig gestört wird.Wir nehmen diese Einwände sehr ernst. Wir sind al-lerdings der Auffassung, dass zumeist zwischen Produ-zenten und Laboratorien seit vielen Jahren enge ge-schäftliche Verbindungen bestehen, die sich auch unterneuem Recht vertrauensvoll weiterführen lassen.Gleichzeitig handelt es sich bei den hier vorgeschlage-nen Gesetzesänderungen jedoch um eine nationale Son-derregelung im Bereich des Lebens- und Futtermittel-rechtes. Die Gefahr einer Benachteiligung nationalerUnternehmen und ein Ausweichen auf Laboratorien inanderen EU-Staaten kann daher nicht ausgeschlossenwerden.Die grundlegende Idee des neuen § 44 a, über dieMitteilungspflicht von Untersuchungsergebnissen zu ge-sundheitlich nicht erwünschten Stoffen eine bessere Da-tengrundlage zu erhalten und mögliche Belastungsquel-len besser abschätzen zu können, ist sinnvoll. Allerdingswerden hier ungefiltert riesige Datenmengen, die keinstatistisch abgesichertes Bild der Situation liefern kön-nen, von nichtöffentlichen Stellen erhoben und beimBundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-cherheit, BVL, gesammelt. Diese Daten stammen aussehr verschiedenen Quellen, haben unterschiedlicheQualitäten und führen nach Ansicht der Verbände zu ei-nem erheblichen bürokratischen Mehraufwand bei denUnternehmen. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass einBearbeiten der Daten, was Voraussetzung für derensinnvolle Nutzung ist, nur unter einem erheblichen per-sonellen Mehraufwand durch die Behörden zu bewerk-stelligen ist. Angesichts der Haushaltssituation und dergegebenen hohen Lebensmittelsicherheit muss hinter-fragt werden, ob dies zielführend ist.Ein gut durchdachtes Vorbild stellt das Deutsche Le-bensmittel-Monitoring dar, das 1995 eingeführt wurde.In einem festgelegten Kontrollplan werden Daten zurBelastung von Lebensmitteln, Kosmetika und Bedarfsge-genständen erhoben. Grundlage ist ein repräsentativer
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11063
gegebene RedenDr. Christel Happach-Kasan
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Warenkorb, der aufgrund einer Risikoabschätzung aufunterschiedliche unerwünschte Stoffe wie Mykotoxine,Schwermetalle, Rückstände von Pflanzenschutzmittelnund andere getestet wird. In der Allgemeinen Verwal-tungsvorschrift Monitoring wird nach einem statistischvaliden Verfahren jeweils für fünf Jahre festgelegt, wel-che Stichproben zu welchem Zeitpunkt gezogen werdenmüssen und auf welche Stoffe dabei untersucht werdensoll. Jährlich werden 9 000 Untersuchungen bei Lebens-mitteln auf die festgelegten Stoffe durchgeführt. DasBeispiel des Lebensmittel-Monitorings zeigt: Nur wennsolche Daten mit Sinn und Verstand erhoben werden,können aus unserer Sicht nachvollziehbare, belastbareSchlüsse gezogen werden.Die Dioxinfunde am Anfang des Jahres, welche dieVerbraucherinnen und Verbraucher verunsichert haben,erforderten schnelles und entschlossenes Handeln. DieKoalition wird dafür Sorge tragen, dass die Maßnahmendes 14-Punkte-Plans rasch umgesetzt werden können.Dennoch darf die Gründlichkeit nicht der Schnelligkeitgeopfert werden. Deshalb werden wir einzelne De-tailfragen in einer Anhörung mit Fachleuten erörtern.Gemeinsam gilt es zu prüfen, wie eine Datenerhebungaus Eigenkontrollen und unter Berücksichtigung derGrundsätze des Datenschutzes effizient und zielgerichtetvorgenommen werden kann.
Der Lobbyistenverband der Ernährungsindustrie, derBLL, rühmt sich öffentlich damit, die Erstellung des hiervorliegenden Gesetzentwurfes stark beeinflusst zu ha-ben. Bei näherem Hinsehen wird auch klar, warum. Nur2 der 14 Punkte, die im Laufe des Dioxinskandals zwi-schen der Bundesregierung und den Ländern vereinbartwurden, sollen jetzt gesetzlich geregelt werden, und dasauch nur zu Teilen. Wesentliche Teile des „AktionsplansVerbraucherschutz“ sollen nämlich am Parlament vor-bei per Verordnung durch das Ministerium allein gere-gelt werden. Lobbyisten, die im Hause Aigner ein undaus gehen, haben damit mehr mitzureden als der Deut-sche Bundestag. Das ist nicht hinnehmbar.Gut an dem wenigen, das nun geregelt wird, ist: Pri-vate Labore, die im Auftrag von Unternehmen Schad-stoffuntersuchungen durchführen, müssen bedenklicheMengen künftig direkt an die Behörden melden. DieLinke findet es richtig, dass private Labore der Lebens-mittelanalyse stärker in die Verantwortung genommenwerden. Im Dioxinskandal waren einem solchen Labordie hohen Dioxinwerte der Verursacherfirma Harles undJentzsch bereits im März 2010 bekannt. Hätten die Be-hörden davon gewusst, wäre der Dioxinskandal einDreivierteljahr später vermeidbar gewesen. Die Mel-dung der Daten ist also eine wichtige Information für dieÄmter, darf jedoch nicht die einzige sein.Deshalb ist auch gut: Die Unternehmen werden ver-pflichtet, alle durchgeführten Schadstoffmessungen– auch mit unbedenklichem Ergebnis – an die Behördenzu übermitteln. Doch schon dieser Punkt geht der Le-bensmittellobby zu weit. Bei der anstehenden Anhörungzum Änderungsgesetz soll erreicht werden, dass die Äm-Zu Protokollter keine Informationen über die tatsächliche Belastungunserer Lebensmittel erhalten. Ich sage: Lebensmittelsind kein Betriebsgeheimnis. Wer hier etwas verheim-licht, will den Verbraucherinnen und Verbrauchern et-was vormachen. Die Linke wird sich deshalb nicht überden Tisch ziehen lassen. Wir wollen echte Verbraucher-informationen.An diesem Gesetzentwurf wird deutlich, dass FrauAigner wieder nur Ankündigungsministerin ist. In ihremHause bestimmen offenbar andere die Richtung. DieLinke fordert, dass aus dem Dioxinskandal endlich dierichtigen Konsequenzen gezogen werden.Erstens. Die Lebensmittel- und Futtermittelkontrollemuss systematisch zusammen mit den Bundesländernweiterentwickelt werden. Dazu sind die Eigenkontrollender Futter- und Lebensmittelbetriebe zu verbessern. Be-triebliche Zertifizierungssysteme sind entlang der ge-samten Erzeugungskette nach strengen gesetzlichen Vor-gaben zu regeln und zu überwachen. Sie müssenErzeugungsformen und betriebswirtschaftliche Risikenerfassen und eine durchgängige Dokumentationspflichtbeinhalten. Dazu muss für jede Futtermittelcharge vorder Verarbeitung ein Test die Unbedenklichkeit belegen.Wichtig ist auch: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dieBehörden auf Missstände in Betrieben hinweisen, sollennach dem Vorbild von Großbritannien und den USA alsHinweisgeber gesetzlichen Schutz erhalten.Auch die staatlichen Kontrollen sind zu stärken: Diebehördliche Lebensmittelüberwachung muss die Wirk-samkeit betrieblicher Zertifizierungssysteme überwa-chen sowie Risiken und Lücken in der Branche frühzei-tig erkennen und schließen können. Dazu sind siepersonell und finanziell abzusichern. Der Bund soll dieZusammenarbeit der Länder besser fördern. Der jeweilsbeste Standard im Bereich der Lebensmittel- und Futter-mittelüberwachung in einem einzelnen Bundesland istdeutschlandweit zum Maßstab zu machen. Die Koordi-nation auf Bundesebene ersetzt dabei nicht die Verant-wortung in den Ländern. Die Behörden müssen im Ver-dachtsfall ungehinderten Zugang zu allen Betriebsdatenerhalten, die die Erzeugungskette betreffen.Zweitens. Mängel in der Lebensmittel- und Futtermit-telerzeugung müssen systematisch behoben werden.Dazu ist eine verpflichtende Positivliste bei Futtermit-teln für Roh- und Zuschlagsstoffe auf EU-Ebene einzu-fordern. Betriebe sollen durchgängig nach Lebensmit-telerzeugung und technischer Produktion getrennt sein.Alle tierischen Fette zur industriellen Verarbeitung sindam Herstellungsort durch Einfärbung kenntlich zu ma-chen. Regionale Erzeugerkreisläufe und betriebseigeneErzeugung von Futtermitteln sollen durch ein Förder-programm des Bundes gezielt gefördert werden. Dasverkürzt die Lebensmittelkette, mindert die Eintragsrisi-ken und erleichtert die Nachvollziehbarkeit der Erzeu-gungskette.Drittens. Die Verbraucherinformation muss erheblichverbessert werden. Die Herkunft der Zutaten in den Le-bensmitteln sowie die Verarbeitungsbetriebe müssenauch für die Verbraucherinnen und Verbraucher nach-vollziehbar sein. Daten der Behörden und Betriebe sind
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11064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenKarin Binder
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kein Betriebsgeheimnis, sondern eine wichtige Verbrau-cherinformation. Dazu muss das Verbraucherinforma-tionsgesetz verbessert werden: Die zuständigen Behör-den sollen von sich aus über Produkte bzw. Erzeugnisseund Hersteller informieren, wenn Anhaltspunkte für eineGesundheitsgefährdung vorliegen. Verbraucherinnenund Verbraucher sollen auch gegenüber Unternehmenein direktes Auskunftsrecht, beispielsweise zur gesamtenHerstellungs- und Lieferkette sowie über die Einhaltungvon Umwelt- und Sozialstandards, erhalten.Viertens. Die Bundesregierung muss die Vorausset-zungen für eine systemübergreifende Forschung schaf-fen, in der die vielfältigen Fachkenntnisse zusammen-fließen, und ein Forschungsprogramm aufsetzen.Fünftens. Die Verfolgung und Ahndung von Lebens-mittelkriminalität ist zu verbessern, indem ein Förder-programm für Fachleute zur Erkennung von Straftatenin der Lebensmittelbranche aufgelegt wird und die Straf-normen im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchhandhabbarer gestaltet werden. Außerdem sollte derStrafrahmen bei Verstößen gegen das Lebensmittel- undFuttermittelrecht angemessen erhöht werden.Sechstens. Für die vom Dioxinskandal betroffenenLandwirtschaftsbetriebe, die keine Möglichkeit hatten,sich der Krise zu entziehen, sollen unverzüglich Ent-schädigungsleistungen zum Beispiel über die landwirt-schaftliche Rentenbank ermöglicht werden. Per Gesetzsollte für zukünftige Schadensfälle ein Ausgleichsfondsgeschaffen werden, der von der Futtermittelindustrieüber Abgaben aus dem Handel mit Futtermittelchargenfinanziert wird. So sieht ein Aktionsplan für den Schutzder Verbraucherinnen und Verbraucher aus.
Die Aufnahme der Meldepflicht für Labore und dievorgesehene Erweiterung des Dioxinmonitorings überdas LFGB ist eine richtige Konsequenz aus den Skanda-len um Lebens- und Futtermittel und speziell dem jüngs-ten Dioxinskandal. Die Ministerin setzt damit einen Teildes von Bund und Ländern beschlossenen Aktionsplanszur Bewältigung der Dioxinkrise um.Allerdings haben sich Bundesministerin Ilse Aignerund ihre bis vor kurzem für den Verbraucherschutz zu-ständige Staatssekretärin Julia Klöckner mit der LFGB-Änderung nur die kleinsten und unwichtigsten Punkteaus dem von Nordrhein-Westfalens Minister JohannesRemmel entwickelten Aktionsplan ausgesucht. Die we-sentlich relevantere Rechtsverordnung zur Zulassungs-pflicht für Futtermittelhersteller, Trennung der Futter-mittelproduktion von der Produktion für die technischeIndustrie oder zu verschärften Vorgaben für die Eigen-kontrollsysteme teilt weiterhin das Schicksal der meistenAigner-Initiativen: Sie bleibt eine Ankündigung.Zurück zum Gesetzentwurf. Angesichts der bekanntenSympathien von Ministerin Aigner für die Eigenkontroll-systeme der Wirtschaft ist zu befürchten, dass die Melde-pflicht für private Labore einer erneuten Verlagerungder Lebens- und Futtermittelüberwachung aus demstaatlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich Vor-Zu Protokollschub leisten soll. Meldepflichten für private Laborekönnen und dürfen aber die notwendigen Verbesserun-gen des Lebens- und Futtermittelkontrollsystems nichtersetzen. Wir haben zum Beispiel in Rheinland-Pfalznach wie vor viel zu wenige Kontrolleure. Im Schnitt ge-rade einmal 2,27 Kontrolleure sollen dort 1 000 Unter-nehmen pro Jahr überwachen, was auch der Landes-rechnungshof bereits monierte. Der Anteil derVerdachtsproben an allen erhobenen Proben liegt mitnur 10,9 Prozent weit unter den vorgesehenen 20 Pro-zent. Die von Frau Aigner vorgeschlagene Verbesserungder Kontrollqualität durch länderübergreifende Evalu-ierungen wird dieses Problem nicht lösen, hier muss derBund weiter auf die Länder einwirken und gleichzeitigdurch intelligente Ressourcennutzung Unterstützungleisten, zum Beispiel durch länderübergreifende Refe-renzlabore oder eine Bundesunterstützung bei der Aus-und Weiterbildung von Kontrolleuren.Trotz Verbesserungen bei Melde- und Überwachungs-systemen sperrt sich die Bundesregierung weiter gegendas wirksamste Kontrollinstrument überhaupt: gut in-formierte Verbraucher, die durch ihre Kaufentscheidungdirekt die Marktentwicklung beeinflussen. Wir habendazu im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz, aber auch in verschiedenen Anträ-gen mehrfach die Erweiterung des Verbraucherinforma-tionsgesetzes um den direkten Informationsanspruch derVerbraucher gegenüber Unternehmen gefordert. Damitwären die Konsumenten nicht länger vom oft wenig um-fassenden oder aktuellen Informationsstand der Behör-den abhängig, und die Unternehmen hätten mehr direkteKundenresonanz – ein wichtiger Erfolgsfaktor für eineauch ökonomisch nachhaltige Entwicklung.Auch die laut einer Umfrage von 93 Prozent der Be-völkerung gewünschte Veröffentlichung von Kontroll-ergebnissen in Form eines „Smiley“ nach dänischemVorbild wird von der Bundesregierung nicht aktiv unter-stützt. Die Verbraucherschutzminister der Länder muss-ten Aigner mit ihrem Beschluss auf der VSMK im Sep-tember 2010 erst zu einer bundesweiten Umsetzung desSmiley-Konzeptes zwingen.Die entscheidende Schwäche von Aigners undKlöckners Reaktion auf die Dioxinkrise liegt jedoch inder Weigerung der Bundesregierung, die fundamentalenFehlentwicklungen in der Lebensmittelproduktion über-haupt wahrzunehmen, geschweige denn, sie zu beenden.Es handelt sich um die industrielle Futtermittelproduk-tion und die Massentierhaltung ohne Flächenbindung,den Import von gentechnisch veränderten Futtermittelnmit verheerenden Auswirkungen für Mensch und Um-welt in den Anbauländern verbunden mit der fallendeneinheimischen Erzeugung von Eiweißfuttermitteln, dendramatischen Verlust an Biodiversität durch viel zu engeFruchtfolgen, den weltweiten Einsatz von Pestiziden inAcker- und Gartenbau und die Verwendung von 300 Le-bensmittelzusatzstoffen in der industriellen Lebensmit-telproduktion als billigen Ersatz für hochwertige, natür-liche Zutaten.Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt endlich dierichtigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11065
gegebene Reden
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11066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Ulrike Höfken
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ökologische und bäuerliche Landwirtschaft zu setzen,die uns auch langfristig mit gesunden und sicheren Le-bensmitteln versorgen kann. Frau Aigner darf nicht län-ger nur an den Symptomen herumdoktern und auf die In-tensivierung der Produktion setzen, zum Beispiel bei derFörderung der Konzentration in der Milchwirtschaftoder der Produktion von Schweine- und Geflügelfleischfür den Export. Sonst werden wir auch in Zukunft immerwieder mit Skandalen konfrontiert werden, deren Folgenin der Regel nicht die Verursacher, sondern die Land-wirte und Verbraucher tragen müssen. Die Überarbei-tung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches werdenwir weiter kritisch begleiten und fordern zu diesemThema eine öffentliche Anhörung.
Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Druck-
sache 17/4984 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstan-
den. Dann ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 23:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Birgitt Bender, Cornelia Behm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Umsetzung der EU-Health-Claims-Verord-
nung voranbringen
– Drucksachen 17/4015, 17/4892 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Kerstin Tack
Dr. Christel Happach-Kasan
Karin Binder
Ulrike Höfken
Ihre Reden zu Protokoll geben die Kolleginnen und
Kollegen Stauche, Tack, Geisen, Binder und Höfken.
Wir beraten heute einen Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen, der die Bundesregierung auffordert, sich für
eine zügige Umsetzung der Health-Claims-Verordnung
einzusetzen. Die Unionsfraktion lehnt diesen Antrag ab.
Die Gründe haben wir schon während der Ausschusssit-
zung erörtert ich möchte aber die Gelegenheit nutzen,
sie an dieser Stelle zu wiederholen.
Um die Health-Claims-Verordnung umzusetzen, be-
darf es eines Verordnungsentwurfes der EU-Kommis-
sion, der dem Europäischen Parlament und den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union vorgelegt werden
muss. Einen solchen gibt es allerdings noch nicht. Das
bedeutet, dass die derzeitigen Einflussmöglichkeiten der
Bundesregierung stark eingegrenzt sind. Wir müssen
also warten, bis ein konkreter Vorschlag vorliegt. Die-
sen können oder, anders, diesen werden wir dann ge-
meinsam beraten und, wenn nötig, an der einen oder an-
deren Stelle ändern. Denn sowohl der Bundesregierung
als auch der Koalition ist an einer vernünftigen und wis-
senschaftsbasierten Kennzeichnung gelegen. Dass es in
diesem Punkt, was tatsächlich vernünftig ist, weit aus-
einandergehende Ansichten gibt, ist ja hinlänglich be-
kannt. Wobei ich anmerken möchte, dass ich bei den
Farbenspielen der Opposition in Sachen Lebensmittel-
kennzeichnung weniger an Vernunft denn an Verwirrung
denke, aber das nur am Rande.
Sie fordern in Ihrem Antrag, die EFSA im Hinblick
auf Unabhängigkeit und Transparenz zu reformieren.
Ich weiß gar nicht, warum das notwendig sein soll. Die
Unabhängigkeit der EFSA ist durch eine Reihe von Kon-
trollmechanismen gesichert. Ich denke da an den wis-
senschaftlichen Ausschuss und die wissenschaftlichen
Gremien, die sich aus unabhängigen Experten zusam-
mensetzen. Diese Experten müssen Interessen- und Un-
abhängigkeitserklärungen abgeben, die veröffentlicht
werden. Dadurch ist Transparenz geboten. Oder wollen
Sie mir erzählen, dass ein Wissenschaftler oder Experte
bei einem Verstoß gegen diese Erklärungen nicht sofort
am digitalen Pranger stehen würde?
Auch die Unionsfraktion ist der Meinung, dass nicht
nur bei Lebensmittelzusatzstoffen zu technologischen
Zwecken, sondern auch bei Stoffen, die zu anderen Zwe-
cken Lebensmitteln zugesetzt werden, der Schutz von
Verbraucherinnen und Verbrauchern vor gesundheitli-
chen Schäden und vor Irreführung sichergestellt werden
muss. Solche Stoffe bedürfen nach lebensmittelrechtli-
chen Vorschriften – bis auf einige wenige Ausnahmen –
einer grundsätzlichen Zulassung. Eine solche Zulassung
wird nur dann erteilt, wenn sich bei der gesundheitli-
chen Bewertung des Stoffes – beispielsweise durch das
Bundesinstitut für Risikobewertung – keine Bedenken
hinsichtlich der Sicherheit ergeben. Ich möchte noch
darauf hinweisen, dass bei der Verwendung von arznei-
lichen Wirkstoffen zu überprüfen ist, ob das Erzeugnis
nicht als Arzneimittel einzustufen ist und damit dem Arz-
neimittelrecht unterliegt. Ich möchte hier noch einmal
darauf hinweisen, dass Lebensmittelrecht und Arznei-
mittelrecht strikt getrennt sind. Das ergibt sich aus den
arzneimittelrechtlichen und den lebensmittelrechtlichen
Bestimmungen und hat zur Folge, dass ein als Arznei-
mittel eingestuftes Erzeugnis kein Lebensmittel sein
kann und umgekehrt.
Zum Thema Health Claims fällt mir noch ein Spruch
ein, den mir ein sehr geschätzter Kollege einmal auf-
sagte: Gesundheit erwirbst du nicht im Handel, sondern
nur durch Lebenswandel!
Wir lehnen den Antrag der Opposition ab. Wir setzen
uns aber, wie erwähnt, für eine übersichtliche, wissen-
schaftsbasierte Lebensmittelkennzeichnung ein, ohne
den Verbraucher zu bevormunden. Das hat sehr viel mit
unserem Leitbild vom mündigen Bürger zu tun. In die-
sem Fall wäre es der mündige Konsument oder Verbrau-
cher, der – gut informiert – selbst entscheidet, welches
ordentlich gekennzeichnete Produkt er kauft oder zu sich
nimmt.
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Gegen die Stimmen der Oppositionsparteien haben
die Koalitionsfraktionen den Antrag im Ausschuss abge-
lehnt. Die SPD-Fraktion hat den Antrag unterstützt;
denn auch wir sind der Meinung, dass sich die Bundes-
regierung für eine zügige Umsetzung der noch offenen
Teile dieser EU-Verordnung von 2007 einsetzen soll. Mit
der Verordnung soll sichergestellt werden, dass künftig
Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel nur dann
mit gesundheitsbezogenen Angaben versehen und be-
worben werden dürfen, wenn diese Angaben auch wis-
senschaftlich belegt sind. Die erforderliche Festlegung
der Nährwertprofile für die einzelnen Lebensmittelgrup-
pen durch die EU-Kommission steht aber noch aus.
Diese Profile sollen absichern, dass Lebensmittel, die
mit positiven Gesundheitseffekten beworben werden,
nicht gleichzeitig Nährstoffe enthalten, deren übermäßi-
ger Verzehr mit chronischen Krankheiten in Verbindung
gebracht werden kann. Der Schutz der Verbraucherin-
nen und Verbraucher vor irreführenden oder falschen
Angaben wird damit verbessert.
Auch wir meinen, dass Werbung für Lebensmittel mit
gesundheitsbezogenen Aussagen wie zum Beispiel „gut
für den Knochenbau“ oder „stärkt die Abwehrkräfte“
nur dann zulässig sein darf, wenn das beworbene Le-
bensmittel kein ungünstiges Nährwertprofil hat und die
Werbeaussagen wissenschaftlich belegbar sind. Ver-
braucherinnen und Verbrauchern soll nicht vorgegau-
kelt werden können, Süßigkeiten oder „Dickmacher“
seien gesund, nur weil sie viel Kalzium oder Vitamine
enthalten.
Handlungsbedarf besteht auch im Grenzbereich zwi-
schen Arzneimitteln und Lebensmitteln. Wir meinen,
dass arzneilich wirkende Stoffe in Lebensmitteln nichts
zu suchen haben. Beimischung von Arzneimitteln in Le-
bensmittel, die einen positiven Nutzen versprechen, darf
nicht genehmigt werden. Denn durch eine Aufweichung
der Grenze zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln
besteht die Gefahr einer Überversorgung mit bestimm-
ten Inhaltsstoffen, die schädlich sein kann. In Deutsch-
land verschreibungspflichtige Stoffe dürfen nicht über
die EU-Ebene in Lebensmitteln genehmigt werden. Eine
Berücksichtigung der unterschiedlichen Arzneimittel-
verordnungen der Mitgliedstaaten muss also auch erfol-
gen, und es müssen klarere Vorgaben von der Kommis-
sion gemacht werden.
Wir begrüßen im Grundsatz das Ziel der Health-
Claims-Verordnung, und eine zügige Festlegung der
Nährwertprofile ist auch aus unserer Sicht erforderlich.
Auch die vom Ausschuss durchgeführte Expertenanhö-
rung am 6. Oktober 2010 hat dies gezeigt. In der Anhö-
rung wurde deutlich, dass strenge Nährwertprofile not-
wendig sind. Die Überlegungen der EU-Kommission
sind dafür aus unserer Sicht noch nicht ausreichend.
Denn danach könnten zum Beispiel nach Berechnungen
aus Großbritannien zwei Drittel der verzehrten Lebens-
mittel als gesund beworben werden, wenn sie nur einen
besonderen Vitaminzusatz enthalten. Wir fordern die
EU-Kommission auf, dem Druck der Lebensmittelindus-
trie nicht nachzugeben, andernfalls können die ur-
sprünglichen Ziele der Health-Claims-Verordnung nicht
Zu Protokoll
erreicht werden. Dafür muss sich auch die Bundesregie-
rung einsetzen.
Die Prüfung der sogenannten Health Claims durch
die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit,
EFSA, läuft noch immer, dabei werden aber auch nur die
Eigenangaben der Antragsteller kontrolliert und auf po-
sitive Wirkung geprüft. Da aber durchaus die Möglich-
keit besteht, dass bestimmte Nährstoffe je nach Verbrau-
cher sowohl positive als auch negative Wirkungen haben
können, wäre aus unserer Sicht auch eine Bewertung ei-
nes Nutzen-Risiko-Profils sinnvoll. Als Beispiel dafür
möchte ich Kalzium anführen: Es kann die Knochenge-
sundheit fördern, bei Risikogruppen aber durchaus auch
das Herzinfarktrisiko erhöhen.
Von den mehr als 44 000 bei der EFSA eingereichten
Anträgen konnten bei circa 80 Prozent keine überzeu-
genden Belege für gesundheitsfördernde Auswirkungen
gefunden werden; einige Hersteller haben Anträge aus
Angst vor Imageverlust auch selbst zurückgezogen. Die
zu bewertenden restlichen 4 600 Claims sind in der Prü-
fung. Nach jetzigem Stand will die EFSA bis Ende Juni
2011 die Bewertung aller gesundheitsbezogenen Anga-
ben über allgemeine Funktionen – mit Ausnahme der
Angaben über pflanzliche Stoffe – abschließen. Die EU-
Kommission wird dann eine Liste mit ihren Empfehlun-
gen vorlegen. Die Mitgliedstaaten und das Europäische
Parlament müssen danach entscheiden.
Wir fordern zusätzlich die Einrichtung eines Regis-
ters, in dem alle Studien über gesundheitsbezogene An-
gaben transparent und für jedermann zugänglich aufge-
listet werden. Auch muss sichergestellt sein, dass eine
laufende Überprüfung der bereits genehmigten Claims
erfolgt. Durch ständige Forschung ist es durchaus mög-
lich, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse für be-
stimmte Nährstoffe gewonnen werden. Nachträgliche
Veränderungen der Bewertung durch die EFSA müssen
also möglich sein. Ein kontinuierliches Studienmonito-
ring sollte deshalb vorgeschrieben werden.
Ich hoffe sehr, dass die jetzt angekündigten Zeitanga-
ben der EFSA zu halten sind; denn Irreführung oder
Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher
durch nicht erwiesene gesundheitsbezogene Werbeaus-
sagen muss bald beendet werden.
Auch die Bundesregierung sollte im Interesse der Ver-
braucherinnen und Verbraucher auf eine schnelle Lö-
sung dringen und sich für eine zügige Umsetzung der
Nährwertprofile einsetzen. Da wir bereits im Ausschuss
dem Antrag der Grünen zugestimmt haben, können wir
die Beschlussempfehlung des Ausschusses nicht mittra-
gen und lehnen sie somit ab.
Die im Jahr 2006 erlassene Health-Claims-Verord-nung der EU, die gesundheitsbezogene Werbeaussagenauf Lebensmittel reguliert, hat schon jetzt zu überbor-dender Bürokratie geführt. Die jetzt diskutierte Defini-tion von Nährwertprofilen für unterschiedliche Lebens-mittelgruppen ist hochumstritten. Es ist nahezuunmöglich, wissenschaftlich festzulegen, wann ein Pro-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11067
gegebene RedenDr. Edmund Peter Geisen
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dukt beispielsweise wegen seines Fett- oder Zuckerge-halts als ungesund gilt, weil Kinder, Jugendliche,Erwachsene und Senioren sehr unterschiedliche Anfor-derungen an den Nährwertgehalt von Lebensmitteln ha-ben. Dazu kommen auch noch die individuellen Bedarfeund Grenzwerte.Zwar ist unbestritten, dass ein hoher Salzkonsum amAuftreten bestimmter Krankheiten beteiligt ist. InDeutschland ist zum Beispiel der durchschnittliche Salz-konsum pro Person mehr als doppelt so hoch, wie es ausgesundheitlicher Sicht von der Weltgesundheitsorgani-sation, WHO, empfohlen wird. Dies hat bei salzempfind-lichen Personen erhebliche negative Auswirkungen fürdie Gesundheit. Dass aber Maßnahmen auf Grundlageder Health-Claims-Verordnung zu einer Minderung desSalzkonsums führen, ist nach Einschätzung von Exper-ten nicht zu erwarten. Hier fühlen wir uns als FDP-Fraktion bestätigt.Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion istnach der gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland si-chergestellt, dass Werbeaussagen nicht irreführend seindürfen. Deshalb geht ein generelles Verbot gesundheits-bezogener Werbung im Rahmen der Health-Claims-Ver-ordnung, wie es Bündnis 90/Die Grünen im vorliegen-den Antrag zum Beispiel für die Kategorie der Süßwarenfordern, zu weit. Wir setzen uns stattdessen für eine wis-senschaftsbasierte Kennzeichnung ein.In diesem Zusammenhang ist auch die Behauptungvon Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen, bei der Euro-päischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA,gebe es ein Defizit an Transparenz und Wissenschaft-lichkeit. Im Gegenteil: Gerade weil sich diese Behördenicht den ideologisierten Forderungen anschließt, ar-beitet sie wissenschaftlich und nicht ideologisch beein-flussbar.Ich halte es im Übrigen auch für heikel, über die Um-setzung der EU-Health-Claims-Verordnung zu diskutie-ren, wenn überhaupt noch kein Verordnungsentwurf sei-tens der EU vorliegt. Für meine Fraktion ist von daherdie intensive Befassung mit dieser Verordnung verfrüht.Wir können ihn erst dann beraten, wenn er tatsächlichvorliegt. Alles andere ist zunächst einmal Spekulation.Absehbar ist aber schon jetzt, dass mit dieser Verord-nung ein Bürokratiemonster droht. Denn mit der Defini-tion von Nährwertprofilen besteht die Gefahr, dasskleine und mittlere Unternehmen durch kostspielige, bü-rokratische Zulassungsverfahren von der Nutzung ge-sundheitsbezogener Aussagen ausgeschlossen werden.Das wollen wir, das müssen wir verhindern. Die Priori-tät muss auf einer gesunden Ernährung liegen und nichtauf der Mehrung der Bürokratie. Nicht zuletzt liegt eineklare Kennzeichnung im Interesse der Unternehmen, diesonst Gefahr laufen, das Vertrauen ihrer Kunden zu ver-spielen. Deswegen wird die FDP gemeinsam mit Unter-nehmen nach den besten Lösungen für dieses Thema su-chen.In einem Punkt allerdings erhält der Antrag unserevolle Zustimmung, und zwar bei der Forderung nach ei-ner klaren Trennung von Lebens- und Arzneimitteln.Zu ProtokollHier gilt es wirklich zu prüfen, inwiefern die bisherigenRegelungen zum Zusatz von arzneilichen Wirkstoffen zuLebensmitteln ausreichen, um die Verbraucherinnen undVerbraucher vor Täuschung zu schützen. Es dürfen keineAnreize zur Entwicklung einer Pharma-Lebensmittel-Sparte gegeben werden. Insgesamt jedoch lehnen wirden vorliegenden Antrag aus den oben von mir darge-legten Gründen ab.
Der Werbeschwindel im Supermarkt ist besonders beiLebensmitteln groß. So verspricht etwa ein Schokoriegeleine „Extra-Portion-Milch“ mit viel gutem Kalzium.Die Wahrheit: Erst 13 Riegel würden den Tagesbedarfeines Kindes an Kalzium decken. Das bedeutet abergleichzeitig: 48 Würfelzucker und ein halbes Paket But-ter. Ein Fruchtgetränk wurde als „gesunder Durstlö-scher“ für Kinder beworben. Tatsächlich enthielt dasGemisch aus Wasser und Saftkonzentrat nicht nur um-strittene Süßstoffe, sondern auch jede Menge zahn-schädliche Citronensäure. Gerade Produkte für Kinderwerden oft als gesund beworben, obwohl sie nicht aufdie Ernährungsbedürfnisse von Kindern abgestimmtsind. So werden Mini-Würstchen als „täglicher Beitragfür die gesunde Ernährung“ angepriesen. Angesichts ei-nes völlig überhöhten Salzgehaltes kann davon aberkeine Rede sein.Lebensmittel wie Joghurt, Margarine oder Müsli un-terstellen mittels Werbung Gesundheit, ohne dies zu be-legen. Sie können angeblich Knochen und Abwehrkräftestärken, das Wohlbefinden beleben oder die Darmflorains Gleichgewicht bringen. Glaubt man den Herstellern,dann können wir mithilfe solcher Produkte unsere Ge-sundheit regeln. Häufig sind sie im Vergleich zu norma-lem Essen aber doppelt so teuer. Der einzige Zusatznut-zen liegt meist darin, dass sie die Kassen derLebensmittelhersteller füllen. Gesund sind hingegenvorwiegend frisch zubereitete Lebensmittel und eine ab-wechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Curry-wurst und Schokolade gehören gelegentlich genausodazu wie der frische Apfel. Produkte mit Gesundheits-versprechen hingegen fördern einseitiges Essen undFehlernährung.Den haltlosen Gesundheitsversprechen der Herstel-ler soll mit der sogenannten Health-Claim-Verordnungdurch die EU Einhalt geboten werden. In Zukunft darfnur noch auf den Verpackungen stehen, was wissen-schaftlich bewiesen ist. So sollen der Wildwuchs an Wer-beaussagen eingedämmt und die Verbraucherinnen undVerbraucher vor irreführender Werbung geschützt wer-den.Die Linke bewertet die gesundheitsbezogene Wer-bung von Lebensmitteln grundsätzlich kritisch. Lebens-mittel sind keine Arzneimittel. Der angebliche Zusatz-nutzen dient vor allem der Absatzförderung in einemübersättigten Lebensmittelmarkt. Die Lebensmittelkon-zerne locken mit Nahrung fürs schlechte Gewissen – unddas, obwohl viele Verbraucherinnen und Verbraucherweder einen hohen Cholesterinspiegel haben noch zu-sätzliche Vitamine benötigen. Laut Schätzungen der
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11068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenKarin Binder
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Branche erwartet man von den „funktionellen Lebens-mitteln“ einen Marktzuwachs auf 90 Milliarden Dollarbis 2013. Diese Zahl steht für einen dreisten Versuch derorganisierten Verbrauchertäuschung.Dennoch kann die Health-Claims-Verordnung in derjetzigen Fassung die Wildwüchse gesundheitsbezogenerWerbung in vernünftige Bahnen lenken. Denn die bishe-rige Bilanz der Bewertung der von den Lebensmittelher-stellern beantragten Claims ist verherrend. Bei rund80 Prozent der Werbebotschaften suchte die internatio-nale Expertengruppe der EFSA – das ist die europäischeBehörde für Lebensmittelsicherheit – vergebens nachBelegen für die heilsame Wirkung mancher Vitamineund Mineralien. In Zukunft sollen sich die Verbrauche-rinnen und Verbraucher darauf verlassen können, wasauf der Packung steht. Das ist der Wille der EFSA. DieLinke unterstützt deshalb die Verordnung ausdrücklich.Wichtig bei der Beurteilung von Lebensmitteln istaber nicht nur der wissenschaftliche Nachweis, ob einbehaupteter Zusatznutzen tatsächlich gesundheitsför-dernd oder krankheitshemmend ist. Die Voraussetzungfür Lebensmittelwerbung muss auch an die Frage ge-knüpft werden, ob das Produkt insgesamt gesund ist. Da-her werden sogenannte Nährwertprofile erstellt. Sie be-schreiben die gesamte Nährstoffzusammensetzung einesLebensmittels. So können die Grenzen festgelegt werden,ab denen nährwert- oder gesundheitbezogene Angabennicht verwendet werden dürfen. Nährwertprofile verhin-dern also, dass unausgewogenes Essen mit gesundheits-bezogenen Aussagen beworben wird. Das stößt den Le-bensmittelkonzernen sauer auf, weshalb sie die Profilezum Schaden der Verbraucherinnen und Verbraucheraufweichen wollen.Einige Kompromisse haben einen allzu merkwürdi-gen Beigeschmack: Zukünftig sollen Produkte, die vielSalz, Zucker oder Fett enthalten, nur eingeschränkt mitpositiven Gesundheitsversprechen beworben werdenkönnen. Beispiel: Ein Fruchtgummi, der mit „fettarm“beworben werden soll, aber viel Zucker enthält, mussnunmehr ausdrücklich auf den hohen Zuckergehalt hin-weisen.Diese Regelung trägt deutlich die Handschrift der Le-bensmittellobby. Die Linke fordert, dass Süßwarengrundsätzlich nicht als gesund beworben werden dürfen.Sie dienen nicht der gesunden Ernährung – ob mit oderohne Vitamin-C-Anreicherung. Der Zusatznutzen vonSüßwaren sollte das Naschen bleiben.Die Linke fordert eine schnelle Veröffentlichung derNährwertprofile, wie sie die EU-Kommission vorsieht.Eigentlich hätte diese bis Anfang 2009 erfolgen müssen.Die EU-Kommission und die EFSA scheinen aber unterdem massiven Druck der Lebensmittellobby zu zögern.Der Grund: Allein in Deutschland machen die Lebens-mittelunternehmen jährlich einen Umsatz von 5 Milliar-den Euro mit „funktionellen Lebensmitteln“. Die Le-bensmittellobby hat es bereits geschafft, die Verordnungauszuhöhlen. Ausnahmen bei den Nährwertprofilen wer-den zugelassen und Grenzwerte erhöht. Der Süßwaren-verband hofft auf eine vollständige Verhinderung. Um esnoch einmal deutlich zu machen: Für die Linke sindZu Protokollnicht Nahrungsergänzungsmittel die Grundvorausset-zung für eine gute Gesundheit, sondern eine abwechs-lungsreiche und ausgewogene Ernährung. Unnötige undgesundheitsbedenkliche Anteile sollten grundsätzlich inallen Lebensmitteln gesenkt werden. Verbraucherinnenund Verbraucher müssen sich bei ihrer Lebensmittelaus-wahl auf klare, zutreffende und verlässliche Informatio-nen stützen können.Die Linke erwartet von der Bundesregierung, sich da-für einzusetzen, dass die Ausnahmen bei den Nährwert-profilen auf unverarbeitete Lebensmittel begrenzt wer-den und Süßwaren grundsätzlich nicht als gesundbeworben werden dürfen, dass die Grenzwerte ungesun-der Nährstoffanteile grundsätzlich gesenkt werden, Bal-laststoffe Mindestgrenzwerte enthalten und Transfett-säuren in die Nährwertprofile aufgenommen und dassVerbraucherverbände in die Nährwertprofilbestimmungeinbezogen werden. Lassen wir uns nicht von der Le-bensmittelindustrie in die Suppe spucken.
Die Debatte um die Health-Claims-Verordnung ist einBeispiel für die Diskrepanz zwischen den großen Ver-braucherschutzankündigungen von Ministerin Aigner– und ihrer bisherigen Staatssekretärin Julia Klöckner –und dem tatsächlichen Engagement für die Interessender Verbraucherinnen und Verbraucher.Fast vier Jahre sind seit dem Inkrafttreten derHealth-Claims-Verordnung am 1. Juli 2007 vergangen.Drei Jahre lang ist Frau Aigner für dieses Thema zu-ständig, aber getan hat sich seitdem nichts. Der letzteEintrag auf der Homepage des Bundesministeriums zumThema Health Claims stammt vom August 2007. Wirwarten auch immer noch auf die Nährwertprofile, dievon der EU-Kommission als Grundlage für die Bewer-tung von „gesunden“ Lebensmitteln festgelegt werdensollten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR,das Aigners Ministerium untersteht, hat sich nachdrück-lich für eine konsequente Umsetzung der Nährwert-profile mit strengen Kriterien für Fett, Salz und Zuckerausgesprochen – bislang leider ohne nennenswerte Re-sonanz im Ministerium. Dabei zeigt das Beispiel Däne-mark mit strengen Vorgaben zum Beispiel für Trans-fettsäuren, dass hohe Qualitätskriterien keineswegsnachteilige Folgen für die Ernährungswirtschaft habenmüssen, sondern sogar zum entscheidenden Innovations-motor für eine ganze Branche werden können.Solange Frau Aigner und ihre Staatssekretäre – ob sienun Julia Klöckner oder Peter Bleser heißen – jede Ini-tiative bei den Health Claims vermissen lassen, jubeltdie Ernährungsindustrie weiter mit gesundheitsbezoge-nen Aussagen den Verbrauchern für teures Geld zucker-,salz- oder fettreiche Produkte unter. Außerdem bereitendie Konzerne in aller Ruhe bereits Ausweichstrategienfür mögliche zukünftige Verschärfungen vor. Mit SoftClaims, also indirekten Bezügen zu Gesundheitsaspek-ten, wird eine gesundheitsfördernde Wirkung der Pro-dukte suggeriert, ohne dass der Regelungsbereich derHealth-Claims-Verordnung betroffen ist: „So wichtigwie das tägliche Glas Milch“ – Werbung für „Ehrmann
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11069
gegebene Reden
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11070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Ulrike Höfken
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Monsterbacke“ mit umgerechnet 4 Stück Würfelzuckerpro Packung. Damit werden gerade die Bevölkerungs-gruppen zu einem ungesunden Ernährungsverhaltenmotiviert, die eine gesunde Ernährung dringend benöti-gen, wie zum Beispiel Kinder oder ältere Menschen. Da-bei steigt die Zahl der Menschen mit Fehlernährungdramatisch, wie die Antwort der Bundesregierung aufunsere Kleine Anfrage zur Bekämpfung von Überge-wicht, Bundestagsdrucksache 17/3808, bestätigt. DieseEntwicklung hat katastrophale Folgen für die Gesund-heit der Betroffenen, aber auch für die Kosten unseresGesundheitssystems: Die Folgekosten ernährungsbe-dingter Krankheiten werden auf bis zu 90 MilliardenEuro geschätzt – jährlich.Sicher hängt die erfolgreiche Umsetzung der Health-Claims-Verordnung nicht nur von den Aktivitäten derdeutschen Bundesregierung ab. Leider ist diese Thema-tik aber nicht das einzige Beispiel dafür, wie wenig sichFrau Aigner für die deutschen Verbraucher und wiestark sie sich für die Ernährungsindustrie einsetzt. Inden Verhandlungen über die Lebensmittel-Info-Verord-nung hätte sich Aigner dem klaren Votum von Verbrau-cherschützern, Ärzteverbänden und Krankenkassen an-schließen können und für eine europaweite Einführungder Ampelkennzeichnung kämpfen oder sich wenigstensfür eine verpflichtende Umsetzung dieser verbraucher-freundlichen Auslobung in Deutschland stark machenkönnen. Stattdessen stellt sie sich schützend vor die In-dustrie und deren für die Praxis völlig untauglichesGDA-Modell: empfohlene Tagesmengen von Zucker,Salz, Fett, gesättigte Fettsäuren und Kalorien pro100 Gramm des jeweiligen Produkts und in Prozent derempfohlenen Tagesmenge. Aigner geht sogar so weitund verdreht die Aussagen einer Studie ihres eigenenMinisteriums, die klar besagen, dass eine farblicheKennzeichnung für die Verbraucher wesentlich sinnvol-ler ist als das GDA-Konzept.Diese Grundhaltung der Ministerin lässt auch für dieneue Internetplattform „Klarheit & Wahrheit“ nicht vielGutes erwarten, obwohl der Ansatz und die Umsetzungdurch den Verbraucherzentralen-Bundesverband sicher-lich richtig sind. Doch die widersprüchlichen Aussagenvon Ilse Aigner und die vor allem von den Koalitions-fraktionen vorgebrachten massiven Angriffe gegen dasProjekt der eigenen Ministerin bei der Diskussion imAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz am 27. Oktober 2010 lassen befürchten, dassauch bei diesem Thema nach großen Ankündigungennur ein windelweich gespültes Konzept übrig bleibt, dasder Industrie nicht weh tut und die Verbraucherinnenund Verbraucher mit ihrem Wunsch nach transparenter,ehrlicher Information allein lässt.Wir fordern die Bundesregierung daher auf, sich füreine zügige Umsetzung strenger, wissenschaftlich be-gründeter Nährwertprofile einzusetzen. Außerdem mussdie Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde, EFSA,dringend reformiert werden. Immer wieder wurden engeVerflechtungen von EFSA-Mitarbeitern mit der Lebens-mittel- und Gentechnikindustrie aufgedeckt, die eine se-riöse Prüfung von Health Claims unmöglich machen.Wenn Union und FDP ihre Ankündigungen zum Ver-braucherschutz wirklich ernst meinen, müssen sie heuteunserem Antrag zustimmen und ihre einseitige Klientel-politik für die Interessen der Lebensmittelindustrie end-lich aufgeben.
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/4892, den Antrag auf Drucksa-
che 17/4015 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die
Koalitionsfraktionen waren dafür und die Oppositions-
fraktionen dagegen. Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.
Tagesordnungspunkt 24:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel,
Volker Beck , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfah-
ren – Konsequenzen aus der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte ziehen
– Drucksache 17/4886 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ihre Reden zu Protokoll geben die Kolleginnen und
Kollegen Brandt, Veit, Wolff , Jelpke und
Winkler.
In ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen die Bundesregierung auf, den in § 18 Abs. 2,§§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehenenAusschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Über-stellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung aufzuheben. Außerdem wird die Bundes-regierung aufgefordert, sich im Rat im Rahmen der Ver-handlungen über die Neufassung der Dublin-II-Verord-nung dafür einzusetzen, dass Asylantragstellern derZugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf in Einklangmit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofesfür Menschenrechte sowie den gemeinschafts- und völ-kerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten ga-rantiert wird.Hintergrund des vorliegenden Antrags ist eine Ent-scheidung des Europäischen Gerichtshofes für Men-schenrechte vom 21. Januar 2011. In dem VerfahrenM. S. S. gegen Belgien und Griechenland hat die GroßeStrafkammer des Europäischen Gerichtshofes für Men-schenrechte festgestellt, dass Belgien mit der Überstel-lung des Beschwerdeführers nach Griechenland auf-grund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen gegenArt. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ver-stoßen habe.Helmut Brandt
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Begründet wird der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-nen mit den durch den Gerichtshof festgestellten men-schenrechtswidrigen Bedingungen in Griechenland, diedie Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung mit auf-schiebender Wirkung in Deutschland unerlässlichmachten.Ihren Antrag lehnen wir ab, da Ihre Forderungendurch eine Entscheidung des Bundesinnenministers vom19. Januar dieses Jahres obsolet geworden sind.Am 19. Januar 2011 hat das Bundesinnenministeriumentschieden, dass mit sofortiger Wirkung für die Dauereines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsange-hörigen nach der sogenannten Dublin-Verordnung nachGriechenland durchgeführt werden sollen. Das Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge wurde gebeten, ent-sprechend zu verfahren. Deutschland wird in diesen Fäl-len von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 3der Dublin-II-Verordnung Gebrauch machen und dieAsylverfahren in Deutschland durchführen.Hintergrund dieser Entscheidung ist eine Empfehlungdes Bundesverfassungsgerichts. Denn die Problematikvon Überstellungen von Deutschland nach Griechen-land nach dem sogenannten Dublin-Verfahren war, wieSie ja selbst wissen, auch Gegenstand von Verfahren vordem Bundesverfassungsgericht.Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht am28. Oktober 2010 mündlich über die Verfassungsbe-schwerde eines irakischen Asylbewerbers verhandelt,2 BvR 2015/09, mit der dieser die Verfassungswidrigkeitdes Ausschlusses von vorläufigem Rechtsschutz hin-sichtlich seiner Überstellung von Deutschland nachGriechenland geltend machte. Kurz nach der mündli-chen Verhandlung gab es eine Sondierung des Gerichtsbei den Verfahrensbeteiligten zu der Frage, ob sie sichangesichts des Verlaufs der mündlichen Verhandlungvorstellen könnten, dass das Bundesinnenministeriumvon der Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts Gebrauchmacht.Dieses und vor allem die tatsächliche Entwicklung inGriechenland haben das Bundesinnenministerium ver-anlasst, für ein Jahr von seinem Selbsteintrittsrecht ge-mäß der Dublin-II-Verordnung Gebrauch zu machen.Zusätzlich soll damit auch zum Prozess der Konsolidie-rung des griechischen Asylsystems beigetragen werden.Ich möchte jedoch an dieser Stelle darauf hinweisen,dass es entgegen der in Ihrem Antrag vom 19. Januar2010 enthaltenen Forderung einer Aussetzung vonRücküberstellungen richtig war, zunächst die endgültigeEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwar-ten.Zum einen werden durch Eilentscheidungen des Bun-desverfassungsgerichts eben gerade keine abschließen-den Bewertungen getroffen. Wie Sie wissen, basieren dieBeschlüsse ausschließlich auf einer Abwägung des Ge-richtes zwischen den Folgen, die ohne den Erlass dereinstweiligen Anordnung eintreten, wenn die Hauptsa-che für den Antragsteller erfolgreich wäre, und den Fol-gen für den umgekehrten Fall.Zu ProtokollDas heißt, die einstweiligen Anordnungen, auf die Siein Ihren Anträgen abgestellt haben, enthielten keine ab-schließenden Aussagen zur Zulässigkeit der Überstel-lungen nach Griechenland. Sie enthielten vor allemauch keine Beurteilung der Situation in Griechenlanddurch das Gericht.Zum anderen hat das Bundesamt für Migration undFlüchtlinge der schwierigen Situation in Griechenlandbereits 2009 und 2010 Rechnung getragen, indem es beibesonders schutzbedürftigen Personen, zum Beispiel fürMinderjährige, für Flüchtlinge hohen Alters, oder beidenen Schwangerschaft, ernsthafte Erkrankungen, Pfle-gebedürftigkeit oder eine besondere Hilfebedürftigkeitvorlag, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3Abs. 2 Dublin-II-Verordnung sehr großzügig Gebrauchgemacht und von einer Überstellung nach Griechenlandabgesehen hat. So machte das Bundesamt 2009 incirca 700 Fällen von seinem Selbsteintrittsrecht Ge-brauch. Dem standen nur circa 200 Überstellungen ge-genüber. Im Jahr 2008 war das Größenverhältnis nochumgekehrt. 222 Überstellungen standen 130 Selbstein-tritten gegenüber. Das Bundesamt hat also auch in denbeiden vergangenen Jahren einen sehr verantwortungs-vollen Umgang mit der tatsächlichen Situation bewie-sen.Außerdem haben Sie selbst in Ihrer Begründung fest-gestellt, dass sich die Mehrheit der Verwaltungsgerichtein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Ab-schiebungsanordnungen des Bundesamtes für Migrationund Flüchtlinge über die Gesetzeslage rechtsfortbildendhinweggesetzt haben.Mit der Entscheidung des Bundesinnenministeriums,für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen vonDrittstaatsangehörigen nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung nach Griechenland durchzuführen undstattdessen von der Möglichkeit des SelbsteintrittsrechtsGebrauch zu machen, haben sich Ihre Forderungennach einer grundsätzlichen Aufhebung des in § 18Abs. 2, §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgese-henen Ausschlusses des vorläufigen Rechtsschutzes ge-gen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen derDublin-II-Verordnung erübrigt.Eine grundsätzliche Einführung einer aufschieben-den Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Rücküberstel-lungen brauchen wir nicht. Denn das in Art. 3 Abs. 3 derDublin-II-Verordnung vorgesehene Instrument desSelbsteintrittsrechts trägt der jetzigen Situation hinrei-chend Rechnung.Und wir wollen sie auch nicht. Wir sind nach wie vorder Auffassung, dass auch Griechenland ein sichererDrittstaat für Asylbewerber ist. Mit der auf ein Jahr be-fristeten Entscheidung wird ein weiterer Beitrag zumProzess der Konsolidierung und Entlastung des griechi-schen Asylsystems geleistet. Damit schließt sichDeutschland der Praxis anderer Dublin-Staaten wieGroßbritannien, Schweden, Island und Norwegen an.Wir stellen mit dieser Entscheidung deshalb nicht dasDublin-System als solches infrage. Denn die auf demVerantwortungsgrundsatz basierenden Zuständigkeits-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11071
gegebene RedenHelmut Brandt
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regelungen der Dublin-Verordnung und ihres Vorgänger-abkommens haben sich in den über zehn Jahren ihrerAnwendung bewährt. Das Dublin-System bietet die Ga-rantie dafür, dass jeder auf dem Gebiet der teilnehmen-den Staaten gestellte Asylantrag auch tatsächlich ge-prüft wird. Hierzu muss das System weiterhin zügigeEntscheidungen und Überstellungen in den zuständigenStaat ermöglichen. Wie die jetzige und vergleichbareEntscheidungen anderer Staaten zeigen, bietet die Dub-lin-Verordnung bereits in ihrer geltenden Fassung hin-reichende Möglichkeiten, um auf außergewöhnliche Si-tuationen zu reagieren.Die griechische Regierung hat zwischenzeitlich derKommission einen anspruchsvollen nationalen Aktions-plan vorgelegt, der eine bessere Bewältigung des Zu-stroms von Flüchtlingen und Migranten nach Griechen-land sicherstellt und Defizite in der Behandlung vonFlüchtlingen und Migranten beseitigen soll. Die Mit-gliedstaaten der Europäischen Union – darunter auchDeutschland –, die Kommission und der UNHCR habenGriechenland substanzielle Unterstützung bei der Um-setzung der geplanten Maßnahmen zugesagt und werden– wie bisher – in koordinierter und vielfältiger Weisehelfen.Die Entscheidung ist auf ein Jahr befristet, weil da-von auszugehen ist, dass in dieser Zeit substanzielle Ver-besserungen in Griechenland erreicht werden können.Dies werden wir ebenso wie das Bundesinnenministe-rium genauestens beobachten und gegebenenfalls eineAnschlussregelung prüfen.
Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist
zuzustimmen. Das Urteil der Großen Kammer des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Ja-
nuar 2011 verlangt auch aus unserer Sicht eine Ände-
rung der Dublin-II-Verordnung sowie des Asylverfah-
rensgesetzes.
Insbesondere die Regelung im Asylrecht, nach der die
aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels gegen eine
Dublin-II-Rückführung ausgeschlossen ist, verstößt ge-
gen europäisches Menschenrecht. Dies hat auch das
Bundesverfassungsgericht in mehreren Eilentscheidun-
gen, in denen es eine aufschiebende Wirkung eingelegter
Rechtsmittel gegen Rückführungen nach Griechenland
aufgrund einer „grundrechtskonformen Auslegung“ des
§ 34 a Abs. 2 AsylVerfG bejaht hat, so gesehen. Ebenso
urteilten verschiedene Verwaltungsgerichte quer durch
die gesamte Republik.
Die Forderung der Kolleginnen und Kollegen der
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist mithin nicht
nur eine logische Konsequenz aus der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, son-
dern auch aus der deutschen Rechtsprechung.
Hartfrid Wolff (FDP):
Das Bundesministerium des Inneren hat im Januar
für ein Jahr alle Überstellungen nach der Dublin-II-Ver-
ordnung nach Griechenland für ein Jahr ausgesetzt.
Zu Protokoll
Hier hat der Bundesinnenminister die volle Unterstüt-
zung der FDP-Bundestagsfraktion. Damit wird die
schwierige Situation berücksichtigt, die in Griechenland
für Asylbewerber besteht. Bereits im Jahr 2010 war nur
ein kleiner Anteil von Personen überhaupt nach Grie-
chenland überstellt worden; in den restlichen Fällen
hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits von ihrem
Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht.
Das Bundesverfassungsgericht hat als Reaktion auf
die Aussetzung die Verfahren, die dort zur Geltendma-
chung einstweiligen Rechtsschutzes anhängig waren,
eingestellt. Es ist über die Notwendigkeit eines einstwei-
ligen Rechtsschutzes also nicht entschieden worden. Die
Bundesregierung geht sehr verantwortungsvoll mit dem
Mechanismus um: Für ein Jahr sind nun Rückführungen
ausgesetzt; bereits im vergangenen Jahr wurden nur
50 Personen nach Griechenland zurückgeschoben, beim
Rest wurde vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht.
Gleichzeitig können Staaten wie Griechenland nicht be-
vorzugt werden, wenn sie die Standards nicht einhalten:
Der Druck muss aufrecht erhalten bleiben. Dennoch hat
die Bundesregierung konkrete Hilfe für die griechischen
Behörden angeboten – hinsichtlich der menschenwürdi-
gen und schnelleren Gestaltung der Asylverfahren und
der Rahmenbedingungen hierzu ist dieses ebenso wie
zur stärkeren Grenzsicherheit vonnöten.
Nicht zuletzt aufgrund der Verhältnisse in Griechen-
land, des Urteils des EGMR und der Verfassungsge-
richtsbeschlüsse zu Dublin II muss man über das System
nachdenken und das auch bei den anstehenden Verhand-
lungen zum Ausdruck bringen. Eine Nachjustierung er-
scheint erforderlich. In diesem Zusammenhang wie die
Antragsteller, plakativ von „menschen- und europa-
rechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts“ zu
sprechen, ist aber überzogen. Die FDP wird in der Koa-
lition mit der CDU/CSU die Asylpolitik weiterhin ver-
antwortungsbewusst und sensibel entwickeln und die
EU-Planungen konstruktiv begleiten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatam 21. Januar dieses Jahres eine aufsehenerregendeEntscheidung getroffen. Er sprach einem irakischenAsylsuchenden Schadensersatz zu. Erstens, weil dieserin Griechenland eine menschenunwürdige Behandlungzu erleiden hatte. Zweitens, weil er von Belgien im Rah-men der Zuständigkeitsregelungen der EU für Asylver-fahren nach Griechenland zurückgeschoben wordenwar, ohne dass er gegen diese Entscheidung wirksameRechtsmittel einlegen konnte. Er konnte also nicht er-folgreich gerichtlich dagegen angehen, in einen Staatüberstellt zu werden, in dem ihm schwere Menschen-rechtsverletzungen drohen.Diese Zuständigkeitsregelungen in der EU sind in dersogenannten Dublin-II-Verordnung niedergelegt. Dem-nach ist immer der Staat für die Durchführung des Asyl-verfahrens zuständig, über den ein Asylbewerber in dieEU eingereist ist. In den letzten Jahren waren das vor al-lem Italien und Griechenland.
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11072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenUlla Jelpke
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Über die Zustände im griechischen Asylsystem isthier schon breit debattiert worden. Mittlerweile hat auchdie Bundesregierung eingestanden, dass die Zuständedort für Asylbewerber unzumutbar sind und kein fairesAsylverfahren gewährleistet ist. Die Überstellung vonAsylsuchenden wurde nun zumindest erst einmal für einJahr ausgesetzt. Aber die Bundesregierung hat verpasst,eine andere wichtige Konsequenz aus dem Urteil desEuropäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu ziehen.Auch in Deutschland haben Asylsuchende, die über ei-nen anderen Mitgliedstaat des Dublin-Systems einge-reist sind, keinen wirksamen Rechtsschutz. Sie erfahrenüberhaupt erst am Tag ihrer Abschiebung, dass ihr Asyl-antrag abgelehnt wurde. Somit bleibt ihnen keine Mög-lichkeit mehr, dagegen zu klagen.Der Antrag der Grünen fordert deshalb von der Bun-desregierung Änderungen an den entsprechenden Rege-lungen im Asylverfahrensgesetz vorzuschlagen und sichbei der Neuverhandlung der Dublin-II-Verordnung fürentsprechende Verfahrensgarantien einzusetzen. Dasgeht uns alles nicht weit genug. Nach Ansicht der Frak-tion Die Linke ist durch diese Entscheidung die gesamteDrittstaatenregelung als Teil des Asylkompromisses von1993 infrage gestellt. Denn dort wurde schon festgelegt,dass nur noch eingeschränkten Rechtsschutz erhält, werüber einen vermeintlich sicheren Drittstaat nachDeutschland einreist und hier einen Asylantrag stellt. Si-chere Drittstaaten sind per definitionem alle EU-Mit-glieder. Doch nicht nur das Beispiel Griechenland zeigt,dass die Mitgliedschaft in der EU nicht gleich zum si-cheren Drittstaat qualifiziert.In den vergangenen Tagen hat die Flüchtlingsorgani-sation Pro Asyl einen schockierenden Bericht über dieLage im italienischen Asylsystem vorgelegt. Demnachist die Lebenssituation dort nicht nur für Asylbewerber,sondern auch für anerkannte Flüchtlinge verheerend.Dieser Ansicht sind bereits mehrere Verwaltungsge-richte und der Europäische Gerichtshof für Menschen-rechte gefolgt und haben Dublin-Überstellungen nachGriechenland verhindert. Die Zahl der Asylbewerberüberstieg in Italien die Zahl der Plätze in staatlich fi-nanzierten Unterkünften zum Teil um das Zehnfache.Wer einen Platz in einer solchen Unterkunft erhält, musssie nach sechs Monaten wieder verlassen, egal wie derStand des Asylverfahrens ist. Die Asylsuchenden werdensystematisch in die Obdachlosigkeit getrieben. Sie er-halten auch sonst keine staatliche Unterstützung, die ih-nen ein Existenzminimum garantieren würde. Viele le-ben in besetzten Häusern oder auf Brachflächen undmüssen sich ohne jede staatliche Unterstützung durch-schlagen. Wer aber über keinen festen Wohnsitz verfügt,erhält auch keine Krankenversicherungskarte. Davonsind nach Angaben der Behörden in Italien 88 Prozentder nach dem Dublin-Verfahren überstellten Asylsu-chenden betroffen. Besonders betroffen von dieser ganzeSituation sind, wie immer, besonders schutzbedürftigeMenschen: unbegleitete Minderjährige, alleinreisendeFrauen und jene, die durch die erlittenen Menschen-rechtsverletzungen in ihrem Herkunftsland traumatisiertsind.Zu ProtokollSituationen wie in Griechenland, in denen eine Re-gierung nicht in der Lage oder nicht willens ist, die An-forderungen an ein faires Asylverfahren oder eine men-schenwürdige Aufnahme von Schutzsuchenden zuerfüllen, können jederzeit auch in jedem anderen Landder EU auftreten. Das starre Verteilungssystem der Dub-lin-II-Verordnung muss deshalb durch ein System ersetztwerden, das sowohl die Bedürfnisse der Betroffenen alsauch die ökonomische Leistungsfähigkeit der Mitglied-staaten berücksichtigt. Sollten sich in den nächsten Wo-chen tatsächlich Zehntausende Flüchtlinge aus Libyenin Richtung Italien auf den Weg machen, ist dort eine hu-manitäre Katastrophe riesigen Ausmaßes vorprogram-miert. Diese kann nur mit einer sofortigen und umfas-senden Reform des Dublin-Systems verhindert werden.
Am 21. Januar 2011 hatte der Europäische Men-schenrechtsgerichtshof, EGMR, Griechenland und Bel-gien wegen der Verletzung der Europäischen Menschen-
nischen Asylsuchenden, der 2009 über den Iran, dieTürkei und Griechenland nach Belgien geflohen war, woer Asyl beantragte. Er wurde aber wegen der Zuständig-keitsregeln aus der Dublin-II-Verordnung von Belgiennach Griechenland zurücküberstellt.Der EGMR hat festgestellt, dass Griechenland auf-grund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen, denender schutzsuchende Beschwerdeführer dort ausgesetztwar, Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention,Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Be-handlung oder Strafe, verletzt hat. Wegen der zahlrei-chen Defizite in seinem Asylverfahren hat Griechenlandzudem Art. 13 der Konvention, Anspruch auf rechtlichesGehör, in Verbindung mit Art. 3 verletzt.Der Gerichtshof hat weiterhin festgestellt, auch Bel-gien habe die Europäische Menschenrechtskonventionverletzt, als es den Beschwerdeführer im Rahmen derDublin-II-Verordnung nach Griechenland überstellte:Zum einen habe Belgien gegen Art. 3 EMRK verstoßen,indem es den Beschwerdeführer den Gefahren ausge-setzt habe, die sich aus den Mängeln im Asylverfahrenund aus den Haft- und Lebensbedingungen in Griechen-land ergaben. Zum anderen sei Art. 13 EMRK, in Verbin-dung mit Art. 3 EMRK, dadurch verletzt worden, dass eskeine Möglichkeit für den Beschwerdeführer gegebenhatte, in Belgien gegen die Entscheidung, ihn nach Grie-chenland zu überstellen, wirksame Rechtsmittel einzule-gen.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatin dieser Grundsatzentscheidung unmissverständlichklargestellt, dass die Haft- und Lebensbedingungen fürFlüchtlinge in Griechenland gegen die Menschenrechteverstoßen. Andere europäische Staaten dürfen Asylsu-chende daher nicht nach Griechenland überstellen. DasGericht hat auch festgestellt, dass ein Schutzsuchenderin jedem Fall vor einer Rückführung in einen anderenEU-Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven recht-lichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11073
gegebene RedenJosef Philip Winkler
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muss. Eine solche Möglichkeit gibt es aber nach gelten-dem deutschem Recht nicht. Diese Entscheidung desEGMR hat unmittelbare und weitreichende Folgen fürden Rechtsschutz im Asylverfahren in Deutschland.Denn die deutsche Regelung, wonach die aufschiebendeWirkung von Rechtsmitteln gegen eine Dublin-Überstel-lung ausgeschlossen ist, ist mit der Europäischen Men-schenrechtskonvention nicht vereinbar. Seit den mit dem1. EU-Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführtenÄnderungen wurde über § 34 a Abs. 2 AsylVfG der einst-weilige Rechtsschutz in Deutschland gegen Entschei-dungen im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung ge-nerell ausgeschlossen. Vom Ausland aus kann eineffektiver Rechtsschutz vor deutschen Verwaltungsge-richten nicht greifen. Ein Rechtsbehelf ist nur dannwirksam, wenn irreparable Folgen, wie sie durch die so-fortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme vorderen gerichtlicher Überprüfung eintreten können, so-weit als möglich ausgeschlossen werden können.Aus dem EGMR-Urteil müssen daher grundlegendeÄnderungen für das deutsche Asylverfahrensrecht fol-gen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf dieKleine Anfrage der Linksfraktion
vom 21. Februar 2011 mitgeteilt, dass sie derzeit prüft,wie sich Passagen der EGMR-Entscheidung zur Rege-lung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG verhalten.Im vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregie-rung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen,mit dem der in § 18 Abs. 2, § 27 a, § 34 a Abs. 2 und § 75AsylVfG vorgesehene Ausschluss des vorläufigenRechtsschutzes gegen Überstellungen im Rahmen derDublin-II-Verordnung aufgehoben wird und gegen der-artige Überstellungen im deutschen Recht ein effektiverRechtsschutz gemäß der Europäischen Menschenrechts-konvention und europarechtlichen Vorgaben festge-schrieben wird. Der EGMR hat in seiner Entscheidungvom 21. Januar 2011 das belgische Rechtsschutzsystemfür unvereinbar mit Art. 13 EMRK erklärt, obwohl es imGegensatz zum deutschen Recht sogar noch einen– wenn auch äußerst eingeschränkten – Eilrechtsschutzvorsah. Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass dervöllige Ausschluss durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG erstrecht gegen die EMRK verstößt.Es bietet sich an, diese gesetzgeberischen Maßnah-men im Rahmen des geplanten 2. EU-Richtlinienumset-zungsgesetzes zum Beispiel in das Richtlinienumset-zungsgesetz zu integrieren. Dieses will unter anderemdie Rückführungsrichtlinie, Richtlinie 2008/115/EG, innationales Recht umsetzen, die in ihrem Art. 13 ebenfallsdie Gewährung effektiven Rechtsschutzes fordert.Weiterhin fordern wir die Bundesregierung im vorlie-genden Antrag auf, sich in den Verhandlungen über dieNeufassung der Dublin-II-Verordnung sowie der Asyl-verfahrens-Richtlinie im EuropäischenRat nachdrücklich dafür einzusetzen, dass Asylantrag-stellern der Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf inEinklang mit der EGMR-Rechtsprechung und mit dengemeinschafts- und völkerrechtlichen Verpflichtungender Mitgliedstaaten garantiert wird.Zu ProtokollSowohl die Dublin-II-Verordnung als auch die Asyl-verfahrensrichtlinie befinden sich derzeit auf EU-Ebenein der Neuverhandlung. Die klare neue Rechtsprechungdes EGMR ist bei der Neuformulierung des EU-Rechtsso umzusetzen, dass alle Mitgliedstaaten klare und ver-bindliche Vorgaben für EMRK- und europarechtskonfor-men effektiven Rechtsschutz erhalten. Nachdem die Bun-desregierung diese Vorschläge bisher abgelehnt hat,muss sie nun ihre Verhandlungsposition anpassen undihre bisherige Blockadehaltung aufgeben.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4886 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlos-
sen.
Tagesordnungspunkt 25:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenter Stresstest für die Leistungsfä-
higkeit des Bahnprojektes Stuttgart 21
– Drucksache 17/5041 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Ihre Reden zu Protokoll geben die Kollegen Ulrich
Lange, Steffen Bilger, Ute Kumpf, Werner Simmling,
Sabine Leidig und Winfried Hermann.
Die Grünen haben durch die von ihr selbst initiiertenDemonstrationen gegen Stuttgart 21 in Baden-Württem-berg viel Zustimmung erhalten. Sie waren in einen Hö-henrausch der Umfragen geraten. Aber dann kam dasvon ihnen geforderte Schlichtergespräch mit HeinerGeißler. Das Ergebnis hat den Grünen nicht gefallen,die Grünen haben es nie akzeptiert. Und deshalb disku-tieren wir heute im Bundestag erneut das Thema.Es waren die Grünen, die einen gemeinsamen Tischunter einem Schlichter Heiner Geißler gefordert haben.Die baden-württembergische Landesregierung hat demzugestimmt. Es wurde sehr hart und kontrovers, abermeist sachlich gestritten. Heiner Geißler hat seinem Na-men als unabhängiger Schlichter alle Ehre gemacht.Für diese Leistung möchte ich ihm meinen Dank erneutaussprechen. Das war ein Glanzstück an Diplomatie ineiner ausweglos erscheinenden Situation.Dieses Stuttgarter Modell hat sich in dieser schwieri-gen Situation nicht nur bewährt, sondern gezeigt, wie inZukunft zu Beginn eines Großprojektes verfahren wer-den muss. Wir müssen die Menschen bei allen Großpro-jekten frühzeitig informieren und aufzeigen, wo derSinn, der Nutzen, die Notwendigkeit liegt. Dies war amAnfang bei Stuttgart 21 nicht erfolgt. Unter der erfolg-reichen Schlichtung von Heiner Geißler wurde dies
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11074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenUlrich Lange
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nachgeholt. Was Sie, meine lieben Grünen, aber lernenmüssen, ist, das Ergebnis einer solchen Schlichtungdann auch zu akzeptieren, wenn es anders ausfällt, alsSie es wünschen oder erwartet haben. Kommen Sie zuder Sachlichkeit zurück, die die Schlichtungsgesprächegeprägt hat.Wir sind von der Leistungsfähigkeit des unterirdi-schen Bahnhofs überzeugt. Der von Ihnen angespro-chene Stresstest wird dies belegen. Wir sind fest davonüberzeugt, dass der Bahnknoten Stuttgart 21 einen Leis-tungszuwachs von 30 Prozent nicht nur über den gesam-ten Tag verteilt erreichen wird, sondern sogar zu denSpitzenzeiten.Die Bahn ist dabei, den Schlichterspruch zu erfüllenund den Stresstest entsprechend der Vereinbarung desSchlichterspruches durchzuführen. Die Bahn wird denStresstest nicht „hinter verschlossenen Türen“ durch-führen, wie von den Grünen polemisch unterstellt wird,sondern sich gemeinsam mit dem Land Baden-Württem-berg an das in der Schlichtung vereinbarte Verfahrenhalten. Die Firma SMA wird die Durchführung desStresstestes begleiten und begutachten. Die seitens derGrünen erhobenen Forderungen nach Einrichtungen ei-nes Steuerungskreises, Beistellung eines Co-Gutachtersvonseiten des Aktionsbündnisses und Federführungdurch einen unabhängigen externen Gutachter wurdenim Schlichterspruch in keiner Weise aufgeführt. Sie sindAusdruck der Grünen, wieder Unruhe und Streit in die-ses Verfahren zu bringen; die Grünen wollen Sand in dasGetriebe der Schlichtung streuen.Die Vorgehensweise der Bahn entspricht den Verein-barungen: Zum einen ist das Verfahren, welches die DBAG dem Stresstest zugrunde legt, das allgemeingültigeVerfahren für Betriebssimulationen in Deutschland. So-gar das Eisenbahnbundesamt akzeptiert dies. Außerdemwird die DB AG die Firma SMA, die, wie ich betonenmöchte, von allen Schlichtungsteilnehmern als Begut-achter des Stresstestes gewünscht wurde, zu Beginn inalle Aktivitäten des Stresstestes involvieren. Sobald dieDB AG die ersten Schritte – Eingabe der Infrastruktur-daten in das System, Konstruktion eines Fahrplans fürdie Spitzenstunde – abgeschlossen hat, werden die Er-gebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt und die weitereArbeit im Dialogforum zur Diskussion stellen.Das Ergebnis des Stresstestes wird zeigen, welcheLeistungsfähigkeit Stuttgart 21 haben wird, und es wirdein weiteres Stück Vertrauen zurückgewinnen, das imVorfeld verloren gegangen war. Wir wollen uns diesemStresstest unterziehen, weil es richtig ist, öffentlich dar-zulegen, welche Leistungsfähigkeit das Projekt wirklichhat.Ich fordere Sie auf: Seien Sie doch zumindest jetzt soviel Demokrat, dass Sie die Ergebnisse des Testes ab-warten und sich erst dann ein Urteil bilden. Vorabverur-teilungen nutzen niemandem: Baden-Württembergnicht, Stuttgart nicht und langfristig auch Ihrer Parteinicht, weil Sie sich damit unglaubwürdig machen. Stei-gen Sie in konstruktive Gespräche ein und suchen Siegemeinsam mit uns nach Lösungen, die frei von Partei-ideologie und der Stuttgarter Bevölkerung nützlich sind.Zu Protokoll
Bei dem Antrag der Grünen geht es um eine Ver-pflichtung der Deutschen Bahn AG. Diese hat sich in derSchlichtung unter Heiner Geißler bereit erklärt, einenStresstest für die Leistungsfähigkeit des unterirdischenDurchgangsbahnhofs Stuttgart 21 durchzuführen. Da-mit soll der Beweis angetreten werden, dass ein Fahr-plan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzen-stunde – zwischen 7 und 8 Uhr am Morgen, also dann,wenn der Bahnhof am stärksten gefordert wird – mit gu-ter Betriebsqualität möglich ist. Dabei sind – gemäßSchlichterspruch – anerkannte Standards des Bahnver-kehrs für Zugfolgen, Haltezeiten und Fahrzeiten zur An-wendung zu kommen.Den Spezialisten für Fahrpläne der DB Netz AG ste-hen für diese Modellrechnungen aufwendige Computer-programme zur Verfügung. Als Basis für die notwendi-gen Simulationen und Tests werden alle für Stuttgart 21geplanten Bahnanlagen – wie Gleise, Weichen, Signaleund Bahnsteige inklusive der Eisenbahnstrecken – rundum Stuttgart übertragen. Die Ergebnisse aus 100 simu-lierten Betriebstagen bilden dann die Grundlage, um dieLeistungskapazität beurteilen zu können. Das alles wirdZeit in Anspruch nehmen. Mit einem Ergebnis ist des-halb erst im Sommer 2011 zu rechnen.Oft wurde verwundert gefragt, warum die Leistungs-fähigkeit nicht schon lange feststeht. Dabei wird verges-sen, dass es absolut unüblich ist, bereits zum jetzigenZeitpunkt einen Fahrplan vorliegen zu haben. Als Stutt-gart 21 geplant wurde, lag die Inbetriebnahme bis zu20 Jahre in der Zukunft. So weit im Voraus kann keinFahrplan realistisch aufgestellt werden.Bevor ich auf den Antrag eingehe, möchte ich auchan dieser Stelle noch einmal Heiner Geißler, einem mei-ner Vorgänger als Landesvorsitzender der JungenUnion Baden-Württemberg, danken. Heiner Geißler hatnicht nur dafür gesorgt, wie er immer zu sagen pflegt,dass die Beteiligten an, sondern auch die Fakten auf denTisch kommen. Das ist ihm vorbildlich gelungen. DasVerfahren hat sehr zur Versachlichung der Debatte bei-getragen und ist definitiv ein Erfolg. Solche Rundenwird es sicherlich in Zukunft auch bei anderen Projektengeben.Lassen Sie mich noch etwas zum Umgang der Grünenmit der Schlichtung sagen: Sie haben sie gefordert, jetztsind sie gegen die Ergebnisse. Sie haben Heiner Geißlervorgeschlagen, jetzt kritisieren sie ihn. Sie haben wiealle anderen Beteiligten den Schlichterspruch akzep-tiert, jetzt wollen sie Änderungen. Sie wollen aus wahl-taktischen Gründen Termine diktieren – etwa bei derForderung, den Stresstest vor der Wahl durchzuführen,das ist faktisch nicht möglich – und so weiter. So geht esnicht.Wir Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP lehnenden Antrag der Grünen unter anderem aus folgendenGründen ab:Erstens. Die Deutsche Bahn AG wird den Stresstestnicht, wie behauptet, mit selbst definierten Parameterndurchführen. Der Test wird allgemein gültigen Stan-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11075
gegebene RedenSteffen Bilger
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dards folgen, die vom Eisenbahn-Bundesamt anerkanntsind. Außerdem wird die renommierte Schweizer FirmaSMA die Durchführung begleiten und abschließend be-gutachten.Zweitens. Der geforderten Transparenz wird bereitsRechnung getragen: Das Ergebnis des Stresstests wirdöffentlich gemacht. Außerdem werden alle Grundlagender Öffentlichkeit präsentiert. Dann können sie disku-tiert werden. Schon am 11. März 2011 wurden durch dieDB AG Verfahren, Umfang, Annahmen und Beurtei-lungskriterien sowie die Form der Qualitätssicherungdurch SMA beim ersten Sondierungstreffen für das Be-gleitforum Stuttgart 21 vorgestellt. Die weiteren Schrittesollen auch in Zukunft regelmäßig in Begleitforen prä-sentiert und diskutiert werden. Mehr Transparenz istkaum möglich.Drittens. Ja, die Grünen haben recht darin, dass derStresstest eine Folge der Schlichtung ist. Und genau da-ran hält sich die Bahn: Sie folgt den während derSchlichtung getroffen Vereinbarungen. Das Aktions-bündnis gegen Stuttgart 21 hat übrigens genau diesemVorgehen der DB AG bereits zugestimmt. Planungssi-cherheit bei von allen akzeptierten Abmachungen gehtauch hier vor nachträglichen „Ich-wünsch-mir-was“-Aktionen.Viertens. Im Sinne von Effizienz und ohne unnötigeKostensteigerungen sollten wir die Bahn den Stresstestdurchführen lassen. Wir brauchen hier Handwerker,keine Mundwerker! Die Grünen sind doch immer dieErsten, die vor zusätzlichen finanziellen Mehraufwandwarnen und fragen, wer das bezahlen soll.Fünftens. Die Grünen haben zwar Schlichter undSchlichtung gewollt und akzeptiert, wehren sich aberjetzt gegen den Grundtenor des Schlichterspruchs. Dasist durchaus legitim. Sie verweisen darauf, dass ein sol-cher gar nicht im Schlichtungsverfahren angelegt gewe-sen sei. Umso schwerer verständlich ist für mich, dasssie sich dann einen Punkt herausgreifen und neueRechte für sich daraus ableiten. Die Kollegen von denGrünen picken sich die Rosinen raus. Das ist für unsnicht hinnehmbar. Wer A sagt, muss auch B sagen. Weralso aus Teilen des Schlichterspruchs bestimmtes Ver-halten abliest, muss auch die ganze Schlichtung anneh-men. In letzter Konsequenz bedeutet das: Stuttgart 21akzeptieren und nicht mehr bei jeder passenden und un-passenden Gelegenheit unsachlich dagegen stänkern.Die zentrale Forderung des Antrags nach Transpa-renz wird erfüllt, alle anderen Forderungen sind unnö-tig. Die akzeptierten Vereinbarungen werden dazu ein-gehalten bzw. noch übertroffen. Somit ist der Antragüberflüssig und in Teilen sogar kontraproduktiv. SeineAblehnung ist deshalb die richtige Konsequenz.
Die Schlichtung zu Stuttgart 21 und zur Neubaustre-cke Wendlingen–Ulm war in zweifacher Hinsicht ein Er-folg. Nach dem indiskutablen und überzogenen Einsatzder Polizei am „Schwarzen Donnerstag“ im September2010 – mit Rückendeckung der Landesregierung – hatZu Protokollsie zur Versachlichung beigetragen. Durch den intensi-ven Meinungsaustausch von Befürwortern, Bürger-initiativen, Vertretern der Deutschen Bahn AG undGegnern wurden Ergebnisse geschaffen, die jetzt ausge-wertet und umgesetzt werden müssen.In der Schlichtung konnte deutlich gemacht werden,dass Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm von herausragender verkehrspolitischer Bedeutungfür ganz Baden-Württemberg sind. Die Projekte sindverkehrs- wie standortpolitisch ohne ernstzunehmendeAlternative. Mit einem Durchgangsbahnhof in der Lan-deshauptstadt Stuttgart, der Anbindung des Landesflug-hafens und der neuen Landesmesse sowie der Realisie-rung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm wird dieerforderliche Verkehrsinfrastruktur geschaffen, um Ba-den-Württemberg in das europäische Hochgeschwindig-keitsnetz einzubinden. Das Projekt trägt nachhaltig dazubei, den Standort Baden-Württemberg auch in Zukunftwettbewerbsfähig zu gestalten. Gleichzeitig wird durchdie neue Infrastruktur eine deutliche Verbesserung desRegionalverkehrs innerhalb Baden-Württembergs er-reicht; das Projekt nutzt der städtebaulichen Entwick-lung und erweitert die Kapazität für den Güterverkehr.Auch die Gegner des Projekts konnten mit ihren kriti-schen Einwürfen auf problematische Punkte in demGroßprojekt Stuttgart 21 hinweisen, die verbesserungs-würdig sind und optimiert werden müssen. HeinerGeissler hat in seinem Schlichterspruch vom 30. Novem-ber 2010 für eine Berücksichtigung einer Reihe vonKritikpunkten der Gegner bei der weiteren Planung undDurchführung des Projekts Stuttgart 21 plädiert.Schwachstellen wurden identifiziert, die beseitigt werdensollen. Das Projekt Stuttgart 21 soll baulich attraktiver,umweltfreundlicher, behindertenfreundlicher und sicherergemacht werden. Im Klartext heißt das, aus Stuttgart 21wird „Stuttgart 21 plus“.Dazu gehört der Stresstest als zentrales Ergebnis derStuttgart-21-Schlichtung. Die SPD unterstützt denStresstest. Mit dieser Computersimulation muss dieDeutsche Bahn die Leistungsfähigkeit des neuen Bahn-hofs nachweisen. Sie muss zeigen, dass der im Bau be-findliche Tiefbahnhof von Stuttgart 21 in der Spitzen-stunde am Morgen bis zu 49 Züge abfertigen kann.Andernfalls muss die Infrastruktur nachgebessert odererweitert werden. Sollte der Stresstest die Notwendigkeitweiterer Investitionen aufzeigen, muss die DeutscheBahn diese realisieren. Die Bahn muss dabei vor allemjedoch die Durchführung, die Auswertung und die Inter-pretation der einzelnen Zwischen- und Endergebnissedes Stresstests öffentlich und transparent gestalten. Ister nicht in vollem Umfang transparent, ist das Ergebnisnicht viel wert. Die Bahn darf beim Leistungstest nichtden Eindruck erwecken, hinter verschlossenen Türen zuagieren. Der Stresstest wird sonst nicht akzeptiert. DieSchlichtung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.Die SPD hat nach der Schlichtung gefordert, dass derStresstest noch vor den Landtagswahlen am 27. Märzvorliegt. Leider wurde dies von der Deutschen Bahn AGals nicht machbar dargestellt. Umso notwendiger ist es,dass die Deutsche Bahn AG den Stresstest so transpa-
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11076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenUte Kumpf
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rent wie möglich gestaltet und den Dialog mit den Kriti-kern aufnimmt. Gelingt dies nicht, wird erneut Vertrauenin die Bahn und die Zustimmung zu Stuttgart aufs Spielgesetzt. Es muss alles getan werden, um die Akzeptanzvon Stuttgart 21 durch Transparenz, Kommunikationund Diskussion weiter zu stärken. Dies muss bereits mitder Überprüfung der Vorschläge aus dem Schlichter-spruch auf ihre Umsetzbarkeit hin beginnen. Die Vor-schläge aus dem Schlichterspruch müssen zügig, trans-parent und unter Beteiligung der Bürger auf ihreUmsetzbarkeit hin überprüft werden.Die Forderung der SPD nach einem Verzicht auf ei-nen Weiterbau von Stuttgart 21 bis zu einer Volksabstim-mung war und ist richtig. Große Infrastrukturprojektebrauchen die Unterstützung der Bevölkerung. Nach dem27. März wird sich zeigen, wie der Volksentscheid aufden Weg gebracht werden kann.
Dr. Heiner Geißler wurde von der Fraktion Bünd-nis90/die Grünen im baden-württembergischen Landtagfür das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Schlichter vorge-schlagen. Alle Fraktionen haben sich diesem Vorschlagangeschlossen. Wir haben dann mit der Fachschlichtungein in Deutschland einmaliges Konzept praktiziert. Essaßen nicht nur alle an einem Tisch – Gegner und Befür-worter –, sondern es kamen auch alle Fakten auf denTisch. Transparent und offen wurden das Projekt Stutt-gart 21, aber auch K 21 diskutiert. Das Ergebnis war einSchlichterspruch, der betont, dass Stuttgart 21 ein wich-tiges verkehrspolitisches Projekt und für die Region vonherausragender Bedeutung ist. Alle Teilnehmer derSchlichtung haben dieses Ergebnis anerkannt und be-grüßt. Auch bei der Mehrheit der Bevölkerung hat derSchlichterspruch eine große Akzeptanz gefunden.Schaue ich mir nun aber Ihren Antrag an, dann habeich das Gefühl, dass Sie mit der Schlichtung nicht einver-standen sind. Lassen Sie mich noch kurz die Genese derEntwicklungen bis hin zum Schlichtungsspruch wieder-geben: Auf parlamentarischer Ebene gab es Einwände,die aber nie zu einer Mehrheit gegen Stuttgart 21 geführthaben. Es wurden alle Rechtswege beschritten; auchhier kam es immer zu dem gleichen Urteil: Stuttgart 21ist rechtsmäßig. Schlussendlich wurden die demokrati-schen Beschlüsse der parlamentarischen Gremien unddie Rechtmäßigkeit der Urteile infrage gestellt. Der Rufnach Mediation und Schlichtung wurde immer lauter.Die Landesregierung und auch die politischen Parteienhaben diese Schlichtung gemeinsam beschlossen. DerErfolg und das Ergebnis dieses Schlichtungsverfahrenssind unbestritten. Sie wollen aber partout dieses Ergeb-nis nicht anerkennen und fordern nun über den Schlich-terspruch hinaus eine Schlichtung Teil zwei.Liebe Kollegen von Bündnis90/Die Grünen, es istschon bemerkenswert, wie Sie mit parlamentarischenEntscheidungen umgehen; nun aber wollen Sie das Er-gebnis der von Ihnen geforderten Schlichtung nicht ak-zeptieren. Sie fordern eine „nachgelagerte Fortführungdes Schlichtungsverfahrens“. Wenn Ihnen dann auchdessen Ergebnis nicht passt, dann kommt noch eineZu ProtokollRunde – immer so weiter. Mein Eindruck ist, Sie wollengar nicht ernsthaft ein Ergebnis, Sie wollten es nie. Siewollen blockieren und verhindern, aber konstruktiv mit-arbeiten an der Sache, dass wollen Sie nicht.Ich möchte aber gern auf Ihren Antrag und Ihre For-derungen zurückkommen. Sie stellen es in ihrem Antragso dar, als würde die Deutsche Bahn AG jenseits derVereinbarungen im Schlichterspruch den Stresstestdurchführen, intransparent, still und heimlich, ohne of-fenen Dialog mit der Bevölkerung. Diese Behauptungensind schlichtweg falsch. Unter Ziffer 11 und 12 desSchlichterspruches steht ganz klar, dass die DeutscheBahn AG den Stresstest durchführt und welche Grundla-gen sie dafür annehmen muss. Daher ein Zitat aus demSchlichterspruch vom 30. November 2010. Darin stehtunter Ziffer 11 und 12 – das ist auf den Seiten 12 bis14 –:„11. Für die Fortführung des Baues von S 21 halteich aus den genannten Gründen folgende Verbesserun-gen für unabdingbar:1. Die durch den Gleisabbau frei werdenden Grund-stücke werden der Grundstücksspekulation entzogen unddaher in eine Stiftung überführt, in deren Stiftungszweckfolgende Ziele festgeschrieben werden müssen: Erhal-tung einer Frischluftschneise für die Stuttgarter Innen-stadt. – Die übrigen Flächen müssen ökologisch, fami-lien- und kinderfreundlich, mehrgenerationengerecht,barrierefrei und zu erschwinglichen Preisen bebaut wer-den. – Für notwendig halte ich eine offene Parkanlagemit großen Schotterflächen.2. Die Bäume im Schlossgarten bleiben erhalten. Esdürfen nur diejenigen Bäume gefällt werden, die ohne-hin wegen Krankheiten, Altersschwäche in der nächstenZeit absterben würden. Wenn Bäume durch den Neubauexistentiell gefährdet sind, werden sie in eine geeigneteZone verpflanzt. Die Stadt sollte für diese Entscheidun-gen ein Mediationsverfahren mit Bürgerbeteiligung vor-sehen.3. Die Gäubahn bleibt aus landschaftlichen, ökologi-schen und verkehrlichen Gesichtspunkten erhalten undwird leistungsfähig, zum Beispiel über den BahnhofFeuerbach, an den Tiefbahnhof angebunden.4. Im Bahnhof selber wird die Verkehrssicherheit ent-scheidend verbessert. Im Interesse von Behinderten, Fami-lien mit Kindern, älteren und kranken Menschen müssendie Durchgänge gemessen an der bisherigen Planfest-stellung verbreitert werden, die Fluchtwege sind barrie-refrei zu machen.5. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhofund in den Tunnels zum Brandschutz und zur Entrau-chung müssen verbessert werden. Die Vorschläge derStuttgarter Feuerwehr werden berücksichtigt.6. Für das Streckennetz sind folgende Verbesserungenvorzusehen: Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein9. und 10. Gleis; Zweigleisige westliche Anbindung desFlughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke; Zwei-gleisige und kreuzungsfrei angebundene WendlingerKurve; Anbindung der bestehenden Ferngleise von Zu-ffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Canstatt zum
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11077
gegebene RedenWerner Simmling
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Hauptbahnhof; Ausrüstung aller Strecken von S 21 bisWendlingen zusätzlich mit konventioneller Leit- und Si-cherungstechnik.12. Die Deutsche Bahn AG verpflichtet sich, einenStresstest für den geplanten Bahnknoten Stuttgart 21 an-hand einer Simulation durchzuführen. Sie muss dabeiden Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 ProzentLeistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Be-triebsqualität möglich ist. Dabei müssen anerkannteStandards des Bahnverkehrs für Zugfolgen, Haltezeitenund Fahrzeiten zur Anwendung kommen.Auch für den Fall einer Sperrung des S-Bahn-Tunnelsoder des Fildertunnels muß ein funktionierendes Not-fallkonzept vorgelegt werden. Die Projektträger ver-pflichten sich, alle Ergänzungen der Infrastruktur, diesich aus den Ergebnissen der Simulation als notwendigerweisen, bis zur Inbetriebnahme von S 21 herzustellen.Welche der von mir vorgeschlagenen Baumaßnahmenzur Verbesserung der Strecken bis zur Inbetriebnahmevon S 21 realisiert werden, hängt von den Ergebnissender Simulation ab.Diese von mir vorgetragenen Vorschläge in den Zif-fern 11 und 12 werden von beiden Seiten für notwendiggehalten.“Auch in der Pressekonferenz nach der Schlichtungwurde von der Deutschen Bahn AG betont, dass dieFirma SMA den Stresstest begleiten und begutachtenwird. Mitglieder des Aktionsbündnisses haben dies be-grüßt. Auch in einer Debatte im baden-württembergi-schen Landtag haben Sie als grüne Fraktion einem An-trag von CDU, FDP/DVP und SPD zugestimmt, der denSchlichterspruch und auch den Stresstest unter Durch-führung der Deutschen Bahn AG begrüßt. Nun fällt ih-nen aber ein, dass Sie noch einen Steuerungskreis ein-richten oder weitere externe Gutachter bestellenmöchten. Dies alles ist nicht in dem Schlichterspruchenthalten. Ich habe langsam den Eindruck, dass Sienach der Pippi-Langstrumpf-Methode verfahren: „Ichmach mir die Welt, wie Sie mir gefällt“. Das kann manmachen, aber wir leben in einem Rechtsstaat und nichtin Taka-Tuka-Land. Zusagen und Beschlüsse müssenverbindlich sein, Sie halten sich nicht daran. Für michsind Bündnis 90/Die Grünen in der politischen und par-lamentarischen Arbeit unglaubwürdig und kein zuver-lässiger Partner. Wir lehnen daher den Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen ab.
Die Mehrheit der Bevölkerung in Stuttgart lehnt dasGroßprojekt Stuttgart 21 ab. Die Menschen vor Ort tundies unter der Losung „Oben bleiben“. Mit dieser Kurz-formel bringen sie zum Ausdruck, dass das DenkmalBonatzbau in Gänze erhalten, das Gleisfeld als oberirdi-sches bestehen bleiben und Stuttgart seinen traditionel-len Kopfbahnhof behalten soll. Sie erwarteten vonHeiner Geißler, dass dieser als Ergebnis des Fakten-Checks entweder sich von den Sachargumenten überzeu-gen lassen und sich für das „Oben bleiben“ entscheidenwürde oder dass er sich für eine demokratische Ent-Zu Protokollscheidung der Stuttgarter Bevölkerung aussprechenwürde.Geißler hat diese Chance zu einer Abwägung derSachargumente und zu einem beispielhaften demokrati-schen Prozess nicht ergriffen. Er entschied sich im Sinneder Bahn und der CDU, für ein „Weiterbauen plus“; fürStuttgart 21 mit einigen Nachbesserungen. Die Bevölke-rung fühlt sich mit dem sogenannten Schlichterspruchein weiteres Mal von der Politik getäuscht.Ein Element bei den Nachbesserungen ist der soge-nannte Stresstest. Wie immer dieser Test gemeint gewe-sen sein soll und was immer einige S21-Gegnerinnenund -Gegner sich dabei gedacht oder damit erhofft ha-ben, zunächst muss man sich auf den Text als solchen be-ziehen. Im Schlichterspruch heißt es dazu nur: „DieBahn muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahr-plan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzen-stunde mit guter Betriebsqualität möglich ist.“ Das Bun-desverkehrministerium wies bereits im November ineiner ersten Stellungnahme darauf hin, dass in dieserFestlegung sogar der mathematische Bezugspunkt fehlt:30 Prozent mehr als was? Inzwischen scheint man sichdarauf geeinigt zu haben, dass die Leistung 30 Prozentgrößer als die des gegenwärtigen Kopfbahnhofs seinmüsse.Das scheint mir bereits eine erste Falle zu sein. Wie inder Schlichtung durch den langjährigen StuttgarterBahnhofschef Egon Hopfenzitz nachgewiesen wurde,hatte der Stuttgarter Kopfbahnhof im Jahr 1969 – undweitgehend ähnlich von 1970 bis 1974 – eine täglicheLeistung von 809 Zugbewegungen. Heute sind es 650.Damit lag diese Leistung bereits einmal um knapp30 Prozent über der gegenwärtigen. Das trifft auch zuauf die Spitzenstunde, wo besonders viele Vorortzügeabgefertigt werden mussten. Diese Tagesleistung konntedeutlich herabgefahren werden, weil 1975 der S-Bahn-Tunnel eröffnet wurde. Damit entfielen so gut wie allesogenannten Vorortbahnen, die heute als S-Bahnen im„Bauch“ des Kopfbahnhofs verkehren.Die Polemik gegen den Kopfbahnhof und die vielenflammenden Plädoyers für einen Durchgangsbahnhofgehen im Grunde ins Leere. In Stuttgart gibt es seit36 Jahren einen Durchgangsbahnhof – mit der S-Bahnund damit dort, wo dies sinnvoll ist: bei den durchzubin-denden Nah- und teilweise auch regionalen Verkehren.Und es gibt in der Landeshauptstadt seit mehr als85 Jahren den bekannten Kopfbahnhof, ebenfalls dort,wo das Sinn macht: für den weitergeführten Regional-und für den Schienenpersonenfernverkehr.Rechnet man den damals erforderlichen Lokwechselhinzu, dann lag die reale Leistung 1969 bis 1975 beirund 40 Prozent über der heutigen. Es gab also längsteinen Stresstest mit dem Ergebnis einer zusätzlichenLeistung von weit mehr als 30 Prozent. Und diese Leis-tung wurde nicht in einem Computerprogrammsimuliert – sie fand in diesem Bahnhof Werktag fürWerktag statt. Demnach hat der jetzige KopfbahnhofLeistungsreserven von mindestens 40 Prozent. Das ist indem geplanten Kellerbahnhof nie und nimmer darstell-bar.
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11078 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenSabine Leidig
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Es gibt noch einen weiteren Denkfehler bei der For-derung nach einem solchen Stresstest für die Leistung„in der Spitzenstunde“. Es ist nicht von besonderem In-teresse, wie viel Züge insgesamt pro Stunde oder gar aneinem Tag in einem Bahnhof abgefertigt werden können.Bei der „Philosophie“ eines „Integralen Taktfahr-plans“, der in der Schweiz seit mehr als zwei Jahrzehn-ten mit großem Erfolg praktiziert wird und der ja auchvom Aktionsbündnis gegen S21 gefordert wird, geht esum etwas ganz anderes. Der Fahrplanspezialist Profes-sor Wolfgang Hesse, der auch als Sachverständiger ander Schlichtung teilnahm, schrieb dazu jüngst in derrenommierten „Eisenbahn-Revue International“, 3/2011:„Die Grundidee des Integralen Taktfahrplans, ITF, be-steht darin, zu einem bestimmten Zeitpunkt, vorzugs-weise zu den leicht merkbaren Minuten 00 und 30, Fern-und Regionalzüge aus möglichst vielen Richtungen zu-sammenlaufen zu lassen, um ein wechselseitiges Umstei-gen in möglichst viele Richtungen zu ermöglichen. Dazubedarf es möglichst vieler Bahnsteigkanten, die fürden Rest der Stunde nicht oder nur wenig genutzt wer-den.“ Es ist einleuchtend, dass ein Kopfbahnhof mit sei-nen 17 Gleisen dieser Anforderung weit besser gerechtwerden kann als ein Tiefbahnhof mit acht Gleisen. DasArgument der Bahn, man könne im Kellerbahnhof„durchbinden“, beantwortet Professor Hesse wie folgt:„Aus der Not der fehlenden Bahnsteigkanten soll mitdem Angebot der durchgebundenen Regionalzüge eineTugend gemacht werden. Diese bieten zwar dem Fahr-gast, der zufällig in die angebotene Fahrrichtung wei-terfahren will, einen Zeitvorteil, für den Wechsel zu an-deren Fahrtzielen ergeben sich aber in der Regelweitaus höhere Umsteige- und Wartezeiten.“ Auch einoptimal verlaufender Stresstest für einen Tiefbahnhof,wenn er denn als sinnvoll erachtet wird, sagt also reingar nichts über dieses entscheidende Erfordernis für ei-nen ITF aus.Nun gibt es im Antrag der Grünen eine Reihe von gutgemeinten Forderungen, wonach der Stresstest mit„Transparenz und als Dialog auf Augenhöhe“ zu führensei, wonach es ein „Steuergremium für den Stresstest“geben solle und die „Federführung bei“ einem „unab-hängigen externen Gutachter“ liegen solle. Tatsacheist: Von all dem ist im Geißler-Spruch nichts zu lesen.Ein Vierteljahr nach Verkündung der anmaßenden Geiß-ler´schen Entscheidung können solche Forderungenleicht vom Tisch gefegt und als „Nachkarten“ denun-ziert werden. Selbst wenn die DB AG auf solche Forde-rungen eingehen würde – es dürfte extrem schwer sein,einen solchen „unabhängigen externen Gutachter“, aufden sich beide Seiten einigen, zu finden. Die mehrfachins Spiel gebracht Züricher Firma SMA ist bereits vonder Auftragslage her erheblich von der DB AG abhän-gig. Es gibt sogar Gerüchte, dass die DB AG bei SMAbereits eingestiegen sei.Es geht jedoch auch um Grundsätzliches. Wenn mansich einmal auf die Ebene der Nachbesserungen einge-lassen hat, hat man sich auf eine schiefe Ebene eingelas-sen. In der Öffentlichkeit entsteht dann der Eindruck,dass die grundsätzliche Position des „Obenbleibens“aufgegeben oder zumindest aufgeweicht wird. Das wirktZu Protokollentwaffnend und irritierend und es ist kontraproduktiv.Was würde es denn besagen, wenn der Stresstest „aufAugenhöhe“ und mit einem „Steuerungsgremium“, mitPräsenz der S21-Gegner in diesem stattfände und zumErgebnis kommen würde: S21 ist möglich als „S21 plus“mit diesen und jenen Verbesserungen? Es würde sichrein gar nichts daran ändern, dass mit S21 der Kopf-bahnhof weitgehend zerstört, in Stuttgart ein Jahrzehntlang eine Großbaustelle im Zentrum existiert, die Tun-nelbauten mit immensen Gefahren für die Mineralwas-serquellen und die Standfestigkeit der Gebäude verbun-den sein würde und daran, dass das Projekt als solchesein Schienenverkehr-Vermeidungs-Projekt ist.Oben bleiben heißt oben bleiben. Wenn es um Verbes-serungen und Nachbesserungen geht, dann auch oben.„Stresstest – könnt ihr haben. Widerstand 2.0“ – sostand es auf einem schönen Plakat, das im November,nach Geißlers Spruch, im Schlossgarten hing.
Sie erinnern sich sicher alle noch gut an die heftigenAuseinandersetzungen im Herbst letzten Jahres um dasGroßprojekt Stuttgart 21 und die dazu öffentlich durch-geführte Faktenschlichtung in Stuttgart. Stuttgart 21 istnach Auffassung der Bundesregierung ein Projekt derDeutschen Bahn AG. Daher verlässt sie sich bis heuteblindlings auf die Zahlenwerke der Bahn sowie auf dievon ihr behauptete Wirtschaftlichkeit und den verkehrli-chen Nutzen des Projekts, trotz hoher finanzieller Betei-ligung und Risiken für den Bund.Wir sehen dies ebenso wie der Bundesrechnungshofkritisch. Der Bund beteiligt sich mit 1,2 Milliarden Euroam Ausbau des Eisenbahnknotens Stuttgart und ist Ei-gentümer der Deutschen Bahn AG. Er muss also ein ur-eigenes Interesse daran haben, dass die Kosten des Pro-jekts Stuttgart 21 nicht explodieren – unabhängig davon,ob sich dies nun negativ im Bundeshaushalt nieder-schlägt oder in der Bilanz der bundeseigenen DB AG. Zu-dem muss der Bund ein ureigenstes Interesse daran ha-ben, dass der Ausbau des bundeseigenen Schienennetzesden verkehrlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen hebtund die DB AG keine Projekte errichtet, die gigantischviel kosten, ohne Nutzen für den Schienenverkehr zuschaffen. Insofern ist es schon sehr aufschlussreich, dasskeine Vertreter des Bundesverkehrsministeriums amSchlichtungsverfahren teilnahmen und die Bundesregie-rung damit ausdrücklich ihr Desinteresse an den wirkli-chen Fakten signalisierte. Das deckt sich mit unserenjahrelangen Erfahrungen.Es bedurfte erst der Schlichtung, eines nichtparla-mentarischen Gremiums auf der Basis des guten Willensaller Beteiligten, damit mehr Informationen über diesesProjekt vorgelegt wurden – mehr Informationen übri-gens, als den Mitgliedern des Deutschen Bundestages imgesamten Planungsprozess für Stuttgart 21 zugestandenwurde, selbst wenn sie nur in den GeheimschutzstellenEinblick in die Unterlagen nehmen wollten, was zur Ver-schwiegenheit verpflichtet.Damit sind wir beim Kern unseres Antrags. Die Bahnbegründet den milliardenschweren Umbau des Stuttgar-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11079
gegebene RedenWinfried Hermann
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ter Hauptbahnhofs von einem gut funktionierendenKopfbahnhof in einen unterirdischen Tunnelbahnhofinsbesondere damit, dass dieser hohe Kapazitätszu-wächse bewältigen könne. Es war jedoch eine der wich-tigsten Erkenntnisse der Faktenschlichtung, dass die ei-senbahntechnische Leistungsfähigkeit des von der DBAG geplanten neuen Bahnknotens Stuttgart 21 ernsthaftinfrage gestellt werden muss. Daher verpflichtete sichdie DB AG zu einem sogenannten Stresstest, einer Belas-tungssimulation, bei der nachgewiesen werden soll, dassStuttgart 21 in Spitzenbelastungszeiten 30 Prozent mehrZüge bewältigen kann als der bestehende Kopfbahnhof.Ansonsten sind Nachbesserungen nötig, und diese ma-chen das Projekt erheblich teurer, als es ohnehin schonnach dem jetzigen Stand ist.Mehr als pikant ist allerdings, dass die DeutscheBahn nach den heftigen Auseinandersetzungen, die indas Schlichtungsverfahren mündeten, eine Beteiligungunabhängiger Experten und die Einbeziehung von Ver-tretern des Aktionsbündnisses von Anfang an ablehntund den Stresstest selbst durchführen will. Erst die Er-gebnisse der bahninternen Prüfung sollen zur Kontrollean das Schweizer Verkehrsberatungsunternehmen SMAübergeben werden, dass zu 75 Prozent von Aufträgender DB AG lebt. Von einem transparenten Verfahren istkeine Rede mehr. Dies kritisierte auch Schlichter HeinerGeißler, der laut Äußerungen in den Medien das Anlie-gen des Aktionsbündnisses, von Anfang an an der Leis-tungsüberprüfung beteiligt zu sein, voll unterstützt. Aberwas passiert, wenn die DB AG sich quasi selbst kontrol-liert und die Nachkontrolle einem Unternehmen über-lässt, das regelmäßig Aufträge von der DB AG erhält?Es liegt auf der Hand: Man kommt zu dem gleichen Er-gebnis wie bereits vor der Schlichtung – Stuttgart 21 istwunderbar, funktioniert und benötigt keinerlei Nachbes-serungen, und selbstverständlich bleibt auch alles imvertraglichen Kostenrahmen. Für diese Erkenntnis hättees allerdings weder das Schlichtungsverfahren noch denaufwendigen Stresstest benötigt. Das wird auch die Bür-gerinnen und Bürgern nicht überzeugen, die monatelangin Baden-Württemberg und ganz Deutschland zu Zigtau-senden energisch gegen das Projekt protestiert haben.Der Stresstest ist ein Zwischenergebnis der Schlich-tung und die zeitlich nachgelagerte Fortführung desSchlichtungsverfahrens, da zentrale Problempunkte imRahmen der Schlichtung nicht abschließend geklärtwerden konnten. Er muss daher den gleichen Kriterienwie das Schlichtungsverfahren, nämlich Transparenzund Dialog auf Augenhöhe, folgen. Deshalb fordern wirdie Bundesregierung mit unserem Antrag auf, in ihrerVerantwortung als Eigentümerin der DB AG dafür Sorgezu tragen, dass der Stresstest von Anfang an, also bereitsbei Eingabe der Daten und der Datenverarbeitung, öf-fentlich und transparent erfolgt. Das heißt, er muss un-ter Beteiligung des Aktionsbündnisses und unabhängi-ger Experten durchgeführt werden. Nur dann kann einebreite Akzeptanz für das Ergebnis erreicht werden. DieFederführung des Stresstests darf nicht beim Projektträ-ger der DB AG liegen, denn dessen Planungen sollen jaschließlich überprüft werden.Zu ProtokollNach den zahlreichen Fehl- und Halbinformationenbezogen auf Kosten, Risiken und Nutzen von Stuttgart 21über Jahre hinweg ist das Vertrauen in die DeutscheBahn erheblich gestört. Der Stresstest und die darausabgeleiteten Konsequenzen sind nur dann tragfähig,wenn es ein gemeinsames, transparentes Verfahren gibt,an dem die Projektkritiker des Aktionsbündnisses unddamit die Öffentlichkeit von Anfang an beteiligt sind.
Sind Sie damit einverstanden, den Antrag auf Druck-
sache 17/5041 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zu überweisen? – Das ist der Fall. Dann ist
es so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 26:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia
Roth , Dr. Frithjof Schmidt, Manuel
Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
wiederbeleben
– Drucksache 17/5042 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben bereits die
Kolleginnen und Kollegen Bareiß, Karl, Nietan, Vogel
, Hunko und Roth (Augsburg).
Gegenstand der heutigen Debatte ist die Wiederbele-bung der Verhandlungen mit der Türkei zum Beitritt indie Europäische Union. Im Oktober 2005 wurden unterder damaligen rot-grünen Bundesregierung Beitrittsver-handlungen aufgenommen. Die CDU/CSU hat sich vonAnfang an skeptisch gegenüber einer Vollmitgliedschaftder Türkei geäußert und mit der privilegierten Partner-schaft ein Gegenkonzept vorgestellt, das der großen Be-deutung einer engen Beziehung angemessen ist und fürbeide Seiten große Vorteile bietet. Wir haben uns aberauch dazu bekannt, dass beschlossene Verträge geltenund die Beitrittsverhandlungen weitergehen. Ich sageganz klar: Ob die Beitrittsverhandlungen wiederbelebtwerden, liegt ganz allein in der Hand der Türkei, die ent-scheiden muss, ob sie Reformen will oder nicht. Ichglaube, sie will sie nicht. Auch nach dem Beginn derBeitrittsverhandlungen sind die Grundsätze des Kon-zepts der privilegierten Partnerschaft angesichts des of-fen gestalteten Verhandlungsprozesses, der ausdrücklichkeine EU-Mitgliedschaft am Ende garantiert, aktuell.Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass die Tür-kei ein enorm wichtiger Partner für die EuropäischeUnion ist und unser Land ein besonderes Interesse an ei-ner Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Tür-kei hat. Lassen Sie mich dazu zunächst einige Ausfüh-
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11080 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenThomas Bareiß
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rungen machen, ehe ich anschließend auf die inner-türkischen Probleme eingehe.Zunächst einmal ist die Türkei ein wichtiger Handels-partner und Investitionsstandort, gehört sie doch mit ei-nem Bruttoinlandsprodukt von 729 Milliarden US-Dol-lar im Jahr 2010 zu den 20 größten Volkswirtschaftender Welt. Die Türkei ist mit ihren 71 Millionen Einwoh-nern ein wichtiger Handelspartner für Europa und vorallem auch für Deutschland. So war die Bundesrepublikmit einem Anteil von rund 10 Prozent an den gesamtentürkischen Wareneinfuhren im Jahr 2009 zweitgrößterLieferant der Türkei. Eine enge wirtschaftliche Koope-ration bietet für beide Seiten große Vorteile. Die Türkeimit ihrer sehr jungen Bevölkerung besitzt somit ein ho-hes wirtschaftliches Potenzial.Darüber hinaus ist die Türkei durch ihre geografi-sche Lage gleichsam eine Energiedrehscheibe – einwichtiges Bindeglied zwischen den Märkten Europasund den Erdöl und Erdgas exportierenden Ländern desNahen und Mittleren Ostens sowie der Region um dasKaspische Meer. Für die Energieversorgung Europasspielt die Türkei damit eine immer wichtigere Rolle. EinBeispiel ist die Nabucco-Gasleitung, die Westeuropa un-abhängiger von Russland machen soll.Vor allem aber – und das betrifft die Außen- und Si-cherheitspolitik – ist die Türkei ein wichtiges Nato-Mit-glied, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie diezweitgrößte Armee des Bündnisses besitzt. Durch dieNähe zum arabischen Raum stellt sich die Türkei als einwichtiger Partner in geostrategischer Hinsicht dar: DieTürkei grenzt an Georgien, Armenien, Aserbaidschan,Iran, Irak und Syrien. Damit ist die Türkei für uns einwichtiger vermittelnder Brückenstaat zu diesen Län-dern, gerade was die dortigen Krisenherde betrifft undgerade angesichts der aktuellen politischen Umwälzun-gen in Nordafrika und im Nahen Osten. Die Türkei mitihrer Staatsform und ihrer außenpolitischen Ausrich-tung ist als starke Mittelmacht in der Region somit einewichtige Brücke zum Nahen Osten und zur islamischenWelt.Auf dem Europäischen Rat im Juni 1993 in Kopenha-gen wurden die Bedingungen für einen Beitritt beschlos-sen, nämlich Kriterien, die potenzielle Beitrittsländerzur Europäischen Union erfüllen müssen. Der Acquisumfasst die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die politi-schen Beitrittsvoraussetzungen, institutionelle Stabili-tät, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Men-schenrechte und den Schutz von Minderheiten.Nun zum Stand der Reformen. Bei allen oben genann-ten Kriterien ist die Türkei in den letzten Jahren nichtviel vorangekommen. Sie hat sich vielmehr, gemessen anden oben genannten Werten, bei einigen Punkten vonEuropa entfernt. Leider hat der Fortschrittsbericht derEU-Kommission vom Oktober 2010 gezeigt, dass dieTürkei in den letzten Jahren bedauerlicherweise sehrwenig Reformfortschritte gemacht hat. In der Türkeiherrschen nach wie vor enorme Defizite bei zentralenDemokratie-Beitrittskriterien. Dazu gehören unter an-derem der Schutz von Minderheiten, Frauenrechte, Mei-nungsfreiheit und Pressefreiheit. Die stagnierenden Re-Zu Protokollformentwicklungen machen mir große Sorge. JüngsteVerhaftungen von Journalisten wegen angeblicher Mit-gliedschaft in terroristischen Netzwerken, eine Wellevon Klagen und Ermittlungen gegen Karikaturisten,Reporter und Kolumnisten wegen Verleumdung und an-tistaatlicher Propaganda, exorbitante Steuerstrafengegen regierungskritische Medienunternehmen sowiemedienkritische Äußerungen von Politikern geben An-lass dazu. Bis die Türkei diese Grundwerte westlicherDemokratien nicht nur auf dem Papier verabschiedethat, sondern die Gerichte und die Menschen diese Prin-zipien auch verinnerlicht haben, wird wohl noch einelange Zeit vergehen.Dass zurzeit keine weiteren Kapitel in den Beitritts-verhandlungen eröffnet werden, liegt an der unnachgie-bigen Haltung der türkischen Regierung in der Zypern-Frage. Die Türkei verstößt in der Zypern-Frage gegenVölkerrecht, indem es den Norden besetzt hält und sicheiner Einigung Zyperns nach wie vor entgegenstellt. DieTürkei ist gemäß Ankara-Protokoll verpflichtet, dieZollunion mit der EU auf alle Mitgliedstaaten anzuwen-den, und das heißt, türkische Häfen und Flughäfen fürzypriotische Waren zu öffnen. Unsere Bundeskanzlerinhat in vielen Gespräche mit der Türkei und mit Zyperndieses Problem klar angesprochen und betont, dass sichbeide Seiten bewegen müssen und dass die Bundesregie-rung bereit ist, bei der Überwindung der Probleme Hil-festellung zu geben. Daher verstehe ich den Vorwurf derUntätigkeit der Grünen gegenüber der Bundesregierungnicht. Ebenfalls hat die Bundesregierung immer betont,dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden.Wenn Ministerpräsident Erdogan die Türkei alsSchutzmacht für die in Deutschland und Libyen leben-den Türken bezeichnet, dann ist das schlichtweg einnicht hinnehmbarer Vergleich. Solche Vergleiche undsolche Reden von Ministerpräsident Erdogan sind si-cher nicht förderlich, um zu zeigen, dass sich die Türkeider Europäischen Union annähert. Und seine Aussagein Düsseldorf, dass die in Deutschland lebenden Kindermit türkischen Eltern zuerst türkisch lernen sollen, zeigt,dass die Türkei noch weit weg vom gemeinsamen euro-päischen Verständnis ist.Zu begrüßen sind die Fortschritte, die durch das Ver-fassungsreferendum in der Türkei im September letztenJahres erreicht werden konnten. Die Reform des Justiz-wesens ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zu begrü-ßen ist auch, dass sich die Türkei mit Armenien daraufgeeinigt hat, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.Dies war sicher kein einfacher Schritt nach fast hundertJahren Lügen und Leugnen des Massenmordes an denArmeniern.Nun zur Lage der Christen in der Türkei. Nicht hin-nehmbar ist für mich, dass in der Türkei das Recht auffreie Religionsausübung als einer der Grundpfeiler un-serer Werteordnung nicht gewährleistet ist. Das christli-che Leben wird dort weiterhin stark eingeschränkt. Esist den christlichen Minderheiten in der Türkei nicht ge-stattet, ihren Nachwuchs an Geistlichen auszubildenoder Unterricht in den Sprachen der Minderheiten zu er-teilen; sie dürfen keine Kirchen errichten und ihren
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11081
gegebene RedenThomas Bareiß
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Glauben nicht frei praktizieren. Ein weiterer großerRückschlag ist auch das Urteil in Bezug auf das KlosterMor Gabriel. Mor Gabriel ist eines der ältesten Klösterder Christenheit und soll nun nach Meinung des obers-ten Gerichtshofes in Ankara zugunsten des SchatzamtesMidyat enteignet werden. Die Kläger wurden von der re-gierenden AKP-Partei massiv unterstützt.Es muss ein deutliches Signal aus Deutschland, aberauch aus Europa, in die Türkei gesandt werden, dass dasMenschenrecht der Religionsfreiheit auch in der Türkeiuneingeschränkte Geltung bekommen muss. Ich bin un-serem Bundespräsidenten Christian Wulff sehr dankbar,dass er in seiner vielbeachteten Rede vor dem türkischenParlament besonders unterstrichen hat, dass die Religi-onsfreiheit für unsere europäische und deutsche Werte-gemeinschaft unabdingbar ist. Zu Recht wies er mit sei-ner Mahnung, Religionsfreiheit auch für Christenmöglich zu machen, auf die herrschenden Missstände inBezug auf die Religionsfreiheit hin. So wie die Muslimein Deutschland ihre Religion ohne jegliche Einschrän-kungen praktizieren und leben können, muss Gleichesauch für die in der Türkei lebenden Christen gelten. WieVolker Kauder bin ich der Auffassung, die Einhaltungder Religionsfreiheit zur Voraussetzung für die Öffnungneuer Kapitel zu machen.Am 12. Juni 2011 finden in der Türkei die Wahlen zumtürkischen Parlament statt. Die neue türkische Regie-rung wird vor einer Reihe wichtiger Aufgaben und Her-ausforderungen stehen. Ein vorrangiges Ziel auf der po-litischen Agenda wird die Erarbeitung undVerabschiedung einer neuen Verfassung sein. Im weite-ren Entwicklungsprozess hat die Türkei die Möglichkeit,ihre rechtsstaatlichen Probleme und Demokratiedefizitezu lösen sowie die Rolle der Religion in Politik und Ge-sellschaft neu zu definieren.Wir unterstützen aus Überzeugung den Reformpro-zess, bei dem sich die Türkei an europäischen Werte-,Wirtschafts- und Rechtsstandards orientiert. Die Türkeiist ein wichtiger Partner Deutschlands und der Europä-ischen Union in der Region. Die CDU/CSU setzt aufeine starke Türkei an der Seite Europas. Aber als voll-wertiges EU-Mitglied sehen wir die Türkei nicht undsetzen weiterhin auf das Konzept der privilegiertenPartnerschaft.
Wenn wir uns heute mit dem Antrag der Grünen be-fassen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkeiwiederzubeleben, so mutet dies wie eine Pflichtübungan. In periodischen Abständen wird aus dem Lager derOpposition der Vorschlag geradezu gebetsmühlenartigwiederholt, das Tempo der Türkei in Richtung Europa zuforcieren. Bedauerlicherweise geht das Petitum bei die-sem Antrag – wie bei manch anderen gleichgerichtetenÜberlegungen – immer in die Richtung der Europäi-schen Union, der europäischen Einrichtungen. Immerwird subtil unterstellt, dass „Europa“, dass die „euro-päischen Einrichtungen und Institutionen“ eine gewisseBringschuld an Aktivitäten nunmehr zu leisten hätten,dass es an der Zeit wäre, dass die Europäische UnionZu Protokollnun endlich „ihre Hausaufgaben macht“, nun endlichihre Verpflichtungen gegenüber der Türkei einhält, umder Türkei den Weg in die Europäische Union zu ebnen.Bei Licht betrachtet sehen die Dinge jedoch ganz an-ders aus. Nicht die Europäische Union hat eine Bring-schuld gegenüber der Türkei, vielmehr ist es gerade umge-kehrt. Um in eine bestehende Gemeinschaft aufgenommenzu werden, sind die Grundsätze der Gemeinschaft zu ak-zeptieren, sind deren Grundlagen zu akzeptieren. Eswäre ja geradezu schizophren, wenn jemand, der sich ei-ner Gemeinschaft anschließen möchte, darauf pochenund bauen könnte, dass die festgefügte Organisationsich deshalb verändert, weil das neue Mitglied, das umAufnahme ersucht, in wesentlichen Teilen zu der beste-henden Gemeinschaft nicht passt. Das wäre ja genau so,als wenn jemand in einen Verein aufgenommen werdenmöchte, aber als Nicht-Mitglied vom Verein verlangt,dass dieser schon einmal – quasi vorab – seinen Vereins-zweck ändert, um den Verein passend für ihn zu machen.Wer solch einem Gedankengang nachhängt, liegtdoch völlig verkehrt, gerade andersherum wird einSchuh aus der Sache. Derjenige, der einer Gemeinschaftbeitreten will, muss von sich aus zu der Gemeinschaftpassen; hierbei sehe ich gerade nicht zu überwindendeSchwierigkeiten. Die Aufnahmewünsche der Türkei indie EU sollten aus verschiedener Sichtweise, auch aushistorischer Sicht, beleuchtet werden. Wir müssen min-destens bis in das Jahr 1957 zurückblicken, als dieStaatsmänner Europas in Rom die Verträge, die „Römi-schen Verträge“, geschlossen haben, um eine Europäi-sche Wirtschaftsgemeinschaft zu begründen. SchonJahre vorher, durch eine gemeinsam ausgerichtete Poli-tik bei Kohle und Stahl, zusammengekommen, wurde1957 in Rom manifestiert und fortgeschrieben, dass mansich künftig in Europa auf eine gemeinschaftliche Wirt-schaftspolitik einigen wollte.Aus früheren Feinden wurden über wirtschaftliche In-teressen politische Freunde. Die nunmehr von Zäunenund Schlagbäumen befreiten westeuropäischen Länder,die sechs Kernländer Europas, konnten sich ohne au-ßenwirtschaftliche Schranken hervorragend entwickelnund haben eine noch nie dagewesene wirtschaftlicheProsperität in den letzten fünf Jahrzehnten gesehen. DieEuropäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich zur Euro-päischen Gemeinschaft und dann zur EuropäischenUnion entwickelt. 27 Länder Europas sind es mittler-weile, die weit über die wirtschaftlichen Interessen hin-aus eine gemeinschaftliche europäische Politik auf vie-len Feldern wollen.Nach den Erweiterungen der EU ist das „politischeEuropa“ groß geworden, es hat frühere trennende regio-nale Grenzen aufgehoben. Durch die deutliche Erweite-rung Europas nach Süden, nach Norden und nach Ostenist Europa allerdings auch auf regionale Grenzen gesto-ßen. Heute gilt es, das groß gewordene Europa zu konso-lidieren.Grenzen sind aber nicht nur regional zu definieren.Die Gemeinschaft darf nicht an der Oberfläche düm-peln. Europa muss gerade an Tiefgang gewinnen, um dieüber Jahrzehnte hin gewachsenen Grundlagen des poli-
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11082 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenAlois Karl
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tischen Europas überall zu implementieren und nicht zuverwässern. Neben den regionalen Grenzen gibt es auchnoch ganz andere Grenzen, geistige Grenzen zum Bei-spiel, die die Identität Europas bedeuten. Es gibt die kul-turelle Identität, es gibt die weltanschauliche Identitätund es gibt die historische Identität Europas.Durch die jetzigen 27 Mitgliedstaaten Europas kön-nen im Wesentlichen diese kulturellen, weltanschauli-chen und historischen Identitäten subsumiert werden –auch wenn der Beitritt Rumäniens und Bulgariens mitgewissen Schwierigkeiten versehen war. Es bleibt jedochfestzustellen, dass sich die frühere Wirtschaftsgemein-schaft hervorragend entwickelt hat zu einer Gemein-schaft, die nach außen hin mit einer gleichmäßig ausge-richteten Außen- und Sicherheitspolitik aufwartet unddie ihre gemeinschaftliche Zukunft in einer gleichge-richteten Wirtschafts- und Währungspolitik sucht.Die Einführung des Euro war ein außerordentlichwichtiger und markanter Punkt in der gemeinschaftli-chen Politik in Europa. Das gemeinsame Geld hat diegemeinsamen Wurzeln Europas, hergeleitet aus ihrerTradition und aus ihrer Kultur, ganz deutlich manifes-tiert. An diesen Entwicklungen in Europa bis zurück insMittelalter hat die Türkei keinen Anteil gehabt. Die kul-turellen, die geistigen und die historischen Wurzeln Eu-ropas sind nicht die gleichen wie die der Türkei. Wenndie Türkei also Aufnahme in die Europäische Gemein-schaft sucht, dann kann man sich nicht auf eine aus ge-meinschaftlichen Wurzeln herrührende Tradition beru-fen.Die Interessen der Türkei liegen heute auf wirtschaft-lichem Gebiet. Die gewünschten Beitrittsverhandlungenmit der Türkei sind Verhandlungen, um der Türkei wirt-schaftliche Vorteile zu bringen. Dies ist nichts Schlechtes,und Verhandlungen werden seit Jahrzehnten betrieben.Von den wirtschaftlichen Interessen zu unterscheiden sindaber eben die tiefer gehenden Überlegungen; die Fragelässt sich darauf reduzieren: Ist die Türkei ein europäi-sches Land, das in die EU aufgenommen werden kann,oder nicht? Die augenblicklichen Diskussionen sind da-her manchmal etwas peripher.Gewiss hat die Türkei augenblicklich nicht die Reife,die man sich von einem rechtsstaatlichen, demokratischverfassten Land vorstellt. Verstöße gegen die Meinungs-freiheit sind evident. Erst vor wenigen Wochen wurdenJournalisten in der Türkei festgenommen wegen angeb-licher Mitgliedschaft in einer Organisation Ergenekon,die sich gegen Ministerpräsident Erdoğan wendet.Die Religionsfreiheit ist in der Türkei in großen Tei-len nicht gegeben. Noch immer können Kirchen undchristliche Glaubensgemeinschaften kein Eigentum er-werben, noch immer ist die Ausbildung für Priester undOrdensleute in der Türkei nicht möglich. Die Enteignun-gen beim 1 600 Jahre alten Kloster Mor Gabriel sind einunglaubliches Zeugnis dafür, dass die Religionsfreiheit,insbesondere die Religionsfreiheit der Christen, in derTürkei geradezu mit Füßen getreten wird. Auf demChristenverfolgungsindex 2011 rangiert die Türkei aufPlatz 30, noch vor Weißrussland und dem Sudan.Zu ProtokollDie Türkei kommt auch bei der Zypern-Politik, wasdie Fortschrittsberichte der EU anbelangt, außerordent-lich schlecht weg. Auch dadurch gibt die Türkei zu er-kennen, dass sie sich an internationales Recht und an in-ternational übliche Vorgehensweisen nicht haltenmöchte.Diese Dinge mögen überwindbar sein. Anstelle dergeknebelten Presse könnte nach einem langen Prozessdurchaus auch Pressefreiheit treten, Christen und an-dere Religionsgemeinschaften könnten längst mit ähnli-chen Rechten ausgestattet sein wie die vorherrschendeReligion im Lande, der Islam. All dies erwarten wir seitlangem schon gerade auch deswegen, weil uns die Tür-kei als Nachbar nahesteht. All dies würde aber nicht dasGrundsätzliche entkräften, nämlich, dass die Türkei keineuropäisches Land ist. Ein Land, das zu mehr als90 Prozent in Asien liegt, kann durch keinerlei rhetori-sche Volte zu einem europäischen gemacht werden.Um einen ehrlichen Umgang mit der Türkei zu pfle-gen, ist es an der Zeit, der Türkei zu sagen, dass das tür-kische Interesse an einer besser koordinierten Wirt-schaftspolitik durchaus respektiert und protegiert werdenkann, dass wir aber nicht in eine europäische Wirt-schaftsgemeinschaft zurückfallen wollen.Die Lösung, die die Bundeskanzlerin Angela Merkelauch in der Türkei sehr offen vertreten hat, ist daherrichtig. Die Türkei kann mit einer privilegierten Part-nerschaft all die wirtschaftlichen Überlegungen treffen,die sie sich in Bezug auf die EU vorstellt. Eine privile-gierte Partnerschaft ist nichts Ehrenrühriges, ein Bei-tritt in die EU ist das allerdings auch nicht. Die Ehrlich-keit gebietet es auch, den Türken zu sagen, was möglichist und was nicht – und ein Beitritt ist nicht möglich.Wenn ein Beitritt also nicht möglich ist, sind auch Bei-trittsverhandlungen nur Hinhaltetaktiken. Dies ist nichtseriös. Beitrittsverhandlungen, wie von den Grünen jetztgefordert, wiederzubeleben, bedeutet nichts anderes, alsdiese Hinhaltetaktiken fortzusetzen. Damit ist der Türkeijedoch nicht gedient; dafür stehen wir auch nicht zurVerfügung.
Vor zwei Tagen fand ich eine Postkarte der rechts-populistischen Partei „Pro Deutschland“ im Briefkas-ten meiner Berliner Wohnung. „Wir wollen die Türkeinicht in der EU!“ lautet die Überschrift dieser Hetz-schrift, in der die Bürger gebeten werden, sich an einerPetition an den Bundestag zu beteiligen, in der wir Ab-geordnete aufgefordert werden, „in allen zuständigenGremien gegen den geplanten Beitritt der Türkei zur EUzu stimmen.“Es scheint, als sei die Frage eines möglichen Beitrittsder Türkei zur EU wie keine andere geeignet, die Ängsteder Menschen in unserem Land zu mobilisieren. Dochgeht es hier nicht etwa um die Ängste vor einem Kollapsder EU durch Überdehnung. Es dreht sich immer wiederum die eine große Angst: die Angst vor dem Islam.Auch ich als Befürworter eines Beitritts der Türkeizur EU muss einräumen, dass es nicht nur gute Argu-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11083
gegebene RedenDietmar Nietan
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mente für einen Beitritt, sondern auch ernstzunehmendeArgumente gegen einen Beitritt gibt. Dass die Türkei einmuslimisch geprägtes Land ist, ist allerdings in keinerWeise ein ernsthaftes Argument gegen einen EU-Beitritt.Die Europäische Union versteht sich ausdrücklich alseine Gemeinschaft, die sich den säkularen Werten vonDemokratie, Menschenrechten, Pluralität und sozialerMarktwirtschaft verpflichtet fühlt. Wir sind kein christli-cher Klub. Und ich als gläubiger Christ sage ausdrück-lich: Das ist auch gut so.Wer sich allerdings anschaut, mit welcher Inbrunstmanche Vertreter von CDU und CSU sich gegen einemögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei wenden, dermuss feststellen, dass diese Kräfte ebenfalls mehr von ei-ner dumpfen Islamophobie getrieben sind als von einersachlichen Abwägung der Vor- und Nachteile einesmöglichen Beitritts der Türkei zur EU. Das mag viel-leicht allzu menschlich sein, aber es zeugt nicht von po-litischer Reife.Es ist wirklich erschreckend, dass die massive Ableh-nung der Türkei von weiten Teilen der Konservativen inunserem Land auf einer zutiefst vorurteilsbeladenen undoft ganz und gar falschen Sicht auf die Türkei fußt, diemit den heutigen Realitäten oft nichts mehr zu tun hat.Wer sich auf eine rationale, nicht von Ängsten gesteu-erte Abwägung der Argumente für einen Beitritt der Tür-kei einlässt, wird ihm durchaus einiges abgewinnen kön-nen.Zuerst einmal sollte man sich in Erinnerung rufen,dass die Türkei ja erst der EU beitreten kann, wenn sieden gesamten Rechtsrahmen der EU in ihrer Gesell-schaft umgesetzt hat. Die Türkei müsste in den Fragenvon Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten, Re-ligionsfreiheit, Achtung von Eigentumsrechten, Minder-heitenschutz, Justiz, Wirtschaftsverfassung und vielemmehr so sein wie die anderen EU-Mitgliedstaaten, unddies nicht nur auf dem Papier, sondern in der gesamtge-sellschaftlichen Realität. Dass die Türkei heute dieseStandards noch nicht erfüllt, wird selbst von den enthu-siastischsten Beitrittsbefürwortern nicht bestritten.Und natürlich ist es in keiner Weise hinnehmbar, dassunter dem Vorwand der sogenannten Ergenekon-Ermitt-lungen in den letzten Jahren immer mehr Journalisten inder Türkei ohne Beweise inhaftiert worden sind. Diejüngsten Verhaftungen der beiden verdienten Journalis-ten Ahmet Sik und Nedim Sener lassen vermuten, dassder Fall Ergenekon von den jetzt in der Türkei Regieren-den dazu genutzt wird, kritische Journalisten mundtot zumachen. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit stellt ganzeindeutig einen Rückschritt auf dem Weg der Türkei indie EU dar.Doch jeder, der zu Recht die Verletzung von Minder-heitenrechten, Pressefreiheit und anderen Bürgerrech-ten in der Türkei kritisiert, müsste doch eigentlich eingroßes Interesse an Fortschritten der Türkei im EU-Bei-trittsprozess haben.Und in der Tat kann man feststellen, dass seit 1999,als der Europäische Rat von Helsinki der Türkei denZu ProtokollStatus eines Beitrittskandidaten gab, die Türkei im Zugedes Beitrittsprozesses auf den Gebieten von Rechtsstaat-lichkeit bis Demokratisierung größere Fortschritte ge-macht hat als in all den Jahrzehnten davor.Die Türkei gilt als eine der dynamischsten Volkswirt-schaften mit hervorragenden Entwicklungsprognosen.Sie ist eine junge Gesellschaft mit vielen gut ausgebilde-ten Menschen. Aus wirtschaftlichen Gründen wandernmittlerweile mehr Menschen von Deutschland in dieTürkei ein als umgekehrt. Das sollte uns zu denken ge-ben. Aus all dem wird schnell klar: Die Türkei wäre ehereine große Chance als eine Belastung für den EU-Bin-nenmarkt. Dies käme unserem Land als „Exportwelt-meister“ sicherlich besonders zugute. Schon jetzt liegenwir bei Importen und Exporten auf Platz eins als derwichtigste Handelspartner der Türkei. Und trotzdemgleicht der Versuch, ein Visum für Deutschland zu erhal-ten, für türkische Geschäftsleute eher einem Himmel-fahrtskommando.Für die politischen und wirtschaftlichen Eliten derTürkei war seit der Staatsgründung der modernen,„postosmanischen“ Türkei Europa immer das großeZiel. Die neue Türkei sollte eine moderne Republik sein,den Werten der Aufklärung und Moderne verpflichtetund den Blick auf Europa gerichtet.Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir Euro-päer der Türkei mit dem 1963 geschlossenen Assoziie-rungsabkommen bereits ein klares Signal gegeben, wel-ches lautete: Wenn ihr Türken es ernst meint mit demWeg nach Europa und euer Land entsprechend refor-miert, dann steht euch die Tür nach Europa weit offen.Allerdings muss die Türkei sich auch darauf verlas-sen können, dass man es mit diesem Versprechen auchheute noch ernst meint. Doch aus innenpolitischenGründen sind es insbesondere Präsident Sarkozy undBundeskanzlerin Merkel, die alle Beschlüsse und Ver-sprechen der EU hinsichtlich einer fairen Chance auf ei-nen Beitritt gegenüber der Türkei unterlaufen. Währendder französische Präsident aus seiner Ablehnung desBeitritts keinen Hehl macht, laviert – wie so oft – dieBundeskanzlerin in dieser Frage herum. Angesichts derderzeitigen Schwierigkeiten im Beitrittsprozess reichtdie demonstrative Passivität von Frau Merkel schonaus, um klar zu machen, dass die derzeitige Bundesre-gierung nicht mehr an der Seite der Türkei steht.Die Folgen sind verheerend: Gerade die Menschen,die in der Türkei mutig für mehr Demokratie und Rechts-staatlichkeit eintreten, fühlen sich von der jetzigen Bun-desregierung im Stich gelassen. Für diese Menschenwar die Beitrittsperspektive immer die entscheidendeUnterstützung in ihrem Kampf für die Menschenrechte.Doch auch immer mehr Teile der politischen undwirtschaftlichen Eliten der Türkei wenden sich frustriertvon Europa ab. Jetzt, wo endlich die Reformen in Gangkommen, die die Europäer als Bedingung für den Eintrittgefordert haben, schlägt man ihnen die Türe vor derNase zu. Wer aber den politischen Eliten in der Türkeidie europäische Perspektive verweigert, zwingt diese ge-radezu dazu, sich neue Perspektiven zu suchen. Hier
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11084 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
gegebene RedenDietmar Nietan
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bieten sich dann leider insbesondere der Nationalismusund der Islamismus an. Das kann nicht in unserem Inte-resse sein. Besonders scheinheilig ist es dann auch noch,wenn sich die Konservativen in Europa, die der Türkeiseit Jahren die kalte Schulter zeigen, jetzt lauthals darü-ber beschweren, dass die Türkei sich vom Westen ab-wende.Die Türkei spielt eine herausragende Rolle in der Re-gion. Ihre geostrategische Lage ist von größter Bedeu-tung. Nahost-Konflikt, Schwarzmeer-Kooperation, Er-schließung der Energiereserven im Kaspischen Raum,Irak, Iran, Versöhnung des Orient mit dem Okzidentoder auch die Energiesicherheit – es gibt an der europä-ischen Peripherie kaum eine Frage von Belang, bei derdie Türkei nicht eine entscheidende Rolle spielt.Wie sehr würde es gerade uns Deutschen, aber auchder EU insgesamt zum Vorteil gereichen, wenn wir in alldiesen Fragen die Türkei als Freund und Partner an un-serer Seite hätten. Vielleicht muss man es einmal sodeutlich sagen: Es scheint so, als haben all die konser-vativen Kräfte in Europa in ihrer teilweise schon obses-siven Anti-Türkei-Agitation völlig aus den Augen verlo-ren, dass wir die Türkei am Ende möglicherweise mehrbrauchen als diese uns.Niemand will der Türkei einen Rabatt im Beitrittspro-zess einräumen. Niemand geht von einem Beitrittsauto-matismus aus. Niemand bestreitet die immer nochvorhandenen Defizite in puncto Rechtsstaatlichkeit,Pressefreiheit und Minderheitenrechte in der Türkei.Niemand behauptet, dass die Türkei schon morgen Mit-glied der EU werden könnte. Niemand glaubt, dass einBeitritt der Türkei in die EU ein Kinderspiel sei. Nie-mand bestreitet, dass die EU selbst dringend weitererReformen bedarf, um ihre eigene Aufnahmefähigkeit zustärken.Doch gerade angesichts der dramatischen Ereignissein unserer unmittelbaren Nachbarschaft rund um dasMittelmeer brauchen wir jetzt eine EU, die sich nicht ab-kapselt und sich in Ängsten ergeht, sondern mit Mut undZuversicht ihrer Rolle als ein gutes Beispiel für politi-sche Weitsicht und beherztes Eintreten für die Werte vonDemokratie und Menschenrechten gerecht wird.Dem Beitrittsprozess mit der Türkei jetzt neue Im-pulse zu geben und somit zu dem Versprechen zu stehen,das wir der Türkei 1963 gegeben haben, das wäre einewirklich weitsichtige Politik. Aber noch wichtiger wäredabei das Signal, welches wir den Menschen innerhalbund außerhalb der EU geben würden: dass wir selbstnämlich immer noch an die Kraft unserer eigenen euro-päischen Ideen glauben.
Heute überraschen uns die Grünen ausnahmsweiseeinmal mit Regierungskritik im Gewand der EU-Bei-trittsverhandlungen mit der Türkei. Dazu möchte ich Ih-nen noch einmal die Koalitionsvereinbarung zwischenUnion und FDP in Erinnerung rufen. Dort heißt es:„Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer Ver-tiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Türkei undZu Protokollan einer Anbindung des Landes an die EuropäischeUnion. Die 2005 mit dem Ziel des Beitritts aufgenomme-nen Verhandlungen sind ein Prozess mit offenem Ende,der keinen Automatismus begründet und dessen Aus-gang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.“Die Kollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/DieGrünen sehen also, die Koalition hat das Thema auf derAgenda. Und es ist eine Selbstverständlichkeit, beste-hende Verträge und Vereinbarungen einzuhalten. Damachen wir im Fall der Türkei keine Ausnahmen. Wa-rum sollten wir auch?Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dassder EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich absolut unter-stützenswert ist. Wenn die Türkei beitrittsfähig und dieEuropäische Union aufnahmefähig ist, dann wäre eineVollmitgliedschaft die beste Form unserer Zusammenar-beit. Die Verhandlungen sind ergebnisoffen, und es gibtkeine Garantien; aber man muss auch klar sagen, wasman will. Ich tue das und wir tun das: Wir wollen, dassdiese früher oder später erfolgreich abgeschlossen wer-den.Eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei alsMitglied der Europäischen Union brächte eine Reihevon wichtigen Vorteilen: So wies die Türkei in den letz-ten Jahren ein wirklich beeindruckendes Wirtschafts-wachstum auf. Das muss man sich nur einmal im G-20-Verleich anschauen. Sie ist weiterhin mit einem Durch-schnittsalter von 27,7 Jahren ein sehr junges Land. Füreine alternde Europäische Union – denken Sie nur anunsere mit durchschnittlich 44 Jahren fast doppelt soalte Republik – wäre das ein Gewinn. Und die Türkeikann eine Brücke in die islamische Welt sein, die zurfriedlichen Völkerverständigung beiträgt.Zudem wäre ein Beitritt der Türkei eine echte Feuer-taufe für die Europäische Union als Wertegemeinschaft.Der Islam ist seit dem Mittelalter ein Teil Europas, wieetwa der Blick auf Südspanien, den Balkan oder die isla-mischen Einflüsse am apulischen Hof des in der deut-schen Nationalgeschichte ja nun nicht gerade unbedeu-tenden Kaisers Friedrich II. zeigt. Dies lässt sich nichtwegdiskutieren. Vielmehr sollten wir diese Tatsache an-erkennen und die Chance darin erkennen, gerade vordem Hintergrund der aktuellen politischen Gescheh-nisse in Nordafrika und insbesondere Libyen. Diese zei-gen doch: Europa braucht eine demokratische Türkei.Die Türkei kann eine Schlüsselrolle und Vorbildfunk-tion für andere islamische Staaten einnehmen. Die türki-sche Verfassungsreform des letzten Jahres bietet dafürdie besten Voraussetzungen und zeigt Schritte in dierichtige Richtung, die wir selbstverständlich weiterhinunterstützen werden. Die Türkei kann sich darauf ver-lassen, dass wir sie auf ihrem Weg zu mehr Demokratieund Rechtsstaatlichkeit begleiten. Ich hoffe, es freut dieKollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen,dass wir das auch ohne ihren Antrag tun. Immerhin be-haupten Sie in Ihrem Antrag, die Bundesregierung habedie Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen mit derTürkei mit zu verantworten. Später in Ihrem Antragschreiben Sie dann bereits, wir selbst hätten eine Blo-ckadehaltung. Ganz so sicher sind Sie sich dabei offen-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11085
gegebene RedenJohannes Vogel
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sichtlich nicht. Aber ich kann ihre Verwirrung auflösen,weil es nämlich so oder so schlicht nicht stimmt. Sie wol-len hier etwas herbeireden, was nicht da ist. Und daswissen Sie im Grunde genommen auch selbst.Mit Blick auf den EU-Beitritt der Türkei muss man je-doch feststellen, dass zurzeit weder die Türkei beitritts-fähig noch die Europäische Union aufnahmefähig ist.Dabei hilft es der Türkei und auch uns überhaupt nicht,ihren Reformbedarf, so wie Sie es tun, herunterzuspie-len. Die Türkei hat zuletzt nicht die „atemberaubendeEntwicklung“ durchgemacht, wie Sie sie beschreiben.Der Fortschrittsbericht der Europäischen Union sprichtdiesbezüglich eine deutliche Sprache: Es gibt noch vielzu tun, vor allem bei den Grund- und Minderheitenrech-ten, insbesondere von ethnischen und religiösen Minder-heiten wie beispielsweise den Griechen, den Armeniern,den Aramäern und den Aleviten, und dem Aufbruch derBlockade in der Zypern-Frage.Auch die aktuellen Geschehnisse im Zuge des Ergenekon-Verfahrens sorgen zu Recht für erhebliches Aufsehen.Hier sind kritische Fragen berechtigt, und wir alle müs-sen diese stellen – gerade als Freunde und Partner.Gleichzeitig bietet genau dieser Prozess für die Türkeiaber auch die Chance, die Unabhängigkeit der Justizund die rechtsstaatlichen Standards der Türkei unter Be-weis zu stellen. Wir müssen hier kritisch hinschauen –und dann werden wir sehen.Die Türkei wäre eine große Bereicherung für die Eu-ropäische Union. Dazu muss sie weitere Fortschrittemachen. Eine solche Entwicklung braucht seine Zeit.Drängeln hilft da nicht weiter. Sie müssen sich aber je-denfalls keine Sorgen machen: Die Beitrittsverhandlun-gen mit der Türkei sind bei der Koalition in guten Hän-den.Aus den dargelegten Gründen werden wir den Antragder Grünen ablehnen. Denn da wo Ihr Antrag richtig ist,brauchen wir ihn nicht. Und dort, wo er falsch ist, brau-chen wir ihn erst recht nicht.
Wir diskutieren heute den Antrag der Grünen „EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederbeleben“.In der Tat ist es so, dass die Beitrittsverhandlungen mitder Türkei nach dem hoffnungsvollen Beginn 2004 er-lahmt sind und gegenwärtig stagnieren. Diese Erlah-mung hat im Wesentlichen zwei Gründe, auf die der An-trag der Grünen nicht oder nur unzureichend eingeht.Erstens wachsen innerhalb der EU rassistische undrechtspopulistische Stimmungen, die die Türkei als frem-den Kulturraum betrachten, der mit Europa nichts zutun habe. So hat die österreichische FPÖ angekündigt,eine europäische Bürgerinitiative gegen die EU-Bei-trittsverhandlungen mit der Türkei zu starten. DieGrundlage solcher Stimmungen sind nicht konkrete De-mokratiedefizite oder Menschenrechtsverletzungen, diees im Zuge der Beitrittsverhandlungen zu überwindengilt, sondern Ablehnungen gegenüber den Menschen ausder Türkei an sich. Dagegen gilt es deutlich und ent-schieden Flagge zu zeigen.Zu ProtokollLeider greifen auch konservative Parteien wie CDUund CSU diese Stimmungen auf. Ein Ausdruck davon ist,dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Bei-trittsverhandlungen mit der Türkei nur noch als „ergeb-nisoffen“ bezeichnet wurden – ein Zugeständnis an denrechten Flügel der CDU und insbesondere der CSU.Und es mehren sich die Stimmen in der Bundesregie-rung, die die Beitrittsverhandlungen insgesamt ableh-nen und nur noch von einer „privilegierten Partner-schaft“ sprechen. So etwas wird in der Türkei sehrgenau wahrgenommen und wirkt sich dort negativ aufdie demokratischen Reformprozesse aus. Dies konnteich bei der Delegationsreise des EU-Ausschusses in dieTürkei sehr deutlich feststellen. Mit solchen Signalenwird nicht nur dem Beitrittsprozess zur EU ein Bären-dienst erwiesen, sondern auch denjenigen in der Türkei,die an einer demokratischen Weiterentwicklung interes-siert sind.Zweitens gibt es parallel zu dieser Entwicklung in derEU auch besorgniserregende Entwicklungen in der Tür-kei selbst. Es ist überhaupt nicht hilfreich, die Lage derMenschenrechte und der Demokratie in der Türkeischönzureden und auf die „atemberaubende“ ökonomi-sche Entwicklung zu verweisen, wie das der grüne An-trag leider tut. Ich möchte hier einige Beispiele auffüh-ren, die ich höchst besorgniserregend finde.Der grüne Antrag begrüßt eine angeblich offene De-batte in der Kurdenfrage. Leider bleibt es bei dieser De-batte. Die Verweigerung elementarer Rechte und die po-litische Repression gegenüber dem kurdischenBevölkerungsteil bleiben bestehen. So sitzen zahlloseFunktionäre und gewählte Vertreter der legalen kurdi-schen Partei für Frieden und Gerechtigkeit, BDP, dar-unter auch viele Bürgermeister, seit nunmehr zwei Jah-ren in Untersuchungshaft. Ihnen wird eine Verteidigungin ihrer Muttersprache verweigert. Der Menschen-rechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning,spricht hier von einer „Verletzung fundamentalerRechte“. Darüber hinaus gibt es leider immer wiederÜbergriffe der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdi-schen Gebieten, wie es auch im EU-Fortschrittsberichtzur Türkei konstatiert wird. Das alles sollte sehr deut-lich benannt und kritisiert werden.Im Falle der Meinungsfreiheit gibt es leider eine zu-nehmende Zahl an Inhaftierungen von Journalistinnenund Journalisten sowie Schriftstellerinnen und Schrift-stellern. Die Fälle Dogan Akhanli und Pinar Selek sindja in den deutschen Medien breit kommuniziert worden.In einem anderen Fall, Nevim Berktas, hat der EuGHMdie Türkei vor kurzem verurteilt. Aber es gibt sehr vielmehr Journalistinnen und Journalisten sowie Schrift-stellerinnen und Schriftsteller, die inhaftiert sind. Dietürkische Journalistengewerkschaft sprach zuletzt von55. Der Präsident der Europäischen Journalisten-Föde-ration sprach im Januar vor der Parlamentarischen Ver-sammlung von 120 weiteren, deren Verhaftung er be-fürchtet. All das ist sehr besorgniserregend und mussbenannt werden.Nach wie vor wird die größte religiöse Minderheit,die alevitische Gemeinde, unterdrückt. Auch hier kon- gegebene Reden
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11086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Andrej Hunko
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statiert der EU-Fortschrittsbericht zur Türkei keineFortschritte.Die Gewerkschaftsrechte in der Türkei entsprechenebenfalls nicht demokratischen Standards. Laut EU-Fortschrittsbericht erfüllen sie nicht die Standards derILO und der EU.Zentraler Streitpunkt und gegenwärtiger Hauptgrundfür die Blockade der Beitrittsverhandlungen ist aber dieZypern-Frage. Hier weigert sich die Türkei, das An-kara-Protokoll zu ratifizieren. Dieses Protokoll, das denWarenverkehr mit der Republik Zypern regelt, war ur-sprünglich eine Voraussetzung für die Beitrittsverhand-lungen. Deswegen blockiert Zypern auch zu Recht dieEröffnung weiterer Kapitel. Dies hat auch der DeutscheBundestag immer wieder deutlichgemacht, so etwa am9. Mai 2007 im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU,SPD, FDP und Grünen, in dem von der Türkei erwartetwird, dass das Ankara-Protokoll „vollständig imple-mentiert wird“.Nun fordern die Grünen in ihrem Antrag die Bundes-regierung auf, gleichzeitig die Forderungen aus dem al-ten Antrag umzusetzen und sich gegenüber den anderenMitgliedstaaten und der Türkei dafür einzusetzen „dieBlockaden aufgrund mangelnder Umsetzung des An-kara-Protokolls zu lösen“. Das widerspricht sich nichtnur, sondern stellt eine Kehrtwende um 180 Grad dar.Konkret bedeutet das, jetzt Zypern unter Druck zu set-zen, obwohl der Spielball hier eindeutig bei der Türkeiliegt. Ich finde das völlig kontraproduktiv.Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Linkeist für die Fortsetzung und Wiederbelebung der Beitritts-verhandlungen mit der Türkei. Diese müssen entlangklarer demokratischer und menschenrechtlicher Krite-rien geführt werden, wie sie auch in den KopenhagenerKriterien festgelegt sind. Sowohl in der EU als auch inder Türkei gibt es Kräfte, die die Beitrittsverhandlungenbeenden wollen. Es ist notwendig, diejenigen in der EUund in der Türkei zu stärken, die sich für die Fortsetzungder Beitrittsverhandlungen einsetzen, auch um demo-kratische und rechtsstaatliche Reformen zu befördern.Die wünschenswerte Wiederbelebung des Beitrittspro-zesses darf aber nicht auf dem Rücken der Republik Zy-pern erfolgen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Im Antrag haben wir ausführlich und eindringlichdargelegt, warum wir angesichts der eingetretenen Sta-gnation in den Beitrittsverhandlungen der EU mit derTürkei und auch angesichts der dramatischen Entwick-lungen in den Nachbarregionen der EuropäischenUnion neue außen- und europapolitische Initiativenbrauchen.Manche Entwicklungen in der türkischen Innenpolitikund den verlangsamten Reformprozess in der Türkeinehmen wir mit Sorge zur Kenntnis. Vor allem die aktu-ellen Festnahmen von renommierten Journalisten oderSchikanen und juristische Verfolgung von Medienvertre-tern machen deutlich, wie dringend notwendig eine neueZu ProtokollDynamik und die Intensivierung der vor zehn Jahren be-gonnenen Reformen in der Türkei sind. Die türkischeJustiz braucht eine Generalsanierung in Sachen Rechts-staatlichkeit, um endlich Schluss zu machen, dass jederVerdächtige unmittelbar und quasi prophylaktisch inHaft genommen werden kann und manchmal sogar Jahreim Gefängnis verbringen muss, bevor seine Schuld recht-lich bewiesen ist. Bei solchen Fragen sind wir parteiisch –parteiisch für Menschen- und Bürgerrechte und für um-fassende und vorbehaltlose Pressefreiheit. Die EU mussdie Beitrittsverhandlungen ebenfalls im Namen dieserfundamentalen Rechte der Menschen in der Türkei füh-ren. Neben Fortschritten und der Entwicklung auf vielenwirtschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichenFeldern muss sie auch dazu beitragen, mit einer glaub-würdigen Beitrittsperspektive die türkische Innen- undRechtspolitik demokratisch und rechtsstaatlich zu ge-stalten und zu stabilisieren.Einige Regierungen der EU-Staaten, die aus innenpo-litischen Gründen gegen den EU-Beitritt der Türkei wa-ren und sind, haben es nun erreicht, dass die Beitritts-verhandlungen stagnieren. Vom bisherigen Rhythmuseiner Kapiteleröffnung pro Präsidentschaft wurde be-reits abgewichen. Faktisch besteht die Gefahr, dass dieVerhandlungen ganz zum Stillstand kommen. Das wäreein Pyrrhussieg für Sarkozy und die Bundesregierungvon Frau Merkel. Bei Sarkozy weiß man ja, dass seinePolitik kaum europapolitische Ambitionen hegt. SeinTun und Lassen steht nur im Dienste einer auf seine Wie-derwahl zugeschnittenen Innenpolitik. Sich kritiklos ei-ner solchen Politik anzuschließen, ist ein Armutszeug-nis. Mit der aktuellen Türkei-Politik bricht die schwarz-gelbe Regierungskoalition mit der Politik der Bundesre-gierungen in den letzten Jahrzehnten bis 2009.Die Koalition setzt zentrale strategische wirtschafts-,außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutsch-lands und der EU für innenpolitische Taktik aufs Spiel.Die Wahrheit aber ist: Zentrale Pfeiler der bestehendenwirtschaftlichen Integration gründen auf der Beitritts-perspektive und drohen bei deren Verlust zu zerfallen.Eine „privilegierte Partnerschaft“, die vor allem vonUnionspolitikern immer wieder gerne – ausweichendoder ablehnend – in den Mund genommen wird, wäre einRückschritt gegenüber dem Status quo.Selbstverständlich muss die Türkei die politischenund wirtschaftlichen Kopenhagen-Kriterien erfüllen unddie daraus abzuleitenden Konsequenzen in Reform-schritten umsetzen. Diese sind nicht verhandelbar. Voneinem Beitrittsautomatismus kann daher keine Redesein. Die türkische Regierung macht ja selbst deutlich,dass vor einem Beitritt weitere grundlegende Staats- undRechtsreformen durchgeführt werden müssen.Die Demokratiebewegungen in den arabischen Län-dern führen uns vor Augen, welchen Stellenwert eine de-mokratische Türkei für die Menschen in der Region hatund welche stabilisierende Wirkung in der angrenzendenkrisengeschüttelten, im Umbruch befindlichen Regionvon ihr ausgehen kann. Die weitere Vertiefung der de-mokratischen und rechtsstaatlichen Reformen in derTürkei kann ein Beispiel dafür sein, wie unsere Vorstel-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11087
gegebene Reden
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11088 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Claudia Roth
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lungen von Rechtsstaat und Menschenrechten mit isla-misch geprägten Gesellschaften kompatibel sind.Die humanitäre Katastrophe in Japan und die verhee-renden Folgen von Erdbeben und Tsunami haben unsalle erschüttert. Die anschließende atomare Katastro-phe sollte auch für uns in der EU und in der Türkei eineLehre sein, angesichts der energiepolitischen Pläne dertürkischen Regierung, mehrere AKW zu bauen, und an-gesichts der Tatsache, dass das gesamte Territorium desLandes hochgradig erdbebengefährdet ist. Einem atom-politischen Irrweg der Türkei kann am besten durch einestrategische und energiepolitische Einbindung der Tür-kei durch die EU begegnet werden – einer Türkei, diesich wie übrigens fast alle EU-Länder hinter einem nati-onalen energiepolitischen Konzept versteckt.Unbestritten würde eine Türkei in der EU enorm po-sitive Wirkungen bei den Integrationsbemühungen vonTürkeistämmigen in der EU entfalten. Deshalb bitte ichSie um Unterstützung des Antrags, um die aktuellen Blo-ckaden bei den Beitrittsverhandlungen aufzuheben, dieGlaubwürdigkeit der EU zu bewahren, den Reformkräf-ten in der Türkei den Rücken zu stärken und so für mehrWohlstand, Stabilität und eine konsequente Einhaltungder Menschenrechte zu sorgen.
Auch hier wird Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 17/5042 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 18. März 2011, 9 Uhr,
ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonne-
nen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.