Protokoll:
17096

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 96

  • date_rangeDatum: 17. März 2011

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:52 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/96 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zur aktuellen Lage in Ja- pan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting- Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wie- derherstellung des Atomkonsenses DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: 10882 D 10909 B 10910 B 10911 D 10912 D 10913 D 10914 D 10915 A, B, C 10921 A, 10923 B 10926 A, 10928 B 10930 B, 10933 A 10935 B Deutscher B Stenografisc 96. Sit Berlin, Donnerstag, I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Lukrezia Jochimsen und Edelgard Bulmahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Helmut Heiderich und Ingo Egloff . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Peter Wichtel als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 27 d und 30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Tagesordnungspunkt 5: 10881 A 10881 B 10881 B 10881 C 10882 B 10882 B (Drucksache 17/5035) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10882 D 10883 A undestag her Bericht zung den 17. März 2011 l t : Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10889 D 10893 D 10896 B 10898 D 0000 A10901 B 10901 C 10901 D 10903 C 10905 A 10905 C 10907 C Erste Beratung des von den Abgeordnete Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Mem Kilic, weiteren Abgeordneten und der Fra tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eing n et k- e- II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än- derung des Bundeswahlgesetzes (Drucksache 17/4694) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungs- bestimmungen auf dem Gebiet des in- ternationalen Unterhaltsverfahrensrechts (Drucksache 17/4887) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die vorläufige Durchführung unmittelbar geltender Vorschriften der Europäischen Union über die Zulas- sung oder Genehmigung des Inverkehr- bringens von Pflanzenschutzmitteln (Drucksache 17/4985) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Ulrich Lange, Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Werner Simmling, Oliver Luksic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sicherheit im Eisen- bahnverkehr verbessern – Strecken- netz mit Sicherungssystemen ausstatten (Drucksache 17/5046) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Sönke Rix, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rechtsextremistische Einstellungen im Sport konsequent bekämpfen – Tole- ranz und Demokratie nachhaltig för- dern (Drucksache 17/5045) . . . . . . . . . . . . . . . . 10915 D 10916 A 10917 B 10938 A 10941 A 10941 C 10943 D 10946 A 10948 A 10949 A 10949 B 10949 B 10949 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu verwais- ten Werken erleichtern (Drucksache 17/4695) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des BVL-Gesetzes (Drucksachen 17/4381, 17/5034) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Ein- hundertsechzigste Verordnung zur Än- derung der Einfuhrliste – Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz – (Drucksachen 17/4403, 17/4499 Nr. 2, 17/4774) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbraucher- freundliche Rücknahmepflicht des Ein- zelhandels für Energiesparlampen durchsetzen (Drucksachen 17/2121, 17/3684) . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Dorothea Steiner, Sylvia Kotting- Uhl, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bürgerfreundliches Rück- nahmesystem für gebrauchte Energie- sparlampen im Handel einrichten (Drucksachen 17/1583, 17/3278) . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Ge- gen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU- Vertragswerk aufnehmen (Drucksachen 17/902, 17/4773) . . . . . . . . f) – o) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 224, 225, 10949 C 10949 D 10950 A 10950 B 10950 C 10950 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 III 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232 und 233 zu Petitionen (Drucksachen 17/4864, 17/4865, 17/4866, 17/4867, 17/4868, 17/4869, 7/4870, 17/ 4871, 17/4872, 17/4873) . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinter- ziehung (Schwarzgeldbekämpfungs- gesetz) (Drucksachen 17/4182, 17/5067 (neu)) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeld- bekämpfungsgesetz) (Drucksachen 17/4802, 17/5067 (neu)) – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung (Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung) (Drucksachen 17/1411, 17/5067 (neu)) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Steuerhinterzie- hung wirksam und zielgenau be- kämpfen – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Instrumente zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung nutzen und ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht dem Zufall überlassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ 10951 A 10951 A 10954 D 10952 A 10952 A 10952 A DIE GRÜNEN: Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen (Drucksachen 17/1755, 17/4670, 17/1149, 17/1765, 17/5067 (neu)) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stillstand in der Verkehrspolitik über- winden – Zukunftskommission zur Reform der Infrastrukturfinanzierung einrichten (Drucksache 17/5022) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur si- chern – Deutschland braucht eine mo- derne Zukunftsstrategie zur Infrastruk- turfinanzierung (Drucksachen 17/782, 17/1479) . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mobilität nachhaltig gestalten – Erfolgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspoli- tik fortentwickeln (Drucksachen 17/1060, 17/2226) . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10952 B 10952 B 10957 A 10958 D 10960 A 10961 B 10962 C 10963 A 10964 A 10965 B 10966 A 10966 C 10967 D 10969 C 10969 C 10969 D 10970 A 10971 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer auf- enthalts- und asylrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 17/4401, 17/5093) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig), Gabriele Fograscher, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes für ein erweitertes Rückkehrrecht im Auf- enthaltsgesetz (Drucksachen 17/4197, 17/5093) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Auf- enthaltsgesetzes (Altfallregelung) (Drucksachen 17/207, 17/5093) . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Auf- enthaltsgesetzes (Bleiberechtsrege- lung und Vermeidung von Ketten- duldungen) (Drucksachen 17/1557, 17/5093) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Menschenrecht auf Freizügigkeit ungeteilt verwirkli- chen 10972 C 10974 A 10975 B 10976 B 10977 B 10978 C 10980 B 10980 A 10980 A 10980 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein wirksames Rückkehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer von Zwangsverheiratungen – zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksame und stichtagsunabhängige gesetzliche Blei- berechtsregelung im Aufenthaltsge- setz – zu dem Antrag der Abgeordneten Memet Kilic, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Opfer von Zwangsverhei- ratungen wirksam schützen durch bundesgesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative – zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Residenzpflicht abschaf- fen – Für weitestgehende Freizügig- keit von Asylbewerbern und Gedul- deten (Drucksachen 17/2325, 17/4681, 17/1571, 17/2491, 17/3065, 17/5093) . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 10980 D 10981 A 0000 A10982 C 10984 A 10985 B 10986 C 10988 A 10989 C 10990 A 10991 A 10992 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 V Für eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland (Drucksache 17/4192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP: Einvernehmensherstel- lung von Bundestag und Bundesregie- rung zur Ergänzung von Artikel 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hinsicht- lich der Einrichtung eines Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zu- sammenarbeit von Bundesregie- rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäi- schen Union – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: zum Entwurf eines Beschlusses des Europäi- schen Rates zur Änderung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsme- chanismus für die Mitgliedstaaten, de- ren Währung der Euro ist – Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10), An- lage 1 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesre- gierung und Deutschem Bundes- tag in Angelegenheiten der Euro- päischen Union Herstellung des Einvernehmens bezüg- lich der Ergänzung von Artikel 136 AEUV zur Einrichtung eines Europäi- schen Stabilitätsmechanismus (ESM) verantwortlich gestalten 10994 C 10994 D 10996 A 10997 C 10999 A 11000 A 11001 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zum Entwurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Vertrags über die Ar- beitsweise der Europäischen Union hin- sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist – Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10), An- lage 1 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – zu dem Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Alexander Bonde, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Her- stellung des Einvernehmens zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsme- chanismus für die Mitgliedstaaten, de- ren Währung der Euro ist hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Ab- satz 3 GG i. V. m. § 10 des Geset- zes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksachen 17/4880, 17/4881, 17/4882, 17/4883, 17/5094) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11002 D 11003 C 11004 C 11005 B 11006 B 11007 D 11008 B 11010 A 11011 B 11012 B 11012 D 11013 D 11014 B VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Hilde Mattheis, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Qualität und Transparenz in der Pflege konsequent wei- terentwickeln – Pflege-Transparenzkrite- rien optimieren (Drucksachen 17/1427, 17/4925) . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sieb- ten Gesetzes zur Änderung des Straßen- verkehrsgesetzes (Drucksache 17/4981) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Straßenverkehrsgesetzes (Drucksache 17/2766) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Barthel, Garrelt Duin, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Fairen Rohstoffhandel sichern – Handel mit Seltenen Erden offenhalten (Drucksachen 17/4553, 17/4910) . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11016 A 11016 B 11017 B 11018 B 11019 B 11020 A 11021 A 11022 A 11022 A 11022 B 11023 B 11024 D 11025 D 11026 C 11027 B 11028 C 11028 C 11029 C 11030 C Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung mautrechtlicher Vorschriften für Bundesfernstraßen (Drucksache 17/4979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun Dittrich, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aufgaben und Zusammensetzung der Al- tersarmutskommission – Altersarmut um- fassend und mit den richtigen Mitteln be- kämpfen (Drucksachen 17/4422, 17/4926) . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Europäische-Be- triebsräte-Gesetzes – Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte (2. EBRG-ÄndG) (Drucksache 17/4808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11031 D 11032 C 11033 B 11034 C 11034 D 11036 A 11037 B 11038 C 11039 C 11040 C 11042 A 11042 B 11043 C 11044 C 11045 D 11046 C 11047 B 11048 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 VII Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen (Drucksachen 17/2439, 17/4087) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze (Drucksache 17/4978) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (Drucksache 17/1224) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Holger Ortel, Petra Crone, Petra Ernstberger, wei- 11048 C 11048 D 11049 A 11050 B 11051 C 11052 C 11053 B 11054 A 11055 A 11055 A 11056 B 11057 A 11057 D 11059 B terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Reform der Gemeinsamen Fi- schereipolitik zum Erfolg führen – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Chancen der EU-Fischereireform 2013 nutzen und Gemeinsame Fische- reipolitik grundlegend reformieren (Drucksachen 17/3179, 17/3209, 17/3957) . . Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vor- schriften (Drucksache 17/4984) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umsetzung der EU-Health-Claims-Verord- nung voranbringen (Drucksachen 17/4015, 17/4892) . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- 11060 C 11061 A 11061 A 11062 A 11063 A 11064 A 11065 B 11066 A 11066 B 11067 A 11067 D 11068 C 11069 C VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für wirk- samen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen- rechte ziehen (Drucksache 17/4886) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenter Stress- test für die Leistungsfähigkeit des Bahn- projektes Stuttgart 21 (Drucksache 17/5041) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augs- burg), Dr. Frithjof Schmidt, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Beitritts- verhandlungen mit der Türkei wiederbele- ben (Drucksache 17/5042) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 11070 C 11070 D 11072 B 11072 B 11072 D 11073 C 11074 C 11074 D 11075 C 11076 B 11077 A 11078 B 11079 C 11080 C 11080 D 11082 B 11083 D 0000 A11085 B 11086 B 11087 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer Regierungser- klärung durch die Bundeskanzlerin zur aktu- ellen Lage in Japan (Tagesordnungspunkt 5) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zur na- mentlichen Abstimmung über die Nummer 3 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD zu der Abgabe einer Regierungserklä- rung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan (Tagesordnungspunkt 5) . . . . . Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan (Drucksache 17/5052) (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Ja- pan (Drucksache 17/5052) (Tagesordnungs- punkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11088 C 11089 A 11089 C 11090 A 11090 C 11090 D 11091 A 11091 B 11091 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 IX Anlage 6 Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petra Hinz (Essen) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – So- ziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags- werk aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) und Rüdiger Veit (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fort- schrittsklausel in das EU-Vertragswerk auf- nehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Beate Müller-Gemmeke und Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung: Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Heinz Paula, Petra Crone und Kerstin Tack (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung: Gegen Armut und soziale Aus- grenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesord- nungspunkt 33 e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sibylle Laurischk (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämp- fung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrecht- licher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 9 a) 11091 C 11092 A 11092 C 11093 A 11093 C Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hinsichtlich der Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsme- chanismus (ESM) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes- tages nach Artikel 23 Absatz 3 Grund- gesetz i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregie- rung und Deutschem Bundestag in An- gelegenheiten der Europäische Union (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Europäische-Betriebsräte-Geset- zes – Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte (2. EBRG- ÄndG) (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen (Tagesordnungs- punkt 18) Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11094 C 11095 D 11096 C 11097 C 11098 B 11099 B 11100 A 11101 A 11102 C 11103 B 11103 C 11104 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 Anlage 14 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung der Anträge: – Die Reform der Gemeinsamen Fischerei- politik zum Erfolg führen – Chancen der EU-Fischereireform 2013 nut- zen und Gemeinsame Fischereipolitik grund- legend reformieren (Tagesordnungspunkt 21) Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11105 B 11107 A 11108 C 11109 C 11110 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10881 (A) (C) (D)(B) 96. Sit Berlin, Donnerstag, Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11089 (A) (C) (D)(B) Die Diskussion und die Art der Argumentation zeigen, dass es im Gegenteil wohl eher darum geht, RegierungDr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 17.03.2011 zustimmen. Ich habe nicht den Eindruck, dass es der SPD und den Grünen mit ihren Anträgen primär darum geht, die Sicherheit der Kernkraftwerke zu erhöhen und den Ausstieg aus der Kerntechnologie zu beschleunigen. Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 17.03.2011 Nietan, Dietmar SPD 17.03.2011 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 17.03.2011 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2011 Börnsen (Bönstrup), Wolfgang CDU/CSU 17.03.2011 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 17.03.2011 Bülow, Marco SPD 17.03.2011 Burchardt, Ulla SPD 17.03.2011 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 17.03.2011 Dr. Danckert, Peter SPD 17.03.2011 Dyckmans, Mechthild FDP 17.03.2011 Ernst, Klaus DIE LINKE 17.03.2011 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 17.03.2011 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 17.03.2011* Friedhoff, Paul K. FDP 17.03.2011 Hänsel, Heike DIE LINKE 17.03.2011 Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2011 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.03.2011 Holmeier, Karl CDU/CSU 17.03.2011 Kipping, Katja DIE LINKE 17.03.2011 Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2011 Kossendey, Thomas CDU/CSU 17.03.2011 Kramme, Anette SPD 17.03.2011 Kunert, Katrin DIE LINKE 17.03.2011 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzle- rin zur aktuellen Lage in Japan (Tagesord- nungspunkt 5) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Ausgelöst durch die schrecklichen Ereignisse in Japan hat in der CDU/CSU- Fraktion ein Prozess der Neubewertung eingesetzt. Die im Herbst 2010 beschlossene – von mir nicht mitgetra- gene – „Laufzeitverlängerung“ für Kernkraftwerke wird infrage gestellt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass am Ende dieses Prozesses ein wesentlich schnellerer Aus- stieg aus der Kernenergie steht – und ich glaube, das wird auch gelingen. Deswegen unterstütze ich den Ent- schließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, der – und ich betrachte das als ersten Schritt – unter anderem eine grundlegende Überprüfung der Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke fordert. Ich teile im Übrigen durchaus einige Forderungen aus den Entschließungsanträgen von SPD und Grünen. Ich werde diesen Entschließungsanträgen allerdings nicht Pieper, Cornelia FDP 17.03.2011 Dr. Schwanholz, Martin SPD 17.03.2011 Strothmann, Lena CDU/CSU 17.03.2011 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 17.03.2011 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 17.03.2011 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2011 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 17.03.2011 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 11090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) und Regierungsfraktionen zu beschädigen, obwohl diese dabei sind, ihre Entscheidungen aus dem Jahr 2010 zu hinterfragen, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und neu zu bewerten. Ute Granold (CDU/CSU): Meine Zustimmung vom November 2010 zur Verlängerung der Restlaufzeiten der deutschen Kernkraftwerke als Teil eines umfassenden Energiekonzeptes für Deutschland beruhte auf der An- nahme, dass dieses Konzept einen alternativlosen Weg in das regenerative Zeitalter aufweist, ohne den die Ener- gieversorgungssicherheit nicht zu gewährleisten sein würde. Dabei war für mich klar, dass der Laufzeitverlän- gerung eine Brückenfunktion zukommt. Ein erheblicher Teil der zusätzlichen Einnahmen sollte zur Finanzierung der Umstellungskosten auf erneuerbare Energien abge- schöpft und verwendet werden. Zudem war meine Zustimmung an das Junktim ge- bunden, dass die Laufzeitverlängerung an eine deutliche Erhöhung der Sicherheitsstandards gekoppelt ist, die die maximale, nach menschlichem Ermessen mögliche Si- cherheit der deutschen Kernkraftwerke sicherstellt. Die schrecklichen und unfassbaren Ereignisse in Japan die- ser Tage zeigen jedoch, dass es diese Sicherheit im Um- gang mit Kernkraft nicht gibt. Das bis vor wenigen Ta- gen Undenkbare ist nunmehr Realität geworden. Das nicht beherrschbare Restrisiko manifestiert sich in den dramatischen und unfassbaren Ereignissen und Bildern, deren Zeugen wir nunmehr sind. Angesichts der neuen Erkenntnisse wurde jetzt ent- schieden, die gesetzliche Verlängerung der Laufzeiten für drei Monate auszusetzen und alle vor 1980 in Betrieb genommenen Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen. Diesen Schritt begrüße ich vor dem Hintergrund der real gewordenen Bedrohungslage ausdrücklich. Dem heutigen Antrag stimme ich zu, weil ich fest davon ausgehe, dass der jetzt begonnene Prozess der kri- tischen Überprüfung der bestehenden Sicherheitsstan- dards im Speziellen und der grundsätzlichen Überprü- fung der Kernenergie im Allgemeinen nur zu dem Ergebnis führen kann, dass die älteren, vor 1980 in Be- trieb genommenen Kernkraftwerke nicht wieder ans Netz gehen und jetzt endgültig abgeschaltet werden. Die von der Bundesregierung veranlasste umfassende Prü- fung aller deutschen Kernkraftwerke darf keine Tabus kennen und muss Sicherheitsfragen allerhöchste Priorität einräumen. Ich erwarte, dass der Antrag, dem ich heute zu- stimme, einen Weg einleitet, an dessen Ende ein schnellstmöglicher und vollständiger Ausstieg aus der Kernkraft in Deutschland steht. Ich appelliere an die Bundesregierung, alle denkbaren Anstrengungen einzu- leiten, um auch die dann noch verbliebenen Kernkraft- werke möglichst schnell vom Netz zu nehmen. Dies be- inhaltet eine deutlich verstärkte Förderung regenerativer Energien, den notwendigen Ausbau der Energienetze so- wie wirksame Energiesparkonzepte. Dieser Weg muss in enger Abstimmung mit den europäischen Nachbarstaa- ten erfolgen, die ebenfalls von einem umgehenden Aus- stieg aus der Atomenergie überzeugt werden müssen. In diesem Prozess sollte Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen. Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Erstens. Ich werde zum Entschließungsantrag auf Drucksache 17/5048 mit Enthaltung stimmen. Zweitens. Auch bin ich der Meinung, dass die Bun- desregierung und der Deutsche Bundestag nach der Na- turkatastrophe in Japan nicht zur Tagesordnung überge- hen dürfen. Das Leid, das die Menschen in Japan heim- gesucht hat, hat auch mich tief bewegt und betroffen ge- macht. Drittens. Maßnahmen, die die Bundesregierung in Ver- antwortung für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung einleitet, sind aber unter dem Licht des Art. 20 Abs. 3 GG daraufhin zu überprüfen, ob es sich um rein administra- tive Maßnahmen handelt oder ob sie einer gesetzgeberi- schen Begleitung bedürfen. Die Bundesregierung hat – was der Antrag begrüßt – in einem Moratorium die Aussetzung der Verlängerung der Laufzeiten der Kern- kraftwerke in Deutschland verfügt. Ein Moratorium ist eine Entscheidung, eine Handlung aufzuschieben oder zeitlich zu unterlassen oder aber ein „Abkommen“ vo- rübergehend außer Kraft zu setzen. Im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken kann es nur eine Außerkraftsetzung eines Gesetzes bedeuten. Dem steht aber Art. 20 Abs. 3 GG entgegen. Gesetze können nur durch ein Aufhebungsgesetz des Deutschen Bundestages außer Kraft gesetzt werden. Viertens. Im Übrigen bedarf es der Aussetzung eines atomrechtlichen Gesetzes dann nicht, wenn man – wie die Bundesregierung – davon ausgeht, die zur Sicher- heitsüberprüfung der Atomkraftwerke notwendigen Maßnahmen können auf der Rechtsgrundlage des § 19 Abs. 3 Ziffer 3 AtG verfügt werden. Ob über § 19 Abs. 2 Ziffer 3 AtG der von der Bundesregierung verfolgte Zweck erreichbar ist, scheint allerdings frag- lich. Es ist nämlich strikt zwischen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren zu differenzieren. Nach Genehmi- gungserteilung ist es Aufgabe der Aufsichtsbehörde, dem Genehmigungsinhaber etwaige Defizite gegenüber dem Gesetz oder den Anforderungen des Genehmigungsbe- scheides nachzuweisen. Ob § 19 Abs. 3 Ziffer 3 AtG herangezogen werden kann, um ein vorübergehendes Ab- schalten von Kernkraftwerken zu verfügen, wenn Grund- lage einer Sicherheitsüberprüfung lediglich eine verän- derte sicherheitspolitische Betrachtung ist, scheint im Übrigen fraglich. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Erstens. Ich werde dem Entschließungsantrag auf Drucksache 17/5048 trotz erheblicher Bedenken zustimmen. Zweitens. Mit großer Sorge verfolgen wir die kriti- sche Lage der betroffenen japanischen Kernkraftwerke. Auch wenn in Deutschland so starke Erdbeben wie in Ja- pan und Tsunamis unbekannt sind, können wir nicht ein- fach zur Tagesordnung übergehen. Besonders, weil es sich bei Japan auch um ein Hochtechnologieland mit enormen Sicherheitsstandards handelt, müssen wir prü- fen, was wir lernen können. Als Konsequenz aus den Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11091 (A) (C) (D)(B) Katastrophen in Japan ist es aus meiner Sicht richtig, die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke erneut zu über- prüfen. Die Aussetzung der Laufzeitverlängerung für drei Monate durch die Bundesregierung halte ich aber nicht für rechtlich bindend, da es an der Zuständigkeit fehlt. Nicht die Bundesregierung hat nach meiner Mei- nung hierüber zu entscheiden, sondern das Parlament oder im Rahmen der Auftragsverwaltung die Bundeslän- der, wenn die Sicherheit nicht mehr gegeben ist. Ich kann daher dem Entschließungsantrag von CDU/CSU und FDP zwar zustimmen, halte die entsprechenden Pas- sagen aber für unbestimmt bzw. ungenau. Wir müssen uns nach meiner Meinung vielmehr vor dem Hintergrund der Katastrophe in Japan fragen, ob die Akzeptanz der Kernenergie in der Bevölkerung derart geschwunden ist und die Angst der Menschen derart ge- wachsen ist, dass die Kernkraftwerke schneller vom Netz genommen werden müssen, als dies derzeit gesetz- lich geregelt ist. Ein Parlament muss die Ängste der Menschen ernst nehmen. Dies ist aber eine politische Entscheidung, die nur vom Parlament getroffen werden kann – nicht von Teilen der Bundesregierung und eini- gen Ministerpräsidenten. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Nummer 3 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD zu der Abgabe einer Re- gierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan (Tagesordnungs- punkt 5) Ich werde mich bei Nummer 3 der Stimme enthalten. Der Atomkompromiss der rot-grünen Bundesregie- rung war die gesetzliche Garantie für die Energiekon- zerne, Atomkraftwerke Jahrzehnte weiter betreiben zu können. Die Laufzeitverlängerung der Bundesregierung hat gezeigt, dass auch diese mit der Atomwirtschaft ver- einbarte Regelung zurückgenommen und somit das Aus- stiegsszenario umkehrbar gemacht werden konnte. Ein konsequenter Ausstieg aus der Atomkraft war das nicht. Dieser ist alternativlos. Der Ausstiegszeitraum bis zum Ende des Jahrzehnts ist viel zu lang. So ist unter an- derem nach Angaben des Präsidenten des Umweltbun- desamtes, Jochen Flasbarth, ein kompletter Ausstieg aus der Atomenergie bereits deutlich früher umsetzbar. Es ist möglich, den Atomausstieg schneller als bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu vollziehen, ohne dass es zu einem vermehrten Einsatz fossiler Energien und einem unso- zialen Anstieg der Strompreise kommt. Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Dr. Johann Wadephul (CDU/ CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Re- gierungserklärung durch die Bundeskanzle- rin zur aktuellen Lage in Japan (Drucksache 17/5052) (Tagesordnungspunkt 5) Mein Votum lautet: Nein. Anlage 5 Erklärung des Abgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU/ CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Re- gierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan (Drucksache 17/5052) (Tagesordnungspunkt 5) Mein Name erscheint nicht in der Abstimmungsliste. Mein Votum lautet: Nein. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Petra Hinz (Essen) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung: Gegen Armut und soziale Aus- grenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesordnungs- punkt 33 e) Ich stimme für die Beschlussempfehlung und damit gegen den Antrag der Linken. Die Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel in den Europäischen Verträgen ist unsere sozialdemokrati- sche Idee und wird schon lange von der SPD unterstützt. Das Präsidium der SPD hat am 14. März 2011 beschlos- sen: Darüber hinaus bedarf die Stabilitätsstrategie in Eu- ropa zwingend einer starken sozialen Dimension … Damit verbinden wir folgende konkrete Forderun- gen: … eine soziale Fortschrittsklausel, die mög- lichst im europäischen Primärrecht verankert ist und festschreibt, dass die ökonomischen Grundfrei- heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vor- rang vor sozialen Grundrechten haben. Wir Sozialdemokraten haben 2009 gemeinsam mit dem DGB eine Stellungnahme „SPD und Gewerkschaf- ten – Gemeinsam für sozialen Fortschritt in Europa“ ver- abschiedet. Damit sind wir Urheber dieser Forderung und haben auf dem Weg dahin schon einiges erreicht. So haben wir mit dem Vertrag von Lissabon bereits soziale Grundrechte verankern können. Außerdem gibt es eine soziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV), dem- zufolge die Europäische Union „bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen … den Erfordernissen in Zusammenhang mit der Förderung ei- nes hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleis- tung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Be- 11092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) kämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung“ trägt. Damit ist festgelegt, dass die EU sich an Ziele des sozialen Fort- schritts bindet und sozialen Fortschritt als Ziel formuliert hat. Darüber hinaus fordern wir, die Sozialdemokraten, jetzt, dass eine soziale Fortschrittsklausel in den Lissa- bon-Vertrag eingefügt wird, da Art. 136 des Vertrages wegen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ohne- hin verändert werden muss. Die SPD beteiligt sich – in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften – auch wei- ter konstruktiv an der Debatte um ein soziales Europa. Den Antrag der Linken lehne ich ab, insbesondere wegen der überzogenen Kritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der ideologischen Kritik am Lissabon-Vertrag. Ebenso lehne ich die Forde- rung der Linken ab, zukünftige Beitritte von der Auf- nahme der sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Ver- träge abhängig zu machen. Deshalb stimme ich in der namentlichen Abstimmung für die Beschlussempfehlung des EU-Ausschusses. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) und Rüdiger Veit (beide SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung: Ge- gen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) Wir unterstützen grundsätzlich die Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel in den Europäischen Verträ- gen. Sie ist eine sozialdemokratische Idee und wird schon lange von der SPD unterstützt. Zuletzt hat das Prä- sidium der SPD am 14. März 2011 beschlossen: Darüber hinaus bedarf die Stabilitätsstrategie in Eu- ropa zwingend einer starken sozialen Dimension … Damit verbinden wir folgende konkrete Forderun- gen: … eine soziale Fortschrittsklausel, die mög- lichst im europäischen Primärrecht verankert ist und festschreibt, dass die ökonomischen Grundfrei- heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vor- rang vor sozialen Grundrechten haben. Die SPD hat 2009 gemeinsam mit dem DGB eine Stellungnahme „SPD und Gewerkschaften – Gemeinsam für sozialen Fortschritt in Europa“ verabschiedet. Sie ist Urheberin dieser Forderung und hat auf dem Weg dahin schon einiges erreicht. Schon mit dem Vertrag von Lissabon wurden bereits soziale Grundrechte verankert. Außerdem gibt es eine so- ziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV), derzufolge die Europäische Union „bei der Festlegung und Durchfüh- rung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen … den Erforder- nissen in Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines an- gemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesund- heitsschutzes Rechnung“ trägt. Damit ist festgelegt, dass die EU sich an Ziele des sozialen Fortschritts bindet und sozialen Fortschritt als Ziel formuliert hat. Darüber hinaus fordert die SPD jetzt, dass eine so- ziale Fortschrittsklausel in den Lissabon-Vertrag einge- fügt wird, da Art. 136 des Vertrages wegen des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus ohnehin verändert werden muss. Die SPD beteiligt sich – in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften – auch weiter konstruktiv an der Debatte um ein soziales Europa. Den Antrag der Linken lehnen wir ab, weil er die For- derung enthält, zukünftige Beitritte von der Aufnahme der sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Verträge ab- hängig zu machen. Diese Forderung können wir nicht teilen. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Beate Müller-Gemmeke und Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur nament- lichen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung: Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags- werk aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Jahren 2007 und 2008, insbesondere in den Sa- chen Viking Line, Laval, Rüffert und Luxemburg, hat den sozialen Grundrechten geschadet und zu einem Un- gleichgewicht gegenüber den Grundfreiheiten des Mark- tes geführt. Daher ist es notwendig, die Balance wieder- herzustellen und sozialen Grundrechten mehr Gewicht zu geben. Wir unterstützen daher die Forderung, eine so- ziale Fortschrittsklausel in die Verträge der Europäi- schen Union aufzunehmen. Die konkrete Formulierung des Europäischen Ge- werkschaftsbundes, auf die sich der Antrag bezieht, ist ein begrüßenswerter Denkanstoß, kann von uns in dieser Form aber nicht mitgetragen werden. Der Vorschlag sta- tuiert einen generellen Vorrang der sozialen Grundrechte innerhalb der Europäischen Verträge. Dies bedeutet, dass soziale Grundrechte Vorrang gegenüber allen anderen in den Verträgen enthaltenen Normen, sogar denen in der Grundrechtecharta der Europäischen Union, bekommen sollen. Für uns sind soziale Grundrechte und die Grund- und Menschenrechte wichtig. Zudem statuiert der Vorschlag eine Anweisung an Ge- richte, auch in einer Abwägung verschiedener Grund- rechtsnormen immer zugunsten der sozialen Grund- rechte zu entscheiden. Das widerspricht unserem Grundrechtsverständnis, weil aus unserer Sicht eine durch die Gerichte im Einzelfall unabhängige Abwä- gung von Grundrechten geboten ist. Wir befürworten eine soziale Fortschrittsklausel, die die sozialen Grundrechte gegenüber den Grundfreiheiten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11093 (A) (C) (D)(B) des Marktes stärkt. Eine soziale Fortschrittsklausel, die allerdings generell Vorrang genießt, bewegt sich nicht im Grünen-Rechtsverständnis. Dem Antrag in dieser Form können wir nicht zustimmen. Weil auch wir eine soziale Fortschrittsklausel unterstützen, werden wir uns enthalten. Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Heinz Paula, Petra Crone und Kerstin Tack (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung: Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesord- nungspunkt 33 e) Die Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel in den Europäischen Verträgen ist eine sozialdemokratische Idee und wird schon lange von der SPD unterstützt. Zu- letzt hat das Präsidium der SPD am 14. März 2011 be- schlossen: Darüber hinaus bedarf die Stabilitätsstrategie in Eu- ropa zwingend einer starken sozialen Dimension ... Damit verbinden wir folgende konkrete Forderun- gen: ... eine soziale Fortschrittsklausel, die mög- lichst im europäischen Primärrecht verankert ist und festschreibt, dass die ökonomischen Grundfrei- heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vor- rang vor sozialen Grundrechten haben. Wir haben 2009 gemeinsam mit dem DGB eine Stel- lungnahme „SPD und Gewerkschaften – Gemeinsam für sozialen Fortschritt in Europa“ verabschiedet. So hat die SPD mit dem Vertrag von Lissabon bereits soziale Grundrechte verankern können. Außerdem gibt es eine soziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV), der zu- folge die Europäische Union „bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen … den Erfordernissen in Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung ei- nes angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Ge- sundheitsschutzes Rechnung“ trägt. Damit ist festgelegt, dass die EU sich an Ziele des sozialen Fortschritts bindet und sozialen Fortschritt als Ziel formuliert hat. Darüber hinaus fordert die SPD jetzt, dass eine so- ziale Fortschrittsklausel in den Lissabon-Vertrag einge- fügt wird, da Art. 36 des Vertrages wegen des Europäi- schen Stabilitätsmechanismus ohnehin verändert werden muss. Die SPD beteiligt sich – in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften – auch weiter konstruktiv an der Debatte um ein soziales Europa. Den Antrag der Linken lehnen wir ab, insbesondere wegen der überzogenen Kritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und der ideologischen Kritik am Lissabon-Vertrag. Wir lehnen auch die Forde- rung der Linken ab, zukünftige Beitritte von der Auf- nahme der sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Ver- träge abhängig zu machen. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sibylle Laurischk (FDP) zur Abstimmung über den Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 9 a) Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämp- fung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Op- fer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer auf- enthaltsrechtlicher und asylrechtlicher Vorschriften ist vorgesehen, die Mindestbestandszeit einer Ehe zur Be- gründung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts, von zwei auf drei Jahre zu erhöhen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird dazu ausgeführt, dass Wahrneh- mungen aus der ausländerrechtlichen Praxis darauf hin- deuten, dass durch die im Jahr 2000 vorgenommene Ver- kürzung der Ehebestandszeit von vier auf zwei Jahren der Anreiz für ausschließlich zum Zwecke der Erlan- gung eines Aufenthaltstitels beabsichtigte Eheschließun- gen gesteigert worden sei. Durch die Erhöhung der Ehe- bestandszeit auf drei Jahre würde der Anreiz für die Eingehung einer Scheinehe verringert und durch die Ver- längerung des Zeitraums gleichzeitig die Wahrschein- lichkeit der Aufdeckung einer Scheinehe vor Entstehung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts erhöht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat die Ziel- setzung, Opfer von Zwangsheirat besser zu schützen. Die Erhöhung der Ehebestandszeit steht meines Erach- tens dazu im Widerspruch. Die Gefahr, die Abhängigkeit der Opfer von Zwangsheirat von ihren Ehepartnern zu erhöhen, überwiegt gegenüber den Vorteilen, die mit der Regelung zur Verhinderung von Scheinehen angestrebt wird. Je länger die aufenthaltsrechtliche Abhängigkeit der zwangsverheirateten Frauen vom Bestand der Ehe andauert, umso länger sind diese Frauen gezwungen, in einer von Gewalt geprägten Lebenssituation gegen ihren Willen auszuharren. Die bereits bestehende Härtefallregelung des § 31 Abs. 2 AufenthG, wonach von der zwei- bzw. nun vorge- sehenen dreijährigen Frist abgewichen werden kann, greift in der Praxis aufgrund von Beweisschwierigkeiten in vielen Fällen nicht. Die Zwangsehe stellt zwar einen Umstand dar, der eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift begründen kann. Die hohen Anforderungen an den Nachweis der Zwangslage lässt hingegen viele Frauen davor zurückschrecken, eine Trennung vor Ab- lauf der Mindestehebestandszeit vorzunehmen. Auch durch den Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und FDP (Ausschussdrucksache 17 (4) 205) hat sich in Bezug auf die Beweislast keine Verbesserung der Situa- tion der betroffenen Frauen ergeben. Zwar wird durch 11094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) die Ergänzung von § 31 Absatz 2 Satz 2 AufenthG um einen weiteren Halbsatz nunmehr ausdrücklich erwähnt, dass die Unzumutbarkeit des Festhaltens an der eheli- chen Lebensgemeinschaft insbesondere dann anzuneh- men ist, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt durch den stammberechtigten Ausländer ist. Dies bringt jedoch in der Praxis keine Beweiserleichterung für die zwangsverheirateten Frauen mit sich. Die Verlängerung der für das eigenständige Aufent- haltsrecht erforderlichen Frist von zwei auf drei Jahre würde daher die Situation der Betroffenen insgesamt verschlechtern, den Druck auf sie erhöhen und ihre Lei- denszeit verlängern. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf verweisen, dass der UN-Frauenrechts- ausschuss CEDAW im Jahr 2004 ausdrücklich die Herabsetzung der Ehebestandsdauer auf zwei Jahre lo- bend hervorgehoben hat. Eine erneute Anhebung der Ehebestandsdauer bedeutet im Umkehrschluss einen Rückschritt in der Verwirklichung des Menschenrechts von Frauen auf ein Leben frei von Gewalt. Im Koalitionsvertrag ist im Kapitel „Integration und Zuwanderung“ ein Prüfauftrag bezüglich aller Maßnah- men zur Verhinderung von Scheinehen, wie zum Bei- spiel die Verlängerung der Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre, formuliert. Eine Prüfung der im Gesetzent- wurf nunmehr vorgesehenen Erhöhung der Ehebestands- zeit ist meines Erachtens nicht erfolgt. Im Rahmen der heutigen Abstimmung zum Gesetz- entwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- rechtlicher und asylrechtlicher Vorschriften werde ich daher mit „Nein“ stimmen. Auch die geplante Änderung des § 37 AufenthG sehe ich kritisch. Grundsätzlich begrüße ich zwar die Anpas- sung von § 37 Abs. 2 AufenthG, da die Regelung eine Besserstellung der Opfer von Zwangsheiraten im Aus- land vorsieht. Allerdings wird von der beabsichtigten Neuregelung lediglich ein kleiner Personenkreis begüns- tigt. Mit Einfügung des § 37 Abs. 2 a AufenthG wird sol- chen Personen ein Rechtsanspruch auf Rückkehr nach Deutschland eingeräumt, die rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Einge- hung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden, wenn sie sich vor ihrem Auslandsaufenthalt als Minderjährige mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben so- wie sechs Jahre eine Schule besucht haben und den An- trag auf Rückkehr innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von zehn Jahren seit der Ausreise, gestellt haben. Unab- hängig von der Dauer des Aufenthalts in Deutschland kann solchen Personen die Rückkehr nach Deutschland gewährt werden, die rechtswidrig mit Gewalt oder Dro- hung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden, wenn der Antrag auf Rückkehr in- nerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf von fünf Jahren seit der Ausreise gestellt wird und eine positive Integrationspro- gnose abgegeben werden kann. Als problematisch erachte ich, dass den Opfern von Zwangsheirat, die die oben genannten Voraussetzungen eines achtjährigen Deutschland-Aufenthalts sowie eines sechsjährigen Schulbesuches in Deutschland nicht erfül- len, kein Rechtsanspruch auf Rückkehr zusteht. Der Ge- setzentwurf eröffnet den Behörden einen Ermessens- spielraum. Die Opfer können somit nicht sicher davon ausgehen, dass ihnen bei Erfüllung der im Gesetz nor- mierten Voraussetzungen auch tatsächlich ein Rückkehr- recht zugestanden wird. Dies führt bei den Betroffenen zu weiteren Unsicherheiten. Daher lehne ich auch die geplante Einfügung des § 37 Abs. 2 a AufenthG im Er- gebnis ab, da die Regelung meines Erachtens nicht weit genug geht und sie in der Praxis kaum tatsächliche Rele- vanz aufweist. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Euro- päischen Union (AEUV) hinsichtlich der Ein- richtung eines Europäischen Stabilitätsmecha- nismus (ESM) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ges nach Artikel 23 Absatz 3 Grundge- setz i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele- genheiten der Europäische Union (Ta- gesordnungspunkt 11) Der von der Bundesregierung am 11. März 2011 in Brüssel eingeschlagene Weg zur „Änderung des Vertra- ges über die Arbeitsweise der Europäischen Union hin- sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitglied- staaten, deren Währung der Euro ist – Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10, Anlage I) –“ ist der Weg zur Ausweitung des bestehenden Euro-Rettungsschirms, die der Deut- sche Bundestag nie wollte, ist der Weg zur unbefristeten Verlängerung des Euro-Rettungsschirms, die der Deut- sche Bundestag nie wollte, ist der Weg zur qualitativen Veränderung der Europäischen Wirtschaftsverfassung, die der Deutsche Bundestag nie wollte. Alle drei Wege sind und bleiben falsche Wege. Denn es ist nach wie vor richtig, was unsere Frau Bundeskanz- lerin in ihrer Regierungserklärung am 27. Oktober 2010 bezüglich des derzeitigen Rettungsschirms klargestellt hatte: Er läuft 2013 aus. Das haben wir auch genau so ge- wollt und beschlossen. Eine einfache Verlängerung kann und wird es mit Deutschland nicht geben, weil Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11095 (A) (C) (D)(B) der Rettungsschirm nicht als langfristiges Instru- ment taugt, weil er Märkten und Mitgliedstaaten falsche Signale sendet und weil er eine gefährliche Erwartungshaltung fördert. Er fördert die Erwar- tungshaltung, dass Deutschland und andere Mit- gliedstaaten und damit auch die Steuerzahler dieser Länder im Krisenfall schon irgendwie einspringen und das Risiko der Anleger übernehmen können. Diese Worte sind nach wie vor richtig. Die Lage hat sich nicht geändert. Offensichtlich wird jedoch, dass im Mai 2010 der politisch falscheste Satz des noch jungen 21. Jahrhunderts im Deutschen Bundestag gesprochen worden ist: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Flankiert vom Wort des Jahres 2010 „alternativlos“ darf seitdem niemand mehr öffentlich über Alternativen zum 750-Milliarden-Rettungsschirm nachdenken. Und wird der Rettungsschirm beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 24. und 25. März nicht verewigt, dann „Scheitert der Euro und scheitert Europa!“ Welches Europa da gerade scheitert, wird indes nicht hinterfragt, denn es könnte auffallen, dass es das Europa der Planwirtschaftler und Bürokraten ist. Die Alternativlosigkeit verbietet, über die Ziele einer liberalen Europapolitik nachzudenken, über Rechtsstaat- lichkeit in Europa, über den Schutz der individuellen Freiheit, über eine freiheitliche Wirtschaftsverfassung, denn: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Wir dürfen natürlich auch nicht darauf hinweisen, dass wir am 21. Mai 2010 im Deutschen Bundestag zwei Drittel des Steueraufkommens des Bundes für die Staats- schulden anderer Länder verpfändet haben und dass dies ohne einen Parlamentsvorbehalt und ohne eine rechtli- che Grundlage in den europäischen Verträgen vom Deut- schen Bundestag durchgewunken wurde. Noch im Jahr 2009 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil das Budgetrecht des Parla- ments zum Kernbereich demokratischen Lebens gezählt. Sowohl das Demokratieprinzip als auch das Wahlrecht seien verletzt, wenn die Festlegung über die Art und Höhe der den Bürger betreffenden Abgaben in wesentli- chem Umfang supranationalisiert würde. Wir dürfen nicht aussprechen, dass der Deutsche Bundestag bei der nunmehr geplanten „Verstetigung“ des Euro-Rettungsschirms sein Königsrecht der freien Haushaltsplanung und -verabschiedung verliert. Wir dürfen nicht beklagen, dass wir als Bundestagsabgeord- nete unserer eigenen Entmachtung zustimmen sollen. Nein! Nein! Nein! Gute Europäer müssen wir sein! Wir dürfen nicht laut darüber nachdenken, dass das heutige Europa auf dem Weg in die monetäre Planwirt- schaft und den politischen Zentralismus ist und dass Plan- wirtschaft und das Brechen der Europäischen Verträge nicht alternativlos sind. Wir dürfen die Hauptursachen der Überschuldungskrise unserer Staaten und Banken na- türlich nicht benennen: die Geld- und Kreditschöpfung aus dem Nichts und die Möglichkeit, staatliches unge- decktes Zwangspapiergeld unbegrenzt vermehren zu können. Dass ohne diese Alchemie des Geldes kein welt- weites Schneeballsystem aus ungedeckten zukünftigen Zahlungsverpflichtungen hätte entstehen können, dürfen wir natürlich auch nicht sagen. Es könnte ja erkannt wer- den, dass dieses Schneeballsystem nur möglich ist, weil der Staat aus Gründen der leichteren Finanzierung von Staatsausgaben den Banken Privilegien verliehen hat, die gegen die Grundprinzipien jeder marktwirtschaftlichen Ordnung verstoßen. Und es ist natürlich eine Beleidigung des heutigen Es- tablishments, wenn man deutlich macht, dass dieses Geldsystem fast zwangsläufig zur Überschuldung von Staaten und Banken führt, die sich in diesem Prozess ge- genseitig decken, stützen und erpressen. Die Erpressung lautet: Werden die Zahlungen für uns eingestellt, fällt das gesamte Finanzsystem zusammen. Ein Europa des Rechts, des Wettbewerbs und der Marktwirtschaft muss die Antwort auf diese Vertrauens- krise sein. Regeln, die gemeinsam vereinbart wurden, müssen eingehalten und von der EU-Kommission als Hüterin des Rechts durchgesetzt werden. Nicht planwirt- schaftliche Gleichmacherei durch Bürokraten einer Wirtschaftsregierung oder einen „Pakt für Wettbewerbs- fähigkeit“, sondern mehr Wettbewerb als Entdeckungs- verfahren, als Entmachtungsinstrument und faktische Schuldenbremse müssen zugelassen werden. Und schließlich ist eine marktwirtschaftliche Geldordnung vonnöten, die der EZB nicht weiter erlaubt, den Zins und damit den Preis für Güter und Dienstleistungen beliebig zu manipulieren und damit die marktwirtschaftliche Ordnung zu zerstören. Dieser Dreiklang ist die Alternative zur Alternativlo- sigkeit. Denn sonst behalten die recht, die behaupten: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Anlage 12 Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Europäische-Betriebs- räte-Gesetzes – Umsetzung der Richtlinie 2009/ 38/EG über Europäische Betriebsräte (2. EBRG- ÄndG) (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Mit dem Euro- päischen Binnenmarkt und der Währungsunion haben viele Unternehmen ihre Strategien grenzüberschreitend ausgerichtet, Planungen und Standortentscheidungen be- trachten Europa als einen einheitlichen Wirtschaftsraum. Dagegen enden die Möglichkeiten der deutschen Be- triebsverfassung nach wie vor an der Landesgrenze. Um diese Lücke zu schließen, wurde 1994 die EU-Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates verabschiedet. Seit 1996 gibt es auch ein entsprechendes deutsches EBR-Gesetz. Das Europäische Parlament hat im Dezember 2008 einen Richtlinienentwurf zur Neufas- sung der Europäischen-Betriebsräte-Richtlinie 94/95/EG gebilligt, mit dem die Kommission das Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen 11096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) und Arbeitnehmer über Europäische Betriebsräte verbes- sern will. Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich die Sozialpart- ner auf europäischer Ebene nach jahrelangen Auseinan- dersetzungen im Sommer 2008 dann auf einen gemeinsa- men Richtlinienentwurf geeinigt haben. Das war eine schwierige Geburt. Denn nach einer ersten Konsultation der Sozialpartner im April 2004 und einer zweiten im Jahr 2007 scheiterte im Frühjahr 2008 die angestrebte Eini- gung zunächst. Erst auf Drängen des Europäischen Parla- ments entschloss sich die Kommission, einen eigenen Entwurf zur Revision der Europäischen-Betriebsräte- Richtlinie vorzulegen. Der dann erzielte Durchbruch ist deshalb besonders erfreulich und ein wichtiges Signal, weil sich die bestehenden Europäischen Betriebsräte – ungeachtet gewisser Probleme im Detail – bewährt haben. Als Gremium zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in grenzüber- schreitend tätigen Unternehmen spielt er auch vor dem Hintergrund der sozialen Dimension in Europa eine wichtige Rolle. Er ist kein Betriebsrat im Sinne der deut- schen Betriebsverfassung, insbesondere verfügt er über keine Mitbestimmungsrechte. Seine Aufgabe ist eher mit einem Wirtschaftsausschuss vergleichbar. Er soll die Un- terrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch dann sicherstellen, wenn sie von Entscheidungen betroffen werden, die außerhalb ihres Mitgliedstaates gefasst werden, in dem sie beschäftigt sind. Gebildet werden kann er in Unternehmen, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes mindestens 1 000 Ar- beitnehmer beschäftigen, davon mindestens jeweils 150 Arbeitnehmer in zwei verschiedenen Mitgliedstaa- ten. Deutschland gehört in Europa noch vor Großbritan- nien, Frankreich, Schweden und den Niederlanden zu den Mitgliedstaaten, in denen am häufigsten ein Euro- päischer Betriebsrat gegründet wird. Mit der nun von der Bundesregierung vorgelegten No- velle des Europäischen-Betriebsräte-Gesetzes soll die neue EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte eins zu eins in nationales Recht umgesetzt werden. Dies ist auch im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen. Damit wird das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeit- nehmer in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen und Unternehmensgruppen weiter gestärkt. Zu den wesentli- chen Änderungen gehören die erweiterte Definition der Begriffe Unterrichtung und Anhörung, die Anerkennung der Rolle der Gewerkschaften als Sachverständige zur „Unterstützung der Verhandlungen des besonderen Ver- handlungsgremiums“ sowie die Regelungen für erforder- liche Schulungen von Mitgliedern dieses Gremiums und des Europäischen Betriebsrates. Die wichtigste Neuerung stellt die Neuverhandlungspflicht bestehender Vereinba- rungen bei strukturellen Änderungen des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe dar. Die europäischen Sozialpartner sind ihrer Verantwor- tung zum sozialen Dialog in vorbildhafter Weise gerecht geworden. Das zeigen die beeindruckenden Kompro- misse über die gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze und über die Überarbeitung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte. Es stimmt auch positiv, dass sich die Kom- mission bei der Europäischen-Betriebsräte-Richtlinie in Selbstbeschränkung geübt und das Subsidiaritätsprinzip gewahrt hat. Josip Juratovic (SPD): Als früherer Betriebsrat bei Audi war auch ich mit dem Problem konfrontiert, dass unser Unternehmen europaweit agierte. Für mich stellte sich die Frage: Wie können wir Mitarbeiter mithalten, wenn ein Unternehmen über die Grenzen hinweg organi- siert ist? Wie organisieren wir dann die Mitbestimmung? Zum Glück gibt es seit 1994 die EU-Richtlinie über Eu- ropäische Betriebsräte. Es ist wichtig, dass Arbeitneh- mer europaweit organisiert sind, wenn die Unternehmen staatenübergreifend aufgestellt sind. Wir brauchen Mit- bestimmung auf Augenhöhe. Das geht nur, wenn Ge- werkschaften und Unternehmen beide transnational or- ganisiert sind. In einer globalisierten Welt ist es nicht möglich, nur nationale Mitbestimmung zu haben, ohne die Mitbestimmung auf EU-Ebene zu stärken. Es reicht nicht, wenn wir die deutsche Mitbestimmung in Sonn- tagsreden loben, wie die Kanzlerin es tut, und auf EU- Ebene untätig bleiben. Es gibt keine Alternative zu einer europaweiten Aus- weitung der Mitbestimmung. In einigen Unternehmen, wie beispielsweise bei EADS, funktionieren die Europäi- schen Betriebsräte sehr gut. EADS ist erfolgreich, und die Mitbestimmung ist ein Grund dafür. Denn unser Wohlstand baut auf zwei Säulen auf: Zum einen sind dies erfolgreiche und innovative Unternehmer, zum an- deren sind dies die unzähligen Arbeitnehmer, die für den Erfolg ihres Unternehmens arbeiten. Wenn diese Arbeit- nehmer an den Entscheidungen beteiligt werden und wenn es funktionierende Betriebsräte gibt, sind die Un- ternehmen erfolgreicher. Das zeigen zahlreiche Studien. Denn in Betrieben mit Mitbestimmung setzen sich die Arbeitnehmer stärker für den Erfolg ihres Unternehmens ein, mit dem sie sich verbunden fühlen. Deswegen ist es für unseren Wohlstand so wichtig, dass Europäische Be- triebsräte gut funktionieren. Aber die Werksverlagerung von Nokia in Bochum hat gezeigt: Es ist zu einfach, die Mitbestimmung zu umge- hen. Wir haben zahlreiche Beispiele aus der Praxis, dass Europäische Betriebsräte an wichtigen Entscheidungen nicht beteiligt wurden. Die Richtlinie von 1994 war nicht mehr zeitgemäß. Die Europäischen Betriebsräte standen vor einem Scherbenhaufen. Auf europäischer Ebene haben wir lange für eine verbesserte Richtlinie gekämpft. Die deutsche Wirtschaft und besonders der Arbeitgeberverband haben dabei keine rühmliche Rolle gespielt. Vielmehr versuchten die Arbeitgeber, weiter gehende Mitbestimmung auf europäischer Ebene zu ver- hindern. Es war eine harte Arbeit der europäischen Ge- werkschaften und des europäischen Arbeitgeberverban- des, bis es zu einer Einigung kam und der destruktive Widerstand der deutschen Arbeitgeber gebrochen war. Unterstützt wurden Gewerkschaften und europäische Arbeitgeber von vielen Erfahrungen aus der Praxis. In den Betrieben wurde viel zwischen Betriebsräten und Betriebsleitungen diskutiert, es fanden viele Aktionen vor Ort statt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11097 (A) (C) (D)(B) Die neue Richtlinie beinhaltet viele Verbesserungen. Die Grundrechte der Mitbestimmung, nämlich das Infor- mationsrecht und das Konsultationsrecht, werden durch die neue Richtlinie gewährleistet. Den Europäischen Be- triebsräten werden diese Grundrechte in Zukunft nicht mehr verweigert, wie es bisher in einigen Unternehmen der Fall war. Es wurde klargestellt, in welchen Fällen Europäische Betriebsräte zuständig sind. Dazu gehören auch Unternehmensverlagerungen. Die Europäischen Betriebsräte müssen in Zukunft früher informiert werden von den Unternehmensleitungen. EBR-Mitglieder haben in Zukunft das Recht auf Schulungs- und Bildungsveran- staltungen. In der Richtlinie werden viele wichtige Dinge geregelt, die die Arbeit von Europäischen Be- triebsräten vereinfachen. Die Richtlinie kann sich also sehen lassen. Aber die deutsche Umsetzung der Richtlinie, die wir heute debat- tieren, muss verbessert werden. Ich fordere drei Ände- rungen an dem Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt. Erstens. In der Richtlinie steht, dass die Mitgliedstaa- ten verpflichtet sind, wirksame, angemessene und ab- schreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Richtli- nie einzuführen. Die Höhe der Sanktionen muss national festgelegt werden. Denn natürlich ist beispielsweise eine Sanktion von 15 000 Euro für ein mittelständisches Un- ternehmen in Rumänien abschreckend. In Deutschland ist das aber viel zu niedrig. Der Gesetzentwurf von Union und FDP sieht vor, dass bei Verstößen eine Sank- tion von 15 000 Euro fällig ist. Glauben Sie ernsthaft, dass große deutsche Unternehmen bei 15 000 Euro zu- sammenzucken? 15 000 Euro hätte Nokia aus der Porto- kasse bezahlt, um Mitbestimmung zu verhindern. Kein Unternehmen, das die Mitbestimmung aushebeln will, fürchtet solch niedrige Sanktionen. Um die Europäi- schen Betriebsräte zu stärken, müssen wir also dringend höhere Sanktionen ins Gesetz schreiben. Zweitens müssen wir einen Unterlassungsanspruch festschreiben. Wenn ein Unternehmen gesetzwidrig han- delt, also den Europäischen Betriebsrat nicht rechtzeitig anhört oder unterrichtet, dürfen die Entscheidungen, an denen der Betriebsrat nicht beteiligt wurde, auch nicht vollzogen werden. Wenn ein Unternehmer also eine Werksschließung vornehmen will, aber den Europäischen Betriebsrat nicht anhört, kann der Betriebsrat dagegen klagen und sein Recht vor Gericht durchsetzen. Das fehlt bisher im Gesetz. Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, lassen Sie uns gemeinsam in den kommenden Beratungen einen solchen Unterlassungsanspruch in das Gesetz schreiben. Drittens fordere ich, dass ein Zutrittsrecht für die Mit- glieder der Europäischen Betriebsräte festgeschrieben wird. Wenn die Europäischen Betriebsräte hier nach Deutschland kommen, um die hiesigen Betriebsräte zu unterrichten, muss sichergestellt sein, dass die EBR-Mit- glieder nicht am Betreten des Unternehmens gehindert werden. Ein Unternehmen darf nicht verhindern, dass Europäische Betriebsräte in die deutschen Niederlassun- gen kommen. Auch dieses Zutrittsrecht müssen wir in das Gesetz integrieren. Die SPD-Fraktion wird dazu in den kommenden Ta- gen einen Antrag mit den konkreten Forderungen vorle- gen. Denn das Gesetz über europäische Mitbestimmung hat auch eine tiefere Bedeutung für unser gemeinsames Europa: Mit diesem Gesetz zeigen wir, was das soziale Europa für jeden Einzelnen von uns bedeutet. Wir zeigen den Menschen: Die EU rettet nicht nur den Euro und die Banken, sondern in der EU sorgen wir dafür, dass die Menschen bessere Arbeitsbedingungen bekommen. Die Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten ist ein Kernstück des sozialen Europas. Damit schaffen wir es, dass die Menschen nicht europamüde werden. Diese Chance müssen wir nutzen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Europäische-Be- triebsräte-Gesetz stellt sicher, dass auch in gemein- schaftsweit tätigen Unternehmen und Konzernen eine grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer über eine von ihnen gebildete Interessen- vertretung erfolgt. Ein Europäischer Betriebsrat kann ge- bildet werden in Unternehmen, die in den Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union und in den anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum insgesamt mindestens 1 000 Arbeitneh- mer und davon mindestens jeweils 150 Arbeitnehmer in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigen. Nach Zahlen der Europäischen Kommission bestehen in Europa derzeit etwa 900 Europäische Betriebsräte, die gut 15 Millionen Arbeitnehmer repräsentieren. In Deutschland gibt es rund 140 Unternehmen mit einem Europäischen Betriebsrat. Am 15. Dezember 2010 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Euro- päische-Betriebsräte-Gesetzes beschlossen. Damit soll die Richtlinie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte in nationales Recht umgesetzt werden. Die neugefasste Richtline stärkt das Recht des Europäischen Betriebsrates auf Unterrichtung und Anhörung und gestaltet Beteili- gungsverfahren praxistauglicher. Die neuen Regelungen sollen im Sommer 2011 in Kraft treten. Ein wesentlicher Bestandteil des vorliegenden Ge- setzentwurfs ist die rechtzeitige Information und Anhö- rung des Europäischen Betriebsrates über geplante Maß- nahmen des Unternehmens, die die Arbeitnehmer betreffen, wie zum Beispiel Umstrukturierungen. Damit wird sichergestellt, dass auch in europaweit tätigen Un- ternehmen die Interessen der Arbeitnehmer berücksich- tigt werden und in die Entscheidungsfindung im Unter- nehmen einfließen. Die Anpassungen erfolgen, um der Praxis besser ge- recht zu werden. Dabei stehen die betrieblichen Sozial- partner im Mittelpunkt, indem sie die Verantwortung für die Einrichtung, das Format, die Aufgabenstellung und die Tätigkeit des Europäischen Betriebsrates oder eines anderen Verfahrens zur grenzüberschreitenden Unter- richtung und Anhörung der Arbeitnehmer erhalten haben. Der in der Richtlinie enthaltene Verhandlungsansatz ist die Grundlage für den großen Erfolg der Europäi- schen Betriebsräte in der unternehmerischen Praxis. Die- 11098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) ser Ansatz ermöglicht eine Vielfalt von Modellen der Information und Konsultation und trägt den unterneh- mensindividuellen Gegebenheiten Rechnung. Durch das Gesetz werden keine neuen bürokratischen Hürden auf- gebaut, sondern es lässt Spielraum für maßgeschneiderte betriebliche Lösungen. Wir sind der festen Überzeu- gung, dass es richtig ist, den einzelnen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, mit ihren Arbeitnehmern und Ar- beitnehmervertretern die besten Lösungen zu finden. In der Entstehung der Richtlinie, die nach unserer Vorstellung eins zu eins mit diesem Gesetz umgesetzt werden sollte, wurden viele Verbesserungsvorschläge der betroffenen Parteien angenommen, die die Arbeitge- ber zusammen mit dem Europäischen Gewerkschafts- bund in einer gemeinsamen Stellungnahme erarbeitet haben. Hier wurden gute Lösungen im Sinne der Arbeit- nehmer und Arbeitgeber gefunden. Dies ist insbesondere deshalb erfreulich, weil so zügig Ergebnisse gefunden werden konnten, die von einer breiten Mehrheit getragen werden. An einzelnen Stellen sehen wir als Liberale noch Ge- sprächsbedarf, so zum Beispiel bei den Anzeigepflich- ten. Unser Ziel ist es, Wettbewerbsgleichheit in der Eu- ropäischen Union sicherzustellen. In der Anhörung werden wir die Möglichkeit haben, auf einzelne Fragen- stellungen noch näher einzugehen. Dieser vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt, um die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf europäischer Ebene einfacher und praxisgerechter zu gestalten. Daher würde ich mich freuen, wenn auch in diesem Hohen Hause über die Par- teigrenzen hinweg diese Regelungen Zustimmung fin- den würden. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Wir brauchen starke Europäische Betriebsräte, um die Beschäftigten vor rei- nem Profitstreben ihrer Konzerne zu schützen. Mitbe- stimmung ist notwendig, wenn Konzerne, wie zum Beispiel Nokia, ihre Standorte verlagern, nur um Lohn- kosten zu sparen. Nokia hatte für das Werk in Bochum Subventionen bekommen, um dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen. Wie dauerhaft das war, hat man 2008 gese- hen: Das Werk wurde einfach verlagert. Am neuen Standort in Rumänien gab es Ansiedlungsprämien, und billige Löhne lockten. Also verlagerte Nokia seine Han- dyproduktion dorthin. Weder der deutsche noch der Eu- ropäische Betriebsrat waren ausreichend informiert wor- den. Die Belegschaft wurde chancenlos vor vollendete Tatsachen gestellt. Rumänische Gewerkschafter wurden aktiv bei ihrer Arbeit im neuen Werk gehindert. Immer wieder werden so Belegschaften verschiedener Werke in Europa gegeneinander ausgespielt. Europäische Betriebsräte ermöglichen es den Be- schäftigten, sich über nationale Grenzen auszutauschen und gemeinsame Positionen zu entwickeln. Die rasant gestiegene Zahl der Europäischen Betriebsräte belegt, wie wichtig sie für die Beschäftigten in transnationalen Unternehmen sind. Standortverlagerungen, wie bei No- kia, sollten in Europa nicht mehr möglich sein. Daran muss sich eine Richtlinie für Europäische Betriebsräte messen lassen. Ganze zwölf Jahre hat es gedauert, bis die verbesserte Richtlinie nun auf dem Tisch liegt. Herausgekommen sind die Beseitigung vieler kleiner Hürden, die die Arbeit der Europäischen Betriebsräte bisher erschwert haben. Die Informationsrechte des EBR wurden verbessert: Der Anspruch auf Informationen ist nun klarer definiert und leicht ausgeweitet. Es gibt nun endlich einen Schulungs- anspruch für Mitglieder eines Europäischen Betriebsrates, inklusive Kostenübernahme und Lohnkostenausgleich. Die Zusammenarbeit mit den Nationalen Mitbestim- mungsgremien wurde verbessert. Sanktionen, die die Un- ternehmen zur Einhaltung der Rechte der Europäischen Betriebsräte verpflichten, wurden in der Richtlinie festge- schrieben. Wenn man das hört, fragt man sich ernsthaft, wie zu- vor eine wirkungsvolle Arbeit möglich war. An einigen zentralen Punkten wurde aber nichts verändert. Der Eu- ropäische Betriebsrat kann sich auch weiterhin nur ein- mal im Jahr treffen. Für ein arbeitsfähiges Gremium ist dies zu wenig. Mit mehreren Treffen im Jahr wäre es ge- lungen, den Europäischen Betriebsrat von einem reinen Informationsgremium zu einem Arbeitsgremium zu ma- chen. Diese Chance ist verpasst worden. Zudem wurde die Ausweitung von EBRs auf kleinere europäische Un- ternehmen blockiert. Auch in Unternehmen mit 500 Be- schäftigten und mindestens 100 Beschäftigten in zwei Ländern müssen EBRs möglich sein. Bei den Sanktio- nen schließlich setzt die Bundesregierung die Richtlinien nur mangelhaft um: Geldstrafen von maximal 15 000 Euro sind nicht wirksam, wie die Richtlinie vorschreibt – das ist Klimpergeld für einen europäischen Konzern. Was brauchen Europäische Betriebsräte um arbeiten zu können? Aufgrund der reichhaltigen europäischen Er- fahrungen mit betrieblicher Mitbestimmung ist es ein- fach zu sagen, was Europäische Betriebsräte brauchen um gute Arbeit zu machen. Erstens. Europäische Be- triebsräte brauchen das Recht auf regelmäßige Treffen. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem internationalen Unternehmen beschäftigt, Sie sind Teil einer internatio- nalen Arbeitsgruppe und treffen sich mit Ihren Kollegen aus anderen Ländern nur einmal im Jahr zur Abstim- mung. Glauben Sie im Ernst, Sie sind so arbeitsfähig? Zweitens. Sie brauchen das Recht auf umfassende und frühzeitige Information, um ein gemeinsames europäi- sches Vorgehen der Beschäftigten abzustimmen. Deshalb fordert die europäische Linke, dass Europäische Betriebs- räte gegen Pläne der Unternehmensführung für Umstruk- turierungen, Unternehmenszusammenschlüsse, Übernah- men oder Entlassungen Einspruch erheben können. Alle endgültigen Entscheidungen müssten so lange aufge- schoben werden, bis der Europäische Betriebsrat alterna- tive Lösungen anbieten kann und diese mit der Unterneh- mensführung ausführlich erörtert wurden. Drittens. Die Teilnahme der Gewerkschaftsvertreter an den Treffen muss ermöglicht werden. Zustimmen wird die Linke dieser Verbesserung, aber einen Grund zum Feiern sehen wir darin nicht. Mit der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11099 (A) (C) (D)(B) neuen Richtlinie bleiben die Mitspracherechte der Be- schäftigten bei Umstrukturierungen und Verlagerungen ungenügend – ein neues Nokia wird nicht verhindert. Den europäischen Beschäftigten wird mit dem neuen Gesetz statt einem Fahrrad nun ein Mofa zur Verfügung gestellt. Wirklich notwendig für grenzübergreifende Mitbestimmung wäre jedoch mindestens eine europäi- sche Bahncard 100. Die dicken Bretter der Mitbestim- mung werden in Europa nur langsam gebohrt. Während der freie Binnenmarkt längst gelebte Praxis ist, bleiben die Rechte von europäischen Betriebsräten weiterhin von bescheidenem Format. Die Reform der Europäischen-Betriebsräte-Richtline wurde lange verzögert. Sie war für 1999 vorgesehen. In Kraft tritt die Reform nun 2011, das heißt, ganze zwölf Jahre später. Erst im Jahre 2016 wird eine erneute Über- arbeitung der Richtlinie möglich sein. Wenn diese in demselben Tempo verhandelt wird, wie bei dieser Über- arbeitung, ist der Prozess 2028 abgeschlossen. Das ist zu spät für mehr betriebliche Mitbestimmung in Europa. Das ist für ein demokratisches und soziales Europa be- schämend. Die europäischen Gewerkschaften haben dafür ge- sorgt, dass die Europäischen Betriebsräte, trotz der bis- her bescheidenen Möglichkeiten, mit Leben gefüllt wur- den. Es bleibt den Gewerkschaften Europas und der Welt auch mit der neuen Richtlinie nichts anderes übrig, als wirklich wirksame internationale Konzernmitbestim- mung selbst durchzusetzen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Bundesregierung ist bereits spät dran mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Europäischen-Be- triebsräte-Gesetzes. Seit dem 5. Juni 2009 ist die überar- beitete EU-Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten in Kraft, und bis zum 5. Juni dieses Jahres muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. Viel Zeit bleibt also nicht mehr. Das Thema ist mir sehr wichtig, und ich meine, es muss intensiv und sorgfältig beraten werden. Denn die Umsetzung muss auch eine entsprechende Qualität haben. Die Beratungen im federführenden Aus- schuss für Arbeit und Soziales und insbesondere die An- hörung müssen zu einem umfassenden Austausch ge- nutzt werden. Den Ergebnissen der anstehenden Beratungen und der Vertiefung in die Details des Gesetz- entwurfes kann ich hier nicht vorgreifen. Aber einige grundlegende Aussagen zum vorliegenden Gesetzesvor- haben und zu seinem Hintergrund sind mir wichtig. Die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Arbeit- nehmervertretung wurde 1994 in der Richtlinie für die Gründung Europäischer Betriebsräte geschaffen. Das war ein großer Schritt nach vorne und ein Kernstück des Europäischen Sozialmodells, denn Unternehmen sind heutzutage grenzüberschreitend, oft global aufgestellt. Auch die Arbeitnehmervertretung muss daher die Mög- lichkeit haben, sich grenzüberschreitend und europaweit zu organisieren. Andernfalls könnte von einer echten So- zialpartnerschaft auf Augenhöhe nicht mehr die Rede sein. Dennoch war die Richtlinie von 1994 höchst man- gelhaft und eine Revision überfällig. Es waren keine Mitbestimmungsrechte wie im deutschen Betriebsver- fassungsgesetz vorgesehen. Und es gab keine wirksa- men Sanktionen, die die Unternehmen zur Gründung Europäischer Betriebsräte antreiben. Die Verbesserungen in der Neufassung der Richtlinie von 2009 waren hart erkämpft. Insbesondere das Euro- päische Parlament hat den Kommissionsvorschlag ent- scheidend verbessert, auch auf Betreiben der Grünen. Ein wesentlicher Punkt war die Neudefinition der „Transnationalität“. Sie erinnern sich, die Nokia-Werks- schließung in Bochum und die Verlegung des Werkes nach Rumänien geschah über die Köpfe der Europäi- schen Betriebsräte hinweg. Nun ist klargestellt: Ein Eu- ropäischer Betriebsrat muss auch dann unterrichtet und angehört werden, wenn unternehmerische Entscheidun- gen in einem Mitgliedstaat getroffen werden, die die Be- schäftigten in einem anderen Mitgliedstaat betreffen. Auch das Fehlen von abschreckenden Sanktionen gegen Unternehmen, die sich nicht an die Richtlinie halten, wurde erkannt. Die Mitgliedstaaten werden nun aufgeru- fen „geeignete Maßnahmen“ zu treffen. Jetzt ist die Bun- desregierung also am Zug. Insgesamt muss allen Betei- ligten klar sein: Die Neufassung der Europäischen- Betriebsräte-Richtlinie erfüllt einen Minimalanspruch an die innerbetriebliche Demokratie – mehr nicht. Sie ist eine Minimalanpassung an die veränderte Unterneh- menssituation in Europa. Ganz folgerichtig kann auch die nationale Umsetzung hier nicht bejubelt, sondern lediglich als dringend not- wendige Verbesserung begrüßt werden. Wir Abgeord- nete müssen vor allem bewerten, ob die Bundesregie- rung den Spielraum auch nutzt, der ihr bei der Umsetzung in nationales Recht zur Verfügung steht. Be- deutet die Gesetzesänderung eine Stärkung der Arbeit- nehmerrechte, oder nicht? Daran muss sich dieser Ge- setzentwurf messen lassen. Der Gesetzentwurf sieht wesentliche Änderungen vor, die ich bereits jetzt als grundsätzlich positiv bewerten kann. Das Recht der Arbeitnehmervertretung auf Unter- richtung und Anhörung wird schon allein dadurch ge- stärkt, dass die Begriffe „Unterrichtung“ und „Anhö- rung“ nun erstmals ausdrücklich definiert sind. Ebenfalls im Grundsatz positiv ist die neu geschaffene Möglich- keit für Gewerkschaften, als Sachverständige zur Unter- stützung der Verhandlungen des besonderen Verhand- lungsgremiums an dessen Sitzungen beratend teilzunehmen. Ferner wird den Mitgliedern des Europäi- schen Betriebsrates nun die Möglichkeit gewährt, an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen teilzunehmen. Insofern zeichnen sich in der Tat Verbesserungen im Vergleich zum Status quo ab. Eine ausführliche Bewer- tung der Regelungen wird jedoch noch vorzunehmen sein. Nach meinen bisherigen Erfahrungen in diesem Hohen Hause bin ich sehr zurückhaltend damit, der Bun- desregierung eine ausgeprägte Arbeitnehmerfreundlich- keit zu unterstellen. Hinzu kommen offensichtliche Auslassungen und Mängel im vorliegenden Gesetzentwurf. Substanzielle Nachbesserungen der Bestimmungen zur Sanktion von Pflichtverstößen fehlen bisher weitgehend. Wir wissen 11100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) aber aus anderen Bereichen des Arbeitsrechtes, dass Sanktionen wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sein müssen. Das wären „geeignete Maßnahmen“, wie sie die EU-Richtlinie nennt. Bisher ist davon aber nichts zu er- kennen. Unklar bleibt außerdem, wie genau wir uns die Unterrichtung der örtlichen Arbeitnehmervertretung durch den Europäischen Betriebsrat vorstellen müssen. Erhält dieser beispielsweise ein Zugangs- und Zutritts- recht zum Betrieb bzw. zum Unternehmen? Diese Fra- gen sind noch offen. Ich komme damit zu einem vorläufigen Fazit: Es ist zumindest zweifelhaft, ob der gegebene Spielraum bei der Umsetzung in die nationale Arbeitsrechtsordnung bei den benannten Punkten wirklich ausreichend genutzt wurde. Das werden wir im Folgenden noch gemeinsam diskutieren. Und ich werde dabei selbstverständlich ak- tiv etwas einbringen. Ich freue mich auf spannende und angeregte Debatten, die uns sicherlich den einen oder anderen Erkenntnisgewinn bescheren werden. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Die Unter- richtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer ist ein wesentlicher Bestandteil des Europäi- schen Sozialmodells. Die Verabschiedung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte im Jahr 1994 unter deut- scher Ratspräsidentschaft war ein Meilenstein auf dem Weg zu einem sozialen Europa. Europäische Betriebsräte in grenzüberschreitend täti- gen Unternehmen sind als Bindeglied zwischen der Un- ternehmensleitung und den Beschäftigten gedacht. Sie sollen den Austausch von Informationen und Interessen der Beschäftigten an den verschiedenen Standorten in unterschiedlichen Ländern fördern. Europäische Betriebsräte können so verhindern, dass die Belegschaften verschiedener Standorte gegeneinan- der ausgespielt werden. Nach Zahlen erfreut sich der EBR einer stetig wach- senden Beliebtheit: 2009 gab es nach Angaben der Euro- päischen Kommission in über 900 Unternehmen und Unternehmensgruppen Europäische Betriebsräte, die circa zwei Drittel der Arbeitnehmer der Unternehmen im Anwendungsbereich der Richtlinie vertreten. Maßgeblich hierfür ist vor allem, dass die Richtlinie den Sozialpartnern einen weiten Gestaltungsspielraum für die Errichtung Europäischer Betriebsräte einräumt. Sie ermöglicht, an die Situation des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe angepasste maßgeschneiderte Vereinbarungen über die Errichtung Europäischer Be- triebsräte zu treffen. Erst wenn keine Vereinbarung zu- stande ommt, ist ein Europäischer Betriebsrat kraft Ge- setz zu bilden. 2008/2009 ist die Richtlinie über Europäische Be- triebsräte neu gefasst worden. Nach längerer Vorlaufzeit konnten die eigentlichen Verhandlungen auf europäi- scher Ebene in nur einem halben Jahr abgeschlossen werden. Dies ist entscheidend der konstruktiven Beteili- gung der Sozialpartner zu verdanken. Ziel der Neufassung war es, die Richtlinie dort zu ver- bessern, wo uns die Erfahrungen aus der Praxis Schwä- chen aufgezeigt haben. Damit wird eine effektive Arbeit der Europäischen Betriebsräte sowohl zugunsten der Un- ternehmen als auch der Arbeitnehmer sichergestellt. Die neugefasste Richtlinie beruht entscheidend auf ei- nem im Rat gefundenen Kompromiss der europäischen Sozialpartner. Der nun von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz- entwurf dient der Umsetzung der neugefassten Richtli- nie. Er enthält entsprechend der Richtlinie folgende Kernpunkte: Die Erfahrungen aus der Vergangenheit haben ge- zeigt, dass eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhö- rung des Europäischen Betriebsrats nicht immer gewähr- leistet war. Europäische Betriebsräte wurden teilweise erst informiert und angehört, wenn Entscheidungen der Unternehmensleitung schon gefallen waren. Das galt in besonderem Maße bei Umstrukturierungen. Der Fall No- kia – um nur ein Beispiel mangelhafter Beteiligung zu nennen – ist uns allen sicherlich noch gut in Erinnerung. Hier setzt die neue Richtlinie nunmehr klare Akzente. Sie stellt klar, dass Europäische Betriebsräte frühzeitig an geplanten Entscheidungen der Unternehmensleitung zu beteiligen sind. Dazu gehört insbesondere, dass der Europäische Betriebsrat die Gelegenheit erhalten muss, zu der geplanten Maßnahme eine Stellungnahme abzu- geben. Zeitlich muss die Stellungnahme vom Unterneh- men bei der Entscheidungsfindung noch berücksichtigt werden können. Ein weiterer wesentlicher Fortschritt ist die Veranke- rung des Schulungsanspruchs für den Europäischen Be- triebsrat. Denn nur qualifizierte Europäische Betriebs- räte können ihre Aufgaben sachgerecht und effektiv wahrnehmen. Ebenso wichtig ist, dass die Europäischen Betriebs- ratsmitglieder während der Schulungsteilnahme keine Lohneinbußen erleiden. Zur Gewährleistung einer zügigen und kontinuierli- chen Arbeit des Europäischen Betriebsrats soll in der EBR-Vereinbarung die Einrichtung eines engeren Aus- schusses vereinbart werden, der die laufenden Geschäfte des Europäischen Betriebsrats führt. Weitere Kernpunkte der neugefassten Richtlinie und des Entwurfs sind die Klarstellung der Informations- pflichten des Unternehmens bzw. der Unternehmens- gruppe über die eigene Struktur und Belegschaft bei der Gründung von Europäischen Betriebsräten, die Aner- kennung der Rolle der Gewerkschaften als Sachverstän- dige zur Unterstützung der Verhandlungen über einen Europäischen Betriebsrat, die Neuverhandlungspflicht im Fall wesentlicher Strukturänderungen des Unterneh- mens oder der Unternehmensgruppe, soweit die EBR- Vereinbarung dazu noch keine Regelung enthält oder diese Regelung mit anderen EBR-Vereinbarungen nicht kompatibel ist, ein Übergangsmandat für den Europäi- schen Betriebsrat für die Zeit der Neuverhandlungs- pflicht und das sogenannte Zwei-Jahres-Fenster, wonach Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11101 (A) (C) (D)(B) bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist, dem 5. Juni 2011, bestehende EBR-Vereinbarungen noch nach den Rege- lungen der bisherigen Richtlinie 94/45/EG angepasst oder neu abgeschlossen werden können. Der Gesetzentwurf schafft für die Akteure in der Pra- xis mehr Klarheit und Rechtssicherheit. Dies gilt insbe- sondere für die frühzeitige Einbindung des Europäischen Betriebsrats bei Entscheidungen des Unternehmens, die die Arbeitnehmer unmittelbar betreffen. Er stärkt die Rolle des Europäischen Betriebsrats als Informations- bindeglied zwischen den nationalen Beteiligungsgre- mien und sorgt für eine angemessene Arbeitsgrundlage der Europäischen Betriebsräte. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen (Tagesord- nungspunkt 18) Helmut Brandt (CDU/CSU): Zunächst einmal freue ich mich, dass Sie und ich in unserer Bewertung hin- sichtlich der menschenrechtsunwürdigen Zustände im Iran offensichtlich einer Meinung sind. Ich unterstütze daher gerne jede Maßnahme, die der Verbesserung der Situation der Menschen im Iran und ihrer Angehörigen hier in Deutschland dient. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am 7. Juli 2010 beantragt, der Bundestag möge die Bundesregie- rung auffordern „so schnell wie möglich und unbürokra- tisch in Absprache mit den Bundesländern weitere irani- sche Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufzunehmen“. Außerdem solle sich die Bundesregie- rung dafür einsetzen, dass die Türkei ihren Territorial- vorbehalt gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention, durch den die Türkei die Schutzgewährung auf europäi- sche Flüchtlinge beschränkt, aufhebt und den humanitä- ren Standard im Umgang mit schutzsuchenden Flücht- lingen verbessert. Hintergrund des Antrags ist die anhaltend schlechte Menschenrechtslage im Iran. Circa 4 000 Iraner, insbe- sondere Menschen, die sich für Demokratie und Bürger- rechte einsetzen, sind in die Türkei geflohen, um den drohenden Repressalien durch ihre Regierung zu entge- hen. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung sind sich der prekären Situation iranischer Flüchtlinge durchaus bewusst. Aus diesem Grund hat der damalige Bundesminister des Innern, Thomas de Maizière, ge- meinsam mit der Innenministerkonferenz entschieden, circa 50 iranische Dissidenten, die in Zusammenhang mit der Niederschlagung der Proteste gegen die manipu- lativen Umstände der Wiederwahl des amtierenden Prä- sidenten Ahmadinedschad ins Ausland geflohen sind, in Deutschland aufzunehmen. Davon sind bis zum jetzigen Zeitpunkt 41 Personen in die Bundesrepublik eingereist. Die Verzögerungen bei der Einreise haben sich im We- sentlichen durch die Verfahrensabwicklung des UNHCR in der Türkei ergeben, da die Registrierung als Flücht- ling beim UNHCR Voraussetzung für die Legalisierung des vorübergehenden Aufenthalts in der Türkei und die Aufnahme in Deutschland ist. Darüber hinaus hatte sich Herr Minister de Maizière vorbehalten, auf der Grundlage von § 22 Satz 2 Aufent- haltsgesetz auch über die bereits erfolgten 50 Zusagen hinaus in besonderen Einzelfällen weitere Aufnahmezu- sagen zu ermöglichen. Schon deshalb besteht für die in Ihrem Antrag enthaltene Aufforderung an die Bundesre- gierung, weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen, kein Bedarf. Es ist richtig, dass auch wir diesen Menschen gegen- über eine Verantwortung haben und dass diese Men- schen unsere Hilfe und Unterstützung brauchen. Asyl und Flüchtlingsschutz haben in Deutschland einen hohen Stellenwert. Politisch Verfolgte können darauf vertrauen, in Deutschland eine sichere Aufnahme zu finden, wenn sie als Asylberechtigte oder Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention anerkannt werden. Aus diesem Grund hat die Bundesrepublik allein im Jahre 2010 über 1 400 iranische Staatsangehörige in Deutschland aufgenommen. Davon wurden 254 Perso- nen als Asylberechtigte anerkannt, 1 140 Personen wurde Flüchtlingsschutz gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz gewährt und weiteren 78 Personen gegenüber besteht ge- mäß § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 ein Abschiebeverbot. Ich bin überrascht, dass diese Tatsache in Ihrem An- trag keinerlei Erwähnung findet. Vor diesem Hinter- grund – ich nehme an, Sie hatten nur vergessen, diese Zahlen zu erwähnen – ist Ihre Aufforderung an die Bun- desregierung, sich hinsichtlich der Aufnahme weiterer Flüchtlinge an anderen westlichen Staaten zu orientieren und ihr indirekt vorzuwerfen, sie käme ihrer Verantwor- tung nur in ungenügendem Maße nach, nicht nachvoll- ziehbar. Immerhin hat sich innerhalb der Europäischen Union außer Deutschland lediglich Schweden in ver- gleichbar großem Umfang engagiert. Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle auch einmal auf die Gesamtsituation aufmerksam machen, der wir gegenüberstehen. Im Jahr 2010 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt 41 332 Asyl- erstanträge gestellt, 13 683 mehr als im Jahr 2009. Das bedeutet nahezu eine Verdopplung der Antragszahl. Da- von entfallen auf den Iran 2 475 Asylerstanträge gegen- über 1 170 Anträgen aus dem Jahr 2009. Die Steigerung beträgt hier also aufgrund der politischen Entwicklung sogar 111,5 Prozent. Angesichts dieser Zahlen sind übrigens auch andere europäische Länder stärker gefragt, Asylbewerber auf- zunehmen. Neben der Aufnahme von Flüchtlingen be- müht sich die Bundesregierung aber auch auf anderen Wegen um eine Verbesserung der Situation der Flücht- linge in der Türkei. Aus der EU-Beitrittspartnerschaft der Türkei ergeben sich für die Türkei konkrete Verpflichtungen auch in Hinblick auf die Einhaltung bestimmter humanitärer Standards. Unter die von der Türkei umzusetzenden Pri- oritäten fallen beispielsweise auch die fortgesetzte An- 11102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) passung an den EU-Besitzstand im Asylbereich, insbe- sondere durch die Aufhebung der geografischen Einschränkung der Geltung der Genfer Konventionen und die Stärkung des Schutzes, der sozialen Unterstüt- zung und der Integrationsmaßnahmen zugunsten von Flüchtlingen. Der Regionalvorbehalt der Türkei bei der Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht fundamental deren Zweck. Seine Aufhebung ist von der EU deshalb explizit in den in der Beitrittspartnerschaft enthaltenen Forderungskatalog an die Türkei aufgenommen worden. Dessen Einforderung ist fester Bestandteil des politi- schen Dialogs der Bundesregierung mit der Türkei – bi- lateral und auf Ebene der EU. Die türkische Regierung erarbeitet zurzeit ein Asylge- setz. Über den Zeitpunkt der Einführung liegen nach Auskunft der Bundesregierung gegenwärtig keine ab- schließenden Informationen vor. Was die Verbesserung des humanitären Standards von Flüchtlingen in der Türkei angeht, so richtet die türki- sche Regierung neue Aufnahme- und Rückführungszen- tren ein, die durch EU-finanzierte Twinning-Projekte un- terstützt werden. Das Twinning-Programm umfasst Partnerschaften zwischen Behörden aus den Mitglied- staaten der EU und öffentlichen Verwaltungen aktueller und potenzieller EU-Beitrittskandidaten sowie Ländern der europäischen Nachbarschaft. Die EU fördert Twin- ning und nutzt dieses Instrument, um öffentliche Struk- turen in den Partnerländern zu stärken, zu reformieren und weiterzuentwickeln. EU-Beitrittskandidaten müssen das gesamte Rechts- system der EU übernehmen. Das Personal in den zustän- digen Verwaltungen muss lernen, EU-Recht anzuwen- den und zu interpretieren. Twinning-Projekte setzen genau an diesem Punkt an, in dem die zuständigen und einzurichtenden Behörden Twinning-Partner zur Seite gestellt bekommen, die in vergleichbaren Fachgebieten und auf vergleichbarer Ebene tätig sind, das heißt auf zentralstaatlicher, Länder-/Provinz- oder auch kommu- naler Ebene. Seit über zehn Jahren engagieren sich hier auch deutsche Bundes- und Landesministerien oder Kommunen, die im Durchschnitt ein Viertel der ausge- schriebenen Projekte einwerben. So wurde zum Beispiel das von der EU für den Zeitraum 2008 bis 2010 ausge- schriebene Twinning-Projekt „Country of Origin und Asylum Case Management System“ vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewonnen und durchgeführt. Dabei wurde die Türkei dabei unterstützt, den EU-Be- sitzstand im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik umzusetzen. Daneben bemüht sich die Bundesregierung aber auch seit Jahren um eine Verbesserung der Menschenrechts- lage im Iran. Die gesamte Menschenrechtslage sowie Einzelfälle im Menschenrechtsbereich sind Bestandteil aller bilateralen Gespräche der Bundesregierung mit der iranischen Regierung. Bundesaußenminister Westerwelle hat in seinem Gespräch am 5. Februar 2010 mit dem da- maligen iranischen Außenminister Mottaki auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Iran unmissver- ständlich und eindringlich aufgefordert, die Menschen- und Minderheitenrechte zu achten. Wegen der drohen- den Todesurteile im Verfahren gegen die Bahá’ì-Füh- rung wurde der iranische Botschafter regelmäßig einbe- stellt. Auch auf EU-Ebene und internationaler Ebene sind die in Iran stattfindenden Menschenrechtsverletzun- gen regelmäßig Gegenstand zahlreicher Erklärungen und Resolutionen durch die UN-Generalversammlung. Es besteht daher auch kein Bedarf an Ihrer Forderung an die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Türkei ihrem Territorialvorbehalt gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention, durch den die Türkei die Schutz- gewährung auf europäische Flüchtlinge beschränkt, auf- hebt und den humanitären Standard im Umgang mit schutzsuchenden Flüchtlingen verbessert. Das tut die Bundesregierung mit unserer Unterstützung ohnehin. Ich sage es nochmals: Die Bundesregierung verfolgt die Situation der Menschen im Iran und der iranischen Flüchtlinge in der Türkei mit großer Aufmerksamkeit und tut alles in ihrer Macht Stehende, um die Situation dieser Menschen zu verbessern. Und ich erinnere noch- mals daran, dass die Bundesregierung die Aufnahme weiterer Flüchtlinge nicht ausgeschlossen hat. Wir leh- nen Ihren Antrag ab. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): In diesen Tagen fällt es schwer, über etwas anderes zu sprechen als über die tragischen und traurigen Geschehnisse in Japan. Sonst unglaublich relevante Themen treten im Moment in den Hintergrund vor dem, was dort passiert. Uns allen sind die Bilder aus Japan allgegenwärtig, sie haben sich in unsere Netzhaut gebrannt. Sie zeigen aber auch, dass es immer wieder zu Situa- tionen kommen kann, in denen es um Menschenleben geht, in denen andere Nationen dringend Hilfe benöti- gen, selbst in hochentwickelten Staaten wie Japan. Doch es sind nicht nur die Bilder aus Japan, die uns derzeit tief bewegen und berühren; auch aus Nordafrika kommen beängstigende und beeindruckende Bilder von Menschen, die für die Freiheit ihr eigenes Leben in Ge- fahr bringen. Wir sprechen heute über die Frage der iranischen Flüchtlinge, Flüchtlinge, die vor dem Regime von Ahmadinedschad in die Türkei geflohen sind. Doch auch hier sind sie nicht in ausreichendem Maße geschützt oder versorgt. Dies ist eine klassische Situation für ein Resettlement-Programm, also die dauerhafte Übernahme von Menschen aus einer für sie kritischen Situation in ei- nen dritten Staat. Oft handelt es sich dabei um ganze Fa- milien. Damit will man eine Flüchtlingsproblematik, die nicht kurzfristig gelöst werden kann, dauerhaft angehen. Dass Deutschland sich an Resettlement-Programmen beteiligt, ist nicht neu; auch in den vergangenen Jahr- zehnten ist das passiert. Neuere Beispiele sind die Auf- nahme von 2 501 Flüchtlingen aus dem Irak, die sich in Syrien und Jordanien aufhielten, sowie weiteren 102 afrikanischen Flüchtlingen aus Malta. Deutschland hat bereits zugesagt, 50 iranische Flücht- linge aufzunehmen. Die Frage ist aber für mich und die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11103 (A) (C) (D)(B) SPD-Fraktion, ob das ausreicht. Wir sagen deutlich: Nein, es reicht nicht. Wir wollen, dass mehr als 50 irani- sche Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland kom- men können. Wir haben die Kapazitäten und Möglich- keiten hier in Deutschland dafür. Auch aus diesem Grund stimmen wir dem Antrag der Grünen zu. Denn Resettlement ist nicht nur ein Instrument des Flüchtlingsschutzes, es ist auch ein Instrument der Las- tenteilung. Es ist ein Signal an die Erstaufnahmestaaten – in diesem Fall die Türkei –, dass die jeweiligen Staaten nicht alleingelassen werden. Ein solcher Schritt kann die Haltung gegenüber weiteren neu hinzukommenden Flüchtlingen verbessern, nicht nur, weil Aufnahmekapa- zitäten frei werden, sondern eben auch, weil das Erstauf- nahmeland spürt, dass es nicht alleingelassen wird. Es ist ein Signal an andere Staaten, wenn Deutschland Flücht- linge aufnimmt, ein Signal, selbst zu prüfen, ob man nicht unterstützend humanitär tätig sein kann. Dass eine Lastenteilung hier auch in Zukunft notwen- dig werden wird, vielleicht sogar stärker als bisher ge- dacht, ist in Anbetracht der Lage in Nordafrika mehr als wahrscheinlich. Wir leben in einer Zeit, in der deutlich wird, dass Nationalstaaten und Bevölkerungsgruppen sehr schnell in Situationen kommen können, in denen sie auf die Solidarität und Humanität anderer angewiesen sind. Resettlement wird deshalb auch in Zukunft ein wich- tiges Instrument für Deutschland sein, um konkret Flüchtlingen zu helfen und um Erstaufnahmestaaten zu entlasten. Im Endeffekt ist Resettlement aber auch in un- serem eigenen Interesse; denn es stärkt unseren Kontakt zu Erstaufnahmestaaten und kann dazu beitragen, dass sich dort die Situation für Flüchtlinge verbessert und ein Asylsystem entwickelt, das diesen Namen verdient. Das ist langfristig auf jeden Fall besser, als sich gegen Flüchtlinge abzuschotten, wie es derzeit passiert. Die jetzige Regierung hat zumindest verbal schon er- kannt, dass Resettlement ein sinnvolles Instrument ist. Leider stimmen verbale Äußerungen und das tatsächli- che Handeln nicht überein; das zeigt sich auch jetzt wie- der in Ihrer Ablehnung des Grünenantrages. Die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung ist kurzsichtig. Die SPD setzt sich dafür ein, sich stärker an Resettle- ment-Programmen zu beteiligen. Wir halten es auch für sinnvoll, über konkrete Resettlement-Quoten zu spre- chen, wie das in anderen europäischen Staaten wie Schweden, das jährlich etwa 1 700 Flüchtlinge auf- nimmt, üblich ist. Diese Debatte sollten wir hier in die- sem Hohen Hause führen. Bis dahin gilt es aber immer wieder, konkrete Ent- scheidungen zu fällen. Eine steht heute auf der Agenda. Ermöglichen Sie es mehr iranischen Flüchtlingen, die sich in der Türkei aufhalten, nach Deutschland zu kom- men und sich hier dauerhaft in Sicherheit niederzulas- sen. Das wäre ein starkes Signal in die gesamte Region. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Menschen- rechtslage im Iran ist und bleibt besorgniserregend. An- dere Ereignisse drängen diesen Sachverhalt leider zu oft in den Hintergrund. Verfolgung und Unterdrückung An- dersdenkender sind an der Tagesordnung; das Regime ist unter dem Deckmantel des Religiösen eine Diktatur. Ich habe die Hoffnung, dass das iranische Volk die Kraft hat, sich davon zu befreien. Die Bundesrepublik wird nach wie vor ihren Teil tun, das Leid der Flüchtlinge zu mil- dern. Dazu gehört auch die Aufnahme einer angemesse- nen Anzahl von Flüchtlingen. Die Grünen haben in ihrer Antragsbegründung gefor- dert, dass Deutschland sich an den anderen westlichen Staaten bei der Aufnahme von iranischen Flüchtlingen, die sich in der Türkei befänden, orientieren möge. Ich teile diese Auffassung. Die Grünen beziffern die von westlichen Staaten aufgenommenen Flüchtlingszahlen wie folgt: Großbritannien – fünf, Niederlande – vier, Frankreich – drei. Warum die Grünen in diesem Zusam- menhang die zugesagte Aufnahme von 50 Flüchtlingen durch Deutschland als zu gering erachten, erschließt sich mir nicht. Die Bundesrepublik geht mit ihrer Aufnahme- quote sogar nach Zahlen der Grünen offenkundig weit über die ihrer westlichen Nachbarn hinaus. Das ist durchaus eine respektable Zahl und der Vorwurf der Grünen geht ins Leere. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der Grünen-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, sich bei den Bundesländern für die Aufnahme von ira- nischen Oppositionellen einzusetzen, die in die Türkei geflüchtet sind. Diese Oppositionellen sind dort vom UNHCR als Flüchtlinge registriert worden, bekommen aber in der Türkei kein Aufenthaltsrecht. Denn die Tür- kei hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur unter Vor- behalt ratifiziert. Sie behält sich vor, nur Flüchtlinge auf- zunehmen, die aus Europa kommen. Fast alle politisch Verfolgten aus den Nachbarländern der Türkei, von Ar- menien bis Syrien, benutzen die Türkei deshalb lediglich als Transitland, um in die EU zu gelangen. Die Grünen fordern außerdem von der Bundesregierung, sich gegen- über der Türkei für die Wahrung humanitärer Grund- sätze im Umgang mit den iranischen Flüchtlingen einzu- setzen. Warum nur mit den iranischen, möchte ich an dieser Stelle fragen. Da greift der Antrag der Grünen doch arg zu kurz. Die Frage ist auch, inwiefern hier mit einem Appell an die Bundesregierung der Bock zum Gärtner gemacht wird. Denn es ist diese Bundesregierung, die dem Ab- schluss eines Rückübernahmeabkommens zwischen der EU und der Türkei im EU-Rat der Innenminister ihre Zustimmung erteilt hat. Danach soll die Abschiebung von Menschen, die über die Türkei illegal in die EU ein- gereist sind, erleichtert werden. Wir wissen alle, welche Menschen das betreffen wird: Schutzsuchende aus dem Iran, Irak, Syrien, aus Afghanistan und Pakistan, aus So- malia und Eritrea. Für sie gibt es keinen legalen Weg in die Europäische Union, er führt über das Mittelmeer oder die türkisch-griechische Landgrenze. Die wird be- kanntlich gerade mithilfe der EU-Abschottungsagentur FRONTEX dichtgemacht. Die Türkei wird also ihre Bestrebungen erhöhen, die- sen Menschen den Transit in die EU über ihr Territorium 11104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) zu erschweren. Dafür bekommt sie auch die Hilfe der EU und der Bundesrepublik. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage von mir hervorgeht, soll die Türkei unter anderem beim Auf- bau von sieben neuen Auffanglagern unterstützt werden. Die Bundespolizei hilft den türkischen Grenztruppen, die dort zur Armee gehören, ihre Grenzüberwachung zu perfektionieren. Leider fehlt dieser größere Kontext im Antrag der Grünen-Fraktion ebenso wie die Forderung, dass die Bundesrepublik sich endlich dauerhaft an den Aufnah- meprogrammen für registrierte Flüchtlinge des UNHCR beteiligt. Immer neue Ad-hoc-Maßnahmen wie die Auf- nahme der irakischen Flüchtlinge aus Syrien oder nun der iranischen Flüchtlinge aus der Türkei sind nicht aus- reichend. Stattdessen fordert die Linke die Einrichtung eines ständigen Aufnahmemechanismus. Dem Antrag der Grünen stimmen wir dennoch zu. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die humanitäre Situation der iranischen Flüchtlinge in der Türkei ist untragbar. Ihre Lage bleibt trotz der Flucht aus dem Iran prekär. Erstens sind sie in der Türkei nicht vor den Häschern des iranischen Regimes sicher. Die Türkei grenzt an den Iran, und iranische Bürger können visums- frei in die Türkei einreisen. Zweitens werden sie in der Türkei nicht als Flüchtlinge anerkannt und erhalten nur einen zeitlich begrenzten Asylbewerberstatus. Schließ- lich sind sie in der Türkei gezwungen, ohne Einkommen und ohne ausreichende ärztliche Betreuung um das tägli- che Überleben zu kämpfen. Diese Flüchtlinge müssen also aus zwingenden huma- nitären Gründen irgendwo aufgenommen werden, und ich kann einfach nicht verstehen, wieso dieses „ir- gendwo“ nicht Deutschland sein kann. Die deutsche Bundesregierung hat sich während der Protestbewegung mit Worten solidarisch an die Seite der iranischen Men- schenrechtsverteidiger gestellt. Menschenrechtspolitik erfordert aber konkrete Handlungen und keine leeren Versprechen. Die Aufnahme von nur 50 von insgesamt 4 292 schutzbedürftigen iranischen Flüchtlingen ist hier eindeutig zu wenig. Deutschland kann mehr tun und muss mehr tun. Die deutsche Bundesregierung steht vor dem Hinter- grund der aktuellen Ereignisse in Nordafrika vor der Frage, wie glaubwürdig sie ihre Außenpolitik in Zukunft gestalten möchte, wie viel ihr Demokratie, Menschen- rechte und Rechtsstaatlichkeit wert sind. Auch im Iran steht die Glaubwürdigkeit deutscher Außen- und Men- schenrechtspolitik auf dem Spiel. Immer wieder sagen Bundeskanzlerin und Bundes- außenminister, die Menschenrechte sind im ureigenen Interesse Deutschlands. Die Aufnahme von nur 50 irani- schen Flüchtlingen wird solchen schönen Worten nicht gerecht. Hier geht es nicht um schwierige Flugverbots- zonen, sondern um die einfache Aufnahme von Flücht- lingen. Die Blockadehaltung der Bundesregierung scha- det unweigerlich der iranischen Protestbewegung. Nach Angaben des UNHCR schwindet der Optimismus der iranischen Menschenrechtsaktivisten. Viele junge Iraner haben die Hoffnung auf einen positiven Wandel im Iran aufgegeben. Dabei ist es während der historischen Umwälzungen in der muslimischen Welt gerade jetzt entscheidend, ein deutliches Zeichen der Solidarität an die Menschen- rechtsverteidiger zu senden. Die gezielte Unterstützung demokratischer Kräfte im Iran erfolgt eben auch durch die Aufnahme derjenigen Personen, die sich in besonde- rem Maße für Menschenrechte eingesetzt haben und dem Tod, der Festnahme und Folter mit knapper Not ent- kommen sind. Die Aufnahme von 50 iranischen Flüchtlingen ist kein deutliches Signal, wie die Bundesregierung gerne behauptet, sondern ein schwaches. Anstatt sich an die Seite dieser mutigen Menschenrechtsverteidiger zu stel- len, lässt Deutschland die Protestbewegung hängen. Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens für Men- schenrechte und Demokratie einsetzen, müssen sicher sein, im Notfall Schutz in einem anderen Land zu finden. Was spricht gegen die Aufnahme der iranischen Flüchtlinge? Besteht die Befürchtung, die iranischen Flüchtlinge seien eine Bedrohung für die kulturelle Iden- tität Deutschlands? Die Sorge ist unberechtigt. Diese Menschen sind dem islamischen Gottesstaat Iran entflo- hen, gerade weil sie nach der Anerkennung der Men- schenrechte, nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat- lichkeit streben. Hat man wie Thilo Sarrazin die Befürchtung, die Aufnahme iranischer Flüchtlinge würde zu einer Verdummung der deutschen Gesellschaft führen? Selbst diese Sorge ist unbegründet. Zuwanderer aus dem Iran haben eine überdurchschnittlich hohe Bil- dung. Jeder dritte hat Abitur. 15,2 Prozent haben einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Bei der deutschen Gesamtbevölkerung sind es nur 11,3 Prozent. In Deutschland warten Arbeitnehmerverbände und die Industrie auf Fachkräfte. Unternehmen, Ärztekam- mern und Lehrerverbände klagen über personelle Eng- pässe. Anfang 2011 warnte der Industrie- und Handels- kammertag, dass 70 Prozent der Unternehmen Probleme hätten, offene Stellen zu besetzen. In der Türkei warten iranische Ärzte, Psychotherapeuten, Anwälte, IT-Spezia- listen, Journalisten, Blogger, Menschenrechtsaktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Akademiker und Studenten darauf, in die EU einreisen zu dürfen. Diese iranischen Flüchtlinge sind gebildete, gut aus- gebildete und sogenannte westlich orientierte Personen aus der säkularisierten Ober- und Mittelschicht. Sie ha- ben das Potenzial, sich erfolgreich in Deutschland zu in- tegrieren und einen positiven Beitrag für die Gesell- schaft zu leisten – wenn man ihnen die Chance gibt. Nehmen wir Hesam Misaghi als Beispiel, einen jun- gen Mann von 22 Jahren. Er musste aus dem Iran flie- hen, weil er für das Committee of Human Rights Repor- ters aktiv war, eine Organisation, die über Verfolgungen und Festnahmen von Menschenrechtsaktivisten öffent- lich berichtet. Er kam im Juli 2010 nach Deutschland. Er ist weiterhin politisch aktiv, saugt die deutsche Kultur auf und erlernt sehr schnell die deutsche Sprache. Oder Saeed Habibi, IT-Spezialist, 38 Jahre alt. Er hat auf der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11105 (A) (C) (D)(B) Sharif University of Technology studiert, einer Eliteuni- versität in Teheran. Auch er ist seit Juli 2010 in Deutsch- land, lernt Deutsch und nimmt an einem Integrationskurs teil. Er könnte sofort anfangen, zu arbeiten. Seit 2008 hat die Bundesregierung fast 2 500 iraki- sche Flüchtlinge unbürokratisch aufgenommen und posi- tive Erfahrungen gemacht. Alles spricht dafür, ein ähnli- ches Iran-Kontingent in Zusammenarbeit mit den Bundesländern zu beschließen. Der Wille vonseiten der Städte und Kommunen ist vorhanden. Insgesamt haben sich bereits 36 Städte in Ratsbeschlüssen für eine Auf- nahme von UNHCR-Flüchtlingen im Rahmen der Save- me-Kampagne ausgesprochen. In Nordafrika und im Iran muss die Bundesregierung endlich ihren Worten Taten folgen lassen. Die Aufnahme von weiteren iranischen Flüchtlingen wäre der richtige Schritt in Richtung einer glaubwürdigen, an den Men- schenrechten orientierten Außenpolitik. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Die Reform der Gemeinsamen Fischereipoli- tik zum Erfolg führen – Chancen der EU-Fischereireform 2013 nut- zen und Gemeinsame Fischereipolitik grundlegend reformieren (Tagesordnungspunkt 21) Gitta Connemann (CDU/CSU): Ein deutsches Sprichwort sagt: „Lehre mich die Karpfen nicht kennen, mein Vater war ein Fischer.“ Mit anderen Worten: Er- zähle mir nichts, was ich schon kenne und tue. So könnte die Kurzantwort auf die Anträge der Opposition zur Ge- meinsamen Fischereipolitik lauten. Denn was darin ge- fordert wird, wird auf Bundesebene längst gelebt. Gemeinsamer Tenor der Anträge der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen ist die Forderung an die Bundes- regierung, sich für eine grundlegende und ehrgeizige Re- form der Fischereipolitik auf europäischer Ebene einzu- setzen. Die Diskussion über diese Reform war im April 2009 von der EU-Kommission eröffnet worden. Das seinerzeit von der Kommission vorgelegte Grünbuch zielt auf eine grundlegende Neuausrichtung der Gemeinsamen Fische- reipolitik. Es enthält keine konkreten Vorschläge. Aller- dings wird das derzeitige System der Quotenverwaltung einschließlich der relativen Stabilität hinterfragt. Im Üb- rigen finden sich darin Überlegungen, individuell trans- ferierbare Fangrechte einzuführen. Und die Kommission erwägt, gemischte Fischereien ausschließlich auf der Ba- sis von Fangaufwandssystemen zu verwalten. Zu diesem Grünbuch konnten die Mitgliedstaaten und Interessengruppen bis Ende 2009 Stellung nehmen. Die Bundesregierung hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, offensichtlich sehr gut. Denn die Ähnlichkeit der Forderungen insbesondere der SPD in ihrem Antrag mit den Forderungen in der Stellungnahme der Bundes- regierung aus Dezember 2009 ist verblüffend. Die deut- schen Kernpunkte finden sich nahezu identisch in dem ein Jahr später von der SPD aufgelegten Antrag. Ich freue mich über so viel Einigkeit. Denn es werden auch die Erfolge anerkannt, die die Gemeinsame Fische- reipolitik trotz zahlreicher Mängel aufzuweisen hat. Ge- rade in den letzten Jahren hat sich – dank der mehrjähri- gen Bewirtschaftungspläne – die Zahl der überfischten Bestände deutlich verringert. Dennoch gibt es zu viele Fischbestände in den EU- Gewässern, die erschöpft sind. 65 Prozent der Bestände sind überfischt. Das bisherige Krisenmanagement reicht offensichtlich nicht. Auch die Bilder von Rückwürfen großer Mengen verzehr- und vermarktungsfähiger Fi- sche verunsichern die Verbraucherinnen und Verbrau- cher zutiefst. Zu Recht! Denn nur wenige Fischarten überleben den Rückwurf. Gerade Beifänge von gefähr- deten Arten und Jungfischen sind als besonderes Pro- blem anzusehen. Rückwürfe stellen gleichermaßen eine Missachtung der Schöpfung und Verschwendung wert- voller Meeresressourcen dar. Das zentrale Ziel bei der anstehenden Reform muss deshalb aus unserer Sicht die nachhaltige Bewirtschaf- tung der Fischereibestände in ganz Europa sein. Es han- delt sich dabei um lebende Meeresschätze. Sie stellen auch die Grundlage für eine hochwertige und gesunde Versorgung mit dem Lebensmittel Fisch dar. Deshalb muss auf europäischer Ebene ein Rückwurfverbot veran- kert werden. Alle Fänge, auch Beifänge, müssen an Land gebracht und auf die Fangquoten angerechnet wer- den. Für die angelandeten Fische ist in der Regel eine bestimmte Mindestgröße vorzuschreiben. Fisch ist aber nicht nur Nahrungsgrundlage, sondern auch die Existenz von vielen kleinen und mittelständi- schen Fischereibetrieben, den vor- und nachgelagerten Bereichen. Dort werden mehr als 45 000 Menschen be- schäftigt. Sie versorgen nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland mit Fischereierzeugnis- sen von höchster Qualität. Vielmehr tragen sie zur At- traktion von Regionen für den Tourismus bei. Ich erlebe dies in meiner ostfriesischen Heimat. Was wären Ditzum und Greetsiel ohne Krabbenkutter? Ebenso wie jeder andere Wirtschaftszweig brauchen diese Fischereibetriebe und ihre Beschäftigten verlässli- che wirtschaftliche Rahmenbedingungen und eine Per- spektive. Deshalb dürfen wir die Säulen der Gemeinsa- men Fischereipolitik nicht infrage stellen. Dies sind unter anderem die Verteilung der Gesamtfangmengen nach dem Prinzip der relativen Stabilität. Aber auch das System nationaler nicht handelbarer Quoten zählt dazu. Schließlich müssen unsere Betriebe besser vor illegaler Fischerei geschützt werden. Diesem Spagat hat die Bundesregierung im Dezem- ber 2009 mit ihrer Stellungnahme gegenüber der Kom- mission Rechnung getragen. Die Kernpunkte der deut- schen Position lauten: Eine Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik muss zielen auf eine nachhaltigere Fi- 11106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) schereipolitik, die Ausweitung der mehrjährigen Bewirt- schaftungs- und Wiederaufbaupläne auf weitere Be- stände, die Stärkung der regionalen Beratungsgremien, die Verbesserung der Kontrollen und Eindämmung ille- galer (IUU-)Fischerei auf europäischer und internationa- ler Ebene, die Ablehnung handelbarer Quoten, die Ver- teidigung der relativen Stabilität, die Reduzierung der Rückwürfe durch Einführung eines Rückwurfverbots bzw. eines Anlandegebots, die Verbraucherstärkung durch Verbesserung von Markttransparenz und Produkt- informationen sowie nachhaltige und entwicklungspoli- tisch sinnvolle Ausgestaltung von Fischerei-Partner- schaftsabkommen. Die Anträge von der Opposition stimmen weitgehend mit diesen Kernpunkten überein. Das musste Ihnen beim Schreiben Ihrer Anträge auch bewusst gewesen sein. Denn als Sie Ihre Anträge im Oktober 2010 auf den Markt brachten, hatten wir, die Bundesregierung, uns schon lange positioniert. Und mehr als das: Im Juni 2010 hatte die Bundesre- gierung in einem gemeinsamen Memorandum mit Frankreich und Polen zentrale Elemente dieser Position unterstrichen, insbesondere die Ablehnung handelbarer Quoten bzw. eines reinen Fangaufwandssystems. Unsere Bundesministerin Ilse Aigner hatte darüber hinaus im September 2010 in einem Schreiben an die EU-Kommissarin Maria Damanaki unsere Forderung nach Einführung von Rückwurfverboten erneuert und konkretisiert. Das von ihr geforderte System echter Fangquoten – im Gegensatz zu den heutigen Anlande- quoten – eröffnet darüber hinaus mittelfristig die Mög- lichkeit, die gemeinsame Fischereipolitik deutlich zu vereinfachen. Inzwischen hat die Kommission am 1. März dieses Jahres diese deutschen Forderungen aufgegriffen. Im Rahmen eines Fischereiministertreffens hatte die Kom- missarin Maria Damanaki zunächst ein informelles Pa- pier eingeführt. Dieses Papier enthielt in Fortschreibung des Grünbuchs Vorschläge, die gravierende Auswirkun- gen auf die deutsche Fischerei gehabt hätten. Die darin geplante Regelung der gemischten Fischerei durch ein Aufwandssystem hätte Quoten entbehrlich gemacht, die für uns als nationaler Besitzstand zu den Grundpfeilern der Gemeinsamen Fischereipolitik gehören. Dem ange- dachten Transfer von Quoten in Aufwandseinheiten sollte die aktuelle und nicht die bisherige relative Stabili- tät zugrunde gelegt werden. Dies war aus deutscher Sicht völlig unakzeptabel. Weitere Folge wäre ein erheb- liches Mehr an Verwaltungsaufwand und Bürokratie ge- wesen. Die Bundesregierung fand Unterstützung für ihre Positionen. Das Papier der Kommissarin ist inzwischen Geschichte. Am Ende des Tages kündigte sie an, kon- krete Vorschläge dafür vorzulegen. Und es wurde auf Initiative Deutschlands eine „Gemeinsame Erklärung über Rückwürfe im Rahmen der Reform der Gemeinsa- men Fischereipolitik“ mit Vertretern Dänemarks, Frank- reichs und des Vereinigten Königreichs geschlossen. Diese vier Nationen bilden eine Sperrminorität. Mit dieser Erklärung werden nicht nur die Grundpfei- ler der bisherigen Gemeinsamen Fischereipolitik gestärkt, sondern die Beendigung der Praxis der Rückwürfe und die Einführung echter Fangquoten anstelle von Anlande- quoten gefordert. Zu Recht! Die Rückwürfe in die Nord- see betragen allein beim Kabeljau 800 000 Tonnen, ange- landet werden lediglich 730 000 Tonnen. Die gravierenden Mängel des derzeitigen Fischerei- managements in den Gemeinschaftsgewässern sind vor allem auf zwei Grundprobleme zurückzuführen: auf die unzureichende Kontrolle und Durchsetzung der beste- henden Regeln sowie auf die Tatsache, dass Rückwürfe von vermarktungsfähigem Fisch nicht nur zugelassen sind, sondern – je nach Ausgestaltung des Quotenma- nagements in den Mitgliedstaaten – sogar bewusst in gro- ßem Umfang in Kauf genommen werden. In Bezug auf die Kontrolle und Durchsetzung gibt es mit den Regelungen zur Bekämpfung der illegalen Fi- scherei, IUU, sowie mit der Kontrollverordnung eine ausreichende Eingriffsgrundlage. Leider hapert es mit der Durchsetzung, nicht bei uns in Deutschland. Hier wird kontrolliert – überall und jederzeit. Aber so ist es nicht in allen Mitgliedstaaten. Hier muss mehr getan werden. Kommission und Mitgliedstaaten müssen sich stärker als bisher dafür einsetzen, dass die Fischereikon- trollen und die Ahndung von Verstößen in allen Gemein- schaftsgewässern mit der notwendigen Konsequenz er- folgt. Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Für die Rückwürfe sind bisher noch keine ausreichen- den Maßnahmen ergriffen worden. Hier stellt die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik eine Chance und He- rausforderung zugleich dar. Die grundlegenden Fehler des derzeitigen Bewirtschaftungssystems verursachen systematische Rückwürfe. Deshalb fordert Deutschland mit Nachdruck für demersale Fischereien in der Nordsee, insbesondere für die Fischerei auf Kabeljau und verge- sellschaftete Arten, die Einführung eines Rückwurfver- bots bzw. eines Anlandegebots. Damit verbunden ist ein Wechsel von Anlandequoten zu richtigen Fangquoten. Für diesen Systemwechsel sollte eine Übergangsphase vorgesehen werden, in der die Beteiligung der Fischer zu- nächst auf freiwilliger Basis erfolgt, um Erfahrungen für die konkrete Ausgestaltung neuer Regelungen zu sam- meln. Die Umstellung von einer Anlandequote zu einer ech- ten Fangquote kann für Fischer zunächst mit finanziellen Einbußen verbunden sein. Denn die Fangzusammenset- zung kann nicht mehr durch Rückwurf weniger wertvol- ler Arten oder untermaßiger Exemplare optimiert wer- den. Diese Härten für unsere Fischereibetriebe sind abzumildern. Dafür werden wir uns einsetzen. Eine Verpflichtung zur Anlandung der Fänge bringt mit sich, dass die Kontrolle sich nicht mehr vorrangig auf die Anlandung konzentrieren darf. Wenn aus den bis- herigen Anlandequoten echte Fangquoten werden sollen, müssen Fangmenge und -Zusammensetzung in stärke- rem Umfang auf See kontrolliert werden. In diesem Zu- sammenhang werden folgende Modelle diskutiert: der Einsatz wissenschaftlicher Beobachter oder staatlich zu- gelassener Kontrollstellen bei größeren Fischereifahrzeu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11107 (A) (C) (D)(B) gen, alternativ der Einsatz fest installierter technischer Hilfsmittel bei größeren und mittleren Fischereifahrzeu- gen zum Beispiel durch Kameraüberwachung, CCTV, sowie die Plausibilitätsüberprüfung der Fangmeldungen von kleineren Fischereifahrzeugen durch Vergleich mit wissenschaftlichen Probefängen. Allerdings sind wir uns einig, dass es hier nicht zu ei- nem deutschen Sonderweg kommen darf, der unsere Fi- schereibetriebe über Gebühr belastet und ihre Wettbe- werbssituation verzerrt. Deshalb gibt es freiwillige Pilotprojekte – in Dänemark, dem Vereinten Königreich aber auch in Cuxhaven. Die Erfahrungen dort zeigen: Verbraucherinnen und Verbraucher goutieren nachhal- tige Fischerei mit der Bereitschaft, höhere Preise zu zah- len. Gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher wer- den also mit ihrer Kaufentscheidung dazu beitragen, ob die nachhaltige Nutzung der Fischbestände gesichert werden kann. Dafür braucht es mehr Information und Transparenz. Die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik ist eine Chance. Denn damit kann die Grundlage für eine nachhaltige Nutzung unserer lebenden Meeresschätze gelegt werden. Die Bundesregierung hat dies erkannt und ist tätig geworden. Die vorliegenden Anträge laufen ins Leere. Wir werden diese deshalb ablehnen. Holger Ortel (SPD): Ambitioniert ist die Fischerei- kommissarin Damanaki an die Reform der Gemeinsa- men Fischereipolitik herangegangen. Dies sollte, und soll noch immer, eine tiefgreifende Reform werden, nach der die europäische Fischereipolitik wesentlich besser dasteht. Kleinere Flotten, die Bestände auf we- sentlich besserem Niveau – das war die Vorstellung von Frau Damanaki und auch schon ihres Vorgängers Joe Borg. Frau Damanaki sieht sich dabei aber in einigen wich- tigen Punkten der Reform recht unterschiedlichen Stand- punkten der Mitgliedstaaten gegenüber. Nur in einem Punkt scheinen sich alle einig zu sein – die Kommission ist an allem schuld. Die Kommission wolle die Quoten zugunsten der südlichen Staaten umverteilen, heißt es. Die Kommission habe die kw- und die Seetage einge- führt. Die Kommission nenne nicht Ross und Reiter bei den zu großen Flotten der Mitgliedstaaten. Einige dieser Anschuldigungen sind aus unserer Sicht zutreffend, an- dere nicht. Aber man muss sich mal in die Situation der Kom- mission hineinversetzen. Die Interessen der Mitglied- staaten sind keineswegs deckungsgleich. Wir zum Bei- spiel wollen keine handelbaren Quoten auf europäischer Ebene einführen, andere Mitgliedstaaten aber sehr wohl. Einen Mittelweg gibt es da nicht. Einige Mitgliedstaaten halten auch die relative Stabilität für überholt, wir nicht. Wir sprechen uns dafür aus, die nationalen Flotten an die Quoten anzupassen und nicht die Quoten an die Flotte. Nun steht Frau Damanaki vor der schwierigen Aufgabe, Vorschläge zu unterbreiten, die dem allem gerecht wer- den sollen. Das ist eigentlich eine Aufgabe, die niemand lösen kann. Die beiden hier vorliegenden Anträge von SPD und von den Grünen sind ziemlich unterschiedlich. Ich möchte Ihnen zunächst den SPD-Antrag erläutern. Im bestehenden System der Gemeinsamen Fischereipolitik existieren aus unserer Sicht einige Fehler. Einer der gra- vierendsten ist, dass die festgesetzte Gesamtfangmenge nur für die angelandete Menge an Fisch gilt. Sie schränkt die Rückwürfe auf See aber nicht ein. Gleichzeitig gibt es Mindestanlandegrößen, die Fischer zwingen, be- stimmte Fische zurückzuwerfen. Dadurch gibt es eine Menge „Discard“. Beim Kabeljau in der Nordsee gibt es geschätzt so viele Rückwürfe wie Anlandungen. Davon müssen wir wegkommen. Das schaffen wir in erster Li- nie durch die Entwicklung besserer fangtechnischer Me- thoden. Es muss gelten: Der beste „Discard“ ist der, der erst gar nicht entsteht. Ein weiterer Fehler ist ein auf Aufwand basierendes System wie das der kw-Tage in der Nordsee. Mit der Einrichtung dieses Systems ist ein großes Durcheinander entstanden. Deshalb müssen die kw-Tage wieder abge- schafft werden. Die Kommission hantiert offensichtlich sehr gern mit Aufwandssystemen herum. Das mag in an- deren Regionen Europas auch Sinn machen – nämlich da, wo es noch gar keine Quoten gibt und jedes Jahr munter drauflosgefischt wird. Aber in Nord- und Ostsee sollten wir es beim bewährten Quotensystem belassen. Zu den Aufgaben bei der Reform zählt aber auch, das zu bewahren, was in der Vergangenheit gut funktioniert hat. Damit meine ich vor allem die relative Stabilität. Die hat sich seit 1983 bewährt und bietet allen Beteilig- ten in diesem Wirrwarr einen verlässlichen Rahmen. Deshalb müssen wir sie auch weiterhin behalten, sonst geht nämlich die ganze Fischereipolitik den Bach runter. Und wenn ich behalten sage, dann meine ich auch, dass hier weder der Umverteilungsschlüssel geändert noch eine Bereinigung um die getauschten Quoten stattfinden darf. Das sind alles Versuche, die relative Stabilität aus- zuhebeln. Das darf es nicht geben. Jeder weiß, dass die Fischerei nicht jedes Jahr gleich ist. Und wenn der eine vielleicht mal etwas weniger Kabeljau im Netz hat, dann kann er seine Restquote gegen eine andere Quote tau- schen. Die relative Stabilität bietet dem Fischer die Fle- xibilität, die er braucht, um sich am Markt behaupten zu können. Mit dem Tausch komme ich auch gleich zur zweiten Baustelle. Auch das System des Tausches zwischen den Mitgliedstaaten hat sich seit 1983 bewährt. Was die Mit- gliedstaaten auf nationaler Ebene machen, hat damit ja nichts zu tun. Aber zwischen den Staaten darf es aus un- serer Sicht auch zukünftig keinen Handel von Quoten geben. Wenn wir das machen, können wir unsere Küs- tenfischerei zumachen, denn unsere Küstenfischer sind allesamt kleine Betriebe, die nicht eben mal 100 000 Euro für eine Quote lockermachen können. Ich möchte an dieser Stelle einmal Frau Bundesminis- terin Aigner loben, die sich hier für deutsche Interessen eingesetzt hat. Mit der Erklärung des Weimarer Dreiecks und der kürzlich gemeinsam mit Dänemark, Frankreich 11108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) und Großbritannien abgegebenen Erklärung haben sie Pflöcke eingeschlagen, an denen Frau Damanaki so schnell nicht vorbeikommt. Immer wieder ertönt der Ruf nach der 1:1-Umsetzung von ICES-Vorgaben. Der ICES legt die Vorschläge nach rein biologischen Gesichtspunkten fest. Das mag ja aus Sicht der Grünen richtig sein, aber aus unserer Sicht müssen auch andere Punkte berücksichtigt werden. Au- ßerdem liegt die Wissenschaft nicht selten daneben. In der Vergangenheit gab es einige Beispiele, wo der ICES im Nachhinein seine Zahlen korrigieren musste. Das Hauptproblem dabei ist die mangelhafte Datenlage. Wir brauchen dringend mehr Informationen über die Be- stände. Wir als SPD haben in unserem Antrag den Anliegen der Umwelt und der Fischer gleichermaßen Rechnung getragen. Wir sind uns im Klaren darüber, dass es in Zu- kunft nur Fischerei geben kann, wenn auch genügend Fi- sche da sind. Wir haben aber gleichzeitig ein klares Be- kenntnis für die Fischer abgegeben und dargestellt, dass die europäischen Bestandsprobleme im Regelwerk der Fischerei liegen. Wir haben einige Regelungen darge- stellt, die einer nachhaltigen Fischerei zuwiderlaufen, und aufgezeigt, wie wir diese verändern möchten. Und nun zum Antrag der Grünen. Dazu möchte ich im Wesentlichen sagen, dass Sie beinahe nahtlos an die Aussagen der früheren Landwirtschaftsministerin Künast anknüpfen. Sie wollen zwar nicht Fischerboote zu Haus- booten machen, aber einige Ihrer Forderungen kommen dem sehr nahe. Wenn man alle Ihre Forderungen umset- zen würde, gäbe es wahrscheinlich keine Fischerei mehr. Wenn ich mir nur Ihre Forderung nach Mindestfanggrö- ßen ansehe oder die Fischereiabgabe! Wenn Sie keine Fischerei mehr wollen, müssen Sie das nur sagen. Im- merhin fordern Sie hier nicht die 1:1-Umsetzung der ICES-Advise. Das allerdings überrascht mich ein wenig. Nur zur relativen Stabilität äußern Sie sich nicht. Das ha- ben aber Ihre Kollegen im Europäischen Parlament für Sie getan. Die fordern nämlich den Ausstieg aus der re- lativen Stabilität. Was ich aber an der Debatte hier im Deutschen Bun- destag am erstaunlichsten finde, ist, dass Union und FDP es nicht geschafft haben, sich zur Reform der Gemeinsa- men Fischereipolitik zu positionieren. Sie verstecken sich schamlos hinter der Bundesregierung, und obwohl Ihnen der Antrag der SPD inhaltlich zusagt – im Aus- schuss wurde er noch von CDU und FDP gelobt – leh- nen Sie ihn ab. Das ist ein Armutszeugnis. Ich will Ihnen sagen, dass hier zwischen uns und der Bundesregierung Einigkeit besteht. Das heißt, Sie lehnen heute nicht nur den Antrag der SPD, sondern auch die Position der Bun- desregierung ab. Was sagen Sie den Fischern an Nord- und Ostsee, wie diese ihre Familienbetriebe und ihre Ar- beitsplätze in Zukunft sichern wollen? Sie lassen sie im Stich. Die Debatte zur Reform der Gemeinsamen Fischerei- politik ist jetzt im Gange. Wir können uns als Deutscher Bundestag nicht erst äußern, wenn die Kommission im Mai dieses Jahres ihre Vorstellungen präsentiert. Dann ist es zu spät. Deutschland muss sein ganzes Gewicht jetzt in die Waagschale werfen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die SPD- Fraktion hat einen sehr respektablen Antrag zur Fische- reipolitik vorgelegt, in dem sich das große Erfahrungs- wissen ihres fischereipolitischen Sprechers Holger Ortel widerspiegelt. Schade, dass der Antrag nicht als gemein- samer Antrag angelegt war, so müssen wir ihn leider we- gen einiger Formulierungen trotz verschiedener sehr gu- ter Ansätze ablehnen. Die Kommission hat mit ihrem Grünbuch zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik im Jahr 2009 eine wichtige Diskussion angestoßen. Unsere maritimen Ökosysteme stehen durch den Klimawandel und die in verschiedenen Regionen zu starke Nutzung der aquati- schen Ressourcen unter erheblichem Stress. Es gibt Fischbestände in europäischen und außereuropäischen Fanggebieten, die in den letzten Jahrzehnten durch ver- änderte Umweltbedingungen und auch die zunehmende fischereiwirtschaftliche Nutzung erheblich dezimiert wurden. Die Bestandsaufnahme der Kommission hat er- geben, dass die seit 2003 geltende Gemeinsame Fische- reipolitik die heute herrschenden Probleme nicht lösen konnte. Insbesondere bestehen in zahlreichen Ländern zu große Flottenkapazitäten. Es wurden erhebliche Fi- nanzmittel aufgewendet, um die Flotten an den tatsächli- chen, für eine nachhaltige Fischerei angemessenen Be- darf anzupassen. Das ist bisher nur unzureichend gelungen. Deutschland hat in diesem Bereich seine Hausaufgaben gemacht. Hohe Flottenkapazitäten bieten Anreize für eine Überfischung. Wir sind uns in diesem Haus einig, dass eine Reform der Gemeinsamen Fische- reipolitik, wie sie die Kommission angestoßen hat, not- wendig ist. Gleichzeitig gilt es festzuhalten, dass die Anzahl nachhaltig bewirtschafteter Bestände inzwischen steigt. Der Wiederaufbau einiger Fischbestände verläuft viel- versprechend, zum Beispiel des Dorsches in der Ostsee und der Scholle in der Nordsee. Das ist ein kleiner Licht- blick. Eine Reform der gemeinsamen Fischereipolitik könnte weitere Schritte in Richtung einer MSY-Bewirt- schaftung – MSY: maximum sustainable yield – bringen. Leider haben verschiedene Einkaufsführer dies noch nicht berücksichtigt, sodass teilweise wertvolle Speisefi- sche nicht verkauft werden konnten, sondern in die In- tervention gegeben wurden. Wir brauchen deshalb eine bessere Verbraucherinformation. Die Fischereiwirtschaft ist entscheidend abhängig vom Zustand der maritimen Ressourcen. Gleichzeitig beeinflussen der Klimawandel, die wirtschaftliche Ent- wicklung, der gesellschaftliche Wandel und regionale Entwicklungen die Zukunft der Fischer in Deutschland und Europa. Nur eine nachhaltige Ausrichtung der Ge- meinsamen Fischereipolitik kann gewährleisten, dass die Bevölkerung ausreichend mit Fischen und Meeresfrüch- ten versorgt wird, die wirtschaftliche Zukunft der Fischer gesichert wird und die natürlichen Bestände er- halten bleiben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11109 (A) (C) (D)(B) Deutschland importiert etwa 80 Prozent des hier ver- zehrten Fisches. Dennoch hat auch in unseren Küstenre- gionen die Fischerei eine wichtige Bedeutung. Sie liefert Fisch insbesondere für die regionale Küche, außerdem ist sie eine wichtige touristische Attraktion. Die Betrach- tung der Nachhaltigkeit darf nicht nur auf den ökologi- schen Sektor begrenzt werden, auch wenn er von ent- scheidender Bedeutung ist. Ökonomische und soziale Fragen müssen ebenfalls bedacht werden. Die Europäische Kommission hat im Grünbuch fünf wesentliche Problemfelder definiert, die bei einer Re- form angegangen werden müssen. Sie schlägt vor, das Problem der Flottenüberkapazität zu lösen, die politi- schen Ziele zu präzisieren, die Beschlussfassung auf we- sentliche Grundsätze zu beschränken, die Fischereiwirt- schaft bei der Durchführung besser einzubinden und für eine verbesserte Durchsetzung und Anwendung der fi- schereilichen Regelungen zu sorgen. Die Bundesregie- rung hat sich zu den Überlegungen der Kommission po- sitioniert und bereits Verhandlungen auf europäischer Ebene begonnen. Die FDP unterstützt die Bundesregie- rung in ihrer Haltung, auf dem Grundsatz einer nachhal- tigen Entwicklung im Rahmen eines ökosystembasierten Fischereimanagements die Fischereipolitik fortzuentwi- ckeln. Es ist von besonderer Bedeutung, die mehrjähri- gen Bewirtschaftungs- und Wiederaufbaupläne unter der Prämisse des MSY, also des höchstmöglichen Dauerer- trages, auf solider wissenschaftlicher Basis auszuweiten. Es ist für Deutschland von entscheidender Bedeutung, dass die relative Stabilität und das System der nationalen Fangquoten beibehalten und anhand wissenschaftlicher Untersuchungen fortwährend evaluiert werden. In die- sem Punkt stimmen wir dem SPD-Antrag ausdrücklich zu. Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung und weiterer Mitgliedstaaten, das Problem der Rückwürfe entschlossen anzugehen. Nur wenn Rückwürfe konse- quent auf die Fangquoten angerechnet werden, kann das Ziel des MSY erfolgreich umgesetzt werden. Hierzu müssen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik die illegale Fischerei konsequent bekämpft und geltende Rechtsbestimmungen so effizient wie möglich auf ihre Umsetzung kontrolliert werden. Die Fischereiwirtschaft sollte dabei in die Entwicklung geeigneter Kontroll- und Überwachungsmethoden eingebunden werden, um prak- tikable und wirksame Lösungen zu finden. Hierbei ist der Schwerpunkt aus unserer Sicht insbesondere auf die Fischfangnationen zu legen, die immer noch viel zu hohe Flottenumfänge haben und bei denen daher der An- reiz für Rechtsverstöße besonders groß ist. Die FDP ist im Wesentlichen mit der Verhandlungs- position der Bundesregierung auf europäischer Ebene zufrieden. Aus unserer Sicht besteht jedoch noch ein er- heblicher Optimierungsbedarf bei der wissenschaftli- chen Datengrundlage. Um wirklich nachhaltige Bewirt- schaftungspläne für die bedrohten Meeresarten erstellen zu können, ist eine fundierte Kenntnis der spezifischen ökologischen Zusammenhänge und der tatsächlichen Verteilung und Verbreitung einzelner Arten unabdingbar. Die gut aufgestellte deutsche Fischerei- und Meeresfor- schung muss weiter unterstützt und ausgebaut werden. Ein wirksamer Schutz der Meeresressourcen kann nur durch eine verbesserte Forschung, effiziente Kontrollen und Einbindung unserer Fischer erzielt werden. Speziell dieser Punkt kommt im eigentlich guten und sachlich fundierten Antrag der SPD zu kurz. Deshalb und weil die Bundesregierung mit ihrer Haltung bereits auf einem guten Weg ist, lehnen wir diesen Antrag ab. Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen lehnen wir ab, da er völlig realitätsfremd und ideologisch ist. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Bei der Ge- meinsamen Fischereipolitik, GFP, sind wir uns zwischen den Fraktionen im Bundestag in vielen grundsätzlichen Fragen einig. Wir wollen zum Beispiel gemeinsam, dass nicht mehr Fisch gefangen werden darf, als im selben Zeitraum „nachwächst“. Das ist ja auch logisch und quasi die alte Försterregel zur nachhaltigen Bewirtschaf- tung des Waldes – übertragen auf das Meer. Die Linke will eine sachliche Diskussion auf belast- barer wissenschaftlicher Grundlage. Dazu gehört, dass wir bei allen Analysen und Ent- scheidungen berücksichtigen, dass die wissenschaftli- chen Schätzungen der vorhandenen Fischbestände nicht genau genug, also nicht wirklich belastbar sind. Das Rostocker von Thünen-Institut für Ostseefischerei, vTI, spricht von 10 bis 20 Prozent Fehlerquote. Diese Unge- nauigkeit kann aber dramatische Auswirkungen bei der jährlichen Fangquotenfestsetzung haben. Die Fischerei- forschung muss gestärkt werden, damit wir besser be- lastbare Grundlagen für die politischen Entscheidungen bekommen. Das kann auch zur Versachlichung der Debatte beitra- gen. Und das ist dringend notwendig. Es geht dabei nicht um Verharmlosung einer Situation, die im Grünbuch der EU erstaunlich deutlich und ehrlich beschrieben wurde. Aber die Situation vieler Fischbestände ist beunruhigend genug und muss nicht auch noch zusätzlich mit Horror- meldungen dramatisiert werden. Die Schreckenszahl 88 Prozent geistert immer wieder durch politische De- batten und Mailing-Aktionen. Aber 88 Prozent über- fischte Bestände heißt eben nicht 88 Prozent fast ausge- rottete Bestände, sondern: 88 Prozent der Fischbestände, über die wissenschaftliche Erhebungen vorliegen, wer- den zu stark befischt, also mehr, als nach dem höchst- möglichen, nachhaltigen Dauerertrag, MSY, entnommen werden dürften. Das ist problematisch genug. Aber nur bei circa einem Viertel liegen solche Daten überhaupt vor. Solche überzogenen Dramatisierungen lenken leider von wirklichen Problemen ab. Das drohende Aussterben des europäischen Aals wird zum Beispiel kaum wahr- genommen, wie Dr. Christoph Zimmermann vom von Thünen-Institut in der Ausgabe 1/2010 der Fachzeit- schrift Kutter beklagt hat. Bei allen unbestrittenen Problemen in der Fischerei sieht die Linke aber nicht nur ihre ökologischen Rah- menbedingungen, sondern konsequent auch ihre soziale und wirtschaftliche Funktion. Deshalb dürfen die not- wendigen Fangreduzierungen nicht auf Kosten der in der Fischerei Beschäftigten gehen. Quotenkürzungen kön- nen zu Arbeitsplatzverlusten führen und haben damit er- 11110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 (A) (C) (D)(B) hebliche Auswirkungen auf das Leben und Arbeiten an der Küste. In den Küstenregionen lebt fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung, wie EU-Kommissarin Maria Damanaki heute bei einer Veranstaltung in Ber- lin betont hat. Auch in der Fischerei heißt nachhaltig nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und ökono- misch denken. Das wissen auch die Fischerinnen und Fischer. Denn ihre Altersvorsorge sind die Fischbe- stände. Deshalb treten sie dafür ein, dass Umwelt- und Fischereipolitik nicht gegeneinander ausgespielt werden. Deshalb müssen Fischereibetriebe und die Beschäftigten in alle Entscheidungen einbezogen werden. Und in den Küstenregionen müssen alternative Einkommensmög- lichkeiten gezielt gefördert werden, um den Struktur- wandel sozial abzufedern. Ich möchte noch kurz auf einige Aspekte der aktuel- len EU-weiten Debatte eingehen: Sicher muss die EU-Fischerei-Flotte abgebaut wer- den. Aber die deutsche Fischerei hat hier ihre Hausauf- gaben bereits erledigt. Deshalb erwartet sie aber auch zu Recht, dass zum Beispiel gegen die illegale Fischerei noch konsequenter vorgegangen wird. Hier wurde schon einiges erreicht, aber es liegt noch vieles im Argen. Die Linke will weg von dem alljährlichen politischen Kuhhandel um Fischereitage, Fangquoten und dem Streit über die Entwicklung der Fischbestände. Wir wol- len stattdessen eine mehrjährige Planung der Bewirt- schaftung der Fischbestände. In diesem Fall würden sich auch mögliche Schätzfehler der tatsächlichen Fischbe- stände nicht so schwerwiegend auswirken. Mehrjahrespläne wären auch im Interesse der jungen Menschen. Denn wir haben auch in der Fischerei Nach- wuchsprobleme. Zu den Gründen gehört neben der Un- berechenbarkeit der Fischereipolitik auch die skandali- sierte Berichterstattung über ausgeräumte Meere. Wer soll da eine berufliche Perspektive für sich sehen? Dabei ist sich die Forschung nahezu einig: Durch die Fischerei wird kein Bestand und keine Fischart ausster- ben, durch eine verfehlte Wirtschafts-, Energie- und Um- weltpolitik schon eher. Die jetzt anstehende Reform der Gemeinsamen Fi- schereipolitik muss deshalb einen Neuansatz finden. Wir unterstützen EU-Kommissarin Maria Damanaki, die mehr Langfristigkeit, weniger Bürokratie und effektivere Kontrollen will. Über manche Details muss sicher noch diskutiert wer- den. Kontrollkameras an Bord zum Beispiel sind eine recht drastische Maßnahme. Hier habe ich ein etwas mulmiges Orwell’sches Gefühl. Aber Videobelege sind andererseits eine verlässliche Dokumentation mit ver- gleichsweise geringem bürokratischem Aufwand. Ganz klar will die Linke ein Verbot von Rückwürfen des Beifangs mit Anrechnung auf die Fangquote. Nor- wegen macht uns das vor. Wir sehen das wie die EU- Kommissarin: Rückwürfe sind unethisch, Ressourcen- verschwendung und Vergeudung von menschlicher Arbeit. In der Fragestunde am Mittwoch hat mir die Bundesregierung Rückwurfzahlen aus Deutschland vor- gelegt, die nachdenklich machen müssen. Die höchsten Rückwurfraten gibt es bei der Baumkurrenfischerei auf Scholle und Seezunge. In den Jahren 2008 bis 2010 wur- den zwischen 60 und 75 Prozent des Fangs als Abfall wieder über Bord gekippt. Das muss aufhören. Wir müs- sen schrittweise, aber konsequent von den Rückwürfen wegkommen. Die Rückwurfraten in der pelagischen Fi- scherei, zum Beispiel Heringsfischerei, sind bereits unter 1 Prozent, auch die deutsche Fischerei auf Kabeljau und Seelachs ist sehr vorbildlich, wie mir die Bundesregie- rung bestätigt hat. Von einem zukünftigen Rückwurfver- bot sollten als Ausnahme nur Arten mit einer sehr hohen Überlebenswahrscheinlichkeit wieder ins Meer gewor- fen werden dürfen. Bleiben sie im Ozean zurück, können sie weiter wachsen und sich fortpflanzen und damit zu stabilen Beständen beitragen. Wir kritisieren die oftmals fragwürdigen internationa- len Fischereiabkommen mit Nicht-EU-Staaten und for- dern ein globales Netzwerk von Meeresschutzgebieten. Bei der Ausweisung der Meeresschutzgebiete tragen die Mitgliedstaaten eine hohe Verantwortung, die Koordina- tion in Europa erwarte ich jedoch von der EU bzw. welt- weit von der UNO. Für die Linke ist der SPD-Antrag nicht grün genug und der grüne Antrag nicht rot genug. Im Grünenantrag werden die Konsequenzen aus ihrer „grundlegenden Re- form“ einfach ausgeblendet. Aber insbesondere in der Küstenfischerei geht es um viele Menschen, die ihre Er- werbsarbeit verlieren. Mehr Kontrollen, zusätzliche Ge- bühren und Abgaben, das mag zwar eine grundlegende Reform sein, aber ob damit die Fischerei auf einen zu- kunftsfähigen Weg gebracht werden kann, wage ich zu bezweifeln. Richtig ist, dass das Grünbuch gezeigt hat, dass sich wirklich etwas tun muss. Diese Forderung un- terstützen wir ausdrücklich. Aber es muss mit ökologi- scher und sozialer Verantwortung gehandelt werden. Der SPD-Antrag geht vage Schritte in die richtige Richtung, darum stimmen wir zu. Der grüne Antrag ist aus unserer Sicht zu radikal, aber mit grundsätzlich diskussionswür- digen Vorschlägen; daher enthalten wir uns. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Grünbuch zur Reform der EU-Fischereipolitik eröffnet die Chance für eine grundlegend bessere Fischereipoli- tik. Diese Chance muss die EU im Interesse der Meere, aber auch der Fischeiwirtschaft nutzen. Nur wer Fisch- bestände heute schützt, kann morgen noch Fische fan- gen. Deshalb appelliere ich an alle Beteiligten: Treten Sie für eine anspruchsvolle Reform der EU-Fischerei- politik ein! Die Gefahr, dass die Reform kleingekocht wird, ist groß. Denn genau die Fischereiminister, die bisher für die Überfischung gesorgt haben, entscheiden über diese Reform. Hoffnung gibt, dass das Europaparlament nach dem Vertrag von Lissabon mitentscheiden darf und dass es die Fischereikommissarin Damanaki offenbar ernst meint mit der Durchsetzung wirksamer Maßnahmen. Bündnis 90/Die Grünen fordern einen Paradigmen- wechsel in der EU-Fischereipolitik. Ein zentraler Punkt ist die Einführung von Rückwurfverboten und Anlande- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11111 (A) (C) (D)(B) geboten für Arten mit zu niedrigen Rückwurfüberlebens- raten, damit endlich Schluss ist mit der ökologisch und ökonomisch fatalen Verschwendung von Fischressour- cen. Diese Rückwurfverbote brauchen wir so schnell wie möglich. Eine schrittweise Einführung wie in der Ge- meinsamen Erklärung Deutschlands mit Dänemark, Frankreich und Großbritannien reicht nicht. Für ein er- neutes Zögern gibt es keinen Grund. Hier hat sich die Bundesregierung erneut auf eine viel zu zaghafte Position festgelegt. Wir Bündnisgrüne fordern auch die strikte Orientie- rung der Gesamtfangmengen an den Empfehlungen der Fischereiwissenschaft. Denn die wurden in den letzten Jahren von den Fischereiministern regelmäßig um circa 50 Prozent überschritten. Damit muss Schluss sein! In den Natura-2000-Meeresschutzgebieten, die in den EU- Meeren eingerichtet werden müssen, sollte die Fischerei beschränkt werden können, zumindest soweit sie als Kinderstube für Fischbestände fungieren. Auffallend ist, dass Fischereipolitik in den Koalitionsfraktionen gar nicht stattfindet. Diese überlassen sie zu 100 Prozent der Bundesregierung. Folgerichtig haben Union und FDP auch keinen Antrag zur Reform der EU-Fischereipolitik vorgelegt. Dass aber die Vertreter der Union im Aus- schuss, wie in der Beschlussempfehlung nachzulesen, nicht einmal etwas Inhaltliches zur Fischereireform zu sagen hatten, das hat meine Erwartungen aber doch noch einmal deutlich untertroffen. Dem SPD-Antrag könnten wir in weiten Teilen zu- stimmen. Problematisch ist allerdings die Forderung, die zulässigen Gesamtfangmengen nach ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Kriterien festzusetzen. Das heißt doch im Klartext: Zur Stabilisierung der Be- stände notwendige Fangmengenreduzierungen sollen – wie bisher – aus Rücksicht auf die kurzfristigen Er- tragsausfälle der Fischereibetriebe unterbleiben. Das ist genau die Logik der Überfischung, der seit Jahrzehnten gefolgt wird. Das ist genau die Logik, die dazu führt, dass die Fischereibetriebe auf Dauer weniger fischen können, als sie bei einer vernünftigen Bewirtschaftung fischen könnten! Wegen dieser Forderung müssen wir den SPD-Antrag ablehnen. Zum erschreckenden Auftritt des fischereipolitischen Sprechers der SPD im Ausschuss ist zu sagen: Es hat uns schon sehr irritiert, dass er die Fischereipolitik der Bun- desregierung über den grünen Klee gelobt hat. Denn die- ses Lob hat das widersprüchliche Agieren der Bundesre- gierung nun wirklich nicht verdient. So ist beispielsweise der Gemeinsamen Erklärung Deutsch- lands, Frankreichs und Polens zur Fischereireform zu entnehmen, dass sich die Bundesregierung den Überfi- schungsinteressen von Frankreich und Polen untergeord- net hat und eine Linie unterstützt, die fast alles beim Al- ten belässt. Die SPD sollte sich wirklich überlegen, ob sie sich nicht besser einen fischereipolitischen Sprecher wählt, der frei ist von Lobbyinteressen, der nicht gleichzeitig Präsident des Deutschen Fischereiverbandes ist. Die Trennung dieser Funktionen wäre ein notwendiger Akt der politischen Hygiene. 96. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709600000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. –

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu un-
serer Plenarsitzung.

Die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen hat am
1. März ihren 75. Geburtstag gefeiert und die Kollegin
Edelgard Bulmahn einige Tage später ihren
60. Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses möchte
ich dazu auch auf diesem Wege noch einmal herzlich
gratulieren und alle guten Wünsche übermitteln.


(Beifall)


Der Kollege Holger Haibach hat mit Wirkung vom
1. März auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundes-
tag verzichtet. Als seinen Nachfolger begrüße ich den
Kollegen Helmut Heiderich.


(Beifall)


Ebenso herzlich willkommen heiße ich den Kollegen
Ingo Egloff, der als Nachfolger des Kollegen Olaf
Scholz die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag er-
worben hat.


(Beifall)


Die CDU/CSU-Fraktion hat mitgeteilt, dass die Kol-

Rede
legin Sibylle Pfeiffer ihr Amt als Schriftführerin nieder-
gelegt hat.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Dem kann nicht zugestimmt werden! – Sören Bartol [SPD]: Wollte sie keine Krawatte tragen? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil sie keine Krawatte trägt?)


Als neuer Schriftführer wird der Kollege Peter
Wichtel vorgeschlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Trägt der Krawatte? – Ulrich Kelber [SPD]: Krawa bestanden!)


– Alle entsprechenden Tests sind durchgefü
fen da ganz beruhigt sein. – Sind Sie damit einverstan-
zung

den 17. März 2011

.00 Uhr

den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege
Wichtel hiermit gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen
Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Atomgesetzes und zur Wiederherstel-
lung des Atomkonsenses

– Drucksache 17/5035 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

text
Ergänzung zu TOP 32

Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zugang zu verwaisten Werken erleichtern

– Drucksache 17/4695 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

ng des Antrags der Abgeordneten
egor Gysi, Jan van Aken, Christine
olz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
ttentest

hrt. Sie dür-

ZP 3 Beratu
Dr. Gr
Buchh

tion DIE LINKE





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Alle Exporte von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern stoppen

– Drucksache 17/5039 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rüstungsexportberichte zeitnah zum Jahres-
abrüstungsbericht vorlegen

– Drucksachen 17/1167, 17/1627 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Katja Keul, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffen-
ausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU-,
NATO- und NATO-gleichgestellte Länder
konsequent umsetzen

– Drucksachen 17/2438, 17/3291 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 27 d und 30 werden abge-
setzt.

Außerdem mache ich auf einige geänderte Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der am 27. Januar 2011 überwiesene nachfolgende
Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zur Mitbe-
ratung überwiesen werden; die Mitberatung des Aus-
schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) soll entfallen:

Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn),
Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Bildungsberichte nutzen – Bildungssystem ge-
rechter und besser machen

– Drucksache 17/4436 –
überwiesen:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die am 25. Februar 2011 überwiesene nachfolgende
Unterrichtung soll nunmehr nicht mehr dem Ausschuss
für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zur Mitbera-
tung überwiesen werden:

Unterrichtung durch die Bundesregierung

Tätigkeitsberichte 2008 und 2009 der Bundes-
netzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommu-
nikation, Post und Eisenbahnen für den Be-
reich Eisenbahnen gemäß § 14 b des
Allgemeinen Eisenbahngesetzes

und

Stellungnahme der Bundesregierung

– Drucksache 17/4630 –
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Der am 24. Februar 2011 überwiesene nachfolgende
Antrag soll nunmehr nicht mehr dem Haushaltsaus-
schuss (8. Ausschuss) gemäß § 96 GO überwiesen wer-
den; die Mitberatung des Haushaltsausschusses soll je-
doch bestehen bleiben:

Antrag der Abgeordneten Harald Koch, Heidrun
Dittrich, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

Jugendfreiwilligendienste weiter ausbauen
statt Bundesfreiwilligendienst einführen

– Drucksache 17/4845 –
überwiesen:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir das so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den
Zusatzpunkt 1 auf:

5 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zur aktuellen Lage in Japan

ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen
Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Atomgesetzes und zur Wiederherstel-
lung des Atomkonsenses

– Drucksache 17/5035 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Zu der Regierungserklärung liegen je ein Entschlie-
ßungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der
SPD und der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschlie-
ßungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Alle Fraktionen haben namentliche Abstimmung über
ihre Entschließungsanträge verlangt. Insgesamt werden
wir zu den Entschließungsanträgen sieben namentliche
Abstimmungen durchführen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung zwei Stunden vorgesehen. – Auch dies ist offen-
kundig einvernehmlich und damit so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1709600100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am

Freitag der letzten Woche, 14.45 Uhr Ortszeit, bebte in
Japan die Erde. Seismologen maßen eine Stärke von 8,9,
später korrigiert auf 9,0. Es war das schwerste Erdbeben
in der Geschichte Japans. Sein Epizentrum lag circa
130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und circa
400 Kilometer nordöstlich der japanischen Hauptstadt
Tokio. Um 16 Uhr Ortszeit desselben Tages traf eine bis
zu 10 Meter hohe Flutwelle auf die Ostküste der japani-
schen Hauptinsel Honshu. Sie richtete schwerste Ver-
wüstungen an. Noch am Abend dieses Tages gab es Mel-
dungen, wonach in einem Reaktor des Kernkraftwerks
Fukushima I die Kühlung ausgefallen und im Atom-
kraftwerk Onagawa ein Feuer ausgebrochen war. Die ja-
panische Regierung rief den atomaren Notstand aus.

In den folgenden Tagen und Nächten erschütterten
zahlreiche, zum Teil schwere Nachbeben das Land – und
das bis heute. Erdbeben und Tsunami haben weite Land-
striche von Japans Nordosten verwüstet. Ganze Ort-
schaften wurden ausgelöscht. Die Zahl der Opfer
schnellt seit Tagen in die Höhe. Wie viele es tatsächlich
sind – wir wissen es nicht. Zu viele Menschen werden
vermisst. Unzählige Häuser und Straßen sind zerstört.
Unendlich viele Menschen haben ihr Obdach verloren.
Strom wird rationiert oder ist ganz weg. Treibstoff,
Trinkwasser, Nahrungsmittel sind knapp.

Rund um das Kernkraftwerk Fukushima wurde die
Evakuierungszone seit Freitag immer wieder erweitert.
Arbeiter dort führen einen ebenso – man kann es nicht
anders sagen – heldenhaften wie verzweifelten Kampf
gegen den atomaren Super-GAU. Sie setzen dabei nicht
nur ihre Gesundheit aufs Spiel, sondern auch ihr Leben
ein. Immer dramatischer entwickeln sich die Ereignisse
dort: ausgefallene Kühlanlagen, Berichte über freilie-
gende Brennstäbe, die sich immer stärker erhitzen,
Explosionen in verschiedenen Reaktoren, in einem Fall
wohl auch mit der Folge der Beschädigung eines Sicher-
heitsbehälters, Radioaktivität tritt aus. Es ist davon aus-
zugehen, dass es in drei der Anlagen zu schweren Schä-
den an den Reaktorkernen gekommen ist.

Was uns angesichts all dieser Berichte und Bilder, die
wir seit letztem Freitag sehen und zu verstehen versu-
chen, erfüllt, das sind Entsetzen, Fassungslosigkeit, Mit-
gefühl und Trauer. Die Katastrophe in Japan hat ein ge-
radezu apokalyptisches Ausmaß, und es fehlen die
Worte. Unsere tiefste Anteilnahme, unsere Gedanken
und unsere Gebete sind bei den Menschen in Japan.


(Beifall im ganzen Hause)


In dieser Stunde schwerster Prüfung steht Deutsch-
land an der Seite Japans. Was immer wir tun können, um
den Menschen in Japan bei der Bewältigung dieser
schier unfassbaren Katastrophe zu helfen, das werden
wir weiter tun. Das habe ich Premierminister Kan über-
mittelt, und das hat auch der Bundesaußenminister sei-
nem japanischen Kollegen gesagt.

Experten des Technischen Hilfswerks haben in den
vergangenen Tagen vor Ort bei der Suche nach Überle-
benden geholfen. Ich danke ihnen, und ich danke den
Helfern anderer Organisationen für ihren Einsatz für die
Menschen in Japan.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich danke allen Helfern des Krisenstabes im Auswär-
tigen Amt und der Botschaft vor Ort. Sie koordinieren
unsere Hilfe. Sie unterstützen auch alle deutschen
Staatsangehörigen im Krisengebiet bei einer Ausreise,
wenn sie das wünschen.

Auch die Vereinten Nationen haben ein Team nach
Japan entsandt. Es soll die japanische Regierung dabei
unterstützen, die Aufbaumaßnahmen zu koordinieren.
Ebenfalls ihre Hilfe angeboten hat die Europäische
Union.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen dieser
Katastrophe sind überhaupt noch nicht absehbar. Die Be-
troffenen vor Ort hatten noch fast gar keine Chance, fest-
zustellen, in welchen Bereichen sie tatsächlich weitere
Hilfe genau benötigen. Denn der Albtraum immer neuer
Beben und nuklearer Horrorszenarien hat noch kein
Ende gefunden.

In dieser Lage ist es unverzichtbar, dass wir den Men-
schen in Japan zeigen: Sie sind nicht allein. Dabei zählt
die Geste jedes Einzelnen. Namhafte deutsche Hilfsorga-
nisationen haben Spendenkonten eingerichtet. Der Bun-
despräsident hat am Montag dazu aufgerufen, mithilfe
von Spenden über diese Organisationen Soforthilfe für
Japan zu leisten. Ich möchte diesen Aufruf ausdrücklich
unterstützen.

Die Spendenaktionen sollen vor allem den Menschen
in Japan zugutekommen, die durch Beben, Flutwelle und
die nuklearen Folgen ihr Zuhause verloren haben. Wir
sollten ihnen mit unserer unmittelbaren Unterstützung
ein Zeichen der Solidarität senden.


(Beifall im ganzen Hause)


Das ist Hilfe unter Freunden. Japan war und ist ein enger
Freund Deutschlands, und das sage ich gerade im
150. Jahr des Bestehens unserer diplomatischen Bezie-
hungen.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

In dieser Stunde geht es für Unzählige nur um das
nackte Überleben. Beinahe verbietet es sich angesichts
ihrer Tragödie, bereits jetzt an die wirtschaftlichen Aus-
wirkungen dieser Katastrophe zu denken. Ich will es
deshalb hier auch nur kurz tun, obwohl es für die Zu-
kunft Japans von größter Bedeutung ist, wenn die sich
überschlagenden Schreckensmeldungen hoffentlich bald
ein Ende gefunden haben werden.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der dreifachen
Katastrophe sind – kurz gesagt – noch nicht abschätzbar.
Nach vergangenen Naturkatastrophen kam Japans
Volkswirtschaft durch staatliche Wiederaufbaupro-
gramme schnell wieder auf die Beine. Selbst nach dem
schweren Erdbeben um die Stadt Kobe 1995 konnte eine
Rezession verhindert werden. Dennoch – so denke ich –
muss die Welt dieses Mal darauf vorbereitet sein, dass
die Katastrophe die japanische Wirtschaft vor noch grö-
ßere Herausforderungen stellt, als dies frühere Katastro-
phen getan haben.

Japan – auch das dürfen wir nicht vergessen – ist die
drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ich befürchte der-
zeit nicht, dass die Weltwirtschaft signifikant beeinträch-
tigt wird. Trotzdem – das ergänze ich ausdrücklich –
werden wir zusammen mit unseren internationalen Part-
nern daran arbeiten, wie mögliche Folgen der Katastro-
phe für die globale Konjunktur bestmöglich minimiert
werden können.

Meine Damen und Herren, die Ereignisse in Japan be-
deuten nicht allein für Japan eine unfassbare Katastro-
phe. Sie sind ein Einschnitt für die ganze Welt, für Eu-
ropa, auch für Deutschland. Ich habe es in den
vergangenen fünf Tagen wieder und wieder gesagt, und
ich wiederhole es heute: Wir können und wir dürfen
nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir gehen
auch nicht zur Tagesordnung über, weder die Menschen
in Deutschland – das zeigt das außergewöhnlich große
Interesse an allen Sondersendungen im Fernsehen –
noch die Politik. Auch die Bundesregierung kann das
nicht, und sie ist nicht zur Tagesordnung übergegangen.

Ja, es bleibt wahr: Derart gewaltige Erdbeben und
Flutwellen, wie sie Japan getroffen haben, treffen uns
nach allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erwar-
tungen nicht. Auch mit gesundheitlichen Beeinträchti-
gungen durch die nukleare Katastrophe in Japan ist für
uns in Deutschland nach menschlichem Ermessen nicht
zu rechnen. Wir sind zu weit von dem Ort der Katastro-
phe entfernt.

Ja, es bleibt wahr: Wir wissen, wie sicher unsere
Kernkraftwerke sind. Sie gehören zu den weltweit si-
chersten,


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es wieder los!)


und ich lehne es auch weiterhin ab, zwar die Kernkraft-
werke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom aus
Kernkraftwerken anderer Länder zu beziehen. Das ist
mit mir nicht zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ja, es bleibt wahr: Ein Industrieland wie Deutschland,
die größte Wirtschaftsnation Europas, kann nicht von
jetzt auf gleich vollständig auf Kernenergie als Brücken-
technologie verzichten, wenn wir unseren Energiever-
brauch weiter eigenständig zuverlässig decken wollen.

Ich möchte an dieser Stelle, weil es heute ja sicherlich
auch noch eine Reihe von Auseinandersetzungen geben
wird, noch einmal eines festhalten: In Deutschland gibt
es einen Konsens aller Parteien, dass wir keine neuen
Kernkraftwerke bauen und dass die Kernkraft eine
Brückentechnologie ist, dass die Kernkraft ausläuft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau keine Einigung!)


– Die Linke hat wie immer eine Sonderrolle. Entschuldi-
gung, dass ich Sie mit einbezogen habe. Das werde ich
natürlich nicht mehr tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß.

Ein Land wie Deutschland hat im Übrigen auch den
Verpflichtungen zum Schutz unseres Klimas weiter ge-
recht zu werden; denn der Klimawandel ist und bleibt
eine der großen Herausforderungen der Menschheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es geht nicht an, dass wir an einem Tag den Klimawan-
del als eines der größten Probleme der Menschheit klas-
sifizieren und an einem anderen Tag so tun, als ob das al-
les nicht gilt. Wir müssen schon mit einer Zunge
sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Zuhören!)


Ja, es bleibt auch wahr: Energie in Deutschland muss
für die Menschen bezahlbar sein, und wir haben kein
Problem gelöst, wenn Arbeitsplätze in andere Länder ab-
wandern, wo die Sicherheit der Kernkraftwerke nicht
besser, vielleicht sogar noch geringer ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Und dennoch: Die Bundesregierung konnte und kann
trotz all dieser unbestrittenen Fakten nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen, und zwar aus einem alles
überragenden Grund:


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Die Wahl!)


Die unfassbaren Ereignisse in Japan lehren uns, dass et-
was, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für
unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden
konnte.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Nicht nach allen!)


Sie lehren uns, dass Risiken, die für absolut unwahr-
scheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends un-
wahrscheinlich waren, sondern Realität wurden.

Wenn das so ist, wenn also in einem so hoch entwi-
ckelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche mög-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

lich, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde,
dann verändert das die Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dann haben wir eine neue Lage, dann muss gehandelt
werden. Und wir haben gehandelt. Denn die Menschen
in Deutschland können sich darauf verlassen: Ihre Si-
cherheit und ihr Schutz waren und sind für die Bundesre-
gierung oberstes Gebot.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ach du meine Güte!)


Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Auf einmal! Das ist ja etwas ganz Neues!)


Deshalb haben wir im Lichte der Ereignisse in Japan
veranlasst, dass alle deutschen Kernkraftwerke noch ein-
mal einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogen
werden – im Lichte der neuen Lage! Dazu setzen wir die
Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraft-
werke aus,


(Ulrich Kelber [SPD]: Das tun Sie ja gerade nicht!)


indem wir für den Zeitraum eines dreimonatigen Mora-
toriums alle Kernkraftwerke, die 1980 und früher in Be-
trieb gegangen sind, vom Netz nehmen. Besser gesagt:
Wir tun mehr, als ein Moratorium bedeuten würde; denn
ein Moratorium der Verlängerung der Laufzeiten führte
uns zurück auf die Rechtsgrundlage der rot-grünen Re-
gierung. Die wiederum würde jetzt nur zur Folge haben,
dass Neckarwestheim 1 abgeschaltet werden müsste.


(Sören Bartol [SPD]: Aber für immer!)


Alle anderen Kernkraftwerke würden heute, zum jetzi-
gen Zeitpunkt, weiterlaufen.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Was tun wir?


(Unruhe)


– Jetzt hören Sie genau zu! Darf ich Sie einfach bitten,
Herr Kelber, dass Sie mal zuhören?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nicht so arrogant, ja!)


Was tun wir? Bund und Länder sind sich einig, dass
diese Abschaltung durch rechtliche Verfügung der Auf-
sichtsbehörden der Länder angeordnet wird. Das Gesetz
über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den
Schutz gegen ihre Gefahren, kurz „Atomgesetz“ ge-
nannt, sieht genau das vor, also eine Anlage vorüberge-
hend stillzulegen, bis sich die Behörden Klarheit über
eine neue Lage verschafft haben.

Ich danke an dieser Stelle dem Kollegen Oppermann
ausdrücklich für das Angebot seiner Fraktion an die Ko-
alition, in der nächsten Woche ein gemeinsames, wie Sie
es formulieren, Abschaltgesetz zu verabschieden. Wir
sind dennoch der Auffassung, dass wir dieses Angebot
nicht anzunehmen brauchen, weil wir im beschriebenen
Sinne handeln können – und das umgehend, meine Da-
men und Herren.

Ich will es noch einmal präzisieren, weil das wirklich
wichtig ist: Die bisher unbestrittene Sicherheit der deut-
schen Kernkraftwerke beruht auf der Einhaltung des
Atomgesetzes, der auf dem Atomgesetz beruhenden
Rechtsverordnungen und der erteilten Genehmigungen.
Die Vorkommnisse in Japan haben jedoch gezeigt, dass
Ereignisse auch jenseits der bisher berücksichtigten Sze-
narien eintreten können.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN)


– Entschuldigung, die Genehmigungen sind auch zu Ih-
ren Zeiten vergeben worden. – Hieraus resultiert die
Notwendigkeit, die Lage unter Berücksichtigung der ak-
tuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysieren und hie-
raus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für die dreimonatige Betriebseinstellung der sieben
ältesten Anlagen als vorläufige aufsichtliche Maßnah-
men sieht das Atomgesetz in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3
eine einschlägige Rechtsgrundlage vor. Auf dieser
Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefahrenver-
dachts die einstweilige Betriebseinstellung angeordnet
werden.

Jetzt hören Sie wieder gut zu: Ein derartiger Verdacht
ist nach dem Atomrecht – das ist so genau – dann gege-
ben, wenn sich wegen begründeter Unsicherheiten im
Rahmen der Risikovorsorge Schadensmöglichkeiten
nicht völlig ausschließen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Das haben wir bei der Verlängerung schon gesagt! Das ist keine neue Lage!)


– Hören Sie doch bitte mal zu! Entschuldigung, darf ich
noch einmal wiederholen?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, lieber nicht!)


Es ist eine neue Lage.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Lage ist alt!)


– Im Augenblick rede ich. – Es ist eine neue Lage.


(Michael Groschek [SPD]: 27. März!)


Hochverehrter Herr Steinmeier, die Kernkraftwerke
– mit Ausnahme von Neckarwestheim – würden nach
der von Rot-Grün geschaffenen Rechtslage heute am
Netz sein. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nehmen Sie es doch einfach einmal hin und sagen eben-
falls: Wir haben eine neue Lage. – Das kann man doch
erwarten!

Da sich gerade bei älteren Anlagen die Frage nach
den in der Auslegung berücksichtigten Szenarien in be-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

sonderer Weise stellen kann, haben sich die Bundesre-
gierung und die Ministerpräsidenten der Bundesländer
mit Kernkraftwerken


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der CDU!)


dazu entschlossen, diese Anlagen für den Zeitraum der
Überprüfung vom Netz zu nehmen. Dies ist Ausdruck
äußerster Vorsorge, der sich die Bundesregierung und
die Ministerpräsidenten zum Schutz der Bevölkerung
verpflichtet sehen.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Dies ist eine
aufsichtsrechtliche Maßnahme. Dies ist kein Deal, dies
ist keine Absprache, dies ist gar nichts von dem, sondern
dies ist die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen
Lage,


(Michael Groschek [SPD]: Wahlkampf!)


nicht mehr und nicht weniger. Das ist Verantwortung,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin mir dazu sowohl in der Sache als auch im Ver-
fahren mit den Ministerpräsidenten der Standortländer
vollkommen einig.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Das glaube ich!)


Bund und Länder sind hier gemeinsam in der Verantwor-
tung.

Deshalb sage ich auch, dass ich nicht verhehle, dass
ich die Debatte des gestrigen Tages über die rechtlichen
Grundlagen des Handelns von Bund und Ländern – die
wird sicherlich gleich fortgesetzt – nur schwer nachvoll-
ziehen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen sicher in unserem politischem Handeln alle
juristischen Anforderungen stets ernst nehmen. Darüber
kann und darf es nicht den geringsten Zweifel geben.
Das sage ich, damit da überhaupt kein Missverständnis
entsteht. Aber wir sollten uns in einer Situation äußerster
Gefahrenvorsorge – um diese geht es Bund und Ländern
im Licht der Ereignisse von Japan – nicht juristische
Tricks unterstellen, wo keine juristischen Tricks unter-
stellt werden können, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dazu gehört im Übrigen auch, dass während des Mo-
ratoriums meine Gespräche natürlich nicht, wie das zu-
nächst mit Blick auf die Anwendung des Atomgesetzes
sinnvoll ist, auf den Kreis der Ministerpräsidenten be-
schränkt bleiben, die vorgestern mit mir beraten haben.
Das gilt für alle Gespräche, die die Bundesregierung in
nächster Zeit führen wird.

Wenn es um die Akzeptanz und Fortentwicklung der
Energiepolitik insgesamt geht, werden natürlich auch ge-
sellschaftliche Gruppen einbezogen: Wirtschaft, Ge-
werkschaften, Umweltverbände, Kirchen. Natürlich
werden alle Ministerpräsidenten aller Bundesländer ein-
bezogen, zum Beispiel wenn es um neue Leitungen und
Trassen gehen wird. Das wird sehr zeitnah geschehen,
noch vor Ostern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Auch hier sollten wir uns nicht immer als Erstes ver-
dächtigen.

Meine Damen und Herren, Sicherheit der Kernener-
gie hat nicht nur eine nationale, sondern mindestens
ebenso eine internationale Dimension.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden daher in Europa, international und auch im
Rahmen der G 20 dafür eintreten, dass die notwendigen
Schlussfolgerungen aus den Ereignissen in Japan gezo-
gen werden.

Ich habe das Thema „Nukleare Sicherheit“ für den
nächsten Europäischen Rat der Staats- und Regierungs-
chefs in der nächsten Woche am 24. und 25. März ange-
meldet. Der Ratspräsident hat der Aufsetzung dieses Ta-
gesordnungspunkts bereits zugestimmt.

Auf EU-Ebene hat Energiekommissar Oettinger
schnell gehandelt. Ich begrüße, dass er schon begonnen
hat, Gespräche mit den wichtigsten Akteuren zu führen,
und ich unterstütze die Initiative für einen EU-weiten
Stresstest für alle Kernkraftwerke. Wir brauchen in der
gesamten Europäischen Union hohe Sicherheitsstan-
dards, denn bei Sicherheitsrisiken ist nicht nur der Staat,
in dem das Kernkraftwerk steht, betroffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe mit Nicolas Sarkozy verabredet, dass Frank-
reich gemeinsam mit Deutschland eine Initiative der
G 20 zur weltweiten Sicherheit von Kernkraftwerken
einbringt. Der G-20-Präsident, der französische Präsi-
dent, hat bereits die Energieminister der G-20-Länder
nach Paris zu einem Sondertreffen eingeladen.

Nach dem dreimonatigen Moratorium werden wir
über die endgültigen Konsequenzen für den Betrieb der
Kernkraftwerke entscheiden.


(Zuruf von der LINKEN: Indem wir das abschalten!)


Dabei wiederhole ich auch an diesem Ort das, was ich
seit Montag sage: Die Lage nach dem Moratorium wird
eine andere sein als die Lage vor dem Moratorium, denn
alles kommt auf den Prüfstand.

Sie wird darüber hinaus – das sage ich, damit auch da
kein Missverständnis entsteht – auch eine andere Lage
sein als die Lage zur Zeit des rot-grünen Gesetzes.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie nicht mehr dagegen kämpfen können!)


Weder konnten wir nach den Ereignissen in Japan ein-
fach so zur Tagesordnung übergehen, noch ist das rot-
grüne Konzept tragfähig für ein Land wie Deutschland,
für die größte Wirtschaftsnation Europas mit dem An-
spruch höchster Sicherheitsstandards im Lichte aller Er-
kenntnisse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Wir werden deshalb die bewusst ehrgeizig kurz bemes-
sene Zeit des Moratoriums nutzen, um die Energiewende
voranzutreiben und, wo immer möglich, zu beschleuni-
gen. Denn wir wollen so schnell wie möglich das Zeital-
ter der erneuerbaren Energien erreichen – das ist unser
Ziel –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Alles habt ihr doch im Haushalt gekürzt! Das gibt es doch nicht!)


und das mit einem Ausstieg mit Augenmaß.

Klar ist dabei: Wenn jetzt die Sicherheit der Kern-
energie neu bewertet wird


(Zuruf von der LINKEN: Pi mal Daumen!)


und möglicherweise – ich kann den Ergebnissen des Mo-
ratoriums nicht vorgreifen – Anlagen schneller vom
Netz zu nehmen sind, dann müssen wir – das ist die
Schlussfolgerung – auch schneller zu einem System der
Energieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Ener-
gien kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt: Wir werden die sehr ambitionierten Maßnah-
men des Energiekonzepts nicht nur konsequent umset-
zen, sondern sie, wo es geht, auch beschleunigen.

Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien
und der notwendigen Netzinfrastruktur noch schneller
voranbringen. Wir werden für die Umsetzung eine klare
Zeitplanung vorlegen; denn eines ist klar: Wir brauchen
eine Brückentechnologie wie die Kernenergie so lange,
bis wir einen Anschluss gefunden haben. Alles andere
hieße, die Probleme unter den Tisch zu kehren. Das tun
wir nicht. Das widerspräche dem Anspruch der christ-
lich-liberalen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Heiner Geißler!)


– Sie sind doch bloß neidisch, dass Sie Heiner Geißler
nicht haben. Meine Güte, also wirklich!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Unruhe)


– Darf ich ausreden? Wir reden hier über sehr ernsthafte
Dinge, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erinnere noch einmal: Unser Energiekonzept sieht
für das Jahr 2050 einen Anteil der erneuerbaren Ener-
gien von 80 Prozent vor. Das ist extrem anspruchsvoll.
Wenn wir das diskutieren, müssen wir ehrlich über die
Voraussetzungen sprechen; dann müssen wir allerdings
auch ganz konkret werden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na los! Fangen Sie an!)


Das betrifft etwa den Ausbau der Windenergie an
Land und auf See. Wir werden zeigen, wie konkret neue
Windparks errichtet werden können und die Windener-
gie langfristig zu einer tragenden Säule unserer Strom-
versorgung ausgebaut werden kann. Schon bald wird ein
großes KfW-Programm starten, mit dem wir den Start-
schuss für neue Investitionen in Offshorewindparks ge-
ben.

Eine wichtige – ich sage: eine unabdingbare – Voraus-
setzung ist auch der Ausbau der Stromnetze. Wer erneu-
erbare Energien will, darf sich dem Bau der dafür erfor-
derlichen großen Stromtrassen, die neu errichtet werden
müssen, nicht verweigern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen in der Perspektive auch über ein System
debattieren, das Strom aus erneuerbaren Energien flexi-
bel zum Verbraucher bringt, ihn bedarfsgerecht speichert
und jederzeit verfügbar verteilt.

Nicht zuletzt ist die Steigerung der Energieeffizienz
unverzichtbar, und zwar durch moderne Technologien in
allen Bereichen, vom Verbraucher bis zur Industrie. Zu
diesem zentralen Handlungsfeld hat der EU-Energie-
kommissar Oettinger gerade einen neuen Aktionsplan
für Energieeffizienz vorgelegt.

Für all das brauchen wir – das ist mir besonders wich-
tig – breite Unterstützung und Akzeptanz in der Gesell-
schaft. Wir wollen kein Dagegen, sondern ein Dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die erneuerbaren Energien können wir nur ausbauen,
wenn die notwendigen Stromnetze errichtet werden.
Hierfür müssen alle, die den Ausbau der erneuerbaren
Energien wollen, um mehr Akzeptanz bei den Bürgerin-
nen und Bürgern vor Ort werben. Das ist schlicht und er-
greifend heute nicht der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die einen werben, die anderen sind dagegen, wo immer
das geht, oder spielen auf Zeit und sagen, man müsse
lange darüber diskutieren.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reicht es aber! Verstehen Sie? Sie wollten doch keinen Wahlkampf machen! – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709600200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist

wie vereinbart im Anschluss an die Regierungserklärung
vorgesehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1709600300

Wann es reicht, Frau Künast, bestimmt die Fraktion,

indem sie entscheidet, wie viel Redezeit sie mir gibt. Sie
haben das nicht zu entscheiden. Das ist auch gut so.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Schauen Sie sich einmal Ihre Parteitagsbeschlüsse zum
Ausbau der Stromtrassen an.

Stromeinsparung können wir nur dann erreichen,
wenn die Verbraucher aktiv mitmachen. Neue Anlagen,
seien es Windkraftwerke, Pumpspeicherwerke – auch da
bitte ich, zu schauen, wer wo protestiert –


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da können Sie gerne schauen!)


oder hocheffiziente konventionelle Kraftwerke – schauen
Sie sich an, wer alles gegen Kohlekraftwerke ist –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


können wir nur errichten, wenn alle hier in diesem
Hause dafür eintreten, dass sie gebaut werden.

Meine Damen und Herren, schließlich müssen wir
auch bei einem weiteren Streitthema endlich vorankom-
men: bei der Entsorgung von radioaktiven Abfällen. Es
kann nicht sein, dass wir diese Aufgabe weiter in die Zu-
kunft und damit auf zukünftige Generationen schieben.
Wir packen daher auch dieses Thema, das Rot-Grün in
unverantwortlicher Weise hat liegen lassen, entschlossen
an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben damals bei dem vermeintlich tragfähigen
Ausstieg in zwei Bereichen nicht die Zukunft im Blick
gehabt und den Kopf in den Sand gesteckt: bei der Ent-
sorgung – da haben Sie ein Moratorium für Gorleben
vereinbart – und, das kann ich Ihnen nicht ersparen, bei
der Sicherheit. Herr Trittin, Sie wissen genau: Damals,
im sogenannten Atomkonsens aus dem Jahre 2000, un-
terzeichnet 2001, ist vereinbart worden:

Während der Restlaufzeiten

– ich sage noch einmal, heute wäre nur Neckarwest-
heim 1 abgeschaltet; alle anderen wären am Netz –

wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Si-
cherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundes-
regierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen
Sicherheitsstandard und die diesem zugrundelie-
gende Sicherheitsphilosophie zu ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


… die Bundesregierung wird keine Initiative
ergreifen …

– so war das.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Weiterlesen! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen!)


– Ja, natürlich:

Bei Einhaltung – –

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Hören Sie doch einmal zu! Ich bin nicht so wie Sie,
dass ich Ausschnitte lese. Ich lese weiter:

Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen
gewährleistet die Bundesregierung den ungestörten
Betrieb der Anlagen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter!)


Aber: keine neuen Sicherheitsstandards.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter! Weiterlesen!)


Meine Damen und Herren, heute wird von Ihnen ein
Antrag zur sofortigen Inkraftsetzung des kerntechni-
schen Regelwerks zur Abstimmung gestellt. Lassen Sie
mich dazu ein Wort sagen. Unter Rot-Grün wurde erst
einmal gar nichts unternommen, außer dass man etwas
ausgearbeitet hat; aber angewandt hat man es nicht.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann ging es in der Großen Koalition um die Frage,
„Was machen wir damit?“, weil sich Herr Gabriel der
Frage „Stillstand in der Sicherheit“ dankenswerterweise
nicht mehr ganz so verpflichtet gefühlt hat.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon gar nicht mehr, dass letztes Jahr die Laufzeit verlängert worden ist! – Weitere Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich sage das doch ausdrücklich lobend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann hat Herr Gabriel dieses kerntechnische Regelwerk
zur Erprobung parallel zu den gängigen und geltenden
Sicherheitsvorschriften laufen lassen. Herr Gabriel ist
dafür kritisiert worden, pikanterweise vom ehemaligen
Staatssekretär Herrn Baake von den Grünen. Herr
Gabriel hat im Juni 2009 diese Vorwürfe – ich sage: ge-
rechterweise – ausführlich zurückgewiesen; ich emp-
fehle, die Pressemitteilung des BMU vom 16. Juni 2009
zu lesen, in der steht, dass diese Vorwürfe „haltlos“ sind.
Er hat im Juni 2009 ebenso gesagt, dass dieses Verfahren
15 Monate lang erprobt wird, also nach meinen Berech-
nungen bis zum September 2010. Dann haben wir, die
neue Regierung, über die Verlängerung der Laufzeiten
debattiert und in diesem Zusammenhang das Atomge-
setz bezüglich der Sicherheitsanforderungen verändert


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgesenkt haben Sie das!)


und dafür gesorgt, dass in § 7 d des Atomgesetzes eine
neue Verpflichtung eingeführt wird – –


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, abgesenkt! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein große Lüge!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

– Ich finde wirklich, wir sollten uns in diesem Hause
– dazu sind wir verpflichtet – um die Wahrheit bemühen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das gilt auch für die Opposition.

Wir haben mit der Einführung des neuen § 7 d des
Atomgesetzes neu die Verpflichtung der Betreiber der
Kernkraftwerke zur weiteren Risikovorsorge eingeführt,
sich immer wieder am neuesten Stand von Forschung
und Technik zu orientieren


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


– diese Kategorie hat es in diesem Maß noch nicht gege-
ben – und immer wieder dynamisch auf neue Anforde-
rungen zu reagieren. Das ist die Realität, und das äußert
sich in der Spezifizierung der Sicherheitsanforderungen
für jede einzelne Anlage.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wer hier behauptet, wir hätten die Sicherheit nicht im
Blick gehabt, der sagt schlicht und ergreifend die Un-
wahrheit. Die höchsten Sicherheitsanforderungen gab es
unter der christlich-liberalen Koalition. Das ist die Wahr-
heit, und die müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, es ist gut und nötig und
auch sinnvoll, dass wir uns in energiepolitischen Fragen
um die besten Antworten bemühen. Es ist auch gut und
richtig, dass wir darüber immer wieder streiten. Das
macht Opposition und Regierung aus, und das macht un-
sere Demokratie lebendig. Auch ich war einmal Vorsit-
zende einer Oppositionsfraktion und weiß, wie das ist.
Aber eines muss beachtet werden: Sie werfen der Regie-
rung und auch mir persönlich vor, jetzt oder vor sechs
Monaten oder bei der Verabschiedung der Laufzeiten-
verlängerung oder wahrscheinlich durchgehend die Un-
wahrheit zu sagen. Sie werfen uns Täuschung, Trickse-
rei, mehr oder weniger Rechtsbruch und natürlich
Wahlkampftaktik und Ähnliches vor.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Ja, meine Damen und Herren, schauen Sie sich das ge-
nau an. – Ich halte das hinsichtlich der Aufgabe für abso-
lut nicht angemessen. Es geht hier um ein wesentliches
Thema. Es geht hier um eine Situation, in der wir über
Fragen debattieren, die die Welt vor eine neue Lage ge-
stellt haben.

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
finde, dass Ihre Art und Weise der Argumentation abso-
lut respektlos ist.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ihr Verhalten, das ich in den letzten Tagen gesehen habe,
ist an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten.

(Zurufe von der SPD)


Ich rate Ihnen nur eines: Schließen Sie bei dem, was Sie
sagen, nicht dauernd von sich auf andere.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Höchste Sicherheit für die noch laufenden Kernkraft-
werke, höchstes Engagement für erneuerbare Energien
und eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversor-
gung – dies ist meine, dies ist die Formel der christlich-
liberalen Koalition für einen neuen energiepolitischen
Konsens.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches
Wort. So wichtig und unverzichtbar alle Bewertungen,
Lehren und Maßnahmen hier in Deutschland sind, so
wichtig und unerlässlich ist es, dass wir in dieser Stunde
zugleich nie den Blick für die Leidenden in Japan verlie-
ren, die so schwer geprüft werden.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist unanständig!)


Ihnen gilt unser Mitgefühl. Sie können heute und in der
Zukunft auf die Unterstützung Deutschlands zählen.

Herzlichen Dank.


(Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709600400

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1709600500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-

deskanzlerin, für den ersten und den letzten Teil Ihrer
Rede haben Sie die volle Zustimmung nicht nur der
SPD, sondern, wie ich glaube, des ganzen Hauses.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Tat berührt jeden Menschen in Deutschland das
Schicksal der Menschen in Japan ungeheuer. Selten hat
ein Land in Friedenszeiten eine solche Kette von Kata-
strophen durchleiden müssen wie in diesen Tagen Japan.
Ich sage offen: Ich glaube, wir alle haben in diesen Ta-
gen viel über den Mut und auch die Tapferkeit dieses
Volkes gelernt. Neben Mitgefühl, Trauer und Entsetzen
haben wir auch tiefen Respekt gegenüber der Haltung
und dem Kampf dieser Menschen entwickelt. Wir hof-
fen, dass es am Ende, obwohl die Hoffnung täglich
schwindet, doch noch gelingt, den Super-GAU, also das
unkontrollierte Austreten ungeheurer Mengen von Ra-
dioaktivität, zu verhindern. Deswegen haben Sie, Frau
Bundeskanzlerin, jede Unterstützung des deutschen Par-
laments verdient, wenn Sie der japanischen Regierung
Hilfe und Unterstützung anbieten. Wir denken, dass das
die Verpflichtung Deutschlands und auch der internatio-
nalen Völkergemeinschaft ist. Wir danken Ihnen aus-
drücklich dafür, dass Sie sehr frühzeitig damit begonnen
haben, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.





Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin nicht sicher, ob es angemessen ist, wenn wir
uns gegenseitig unterstellen, wir seien respektlos und
würden uns unanständig benehmen. Sie meinten, das ge-
höre zu Ihrer Rede.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


– Na ja, wenn man im Parlament ein scharfes Wort führt,
muss man gelegentlich überlegen, ob das Ende einer
Rede auch zu dem passt, was man vorher gesagt hat,
Frau Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir erleben gerade das Ende des Atomzeitalters. Es
war gekennzeichnet durch zwei tiefe Überzeugungen:
erstens, dass die Technik nie versagt, und zweitens, dass
der Mensch nie versagt, und vor allen Dingen, dass nicht
beides zum gleichen Zeitpunkt passiert. Wir haben bitter
lernen müssen, dass diese beiden Grundannahmen des
Atomzeitalters falsch sind: Weder funktioniert die Tech-
nik immer, noch versagen Menschen nie. Tun wir nicht
so, als würden uns die Risiken der Atomtechnologie
erstmals in Japan vor Augen geführt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dutzende von Unfällen, viele Beinahekatastrophen und
nicht zuletzt die Katastrophen 1979 in Harrisburg und
1986 in Tschernobyl in der früheren Sowjetunion führen
uns schon seit langer Zeit vor Augen, dass der GAU und
der Super-GAU eben keine rein mathematischen Un-
wahrscheinlichkeiten sind, sondern ganz reale Gefahren,
die mit unendlichem Leid von Menschen verbunden
sind.

Das berühmte Restrisiko, das der Atomwirtschaft und
den Gläubigen der atomaren Heilslehre in Wissenschaft,
Medien und politischen Parteien so lächerlich und ver-
nachlässigbar vorkam, ist gerade zur ganz realen Kata-
strophe für Millionen von Menschen in Japan geworden.
Trotzdem sind schon wieder die Beschwichtiger der
Atomwirtschaft unterwegs: Das alles könne in Deutsch-
land und Europa nicht passieren; wir hätten schließlich
keine Erdbeben und Tsunamis. Oder: Wir hätten doch
die sichersten Atomkraftwerke der Welt.

Ich erinnere mich noch gut, dass das schwedische
Atomkraftwerk Forsmark im Jahre 2006 in einer gefähr-
lichen Lage war, weil auch dort die Notstromversorgung
versagte, und zwar völlig ohne Erdbeben und Tsunami.
Als wir damals die deutschen Atomkraftwerksbetreiber
fragten, wie das bei ihnen sei, kam sofort, ohne jede Prü-
fung, die Antwort: Das kann bei uns nicht passieren. –
Als wir dann über § 19 Atomgesetz – damals gab es
nämlich die ganz konkrete reale Gefahr, dass die Wech-
selrichter nicht funktionieren – gefordert haben, das ge-
nau zu erfahren, haben sie nach kurzer Zeit kleinlaut zu-
gegeben, dass auch in deutschen Atomkraftwerken
dieses technische Problem existiert hat.
Meine Damen und Herren, das alles war vor Japan.
Auch in Deutschland gab es Wasserstoffexplosionen: in
Brunsbüttel in der Nähe des Reaktordruckbehälters. Es
gab auch bei uns fehlerhafte Installationen, Kühlmittel-
verluste, mangelhafte Rohrleitungssysteme. Das alles
war vor Japan, und das alles wussten Sie, Frau Bundes-
kanzlerin. Trotzdem haben Sie damals in der Großen
Koalition versucht, mich dazu zu zwingen,


(Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Oh!)


zwei der ältesten und gefährlichsten Atommeiler in
Deutschland länger laufen zu lassen:


(Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)


Biblis A und Neckarwestheim 1. Sie haben mich schrift-
lich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beiden
Atomkraftwerke zu verlängern.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck an!)


Das sind die beiden, bei denen Sie jetzt so stolz darauf
sind, dass Sie sie, neben einigen anderen, für drei Mo-
nate vom Netz nehmen. Frau Bundeskanzlerin, Sie ha-
ben einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren für diese
Reaktoren zugestimmt. Ohne Ihren Deal und – auch das
gehört zur Wahrheit – ohne Ihre Kumpanei mit der
Atomwirtschaft, die durch Tricks, durch geringeres Aus-
fahren ihrer Kapazitäten, versucht hat, die im Gesetz ur-
sprünglich vorgesehenen Laufzeiten zu überschreiten,
wären diese Reaktoren längst vom Netz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Bundeskanzlerin, Sie haben alle, die gegen diese
abenteuerliche Laufzeitverlängerung waren, als Ideolo-
gen verleumdet. Ihr Vizekanzler, Herr Westerwelle, hat
diejenigen, die gesagt haben, dass das so nicht geht und
dass wir aus der Kernenergie heraus müssen, wörtlich
als „Geisterfahrer“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund Ih-
rer verbalen Kehrtwende frage ich Sie: Wer waren tat-
sächlich die eigentlichen Geisterfahrer der deutschen
Energiepolitik in Deutschland?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Frau Merkel, zuhören!)


Frau Merkel, ich weiß gar nicht, ob es Ihnen auffällt:
Aber vor einem halben Jahr war der rot-grüne Beschluss
zum Ausstieg aus der Atomenergie für Sie unvertretbar,
weil er nach Ihrer Meinung die Atomwirtschaft zu sehr
bedrängte und weil wir längere Laufzeiten für Deutsch-
land doch brauchten. Sie haben diesen Beschluss kriti-
siert, weil wir zu schnell aussteigen wollten. Heute ha-
ben Sie die Chuzpe, SPD und Grüne zu kritisieren, weil
wir angeblich zu langsam ausgestiegen sind. Das ist
doch das Spiel, das Sie hier treiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)






Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Frau Dr. Merkel, damit Sie nicht glauben, jeder im
Haus hätte ein schlechtes Gedächtnis: Ich hatte Ihnen als
Bundesumweltminister in der Großen Koalition vorge-
schlagen und angeboten, die ältesten Atomkraftwerke
schneller, als es ursprünglich im Gesetz vorgesehen war,
vom Netz zu nehmen. Sie haben das als Kanzlerin ver-
weigert. Wir hätten sie heute schon nicht mehr, wenn wir
das damals gemacht hätten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Thema Sicherheitspolitik. Am 28. Oktober 2010
haben Sie hier mit der Mehrheit von CDU/CSU und
FDP die Laufzeitverlängerung durchgepeitscht. Frau
Merkel, ich und wir alle haben Sie damals gewarnt und
gesagt: Bevor Sie generelle Laufzeitverlängerungen be-
schließen, machen Sie bitte das, was jeder normale
Mensch machen würde, nämlich jedes einzelne Atom-
kraftwerk darauf zu prüfen, ob deren aktuelle Sicher-
heitsstandards dem Stand von Wissenschaft und Technik
entsprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das haben Sie abgelehnt. Die äußerste Gefahrenvorsorge
müssen Sie nicht jetzt machen, die müssen Sie bei einem
Atomkraftwerk immer machen. Das ist immer Ihre Auf-
gabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber als wir im Parlament zu entscheiden hatten, war
ja längst alles beschlossene Sache. Den Bundestag haben
Sie nur noch pro forma und den Bundesrat überhaupt
nicht mehr beteiligt. Sie hatten schon mit den Herren der
Atomwirtschaft im Hinterzimmer alles dingfest ge-
macht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: So ist es! Das vergisst man nicht!)


Damit nicht genug. Sie waren einmal Bundesumwelt-
ministerin.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Morsleben!)


Dass Sie den Mut haben, hier dem Parlament die Un-
wahrheit über die Anwendung des § 19 des Atomgeset-
zes zu sagen, ist schon ein starkes Stück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Damals wollten Sie jede Gefahr für den Deal mit der
Atomwirtschaft ausschließen. Deshalb haben Sie die Si-
cherheitsanforderungen, die wir 2009 in Kraft gesetzt ha-
ben – die Arbeit daran wurde übrigens unter dem Kolle-
gen Trittin begonnen; ich habe sie dann abgeschlossen –,
abgeschafft.


(Zuruf des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Wir hätten sie übrigens damals gerne ganz ohne Weiter-
geltung der alten Sicherheitsanforderungen in Kraft ge-
setzt. Es handelte sich hier um einen Kompromiss, weil
die Ministerpräsidenten von CDU und CSU gesagt ha-
ben: Wir wollen überhaupt keine neuen Sicherheitsan-
forderungen. – Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damals haben wir gesagt: Damit keine Unsicherhei-
ten in der Atomwirtschaft auftreten, machen wir beides.
Wir lassen die alten weitergelten und erproben die
neuen. – Im Herbst letzten Jahres hätten Sie in der Tat
die alten völlig abschaffen müssen und die Bewertung
der Sicherheitslage deutscher Atomkraftwerke auf dem
heutigen Stand von Wissenschaft und Technik vorneh-
men müssen.


(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz!)


– Nein, das steht gerade nicht im Gesetz, Herr Kollege
Gröhe. – Die Menschen draußen wissen das nicht; das
darf man ihnen aber nicht vorwerfen. Aber wissen Sie,
wie viele Seiten das kerntechnische Regelwerk mit den
modernen Sicherheitsanforderungen umfasst? Über
1 000 Seiten. Da wird beschrieben, was die Kraftwerks-
betreiber bei der Notstromversorgung machen müssen.
Da wird beschrieben, was sie bei den Kühlsystemen ma-
chen müssen. Da wird beschrieben, wie sie Sicherheit
konkret verbessern. Das haben Sie abgeschafft. Sie ar-
beiten mit einem über 30 Jahre alten kerntechnischen
Regelwerk.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Gröhe, wenn Sie mit uns über so etwas reden, müs-
sen Sie immer davon ausgehen: Wir kennen die Rechts-
lage sehr genau.


(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)


Dann haben Sie in § 7 d des Atomgesetzes nur einen
Satz, der in Deutschland seit 1973 geltende Rechtslage
ist, hineingeschrieben, statt ein Regelwerk von 1 000
Seiten anzuwenden. Seit dem Urteil über Kalkar müssen
Sie das einhalten, was Sie in den § 7 d Atomgesetz hi-
neingeschrieben haben. Ich habe gar nichts dagegen,
dass das im Atomgesetz steht, aber daran mussten sich
vorher schon alle halten.

Schlimm ist, dass Sie die modernen Sicherheitsanfor-
derungen für die Prüfung von Kernkraftwerken außer
Kraft gesetzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum haben Sie das getan? Sie haben das getan, weil
die Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dass
eine ganze Reihe von Atomkraftwerken diesen moder-
nen Sicherheitsstandards nicht standhalten können, weil
die Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dass
die alten Meiler nicht auf den Stand von Wissenschaft
und Technik hochgerüstet werden können und dass sie
deshalb endgültig und bereits vor Ablauf der Restlauf-





Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

zeiten vom Netz hätten gehen müssen. Das hätte die Mil-
liardengeschäfte der Atomwirtschaft geschmälert, und
da haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, etwas gemacht,
was unverantwortlich ist: Sie persönlich haben Sicher-
heit gegen Geld getauscht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sagen jetzt, es gäbe eine tabulose Prüfung. Wenn
Sie mit völlig veralteten Sicherheitsanforderungen – mehr
als 30 Jahre alt – jetzt eine tabulose Prüfung beginnen
wollen, dann brauchen Sie damit gar nicht erst anzufan-
gen, außer Sie setzen als Allererstes das kerntechnische
Regelwerk 2009 wieder in Kraft. Das ist der erste Prüf-
stein für Ihre Glaubwürdigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Meiler, die wegen dieses kerntechnischen Regel-
werks vom Netz genommen werden müssten, wollen Sie
jetzt gerade einmal für drei Monate vom Netz nehmen.
Die wären aber schon weg, wenn Sie nicht mitgeholfen
hätten, Sicherheitsmängel in diesen Kernkraftwerken zu
vertuschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und des Abg. Jörg van Essen [FDP])


– Keine Sorge, wir können das alles belegen.

Derjenige, der Ihnen das aufgeschrieben hat, war ei-
ner der Cheflobbyisten der deutschen Atomindustrie.
Mit Herrn Hennenhöfer haben Sie ausgerechnet einen
Cheflobbyisten der Atomwirtschaft zum obersten Aufse-
her der Reaktorsicherheit in Deutschland gemacht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr glaubwürdig! – Zuruf von der SPD: So ist es!)


Herr Hennenhöfer ist bis heute im Amt und soll jetzt die
Sicherheitsüberprüfung vornehmen, die er vorher ver-
hindern wollte. Wenn Sie, Frau Merkel, auch nur einen
Funken Glaubwürdigkeit zurückerobern wollen, dann
müssen Sie ihn sofort entlassen. Das verlangen wir von
Ihnen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Merkel, nicht wir werfen Ihnen vor, dass Sie das
Recht beugen, sondern das tut inzwischen ein früherer
Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Ihr soge-
nanntes Moratorium wirft ja nicht nur energiepolitische,
sondern auch verfassungsrechtliche Fragen auf. Ich lese
Ihnen jetzt einmal vor, wie nach der öffentlichen Erklä-
rung Ihres Umweltministers § 19 Abs. 3 des Atomgeset-
zes angewandt werden soll, nämlich

… durch gemeinsames staatliches Handeln … nicht
durch Absprachen, nicht durch Verträge, sondern
unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Verantwor-
tung.
Wenn das so ist, Frau Merkel, dann will ich wissen, wie
die Rechtsakte aussehen. Das will ich allerdings nicht
von Ihrem Atomexperten Mappus in Baden-Württem-
berg wissen, der ja eine schizophrene Persönlichkeit ist,
nämlich Atomlobbyist und Atomaufsicht zugleich – ich
frage mich, wie das funktionieren soll –,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Na, na! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist im emotionalen Ausnahmezustand!)


sondern Sie, Herr Bundesumweltminister und Frau
Merkel, fordere ich auf, dem Parlament diese Rechtsakte
vorzulegen, und zwar in diesen Tagen, nicht erst in ein
paar Monaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn die Atomwirtschaft das akzeptiert, dann haben
Sie, Frau Merkel, einen historischen Erfolg erzielt, dann
haben Sie wirklich etwas durchgesetzt. Denn dann ist die
Atomwirtschaft zum ersten Mal bereit, zu akzeptieren,
dass festgestellt wird, dass von sieben ihrer Meiler eine
Gefahr für die Bevölkerung, für Leib, Leben und Ge-
sundheit ausgeht. Das wäre ein historisches Ereignis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, Sie haben § 19 Atomgesetz völlig zu
Recht zitiert. Die erste Handlung ist nun, dass Sie, Herr
Bundesumweltminister, den Atomkraftwerksbetreibern
die entsprechenden Anordnungen schicken, und zwar
durch die Länder. Wenn sie das nicht machen, dann müs-
sen Sie sie atomrechtlich weisen. Dann wollen wir ein-
mal sehen, ob die Atomwirtschaft das akzeptiert. Wenn
sie das machen: à la bonne heure!


(Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister: Na also!)


Dann haben Sie etwas Historisches erreicht. Wir haben
schon immer gesagt, dass von diesen alten Reaktoren di-
rekte Gefahren ausgehen. Das haben Sie und die Atom-
kraftwerksbetreiber immer zurückgewiesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn das allerdings nicht der Fall ist, dann haben Sie ei-
nen Deal gemacht. Dann wollen wir die Preise kennen.

Meine Damen und Herren, wir wollen also zunächst
wissen, wie das läuft.


(Zuruf von der CDU/CSU: Damit kennen Sie sich aus!)


Und dann stellt sich doch, was auch immer Sie jetzt der
Öffentlichkeit erzählen, die Frage: Wie glaubwürdig
sind Sie, wenn Sie das nur für drei Monate tun?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen erstens, dass das sicher ist und dass wir
das nach dem Atomgesetz abschalten, und zwar nicht
nur im Rahmen eines Moratoriums, sondern auf Dauer.


(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD])






Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Wir wollen zweitens zum Ausstiegsgesetz bis 2020
zurückkehren. Denn Ihre Laufzeitverlängerungen sind
keine Brücke, sondern eine Dauereinrichtung mindes-
tens bis 2035 und 2040. Das ist keine Übergangstechno-
logie. Deswegen wollen wir zum Gesetz zurück. Wir
wollen das nicht irgendwie durch einen zweiten Deal re-
geln lassen. Das Parlament ist das Gremium, das das zu
entscheiden hat.

Im Übrigen, Frau Merkel, wenn es stimmt, dass Sie
eine Energiewende wollen, warum haben Sie dann im
jetzigen Haushalt gar nichts dafür getan, außer die Mög-
lichkeiten für die Energiewende zu verschlechtern?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Das muss man der Öffentlichkeit einmal sagen. Sie ha-
ben am Mittwoch die Eckpunkte des Haushalts beschlos-
sen. Heute stellt sich die Kanzlerin hin und sagt, sie
wolle mehr für die Energiewende tun.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gestern!)


Jetzt sage ich Ihnen einmal, was in den Eckpunkten
steht: Gegenüber 2010 werden die Mittel zur Förderung
erneuerbarer Energien um 700 Millionen Euro runterge-
fahren,


(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)


werden die Mittel für das 100 000-Dächer-Solarstrom-
Programm um ein Drittel und für das Gebäudesanie-
rungsprogramm gegen zu hohen Energieverbrauch,
durch das die Menschen richtig Geld sparen könnten,
von 2,2 Milliarden Euro in 2009 auf unter 1 Milliarde
Euro gekürzt. Das ist die Wahrheit über das, was Sie da
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gestern, einen Tag nach Verkündigung Ihrer Ener-
giewende, haben Sie dem Kabinett die Eckpunkte vorge-
legt und zugestimmt. Sie hätten doch diesen Beschluss,
Frau Merkel, eigentlich verschieben müssen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Sie hätten doch sagen müssen: „Jetzt machen wir einmal
ein ordentliches Programm“, oder: „Wir lassen wenigs-
tens die Mittel da, wo sie bisher waren“. Nichts davon
haben Sie getan. Es ist einfach so, dass man nicht einmal
mehr weiß, ob Sie Ihre eigenen Widersprüche eigentlich
noch erkennen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Glaubwürdigkeit von Politik – ich weiß, dass das
nicht Ihnen allein zugeordnet wird, sondern die Men-
schen leider immer über „die Politiker“ reden – leidet
enorm, Frau Merkel, wenn Sie dieses Maß an Unseriosi-
tät zur Messlatte Ihrer Politik machen. Man kann sich
auf nichts verlassen, was Sie sagen. Deshalb können und
wollen wir uns auch nicht darauf verlassen, dass Sie in
drei Monaten zu klügeren Entscheidungen gekommen
sind als noch drei Monate zuvor. Wir wollen deshalb im
Parlament entscheiden, weil bei Ihnen nicht sicher ist,
was Sie denn morgen denken. Mal sind Sie gegen den
Euro-Rettungsschirm, mal dafür.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mal sind Sie für Steuersenkungen, mal dagegen. Mal
sind Sie für Atomenergie, mal dagegen. Weil wir uns
nicht auf Sie verlassen können, wollen wir hier im Parla-
ment selber entscheiden und nicht Ihnen vertrauen. Da-
rum geht es hier in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Mehrheit ist Mehrheit!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709600600

Herr Kollege Gabriel, achten Sie freundlicherweise

auf die Redezeit.


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1709600700

Das mache ich.

„Mehrheit ist Mehrheit“, sagt Ihr Kollege. Das zeigt
ja schon, worauf Sie hinauswollen.


(Zurufe von der SPD)


Der Zwischenruf ist interessant. „Mehrheit ist Mehr-
heit“, sagt er. Das heißt, Sie wollen den Ausstieg nicht.
Ich glaube, dass Sie da die Wahrheit sagen.


(Zuruf von der SPD: Gar nichts wollen sie!)


Ich sage Ihnen: So kann man auf Dauer keine Politik
machen. Sie versuchen nur, jetzt wahltaktisch mit den
Ängsten der Menschen umzugehen.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Damit macht ihr Wahlkampf!)


Das ist etwas, was die Bevölkerung in Deutschland
merkt. Der Titel der Zeit heute ist die Überschrift für das,
was Sie eigentlich machen müssten: „Keine Lügen
mehr!“, Frau Bundeskanzlerin.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709600800

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1709600900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

alle stehen unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan.
Diese epochale Naturkatastrophe hat Tausende Tote ge-
fordert, Tausende Verletzte, zigtausendfaches menschli-
ches Leid. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen bei
unseren japanischen Freunden. Unsere Anteilnahme und
unser Mitgefühl gelten den Hinterbliebenen. Die Bilder,





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

die wir sehen, zeigen das Ausmaß der Zerstörung: Ganze
Städte sind durch den Tsunami wie weggespült. Diese
Bilder begleiten viele von uns tagtäglich in den Gedan-
ken, genauso das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber ei-
ner solchen Naturkatastrophe.

Angesichts einer solch beispiellosen Katastrophe
sollte man einmal innehalten und die Frage aufwerfen,
was in einer solchen Situation tatsächlich zuerst gefor-
dert ist, was wichtig ist. Während die Menschen in Japan
versuchen, diese Situation mit einer bewundernswerten
Disziplin zu bewältigen, und in anderen Ländern das
Mitgefühl an erster Stelle steht, führt die Opposition hier
eine Debatte, die geradezu dazu führen muss, dass die
Menschen in diesem Land Angst bekommen, dass sie
den Eindruck bekommen, das Problem, die Katastrophe,
sei hier. Nein, die Katastrophe ist in Japan. Die Men-
schen in Japan brauchen jetzt in der akuten Phase und
bei der Bewältigung langfristiger Folgen unsere Unter-
stützung. Deshalb ist es gut, dass der Krisenstab der
Bundesregierung unter Leitung von Außenminister
Westerwelle sofort Hilfe gegeben und diese Hilfe in den
Vordergrund gestellt hat. An einem solchen Tag ist es
wichtig, an dieser Stelle den Helfern ein herzliches Dan-
keschön zu sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind uns vollkommen einig darüber, dass ange-
sichts der dramatischen Ereignisse in den japanischen
Kernkraftwerken nicht einfach zur Tagesordnung über-
gegangen werden kann. Nun höre ich immer wieder, wir
müssten die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Ja, die
Sorgen der Menschen sind auch unsere Sorgen; sie sind
die Sorgen jedes einzelnen Kollegen und jeder einzelnen
Kollegin hier in diesem Haus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist richtig, dass die Regierung in einer solchen Si-
tuation schnell und besonnen handeln muss. Wir sind
uns bewusst, dass wir über den Tag hinaus Verantwor-
tung tragen. Insofern ist das Moratorium zum Zweck der
Sicherheitsüberprüfung richtig. Ich bin dankbar dafür,
dass die Bundesregierung sofort die Initiative ergriffen
hat, um eine solche Überprüfung auch auf europäischer
und internationaler Ebene anzustoßen; das ist in glei-
chem Maße notwendig wie hier in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnisse
darüber, wie sich die Abläufe in den japanischen Kern-
kraftwerken tatsächlich darstellen, aber wir haben erste
Erkenntnisse: Es gab Probleme trotz Mehrfachredundan-
zen beim Kühlsystem und bei den Notstromaggregaten.
Die FDP erwartet, dass die Überprüfung, die jetzt durch-
geführt wird, den neuesten Sicherheitsstandards ent-
spricht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Gabriel, Sie haben hier davon gesprochen, dass
die Bundesregierung etwas „mit den Herren der Atom-
wirtschaft im Hinterzimmer“ ausgehandelt habe. Des-
halb will ich nochmals aus der Vereinbarung zitieren:

Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und
Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter
gewährleistet; die Bundesregierung wird keine Ini-
tiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und
die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphiloso-
phie zu ändern.

Dieser Vertrag, Herr Gabriel, trägt die Unterschrift von
Herrn Schröder und Herrn Trittin und ist von Herrn
Steinmeier mit ausgehandelt worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn jemand etwas „mit den Herren der Atomwirtschaft
im Hinterzimmer“ ausgehandelt hat, dann sind Sie es,
nicht diese Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Was stört Sie an dem Satz?)


Sie haben einen Sicherheitsrabatt gewährt, und jetzt ge-
rieren Sie sich hier als Moralinstanz.

Wir haben bei der Änderung des Atomgesetzes im
letzten Jahr erstmals in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland die Sicherheitsanforderungen dynami-
siert,


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Verdünnisiert haben Sie sie!)


indem wir den § 7 d in das Atomgesetz eingefügt haben.
Sie haben hier kritisiert, dass das nur zwei Zeilen seien.
Ein Paragraf hat in der Regel auch nur wenige Zeilen.
Dieses Gesetz wird aber selbstverständlich ausgefüllt
mit einem untergesetzlichen Regelwerk, das den neues-
ten, modernsten Standards entspricht. Das ist die Sicher-
heitsphilosophie, die wir anlegen, und diese hohen Si-
cherheitsstandards werden jetzt nochmals überprüft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das haben die Leute Ihnen falsch aufgeschrieben!)


Mit uns wird es keinen Sicherheitsrabatt geben. Mit
uns wird es aber auch kein hektisches Überbordwerfen
aller Entscheidungen geben. Wir machen erst eine ergeb-
nisoffene Prüfung, und danach werden wir die Konse-
quenzen ziehen. Ich glaube, dass das ein angemessenes,
überlegtes und konsequentes Vorgehen ist.

Diejenigen, die die sofortige Abschaltung der Kern-
kraftwerke fordern, nehmen für sich in Anspruch, im Be-
sitz der Wahrheit zu sein. Das hat sich auch in der De-
batte heute Morgen gezeigt. Sie sprechen anderen
verantwortungsvolles Handeln ab.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Frau Homburger!)






Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

– Herr Kuhn, weil Sie gerade dazwischenrufen, will ich
Ihnen sagen: Ich finde ein solches Verhalten unerträg-
lich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Was haben wir uns von Ihnen anhören müssen?)


Die Wahrheit ist, dass die Kernkraftwerke auf Basis
einer Risikoanalyse betrieben werden. Dieses Risiko ha-
ben wir unter hohen Sicherheitsauflagen in der Vergan-
genheit als verantwortbar betrachtet. Das gilt nicht nur
für die Koalition, sondern auch für Grüne und SPD. Da-
durch, dass Sie einen Atomkonsens vorgelegt haben, ha-
ben Sie deutlich gemacht, dass die Kernkraftwerke auch
aus Ihrer Sicht weiterbetrieben werden können. Sie ha-
ben gezeigt, dass auch Sie nach einer Risikoanalyse zu
dem Schluss kamen, dass der Betrieb technisch verant-
wortbar ist. Sonst hätten Sie eine solche Entscheidung
nicht treffen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Genau so ist es!)


Genauso richtig ist es, dass jetzt eine Neubewertung die-
ser hohen Sicherheitsstandards angezeigt ist. Es ist rich-
tig, noch einmal darüber nachzudenken, ob noch mehr
getan werden muss. Genau das tun wir.

Herr Gabriel, Sie haben Ihre bemerkenswerte Rede
mit einer Vielzahl von Diffamierungen gespickt. Sie ha-
ben gesagt, dass die Regierung Sicherheitsprobleme ver-
tuscht hat, dass Tricks der Atomwirtschaft gebilligt wer-
den, und Sie haben von Deals gesprochen. Sie sprechen
denen, die zu einem anderen Ergebnis kommen, die Ehre
und die Verantwortung ab. Deshalb will ich Ihnen in al-
ler Ruhe, aber auch mit allem Nachdruck sagen: Diese
Debatte wird von Ihnen in einem Duktus geführt, der
Anstand und den nötigen Respekt vor der Meinung an-
derer vermissen lässt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Auch die Emotionalität dieser Debatte rechtfertigt ein
solches Vorgehen nicht. Das ist ein erschreckendes Bei-
spiel für Ihr Verständnis von demokratischer Kultur und
zeigt, dass Sie nicht regierungsfähig sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir über das Energiekonzept sprechen, dann
sprechen wir über Versorgungssicherheit, über Bezahl-
barkeit und über Umweltverträglichkeit. Deshalb müs-
sen wir auch einmal darüber reden, was passiert, wenn
diese sieben Kernkraftwerke jetzt vorübergehend stillge-
legt werden. Wir wollen vor allen Dingen eines nicht:
Wir wollen nicht, dass Stromimporte aus Kernkraftwer-
ken, die weniger sicher sind, in Deutschland als Ersatz
dienen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Augenblick führt das Stilllegen dieser Kernkraft-
werke dazu, dass in der Grundlast ein Ausgleich durch
eine stärkere Nutzung von Steinkohle und Erdgas, also
durch fossile Energieträger, erfolgt. Wenn dieser Aus-
gleich je zur Hälfte durch Steinkohle und Erdgas erfolgt,
dann verursacht diese dreimonatige Abschaltung zusätz-
lich 6,3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. So viel zum
Thema Klima. Auch das muss in einer solchen Debatte
deutlich gemacht werden. Wir brauchen einen Ausgleich
zwischen den verschiedenen Zielen. Dieser Ausgleich
muss auch in Zukunft berücksichtigt werden. Deshalb
rate ich Ihnen dringend, Ihre Position zur Energiepolitik,
beispielsweise bezogen auf die Modernisierung von
Kohlekraftwerken, zu überdenken.

Es gibt mittlerweile eine hocheffiziente neue Genera-
tion von Kohlekraftwerken, die deutlich weniger CO2-
Emissionen ausstoßen. Wenn wir die alten Kraftwerke
durch diese neuen ersetzen würden, dann könnten wir an
dieser Stelle hinsichtlich der Grundlast weiterkommen.
Sie sind es, die im Augenblick in Nordrhein-Westfalen
diese hocheffiziente Technik verhindern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, und
auch unser Energiekonzept sieht vor, dass die Nutzung
der Kernenergie ausläuft. Aber wir wollten eben nicht
nur vom Zeitalter der erneuerbaren Energien träumen,
sondern wir haben auch gesagt, wir müssen ein Gesamt-
konzept haben, wie das tatsächlich erreicht werden kann.
Dieses Gesamtkonzept haben wir im letzten Jahr vorge-
legt.

Wir wollen unser Ziel schneller erreichen, aber dann
müssen wir in der Tat über Wasserkraftwerke sprechen,
die von der Opposition bekämpft werden,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


dann müssen wir über Biogasanlagen sprechen, die von
den Grünen bekämpft werden, und dann müssen wir
über die Nutzung von Windenergie sprechen, die wir ge-
rade auch offshore ausbauen wollen. Das haben wir im
Energiekonzept festgelegt. Nur, wenn das kommt, dann
muss man auch dafür sorgen, dass diese Energie zum
Verbraucher kommt, indem die Leitungen entsprechend
ausgebaut werden.


(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])


Deshalb ist es notwendig, dass wir über diese Frage
sprechen und hier auch ein Gesetz auf den Weg bringen,
das diesen Leitungsausbau beschleunigt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es ganz bemerkenswert, dass jetzt in dem
Energiekonzept der SPD Geld aus dem Bundeshaushalt
für den Leitungsausbau gefordert wird. Das brauchen
wir nicht. Dafür gibt es Netzentgelte.

Ich will Ihnen deutlich sagen: Der Netzausbau, der
zwingend notwendig ist, um die erneuerbaren Energien
weiter voranzutreiben, ist bisher nicht am Geld geschei-
tert, er ist am Protest gescheitert. Zwischenzeitlich zeigt
sich in Deutschland: Stuttgart 21 ist überall, die Dage-





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)

gen-Gesellschaft hat sich unter Führung von SPD und
Grünen etabliert.


(Widerspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist die Gretchenfrage an die Opposition, ob
auch Sie zum Umdenken bereit sind, um ein neues Ener-
giekonzept auf den Weg zu bringen. Beenden Sie den
Dauerprotest


(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


gegen die Modernisierung der deutschen Energieland-
schaft!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von der Opposition, wir
wollen diese Situation, diese schwierige Lage zum An-
lass nehmen, neu nachzudenken. Wir haben unser Ener-
giekonzept überdacht. Wir haben jetzt angeordnet, dass
es nochmals eine Sicherheitsüberprüfung aller Kern-
kraftwerke gibt, und zwar unter Einbeziehung der Er-
kenntnisse aus diesem Unglück in Japan.

Ich sage ganz deutlich: Wir wollen das Zeitalter er-
neuerbarer Energien schneller erreichen. Sie sind gefor-
dert, dazu beizutragen. Wie glaubwürdig Ihre Position
ist, wird daran gemessen, ob auch Sie bereit sind, umzu-
denken.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709601000

Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709601100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japan

ist eine furchtbare, unvorstellbare Katastrophe passiert.
Die Menschen erlebten ein schweres Erdbeben und in
dessen Folge einen Tsunami mit Tausenden Opfern,
Hunderttausenden Obdachlosen und verheerenden Zer-
störungen. Nun werden sie auch noch einen Super-GAU
mit unvorstellbaren Folgen erleben. Millionen Men-
schen können durch die Radioaktivität an Krebs erkran-
ken – mit allen Folgen.

Dies geschieht den Japanerinnen und Japanern, die als
Einzige schon die furchtbaren Leiden eines Atombom-
beneinsatzes durch die USA 1945 auf Hiroshima und
Nagasaki erleben mussten. Wir trauern um die zahlrei-
chen Opfer. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehöri-
gen.

Es ist aber unvorstellbar und unverantwortlich, dass
gerade nach den schrecklichen Erlebnissen 1945 japani-
sche Konzerne und japanische Politik den vielfachen
Bau von Atomkraftwerken vorantrieben. Japan hätte der
erste Verweigerer sein müssen.


(Beifall bei der LINKEN)

Aber nun ist die Katastrophe geschehen. Durch keine
Kritik wird sie ungeschehen. Es trifft vornehmlich im-
mer Unbeteiligte und Unschuldige. Unsere gemeinsame
erste Entscheidung muss sein, den Menschen in Japan
jegliche mögliche Hilfe zu leisten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Ereignis in Japan ist eine Zäsur, ein Zivilisations-
bruch in der Geschichte des industriell-kapitalistischen
Zeitalters. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts
gelang es deutschen Physikern im Laborversuch, die
erste künstliche radioaktive Kernspaltung auszulösen.
Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die erste daraus
folgende Katastrophe war die Entwicklung der Atom-
bombe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zwischen
der militärischen und der friedlichen Nutzung der Atom-
energie unterschieden. In den 50er-Jahren setzten die In-
dustriestaaten, das heißt sowohl die kapitalistischen als
auch die staatssozialistischen Länder, auf die friedliche
Nutzung der Atomenergie. Doch die Unterscheidung
zwischen unfriedlicher und friedlicher Atomenergie ist
aus zwei Gründen falsch und mit hohen Risiken verbun-
den, die weder beherrschbar noch kontrollierbar sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Erstens. Wer über die Technologie der friedlichen
Nutzung der Atomenergie verfügt und aus AKW Strom
erzeugen kann, ist potenziell in der Lage, auch Atom-
waffen herzustellen. Wir wissen, dass trotz des Nichtver-
breitungsvertrages inzwischen mehr Staaten als die fünf
damaligen Atommächte über Atomwaffen verfügen. Au-
ßer den USA, Russland, China, Großbritannien und
Frankreich verfügen auch Pakistan, Indien und Israel
über Atomwaffen. Die Beispiele Iran und Nordkorea zei-
gen, dass diese Gefahren nicht beseitigt sind. Es muss
endlich konsequent damit begonnen werden, alle Atom-
waffen in dieser Welt zu vernichten. Erst dann hat die in-
ternationale Gemeinschaft das Recht, weltweit den Bau
neuer Atomwaffen zu unterbinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Mit der Unterscheidung zwischen militäri-
scher und friedlicher Nutzung der Atomkraft gab man
sich dem Trugschluss hin, dass die militärische Nutzung
viel riskanter wäre. In vielen Industriegesellschaften,
insbesondere in Frankreich und Japan, erzielte die fried-
liche Nutzung der Atomkraft zur Stromerzeugung eine
hohe Akzeptanz. Diese Akzeptanz beruhte darauf, dass
man die Risiken bei der friedlichen Nutzung für be-
herrschbar hielt, sich einen GAU oder gar einen Super-
GAU nicht vorstellen konnte. Die Unterscheidung zwi-
schen gutem und schlechtem Uran ist falsch. Beides – der
Abwurf einer Atombombe wie ein nicht vorhersehbarer
Unfall in einem Atomkraftwerk – ist hinsichtlich der
Folgen nicht beherrschbar. Unsere Zivilisation kann
stark beschädigt, sogar vernichtet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Frage stellt sich: Hätten wir alle – die Verantwort-
lichen in Japan, in Deutschland und in allen anderen
Ländern – nicht klüger und sehr viel vorsichtiger sein





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

müssen? Es gab den Atomunfall im AKW Three Mile
Island bei Harrisburg in den USA im Jahre 1979. Dort
trat – auch ohne Erdbeben, ohne Tsunami – bereits eine
begrenzte Kernschmelze ein, weil die Kühlsysteme ver-
sagten. Dann kam die unvorstellbar große Katastrophe
von Tschernobyl vor 25 Jahren mit einer vollständigen
Kernschmelze. Noch immer glüht dieser Reaktor umge-
ben von einem Betonsarkophag vor sich hin. Die genaue
Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt.

Diese deutlichen Warnungen wollten nicht verstanden
werden. Harrisburg wurde nicht wirklich ernst genom-
men und bei Tschernobyl einfach die Unfähigkeit der
Russen und der Staatssozialisten unterstellt. Im Unter-
schied dazu – so konnte man es lesen – bauen die Japa-
ner, die Deutschen und andere nur höchst sichere Atom-
kraftwerke, bei denen nichts passieren könne. Nun sind
wir in Japan auf tragische Weise vom Gegenteil über-
zeugt worden. Wir alle dürfen und müssen eine einzige
logische Konsequenz ziehen: Der 11. März 2011 muss
das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeleitet ha-
ben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist nicht nur eine wissenschaftlich-technische,
sondern auch eine politische, eine Macht- und eine
Menschheitsfrage. Die Atomindustrie besteht aus Unter-
nehmen, die die AKW bauen, und Unternehmen, die die
AKW betreiben. Diese besitzen nicht nur finanzielle und
ökonomische Macht, sie haben nicht nur beträchtlichen
Einfluss auf politische Entscheidungen; sie dominieren
diese und damit auch die Bundesregierung und eine
große Zahl von Abgeordneten.

Schon die Bundesregierung aus SPD und Grünen
traute sich nicht, den Atomausstieg einfach per Gesetz
im Bundestag durchzusetzen. Sie ließ sich auf Verhand-
lungen mit der Atomlobby ein und schloss mit ihr einen
Ausstiegskompromiss ab. Warum, Herr Trittin, konnten
Sie und Ihre sozialdemokratischen Mitstreiter den Atom-
lobbyisten nicht einfach sagen, dass die Mehrheit des
Bundestages entscheiden wird? Wir sind das höchste de-
mokratisch gewählte Organ der Bundesrepublik
Deutschland. Warum feilschten Sie mit den nicht ge-
wählten Atomlobbyisten herum, bis Sie einen unzurei-
chenden Ausstiegskompromiss erzielten?


(Beifall bei der LINKEN)


Warum haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, diesen
Kompromiss auch noch aufgekündigt und auf Drängen
der Atomlobbyisten die Verlängerung der Laufzeiten der
Atomkraftwerke beschlossen? Es ging um nichts anderes
als um Extraprofite der Stromkonzerne Eon, EnBW,
RWE und Vattenfall in Höhe von 120 Milliarden Euro.
Diese Lobbyistenpolitik gefährdet unsere Demokratie.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Frau Bundeskanzlerin, besitzen Sie doch die Souverä-
nität, den Mut, den Atomlobbyisten klar und deutlich zu
widersprechen, sich hier hinzustellen und Ihren Irrtum
hinsichtlich der Risikogefahren einzuräumen und den
unverzüglichen Ausstieg aus der Gewinnung der Atom-
energie zu verkünden. Nur das entspräche Ihrem Amts-
eid. Nur das könnte Schaden von unserer Bevölkerung
abwenden. Nur dann verhielten Sie sich wie eine Bun-
deskanzlerin für das gesamte Volk. Ihre heutige Erklä-
rung spricht noch nicht für Ihre Bereitschaft, diesen
notwendigen Weg zu gehen. Ein dreimonatiges Morato-
rium, unabhängig von der rechtlichen Bewertung,
täuscht und hilft nicht weiter. Wir brauchen keine vo-
rübergehende, sondern eine endgültige Abschaltung der
Atomkraftwerke.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Unabhängig davon müssen Sie unverzüglich und sofort
einen Strompreisstopp durchsetzen. Die Konzerne haben
genügend Profitpolster. Sie müssen die Verluste tragen,
nicht die Bürgerinnen und Bürger und nicht die anderen
Unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Politik muss wieder für die Strompreiskontrolle zu-
ständig werden.

Meine Damen und Herren von der SPD und von den
Grünen, Sie haben beim Bundesverfassungsgericht eine
Normenkontrollklage eingereicht, weil Ihr früherer
Atomkompromiss von der Mehrheit des Bundestages
unter Ausschluss des Bundesrates aufgekündigt wurde.
Diesen Ausschluss und andere Regelungen halten Sie
und wir für grundgesetzwidrig. Wir haben Ihnen angebo-
ten, diese Normenkontrollklage gemeinsam zu erarbei-
ten. Sie haben dies abgelehnt mit dem Hinweis, das sei
Ihr Thema und nicht unseres. Sie haben tatsächlich nicht
begriffen, dass dies ein Thema für die gesamte Bevölke-
rung, auch für den linken Teil der Bevölkerung ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben uns vorgestern, auch im Angesicht der gewal-
tigen Katastrophe, erklärt, dass wir die Klage nur dann
mit unterschreiben dürften, wenn wir trotz Ihres Beteili-
gungsverbots ein Drittel der Kosten übernähmen. Über-
winden Sie Ihre Kleinkariertheit! Überwinden Sie Ihren
Egoismus! Überwinden Sie Ihren Egozentrismus! Las-
sen Sie alle, die es wollen, unterschreiben!


(Beifall bei der LINKEN)


Sie können nicht bei Ihrem alten Kompromiss – mit
Ausnahme der älteren und pannengeprägten AKW –
bleiben. Auch die neueren AKW können nicht mit lan-
gen Fristen – Herr Gabriel, auch nicht zehn Jahre – wei-
terlaufen. Auch Sie müssen sich einen Ruck geben und
begreifen, dass das nukleare Zeitalter nicht irgendwann,
sondern unverzüglich zu beenden ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht nicht nur um die Frage des Ausstiegs, sondern
zugleich auch darum, ob sich die Politik endlich gegen
die Atomindustrie durchsetzt, ob diesbezüglich das Pri-
mat der Politik hergestellt, die Demokratie wieder funk-
tionsfähig wird. Im letzten Jahr konnte während der Fi-
nanzkrise jeder erleben, dass die Spekulanten und
Bankenchefs das Geschehen und die Politik dominier-





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

ten. Diese sind eng mit den Atomlobbyisten verbunden.
Gemeinsam scheinen sie eine kaum zu durchdringende
ungeheuerliche Macht zu besitzen. Aber sie haben nur
ein wirkliches Interesse: die Steigerung ihres Profits.
Nur wenn die Politik den Mut und die Kraft entwickelt,
die Dominanz dieser Spekulanten, Bankenchefs, Atom-
lobbyisten und anderer Konzernlobbyisten zu durchbre-
chen und den Vorrang der demokratischen Institutionen
zu sichern, sind wir für unsere Bevölkerung tätig, retten
wir unsere Demokratie und werden wir unserer Funktion
als Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Bundestag
gerecht!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert: Erstens. Wir brauchen unverzüg-
lich ein Konzept für die mögliche Hilfe gegenüber den
Japanerinnen und Japanern. Diese Hilfe ist auch zu leis-
ten.

Zweitens. Die Nutzung der Atomkraft für militärische
Zwecke und zur Energieerzeugung muss grundsätzlich
ausgeschlossen werden, um den Ausstieg unumkehrbar
zu machen. Deshalb brauchen wir diese Verpflichtung
im Grundgesetz.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Verbot der Nutzung von Atomenergie ist Bestandteil
der Verfassung von Österreich, einem Mitgliedsland der
EU. Es ist also machbar, wenn der politische Wille dazu
vorhanden ist.

Drittens. Die ältesten und pannengeschüttelten acht
AKW sind sofort und auf Dauer stillzulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es handelt sich um Biblis A, Neckarwestheim 1,
Biblis B, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg 1
sowie Krümmel. Die verbleibenden neun AKW sind un-
verzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Verzögern, still-
zulegen. Hierzu muss die Bundesregierung einen ent-
sprechenden Atomausstiegsgesetzentwurf bis spätestens
30. April 2011 vorlegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Verboten werden muss der Export von
Atomtechnologie. Siemens und andere Unternehmen ha-
ben auch für die AKW in Japan Ausrüstungen geliefert.
Sie müssen verpflichtet werden, diesen Produktionszy-
klus stillzulegen und aus der Technologie auszusteigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ebenso ist folgerichtig, Frau Bundeskanzlerin, dass wir
keinen Atomstrom importieren dürfen.

Fünftens. Die Bundesregierung muss sich für die Auf-
lösung des Euratom-Vertrages einsetzen, damit die damit
einhergehende Förderung der Atomenergie beendet
wird.

Sechstens. Wir fordern einen Strompreisstopp


(Lachen bei der FDP)


und die Wiedereinführung der Strompreisregulierung
durch die Politik statt durch die Energiekonzerne.


(Beifall bei der LINKEN)

Siebtens. Wir brauchen unverzüglich ein Energiekon-
zept der Zukunft, das mit unabhängigen Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftlern, Umweltverbänden und
kommunalen Energieversorgern erarbeitet werden muss,
also nicht mehr die Handschrift der Energiekonzerne tra-
gen darf. Dazu gehören aus unserer Sicht ein Sofortpro-
gramm für die erneuerbaren Energien, ein umfassendes
Energieeffizienzprogramm, ein Netzumbauplan, die Ent-
wicklung und Etablierung effizienter Speichertechnolo-
gien und eine Dezentralisierung und Rekommunalisie-
rung der Energieerzeugung.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo!)


Achtens. Die Bundesregierung muss sich bei der Or-
ganisation der Vereinten Nationen und der Europäischen
Union entschieden für einen weltweiten bzw. europäi-
schen Ausstieg aus der Atomenergie für militärische
Zwecke sowie zur Energiegewinnung einsetzen. Das
Gleiche gilt für ein Moratorium für sämtliche weltweit
bzw. europaweit geplanten Neubauten von Atomanlagen –
egal ob für militärische Zwecke oder zur Energiegewin-
nung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine Volksinitiative der europäischen Völker zu diesen
Fragen wäre sehr zu begrüßen.


(Beifall bei der LINKEN)


Heute haben wir die Chance, zu beweisen, dass wir
spät – für die Japanerinnen und Japaner zu spät – Lehren
aus Ereignissen ziehen können. Heute können wir be-
weisen: Der Deutsche Bundestag entscheidet nicht län-
ger im Interesse der Atomlobbyisten, sondern im Inte-
resse der Bevölkerung unseres Landes und sendet zur
Lösung einer Menschheitsfrage ein wichtiges Signal
weit über Deutschland hinaus.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709601200

Das Wort hat nun der Kollege Volker Kauder für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1709601300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wenn man abends die Nachrichten einschaltet oder tags-
über im Büro einen Blick auf das Fernsehgerät wirft,
kann man die Bilder, die aus Japan zu uns herüberkom-
men, kaum aushalten. Man kann sich buchstäblich vor-
stellen, wie man selber in einer solchen Situation reagie-
ren würde, welche Sorgen und Ängste man um sich,
seine Familie, seine Kinder hätte.

Gleichzeitig erlebt man Menschen, die in einer Ruhe,
wie ich sie bei solchen Katastrophen bisher noch nicht
erlebt habe, versuchen, ihr Land wieder aufzubauen und
die Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann nur sagen:
Man ist betroffen und beeindruckt zugleich. Die Bilder,
die aus Japan kommen, verschlagen einem die Sprache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Vor diesem Hintergrund habe ich es als eine völlig
normale Reaktion betrachtet, dass der Parteivorsitzende
der SPD, Gabriel, am Sonntag gesagt hat, dass man ge-
nau dieses Unfassbare, was in Japan geschehen ist, nicht
instrumentalisieren darf. Ich fand das eine bemerkens-
werte Aussage, Herr Gabriel. Leider Gottes hat sie nur
ein paar Stunden gehalten. Das ist das Traurige daran.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich ist doch völlig klar, dass man sich die Frage
stellt: Wie geht es nach diesem Drama in Japan weiter –
in diesem Land, in Deutschland, in Europa und überall in
der Welt? Als ob es nicht schon genug gewesen wäre,
dass durch Erdbeben und Tsunami ein Teil des Landes
einfach weggespült wurde, kommt jetzt auch noch dieses
Drama um das Kernkraftwerk in Japan hinzu.

Um es noch einmal klar zu sagen, Herr Gabriel: Ihre
Aussage stimmt nicht. Wir haben in unserem Energie-
konzept klar formuliert: Ausstieg aus der Kerntechnolo-
gie und Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Ener-
gien. Das war vor den Ereignissen in Japan, Herr
Gabriel, nicht danach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Montagmorgen!)


Ich glaube, dass die Menschen für die Schlachten der
Vergangenheit überhaupt kein Verständnis haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es kommt auch gerade nicht darauf an, zu sagen, ob man
recht gehabt hat oder nicht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn Frau Merkel gesagt?)


Es kommt jetzt auf die entscheidende Frage an: Was ler-
nen wir und was müssen wir aus dem konkreten Vorgang
lernen, und wie sieht die Zukunft der Energieversorgung
in unserem Land und in Europa aus? Das ist die ent-
scheidende Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Um eine solche Diskussion nach diesem Aufwühlen-
den, das wir aus Japan sehen, wirklich ernsthaft führen
zu können, war es richtig, Frau Bundeskanzlerin, das Si-
gnal zu geben: Wir meinen es ernst mit der Überprüfung,
wir machen nicht einfach so weiter, sondern wir haben
deswegen ein Moratorium beschlossen, sodass wir einen
Teil aussetzen und noch einmal genau überprüfen, wie
die Lage nach den Ereignissen in Japan jetzt aussieht. –
Das ist richtig, und das tragen wir aus den Koalitions-
fraktionen auch mit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich hat es im Vorfeld dieses Energiekonzeptes
Diskussionen über die Frage gegeben, wie Laufzeiten
ausgestaltet werden sollen – auch in unserer Fraktion.
Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, von dem wir der
Meinung sind, dass es in der konkreten Situation richtig
war. Umso beeindruckter und dankbarer war ich dann
darüber – das muss ich auch einmal sagen –, dass der
Antrag, der heute vorgelegt wird, am letzten Dienstag in
unserer Fraktionssitzung einstimmig verabschiedet
wurde. Das zeigt: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
steht geschlossen hinter dem, was die Bundeskanzlerin
heute Morgen vorgetragen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Reden Sie zum Bundestag oder zu Ihrer Fraktion?)


Natürlich erlebe ich Diskussionen, in denen Fragen
gestellt werden. Das ist völlig in Ordnung. Wir haben
uns auf ein Moratorium, eine Denkpause, verständigt.
Dieses Moratorium kann man nur dann ernsthaft durch-
führen, wenn man nicht schon beim Start weiß, was am
Ende herauskommen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das wäre keine Überprüfung, sondern die Fortsetzung
einer Ideologie,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer ist denn der Ideologe?)


die wir jetzt gerade nicht brauchen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind der Oberideologe, Herr Kauder!)


Natürlich wissen wir, dass es trotz aller Sicherheitsan-
forderungen – und ich bin der Überzeugung, dass wir
jetzt schon die sichersten Kernkraftwerke haben – in die-
ser Technologie ein Restrisiko geben kann und gibt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt?)


Es wird die Frage zu klären sein: Welches Restrisiko tra-
gen wir?

Ich will Ihnen von Rot-Grün einmal etwas sagen:


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie uns was! Her damit!)


Es ist unglaublich, wie Sie sich aufführen. Sie sagen,
Kernenergie sei nicht verantwortbar, haben aber in Ih-
rem rot-grünen Kompromiss zur Kernenergiepolitik die
Kernkraftwerke 20 Jahre lang weiter am Netz gehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was gilt nun eigentlich? Sie haben sich damals – Herr
Trittin spricht ja gleich –, als Sie ausgestiegen sind, die-
sen Ausstieg mit Verzicht auf Sicherheit erkauft, meine
Damen und Herren von Rot-Grün.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Wir haben immer formuliert: Wir wollen, dass an der
Sicherheit keinerlei Abstriche gemacht werden. Deswe-
gen habe ich die Differenzierung zwischen alten und
neuen Kernkraftwerken nie akzeptiert.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt schon!)






Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Ein Kernkraftwerk muss die bestmögliche Sicherheit ha-
ben, ganz egal, wie jung oder wie alt es ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es überzeugt nicht, wenn Sie sagen: Die alten nehmen
wir vom Netz, ohne zu prüfen, ob sie sicher sind, und die
neuen lassen wir einfach weiterlaufen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Politik heißt: Sicherheit zuerst! Das ist unser
Motto.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Danach verfahren wir jetzt auch in dem Moratorium.
Dieses Moratorium ist nichts anderes als die Konkreti-
sierung unserer Aussage „Sicherheit zuerst“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist rich-
tig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir können
nicht blauäugig nach dem Motto „Sicherheit zuerst“ nur
in Deutschland verfahren. Wir sind umgeben von Kern-
kraftwerken, zum Beispiel von Kernkraftwerken im
Oberrheingraben, auf der anderen Seite des Rheins. Dort
müssen die Fragen nach der Sicherheit genauso gestellt
werden. Die Frage der Sicherheit der Kernenergie ist
keine nationale, sondern inzwischen eine weltweite He-
rausforderung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sämtliche kleinkarierte Diskussionen nützen da über-
haupt nichts.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709601400

Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Schlecht?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1709601500

Es ist ebenfalls klar, dass wir in dem Moratorium

nicht nur die Frage „Sicherheit zuerst“, sondern auch die
Frage nach der Sicherstellung der Energieversorgung
stellen müssen und werden. Es ist völlig klar, dass wir in
einem Land, das die Arbeitslosigkeit durch den Erfolg
der Industrie überwunden hat, nicht so tun können, als
ob Industrie und Sicherheit von Arbeitsplätzen mit der
Energieversorgung nichts zu tun hätten. Das geht auf
keinen Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich höre bereits die Rufe aus der einen oder anderen
Ecke: Natürlich muss das, wenn wir zum Abschalten
oder früheren Vom-Netz-Nehmen von Kernkraftwerken
kommen, ausgeglichen werden. Ich kann nur sagen:
Wenn wir es in diesem Hause ernst meinen mit den vie-
len Diskussionen, die wir bezüglich des Klimawandels
bereits geführt haben und die wir noch führen werden,
dann kann man jetzt nicht auf einmal so tun, als ob das
Thema „Sicherstellung der Energieversorgung“ frei von
solchen Überlegungen wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist es eben nicht. Deswegen geht es nicht nach
dem Motto: Dann müssen mehr Kohlekraftwerke gebaut
werden.

Heute Morgen las ich, was Ministerpräsident Platzeck
gesagt hat. Angesichts der Tatsache, dass 13 000 Ar-
beitsplätze im Kohleabbau und der -verstromung beste-
hen, antwortet Herr Platzeck auf die Fragen, ob jetzt
nicht bei der Kohle aufgerüstet werden müsse, wie es
mit der Umwelt aussehe und ob man nicht CCS machen
wolle: Wenn CCS keine beherrschbare Technologie ist,
verwenden wir sie nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber ich sage Ihnen: Einen weiteren Ausbau der Koh-
leverstromung, ohne dass wir die CO2-Problematik be-
achten, sehe ich noch nicht, meine sehr verehrten Damen
und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen führt der Weg ganz eindeutig in den schnelle-
ren Ausbau erneuerbarer Energie.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


– Da brauchen Sie gar nicht so zu rufen.

Ich will Ihnen jetzt eine Zahl vorstellen: Als Sie da-
mals den Ausstieg beschlossen haben – man muss immer
betonen, dass das ein Ausstieg war, der Kernkraftwerke
noch weitere 20 Jahre am Netz hält –, haben Sie relativ
wenig für den Ausbau erneuerbarer Energie getan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Photovoltaik – –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon solar geduscht, da wussten Sie noch nicht, wie man das schreibt! Sie sind doch der Clown der Debatte! – Weitere Zurufe)


– Sehr gut, Frau Künast, Sie geben mir das Stichwort.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch der Clown!)


Sie haben den bemerkenswerten Satz gesagt: Die erfolg-
reiche Automobilindustrie muss schrumpfen, und die
Solarenergie muss wachsen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das habe ich nicht gesagt!)


Jetzt sage ich Ihnen, was Sie mit Rot-Grün erreicht
haben. Der Anteil des Stroms, der aus erneuerbaren
Energien stammt, liegt heute bei 17 Prozent.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Solarenergie macht genau 2 Prozent aus, meine Da-
men und Herren.





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo habe ich denn den Satz gesagt?)


Mit diesem Ausbau werden wir in 20 Jahren nicht bei
mehr als den 50 Prozent sein, die wir brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen muss der Weg rasch zur Windenergie und in
die großen Windparks führen.

Frau Künast und Herr Trittin, ich freue mich schon
darauf, dass Sie mit uns Seite an Seite von Kommune zu
Kommune ziehen und dafür werben, dass wir die dafür
notwendigen Trassen ausbauen. Das ist eine Demonstra-
tion für den Ausbau der Infrastruktur, die notwendig ist,
um dieses Land voranzubringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin sehr gespannt, ob Sie bereit sind, aus der Da-
gegen-Partei zu einer Dafür-Partei zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Billig! – Weitere Zurufe)


Das, was die Bundeskanzlerin ausgeführt hat, ist rich-
tig. Es gibt Situationen im privaten und im öffentlichen
Leben, bei denen nachher nichts mehr so ist, wie es vor-
her war. Deshalb machen wir in diesem Moratorium
Ernst mit der Aussage: Sicherheit zuerst. Wir laden alle
ein, sich an dieser Diskussion zu beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709601600

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-

lege Schlecht für die Fraktion Die Linke.


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709601700

Herr Kauder, wenn man Ihre Rede anhört, kann man

sicherlich Übereinstimmungen mit Ihnen bei der Bewer-
tung der bedrückenden Situation in Japan finden.

Aber ich muss feststellen: Sie haben aus Ihren Be-
obachtungen überhaupt nichts gelernt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihre Philosophie ist nach wie vor, dass man Atomkraft-
werke sichermachen könne.

Japan hat Folgendes gezeigt – das war vor 25 Jahren
nach Tschernobyl schon völlig klar; das ist spätestens
nach der Katastrophe in Japan überdeutlich geworden –:
Das einzig Sichere an der Atomkraft sind die Unsicher-
heit und die gigantische Gefährdung der Bevölkerung.
Sie verfolgen weiterhin die Philosophie, man müsse die
Atomkraft nur sicherer machen; dann könne man sie
auch noch weitere 10, 20 oder 30 Jahre in diesem Lande
tolerieren. Es ist unverantwortlich, was Sie hier vorge-
tragen haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wird auch dadurch überdeutlich, dass sich Ihr Mi-
nisterpräsident in Baden-Württemberg, der im Volks-
mund einmal Rambo-Mappus, ein anderes Mal Atom-
Mappus heißt, im letzten Jahr als Vorkämpfer der Lauf-
zeitverlängerung aufgespielt hat. Er wollte Minister
Röttgen sogar aus dem Kabinett werfen, weil er nicht za-
ckig genug funktioniert hat. Es ist absolut unglaubwür-
dig, was in Baden-Württemberg passiert. Ihre Bemer-
kungen hier belegen sehr deutlich, dass man davon
ausgehen muss, dass bestenfalls die Kraftwerke ein biss-
chen optimiert werden. Aber auch Sicherheitsoptimie-
rungen bieten keine Gewähr dafür, dass nicht apokalyp-
tische Katastrophen auf die Bevölkerung zukommen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1709601800

Sehr geehrter Herr Kollege, man sollte nicht glauben,

dass Sie während meiner Rede hier auf Ihrem Platz im
Deutschen Bundestag gesessen sind. Ich habe nämlich
das glatte Gegenteil von dem gesagt, was Sie gerade un-
terstellt haben. Ich habe gesagt, dass wir während des
Moratoriums alles auf den Prüfstand stellen und nach
dem Moratorium auf Grundlage der zusätzlichen Er-
kenntnisse, die wir gewonnen haben, entscheiden. Ich
will heute eigentlich keine Schärfe in die Diskussion
bringen.


(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Warten Sie einmal ab, wenn es wirklich ernst wird. –
Aber eines will ich Ihnen sagen: Jemand, der jeden Tag
demonstriert, dass er offenkundig aus seiner eigenen
Vergangenheit nichts gelernt hat, braucht mir keine Be-
lehrungen zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709601900

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709602000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich, wie

viele Grüne, kämpfe seit 30 Jahren gegen die Atomener-
gie. Wir haben in Brokdorf demonstriert, wir haben in
Grohnde im Wendland demonstriert. Wir haben in einem
sehr schwierigen Kompromiss ein Ausstiegsgesetz auf
den Weg gebracht, das zum ersten Mal in der Geschichte
bis dahin unbegrenzte Laufzeiten endlich begrenzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aufgrund dieses Gesetzes sind die Kraftwerke in
Stade, Obrigheim und Mülheim-Kärlich vom Netz ge-
gangen, in diesem Jahr wären die Kraftwerke Neckar-
westheim 1, Biblis A und Isar 1 dazugekommen. Sie wä-
ren endgültig stillgelegt worden und müssten nicht nur
drei Monate pausieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Jürgen Trittin


(A) (C)



(D)(B)

Für dieses Engagement haben wir einen Grund: Eine
Technik, bei der nichts schiefgehen darf, ist nicht verant-
wortbar, sie ist nicht menschengerecht; denn Menschen
und ihre Technik machen Fehler. Ich sage Ihnen den-
noch: Ich hätte nie geglaubt, dass in einem Land wie Ja-
pan parallel in sechs Reaktorblöcken diese Anlagen au-
ßer Kontrolle geraten können. Ich hätte nicht geglaubt,
dass wir in drei Reaktorblöcken heute von einer Kern-
schmelze ausgehen müssen. Ich hätte auch, ehrlich ge-
sagt, nicht geglaubt, dass wir in eine Situation geraten, in
der drei Brennelementelager nicht mehr zu kühlen sind
und sich entzünden. Ich hätte mir nicht vorstellen kön-
nen, dass nach Hiroshima Japan mit Fukushima eine
zweite atomare Katastrophe droht. Deswegen muss un-
ser Mitgefühl den Menschen gelten. Wir sollten jenen
Tapferen, die unter Einsatz ihres Lebens – das ist wört-
lich zu nehmen: unter Einsatz ihres Lebens – zu retten
versuchen, was vielleicht nicht mehr zu retten ist, dan-
ken.


(Beifall im ganzen Hause)


Dieser Unfall ist eine tiefe Zäsur; die Menschen emp-
finden das so. Vor zwei Tagen haben spontan über
100 000 Menschen an Mahnwachen teilgenommen.
Aber auch in ganz anderen Kreisen spielt das plötzlich
eine Rolle. Ich bekomme monatlich von einem Finanz-
berater ein Finanztelegramm in Form einer E-Mail. Was
passiert im März? Da, wo sonst für langfristige Wertpa-
piere geworben wird, prangt ein Aufkleber, auf dem
steht: „Atomkraft? Nein danke“. Und: Tun Sie was für
den Ausstieg – wechseln Sie Ihren Stromanbieter. Das
zeigt, es gibt in diesem Lande heute einen breiten Kon-
sens, auszusteigen, und zwar wirklich, und es gibt einen
Konsens, schneller auszusteigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diesen Konsens spüren auch Sie. Herr Mappus hat
gesagt, er sei in einem emotionalen Ausnahmezustand.
In dieser Situation gehört alles auf den Prüfstand. Dazu
gehört auch, dass wir Risiken realistisch betrachten und
darstellen. Den Menschen müssen wir sagen: Ja, es ist
wahr, dass in Deutschland Erdbeben dieser Größenord-
nung nicht wahrscheinlich sind. Aber es ist auch wahr,
dass das im Rheingraben stehende AKW Biblis über
Jahre nicht gegen die dort möglichen Erdstöße ausgelegt
war, weil über 1 000 armdicke Dübel falsch montiert
waren. Wir haben das nicht mehr durchgehen lassen. Wir
haben die hessische Atomaufsicht gezwungen, diesen
Missstand endlich zu beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Von wegen Sicherheitsrabatt!

Wir alle mussten jetzt lernen, dass man Kühlwasser
korrekt mit Bor versetzen muss. Das war im Atomkraft-
werk Philippsburg 1 nicht die Regel. Ich musste damals
per Bundesaufsicht die baden-württembergische Auf-
sicht zwingen, dieses AKW so lange vom Netz zu neh-
men, bis EnBW endlich für ein richtiges Sicherheits-
management gesorgt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es gibt Wasserstoffexplosionen, wie in Brunsbüttel
2001. Es gibt auch ein Verhalten wie das von Vattenfall,
das geglaubt hat, es könne den Reaktor einfach weiter
betreiben, bis es von der Aufsicht gezwungen wurde, ihn
vom Netz zu nehmen.

Meine Damen und Herren, verehrte Frau Bundes-
kanzlerin, die Kraftwerke, von denen ich hier rede, nen-
nen Sie „die sichersten Atomkraftwerke der Welt“.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was glauben Sie eigentlich, was die Schweizer oder die
schwedische Regierung über ihre Kraftwerke sagen?
Was glauben Sie, hätte der japanische Ministerpräsident
noch letzte Woche über seine Kraftwerke gesagt? Sie
überschätzen sich und Ihre eigenen Anlagen, wenn Sie
so über die realistischen Risiken in deutschen Atom-
kraftwerken hinwegreden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben diesen Altanlagen ohne Sicherheitsüber-
prüfung, ohne Nachrüstauflage, mit abgesenkten Sicher-
heitsstandards in Ihrem Herbst der Entscheidungen acht
Jahre Laufzeitverlängerung gegeben. Lieber Herr
Kauder, natürlich unterscheiden Sie zwischen Alt und
Neu. Schauen Sie einmal in das von Ihnen verabschie-
dete Gesetz: Die Anlagen der einen Kategorie haben
eine Laufzeitverlängerung von 14 Jahren bekommen,
und die Anlagen der anderen Kategorie haben eine von
8 Jahren bekommen. Auch Herr Kauder unterscheidet
zwischen Alt und Neu, aber nur bei der Auswahl der Ge-
schenke für die Atomindustrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen, dass diese Kraftwerke plus Krümmel jetzt
und endgültig und nicht vorübergehend vom Netz gehen.
Das ist die Voraussetzung für jedes ernsthafte Nachden-
ken.

Es ist nicht ernsthaft, Frau Bundeskanzlerin, zu be-
haupten, man schaffe ein dreimonatiges Moratorium. Ich
hätte nicht geglaubt, dass ich jemals in die Situation
komme, dem Kollegen Heinrich Sander von der FDP zu-
zustimmen. Er hat recht: Eine ernsthafte Sicherheits-
überprüfung von Anlagen ist in drei Monaten nicht mög-
lich; dafür braucht man ein bis anderthalb Jahre. Auf
welcher Grundlage wollen Sie vorgehen? Wollen Sie
vorgehen auf der Grundlage Ihrer mit der letzten Atom-
gesetznovelle abgesenkten Sicherheitsstandards? Sollen
dann nur die angemessenen und geeigneten Maßnahmen
gelten, oder soll dabei der Stand von Wissenschaft und
Technik gelten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)






Jürgen Trittin


(A) (C)



(D)(B)

Wenn dieser gelten soll, lieber Herr Röttgen, dann
müssen Sie das kerntechnische Regelwerk in Kraft set-
zen. Das ist übrigens ganz einfach: Sie müssen ein Do-
kument unterschreiben;


(Sigmar Gabriel [SPD]: So ist es!)


das kommt dann in den Bundesanzeiger. Sie müssen we-
der die Bundeskanzlerin noch Herrn Brüderle noch
Herrn Fuchs fragen. Sie können es einfach machen. Es
ist allein Ihre Kompetenz, aber es ist auch Ihre Verant-
wortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen sage ich zum Schluss: Frau Bundeskanzle-
rin, Sie haben davon gesprochen: Wir brauchen einen
Ausstieg mit Augenmaß. – Ihr Regierungssprecher hat
das Wort „Augenmaß“ präzisiert. Herr Seibert sagt:
Selbstverständlich gilt das Energiekonzept weiter, und
deswegen laufen die Anlagen bis 2040. – Das ist ein
Ausstieg mit Augenmaß?

Das ist übrigens noch nicht einmal die ganze Wahr-
heit. Wenn die Betreiber der Altkraftwerke – und das
steht allein in ihrem Belieben – diese Laufzeiten auf die
neueren Anlagen übertragen, dann reden wir von Lauf-
zeiten bis 2050. Das ist kein Ausstieg mit Augenmaß;
das ist die Bestandsgarantie für eine gescheiterte Tech-
nik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ja, wir müssen raus, und zwar schneller. Das ist unbe-
quem. Das ist unbequem für Sie, weil Sie Ihre Blockade
der Windenergie in Hessen, Bayern und Baden-
Württemberg endlich aufgeben müssen, wo weniger als
1 Prozent des Stroms aus Windenergie erzeugt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist unbequem für die FDP, für Herrn Lindner und
auch für manche Sozialdemokraten, die meinen, damit
könnte man wieder auf die Kohle setzen. Kohle wird den
Ausbau erneuerbarer Energien jedoch ausbremsen. Des-
wegen geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist unbequem für die Grünen, weil es jetzt nicht
mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie von
mehr Strom aus Biogas geht. Es ist unbequem für uns
alle, weil wir Leitungen bauen und Pumpspeicherkraft-
werke errichten müssen.


(Zuruf von der FDP: Aha!)


– Ja. – Wir alle werden uns mit unseren Ortsverbänden
darüber auseinandersetzen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der FDP: Dann aber los!)


– Auch Sie im Thüringer Wald mit Ihren FDP-Ratsfrak-
tionen, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709602100

Herr Kollege Trittin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709602200

Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Es

wird nicht billiger. Es kostet mehr. Wir müssen anderer-
seits aber auch klar sagen: Was ist das gegen die Kosten,
vor denen heute Japan angesichts dieser Katastrophe
steht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen heißt es: Wir müssen raus aus der Atomener-
gie, schneller als vorgesehen. Das Restrisiko ist nach Fu-
kushima nicht länger zu verantworten. Das ist der rich-
tige Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Sofort abschalten bis auf null?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709602300

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Der wollte ja das Restrisiko tragen! Das hat er ja wörtlich gesagt!)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1709602400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der

Sicherheitsdebatte geht es nicht darum, ob wir Kern-
kraftwerke im Rahmen der genehmigten Auslegung si-
cher betreiben können. Wenn das nicht gewährleistet
wäre, dann hätten Sie, Herr Trittin, und Sie, Herr
Gabriel, die Pflicht gehabt, diese Kraftwerke unverzüg-
lich abzuschalten und keinen Übergang von 20 Jahren zu
gestatten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Lehre aus Japan ist eine andere. Sie besteht in der
Frage, ob die Annahmen unserer Sicherheitsphilosophie
korrekt sind. Reichen die Sicherheitspuffer aus? Sind die
Puffer für die größtanzunehmenden äußeren Einwirkun-
gen – ich nenne nur: Erdbeben – ausreichend? Genau das
ist das Problem, das Japan ereilt hat. Die Puffer haben
nicht gereicht.

Deshalb genügt es nicht, nach dem bisherigen oder
dem neuen kerntechnischen Regelwerk die Kernkraft-
werke zu überprüfen. Nein, auch das Regelwerk selbst
muss überprüft werden; denn es geht um die Annahmen,
die den Sicherheitsregeln zugrunde liegen. Das ist eine
neue Dimension der Diskussion um die Sicherheit unse-
rer Kernkraftwerke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Sicherheitsüberprüfung ist notwendig, weil die
gleichen Risiken vor diesem Hintergrund anders zu be-
werten sind. Die Kernkraftwerke müssen, wenn sie den
neuen Anforderungen an die Sicherheitspuffer nicht ent-





Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)

sprechen, nachgerüstet werden. Wenn sie nicht nachge-
rüstet werden können oder wenn das wirtschaftlich kei-
nen Sinn macht, dann müssen sie abgeschaltet werden,
unabhängig von möglichen Laufzeiten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Koalition von Union und FDP hat bereits bei der
Debatte über die Laufzeitverlängerung einen neuen Pa-
ragrafen in das Atomgesetz eingefügt, durch den die
Aufsicht die Handhabe dafür hat, so zu handeln, wie wir
es jetzt tun. Aufgrund des alten Atomgesetzes, wie es
unter Rot-Grün existierte, war die Aufsicht nur in der
Lage, die Anlage dem genehmigten Auslegungszustand
entsprechend immer wieder nach Wissenschaft und
Technik nachrüsten zu lassen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Eine bewusste Lüge!)


Die Aufsicht hatte jedoch nicht die Handhabe,


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine bewusste Lüge, was Sie machen!)


auch die Sicherheitsannahmen grundlegend zu revidie-
ren. Das ist erst mit § 7 d, den Schwarz-Gelb in das
Atomgesetz eingefügt hat, möglich geworden.


(Lachen des Abg. Sigmar Gabriel [SPD])


Das heißt, wir haben schon im letzten Jahr die Voraus-
setzung dafür geschaffen, dass in einer Situation, wie sie
jetzt eingetreten ist, entsprechend gehandelt werden
kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sigmar Gabriel [SPD]: So ein Blödsinn! Man kann nur hoffen, dass Sie das nicht selber glauben!)


Wenn wir über Kernenergie sprechen, dann müssen
wir über das Energiekonzept sprechen. Denn klar ist:
Wir betreiben die Kernkraftwerke in Deutschland nicht,
um einigen Unternehmen einen Gefallen zu tun,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


sondern wir betreiben sie, weil das Industrieland
Deutschland darauf angewiesen ist, dass wir eine Ener-
gieversorgung bereitstellen, die jederzeit die Nachfrage
deckt. Dabei geht es nicht ausschließlich um die Menge
erzeugter Energie. Es geht um die Stabilität unserer
Energieversorgung. Das ist die Herausforderung, vor der
wir stehen. Wenn wir Atomkraftwerke vom Netz neh-
men, geht es nicht einfach um die Erhöhung der Strom-
menge aus erneuerbaren Energien; vielmehr geht es da-
rum, dass diese Strommengen in das Netz integriert
werden können. Das ist die Herausforderung: Wir müs-
sen die Stabilität unserer Energieversorgung sichern.
Das kann man im Deutschen Bundestag nicht einfach
mit Schnellschüssen mal eben beschließen. Es sind die
Folgen mit zu bedenken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen müssen wir, wenn wir wissen, wie viele
Kraftwerke abgeschaltet werden sollen, das Energiekon-
zept anpassen. Aber die Grundachse des Energiekonzep-
tes bleibt auch bei einer vorzeitigen Abschaltung eines
Teils der Kernkraftwerke erhalten: Wir wollen das Zeit-
alter der erneuerbaren Energien erreichen. Wir haben
schon im bisherigen Energiekonzept beschlossen, dass
im Jahr 2050 kein einziges Kernkraftwerk mehr am Netz
sein wird. Wir haben beschlossen, dass 80 Prozent des
Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen sollen. Das
wollen wir deshalb erreichen, weil wir die CO2-Emissio-
nen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent mindern wollen. Das
ist der Kern des Energiekonzeptes: der Umbau der Ener-
gieversorgung hin zu erneuerbaren Energien. Das wer-
den wir als Koalition jetzt beschleunigen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir dürfen die Debatte um die Kernkraft nicht von
der Debatte um den Klimaschutz loslösen. Das, was vor
wenigen Wochen auch hier im Deutschen Bundestag dis-
kutiert worden ist, ist heute nicht weniger wichtig ge-
worden. Klimaschutz bedeutet eine Zukunftsvorsorge
für kommende Generationen. Er bedeutet auch eine
Zukunftsvorsorge in Bezug auf die Sicherung von Men-
schenleben, die ansonsten in vielen Ländern durch
Überschwemmungen, Wetterereignisse und ähnliche
Phänomene gefährdet wären. Deshalb geht es bei unse-
rem Energiekonzept um die Versorgungssicherheit, aber
eben auch um den Klimaschutz. Diesen können wir nicht
einfach über Bord werfen. Aus diesem Grunde können
wir nicht einfach die Kohlekraftwerke oder die Gaskraft-
werke hochfahren. Nein, wir brauchen mehr erneuerbare
Energien, und das geht nur, wenn die Netze ausgebaut
werden, wenn die Proteste endlich aufhören und Geneh-
migungsverfahren mit einer Dauer von bis zu acht Jah-
ren der Vergangenheit angehören. Wir müssen den Netz-
ausbau schneller hinbekommen, sonst wird es nicht
mehr erneuerbare Energien in diesem Lande geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden die Speicherentwicklung vorantreiben.
Wir werden im Erneuerbare-Energien-Gesetz Anreize
für die Integration in das Netz geben und damit dafür
sorgen, dass erneuerbare Energien eingespeist werden,
wenn es notwendig ist. Es gibt daneben die unbequeme
Wahrheit: Wir werden auch die CO2-Abscheidung und -Ein-
lagerung in die Erde als technologische Option brauchen.
Auch hier muss der eine oder andere umdenken, seine
regionalen Interessen zurückstellen und die nationale
Aufgabe des Klimaschutzes und der Versorgungssicher-
heit sehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709602500

Das Wort hat der Kollege Frank-Walter Steinmeier

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1709602600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der sich bei
den Bildern dieser Tage an 9/11 erinnert fühlt. An die-
sem Tag gab es Tausende von Opfern, ein Symbolbau-
werk des Westens stürzte in sich zusammen. Wir wuss-
ten damals von dieser Stunde an: Die Welt wird nicht
dieselbe sein.

Was wir in Japan mit Grauen und Entsetzen den
stündlich neuen Nachrichten – so auch jetzt wieder – und
Bildern entnehmen, zeigt: Das ist im Vergleich zu 9/11
eine Katastrophe in geradezu quälender Zeitlupe – Tage
ohne Gewissheit über die wirklichen Dimensionen die-
ser schrecklichen Folgen. Doch ahnen wir in diesen Ta-
gen der Ungewissheit: Auch dieses Mal wird die Welt
danach nicht dieselbe sein.

Was wir erleben, ist ganz ohne Zweifel eine Katastro-
phe apokalyptischen Ausmaßes, eine Katastrophe mit
unfassbarem Leid und Tod, eine Katastrophe, die Ge-
wissheiten aus der Vergangenheit radikal infrage stellt.
Angesichts der sich weiter zuspitzenden Schreckensmel-
dungen ist es schwer, in den Routinen unseres Alltags
immer die richtige Sprache zu finden. Wenn wir an sol-
chen Tagen des tausendfachen Leids gelegentlich um
Worte ringen, dann muss das vielleicht gar nicht schlecht
sein; denn ganz zuvörderst ist dies die Stunde der Anteil-
nahme und Solidarität. Ich möchte dem Bundestagsprä-
sidenten ausdrücklich für die Worte danken, die er ges-
tern in unser aller Namen gefunden hat.


(Beifall im ganzen Hause)


Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Op-
fer, bei den mittlerweile 100 000 Kindern, die nach ihren
Eltern suchen und die jetzt bei den vielen Helferinnen
und Helfern sind. In diesen Stunden sind unsere Gedan-
ken ganz besonders bei denen, die in Fukushima unter
Einsatz ihres Lebens – ich vermute, in Kenntnis aller Ri-
siken – darum kämpfen, das Allerschlimmste zu verhin-
dern. Möglicherweise gelingt ihnen nicht einmal das.

In dieser Situation des Schreckens muss sich das japa-
nische Volk auf unsere Solidarität und unsere Hilfe ver-
lassen können. Nicht nur die Bundesregierung und die
Hilfsorganisationen, sondern auch die Menschen in
Deutschland – da bin ich mir ganz sicher – werden ihre
Hilfsbereitschaft in den nächsten Tagen unter Beweis
stellen.

Die Menschen in Deutschland werden Solidarität
üben. Aber sie sind zugleich besorgt. Sie zeigen zwar
keine Anzeichen von Panik und Hysterie, aber sie sind
verunsichert und irritiert. Japan ist weit entfernt, aber
uns in vielem doch so ähnlich. Manche sagen: in dem
Hang zur Perfektion; andere sagen: auch in der Arbeits-
moral; Dritte sagen: ganz sicherlich, was die wirtschaft-
liche Stärke angeht.

Wir sind wie Japan ein rohstoffarmes und ein Hoch-
technologieland. Weil das so ist, fragen sich jetzt ganz
viele, ob das, was in Japan passiert, auch bei uns passie-
ren kann. Sie fragen eben nicht die Wirtschaft und spe-
ziell die Energiewirtschaft, sondern sie fragen uns, die
Politik, ob wir verantworten können, was wir tun.
So sehr ich verstehe, Frau Merkel, dass Ihnen die Dis-
kussion zur Unzeit kommt: Wir werden diese Fragen
nicht einfach wegdrücken können. Das haben auch Sie
in den letzten Tagen lernen müssen. Das Leid in Japan
zu instrumentalisieren, um hier in Deutschland eine De-
batte über die Folgen einer falschen Politik nicht führen
zu müssen, das wird nicht gehen, und das wird Ihnen
auch die Bevölkerung nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709602700

Herr Kollege Steinmeier, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Schlecht?


Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1709602800

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709602900

Bitte, Herr Schlecht.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch eine „schlechte“ Zwischenfrage? – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das gibt dem doch Redezeit!)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709603000

Herr Steinmeier, Sie haben eben die momentanen

Sorgen der Bevölkerung beschrieben. Diese Sorgen
müsste die Bevölkerung und müssten wir alle gemein-
sam nicht haben, wenn der Atomausstieg in den sieben
Jahren Amtszeit von Rot-Grün wirklich vollzogen wor-
den wäre, und zwar unumkehrbar.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Die Frage!)


Weshalb haben Sie eigentlich damals in den sieben
Jahren Ihrer Amtszeit nicht Ihr Versprechen aus dem
Wahlkampf 1998, das auch in der Koalitionsvereinba-
rung festgeschrieben wurde – dass Sie so schnell wie
möglich den Atomausstieg vollziehen wollen; „so
schnell wie möglich“ kann ja wohl nicht sieben Jahre
heißen –, gehalten und die AKW-Politik in Deutschland
beendet? Dann hätten Sie dem deutschen Volk all die
Probleme, die wir jetzt mit der Laufzeitverlängerung
usw. haben, ersparen können. Was waren die Gründe,
weshalb Sie das so gemacht haben?


(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein peinlicher Beitrag!)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1709603100

Herr Kollege, das nenne ich wirklich Mut! Sie kom-

men aus der Tradition einer Partei, die in für mich unver-
ständlicher Weise immer wieder gesagt hat: Atomkraft-
werke in Volkshand sind vertretbar und verantwortbar. –
Wer das sagt, der hat uns keine Belehrungen zu erteilen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

Herr Kauder, Sie haben in Ihrer gerade gehaltenen
Rede dafür plädiert, keine Debatte über die Vergangen-
heit zu führen. Die Debatte, die nicht nur im Deutschen
Bundestag, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit
geführt wird, ist eben keine Debatte über die Vergangen-
heit, sondern eine Debatte über die verhängnisvoll fal-
sche Politik Ihrer Gegenwart, Herr Kauder. Darum geht
es!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben gar nichts verstanden!)


Ich unterstelle Ihnen, dass Sie nicht all das, was Sie
hier gesagt haben, wirklich ernst meinen. Denn Sie ha-
ben in den letzten Tagen gemerkt, dass Sie mit Ihren
energiepolitischen Pirouetten, die Sie auf ganz dünnem
Eis vollführen, nicht wirklich glaubwürdig sind.

Niemandem ist es verwehrt, aus Katastrophen zu ler-
nen, ganz im Gegenteil: Wer aus solchen Katastrophen
nichts lernt, der hat in der Politik nichts zu suchen. Aber
dieses Lernen muss ernsthaft und glaubwürdig sein. Wer
heute das Gegenteil von dem verkündet, was er über
Jahre hinweg vertreten hat, der muss verstehen und ak-
zeptieren, dass es Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit
gibt,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und der kann auch nicht beklagen, Frau Merkel, dass an
der einen oder anderen Stelle bohrend nachgefragt wird.

Frau Merkel, Ihr Glaubwürdigkeitsproblem, das heute
Morgen noch einmal zutage getreten ist, können nur Sie
selbst aus der Welt schaffen. Sie haben die Atomkraft in
Ihrer gesamten politischen Laufbahn gegen alle Kritik
verteidigt. Sie haben Tschernobyl als Betriebsunfall ei-
nes verlotterten Sozialismus abgetan. Sie haben geleug-
net und nicht akzeptiert, dass erstmals mit Tschernobyl
die Beherrschbarkeit einer Hochrisikotechnologie in-
frage gestellt war. Sie haben den Atomkonsens leichtfer-
tig und ohne Not aufgekündigt und die Verlängerung der
Laufzeiten durchgesetzt. Und da können Sie alle mitei-
nander noch so viel darum herumreden: Das werden die
Menschen nicht vergessen. Machen Sie sich darauf
keine Hoffnungen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mein Eindruck war schon im letzten Jahr, dass es Ih-
nen allen an dem nötigen Verständnis nicht nur für die
gesellschaftspolitische, sondern auch für die ökologische
und am Ende sogar wirtschaftspolitische Dimension die-
ser Frage und des Atomkonsenses immer schon gefehlt
hat.

Ich habe schon damals, lange vor Japan, Herr Kauder,
befürchtet und sogar gesagt, dass selbst die Energiewirt-
schaft den Tag verfluchen wird, an dem sie diese Regie-
rung zur Laufzeitverlängerung getrieben hat. Ich habe
nicht geahnt und nicht gewusst, dass dieser Tag so
schnell kommen wird. Ich habe ihn mir nicht einmal her-
beigewünscht. Aber heute weiß die Energiewirtschaft:
Sie wird schlechter dastehen als nach den Vereinbarun-
gen, die sie mit dieser Bundesregierung getroffen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn was ist jetzt nach der Katastrophe in Japan ein-
getreten? Statt Laufzeitverlängerung haben wir eine Un-
sicherheit, wie wir sie in der Geschichte der deutschen
Energiepolitik lange nicht gehabt haben. Zehntausende
von Menschen sind wieder auf der Straße. Sie können es
ja drehen und wenden, wie sie wollen: Kernkraftbefür-
wortern wie Herrn Mappus steht doch die blanke Panik
im Gesicht.

Wir haben mit dem Atomkonsens – das sei an alle
diejenigen gesagt, die hier kritisch dazu berichtet haben;
das ist vergessen worden – einen jahrzehntelangen Groß-
konflikt in dieser Gesellschaft befriedet und gleichzeitig
einen verlässlichen Rahmen geschaffen, auch für die
Wirtschaft – verlässliches Auslaufen der Kernenergie
und gleichzeitig eine Brücke, mit der neue Formen der
Energieerzeugung etabliert werden können. Ganz neben-
bei, weil das hier noch niemand erwähnt hat: Nur dem
Atomkonsens ist es zu verdanken, dass ein Reaktor in ei-
nem deutschen Erdbebengefahrengebiet, nämlich der
von Mülheim-Kärlich, nicht ans Netz gegangen ist.
Auch der war nach Ihrer Auffassung und nach Auffas-
sung der Energiewirtschaft ein sicherer Reaktor.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben einen Konsens aufgekündigt – gegen die
Mehrheit der Bevölkerung. Wenn sie jetzt sagen: „Wir
nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst“, dann ist das
eben – mit Verlaub – nicht glaubwürdig. Diese Sorgen
gibt es nicht erst seit Fukushima; die gibt es seit Sella-
field, seit Harrisburg, seit Tschernobyl, seit Forsmark.
Ich könnte die Liste der Namen fortsetzen. Es ist ja gut,
dass Sie jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen
wollen. Aber dann gehört eben auch – verdammt noch
mal! – ein Wort der Einsicht dazu, warum Sie in der Ver-
gangenheit so leichtfertig über diese Sorgen hinwegge-
gangen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, nicht wir, diejenigen, die wir damals
den Atomkonsens auf die Beine gestellt haben und den
Ausstieg aus der Kernenergie vorbereitet haben, haben
uns hier in diesem Hohen Haus und in der Öffentlichkeit
zu entschuldigen. Zu entschuldigen haben sich diejeni-
gen, die das Problem jahrelang, jahrzehntelang ignoriert,
sich über alle Bedenken hinweggesetzt und Laufzeiten
verlängert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die haben öffentlich Einsicht zu bekennen.

Wenn Sie sich jetzt hinstellen und in verzweifelter Art
und Weise völlig unglaubwürdig Kritik an Rot und Grün
und den Versuchen, frühzeitig aus der Kernenergie he-





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

rauszukommen, äußern, ist das nur allzu durchschaubar.
Ich finde es dreist und unanständig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP)


Frau Merkel, da gibt es nichts zu lachen, sondern ich
meine das ganz ernst.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Wer sich so verhält wie Sie in dem mittleren Teil Ihrer
Regierungserklärung heute Morgen, darf nicht seiner-
seits Respekt vom Parlament und der Opposition verlan-
gen. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben keinen Respekt! – Weiterer Zuruf von der FDP: Das ist unanständig, was Sie hier tun!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709603200

Herr Kollege Steinmeier, kommen Sie bitte zum

Schluss.


Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1709603300

Herr Goldmann, Respekt darf auch derjenige verlan-

gen, der dieses Parlament ernst nimmt. Da bin ich mit
Ihnen einig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Parlament nimmt man ernst, indem man das Parla-
ment mit den Fragen der Zukunft der Energiepolitik in
diesem Land beschäftigt und nicht nach dem Muster
handelt: Was kümmert mich das Gesetz von gestern? Es
ist doch peinlich, dass Verfassungsrechtler wie Herr
Morlok und – das beunruhigt Sie noch mehr –


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kauder!)


der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
Herr Papier, Sie an den schlichten und einfachen Grund-
satz erinnern: Wer per Gesetz Laufzeiten verlängert,
muss sie auch per Gesetz zurücknehmen. Das ist ein
ganz schlichter Grundsatz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Frau Homburger, wenn ich es richtig gelesen habe:
Sie haben das „Erbsenzählerei“ genannt. Ich nenne das
Rechtsstaat.


(Beifall bei der SPD)


Wenn man in diesem Hause an einen wichtigen Grund-
satz des Rechtsstaats erinnern muss, dann beunruhigt
mich das wirklich – ich hoffe, auch Sie.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Birgit Homburger [FDP]: Das sagt der Richtige!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709603400

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sonntagabend waren Sie noch anderer Meinung! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Plötzliche Erkenntnisse, ja?)



Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1709603500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Kernforderung unseres Entschließungsantrags zur Kata-
strophe in Japan und den Konsequenzen für Deutschland
ist „ein Innehalten und Nachdenken über das Gesche-
hene.“ Es geht nicht um Hysterie und Hektik, sondern
darum, die Gelegenheit zu einer besonnenen Überprü-
fung der eigenen Standpunkte zu schaffen. Die logische
Konsequenz aus dem „Innehalten und Nachdenken“ ist
auch das Moratorium bei der Laufzeitverlängerung und
die einstweilige Abschaltung der genannten Kraftwerke.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch in der Rheinischen Post gesagt, Sie sind dagegen!)


Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat uns
gestern daran erinnert, dass wir die Debatte in diesem
Hause mit der „angemessenen Sachlichkeit“ führen sol-
len. Ich bedaure sehr, dass heute und in den letzten Ta-
gen gerade bei der Opposition von Sachlichkeit und Be-
sonnenheit kaum die Rede sein kann; es ist plumpe
Polemik. Das Geheule und Gejohle von Teilen der Op-
position ist beschämend


(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts davon ist wahr! Hören Sie doch auf damit!)


und dem Ernst der Lage nicht angemessen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Herr Steinmeier, wenn Sie uns unterstellen, dass wir
erst jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen und
mit diesen Sorgen leichtfertig umgehen; wenn Sie der
Kanzlerin unterstellen, dass sie die Sorgen nicht ernst
nimmt, dann ist das eine Beleidigung und Verleumdung,
die ich gerade von Ihnen in dieser Schärfe niemals er-
wartet hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zum
Ernst der Debatte. Im letzten Herbst hat die Bundesre-
gierung ein umfassendes, bis 2050 reichendes Energie-
konzept vorgestellt, das wir, die Fraktionen der Union
und unseres Koalitionspartners, der FDP, mitgestaltet
und verabschiedet haben; ich selbst durfte daran mitar-





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)

beiten und bin von der Richtigkeit dieses Konzepts voll-
kommen überzeugt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Immer noch?)


– Jawohl, immer noch. Denn das Konzept bringt in Ein-
klang, was unabhängig von den Ereignissen in Japan für
die Zukunft unseres Landes entscheidend ist: Klima-
schutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der
Energie. Der Strom aus der Steckdose muss zunächst
einmal in die Steckdose.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist daran denn falsch?)


Das Konzept enthält Klimaschutzziele und sieht einen
Ausbau der erneuerbaren Energien in einem bisher nicht
bekannten Maße vor. Das stellt alles in den Schatten,
was von Rot-Grün jemals auf den Tisch gelegt wurde.
Das, was Sie, Herr Steinmeier und Herr Trittin, als
Atomkonsens propagiert haben, war nichts anderes als
eine Mogelpackung. Ihr Energiekonzept war ein Sam-
melsurium von Ungereimtheiten, Unbezahlbarkeiten
und Unwägbarkeiten.

Es ist richtig – dazu stehe ich –, dass dieser Atomkon-
sens auch die Verlängerung der Laufzeiten unserer Kern-
kraftwerke beinhaltet. Dadurch wollten wir uns die für
den Ausbau der Netze erforderliche Zeit und das dafür
notwendige Geld verschaffen; denn die Speicherkapazi-
tät muss erhöht und neue Technologien müssen entwi-
ckelt werden. Ich habe aber immer auch gesagt – Herr
Trittin, wir haben uns in den letzten 20 Jahren des Öfte-
ren darüber austauschen können –: Grundvoraussetzun-
gen sind der sichere Betrieb der Kernkraftwerke in
Deutschland und die Klärung der Endlagerfrage. Das un-
terscheidet uns, Herr Trittin. Sie haben gerade selber ge-
sagt, dass Sie seit 30 Jahren gegen die Kernkraft kämp-
fen. Ganz egal, welche rationalen Argumente dafür oder
dagegen sprechen: Für Sie ist das Thema abgehakt. Das
zeigt, dass die Bevölkerung von Ihnen keine ideologie-
freie und ergebnisoffene Diskussion erwarten darf.

Ich sage ganz deutlich, dass es in diesen Tagen vor al-
lem um die Sicherheit geht. Fakt ist, dass wir zurzeit
nicht davon ausgehen müssen, dass von den japanischen
Kernkraftwerken eine Gefahr für uns ausgeht. Fakt ist,
dass wir nicht in einem Erdbebengebiet wohnen. Fakt ist
auch, dass wir in unseren Kraftwerken eine andere Si-
cherheitslage haben. Aber wir müssen uns trotzdem Zeit
nehmen, um die Situation in Deutschland vor dem Hin-
tergrund des Versagens der Technik in Japan – dabei
geht es vielleicht auch um menschliches Versagen – zu
überprüfen: Sind die Annahmen zur Erdbebensicherheit
in Deutschland richtig? Hat der Klimawandel vielleicht
Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Kernkraft-
werke? Können terroristische Angriffe auf Kernkraft-
werke wirklich ausgeschlossen werden, bzw. sind die
Kernkraftwerke hinreichend abgesichert? Das und ande-
res mehr müssen wir vor dem Hintergrund der Katastro-
phe in Japan prüfen, und zwar ergebnisoffen und ohne
Tabus, aber auch ohne Hysterie und ohne Panikmache.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
entlarven sich in diesen Tagen immer wieder selbst. Sie
fordern von uns, dass wir die Ergebnisse des Morato-
riums schon jetzt benennen, obwohl diese doch erst nach
Abschluss des Moratoriums zutage treten. Das heißt
doch nichts anderes, als dass Ihnen das Ergebnis der Un-
tersuchungen, die in den nächsten drei Monaten stattfin-
den, völlig wurscht ist.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch verlängert! – Ulrich Kelber [SPD]: Die Kanzlerin hört gar nicht zu!)


Das zeigt, dass Sie sich hinter kleinkarierten Diskussio-
nen und juristischen Spiegelgefechten verschanzen,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


statt mit uns zu sagen: Die Sicherheitsüberprüfung der
Kernkraftwerke in den nächsten drei Monaten ist unser
gemeinsames oberstes Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochinteressant!)


Auch wenn es wehtut, Herr Trittin, möchte ich Sie
noch einmal an den Vertrag von 2000 erinnern. Wer in
dem Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern ohne Not auf
jegliche Sicherheitsverbesserungen in den Kernkraftwer-
ken in der Zukunft verzichtet hat, der hat meiner Ansicht
nach jedes Recht verwirkt, hier den Moralapostel zu
spielen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer hat den Vertrag unterschrieben?)


Noch etwas anderes verstehe ich nicht: Sie haben sieben
Jahre Zeit gehabt, die Kernkraftwerke abzuschalten. Zu-
erst haben Sie die Chance dazu gehabt, danach Herr
Gabriel. Das ist aber nicht passiert.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Kanzlerin ihn daran gehindert hat! Das hat er doch gerade gesagt!)


– Als Herr Trittin in der Regierung war, gab es keine
Kanzlerin.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben doch gerade über Gabriel geredet!)


Dafür, dass Sie die Kernkraftwerke nicht abgeschaltet
haben, gibt es einen einfachen Grund: Auch Sie wissen,
dass die deutschen Kernkraftwerke nicht nur aus unserer
Sicht, sondern auch aus Sicht der Internationalen Atom-
energiebehörde zu den sichersten der Welt gehören.
Minister Röttgen packt jetzt an, was seine Vorgänger,
Herr Gabriel, und Sie, Herr Trittin, nicht anzufassen ge-
wagt haben, auch die Endlagerfrage.

Wir werden konsequent umsetzen, was jetzt zu tun
ist: erstens aufgrund der Erfahrungen in Japan unsere
Kraftwerke auch in Bezug auf ganz anders geartete
Schadensfälle, die bei uns vielleicht noch nicht so be-





Dr. Christian Ruck


(A) (C)



(D)(B)

rücksichtigt worden sind, durchchecken, zweitens bei
eventuellen Sicherheitslücken die erforderlichen Konse-
quenzen einleiten, drittens überprüfen, ob wir beim Aus-
bau der erneuerbaren Energien oder bei der Erhöhung
der Energieeffizienz nicht schneller vorangehen können,
und die europäische und internationale Dimension ver-
stärkt betrachten. Ich glaube, Kommissar Oettinger hat
vollkommen recht, wenn er sagt, dass die europäischen
Kernkraftwerke einen generellen Sicherheitscheck brau-
chen. Es ist aber reine Heuchelei, zu sagen: Wir schalten
unsere Kraftwerke ab; aber die rund 150 europäischen
Kraftwerke von Temelin bis Cattenom können unbe-
grenzt und ohne Check weiterlaufen. Das ist völlig un-
sinnig und auch inkonsistent.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir sind bereit, Konsequenzen zu ziehen, wenn die
Überprüfungsergebnisse dies erfordern. Wir tun dies an-
gesichts der Tragweite für unser Land mit der nötigen
Besonnenheit und der nötigen Verantwortung. Ich füge
hinzu, dass allein die Abschaltung der infrage kommen-
den Kraftwerke für die nächsten drei Monate einen zu-
sätzlichen Ausstoß von 20 Millionen bis 30 Millionen
Tonnen CO2 beinhaltet. Auch das gehört zu den Punkten,
die wir abwägen müssen.

Was die Besonnenheit anbetrifft, so rate ich uns, un-
sere japanischen Freunde als Vorbild zu nehmen. Ich
habe tiefen Respekt vor der Tapferkeit der Japaner in
dieser schlimmen Situation. Ich habe auch tiefes Mitge-
fühl für unsere japanischen Freunde in diesem Jubilä-
umsjahr, dem 150-jährigen Bestehen der deutsch-japani-
schen diplomatischen Beziehungen. Wir sollten ihnen
jede Hilfe geben, die wir zu geben in der Lage sind, und
damit zeigen, dass wir auch in dieser schweren Stunde
an der Seite Japans stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709603600

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von

Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709603700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japan

sind wieder Uhren stehen geblieben, fünf Minuten vor
drei. Im Hiroshima Peace Memorial Museum kann man
ebenfalls stehen gebliebene Uhren sehen: 8.15 Uhr am
6. August 1945. Dasselbe hochmoderne Land ist von der
militärischen wie auch von der zivilen Nutzung der
Atomkraft gleichermaßen grauenvoll getroffen worden.
Es ist an der Zeit, die Uhren des Glaubens an die Atom-
kraft zum Stehen zu bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Merkel und Sie, Herr Röttgen, bemühen sich, zu
überzeugen, dass Sie die Zäsur für die Industriegesell-
schaften begriffen hätten. Es ist nicht entscheidend, ob
die Opposition Ihnen glaubt. Das fällt schwer angesichts
Ihrer Haltung: Wir sehen jetzt alles anders; aber wir hat-
ten immer recht. Für Sie ist entscheidend, ob die Men-
schen außerhalb dieses Hauses Ihnen glauben, und ich
frage Sie: Warum sollten sie?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie machen jetzt, was Sie vor dem Gesetz zur Laufzei-
tenverlängerung hätten tun müssen, und versuchen, dies
als Lehre aus dem Ereignis von Fukushima zu verkau-
fen. Brauchen Sie erst einen GAU, um Laufzeitverlänge-
rungen und Sicherheitsüberprüfungen zusammenzubrin-
gen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als baden-württembergische Abgeordnete möchte ich
einen Blick in mein eigenes Bundesland werfen. In die-
sen Zeiten ist es für eine CDU-Bundeskanzlerin ganz be-
sonders wichtig, dass die Menschen den Parteikollegen
Frau Gönner und Herrn Mappus glauben, dem baden-
württembergischen Ministerpräsidenten, der eine Lauf-
zeit von 60 Jahren und Ihren Rücktritt, Herr Röttgen,
forderte, weil Sie ihm zu defensiv waren, der den über-
teuerten Kauf von 45 Prozent der EnBW auf Staatskos-
ten damit begründete, er wolle nicht in Paris oder Mos-
kau nach Energie fragen müssen. Alternativen zu
entwickeln, ist Herrn Mappus beim Regierungshandeln
fremd. Er hat alles getan, das Wachstum der Erneuerba-
ren in Baden-Württemberg zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sein stolzes Verhinderungsergebnis für Baden-Württem-
berg lautet: 0,7 Prozent Strom aus Windenergie, 52 Pro-
zent Atomstrom. Das ist ein Armutszeugnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer soll einer Landesatomaufsicht ihre neue Besorg-
nis um die Sicherheit der Atomkraftwerke abnehmen,
nachdem sie im letzten Jahr den Abfluss von 270 000 Li-
tern Reaktorwasser aus dem Philippsburger Brennele-
mentebecken kurzerhand vertuschte, weil der Störfall in
Zeiten der Verlängerungsdebatte störte, und die Mängel-
liste von Neckarwestheim drei Jahre lang in der Schub-
lade ließ und keinerlei Nachrüstung vor dem Geschenk
der Laufzeitverlängerung einforderte?


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!)


Nein, wem die Interessen der Konzerne immer näher
waren als die Wahrnehmung der Kontrolle und Sicher-
heit, dem nimmt niemand die Krokodilstränen ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist eine Feier wert, dass Neckarwestheim 1 endlich
abgeschaltet wird;


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Beschämend!)






Sylvia Kotting-Uhl


(A) (C)



(D)(B)

aber es lässt keinen Glauben an Einsicht zu, wenn
Mappus das in den Kontext eines emotionalen Ausnah-
mezustandes seiner Bürger stellt.

Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem Umden-
ken, damit, dass Sie aus dem GAU von Japan lernen
wollen, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu. Beugen
Sie nicht das Atomrecht, und ziehen Sie nicht § 19 des
Atomgesetzes zu etwas heran, wozu er nicht gedacht ist.
Machen Sie kein windiges Moratorium ohne juristische
Grundlage. Nehmen Sie die 11. und 12. Novelle zum
Atomgesetz seriös zurück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE])


Überprüfen Sie die Sicherheit der Atomkraftwerke nach
dem neuen kerntechnischen Regelwerk, und schalten Sie
die ältesten sieben Reaktoren und Krümmel dauerhaft
ab. Erst auf dieser Grundlage können wir über das disku-
tieren, was tatsächlich die Lehre aus Fukushima sein
muss: eine Neubewertung des Risikos Kernschmelze,
die kein Restrisiko mehr ist und für die Schadensvor-
sorge betrieben werden muss.

Als Konsequenz brauchen wir ein neues Energiekon-
zept mit einem deutlich schnelleren Atomausstieg, der
übrigens durch die juristische Formulierung der Linken,
die Atomkraftwerke müssten unverzüglich, „ohne
schuldhaftes Verzögern“ abgeschaltet werden, nicht be-
schleunigt wird. Die Welt hat sich gegenüber dem Jahr
2000 verändert. Das Risiko ist näher, die Frage nach den
Alternativen mit dem Wachstum der erneuerbaren Ener-
gien aber auch beantwortbarer.

Wenn wir für Japan etwas tun können, dann das: als
hochindustrialisiertes Land beispielhaft vorangehen und
ein effizientes Energiekonzept auf der Basis erneuerba-
rer Energien mit Anreizen, Förder- und Ordnungspolitik
umsetzen. Zeigen, dass es geht – das könnte unsere ge-
meinsame Würdigung der Opfer dieser Katastrophe sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709603800

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1709603900

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe

Frau Kotting-Uhl, auf Ihren Beitrag zum baden-
württembergischen Wahlkampf will ich hier gar nicht
eingehen. Ich muss aber anmerken, dass ich von Ihnen
als einer mir bekannten aufrechten Gegnerin der Kern-
energie ein bisschen mehr erwartet hätte, als dass Sie an
dieser Stelle nur Wahlkampfpolitik machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte auf den Gesetzentwurf der Grünen, den
Sie am Ende Ihrer Rede immerhin noch gestreift haben,
eingehen. Darin heißt es, die Bundesregierung habe an-
gesichts der aktuellen Geschehnisse in Japan nunmehr
festgestellt, dass sie im Gesetzgebungsverfahren zur
Laufzeitverlängerung Sicherheitsfragen nicht hinrei-
chend beachtet hat. Wenn Sie, die Grünen, das so formu-
lieren, dann muss ich sagen: Wäre die Situation in Japan
nicht so traurig und wäre der Umdenk- und Bewertungs-
prozess bei uns nicht so ernst, müsste man das als Heu-
chelei bezeichnen.

Ich stelle fest, dass es ganz bestimmt kein Positions-
papier der CDU oder der CSU zum Thema Kernenergie
gibt, in dem nicht klar festgehalten ist, dass Sicherheit
oberste Priorität hat und Sicherheit vor jeder ökonomi-
schen Erwägung steht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was immer wir in den nächsten drei Monaten politisch
entscheiden werden, es wird in der Kontinuität dieser
Politik und unter der schon immer geltenden Überschrift
„Sicherheit ist das erste Gebot“ stehen.

Man wird genügend Schriften finden, in denen es
heißt, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher. Jetzt
komme ich zu dem Grund, aus dem ich mich über den
scheinheiligen Gesetzentwurf der Grünen ärgere. Der
bisher gültige Maßstab für die Sicherheit war nicht allein
der Maßstab dieser Bundesregierung. Er war ein ge-
meinsamer Sicherheitsmaßstab. In der Ausstiegsverein-
barung von 2000 hat die damalige rot-grüne Bundesre-
gierung ausdrücklich bestätigt, dass die deutschen
Kernkraftwerke auf einem international hohen Sicher-
heitsniveau betrieben werden. Ich will gar nicht die Vor-
haltung wiederholen, dass Sie sich in einem Deal mit
den Versorgern verpflichtet haben, keine Initiative zu er-
greifen, um den Sicherheitsstandard und die ihm zu-
grunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Aber
fest steht: Nach dem bisherigen Maßstab muss man un-
sere Kernkraftwerke als sicher betrachten. Das haben die
früheren Minister Trittin und Gabriel offenkundig ge-
nauso gesehen, wie es jetzt Minister Röttgen beurteilt;
sonst hätten wir nämlich keine Kernkraftwerke mehr.

Was mich heute wirklich irritiert hat, war die Aussage
von Herrn Gabriel, er habe schon immer gewusst, dass
von den älteren Kernkraftwerken Gefahren für Leib und
Leben der Bevölkerung ausgehen, und er habe nur nicht
gehandelt, weil die Bundeskanzlerin ihn dazu angewie-
sen habe. Was ist denn das für eine Verantwortung? Was
ist das für ein Minister? Hat er seinen Amtseid verges-
sen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Diese Frage muss er sich gefallen lassen. Wenn ein
Minister der Überzeugung ist, dass von etwas, das er in
seinem Fachressort zu verantworten hat, Gefahren für
Leib und Leben der Bevölkerung ausgehen, dann kann
er sich doch nicht einfach beiläufig der Richtlinienkom-
petenz der Kanzlerin beugen, sondern dann muss er sei-
nen Rücktritt einreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Sie glauben doch wohl nicht, dass wir Herrn Gabriel
diese plumpe Ausrede an dieser Stelle tatsächlich durch-
gehen lassen.

Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir uns die Frage stel-
len müssen: Was hat sich seit dem schrecklichen Erdbe-
ben in Japan bei uns geändert? Die Antwort, die man auf
diese Frage geben muss, lautet: nichts und alles. Die
Menschen erleben, dass das Unwahrscheinlichste Reali-
tät geworden ist. Die Menschen in Japan und wir alle se-
hen, dass das Restrisiko eingetreten ist und die High-
technation Japan die Technik nicht so beherrscht, wie
wir uns das vorstellen. Da ist es natürlich unumgänglich,
über bestimmte Themen nachzudenken: über Sicher-
heitsreserven, über das „Was wäre wenn?“, über Natur-
katastrophen in einem bislang unbekannten Ausmaß,
über deren Kombination, über Anschläge, Flugzeugab-
stürze und Ähnliches. Mit all diesen Themen müssen wir
uns ohne Panik und Hysterie befassen. An dieser Stelle
muss ich das, was manche Kollegen schon gesagt haben,
unterstreichen: Für ihre Duldsamkeit können wir die Ja-
paner, denen unser Mitgefühl gilt, nur bewundern und
ihnen unseren Respekt aussprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Moratorium über drei Monate und das Abschal-
ten der vor 1980 in Betrieb gegangenen Reaktoren kön-
nen Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Oppo-
sition, gerne als Wahlkampfmanöver verunglimpfen. Sie
können gerne behaupten, das sei bloß ein Mittel, um Zeit
zu gewinnen. Sie können gerne einen Juristenstreit über
die rechtlichen Grundlagen entfachen. Nur dürfen Sie
sich am Ende der drei Monate über eines nicht wundern:
Es wird mit uns kein Weiter-so geben, wie Sie es uns aus
wahltaktischen Gründen an dieser Stelle gerne anhängen
wollen.

Wenn ich das so formuliere, dann bitte ich, aufzumer-
ken: Sie wissen sehr genau, dass ich mich zwar einer-
seits für die erneuerbaren Energien einsetze, dass ich
aber andererseits kein Kernenergiegegner bin. In mei-
nem Wahlkreis steht das Kernkraftwerk Gundremmin-
gen, das über 1 000 Familien die Existenz sichert und bei
uns in der Bürgerschaft wohl akzeptiert und weit gelitten
ist. Trotzdem rechne ich persönlich mit sehr grundsätzli-
chen Entscheidungen. Es wäre allerdings unseriös, be-
reits heute die Konsequenzen der anstehenden Sicher-
heitsüberprüfung beschreiben zu wollen. – Ein paar
Fakten im Umfeld möchte ich dennoch beschreiben.

Nachdem die Kanzlerin das Moratorium angekündigt
hat, ist der EEX-Großhandelspreis für Strom, welcher
auf Basis der German Power Futures ermittelt wird, in-
nerhalb der beiden letzten Handelstage um 9,5 Prozent
gestiegen; ein weiterer Anstieg ist absehbar. Der EEX-
Preis für CO2-Emissionsrechte stieg von Montag auf
Dienstag um 8,5 Prozent, Tendenz steigend. Bei zusätz-
licher Kohleverstromung wird dieser Anstieg weiteres
Gewicht bekommen. Damit steht doch eines fest: Die
ökonomischen Folgen einer Reduktion von Kernenergie-
strom, wie wir sie immer vorhergesehen haben, werden
eintreten.
Ich will nichts zum Anteil des Energiepreises an der
allgemeinen Preisentwicklung sagen. Ich will auch
nichts zum Vorschlag der Linken sagen, Herr Gysi, wie-
der die Planwirtschaft in Deutschland einzuführen. Das
hatten wir schon, und das ist schon einmal kläglich ge-
scheitert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen diesen Versuch, der immerhin über 40 Jahre
in diesem Land unternommen wurde, nicht wiederholen.

Ich möchte anmerken, dass nach derzeitigem Stand
die anderen europäischen Staaten nicht aus der Kernener-
gienutzung aussteigen werden. Das heißt für Deutschland
zweierlei: Erstens. Wir werden Wettbewerbsnachteile er-
dulden müssen. Zweitens. Einen Sicherheitsgewinn, wie
wir ihn uns wünschen, wird es jedenfalls auf Basis dieser
Konstellation nicht geben. Deshalb bin ich froh, dass sich
die Kanzlerin international für eine entsprechende Politik
einsetzt. Hinzu kommt, dass das Moratorium unsere Ver-
sorgungssicherheit tangiert, dass wir nach dem Abschal-
ten von sieben Kraftwerken auf Kante nähen, was insbe-
sondere in Süddeutschland – ich sage das all jenen, die
behaupten, das sei kein Problem, wir würden genug ex-
portieren – zu spüren sein wird.

Noch viel entscheidender ist: Eine Säule des Energie-
konzeptes dieser Bundesregierung ist bereits heute in
Teilen weggebrochen, nämlich ein Teil der Finanzierung
der erneuerbaren Energien aus dem Energie- und Klima-
fonds. Ich sage Ihnen: Wir brauchen nichts so dringend
wie Energieforschung; denn das, was wir bei Anerken-
nung allen Engagements im Bereich der erneuerbaren
Energien momentan machen, ist nicht der Weisheit letz-
ter Schluss, wenn man von so etwas in der Energiepoli-
tik überhaupt noch reden darf.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709604000

Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1709604100

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklä-
rung darauf hingewiesen: Vor zweieinhalb Monaten ha-
ben wir hier gemeinsam mit dem Vizeaußenminister
Japans die Feierlichkeiten anlässlich des 150-jährigen
Bestehens der deutsch-japanischen diplomatischen Be-
ziehungen begangen. Wir haben hier im Bundestag auch
eine Debatte dazu geführt. Das zeigt, dass wir, Japan und
Deutschland, in den letzten 150 Jahren trotz einer wech-
selvollen Geschichte gemeinsam und mit großer gegen-
seitiger Unterstützung erfolgreich große Krisen bewäl-
tigt haben. Das liegt auch daran, dass Japan und
Deutschland in dieser Weltgemeinschaft eine seltene,
tiefe und einmalige Freundschaft verbindet und beide
Länder trotz der geografischen Ferne und der kulturellen
Unterschiede viel Verständnis füreinander haben. Diese





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

Freundschaft ist gerade in dieser Stunde der Not ein
wertvolles Gut; denn neben unserem Mitgefühl und un-
serer tiefen Trauer möchte ich keinen Zweifel daran las-
sen, dass die deutsche Politik alles dafür tun wird, dass
die japanische Nation zu alter Stärke zurückfindet.

Die Herausforderungen, die sich aus dieser Natur-
und Umweltkatastrophe ergeben, werden von den Japa-
nern nicht allein zu bewältigen sein. Angesichts der
schrecklichen Zahlen von Opfern und Geschädigten, der
möglicherweise aufkommenden Rezession in Japan und
der zu erwartenden Umweltschäden stehen die Japaner
nicht vor einem Gesichtsverlust, wenn sie aktiv auslän-
dische Hilfe anfordern und auch annehmen; denn bei je-
der Katastrophe in der Welt waren es die Japaner, die als
Erste mit ihren Hilfstruppen und mit finanzieller Unter-
stützung vor Ort waren. Diese Bereitschaft zur Nothilfe
wird die Welt jetzt zurückgeben.

Angesichts der bedrückenden Opferzahlen und der
Masse der Geschädigten in Japan ist internationale Hilfe
besonders hilfreich und sinnvoll. Wir müssen uns noch
einmal deutlich vor Augen führen: Bisher gibt es 3 300
Todesopfer. Unbestätigte Schätzungen gehen davon aus,
dass es nach Abschluss der Aufräumarbeiten Zehntau-
sende von Toten geben wird. 150 000 Kinder haben ihr
Zuhause verloren. Internationale Wirtschaftsexperten sa-
gen in ihren Schätzungen voraus, dass der Wiederaufbau
der besonders betroffenen Region den japanischen Staat
einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten wird. Die in-
ternationalen Finanzmärkte beben. 440 Milliarden Euro
wurden durch die Katastrophe bereits vernichtet. Die
Bank of Japan hat 200 Milliarden Euro in die Finanz-
märkte gepumpt, damit es zu keinem ernsthaften Crash
kommt. Kurzfristig wird sich die internationale Außen-
politik auf die humanitäre Hilfe beschränken. Mittel-
und langfristig müssen die internationalen Gremien An-
strengungen unternehmen, die gemäß den Lehren, die
aus der Katastrophe in Japan gezogen werden müssen,
notwendig sind.

Die Freundschaft zu Japan ist in der G 8 unbestritten.
Es gab bereits ein Treffen der zuständigen Außenminis-
ter, um den Wiederaufbau aktiv zu unterstützen. Ich
finde es gut, dass der französische Präsident als G-8-Prä-
sident Vorschläge ausarbeitet, um die negativen Folgen
für die Weltwirtschaft zu begrenzen.

Die G 20 steht vor einer weitaus größeren Herausfor-
derung. Ihr muss es gelingen, dass sich die vorüberge-
hende Schwäche Japans nicht zu einer dauerhaften poli-
tischen Schwäche auswächst; denn Japan ist
international und vor allen Dingen in der asiatischen Re-
gion ein großer und gleichberechtigter Player. Es ist im
deutschen Interesse, dass Japan als Stimme der Demo-
kratie weiter eine prägende Rolle in der Region und in
der Welt einnimmt. Damit dies gelingen kann, müssen
gerade die anderen asiatischen Länder gemeinsam mit
Japan in der G 20 voranschreiten. Indonesien und Indien
werden dies tun. Ich hoffe, dass sich auch China interna-
tional für seinen asiatischen Nachbarn einsetzen wird
und die Phase der Schwäche Japans nicht für sich aus-
nutzt.
Lassen Sie mich einige kritische Bemerkungen zu der
bisherigen Rolle der Internationalen Atomenergiebe-
hörde machen, der IAEA, die ihren Sitz in Wien hat. Seit
Tagen zeigt sich, dass die Organisation angesichts der
Ereignisse in den Kernkraftwerken wie gelähmt ist: kein
Experte, keine Expertin in den Krisengebieten, groteske
Pressekonferenzen, Beschwichtigungstaktik. Die Rolle
der IAEA bei der Atomkatastrophe in Japan sorgt für
großen Unmut. Hinter vorgehaltener Hand hören Sie aus
Diplomatenkreisen, dass es inzwischen massive Be-
schwerden über die Informationspolitik, über die inter-
nationale Rolle und vor allen Dingen über die Tatsache
gibt, dass die Organisation ihrer Wächterrolle nicht ge-
recht wird.

Man spricht in Diplomatenkreisen von PR-Desastern
und der unmöglichen Situation, dass eine Organisation,
die immerhin angeblich 2 200 Experten und 90 Aus-
landsbüros hat, nicht in der Lage ist, in angemessener
Form Experten nach Japan zu schicken und dort zu hel-
fen. Ich vermute, dass die Organisation dieses Gremiums
nicht in Ordnung ist. Ich glaube, der Sicherheitsrat muss
dieses Thema dringend auf die Tagesordnung setzen.
Die Behörde ist im Ernstfall ein dramatischer Ausfall,
und das darf nicht sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte mich beim Auswärtigen Amt und beim
Außenminister dafür bedanken, dass er besonnen und
mit großem Anstand den Deutschen in Japan geholfen
hat und vor allen Dingen auch bei der Koordinierung der
Hilfe für Japan einen kühlen und klaren Kopf bewahrt
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich als Freund Japans abschließend be-
merken: Ich glaube, es ist jetzt richtig, dass wir alle, vor
allen Dingen auch dieses Parlament, gegenüber unseren
japanischen Parlamentskollegen deutlich machen, dass
wir dauerhaft, ernst, in Freundschaft und in tiefer Unter-
stützung an ihrer Seite stehen.

Danke sehr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709604200

Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1709604300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Es gibt Bilder, die verstummen lassen. Das, was wir
in den letzten Tagen gesehen und gehört haben, ist von
einer albtraumhaften Schrecklichkeit. Zunächst einmal
ist es in erster Linie Zeit, den Menschen in Not Hilfe zu
leisten und ihnen, soweit es in unseren Kräften steht, bei-
zustehen.

Japan braucht Hilfe durch die Weltgemeinschaft und
durch uns. Ich bin froh, dass die Bundesregierung sofort





Erika Steinbach


(A) (C)



(D)(B)

Hilfe angeboten hat. Es ist für uns aber auch Zeit, in aller
Sachlichkeit zu überprüfen, ob und wo wir bei der Kern-
energie umsteuern sollen oder müssen.

Allerdings muss ich eines sagen: Die Debatte der letz-
ten Stunden und das Verhalten der Opposition waren ab-
surd. Es erinnert mich an einen Schlagabtausch Konrad
Adenauers im Deutschen Bundestag, als er zu Beginn ei-
ner Rede sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die Op-
position schrie: „Nein, nein, nein!“. Dann setzte er wie-
der an und sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die
Opposition empörte sich. Daraufhin sagte Konrad
Adenauer: „Hätte ich gesagt, ich habe die Lage nicht ge-
prüft, dann hätten Sie auch revoltiert“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, so geht es in
dieser Frage nicht. Was auch immer die Bundesregie-
rung heute gesagt und getan hätte, Sie wären aus Prinzip
dagegen gewesen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hauptsache, Ihr Weltbild steht!)


Die CDU/CSU-Fraktion hat sich auch in Oppositionszei-
ten niemals so verantwortungslos verhalten, wie Sie es
heute getan haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Über Verantwortung brauchen Sie uns Sozialdemokraten nicht zu belehren! Schon gar nicht in historischer Perspektive! – Weiterer Zuruf von der SPD: Meine Güte, Frau Steinbach!)


Sie machen Wahlkampf. Wenn ich alles zusammenad-
diere, was seitens der Opposition heute selbstherrlich ge-
sagt wurde, und wenn Sie das, was Sie heute gesagt ha-
ben, ehrlich meinen, dann hätten Rot und Grün zu ihren
Regierungszeiten alle Kernkraftwerke abschalten müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Atomare Gefahren werden aber bei Ihnen offensicht-
lich mit zweierlei Maß gemessen. Als Umweltminister
war Herr Trittin Schirmherr der Castortransporte. Da-
mals sollten sie ohne Demonstrationen über die Bühne
gehen. Heute demonstrieren die Grünen wieder gegen
die Castortransporte. Das ist unanständig. Verantwor-
tungsloser und unanständiger geht es nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erzählen was von Anstand!)


Etwas anderes schadet, glaube ich, der Demokratie
insgesamt und jedem einzelnen Abgeordneten: Das Kon-
glomerat von Herrn Gabriel mit Vokabeln wie Hinter-
zimmer, Lüge und Atomlobby, zusammengemischt zu
einem Brei, schadet allen. Das schadet der ganzen demo-
kratischen Klasse.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Dieser Brei schadet den Demokraten!)


Ich unterstelle keiner Fraktion in diesem Hause, nicht
nach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen zu
treffen, zu denen sie gefunden hat. Ich unterstelle auch
Ihnen von der Opposition nicht, dass Sie in Hinterzim-
mern mit wem auch immer kungeln und keine Entschei-
dung eigenständig treffen. Unterstellen Sie dies uns bitte
auch nicht. Schließen Sie nicht von sich auf andere,
wenn Sie so handeln sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Eben haben Sie gesagt, Sie würden uns nichts unterstellen! Eben haben Sie das gesagt! Sie widersprechen sich selber im nächsten Satz!)


– Scheinbar haben Sie einen anderen Ansatz, denn sonst
könnten Sie nicht so einen Brei zusammenrühren.


(Michael Groschek [SPD]: Sie gehören ins historische Museum!)


Schließen Sie vor allen Dingen nicht von den Din-
gen, die Sie vielleicht betreiben – ich muss das so
annehmen –, auf die Handlungsweise der Bundeskanz-
lerin.

Gestatten Sie noch einige Sätze zur juristischen De-
batte. Als Nichtjuristin habe ich mehr als einmal


(Ulrich Kelber [SPD]: Feuer gelegt!)


aus der Juristenriege den Satz gehört: zwei Juristen, drei
Meinungen. Im Zweifel entscheide ich mich natürlich
für die tragfähigsten Argumente und für die Sicherheit.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Verfassung? Scheißegal! Reden Sie mal mit Herrn Lammert! Oder mit Herrn Kauder, dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses!)


Der Weg der Bundeskanzlerin ist verantwortungsvoll,
der Weg der Bundesregierung ist verantwortungsvoll,
und der Weg der Regierungsfraktionen ist verantwor-
tungsvoll.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709604400

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Bareiß von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1709604500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Niemanden von uns lassen die Bilder, die wir in
den letzten drei bis vier Tagen gesehen haben, kalt: ein
Erdbeben von diesem Ausmaß verbunden mit einer töd-
lichen Flutwelle, über 5 000 Tote und immer noch über
10 000 Vermisste in Japan.





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Am Ende dieser Debatte sage ich: Bezeichnend ist,
dass von Rot-Grün heute nur die Frage nach der Sicher-
heit deutscher Kernreaktoren gestellt wurde. Das finde
ich erbärmlich.


(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU])


Trotz aller verständlichen Emotionen in dieser De-
batte lassen Sie uns bitte nicht vergessen, dass Sicherheit
eine objektive und keine psychologische Grundlage ist.
An der objektiven Sicherheitslage deutscher Kernkraft-
werke hat sich in den letzten sieben Tagen nichts, aber
auch gar nichts verändert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Interessant!)


Ich sage ganz deutlich: Ich habe aus Überzeugung vor
einem halben Jahr der Laufzeitverlängerung zuge-
stimmt. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass
diese Entscheidung richtig war.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Endlich einer, der dazu steht!)


Sie ist aus meiner Sicht deswegen richtig, weil der As-
pekt der Sicherheit von Kernkraftwerken in unserem
Land immer oberste Priorität hat und die Sicherheit noch
vor einem halben Jahr verbessert worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit diesem Anspruch sind wir heute das Land mit den
höchsten Sicherheitsanforderungen an die Kernenergie.

Aber, liebe Freunde, sicherlich ist unbestritten,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wir sind nicht auf dem Parteitag!)


dass trotz höchster Sicherheitsanforderungen ein Rest-
risiko bestehen bleibt. Auch Ihnen, Herr Gabriel, sage
ich deutlich: Ich halte dieses Restrisiko bei deutschen
Kernkraftwerken unter deutschen Sicherheitsstandards
nach wie vor für ethisch verantwortbar.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,
zu der Einschätzung gelangen, dass dieses Risiko nicht
mehr verantwortbar ist, müssen Sie, wenn Ihnen die Si-
cherheit der Menschen in unserem Land wichtig ist,
noch heute sofort abschalten und alle Kernreaktoren
vom Netz nehmen. Aber das haben auch Sie, Herr
Trittin, und Sie, Herr Gabriel, in Ihren acht Regierungs-
jahren nicht gemacht.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sieben!)


Natürlich ist auch unser Anspruch, das Restrisiko so
gering wie möglich zu halten und weiterhin zu reduzie-
ren.

Vor diesem Hintergrund begrüße ich das Moratorium
unserer Bundeskanzlerin. Während dieser Zeit muss die
Lage analysiert werden, und es muss aus meiner Sicht
die Frage beantwortet werden, was wir aus der Analyse
lernen können und was die Konsequenz für unsere Si-
cherheitsstandards und unsere Kernreaktoren ist. Da-
rüber hinaus halte ich es ebenfalls für richtig, dass die
Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem Energiekommis-
sar Oettinger für eine Neubewertung der Reaktorsicher-
heit auf europäischer und internationaler Ebene kämpft;
denn eines muss uns klar sein: Es wird in Europa auch
weiterhin Kernenergie geben. Wir werden, auch wenn
wir alle Reaktoren abschalten, in Deutschland weiterhin
Kernenergie haben. Ich halte es für nicht verantwortbar,
wenn wir deutsche Kernkraftwerke abschalten und uns
von ausländischen, unsicheren Kraftwerken abhängig
machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, wir brauchen einen offenen Diskussions-
prozess. Das kann in der Konsequenz auch heißen, dass
Kernkraftwerke endgültig vom Netz genommen werden.
Wir stehen aber – daran hat sich in den letzten drei Ta-
gen nichts geändert – nach wie vor vor großen Heraus-
forderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
Ein Kernbestandteil unseres Energiekonzepts war, die
Brücke in das Zeitalter der regenerativen Energien zu
gestalten. Auch daran wollen wir zukünftig festhalten.
Ich bitte zum Schluss, dass wir die kommenden Debat-
ten sachlich und seriös führen; denn Seriosität habe ich
in den letzten drei Tagen hier im Hause vermisst.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709604600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir
nun insgesamt sieben namentliche Abstimmungen und
eine einfache Abstimmung durchführen werden. Bitte
achten Sie darauf, dass die Stimmkarten, die Sie verwen-
den, auch Ihren Namen tragen.

Wir beginnen mit der namentlichen Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP auf Drucksache 17/5048. Dazu liegen uns vier
persönliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord-
nung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. – Sind die Schriftführerinnen und
Schriftführer an Ort und Stelle? – Das scheint der Fall zu
sein. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimm-
karten einzuwerfen.

Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten
eingeworfen? – Das ist anscheinend der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, auszuzählen. Das Ergebnis der
Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zu
dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/5049. Die Fraktion der SPD hat getrennte
Abstimmungen verlangt. Über Nr. 1 des Entschließungs-
antrags werden wir mittels Handzeichen abstimmen.

1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 10921 A





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)

Über die Nrn. 2, 3 und 4 des Entschließungsantrags wer-
den wir namentlich abstimmen.

Wir stimmen zunächst über Nr. 1 des Entschlie-
ßungsantrags ab. Diejenigen, die für Nr. 1 des Ent-
schließungsantrags der SPD stimmen, bitte ich um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Letzteres ist offenkundig die Mehrheit gewesen.
Nr. 1 dieses Entschließungsantrags ist damit abgelehnt.

Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über
Nr. 2 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/5049.1) – Die Urnen sind weiterhin
besetzt. Ich eröffne diese Abstimmung und gebe gleich-
zeitig bekannt, dass dazu zwei Erklärungen nach § 31
unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir zu Proto-
koll nehmen.2)

Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte zur
zweiten namentlichen Abstimmung eingeworfen? – Ich
schließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Wir kommen damit zur dritten namentlichen Abstim-
mung, nämlich über Nr. 3 des Entschließungsantrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5049. Die Urnen
sind besetzt. Deswegen eröffne ich die Abstimmung und
bitte, die Stimmkarten einzuwerfen.

Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte zur
dritten namentlichen Abstimmung eingeworfen? – Das
ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich den Wahl-
gang und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.3)

Wir kommen jetzt unverzüglich zur vierten namentli-
chen Abstimmung, nämlich über Nr. 4 des Ent-
schließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/5049. Ich bitte, die Stimmkarten einzuwerfen.
Die Abstimmung ist eröffnet.

Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm-
karte für die vierte namentliche Abstimmung abgege-
ben? Bei mir melden sich nämlich immer mehr Kolle-
gen, die eine Abstimmung versäumt haben. Deswegen
bitte ich um Aufmerksamkeit. – Wenn alle ihre Stimm-
karte abgegeben haben, schließe ich den Wahlgang und
bitte, mit der Auszählung zu beginnen.4)

Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/5050. – Die Urnen sind weiterhin be-
setzt. Ich eröffne die Abstimmung – es handelt sich um
die fünfte namentliche – und bitte, die Stimmkarten ein-
zuwerfen.

Haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimmkarte einge-
worfen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe
ich den Wahlgang. Ich bitte, mit der Auszählung zu be-
ginnen.5)

Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die

1) Ergebnis Seite 10923 B
2) Anlage 3
3) Ergebnis Seite 10926 A
4) Ergebnis Seite 10928 B
5) Ergebnis Seite 10930 B
Grünen auf Drucksache 17/5051. Das ist die sechste na-
mentliche Abstimmung. Ich bitte, mit der Abstimmung
zu beginnen.

Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar-
ten zur sechsten namentlichen Abstimmung eingewor-
fen? Gibt es noch Nachzügler? – Das ist offenkundig
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte,
mit der Auszählung zu beginnen.6)

Wir kommen schließlich zur namentlichen Abstim-
mung über den zweiten Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5052.7)
Das ist die siebte namentliche Abstimmung. Ich eröffne
die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwer-
fen.

Haben nun alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimmkarte zur siebten namentlichen Abstimmung ein-
geworfen? – Das ist der Fall. Dann schließe ich jetzt die
siebte namentliche Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen.8)

Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben. Ich weise darauf
hin, dass wir in etwa anderthalb Stunden eine weitere na-
mentliche Abstimmung durchführen werden.

Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 1. Interfraktio-
nell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-
che 17/5035 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun-
deswahlgesetzes

– Drucksache 17/4694 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Aussprache nicht teilnehmen wollen, ihre Beratungen
außerhalb des Plenarsaales fortzusetzen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Volker Beck von Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.

6) Ergebnis Seite 10933 A
7) Anlage 4
8) Ergebnis Seite 10935 B






(A) (C)



(D)(B)


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709604700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! José

Ortega y Gasset sagte einmal:

Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und
Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügi-
gen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Al-
les andere ist sekundär.

Das Wahlrecht ist das Kernstück der Demokratie. Es
ist greifbares und begreifbares Mittel der Teilnahme der
Bürger am politischen Prozess. Das Wahlsystem als
Ganzes ist Transformator des Volkswillens. In ihm mani-
festiert sich – in der Stimmabgabe, in der mandatsgemä-
ßen Machtverteilung der politischen Parteien im Parla-
ment – der Wille des Volkes. Fragen des Wahlrechtes
gehören daher zu den Grundfragen der Demokratie.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns am 3. Juli
2008 in seinem Urteil zur fehlenden Verfassungsmäßig-
keit des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag aufgege-
ben, bis zum 30. Juni 2011 die Effekte des negativen
Stimmgewichtes – das ist etwas Kompliziertes, das der
Bürger nicht so einfach versteht – zu beseitigen. Das ne-
gative Stimmgewicht bedeutet: Ich wähle eine Partei,
aber eine andere Partei profitiert davon, und bei meiner
Partei fällt ein Mandat weg. – Das verkehrt den Sinn des
Wahlrechts ins Gegenteil. Deswegen müssen wir uns mit
dieser Thematik befassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Fraktion haben bereits im Februar 2009 erst-
mals hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, um dieses
negative Stimmgewicht zu beseitigen und die Chance zu
eröffnen, dass dieser Deutsche Bundestag mit einem ver-
fassungsgemäßen Wahlrecht gewählt wird. Das ist da-
mals gescheitert. Die Kolleginnen und Kollegen der heu-
tigen Koalition meinten damals, das gehe zu schnell; der
Debattenbedarf sei groß, und man müsse das gründlich
erörtern. Nun ist ein Jahr ins Land gegangen. Die Grenze
30. Juni 2011 steht vor uns. Im März dieses Jahres gibt
es wieder keinen Vorschlag der regierenden Mehrheit,
obwohl sich die Geschäftsführer unzählige Male im De-
zember und im Januar getroffen haben. Die Koalition ist
sich – genauso wie bei Hartz IV – beim Wahlrecht nicht
einig. Es gibt keinen entsprechenden Vorschlag, den der
Deutsche Bundestag in den Ausschüssen mit Sorgfalt
prüfen kann. Deshalb haben wir heute unseren Vorschlag
erneut vorgelegt, allerdings im Lichte der Anhörung im
Innenausschuss entsprechend verbessert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oder verschlechtert!)


Wir schlagen vor, dass in Zukunft zwei Prinzipien im
Wahlrecht gelten. Zunächst wird nach dem Verhältnis-
wahlrecht festgestellt, wie viele Mandate einer Partei zu-
stehen. Hat sie mehr Direktmandate gewonnen, als ihr
nach dem Verhältniswahlrecht zustehen, dann werden
diese Direktmandate nach der Reihenfolge der Wahler-
folge quasi von hinten weggenommen. Das sieht übri-
gens auch das bayerische Landeswahlrecht so vor. Der
bayerische Gerichtshof hat dazu gesagt, es sei nicht zu
beanstanden, wenn eine Regelung dazu führt, dass bei
Überhängen die Stimmkreisbewerber in der Reihenfolge
der niedrigsten Stimmzahlen ausscheiden.


(Zuruf von der LINKEN: Sehr demokratisch!)


Das ist der erste Prinzip.

Das zweite Prinzip ist: Hat eine Partei in einem Wahl-
gebiet in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt,
als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustehen, dann
werden diese Direktmandate mit den Listenerfolgen an-
derer Bundesländer verrechnet, sodass es zu keiner Ver-
größerung der betreffenden Fraktion kommt.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr gut!)


Warum ist es so wichtig, dass wir diese Überhang-
mandate abschaffen?


(Zurufe von der CDU/CSU: Das tun Sie gar nicht!)


Ich habe beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen
Bundestages eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Ich
zitiere daraus mit Erlaubnis des Präsidiums


(Zurufe von der SPD: Aber anständig zitieren!)


und mache mir diese Erkenntnisse zu eigen. Danach ist,
legt man die jetzigen Wahlumfragen zugrunde, zu be-
fürchten, dass bei der nächsten Wahl zum Deutschen
Bundestag 30 bis 60 Überhangmandate entstehen. Das
heißt, die Zahl der Überhangmandate ist durchaus be-
achtlich und hat hier im Deutschen Bundestag mindes-
tens Fraktionsstärke. Es besteht die ernsthafte Gefahr,
dass der Wählerwille durch den Effekt der Überhang-
mandate in sein Gegenteil verkehrt wird, indem ein Teil
des Hauses die Mehrheit der Zweitstimmen erringt, aber
ein anderer Teil des Hauses die Mehrheit der Mandate
hat. Wenn es dazu kommt, dann wird der Hund in der
Pfanne verrückt. Dann sagen unsere Wählerinnen und
Wähler: Das ist keine Demokratie. Wir wollen, dass der
Deutsche Bundestag den Wählerwillen des deutschen
Volkes abbildet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Effekte des
negativen Stimmgewichts kritisiert. Zum einen kann der
Wille des einzelnen Wählers in einem Wahlkreis ins Ge-
genteil verkehrt werden. Zum anderen – das betrifft ei-
nen anderen Prüfmaßstab, der bei der Frage der Über-
hangmandate von Bedeutung ist – könnten die
Mehrheitsverhältnisse verändert werden. Wir müssen
deshalb eine Lösung wählen, bei der Überhangmandate
vermieden werden.

Unsere Fraktion klebt nicht an dem vorgelegten Vor-
schlag, auch wenn ihn das Bundesverfassungsgericht in
seinem Urteil ausdrücklich als einen der möglichen Lö-
sungswege bezeichnet hat. Meine Damen und Herren
von der Koalition, wir von der Opposition lassen es Ih-
nen aber auf keinen Fall durchgehen, dass Sie uns hier
ein Wahlgesetz vorlegen und mit Ihrer knappen Mehr-
heit beschließen, das dazu führen kann, dass die Mehr-
heit der abgegebenen Stimmen nicht zu einer Mehrheit





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

der Mandate im Deutschen Bundestag führt. Einen sol-
chen Versuch eines Putsches im Wahlrecht werden wir
Ihnen nicht durchgehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich fordere Sie auf: Kommen Sie auf der Grundlage
unseres Gesetzentwurfs zurück zum Verhandlungstisch!
Verhandeln Sie mit SPD, Grünen und Linken gemein-
sam über die Wahlrechtsreform! Wir haben einen Vor-
schlag gemacht, Ihrer liegt nicht auf dem Tisch. Lassen
Sie uns diese Frage gemeinsam regeln!

Sie haben die ganze Zeit gepennt. Damit haben Sie
uns in eine Situation gebracht, in der echte Sorgfalt nicht
mehr möglich ist. Die Berücksichtigung weiterer Fragen,
die man an das Wahlrecht stellen könnte – unabhängig
davon, ob das verfassungsrechtlich zwingend ist –, ist
nicht mehr möglich; das kann nicht mehr seriös geprüft
und diskutiert werden. Wir müssen jetzt zu Potte kom-
men. Sie können Ihre internen Differenzen nicht dazu
nutzen, um hier quasi am letzten Tag, in der letzten
Nacht vor der Sommerpause ein Wahlrecht durchzudrü-
cken, das am Ende einer Überprüfung in Karlsruhe nicht
standhalten wird. Ich sage Ihnen: Wenn Sie ein Wahl-
recht beschließen, das den Volkswillen nicht eindeutig
abbildet und dessen Umsetzung nicht garantiert, dann
sehen wir uns in Karlsruhe wieder, und zwar – wenn Sie
bis zum Ende der Wahlperiode durchhalten sollten – vor
der Bundestagswahl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709604800

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1709604900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es fällt mir – ich denke, auch den anderen
Rednern in der Debatte – nicht leicht, sich nach der De-
batte über die Ereignisse in Japan und die Konsequenzen
in Deutschland wieder einem rein innenpolitischen
Thema – man könnte sagen: einem Luxusproblem der
deutschen Politik – zuzuwenden: dem negativen Stimm-
gewicht.

Ich darf eine einleitende Bemerkung in eigener Sache
machen. Der Zeitplan ist heute bei uns allen deutlich
durcheinandergeraten. Das führt unter anderem dazu,
dass fast parallel zu dieser Debatte die jährliche Richter-
wahl im Deutschen Bundestag stattfindet. Ich bitte, es
ausnahmsweise zu entschuldigen, wenn ich etwas früher,
vor Ende der Debatte, verschwinden muss. Das gehört
sich normalerweise nicht; aber ich hoffe, Sie sehen es
mir nach.

Die Grünen sind in Sachen Wahlrecht eine umtriebige
Partei;


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur in Sachen Wahlrecht!)

vielleicht hat das etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu
tun. Sie haben einen ähnlichen Antrag wie heute schon
einmal am Ende der 16. Wahlperiode und in der
13. Wahlperiode vorgelegt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil wir Regelungsbedarf haben!)


Dabei kommt die Frage auf: Wo bleiben denn die An-
träge in der 14. und 15. Wahlperiode? Da haben Sie re-
giert; da hätten Sie die Mehrheit gehabt, um das „Übel“
– aus Ihrer Sicht – zu beseitigen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Verfassungsgerichtsurteil ist von 2008! Seitdem gibt es den Auftrag an den Gesetzgeber!)


Sie haben die Möglichkeit nicht genutzt. Man muss also
ganz sachlich und neutral festhalten: Das Thema war Ih-
nen jedenfalls zu jener Zeit nicht ganz so wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe grundsätzlich Verständnis dafür, dass Sie
dieses Anliegen heute im Deutschen Bundestag vortra-
gen. In der Tat: Die Frist drängt; sie läuft Mitte des Jah-
res aus.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben darauf gewartet, dass Sie etwas vorlegen!)


Wir können uns jetzt natürlich gegenseitig mangelnden
Fleiß oder mangelnden Willen bei der Lösung des Pro-
blems vorwerfen. Aber ich glaube, wir müssen bei einer
ehrlichen Betrachtung der Sache zugeben, dass das nicht
den Kern der Sache trifft. Das Problem ist hochkomplex,
und wer das nicht einsieht, zeigt, dass er sich mit der Sa-
che nicht hinreichend befasst hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dauernd etwas vorgelegt!)


2008 hat die große Mehrheit des Deutschen Bundes-
tages, einschließlich der Kollegen der SPD, das geltende
Wahlrecht inklusive des negativen Stimmgewichts in
Karlsruhe verteidigt. Wir wussten genau, dass dieses ne-
gative Stimmgewicht kein Betriebsunfall, kein Schön-
heitsfehler des Wahlrechts ist, sondern die unmittelbare,
fast logische Konsequenz der besonderen Verknüpfung
von Direktwahl und Listenwahl in unserem Wahlrecht.
Man kann ein anderes Wahlrecht wollen. Man kann ein
Mehrheitswahlrecht oder ein reines Verhältniswahlrecht
wollen. Dann würde dieses Problem nicht auftauchen.
Ich glaube aber, dass diese Verknüpfung richtig ist – ich
denke, darüber sind wir uns im Grundsatz einig –, auch
wenn sie systembedingt in Einzelfällen zu einem negati-
ven Stimmgewicht führt.

Am Beginn dieser Wahlperiode haben wir uns mit ei-
nigen Kollegen – die Kollegen Ruppert, Uhl und andere
waren dabei – intensiv Gedanken darüber gemacht, wel-
che Lösungen es gibt. Die Sache ist komplex und kom-
pliziert.





Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lange gebrütet, aber kein Ei gelegt! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/ CSU]: Noch nicht!)


Wir haben festgestellt, dass die meisten Lösungen, die
angeboten werden, entweder noch schlimmere Folgen
haben – das gilt auch für Ihren Vorschlag; darauf komme
ich gleich noch zu sprechen – oder das negative Stimm-
gewicht gar nicht oder nur zu einem geringen Teil besei-
tigen.

Hätte es eines Beweises bedurft, dass die Sache
schwierig und nicht einfach zu lösen ist, so haben Sie
diesen Beweis, Herr Kollege Beck, mit diesem wirklich
sehr dürftigen Gesetzentwurf erbracht.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ärmlich! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selber nichts vorlegen, aber 19 Minuten unseren madig machen!)


Ihr Gesetzentwurf lässt – das ist mein erster Kritikpunkt –
jegliche Auseinandersetzung mit alternativen Lösungs-
ansätzen vermissen. Wenn der Gesetzgeber, gerade wenn
es um die eigene Sache geht, zwischen gänzlich ver-
schiedenen Lösungen auswählen muss, dann ist es auch
im Licht der aktuellen Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts in Karlsruhe geboten, dass er dabei ein
Mindestmaß an Rationalität und Transparenz erkennen
lässt. Genau das fehlt aber bei Ihrem Gesetzentwurf. Sie
haben auf etwa einer halben Seite eine dünne Analyse
– das ist eher eine Nacherzählung – des Urteils des Bun-
desverfassungsgerichts in Karlsruhe vorgenommen.

Es gibt keine Auseinandersetzung mit Alternativen.
Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit einer
Alternative, die sich geradezu aufdrängt, wenn man da-
nach fragt, welches die Ursache für das negative Stimm-
gewicht ist. Die Ursache haben Sie gar nicht angespro-
chen. Die Ursache ist die Verknüpfung der Landeslisten,
die Reststimmenverwertung. Es ist doch naheliegend,
sich damit auseinanderzusetzen. Wenn das Problem die
Verbindung der Landeslisten ist, könnte die Trennung
der Landeslisten doch die Lösung sein. Es ist immer gut,
wenn die Lösung etwas mit dem Problem zu tun hat. Das
gilt nicht nur, aber insbesondere in diesem Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP])


Dieses Modell ist immerhin in den ersten beiden Bun-
destagswahlen erfolgreich angewendet worden. Inso-
fern hätte man sich damit zumindest auseinandersetzen
müssen. Mehr verlange ich von Ihnen gar nicht. Ich
glaube, das ist nicht zu viel verlangt.

Ihr Gesetzentwurf – diesen Vorwurf kann ich Ihnen
leider nicht ersparen – ist auch handwerklich miserabel.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Armselig!)


Ich will aus der Begründung zitieren: „Alternativ wäre
die Fraktion“, also Sie, „gesprächsbereit“, auch eine an-
dere „Lösung zu unterstützen“. Das können Sie in einem
Brief oder einer E-Mail an mich schreiben. Das können
Sie auch in einem Telefonat mit mir sagen. Das steht
aber in einem Dokument,


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Gesetz!)


das aus Ihrer Sicht die amtliche Begründung eines Ge-
setzes der Bundesrepublik Deutschland werden soll. Wir
machen uns doch lächerlich, wenn wir so etwas in die-
sem Hause zur Gesetzesbegründung erheben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da Sie zu diesem Thema schon öfter etwas vorgelegt ha-
ben, wäre es gut, wenn Sie die Sache das nächste Mal ei-
nem Juristen überlassen oder einen Juristen zumindest
einmal drübergucken lassen – Sie haben in Ihrer Frak-
tion ja kompetente Kollegen –, bevor wir uns hier damit
befassen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Krings!)


Ich komme zum dritten, vielleicht entscheidenden
Kritikpunkt. Das, was Sie in diesem Gesetzentwurf vor-
schlagen, ist unter regionalen und föderalen Gesichts-
punkten in hohem Maße ungerecht und unfair. Ihr Vor-
schlag basiert im Kern darauf, dass Überhangmandate,
die in einem Bundesland entstehen, in einem anderen
Bundesland kompensiert werden. Für Überhangman-
date sollen in einem anderen Bundesland Listenmandate
weggenommen werden. Abgeordneten, die nach dem
Wahlergebnis eines Bundeslandes bereits gewählt sind,
soll das Mandat also entzogen werden, um Überhang-
mandate zu kompensieren. Schon heute sind – das ist
richtig – die Länder, in denen es relativ viele Überhang-
mandate gibt, in föderaler Hinsicht im Vorteil; denn sie
haben aufgrund der Überhangmandate auf Bundesebene
ein größeres politisches Gewicht. Was wäre die Folge Ih-
res Vorschlages? Dieses Problem würde verschärft.

Die Länder, in denen üblicherweise keine Überhang-
mandate anfallen, hätten dadurch einen Nachteil. Ich
komme aus einem solchen Bundesland. Nordrhein-West-
falen hatte noch nie ein Überhangmandat. Wir haben ein
ausgewogenes Verhältnis von Erst- und Zweitstimmen.
Hier gibt es Hochburgen beider großen Parteien. Wir
sind bereits tendenziell im Nachteil, weil wir nie Über-
hangmandate bekommen können. Das kann man als Teil
dieses Wahlsystems akzeptieren. Aber wir wären dann
doppelt im Nachteil, weil wir zusätzlich quasi als Stein-
bruch für andere Bundesländer mit Überhangmandaten
herhalten müssten. Diese föderale Ungerechtigkeit
taucht in Ihrer Begründung nicht einmal auf. Sie ist mei-
nes Erachtens der Hauptkritikpunkt und das Hauptpro-
blem bei Ihrem Vorschlag. Ich frage mich auch, ob es
wirklich demokratisch und föderal fair wäre, wenn bei-
spielsweise ein sächsisches Überhangmandat dazu
führte, dass ein bereits in Nordrhein-Westfalen oder im
kleinen Saarland gewählter Abgeordneter sein Mandat
verlieren müsste.

Wenn man das ganz nüchtern auf die letzte Bundes-
tagswahl anwendet, sieht man: Das führt zu grotesken
Ergebnissen. In Brandenburg hat knapp ein Viertel der
Wähler bei der letzten Bundestagswahl der CDU das





Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)

Vertrauen ausgesprochen. Nach Ihrer Lösung würde nur
ein einziger Abgeordneter für Brandenburg im Deut-
schen Bundestag sitzen. Das hätte bedeutet, dass etwa
330 000 CDU-Wähler in Brandenburg


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: 342 000!)


von einem einzigen Abgeordneten im Deutschen Bun-
destag vertreten würden. Im Durchschnitt vertritt in der
Republik ein Abgeordneter etwa 65 000 Wähler. Dieses
eklatante Missverhältnis ist wirklich nicht mehr be-
gründbar und nicht mehr darstellbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man kann das weiter durchspielen. Bei realistischen
Szenarien sind durchaus Extremfälle denkbar, zum Bei-
spiel dass ein Land knapp die Hälfte der ihm zustehen-
den Mandate verliert, dass es statt der üblichen 20 Man-
date nur noch 11, 12 oder 13 Mandate hat. Das ist eine
eklatante Benachteiligung von bestimmten Bundeslän-
dern. Es ist nicht zu akzeptieren, dass ein Drittel oder ein
Viertel der Menschen in einem Bundesland eine Partei
wählt, diese Partei dann aber ohne ein Mandat ausgeht.
In Brandenburg hätte nur ein Wahlkreis verloren werden
müssen, und dann wären die 330 000 CDU-Wähler ohne
jegliche Vertretung im Deutschen Bundestag gewesen.
Das ist das Gegenteil von Demokratie, und das ist nicht
akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709605000

Herr Kollege Krings, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Beck?


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1709605100

Ich habe ausreichend Redezeit; die brauche ich nicht

zu verlängern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709605200

Die Redezeit wird angehalten.


Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1709605300

Das ist ein ganz reizendes Angebot. Aber das ist nicht

notwendig. Vielen Dank.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen sich also jetzt zu Ihren Vorschlägen äußern!)


Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihr Vor-
schlag ist – das wird vielleicht noch deutlicher, wenn Sie
es im Zusammenhang hören – ein besonderes Beispiel
für Willkür. Wenn hier Preise für Willkür und für man-
gelnde demokratische Reife eines Vorschlags


(Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Machen Sie mal einen Vorschlag!)


zu verteilen gewesen wären, hätten Sie beide Preise spie-
lend abgeräumt.
Interessant ist auch, dass Ihnen die wissenschaftlichen
Unterstützer Ihres Vorschlags so langsam, aber sicher
ausgehen. Es gab in der letzten Wahlperiode bei Ihnen
eine Anhörung mit dem Mathematiker Pukelsheim, der
versucht hat, Ihnen da ein wenig auf die Sprünge zu hel-
fen. Er hat sich inzwischen offenbar von Ihrem Gesetz-
entwurf distanziert. Sie zitieren ihn auch gar nicht mehr.
Er hat offenbar andere Präferenzen und hat erkannt, dass
es eine föderale Unwucht in ihrem Vorschlag gibt.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Der redet nur noch mit euch! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Vorschlag?)


Ich freue mich daher, dass die Einwände gegen diese fö-
derale Ungerechtigkeit, die in der letzten Wahlperiode
nur ich hier im Deutschen Bundestag kritisiert habe, zu-
mindest in der Wissenschaft auf fruchtbaren Boden ge-
fallen sind. Die Lernkurve bei den Grünen ist wieder
einmal etwas ungünstiger.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Professor Meyer hat uns unterstützt! Der Verfassungsrichter Simon hat uns unterstützt! Viele!)


Meine Damen und Herren, vollends lächerlich – jetzt
wird es ganz bitter für Sie – und absurd ist § 7 Abs. 6 Ih-
res Gesetzentwurfs. Wenn ich darf, zitiere ich:

Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direkt-
mandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, so
werden die überzähligen Wahlkreissitze der Kandi-
daten dieser Partei mit dem geringsten prozentualen
Stimmenanteil nicht besetzt; …

Ich will der Mehrheit Ihrer Fraktion zugutehalten, dass
sie diese Vorschrift vielleicht nicht gelesen hat, dass sie
der eine oder andere vielleicht auch nicht verstanden hat.
Das mag sein – es ist eine komplizierte Materie –, aber
ich möchte gern Ihre Fraktionskollegen bösgläubig ma-
chen. Das ist der erste Vorschlag in der Geschichte des
Wahlrechts der Bundesrepublik Deutschland – man
könnte auch bis zu den Reichstagswahlen zurückgehen –,
nach dem einem in einem Wahlkreis direkt gewählten
Abgeordneten sein Mandat verweigert wird. Was daran
demokratisch sein soll, möchte ich einmal wissen. Je-
denfalls ist es Gift für die demokratische Akzeptanz und
für das Vertrauen der Menschen in die Integrität des
Wahlvorgangs. Diese hanebüchene Regelung kann
durchaus – ich habe zuerst gar nicht glauben wollen,
dass man so etwas ernsthaft vorschlägt; ich habe es drei-
mal lesen müssen – dazu beizutragen, dass das Vertrauen
der Menschen in den Wahlvorgang abnimmt. Ich glaube
kaum, dass jemand, der als Wähler Opfer Ihrer Regelung
geworden ist, dann noch freudig zur nächsten Bundes-
tagswahl geht. Ihr Vorschlag ist nichts anderes als ein
großes Programm zur Reduzierung der Wahlbeteiligung
in unserem Land.

Das ist natürlich auch für einen Kandidaten misslich.
Er hat einen spannenden Wahlkampf geführt – es kommt
ja gerade in den Wahlkreisen zum Tragen, wo es zwi-
schen zwei oder drei großen Parteien knapp wird –, er
hat, vielleicht knapp, gesiegt, und dann zieht er nicht in





Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)

den Bundestag ein. Diese Perspektive des Kandidaten
halte ich aber für gar nicht so wichtig. Ich betrachte das
mehr aus der Perspektive des Wählers – Sie würden sa-
gen: der Wählerinnen und Wähler – in einem Wahlkreis.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Wieder etwas gelernt!)


Es könnte zu folgendem Fall kommen: In einem
Wahlkreis hat sich die Mehrheit für einen bestimmten
Kandidaten entschieden, und dann müssen die Wähler
am nächsten Tag in der Zeitung lesen, dass der Kandi-
dat, der ihre Interessen in Berlin vertreten soll, nicht in
den Bundestag einrücken kann, weil irgendwo 500 Kilo-
meter weiter weg so viele Überhangmandate angefallen
sind, dass sein Mandat sozusagen als Kompensations-
masse, als Steinbruch benutzt wird. Das hätte zwei mög-
liche Folgen.

Folge eins: Der Kandidat, der gewählt worden ist,
kommt nicht in den Bundestag, aber ein anderer Kandi-
dat, der auf einer Liste abgesichert ist, kommt in den
Bundestag und kann die Wahlkreisinteressen vertreten.
Der Gewinner bleibt dann draußen, und der Verlierer
kommt rein. Das wäre geradezu die Verkehrung des
Wahlergebnisses in einem Wahlkreis in sein Gegenteil.
Auch das Gegenteil von demokratischer Akzeptanz wäre
die Folge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Folge zwei träte ein, wenn keiner der Kandidaten auf
der Landesliste abgesichert ist. Es ist ja möglich, dass im
Wahlkreis keiner der Kandidaten auf einer Liste abgesi-
chert ist. Dann wäre dieser Wahlkreis ohne jegliche Ver-
tretung im Deutschen Bundestag. Ich frage auch hier, ob
das demokratisch ist.

Gestatten Sie mir diese Bemerkung: Es mag ja sein,
dass eine Fraktion, Herr Beck, die als einzigen direkt ge-
wählten Kandidaten den Kollegen Ströbele hat,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden immer mehr!)


es vielleicht nicht ganz so wichtig findet, dass viele über
Direktmandate in den Bundestag kommen – das müssen
sie unter sich ausmachen; vielleicht haben Sie auch ein
Problem mit direkt gewählten Kandidaten –,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei unseren Direktwahlergebnissen würde der nie runterfallen!)


aber das, was Sie vorschlagen, wäre nicht gut für die De-
mokratie, nicht gut für die Akzeptanz des Wahlvorgan-
ges.

Was ich hier angesprochen habe, ist keine blanke
Theorie. Bei der letzten Bundestagswahl wären drei
CSU-Abgeordnete nicht in den Deutschen Bundestag
gekommen, obwohl sie in ihren Wahlkreisen gewählt
wurden. Das wäre nicht in Ordnung.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Das hätte die Demokratie verkraftet! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Überhangmandat ist auch nicht in Ordnung!)


Das hätte die Wähler vor Ort nicht motiviert, zur Wahl
zu gehen. Das hätte die Wahlbeteiligung bei der nächsten
Bundestagswahl bestimmt nicht gesteigert.

Hätte die CDU deutschlandweit in einem der 16 Bun-
desländer nur einen Wahlkreis mehr gewonnen, wäre
auch bei ihr ein Direktmandat abgezogen worden. Dann
wäre der gleiche Effekt auch bei der CDU eingetreten.

Insofern betrifft das Phänomen des Abzuges nicht nur
die CSU, wie Sie es in der Begründung Ihres Gesetzent-
wurfs fälschlicherweise schreiben, sondern es betrifft
alle Volksparteien.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viele gibt es ja nicht!)


Alle Volksparteien, deren Kandidaten Direktmandate in
ihren Wahlkreisen gewinnen können, sind von diesem
Problem betroffen.

Wir haben den Gesetzentwurf der Grünen gewogen
und für zu leicht befunden. Er beweist, wie kompliziert
die Aufgabe ist. Dies erklärt auch, warum wir von den
Koalitionsfraktionen leider – das sage ich bewusst –
heute noch keinen Gesetzentwurf vorlegen können. Mir
ist es aber lieber, dass wir die Frist des Verfassungsge-
richts notfalls bis zur Neige ausschöpfen, als dass wir
dem Deutschen Bundestag ein dürftiges Machwerk vor-
legen, wie Sie es heute getan haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochmut kommt vor dem Fall!)


Das Wahlrecht – das haben, glaube ich, auch Sie be-
tont, Herr Beck – ist die Grundlage der Demokratie. Das
erfordert, dass die Menschen Vertrauen in die Integrität
des Wahlvorganges haben. Ein Wahlsystem muss daher
für den Bürger nachvollziehbar und durchschaubar sein.
Es darf nicht willkürlich erscheinen. Ich glaube, ich habe
eben hinreichend deutlich gemacht, wie willkürlich das
von Ihnen vorgeschlagene Wahlsystem dem Bürger vor
Ort erscheinen würde. Ein Wahlsystem muss die Sitzver-
teilung zwischen den Parteien, aber auch zwischen den
Landeslisten dem Wählerwillen gemäß abbilden. Auch
das wird mit Ihrem Gesetzentwurf in föderaler Hinsicht
nicht erreicht. Sie haben die beiden zentralen Probleme
der Wahlrechtsreform nicht gelöst.

Ich stimme Ihnen zu: Wir müssen mit Hochdruck
weiterarbeiten und miteinander reden, um die Sache zu
regeln. Aber tun Sie sich bitte selber einen Gefallen: Er-
sparen Sie sich die Peinlichkeit und ziehen Sie Ihren Ge-
setzentwurf zurück, ehe ihn noch mehr Leute lesen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709605400

Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmun-

gen. Ich gebe die von den Schriftführerinnen und





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)



(Hof) Jürgen Klimke Eckhard Pols Dr. Johann Wadephul

Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart

Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber

Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Michael Frieser Julia Klöckner Thomas Rachel Marco Wanderwitz
Schriftführern ermittelten E
chen Abstimmungen bekann

Entschließungsantrag der F
der Fraktion der FDP zu der A
klärung durch die Bundeskan

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon

ja: 308
nein: 272
enthalten: 6

Ja

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
rgebnisse der namentli-
t.

raktion der CDU/CSU und
bgabe einer Regierungser-

zlerin zur aktuellen Lage in

Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Japan, Drucksache 17/5048:
Mit Ja haben 308 Kolleginn
mit Nein haben 272 Kolle
stimmt. Es gab 6 Enthaltung
trag ist angenommen.

Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
abgegebene Stimmen 586.
en und Kollegen gestimmt,
ginnen und Kollegen ge-
en. Der Entschließungsan-

Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer

Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann

Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott

FDP
Ergebnis der zweiten n
Nr. 2 des Entschließungsantr
Drucksache 17/5049: abgege

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 588;
davon

ja: 277
nein: 311

Ja

CDU/CSU

Josef Göppel
Frank Heinrich
Rüdiger Kruse
Dr. Johann Wadephul

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
amentlichen Abstimmung,
ags der Fraktion der SPD,
bene Stimmen 588. Mit Ja

Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
haben gestimmt 277, mit Nei
leginnen und Kollegen, es ga

Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
n haben gestimmt 311 Kol-
b keine Enthaltungen.

Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair

Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager

Dr. Martin Lindner (Berlin)

Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Dr. Rainer Stinner
Raju Sharma Bettina Herlitzius Lisa Paus Holger Krestel
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Enthalten

CDU/CSU

Josef Göppel

(Villingen Schwenningen)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk

Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten

Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Wolfgang Gunkel (Tuchenbach) Ingrid Hönlinger Dr. Christoph Bergner
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)


Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler

Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Hans-Joachim Hacker Anton Schaaf Thilo Hoppe Peter Beyer
Wir kommen zu Nr. 3 des
Fraktion der SPD, Drucksa
Stimmen 584. Mit Ja haben 2

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon

ja: 205
nein: 310
enthalten: 70

Ja

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Entschließungsantrags der
che 17/5049: abgegebene
05 Kolleginnen und Kolle-

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht
gen gestimmt, mit Nein 309, u
Der Entschließungsantrag ist

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
nd es gab 70 Enthaltungen.
abgelehnt.

Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 588;
davon

ja: 273
nein: 315

Ja

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Nr. 4 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD,
Drucksache 17/5049: abgegebene Stimmen 593. Mit Ja
haben gestimmt 275, mit Nein 318 Kolleginnen und Kol-
legen, es gab keine Enthaltungen. Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt.
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthalten

CDU/CSU

Josef Göppel
Rüdiger Kruse

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Bartholomäus Kalb

Volker Kauder

Eduard Oswald

Beatrix Philipp

Michael Stübgen

Andrea Astrid Voßhoff

Heiner Kamp

Dr. h. c. Jürgen Koppelin

Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier

Ergebnis der namentlich
Entschließungsantrag der Fra
che 17/5050: abgegebene St
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann

en Abstimmung über den
ktion Die Linke, Drucksa-
immen 589. Mit Ja haben
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer

gestimmt 69, mit Nein 316,
Kollegen haben sich enthalt
trag ist abgelehnt.
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


und 204 Kolleginnen und
en. Der Entschließungsan-
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)


Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang

Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 588;
davon

ja: 69
nein: 315
enthalten: 204

Ja

SPD

Karin Evers-Meyer

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Enthalten

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

davon

ja: 278

Josef Göppel

Elvira Drobinski-Weiß

Karin Evers-Meyer
Elke Ferner

Dr. Eva Högl

Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose

Johannes Pflug

Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Frank Heinrich

Rüdiger Kruse
Dr. Peter Tauber
Dr. Johann Wadephul

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Ja

CDU/CSU

Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber

Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
nein: 309
Garrelt Duin
Sebastian Edathy

Christel Humme
Josip Juratovic

Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)


Ergebnis der namentlich
Entschließungsantrag der Fra
nen, Drucksache 17/5051:

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul

en Abstimmung über den
ktion Bündnis 90/Die Grü-

abgegebene Stimmen 588.

Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff

Mit Ja haben gestimmt 278,
und Kollegen, Enthaltungen g
ßungsantrag ist abgelehnt.

Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

mit Nein 310 Kolleginnen
ab es keine. Der Entschlie-

Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert

Ingbert Liebing
Matthias Lietz

Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)


Norbert Schindler
Tankred Schipanski

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker

FDP

Jens Ackermann

Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert

Ergebnis der siebten nam
diesem Fall über den Entschl
Bündnis 90/Die Grünen auf
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)


entlichen Abstimmung, in
ießungsantrag der Fraktion

Drucksache 17/5052: abge-
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin

gebene Stimmen 584. Mit Ja
Nein 311 Kolleginnen und K
haltungen. Der Entschließung
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


haben gestimmt 273, mit
ollegen, es gab keine Ent-
santrag ist abgelehnt.
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 584;
davon

ja: 273
nein: 311

Ja

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


sungsgericht vor fast drei Jahren entschieden hat, dass
unser Wahlrecht in Teilen nicht der Verfassung ent-


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr gut!)

spricht und repariert werden
Monate vor Ablauf der gese
Ich muss sagen: Das ist arms


(Beifall bei der SPD un DIE GRÜ Wir haben Ihnen schon d destagswahl Gespräche ange spräche mit Ihnen geführt. Vorschläge gemacht. (Dr. Günter Krings [CD so tol Aber Sie haben dieses Thema führen Sie keine Gespräche FDP, sich untereinander nich (Dr. Günter Krings [CD es nicht! – Gegenruf de muss, haben Sie jetzt, drei tzten Frist, keine Lösung. elig. d dem BÜNDNIS 90/ NEN)


irekt nach der letzten Bun-
boten. Wir haben auch Ge-
Wir haben als Opposition

U/CSU]: Auch nicht
le!)

vertagt. Seit drei Monaten
mehr, weil Sie, Union und
t einigen können.

U/CSU]: Darum geht
s Abg. Dr. Konstantin
Also: Wahlen sind Verfassu
mokratierecht. Das Wahlrech
dass das Vertrauen in die Fun
mokratie nicht beeinträchtigt


(Dr. Günter Krings [CD habe ich vor Wenn sich die Bürgerinne setz anschauen, dann stellen gesetzliche Zahl der Mitglied tages 598 beträgt. 299 Abgeo sen direkt gewählt, und 29 stimme über die Landesliste voll besetztem Plenum nachz len: Es sind nicht 598 Abge 14 Tagen waren es noch 62 Freiherr von und zu Guttenb sein Bundestagsmandat niede ngsrecht. Wahlen sind Det muss so gestaltet werden, ktionsfähigkeit unserer De wird. U/CSU]: Genau das getragen!)


n und Bürger das Wahlge-
sie fest: Dort steht, dass die
er des Deutschen Bundes-

rdnete werden in Wahlkrei-
9 werden mit der Zweit-
n gewählt. Würde man bei
ählen, würde man feststel-
ordnete, sondern 621. Vor
2. Dann ist allerdings der
erg zurückgetreten und hat
rgelegt.
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober

Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor

Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat der
Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1709605500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Krings, vielen

Dank für Ihre Offenheit. Nach der wortreichen Kritik am
Gesetzentwurf der Grünen haben Sie kurz vor Schluss
Ihrer Rede in zwei einfachen Sätzen doch noch die Ho-
sen heruntergelassen


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So würde ich es nicht ausdrücken!)


und etwas eingeräumt. Sie haben keine Lösung,


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Noch! Noch keine!)


Sie können nichts vorlegen. Nachdem das Bundesverfas-
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert

Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sondern?)

Sie rechnen ununterbrochen hin und her und versuchen,
für die eigene Fraktion in den Verhandlungen den größt-
möglichen Vorteil herauszuholen. Sie können sich aber
nicht einigen. Das, Herr Krings, ist kein angemessener
Umgang mit dem Wahlrecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Wahlrecht ist nicht irgendein Recht. Nach unserer
Verfassung geht die Staatsgewalt vom Volke aus,


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ich begrüße das!)


und sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen
ausgeübt.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Deshalb haben Sie ihn so angegriffen! Das war der Grund, das Überhangmandat!)


Normalerweise kommt dann ein Nachrücker von der
Landesliste und ersetzt den Abgeordneten, der sein Man-
dat niedergelegt hat. Bei Herrn zu Guttenberg ist das
nicht passiert. Das liegt jetzt nicht an der Einzigartigkeit
oder Unersetzlichkeit von Herrn zu Guttenberg, sondern
daran, dass Herr zu Guttenberg aus einem Landesver-
band kommt, nämlich aus Bayern,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein Landesverband!)


wo die CSU drei Überhangmandate erzielt hat. Solange
es Überhangmandate gibt, werden verlorene Mandate in-
folge von Mandatsniederlegungen nicht ersetzt. Das
heißt, der Deutsche Bundestag ist eine variable Größe.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: In der Demokratie ist das so! Demokratie ist eine variable Größe!)


Wir werden schon in 14 Tagen das zweite Schauspiel
erleben: Dann wird Frau Julia Klöckner,


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ministerpräsidentin!)


wenn sie als Oppositionsführerin in den rheinland-pfäl-
zischen Landtag wechselt,


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Als Ministerpräsidentin!)


ihr Mandat niederlegen, und – das werden Sie feststellen –
auch für sie rückt niemand nach.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Seien Sie doch froh! Das ist ein Geschenk an Sie!)


Denn auch in Rheinland-Pfalz hatte die CDU Überhang-
mandate.

Insgesamt hat die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
Bundestag 24 Überhangmandate.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So viele wie Sie damals aus Niedersachsen!)


So viele gab es im Deutschen Bundestag noch nie.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Etwa so viele hatte die SPD auch, fast!)


Um 24 Überhangmandate durch Zweitstimmen zu erzie-
len, müsste man 1,6 Millionen Zweitstimmen erhalten.
Sie haben 24 Extra-Mandate, für die Sie keinerlei Wäh-
ler aktivieren mussten.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Unsinn!)


Das ist eine grobe Verzerrung des politischen Wähler-
willens in Deutschland.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Nur die SPD-Überhangmandate waren gut!)

Davon hat in der Vergangenheit auch die SPD profi-
tiert.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!)


Das macht die Sache aber nicht gut, Herr Kollege, und
deshalb plädieren wir auch mit Blick darauf, dass die
SPD nach den augenblicklichen Umfragen schon wieder
in den Genuss von Überhangmandaten kommen würde,
dafür, neben dem negativen Stimmgewicht gleichzeitig
die grob ergebnisverzerrende Wirkung von Überhang-
mandaten zu beseitigen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Wir machen dies also auch zu unserem eigenen Nachteil
für den Fall, dass wir wieder in den Genuss von Über-
hangmandaten kommen sollten.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr großzügig!)


Das kann also kein Maßstab sein.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Mit welchem Vorschlag denn?)


Wir dürfen das nicht allein durch die parteipolitische
Brille betrachten, sondern wir sollten mit Sorge sehen,
dass im Fünfparteiensystem, das wir bedauerlicherweise
haben


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sechs Parteien!)


– ja, mit der CSU ist es sogar ein Sechsparteiensystem –,
der Trend zum Stimmensplitting stärker ausgeprägt sein
wird.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Was schlagen Sie denn vor?)


Die Konsequenz wird sein, dass wir noch mehr Über-
hangmandate bekommen, und der Kollege Beck hat
schon darauf hingewiesen: Es besteht die konkrete Ge-
fahr, dass Regierungsmehrheiten nach Zweitstimmen
durch Überhangmandate umgedreht werden können und
wir dann eine in ihrer Legitimität angezweifelte Mehr-
heit haben. Darauf eine Regierung zu stützen, würde
Deutschland ganz sicher direkt in die Verfassungskrise
führen.

Deshalb sagen wir: Die Überhangmandate müssen
wir jetzt gleich mit angehen. 24 Überhangmandate, die
Sie jetzt haben, das bewegt sich schon sehr stark auf die
Fünfprozentgrenze zu. Mit anderen Worten: Die Inhaber
von Überhangmandaten sind so etwas wie die sechste
oder, wie Sie wollen, siebte Fraktion hier im Deutschen
Bundestag. Sie sind ein Fremdkörper in unserem Wahl-
recht. Es geht jetzt darum, die Gelegenheit der verfas-
sungsrechtlichen Reparatur des Wahlrechts zu nutzen,
um diesen Fremdkörper aus unserem Wahlrecht zu ent-
fernen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Und wie wollen Sie es machen?)


Wir schlagen deshalb vor, dass Überhangmandate
durch Ausgleichmandate kompensiert werden sollen.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Oh! Ein größerer Bundestag! Der Bundestag wird groß!)


Allerdings ist auch das kein Vorschlag, der überhaupt
keine Probleme mit sich bringt. Es gibt übrigens keine
Lösung ohne Probleme; das muss man fairerweise ein-
mal sagen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Okay! Das ist ein wahres Wort!)


Auch das, was Sie überlegen, hat positive, aber auch ne-
gative Ansätze.

Wir wollen Ausgleichsmandate schaffen, sodass die
Proportionalität der abgegebenen Zweitstimmen wieder-
hergestellt wird, damit sich der Deutsche Bundestag so
zusammensetzt, wie es die Wählerinnen und Wähler mit
ihren Zweitstimmen entschieden haben. Das ist unser
Ziel. Wir wollen Ausgleichsmandate für die Überhang-
mandate schaffen. Wir wissen: Bei 24 Überhangmanda-
ten kommt man auf ungefähr 45 Ausgleichsmandate.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eher mehr!)


Das würde zu einer erheblichen Vergrößerung des Deut-
schen Bundestages führen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!)


Das streben wir jedoch nicht an. Deshalb sagen wir:
In der übernächsten Wahlperiode müssen wir uns an die
Arbeit machen und die Zahl der Wahlkreise verringern.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Alle Wahlkreise neu?)


– Nein, nicht alle Wahlkreise, aber es ist ein erhebliches
Stück Arbeit.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Alle Wahlkreise? Viel Spaß!)


– Wenn Sie ein demokratisches Wahlergebnis auch im
Deutschen Bundestag abgebildet haben wollen, dann
müssen Sie sich schon Mühe geben. Im Augenblick ist
das jedenfalls nicht so. – Das ist also unser Vorschlag.

Was die Grünen vorschlagen, ist eine mögliche Lö-
sung, aber nicht die beste. Die Konsequenz, dass ein di-
rekt gewählter Abgeordneter sein Mandat hier nicht
übernehmen kann, ist jedenfalls nicht basisdemokra-
tisch.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! In dem Moment ist er noch nicht direkt gewählt!)


Ich darf hier an eine der vier Wurzeln der Grünen erin-
nern. Immerhin ist das aber ein Vorschlag. Sie haben da-
gegen noch gar keinen Vorschlag.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Doch, aber keinen vorgelegt!)


Herr Krings, ich darf jetzt einmal an das anknüpfen,
was Sie bisher zur Diskussion gestellt haben, dass Sie als
Koalition nämlich darüber nachdenken, das deutsche
Wahlvolk auf 16 autonome Teilgebiete zu verteilen, die
rechtlich voneinander abgegrenzt sind.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Das ist nicht so! Das stimmt nicht!)


Das würde zu ganz erheblichen Konsequenzen führen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Fünfprozentklausel bleibt bundesweit!)


Es ist so, dass wir ein Bundesstaat sind und ein Bun-
desvolk haben. Ihr Vorschlag bedeutete also eine Föde-
ralisierung unseres Wahlrechtes, und die Konsequenz
wäre auch, dass die Fünfprozentklausel dann natürlich
nicht mehr bundesweit,


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Doch! Natürlich! Das entscheiden wir doch hier! Das ist doch Unsinn!)


sondern landesweit gelten würde.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Quatsch!)


Das heißt, eine verfassungsfeindliche und verfassungs-
widrige Partei wie die NPD – noch ist das leider nicht
festgestellt worden – würde dann in den Ländern, in de-
nen sie Chancen hat, in den Deutschen Bundestag einzu-
ziehen, Schwerpunktwahlkämpfe durchführen.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist doch unsere Entscheidung hier beim Wahlgesetz!)


Bewahren Sie uns vor einem solchen Wahlrecht mit sol-
chen Konsequenzen. Bitte nicht!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/ CSU]: Sie sehen Hasen! Das ist völliger Unsinn!)


Ich meine, wir sollten alles dafür tun, dass wir am
Ende zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. Wir
streben das nach wie vor an.

Wir sind davon überzeugt, dass wir uns mit unserem
Vorschlag nicht zu 100 Prozent durchsetzen können,
aber ich glaube, es wäre für die Demokratie gut, wenn
wir uns über die grundsätzlichen Spielregeln, wie politi-
scher Einfluss in Deutschland demokratisch verteilt wer-
den soll, vernünftig verständigen könnten. Wir sind dazu
bereit. Sie müssen sich jetzt aber ein bisschen bewegen;
in drei Monaten läuft die Frist ab.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Dreieinhalb!)


Nachdem schon bei den Neuregelungen zu Hartz IV
die Frist um Monate versäumt wurde, sollten wir nicht
erneut eine vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist
verstreichen lassen und dadurch das Bundesverfassungs-
gericht missachten. Bewegen Sie sich also! Wir sind zu
Verhandlungen bereit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709605600

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Ruppert das

Wort.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU])



Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1709605700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Das Wahlrecht – das haben alle Vorredner zu
Recht betont – ist einerseits ein hochpolitisches Recht,
das andererseits aber möglichst im breiten Konsens aller
Demokraten zu regeln ist. Es ist so etwas wie die Gram-
matik des demokratischen Diskurses. Der Bürger muss
diese Regeln kennen und verinnerlichen. Er muss wis-
sen, wie sich sein Wahlverhalten in ein konkretes Wahl-
ergebnis umsetzt und was seine Erst- und seine Zweit-
stimme inhaltlich bewirken. Wenn man das ernst nimmt,
dann muss man wissen, dass jedwede Änderung am
Wahlrecht auch Auswirkungen auf eine eingeübte Praxis
des Wählers hat: Der Wähler muss sich bei der Beant-
wortung der Frage, wie er nun in Zukunft wählen muss,
umstellen.

Ich glaube, hier ist es wie mit der Grammatik der
Sprache oder der Rechtschreibung: Abrupte Änderungen
und ein Systemwechsel – bei einem an sich bewährten
Wahlrecht – bieten sich hier nicht an, weil wir damit
auch an der Legitimation des Verfahrens rütteln würden.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben wir also bei einem Wahlgebiet!)


Deswegen sollten wir aus meiner Sicht keinen System-
wechsel vornehmen, obwohl uns das Bundesverfas-
sungsgericht klar gesagt hat, dass die Bandbreite mögli-
cher Wahlsysteme in der Bundesrepublik, die
verfassungsgemäß wären, durchaus groß ist.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sich dieses
Wahlrecht bewährt hat und dass wir deswegen den Auf-
trag des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass nehmen
müssen, sozusagen minimalinvasiv an der Stelle gegen
das Problem vorzugehen, an der es entsteht.

Ich zitiere aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil
– das hätte Herr Beck vielleicht auch noch einmal lesen
sollen –:

Der Effekt des negativen Stimmgewichts lässt sich
daher nicht isoliert beheben, sondern erfordert
grundlegende Vorarbeiten, die die verschiedenen
Vor- und Nachteile in den Blick nehmen.

Leider sind die Grünen diesem Rat nicht gefolgt; sie ha-
ben isoliert einen einzelnen Vorschlag vorgelegt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Vorschläge, wo Sie nicht mal einen haben, wäre zu viel verlangt!)


Was mich daran auch in kollegialer Hinsicht ausge-
sprochen ärgert, ist, dass das Zugehen auf Herrn Beck
am Rande des Plenarsaals, das Telefonieren mit seinem
Büro und die Gesprächsangebote bei allen gleichen Inte-
ressen, die wir beide als Vertreter kleiner Parteien durch-
aus haben – auch wenn Sie sich derzeit stärker fühlen
mögen, als Sie sind –, immer huldvoll mit der Aussage
beantwortet wurde, die Zahlen bzw. Berechnungen
könne man liefern, aber Gesprächsbedarf sei derzeit
nicht vorhanden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)


Mehrere Initiativen gerade von mir und meiner Frak-
tion, auf die Grünen zuzugehen, und alle Gesprächsan-
gebote haben Sie abgelehnt. Gleiches ist mir mit dem
Kollegen Wieland als zuständigem Berichterstatter pas-
siert, der auch zweimal Gesprächsangebote abgelehnt
hat. Deshalb sollten Sie nicht so tun, als ob Sie keine Ge-
sprächsangebote bekommen hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709605800

Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Beck?


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1709605900

Ja, gerne.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709606000

Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich,

nachdem wiederholt die angesetzten Gespräche abgesagt
und die bereits für den Dezember versprochenen Formu-
lierungen der Koalition weder im Dezember noch im Ja-
nuar oder Februar übermittelt wurden, den Parlamentari-
schen Geschäftsführern mitgeteilt habe, dass wir unseren
Vorschlag zur Debatte stellen werden, damit das Gesetz-
gebungsverfahren eingeleitet wird?

Wir haben ausdrücklich betont, dass wir jederzeit zu
Gesprächen bereit sind. Aber da die Gesprächstermine
abgesagt und die zugesagten Formulierungen nicht über-
mittelt wurden – das ist aber notwendig, damit die Dis-
kussion über die Vorschläge der Koalition stattfinden
kann –, haben wir gesagt: Jetzt müssen wir das Gesetz-
gebungsverfahren einleiten, damit das Hohe Haus die
wahlrechtlichen Fragen in angemessener Form prüft.

Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
der Weg, den unser Gesetzentwurf vorsieht, am Schluss
des Urteils ausdrücklich als eine der zwei Hauptideen
des Verfassungsgerichtes hierzu erwähnt wird? An ande-
rer Stelle werden noch weitere Ideen wie das Graben-
wahlsystem erwähnt, denen wir beide als Vertreter klei-
nerer Parteien wahrscheinlich nicht nähertreten wollen.

Wir sind auch zu Gesprächen mit Ihnen jederzeit be-
reit. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir den Vor-
schlag der Koalition kennen und wissen, ob es auf der
Grundlage dieses Vorschlags Gesprächsmöglichkeiten
und Veränderungsmöglichkeiten gibt. Bislang steht die
Koalition beim Wahlrecht nackt da.


Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Rede ID: ID1709606100

Sehr geehrter Herr Beck, zunächst einmal muss man

festhalten: Alle angebotenen Gespräche wurden Ihrer-
seits abgesagt. Ich habe mehrere Fachgespräche mit Ver-
fassungsrechtlern und Mathematikern geführt und ver-
sucht, mich tief in das Thema hineinzudenken. Ich habe
daran Interesse als Demokrat, der zwar nicht persönlich,
aber aus historischer Sicht die Situation einer Großen





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)

Koalition kennt, bei der es in den 60er-Jahren seitens der
Volksparteien Initiativen zur Änderung des Wahlrechts
gegeben hat. Ich war bereit, mit Ihnen darüber ins Ge-
spräch zu kommen.

Wie Sie und auch Herr Oppermann richtig gesagt ha-
ben, gibt es nicht die eine Lösung, die alle Probleme be-
hebt. Aber wir müssen miteinander darüber reden, wel-
che Vor- und Nachteile bestehen. Das geht aber nicht,
wenn Sie jeden Gesprächstermin absagen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich rede mit Ihrem Verhandlungsführer!)


– Zwei Termine haben Sie abgesagt, einen hat Herr
Wieland abgesagt.


(Widerspruch des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Jetzt kommen wir zu Ihrem Vorschlag. Zunächst ein-
mal muss man noch einen Aspekt isoliert betrachten. Die
OSZE hat uns kritisiert, weil wir die Wahlzulassung und
Wahlprüfung in Deutschland nicht regeln. In einem Be-
richt zur Bundestagswahl 2009 hat die OSZE festge-
stellt, dass weder die Wahlzulassung noch die Wahlprü-
fung in Deutschland ausreichend geregelt sind.

Unser Verfassungsgericht ist zwar mit den bestehen-
den Regelungen einverstanden, wie wir wissen, aber es
ist kein Ruhmesblatt, sage ich, wenn etwa im Falle der
Pauli-Partei keine Möglichkeit besteht, gegen eine Ent-
scheidung des Bundeswahlausschusses vorzugehen. Das
wurde uns auch mehrfach ins Stammbuch geschrieben.
Aber leider verlieren Sie im grünen Gesetzentwurf kein
einziges Wort zu diesem dringenden und wichtigen
rechtsstaatlichen Problem.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Wort dazu? Das ist das, was interessiert!)


Ich kann Ihnen sagen – auch das hätte ich in den Ge-
sprächen mit Ihnen gern erörtert –:


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich treffe mich mit Ihnen! Herr Ruppert, sprechen Sie mich an!)


In der Tat gibt es auch dort große fachliche Schwierig-
keiten. In ein knappes zeitliches Verfahren mit 72 Tagen
vor der Wahl müssen Sie die Zulassung eines Rechts-
schutzes etwa zum Bundesverwaltungsgericht integrie-
ren.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Welt ist kompliziert!)


Sie müssen das auch in Einklang mit Art. 41 GG brin-
gen, der die Wahlprüfung dem Bundesverfassungsge-
richt und dem Bundestag und nicht etwa dem Bundes-
verwaltungsgericht zuweist.

Also liegen viele Probleme im Detail. Sie wären es
wert, fachlich, in aller Ruhe und möglichst konsens-
orientiert debattiert zu werden. Nur, dazu sind wir – viel-
leicht bin ich zu sehr von der Perspektive des kleinen
Berichterstatters geprägt – meiner Meinung nach nicht
gekommen. Das lag nicht an den Berichterstattern. Ich
habe zum Beispiel mit Frau Fograscher sehr interessante
Gespräche geführt, in denen wir uns über diese Pro-
bleme ausgetauscht haben. Frau Fograscher sagt die Ter-
mine also nicht ab.

Insofern glaube ich, dass es noch nicht zu spät, aber
an der Zeit ist, jetzt zu einer Lösung zu kommen, die
nicht nur punktuell ein Problem in den Blick nimmt, wie
Sie es getan haben, sondern die mehrere Dinge beachtet:
Berliner Zweitstimme – das haben Sie aus meiner Sicht
völlig zu Recht und richtig mit gelöst –, Wahlprüfung,
Wahlzulassung sowie die Frage des negativen Stimmge-
wichts.

Bei Ihrem Vorschlag haben Sie leider einen Fehler ge-
macht. Sie haben sich zwei Berater geholt – so lese ich es
zumindest –, nämlich Herrn Meyer und Herrn Pukelsheim.
Herr Pukelsheim wird im Vorschlag zur 16. Legislatur-
periode erwähnt, Herr Meyer im zweiten Teil, mit dem
Sie die CSU-Überhangmandate adressieren. Sie haben
nur leider den Fehler gemacht, dass Sie die beiden pro-
blematischsten Teile von deren Vorschlägen kombiniert
haben. Das hat Ihnen Herr Krings sachlich richtig und
nachvollziehbar vorgeführt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sachlich war das nicht!)


Sie haben die beiden verfassungsrechtlich prekärsten
Dinge kombiniert und kommen so zu einer Lösung, die
in dieser Form sicherlich nicht verfassungsgemäß wäre.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommen Sie mal mit Ihrer Lösung!)


342 000 Wähler in Brandenburg sollen genauso viel
Gewicht haben wie 62 000 Wähler in Baden-Württem-
berg. Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass Sie das
Problem des negativen Stimmgewichts auf der einen
Seite beheben, um dann einen derart ungleichen Erfolgs-
wert an anderer Stelle wieder einzuführen? Wenn Sie das
nachrechnen würden, würden Sie selbst feststellen, dass
ein solcher Vorschlag untragbar und grotesk ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch beim Problem der Überhangmandate kurieren
Sie ein Phänomen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Einen Fehler mit dem nächsten!)


über das man durchaus reden kann. Aber mit der födera-
len Unwucht, die dadurch entsteht, führen Sie einen
neuen Fehler ein.


(Thomas Oppermann [SPD]: Entsteht bei Ausgleichsmandaten aber nicht!)


– Genau, darauf komme ich noch zu sprechen. Sie ent-
steht bei Ausgleichsmandaten nicht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vergrößert den Bundestag!)


Insofern ist die Lösung mit Blick auf die Ausgleichs-
mandate eindeutig zu bevorzugen.





Dr. Stefan Ruppert


(A) (C)



(D)(B)

Allerdings – jetzt komme ich auf die Ausgleichsman-
date zu sprechen – kurieren die Ausgleichsmandate,
Herr Oppermann, im strengen Wortsinn der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts das negative
Stimmgewicht nicht.


(Thomas Oppermann [SPD]: Doch!)


Sie kurieren das Ergebnis und das Verhältnis untereinan-
der, also sozusagen die Folgen. Wenn man nur den ein-
zelnen Abgeordneten betrachtet, bleibt das folgende
Phänomen: Es kann sich schädlich auswirken, dass ein
CDU-Wähler die CDU gewählt hat, weil er seiner Partei
in der Summe aller Mandate ein Mandat weniger be-
schert hat.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber nicht im Ergebnis!)


– Doch.


(Thomas Oppermann [SPD]: Nein!)


– In der Summe wird es ein Mandat weniger. Sie kurie-
ren dann die Folgen, indem Sie das wieder in ein richti-
ges Verhältnis zueinander setzen. Aber wenn Sie den
Wortlaut der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts lesen, müssen Sie zumindest darüber diskutieren,
ob das wirklich das Problem beseitigt. Sonst wäre Ihr
Vorschlag meiner Ansicht nach einer der wichtigen, die
zu debattieren sind.

Allerdings setzten Sie sich einem Vorwurf aus; das
hat der Kollege Krings auch schon in einem Zwischenruf
gesagt. Wenn Sie ausgleichen, gibt es in einem Bundes-
tag, der viele Überhangmandate umfasst, einen sehr gro-
ßen Hebel für den Ausgleich.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das man der CSU nicht
wünschen will; das wird nie passieren, keine Angst. Sie
sinkt bei den Zweitstimmen auf 30 Prozent ab.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Noch zu viel! – Thomas Oppermann [SPD]: Ganz kurz davor!)


Das ist wirklich ein rein hypothetisches Modell. Nehmen
wir also an, sie sinkt auf 30 Prozent ab, gewinnt aber
nach wie vor alle Wahlkreise. Dann werden nach dem
Modell der Grünen reihenweise die Mandate ihrer direkt
gewählten Abgeordneten aberkannt, was sicherlich – das
hat Herr Krings schon gesagt – zu untragbaren Ergebnis-
sen führt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer attraktiver, unser Modell!)


Aber nicht nur das: Sie erzielt auch 15 oder 16 Über-
hangmandate, die dann im Verhältnis zu einer Partei wie
der SPD, die vielleicht 45 Prozent erreicht hat, ausgegli-
chen werden müssen. Das bedeutete, dass Sie alleine für
die SPD einen Ausgleich von 60 oder 70 Mandaten
schaffen müssten.


(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist leistungsgerecht! – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/ CSU]: Das hätte die gerne!)


Das heißt in dem einen Fall, dass Überhangmandate
auftreten, erzeugen Sie einen enormen Hebel zur Vergrö-
ßerung des Parlaments. In dem anderen Fall, dass keine
Überhangmandate auftreten, gibt es diesen Hebel nicht.
Deswegen kuriert Ihr Vorschlag, den Bundestag auf 450
oder 500 Mitglieder zu verkleinern, das Problem in der
Sache nicht ernsthaft. Verkleinern Sie den Bundestag auf
500 Mitglieder, dann bleiben Sie in dem einen Fall bei
500, in dem anderen Fall aber erreichen Sie 680 Mitglie-
der. Diese Bandbreite zu erklären, ist meiner Meinung
nach nur schwer möglich.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es bei Landesparlamenten auch!)


Ich will einige Takte zu dem sagen, was meiner Mei-
nung nach jetzt folgen muss. Es gibt einen relativ schma-
len Korridor von denkbaren Lösungsansätzen.

Sie haben das Trennungsmodell angeführt. Bei einem
unitarischen Wahlvorgang ist es uns aus meiner Sicht
möglich, die 5-Prozent-Hürde auf die Bundesebene zu
verlagern. Das ist kein verfassungsrechtliches Problem.
Es gibt aber bei sehr kleinen Wahlgebieten verfassungs-
rechtliche Probleme, weil die 5-Prozent-Hürde dort fak-
tisch angehoben wird.

Sie können ein Ausgleichsmodell erarbeiten, das nur
einen geringeren Ausgleich vorsieht, oder bei Ihrem
Ausgleichsmodell Modifikationen vornehmen.

All diese Systeme führen verfassungsrechtlich aber
zu Kollateralschäden, die es gegeneinander abzuwägen
gilt. Das hätten wir lieber im Gespräch miteinander und
nicht im Streit untereinander gemacht.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber wir können ja noch reden!)


Insofern fand ich das Vorpreschen gerade für eine Partei
wie die Grünen, die an einem demokratischen Konsens
interessiert ist, äußerst unangebracht. Wir sollten den
Diskussionsprozess insofern jetzt beschleunigen und in-
tensivieren.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht doch selbst in unserem Entwurf drin!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709606200

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin

Wawzyniak das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709606300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir Linken wollen ein einfaches, demokrati-
sches und transparentes Wahlrecht. Die Vorschläge der
Linken hierzu kommen ungefähr ab Minute sieben mei-
ner Rede.

Die Bürgerinnen und Bürger können derzeit maximal
alle vier Jahre direkt auf Politik Einfluss nehmen, indem
sie uns für vier Jahre ein Mandat geben. Fakt ist: Das





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

Wahlrecht ist unübersichtlich und kompliziert. Doch re-
den wir bedauerlicherweise nicht deshalb hier darüber,
sondern – das ist zu Recht gesagt worden – weil uns das
Bundesverfassungsgericht einen Auftrag gegeben hat,
nämlich den Auftrag, das Problem zu lösen, dass unter
Umständen ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem
Verlust an Sitzen der Landesliste oder ein Verlust an
Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landes-
liste führt. Das nennt man negatives Stimmgewicht der
Zweitstimmen, also der Stimmen, die man für die Lan-
desliste einer Partei abgibt.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben,
bis zum 30. Juni eine Lösung zu finden. Die Grünen ha-
ben dankenswerterweise wenigstens einen Vorschlag auf
den Tisch gelegt, auch wenn dieser nicht wirklich über-
zeugend ist. Was wollen die Grünen? Die Grünen wol-
len, dass die Direktmandate auf das Zweitstimmenergeb-
nis auf Bundesebene angerechnet werden, und einige
von diesen, wenn man mehr Direktmandate als Zweit-
stimmen bundesweit hat, wegfallen. Aus diesen bundes-
weit so errechneten Sitzen der Parteien werden dann
wieder per Verhältnisrechnung die Sitze auf Landes-
ebene bestimmt. Ob der Vorschlag verfassungsgemäß ist
– darauf ist hier schon hingewiesen worden –, muss be-
zweifelt werden. Das Verfahren, das die Grünen vor-
schlagen, klingt kompliziert,


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ist es auch!)


und es ist kompliziert. Genau das ist das Problem.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP])


Die Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wäh-
ler können überhaupt nicht nachvollziehen, was gemäß
Ihrem Gesetz passieren soll.

Nehmen wir ein zunächst theoretisches Beispiel: Die
Linke gewinnt bei einer Bundestagswahl 76 Listenplätze
und 80 Direktmandate.


(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ein Horrorszenario!)


In diesem Fall würden die vier Direktmandate mit dem
schlechtesten prozentualen Ergebnis, die die Linke ge-
wonnen hat, herausfallen. Jetzt könnten wir sagen: Das
ist uns egal.

Ich gebe Ihnen nun ein einfacheres Beispiel: Bei der
Bundestagswahl 2009 hätte es nach dem Modell der
Grünen beispielsweise den Abgeordneten Singhammer
von der CSU getroffen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Auch kein schlechtes Beispiel! – Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Jetzt erzählen Sie mir einmal, wie Sie das den Wählerin-
nen und Wählern des Wahlkreises München-Nord erklä-
ren wollen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Singhammer kann man das schon erklären, aber sonst ist es schwer!)


Soll man sich vor diese Wählerinnen und Wähler stellen
und sagen: „Entschuldigung, Sie haben Herrn
Singhammer zwar direkt ins Parlament gewählt, aber lei-
der hat die CSU zu viele Listenmandate, und deswegen
sitzt Herr Singhammer jetzt nicht im Parlament“? Ganz
ehrlich, wer soll denn nach so einer Entscheidung noch
einmal wählen gehen?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich finde, ein CSU-Bashing ist an der einen oder anderen
Stelle angebracht, aber bitte bei Inhalten und nicht bei so
einem wichtigen Punkt wie dem Wahlrecht.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Gott sei Dank sind wir von Ihnen nichts anderes gewohnt!)


Jetzt lassen wir das Verfassungsrecht einmal kurz bei-
seite und betrachten ein politisches Argument gegen das
Argument der Grünen. Die Nichtanerkennung gewonne-
ner Direktmandate stärkt das Parteimonopol. Querköpfe
in den eigenen Reihen finden häufig keinen Platz auf den
Landeslisten, sondern gewinnen Mandate meist direkt.
Die Stimmen für diese Kandidaten würden bei Verab-
schiedung dieses Gesetzentwurfs unter Umständen über-
haupt nicht mehr zur Geltung kommen. Ich finde, an die-
ser Stelle werfen Sie, die Grünen, das Problem der
Listenverbindung CDU/CSU völlig zu Recht auf; aber
die Lösung geht allein zulasten Bayerns und hat wenig
mit Gerechtigkeit zu tun. Wir Linken lassen keine Lö-
sung zulasten Bayerns zu.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Herr Uhl zieht seine Rede zurück!)


Es ist ja nicht so, dass in der Wissenschaft nicht auch
andere Lösungen debattiert werden. Es gibt den Vor-
schlag, ein reines Mehrheitswahlrecht einzuführen. Das
lehnt die Linke ab. Es gibt den Vorschlag, ein reines Ver-
hältniswahlrecht einzuführen. Ich persönlich kann dem
sehr viel abgewinnen. Wir, die Linke, debattieren da-
rüber aber noch. Es gibt den Vorschlag, ein Grabenwahl-
system einzuführen. Dieses System finden wir nicht
überzeugend. Es gibt den Vorschlag, eine Bundesliste
einzuführen. Diesen Vorschlag lehnt die Linke ab. Au-
ßerdem gibt es den Vorschlag, Listenverbindungen abzu-
schaffen. Auch das lehnen wir ab. Worüber wir ebenfalls
diskutieren, ist die Schaffung von Ausgleichsmandaten.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Minute sieben!)


Die spannende Frage ist, wann die Koalition einen
Antrag vorlegt. Die Grünen haben wenigstens, wie ich
schon gesagt habe, etwas vorgelegt. Ich befürchte, dass
wir Folgendes erleben werden – in diesem Parlament ein
normales Schauspiel –: Kurz vor knapp kommt ein An-
trag. Er wird an die Ausschüsse überwiesen. Dann findet
eine Anhörung statt. Diese Anhörung wird nicht ausge-
wertet, und dann wird hier ruck, zuck ohne seriöse De-
batte entschieden. – Dieses Verfahren lässt Bürgerinnen
und Bürger außen vor, im Übrigen auch Parteien; denn
dann entscheiden allein die Fraktionen.

Wir als Linke debattieren seit mehr als einem halben
Jahr über das Wahlrecht. Wir debattieren darüber, dass





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

Änderungen am Wahlrecht an mehr Stellen als allein in
Bezug auf das negative Stimmgewicht nötig sind. Wir
finden, dass die Gestaltung unseres Wahlrechts eine
Frage der Demokratiegestaltung ist. Es muss beim Wahl-
recht darum gehen, wie wir Bürgerinnen und Bürgern
mehr Einfluss auf Politik geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Bürgerinnen und Bürger engagieren sich: Tausende
waren bei Antiatomprotesten. 20 000 haben das Bündnis
„Dresden Nazifrei!“ bei der Blockade unterstützt.
Circa 20 000 haben an der Demonstration „Freiheit statt
Angst“ teilgenommen. Die Wahlbeteiligung hingegen
sinkt. Dass die Wahlbeteiligung sinkt, hat sicherlich et-
was mit Schröders Basta-Politik zu tun, und auch „Mut-
tis Moratoriumspolitik“ wird daran nichts ändern.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihre Redezeit ist um!)


– Ich habe noch ein bisschen Redezeit. Warten Sie ab. –
Wir haben jedoch zur Kenntnis zu nehmen, dass sich
Bürgerinnen und Bürger zwar engagieren, aber entweder
weniger oder gar nicht in Parteien. Das ist ein Problem.
Wir müssen uns fragen, ob nicht das Wahlrecht eine
Möglichkeit bietet, die Demokratie zu demokratisieren.

Reden wir doch einmal über das Verfahren der Zulas-
sung von Parteien. Man trifft sich im Bundeswahlaus-
schuss, in dem die im Bundestag vertretenen Parteien
über die Zulassung ihrer Konkurrenz entscheiden,


(Thomas Oppermann [SPD]: Habt ihr jetzt ja hinter euch!)


und das nach den Kriterien des § 2 Parteiengesetz, in
dem es um so wichtige Fragen wie die Ernsthaftigkeit
der politischen Zielsetzung geht. Ehrlich gesagt, finde
ich es schon absurd, dass die Parteien über die eigene
Konkurrenz entscheiden. Dass diese Entscheidung an-
hand dieser interpretierbaren Kriterien getroffen wird, ist
viel absurder. Der Gipfel der Unverschämtheit ist aber,
dass Parteien, die vom Bundeswahlausschuss nicht zu-
gelassen werden, nicht einmal die Chance haben, sich
einzuklagen. Mindestens das hätten die Grünen in ihrem
Gesetzentwurf aufgreifen müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir, die Linke, debattieren seit einem halben Jahr
über die Demokratisierung des Wahlrechts. Ich verspre-
che Ihnen: Wir legen Ihnen mehr auf den Tisch als nur
Antworten auf die bereits gestellten Fragen.

Wir debattieren darüber, wie der Einfluss der Bürge-
rinnen und Bürger auf die Parteilisten erhöht werden
kann, und wir debattieren darüber, ob es dazu sinnvoll
ist, drei Stimmen innerhalb einer Landesliste verteilen
zu können.

Wir debattieren darüber, ob es das Wahlrecht verein-
fachen würde, wenn die Erststimme entfallen würde.

Wir debattieren darüber, wie konkret der Rechts-
schutz einer Partei bei Nichtzulassung zur Wahl ausse-
hen kann und ob wir die Wahlausschüsse wirklich benö-
tigen.

Wir debattieren darüber, ob die 5-Prozent-Hürde in
Deutschland tatsächlich erforderlich ist, um die Demo-
kratie zu bewahren.

Wir debattieren, ob neben dem aktiven Wahlalter
auch das passive Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden
soll.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir debattieren, ob das Wahlrecht für Menschen, die
legal länger hier in Deutschland leben, aber keine deut-
sche Staatsbürgerschaft haben, eingeführt werden soll.

Seien Sie sicher, in Kürze erhalten Sie einen umfas-
senden Vorschlag von uns!

Es geht aber um mehr als das Wahlrecht. Für uns ist
das Wahlrecht nur ein Bestandteil der Erneuerung der
Demokratie. Wir finden, dass ein umfassendes Demo-
kratisierungskonzept nötig ist. Dazu gehören für uns bei-
spielsweise die Ausweitung des Petitionsrechts, mehr
Möglichkeiten zu direkter Demokratie, das Verbot von
Leihbeamten in Ministerien und das Verbot von Spenden
von Unternehmen an Parteien.

Wir wollen auch einen Demokratisierungs-TÜV bei
allen Gesetzen, die beschlossen werden, und eine Bun-
desregierung, die ihr Handeln an Recht und Gesetz
orientiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit einem Demokratisierungs-TÜV beispielsweise wäre
Hartz IV gescheitert, und nicht nur, weil Hartz IV Armut
per Gesetz ist. Hartz IV ist nämlich auch ein Demokra-
tiebeteiligungsausschlussgesetz. Gerade im ländlichen
Raum ist es mit dem Regelsatz fast unmöglich, sich an
politischen Entscheidungsprozessen und Aktionen zu
beteiligen. Schauen Sie sich einmal an, wie viel im Re-
gelsatz für Fahrtkosten vorgesehen ist. Außerdem – wir
reden ja über Wahlen – stellt die Anrechnung von Auf-
wandsentschädigungen für die Wahrnehmung kommu-
naler Mandate, zumindest teilweise, eine Unverschämt-
heit dar, weil sie eine Schlechterbehandlung ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Grünen springen zu kurz mit ihrem Gesetzent-
wurf. Er ist inhaltlich nicht überzeugend. Es ist mehr nö-
tig als eine Änderung des Wahlgesetzes anhand der von
Ihnen aufgeworfenen Fragen. Die Regierungskoalition
sollte schnell etwas auf den Tisch packen. Wir alle sind
aufgefordert, das Wahlrecht umfassend zu reformieren.
Ich bitte Sie: Denken Sie über die Einführung eines De-
mokratie-TÜV nach!


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709606400

Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Vizepräsidentin Petra Pau Jetzt erklären Sie einmal, warum Herr Singhammer nicht zurücktreten muss!)





(A) (C)


(D)(B)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1709606500

Darauf komme ich noch zu sprechen.

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben ein in der Tat kompliziertes
Rechtsproblem zu lösen. Als Jurist sagt man gewöhn-
lich: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.
Ein Blick ins Grundgesetz erleichtert vielleicht die Klä-
rung dieser komplizierten Rechtsfrage. Art. 38 Abs. 1
Satz 1 lautet:

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wer-
den in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher
und geheimer Wahl gewählt.

Es geht also darum, wie wir unser Wahlrecht organisie-
ren, um diese Grundsätze unserer Demokratie zu erfül-
len.

Nun haben die Grünen einen Vorschlag gemacht, der
nicht ganz taufrisch ist. Er kommt uns bekannt vor; denn
er ist ziemlich wortgleich vor zwei Jahren, wie ich
glaube, schon einmal eingebracht worden.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Plagiat! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ein Plagiat!)


– Ein Plagiat in eigener Sache.

Es ist also nicht so, dass Sie, Kollege Beck, sich ganz
neue Gedanken gemacht haben, über die wir uns jetzt
unbedingt austauschen müssen. Dennoch müssen wir
uns damit beschäftigen, und ich setze mich gern mit Ih-
rem Antrag auseinander.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Reden hören sich auch immer gleich an!)


Sie sagen, dass im Falle von Überhangmandaten vom
Volk gewählte Abgeordnete, die einen Wahlkreis direkt
gewonnen haben, nicht in dieses Hohe Haus einziehen
dürfen sollen.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Absurd!)


Man muss sich die Absurdität dieses Vorschlags einmal
zu Gemüte führen. In Ihrem Vorschlag heißt es:

Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direkt-
mandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, so
werden die überzähligen Wahlkreissitze der Kandi-
daten dieser Partei mit dem geringsten prozentualen
Stimmenanteil nicht besetzt; …

Man muss sich das einmal vorstellen. Von einer Partei
wurden 20 oder 30 Personen gewählt, und man sucht
sich die heraus, die den geringsten prozentualen Anteil
haben. Diese sind zwar vom Volke gewählt, können aber
nicht ins Parlament einziehen. Das ist allen Ernstes Ihr
Vorschlag, meine Damen und Herren!

Was ist das für ein Signal, das Sie nach außen senden?
Was haben Sie für eine Beziehung zum Wählervolk?
Was für eine Beziehung haben Sie zum Wahlkreis? Wie
ernst nehmen Sie die Mehrheitsentscheidung von Wäh-
lern bei einer demokratischen Wahl im jeweiligen Wahl-
kreis? Die Wähler entscheiden sich doch aus guten
Gründen für diesen oder jenen Kandidaten. Dann wer-
den die Stimmen zusammengezählt, und man kommt zu
einem Ergebnis. Der Wähler hat sich entschieden, und
sei es nur mit einer Stimme – diese Mehrheitswahl ist ein
ehernes Prinzip der Demokratie –: Der Kandidat A oder
die Kandidatin B soll uns im deutschen Parlament ver-
treten.

Jetzt sagen Sie, wenn es zu viele Überhangmandate
gebe, müssten diese ausgeglichen werden. Das würde
dazu führen, dass die Wähler in dem einen oder anderen
Wahlkreis Pech gehabt haben, es für sie dumm gelaufen
ist.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wahlkreis zweiter Klasse!)


– Eben, Wahlkreis zweiter Klasse. – Das heißt, die Erst-
stimmen der Minderheit verfallen ebenso wie die Erst-
stimmen der Mehrheit. Damit werden alle Erststimmen
eines gesamten Wahlkreises in den Papierkorb geworfen.
Das kann man doch nicht allen Ernstes vorschlagen.
Herr Ströbele, reden Sie mit Ihrem Kollegen Beck!


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Fraktionsantrag!)


Stellen Sie sich einmal vor, man würde mit Ihnen, dem
glorreichen grünen Abgeordneten Ströbele, dem einzi-
gen direkt gewählten Abgeordneten der Grünen, so ver-
fahren,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann nicht passieren!)


indem in Ihrem Wahlkreis sowohl die Erststimmen für
die anderen als auch die Erststimmen für den großen
Ströbele unter den Tisch fallen gelassen würden, weil
Sie dort so knapp abgeschnitten haben.

Ich kann mir schon vorstellen, dass die Partei der
Grünen ein gestörtes Verhältnis zum direkt gewählten
Abgeordneten hat.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum? Wir sind stolz auf Ströbele!)


– Weil Sie nur einmal eine Erfahrung mit einem direkt
gewählten Abgeordneten gemacht haben, nämlich mit
Herrn Ströbele. Man schaue sich einmal an, wie er von
seiner Fraktion behandelt wird, wie oft er für die Grünen
im Parlament sprechen darf. Er ist ein unsicherer Kanto-
nist, weil er vom Volk direkt gewählt ist, und deswegen
ist er keine schützenswerte Persönlichkeit.

Ihr Vorschlag ist wirklich wirr. Ich bitte Sie: Ziehen
Sie Ihren Antrag zurück! Sie können damit nur Schaden
anrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Holger Krestel [FDP])


Der Antrag ist auch deswegen verwunderlich, weil
die Grünen doch eigentlich die Partei sind, die sich auf
die Fahnen geschrieben hat: mehr direkte Demokratie,
mehr unmittelbarer Bezug zwischen Volk und Regieren-





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)

den, mehr direkte Einflussnahme der Menschen draußen
im Lande auf das, was wir hier tun. Aber nun wollen Sie
beschließen, dass das Mandat einer Person, für die sich
die Menschen in einem Wahlakt klar entschieden haben,
zusammen mit den anderen, die zu viel sind, da sie aus
arithmetischen Gründen nicht ins Schema passen, gestri-
chen wird. Damit treffen Sie die von der Mehrheit des
Volkes direkt Gewählten. Das ist doch kein grüner Ge-
danke; das ist ein völlig abwegiger Gedanke. Ich ver-
stehe überhaupt nicht, wie Sie auf eine solche Idee kom-
men können.

Dann sagen Sie, die Wähler in dem Wahlkreis, die das
Pech gehabt haben, dass keiner ihrer Kandidaten ins Par-
lament gekommen ist, können ja 50 Kilometer weiter
fahren, in den Nachbarwahlkreis, wo die Wähler viel-
leicht mehr Glück gehabt haben, weil sie ihren Kandida-
ten in den Bundestag bringen konnten. Ist das Ihr Vor-
schlag als Notlösung für diese Fälle?


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Vorschlag, Herr Uhl?)


Nach der Evidenztheorie ist dieser Idee, wie man als
Jurist sagt, die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn ge-
schrieben. Sie ist völlig abwegig.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bessere ist immer der Feind des Guten!)


Herr Wieland, Sie sind doch auch ein guter Jurist. Wa-
rum haben Sie nicht gegen diesen wirren Vorschlag Pro-
test eingelegt?


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gesagt hat, das gehe! Diesem traue ich! Sie offenbar nicht!)


Frustrieren Sie die Wähler nicht durch solche Vor-
schläge; denn Sie würden ihnen die Wirkungslosigkeit
ihrer Stimme vor Augen führen, wenn Sie so etwas zum
Gesetz machen würden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur, wie werden Sie die Wähler frustrieren? Das ist die interessante Frage!)


Ich rede hier nicht pro domo. Ich bin in einem groß-
städtischen Wahlbezirk, in München, viermal direkt ge-
wählt worden. Ich habe mit Ihrem Vorschlag keine Pro-
bleme; nicht dass Sie denken, ich hätte Angst davor. Wir
haben in Bayern – es wurde schon von der Kollegin der
Linken angesprochen – alle 44 Wahlkreise direkt gewon-
nen, ohne Ausnahme. Dadurch haben wir viele Über-
hangmandate. Wir haben das einmal durchgerechnet.
Wenn Ihr Vorschlag Gesetz würde, würde es auf die
CSU, auf Bayern, auf uns angewandt werden. Schauen
wir einmal, wer diejenigen sind, die jetzt im Parlament
sitzen und das geringste Wahlergebnis haben. Da sind in
der Tat der Kollege aus München-Nord, der Kollege
Singhammer, und der Kollege aus München-Ost, der
Kollege Frankenhauser, zu nennen. Wenn es drei wären,
wäre noch die Kollegin Dagmar Wöhrl aus Nürnberg be-
troffen. Sie alle wären dann nicht mehr im Parlament.
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich
könnte damit leben, zusammen mit dem Kollegen
Gauweiler München im Deutschen Bundestag allein zu
vertreten.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine gute Vertretung!)


Aber ist das wirklich Ihr Hauptinteresse? Wollen Sie das
wirklich?


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht!)


Ich könnte, wie gesagt, gut mit der Schlagzeile leben:
Gauweiler und Uhl vertreten München im Parlament.


(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Bei uns beiden wird es Ihnen nicht gelingen; das ist
das Problem, das Sie haben.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Demokratische an unserem Vorschlag!)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir sollten
uns dem Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht uns
gegeben hat, mit allem Ernst widmen. Das Bundesver-
fassungsgericht hat nicht gesagt, dass Überhangmandate
verfassungswidrig sind, und es hat nicht gefordert, Über-
hangmandate abzuschaffen. Es hat nur die abwegige, bi-
zarre Situation bei der Nachwahl in Dresden zum Anlass
genommen, festzustellen: Ein Wahlsystem, bei dem eine
Partei davor warnt, ihr die Zweitstimme zu geben, weil
sie durch mehr Zweitstimmen einen Nachteil hat, kann
nicht richtig sein. Das ist in der Tat eine bizarre Situa-
tion. Die Ursache dafür muss beseitigt werden. Daran
sollten alle Parteien arbeiten.

Ich halte es für ganz schädlich, bei der Reform des
Wahlrechts eine knappe Mehrheitsentscheidung herbei-
zuführen. Wahlrecht ist materielles Verfassungsrecht.
Jede Mehrheit im Parlament sollte bemüht sein, so viele
Stimmen der Opposition wie möglich für ein verändertes
Wahlsystem zu gewinnen. Unser Wahlsystem hat uns
60 Jahre lang gute Dienste erwiesen. Die Kombination
aus Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht ist zu-
gegebenermaßen etwas kompliziert, aber dem Grunde
nach gar nicht so schlecht. Wir sollten uns zusammen-
setzen und den Effekt des negativen Stimmgewichts
– vielleicht nicht vollständig, aber zu großen Teilen –
ausgleichen. Wenn wir uns zusammensetzen – die Grü-
nen haben sich zwei-, dreimal einer Teilnahme an Be-
sprechungen mit uns verweigert; das sollte hier auch ein-
mal erwähnt werden –,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Unsinn!)


sollte es möglich sein, mit möglichst vielen Fraktionen
dieses Hohen Hauses ein neues Wahlrecht zu kreieren.
Wir sind daran interessiert. Wir wollen keinen Allein-
gang der Koalition. Wir wollen mit allen Kräften in die-





Dr. Hans-Peter Uhl


(A) (C)



(D)(B)

sem Parlament dem Auftrag des Bundesverfassungsge-
richts gerecht werden


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


und das negative Stimmgewicht – aber nur dieses – be-
seitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709606600

Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1709606700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Es gibt in diesen Tagen sicherlich andere Themen,
die die Menschen bewegen, als das Wahlrecht. Aber das
Wahlrecht ist nun einmal Grundlage unserer Demokra-
tie. Es ist Voraussetzung für die demokratische Teilhabe
der Bürgerinnen und Bürger. Das Wahlrecht muss garan-
tieren, dass der Wählerwille in diesem Hause abgebildet
wird. Es regelt die Legitimation von uns allen hier im
Hause. Herr Krings, es handelt sich eben nicht um ein
Luxusproblem.

Wahlrechtsfragen sind natürlich immer auch Macht-
fragen. Das Wahlrecht entscheidet über die Mehrheits-
verhältnisse im Haus. Deshalb betrifft dieses Thema alle
Fraktionen. Daher haben wir in der Vergangenheit Ände-
rungen im Wahlrecht stets gemeinsam vorgenommen.
Herr Uhl, das Gesprächsangebot, das Sie heute gemacht
haben, nehmen wir von der SPD natürlich gerne an.
Aber es hat sehr lange gedauert, bis Sie uns dieses unter-
breitet haben.


(Beifall bei der SPD)


Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2008 das
sogenannte negative Stimmgewicht für verfassungswid-
rig erklärt. Ich will noch einmal den Grund nennen: Bei
bestimmten Konstellationen kann ein Zuwachs bei den
Zweitstimmen einer Partei dazu führen, dass sie ein
Mandat verliert. Auf der anderen Seite kann die Nichtab-
gabe einer Stimme für die Partei, die der Wähler eigent-
lich unterstützen will, von Vorteil sein. Dieser Effekt
wurde bei der Nachwahl 2005 in Dresden offensichtlich.
Dadurch werden die Grundsätze der Gleichheit und Un-
mittelbarkeit der Wahl verletzt. Deshalb hat der Zweite
Senat des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber
verpflichtet, bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsge-
mäße Neuregelung zu finden.

Leider müssen wir aber heute, gut drei Monate vor
Ablauf dieser Frist, feststellen: Die Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen tun nichts. Es gibt kei-
nen Gesetzentwurf, nicht einmal Eckpunkte. Auch in der
heutigen Debatte habe ich keinen entsprechenden Vor-
schlag gehört. Es gab Gespräche zwischen den Fraktio-
nen. Sie sind nicht weitergeführt worden. Ich weiß nicht,
mit wem Herr Ruppert Gespräche geführt hat, aber man
muss das einmal auf eine vernünftige Basis stellen. Es
gab Gespräche zwischen den Parlamentarischen Ge-
schäftsführern, und wir können natürlich untereinander
jederzeit Gespräche führen. Aber wir werden nicht zu ei-
ner Lösung kommen, wenn es dafür keinen offiziellen
Rückhalt von oben gibt.

Was können wir tun? Es gibt natürlich – das ist schon
angesprochen worden – rechnerische, theoretische Mög-
lichkeiten, das Wahlrecht zu ändern, um ein negatives
Stimmgewicht zu vermeiden. Wir wollen aber das Sys-
tem, das sich auch nach unserer Ansicht bewährt hat,
nicht gänzlich aushebeln, indem wir ein reines Mehr-
heitswahlrecht oder ein reines Verhältniswahlrecht ein-
führen. Wir wollen im System bleiben, aber zugleich
auch die Problematik der Überhangmandate regeln.

Überhangmandate können einer Fraktion an die Re-
gierung verhelfen, auch wenn sie nicht die Mehrheit der
Wählerstimmen hat. Überhangmandate können zu wech-
selnden Mehrheiten im Bundestag führen. Scheidet ein
Abgeordneter, in dessen Bundesland es Überhangman-
date gibt, aus dem Bundestag aus, so gibt es keinen
Nachrücker über die Landesliste. Es ist schon angespro-
chen worden, dass es zum Beispiel für Herrn zu
Guttenberg keine Nachbesetzung gibt. Bei knappen Re-
gierungsmehrheiten könnte das dazu führen, dass sich
während einer Legislaturperiode die Mehrheiten verän-
dern.

Was schlagen die Grünen jetzt vor? Sie wollen die
Überhangmandate einer Partei mit den Listenmandaten
dieser Partei in einem anderen Bundesland verrechnen.
Das hätte zur Konsequenz, dass eine Partei, die in einem
Bundesland ein Überhangmandat erzielt, in einem ande-
ren Bundesland ein Listenmandat weniger erhält. Das ist
zwar rechtlich machbar, weil das Bundesvolk und nicht
die Ländervölker wählen. Aber die Akzeptanz in den
Landesverbänden, die vermutlich keine Überhangman-
date haben werden und auf Listenmandate verzichten
müssten, geht gegen null.

Sie regeln in dem vorgelegten Entwurf die Schwach-
stelle Ihres letzten Entwurfs neu, nämlich die Frage, wie
Überhangmandate verrechnet werden sollen, wenn eine
Partei nur in einem Bundesland antritt. Das betrifft ja
insbesondere die CSU. Sie schlagen vor, dass, wenn
Überhangmandate entstehen, nur so viele direkte Bewer-
ber ein Mandat erhalten, wie ihre Partei Mandate über
Zweitstimmen bekommt.

Ich spreche jetzt nicht so sehr für die CSU, aber dieser
Fall kann natürlich auch in Bezug auf alle anderen Par-
teien eintreten, auch hinsichtlich der SPD in Bayern.
Deshalb wollen wir das nicht. Es ist den Bürgerinnen
und Bürgern nämlich nicht vermittelbar, dass ein Direkt-
kandidat, den sie mit Mehrheit im Wahlkreis gewählt ha-
ben, diesen Wahlkreis im Bundestag dann nicht vertritt.

Wir schlagen Ihnen ein zweistufiges Verfahren vor;
Kollege Oppermann hat das mehrfach auch schon
schriftlich getan. Für die Wahl des nächsten Bundestages
wollen wir die Überhangmandate zunächst durch Aus-
gleichsmandate ausgleichen. Diese zusätzlichen Aus-
gleichsmandate würden den Bundestag vergrößern; das
ist richtig. Deshalb bieten wir an, in einem zweiten
Schritt die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, um den





Gabriele Fograscher


(A) (C)



(D)(B)

Bundestag auf die Größe von knapp 600 Abgeordneten
zurückzuführen.

Wir haben heute viel darüber diskutiert, wo die
Schwierigkeiten und Nachteile der einzelnen Modelle
liegen. Wir haben allerdings keinen wirklichen Vor-
schlag vonseiten der Koalitionsfraktionen gehört. Ich
schlage Ihnen deshalb vor, noch einmal in ernsthafte Ge-
spräche einzutreten und uns noch einmal Sachverstand
von außen zu holen. Lassen Sie uns deshalb noch einmal
eine Anhörung terminieren und uns wirklich darum be-
mühen, dieses spezielle Problem, dessen Lösung uns das
Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat, noch vor der
nächsten Bundestagswahl zu lösen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709606800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/4694 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a bis d sowie
Zusatzpunkt 2 auf:

32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 und
zur Neuordnung bestehender Aus- und Durch-
führungsbestimmungen auf dem Gebiet des
internationalen Unterhaltsverfahrensrechts

– Drucksache 17/4887 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
vorläufige Durchführung unmittelbar gelten-
der Vorschriften der Europäischen Union über
die Zulassung oder Genehmigung des Inver-
kehrbringens von Pflanzenschutzmitteln

– Drucksache 17/4985 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Lange, Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick
Döring, Werner Simmling, Oliver Luksic, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Sicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern –
Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten

– Drucksache 17/5046 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Gerster, Sönke Rix, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Rechtsextremistische Einstellungen im Sport
konsequent bekämpfen – Toleranz und Demo-
kratie nachhaltig fördern

– Drucksache 17/5045 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Innenausschuss

ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

Ergänzung zu TOP 32

Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zugang zu verwaisten Werken erleichtern

– Drucksache 17/4695 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 33 a bis o auf.
Es handelt um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu de-
nen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich weise darauf
hin, dass wir über Tagesordnungspunkt 33 e namentlich
abstimmen werden. Bitte begeben Sie sich erst zu den
Urnen, wenn ich die namentliche Abstimmung aufrufe.

Tagesordnungspunkt 33 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des BVL-Gesetzes

– Drucksache 17/4381 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/5034 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/5034, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf 17/4381 anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Grünen an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-
vor angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der
Bundesregierung

Einhundertsechzigste Verordnung zur Ände-
rung der Einfuhrliste – Anlage zum Außen-
wirtschaftsgesetz –

– Drucksachen 17/4403, 17/4499 Nr. 2, 17/4774 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/4774, die Aufhebung der Ver-
ordnung auf Drucksache 17/4403 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Das ganze Haus hat
zugestimmt. Die Beschlussempfehlung ist damit ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 33 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,
Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Verbraucherfreundliche Rücknahmepflicht
des Einzelhandels für Energiesparlampen
durchsetzen

– Drucksachen 17/2121, 17/3684 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Rief
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Dr. Erik Schweickert
Karin Binder
Nicole Maisch

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/3684, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/2121 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 33 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner,
Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Bürgerfreundliches Rücknahmesystem für ge-
brauchte Energiesparlampen im Handel ein-
richten

– Drucksachen 17/1583, 17/3278 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Judith Skudelny
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/3278, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1583 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen bei uneinheitlicher Stimmabgabe der Frak-
tion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm,
Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – So-
ziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags-
werk aufnehmen

– Drucksachen 17/902, 17/4773 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Johann Wadephul
Dr. Eva Högl
Gabriele Molitor
Alexander Ulrich
Manuel Sarrazin

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/4773, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/902 abzulehnen.

Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktion Die
Linke namentlich über die Beschlussempfehlung ab. Zu
dieser Abstimmung liegen mir Erklärungen nach § 31





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

unserer Geschäftsordnung vor.1) Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein-
zunehmen. – Kann ich die Abstimmung eröffnen? Sind
alle notwendigen Schriftführer an den vorgesehenen
Plätzen versammelt? – Das ist der Fall. Dann ist die Ab-
stimmung eröffnet.

Darf ich fragen, ob alle anwesenden Mitglieder des
Hauses ihre Stimme abgegeben haben? – Ich höre keinen
Protest. Dann ist das also der Fall. Ich schließe die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis
der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Abstimmungen fort.

Wir kommen zu Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses, Tagesordnungspunkt 33 f bis o.

Tagesordnungspunkt 33 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses

(2. Ausschuss)


Sammelübersicht 224 zu Petitionen

– Drucksache 17/4864 –

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelüber-
sicht 224 ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 225 zu Petitionen

– Drucksache 17/4865 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 225 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 33 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 226 zu Petitionen

– Drucksache 17/4866 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 226 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 227 zu Petitionen

– Drucksache 17/4867 –

1) Anlagen 5 bis 8
2) Ergebnis Seite 10954 D
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 227 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 33 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 228 zu Petitionen

– Drucksache 17/4868 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 228 ist bei Enthaltung
der Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktionen an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 33 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 229 zu Petitionen

– Drucksache 17/4869 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 229 ist gegen die Stim-
men der SPD-Fraktion mit den Stimmen der anderen
Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 230 zu Petitionen

– Drucksache 17/4870 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 230 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
von Linken und Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 231 zu Petitionen

– Drucksache 17/4871 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 231 ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stim-
men der SPD und der Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 33 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 232 zu Petitionen

– Drucksache 17/4872 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 232 ist mit den Stim-
men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken ange-
nommen.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Tagesordnungspunkt 33 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 233 zu Petitionen

– Drucksache 17/4873 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stim-
men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 a und b auf:

a) –Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhin-
terziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz)


– Drucksache 17/4182 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Bekämpfung von Geld-

(Schwarzgeldbekämpfungsgesetz)


– Drucksache 17/4802 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Geset-

(Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung)


– Drucksache 17/1411 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/5067 (neu)

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Martin Gerster
Dr. Daniel Volk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts
des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP

Steuerhinterziehung wirksam und zielgenau
bekämpfen

– zu dem Antrag der Fraktion der SPD

Instrumente zur Bekämpfung der Steuerhin-
terziehung nutzen und ausbauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht
dem Zufall überlassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen

– Drucksachen 17/1755, 17/4670, 17/1149, 17/1765,
17/5067 (neu)

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Martin Gerster
Dr. Daniel Volk

Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1709606900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem vorliegenden Gesetzentwurf beweisen die Koali-
tionsfraktionen CDU/CSU und FDP erneut, dass unions-
geführte Bundesregierungen seit 2005 die Steuerhinter-
ziehung energisch bekämpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Großer Applaus!)


Ich nenne einige Beispiele: Wir haben die Strafverfol-
gung bandenmäßiger Hinterziehung von Umsatz- und
Verbrauchsteuern auf eine rechtlich tragfähige Grund-
lage – § 370 Abs. 3 der Abgabenordnung – gestellt. Wir
haben erstmals die Möglichkeit der Anordnung der Tele-
kommunikationsüberwachung bei schweren Steuerhin-
terziehungstatbeständen eingeführt. Wir haben die Ver-
jährungsfrist für besonders schwere Steuerhinterziehung
auf zehn Jahre verlängert. In diesem Jahr haben wir es
erreicht, dass der Informationsaustausch mit zahlreichen
Finanzzentren nach OECD-Standard erfolgt.

Suaviter in modo, fortiter in re, wie schon die alten
Römer sagten, also verbindlich im Umgang, aber hart in
der Sache, das ist dabei unser Motto. Wir beleidigen we-
der die Indianer noch die Republik Burkina Faso mit ih-
rer Hauptstadt Ouagadougou; dafür bekämpfen wir die
Steuerhinterziehung wirkungsvoll.

Zentrales Thema dieses Gesetzentwurfs war die
Frage, ob wir die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß
§ 371 Abgabenordnung beibehalten wollen oder nicht.
Grundsätzlich halten wir, die Koalitionsfraktionen, an
der Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige fest,
da wir den an der Steuerhinterziehung Beteiligten einen
Berichtigungsweg offenhalten wollen. Außerdem liegt
die strafbefreiende Selbstanzeige im staatlichen, fiskali-
schen Interesse, da viele Sachverhalte ansonsten nicht
aufgedeckt würden, auch nicht bei einem wesentlich
größeren Ermittlungseinsatz. Deshalb führt dieser Weg





Manfred Kolbe


(A) (C)



(D)(B)

letztendlich zu einem höheren Steueraufkommen. Ge-
rade in letzter Zeit erfolgten als Folge des Ankaufs der
CDs Zehntausende von Selbstanzeigen, die zu Mehrein-
nahmen von mehreren Milliarden Euro führten.

Wir halten daher grundsätzlich an der strafbefreien-
den Selbstanzeige fest. Diese ist entgegen einer weit ver-
breiteten Meinung auch kein Fremdkörper im Strafrecht.
Wir haben im Strafrecht zahlreiche Regelungen, wo
auch nach Vollendung der Tat noch durch tätige Reue ein
gesetzlicher Anspruch auf Strafbefreiung entsteht,


(Joachim Poß [SPD]: Tätige Reue ist das hier aber nicht! Tätige Reue durch CDs!)


etwa, Herr Poß, bei der freiwilligen Aufgabe der Geld-
fälschung, auch wenn das gefälschte Geld bereits in Um-
lauf gebracht worden ist. Wenn der Täter dann das Tat-
werkzeug vernichtet, hat er immer noch einen Anspruch
auf Strafbefreiung. Ein anderes Beispiel ist die Selbstan-
zeige bei Geldwäsche oder bei der Verhinderung von
Subventionsbetrug.


(Joachim Poß [SPD]: Das sind gute Hinweise für Gesetzesänderungen! – Gegenruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]: Das ist jetzt aber übertrieben, Herr Poß!)


Also, die strafbefreiende Selbstanzeige entspricht ei-
nem allgemeinen Grundsatz des Strafrechts, dass es in
bestimmten Fällen im staatlichen Interesse liegt, die tä-
tige Reue auch mit einem Strafbefreiungsanspruch zu
honorieren.

Auch die die Steuern verwaltenden Länder befürwor-
ten das letztlich. Herr Poß, ich zitiere da Ihren Finanz-
minister von Rheinland-Pfalz, den Herrn Kühl,


(Joachim Poß [SPD]: Ja, ich kenne den!)


wortwörtlich:

Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit der Strafbe-
freiung durch Selbstanzeige beibehalten. Letztlich
profitiert der Staat davon, denn wer sich selbst an-
zeigt, muss alles offenlegen. Das ist viel effektiver
als der Einsatz von Ermittlern.

So Herr Kühl, SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dementsprechend hat auch der Bundesrat am 11. Fe-
bruar 2011 mit überragender Mehrheit einen entspre-
chenden Gesetzentwurf gebilligt.

Der heute hier zu beratende Gesetzentwurf geht auf
eine Initiative meiner Fraktion vom März des vergange-
nen Jahres zurück, bei der wir gesagt haben, wir wollen
die strafbefreiende Selbstanzeige grundsätzlich beibe-
halten, aber wir wollen sie dahin gehend einschränken,
dass sie nicht mehr als Teil einer Hinterziehungsstrategie
missbraucht werden kann.

Deshalb haben wir damals drei Maßnahmen vorge-
schlagen. Wir wollen erstens den Ausschluss der Teil-
selbstanzeige. Wir wollen eine Straffreiheit nur bei um-
fassender Selbstanzeige.
Wir wollen zweitens den früheren Ausschluss der
Selbstanzeige, nicht erst beim Erscheinen des Prüfers,
sondern bereits bei der Bekanntmachung der Prüfungs-
anordnung.

Wir wollen drittens einen Zuschlag zu den Hinterzie-
hungszinsen, um den Steuerhinterzieher wirtschaftlich
stärker zu belasten.

Lassen Sie mich mit dem Ausschluss der Teilselbst-
anzeige beginnen. In der gestrigen Sitzung des Finanz-
ausschusses wurde der Ausschluss der Teilselbstanzeige
noch einmal präzisiert.

Bis Anfang letzten Jahres hatte die Rechtsprechung
des BGH Teilselbstanzeigen als wirksam angesehen. Es
reichte also aus, dass ein Konto angegeben wurde, dann
war man insoweit straffrei. Das galt auch während der
Amtszeit Ihres – das sage ich in Richtung der linken
Seite des Hauses – Bundesfinanzministers Lafontaine.
Der sah damals offenbar keinen Anlass, an dieser doch
relativ großzügigen Regelung irgendetwas zu ändern.

Mit Grundsatzbeschluss vom 20. Mai 2010 hat der
BGH das eingeengt. Er hat eine ausreichende Teilselbst-
anzeige nur noch dann angenommen, wenn der Steuer-
pflichtige seine unvollständige Einkommensteuererklä-
rung dahin gehend berichtigt, dass er bislang gänzlich
verschwiegene Zinseinkünfte nicht nur eines Kontos an-
gibt, sondern aller Konten. Der BGH verlangt also zu-
mindest seit Mai des letzten Jahres eine vollständige
Selbstanzeige der gesamten Tat, also etwa die komplette
Einkommensteuererklärung für einen Veranlagungszeit-
raum.

Unser Gesetzentwurf wird hier noch deutlicher. Für
eine wirksame Selbstanzeige ist es künftig erforderlich,
dass alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart
vollständig offenbart werden. Anknüpfungspunkt ist die
einzelne hinterzogene Steuer, sodass mit der Neurege-
lung nunmehr alle unverjährten Steuerverkürzungen ei-
ner Steuerart, also zum Beispiel alle verkürzten Ein-
kommensteueransprüche der noch nicht verjährten
Veranlagungszeiträume, offenbart werden müssen. Nur
noch dann tritt die strafbefreiende Wirkung der Selbstan-
zeige ein.

Dabei – das sei hinzugefügt – bedeutet „in vollem
Umfang“ natürlich nicht, dass auf Euro und Cent alles
angegeben werden muss. Bagatellabweichungen sind
nach wie vor möglich. Aber es muss für alle noch offe-
nen Veranlagungszeiträume die Selbstanzeige erklärt
werden. Es wird also keine Salamitaktik bei der Selbst-
anzeige mehr geduldet, bei der scheibchenweise vorge-
gangen wird.

Herr Schick, als Folge dieser deutlichen Ausweitung
ist eine Übergangsregelung erforderlich,


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie wählen die falsche! Das ist der Punkt!)


weil eine Strafbarkeit nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz
im Voraus bestimmt sein muss. Nulla poena sine lege.
Diese Übergangsregelung musste also auch aus verfas-
sungsrechtlichen Gründen eingeführt werden.





Manfred Kolbe


(A) (C)



(D)(B)


verfolgung abgesehen, wenn neben der Entrichtung von führerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
von 5 Prozent der jeweiligen verkürzten Steuern zuguns-
ten der Staatskasse erfolgt. Wir fassen also die schweren
Steuerhinterzieher deutlich härter an als bisher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709607000

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 561;
davon

ja: 434
nein: 64
enthalten: 63

Ja

CDU/CSU

Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Ge-
gen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale Fort-
schrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen“,
Drucksachen 17/902 und 17/4773, bekannt: abgegebene
Stimmen 561. Mit Ja haben gestimmt 434, mit Nein ha-
ben gestimmt 64, Enthaltungen 63. Die Beschlussemp-
fehlung ist damit angenommen.

Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser

Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Steuern und Hinterziehungszinsen eine Zahlung in Höhe namentlichen Abstimmung zur Beschlussempfehlung
Lassen Sie mich zum zw
men: zur zusätzlichen Zahlu
der hinterzogenen Steuern. D
ten diskutiert. Politischer Wi
war, den Steuerhinterzieher w
lasten als den bloß säumigen

Wir haben deshalb gestern
schlagen, dass bei Steuerhin
Euro pro Tat, das heißt pro
gungszeitraum, eine zusätzli
5 Prozent auf den Hinterzieh
führt wird. Die Betragshöhe
die Rechtsprechung des BGH
§ 370 Abs. 3 Nr. 1 Abgaben
mal des „großen Ausmaßes“
gener Steuer als erfüllt anges

Rechtstechnisch wird dies
ausgestaltet. Für eine Steuerv
terziehungsvolumen von übe
und Veranlagungszeitraum
Selbstanzeige allein nicht m
freiheit eintreten. Vielmehr
§ 398 a Abgabenordnung, de
nung nachempfunden ist, nu
eiten strittigen Punkt kom-
ng in Höhe von 5 Prozent
arüber wurde am intensivs-
lle der Koalitionsfraktionen

irtschaftlich stärker zu be-
Steuerzahler.

im Finanzausschuss vorge-
terziehungen über 50 000

Steuerart und pro Veranla-
che Zahlung in Höhe von
ungsbetrag erstmalig einge-
von 50 000 Euro knüpft an
zu dem Regelbeispiel des

ordnung an, wo das Merk-
bei 50 000 Euro hinterzo-
ehen wird.

e Zusatzzahlung wie folgt
erkürzung mit einem Hin-
r 50 000 Euro je Steuerart
wird künftig nach einer
ehr die Rechtsfolge Straf-
wird nach dem neuen
r § 153 a Strafprozessord-

r noch dann von der Straf-

(CDU/CS Herr Präsident, ich bin pu kommen. Vizepräsident Dr. h. c. W Das ist übertrieben, Sie ha (Heiter Manfred Kolbe (CDU/CS Punktgenau ist auch diese len punktgenau den richtigen haltung der strafbefreienden Einschränkung, um künftig d ner Hinterziehungsstrategie z Danke. (Beifall bei der CDU Vizepräsident Dr. h. c. W Wenn das punktgenau ist 22 Prozent überzogen, wie rechnet habe. Zwischendurch gebe ich U)

nktgenau zum Schluss ge-

olfgang Thierse:
ben eine Minute überzogen.

keit)

U):
r Gesetzentwurf. Wir wäh-
Weg zwischen der Beibe-
Selbstanzeige und ihrer
en Missbrauch als Teil ei-
u verhindern.

/CSU und der FDP)

olfgang Thierse:
: Sie haben Ihre Rede um
ich sofort im Kopf ausge-

Ihnen das von den Schrift-





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub

Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler

Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich

Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Inge Höger
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Thilo Hoppe





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Nun erteile ich als nächstem Redner in dieser Debatte
dem Kollegen Martin Gerster für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1709607100

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Geschätzter Herr Kolbe, wenn man Ihnen hier zu-
hört, kann man sich eigentlich nur wundern. Sie sagen,
wie toll und wie schön diese Koalition sei, wie toll die-
ses Schwarzgeldbekämpfungsgesetz sei. Der Beifall aus
den Reihen der Koalition war ja auch phänomenal; er
war richtig tosend.


(Manfred Kolbe [CDU/CSU]: So wie bei Ihnen!)


Wenn man sich die Entwicklung dieses Gesetzent-
wurfes und das Ergebnis genauer anschaut, könnte man
leicht auf die Idee kommen, bei dem Titel Ihres Gesetz-
entwurfes handele es sich um einen Tippfehler. Man
könnte denken, dass Sie statt Schwarzgeldbekämpfungs-
gesetz eigentlich ein Schwarz-Gelb-Bekämpfungsgesetz
meinten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist ein ganz neuer Witz, Herr Kollege! Ein ganz neuer!)


Um es mit den Worten des französischen Politikers
Edgar Faure zu sagen: Ein Kompromiss ist dann voll-
kommen, wenn beide bekommen, was sie eigentlich gar
nicht haben wollten. – Selten passte dieses Zitat so gut
wie bei diesem schwarz-gelben Schwarzgeldbekämp-
fungsgesetz.


(Beifall bei der SPD)


Auf die Abstimmung mussten wir – mit „wir“ meine
ich die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler –
lange genug warten. Wir erinnern uns: Ein Jahr ist ver-
gangen seit der Ankündigung einer Initiative durch die
Unionsfraktion. Damals, Anfang 2010 – wir wissen es
genau –, kamen die sogenannten Steuer-CDs auf den
Markt, die reuigen Sünder waren unterwegs und erstatte-
ten Selbstanzeige. Es gab vollmundige Ankündigungen.
CSU-Kollege Michelbach – er ist heute leider nicht da;
er wird wissen, warum – forderte damals in der ARD die
komplette Abschaffung der strafbefreienden Selbstan-
zeige.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ja!)


Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sagte,
Steuerflüchtlinge dürften nicht mehr straffrei davonkom-
men. Wörtlich sagte er den Satz – er ist fast maßge-
schneidert im Hinblick auf Ihren jetzigen Gesetzentwurf,
Ihren Änderungsantrag und die heutige Debatte –: Der
Staat darf sich seinen Anspruch, Unrecht zu bestrafen,
nicht abkaufen lassen. – Wo Herr Müller recht hat, hat er
recht. Das muss man ganz klar sagen.


(Beifall bei der SPD)


Wir, die SPD-Fraktion, haben einen Gesetzentwurf
zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige vor-
gelegt. Dieser Vorstoß wird von den Praktikern der
Steuer-Gewerkschaft und vielen anderen zweifelsfrei
unterstützt. Es hat allerdings unglaublich lange gedauert,
bis Schwarz-Gelb überhaupt etwas zu Papier gebracht
hat. Ich will anmerken: Womöglich auch vom Urteil des
BGH getrieben – sonst wäre von Ihnen vielleicht gar
nichts gekommen –, haben Sie ein Papier vorgelegt. Un-
fertig, unsicher und unabgesprochen war Ihr Gesetzent-
wurf in der ersten Lesung. Von einer Abschaffung der
strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung,
wie ursprünglich angekündigt, war bei Ihnen letztend-
lich kein Wort mehr zu lesen.

Drei Anhörungen zu diesem Thema im Finanzaus-
schuss haben wir hinter uns. Sachverständige haben uns
eindringlich und wiederholt darauf hingewiesen, welch
fachliche Unzulänglichkeiten Ihr Gesetzentwurf beinhal-
tet und welche heute schon absehbaren Probleme es bei
der Umsetzung Ihres Gesetzentwurfes in der Praxis ge-
ben wird. Doch von all dem wollten Sie nichts wissen.

Ihnen ging es in den Anhörungen – das war der Ein-
druck von vielen – um etwas anderes. Beide Fraktionen,
die Union auf der einen Seite, die FDP auf der anderen
Seite, haben ihre eigenen Sachverständigen in den Stel-
lungskrieg geschickt, als es um die Frage „Strafzu-
schlag: ja oder nein?“ ging. Das war in den Anhörungen
des Finanzausschusses das eigentliche Thema. So war
die Gefechtslage.


(Beifall bei der SPD)


Eines war deutlich spürbar: Kopf und Hinterteil der
Koalition marschierten los. Das Problem war nur: Sie
marschierten in unterschiedliche Richtungen. Dann be-
wegt sich bekanntermaßen gar nichts.


(Beifall bei der SPD)


Im Übrigen: Wer Kopf und wer Hinterteil ist, das über-
lasse ich an dieser Stelle Ihnen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Warum? Sagen Sie es uns doch!)


Es ist kein Wunder, Herr Kollege Wissing, dass wir die-
ses Thema in der letzten Sitzungswoche leider nicht ab-
schließend beraten konnten, weil Sie sich noch nicht ei-
nig waren. Aber ich billige Ihnen gerne zu – Sie haben es
gesagt –: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred Kolbe [CDU/CSU])


Das ist richtig, solange das Ergebnis stimmt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Das stimmt bei uns ja!)


Gleich vorweg: Es stimmt nicht.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Ach so! Schade! – Joachim Poß [SPD]: Bei Wissing hat noch nie etwas gestimmt!)


Ihr Ziel haben Sie nämlich gründlich verfehlt. Dies gilt
auch im Hinblick auf die Ankündigungen und die gewal-
tigen Erwartungen, die Sie in dieser Frage selbst ge-
weckt haben. Hier haben Sie kläglich versagt.


(Beifall bei der SPD)






Martin Gerster


(A) (C)



(D)(B)

Die größte öffentliche Beachtung fand der Eiertanz
um den Strafzuschlag. Ich gebe Ihnen einen kurzen
Rückblick auf die formulierten Ansprüche und die Wirk-
lichkeit der Kompromissfindung innerhalb der Koali-
tion. In der Zeitschrift Das Parlament hat der FDP-Kol-
lege Daniel Volk noch am 28. Februar dieses Jahres, also
vor weniger als drei Wochen, einen Aufschlag abge-
lehnt. Wörtlich wurde er wie folgt zitiert:

Der Verwaltungszuschlag ist ein verkappter Straf-
zuschlag.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es ja auch!)


Das passt nicht zu der strafbefreienden Erklärung.

Klaus-Peter Flosbach und Manfred Kolbe von der CDU
sagten dazu wörtlich in derselben Ausgabe der Zeit-
schrift Das Parlament:

Es ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit, dass die
Nachzahlung eines Steuerhinterziehers nicht
ebenso behandelt wird wie die Nachzahlung eines
ehrlichen Steuerzahlers.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Und wie ist es jetzt?)


Nur, die Wahrheit ist: Das Problem, dass Steuersäu-
mige finanziell schlechter gestellt sind als der zur Selbst-
anzeige bereite Steuerkriminelle, beheben Sie mit dem
jetzt auf dem Tisch liegenden Gesetzentwurf überhaupt
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie treten letztendlich Ihr selbst formuliertes Gebot der
Steuergerechtigkeit mit Füßen. Aus meiner Sicht noch
schlimmer: Demjenigen, der mehr Geld als den neuen
Grenzbetrag von 50 000 Euro auf dem Hinterzieherkerb-
holz hat, wird die relativ bequeme Möglichkeit eröffnet,
sich gegen Zahlung eines 5-Prozent-Zuschlags von der
Strafverfolgung freizukaufen. Ich frage mich: Welche
Botschaft soll denn davon ausgehen? Wie sagte es doch
der CDU-Ministerpräsident Peter Müller vor einem
Jahr? Ich wiederhole es gerne noch einmal. Er mahnte,
der Staat dürfe sich seinen Anspruch, Unrecht zu bestra-
fen, nicht abkaufen lassen.

Oder anders: Wer strategisch und in großem Maßstab
Steuern hinterzieht, sollte vielleicht besser gleich die
5 Prozent mit einplanen. Nur wer sich den Zuschlag
nicht leisten kann, wird bestraft. Ihr Koalitionskompro-
miss – ich denke, das wird deutlich – hat nur ein einziges
Motiv: Angst vor Gesichtsverlust. Generalprävention,
werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sieht an-
ders aus – effektive Bekämpfung von Steuerhinterzie-
hung auch.


(Beifall bei der SPD)


Geradezu gebetsmühlenartig haben Sie in der Vergan-
genheit immer wieder beschworen, Steuerhinterziehung
sei kein Kavaliersdelikt. Damit haben Sie natürlich
recht. Denn Steuerhinterziehung ist eine Straftat, die un-
serem Gemeinwesen das dringend benötigte Geld für
wichtige Aufgaben und Vorhaben entzieht. Sie ziehen
daraus aber leider nicht die notwendigen Konsequenzen.
Ihre Versuche, den Gesetzentwurf zu verteidigen, sind
untauglich.

Herr Kolbe, Sie haben wieder das Prinzip der tätigen
Reue beschworen. Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Reue
ist reine Fiktion, genauso wie die Behauptung, der Steu-
erhinterzieher sei künftig gezwungen, vollständig reinen
Tisch zu machen. Ich zitiere nochmals die Kollegen
Flosbach und Kolbe vom 7. März in der Zeitschrift Das
Parlament:

Strafbefreiung soll nur derjenige erwarten dürfen,
der noch alle verfolgbaren Steuerhinterziehungen
der Vergangenheit vollständig offenbart.

In der Praxis ist dieser Anspruch nicht umsetzbar.


(Beifall bei der SPD)


Sie wissen das spätestens seit der Anhörung, aber Sie ha-
ben öffentlichkeitswirksam die Kulisse einer allumfas-
senden Beichte reumütiger Steuersünder aufgebaut – eine
Kulisse, die sich in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht
wiederfindet.

Ich sage Ihnen voraus: Die Steuerverwaltungen wer-
den sich bei Ihnen noch ganz herzlich bedanken, wenn
die ersten Widersprüche eingegangen und die ersten
Streitfälle anhängig sind. Die Sachverständigen haben in
der Anhörung dazu alles Notwendige gesagt, aber Sie
tragen es auf dem Rücken der Beamtinnen und Beamten
aus.

Angesichts dieser mageren Bilanz des Gesetzent-
wurfs wäre es besser gewesen, Sie hätten den Mut aufge-
bracht, einen klaren Schnitt zu machen und die strafbe-
freiende Selbstanzeige abzuschaffen, wie wir es in
unserem Gesetzentwurf fordern.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709607200

Das Wort hat nun Kollege Volker Wissing für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1709607300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Über dieses Thema wurde hier schon viel gesprochen;
das ist ganz klar. Wir haben intensive Beratungen im Fi-
nanzausschuss geführt. Nur, lieber Kollege Gerster, Sie
erwecken hier den Eindruck, als hätte die SPD bei die-
sem Thema jemals gehandelt. Sie reden nur darüber. Die
Koalition hingegen handelt und legt einen konkreten Ge-
setzentwurf vor. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen,
die es mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung
nicht ernst meinen, und uns, die Fakten schaffen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir verfolgen mit dem Ge-
setzentwurf genau das, was wir den ehrlichen Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahlern schuldig sind: Wir sorgen da-





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)

für, dass kein ehrlicher Bürger unter Verdacht gerät, nur
weil er vergessen hat, etwas beim Finanzamt einzurei-
chen. Deshalb bleibt es bis 50 000 Euro bei der strafbe-
freienden Selbstanzeige für ehrliche Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl dreist!)


Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der Ehrliche in
Deutschland nicht länger der Dumme ist, und erhöhen
die Sanktionen. Schwere Fälle der Steuerhinterziehung
werden trotz strafbefreiender Selbstanzeige in Zukunft
schärfer sanktioniert.

Es darf nämlich nicht so wie unter SPD-Finanzminis-
tern bleiben. Damals konnte man die strafbefreiende
Selbstanzeige als Geschäftsmodell nutzen. Wer künftig
50 000 Euro an Steuern hinterzieht, bleibt nicht mehr
straffrei, nur weil er sich selbst anzeigt. In diesen Fällen
gilt künftig, dass die Steuerhinterziehung auch bei Selbst-
anzeige strafbar bleibt. Nur wer sich selbst offenbart und
zusätzlich zu den fälligen Zinsen eine Geldbuße zahlt,
kommt künftig um eine Verurteilung herum. Es kommt
also zur strafverfahrensrechtlichen Einstellung gegen
Geldauflage. Das ist die Konstruktion, die wir gewählt
haben. Das haben Sie noch nicht verstanden. Deswegen
haben Sie hier wenig Sinnvolles gesagt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Die unwürdige Situation, dass erst ein Beamter zu
Hause klingeln muss, damit man als entdeckt gilt, wird
von uns abgeschafft. Künftig kann man eine strafrechtli-
che Prüfungsanordnung zustellen, und dann ist die Falle
zu. Das erhöht das Entdeckungsrisiko, und jeder, der et-
was zu offenbaren hat, sollte die Chance nutzen und sich
jetzt ehrlich machen. Unter Schwarz-Gelb wird es ernst
mit der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Das ist
das Signal, das auch von dieser Debatte ausgehen muss.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben uns viel Mühe mit der Beratung dieses Ge-
setzentwurfs gemacht, und das nicht, weil wir unter-
schiedliche Auffassungen gehabt hätten, sondern weil es
eine komplizierte Sache war. Wir mussten eine verfas-
sungskonforme Lösung finden, wir mussten eine praxis-
taugliche Lösung finden, und wir mussten – das war der
FDP besonders wichtig – für die ehrlichen Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler einen fairen Weg der Verschär-
fung finden. Nicht die Kriminalisierung, die Verdächti-
gung der Ehrlichen, sondern die Sanktion der Unehr-
lichen war unser Ziel. Genau das haben wir erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Was Sie unter „ehrlich“ verstehen!)


Ein Zuschlagen im Falle einer bloßen Korrektur der
Steuererklärung hätte dazu geführt, dass jeder Arbeit-
nehmer, der eine Kleinigkeit korrigiert hätte, unter dem
Verdacht gestanden hätte, dass er die Korrektur nach ei-
ner vorsätzlichen Täuschung vorgenommen hat.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Arbeitnehmer verdienen denn so viel, dass sie 50 000 Euro pro Jahr hinterziehen können? Das ist doch Mumpitz!)


Wir wollten nicht die Verdächtigung der ehrlichen Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die schär-
fere Sanktionierung derjenigen, die systematisch Steuern
hinterziehen. Sie verhalten sich unehrlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Da muss ich aber wirklich lachen!)


Mit der jetzt gefundenen Lösung wird schärfer sank-
tioniert. Das Geschäftsmodell der Steuerhinterziehung
gibt es in Deutschland nicht mehr. Die Teilehrlichkeit
wird nicht mehr belohnt. Das alles ist uns gelungen. Wir
haben damit eine Lösung erreicht, durch die der Anstän-
dige nicht zum Verlierer gemacht wird. Das ist gute Ge-
setzgebung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn einige Sachverständige, die bei der Anhörung
im Finanzausschuss anwesend waren, diese Debatte ver-
folgen, dann kann ich ihnen sagen: Herzlichen Dank für
all den Sachverstand, den Sie uns zur Verfügung gestellt
haben. Ihre wertvollen Hinweise sind hier ganz konkret
in die Gesetzgebung mit eingeflossen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Hat aber nicht geholfen!)


Deswegen haben wir den Entwurf nach der Anhörung
auch noch einmal korrigiert und uns mit der Beratung
Zeit genommen. Wir haben im Ziel keine Unterschiede
gehabt, aber wir wollten die Interessen der ehrlichen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eben auch berück-
sichtigt finden, und wir wollten eine verfassungskon-
forme Lösung.

Sie von der SPD tun hier so, als wären Sie diejenigen,
die die Bekämpfung der Steuerhinterziehung immer ver-
folgt hätten.


(Joachim Poß [SPD]: Ja!)


Seit Jahren reden Sie darüber, passiert ist in der Regie-
rungsverantwortung unter SPD-Finanzministern nichts.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist eine Lüge!)


– Frau Kressl, die SPD hat es mit den Grünen nicht ge-
schafft, die strafbefreiende Selbstanzeige zu verschärfen,
und Sie haben es auch nicht in der Großen Koalition ge-
schafft, dieses Problem zu lösen.

Jetzt kann man sich natürlich fragen, warum das so
ist. Wenn man sich Ihren Alternativvorschlag näher an-
schaut, dann wird das klar. Sie wollen nämlich keine
wirkliche Lösung und schlagen etwas vor, was nicht
geht. Beantworten Sie doch einmal glaubwürdig fol-
gende Fragen:

Sie wollen die strafbefreiende Selbstanzeige abschaf-
fen. Warum machen Sie einen solchen Vorschlag, durch
den die Verfassung verletzt wird, nach der sich kein Bür-
ger selbst belasten muss und nach der er gleichzeitig an





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)

der vollständigen Erhebung seiner Steuerdaten mitwir-
ken muss? Warum lehnen denn amtierende Finanzminis-
ter Ihren Vorschlag ab? Warum haben Sie in elf Jahren
eigener Verantwortung das, was jetzt angeblich ein so
guter Vorschlag ist, nicht umgesetzt? An der CDU/CSU
kann das in der letzten Legislaturperiode jedenfalls nicht
gelegen haben; sie war schnell mit uns einig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709607400

Das Wort hat nun Richard Pitterle für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709607500

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Herr Wissing, ich befürchte,
Schwarz-Gelb hat ein neues Geschäftsmodell eingeführt.
Das wird sich künftig vielleicht „5 plus“ nennen, aber
dazu komme ich noch.

Die Möglichkeit, durch eine Selbstanzeige der Bestra-
fung zu entgehen, ist ein Privileg. Von diesem Privileg
profitieren überwiegend Menschen mit viel Geld. Weil
sie das Geld mehr lieben als ihre gesellschaftlichen Ver-
pflichtungen, werden sie zu Steuerhinterziehern, oder sie
entziehen sich der Steuerpflicht, indem sie aus steuerli-
chen Gründen ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, wie
manches Supermodel oder mancher Supertrainer.

Die Hartz-IV-Empfänger, die sich etwas dazuverdie-
nen, ohne es der Agentur für Arbeit mitzuteilen, haben
dieses Privileg nicht. Sie werden knallhart wegen der Er-
schleichung von Sozialleistungen angeklagt und müssen
sich vor Gericht verantworten. Finden Sie das gerecht?
Wir nicht. Deshalb gehört nach Meinung der Linken die
strafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft. Diese wird
von zu vielen als taktisches Instrument benutzt, wenn es
darum geht, dem Staat die Steuern, die ihm zustehen,
vorzuenthalten.

Steuerhinterziehung ist kriminell. Sie ist kein Kava-
liersdelikt. Bei keiner anderen Straftat weiß der Täter
von vornherein, dass die Straftat schon dann, wenn er
nur eine Bedingung erfüllt, ohne Folgen bleibt. Das be-
deutet, dass die strafbefreiende Selbstanzeige dazu bei-
trägt, Steuerhinterziehung attraktiv zu machen. Sie macht
die Hinterziehung ein Stück weit kalkulierbar und nimmt
dem Risiko der Entdeckung den Schrecken.

Durch Berichte über CDs in den Medien wissen die
Steuerhinterzieher, ob ein Entdeckungsrisiko besteht und
dass sie dem Staat eventuell doch ihre verheimlichten,
ins Ausland transferierten Einkünfte anzeigen sollten.

Würde die strafbefreiende Selbstanzeige ganz abge-
schafft, hätte dies zwei Folgen: Die Steuerhinterziehung
würde gefährlicher, sodass sich weniger Menschen
trauen, Steuern zu hinterziehen. Dadurch erhöhten sich
die Steuereinnahmen für den Staat. Deshalb hat die Ab-
schaffung der strafbefreienden Selbstanzeige eine gene-
ralpräventive und eine fiskalische Wirkung.
Damit komme ich zum springenden Punkt: Nur das
Risiko der Entdeckung bringt dem Staat die gewünsch-
ten Steuereinnahmen. Das letzte Jahr war das beste Bei-
spiel: Nach den Berichten in den Medien über Steuer-
CDs ging eine Flut von 30 000 Selbstanzeigen ein. Der
größte Teil der hinterzogenen Gelder kam aus den be-
kanntgewordenen Herkunftsländern und Geldinstituten.

Statt nur ein bisschen an der Selbstanzeige herumzu-
doktern, muss die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerhinter-
ziehung aufgedeckt wird, erhöht werden. Deshalb ver-
langen wir, dass die Finanzämter mehr Personal be-
kommen, um effektiv Steuerhinterzieher verfolgen und
aufdecken zu können.

Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich auf ei-
nem internationalen automatischen Informationsaustausch
in Steuersachen zu bestehen. Der vorgelegte Gesetzent-
wurf führt nicht dazu, dass sich die Steuerhinterzieher in
Deutschland bei ihren kriminellen Machenschaften we-
niger sicher fühlen. Die Regierungskoalition behauptet
zwar, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verhindern
zu wollen, dass die strafbefreiende Selbstanzeige als In-
strument der Steuergestaltung missbraucht wird. Aber
selbst nach Ihren jüngsten Nachbesserungen im Finanz-
ausschuss besteht ein Widerspruch zwischen Text und
Begründung des Gesetzentwurfs. In der Begründung
heißt es wörtlich – ich zitiere –:

Nur wer sich für eine vollständige Rückkehr in die
Steuerehrlichkeit entscheidet, kann sich der Straf-
freiheit sicher sein.

Nach dem Text des Gesetzentwurfs wird man jedoch
schon straflos gestellt, wenn man die falschen Angaben
zu einer Steuerart vollständig berichtigt.

Es geht gar nicht um das in der Diskussion angespro-
chene Argument der Nichtzahlung der Hundesteuer.
Aber erklären Sie mir doch bitte, warum jemand, der
seine Angaben zur Einkommensteuer korrigiert, aber
nicht seine Hinterziehung bei der Umsatzsteuer offen-
bart, straflos gestellt wird. Das ist nach Ihrem Gesetzent-
wurf der Fall.

So ist aus der von Ihnen behaupteten bissigen Ver-
schärfung ein Papiertiger geworden. Sie gaukeln den
Bürgerinnen und Bürgern vor, etwas zu unternehmen.

Ich frage Sie: Warum haben Sie nicht einmal vorgese-
hen, dass die Korrektur der falsch erklärten Steueranga-
ben mit einer Versicherung an Eides statt ergänzt wird?
Das würde das Risiko der Strafbarkeit derjenigen erhö-
hen, die sich nicht vollständig offenbaren.

Sie haben die Dreistigkeit, zu behaupten, mit Ihrem
Gesetzentwurf wäre dem Taktieren mit der Selbstan-
zeige bei Steuerhinterziehung ein Riegel vorgeschoben.
Damit das Taktieren wirklich beendet wird, muss die
strafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regierung verweist darauf, dass der Staat vom In-
strument der strafbefreienden Selbstanzeige profitiere,
weil Quellen aufgedeckt würden, die der Staat nicht er-
schlossen hätte. Aber auch hier täuschen Sie die Öffent-





Richard Pitterle


(A) (C)



(D)(B)

lichkeit. In anderen Staaten gibt es dieses Instrument
nicht, aber es gibt dort eine Bestimmung, dass das Ge-
richt bei einer Selbstanzeige von der Bestrafung absehen
kann. Ich sage Ihnen, worin der Unterschied liegt: Das
Ganze findet nicht zwischen der Finanzverwaltung und
dem Steuerhinterzieher statt, sondern ist ein öffentliches
gerichtliches Verfahren. Dadurch wird auch klar, dass es
sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt.

In Kanada ist übrigens die Möglichkeit, durch eine
Selbstanzeige der Strafbarkeit zu entgehen, auf ein einzi-
ges Mal beschränkt. Warum nehmen Sie sich das nicht
zum Vorbild? Wie viele Brücken wollen Sie den Unehr-
lichen noch bauen?

Die Bundesregierung schafft es sogar, den kriminel-
len Steuerhinterzieher weiterhin besser zu behandeln als
einen säumigen Steuerehrlichen. Bei steuerehrlichen
Bürgerinnen und Bürger, die ihre Einkünfte dem Staat
offenlegen, wird die Steuer festgesetzt. Wenn sie mit der
Zahlung der festgesetzten Steuer in Verzug kommen,
müssen sie darauf 12 Prozent pro Jahr an Säumniszu-
schlag zahlen.

Der kriminelle Hinterzieher jedoch, der sich selbst an-
zeigt, zahlt mit 6 Prozent Hinterziehungszinsen pro Jahr
nur die Hälfte. Im Gesetzentwurf schlagen Sie vor, bei
hinterzogenen Steuern von über 50 000 Euro einen Zu-
schlag von 5 Prozent einzuführen, um straffrei zu blei-
ben. Dann zahlt er also 11 Prozent insgesamt. In jedem
Fall muss er weniger bezahlen als der steuerehrliche
Bürger, der gerade nicht flüssig ist. Wir fordern, dass der
Zuschlag schon für den ersten Euro hinterzogener Steu-
ern gelten muss. 5 Prozent sind zu wenig; 12 Prozent
sind angemessen. Ihre Ablehnung eines höheren Zu-
schlags zeugt nur davon, wie egal Ihnen Steuerehrlich-
keit und Steuergerechtigkeit sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Unsere Zustimmung für diese Politik bekommen Sie
nicht.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709607600

Das Wort hat nun Kollege Gerhard Schick für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Er zieht jetzt den Vergleich zu Rot-Grün!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
werde als Erstes einen Satz zum Thema Geldwäsche sa-
gen, das mir sehr am Herzen liegt. Ich glaube, dass wir
in Deutschland einen massiven Fehler machen, indem
wir in Bund und Ländern dieses Thema nebenbei in dem
einen oder anderen Gesetz behandeln. Denn in der
Summe ebnen Bund und Länder organisierter Kriminali-
tät den Weg nach Deutschland und unterstützen damit im
Ausland genau die Strukturen, die wir angeblich so
falsch und problematisch finden. Deswegen müssen wir
uns das Thema Geldwäsche noch einmal gründlicher
vornehmen. In diesem Gesetzentwurf ist nur ein kleiner
Schritt enthalten. Wir fordern die umfassende Behand-
lung des Themas aber für die nächsten Beratungen im
Ausschuss ein.

Der Kern dieses Gesetzentwurfs ist die strafbefrei-
ende Selbstanzeige. Was Sie da machen


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Ist gut!)


in der Öffentlichkeitsarbeit und in Ihren heutigen Reden,
ist ein großer Bluff.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie stellen wenige Punkte der Verschärfung in den
Vordergrund, die teilweise bereits der Bundesgerichtshof
festgelegt hat, und Sie machen den Leuten damit vor,
dass es wirklich darum ginge, systematisch durchzugrei-
fen. Aber an vielen Passagen in diesem Gesetzentwurf
stellen wir fest, dass das Gegenteil der Fall ist.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Gesetze macht immer noch das Parlament, nicht der Bundesgerichtshof!)


– Genau. Deswegen komme ich auf die einzelnen Punkte
zu sprechen.

Aber die rechtlichen Verhältnisse werden sich durch
dieses Gesetz an manchen Stellen verschlechtern. Herr
Wissing, ich finde es sehr interessant, wie Sie argumen-
tieren, Stichwort: die ehrlichen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Welcher Arbeitnehmer und welche
Arbeitnehmerin hat denn die Möglichkeit, pro Jahr
50 000 Euro Steuern zu hinterziehen?


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Werfen Sie doch einmal einen Blick in die Statistik. Die
meisten Menschen wären froh, wenn Sie so viel im Jahr
verdienen würden.


(Zurufe von der FDP)


Aber Sie appellieren hier an die ehrlichen Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer. Das Gros der Menschen
hat von dieser Regelung überhaupt nichts; seien Sie doch
ehrlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)


Wenn Sie wenigstens Ihren eigenen Ansprüchen ge-
recht werden würden; das aber tun Sie nicht. Ich zitiere
aus dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP.
Unterzeichnet haben ihn Volker Kauder, Hans-Peter
Friedrich und Birgit Homburger. Darin heißt es:

… dem Steuerhinterzieher darf durch seine Hinter-
ziehungsstrategie gegenüber einem bloß säumigen
Steuerpflichtigen, der eine ordnungsgemäße Erklä-
rung abgegeben hat, kein wirtschaftlicher Vorteil
entstehen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Tut es auch nicht!)


Das setzen Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht um.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Doch!)






Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

– Sie setzen es unterhalb der Grenze von 50 000 Euro
pro Jahr nicht um, weil es da bei der bisherigen Rege-
lung bleibt, nämlich Hinterziehungszinsen in Höhe von
6 Prozent und Säumniszuschlag in Höhe von 12 Prozent.


(Zuruf des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP])


Sie setzen es aber noch nicht einmal bei den Fällen
über 50 000 Euro um; denn dann gelten 11 Prozent, das
heißt, der Säumniszuschlag in Höhe von 12 Prozent ist
immer noch höher. Sie sind also an Ihren eigenen An-
sprüchen gescheitert.

Das gilt auch für den zweiten Anspruch, den Sie da-
mals formuliert haben – ich zitiere wieder –:

Strafbefreiung soll nur noch derjenige erwarten
dürfen, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterzie-
hungen der Vergangenheit vollständig offenbart.

Das schränken Sie jetzt auf eine einzige Steuerart ein.
Das heißt eben nicht: alle Hinterziehungen. Damit ver-
schlechtern Sie die Lage gegenüber der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes einmal mehr, der sagt:

Die Benennung aller denkbaren Handlungsvarian-
ten zur Korrektur von unrichtigen und unvollständi-
gen Angaben … macht deutlich, dass das Gesetz
die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit
will. Nur unter dieser Voraussetzung wird der Täter
straffrei.

Die vollständige Ehrlichkeit, die auch in der Begrün-
dung zu dem Gesetzentwurf steht, ist nicht mehr erfor-
derlich, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Notwendig wäre es, einzuschränken, dass man das
mehrmals im Leben tun kann. Reue heißt doch nicht,
dass ich am nächsten Tag gleich wieder damit anfange.
Warum ist es nicht möglich, einen klaren Schnitt zu ma-
chen, damit man die Tat nicht mehrfach wiederholen
kann?

Ich komme auf den Kernpunkt, den wir mit einem
Änderungsantrag in den Vordergrund gestellt haben, weil
wir ein Verhalten besonders unanständig finden: Durch
die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann sich
jemand, der nur sein Konto bei der Credit Suisse aufge-
deckt hat, aber nicht das Konto bei der UBS, nicht mehr
auf seine unehrliche Teilselbstanzeige berufen. Es bedarf
einer Übergangsfrist; da haben Sie, Herr Kolbe, voll-
kommen recht. Aber so, wie Sie die Übergangsfrist aus-
gestalten, wird diese Trickserei bei der Selbstanzeige für
die Zukunft unter Bestandsschutz gestellt. Damit versto-
ßen Sie wieder gegen einen Grundsatz, den Sie in der
Öffentlichkeit hochhalten, nämlich dass sich Trickserei
nicht mehr lohnen soll. Doch genau das schreiben Sie in
dem Gesetzentwurf fest. Sie sagen, etwas anderes sei
verfassungsrechtlich nicht möglich.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709607700

Eine Zwischenfrage von Herrn Kolbe. Bitte schön.

Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1709607800

Herr Kollege Schick, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, dass sich die Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs auf eine Tat bezieht, also einen Veranlagungs-
zeitraum bzw. eine Einkommensteuererklärung – und
nur auf diese eine Tat –, während in unserem Gesetzent-
wurf verlangt wird, dass alle Veranlagungszeiträume ei-
ner Steuerart angegeben werden müssen, damit es zu ei-
ner wirksamen Selbstanzeige kommt? Es gibt also eine
deutliche Ausweitung gegenüber der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs, auch gegenüber dem Beschluss
vom 20. Mai.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war noch von
mehreren Steuerarten die Rede. An dieser Stelle schrän-
ken Sie es ein. Damit kommt es nicht zur vollständigen
Steuerehrlichkeit. Das ist genau der Punkt, den wir ein-
fordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – KlausPeter Flosbach [CDU/CSU]: Beantworten Sie die Frage!)


Ich will auf den Punkt, den ich angesprochen habe,
zurückkommen. Sie sagen, es bedürfe eines Vertrauens-
schutzes für die Leute, und Sie beziehen sich auf den al-
ten Rechtsgrundsatz: nulla poena sine lege. Aber die un-
echte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich möglich. Es
bedarf einer Abwägung. Durch die Übergangsfristen
kann man dieses Problem, wie wir es vorgeschlagen ha-
ben, lösen. Wir schlagen vor, dass die Menschen, die
eine unehrliche Teilselbstanzeige abgegeben haben, sich
innerhalb von zwölf Monaten vollständig ehrlich ma-
chen müssen. Das lehnen Sie ab, weil Sie einen Be-
standsschutz für Tricksereien festschreiben wollen. Da-
mit wird deutlich, um was es hier insgesamt geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Es gibt auch noch rechtsstaatliche Prinzipien! Und das bleibt auch so! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Die Grünen stehen über allen rechtsstaatlichen Prinzipien!)


– Die Rechtsauffassung – das ist in der Anhörung
deutlich geworden – ist genau von zwei, juristisch
durchaus kundigen Sachverständigen geäußert worden,
nämlich dass die Übergangsregelung, die Sie schaffen,
in der Praxis Probleme schafft und einen falschen Anreiz
setzt. Es wurde deutlich, dass man rechtlich beide Wege
gehen kann, aber Sie entscheiden sich für den problema-
tischen Weg. Das ist der Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Ich finde, wir müssen diesen Gesetzentwurf auch vor
dem Hintergrund des Zustands des Steuervollzugs in
Deutschland, an dem sich dringend etwas verändern
muss, bewerten. Der Bundesgerichtshof hat 2007 festge-
stellt: Der Steuervollzug in Deutschland ist gesetzwid-
rig, weil ein gleichmäßiger Vollzug nicht möglich ist. –





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

Vor diesem Hintergrund ist es natürlich wichtig, dass wir
hier Gesetze machen, die an den Kern des Problems he-
rangehen und die Entdeckungswahrscheinlichkeit erhö-
hen, anstatt falsche Anreize zu setzen, sodass die Ehrli-
chen die Dummen sind. Das muss verhindert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709607900

Das Wort hat nun Kollege Peter Aumer für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Aumer (CSU):
Rede ID: ID1709608000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Das Schwarzgeldbekämpfungsge-
setz, das wir heute beschließen, geht auf eine Initiative
der Union zurück. Es zeigt konsequentes Handeln und
ist eine Antwort auf die Flut von Selbstanzeigen nach
dem Auftauchen der Steuerhinterziehungs-CDs.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Inkonsequent! Das haben Sie doch gerade gehört!)


– Das ist eine Frage der Einschätzung. Sie schätzen das
so ein und wir so. Ich glaube, wir sind auf der richtigen
Seite.

Wir haben frühzeitig eine Verschärfung der Voraus-
setzungen für die strafbefreiende Selbstanzeige gefor-
dert, und wir setzen das, was wir gefordert haben, auch
in konkrete Taten um. Das, was die christlich-liberale
Koalition verspricht, das hält sie auch.

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren ihren
Teil dazu beigetragen, Steuerlücken zu schließen. Die
Doppelbesteuerungsabkommen mit unseren europäi-
schen Nachbarn sind nahezu abgeschlossen. Aber das al-
les allein reicht nicht aus. In den sieben Jahren von Rot-
Grün schaffte es die damalige Bundesregierung nicht,
Steuerunehrlichkeit erfolgreich zu bekämpfen. Nun, in
der Opposition, kann es Ihnen nicht weit genug gehen,
und Sie verlangen, dass die strafbefreiende Selbstan-
zeige gänzlich abgeschafft wird. Die SPD-Finanzminis-
ter der Länder sehen dies jedoch anders. Wieder einmal
typisch SPD: Die Rechte weiß nicht, was die Linke tut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Oder besser: die Pragmatiker gegen die Utopisten.

Herr Gerster, Sie sprachen vorhin von Anspruch und
Wirklichkeit in Ihrer Regierungszeit. Der Anspruch, den
Sie an sich stellen sollten, wurde nicht in die Wirklich-
keit umgesetzt. Wir reden nicht nur, wir handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das zeigt ganz klar, dass bei uns Anspruch und Wirk-
lichkeit sehr nahe beieinanderliegen.


(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

Die christlich-liberale Koalition hat sich Steuerge-
rechtigkeit zum Ziel gesetzt; Herr Poß, ich hoffe, auch
die Opposition agiert in diesem Sinne. Das bedeutet,
dass an eine strafbefreiende Selbstanzeige hohe Anfor-
derungen zu stellen sind.

Der eingebrachte Gesetzentwurf basiert auf drei
Grundlagen:

Erstens. Wir korrigieren Defizite im deutschen
Rechtssystem bei der Bekämpfung von Geldwäsche und
Terrorismusfinanzierung. Die Erweiterung des Geldwä-
schestraftatbestandes im vorliegenden Gesetzentwurf
wird ein wichtiger Beitrag, Geldwäsche und Terroris-
musfinanzierung in Deutschland noch wirksamer zu be-
kämpfen.

Zweitens. Die christlich-liberale Koalition konkreti-
siert das Steuerstrafrecht zielgenau. Das erfolgt aufgrund
eines Urteils des Bundesgerichtshofs im Mai 2010; Kol-
lege Kolbe hat dies vorher schon angesprochen. Darin
entschied das Gericht, dass sich Steuersünder mit einer
Selbstanzeige vor einer Bestrafung nicht mehr einfach so
retten können. Die Selbstanzeige muss alle den Behör-
den verheimlichten Konten betreffen, und sie muss vor
der Entdeckung der Straftat erfolgen. Eine Selbstanzeige
während einer polizeilichen Durchsuchung genügt nicht.
Zukünftig ist ein Steuersünder nur noch dann straffrei,
wenn er die komplette Steuerart im nicht verjährten
Steuerzeitraum zurückzahlt. Damit werden nur diejeni-
gen zu Steuerhinterziehern, die versuchen, ihr zu ver-
steuerndes Geld in verschiedenen Staaten am Fiskus vor-
beizuschleusen. Dieser Hinterziehungstaktik muss ein
Riegel vorgeschoben werden.

Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren der Op-
position, setzen das um, was der Bundesgerichtshof ent-
schieden hat. Die vom BGH festgestellte Steuerhinter-
ziehung großen Ausmaßes – das sind Hinterziehungen
von über 50 000 Euro – werden durch die christlich-
liberale Koalition mit einem Strafzuschlag in Höhe von
5 Prozent der hinterzogenen Steuer belegt. Herr
Dr. Schick, Sie haben in Ihren Ausführungen etwas
durcheinandergebracht: Bei denen, die Steuerhinterzie-
hung von unter 50 000 Euro begehen, gibt es diesen
Strafzuschlag nicht.

Außerdem haben wir Rechtssicherheit geschaffen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsauffassung
der Bundesregierung bestätigt. Die vom Bund gekauften
Steuer-CDs dürfen zur Aufklärung von Steuerhinterzie-
hung benutzt werden. Anstatt auf Amnestie zu setzen,
wie Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von
Rot-Grün, erhöhen wir den Druck auf die Steuerhinter-
ziehungstaktiker. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliers-
delikt. Auch Hinterziehungstaktiker müssen erkennen,
dass der Staat ernst macht im Kampf gegen die Steuer-
hinterziehung. Somit haben wir unser Ziel erreicht, dass
ein Steuerhinterzieher nach einer Selbstanzeige nicht
besser dasteht als der steuerehrliche Bürger.

Die christlich-liberale Koalition macht ernst im
Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Wir
wollen den Wirtschaftsstandort Deutschland, aber auch
das Funktionieren unseres Gemeinwesens durch ausge-





Peter Aumer


(A) (C)



(D)(B)

glichene Haushalte und Steuerehrlichkeit sichern. Unser
Gesetzentwurf enthält hierzu wirksame und zielgenaue
Schritte. Wir reden nicht nur, sondern handeln auch.
Deswegen bitten wir Sie, für unseren Gesetzentwurf zu
stimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1709608100

Das Wort hat nun Kollege Lothar Binding für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1709608200

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing hat mich
ein bisschen provoziert, etwas anders vorzugehen, als
ich es ursprünglich dachte.


(Joachim Poß [SPD]: Von dem darf man sich doch nicht provozieren lassen!)


Ich will ihn nämlich an das Gesetz erinnern, das CDU/
CSU und SPD im Jahr 2008 gemacht haben. Die Über-
schrift lautet: Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz.
Damit sollte die Steuerverkürzung bekämpft werden.


(Joachim Poß [SPD]: Die FDP hat damals dagegen gesprochen!)


Jetzt werden Sie sagen: 2008 ist wahnsinnig spät, das
war lange Zeit nach Rot-Grün. – Denn ich habe dieses
Gesetz auch genannt, damit die FDP keine Mühe haben
soll, sich später daran zu erinnern. Ich will aber auch auf
die 16-jährige CDU/CSU-FDP-Geschichte verweisen.
Sie müssen auch immer gucken, woher man kommt.
Was fanden wir denn 1998 vor? Was wir vorgefunden
haben, haben wir sofort 2001 und 2003 korrigiert.

Ich erinnere Sie an das Steuerverkürzungsbekämp-
fungsgesetz aus dem Jahr 2003 und an das Steuerände-
rungsgesetz aus dem Jahr 2003. Ich erinnere Sie an so et-
was Sensibles wie an die Datenbank ZAUBER, bei der
es um Risikoprofile geht, mit denen man abschätzen
kann: Wer tut etwas in der Welt, das illegal ist?

Ich erinnere Sie insbesondere an die Unternehmen-
steuerreformen. Es gibt doch nichts Schöneres, als einen
Gewinn vermeintlich legal ins Ausland zu verschieben.
Das heißt, man nutzt zwar die Infrastruktur in Deutsch-
land, um den Gewinn zu erzielen, aber man will die
Steuern, die darauf zu zahlen sind, nicht entrichten. Die
FDP war immer aggressiv dagegen, dass wir diese Steu-
ergestaltungsmodelle verhindern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU])


Erinnern Sie sich daran, was wir den Betriebsprüfern
an die Hand gegeben haben, wie wir die Abgabenord-
nung geändert haben. Noch etwas Sensibles möchte ich
nennen: die LUNA zur länderübergreifenden Namensab-
frage. Das alles sind Dinge, die in den 16 Jahren unter
Schwarz-Gelb überhaupt keine Rolle gespielt haben. Die
ganze taktische Vorausschau von Steuerkriminalität
hatte man gar nicht im Blick. Roland Koch hat das ja
noch genutzt bei seiner Verschiebung von Spenden in die
Schweiz.


(Joachim Poß [SPD]: Ja, sicher! Der war gegen den Ankauf der CDs! Zum Schutz der Steuerhinterzieher! Wie die FDP!)


Man muss aufpassen, was da wirklich passiert ist. Wir
haben ein Kontenabrufverfahren. Wir haben eine EU-
Richtlinie zur Zinsbesteuerung auf eine Weise entwi-
ckelt, dass Sie heute überhaupt erst die Möglichkeit ha-
ben, über so etwas nachzudenken, wie Sie es tun.

Es gab Abkommen mit der Schweiz, Liechtenstein,
San Marino, Monaco und Andorra. Das waren Oasen,
von denen Sie früher behauptet haben, diese spielten für
Deutschland gar keine Rolle.

Ich will Ihnen noch etwas ganz Grundsätzliches sa-
gen, etwas, für das wir Peer Steinbrück heute noch dank-
bar sein müssen: Das war die Idee, bei der OECD so et-
was zu initiieren wie die schwarzen Listen. Das hat doch
überhaupt erst dazu geführt, dass wir heute viele Dop-
pelbesteuerungsabkommen korrigieren können, dass es
mehr Transparenz zwischen den Ländern gibt, dass wir
über einen automatischen Informationsaustausch nach-
denken können. Das gab es früher gar nicht.

Sie hatten lange Zeit, aber nichts getan. Ich habe Ih-
nen gerade belegt, was wir alles getan haben. Es ist
schön, dass Sie das alles jetzt als Basis für Ihre Gesetz-
gebung nutzen können. So muss es auch sein, wenn sich
die Fraktionen, die die Regierung wählen, in den Legis-
laturperioden abwechseln.


(Zuruf von der FDP)


Es gibt noch eine weitere Sache. Sie haben nämlich
vorhin von Arbeitnehmern gesprochen, die wir beson-
ders belastet hätten.


(Joachim Poß [SPD]: Der hat hier immer für Steuerhinterzieher gestimmt!)


– Ja, genau.

Im Gesetzentwurf der SPD steht aber etwas ganz an-
deres. Hätten Sie ihn gelesen, dann wüssten Sie, dass wir
die leichtfertige Steuerverkürzung als Ordnungswidrig-
keit auffassen. Da gibt es überhaupt gar keine Strafe in
dieser Art und Weise. Sie wissen, dass auch die Steuer-
korrektur als Ordnungswidrigkeit aufgefasst wird. Des-
halb bitte ich Sie, das formell zurückzunehmen. In unse-
rer Familie würde man sagen: Das war eine glatte Lüge.


(Beifall bei der SPD)


Weil das ein brisantes Thema ist und weil das interna-
tional von einer viel größeren Bedeutung ist als das, was
ich zur Korrektur dessen, was Herr Wissing gesagt hat,
einbringen konnte, will ich noch einen anderen Aspekt
ansprechen. Ich war letzten Dienstag in Brüssel. Dabei
ist mir etwas aufgefallen, was im Zusammenhang mit
DBA, internationaler Steuergestaltung bzw. -hinterzie-
hung eine ganz große Rolle spielt: der Blick auf





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

Deutschland. Ich habe noch niemals in Brüssel erlebt,
dass über Deutschland so viele Witze gemacht wurden
wie jetzt, dass so viele hämische Bemerkungen über die
Kanzlerin gemacht wurden von prominenten Teilneh-
mern an dieser Konferenz, dass so viele ablehnende Vor-
schläge gemacht wurden.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sind das alle Ihre Argumente heute?)


Im Übrigen – da können Sie Ihren Kollegen fragen – ha-
ben Vertreter von Opposition und Regierungskoalition
diese Angriffe in Brüssel sehr gut abgewehrt. Aber dass
es sie gibt, ist das Drama. Sie werden nicht erleben, dass
ich in Brüssel als Oppositionspolitiker auftrete; nein, ich
vertrete unser Land. Hier müssen wir aber kritisch da-
rüber reden.

Da ist etwas beim Umgang mit dem Ausland passiert,
sodass es dort kein Vertrauen mehr gibt.

Ich glaube, daran müssen wir wieder arbeiten. Das
liegt nicht daran, dass unsere Exekutive schlecht verhan-
delt. Auch die Berater von Herrn Koschyk im Finanz-
ministerium sind im Regelfall exzellent. Vielmehr liegt
es daran, wie wir uns international aufstellen. Darüber
müssen wir reden. Denn Schwarzgeld, Steuerhinterzie-
hung, Steuerbetrug, Steuergestaltung und Verlagerung
von Gewinn und Einkommen werden gelegentlich so ab-
getan, als wären das abstruse Vorstellungen oder als
schummele jemand da nur ein bisschen. Die Menschen
vergessen, dass, wenn das in Schutz genommen wird, sie
diejenigen sind, die dann zur Kasse gebeten werden.
Denn immer wenn einer etwas hinterzieht, muss das von
einem anderen bezahlt werden. Wer sich daran erinnert,
geht mit diesen Themen sensibler um.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709608300

Herr Binding, Sie erinnern sich bitte an die Zeit.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1709608400

Vielen Dank für die Erinnerung.


(Heiterkeit)


Für jeden, der sich daran erinnert, lohnt es sich, den Ent-
schließungsantrag der SPD noch einmal zu lesen, denn
darin ist sehr viel Weiterführendes zu finden.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709608500

Der Kollege Dr. Daniel Volk hat das Wort für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1709608600

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Herr Binding, zu dem Thema „Ton-
fall gegenüber dem Ausland“ möchte ich nur kurz daran
erinnern, dass Ihr SPD-Finanzminister Steinbrück

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er konnte sich das erlauben, weil er einen guten Ruf hatte!)


von der „Kavallerie“ gesprochen hat, was, glaube ich, zu
weitaus mehr diplomatischen Verstimmungen geführt
hat als vieles andere. Insofern sollte man bei der Be-
trachtung dieses Themas etwas ehrlicher sein.


(Nicolette Kressl [SPD]: Deshalb haben wir jetzt die Amnestie!)


Ich glaube, das war kein guter Hinweis von Ihnen.


(Beifall bei der FDP)


Wenn ich mir die Redebeiträge von der Opposition
anhöre, habe ich das Gefühl, dass Sie im Wesentlichen
die Praxisnotwendigkeiten nicht vor Augen haben. Mit
dem Bild, das Sie hier zeichnen, unterstellen Sie, dass es
bei der strafbefreienden Selbstanzeige nur um die krimi-
nellen Steuerhinterzieher gehe, die ihr Vermögen ins
Ausland schaffen, um es dort unversteuert zu lagern. Ich
möchte nur kurz an Folgendes erinnern: Tatsächlich geht
es um die kleinen Arbeitnehmer, die kleinen Handwer-
ker, die kleinen Selbstständigen,


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein übler Vorwurf!)


die mit einem Steuersystem konfrontiert werden, das
wohl nach einhelliger Auffassung einige Kompliziert-
heiten aufweist. In einem solchen Steuersystem ist die
Gefahr, dass man unbeabsichtigt einen Fehler macht, er-
heblich. Deswegen wollen wir für die Veranlagungspra-
xis das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige
beibehalten, und zwar genau bis zu einem Steuerhinter-
ziehungsbetrag von 50 000 Euro. Herr Kollege Schick,
davon profitieren gerade die kleinen Arbeitnehmer.


(Lachen bei der SPD)


Es sind die kleinen Arbeitnehmer, die geschützt werden,
wenn es um einen Steuerhinterziehungsbetrag von 5 bis
50 000 Euro geht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kleine Arbeitnehmer zahlt doch nicht 50 000 Euro im Jahr!)


Wir wollen, dass diejenigen, deren Steuerhinterzie-
hungsbeträge bei über 50 000 Euro im Jahr liegen – da
sind wir uns einig, dass das eben nicht die kleinen Ar-
beitnehmer und Unternehmer sind –, härter angepackt
werden. Das ist für uns der entscheidende Punkt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709608700

Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?


Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1709608800

Ja.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709608900

Bitte schön.






(A) (C)



(D)(B)


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1709609000

Herr Kollege Volk, nachdem Sie gerade diejenigen als

die kleinen Arbeitnehmer bezeichnet haben, die über
50 000 Euro Steuern hinterziehen, –


Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1709609100

Nein, unter 50 000 Euro!


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1709609200

– frage ich Sie: Könnte es sein, dass Sie in Ihrer Rede

Bruttoeinkommen und Steuerhinterziehungsbeträge ver-
wechselt haben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Zuhören hilft!)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1709609300

Entschuldigung, Frau Kollegin Kressl, ich habe doch

davon gesprochen, dass das Instrument für diejenigen mit
einem Steuerhinterziehungsbetrag von unter 50 000 Euro
gelten soll. Sie müssen mir einfach zuhören. Das Ent-
scheidende an der Sache ist – ich bin noch bei der Beant-
wortung Ihrer Frage, Frau Kollegin –, dass gerade diese
unteren Einkommensschichten im Zweifel keine Steuer-
beratung in Anspruch nehmen, sondern ihre Steuererklä-
rung selber machen. Das heißt, diese stehen besonders in
der Gefahr, eine fehlerhafte Steuererklärung abzugeben.


(Joachim Poß [SPD]: Herr Kollege, wo treten Sie denn sonst noch auf?)


Frau Kollegin Kressl, die Grenze von 50 000 Euro
– das wissen Sie genauso gut wie ich – stammt aus der
Rechtsprechung. Das ist nämlich die Grenze zu einem
schweren Fall von Steuerhinterziehung.


(Nicolette Kressl [SPD]: Der „kleine Arbeitnehmer“!)


Die von uns vorgesehene Grenze orientiert sich also an
der Rechtsprechung in Deutschland.

Sie müssen daran denken, dass auch der kleine Kas-
senwart eines Vereins eine Steuererklärung abgeben
muss. Er muss möglicherweise innerhalb einer bestimm-
ten Frist eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben. Da-
bei können sehr schnell Fehler unterlaufen. Für diese
Steuerpflichtigen wurde die entsprechende Regelung ge-
schaffen.

Wir behalten die strafbefreiende Selbstanzeige praxis-
tauglich in dem unteren Einkommensbereich bei. Aber
die schwerkriminellen Steuerhinterzieher fassen wir, weil
es keine Straffreiheit, sondern allenfalls eine Befreiung
von der Strafverfolgung gibt, wenn eine entsprechende
Geldauflage gezahlt wird. Etwas Entsprechendes gibt es
auch in anderen Deliktsbereichen, etwa die Einstellung
nach § 153 a Strafprozessordnung.


(Beifall bei der FDP)


Herr Kollege Pitterle, Ihren Vorschlag, dass derjenige,
der eine strafbefreiende Selbstanzeige stellt, an Eides
statt versichern soll, dass er ansonsten keine Steuerstraf-
taten begangen hat, halte ich für besonders „fruchtbar“.
Ich würde vorschlagen, dass wir das auf alle Bürger aus-
weiten. Alle Bürger sollten regelmäßig eine eidesstattli-
che Versicherung abgeben, dass sie keine Straftat began-
gen haben. Das wäre doch eine hervorragende Idee. Da
es dabei darum geht, die Sicherheit des Staates zu ge-
währleisten, müssen wir dafür eine eigenständige Be-
hörde einrichten. Weil es um die Staatssicherheit geht,
empfehle ich, diese Behörde als Behörde für Staatssi-
cherheit zu bezeichnen. Das wäre genau der richtige Be-
griff.

Ich will damit sagen: Ihr Verständnis von Rechtsstaat-
lichkeit ist konträr zu unserem Verständnis. Rechtsstaat-
lichkeit heißt für uns: Wir unterstellen jedem Bürger zu-
nächst einmal nicht Strafbarkeit, sondern wir unter-
stellen ihm erst einmal Ehrlichkeit. Wir wollen jedem
Bürger die Möglichkeit geben, dass er sich selber in die
Steuerehrlichkeit zurückbegibt. Das machen wir mit die-
sem Gesetz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709609400

Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat nun das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1709609500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Trotz Haushaltskrise, trotz Wirtschaftskrisen und Fi-
nanzkrisen arbeiten wir in der christlich-liberalen Koali-
tion an einer Vereinfachung des Steuerrechts. Wir wer-
den auch weiterhin daran arbeiten – das ist für alle
wichtig –, dass diejenigen, die diesen Staat mit Sozialab-
gaben und Einkommensteuer stützen, insbesondere die
Bezieher mittlerer Einkommen, in den nächsten Jahren
entlastet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das setzt aber voraus, dass wir auf der anderen Seite
dafür sorgen müssen, dass diejenigen, die Steuern zahlen
müssen, es auch tun und dass das Steuersubstrat für den
Staat erhalten bleibt.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Diejenigen, die Steuern hinterziehen, müssen zur Kasse
gebeten werden. Das ist einer der wichtigsten Punkte für
uns, wenn wir eine Entlastung erreichen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, setzen wir jetzt mit dem Schwarzgeldbekämp-
fungsgesetz konsequent um.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Oberhalb von 50 000 Euro!)


Es geht um Schwarzgeldbekämpfung, und es geht um
Steuerhinterziehung. Kollege Binding, in diesem Gesetz
– das ist der zentrale Punkt – geht es um Steuerhinterzie-
her, die nicht entdeckt sind, das heißt, die keine Steuern





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)

zahlen. Wie hat Herr Steinbrück gesagt? Lieber
25 Prozent von x als 100 Prozent von nix. Es geht für
uns um die zentrale Frage: Soll jemand, der Steuern hin-
terzogen hat, die Möglichkeit haben, durch eine Selbst-
anzeige straffrei auszugehen?


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Nein, das sollte er nicht!)


Wir hatten eine Anhörung mit vielen Experten. Diese
haben deutlich gemacht: Genau das ist der richtige Weg.
Gebt den Menschen eine Chance, durch eine Selbstan-
zeige wieder zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren! Die-
ser Meinung waren Wissenschaftler, Praktiker sowie vor
allen Dingen die Damen und Herren von der Finanzver-
waltung, von der OFD. Allerdings haben Sie recht: Die
Steuer-Gewerkschaft war nicht dieser Meinung.

Die Experten wollten eine Brücke zur Steuerehrlich-
keit haben. Lothar Binding, Herr Poß, Herr Scheelen,
mehrfach ist hier in der Geschichte herumgekramt wor-
den. Ich brauche allerdings gar nicht weit in die Ge-
schichte zurückzugehen, sondern muss nur auf das Jahr
2003 verweisen. Damals gab es eine Steueramnestie von
Rot-Grün.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das war ein guter Versuch! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das war ein untauglicher Versuch!)


– „Das war ein guter Versuch“, sagt Lothar Binding.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es ist aber schiefgegangen!)


Deswegen lese ich einmal vor, was Rot-Grün damals vor-
geschlagen hat – ich zitiere aus der Drucksache 15/1521,
Seite 1 –:

Der Gesetzentwurf

– zur Steueramnestie –

soll dazu beitragen, durch eine attraktive Regelung
für die Vergangenheit einen Anreiz zu bieten, in die
Steuerehrlichkeit zurückzukehren und damit einen
Beitrag zum Rechtsfrieden zu leisten.

So steht es im Gesetzentwurf von Rot-Grün.

Das zweite Zitat – ich habe noch eine ganze Reihe da-
bei – lautet folgendermaßen: Dieses in die Zukunft ge-
richtete Angebot zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit
sei gegenüber denjenigen, die in der Vergangenheit Steu-
ern hinterzogen hätten, äußerst fair. Gleichzeitig könne
der ehrliche Steuerzahler mit dieser Regelung leben,
weil die fiskalische Belastung zukünftig auf eine höhere
Anzahl Steuerpflichtiger verteilt werde.

Darum geht es. Wir wollen diejenigen, die Steuern
hinterzogen haben, dazu bewegen, sich selbst anzuzei-
gen, damit sie in die Steuerehrlichkeit zurückfinden und
anschließend wieder Steuern in diesem Staat zahlen. Das
ist der Inhalt des Gesetzes, und das haben Sie damals
auch so gesehen. Deswegen bin ich überrascht, dass Sie,
Herr Gerster, nicht nur unsere Verfahrensweise angreifen
und inhaltlich wenig sagen, sondern auch eine neue
Position vortragen, die bisher nicht Ihre Position gewe-
sen ist und die dem, was Praktiker, Wissenschaftler und
die Finanzverwaltung sagen, völlig entgegensteht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist einfach eine populistische Wende. Normaler-
weise müssten Sie rote Ohren bekommen; denn Ihre
Amnestie ging weit über das hinaus, was heute durch die
strafbefreiende Selbstanzeige geschehen soll. Bei einer
strafbefreienden Selbstanzeige haben wir folgende Si-
tuation: Die Betroffenen zahlen die Steuern für bis zu
zehn Jahre zuzüglich 6 Prozent Zinsen für jedes Jahr
nach, demnächst außerdem noch einen Zuschlag von
5 Prozent.

Allein die Steuer-CDs – es hieß ja nur, die CD ist ge-
kauft worden – haben im vergangenen Jahr 26 400 Steu-
erzahler dazu bewogen, sich selbst anzuzeigen. Im
Durchschnitt mussten sie 80 000 Euro Steuern und Zin-
sen nachzahlen. Es waren insgesamt 2 Milliarden Euro,
die in die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden
gekommen sind. Deswegen waren auch die Länder an
einer solchen Lösung interessiert: Sie haben in diesem
Fall allein 850 Millionen Euro bekommen, die Kommu-
nen 300 Millionen Euro.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709609600

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schick zulassen?


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1709609700

Zu Ihrem Antrag von damals? – Bitte.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, zu den Ministerpräsidenten, die die nicht kaufen wollten!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Flosbach, meinen Sie, dass ein schlechtes Gesetz
der Vergangenheit es rechtfertigt, heute ein schlechtes
Gesetz vorzulegen? Ich habe das damalige Gesetz nicht
für richtig gehalten, aber Ihr heutiges Gesetz ist schlecht,
und darum geht es.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1709609800

Vielen Dank. – Das ist ein ausgesprochen gutes Ge-

setz. Sie müssen nur auf die Praktiker aus der Anhörung
hören, die deutlich gesagt haben: Das ist genau der rich-
tige Weg. Machen Sie nicht, wie von Herrn Gerster vor-
geschlagen, den Fehler, die Selbstanzeige abzuschaffen.
Das gibt ein Chaos im Steuerrecht. Behalten Sie die
Selbstanzeige bei. Sie ist die einzige Möglichkeit, wie-
der zur Steuerehrlichkeit zurückzufinden. Sonst müssen
Sie möglicherweise, wie von Herrn Pitterle vorgeschla-
gen – Sie hätten wahrscheinlich am liebsten alle hinter
Mauern –, Tausende und Abertausende von Fahndern
einsetzen.

Wir wollen die Leute in die Steuerehrlichkeit zurück-
führen, und das ist der zentrale Punkt dieses Gesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kollegen von der SPD, wir haben 2007, 2008
und 2009 viele gute Dinge gemacht, von der Telefon-
überwachung über die Verlängerung der Verjährungsfrist
bei Steuerhinterziehung auf zehn Jahre bis hin zu den
Auskunftsabkommen mit Luxemburg und Liechtenstein;
jetzt kommt noch eines mit der Schweiz hinzu. Wir sind
auf dem richtigen Weg, das Risiko zu erhöhen. Das wol-
len wir doch auch. Wir wollen das Risiko der Entde-
ckung erhöhen. Deswegen sollten wir aber trotzdem
nicht die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen.

Wir haben im Rahmen der Diskussion erfahren, dass
es immer noch Lücken im Gesetz gibt. Deswegen haben
wir drei zentrale Änderungen – auch nach dem BGH-Ur-
teil – vorgenommen.

Wir haben gesagt: Wenn der Prüfer vor der Tür steht,
ist es zu spät. Dann gibt es keine Selbstanzeige mehr.
Bisher war es so: Wenn eine Prüfungsanordnung er-
folgte, hatte der Steuerpflichtige immer noch die
Chance, sich selbst anzuzeigen. Das schaffen wir ab.
Wenn die Prüfungsanordnung erfolgt ist, ist die Chance
zur Selbstanzeige nicht mehr gegeben. Das heißt, wir
verschärfen hier drastisch.

Das Zweite ist die Teilselbstanzeige. Wenn einer in
die Schweiz Geld verschoben hat und dazu eine Selbst-
anzeige macht, gleichzeitig beispielsweise nach
Luxemburg Geld verschoben, sich dafür aber nicht
selbst angezeigt hat, gilt für diesen Tatbestand die
Selbstanzeige nicht. Er ist nach wie vor strafrechtlich zu
verfolgen.

Drittens gibt es den neuen Strafzuschlag ab einem Be-
trag von 50 000 Euro – so hat der BGH die besonders
schweren Fälle bezeichnet –, mit dem wir weitere 5 Pro-
zent kassieren.

Wir haben in der Koalition festgehalten: Es soll teuer
werden. Es soll teurer werden im Vergleich zu allen, die
bisher pünktlich ihre Steuern gezahlt haben.

Wer die Anhörung aufmerksam verfolgt hat, wird
auch mitbekommen haben, dass der Vertreter der Ober-
finanzdirektion deutlich gesagt hat: Es geht hier um Ein-
künfte aus Kapitalvermögen. Es geht nicht um die Kfz-
Steuer, Hundesteuer oder andere. – Das ist der Punkt.
Hier geht es darum, die größeren Beträge für diesen
Staat zu erhalten. Gerade die Praktiker aus Steuerverwal-
tung und Finanzverwaltung haben gesagt: Versucht
nicht, fahrlässige Steuerverkürzungen oder Fehler zu kri-
minalisieren! Es geht darum, denjenigen, die Fehler ma-
chen, auch die Möglichkeit zu geben, durch eine Berich-
tigung ihrer Steuererklärung in der Veranlagung wieder
zur Steuerehrlichkeit zurückzufinden oder ihren Fehler
einzugestehen. Sie müssen nicht strafrechtlich verfolgt
werden.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wollen wir alle!)


– Das freut mich, dass auch Sie das wollen. Dann wäre
es gut, wenn Sie unserem Gesetz zustimmten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist wichtig, dass auch die Länder dem zustimmen
wollen. Es geht hier auch darum, wie wir unseren Staat
finanzieren. Es ist eine wichtige Maßnahme dieses Ge-
setzes, dass wir Steuersündern die Rückkehr in die Steu-
erehrlichkeit ermöglichen wollen.

Wir brauchen die damit zu erzielenden Steuereinnah-
men, etwa für die Familien. Wir haben Anfang letzten
Jahres die Familien um 4,6 Milliarden Euro entlastet.
1,6 Milliarden Euro wurden im Rahmen von Hartz IV
für die Bildungsangebote bereitgestellt. All dies müssen
wir finanzieren. Dazu brauchen wir eben auch diejeni-
gen, die beispielsweise bisher Steuern hinterzogen ha-
ben, aber in Zukunft ihre Steuern wieder zahlen wollen
und damit einen Beitrag für diesen Staat leisten.

Wer in diesem Wirtschaftssystem die Chance nutzt,
Geld zu verdienen, wer in diesem Sozialsystem lebt, wer
Rechte in diesem Staat für sich in Anspruch nimmt, –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709609900

Herr Kollege.


Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1709610000

– ist verpflichtet, seinen Beitrag für diesen Staat zu

leisten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709610100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche
und Steuerhinterziehung. Der Finanzausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/5067 (neu), den Gesetzentwurf auf
Drucksache 17/4182 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich um das
Handzeichen. – Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? –
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wenn Sie zustimmen wollen,
mögen Sie bitte aufstehen. – Die Gegenstimmen! – Ent-
haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Bera-
tung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen
und Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache
17/5085. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Entschließungsantrag gegen die Stimmen von SPD,
Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Finanzausschusses zu dem Gesetzent-
wurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Be-
kämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5067

(neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf

Drucksache 17/4802 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Sie ist einstimmig ange-
nommen.

Dann komme ich zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der SPD zur Änderung der Abga-

(Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung)

empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/5067 (neu), den Gesetzentwurf
auf Drucksache 17/1411 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Zugestimmt haben die
SPD und die Fraktion Die Linke; die übrigen Fraktionen
des Hauses haben abgelehnt. Damit entfällt die dritte Be-
ratung.

Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-
empfehlungen des Finanzausschusses fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1755
mit dem Titel „Steuerhinterziehung wirksam und zielge-
nau bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt
haben CDU/CSU und FDP, abgelehnt SPD, Linke und
Bündnis 90/Die Grünen.

Unter Buchstabe e empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/4670 mit dem Titel „Instrumente zur Bekämp-
fung der Steuerhinterziehung nutzen und ausbauen“.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und
FDP, dagegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die
Fraktion Die Linke hat sich enthalten.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe f
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1149 mit dem
Titel „Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht dem
Zufall überlassen“. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung wurde angenommen. Die Fraktion
Die Linke hat dagegen gestimmt, die übrigen Fraktionen
dafür.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe g
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/1765 mit dem Titel „Steuerhinterziehung wirksam
bekämpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Was war jetzt bei der SPD: War nur eine dafür oder
alle? – Seid ihr zu faul? Ich frage also noch einmal: Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich?

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Chaotischer Verein! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Ausschuss haben sie sich enthalten!)


Wollt ihr eine Auszeit? – Also: Die Beschlussempfeh-
lung wurde angenommen. Die Koalitionsfraktionen so-
wie die SPD haben der Beschlussempfehlung im We-
sentlichen zugestimmt.


(Heiterkeit bei der SPD – Beifall der Abg. Petra Ernstberger [SPD])


Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt. Die
Fraktion Die Linke hat sich enthalten.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a bis c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Stillstand in der Verkehrspolitik überwinden –
Zukunftskommission zur Reform der Infra-
strukturfinanzierung einrichten

– Drucksache 17/5022 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol,
Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
sichern – Deutschland braucht eine moderne
Zukunftsstrategie zur Infrastrukturfinanzie-
rung

– Drucksachen 17/782, 17/1479 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhold Sendker

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol,
Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Mobilität nachhaltig gestalten – Erfolgreichen
Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fort-
entwickeln

– Drucksachen 17/1060, 17/2226 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Steffen Bilger

Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache hierzu eine Dreiviertelstunde vorgesehen. –





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als Erstem dem
Kollegen Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion das
Wort.


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1709610200

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und

Herren! Wir Sozialdemokraten haben unseren Antrag
mit dem Satz überschrieben: „Stillstand in der Verkehrs-
politik überwinden – Zukunftskommission zur Reform
der Infrastrukturfinanzierung einrichten“. Das ist unser
Ziel.

Wir stellen im Hinblick auf den Erhalt und Ausbau ei-
nen steigenden Investitionsbedarf fest. Wir erleben, dass
Schwarz-Gelb den Stillstand organisiert. Dabei brauchen
wir eine gesellschaftliche Reformdebatte; sie ist drin-
gend notwendig.

Wir müssen die Basis der wirtschaftlichen Prosperität
in Deutschland mit einer guten Infrastruktur sichern. Wir
wollen Mobilität sozial gerecht und ökologisch sinnvoll
organisieren. Wir wollen die umweltfreundlichen Ver-
kehrsträger Schiene und Wasserstraße weiter stärken,
und wir wollen Bundesstraßen mit nachgeordneter Be-
deutung abstufen, was eine alte Forderung der Reform-
kommission ist. Wir wollen deutlich mehr Geld für
Lärmschutzmaßnahmen an Straßen und Schienenwegen
ausgeben. Wir brauchen die Akzeptanz der Menschen in
unserem Land für Investitionen in die Infrastruktur. Je-
der von uns, der mit den Menschen draußen im Land re-
det, weiß, dass diese Menschen fragen: Was macht ihr,
um uns vor Lärm zu schützen? Habt ihr spezielle Pro-
gramme? Weitet ihr die Programme aus? Wann sind
Lärmschutzmaßnahmen bei uns dran? – Wir wollen die
Menschen früher am Planungsprozess beteiligen – diese
Lehre haben wir aus den Erfahrungen im letzten Jahr ge-
zogen –, aber wir wissen auch, dass wir die Planungszei-
ten verkürzen müssen. Außerdem wollen wir, dass die
Bundesregierung dem Bundestag turnusmäßig einen ver-
kehrsträgerübergreifenden Netzzustandsbericht vorlegt.
Der letzte Punkt ist: Wir brauchen eine bedarfsgerechte
Finanzierung der Investitionen in die Infrastruktur. Eine
Finanzierung nach Kassenlage ist gerade für die Ver-
kehrsinfrastruktur fatal.

Herr Minister, ich freue mich, dass Sie an dieser De-
batte teilnehmen. Wir erwarten, dass Sie noch in dieser
Legislaturperiode ein Konzept zur Sicherung der Infra-
strukturfinanzierung vorlegen. Wir müssen – das ist die
Voraussetzung – gemeinsam mit der Gesellschaft ein
Leitbild für die Mobilität im 21. Jahrhundert erarbeiten.
Wir erwarten, dass Sie, der verantwortliche Minister,
eine Zukunftskommission zur Weiterentwicklung der In-
frastrukturfinanzierung in Deutschland einsetzen.

Herr Bundesminister Ramsauer, was ist Ihr Ziel? Vor
einigen Tagen charakterisierte jemand Ihre Politik fol-
gendermaßen – ich will das gerne zitieren –: Ohne Ziel
stimmt jede Richtung.


(Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!)

Das ist die Situation. Dabei wissen wir doch alle, dass
nur eine gute Verkehrsinfrastruktur wirtschaftliches
Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Deutsch-
land voranbringt. Wir haben einen steigenden Investi-
tionsbedarf. Wer will das eigentlich leugnen? Der von
Ihnen verantwortete Haushalt zeigt, dass der Bereich der
Verkehrsinfrastruktur unterfinanziert ist, auch wenn Sie
über die Presse bekunden, dass das Haushaltsvolumen
nun bei über 10 Milliarden Euro liegt. Das ist gegenüber
9,75 Milliarden Euro eine Steigerung. Wir wissen aber,
dass dieser Zuwachs durch Preissteigerungen fast kom-
plett aufgefressen wird.

Das bedeutet, dass wir etwas tun müssen. Ich erwarte
von Ihnen, dass Sie bald etwas tun. Diese Legislaturpe-
riode dauert schon anderthalb Jahre. Dafür ist zu wenig
geschehen. Wenn wir uns anschauen, was Sie von
Schwarz-Gelb in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben
haben, und überlegen, welche Projekte umgesetzt wur-
den – wir haben der Bundesregierung entsprechende
Fragen gestellt –, stellen wir fest, dass dabei nichts he-
rausgekommen ist. Wir haben das Ergebnis der Bemü-
hungen der Koalitionsfraktionen wie folgt abgefragt:

Erstens. Wie sieht es mit der Kreditfähigkeit der
VIFG aus? – Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen,
ist die Antwort.

Zweitens. Wie sieht es mit den Direktzuweisungen
der Lkw-Mauteinnahmen an die VIFG im Haushalt 2010
aus? – Sie sind nicht vorgesehen.

Drittens. Wie sieht es mit dem Finanzierungskreislauf
aus? – Er verfehlt bei sinkenden Mauteinnahmen und zu-
sätzlichen Steuermitteln, die auch weiter benötigt wer-
den, seine Wirkung.

Viertens. Gibt es Prioritäten bei der Umsetzung von
Verkehrsprojekten? – Es werden keine Prioritäten ge-
setzt.

Fünftens. Ist eine Ausweitung der ÖPP vorgesehen? –
Fehlanzeige, keine Initiative. Die Bundesregierung, so
heißt es, erarbeitet derzeit keine diesbezügliche Geset-
zesinitiative.

Sechstens. Wie sieht es mit der zweiten Staffel der
ÖPP-Projekte aus? – Man tritt auf der Stelle. Ausschrei-
bungen sind noch nicht erfolgt.

Siebtens. Was ist mit der Abstufung bei den Bundes-
fernstraßen, die in dem Beschluss von Bundestag und
Bundesrat vorgesehen ist? – Sie ist zurzeit nicht vorgese-
hen. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen, heißt
es.

Achtens. Gibt es eine Kappung der Gewinnabfüh-
rungsverträge zwischen DB Holding und DB Netz? Das
ist nicht unsere Position, aber Ihre. Bundesminister
Ramsauer verkündet per Interview mit der Nachrichten-
agentur Reuters, diese Pläne seien vom Tisch. In der of-
fiziellen Antwort der Bundesregierung heißt es: Ergeb-
nisse liegen noch nicht vor.

Neuntens. Was ist mit der LuFV Straße? – Diese ist
derzeit nicht geplant.





Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was planen
Sie denn? Es herrscht Schweigen. Es kommt nichts. Wir
haben zurzeit kein Konzept der schwarz-gelben Regie-
rung zur Finanzierung der Infrastruktur, zur Steigerung
der Finanzierungsmöglichkeiten in diesem Land vorlie-
gen, und das ist ein Problem, weil uns das zurückwirft.
Sie haben unseren Antrag im Ausschuss mit Ihrer
schwarz-gelben Mehrheit abgelehnt. Das kann ich noch
nachvollziehen. Dass aber die eigene Bundesregierung
dem Auftrag der schwarz-gelben Mehrheit – und den
Antrag haben Sie selber beschlossen – nicht nachkommt,
ihn gar ignoriert, ist erstaunlich und ein bemerkenswer-
ter Vorgang.

Herr Minister, Sie sind ein Getriebener der Not und,
wie ich manchmal den Eindruck habe, ein wenig zu mut-
los. Ich hoffe, dass das nicht auch in Ideenlosigkeit mün-
det. Ich habe den Wunsch und die Bitte, dass Sie alles
tun, damit hier in Deutschland ein gesamtgesellschaftli-
cher Konsens gefunden werden kann.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709610300

Herr Kollege!


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1709610400

Ja, ich komme zum Schluss, sehr geehrte Frau Präsi-

dentin.

Man erzählt sich, dass Sie ein Klavierspieler sind und
das Klavierspiel beherrschen. Wenn man Ihre Politik an-
schaut und sie mit dem Musizieren vergleicht, sage ich
nur: Mit den kleinen Musikstücken – französisch: Baga-
tellen – sind Sie nun wirklich am Ende. Ich glaube, Sie
müssen jetzt langsam zum Konzert kommen; –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709610500

Herr Kollege!


Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1709610600

– denn das ist gerade in der Verkehrspolitik absolut

notwendig.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709610700

Der Kollege Patrick Schnieder hat jetzt das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Patrick Schnieder (CDU):
Rede ID: ID1709610800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden
uns, verehrter Herr Kollege Beckmeyer – so dachte ich
jedenfalls nach Lektüre des Antrags und zu Beginn Ihrer
Rede –, auf der gleichen Linie, nämlich dass die Ver-
kehrsinfrastruktur in Deutschland eine herausragende
Bedeutung hat, dass sie, wie Sie beschrieben haben, die
Lebensader für Gesellschaft und Wirtschaft ist, Voraus-
setzung für Wohlstand und Chancen in unserem Land,
und dass wir kräftig investieren müssen. Allerdings
muss ich feststellen, dass Sie diesem Anspruch, den Sie
mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, formulieren, in
keinster Weise gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dem wird auch der Antrag, den Sie vorgelegt haben,
in keinster Weise gerecht. Es werden Wahrheiten formu-
liert, die wir alle kennen, Wahrheiten, die wir benannt
haben, die wir auch freimütig einräumen, nämlich dass
wir gern noch mehr Geld hätten, um es in die Verkehrs-
infrastruktur zu stecken. Aber Sie suggerieren, wir wür-
den die Investitionen zurückfahren. Auf der ersten Seite
Ihres Antrags heißt es:

Das Investitionsvolumen ist ausgehend von rund
12 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 9,75 Milliar-
den Euro im Jahr 2011 gesunken.

Damit wollen Sie uns weismachen, dass wir die Leistun-
gen zurückfahren. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere In-
vestitionen sind so hoch wie in den vergangenen Jahren
nicht mehr, und das perspektivisch bis 2014. Ich darf da-
ran erinnern, dass in den Jahren 2001 bis 2008 die Inves-
titionslinien deutlich darunter lagen, und da waren so-
zialdemokratische Verkehrsminister für den Etat
verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie blenden bei dieser Diskussion vollkommen aus,
wie es um unsere finanzielle Situation bestellt ist. Sie
ignorieren die Schuldenbremse. Ich erinnere mich noch
gut an die Haushaltsdebatte, die wir hier geführt haben.
Wir haben als Koalition dafür gekämpft – und sind auch
erfolgreich gewesen; der Minister hat hervorragend ver-
handelt –, dass wir das Investitionsvolumen auf diesem
Stand beibehalten können. Wir haben dennoch Mut ge-
zeigt – hier werden wir unserer Verantwortung gerecht –
und nehmen die notwendigen Einsparungen im Etat vor,
um die Voraussetzungen der Schuldenbremse einzuhal-
ten. Dafür haben wir in anderen Bereichen Prügel kas-
siert. Man kann aber nicht so tun, als hätten wir im Ver-
kehrsbereich nichts geplant und nur Einsparungen
vorgenommen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Messen Sie sich doch mal an Ihren eigenen Ansprüchen!)


– Ja, Herr Beckmeyer, wir sehen das genauso wie Sie.
Der Bundesverkehrswegeplan ist überzeichnet. Das ist
ein Erbe der rot-grünen Regierung aus dem Jahre 2003.
Sie werfen uns das jetzt vor die Füße und sagen: Löst
heute das Problem. – So kann es nicht gehen.

Sie sagen, es gebe einen Stillstand in der Verkehrspo-
litik. Das erlebe ich in meinem Wahlkreis, in meiner Re-
gion, dort, wo sozialdemokratische Ministerpräsidenten
regieren.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Genau!)


Ich nehme das Beispiel A 1 zwischen Nordrhein-Westfa-
len und Rheinland-Pfalz; wir warten seit Jahren, seit
Jahrzehnten auf den Lückenschluss. Warum? Weil in
Düsseldorf blockiert wird, und zwar seit der Übernahme
der Regierungsgeschäfte im Mai 2010 auf ein Neues.





Patrick Schnieder


(A) (C)



(B)


(Gustav Herzog [SPD]: Quatsch! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren jahrzehntelang an der Regierung!)


Wir erleben das beim Hochmoselübergang. Dort sind die
Grünen dagegen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da merkt man, wie erfolgreich außerparlamentarische Oppositionsarbeit sein kann!)


Wir erleben das in der Region Trier. Überall dort, wo Rot
und Grün das Sagen haben wollen, rudern sie zurück.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unglaublich!)


Der Antrag ist voller Widersprüchlichkeiten. Sie for-
dern mehr Transparenz, mehr Akzeptanz – dem kann
man durchaus zustimmen –, aber gleichzeitig kritisieren
Sie die Einführung eines Finanzierungskreislaufs Straße.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja, weil Sie das integrierte Modell zerstört haben!)


– Herr Beckmeyer, gerade dadurch, dass wir die Einnah-
men aus der Maut in den Straßenbau stecken, vergrößern
wir die Transparenz und Akzeptanz. Sie wollen die Ver-
kehrsträger gegeneinander ausspielen. Das machen wir
nicht mit. Das wird es mit uns nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was unternehmen Sie dagegen? Ich bin gespannt, wie Sie verhindern, dass die SPD das macht!)


Herr Beckmeyer, Sie fordern eine Berücksichtigung
ökologischer Belange. Sie fordern eine verstärkte Redu-
zierung des CO2-Ausstoßes. Aber ich lese kein einziges
Wort – ich habe auch in Ihrer Rede nichts dazu gehört –
zur Elektromobilität. Ich wundere mich über Ihr Verhält-
nis zum Lang-Lkw, durch den wir gerade im Lastge-
schäft Verkehre vermeiden können.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Genau!)


Statt drei Fahrten muss man nur zwei unternehmen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ja Steinzeitpolitik, was Sie hier vorschlagen! – Gustav Herzog [SPD]: Sie und der Monstertruck! Sie kommen mir gerade recht!)


– Herr Herzog, das ist eine Frage der Begrifflichkeit.
Das zeigt, wie man dazu steht.

Wer von Umweltschutz, von CO2-Vermeidung redet,
kann sich diesen Themen nicht verweigern.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


Deshalb sage ich: Die Koalition ist auf einem guten
Weg. Wir stehen für Fortschritt in der Verkehrspolitik.
Stillstand produzieren Sie. Wir unternehmen jede Kraft-
anstrengung, um die Verkehrsinfrastruktur in Deutsch-
land leistungsfähig zu halten. Wir tun dies unter realisti-
schen und ehrlichen Rahmenbedingungen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Florian Pronold [SPD]: Es wäre spannend gewesen, wie! Aber da hört die Rede auf!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709610900

Die Kollegin Sabine Leidig hat das Wort für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709611000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Ich bin froh, dass die SPD-Fraktion er-
neut Gelegenheit gibt, über die grundlegende Ausrich-
tung der Verkehrspolitik zu reden; denn ich glaube, dass
dies absolut notwendig ist. Ich glaube allerdings nicht,
dass es um mehr Geld für die Infrastruktur geht, sondern
um eine Frage ganz grundsätzlicher Natur: Wohin treibt
unsere Verkehrs- und Mobilitätspolitik? Ich will jetzt gar
nicht auf einzelne Maßnahmen eingehen – wir haben das
im Rahmen verschiedener Anträge gemacht –, sondern
auf zwei Beiträge aufmerksam machen, die mich in die-
ser Woche in der Enquete-Kommission, die sich mit den
Problemen von Wachstum, Wohlstand und Lebensquali-
tät beschäftigt, haben aufhorchen lassen.

Der erste Beitrag stammt von Professor Schneidewind,
dem Präsidenten des Wuppertal-Instituts. Er hat deutlich
gemacht, dass die Klima- und Umweltbelastungen ge-
rade im Verkehrsbereich nicht verringert werden, und
zwar deshalb, weil Belastungen verschoben werden
– wir führen diese Diskussionen gerade im Zusammen-
hang mit E 10 und dem Biosprit – und weil die Energie-
einsparungen durch mehr Fahrerei aufgefressen werden.

Der zweite Hinweis kam vom Sachverständigen
Herrn Michael Müller, der darauf aufmerksam gemacht
hat, dass die größte Herausforderung völlig unterschätzt
wird, nämlich die Tatsache, dass die Erdölförderung seit
2004 nicht mehr zunimmt und die Endlichkeit dieses
Rohstoffes gerade für den Mobilitätssektor sehr harte
Konsequenzen hat. Diese Konsequenzen beginnen nicht
erst, wenn der letzte Tropfen Öl verbraucht ist, sondern
schon dann, wenn die Preise drastisch ansteigen.

Es geht also nicht nur darum, den Verkehr von der
Straße auf die Schiene oder von der Luft auf das Wasser
zu verlagern. Es geht nicht nur um einen besseren ÖPNV
– darum geht es natürlich auch –, es geht nicht nur um
Lärmschutz – darum geht es auch –, und es geht nicht
nur um mehr Transparenz, damit die Leute neue Ver-
kehrsprojekte akzeptieren. Vielmehr geht es eigentlich
darum, Konzepte zu entwickeln, um Verkehr zu reduzie-
ren bzw. zu vermeiden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist in der Verkehrspolitik allerdings ein völliges
Tabu. Stattdessen wird irrwitzigen Verkehrswachstums-
prognosen hinterherbetoniert. Ich will nur darauf hin-
weisen: Sie gehen von 3 Prozent mehr privaten Pkw,

(D)






Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)

80 Prozent mehr Güterverkehr und einer Verdopplung
des Flugverkehrs in den nächsten 10 bis 15 Jahren aus.
Das ist doch völliger Wahnsinn.

Der naheliegendste Vorschlag, um den Verkehr zu re-
duzieren, wäre, endlich Kostenwahrheit zu praktizieren.
Auch dazu hat sich die SPD geäußert. Ich zitiere an die-
ser Stelle den ehemaligen Bundespräsidenten Horst
Köhler, der beim Internationalen Verkehrsforum im Mai
letzten Jahres Folgendes gesagt hat:

Wer Menschen oder Waren befördert, der zahlt
heute Treibstoff, Personal, Verkehrsträger, Gebüh-
ren. Er zahlt aber wenig bis gar nicht für Luftver-
schmutzung, Lärmbelästigung, Gesundheitskosten,
Umwelt- und Klimaschäden. Nur deswegen kann
es … billiger sein, Krabben aus der Nordsee nicht
an der Nordsee, sondern in Marokko pulen zu las-
sen und anschließend doch in Deutschland zu ver-
kaufen. Ein wertvolles Hin und Her? Ich finde
nein …

Horst Köhler sagte weiter:

Im Gegensatz zur Stromsteuer, die die Bahn bezah-
len muss, ist Kerosin weiterhin von der Energie-
steuer befreit – ebenso übrigens wie Schiffstreib-
stoff. Wäre es im Sinne der Gleichbehandlung der
Verkehrsträger nicht gerecht, die Aussetzung der
Energiesteuer für Kerosin und Schiffstreibstoff zu
beenden? Am besten so international wie möglich.
Ich weiß, das bedeutet schwierige Verhandlungen.
Aber wir sollten es anpacken …

So Horst Köhler.


(Beifall bei der LINKEN)


Er ist übrigens kurz danach zurückgetreten,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Er musste zurücktreten, nachdem er das gesagt hat!)


nachdem Herr Joachim Hunold, der Chef von Air Berlin,
in der Öffentlichkeit massiv Kritik geübt hat. Ich muss
Ihnen sagen: Ich schließe nicht aus, dass die Automobil-
und Flugzeugkonzerne in der Bundesrepublik genauso
viel Druck aufbauen wie die Atom- und Energiekon-
zerne im Energiesektor


(Beifall bei der LINKEN)


und damit die Demokratie und der notwendige Umbau
genauso massiv behindert werden.

Ein weiteres wichtiges Mittel zur Reduzierung von
Verkehr wäre, dass wir unsere Städte umgestalten. Hier
müssen die Verkehrsinfrastrukturen verändert werden.
Wir brauchen viel bessere Bedingungen, beste Bedin-
gungen für Leute, die nicht motorisiert unterwegs sind,
für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer, für Fußgänge-
rinnen und Fußgänger. Wenn nur jede zweite innerstädti-
sche Autofahrt, die weniger als 5 Kilometer lang ist – ich
bitte Sie, jetzt zuzuhören –, stattdessen mit dem Fahrrad
unternommen würde, würde in den Städten bereits ein
Viertel weniger Autos fahren. Dieser Anteil entspricht
einer gigantischen Zahl. Das wäre ein sehr großer Bei-
trag zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Lebens-
qualität. Aber dazu braucht man Investitionsprogramme.
Dazu müssten die Städte umgestaltet werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dazu brauchen wir Fahrradringe. Dazu brauchen wir den
Vorrang von Fahrrad und Fußgängern. Das können die
Kommunen aber nicht alleine stemmen. Hier müsste der
Bund beispringen und Geld investieren.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Zurück in die DDR!)


Zum Thema Elektroautos hat sich der Deutsche
Städtetag in der letzten Woche beachtlicherweise ausge-
sprochen kritisch geäußert. In einer Stellungnahme heißt
es:

Auch ein elektrisch angetriebenes Auto bleibt ein
Gefährt mit vier Rädern. Als solches verbraucht es
Flächen sowohl im ruhenden als auch im fließenden
Verkehr und erhöht den ohnehin schon viel zu gro-
ßen Kfz-Bestand in den Städten weiter.

Insofern setzen Sie auf ein völlig falsches Pferd, und
das sagen Ihnen Ihre Kommunalpolitiker auch ganz
deutlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss möchte ich noch das Thema Geschwin-
digkeit ansprechen; denn auch hier wird dem Wahn ge-
folgt, dass „immer schneller“ immer besser sei. Giganti-
sche Mengen an Investitionsmitteln werden in die
Hochgeschwindigkeit gesteckt, und zwar sowohl auf der
Straße als auch auf der Schiene. Das ist ausgesprochen
fragwürdig. Auch hier ist ein völliges Umdenken nötig;
denn Geschwindigkeit hat mit der Verbesserung der Le-
bensqualität gar nichts zu tun. Man weiß inzwischen,
dass es trotz der Tatsache, dass die Verkehre schneller
fließen, zu keiner Zeitersparnis kommt. Vielmehr ist es
so, dass die Menschen die gleiche Zeit für Mobilität auf-
wenden, dass sie dabei aber viel weitere Wege zurückle-
gen. Wir haben aber kein besseres Leben durch schnelle-
res Rasen.

Ich muss sagen: Mir wäre es lieber, Herr Beckmeyer,
es würde einen Stillstand, ein Innehalten in der Ver-
kehrspolitik geben. Das gibt es aber nicht. Die Regie-
rungskoalition hat den Finanzierungskreislauf Straße be-
schlossen und setzt weiter auf den Auto- und Lkw-
Verkehr.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709611100

Frau Kollegin!


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709611200

Wenn es wirklich um die Zukunftsfähigkeit des Lan-

des geht, dann brauchen wir ein Moratorium, das keinen
einzigen Kilometer Aus- und Neubau von Autobahnen
vorsieht, bevor nicht ein Verkehrswendekonzept auf dem
Tisch liegt, das für die Zukunft taugt.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709611300

Der Kollege Werner Simmling hat nun das Wort für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Werner Simmling (FDP):
Rede ID: ID1709611400

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-

ten Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Her-
ren! Ihre Aussage zum Stillstand der Verkehrspolitik ist
wohl nicht so ganz ernst gemeint.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Doch! Mal innehalten! Mal nachdenken, was Sie da so treiben!)


– Ich kann das nicht nachvollziehen, zumal die hohe Be-
deutung der Verkehrsinfrastruktur – ich glaube, da sind
wir uns hier alle einig, meine Damen und Herren – ganz
unbestritten ist.

Wir alle wissen von der Unterfinanzierung, unter der
wir leiden. Dazu bedurfte es nicht der Anträge, die uns
hier vorliegen. Im Kabinett hat der Bundesverkehrsmi-
nister – er ist jetzt leider nicht da –


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Er ist schon gegangen!)


für eine Erhöhung der Investitionslinie gekämpft und sie
für 2012 durchgesetzt. Aber – wir wissen es alle – das
reicht bei weitem nicht. Wir alle hätten gerne mehr Geld.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Endlich einmal ein ehrliches Wort!)


Der Staat hat dafür Sorge zu tragen – ich denke, das
ist hier allgemeine Auffassung –, dass die notwendige
Verkehrsinfrastruktur geschaffen und erhalten wird. Der
unzureichende Ausbau muss aber nicht nur eine Frage
der fehlenden Mittel sein, wenn man innovative Lösun-
gen zulässt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Welche wären das?)


Ihren Aufruf zu einer beschleunigten Umsetzung der
politischen Prozesse hin zu einer Strategie für eine zu-
kunftsfähige Verkehrsinfrastruktur unterschreiben wir
alle; der politische Wille dazu ist, so glaube ich, auch in-
terfraktionell vorhanden. Sie selbst erwähnen in Ihren
Anträgen den Bundestagsbeschluss der Regierungsfrak-
tionen. Die Aufträge sind zur Genüge klar formuliert.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber es passiert nichts!)


Es geht hier um die Herstellung des Finanzierungskreis-
laufs Straße, die Beseitigung der Haushaltsabhängigkeit
bedarfsgerechter Verkehrsinvestitionen,


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Welcher Bedarf? Wessen Bedarf? Wer hat denn diesen Bedarf?)


mehrjährige Planungssicherheit für Investitionsprojekte,
Planungsbeschleunigung sowie die Weiterentwicklung
der Priorisierung von Investitionsprojekten im Rahmen
des nächsten Bundesverkehrswegeplanes, um nur einige
zu nennen.

Wir befinden uns doch mitten in der Debatte und auch
in der Umsetzung all dieser Punkte. Sie fordern an dieser
Stelle plakativ ein Leitbild „Mobilität des 21. Jahrhun-
derts“, obwohl Sie doch genau wissen, dass die Bundes-
regierung nichts verabschieden wird und kann, wofür
das angekündigte Weißbuch Verkehr der Europäischen
Kommission entscheidende Bedeutung hat.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das liegt vor!)


Eine Festlegung auf bestimmte ordnungs- und steuer-
politische Maßnahmen im Verkehrsbereich findet eben
auf EU-Ebene statt und muss abgewartet bzw. dort erst
einmal verhandelt werden. Ich frage mich sowieso, wes-
halb die Fraktion der SPD diesen Forderungskatalog erst
jetzt aufstellt – das wurde vorher schon gesagt –, obwohl
sie bis zum Herbst 2009, also über elf Jahre, den Ver-
kehrsminister stellte.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ein Weckruf an Sie!)


Was wollen Sie denn tatsächlich? Sie artikulieren bei-
spielsweise folgenden Vorwurf:

Die Einführung eines Finanzierungskreislaufs
Straße durch die Bundesregierung, der die Einnah-
men aus der Lkw-Maut lediglich für Investitionen
in die Straße vorsieht, schwächt das Gesamtver-
kehrsnetz und macht die Schiene damit komplett
von den Steuereinnahmen der öffentlichen Hand
abhängig.

Was das an der Stelle soll, verstehe ich nicht.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist Ihr Problem!)


Der Bereich Schiene hat gezeigt, dass es positiv sein
kann, wenn Mautmittel, also Trassenentgelte, für Inves-
titionen zur Verfügung stehen, weil sie von den Begehr-
lichkeiten bei der jährlichen Haushaltsplanung entkop-
pelt werden und somit ein verlässlicher Finanzierungs-
kreislauf entsteht. Warum soll das nicht auch für Straßen
gelten?


(Beifall bei der FDP)


Der Verkehrsträger Straße ist erheblich konjunkturanfäl-
liger als der Verkehrsträger Schiene. Eine verlässliche
Finanzierungsgrundlage für die Unterhaltung und den
Ausbau der Bundesfernstraßen ist daher entsprechend
dringlich. Zudem werden die fehlenden Mautmittel in
den Bereichen Schiene und Wasserstraßen durch zusätz-
liche Haushaltsmittel ergänzt. Sie argumentieren hier
also mit einer krassen Fehldarstellung.


(Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP] – Uwe Beckmeyer [SPD]: Schauen Sie mal in den Haushalt hinein! Das ist eine Fehldarstellung Ihrerseits!)


Darüber hinaus denken wir, die CDU/CSU und die
FDP, darüber nach, wie man die Mittel beim Verkehrs-
träger Schiene erhöhen kann, zum Beispiel durch die
Kappung der Gewinnabführungs- und Beherrschungs-
verträge. Das würde nämlich dafür sorgen, dass die Mit-





Werner Simmling


(A) (C)



(D)(B)

tel im Netz bleiben. Sie stellen es wieder so dar, als
würde der Staat bei Unabhängigkeit der DB Netz gar
keine Mittel mehr als Subventionen bereitstellen. Das
stimmt nicht. Der Verkehrsträger Schiene wird immer
subventioniert bleiben; beispielsweise werden die Regio-
nalisierungsmittel für den ÖPNV weiter fließen.

Zum Schluss noch ein weiteres bemerkenswertes Zi-
tat aus Ihrem Antrag:

Dabei entlasten die Investitionen aus der Lkw-Maut
in die Schieneninfrastruktur den Verkehrsträger
Straße und führen in der Gesamtbilanz auch für die
Logistikunternehmen auf der Straße zu Kostener-
sparnissen. Weniger Verkehr auf der Straße führt zu
weniger Staus und zu einem besseren Zustand der
Straße. Daraus folgen Kostenersparnisse durch
Zeitgewinn und weniger Verschleiß am rollenden
Material.

Sie sagen also – ich übersetze das einmal ins Verständli-
che –: Durch die Mittel aus der Lkw-Maut, die in die
Schieneninfrastruktur geflossen sind, wird der Verkehrs-
träger Straße entlastet, weil sich dort dann weniger Ver-
kehr abspielt. Gleichzeitig haben die Logistikunterneh-
men einen Vorteil, weil sie weniger auf der Straße
befördern. – Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge
zergehen lassen. Ich glaube, da schießen Sie sich schräg
von hinten durch die Brust ins Auge.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich meine, auf eine solche Verkehrsinfrastrukturpolitik
können wir in einem solch hochindustrialisierten Land
gerne verzichten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709611500

Der Kollege Dr. Anton Hofreiter für Bündnis 90/Die

Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es mutet schon etwas seltsam an, dass ausge-
rechnet die Vertreter der Partei, die immer ganz laut
Steuersenkungen fordert, die Steuerdisziplin verwässert
und gleichzeitig fordert, dass der Haushalt saniert wer-
den muss, wortreich beklagen, dass nicht genug Geld für
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung
steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was jetzt bitte? Mehr Geld oder Steuersenkungen
oder weniger Schulden? Alles passt auf jeden Fall nicht
zusammen.

Noch seltsamer mutet es an, wenn man sich vergegen-
wärtigt, dass die Vertreter der Regierungsparteien wort-
reich beklagen, dass die Opposition nicht für alles eine
Lösung hat. Es mag ja sein, dass wir in unseren Anträ-
gen nicht für alles eine Lösung haben; aber es stellt sich
die Frage: Wer regiert denn dieses Land? Wer trägt denn
die Regierung? Die Regierung und die Vertreter der Re-
gierungsfraktionen sind es, die dieses Land regieren
müssen. Sie dürfen nicht darauf hoffen, dass wir Ihnen
die gesamte Arbeit abnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE])


Wenn man sich dann anschaut, was jetzt eigentlich
dringend notwendig wäre, dann wird es ganz düster bei
diesen beiden Parteien. Wir wissen, dass die Verkehrsin-
frastruktur für lange Zeiträume geplant und gebaut wird.

Eine Eisenbahntrasse oder Ähnliches wird für die
nächsten 50 bis 100 Jahre errichtet. Eine Autobahn soll
mindestens 40 bis 50 Jahre halten.

Wenn man sieht, wie die vielen Milliarden investiert
werden, wird es ganz duster. Wissen wir, welche Ent-
wicklungen in 30 oder 40 Jahren auf uns zukommen?


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wissen wir noch nicht! Aber Sie sind dann bestimmt dagegen!)


Es geht um Entwicklungen, zu denen auch die Bundesre-
gierung oder die Bundeskanzlerin, als sie sich noch Kli-
makanzlerin nannte, eingestanden haben, dass sie real
sind. Wir wissen, dass wir bis zum Jahr 2050 – das ist
auf der einen Seite mit 40 Jahren noch sehr lange hin,
auf der anderen Seite ziemlich nah, was die Verkehrsin-
frastruktur und die Planungszeiträume angeht – den
CO2-Ausstoß um 95 Prozent senken müssen, nicht etwa,
um den Klimawandel zu verhindern, sondern um ihn in
einem für unser Überleben und das unserer Kinder er-
träglichen Maß zu halten. Das wissen wir. Wenn Sie mir
nicht glauben: Es ist, wie gesagt, der Beschluss der Bun-
desregierung.

Angesichts dessen muss man sich fragen, wie wir die
für unseren Wohlstand entscheidende Mobilität sinnvol-
lerweise aufrechterhalten können. Weil die jetzige Mobi-
lität zu über 90 Prozent vom Erdöl abhängt und in dem
sehr kurzen Zeitraum von 40 Jahren der CO2-Ausstoß
um 95 Prozent gesenkt werden muss, müssen wir uns et-
was anderes überlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Was haben Sie uns vorgelegt? Sie haben vorgeschla-
gen, dass die Mautmittel zu 100 Prozent in den Bereich
Straße fließen sollen. Das ist alles, was wir an etwas
grundlegenderen Reformen in der Verkehrsinfrastruktur-
finanzierung von dieser Regierung gehört haben. Das
heißt, Sie stecken mehr Geld in die Straße, die extrem
erdölabhängig ist.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: E10!)


Was machen Sie sonst? Die Bahn muss eine Zwangs-
dividende von 500 Millionen Euro abgeben. Wird sie da-
durch gestärkt?





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

Was ist mit den positiven Maßnahmen, die Sie sogar
in Ihrem Koalitionsvertrag festgehalten haben, wie die
Aufhebung der Gewinnabführungs- und Beherrschungs-
verträge? Nichts passiert. Das ist die Tragik. Sie setzen
nicht einmal das wenige Positive um, das Sie beschlos-
sen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist sogar noch mehr Positives in Ihrem Koalitions-
vertrag enthalten. Ich will das durchaus sagen: Manches
darin ist positiv. Die nichtbundeseigenen Eisenbahnen
sollen eine eigene Finanzierung bekommen. Das ist sehr
sinnvoll. Aber was passiert? Nichts. Wie man aus dem
Verkehrsministerium hört, ist nicht ein einziger Referent
damit beschäftigt.

Was soll das? Wenn Sie schon einmal etwas Positives
beschließen, warum setzen Sie nichts davon um?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb muss man leider den Schluss ziehen: Der
Stillstand in der Verkehrspolitik ist in dem Bereich, wo
Maßnahmen nötig sind, umfassend. Da, wo Sie etwas
tun, tun Sie das Falsche. Das Richtige, das Sie beschlos-
sen haben, setzen Sie nicht um.

Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie um! Machen
Sie eine vernünftige Verkehrspolitik! Wir werden Ihnen
aus der Opposition heraus weiter mit konstruktiven An-
trägen helfen.


(Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Als Bremser zur Verfügung stehen!)


Wenn Sie selber keine Ideen haben, setzen Sie unsere
Anträge um!

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709611600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Reinhold

Sendker das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Reinhold Sendker (CDU):
Rede ID: ID1709611700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen:
Dass Sie als SPD den angeblichen Stillstand in der Ver-
kehrspolitik der christlich-liberalen Regierung prokla-
mieren, den man in langen Regierungsjahren selbst zu
verantworten hat, ist für mich alles andere als glaubwür-
dig. Selbst Frau Kollegin Leidig ist Ihren Vorwürfen,
Herr Beckmeyer, und Ihrem Plädoyer für den Stillstand
nicht gefolgt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Im Übrigen kann auch von mangelnder Initiative und
fehlender Zukunftsstrategie keine Rede sein. Ich will das
gerne mit einigen Argumenten begründen.

Erstens. Es kann nicht geleugnet werden, dass die In-
vestitionen in die Verkehrsinfrastruktur der letzten Jahre
einen sehr positiven Beitrag zur Überwindung der Wirt-
schafts- und Finanzkrise in Deutschland geleistet haben
und es der Koalition danach gelungen ist, die Investi-
tionslinie auf hohem Niveau zu erhalten und in 2012
wieder auf 10 Milliarden Euro erhöhen zu können.

Sie wenden ein, das seien aber keine 12 Milliarden
Euro wie vor einigen Jahren, meine sehr verehrten Da-
men und Herren der SPD-Fraktion, wissen aber genau,
dass das mit dem Fortfall der Konjunkturfördermittel er-
klärbar ist.

Darüber hinaus sollten Sie auch nicht vergessen, dass
in diesem Jahr, 2011, mehr investive Mittel für die Ver-
kehrsinfrastruktur als in den Jahren vor der Krise zur
Verfügung stehen. Dies ist ein großer Erfolg, den wir uns
in der heutigen Debatte nicht zerreden lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich – das hat Kollege Schnieder schon deutlich
gemacht – hätten wir gern noch mehr Geld zur Verfü-
gung. Insofern ist es für uns von ganz hoher Bedeutung,
mit den vorhandenen Investitionsmitteln vor allem die
Qualität der Bestandsnetze von Schiene, Straße und der
Wasserwege zu sichern sowie Engpässe zu beseitigen.

Ich stimme Ihnen in Ihrer Antragsformulierung aus-
drücklich zu, dass „der gestiegene Bedarf nach einem
nachhaltigen Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner
an Verkehrswegen … angemessen mit zu berücksichti-
gen“ ist, nicht zuletzt durch den Bau von Umgehungs-
straßen.

Ich frage aber: Was sind diese plakativen Forderun-
gen wert, wenn Sie dort, wo Sie regieren, zum Beispiel
in Nordrhein-Westfalen – das ist für die nächste Woche
angekündigt –, bedeutende Umgehungsstraßenprojekte
auf Eis legen? Da kann ich nur feststellen: Tut nach un-
seren Worten, aber nicht nach unseren Werken. Das ist
alles andere als glaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: So ist das! Stillstand wird bei der SPD produziert! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist die Politik Ihres Bundesverkehrsministers, die er angekündigt hat!)


Mit Blick auf die Substanzerhaltung unserer Ver-
kehrswege stehen wir natürlich auch neueren Ansätzen
der Optimierung von Bestand und Ausbau, die jetzt dis-
kutiert werden, mit großem Interesse gegenüber, vor al-
lem wenn sie ein Einsparpotenzial und darüber hinaus
mehr Transparenz bieten.

Ein weiterer Punkt ist von Bedeutung, nämlich die öf-
fentlich-private Partnerschaft, kurz: ÖPP. Sie sprechen
sich in Ihrer Antragsformulierung für eine Beteiligung
von privatem Kapital im Rahmen von ÖPP aus, soweit





Reinhold Sendker


(A) (C)



(D)(B)

die Lösung effizienter und kostengünstiger ist. Das se-
hen wir genauso.

Sie wissen, dass nach den ersten vier erfolgreichen
Projekten nun die zweite Staffel am Start ist, die auch
wirtschaftliche Anreize bietet, weil allein schon die Bün-
delung der baubedingten Staus auf einen kürzeren Zeit-
raum volkswirtschaftlichen Nutzen stiftet. Das ist für
uns wichtig.

Weniger erfreulich ist es aber dann, wenn wir wieder
einmal von der Zurückhaltung in Nordrhein-Westfalen
erfahren. Verkehrsstaatssekretär Horst Becker wurde
jüngst zitiert: Wir sind keine Freunde dieses Modells.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kluger Mann! Sehr kluger Mann! Der kann rechnen!)


Bei allem, was auch immer darauf folgt, dürfen wir
im Ergebnis feststellen: Von Stillstand kann in der von
uns verantworteten Verkehrspolitik mit Blick auf die
ÖPP gar keine Rede sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich komme nun auf meinen dritten Punkt zu sprechen.
Die Koalition hat den Finanzierungskreislauf Straße – Sie
haben es eben gesagt – und damit mehr Transparenz her-
gestellt, und das ist gut so.

Sie fordern in Ihrem Antrag auch mehr Transparenz.
Im gleichen Antrag kritisieren Sie den jetzt realisierten
Finanzierungskreislauf Straße, der aber gerade mehr
Transparenz stiftet. Ich finde, das passt nun wirklich
nicht zusammen. Wer Transparenz will, muss auch dafür
eintreten, dass die Lkw-Maut, die für die Straßennutzung
gezahlt wird, der Straße zufließt. Alles andere ist den
Bürgern nicht zu vermitteln und bleibt im Ergebnis in-
transparent.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Welche Bürger haben Sie denn gefragt? – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbst die Autofahrer sind doch der Meinung, dass die Lkw besser auf der Schiene sind!)


Erlauben Sie mir, abschließend in der Kürze der Zeit
bei der modernen Verkehrspolitik noch einen vierten
Punkt anzusprechen, Stichwort: Verkehrsinfrastrukturfi-
nanzierungsgesellschaft VIFG. Die Koalitionsvereinba-
rung der christlich-liberalen Regierung sieht einen Prüf-
auftrag zur Herstellung eines Finanzierungskreislaufs
Straße


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Prüfen“ heißt nicht handeln!)


unter direkter Zuweisung der Lkw-Maut an die VIFG
vor.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Und?)


Den ersten Teil haben wir bereits erledigt.

Dabei geht es ganz besonders um die Frage, inwieweit
durch die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft mehr-
jährige Planungs- und Finanzierungssicherheit – das ist
von hoher Bedeutung – beim Straßenbau erreicht werden
können.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Beginnen Sie noch in diesem Jahr!)


Daher lautet mein Fazit: Genau das sind zukunftswei-
sende Ansätze. Das ist moderne Verkehrsinfrastruktur-
politik. Das ist alles andere, meine sehr verehrten Damen
und Herren der Opposition, als Stillstand.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist letztes Jahrhundert!)


So werden wir auch zukünftig für eine hohe Investi-
tionslinie kämpfen und neue zielführende Ansätze der
Verkehrsinfrastrukturpolitik verfolgen.

Dafür steht unser Minister. Wir unterstützen ihn gerne
dabei.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ein Mann der Straße!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709611800

Der Kollege Michael Groß hat das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1709611900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Simmling, Sie fordern innovative Konzepte und Lösun-
gen. Wo sind die Konzepte?


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat eine altbackene Rede gehalten!)


Sie haben in der Koalitionsvereinbarung darauf hinge-
wiesen, dass wir Prioritäten setzen müssen. Wo ist Ihre
Prioritätensetzung? Sie haben darauf hingewiesen, dass
wir transparente Kriterien brauchen. Wo sind die trans-
parenten Kriterien? Sie, Herr Schnieder, und Sie, Herr
Sendker, weisen immer auf die lange Regierungszeit von
Rot-Grün hin. In NRW haben Sie fünf Jahre lang die
Verantwortung getragen.


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Da ging es voran in der Verkehrspolitik!)


Ihre Minister sind durch NRW gereist und haben vieles
versprochen, unter anderem alle Ortsumgehungen, die
zur Diskussion standen. Mich wundert, was Herr
Ramsauer gestern in dapd angekündigt hat. Ich zitiere:

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU)

will die schweren Frostschäden auf den Bundes-
fernstraßen notfalls mit Mitteln für den Neubau von
Ortsumgehungen ausbessern.

Ist das Ihre Antwort? Ist das die Logik, der Sie folgen?


(Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Ortsumgehungen streichen, kann es ja auch nicht sein!)






Michael Groß


(A) (C)



(D)(B)

– Nein, ich sage nur, was Ihr Minister dazu sagt. – Ihr
Minister ist als Infrastrukturminister angetreten. Es feh-
len aber nach Aussagen der Experten und Fachverbände
mindestens 3 Milliarden Euro im Jahr. Sie haben gerade
eine Haushaltsverbesserung von circa 300 Millionen
Euro pro Jahr angekündigt. Sie können rechnerisch
nachvollziehen, dass das bei weitem nicht ausreichen
wird.

Die Staudatenbank des ADAC zeigt den Handlungs-
bedarf: Von 1 000 als Engpässe definierten Autobahn-
kilometern sind nur 430 Kilometer im Vordringlichen
Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Auf Anfragen
antworten Sie, dass Bauprojekte des Vordringlichen Be-
darfs mit abgeschlossener Planung nicht durchgeführt
werden könnten, weil kein Geld vorhanden sei. In NRW
wird sich die Umsetzung des RRX verzögern, weil Sie
zugesagte 15 Millionen Euro dem Land NRW vorenthal-
ten. Damit verhindern Sie, dass circa 31 000 Personen-
fahrten täglich auf die Schiene verlagert werden können.

Sie setzen auf die Finanzierungskreisläufe. Nach dem
Finanzierungskreislauf Straße soll auch die Schiene ei-
nen bekommen. Ein Teil der 500 Millionen Euro der von
der Deutschen Bahn abzuführenden Dividende soll dem
Ministerium verbleiben. Die Dividende soll ab 2015 auf
750 Millionen Euro erhöht werden. Ein großer Teil
bleibt im allgemeinen Haushalt und fließt nicht in die
wichtigen Schienenprojekte. Eine Frage zu Ihrer Pro-
blemlösung stellen Sie sich nicht: Was passiert eigent-
lich mit den Wasserstraßen?

29 aktuell überprüfte und bedarfsgerechte Bahnpro-
jekte, die umgesetzt werden sollen, haben ein Investi-
tionsvolumen von 26 Milliarden Euro. Hinzu kommen
noch Kosten für die im Bau befindlichen Projekte. Die
Bahn kündigt zusätzlich ein „Wachstumsprogramm
Schiene“ an und will Alternativrouten zu den überlaste-
ten Hauptverkehrsachsen für den Güterverkehr durch
Deutschland ausbauen. Die zusätzlichen Kosten betra-
gen 2,2 Milliarden Euro. Wie wollen Sie außerdem die
Rheintalbahn und die Hafenhinterlandanbindung finan-
zieren? Die Finanzierungskreisläufe werden den not-
wendigen Ausbau der Schiene nicht stärken und be-
schleunigen, sondern schwächen. Sie verhindern einen
integrierten Netzansatz.

Ebenso ist für uns nicht erkennbar, wie Sie eigentlich
die Vorgaben der Europäischen Union umsetzen wollen.
Das neue Weißbuch liegt im Entwurf vor. Dort ist for-
muliert, dass der großstädtische Verkehr bis 2050 im
Wesentlichen CO2-frei ausgestaltet sein soll. Ein euro-
päisches Kernnetz soll bis 2030 funktionstüchtig umge-
setzt sein. 30 Prozent des Straßengüterverkehrs bei Stre-
cken über 300 Kilometern sollen bis 2030 auf Schiff
oder Bahn verlagert sein und bis 2050 sogar über die
Hälfte. Wie wollen Sie das tun?


(Patrick Döring [FDP]: Da merkt man schon, wie irreal das Weißbuch ist!)


Mobilität ist eine zentrale Frage der Zukunft. Sie
muss den wachsenden Anforderungen gerecht werden.
Sie muss bezahlbar, umweltverträglich, sicher und zu-
verlässig sein. Lärmschutz ist dabei eine wichtige Vo-
raussetzung. Wir brauchen schnellstens Schwachstellen-
analysen und Engpassreduzierungen, und wir brauchen
die geforderte Reformdebatte zur Mobilität. Das könnte
eine Zukunftskommission zur Infrastrukturfinanzierung
tun, um einen breiten Konsens in der Diskussion herzu-
stellen. Die Lösung kann nicht sein, dass der Masterplan
Güterverkehr und Logistik durch den Minister lediglich
in einen Aktionsplan Güterverkehr und Logistik umbe-
nannt wird, der uns inhaltlich auch noch zurückwirft.
Klapp-rechner statt Laptops, Aktionsplan statt Master-
plan, das kann nicht die Antwort sein.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612000

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1709612100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Was uns als Bundesbürger, als Verkehrsteilnehmer
– mit Ausnahme der Kollegin Leidig, wie ich eben ge-
lernt habe –, eint, ist Ärger über Stau auf Straßen wegen
Baustellen


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ich fahre nicht Auto!)


– nein, Sie treten in die Pedale –, über unpünktliche und
volle Züge, über Verspätungen im Flugverkehr.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Miserable Bahnhöfe zum Beispiel!)


All das beklagen wir im Einzelfall. Dieses Phänomen ist
auch nicht neu.

Genauso wenig neu ist das Sammelsurium, das Sie,
lieber Kollege Beckmeyer, uns heute vorgelegt haben.
Keine Ihrer Forderungen ist neu. Allein die Antwort auf
die Frage, wie Sie das alles finanzieren wollen, bleiben
Sie wieder einmal schuldig. Auch wenn Sie es nicht hö-
ren wollen: Elf Jahre Ihrer eigenen Regierungskunst ha-
ben uns etwas hinterlassen: eine offene Baustelle; auf-
grund des Bundesverkehrswegeplanes von Rot-Grün
stehen wir jetzt im Stau. Diesen Stau wird unser Ver-
kehrsminister zusammen mit dieser Koalition auflösen,
lieber Kollege Beckmeyer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie lösen sich eher selbst auf! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie wissen auch, dass Sie jetzt auch schon sechs Jahre an der Regierung sind?)


– Ja. Der Verkehrswegeplan stammt trotzdem aus Ihrer
Regierungszeit, lieber Kollege Hermann, nicht aus unse-
rer.





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause darin einig
– diejenigen, die ganz links sitzen, lasse ich einmal au-
ßen vor –, dass wir eine nachhaltige Finanzierung einer
besseren Verkehrsinfrastruktur brauchen. Dafür zu sor-
gen, ist eine politische Daueraufgabe, die nicht auf ein-
mal zu lösen sein wird. Auch über die Bedeutung der
Verkehrsnetze dürfte hier kein Streit bestehen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Dann tun Sie endlich was!)


Aber im Gegensatz zu Ihnen, lieber Kollege
Beckmeyer, wissen wir nicht nur um diese Bedeutung


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern Sie tun auch nichts!)


– der Kollege Schnieder hat schon vorhin die Linien
ganz deutlich gezeichnet –, sondern wir handeln auch:
Wir verstetigen nämlich auf hohem Niveau.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott! Den Satz kenne ich schon seit langem!)


– Ja, wir verstetigen auf hohem Niveau.

Lieber Kollege Hermann, bei Ihnen waren die An-
sätze niedrigschwelliger: 2001 bis 2008 9,4 Milliarden
Euro, jetzt 9,7 Milliarden Euro.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zehn Jahre her! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allein die Inflation!)


Lieber Kollege Beckmeyer, das Jahr 2009 mit den
12 Milliarden Euro ist nicht der Maßstab. Sie selber wis-
sen ganz genau, dass in diesem Betrag Mittel des
Konjunkturpakets II enthalten waren.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber das war notwendig, Herr Kollege!)


Genauso wenig redlich ist es, zu sagen: 8 Milliarden
Euro sind im Schienenverkehr gebunden. Wodurch sind
sie denn gebunden? Wer hat sie denn gebunden? Wer
trägt denn die Verantwortung? Schauen Sie in den Spie-
gel! Dann wissen Sie, wer dafür verantwortlich ist, dass
diese Mittel bereits gebunden sind.

Wendet man sich der Gretchenfrage in Ihrem Antrag,
des Pudels Kern, zu, nämlich der Finanzierung, dann
stellt man fest: Da kommt nichts. Sie haben lediglich
eine vage Vorstellung von der Einrichtung einer Kom-
mission.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja, immerhin etwas!)


Herr Kollege Beckmeyer, ich mache Ihnen und dem
Kollegen Groß folgenden Vorschlag: Wir gehen am
Mittwochvormittag vom Raum 600 im Paul-Löbe-Haus
quer hinüber in den Raum 200. Dort tagt der Ausschuss
für Arbeit und Soziales, dem auch ich angehöre. Dort
werden rund 45 Prozent unseres Haushaltsvolumens be-
raten. Reden Sie dort mit Ihren Kolleginnen und Kolle-
gen darüber, dass wir Geld für die Infrastruktur brau-
chen; denn auch bei Ihnen gibt es keine wunderbare
Geldvermehrung.

(Uwe Beckmeyer [SPD]: Also es passiert wieder nichts, oder was?)


Sie schreiben in Ihrem Antrag:

Mit jeder in die Verkehrswege investierten Mil-
liarde Euro werden rund 20 000 Arbeitsplätze …
gesichert.

Herr Kollege Beckmeyer, machen Sie mit! Das ist ein
Regelsatz, der Arbeit schafft für die Infrastruktur. Dann
sind wir sofort dabei. Gehen wir nächsten Mittwoch ge-
meinsam rüber in den anderen Raum und reden darüber.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Toller Vorschlag! Das ist der Robin Hood des Bundestags! Aber Sie wissen schon, dass Sie an der Regierung sind, oder?)


Auch hier brauchen wir nicht noch einmal anzusetzen;
denn ist es alles mehrfach vorgetragen worden.

Natürlich gibt es im Bereich ÖPP noch Potenzial. Wir
werden es heben. Da bin ich mir sicher.

Wir sind alle für die Verlagerung von Verkehr auf die
Schiene und auf die Wasserstraße, weil wir wissen, dass
wir den Zuwachs der Verkehre auf der Straße alleine
nicht bewältigen können. Ich kann Sie nur auffordern,
vor Ort mitzugehen und für den Schienenausbau zu wer-
ben und nicht dieses Katz-und-Maus-Spiel zu betreiben
nach dem Motto: Wir sind zwar für den Ausbau, aber
nicht hier.

Kollege Hofreiter hat gerade von der Macht der Bür-
gerinitiativen gesprochen. Ich kann das auch anders nen-
nen. Das ist die Macht, all das zu verhindern, was Sie
hier plakativ darstellen. Herr Kollege Hofreiter, ehrlich
gesagt finde ich das nicht seriös.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon habe ich gar nicht gesprochen!)


– Sie haben vorhin den Einwurf gebracht: die Macht der
Bürgerinitiativen.

Zeigen Sie gemeinsam mit uns den Mut! Gehen Sie
gemeinsam mit uns den schwierigen Weg der Finanzie-
rung! Wir alle hätten gerne mehr Geld. Gehen Sie nächs-
ten Mittwoch gemeinsam mit mir zur größten Haushalts-
position. Wir alle wissen um die Notwendigkeit der
Verkehrsinfrastruktur. Wir alle wissen um die Notwen-
digkeit der Verkehrsnetze. Wir gehen es mutig an. Wir
werden uns innerhalb des Finanzierungsrahmens bewe-
gen, den wir gemeinsam mit Ihnen im Zusammenhang
mit der Schuldenbremse festgelegt haben. Wir wissen,
dass wir dazu den richtigen und mutigen Minister haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/5022 an die in der Tagesordnung aufge-





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Erhalt und
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sichern – Deutschland
braucht eine moderne Zukunftsstrategie zur Infrastruk-
turfinanzierung“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/1479, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/782 abzulehnen. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und
die Linke. Dagegen hat die SPD-Fraktion gestimmt.
Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 c, zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der
SPD mit dem Titel „Mobilität nachhaltig gestalten – Er-
folgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fort-
entwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/2226, den Antrag
auf Drucksache 17/1060 abzulehnen. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls an-
genommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
Dagegen gestimmt hat die SPD-Fraktion. Enthalten ha-
ben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum
besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat
sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und
asylrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 17/4401 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig),
Gabriele Fograscher, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes für ein erweitertes Rückkehr-
recht im Aufenthaltsgesetz

– Drucksache 17/4197 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf
Scholz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes

(Altfallregelung)


– Drucksache 17/207 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes

(Bleiberechtsregelung und Vermeidung von Kettenduldungen)


– Drucksache 17/1557 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/5093 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Memet Kilic
Josef Philip Winkler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Menschenrecht auf Freizügigkeit ungeteilt
verwirklichen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Für ein wirksames Rückkehrrecht und eine
Stärkung der Rechte der Opfer von Zwangs-
verheiratungen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN

Für eine wirksame und stichtagsunabhän-
gige gesetzliche Bleiberechtsregelung im
Aufenthaltsgesetz

– zu dem Antrag der Abgeordneten Memet Kilic,
Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Opfer von Zwangsverheiratungen wirksam
schützen durch bundesgesetzliche Refor-
men und eine Bund-Länder-Initiative

– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Residenzpflicht abschaffen – Für weitestge-
hende Freizügigkeit von Asylbewerbern und
Geduldeten

– Drucksachen 17/2325, 17/4681, 17/1571,
17/2491, 17/3065, 17/5093 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)






Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Ulla Jelpke
Memet Kilic
Josef Philip Winkler

Hierzu ist verabredet worden, eine Dreiviertelstunde
lang zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Hans-Peter
Friedrich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! In den letzten Jahrzehnten haben
Menschen aus aller Welt in Deutschland eine neue Hei-
mat gefunden. Sie haben durch ihre Arbeit und ihr ge-
sellschaftliches Engagement, sei es in Vereinen, Kultur-
einrichtungen oder Sozialinitiativen, einen Beitrag zum
Wohle unseres Landes geleistet und sich an der Gestal-
tung unserer Gesellschaft, ihrer neuen Heimat, beteiligt.


(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Menschen unterschiedlicher Religionen und unter-
schiedlicher Kulturen leben in unserem Lande friedlich
zusammen.


(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Islam!)


Der Respekt vor unterschiedlichen religiösen Überzeu-
gungen und kulturellen Traditionen ist ein Grundpfeiler
unserer toleranten und weltoffenen Gesellschaft. Die Re-
ligionsfreiheit ist ein elementar wichtiger Pfeiler unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Ach!)


Das Pflegen von mitgebrachten Traditionen ist ein
Recht, das in diesem freien Land ein jeder hat.

Aber wir sind uns wohl auch einig, dass alle Men-
schen, die in unserem Lande leben, sich nach unseren
freiheitlich-demokratischen Werten richten müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst einmal nach den Gesetzen!)


Die Mehrheit der in unserem Land lebenden Migranten
hat sich bereits erfolgreich in die Gesellschaft integriert.
Gleichwohl kennen wir auch Defizite. Sie anzusprechen
und zu beseitigen, ist unser Auftrag. Wir wollen eine Ge-
sellschaft, in der Jungen und Mädchen aus Migrantenfa-
milien eine echte Chance bekommen, hier in unserem
Land erfolgreich ihren Weg zu gehen. Wir wollen ein
wirkliches Miteinander, kein Nebeneinander und schon
gar nicht ein Gegeneinander. Deswegen muss es darum
gehen, gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden,
um Integrationspolitik in unserem Land noch erfolgrei-
cher zu machen.
Die Änderungen, über die wir heute sprechen, sind in
einem sorgfältigen Reifeprozess geplant und vorbereitet
worden.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Das ist doch ein Witz!)


Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der nach meiner
festen Überzeugung geeignet ist, die Integration der
Menschen in unserem Land zu fördern und voranzubrin-
gen.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Wo ist denn der Förderaspekt?)


Fördern und Fordern, das sind ehrliche und gute Koordi-
naten für eine erfolgreiche Integrationspolitik,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz so erfolgreich war die nicht!)


übrigens nicht nur in Bezug auf die Integration von Mi-
granten, sondern auch in Bezug auf alle Menschen, die
in der Mitte der Gesellschaft aufgenommen werden sol-
len.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist ein guter Satz!)


Wir fördern die Integration der bei uns lebenden Mi-
granten, indem wir sie nicht alleinlassen. Wir schaffen
Rahmenbedingungen, die den Menschen eine erfolgrei-
che Eingliederung in unsere Gesellschaft ermöglichen.
Zugleich fordern wir die Bereitschaft, sich selbst aktiv
um Integration zu bemühen. Jeder Migrant trägt selbst
die Verantwortung für seine erfolgreiche Integration in
unsere Gesellschaft.

Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, umfasst
verschiedene Regelungsbereiche:

Erstens. Wir gewähren Ausländerinnen, die in
Deutschland integriert waren und in ihr Herkunftsland
verschleppt und zwangsverheiratet wurden, ein eigen-
ständiges Rückkehrrecht. Gleichzeitig führen wir einen
eigenen Straftatbestand „Zwangsheirat“ ein.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Das ist Symbolik! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringt eh nichts!)


Das klare Signal, das wir damit geben, lautet: Wer junge
Frauen zwangsverheiratet oder solches Handeln unter-
stützt, kann sich nicht auf andersartige kulturelle oder re-
ligiöse Traditionen berufen, sondern er begeht strafbares
Unrecht, das unsere Gesellschaft nicht zu tolerieren be-
reit ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war schon vorher strafbar! – Aydan Özoğuz [SPD]: Das wurde vorher auch nicht toleriert!)


Zweitens. Wir verlängern die Mindestbestandsdauer
einer Ehe, die erforderlich ist, um ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht zu erhalten, auf drei Jahre. Damit ver-
ringern wir den Anreiz zur Eingehung einer Scheinehe
und erhöhen die Möglichkeit der Aufdeckung.





Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich


(A) (C)



(D)(B)


(Aydan Özoğuz [SPD]: Das glauben auch nur Sie!)


Wir fordern von denjenigen, die sich um Zuzug nach
Deutschland bemühen, dass sie dies unter Beachtung der
geltenden Zuwanderungsregeln tun. Wer eine Ehe allein
zu dem Zweck eingeht, ein Aufenthaltsrecht zu begrün-
den, unterläuft diese Regel. Deswegen machen wir mit
unserem Gesetzentwurf deutlich, dass wir diesen Miss-
brauch mit aller Entschiedenheit bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612300

Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kilic zulassen?

Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:

Nein danke.

Drittens. Wir gewähren bislang nur geduldeten Ju-
gendlichen, die sich schon lange in Deutschland aufhal-
ten, erfolgreich die Schule besuchen, einen Schul- oder
Berufsabschluss haben und gut integriert sind, ein eige-
nes Aufenthaltsrecht. Wenn sie bisher geduldet waren
und sich gut integriert haben, erhalten sie also jetzt ein
eigenes Aufenthaltsrecht. Denn es gehört zu unserer
Politik des Förderns und Forderns, dass erbrachte Inte-
grationsleistungen entsprechend belohnt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Viertens. Zu unserer Politik des Forderns gehört es,
dass wir Verstöße gegen Integrationsverpflichtungen
künftig stärker sanktionieren. Wir verlangen von den
hier lebenden Ausländern, dass sie sich mit den Grund-
werten unserer Gesellschaft vertraut machen und
Deutsch lernen. Denn wer auf Dauer hier leben will,
muss Deutsch sprechen können. Der Besuch der Integra-
tionskurse ist deshalb für noch nicht integrierte Auslän-
der verpflichtend.

Klar ist: Integration ist ein langer Prozess, und Inte-
gration braucht vielfältige Begegnungen: im privaten
Bereich, in der Nachbarschaft, in der Schule, im Verein
und im Beruf. Gerade deswegen ist das Erlernen der
deutschen Sprache der wichtigste Schlüssel zur Integra-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aus diesem Grunde machen wir deutlich, dass es auf
eine erfolgreiche Teilnahme an diesen Integrationskur-
sen ankommt. Vor allem verlangen wir, dass ausrei-
chende Deutschkenntnisse erworben werden. Von denje-
nigen, denen das nicht gelingt, werden wir künftig
regelmäßig weitere Integrationsbemühungen einfor-
dern. Ihre Aufenthaltserlaubnis wird deshalb jeweils nur
um maximal ein Jahr verlängert, bis sie den Integrations-
kurs erfolgreich abgeschlossen haben oder nachweisen
können, dass ihre Integration anderweitig erfolgt ist. Wir
schaffen damit einen Anreiz, sich zügig in die Lebens-
verhältnisse in Deutschland zu integrieren.
Keiner wird wohl leugnen, dass sich nur derjenige in
unsere Gesellschaft einbringen und sie aktiv mitgestalten
kann, der auch Deutsch spricht. Wer die aktive Bereit-
schaft zum Erwerb der deutschen Sprache nicht klar und
unmissverständlich einfordert, der schädigt letztlich die
Migranten selbst. Er beraubt sie der Möglichkeit, sich
sozial und wirtschaftlich zu integrieren. Er lässt zu, dass
diese Menschen Gefahr laufen, dauerhaft von Sozialleis-
tungen abhängig zu sein. Das will keiner von uns.

Der vorliegende Gesetzentwurf bietet pragmatische
Lösungsansätze für eine solide und wahrhaftige Integra-
tionspolitik. Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen Ge-
setzentwurf zu unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612400

Rüdiger Veit hat das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1709612500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Minister, das war Ihre erste Rede als
Bundesinnenminister in diesem Haus. Deswegen habe
ich alle Veranlassung, Ihnen namens der SPD-Fraktion
bei aller Gegensätzlichkeit in der Sache, über die noch
zu reden sein wird, gutes Gelingen zu wünschen.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Rüdiger, das finde ich nett!)


Soweit es in meiner Macht steht, setze ich mich dafür
ein, mit Ihnen konstruktiv zusammenzuarbeiten, wenn
dieses Bemühen entsprechend erwidert wird.

Es gibt durchaus Unterschiede in der Sache. Das wird
auch heute deutlich. Wenn ich Ihnen das im Hinblick da-
rauf, dass Sie den Gesetzentwurf hier begründet haben,
sage, dann ist das nicht als ein persönlicher Angriff zu
verstehen; denn der Beitrag der übrigen hier Versammel-
ten zu diesem Gesetz, von dem Sie gesprochen haben,
war wesentlich größer. Sie haben die Vorschriften in die-
sem Gesetz jetzt für sich selbst nachvollzogen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet
eine Reihe von durchaus lobenswerten Ansätzen. Aber
dabei bleibt es meistens. Unter plakative Überschriften
stellen Sie eine Reihe von Regelungen zur Bekämpfung
von Zwangsheirat, zur Schaffung einer gesonderten Alt-
fallregelung und zur Lockerung der Residenzpflicht. In
der konkreten Ausgestaltung all dieser Instrumente neh-
men Sie aber wieder die Hälfte zurück von dem, was Sie
eigentlich regeln wollen. Man hat den Eindruck: Sie
wollen ein paar Stichworte aus der Koalitionsvereinba-
rung abarbeiten und diese Themen – Beerdigung in der
Holzklasse – möglichst noch vor dem 27. März irgend-
wie erledigt sehen. Das wird allein daran deutlich, dass
die wirklich gute Anhörung, die wir zu allen Gesetzent-
würfen durchgeführt haben, von uns allen nur unzurei-
chend ausgewertet werden konnte, weil der Zeitablauf
– die Anhörung war am Montag – gar nichts anderes zu-
lässt.





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Trotzdem gab es einige Versuche. Es gibt aber bis zum
heutigen Tag keine Erklärung, warum das so furchtbar
eilig ist. Wir hätten das genauso gut in der nächsten Sit-
zungswoche machen können.

Ich will begründen, warum ich von plakativen Über-
schriften gesprochen haben. Die Regelung zur Bekämp-
fung der Zwangsheirat ist gut und schön; dafür sind wir
alle. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf dazu einge-
bracht und vertreten diesen in erster Linie. Herr Minis-
ter, Sie haben eben gesagt, dass die Opfer von Zwangs-
heirat vornehmlich in Deutschland gut integrierte junge
Frauen sind. Warum muss man dann aber noch einmal
eine positive Integrationsprognose über sie abgeben, da-
mit sie zurückkehren können? Das leuchtet mir über-
haupt nicht ein. Wenn wir das Rückkehrrecht gerade des-
halb einräumen, weil die betroffenen Frauen unter
Androhung von Gewalt oder durch List aus Deutschland
verbracht wurden und dann zwangsverheiratet worden
sind, dann frage ich mich, warum wir ihnen bei dem Ver-
such der Rückkehr, die technisch schwierig genug ist,
noch eine positive Integrationsprognose abverlangen.
Das kann ich nicht nachvollziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Verlängerung der Ehebestandszeiten wird meine
Kollegin Aydan Özoğuz noch etwas sagen. Mir sei nur
der Hinweis erlaubt, dass selbst die Kirchen in ihrem
Schreiben vom 11. März 2011 – bei aller Achtung vor
dem Institut der Ehe – sagen, dass man, wenn ausländi-
sche Frauen von ihren Männern mit Gewalt hier in
Deutschland festgehalten werden, nicht noch einen Tat-
beitrag dazu leisten darf, dass sie noch ein Jahr länger in
dieser verzweifelten Situation ausharren müssen. Das
wird meine Kollegin gleich näher ausführen.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Lesen Sie mal die Härtefallregelung, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist völlig unpraktikabel, Herr Kollege!)


Lassen Sie mich zu der Altfallregelung kommen, die
Sie uns anbieten. Kollege Grindel hat die humanitäre
Seite der Koalition entdeckt und sieht darin einen beson-
deren Vorstoß. Ich gebe zu, dass Sie dem, was wir von
Ihnen schon lange erwarten, endlich näherkommen. Sie
wollen keine stichtagsbezogene Altfallregelung, sondern
eine, die alle – auch in der Zukunft – erfasst. Das ist zu-
nächst im Grundsatz zu begrüßen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Immerhin!)


Aber warum beschränken Sie das dann auf Antragsteller
zwischen 15 und 21 Jahren? Warum sagen Sie nicht ge-
nauso wie wir, dass derjenige, der hier in Deutschland
mindestens einen Hauptschulabschluss erworben hat,
bleiben kann? Warum sagen Sie nicht genauso wie wir,
dass ein minderjähriger geduldeter Ausländer nach vier
Jahren bei einer positiven Integrationsprognose ebenfalls
hier in Deutschland bleiben kann? Warum nicht diese
wesentlich umfassendere Regelung?


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auf weitere Einzelheiten unseres Gesetzent-
wurfs eingehen. Nach vielen Änderungen im Ausländer-
und Aufenthaltsrecht brauchen wir endlich einen Schnitt
und müssen mit dem Institut der Kettenduldung in
Deutschland ein für alle Mal Schluss machen. Dieser Si-
tuation müssen wir uns stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist Ihnen nicht gelungen. Es gibt einen nicht ganz
produktiven Kompromiss aus den Vorstellungen von
CDU/CSU und FDP. Wenn ich das einmal sagen darf:
Die FDP, die wir in der letzten Legislaturperiode gele-
gentlich als Mitstreiter an unserer Seite hatten, kann ich
heute leider nicht mehr wiedererkennen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht! – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kann sich selbst nicht mehr erkennen! – Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Ich kann die SPD auch nicht mehr erkennen bei den Bürgerrechten!)


Wir durften in der Vergangenheit erleben, dass die FDP
gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und uns ver-
sucht hat, gerade die Kolleginnen und Kollegen von der
Union von vernünftigen Regelungen im Ausländerrecht
zu überzeugen. Das spiegelt sich in dem, was hier und
heute vorliegt, aber nicht unbedingt wider.

So geht das bei allen Themen, die in dem Gesetzent-
wurf angesprochen sind, weiter. Ich nenne nur das Stich-
wort „Residenzpflicht“. Da gehen Sie heran.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Immerhin!)


Da gibt es leichte Lockerungen bei den Regelungen für
Arbeitsaufnahme und Ausbildung.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Im Gegensatz zu vorher!)


Aber wir müssten viel weiter gehen. Dieses Institut ist
längst überholt. Schon heute sind viele Landkreise und
Länder – das geschieht sogar länderübergreifend – im
Begriff, diese Regelung zu ändern, weil sie keinen Sinn
mehr macht. Wir gehen nicht so weit und sagen, dass das
alles abgeschafft werden muss und dass wir überhaupt
keine Beschränkungen des Aufenthalts mehr brauchen.
Schon aus Gründen der Steuerung der damit verbunde-
nen finanziellen Lasten wollen auch wir eine Wohnort-
zuweisung für Asylbewerber und Geduldete, damit sie
sich nicht beispielsweise in Großstädten vermehrt ansie-
deln. Aber eine Residenzpflicht in dem Sinne, dass Asyl-
bewerber und Geduldete den Kreis oder die Stadt ohne
Ausnahmegenehmigung und ohne große Verwaltungs-
verfahren nicht verlassen dürfen, lehnen wir ab. Wir
werden mit entsprechenden Gesetzentwürfen auf Sie zu-
kommen.





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

Kurzum – damit ich meiner Kollegin die Redezeit
nicht wegnehme; das habe ich ihr versprochen –: Rich-
tige kleine Trippelschritte unter ganz großen Überschrif-
ten, das ist im Grunde genommen der Duktus des Wer-
kes, das Sie hier vorgelegt haben. Wir halten an unseren
Vorlagen fest, insbesondere an der Regelung betreffend
die Wiederkehr von Opfern nach Zwangsheirat, aber
auch an der sehr viel ausdifferenzierteren Regelung für
Altfälle, für Geduldete.

Wir bitten um Zustimmung zu unseren Vorlagen. Ih-
rem Gesetzentwurf können wir aus den genannten Grün-
den leider nicht zustimmen.

Danke sehr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612600

Der Kollege Hartfrid Wolff hat das Wort für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Herr Minister, auch seitens der FDP-Fraktion gratu-

lieren wir Ihnen herzlichst zu Ihrem neuen Amt. Wir
wünschen Ihnen viel Erfolg. Auf gute, spannende Zu-
sammenarbeit!


(Zuruf von der SPD: Das glaube ich nicht! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Spannungsreich!)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ko-
alition aus Union und FDP hat eine neue Integrations-
politik auf den Weg gebracht. Insofern hätten Sie zu Be-
ginn keine bessere Rede halten können.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirklich?)


Wir werden die Chancen der Zuwanderung für unser
Land besser nutzen und den Zusammenhalt unserer
durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft stärken;
Fördern und Fordern gehören zusammen. Das tun wir
mit dem vorliegenden Gesetzespaket. Wir schaffen hier-
mit den Einstieg in eine dauerhafte bundesgesetzliche
Bleiberechtsregelung. Erstmals wird für minderjährige
und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Auf-
enthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in ei-
nem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition
hat das nicht zustande gebracht. Die christlich-liberale
Koalition dagegen eröffnet Perspektiven für Menschen,
die in unser Land gekommen sind.


(Rüdiger Veit [SPD]: Das meinst du doch nicht ernst!)


Wir helfen Frauen in Not. Die Gleichberechtigung der
Frau ist einer der wesentlichen Bestandteile unserer
Rechts- und Werteordnung, deren Vermittlung auch eine
der entscheidenden Integrationsaufgaben ist. Zwangs-
heirat wird explizit als Straftat benannt.

(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abhängig vom Integrationswillen!)


Besonders wichtig ist uns die Verbesserung des Op-
ferschutzes. Wir werden eben nicht nur die Täter bestra-
fen, sondern auch den Opfern eine Perspektive geben. Es
wird erstmalig ein eigenständiges Wiederkehr- und
Rückkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsver-
heiratungen geben. Die bisherige Regelung, wonach der
Aufenthaltstitel für verschleppte junge Frauen nach
sechs Monaten automatisch erlischt, ermöglichte es lei-
der bis heute, diese Zwangslage noch stärker auszunut-
zen und Frauen jede Fluchtperspektive zu nehmen.
Nachdem über das Rückkehrrecht schon sehr lange dis-
kutiert wird, ist es der christlich-liberalen Koalition nun
zu verdanken, dieses wichtige Opferschutzrecht für die
Betroffenen geschaffen zu haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt erhalten Opfer von Zwangsheirat und Verschlep-
pung wieder eine Chance, sich zu befreien. Dem dient
übrigens auch die Verlängerung der Antragsfrist für die
Aufhebung der Ehe.

Wir lockern die Residenzpflicht für Geduldete und
Asylbewerber, um ihnen die Aufnahme einer Beschäfti-
gung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wir
die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeits-
markt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft
weiterzuentwickeln.

Wir haben uns auf die Verlängerung der Ehemindest-
bestandszeit auf drei Jahre zur Erlangung eines eigen-
ständigen Aufenthaltstitels geeinigt. Das hilft, Schein-
ehen besser zu bekämpfen.


(Zurufe von der SPD: Das stimmt doch nicht!)


Opfern häuslicher Gewalt, die es leider in viel zu großer
Zahl gibt und die als Argument gegen die Anhebung der
Ehemindestbestandszeit angeführt werden, kann durch
die Härtefallregelung geholfen werden. Und die Sach-
verständigenanhörung hat gezeigt: Die jetzt getroffene,
per Änderungsantrag aufgenommene gesetzliche Klar-
stellung wird zu einem stärkeren Schutz der Frauen bei-
tragen. Wir mahnen die Ausländerbehörden an dieser
Stelle zu einer großzügigen Handhabung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zentrales integrationspolitisches Anliegen der FDP
ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Eine unbe-
fristete Niederlassungserlaubnis erhält nur noch derje-
nige, der sich hinreichend auf Deutsch verständigen
kann oder sich hier einbringt. Natürlich muss niemand
aus Deutschland ausreisen, weil er nicht perfekt Deutsch
spricht. Aber diejenigen, die sich nicht integrieren wol-
len, erhalten in Zukunft nur eine vorübergehende Auf-
enthaltserlaubnis.


(Rüdiger Veit [SPD]: Wie viele sind das eigentlich?)


Der Gesetzentwurf ist ein Signal für eine Abkehr von
ideologischer Zuwanderungs- und Integrationspolitik.
Mulitkultiromantik oder Desintegration durch Weg-
schauen helfen uns nicht weiter.





Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Lieber Herr Wieland, Sie bestätigen das gerade.

Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht beste-
hende Defizite der Integrationspolitik ohne Scheuklap-
pen an. Es gilt, die Chancen der Zuwanderung für unser
Land besser zu nutzen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612700

Herr Kollege, möchten Sie eine Frage des Kollegen

Veit zulassen?

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Das muss jetzt nicht sein.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Möchten Sie die Schallplatte mal wechseln?)


Mit dem Gesetz, das als Entwurf vorliegt, werden in
ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der In-
tegration ergriffen. Die Koalition aus CDU/CSU und
FDP will die Chancen der Integration für ausländische
Menschen in Deutschland verbessern. Der Schlüssel für
gesellschaftlichen Zusammenhalt ist die erfolgreiche In-
tegration. Hierfür stellen wir die Weichen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stellen sie falsch!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709612800

Die Kollegin Ulla Jelpke hat das Wort für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709612900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Kollege Veit hat hier eben dargelegt, dass wir heute über
einen Gesetzentwurf beraten, der im Schweinsgalopp
durch den Bundestag getrieben wurde. Am Montag hat-
ten wir eine Anhörung, bei der fünf von sieben Sachver-
ständigen grundlegende Kritik an diesem Gesetzentwurf
geäußert haben. Ein Protokoll der Anhörung liegt bis
heute nicht vor. Das heißt, wir können die Anhörung
überhaupt nicht vernünftig auswerten.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Aber du warst doch da! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein gutes Argument!)


Herr Wolff, Sie haben in Ihrer Rede sehr deutlich ge-
macht, warum Sie dieses Gesetzesvorhaben hier schnell
durchziehen wollen. Man kann sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass es Ihnen vor allem um die Wahlen in
Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg geht, dass Sie
auf Stimmungsmache gegen vermeintliche Integrations-
verweigerer setzen, die Sie – auch in der Anhörung –
nicht einmal beziffern konnten. Seit Monaten fahren Sie
gemeinsam mit dem Kollegen Grindel diese Kampagne.
Damit betreiben Sie meiner Meinung nach rechtspopu-
listischen Stimmenfang.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gisela Piltz [FDP]: Frau Präsidentin! – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ist das parlamentarisch?)


Im Unterschied zum Kollegen Veit sieht die Linke in
diesem Gesetzentwurf ein Dokument der Absage an eine
offene und humane Integrationspolitik. Ich komme da-
mit zu den Verschärfungen, die Sie jetzt einführen wol-
len, insbesondere bei der Aufenthaltserlaubnis, die so
lange nur um ein Jahr verlängert werden soll, bis die Be-
stätigung eines erfolgreichen Sprachtests vorgelegt wor-
den ist. Man muss sich einfach einmal vorstellen, was es
bedeutet, wenn Menschen immer wieder zur Ausländer-
behörde laufen müssen. Ausgerechnet die Fraktionen der
Union und der FDP haben noch vor wenigen Monaten,
als wir hier über den Haushalt beraten haben, nicht zuge-
stimmt, als es darum ging, ausreichende finanzielle Mit-
tel für Integrationskurse zur Verfügung zu stellen.


(Gisela Piltz [FDP]: Wir haben mehr Geld als vorher zur Verfügung gestellt!)


– Ich bin jetzt dran. – Sie haben die Mittel zur Deckung
von Fahrtkosten und Kinderbetreuungskosten gekürzt.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Teilzeitkurse haben sie auch gestrichen!)


Eine ausreichende finanzielle Ausstattung ist notwendig.
Wenn man sich die Wartelisten anschaut und sieht, wie
viele Menschen an Integrationskursen teilnehmen wol-
len, dann kann man nicht permanent von Integrations-
verweigerern in unserer Gesellschaft reden und diese an
den Pranger stellen. Dazu sage ich nur: Sarrazin lässt
grüßen! – Wir von der Linken lehnen das ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum angeblichen Schutz für Zwangsverheiratete, den
Sie einführen wollen. Ich meine, es handelt sich hier um
reine Symbolpolitik. Sie selber sagen im Übrigen in Ih-
rem Gesetz, dass wir bereits einen Straftatbestand haben,
der Zwangsheirat unter Strafe stellt.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem gleichen Strafmaß wohlgemerkt!)


Die Frage ist, ob ein neuer Straftatbestand die Frauen
vor Zwangsverheiratung schützt. In Wahrheit geht es
hier meiner Meinung nach in erster Linie nicht um die
Opfer von Zwangsehen. Dasselbe gilt im Übrigen für die
hier schon angesprochene Verlängerung der Ehebe-
standszeit. Bislang mussten ausländische Ehepartner,
die einen deutschen Partner haben, zwei Jahre hier sein,
um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen.
Jetzt haben Sie die notwendige Ehebestandszeit auf
drei Jahre erhöht und damit für eine Verschärfung ge-
sorgt. Alle – Menschenrechtsorganisationen, die Kir-
chen, aber auch die Sachverständigen bei der Anhörung
am Montag – haben gesagt: Das verlängert das Leid der





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

Frauen; denn diejenigen, die in Zwangsehen leben und
Gewalt erfahren, müssen dadurch garantiert noch länger
in ehelicher Abhängigkeit verbleiben und haben nicht
die Möglichkeit, sich von ihren Ehemännern zu trennen.
Es ist die reinste Heuchelei, wenn Sie hier so tun, als
würden Sie sich für diese Frauen einsetzen. Im Gegen-
teil: Mit Ihrem Gesetz verschärfen Sie ihre Situation. Sie
machen es den Frauen schwerer.

Ich will ganz deutlich sagen: Es gibt keine empiri-
schen Untersuchungen, die Ihre These von den vielen
sogenannten Scheinehen belegen. Das ist uns auch in der
Anhörung am Montag bestätigt worden. Dort wurde ge-
sagt, dass häufig zu schnell von Verdachtsfällen die
Rede ist und sich im Nachhinein herausstellt, dass der
Verdacht falsch war.

Ein Wort zum Bleiberecht für Jugendliche, das hier
schon angesprochen wurde. Es ist wirklich eine Meister-
leistung, Jugendlichen, die gute Schulleistungen erbrin-
gen, die Verantwortung für ihre Geschwister und ihre El-
tern aufzubürden. Sie sollen das Bleiberecht für
Geschwister und Eltern erwirken. Ich frage mich, welch
ein Verständnis von Pädagogik Sie haben. Wissen Sie ei-
gentlich, was es bedeutet, wenn Kinder und Jugendliche
unter einem derartigen Druck schulische Leistungen er-
bringen müssen? Ich halte es für unerträglich, dass Sie
Politik auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen
betreiben. Das lehnt die Linke ab.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709613000

Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709613100

Zum Schluss möchte ich sagen, dass uns dieser Ge-

setzentwurf in allen Punkten nicht weit genug geht.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709613200

Frau Jelpke!


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709613300

Er zielt in die falsche Richtung.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709613400

Frau Jelpke!


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709613500

Wir sind der Meinung, dass man ihn unbedingt ableh-

nen muss.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709613600

Frau Jelpke!


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709613700

Es ist schon angekündigt worden, dass es weitere An-

träge gibt. Das wird auch die Linke so halten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. – Frau Prä-
sidentin, ein bisschen mehr Toleranz!


(Beifall bei der LINKEN)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709613800

Das war der Wunsch nach mehr Toleranz bei der Re-

dezeit.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Den Satz zu Ende sprechen lassen!)


– Ich habe Ihnen das Ende Ihrer Redezeit mit einem Si-
gnal angekündigt. Sie haben viele Sätze zu Ende spre-
chen können, bevor ich versucht habe, Sie akustisch da-
rauf hinzuweisen, dass Ihre Redezeit weit überschritten
war.

Das Wort hat der Kollege Josef Winkler für
Bündnis 90/Die Grünen.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Jetzt mach die Kritik wenigstens niveauvoll!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, auch namens
meiner Fraktion biete ich konstruktive Zusammenarbeit
an. In der nächsten Sitzungswoche – oder wann auch im-
mer Sie vorhaben, den Innenausschuss zu besuchen –
können wir über Ihre Perspektiven für die Innenpolitik
Deutschlands diskutieren. Das, was heute auf der Tages-
ordnung steht, haben Sie aufgrund des Zeitablaufs nicht
maßgeblich mitgestalten können. Dennoch will ich mich
darauf konzentrieren.

Sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungs-
fraktionen, Sie wollen Regelungen zum besseren Schutz
der Opfer von Zwangsverheiratungen und eine Bleibe-
rechtsregelung für gut integrierte Jugendliche einführen.
Die Absicht ist lobenswert. Wir haben aber feststellen
müssen, dass Sie die Regelungen, die eigentlich mög-
lichst vielen helfen sollten, so eng gefasst und hand-
werklich so schlecht gemacht haben, dass jeweils nur ein
sehr kleiner Teil der Betroffenen davon profitieren wird.
Darüber muss man hier einmal sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Das gilt zum Beispiel für das Rückkehrrecht der Op-
fer einer Zwangsheirat. Es widerspricht der Zielsetzung
eines effektiven Schutzes der Frauen, die zum Zweck
der Heirat verschleppt wurden, dass das Rückkehrrecht
von einer positiven Integrationsprognose abhängig ge-
macht werden soll und nicht ohne Einschränkung als
Rechtsanspruch ausgestaltet ist. Schließlich geht es vor
allem darum, dass es sich hierbei um Opfer handelt, und
nicht darum, ob die Integrationsprognose positiv ist. Das
ist schlecht gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es fehlt auch eine Beweislastregelung zugunsten der
Opfer von Zwangsheirat, die sich nicht ausschließlich
auf Fälle körperlicher, häuslicher Gewalt bezieht. In vie-
len Fallkonstellationen werden die Frauen durch psychi-
schen Druck in eine ausweglose Situation gebracht. Ihr
Vorschlag bzw. die Ergänzung in der Begründung, die





Josef Philip Winkler


(A) (C)



(D)(B)

Sie, Herr Kollege Wolff, vorgenommen haben, hilft den
Frauen nicht.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das sehen die Sachverständigen aber anders, Josef!)


Wie soll das attestiert werden? Das ist wirklich schwie-
rig. Das wird in der Regel nicht helfen.

Es fehlt auch eine aufenthaltsrechtliche Regelung für
die aus einer Zwangsehe hervorgegangenen Kinder. Das
heißt, die Frau, die im Ausland lebt, dort Kinder bekom-
men hat und aus der Zwangsehe ausbrechen will, kann
eben nicht ohne Weiteres nach Deutschland zurückkom-
men. Sie müsste erst den Sorgerechtsstreit gewinnen, das
Visumverfahren für sich und ihre Kinder betreiben und
dann natürlich noch die von Ihnen so geschätzte positive
Integrationsprognose vorweisen. Das ist wirklich Stuss
und wird diesen Frauen nicht helfen. In dem Punkt bin
ich mir mit dem Kollegen Veit von der SPD-Fraktion
völlig einig.


(Rüdiger Veit [SPD]: So ist es!)


Die SPD-Fraktion wird, glaube ich, unserem Antrag
hierzu auch zustimmen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Genau!)


Ein anderer Punkt, der bereits angesprochen wurde.
Ich finde es schäbig, dass Sie mit der Verlängerung der
Mindestehebestandszeit die Abhängigkeit der Opfer von
Zwangsverheiratung von ihrem Ehepartner um ein Jahr
verlängern. Die Meinung der Kirchen hierzu wurde eben
vorgetragen. Von wegen christlich-liberal!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Nur weil Sie vermuten – übrigens gegen die Daten aller
Ermittlungsbehörden in der gesamten Bundesrepublik –,
dass es heute mehr Scheinehen als früher gibt, müssen
sich nun die zwangsverheirateten Frauen ein Jahr länger
prügeln lassen. Das ist schlicht und ergreifend schäbig
gegenüber diesen Frauen.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das ist doch Quatsch!)


Ihre Härtefallregelung greift nicht, Herr Wolff. Sie greift
nicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir werden das in einem Jahr überprüfen. Dann werden
Sie sehen: Ihre Härtefallregelung ist Stuss,


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Sie wissen doch, dass das Blödsinn ist!)


und die Änderungen, die von der Opposition vorgelegt
wurden und die auch die Sachverständigen in der Anhö-
rung im Innenausschuss vorgetragen haben, hätten hel-
fen können. Betreiben Sie keine Symbolpolitik! Tun Sie
nicht so, als hätten Sie geholfen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Die betroffenen Frauen müssen Anzeige bei der Poli-
zei erstatten und ärztliche Atteste vorlegen. Es muss ein
besonders schwerer Fall sein, und es dürfen keine Zwei-
fel bestehen. Erst dann greift die Härtefallregelung. Dass
sie bisher selbst bei schweren Fällen körperlicher Gewalt
nicht gegriffen hat, haben Sie versucht zu korrigieren.
Aber die Hürden sind viel zu frauenfeindlich gestaltet.
Die Frauen müssen sich nicht mehr zwei Jahre verprü-
geln lassen, sondern drei Jahre, bis sie einen eigenständi-
gen Aufenthaltstitel erwerben. Das ist nicht christlich,
und das ist nicht liberal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie konnten das auch nicht begründen. Sie sagen nur, es
lägen Anhaltspunkte aus der ausländerbehördlichen Pra-
xis vor und es gebe so viele Scheinehen, dass man das
innerhalb von zwei Jahren nicht aufklären könne; deswe-
gen müsse man das auf drei Jahre ausweiten.


(Rüdiger Veit [SPD]: Wenn sich das später herausstellt, kann die Aufenthaltserlaubnis sowieso widerrufen werden!)


– Das kann sowieso widerrufen werden. Das ist richtig,
Herr Kollege Veit.

Ich will noch einen Punkt ansprechen. Den Vorschlag
des Bundesrats, der eine Bleiberechtsregelung für gut in-
tegrierte Jugendliche vorsieht, haben Sie aufgegriffen.
Allerdings haben Sie ihn verschlechtert. Der Bundesrat
hat vorgeschlagen, dass die „überwiegende Lebensunter-
haltssicherung“ vonseiten der Eltern ausreichen soll. Das
ist eine realistische Regelung, weil die Menschen über
Jahre vom Arbeitsmarkt ferngehalten wurden. Sie schla-
gen vor, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt voll-
ständig sichern sollen. Das führt dazu, dass für die Eltern
das Bleiberecht nicht erreichbar ist und dass sie spätes-
tens mit der Volljährigkeit ihrer Kinder mit der Abschie-
bung rechnen müssen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709613900

Herr Kollege.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Oder sie werden nur geduldet. Das ist ein unsicherer
Aufenthalt und keine Zukunftsperspektive.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ich
finde, heute ist ein schlechter Tag für die Integrations-
politik in Deutschland. Sie sollten wirklich nicht so wei-
termachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709614000

Reinhard Grindel hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1709614100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Hans-Peter Friedrich, natürlich auch von der
CDU/CSU-Fraktion herzlichen Glückwunsch zum
neuen Amt als Bundesinnenminister. Spannend muss un-
sere Zusammenarbeit nicht unbedingt sein, sondern sie
muss gut, vertrauensvoll und harmonisch sein. Ich bin
ganz sicher, dass das gelingen wird. Wir werden eine
wunderbare Zusammenarbeit


(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


zwischen Franken und allen anderen in unserer Arbeits-
gruppe haben. Glück auf für Ihre wichtige Aufgabe!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Wenn Sie das sagen!)


Wenn ich das richtig verstanden habe, Frau Kollegin
Özoğuz, ist Ihr Ehemann heute zum Innensenator in
Hamburg berufen worden. Grüßen Sie ihn herzlich von
uns! Gratulieren Sie ihm dazu! Ich bin ganz sicher:
Wenn er in Zukunft abends nach Hause kommt und von
seinen Problemen als Innensenator berichtet, wird er sa-
gen: Die Handlungsmöglichkeiten, die die mir in Berlin
eröffnet haben, sind eigentlich ganz gut.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Aydan Özoğuz [SPD]: Ihnen ist auch nichts zu peinlich, oder? – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann auch eine SMS schicken!)


Ich glaube, dass wir heute eine Vielzahl von Vorschlä-
gen vorlegen, auf die Sie in Ihrer Regierungszeit sehr
stolz gewesen wären. Herr Kollege Veit, Herr Kollege
Winkler, wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das zu. Blei-
berecht für gut integrierte Jugendliche,


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Richtig!)


eine Rückkehrmöglichkeit für Zwangsverheiratete und
Zwangsverschleppte


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Richtig! – Rüdiger Veit [SPD]: Das steht nur auf der Packung darauf!)


und Verbesserungen bei der Residenzpflicht für Asylbe-
werber – Sie hätten sich in einer rot-grünen Sänfte durch
Kreuzberg tragen lassen, wenn Sie das zu Ihrer Regie-
rungszeit hinbekommen hätten. Das möchte ich klar sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht mein Wahlkreis! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur für Mindestlohn! – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Bleiberecht für gut integrierte ausländische Ju-
gendliche ist eine fundamentale humanitäre Verbesse-
rung und bedeutet ein großes Stück Zukunftssicherung
für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund.
Erstmals schaffen wir eine gesetzliche Regelung für die
Zukunft und nicht nur eine Altfallregelung mit einem
Stichtag, die sich häufig als zu starr erwiesen hat.


(Rüdiger Veit [SPD]: Dann könnt ihr unserem Entwurf zustimmen! Der ist umfassender!)


Wir verbinden auch nicht mehr den Aufenthaltstitel
gut integrierter Jugendlicher mit dem Schicksal der El-
tern; denn es hat oft zu Leid geführt, wenn der Jugendli-
che keine Perspektive in Deutschland hatte, weil sich
seine Eltern hier nicht ordnungsgemäß verhalten hatten.
Es wird in Zukunft genau umgekehrt sein. Erstmals ist
die Integrationsleistung des Jugendlichen entscheidend.
Er wird belohnt, wenn er erfolgreich die Schule besucht
und die Gewähr dafür bietet, sich in die Lebensverhält-
nisse bei uns in Deutschland einzufügen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn nicht, wird die ganze Familie bestraft!)


In Zeiten des demografischen Wandels brauchen wir
jeden Jugendlichen. Wir machen Ernst damit. Jeder be-
kommt die Chance, sein Glück in Deutschland zu ma-
chen. Das haben wir als christliche Demokraten und als
freie Demokraten hinbekommen. Sie haben das nie hin-
bekommen, um das ganz deutlich zu sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Das hätten wir schon vor ein paar Jahren haben können!)


Es ist wahr: Die Integrationsanforderungen an die Ju-
gendlichen sind hoch. Sie müssen erhebliche Integra-
tionsleistungen nachweisen. Diese Anforderungen sor-
gen dafür, dass wir Pull-Effekte vermeiden. Wir wollen
einen Anreiz für Integration schaffen. Wir wollen Zu-
wanderung in die Sozialsysteme verhindern. Aber wir
wollen mit dieser Bleiberechtsregelung diejenigen för-
dern, die sich anstrengen und die es verdienen, dafür be-
lohnt zu werden.

Das Gleiche gilt für die Eltern der gut integrierten Ju-
gendlichen; was Sie hier dazu gesagt haben, ist falsch.
Sie werden in Zukunft in Deutschland bleiben dürfen,
weil das Bleiberecht ihrer Kinder ansonsten ins Leere
laufen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht zutreffend!)


Aber wir sagen den Eltern: Wenn ihr euren Lebensunter-
halt selbst bestreiten könnt, wenn ihr keine Straftaten be-
gangen habt, wenn ihr die Behörden nicht täuscht, dann
könnt ihr über den Status des Geduldeten hinaus ein ei-
genständiges Aufenthaltsrecht erwerben. Das ist der ent-
scheidende Punkt. Die Eltern dürfen in jedem Fall blei-
ben, weil die Bleiberechtsregelung für ihre Kinder sonst
ins Leere laufen würde. Aber ein eigenständiges Aufent-
haltsrecht setzt auch eigenständige Integrationsleistun-
gen voraus. Wir setzen einen Anreiz, sich zu integrieren.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür müsste man erst einmal einen Arbeitsplatz haben!)


(B)






Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

Insofern machen wir an dieser Stelle auch bei den Eltern,
wie bei den Kindern, ernst mit dem Grundsatz „Fördern
und Fordern“. Das halte ich für eine richtige und zu-
kunftsweisende Integrationspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärken wir die Inte-
grationskurse. Wir sorgen dafür, dass die Ausländerbe-
hörden endlich konsequent überprüfen, ob ein Neuzu-
wanderer seiner Pflicht, einen Integrationskurs zu
besuchen, nachkommt. Wir schreiben vor, dass Neuzu-
wanderer nur noch für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten und deren Verlängerung davon abhängt, dass sie
den Integrationskurs ordnungsgemäß besucht haben.


(Rüdiger Veit [SPD]: Bürokratiemonster!)


Es ist nicht so, wie von einigen Organisationen
fälschlich verbreitet, dass der Aufenthalt vom erfolgrei-
chen Bestehen der Abschlussprüfung abhängt. Das spielt
bei der Niederlassungserlaubnis eine Rolle. Das war
schon immer so; das ist geltende Rechtslage.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt auch nicht!)


Künftig wird aber schneller auffallen, wenn sich jemand
beharrlich weigert, seiner Pflicht zum Besuch des Inte-
grationskurses nachzukommen. Wir werden also erst-
mals das bekommen, was Sie immer anmahnen: belast-
bare Zahlen über Integrationsverweigerer. Wir geben
den Ausländerbehörden ein Instrument, um dagegen
vorzugehen und dafür zu sorgen, dass die Integrations-
angebote, die wir vorhalten und in die wir viele Hundert
Millionen Euro investieren, angenommen werden. Ich
halte das für genau den richtigen Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine Integrationsverweigerer! Das sind Leute, die den Test nicht bestehen!)


Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärken wir die
Rechte von Zwangsverheirateten, und wir bekämpfen
konsequent Scheinehen. Wir wissen von den Visastellen
unserer Botschaften, gerade aus den Hauptherkunftslän-
dern der nachziehenden Ehegatten, dass die Zahl der
Scheinehen nach wie vor hoch ist und der Nachweis
schwerfällt.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen aber nur Sie! Die Bundesregierung sagt, sie weiß von nichts! Das haben Sie sich scheinbar selber ausgedacht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709614200

Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Veit?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1709614300

Ja, selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709614400

Bitte schön, Herr Veit.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1709614500

Herr Kollege Grindel, habe ich das eben aus Ihrem

Munde richtig verstanden, dass Sie bis zum heutigen
Tage überhaupt keine Zahlen oder Schätzungen dazu ha-
ben, wie viele Integrationsverweigerer in dem von Ihnen
beschriebenen Sinne es überhaupt gibt? Das würde sich
mit den Auskünften Ihrer Sachverständigen vom Montag
decken.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das hat er erst mal nur behauptet!)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1709614600

Ich habe gesagt, dass solche Untersuchungen zum

ersten Mal von allen Ausländerbehörden in Deutschland
durchgeführt werden. Bisher gab es das punktuell. Auf
diesem Wege haben wir valide Zahlen bekommen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Nein! Die haben Sie eben nicht!)


Wir wissen: Ja, es gibt Integrationsverweigerung.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine minimale Zahl!)


Alle Ausländerbehörden müssen nun nach einem Jahr
genau überprüfen: Sind die Neuzuwanderer, die nicht
ausreichend Deutsch sprechen, ihrer Pflicht, einen Inte-
grationskurs zu besuchen, tatsächlich nachgekommen?


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


Nach einem Jahr werden wir also wissen, wer von de-
nen, die verpflichtet waren, einen Integrationskurs zu be-
suchen, sich beharrlich geweigert hat.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! Es geht doch darum, ob die den Test bestehen, und nicht darum, ob die dort hingehen! Die könnten jeden Tag dort hingehen und es trotzdem nicht schaffen!)


Wir werden zum ersten Mal flächendeckend für ganz
Deutschland sehr genau wissen, wie viele Personen die-
ser Pflicht nicht nachgekommen sind. Natürlich gibt es
bestimmte Gründe, die es unmöglich machen können, ei-
nen Integrationskurs zu besuchen, zum Beispiel eine
Schwangerschaft oder gesundheitliche Probleme. Uns
geht es aber darum, festzustellen, wer sich beharrlich
weigert.

Die Ausländerbehörden werden mit diesen Personen
intensive Gespräche führen, um sie davon zu überzeu-
gen, wie wichtig es ist, Deutsch zu lernen. Wer dies kriti-
siert, der will nicht nur nicht wissen, wie viel Integra-
tionsverweigerung es gibt, sondern der hilft auch nicht
dabei, alle Zuwanderer dafür zu gewinnen, die deutsche
Sprache zu lernen, etwas über unsere Gesetze und die
verfassungsrechtlichen Grundlagen zu erfahren. Das ist
das Ziel. Wir wollen die Menschen nicht nach Hause
schicken. Wir wollen gern Zahlen zur Integrationsver-





Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

weigerung. Wir wollen, dass alle Zuwanderer die vor-
handenen Integrationsangebote tatsächlich annehmen
und die Ausländerbehörden dies überprüfen. Das ist das
Ziel unserer Gesetzesänderung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rüdiger Veit [SPD]: Aha! Das heißt also, Sie haben keine Zahlen! Das wollte ich nur wissen!)


Ich komme zum Thema Scheinehen zurück. Wir wis-
sen von den Visastellen, die die Entwicklung sehr genau
beurteilen und beobachten können, dass die Zahl der
Scheinehen nach wie vor hoch ist. Eine der wenigen
neuen Erkenntnisse, die wir in der Anhörung gewonnen
haben, ist, dass die Ausländerbehörden in der Tat sagen:
Wir brauchen mehr Zeit, um Scheinehen aufdecken zu
können. – Diese zusätzliche Zeit werden wir ihnen mit
unserer Gesetzesänderung einräumen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Die haben alle Zeit der Welt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709614700

Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine weitere Zwi-

schenfrage, diesmal des Kollegen Kilic vom Bündnis 90/
Die Grünen?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1709614800

Selbstverständlich.


Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709614900

Herr Kollege Grindel, in Ihrem Gesetzentwurf führen

Sie aus, dass die Zahl der Fälle, in denen der Verdacht
einer Scheinehe besteht, zugenommen hat. In diesem
Zusammenhang hat die Linke die Bundesregierung ge-
fragt, weshalb sie vor diesem Hintergrund die Mindest-
ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre verlängern will.
Auf diese Frage hat die Bundesregierung geantwortet,
im Jahre 2010 habe es circa 5 000 und im Jahre 2000
circa 1 000 solcher Fälle gegeben. Als wir, die Grünen,
eine ähnliche Frage gestellt haben, hat das Innenministe-
rium eine andere Zahl erwähnt. Uns wurde für das Jahr
2009 die Zahl 529 genannt.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ermittlungsverfahren wohlgemerkt!)


– Ermittlungsverfahren, ja. – Daraufhin haben wir noch
einmal gefragt, weil uns keine schlüssige Zahl genannt
werden konnte. Herr Ole Schröder hat unsere Frage
heute wie folgt beantwortet: Es gibt dazu überhaupt
keine Statistik; wir können das nicht schlüssig darlegen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Genau!)


In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie aber, die Zahl
dieser Fälle habe zugenommen. Müssen wir das so ver-
stehen, dass Sie Ihre letzte Patrone ins Blaue schießen?
Ist es anständig, wenn der Gesetzgeber eine solche Be-
gründung anführt?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1709615000

Herr Kilic, ich habe schon mehrfach, bei der Einbrin-

gung des Gesetzentwurfes und auch eben, gesagt – ei-
gentlich müssten auch Sie diese Informationen haben;
Sie sind ja des Öfteren in der Türkei –, dass Sie die Mit-
arbeiterinnen unserer Visastellen in Istanbul, Ankara und
Izmir, die für Visa zum Zwecke der Familienzusammen-
führung bzw. des Ehegattennachzuges zuständig sind
– es sind fast nur Frauen, die dort tätig sind –, einmal
fragen sollten, wie ich es getan habe: Wie hoch schätzen
Sie die Zahl der Scheinehen?


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ach, das sind Schätzungen, Vermutungen!)


Schließlich haben sie in ihrer jahrelangen Tätigkeit um-
fangreiche Erkenntnisse gewonnen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht zur Anzeige gebracht! – Gegenruf des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das ist doch auch besser!)


Die Mitarbeiterinnen werden Ihnen sagen: Diese Zahl
dürfte in den letzten Jahren stabil geblieben sein.

Wenn Sie dann sagen, es habe im Jahr 2000 5 000
Verdachtsfälle gegeben – damals galt eine vierjährige
Mindestehebestandszeit; die Ausländerbehörden hatten
also vier Jahre Zeit, um solche Scheinehen aufzudecken –
und wir hätten jetzt, bei nur zwei Jahren Mindestehebe-
standszeit, nur 1 000 Verdachtsfälle, dann ist das doch
ein Argument zu meinen Gunsten. Denn das ist klar:
Wenn man mehr Zeit hat, um Verdachtsfällen nachzuge-
hen, dann deckt man auch mehr auf. Genau diese Mög-
lichkeit wollen wir den Ausländerbehörden eröffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nehmen Sie zehn Jahre! Dann haben Sie 5 000 Vermutungen! Unmöglich!)


Um auch das zu sagen, lieber Kollege Winkler: Die
Härtefallregelung in § 31 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz prä-
zisieren wir, indem wir die häusliche Gewalt als Regel-
beispiel in das Gesetz hineinschreiben. Der Tatbestand
der häuslichen Gewalt gab den Frauen übrigens schon
vorher die Möglichkeit, ein eigenständiges Aufenthalts-
recht zu erhalten. Deswegen sind diese Frauen hinrei-
chend geschützt.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir zählen! Das können ganz wenige Fälle sein!)


In der Anhörung haben die Auskunftspersonen keinen
einzigen Fall benennen können, in dem die Härtefallre-
gelung nicht hinreichend berücksichtigt worden und ins
Leere gelaufen wäre. Insofern ist es unfair und nicht in
Ordnung, wenn Sie unsere Gesetzesänderung hier als
schäbig bezeichnen. Das Gegenteil ist der Fall: Die
Frauen, die in der Ehe unter Gewalt und anderen schwe-
ren Nachteilen leiden, sind hinreichend geschützt. Daran
ändert sich mit unserer neuen gesetzlichen Regelung
überhaupt nichts. Das war uns wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Reinhard Grindel NEN]: Sie verschlechtern es! Lesen Sie mal, was die Grünen geschrieben haben!)





(A) (C)


(D)(B)


Insofern möchte ich abschließend sagen: Wir haben
mit diesem Gesetzentwurf eine Vielzahl von Anregun-
gen aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen
aufgenommen. Wir haben Anregungen aus dem Bereich
der Innenministerien aufgenommen. Daher bin ich mir
ganz sicher: Mit der Bleiberechtsregelung, mit den Ver-
besserungen für Opfer von Zwangsheirat und Zwangs-
verschleppung und bei der Residenzpflicht


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Bischofskonferenz und alle sprechen sich dagegen aus!)


wird es zu einer positiven Entwicklung im Zusammenle-
ben zwischen Deutschen und Ausländern kommen. Der
Grundsatz, den der Minister hier eingefordert hat, näm-
lich „Fördern und Fordern“, findet sich in unserem Ge-
setzentwurf exakt wieder, und deshalb bitte ich um Zu-
stimmung.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709615100

Das Wort hat die Kollegin Aydan Özoğuz von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1709615200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Friedrich, ich schließe mich natürlich den guten
Wünschen meiner Fraktion an. Ich denke, wir werden
hier durchaus noch einiges auszudiskutieren haben; über
gewisse Dinge, die Sie gleich am Anfang Ihrer Amtszeit
gesagt haben, möchte ich noch sprechen, aber an anderer
Stelle.

Lieber Herr Grindel, ich sage es vorweg: Ich werde
Sie auch in Zukunft nie darüber befragen, was Ihre Frau
abends zu den Dingen sagt, die Sie hier am Tag von sich
geben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. HansPeter Uhl [CDU/CSU]: Er hat die Antwort gewusst! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nie sollst du ihn befragen!)


Ich sage das nur mal; ich kenne Sie schließlich ein biss-
chen. Wir sollten es dabei belassen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Meine Frau können Sie alles fragen! Die findet echt gut, was ich hier mache!)


– Ich habe es ja freundlich gesagt.

Es steht am Ende fest, dass hier ein Gesetz unnötig
durchgepeitscht wird; das haben alle Sachverständigen
am Montag gesagt.

Ich habe mich gewundert, wie geduldig diese Sach-
verständigen eigentlich waren, zumal die CDU/CSU-
Fraktion in der letzten Stunde nur noch mit einer Person
in dieser Anhörung vertreten war.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die Anhörung interessiert die überhaupt nicht!)


Sie haben den Sachverstand überhaupt nicht gewürdigt.
Sie haben in der letzten Woche viele Punkte nachge-
reicht, und diese Punkte sollten die Sachverständigen
mit behandeln. Sie haben selber gesagt, dass das gar
nicht möglich war. Daher hätte etwas mehr Respekt vor
dem, was uns Sachverständige liefern, gezeigt, dass Sie
es mit diesem Gesetz ernst meinen. Dass Sie es nicht
ernst meinen, zeigt, dass Sie es heute in aller Eile durch-
peitschen müssen. Auch heute gibt es auf die Frage, wa-
rum darüber nicht vernünftig gesprochen wird, nicht
eine inhaltliche Antwort.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zur Sache!)


Kurz gesagt: Dass es gut ist, dass das Rückkehrrecht
eingeführt wird, wurde erwähnt. Es sollte aber unabhän-
gig davon gestaltet werden, wie alt die Betroffenen sind.
An dieser Stelle noch der kurze Hinweis: Es ist auch
egal, ob sie volljährig sind, wenn sie nach Deutschland
eingereist sind. Das wurde hier noch nicht explizit ge-
sagt, und daher möchte ich es hier erwähnen. Es ist doch
vollkommen unabhängig davon. Denn selbst wenn sie
nach Ihren Kriterien integriert wären, wäre das kein Hin-
dernis. Insofern könnten Sie sich hinsichtlich dieses
Punktes wirklich ein wenig bewegen.

Dass der eigene Straftatbestand „Zwangsheirat“ Sym-
bolpolitik ist, wurde hier schon mehrfach gesagt, und
zwar zu Recht. Sie tun immer so – auch Herr Friedrich
hat das heute getan –, als wäre das vorher überhaupt kein
Thema gewesen. Sie wissen: Es war schon ein Straftat-
bestand.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Unterfall der Nötigung! Was ist das für eine Signalwirkung?)


Jetzt haben Sie symbolisch einen eigenen Straftatbestand
eingeführt und meinen, damit etwas verhindern zu kön-
nen. Kein Sachverständiger – auch keiner von Ihren –
hat diese Prognose bestätigt. Es bleibt also erst einmal
abzuwarten.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Doch, sie haben es bestätigt!)


– Nein, das haben sie nicht bestätigt. Da waren wir wohl
in verschiedenen Anhörungen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es ja nicht nachprüfen, weil das Protokoll noch nicht vorliegt!)


Sie haben eben gesagt, dass Sie mit sehr vielen NGOs
gesprochen haben. Ich frage mich wirklich, mit welchen.
Gerade weil Sie das Christliche hier immer wieder wie-
derholen: Die Prälaten der EKD und des Kommissariats
der deutschen Bischöfe haben am 11. März 2011 an uns
alle geschrieben. Sie haben gesagt, dass die Annahme





Aydan Özoðuz


(A) (C)



(D)(B)


Aydan Özoğuz
vollkommen haltlos ist, dass man mit der Erhöhung der
Mindestehebestandszeit von zwei auf drei Jahre etwas
verhindern kann. Es bringe die Frauen in eine schlechte
Lage, hieß es, und man solle das auf gar keinen Fall ma-
chen.

Es haben uns sehr viele Organisationen geschrieben.
Wir haben mit ihnen darüber gesprochen. Man fragt
sich: Mit wem haben Sie gesprochen? Vielleicht haben
Sie ja mit welchen gesprochen, aber das, was sie gesagt
haben, haben Sie in dieses Gesetz dann aber nicht einge-
arbeitet. Das kann man festhalten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Anhörung wurde auch gesagt, dass man doch
auch einmal mit der Gruppe der potenziell Betroffenen
oder mit denjenigen sprechen sollte, die mit diesen di-
rekt zusammenarbeiten. Es gibt beispielsweise ein Ak-
tionsbündnis muslimischer Frauen, das sich gegründet
hat und sogar vom Bundesministerium gefördert wird.
Sie haben nie mit ihnen gesprochen, wie ich erfahren
habe. Auch die haben noch einmal gesagt: Diese Frauen
haben Angst, sich zu melden; sie haben Angst vor Ab-
schiebung. Es wird eher so sein, dass sie noch ein drittes
Jahr in diesem Gefängnis der Ehe bleiben, als dass ihnen
mit dieser Regelung wirklich geholfen wird. – Was Sie
da machen, geht also einfach nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zahlenspielerei und Ihren Hinweis auf Visastel-
len finde ich schon besonders bemerkenswert.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die sind ja wohl am nächsten dran! Wer denn sonst?)


Die Bundesregierung sagt ja selber, belastbare Zahlen
könne man nicht nennen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist bei Scheinehen ja auch nicht überraschend!)


Was macht dann der Abgeordnete Grindel? Er fährt in
die Visastelle und fragt: Was habt ihr denn für Zahlen?
Die antworten: Wir verdächtigen soundso viele. – Das
sind dann für Sie all die Scheinehen. Das kann doch nun
nicht wirklich irgendeine belastbare Größe für unser Ar-
beiten hier im Bundestag sein. Das halte ich für absurd.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal mit denen! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es aber!)


Letzter Punkt. Die Integrationskurse.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Da haben wir Gutes geschafft!)


Sie haben eben noch einmal von Anreizen gesprochen.
Das Wort „Anreiz“ ist ja gefallen. Wenn man den Leuten
dann, wenn sie den Deutschtest bestehen, die Aufent-
haltserlaubnis gibt – übrigens nur für bis zu einem Jahr;
Sie sagen ja: „bis zu einem Jahr“; es ist einmal festzuhal-
ten, dass Sie nicht „ein Jahr“ sagen –, dann schafft das
Ihrer Meinung nach einen Anreiz. Was Sie damit in
Wirklichkeit erreichen, ist doch Folgendes: Diejenigen,
die mit guter Bildung hierherkommen und eine gute Vo-
raussetzung haben, eine fremde und zudem schwere
Sprache wie Deutsch schnell zu lernen, sollen schnell
raus aus dieser Sache sein, eine solche Aufenthaltser-
laubnis längerfristig haben und hier gut bleiben und ar-
beiten können. Die anderen werden an einem Gängel-
band gehalten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709615300

Frau Özoğuz.


Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1709615400

Ich bin sofort beim letzten Satz. – Damit schaffen Sie

so etwas wie eine zweite Kettenduldung.


(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Quatsch!)


Es wird also immer scheibchenweise etwas dazugege-
ben. Sie verhindern, dass diejenigen arbeiten können;
denn niemand gibt ihnen Arbeit, wenn sie keine ordentli-
che Aufenthaltsperspektive haben. Sie verhindern, dass
sie wirklich Anreize haben, sich hier viel besser zu inte-
grieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709615500

Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.


Aydan Özoğuz (SPD):
Rede ID: ID1709615600

Das wird für die gesamte deutsche Gesellschaft in

meinen Augen kein Vorteil sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709615700

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Serkan Tören von der FDP-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1709615800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Aydan, ich war am Montag auch in der Anhörung. Dort
haben uns die Sachverständigen ganz eindeutig gesagt,
dass ein eigener Straftatbestand „Zwangsehe“ eine Si-
gnalwirkung hat und ganz klar zeigt, dass unsere Gesell-
schaft mit so etwas nicht klarkommt und dass wir das
auch strikt unterbinden wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass wir ein Problem mit Scheinehen haben, zeigt ja
auch der Beispielsfall eines ehemaligen SPD-Abgeord-
neten aus Hamburg. Ich glaube, dass das durchaus vor-
handen ist; darüber brauchen wir uns hier auch nicht zu
streiten.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Glaube!)






Serkan Tören


(A) (C)



(D)(B)

Sprachkenntnisse sind und bleiben die Voraussetzung
für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland.
Dieses Kriterium gilt übrigens für alle Einwanderungs-
länder. Ob Neuseeland oder Kanada: Für eine Permanent
Residence, also eine Niederlassungserlaubnis, werden
mindestens grundlegende Sprach- und Landeskenntnisse
gefordert.

Ich halte diese Voraussetzung für sachlich völlig rich-
tig. Es ist unerträglich, wie insbesondere die Kollegen
der Linken immer wieder versuchen, dieses Kriterium
als Schikane gegenüber Zuwanderern darzustellen.


(Zuruf von der LINKEN): Das ist es doch

auch!)

Deutsche Sprachkenntnisse sind die Voraussetzung
für Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft.
Diejenigen, die das leugnen, handeln verantwortungslos.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn wir Zuwanderer verpflichten, Deutsch zu lernen,
und kostenintensive Angebote schaffen, dann müssen
wir auch klare Erwartungen und Ziele definieren und vor
allem auch deren Einhaltung überprüfen, mit allen Kon-
sequenzen, und zwar zeitnah. Es soll künftig nach einem
Jahr erfolgen. Ich halte das nicht nur für die Motivation
der Zuwanderer für wichtig, sondern auch – das sage ich
in aller Deutlichkeit – für die Arbeit der Ausländerbe-
hörden vor Ort.

Die meisten Zuwanderer nehmen die Kurse ernst und
wollen unsere Sprache zügig lernen.


(Aydan Özoğuz [SPD]: Na eben!)


Für alle anderen gibt es nun klare Anreize.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Bleiberecht für
Minderjährige war längst überfällig. Jetzt werfen uns
aber einige Propheten und Hobbystatistiker vor, das vor-
liegende Gesetz sei kein echter Fortschritt;


(Rüdiger Veit [SPD]: Das stimmt ja auch!)


denn letztlich würden nur sehr wenige Jugendliche da-
von profitieren, weil wir den erfolgreichen Schulbesuch
voraussetzen, das aber nicht bis auf die letzte Schul- und
Kopfnote definieren.

Die Welt ist jenseits von Zeugnissen und Urkunden
komplizierter, als es Ihre Fantasie vielleicht zulässt. Das
gilt insbesondere für junge Menschen mit einem unsi-
cheren Aufenthaltsstatus. Genau deshalb legen wir das
Kriterium „erfolgreich“ auch nicht bis ins letzte Detail
fest. Die Behörden vor Ort brauchen den Spielraum, um
den Realitäten dieser Schüler Rechnung zu tragen. Da
mag es Krankheit, Traumata oder eine unzureichende
Förderung geben. Vielleicht musste der Jugendliche in
seiner Schulkarriere eine Klasse wiederholen. Das alles
kann und sollte vor Ort und im Einzelfall berücksichtigt
werden.

Uns zu unterstellen, wir wollten den Kreis der be-
günstigten jungen Menschen absichtlich besonders klein
halten, ist nicht nur falsch,

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unabsichtlich wäre auch schlimm! – Rüdiger Veit [SPD]: Dann sollten Sie es anders hineinschreiben! Das ist ganz einfach!)


es ist auch den vielen Tausend Jugendlichen und ihrer
berechtigten Hoffnung gegenüber unwürdig.

Mit diesen Regelungen sagen wir nicht: Seht zu, wo
ihr bleibt und wie ihr zurechtkommt! – Nein, insbeson-
dere wir Liberale sagen: Bemüht euch, so gut ihr könnt,
und nehmt eure Chancen wahr! Dann habt ihr eine si-
chere und gute Zukunft in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist keine Sanktion. Es ist ein Anreiz, eine Einla-
dung und ein großartiges Versprechen.

In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709615900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämp-
fung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Op-
fer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer
aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften.

Zuvor will ich noch mitteilen, dass eine Erklärung
nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt, die wir zu Pro-
tokoll nehmen.1)

Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/4401
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
der SPD für ein erweitertes Rückkehrrecht im Aufent-
haltsgesetz. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/5093, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/4197 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-

1) Anlage 10





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)

tionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Ent-
haltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
der SPD zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der In-
nenausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Ge-
setzentwurf der SPD auf Drucksache 17/207
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Enthaltung der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt. Wiederum entfällt die weitere Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der Innen-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/5093, den Gesetzentwurf
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1557 abzuleh-
nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Auch hier
entfällt die weitere Beratung.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2325 mit dem Ti-
tel „Menschenrecht auf Freizügigkeit ungeteilt verwirk-
lichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe f empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/4681 mit dem Titel „Für ein wirksames Rück-
kehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer von
Zwangsverheiratungen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Innenausschuss unter
Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/1571 mit dem Titel „Für eine wirksame
und stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsrege-
lung im Aufenthaltsgesetz“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der
SPD-Fraktion angenommen.
Unter Buchstabe h empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/2491 mit dem Titel „Opfer von
Zwangsverheiratungen wirksam schützen durch bundes-
gesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen sowie Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-
men.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be i seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 17/3065 mit dem Titel „Residenzpflicht abschaffen –
Für weitestgehende Freizügigkeit von Asylbewerbern
und Geduldeten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch
diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
SPD-Fraktion angenommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Für eine gerechte Angleichung der Renten in
Ostdeutschland

– Drucksache 17/4192 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Roland Claus von der Frak-
tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709616000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Linke fordert in der Tat gleiche Renten für
gleiche Lebensleistungen in Ost und West. Ich stelle erst
einmal erstaunt fest, dass der neue Bundesinnenminister,
der bis eben hier auf der Regierungsbank saß, die sein
neuer Arbeitsplatz ist, inzwischen den Plenarsaal verlas-
sen hat. Ich weiß, dass der Bundesinnenminister für den
Osten zuständig ist. Vielleicht muss ihm jemand erklä-
ren, dass es sinnvoller wäre, hier zu bleiben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich weiß, dass derjenige, der die Begriffe Ost und
West in den Mund nimmt, zuweilen als Ewiggestriger





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)

angesehen wird. Aber zweigeteiltes Rentenrecht ist noch
immer Realität in dieser Republik und nicht irgendein
Phantomschmerz der Linken.

Ich will Ihnen von der jungen Frau Tina H. aus
Naumburg an der Saale erzählen. Tina H. wurde am
16. November 1989 geboren, eine Woche nach dem
Mauerfall. Im September 2006 begann sie ihre Berufs-
ausbildung, und ab diesem Datum erwarb sie Rentenan-
sprüche. Das war der Tag, an dem ihr gesagt wurde: Mit
deinem Eintritt in das Berufsleben musst du Rentenab-
schläge Ost in Kauf nehmen. Du bist uns 11 Prozent we-
niger wert. Du kriegst weniger.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr verkürzt dargestellt! – Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Sehr verkürzt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Natürlich ist das verkürzt, aber Fakt ist doch auch: Das
ist 21 Jahre nach der deutschen Einheit so etwas von ab-
surd, dass Sie von der Koalition nicht dazwischenrufen,
sondern sich einfach nur schämen sollten. Das muss Ih-
nen einmal so gesagt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie selbst den Nachwendegeborenen gleiches
Recht verweigern, dann ist das ein Anachronismus, den
wir überwinden wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich darf Sie erinnern: In Ihrem eigenen Koalitionsver-
trag steht auf Seite 84 der Satz:

Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitli-
ches Rentensystem in Ost und West ein.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lassen wir uns überraschen!)


Nichts ist bisher geschehen. Aber auf die Frau Bundes-
kanzlerin – das weiß ich wohl – haben im Osten viele
Menschen vertraut. Sie hatten die Erwartungshaltung:
Sie weiß doch, was bei uns los ist. Sie muss sich doch
für uns einsetzen. – Alles bisher Fehlanzeige. Sie ist da-
mit verantwortlich für sehr viel Enttäuschung und Frust
in den neuen Bundesländern.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie hat sehr viele Arbeitsplätze geschaffen, die Sie vernichtet haben und weiterhin vernichten werden!)


Ich will Sie auch daran erinnern, dass es Bundeskanz-
lerin Merkel war, die am 9. Deutschen Seniorentag teil-
nahm, der im Juni 2009, drei Monate vor der Bundes-
tagswahl, stattfand. Dort hat sie eine Lösung für die
Angleichung der Ostrenten noch in der ersten Hälfte der
Legislaturperiode versprochen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie noch Zeit!)

Nichts ist bisher geschehen. Deshalb erwarte ich, dass
von der Kanzlerinnenpartei, der CDU, in dieser Debatte
hier jetzt Klarheit geschaffen wird.


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schön wäre es!)


Die Linke hat diese Problematik bekanntlich von An-
fang an benannt –


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Purer Populismus!)


mir ist es seit Volkskammerzeiten 1990 bekannt – und
bringt nun einen Vorschlag ein, der von mehreren Ge-
werkschaften und Sozialverbänden ausgearbeitet wurde,
in dem gewissermaßen schon ein Kompromiss steckt.
Zugleich wird damit aber auch klar, dass in diesem
Bündnis ein Weg gefunden wurde, der gangbar ist. Wir
wissen, er ist nicht einfach, aber wir wollen diesen Weg
gehen und das Problem im Zeitraum 2012 bis 2016 ge-
löst wissen.

Der Lösungsweg wird in unserem Antrag beschrie-
ben: Es muss eine deutliche Verbesserung der Lage der
Ostrentner von heute geben, die Hochwertung der Ost-
löhne soll weiter bleiben, und es soll eine steuerfinan-
zierte, stufenweise Zuschlagsregelung für die Jahre 2012
bis 2016 geben. Dagegen erheben sich zuweilen Ein-
wände; die Argumente sind aber hinlänglich ausge-
tauscht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber nicht ausgeräumt!)


Wir dürfen hierbei nicht außer Acht lassen, dass im
Osten im Moment sehr viele auf ein Leben in Altersar-
mut hinarbeiten. Vergessen wir nicht: Nur 50 Prozent der
Beschäftigten haben überhaupt einen Arbeitsvertrag mit
Tarifbindung. Wir haben einen Lohn- und Einkommens-
abstand zwischen Ost und West von inzwischen etwa
800 Euro monatlich. Wir haben im Osten im Vergleich
zur gesamten Bundesrepublik einen doppelt so hohen
Teilzeit- und Leiharbeitsanteil. Das alles führt dazu, dass
Rentenansprüche künftig so gering sind, dass Altersar-
mut entsteht. Das ist ein Zustand in dieser Republik, den
wir einfach nicht hinnehmen und nicht dulden wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe schon im Vorfeld gehört, unsere Forderun-
gen seien billiger Wahlkampf. Dazu sage ich Ihnen nur
eines: Billig ist das wirklich nicht, was wir hier vorschla-
gen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Wenn Wahlkampf heißt, den Leuten vor der Wahl die
Wahrheit zu sagen und die Lügen der Regierung Lügen
zu nennen, dann können Sie das auch Wahlkampf nen-
nen.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709616100

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1709616200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Ziel ist klar – wir sind uns an dieser Stelle
auch einig –: eine gerechte Angleichung der Renten in
Ostdeutschland.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das ist seit 15 Jahren überfällig!)


Sie haben die entsprechende Passage aus unserer Koali-
tionsvereinbarung zitiert. Wir sind auf dem Weg dahin,
dieses Ziel zu erreichen. Es geht uns darum, dass eine
Gleichbehandlung von Ost und West stattfindet, das
heißt, dass es zu einem einheitlichen Rentenwert in Ost
und West kommt.

Gleichwohl sage ich aus ostdeutscher Perspektive, die
ich repräsentiere: Angleichung heißt nicht automatisch,
dass ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner mehr Geld
bekämen. Der Sachverständigenrat kam zu verschiede-
nen Ergebnissen und stellte unter anderem fest, dass die
jetzigen Rentner aus den neuen Bundesländern nicht au-
tomatisch mehr Rente bekämen, da ein höherer Renten-
wert durch weniger Entgeltpunkte – ich weiß, da sind
wir anderer Meinung als Sie – ausgeglichen werden
müsste. Es ist nur recht und billig, dass Sie das den Bür-
gerinnen und Bürgern ebenfalls sagen.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Aber so eine Lösung wollen wir nicht! Das ist gegen bestehendes Recht! Das ist doch Quatsch!)


Die unterschiedliche Bewertung der Löhne in Ost und
West weiterhin festzuschreiben, wie Sie es fordern,
würde meiner Meinung nach gerade nicht zu einer
Gleichbehandlung führen, um die es uns – Stichwort:
Gerechtigkeit – doch eigentlich gehen sollte. Die An-
gleichung – so sehen wir das; ich weiß nicht, was Sie
sich vorstellen – führte dazu, dass diejenigen, die jetzt in
Frankfurt an der Oder Anwartschaften erarbeiten, eben
nicht oder nur nach einem längeren Arbeitszeitraum
Renten in der gleichen Höhe bekommen wie diejenigen,
die in Frankfurt am Main Anwartschaften erarbeiten.
Das ist ebenfalls ungerecht.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt hat er es endlich einmal gesagt, was er sich vorstellt!)


Wenn Sie, liebe Kollegen von der Linken, den Ein-
druck erwecken, dass es möglich sei, nur die Entgelt-
punkte bzw. Rentenpunkte anzugleichen, ohne dabei die
Höherwertung der Einkommen anzutasten, schüren Sie
eine Illusion – unter anderem eine finanzielle –, sowohl
bezogen auf den Einzelbürger als auch auf die Kassen.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Warum muss man das anpassen? Können Sie das einmal erklären?)

Letztlich belügen Sie ein Stück weit Ihre Wähler, weil
das so nicht machbar ist. Das Ganze ist illusorisch, nicht
nur im Hinblick auf das Finanzvolumen. Wenn man an
einem Mobile auf der einen Seite etwas kappt,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hängt dann schief!)


dann kann man nicht davon ausgehen, dass es auf der an-
deren Seite keinen Ausschlag gibt; schließlich wird die
Balance nicht gewahrt. Wir haben es nicht mehr nur mit
den Unterschieden zwischen Ost und West zu tun; inzwi-
schen gibt es in Deutschland auch andere Unterschiede.
Sich nur darauf zu berufen, dass die Spaltung zwischen
Ost und West noch da ist – sie ist tatsächlich noch da –,
ist nicht legitim; das ist nämlich nicht das Einzige, was
man in die Waagschale werfen muss. Sie wollen Unge-
rechtigkeit verhindern. Darin sind wir mit Ihnen einig.
Folgte man Ihren Vorschlägen, bliebe aber die Unge-
rechtigkeit aufseiten der alten Bundesländer bestehen.

Das Problem ist: Die differenzierte Entgeltberech-
nung im Osten geschah in der Hoffnung, dass es zu einer
Lohnsteigerung kommt, die bis heute aufgrund einiger
Behinderungen in der gewünschten Schnelligkeit nicht
eingetreten ist. Aufgrund bestimmter Faktoren ist es also
nicht schnell genug geschafft worden, das Ziel der Ren-
tenangleichung zu erreichen. Im Ziel als solchem sind
wir mit Ihnen aber einig.

Was die Problembeschreibung angeht, liegen wir nah
beieinander. Sie werfen uns vor, seit 20 Jahren nichts ge-
tan zu haben. Dabei stellen Sie eine Verbindung zum
Thema Altersarmut her; das haben Sie hier ebenfalls ein-
gebracht. Wir haben aber darüber geredet. Die Kommis-
sion für die Entwicklung von Konzepten gegen Altersar-
mut macht sich an die Arbeit. Auch wenn dieses Thema
erst in einer Weile auf uns zukommt, gehen wir es also
jetzt schon an. Zu sagen, nichts sei geschehen, ist ein-
fach ein bisschen lapidar.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Lassen Sie ihn weiterreden, Herr Präsident! Das ist so klasse!)


Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner unter-
halten. Ich habe mit Kollegen aus der SPD-Fraktion ge-
sprochen. Wir haben mit Verdi Gespräche über das von
Ihnen als Maßstab bezeichnete Verdi-Modell geführt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist vernünftig!)


Wir haben mit Bürgern verschiedenster Zugehörigkeit
Gespräche geführt, mit Bürgern aus dem Osten wie aus
dem Westen, mit Bestandsrentnern sowie mit zukünfti-
gen Rentnern. Wir haben festgestellt: Viele in den neuen
Bundesländern sind ungehalten. Das liegt aber auch da-
ran, dass Sie diese Haltung ein Stück weit schüren.
Wenn wir uns aber einzig und allein darum kümmern,
führt das dazu, dass Bürger aus dem Westen genauso un-
gehalten reagieren. Ich möchte aus einer Bürgerzuschrift
zitieren: Das Baumaterial für die Brücke der Renten-
überleitung nach 1990 war Geld, viel Geld. Dieses Geld
kam ausschließlich aus dem Westen. Der Osten war
pleite, wie ein Staat nur pleite sein kann. – Da wird auf
das gleiche Pferd gesetzt und nicht verstanden, warum





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

wir noch einmal nur die eine Seite betonen wollen. Auch
aus dieser Perspektive müssen wir als Bundespolitiker
denken.

Im Ziel sind wir uns relativ einig. Bei der Bewertung
sind wir uns nicht ganz einig. Über den Lösungsweg
sind wir uns überhaupt nicht einig. Wir wollen gerne
sorgfältig arbeiten und dann einen Vorschlag präsentie-
ren.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr wollt! Aber „wollen“ reicht nicht!)


Heute Morgen gab es eine Pressemitteilung der
Volkssolidarität, in der Professor Dr. Gunnar Winkler
mit den Worten wiedergegeben wird:

Bis heute liegt dem Bundestag lediglich ein Antrag
der Fraktion DIE LINKE vor, während sich alle an-
deren bislang zurückhalten.

Das ist nicht wahr. Wir arbeiten. Wir wollen aber erst
dann etwas vorlegen, wenn es wirklich eine gute Diskus-
sionsgrundlage darstellt.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ihr wollt seit Jahren! Aber es passiert nichts!)


Jemand sagte mir gestern: Gutes Rechnen und Gründ-
lichkeit geht vor Schnelligkeit.


(Zurufe von der LINKEN)


– Nein, wir wollen nicht verzögern. Wir wollen aber, wie
es immer wieder angekündigt wird, zur Mitte der Legis-
latur dieses Ding sauber vorstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wollen, wollen, wollen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da haben Sie nicht mehr viel Zeit!)


In der heutigen Pressemitteilung der Volkssolidarität
heißt es außerdem:

Wir wissen um die Schwierigkeiten einer gerechten
Lösung, …

Von Vertrösten oder davon, die Umsetzung durch Untä-
tigkeit zu übergehen, kann keine Rede sein. Die Schwie-
rigkeit besteht darin, eine wirkliche Gleichbehandlung
umzusetzen.

Unser Ziel ist weiterhin – wie in der Koalitionsverein-
barung geschrieben – eine weitgehende Angleichung der
Lebensverhältnisse in Ost und West bis zum Jahr 2019.
Wir suchen nach Möglichkeiten, die auf der einen Seite
einen Weg bieten, die Bestandsrenten nicht zu mindern,
und die auf der anderen Seite die Anwartschaften, die
jetzt erarbeitet werden, nicht von vornherein verschlech-
tern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das wirkt für viele wie die Quadratur des Kreises. Das
ist aber unsere Aufgabe, die wir uns vorgenommen ha-
ben und der wir uns stellen.

Im Ziel sind wir uns einig, aber nicht im Weg. Die
Übertragung des Rentensystems – das habe ich auch aus
Ihren Mündern gehört – war eine große Leistung, auch
wenn noch etwas Arbeit dabei bleibt. Die Löhne sind
nach 1990 enorm gestiegen. Daran konnten auch Rent-
nerinnen und Rentner teilhaben. Das war nicht selbstver-
ständlich. Auch da ist noch etwas nachzulegen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Im Durchschnitt fehlen 140 Euro im Monat!)


Genau an dieser Stelle gilt es, anzusetzen. Das haben Sie
auch in Ihrem Antrag angesprochen. Dies geht zum ei-
nen durch Angleichung und zum anderen durch Maß-
nahmen auf dem Arbeitsmarkt.

Sie wissen aus unseren Stellungnahmen im Sozialaus-
schuss, dass es uns besonders wichtig ist, das Sozialsys-
tem über Arbeit stabiler zu machen und damit auch die
Renten für die Menschen in Ostdeutschland zu stützen.
Diesen Weg gilt es weiterzugehen. Über die Richtung
sind wir uns einig, über den Weg leider noch nicht.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709616300

Das Wort hat die Kollegin Silvia Schmidt von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1709616400

Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 20 Jahre nach der Wiedervereinigung kann
man es den Rentnerinnen und Rentnern in den neuen
Bundesländern wirklich nicht mehr zumuten, dass im-
mer noch unterschiedliche Rentenberechnungssysteme
existieren. Das ist so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Lieber Roland Claus, auf der einen Seite reden wir
von Ungerechtigkeiten. Auf der anderen Seite sagen Sie
aber: Die Höherwertung im Osten soll bleiben. Dann
würden neue Ungerechtigkeiten entstehen, zusätzlich zu
denen, die zurzeit schon stattfinden. Die Leute in den
neuen Bundesländern, die 100 Prozent Tarif bekommen,
erhalten natürlich später deutlich mehr Rente als jemand,
der in Frankfurt am Main arbeitet.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Die Berechnung folgt dem Ziel, nicht umgekehrt! – Weiterer Zuruf der Abg. Dr. Martina Bunge [DIE LINKE])


Das ist so, und das können wir auch nicht wegdenken.
Lassen wir es einmal dabei.

Ich glaube auch nicht, dass sich die Deutschen schä-
men müssen. Gerade die Rentenleistung – das haben die
Väter der Einheit durchaus so gewollt – war ein großer
Solidaritätsakt. Diesen muss man einfach anerkennen.
Wer das nicht macht, verkennt die Lage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Silvia Schmidt (Eisleben)



(A) (C)



(D)(B)

Wir brauchen – ich habe es schon in meiner letzten
Rede deutlich gemacht – endlich ein einheitliches Ren-
tenrecht, um Ost und West in unserer Gesellschaft zu-
sammenzuführen.

Sehr verehrter Herr Heinrich, Sie haben das Modell
des Sachverständigenrates angesprochen. Dieses be-
inhaltet im Grunde genommen eine rein technische Lö-
sung. Im Klartext verlangt es von den Rentnern und
Rentnerinnen in den neuen Bundesländern, dass sie auf
die höhere Bewertung ihrer Verdienste um die fehlenden
ungefähr 11 Prozent verzichten. Das halte ich für unge-
recht. Hier müssen wir zügig nach neuen Lösungsmög-
lichkeiten suchen. Dabei werden auch Sie sicher mitma-
chen.


(Beifall bei der SPD)


Wir können allerdings sehr schnell dafür sorgen – das
habe ich bereits beim letzten Mal angesprochen; das fin-
det sich auch im Positionspapier der SPD-Landesgruppe
Ost –, dass zum Beispiel die Kindererziehungszeiten und
die Wehrpflichtszeiten in Ost und West einen einheitli-
chen Rentenwert erhalten. Auf beiden Seiten haben Müt-
ter Kinder erzogen – ich glaube, da gibt es wirklich
keine Unterschiede –, und ebenso gab es auf beiden Sei-
ten die Wehrpflicht; diese anderthalb Jahre müssen in
gleicher Weise angerechnet werden. Hier können wir
schnell handeln. Es gibt keinen sachlichen Grund, da
eine Trennung vorzunehmen.


(Beifall bei der SPD)


Wir können an diesen Beispielen sehr deutlich machen,
dass die Lebensphasen in Ost und West gleich viel wert
sind. Die Angleichung der Kindererziehungszeiten würde
im Schnitt pro Person 240 Euro im Jahr mehr kosten. Ich
denke, das kann sich eine Solidargemeinschaft durchaus
leisten.

Die Rentensystemangleichung, das heißt die Anglei-
chung der Rentenwerte auf der Basis von Entgeltpunk-
ten, sowie die Höherwertung niedriger ostdeutscher Ein-
kommen stellen eine sehr schwierige Aufgabe dar.
Darüber müssen wir – da sind wir alle uns im Deutschen
Bundestag wohl einig – noch heftig diskutieren, um eine
gerechte Lösung zu finden.

Den Vorschlag von Verdi finde ich persönlich sehr
gut. Er ist auf zehn Jahre angelegt. In Ihrem Vorschlag
hingegen, lieber Roland Claus, wird von fünf Jahren aus-
gegangen. Das ist etwas zu kurz gesprungen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bestandsrentner sollen das auch noch bekommen können!)


Wenn wir die Lebensarbeitszeit der Rentner und Rentne-
rinnen im Bestand ansehen und in diesem Zusammen-
hang von Redlichkeit sprechen, dann müssen wir uns
auch die Frage stellen, ob es redlich ist, davon auszuge-
hen, dass diese Aufgabe innerhalb von fünf Jahren ge-
stemmt werden kann. Das schafft keiner; da sollten wir
ganz ehrlich sein. Der Haushalt gibt das im Moment
nicht her. Das sollten wir unbedingt zur Kenntnis neh-
men.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei den Banken geht es, bei den Rentnern nicht!)


Wir haben neue Vorschläge vorgelegt, auf die ich
ganz kurz eingehen möchte. Ich hatte bereits in meiner
letzten Rede angesprochen, dass wir vorschlagen, für
bestimmte Personengruppen – bei einigen stimmen wir
natürlich nicht überein –, zum Beispiel mithelfende Fa-
milienmitglieder, Balletttänzerinnen und -tänzer oder
Krankenschwestern, einen Solidarfonds aufzulegen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war die Rentenüberleitung, Frau Kollegin! Jetzt geht es um Rentenangleichung!)


Denn es kann doch Frauen und Männern, die 35 oder
40 Jahre gearbeitet haben, nicht zugemutet werden, spä-
ter zum Amt gehen und Grundsicherung beantragen zu
müssen. Wir erwarten, dass man hier noch einmal tief in
die Tasche greift und 500 Millionen Euro in diesen
Fonds steckt, um diesen Frauen und Männern entgegen-
zukommen.

Ich will noch einen anderen wichtigen Bereich an-
sprechen. Im Grunde genommen brauchen wir entweder
eine Mindestrente, wie sie bis 1991 bestanden hat und
auch noch fortgeführt wird – allerdings nicht mehr in
dem Maße –, oder eine Sockelrente, damit Altersarmut
in Zukunft gar nicht mehr entstehen kann.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Da geht es um Rentenreform! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist noch eine andere Baustelle!)


Das wird ein Problem für die Kommunen sein. Das müs-
sen wir erneut angehen.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Alles ansprechen und nichts machen!)


Die SPD hat im Willy-Brandt-Haus beschlossen, ge-
meinsam mit der Kommission für Konzepte gegen Al-
tersarmut einen Lösungsweg zu suchen. Diesen werden
wir dann sicherlich mit Ihnen gemeinsam gehen können.


(Beifall bei der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
in den letzten Wochen und Monaten oft genug über das
Thema Rentenangleichung in Ost und West diskutiert
und wissen, dass es für uns alle kein leichtes Thema ist.
Wir wollen Gerechtigkeit walten lassen, und zwar, wenn
es geht, für alle. Ich bin deshalb froh, dass die Koalition
aus CDU/CSU und FDP zum Beispiel Verbesserungen
im Bereich des Opferentschädigungsgesetzes vorgenom-
men hat. Egal ob jemand in Frankfurt am Main oder in
Frankfurt an der Oder Opfer einer Gewalttat geworden
ist: Er bekommt von der Unfallversicherung die gleiche
Entschädigung.

Dieser Weg, den Sie da eingeschlagen haben, ist ein
richtiger Weg. Wir sollten diesen Weg gemeinsam wei-
tergehen. Die Rentnerinnen und Rentner müssen sich auf
die Politik verlassen können. Für sie ist es nicht nach-
vollziehbar, wenn Schwarz-Gelb so entscheidet und
dann Rot-Grün vielleicht anders entscheidet. Rentnerin-





Silvia Schmidt (Eisleben)



(A) (C)



(D)(B)

nen und Rentner brauchen Sicherheit. Das sind wir ihnen
schuldig.


(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht erst in zehn Jahren!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709616500

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1709616600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Claus, weil Ihre Aussagen seltsam anmuten, will
ich zunächst an Ihre Adresse Folgendes sagen: Die Un-
terschiede zwischen Ost und West in der Rente hatten
und haben wir nur, weil 1961 „angeblich“ niemand die
Absicht hatte, eine Mauer zu bauen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Auf der einen Seite dieser Mauer wurde in den fol-
genden vier Jahrzehnten eine Volkswirtschaft vor die
Wand gefahren. Sie können auch sagen: an die Mauer
gefahren. Auf der anderen Seite der Mauer ist ein Staat
mit stabilen sozialen Sicherungssystemen entstanden,


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das ist doch billig!)


der selbst die große Herausforderung der Überführung
der Altersanwartschaften aus der ehemaligen DDR in
das System des SGB VI gemeistert und geschultert hat.
Das ist eine riesige Leistung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Anton Schaaf [SPD] – Roland Claus [DIE LINKE]: Sie fahren bei der Landtagswahl vor die Wand!)


Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass sich
heute die politischen Erben derjenigen, die damals die
Mauer gebaut haben, hier hinstellen und sagen: Ihr er-
höht die Renten nicht schnell genug.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Geht es nicht eine Nummer kleiner?)


Herr Claus, so kann man es nicht machen. Das ist poli-
tisch nicht glaubwürdig. Sie fischen hier im Trüben.
Aber niemand, der das System ernsthaft beleuchtet, wird
Ihnen das abnehmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Wir wollen unverändert eine zügige und zeitnahe An-
gleichung des Rentenrechts in Ost und West. Das ist der
Punkt, auf den wir uns im Koalitionsvertrag mit den
Kollegen der Union verständigt haben. Herr Claus, eine
Legislaturperiode umfasst vier Jahre.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Sie haben es für die erste Hälfte versprochen!)


Wir haben erst eineinviertel Jahre dieser Legislaturpe-
riode hinter uns; wir wollen auch noch in den kommen-
den zweidreiviertel Jahren weiter an dem arbeiten, was
wir uns im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 vorge-
nommen haben. Wir wollen und werden ein einheitliches
Rentenrecht einführen.

Die FDP-Fraktion hat mit einem Antrag im Juni 2008
als erste Fraktion im Deutschen Bundestag deutlich ge-
macht, wie sie sich das vorstellt. Wir glauben nämlich,
dass es 20 Jahre nach der deutschen Einheit Zeit ist, ein
einheitliches Rentenrecht mit einheitlichen Rentenwer-
ten, mit einheitlichen Entgeltpunkten und mit einer ein-
heitlichen Beitragsbemessungsgrenze einzuführen. Bei
Wahrung aller Ansprüche, also bei Wahrung aller An-
wartschaften, die Rentner in den neuen Bundesländern,
aber auch Erwerbstätige mit Rentenanwartschaften er-
worben haben – mit einem Wort: bei Besitzstandswah-
rung –, soll ab einem Stichtag im ganzen Bundesgebiet
ein gleicher Beitrag einen gleichen Rentenanspruch er-
bringen. Ich denke, das ist eine klare und faire Lösung.
Das kann die Richtschnur für das sein, was wir tun wol-
len.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dem hat sich übrigens der Sachverständigenrat der
Bundesregierung in seinem Jahresgutachten 2008/09 an-
geschlossen. Ich zitiere von Seite 365 dieses Gutachtens:

Da sich der in den ersten Jahren nach der Vereini-
gung einsetzende Prozess einer Angleichung der in
Ostdeutschland gezahlten Löhne in den letzten Jah-
ren zunehmend verlangsamt hat, seit dem Jahr 2005
zum Stillstand gekommen zu sein scheint und einer
zunehmenden Heterogenität der regionalen Entloh-
nungsstrukturen in beiden Gebietsständen gewi-
chen ist, führt das in den neuen Ländern geltende
Rentenrecht zu verteilungspolitisch kaum zu ver-
mittelnden Effekten.

Auf Seite 376 des gleichen Gutachtens des Sachver-
ständigenrats heißt es:

Eine … Option besteht darin, eine besitzstandswah-
rende Umbasierung der rentenrechtlichen Größen
sowohl in den alten wie in den neuen Ländern zu ei-
nem bestimmten Stichtag … auf bundesweit ein-
heitliche Größen durchzuführen.

Das ist genau das, was die FDP zuvor schon vorgeschla-
gen hatte.

Einen Punkt, der für uns ganz wichtig war und den
wir auf Vorschlag der Kollegen aus den neuen Ländern
in unserer Fraktion aufgenommen haben, hat der Sach-
verständigenrat weggelassen: eine Abfindungsregelung
für Entgeltpunkte Ost, die zum Umstellungsstichtag
noch eine Anpassungserwartung haben. Wir wollen hier
ein Wahlrecht schaffen, was ich nach wie vor für eine
faire Lösung halte. Man soll sich für diese Anpassungs-
erwartung entweder mit einer Einmalzahlung abfinden
lassen oder die weitere Entwicklung des Entgeltpunktes
Ost abwarten können. Mit dieser Lösung werden die An-
wartschaften der Versicherten in den neuen Bundeslän-
dern fair berücksichtigt.





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)

Den Weg, den Sie, Herr Claus, vorschlagen, halte ich
allerdings für nicht gangbar. Sie haben gesagt, dass das
auch etwas kostet. Ja, es kostet etwas.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: 6 Milliarden!)


Sie haben die Zahlen nicht genannt. Das sind in der
Endausbaustufe, also nach fünf Jahren, erwartungsge-
mäß etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr, und zwar steuer-
finanziert.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was kostet denn das FDP-Modell?)


Wenigstens ist das Ganze nicht auch noch beitragsfinan-
ziert, denn dann wäre das Äquivalenzprinzip ganz offen-
sichtlich verletzt. Im Ergebnis hätte man nun unter-
schiedliche Rentenzahlungen für gleiche Beiträge, und
das ist etwas, was man nur schwer vermitteln kann.

Ich sage das auch vor dem Hintergrund – das ist
meine letzte Bemerkung in dieser Debatte – des Gutach-
tens des Bundesrechnungshofes, das den Kollegen im
Haushaltsausschuss im April 2010 zugeleitet wurde. Da-
rin ist sehr deutlich gesagt worden – ich zitiere aus dem
Bericht des Rechnungshofes an den Haushaltsausschuss –:

Es besteht die Gefahr, dass die Gruppe der Beschäf-
tigten, die auf Westniveau bezahlt werden, so groß
ist, dass die Regelungen über die Entgeltpunkte Ost
und über die Beitragsbemessungsgrenze Ost nicht
mehr mit dem ursprünglichen Zweck vereinbar
sind, dem Durchschnittsverdiener Ost einen gleich
hohen Rentenertrag wie einem Durchschnittsver-
diener im alten Bundesgebiet zu verschaffen.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist es! Das sagen die nur nicht!)


Herr Claus, dieses Problem, das der Bundesrech-
nungshof schon im letzten Jahr beschrieben hat, würden
Sie mit Ihrer stufenweise steuerfinanzierten Lösung
noch weiter verschärfen. Am Ende wäre das gar nicht
mehr darstellbar. Deswegen können wir Ihrem Vorschlag
nicht zustimmen. Nehmen Sie Vernunft an. Sehen Sie
sich das, was wir vorgeschlagen haben, einmal in Ruhe
an. Ich glaube, das ist ein fairer und gerechter Weg, auf
den man sich verständigen könnte. Aber Ihre Vorschläge
können unsere Zustimmung nicht finden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709616700

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob-
wohl ich nur vier Minuten Zeit habe, muss man den Zu-
schauerinnen und Zuschauern erst einmal ganz kurz er-
klären, worüber wir hier überhaupt reden.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das könnte eng werden!)


Entgeltpunkte, allgemeiner Rentenwert, Stufenmodell
etc.: Das ist alles unglaublich kompliziert.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das in vier Minuten!)


Vor 20 Jahren gab es eine Debatte darüber, wie man
die Ost-Mark in D-Mark umrechnet. Viele Ökonomen
haben davor gewarnt, das eins zu eins zu machen. Poli-
tisch war das aber nicht anders möglich. In der Rente ist
das aber nicht eins zu eins geschehen, sondern man hat
gesagt, dass man die Rente während einer Übergangszeit
für Ost und West unterschiedlich berechnet.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das hat mit der Währungsunion nichts zu tun!)


Dementsprechend wurde für die Rente eine D-Mark im
Osten anders angesetzt als im Westen.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Vollkommener Unsinn!)


Diese Übergangsfrist gilt immer noch. Deswegen finden
wir es sehr richtig, dass, wie im Koalitionsvertrag steht,
jetzt endlich ein einheitliches Rentenrecht in Ost und
West hergestellt werden soll.

Der Unterschied im Rentenrecht ist Folgender: Im
Laufe seines Lebens sammelt man Entgeltpunkte, und
diese Entgeltpunkte werden am Ende mit dem aktuellen
Rentenwert multipliziert. Bei den Entgeltpunkten zählt
ein im Osten verdienter Euro mehr für die Rente – im
letzten Jahr noch 19 Prozent mehr – als ein im Westen
verdienter.

Auf der anderen Seite ist der aktuelle Rentenwert im
Osten um zehn Prozent geringer. Im letzten Jahr betrug
er 24,13 Euro im Osten und 27,20 Euro im Westen. Das
führt also dazu, dass bei der Rente die Menschen im Os-
ten insgesamt quasi bevorzugt werden, denn 1 Euro im
Osten führt zu einer höheren Rente als 1 Euro im Wes-
ten. Wir halten das für ungerecht und möchten sowohl
diese Aufwertung als auch die unterschiedliche Behand-
lung bei der Rente mit unterschiedlichen Rentenwerten
abschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man muss allerdings an beides herangehen.

Das Problem ist: Der Satz im Koalitionsvertrag ist
toll, es gibt aber immer noch kein Konzept der Bundes-
regierung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir hatten im letzten Jahr auch ein bisschen was anders zu tun, Herr Strengmann-Kuhn! Zwei große, wichtige Gesetze haben uns gut beschäftigt! Es ist nicht so, dass wir die Hände in den Schoß gelegt hätten!)


– Stellen Sie eine Frage, Herr Kolb. – Richtige Vor-
schläge gibt es noch nicht. Es gibt ein paar Andeutun-
gen. Das, was Herr Heinrich gesagt hat, klang relativ
sympathisch. Das nähert sich sehr dem Konzept der Grü-





Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

nen an. Das Konzept der FDP liegt davon allerdings
noch weit weg. Von der Regierung haben wir bisher
noch gar nichts dazu gehört. Es gab Antworten auf An-
fragen, die lauteten: Es ist alles kompliziert und muss
gerecht sein. – Das ist richtig. Es ist kompliziert, und es
muss auch gerecht sein. Aber wir erwarten von der Re-
gierung endlich einmal Vorschläge.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Umgekehrt macht die Linke jetzt einen Vorschlag.
Den halten wir allerdings auch nicht für überzeugend.
Denn erstens wollen wir ein einheitliches Rentenrecht so
schnell wie möglich. Die Rentenversicherung braucht
ein bisschen Zeit, jedoch wäre eine Änderung zum Bei-
spiel zum 1. Juli nächsten Jahres möglich. Wir brauchen
nicht, wie die Linke das jetzt vorschlägt, ein Stufenmo-
dell bis 2016, das die Grenze zwischen Ost und West
noch weiter zementiert. Nach Ihrem Vorschlag gäbe es
auch nach 2016 noch immer kein einheitliches Renten-
recht. Sie wollen einfach nur den aktuellen Rentenwert
vereinheitlichen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das eine tun und das andere nicht lassen!)


Das ist immer noch keine Einheit. Sie wollen die Grenze
beibehalten.

Die Kollegin Schmidt sagte vorhin, das sei alles viel
zu schnell, was die Linke fordere. Sie wolle lieber noch
länger warten. Auch das ist nicht unsere Position.

Wir wollen möglichst bald, so schnell wie möglich
ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Also sozusagen die FDP-Position!)


Der zweite Punkt, den wir für unbefriedigend halten,
ist schon angesprochen worden. Nach dem Konzept der
Linken wird wieder einmal Geld ausgeschüttet, ohne zu
sagen, wo es denn herkommt. Herr Claus sagte selber, es
sei nicht ganz billig. Aber wo das Geld denn herkommen
soll, sagt er nicht.

Man sieht also: Die Regierung hat kein Konzept. Die
Linke hat ein Konzept, das falsch ist. Bei der SPD weiß
man nicht so genau, wie das Konzept aussieht. Es ist
also gut, dass es die Grünen gibt, die Konzeptpartei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden nächste Woche einen Antrag vorlegen, mit
dem wir unser Konzept zur Diskussion stellen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr seid doch immer dagegen!)


Dann können wir im Ausschuss noch einmal darüber re-
den. Wie gesagt, der Herr Heinrich war ja schon so weit,
dass er sich unserem Konzept sehr genähert hat. Viel-
leicht können wir ihm ein paar Ideen vermitteln. Ich
freue mich auf die weitere Debatte dazu.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709616800

Der Kollege Max Straubinger hat das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1709616900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin gespannt auf die Vorschläge von Herrn
Strengmann-Kuhn. In der Regel sind Sie immer dage-
gen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind dafür!)


Das wissen wir ja in diesem Haus. Von daher werden wir
die Beratungen abwarten.

Die Linken fordern heute wieder populistisch eine
Rentenangleichung, die eine gravierende Besserstellung
der Menschen im Osten im Rentensystem bedeuten
würde, nämlich die Angleichung des Rentenwertes auf
Westniveau bei gleichzeitiger Beibehaltung der Höher-
bewertung der Ostzahlungen.


(Roland Claus [DIE LINKE]: Populistisch sind eure Erklärungen!)


Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist sicherlich
nicht im Sinne eines von den Bürgerinnen und Bürgern
getragenen und auch verstandenen Rentensystems. Mit
Ihrem Antrag würde eine gewaltige Spaltung in
Deutschland vollzogen werden. Das lehnen wir natürlich
ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist genau das, was dahintersteckt!)


– Das ist das Interesse der Linken in unserem Lande.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch!)


Man muss auch darlegen, dass gerade die jetzigen
Rentnerinnen und Rentner und die zukünftigen Rentne-
rinnen und Rentner, die in Ostdeutschland leben, erst
durch die Wiedervereinigung eine wichtige und gute Al-
tersversorgung bekommen haben. Denn im bankrotten
System der DDR waren sie in der Vergangenheit auf die
Almosen angewiesen, die der Fünfjahresplan den Rent-
nerinnen und Rentnern zugestanden hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist die Realität, Herr Kollege Claus.

Wenn wir über die Rentenüberleitung und die Anglei-
chung der Renten in Ost und West reden, dann sollten
wir auch anfügen, dass die durchschnittlichen Renten
der Menschen im Osten höher sind als im Westen. Das
ist eine große solidarische Leistung auch der Beitrags-
zahlerinnen und Beitragszahler im Westen. Dazu stehen
wir.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie soll-
ten in unserem Land keine Spaltung betreiben.





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)

Der Kollege Strengmann-Kuhn hat bereits verdeut-
licht, dass das unterschiedliche Lohnniveau in Ost und
West im jetzigen Rentenrecht gut berücksichtigt wird. Ich
möchte es den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der
Tribüne anhand von Zahlen verdeutlichen: Der Durch-
schnittslohn im Westen liegt heute bei 31 000 Euro. Da-
mit erwirtschaftet man im Westen einen Entgeltpunkt in
der Rentenversicherung. Der Durchschnittsverdienst im
Osten liegt bei 26 000 Euro. Damit erwirtschaftet man
im Osten ebenfalls einen Entgeltpunkt.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist das!)


Das bedeutet: Es werden gleiche Verhältnisse geschaf-
fen, obwohl ungleiche Beitragszahlungen erfolgt sind.
Dazu stehen wir. Herr Kollege Claus, die gesellschaftli-
che Spaltung, die die Fraktion der Linken mit ihrem An-
trag herbeireden will, gibt es also nicht. Damit sollen nur
dumpfe Gefühle geweckt werden, mit denen Sie im
Wahlkampf bei den Bürgerinnen und Bürgern punkten
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das wird aber nicht verfangen – davon bin ich über-
zeugt –, denn die Bürgerinnen und Bürger in der ehema-
ligen DDR, in Ostdeutschland, wissen, dass sie sich auf
das deutsche Rentenversicherungssystem verlassen kön-
nen und sie darüber hinaus eine gerechte Leistung für
das bekommen, was sie in ihrem Leben erwirtschaftet
haben.

Verehrte Damen und Herren, es ist schon unver-
schämt, sich hier hinzustellen und zu sagen: „Wir haben
da noch ein kleines Finanzierungsproblem.“ Kollege
Kolb hat dargelegt, dass die Umsetzung Ihres Antrags zu
Mehrausgaben der Steuerzahler in unserem Land in
Höhe von 6 Milliarden Euro führen würde.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Pro Jahr!)


– Pro Jahr, wohlgemerkt. – Das wird von Ihnen ver-
brämt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Macht eine anständige Steuerpolitik, dann geht das!)


Wir zahlen bereits Steuermittel in Höhe von 80 Milliar-
den Euro in unser Rentensystem, um damit für Solidari-
tät in unserer Gesellschaft zu sorgen. Es ist aber notwen-
dig, darauf hinzuweisen, dass die Finanzierung unseres
Rentenversicherungssystems vor allem über Beitrags-
zahlungen und weniger über Steuermittel gewährleistet
werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit der Beitragsbezogenheit wird letztendlich die Grund-
lage für eine vernünftige Rente geschaffen. Davon wird
aber mit Ihrem Antrag verstärkt Abstand genommen.
Deswegen lehnen wir Ihren Antrag auch unter diesem
Gesichtspunkt ab.

Ich möchte auf einen weiteren wichtigen Punkt einge-
hen. Damit wir den Bürgerinnen und Bürgern auch zu-
künftig gute Rentenleistungen bieten können, ist es ent-
scheidend, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Landes zu erhalten. Ich erinnere mich noch an die De-
batte, die wir heute frühmorgens geführt haben: Der
Kollege Gysi hat hier seine eigene wirtschaftspolitische
Philosophie dargelegt. Demnach soll der Siemens-Kon-
zern auf Exporte von Maschinen und Anlagen für Kraft-
werke verzichten. Damit würden wichtige, ertragreiche
Arbeitsplätze in unserem Land vernichtet, die dazu an-
getan sind, unser Rentenversicherungssystem zu stützen
und den Menschen soziale Sicherheit zu geben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es geht um Atomkraftwerke! – Katja Mast [SPD]: Herr Straubinger!)


Daran zeigt sich sehr deutlich: Sie wollen wieder zurück
zum alten sozialistischen System und damit die Men-
schen sozusagen in Armut gleichmachen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Das werden wir verhindern. Wir lehnen deshalb Ihre An-
träge ab. Die Menschen können sich auf unser bewährtes
Rentenversicherungssystem verlassen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709617000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4192 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP

Einvernehmensherstellung von Bundestag
und Bundesregierung zur Ergänzung von
Artikel 136 des Vertrages über die Arbeits-
weise der Europäischen Union (AEUV) hin-
sichtlich der Einrichtung eines Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus (ESM)


hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages nach Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Geset-
zes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union

– zu dem Antrag der Fraktion der SPD

zum Entwurf eines Beschlusses des Europäi-
schen Rates zur Änderung des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union
hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
für die Mitgliedstaaten, deren Währung der





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Euro ist – Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10),
Anlage 1 –

hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages nach Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes (GG) i. V. m. § 10 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit
von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union

Herstellung des Einvernehmens bezüglich
der Ergänzung von Artikel 136 AEUV zur
Einrichtung eines Europäischen Stabilitäts-
mechanismus (ESM) verantwortlich gestal-
ten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether
Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

zum Entwurf eines Beschlusses des Europäi-
schen Rates zur Änderung des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union
hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
für die Mitgliedstaaten, deren Währung der
Euro ist – Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10),
Anlage 1 –

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

– zu dem Antrag der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Alexander Bonde, Dr. Gerhard
Schick, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Herstellung des Einvernehmens zwischen
Bundestag und Bundesregierung zur Ände-
rung des Artikels 136 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union hin-
sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für
die Mitgliedstaaten, deren Währung der
Euro ist

hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages nach Artikel 23 Absatz 3 GG
i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zu-
sammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union

– Drucksachen 17/4880, 17/4881, 17/4882,
17/4883, 17/5094 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth (Heringen)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Diether Dehm
Manuel Sarrazin

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu
ihrem eigenen Antrag vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Aussprache 45 Minuten dauern. – Auch dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Michael Link für die FDP-Frak-
tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1709617100

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die FDP

setzt als Europapartei fest und konsequent auf die euro-
päische Integration. Ein ganz zentraler Teil der europäi-
schen Integration ist die gemeinsame Währung. Diese
gemeinsame Währung ist in schweres Fahrwasser gera-
ten. Ich lege aber großen Wert darauf, zu sagen: Wir ha-
ben es nicht mit einer Euro-Krise zu tun.


(Beifall bei der FDP)


Das ist eine Verschuldungskrise, teilweise auch eine
Banken- und Wirtschaftskrise. Die Ursache für diese
Verschuldungskrise liegt weit vor dem Jahr 2008, in dem
die Finanzkrise begonnen hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Dyckmans [FDP]: Sehr richtig!)


Ursachen waren extrem laxe und nachlässige Ausgaben-
programme, eine überbordende Staatsverschuldung und
ein fortgesetztes Verstoßen gegen den Stabilitäts- und
Wachstumspakt. In den letzten Jahren hat die Europäi-
sche Kommission zwar 26 Defizitverfahren eingeleitet,
die Euro-Gruppe hat darauf aber exakt null Mal mit
Sanktionen reagiert.

Aus meiner Sicht ist es wichtig, immer wieder zu sa-
gen: Wir haben keine Euro-Krise, aber wir haben eine
Krise, was die Art und Weise angeht, wie wir mit unse-
ren Regeln umgehen. In zahlreichen Mitgliedstaaten ha-
ben wir eine Verschuldungskrise. Das gilt übrigens auch
für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere seit
der Regierungszeit von Rot-Grün, und wir müssen heute
hart arbeiten, um das aufzuarbeiten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Verschuldung macht Herr Schäuble!)


FDP- und CDU/CSU-Fraktion wollen, dass mit einem
Europäischen Stabilisierungsmechanismus die Lehre aus
dieser Verschuldungs- und Bankenkrise gezogen wird.
Der ESM und der Pakt für den Euro müssen ganz ent-
scheidend dazu beitragen, dass die Stabilität im Euro-
Währungsgebiet wiederhergestellt wird und künftige
Verschuldungskrisen vermieden werden. Dadurch kann
die europäische Integration gefestigt werden.

Die EU benötigt daher dringend bessere Regeln, die
Gläubiger wie Schuldner zu mehr Vorsicht bei der Kre-
ditvergabe anhalten. Keinesfalls – ich unterstreiche das –
darf eine Erleichterung bei der Kreditvergabe ermöglicht
werden.


(Beifall bei der FDP)






Michael Link (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

Der ESM darf kein Superkreditinstrument werden. Zur
Disziplinierung der Regierungen mit Blick auf übergro-
ßes Schuldenmachen bedarf es wirksamer, sanktionsbe-
wehrter Schuldenschranken im Stabilitätspakt und im je-
weiligen nationalen Recht. Die FDP-Fraktion unter-
streicht deshalb ausdrücklich – das wird auch in dem
Koalitionsantrag deutlich –, dass wir im Bereich der au-
tomatisierten Sanktionen vorankommen müssen. Das se-
hen wir übrigens ebenso wie unsere Kollegen im Euro-
päischen Parlament. Die sehr guten Vorschläge von
Kommissar Rehn zur sogenannten Reverse Majority
– Rückholbarkeit von Sanktionen nur innerhalb von
zehn Tagen mit umgekehrter Mehrheit – zielen aus unse-
rer Sicht in die richtige Richtung. Dadurch geraten wir
erst gar nicht in die Verschuldungskrise.

Viel wichtiger als der ESM und die darin enthaltenen
Reparaturinstrumente ist die Vorsorge. In den nächsten
Wochen und Monaten müssen wir diesbezüglich – das
sage ich an die Adresse der Bundesregierung – noch in-
tensiv arbeiten, damit wir zu automatisierten Sanktionen
kommen können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Erfahrung hat gezeigt, dass Regeln wie die des
Stabilitätspakts bei entsprechendem Willen politisch so
interpretiert werden können, dass sie ihre Wirksamkeit
faktisch verlieren. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir
die Kontrollfunktion der Märkte wirken lassen. Die An-
leger müssen mit ihren Anlagen im Risiko stehen. Nur
dann lassen sie bei der Kreditvergabe Vorsicht walten.
Nur dann werden Zinsen verlangt, die dem Risiko des je-
weiligen Schuldners entsprechen, um sich gegen den
Verlust der Forderungen abzusichern. Nur durch risiko-
gerechte Zinsen wird das Schuldenmachen auf ein für
das jeweilige Land erträgliches Maß begrenzt. Dieser
Mechanismus funktioniert automatisch und besser, als
jeder Pakt es jemals könnte.

Eine zentrale Forderung der Koalition war deshalb
immer, dass eine absehbare und kalkulierbare obligatori-
sche Begleitbeteiligung der Gläubiger erfolgt. Das ist in
dem ESM-Verfahren enthalten. Wir hätten uns das
durchaus noch stärker vorstellen können – das sage ich
auch ganz deutlich –, aber wir wissen, dass man bei eu-
ropäischen Lösungen natürlich auch immer gewisse
Kompromisse eingehen muss. Umso klarer muss sein
– dies sage ich insbesondere mit Blick auf das Bundes-
finanzministerium und die letzten Verhandlungsschritte
bei der Euro-Gruppe am 21. März –, dass wir an diesem
Punkt keinerlei Aufweichungen mehr zulassen dürfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709617200

Herr Kollege Link, lassen Sie Zwischenfragen zu?


Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1709617300

Gern.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709617400

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, Sie haben zur Gläubigerbeteiligung ge-
sprochen. Ich würde mich dafür interessieren, wie die
Position Ihrer Fraktion dazu ist, dass die irische Regie-
rung der Auffassung ist, dass es bei den irischen Banken
eine Gläubigerbeteiligung geben kann, die anderen euro-
päischen Regierungen das aber bisher in der Sache ab-
lehnen, also gerade die Gläubigerbeteiligung, die Sie
einfordern, konkret verhindert wird. Wie steht Ihre Frak-
tion dazu?


Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1709617500

Die Dinge, die jetzt zur Gläubigerbeteiligung in dem

Beschluss stehen – darin stehen sehr lange Passagen zur
Gläubigerbeteiligung –, sind in der Theorie sehr gut.
Bleiben sie allerdings Rhetorik, dann droht dieser ge-
samte ESM so, wie wir ihn jetzt machen, zu scheitern.
Die Gläubigerbeteiligung muss effizient sein und darf
– deshalb habe ich das gerade vorhin gesagt – politisch
nicht manipuliert werden. Die Weiche zwischen tempo-
rär zahlungsunfähig und dauerhaft insolvent darf nicht
immer wieder von der Euro-Gruppe in die Richtung ge-
stellt werden, dass es keine Gläubigerbeteiligung gibt
und dass man sich anders durchwurschteln kann. Das
wollen wir dezidiert nicht.

Wir wollen aber auch nicht – das ist ja auch Teil Ihrer
Frage, Herr Kollege Schick – die Art von Gläubigerbe-
teiligung, wie sie beispielsweise in dem Teil Sekundär-
marktaufkauf, Buy-back-Aktionen angelegt war. Diese
Art von Gläubigerbeteiligung ist für uns keine wirkliche,
sie ist keine harte Gläubigerbeteiligung. Sie ist letztlich
etwas, was aus unserer Sicht auch gegen das No-bail-
out-Gebot verstoßen würde.

Ich würde jetzt gern mit meiner Rede fortfahren.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Antwort noch nicht gehört!)


Es ist für uns extrem wichtig – ich habe das Bail-out-
Verbot erwähnt –, dass wir das No-bail-out-Gebot in den
Verhandlungen sichern konnten. Das No-bail-out-Gebot
gilt, und der neue Art. 136 AEUV wird nicht eine Art
Spezialgesetz, eine Lex specialis, zum Art. 125. Es wird
keine Relativierung des Bail-out-Verbots, jedenfalls
nicht mit unserem Koalitionsantrag, den wir heute vorle-
gen, geben. Deshalb erwarten wir auch, dass dort, wo
noch Fragen sind – zum Beispiel bei den Primärmarktan-
leihen –, bei der Umsetzungsgesetzgebung entspre-
chende Präzisierungen erfolgen. Es muss deutlich wer-
den, dass es auch bei diesen Primärmarktanleihen nicht
um organisierte große Programme geht, sondern um
Ausnahmefälle unter Konditionen und dadurch auch ein
klarer Abstand sowohl zum Bail-out-Verbot gewahrt ist
als auch umgekehrt das Ultima-Ratio-Prinzip gewähr-
leistet ist. Denn es war für uns auch ein absolut zentraler
Punkt, dass alle Hilfsmaßnahmen, gerade wenn es um
Darlehen des ESM geht, nur als Ultima Ratio erfolgen.





Michael Link (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Koalitions-
antrag sehr deutlich gemacht – wir werden auch auf dem
weiteren Weg der Umsetzung darauf achten –, dass es
notwendig ist, dass der Bundestag vor jeder Aktivierung
des ESM im Wege seiner Zustimmungspflicht konstitu-
tiv beteiligt wird, das heißt, ein Parlamentsvorbehalt ge-
setzt wird. Betroffen ist hierbei nicht mehr und nicht we-
niger als das Königsrecht des Parlaments, die
Haushaltssouveränität.

Betroffen ist auch – das Verfassungsgericht hat immer
wieder darauf hingewiesen – Art. 20 des Grundgesetzes,
das Demokratiegebot. Wir werden deshalb großen Wert
darauf legen, dass die Ratifizierung der Vertragsände-
rung, zu der wir heute das Einvernehmen erteilen wol-
len, und die Umsetzungsgesetzgebung in einem Schritt
erfolgen, um dadurch immer ein ganz konkretes Kon-
troll- und Mitwirkungsrecht des Bundestages zu gewähr-
leisten.

Im Übrigen wünschen wir, dass wir den Pakt – das
möchte ich nur einflechten – so gestalten, dass wir den
Staaten, die heute noch nicht Teil der Euro-Zone sind,
den Beitritt erleichtern können. Ich erinnere immer wie-
der daran: Europäische Integration lebt auch davon, dass
wir alle 27 mitnehmen. Ich weiß, es gibt diesbezüglich
große Bedenken bei den Partnern. Wir müssen deshalb
unbedingt immer darauf achten, dass wir es auch denje-
nigen, die heute noch nicht am Pakt und an der Euro-
Zone teilnehmen, ermöglichen, noch aufzuspringen. Wir
müssen das leicht und erreichbar machen.

Mit der Verabschiedung des Antrags der Koalition
und unter den in ihm formulierten Rahmenbedingungen
stellen wir das gesetzlich gebotene Einvernehmen mit
der Bundesregierung für die Änderung des Art. 136
AEUV her und werden unserer Integrationsverantwor-
tung gerecht. Wir danken insbesondere der Frau Bundes-
kanzlerin, dem Bundesaußenminister und dem Bundes-
minister der Finanzen für den in den Verhandlungen
bisher zurückgelegten weiten Weg und für die erreichten
Ergebnisse. Wir wissen, dass diese Verhandlungen
schwer sind und herausfordernd bleiben. Wir werden als
FDP-Fraktion die Verhandlungen deshalb weiterhin ak-
tiv unterstützen und begleiten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709617600

Michael Roth ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1709617700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu-

ropäischer Stabilitätsmechanismus – was für ein techno-
kratisches Wort. Worum geht es? Es geht um Solidarität
im wohlverstandenen Sinne, nicht nur im wohlverstan-
denen europäischen Sinne, sondern auch im wohlver-
standenen nationalen Sinne. Es geht um Solidarität, weil
wir als Exportnation ein Interesse an stabilen Märkten
haben müssen, weil wir an Wohlstand und sozialer Stabi-
lität in allen europäischen Mitgliedstaaten ein Interesse
haben müssen, weil wir an einem starken Euro und an ei-
ner Europäischen Union, die sich nicht ständig mit sich
selbst beschäftigt, sondern auch in der Lage ist, ihrer in-
ternationalen Verantwortung gerecht zu werden, ein In-
teresse haben müssen.


(Beifall bei der SPD)


Insofern hat mich die Diskussion der vergangenen
Monate, die maßgeblich auf das Konto von CDU/CSU
und FDP geht, befremdet. Wenn wir von Solidaritäts-
union sprechen, sprechen Sie von Transferunion. Sie
flirten mit dem Boulevard nach dem Motto: Gutes deut-
sches Geld hat in Griechenland, in Spanien und in Irland
nichts zu suchen. Die sollen sich gefälligst selbst um ihre
Probleme kümmern und sie selbst lösen.

Es ist uns nicht leichtgefallen, Ihren Weg, den Sie
eben als lang beschrieben haben, zu verfolgen. Das war
eher ein Zickzackkurs.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das liegt an Ihnen!)


Die berühmte Springprozession ist nichts dagegen. Sie
haben einmal erklärt, dass es überhaupt keinen Rettungs-
schirm geben soll. Dann haben Sie sich nach langem
Ach und Weh für einen Rettungsschirm ausgesprochen.
Dann hat die Bundeskanzlerin erklärt: Ja, Rettungs-
schirm schon, aber er ist zeitlich befristet bis 2013.


(Michael Link [Heilbronn] [FDP]: Ist er ja auch!)


Jetzt wurde ein Stabilitätsmechanismus, also ein Ret-
tungsschirm, implementiert, der über 2013 hinaus dauer-
haft gilt. Sie haben lang und breit erklärt – das findet
sich auch in Ihren Anträgen –, der ESM, der Rettungs-
schirm, dürfe um keinen einzigen Euro aufgestockt wer-
den. Jetzt wird der ESM aufgestockt; aus Sicht der SPD
geschieht dies aus guten Gründen.

Bei Ihnen weiß man nie, was Sie eigentlich wollen.
Sie müssen einmal klären: Werden Sie Ihrer eigenen Tra-
dition als europafreundliche Partei gerecht, die in Eu-
ropa nicht einen Teil des Problems, sondern einen Teil
der Lösung sieht,


(Michael Link [Heilbronn] [FDP]: Ja! Genau das machen wir!)


oder wollen Sie weiterhin mit dem Boulevard, mit der
Bild-Zeitung flirten, weil Sie meinen, Sie könnten da-
durch Ihr populistisches Mütchen kühlen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von CSU, FDP und leider auch
Teilen der CDU?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man muss deutlich sagen: Es gibt nur noch wenige
Europaparteien hier in diesem Parlament. Das sind die
Sozialdemokratische Partei Deutschlands


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Michael Roth (Heringen)



(A) (C)



(D)(B)

und sicherlich auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Sie hingegen haben sich von Ihrer eigenen Verantwor-
tung verabschiedet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen nur in ein einziges Nachbarland fahren,
um das zu sehen. Das deutsch-französische Tandem
funktioniert nicht mehr. Sprechen Sie einmal mit Ihrem
Parteifreund Jean-Claude Juncker. Er wird Ihnen ins
Stammbuch schreiben, wie das früher lief und wie es
heute unter Bundeskanzlerin Merkel läuft. Ich appelliere
an Sie: Werden Sie Ihrer eigenen Tradition gerecht.
Dann kann etwas Gutes daraus werden. Aber, Kollege
Link, erklären Sie uns nicht in acht Minuten nur, was Sie
nicht wollen. Sagen Sie uns doch einfach einmal, was
Sie wollen und wo Sie Europa konstruktiv mitgestalten
wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu habe ich in Ihrem Redebeitrag leider – das sage ich
trotz aller persönlichen Wertschätzung – relativ wenig
gehört.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709617800

Es gibt den Wunsch zu Zwischenfragen, Herr Kollege

Roth.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1709617900

Okay.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709618000

Bitte schön.


Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1709618100

Herr Kollege Roth, ist Ihre Partei bzw. Ihre Fraktion

ihrer europäischen Verantwortung dadurch gerecht ge-
worden, dass sie sich bei den Beschlussfassungen im Zu-
sammenhang mit den Rettungsaktionen im Falle Grie-
chenlands hier im Hause verantwortungslos enthalten
hat, oder wie wurde sie ihrer Verantwortung gerecht?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gerd Bollmann [SPD]: Stehen bleiben, bitte!)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1709618200

Lieber Herr Kollege, da fragen Sie den Falschen. Ich

habe der Griechenland-Hilfe nämlich zugestimmt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Und Ihre Fraktion?)


Ich habe aber großes Verständnis für meine Fraktion, die
es sich in dieser Frage nicht leicht gemacht hat.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ja, ja! Da war die SPD wieder mal gespalten!)


– Mir ist eine aufrechte Position als frei gewählter Abge-
ordneter lieber,

(Patrick Döring [FDP]: Oh! Sehr gut!)


als in Ihrem Windschatten bei der Harakiripolitik, die
von der Bundeskanzlerin betrieben wurde, mit unterzu-
gehen.


(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Aha! Ich denke, Sie haben zugestimmt! Was denn nun?)


– Ich persönlich habe zugestimmt, auch wenn es mir, lie-
ber Herr Kollege, weniger darum ging, der Bundeskanz-
lerin den Weg zu ebnen. Mir war wichtiger, dass die Eu-
ropäische Union eine Solidaritätsunion ist und dass
Partner, die in eine Krise geraten sind, Hilfe bekommen,
allerdings nicht einfach so, sondern mit einer entspre-
chenden Konditionierung, mit Bedingungen.

Die Bundesregierung hat meine und unsere Zustim-
mung auch bei einer anderen mehr als berechtigten For-
derung, nämlich im Hinblick auf Zinsvergünstigungen
für Irland. Irland kann nur dann Solidarität von der Euro-
päischen Union erwarten, wenn man endlich bereit ist,
die FDP-Politik in Irland zu beenden und die Körper-
schaftsteuer von 12,5 Prozent im Interesse des Landes
und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger angemes-
sen zu erhöhen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Dafür ist aber nicht der Bundestag zuständig! Dafür sind die Länder selbst zuständig!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bereit, die-
sen Europäischen Stabilitätsmechanismus vom Grund-
satz her mitzutragen. Deswegen werden wir dem Antrag
der Bundesregierung auf Einvernehmensherstellung
heute zustimmen. Aber wir knüpfen unsere Zustimmung
an die Erfüllung bestimmter Erwartungen. Wir erwarten,
dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber
dem Deutschen Bundestag endlich gerecht wird und den
Bundestag in EU-Angelegenheiten frühestmöglich und
umfassend unterrichtet. An dieser Stelle will ich ein
Dankeschön an den Bundestagspräsidenten aussprechen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


der im Interesse aller im Deutschen Bundestag vertrete-
nen Parteien deutlich gemacht hat, dass das Armutszeug-
nis, das sich die Bundesregierung beim sogenannten
Pakt für Wettbewerbsfähigkeit selbst ausgestellt hat,
nicht der Maßstab im Hinblick auf ihre Pflichten zur Un-
terrichtung des Bundestages sein kann und darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In allen Hauptstädten und allen EU-Institutionen wird
über einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit diskutiert, und
die Medien berichten breit darüber. Aber die Bundesre-
gierung stellt sich hin und sagt: Wir können Ihnen keine
Informationen zukommen lassen, weil es diesen Pakt gar
nicht gibt. – Inzwischen gibt es auch einen Pakt für den
Euro. Wir sind am 11. März dieses Jahres erstmals da-
rüber unterrichtet worden. Ich weiß, dass es Kolleginnen
und Kollegen in der FDP-Fraktion, aber auch bei CDU
und CSU gibt, die mit uns einer Meinung sind. Insofern





Michael Roth (Heringen)



(A) (C)



(D)(B)

habe ich Ihren Beifall gerade vermisst, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus sind wir der Auffassung: Der Stabili-
tätsmechanismus ist notwendig. Auch die Aufstockung
ist notwendig. Aber dies allein reicht nicht:

Erstens. Wir brauchen eine angemessene Parlaments-
beteiligung. Wir müssen auch die Lehren aus der verhee-
renden Unterrichtungspolitik der Bundesregierung in
den vergangenen Wochen und Monaten ziehen. Ich
appelliere an CDU/CSU und FDP, hier eine interfraktio-
nelle Verständigung herbeizuführen. Wir sind zu Ge-
sprächen bereit. Wir sollten auch die richtigen Konse-
quenzen aus dem Status quo ziehen. Hier haben Sie uns
auf Ihrer Seite.

Zweitens. Wir brauchen nicht nur einen Pakt für den
Euro, sondern auch einen Pakt für Wachstum und soziale
Stabilität.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine Konsolidierung kann nur mit nachhaltigem Wachs-
tum erfolgreich sein. Ich bin beeindruckt, was die grie-
chische Regierung den Bürgerinnen und Bürgern zuzu-
muten und welch hohen Preis sie dafür zu zahlen bereit
ist. Aber wir erkennen doch schon jetzt, dass all die An-
strengungen, die wir in Bundesrat und Bundestag wahr-
scheinlich niemals durchbekämen, nicht ausreichen, um
dieses Land aus der Krise zu führen.

Insofern darf eine notwendige Konsolidierung nicht
zu einer Austeritätspolitik führen, die jegliches Wachs-
tum hemmt, die die Länder in einen Teufelskreislauf
führt und die diese Länder weiterhin zum sozialen
Schlusslicht der Europäischen Union werden lässt. Hier
brauchen wir eine andere Politik, die den sozialen Be-
reich in den Blickpunkt nimmt, die Wachstum in den
Blickpunkt nimmt und die auch die soziale Stabilität in
den Blickpunkt nimmt.


(Beifall bei der SPD)


Des Weiteren fordern wir eine Beteiligung der Kri-
senverursacher. Deshalb nehmen wir Sie, liebe Bundes-
regierung, beim Wort. In den Schlussforderungen zum
Gipfel steht zu lesen, dass die europäische Finanztrans-
aktionsteuer sondiert wird. Wir erwarten einen entspre-
chenden Vorschlag der EU-Kommission. Darüber hinaus
erwarten wir, dass sich die Bundesregierung vorbehalt-
los hinter das Ziel einer europäischen Finanztransaktion-
steuer stellt und dass diejenigen, die diese Krise maß-
geblich verursacht haben, stärker in die Pflicht
genommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gleichermaßen brauchen wir eine entsprechende
Gläubigerbeteiligung. Ich gebe es offen zu: Diesbezüg-
lich sind wir mit unseren Diskussionen in allen Fraktio-
nen noch nicht am Ende angelangt. Hier wäre sicherlich
ein bisschen mehr Fürsorge und ein bisschen mehr Sen-
sibilität auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern
durchaus angebracht. Denn diese sagen zu Recht: Es
kann ja nicht angehen, dass nur die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler sowie die Staaten für das aufzukom-
men haben, was andere verursacht haben, die Gläubiger
und Banken aber weitgehend ungeschoren davonkom-
men. – Das ist mit unseren Vorstellungen von Solidarität
in der Europäischen Union auch in Bezug auf den euro-
päischen Stabilitätsmechanismus unvereinbar.


(Beifall bei der SPD)


Ein Letztes – und das ist für uns als ein wirtschaftlich
sehr starkes Land sicherlich nicht ganz einfach –: Auch
die Länder mit einem Leistungsbilanzüberschuss stehen
in der Verantwortung.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: In der Tat!)


Es kann nicht angehen, dass die Lohnentwicklung mit
der Produktivitätsentwicklung nicht mehr in ein Verhält-
nis zu setzen ist. Es kann für die gesamte Europäische
Union nicht gut sein, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land in den letzten zehn Jahren eine Nettolohnentwick-
lung von minus 4 Prozent hatte, der EU-Durchschnitt
aber bei rund 20 Prozent Plus liegt. Daher muss deutlich
werden: Wohlstand und nachhaltiges Wachstum können
nur erreicht werden, wenn auch die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer sowie die sozial Schwächeren von
diesem Wachstumsmodell profitieren.

Insofern erwarten wir von der Bundesregierung eine
bessere Beteiligung des Parlaments. Wir erwarten, dass
Sie nicht nur Nein sagen, dass Sie nicht nur zögern und
zaudern, sondern dass Sie in den EU-Institutionen wie-
der das Maß an Überzeugungsfähigkeit erreichen kön-
nen, das Ihre Vorgängerregierungen vorbildlich erreicht
haben. Hier arbeiten Sie weit unter den Möglichkeiten
Deutschlands –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709618300

Herr Kollege, Sie hätten kurz vor – –


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1709618400

– und weit unter den Möglichkeiten, die einer deut-

schen Bundesregierung zustünden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709618500

Ich wollte Ihnen noch die Gelegenheit einer informel-

len Verlängerung der Redezeit durch Zulassung einer
Zusatzfrage zuschustern.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Nun hat das Wort der Kollege Michael Meister für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1709618600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sollen heute unser Einverständnis





Dr. Michael Meister


(A) (C)



(D)(B)


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Einvernehmen!)


zur Änderung der europäischen Verträge zur Errichtung
des europäischen Stabilitätspaktes erteilen. Ich will zu-
nächst einmal feststellen: Wir als Unionsfraktion sind
der Meinung, dass wir einen dauerhaft stabilen Euro ha-
ben wollen. Dies bedeutet: Wir bekennen uns zum Euro.
Wir bekennen uns zum stabilen Euro, und wir bekennen
uns zur Dauerhaftigkeit dieser Währung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, es ist richtig, dass wir an dieser Stelle So-
lidarität nicht missverstehen, Kollege Roth, indem wir
sagen: Falsche Strukturen werden wir mit viel Geld dau-
erhaft aufrechterhalten.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das hat doch keiner gesagt!)


Vielmehr verstehen wir Solidarität so, dass wir motivie-
ren und Anreize setzen, damit sich falsche Strukturen zu
richtigen Strukturen verändern. Denn dann ist Solidarität
nicht mehr erforderlich. Das heißt, wir müssen die Län-
der und Staaten ermutigen, das Richtige zu tun. In die-
sem Sinne sind wir bereit, Solidarität zu üben, aber
nicht, indem wir zu einer Transferunion werden und dau-
erhaft falsche Strukturen mitfinanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will hier ausdrücklich sagen, dass an der No-bail-
out-Klausel festgehalten wird und dass sie durch diese
Vertragsänderung nicht tangiert wird. Das ist für uns ex-
trem wichtig.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709618700

Herr Kollege Meister, darf der Kollege Sarrazin Ihnen

schon zu diesem frühen Zeitpunkt Ihrer Rede eine Zwi-
schenfrage stellen?


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1709618800

Es verwundert mich, dass er so wissbegierig ist, aber

ich will ihn nicht hindern. Bitte sehr.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ich glaube nicht, dass er wissbegierig ist!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709618900

Vielleicht will er ja gar nichts wissen, sondern Ihnen

etwas mitteilen.


(Heiterkeit im ganzen Hause)



Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709619000

Herr Präsident, ich muss das hier als Frage formulie-

ren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709619100

Nein, nicht einmal das.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709619200

Herr Kollege, Sie haben ja eindrucksvoll davon gere-

det, dass man falsche Strukturen nach der Erkenntnis,
dass sie falsch sind, nicht weiter aufrechterhalten soll.
Wir wissen jetzt ja, dass die EZB inzwischen über
70 Milliarden Euro an Staatsanleihen in ihrem Portfolio
hat, das inzwischen ein so hohes Risiko trägt, dass das
EZB-Stammkapital im Dezember verdoppelt werden
musste. Damit die EZB wieder eine größere politische
Unabhängigkeit erhält, gab es den Vorschlag, dass sie
durch einen Aufkauf, der durch die EFSF finanziert
wird, von diesen Titeln zum Teil entlastet werden
könnte. Das haben Sie unglaublicherweise abgelehnt.

Sehen Sie es nicht auch so, dass Sie dadurch die fal-
sche Struktur, dass die EZB ein politischer Player am
Markt wird, aufrechterhalten, anstatt die politische Un-
abhängigkeit der EZB zu wahren?


Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1709619300

Lieber Herr Kollege Sarrazin, ich bin nicht Mitglied

des EZB-Rates, sondern ich bin Abgeordneter des Deut-
schen Bundestages, und ich bin fest davon überzeugt,
dass die Grundsäule unserer europäischen Währung und
die Stabilität, von der ich vorhin sprach, dadurch ge-
währleistet werden, dass wir als Politik die Unabhängig-
keit der Zentralbank wahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb habe ich niemals die Empfehlung an den Zen-
tralbankrat gegeben, sich in die von Ihnen skizzierte
Lage zu bringen. Es ist auch nicht meine Aufgabe als
politisch Verantwortlicher, Handlungsoptionen der Euro-
päischen Zentralbank in welcher Weise auch immer zu
fordern oder zu bewerten.

Das ist mein Verständnis von Unabhängigkeit, und
wir als Politiker sollten alles dafür tun, dass wir die Eu-
ropäische Zentralbank nicht in eine Lage führen, in der
sie selbst glaubt, etwas tun zu müssen, um den Geldwert
zu stabilisieren.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das haben Sie doch getan!)


Das ist unsere Verantwortung, und dazu tragen wir zum
Beispiel bei – ich sehe den Kollegen Barthle an –, indem
wir eine ordentliche Fiskalpolitik in Deutschland betrei-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir beschließen heute die
Ultima Ratio, und zwar deshalb, weil wir glauben, dass
wesentliche Stufen der Prävention vorgeschaltet werden
müssen.

Die erste Prävention ist der Pakt für den Euro. Ich
glaube, dass der Pakt für den Euro richtig ist, weil wir
hier über die Best Practice reden. Wir wollen uns also
hin zum Besten und nicht zum Durchschnitt bewegen,
und wir sagen: Er ist offen für jeden, der mitwirken will,
und nicht nur für die Euro-Länder. Ich glaube, dass das
ein guter Ansatz ist, um dafür zu sorgen, dass die einzel-
nen Volkswirtschaften im Euro-Raum leistungsfähiger
werden, wodurch Fehlentwicklungen, wie wir sie jetzt
haben, von vornherein präventiv vermieden werden.





Dr. Michael Meister


(A) (C)



(D)(B)

Herr Kollege Roth, deshalb ist es richtig, dass wir uns
über die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirt-
schaften Gedanken machen. Sie bezieht sich doch nicht
nur auf den Euro-Raum, wie Sie das skizziert haben. Wir
brauchen ein gemeinsames Niveau und müssen viel-
leicht ein paar Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. Un-
sere Wettbewerber sitzen aber außerhalb Europas. Es
stellt sich doch die Frage, inwieweit der Euro-Raum ge-
genüber China, den USA und anderen Ländern über-
haupt wettbewerbsfähig ist. Ich glaube, deshalb ist es
richtig, dass wir uns zum Besten hin bewegen und an der
Wettbewerbsfähigkeit arbeiten.

Wir haben ein riesiges Problem hinsichtlich der De-
mografie und arbeiten in Deutschland daran. Das ist sehr
schwierig und tut uns sehr weh, weil die Sozialsysteme
tangiert werden. Ich glaube aber, dass wir die Frage be-
antworten müssen, wie wir im Sinne einer vernünftigen
Solidarität dauerhaft leistungsfähige, nachhaltige Sozial-
systeme in Europa haben können. Das ist doch eine ver-
nünftige Aufgabe, die wir im Sinne einer besseren Situa-
tion für unsere Volkswirtschaften gemeinsam angehen
sollten. Deshalb ist der Pakt für den Euro ein richtiger
Schritt der Prävention.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Wir leisten Prävention, indem wir den
Maastricht-Vertrag endlich wieder stärken. 2003/2004
wurde er bedauerlicherweise massiv geschwächt, und
zwar indem Deutschland plötzlich zu Konsequenzen ge-
drängt wurde, die sich aus dem Maastricht-Vertrag erga-
ben. An dieser Stelle ist es wichtig, dass wir den Vertrag
wieder stärken, indem zum Beispiel das Kriterium Ge-
samtschulden stärker in den Fokus rückt. Wir müssen
von politischen Einflüssen wegkommen hin zu einem
quasi automatischen Entscheidungsverfahren, bei dem
Politik eine weniger große Rolle spielt.

Wir müssen aber auch unsere Vorbildrolle ausbauen.
Statt von anderen ein besseres Verhalten zu fordern,
müssen wir von uns selbst ein besseres Verhalten im
Sinne der Fiskalpolitik einfordern. Das ist die Aufgabe,
vor der wir stehen. Dazu bekennen wir uns auch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich glaube, es ist auch notwendig, dass wir für die
einzelnen Länder mehr Transparenz schaffen, damit frü-
her erkennbar wird, ob ihre Entwicklung gut oder weni-
ger gut ist, damit die Kapitalmärkte viel früher über die
Zinsfestlegung der Risikolage des Landes entsprechend
positives oder weniger positives Verhalten adäquat be-
werten. Denn dann werden die jeweiligen Regierungen
viel früher ihren Kurs ändern müssen, statt auf eine Not-
lage zuzusteuern, wie wir sie in Griechenland oder Ir-
land erlebt haben.

Wenn ich von Irland spreche, will ich einen weiteren
Punkt nennen, der in dieser Debatte bisher nicht vorge-
kommen ist, der aber zwingend dazugehört. Sie haben es
kurz angesprochen. Ich glaube, es reicht nicht, den Blick
allein auf die Fiskalpolitik und den Maastricht-Vertrag
zu richten. In Irland war das alles in Ordnung. Auch die
volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit war gegeben.
Aber der Bankensektor ist aus dem Ruder gelaufen, und
plötzlich musste das nationale Bankensystem gestützt
werden.

Deshalb müssen wir, was die Aufsicht über den Fi-
nanzsektor angeht, eine bessere Regulierung für den
Finanzsektor erarbeiten. Sonst wird all das, was wir zu-
gunsten der Euro-Stabilisierung tun, nicht wirksam sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gute Idee!)


– Ja, das machen wir auch. Wir haben die europäische
Aufsicht installiert. Sie ist mittlerweile in Arbeit. Wir
sind auch dabei, entsprechende Aufsichtsregeln und Re-
geln für das Finanzsystem zu entwickeln. Ich glaube, wir
sind auf einem guten Weg, und es ist vernünftig, das ge-
meinsam zu tun. Denn niemand von uns hat das, was
jetzt eingetreten ist, vorhergesehen.

Wir kommen nun zu dem eigentlichen Punkt, dem
ESM. Ich stelle ihn deshalb ans Ende, weil er kein Re-
gelwerk sein soll, das wir regelmäßig zur Stabilisierung
des Euro einsetzen, sondern die Ultima Ratio. Ja, wir
wollen einen dauerhaften, festen Mechanismus schaffen,
aber wir wollen nicht, dass er dauerhaft in Anspruch ge-
nommen wird. Vielmehr wollen wir erstens vermeiden,
dass er in Anspruch genommen wird, und zweitens soll
er, wenn er in Anspruch genommen wird, das Land nach
kurzer Zeit wieder in die Lage versetzen, ohne ihn aus-
zukommen.

Deshalb wollen wir Voraussetzungen schaffen, die
dem Problem des Landes gerecht werden und eine Ge-
fährdung der gesamten Euro-Zone vermeiden. Wir for-
dern aber auch harte Auflagen für das jeweilige Land,
sich einem Anpassungsprogramm zu unterziehen. Ich
glaube, dass das der richtige Ansatz ist, um dieser Ziel-
setzung genügen zu können.

Eine letzte Bemerkung: Wir haben dafür Sorge getra-
gen, dass sich kein Automatismus entwickeln kann. Der
Stabilitätsmechanismus kann nur mit unserer Zustim-
mung aktiviert werden. Auch das halte ich für wichtig
und richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich freue mich – erlauben Sie mir, abschließend da-
rauf hinzuweisen, dass ich das toll finde, Herr Roth –,
dass Sie angekündigt haben, dem ESM zustimmen zu
wollen. Ich halte es für gut, wenn wir in Deutschland
eine möglichst breite parlamentarische Basis dafür ha-
ben.

Wir sprechen heute über das Außenverhältnis der
Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union.
Dazu geben wir heute eine Stellungnahme ab.

Wir haben zu klären, wie wir die Diskussionen in
Deutschland selbst führen. Dabei stellt sich die Frage,
wie stark wir den Deutschen Bundestag an den Entschei-
dungen, die zu treffen sind, beteiligen. Diese Diskussion
müssen wir aber nach innen führen. Ich bin der Mei-
nung, dass wir bei solch grundlegenden Entscheidungen





Dr. Michael Meister


(A) (C)



(D)(B)

unser Parlament mit einbeziehen. Dafür werden wir
Sorge tragen. Ich freue mich auf die Debatte, die wir ge-
meinsam führen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709619400

Nur zur Erläuterung: Ich bitte um Nachsicht, dass ich

nach Überschreiten der vorgesehenen Redezeit nicht
auch noch Zwischenfragen aufrufe. Ich glaube, das ver-
steht sich unter dem Gesichtspunkt des beschlossenen
Zeitmanagements im Ergebnis von selbst.

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich für
die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709619500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

nehme es vorweg: Die Linke wird dem vorliegenden An-
trag nicht zustimmen,


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Verpasste Chance!)


weil wir damit zum wiederholten Male nicht die Ursa-
chen der Krise angehen, sondern wieder nur ein einziges
Symptom falsch behandeln.

Es ist schon fast absurd, Herr Meister, wenn Sie sa-
gen: Wir wollen keine Transferunion. – Irgendwann
müssen doch auch Sie einsehen: Wenn Deutschland dau-
erhaft immense Außenhandelsüberschüsse erwirtschaf-
tet, dann ist in der Europäischen Union eine Transfer-
union unumgänglich. Das zu verschweigen und immer
wieder so zu tun, als wäre es nicht so, ist tatsächlich ein
Märchen. Aber daran glaubt fast niemand mehr.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht auch nicht darum, dass wir tatsächlich die Ur-
sachen bekämpfen. Es geht einmal mehr darum, dass wir
die Märkte beruhigen sollen. Ich kann mich gut daran
erinnern, dass der Herr Finanzminister im Europa-
ausschuss gesprochen hat. Dabei war folgende Aussage
wesentlich: Wir müssen das tun, um die Märkte zu beru-
higen.

Das zeigt im Prinzip, dass wir aus der Krise nichts ge-
lernt haben. Die Märkte können weiterhin Staaten vor
sich hertreiben. Sie können weiterhin ihre Spielchen an
den Börsen treiben. Und wir wollen mit so einem Instru-
ment etwas verändern? Nein, im Gegenteil: Sie werden
sich auch in Zukunft Wege suchen, um die einzelnen
Länder gegeneinander auszuspielen und den Euro zu
schwächen, um ihre Börsengeschäfte zu machen. Jeder
seriöse Banker, mit dem man sich unterhält, sagt auch,
dass das alles nur Sonntagsreden gewesen seien, die
auch Sie im Bundestag immer wieder verbreitet haben,
als sich die Finanzkrise zu einer Wirtschaftskrise entwi-
ckelt hat, dass es genau so weitergehe wie vorher.

Im Gegenteil: Das ist falsch. Es geht nicht genau so
wie vorher weiter. Vorher wusste die Finanzwelt nicht,
ob sie das am Schluss bezahlt bekommt. Mittlerweile
weiß sie, dass sie genau so wie vorher weitermachen
kann. Der Steuerzahler zahlt es, und Sie heben heute
wieder für so ein Geschäft die Hand.

Wie oft haben wir – Michael Roth hat angesprochen,
dass wir auch das Soziale mitdenken müssen – als Linke
im Bundestag gesagt, dass uns der Lissabon-Vertrag
keine Antwort auf solche Fragen gibt? Wie oft haben wir
gesagt: Wenn wir das Soziale mitdenken müssen, brau-
chen wir zum Beispiel auch die soziale Fortschrittsklau-
sel? Immer hieß es, wir könnten die Verträge nicht ver-
ändern. Jetzt werden die Verträge verändert, ohne das
Soziale mitzudenken.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Wir fordern das aber! – Zurufe von der FDP)


Heute Nachmittag haben wir die Chance gehabt, die
soziale Fortschrittsklausel zu beschließen. Die Allpartei-
enkoalition des Lissabon-Vertrags hat heute Mittag mit
Nein gestimmt. Michael Roth, die SPD sollte sich schä-
men, dass man vor der Europawahl den Gewerkschaften
die Hand für eine soziale Fortschrittsklausel gereicht hat
und heute dagegen stimmt.


(Zuruf des Abg. Michael Roth [Heringen] [SPD])


Das ist diese unglaubwürdige Politik. Es war wieder
einmal Wählerbetrug von der SPD und von den Grünen
beim Thema der sozialen Fortschrittsklausel.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Michael Stübgen [CDU/CSU])


Nun geht es wieder um eine Vertragsänderung, die
nicht dazu dient, die EU sozialer zu machen, sondern
dazu, einen dauerhaften Bankenrettungsplan einzufüh-
ren. An den Beispielen Irland und Griechenland kann
man jetzt schon sehen, wer für diese Bankenrettung im-
mer wieder aufs Neue bezahlt:


(Zuruf von der CDU/CSU: Der deutsche Steuerzahler!)


die Steuerzahler, die Beschäftigten, die Arbeitslosen, die
Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Kinder. Die
Profiteure der Krise müssen weiterhin nichts zahlen. Da
haben manche Vorredner das Richtige gesagt, aber es
werden keine Maßnahmen ergriffen, mit denen man das
ändern kann.

An die Bundesregierung gerichtet sage ich: Es ist ge-
radezu absurd, dass die gute Idee einer europäischen
Wirtschaftsregierung von der Bundeskanzlerin derart
pervertiert wird, wie es im Zusammenspiel mit Frank-
reich geplant ist – oder auch nicht.


(Zuruf von der FDP: Oder auch nicht? – Nein!)


Wie kommt man auf die Idee zu glauben, die deut-
schen Rezepte seien europaweit erfolgreich einzusetzen?
Glaubt denn jemand wirklich, dass sich der Euro stabili-
sieren wird, wenn man Menschen in ganz Europa jetzt
empfiehlt, bis 70 zu arbeiten? Glaubt denn wirklich je-
mand, dass man in ganz Europa empfiehlt, mit Steu-





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

erdumpingprozessen den Euro zu stabilisieren? Glaubt
denn jemand wirklich, dass mit Sozialabbau die Wachs-
tumskräfte entfaltet werden können? Glaubt denn
jemand wirklich, dass man mit einem Import von unge-
sicherten Arbeitsverhältnissen, Leiharbeit und Niedrig-
lohnbereichen Wachstumskräfte entfalten kann?

Wer diese Rezepte in eine europäische Wirtschaftsre-
gierung einbringen kann, wird die Krise auf eine Art und
Weise verschärfen, die wir bisher nicht kennen. Die
Krise wird nicht beendet werden, sondern die Reichen
werden reicher, und die Armen werden ärmer. Griechen-
land, Portugal, Irland und andere Länder werden nie ihre
Probleme beseitigen können.


(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)


Ich komme zum Schluss: Die Linke lehnt die vorge-
legte Vertragsänderung ab. Wir erwarten, dass wir euro-
paweit an die Ursachen der Krise gehen. Dazu gehört
auch, dass wir endlich das Thema umsetzen, über das
Herr Schäuble immer sagt, er würde dafür kämpfen: die
Finanztransaktionsteuer. Das ist auch nur Placebopolitik.
Die Bundesregierung kämpft nicht dafür. Das wäre je-
doch eine wesentliche Maßnahme, um die Märkte tat-
sächlich zu beruhigen. Denn Zocker müssen endlich ru-
higgestellt werden, aber diese Bundesregierung reicht
ihnen weiterhin die Hand.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709619600

Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709619700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Wir Grüne stimmen dem vorgelegten Antrag über
die Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bun-
desregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV zu. Wir
befürworten die Einführung einer Rechtsgrundlage für
einen permanenten Notfallschirm für den Euro. Dass mit
dieser Änderung nicht die Union, sondern die Staaten er-
mächtigt werden, halten wir nicht für die beste Lösung.
Wir Grüne hätten uns eine europäische Lösung ge-
wünscht, vor allem weil wir damit die maßgebliche Kon-
trolle des Europäischen Parlaments über diese Institution
ermöglicht hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber weil sich die Regierungen – leider auch diese
Bundesregierung – von Anfang an geweigert haben, der
EU mehr Kompetenzen zu geben, ist die vorliegende
Änderung der Weg, den wir gehen müssen. Auch wir ge-
hen ihn mit. Es ist nicht der beste Weg, aber in dieser Si-
tuation der bestmögliche.

Damit Ihnen das ganz klar ist: Wir billigen damit
nicht Ihren Weg einer Renationalisierung europäischer
Entscheidungen, wir billigen damit nicht Ihre neue Liebe
für die Unionsmethode, und wir werden diese Methode
in Zukunft sogar verstärkt bekämpfen, weil sie nicht der
Weg ist, der Europa voranbringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind für die Einführung eines europäischen Stabi-
litätsmechanismus. Warum? Schauen Sie sich einmal das
vergangene Jahr an. Niemandem von Ihnen ist vorzu-
werfen, wenn er dazulernt. Aber wenn man das Gerede
der Koalition der letzten Monate mit dem vergleicht,
was Sie heute hier beschließen, dann muss ich sagen,
dass ich es schon dreist finde, dass Sie nicht einmal den
Mut haben, hier zu bekennen: Wir haben dazugelernt,
weil wir dazulernen mussten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich erinnere an das nationale Geschrei gegen Griechen-
land, das Ausschließen eines permanenten Schirms und
vieles mehr. Herzliche Glückwünsche, Kollegen, Sie
sind zurück in der Realität. Aber auch: Willkommen zu-
rück in Europa.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Haben Sie nicht auch dazugelernt, Herr Sarrazin?)


– Ich gebe zu: Ich habe viel im letzten Jahr dazugelernt.
Ich möchte einmal von Ihnen hören, dass das, was Sie
heute beschließen, zum Glück nichts mehr mit dem zu
tun hat, was vor einem Jahr von den Kollegen der FDP-
Fraktion und von Herrn Schlarmann erzählt wurde. Ge-
ben Sie das doch einfach zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber seien wir ganz ehrlich: Könnten wir uns eigent-
lich vorstellen, dass ein Scheitern des Euro sinnvoll sein
könnte? Könnten wir, Grüne und SPD, uns vorstellen,
dass der Bundestag die Rolle der Bundesregierung aus
dem Frühjahr 2010 wiederholt? Nein. Ihr ewiges Zögern
war teuer genug für Deutschland und Europa. Deswegen
werden wir diese Rolle von Ihnen hier nicht wiederho-
len.


(Mechthild Dyckmans [FDP]: Hören Sie doch auf, zu schreien!)


Ihre Politik hat genug Porzellan zerschlagen. Oftmals
reden Sie von deutschen Interessen, aber Sie wahren da-
bei nicht einmal deutsche Interessen. Nehmen wir das
Beispiel, das gerade genannt wurde, nämlich dass die
EZB inzwischen ein massives Interesse daran hat, Staa-
ten aufrechtzuerhalten, damit sie nicht zusammenbricht,
weil sie einen hohen Anteil von Anleihen aufgekauft hat.
Nehmen wir die Frage der Gläubigerbeteiligung, die
Herr Schick gerade dargestellt hat. Auch in diesen Punk-
ten vertreten Sie weiterhin ideologische Positionen, die
Lösungen verhindern. Das kann man Ihnen immer noch
vorwerfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wir haben die Ideologie der Unabhängigkeit der EZB! Das ist wohl wahr!)






Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben darüber hinaus in den letzten Monaten be-
merkt, wie Sie den Deutschen Bundestag behandelt ha-
ben. Der Bundestag – das ist dokumentiert – wurde wie-
derholt gesetzeswidrig seiner Informationsrechte
beraubt. Die Bundesregierung muss aufhören, sich nicht
an das EUZBBG zu halten und es sogar noch offenkun-
dig durch die Konstruktion einer Lex specialis – § 5
Abs. 4 EUZBBG – falsch zu interpretieren. Wir sagen:
Verbessern Sie das, ansonsten werden wir Probleme ha-
ben, künftig noch die wichtigen europäischen Entschei-
dungen so verfassungsfest durch dieses Haus zu bringen,
dass auch Karlsruhe sie akzeptieren kann.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Sie haben doch bis jetzt auch nicht zugestimmt!)


– Was wollten Sie? Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.


(Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Jetzt kommt sie, wunderbar. – Können Sie, Herr Präsi-
dent, die Zwischenfrage bitte während der nächsten
25 Sekunden aufrufen?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709619800

Das Bestellen von Zwischenfragen sieht die Ge-

schäftsordnung eigentlich nicht vor. Aber bei meiner
sprichwörtlichen Liberalität wollen wir das einmal aus-
probieren.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1709619900

Herr Präsident, ich habe der Geschäftsordnung ent-

nommen, dass man auch Zwischenbemerkungen machen
darf. Darauf haben Sie ja hingewiesen.

Herr Kollege Sarrazin, wie kommen Sie eigentlich
dazu, uns so schulmeisterlich zu belehren? Schließlich
haben Sie noch nicht einmal dem bisherigen Rettungs-
schirm zugestimmt. Wie kommen Sie angesichts Ihrer
bisherigen Verweigerung dazu, uns in Aussicht zu stel-
len, an praktischer Europapolitik mitzuwirken? Geben
Sie dafür doch einmal eine Erklärung ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz dünn!)



Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709620000

Sehr geehrter Herr Wadephul, unsere Fraktion hat

dem Euro-Rettungsschirm damals nicht zustimmen kön-
nen,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah!)


weil eine Mehrheit kritisierte, dass kein Rahmenvertrag
vorliege und damit die Handlungsgrundlage nicht klar
sei. Aus meiner persönlichen Sicht war das damals nicht
ganz richtig. Als uns aber der Rahmenvertrag vorgelegt
wurde, hatte sich die historische Situation insofern wei-
terentwickelt, als, um das Triple-A-Rating zu erhalten,
dem Direktorium der EFSF weitgehende Kompetenzen
zugebilligt werden mussten – aus meiner Sicht zu Recht –,
wofür aus meiner Sicht eine Ratifizierung gemäß Art. 59
Abs. 2 Grundgesetz durch den Deutschen Bundestag
notwendig gewesen wäre.

Um unsere grundsätzliche Zustimmung zur EFSF und
um auch unsere grundsätzliche Zustimmung zu diesen
weitgehenden Kompetenzen zu dokumentieren sowie
um auf das Versagen der Bundesregierung, die Ratifika-
tion durch den Bundestag einzuholen, hinzuweisen, ha-
ben wir kurz vor der Sommerpause im letzten Jahr den
EFSF-Rahmenvertrag als Entwurf eines Zustimmungs-
gesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Das
heißt, wir haben den Deutschen Bundestag gebeten, den
Vertrag zur Schaffung des Fonds „Europäische Finanz-
Stabilitäts-Fazilität“ mit Sitz in Luxemburg zu ratifizie-
ren, und Sie haben das abgelehnt. Werfen Sie uns nicht
vor, wir hätten uns nicht getraut, uns hinzustellen und zu
sagen: Wir stehen zum Rettungsschirm. – Aufgrund Ih-
rer Schluderei hatten wir zunächst formale Gründe für
unsere Ablehnung. Wir haben noch versucht, Ihnen eine
goldene Brücke zu bauen, und Sie haben die Möglich-
keit ausgeschlagen, darüberzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. Ein Bundeskanzler sagte
einmal:

Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie
wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine
Notwendigkeit für alle.

Das sagte Konrad Adenauer 1963. Wenn Sie, verehrte
Damen und Herren von der Koalition, im Jahre 2011
wieder einen europapolitischen Kurs beschreiten wollen,
der Deutschland gerecht wird, dann folgen Sie den An-
trägen von SPD und Grünen.

Danke sehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gunther Krichbaum [CDU/ CSU]: Da ist ja St. Pauli noch erfreulicher!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1709620100

Das Wort erhält der Kollege Thomas Silberhorn für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1709620200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Kollegen Michael Roth und Manuel
Sarrazin haben uns gerade mit starken Worten erklärt,
was notwendig wäre, um Deutschland auf den richtigen
europapolitischen Kurs zu bringen,


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Nicht Deutschland, Sie!)


und dass sie sich selbst für gute Europäer halten; aber
leider haben sie sich jeweils in ihrer eigenen Fraktion
nicht durchsetzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


So kann man Europapolitik nicht betreiben.





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)

Wir beraten heute einen Antrag, der, soweit ich das
überblicken kann, erstmals ein Verhandlungsmandat für
die Bundesregierung formuliert, bevor die Bundeskanz-
lerin zum Europäischen Rat, also zum Treffen der EU-
Staats- und Regierungschefs, reist. Ich finde, das ist stil-
bildend. Das steht dem Bundestag gut zu Gesicht. Das
macht deutlich, dass wir als Parlamentarier selbstbe-
wusst unserer Verantwortung nachkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir warten nicht einfach ab, was der Regierung, die wir
natürlich schätzen und die wir unterstützen, am Verhand-
lungstisch einfällt, um es hinterher abzunicken, sondern
wir formulieren im Vorhinein unsere Erwartungen. Wir
legen Maßgaben fest; so heißt es in diesem Antrag. Wir
unterstützen damit ausdrücklich die Verhandlungslinie
der Bundesregierung. Wir setzen ihr zugleich höflich,
aber bestimmt Grenzen. Ich denke, das ist ein guter
Kurs. Das sollten wir auch künftig beibehalten, wenn es
um die Verhandlung europäischer Verträge geht.

Die geplante Vertragsänderung und die Errichtung
des Europäischen Stabilisierungsmechanismus sind ein
Konstrukt, das wir nochmals sehr genau überdenken
müssen, spätestens dann, wenn es um die Beantwortung
der Frage geht, wie das mit dem vertraglichen Verbot der
Schuldenübernahme zu vereinbaren ist; das Verbot der
Schuldenübernahme soll ja ausdrücklich nicht angetastet
werden.

Deshalb bin ich persönlich gegen den Ankauf von
Staatsanleihen, weil nach meiner Bewertung ein Ankauf
von Staatsanleihen bedeutet, dass man neue Schulden
übernimmt und dass aus nationalen Schulden verge-
meinschaftete europäische Schulden werden.

Deswegen stelle ich zumindest die Frage, weshalb der
Ankauf von Staatsanleihen nach Auffassung der Bun-
desregierung keine Schuldenübernahme sein soll. Ich
stelle die weitere Frage, wann nach Auffassung der Bun-
desregierung denn dann überhaupt eine Übernahme von
Schulden vorliegen soll. Wenn man das Verbot der
Schuldenübernahme so interpretiert, dass nur dann,
wenn Schulden realisiert werden, sie auch übernommen
werden, dann wäre diese Regelung doch ziemlich ausge-
höhlt. Deswegen müssen wir noch einmal gut überlegen,
ob das der richtige Schritt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn wir
über diesen Stabilisierungsmechanismus Finanzhilfen
gewähren, dann kann das natürlich nur dann Sinn ma-
chen, wenn die berechtigte Erwartung besteht, dass ein
Staat, dem geholfen wird, auch wieder auf die Füße
kommt, dass er selbst wieder am Finanzmarkt Kapital
erhalten kann, dass er wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
zurückgewinnt. Wenn das alles nicht mehr gelingt, wenn
absehbar ist, dass ein Staat seine Schulden dauerhaft
nicht tragen kann, dann muss auch eine Umschuldung
möglich sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen plädiere ich nach wie vor dafür, dass wir
Regelungen für eine Umstrukturierung von Staaten und
eine Umschuldung von Banken schaffen, wenn es denn
nicht anders geht. Eine solche Umschuldung würde auch
bedeuten, dass man eine Gläubigerbeteiligung ermög-
licht. Denn es ist schon schwer vermittelbar, dass wir mit
Steuermitteln das Risiko von denen übernehmen, die mit
Staatsanleihen hohe Zinserträge erwirtschaftet haben,
während diese Gläubiger selbst keinen angemessenen
Beitrag zur Lösung des Problems leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sehr gut! Sehen wir genauso!)


Ich sage: Wer hohe Risiken eingeht, um damit hohe Zins-
erträge zu erwirtschaften, der muss dann, wenn sich
diese Risiken realisieren, auch mithaften. Das müssen
wir umsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Da können wir auch klatschen!)


Schließlich geht es darum, dass der Deutsche Bundes-
tag seine Beteiligungsmöglichkeiten wahrt und sich aus-
reichende Beteiligungsrechte sichert, wenn dieser Euro-
päische Stabilisierungsmechanismus errichtet werden
soll bzw. er im konkreten Einzelfall aktiviert werden
soll. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass in jedem Fall ei-
ner Finanzhilfe der Deutsche Bundestag angemessen be-
teiligt werden muss.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Angemessen beteiligen“ ist interessant!)


Über die Einzelheiten werden wir uns unterhalten.
Aber das muss Kern der Diskussion der nächsten Tage
sein, die wir fraktionsübergreifend führen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709620300

Herr Kollege Silberhorn, erlauben Sie zum Schluss

noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1709620400

Sehr gern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709620500

Bitte schön, Herr Schick.


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709620600

Herr Kollege, ich habe vorhin schon einmal versucht,

beim Kollegen von der FDP-Fraktion herauszufinden,
wie denn angesichts der Haltung zur Gläubigerbeteili-
gung, die Sie gerade beschrieben haben und die ich auch
teile, Sie die Position der europäischen Regierungen und
meines Wissens auch der Bundesregierung einschätzen
und bewerten, dass die Gläubiger irischer Banken gerade
nicht beteiligt werden, sondern dass das Petitum der iri-
schen Regierung bisher nicht positiv beantwortet worden
ist, die Gläubiger irischer Banken beteiligen zu können.

(B)






Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

Zum Hintergrund. Wenn wir die Gläubiger dieser
Banken beteiligen, sinkt die Last für den irischen Staat.
Damit sinkt das Risiko, dass der deutsche Steuerzahler
im Falle Irlands zur Kasse gebeten wird.

Dass das nicht getan worden ist, leuchtet mir nicht ein
angesichts der Grundposition, die Sie jetzt noch einmal
vorgetragen haben.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1709620700

Herr Kollege, ich stehe hier, um meine Position dar-

zulegen. Deswegen erkläre ich nochmals mit Nachdruck,
dass ich es für richtig und für notwendig halte, dass
dann, wenn mit Steuermitteln ausgeholfen wird, damit
ein Teilverzicht von Gläubigern auf ihre Forderungen
einhergehen muss. Das ist am Ende nur auf europäischer
Ebene verhandelbar und entscheidbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich muss als Parlamentarier aber doch dieses Interesse
formulieren dürfen. Schön, dass wir da einer Meinung
sind.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Beteili-
gung des Bundestages sagen. Es geht nicht nur um die
Errichtung und die Aktivierung dieses Europäischen Sta-
bilisierungsmechanismus. Wir müssen im Zusammen-
hang damit nochmals unsere Beteiligung an der bereits
etablierten Europäischen Finanz-Stabilisierungs-Fazili-
tät überdenken. Wir müssen auch im Blick behalten,
dass die Vertragsänderung eine recht unbestimmte For-
mulierung beinhaltet, die erst dann bestimmbar wird,
wenn es konkret um Finanzierungshilfen geht. Deswe-
gen ist hier eine Beteiligung des Bundestages notwen-
dig.

Lassen Sie uns auch beim Pakt für den Euro für eine
angemessene Beteiligung des Bundestages sorgen. Denn
wenn die Bundesregierung sich in Brüssel mit den ande-
ren Partnern in Bereichen koordinieren will, die in die
nationale Zuständigkeit fallen, dann ist das einerseits
eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung, anderer-
seits wird sie damit aber auch die Erwartung verbinden,
dass der Deutsche Bundestag nachvollzieht und umsetzt,
was als Ergebnis dieser Koordination auf europäischer
Ebene herausgekommen ist. Das erfordert, dass der
Deutsche Bundestag im Vorhinein ausreichend infor-
miert und angemessen beteiligt wird.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709620800

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1709620900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Mit der vorliegenden Vertragsänderung soll
erreicht werden, dass ein permanenter Stabilitätsmecha-
nismus für die 17 Euro-Länder geschaffen wird. Zwar
hat die Wirtschafts- und Finanzkrise die Einrichtung die-
ses Mechanismus beschleunigt; gleichwohl – jetzt bitte
zuhören, Herr Roth! – geht es um weit mehr als einen
bloßen Mechanismus. Es geht darum, die EU zukunfts-
fähig zu machen und für dauerhafte Stabilität zu sorgen.
Wir haben für die 27 EU-Staaten bereits einen einheitli-
chen Binnenmarkt und werden ab Mai dieses Jahres
auch einen einheitlichen Arbeitsmarkt haben. 17 Staaten
haben eine einheitliche Währung. Diese Währung – das
kann man nicht oft genug betonen – gilt es stabil zu hal-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Von einer instabilen Währung wären alle Bürger betrof-
fen, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern.
Die Kaufkraft der Währung muss erhalten bleiben, damit
die Bürger für ihr verdientes Geld bei stabilen Preisen ei-
nen adäquaten Gegenwert bekommen.

Vieles wurde schon gesagt; das werde ich in meiner
Rede nicht mehr ansprechen.

Ein Grundproblem ist, dass nahezu alle europäischen
Staaten seit Jahren mehr ausgegeben haben, als sie ein-
genommen haben, wodurch sie drastische Schulden-
berge angehäuft haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Verkleinerung der Schuldenberge öffnet die Sicht
auf eine zukunftsorientierte Politik. Eine solche Politik
brauchen wir.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Zukunft für Zukunft!)


Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass mit den Beschlüs-
sen des Europäischen Rates folgendes Ziel formuliert
wurde: Alle müssen einen weiteren Beitrag zur langfris-
tigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen leisten.
Damit werden die Staaten gezwungen, sich den Kern-
problemen der öffentlichen Haushalte zu widmen. Die
größten Ausgabeposten und damit die größten Probleme
der öffentlichen Haushalte sind: Rente, Arbeitsmarkt,
Krankenversicherung und teilweise auch der Finanz-
markt.

Die anderen europäischen Länder, insbesondere dieje-
nigen mit schrumpfender Bevölkerung, haben fast alle
mit diesen Problemen zu kämpfen. Wenn wir uns zu-
künftig an einem Stabilitätsmechanismus beteiligen, ist
es nur folgerichtig, dass in anderen Ländern keine Be-
dingungen herrschen dürfen, die dann im Grunde auf un-
sere Kosten gehen.

Nun zum Stabilitätsmechanismus selbst. Die detail-
lierte Ausgestaltung des künftigen ESM wird in Kürze
im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens durch den
Bundestag zu beschließen sein. Die inhaltlichen Eck-
punkte zum ESM sind in dem Antrag der Regierungs-
fraktionen festgelegt. Zwei Punkte wurden jetzt mehr-
fach angesprochen. Den Ankauf von Staatsanleihen auf
dem Primärmarkt halte ich durchaus für vertretbar; denn





Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)

das ist im Grunde eine Überbrückungsmaßnahme für ei-
nen Staat, der sich am Kapitalmarkt finanzieren will, um
sich über eine kurzfristig schwierige Zeit zu retten. Ein
Ankauf auf dem Sekundärmarkt wäre keinesfalls vertret-
bar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zur Gläubigerbeteiligung – auch dieses Thema wurde
schon angesprochen –: Wenn man Gläubiger zu einem
zu frühen Zeitpunkt beteiligen würde, dann würde es un-
ter Umständen eine Kettenreaktion im Bankensektor ge-
ben, die zu entsprechenden Verwerfungen führt. Deswe-
gen ist es richtig, dass ab Mitte 2013 entsprechende
Klauseln in Anleihen aufgenommen werden, damit sich
die Gläubiger und andere Marktteilnehmer auf eine
eventuelle Beteiligung einstellen können. Dann wird die
Lage auf dem Kapitalmarkt stabil bleiben.

Was unseren eigenen Beitrag zum ESM betrifft: Wir
werden wie auch andere Staaten Bürgschaften in enor-
mer Höhe ausstellen und gegebenenfalls auch Einzah-
lungen in die künftige Stabilitätsgesellschaft vornehmen.
Ein Ausreichen von Geldern aus dieser Gesellschaft
wird aber nur als Ultima Ratio unter strengsten Bedin-
gungen und unter der Maßgabe erfolgen – ich glaube,
das ist der deutliche Unterschied zu den Vorschlägen in
den Anträgen der Opposition –, dass in erster Linie das
betreffende Land seine Probleme selber lösen muss.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Wir behaupten doch nichts anderes!)


Im Hinblick auf die geäußerte Kritik, dass automati-
sche Sanktionen fehlen, sei angemerkt: Der Pakt ist so
ausgestaltet, dass ein Land, welches sich unter den Ret-
tungsschirm begibt, weitgehende Eingriffe in seine Sou-
veränität hinnehmen muss. Mit Verlaub: Vorschläge in
den Anträgen der Opposition wie Euro-Bonds oder die
soziale Fortschrittsklausel hemmen eher das Wirt-
schaftswachstum und schützen die Interessen unserer
Bürger nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die von der Bundesregierung durchgesetzte gesetzli-
che Verankerung einer Schuldenbremse auch in anderen
europäischen Ländern wird maßgeblich zur Trendum-
kehr bei der Verschuldung der Staaten beitragen. Diese
Trendumkehr muss schnellstmöglich erreicht werden,
damit sich die Staaten selbst am Kapitalmarkt finanzie-
ren können. Wir erwarten diese Trendumkehr in zwei bis
drei Jahren. Allerdings ist der ESM dauerhaft angelegt.
Daher ist es umso wichtiger, dass der Deutsche Bundes-
tag in jedem einzelnen Fall entscheiden muss, ob ein
Land Hilfe aus der Stabilitätsgesellschaft bekommt.
Auch das haben wir in unserem Antrag vorgesehen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709621000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union auf Drucksache 17/5094. Ich
informiere darüber, dass dazu zwei persönliche Erklä-
rungen nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen, die
wir zu Protokoll nehmen.1)

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, die Annahme des Antrages der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/4880 mit dem
Titel „Einvernehmensherstellung von Bundestag und
Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136 des
Vertrages über die Arbeitsweise des Europäischen
Union (AEUV) hinsichtlich der Einrichtung eines Euro-
päischen Stabilitätsmechanismus (ESM) – hier: Stel-
lungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23
Abs. 3 GG …“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/4881 mit dem Titel „Her-
stellung des Einvernehmens bezüglich der Ergänzung
von Art. 136 AEUV zur Einrichtung eines Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) verantwortlich gestal-
ten“. Zu dem Antrag liegt ein Änderungsantrag der Frak-
tion der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/5095? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-
trag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der
SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen.

Damit kommen wir zur Abstimmung über Nr. 2 der
Beschlussempfehlung: Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/4881. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und
von Bündnis 90/Die Grünen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4882 zum Ent-
wurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Än-
derung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-
schen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus
für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen ge-
gen die Fraktion Die Linke.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 17/4883 mit dem Titel „Herstellung des Einverneh-
mens zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Än-
derung des Artikels 136 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines
Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren

1) Anlage 11





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)

Währung der Euro ist“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge-
gen die Stimmen der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/
Die Grünen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Gesundheit

(14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Hilde Mattheis, Dr. Karl Lauterbach, Elke
Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Qualität und Transparenz in der Pflege konse-
quent weiterentwickeln – Pflege-Transparenz-
kriterien optimieren

– Drucksachen 17/1427, 17/4925 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Willi Zylajew

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Heinz Lanfermann von der FDP-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Heinz Lanfermann (FDP):
Rede ID: ID1709621100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer gut, zu
späterer Stunde noch einmal über die Pflege zu spre-
chen, insbesondere nachdem Gesundheitsminister
Philipp Rösler das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege erklärt
hat und die Dinge durch die in guter Atmosphäre geführ-
ten Gesprächsrunden, die allseits gelobt werden, auf ei-
nen guten Weg gebracht hat.

Wir werden in diesem Jahr noch öfter über die Pflege
sprechen. Wir werden auch darüber sprechen, wie wir
den finanziellen und demografischen Herausforderungen
begegnen wollen; auch dies wird ein spannendes Thema
werden.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach den Wahlen!)


Selbstverständlich werden wir auch über Qualitätsver-
besserungen sprechen. Wir werden außerdem darüber
sprechen, wie wir den Pflegebedürftigkeitsbegriff aus-
füllen werden.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer das nachher bezahlt!)


Darüber könnte man jetzt noch vieles sagen. Aber der
Anlass dieser Debatte ist ja – das will ich nicht ver-
schweigen – ein Antrag, der kaum noch geeignet ist, eine
ganze Debatte zu füllen.


(Ulrike Flach [FDP]: Genau!)

Es handelt sich um einen Antrag der SPD, der aus dem
April des letzten Jahres stammt. Bevor er jetzt sozusagen
aus Zeitgründen verfällt, hat die SPD-Fraktion ihn noch
einmal ins Plenum zurückgeholt.

Er ist allerdings in allen wesentlichen Punkten über-
holt. Vieles stimmte schon nicht, als Sie ihn geschrieben
haben. Eigentlich hätten Sie ihn im Ausschuss für erle-
digt erklären müssen, aber Sie konnten sich nicht von
ihm trennen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb hören Sie heute noch einmal die Kritik. Im
Ausschuss wurde selbst von den anderen Oppositions-
fraktionen, von den Grünen und von den Linken, erheb-
liche Kritik an der Qualität dieses Antrags geübt. Viel-
leicht hören wir das alles gleich noch einmal.

Kommen wir aber zur Sache selbst. Wir sind uns doch
ohnehin alle darüber einig, dass die Transparenz im Pfle-
gebereich noch weiter erhöht werden soll, dass die Pfle-
gebedürftigen und ihre Angehörigen natürlich ein Recht
haben, zu erfahren, wo sie gute Pflege erwarten können
und wie die einzelnen Einrichtungen einzuschätzen sind,
und zwar insbesondere dann, wenn der Pflegefall eintritt.
Denn wir wissen, dass das häufig besonders kurzfristig
sein kann, dass man von dieser Situation oft überrascht
wird, zum Beispiel nach Schlaganfällen. Insofern kann
Transparenz gar nicht groß genug geschrieben werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Im Übrigen gilt das auch für die Anbieter selbst, denen
wir immer wieder empfohlen haben, von sich aus voran-
zugehen, auf Transparenz zu setzen, auch weil es natür-
lich Wettbewerb gibt. Das ist auch gut so. Die Pflegebe-
dürftigen oder ihre Angehörigen, die sich ja meist darum
kümmern, sollen wählen können und sollen insofern als
Kunden verstanden werden und nicht als Objekte, die ir-
gendwie zu versorgen sind. Das Internet bietet zum Bei-
spiel neue Möglichkeiten, die genutzt werden. Man kann
sich erkundigen, welche Angebote denn in der Umge-
bung – das ist meist wichtig – vorhanden sind. Natürlich
war das auch das Ziel, als man die Pflege-Transparenz-
vereinbarung oder – wie man so schön sagt – den Pflege-
TÜV eingeführt hat.

Meine Damen und Herren, gerade auch meine Kolle-
gin von der SPD, natürlich steht der Pflege-TÜV seit sei-
ner Einführung, insbesondere die Bewertungssystema-
tik zur Berechnung der Noten, in der Kritik. Das kann
bei einem neuen System auch nicht verwundern, das
bundesweit unter zum Teil unterschiedlichen Bedingun-
gen angewandt wird. Selbstverständlich ist für mich,
dass zum Beispiel daran festgehalten werden muss, dass
die Prüfungen unangemeldet erfolgen, oder dass nie-
mand schlechte pflegerische Leistungen durch gutes
Essen – so erfreulich das sein mag – oder eine schöne
Aussicht ausgleichen kann. Es ist unstrittig, dass es beim
Bewertungssystem einen gewissen Nachbesserungsbe-
darf gibt.

Den zu konkretisieren und ein entsprechendes Verfah-
ren zu finden, war und ist Aufgabe der Selbstverwaltung,





Heinz Lanfermann


(A) (C)



(D)(B)

die aber leider aufgrund einer gewissen Selbstblockade
in ihren Reihen diese Aufgabe nicht bewältigt hat.

Dabei ist der Vorwurf der SPD, das Ministerium sei
untätig gewesen, objektiv falsch. Wer auch immer sich
bemüht hat – Frau Widmann-Mauz, Herr Kapferer oder
wer auch immer –, für Einigkeit zu sorgen, zu moderie-
ren, zu helfen – es hat nicht funktioniert. Deswegen ha-
ben wir jetzt gehandelt.

In dem Infektionsschutzgesetz, das gestern im Kabi-
nett beschlossen wurde, gibt es einen Artikel, mit dem
dieses Problem jetzt gelöst wird. Sie wissen: Bisher
mussten Veränderungen einstimmig beschlossen wer-
den. Das hat sich nicht bewährt. Der funktionierende
Konfliktlösungsmechanismus heißt jetzt Schiedsstelle.
Wir wollten keine Verordnung; wir wollten nichts von
oben herab machen. Wir wollten nicht, dass die Regie-
rung etwas macht. Wir wollten, dass die Selbstverwal-
tung zum Zuge kommt, und wir wollten Gruppen oder
Verbände natürlich auch nicht ausschließen.

Aber sie müssen einsehen: Irgendwann ist Schluss. Es
muss zügig gehandelt werden. Deswegen haben wir ge-
wisse Zeitvorstellungen, bis wann man sich einigen
muss oder wann man eine Schiedsstelle anrufen kann.
Man sollte durchaus noch einmal darüber diskutieren,
was richtig ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wir
werden uns im Ausschuss bei den Beratungen sicherlich
noch damit auseinandersetzen. Sie sind alle herzlich ein-
geladen, an diesem – in dem Falle – kleinen Reformvor-
haben der Regierung mitzuarbeiten.

Ich glaube, wir werden gemeinsam sehen, dass dieser
Konfliktlösungsmechanismus die Selbstverwaltung
stärkt. Auch das ist gut für die Pflege, für die Betroffe-
nen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709621200

Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1709621300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Lanfermann hat gerade betont, dass die Koalitions-
fraktionen das Jahr der Pflege ausgerufen haben. Ich
muss feststellen: Unser Antrag ist genau richtig. Denn
gestern hat das Kabinett nach vielen Monaten des War-
tens endlich eine Lösung für das Problem vorgelegt, das
wir im Bereich der Qualität und Transparenz in der
Pflege beobachten mussten: Es kann zu einer Blockade-
haltung kommen. Wir werden in den nächsten Wochen
und Monaten darüber zu diskutieren haben, ob die
Schiedsstellenlösung unseren Ansprüchen wirklich ge-
recht wird.

Unser Antrag vom April letzten Jahres hat vorwegge-
nommen, was im Herbst für alle offensichtlich wurde:
Die Vereinbarungen zu Qualität und Transparenz sind in
zwei ganz wichtigen Punkten wirklich mangelhaft; sie
führen deshalb nicht zu dem Ergebnis, das wir uns ge-
wünscht haben. Das gewünschte Ergebnis wäre nämlich
gewesen, die Transparenz von Einrichtungen und ambu-
lanten Pflegediensten zu erhöhen, damit ihre Qualität
richtig eingeschätzt werden kann. Das sollte dazu füh-
ren, dass Angehörige und Pflegebedürftige zum Beispiel
über das Internet erfahren können, welche Einrichtung
für sie die richtige ist.

Ich darf es an dieser Stelle sagen: Es war für uns alle
– für alle Fraktionen – immer ein wichtiges und richtiges
Anliegen, für mehr Transparenz und Qualität zu sorgen;
dies hat uns geeint. Daher sollten wir uns jetzt auf den
Weg machen und in der Tat die richtige Lösung finden.
Dafür streiten wir; denn es ist richtig: Die Bewertungs-
kriterien, die vereinbart worden sind, lassen oftmals
nicht den Blick in die Einrichtung zu.

Ich möchte das am Beispiel einer Einrichtung hier aus
Berlin festmachen. Da werden im Qualitätsbereich 1
– Pflege und medizinische Versorgung – zum Beispiel
folgende Noten vergeben: Ist der Umgang mit Medika-
menten sachgerecht? Note: 4,1. Werden erforderliche
Dekubitusprophylaxen durchgeführt? Note: 3,4. Werden
erforderliche Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt?
Note: 3,6. Wird die Pflege im Regelfall von denselben
Pflegekräften durchgeführt? Note: 4,8. Im Gegensatz
dazu werden in den weicheren Bereichen, zum Beispiel
bei der Angehörigenarbeit, Noten wie 1,0 vergeben. Ge-
samtnote: 1,3.

Das sind genau die Kriterien, an denen es zu arbeiten
gilt. Wir sagen: Es kann nicht sein, dass bestimmte
Wohlfühlkriterien dazu führen, dass Mängel im pflegeri-
schen Bereich überdeckt werden; deswegen ist dieser
Punkt so wichtig. Wir haben die Bewertung der Qualität
von Pflegeeinrichtungen gemeinsam mit Schwarz im
Pflege-Weiterentwicklungsgesetz auf den Weg ge-
bracht, welches dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz
nachfolgte. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Bau-
steine für mehr Qualität und Transparenz in der Pflege
stimmig sind; sie dürfen nicht dazu führen, dass Ange-
hörige keinen richtigen Blick in die Einrichtung erhal-
ten, denn dann könnten wir es gleich lassen.


(Beifall bei der SPD)


Ich wollte mit meinem Beispiel deutlich machen: Die
gravierenden pflegerischen Mängel dürfen nicht von
weichen Kriterien überdeckt werden; das darf nicht sein.
Deshalb kam es schon nach Veröffentlichung der ersten
Pflegenoten im Jahr 2010 unter Fachleuten zu intensiven
Diskussionen. Die Fachwelt hat gesagt: Das muss über-
arbeitet werden.

Schlecht ist, dass sich die Bundesregierung so viel
Zeit für die Überarbeitung genommen hat und jetzt die
Reform an ein Gesetz anhängen muss. Es wäre wichtig
gewesen, schon im Herbst darauf hinzuwirken, dass wir
in diesem Bereich eine Nachbesserung erhalten.


(Beifall bei der SPD)


Die Frage ist in der Tat, ob die Schiedsstellen die rich-
tige Lösung sind. Schiedsstellen sind zur Moderation
zwischen Blöcken angelegt.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)


(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Welchen Vorschlag haben Sie denn gemacht?)


Schiedsstellen sind dazu aufgerufen, einen Kompromiss-
vorschlag zu erarbeiten. Neue Lösungen sind nicht ge-
fragt. Schiedsstellen brauchen Zeit. Ob dadurch das Ver-
trauen der Bevölkerung in die Aussagekraft der
Ergebnisse steigt, wage ich zu bezweifeln. Wegen der
Zweifel an der Schiedsstellenlösung fordern wir, auch
andere Lösungen in Betracht zu ziehen und zum Beispiel
den Vorschlag der A-Länder nach einer bundesrechtli-
chen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung
aufzugreifen oder das Deutsche Netzwerk für Qualitäts-
entwicklung in der Pflege zu beauftragen. Eines ist klar:
Wir müssen alles tun, um der Verpflichtung, der wir uns
im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz gemeinsam ver-
schrieben haben, gerecht zu werden.


(Beifall bei der SPD)


Für meine Partei und meine Fraktion ist klar: Über
Qualität in der Pflege kann und darf nicht verhandelt
werden. Sie steht für einen Kompromiss nicht zur Verfü-
gung. Wenn wir Qualität einfordern, dann meinen wir
auch Qualität. Davon rücken wir nicht ab. Die Bevölke-
rung hat auch in diesem Bereich ein Recht auf Informa-
tion und Transparenz.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709621400

Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Willi Zylajew (CDU):
Rede ID: ID1709621500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

gerade einen Beitrag der Kollegin Mattheis gehört, der,
verehrte Frau Mattheis, überhaupt nichts mit dem Antrag
zu tun hatte, den wir heute beraten.


(Hilde Mattheis [SPD]: Doch! Sie haben ihn nicht gelesen, Herr Zylajew!)


– Doch. Ich habe ihn sogar dabei. Ich kann Ihnen den
Antrag gerne zur Verfügung stellen.


(Lachen bei der SPD)


In dem Antrag steht etwas über Qualität und Transpa-
renz in der Pflege, zur konsequenten Weiterentwicklung
und zur Optimierung. In dem Antrag steht – wenn Sie
wollen, lesen Sie das nach –: „Der Deutsche Bundestag
stellt fest: …“


(Hilde Mattheis [SPD]: Das steht meistens drin!)


Das ist aber auch schon alles. Er enthält keine Forderun-
gen. Dann steht hier: „Der Deutsche Bundestag ist der
Auffassung … Der Deutsche Bundestag fordert die Bun-
desregierung auf …“. Etwas Substanzielles ist in Ihrem
Antrag nicht enthalten. Dort steht nichts von dem, was
Sie eben gesagt haben.

(Hilde Mattheis [SPD]: Doch! – Mechthild Rawert [SPD]: Sie haben ihn wirklich nicht gelesen!)


Frau Mattheis, SPD und CDU/CSU haben in der Gro-
ßen Koalition den Pflege-TÜV gemeinsam eingerichtet.
Wir wollten die Leistungen stationärer und ambulanter
Einrichtungen erfassen und vergleichbar machen – das
war unser gemeinsames Ziel –, und zwar durch unange-
meldete Prüfungen. Der Pflege-TÜV ist eine wichtige
Hilfe für Angehörige; das wissen wir alle. Wir wollen
ihn weiterentwickeln. Die Heime profitieren davon.
Qualitätsunterschiede werden abgebildet. Schwächen,
aber auch positive Dinge werden deutlich. Jeder gute
Träger müsste interessiert daran sein, bewertet und beno-
tet zu werden.

Die SPD erkennt das auch an. In Ihrem Antrag steht
unter II., dass die Transparenzvereinbarungen geeignet
sind, um Qualität und Qualitätsunterschiede abzubilden.
Ihr Antrag enthält aber überhaupt keinen Vorschlag, wie
wir die Dinge verbessern können. Sie haben eben nur
das Verfahren erläutert, das zwischenzeitlich angewen-
det wurde.

Wir wollten nicht – das wollten Sie übrigens auch
nicht –, dass Ministerialbeamte die Begriffe Qualität und
Transparenz für den Bereich der Pflege definieren. Wir
haben das der Selbstverwaltung überlassen, also den
Fachleuten bei den Krankenkassen und den Fachleuten
bei den Leistungserbringern, von denen einige heute hier
sind. Jetzt hat sich gezeigt, dass die Transparenzkriterien
optimiert werden müssen. Damit waren fast alle Träger
einverstanden. Nur zwei kleine Trägerverbände, der Ver-
band Deutscher Alten- und Behindertenhilfe und der Ar-
beitgeber- und Berufsverband Privater Pflege, waren an-
derer Auffassung. Das Ministerium hat dann sehr
beherzt eingegriffen


(Hilde Mattheis [SPD]: Beherzt ist etwas anderes! Nach Monaten!)


– ja, nicht in der Basta-Manier des Herrn Schröder – und
die Fachleute gebeten, sich darauf zu verständigen, die
Kriterien weiterzuentwickeln. Dies ist passiert.

Wir richten eine Schiedsstelle ein. Gestern hat das
Kabinett Entsprechendes auf den Weg gebracht. Wir
sind gespannt, welche Optimierungsvorschläge Sie für
die Schiedsstelle haben. Das werden wir uns dann in
Ruhe anschauen. Uns ist die Frist von drei Monaten
wichtig. Um es noch einmal zu sagen: Die Träger und
Leistungserbringer haben, wenn sie Änderungswünsche
haben, drei Monate Zeit, sich zu verständigen. Danach
wird es eine Schiedsstellenentscheidung geben. Das ist
der vernünftigste, durch Fachleute geprägte Weg.


(Hilde Mattheis [SPD]: Sie ziehen das Verfahren in die Länge!)


Aber auch dazu steht nichts in Ihrem Antrag. Im Antrag
heißt es nur – ich wiederhole mich –: „Der Deutsche
Bundestag stellt fest: … Der Deutsche Bundestag ist der
Auffassung, dass …“ Das war es. Dass Sie heute ein biss-
chen klüger sind, akzeptiere ich gern.





Willi Zylajew


(A) (C)



(D)(B)

Ich will an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sa-
gen, dass die Leistungserbringer mit dem, was wir tun,
zum größten Teil ausgesprochen zufrieden sind. Es gibt
eine neue Befragung der Basis, nicht der Funktionäre.
Danach sind in Westfalen-Lippe 98 Prozent der Einrich-
tungen der Meinung, die Prüfung sei fachkompetent. –
Sie haben den praktischen Nutzen, den Wert der Prüfung
herausgestrichen. 53,2 Prozent meinen, der Wert der
Prüfung sei hoch, 37,9 Prozent meinen, er sei eher hoch,
7,5 Prozent meinen, er sei eher gering, und nur
1,4 Prozent meinen, der Wert sei gering. Insofern hat die
Basis dieses Verfahren längst angenommen.

Wir schaffen Transparenz, wir optimieren. Wir orien-
tieren uns nicht an dem, was Sie im Antrag geschrieben
haben, sind nicht zufrieden mit banalen Feststellungen,
die nicht weiterhelfen, sondern machen die Transparenz-
vereinbarungen in der Weiterentwicklung zu einem her-
vorragenden Instrument für Pflegebedürftige und deren
Angehörige. Sie haben ja die Quittung für Ihren Antrag
bekommen. Nicht einmal die Kolleginnen und Kollegen
der anderen Oppositionsfraktionen haben Ihrem Antrag
im Ausschuss auch nur eine Stimme gegeben. Dieses Er-
gebnis spricht doch für sich. Die Qualität dieses Antrags
ist schon vor einem Jahr dürftig gewesen; heute ist der
Antrag überholt.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709621600

Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer

von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709621700

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Menschen, die gepflegt werden, müssen das
bekommen, was sie brauchen. Die Grundvoraussetzung
dafür ist, dass gute Pflege erkennbar wird. Genau daran
müssen sich die Pflegeeinrichtungen messen lassen. Wo-
ran sonst sollten sich Angehörige halten, wenn sie den
bestmöglichen Pflegeplatz für Mutter oder Vater suchen?
Wie wir alle wissen, wird die soziale Dienstleistung
Pflege in Deutschland knallhart über den Wettbewerb or-
ganisiert. Wir sagen: Das geht nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Pflege ist eine öffentliche Daseinsfürsorge, und sie
darf nichts mit Profitmacherei zu tun haben. Herr
Lanfermann, auch wenn Sie sagen, dass Pflegebedürf-
tige in erster Linie Kunden sind: Für uns sind Pflegebe-
dürftige in erster Linie Menschen.


(Beifall bei der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Für uns auch! – Heinz Lanfermann [FDP]: Von „in erster Linie“ hat niemand gesprochen! Sie dürfen nicht falsch zitieren, sonst kommen Sie in die Zeitung!)


– Das müssen Sie gerade sagen.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Wieso ich? Ich habe noch nie falsch zitiert! Ich habe nicht einmal einen Doktortitel!)


Für mich ist dann ganz logisch, dass durch das Sicht-
barmachen von guter und schlechter Qualität in Pflege-
einrichtungen es eben nicht der Markt sein kann, der da-
für sorgt, dass schlechte Pflege verschwindet. Mit der
gesetzlichen Pflegeversicherung, die sich sozial nennt,
aber nicht den tatsächlichen Pflegebedarf eines Men-
schen abdeckt, werden die Pflegebedürftigen gegen die
Pflegekräfte ausgespielt, und umgekehrt. Solange das so
ist, brauchen wir im Interesse der Pflegebedürftigen und
des Pflegepersonals eine Weiterentwicklung der Pflege-
noten.


(Beifall bei der LINKEN)


So wie die Pflegenoten heute erhoben werden, erge-
ben sie ein unklares Abbild der Pflege. Es ist noch im-
mer möglich, schlechte Pflege beispielsweise in der
Wundversorgung mit einem gut sichtbaren Speiseplan zu
kaschieren. Bei der Weiterentwicklung der Pflegenoten
hakt es, und zwar gewaltig. Ich verstehe nicht, warum
über die Weiterentwicklung der Pflegenoten überhaupt
noch gestritten wird. Noch viel weniger verstehe ich, wie
zwei kleine Arbeitgeberverbände – sie wurden ge-
nannt –, die nicht einmal 5 Prozent der Pflegeeinrichtun-
gen vertreten, die Weiterentwicklung der Pflegenoten
blockieren können.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Unerhört!)


Das Ganze führt doch im Ergebnis zu einem Vertrauens-
verlust und zu Skepsis gegenüber den Pflegeeinrichtun-
gen.


(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: So ist das!)


Was gut gemeint ist, kann so schlicht keine Wirkung zei-
gen.


(Beifall bei der LINKEN)


Allen ist klar: Gute, qualitativ hochwertige Pflege
hängt entscheidend von qualifiziertem und motiviertem
Personal ab. Dafür steht die Linke seit jeher.


(Beifall bei der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Aha!)


– Ja, das ist so. – Die äußerst schwere und aufopferungs-
volle Arbeit des Pflegepersonals kann, gerade im Inte-
resse der Pflegebedürftigen, nicht hoch genug wertge-
schätzt werden.

Bringen wir es doch einmal auf den Punkt: Wir befin-
den uns mitten im Pflegenotstand. Die Hauptursachen
dafür sind schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Be-
zahlung und die daraus resultierende fehlende Attraktivi-
tät des Pflegeberufs. Wir meinen, dass es deshalb zwin-
gend notwendig ist, die Arbeitsbedingungen bei den
Pflegenoten zu berücksichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine Pflegerin, die im Minutentakt arbeiten muss, die für
An- und Auskleiden und Körperpflege nur wenige Mi-
nuten zur Verfügung hat, wird auf Dauer so im Stress





Kathrin Senger-Schäfer


(A) (C)



(D)(B)

sein, dass ihr kaum Raum bleibt für ausführliche Gesprä-
che und Fürsorge, die zu Pflegende so dringend brau-
chen. Das macht die Qualität der Pflege aus meiner Sicht
entscheidend aus; denn die Arbeitsbedingungen in der
Pflege haben Einfluss auf die Pflegequalität.

Dieser wichtige Aspekt wird im Antrag der SPD zwar
erwähnt, findet sich dann aber in den Forderungen leider
nicht wieder.


(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Richtig!)


Die Linke kann sich daher nur enthalten.


(Beifall des Abg. Willi Zylajew [CDU/CSU])


Darüber, was die Bundesregierung nun zur Zukunft
der Pflegenoten vorschlägt, wird an anderer Stelle zu
diskutieren sein. Sie alle können sich ganz sicher sein,
dass wir jeden Ihrer Vorschläge im Interesse der zu Pfle-
genden und der Pflegekräfte äußerst kritisch begleiten
werden.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709621800

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Scharfenberg

von Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Pflege-Transparenzvereinbarung, besser be-
kannt als Pflege-TÜV – er wurde schon mehrmals ge-
nannt –, sollte Transparenz erzeugen. Mit dieser
Verheißung war man angetreten. Anhand einer einzigen
Pflegenote sollte die Qualität einer Pflegeeinrichtung
oder eines Pflegedienstes zu erkennen sein. Diese eine
Note setzt sich aus einer Fülle von Einzelnoten für unter-
schiedliche Leistungsbereiche zusammen. Keine Rück-
sicht wurde darauf genommen, was miteinander vergli-
chen und gegeneinander aufgewogen wurde, ob nun
Äpfel mit Birnen oder Speisepläne mit Demenzkonzep-
ten. Anstatt in der Pflege für Transparenz zu sorgen, ver-
nebelt der Pflege-TÜV die wahre Situation im Pflege-
alltag. Transparenz wird auf eine transparente
Dokumentation reduziert. Die Frage ist, was für den
Nutzer und die Nutzerin am Ende dabei herauskommt.
Diese Frage ist unbeantwortet geblieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Fehler beim Pflege-TÜV ist unserer Ansicht nach
schon bei seiner Geburt zu finden. Es sollte in allererster
Linie um die Verbraucherinnen und Verbraucher gehen;
ihnen sollte er dienen. Doch bei der Erarbeitung der Kri-
terien wurden wichtige Geburtshelfer außen vor gelas-
sen, zum Beispiel die für uns wichtigste Gruppe, die Ver-
braucherverbände und die Selbsthilfeorganisationen.
Diese wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie hat-
ten gerade einmal ein Stellungnahmerecht. Größere Zu-
geständnisse räumte man ihnen nicht ein, und das ganz
nach dem Motto: zwar für euch, aber bitte ohne euch.
Wir haben von Anfang an kritisiert, dass die Kosten-
träger und die Leistungserbringer die Bewertungskrite-
rien unter sich ausmachen. Dieser Mangel wird leider
auch durch den Antrag der SPD-Fraktion nicht geheilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies steht auch im Hinblick auf die weitere Überarbei-
tung der Transparenzkriterien leider nicht auf der
Agenda. Ich frage: Wann beziehen wir endlich die
Adressaten und Adressatinnen des Pflege-TÜV mit ein?

Grüne Politik ist für uns immer auch Politik für Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Wir begrüßen Regelun-
gen, die wirklich darauf abzielen, Transparenz für Ver-
braucherinnen und Verbraucher herzustellen. Deshalb ist
es wichtig, diese Zielgruppe nicht länger in die Irre zu
führen. Genau das tut derzeit die Gesamtnote des Pflege-
TÜV. Wir Grüne plädieren dafür, die Gesamtnote als
Erstes abzuschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Gesamtnote hat ihr Ziel, mehr Transparenz zu schaf-
fen, verfehlt. Sie verleitet dazu, sich nicht detailliert mit
den Einzelbereichen zu beschäftigen. Der Heimalltag ist
nun einmal komplex; er lässt sich nicht schnell in eine
Note packen. Es wäre vermessen, zu meinen, dass man
aufgrund dieser Note ein Urteil darüber fällen könnte,
wie gut in einem Heim gearbeitet wird oder wo genau
die Defizite eines Pflegedienstes sind. Aber diese Ge-
samtnote gaukelt uns den Durchblick vor.

Uns geht es darum, auch Lebensqualität zu beurteilen.
Pflege, die es schafft, Lebensqualität zu bieten und zu er-
höhen, ist eine gute Pflege.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lebensqualität und Wohlbefinden sind aber in hohem
Maße subjektiv. Genau darin liegt die Schwierigkeit. Le-
bensqualität bedeutet nicht für jede und jeden das Glei-
che. Prüfungen und Benotungen sind im Sinne des Ver-
braucherschutzes zwar wichtig. Sie dürfen aber nicht
dazu führen, dass die Lebenswelt dadurch standardisiert
oder normiert wird. Dann wird der Pflege-TÜV zum
Selbstzweck, und dann dient er überhaupt nicht zur Hilfe
für die Betroffenen. Wenn der Pflege-TÜV wirklich zum
Wegweiser werden soll, dann ist noch sehr viel zu tun,
und das zusammen mit den Nutzerinnen und Nutzern.

Im Übrigen: Herr Lanfermann, Sie sprachen vom Jahr
der Pflege.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Ja! 2011!)


Es wird sich zeigen, wie dieses Jahr der Pflege mit Inhal-
ten gefüllt wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


und zwar im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer, der Pfle-
gebedürftigen, der Angehörigen und der Pflegenden. An
diesen Inhalten wird man Sie letztendlich messen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709621900

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Stephan Stracke von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1709622000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Gute Pflege braucht Qualität. Gute Pflege
braucht Instrumente, um Qualität zu sichern und weiter-
zuentwickeln. Deswegen haben wir interne Qualitätsma-
nagementverfahren, Expertenstandards und Qualitäts-
prüfungen. Aber für den Verbraucher, gerade für die
Pflegebedürftigen und deren Angehörige, ist es wichtig,
dass Leistungen im ambulanten wie im stationären Be-
reich und ihre Qualität verständlich, übersichtlich und
vergleichbar beurteilt werden können. Der Verbraucher
möchte bei der nicht immer einfachen Suche nach der
passenden Pflege eine Entscheidungshilfe bekommen.
Deswegen haben wir Pflegequalität sichtbar gemacht
und für Transparenz der Pflegeleistungen gesorgt. Des-
wegen hat der Medizinische Dienst der Krankenversi-
cherung rund 18 000 Pflegeeinrichtungen auf Transpa-
renz überprüft und 14 000 Transparenzberichte im
Internet veröffentlicht. Das ist ein echter Beitrag zu
mehr Transparenz in der Pflege.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Transparenzvereinbarungen und ihre Weiterent-
wicklung haben wir bewusst in die Hände der Selbstver-
waltung gelegt. Dort wollen wir sie auch belassen. Denn
die Selbstverwaltung verfügt wie kaum jemand anders
über die Möglichkeit, Sachverstand mit praxistauglichen
und flexiblen Lösungen zu verbinden. Das ist ihre Auf-
gabe und Verantwortung zugleich. Aus dieser Verant-
wortung werden wir sie nicht entlassen.

Zu verantwortlichem Handeln der Selbstverwaltung
gehört auch, zu begreifen, dass die Qualität der Pflege
und nicht zuletzt auch die Transparenz für die Pflegebe-
dürftigen und ihre Angehörigen stets weiterentwickelt
werden müssen. Wie in der Pflege selbst muss auch bei
den Transparenzvereinbarungen das Ergebnis stimmen,
und hieran mangelt es. Hieran mangelt es beispielsweise
bei dem System der Zufallsstichprobe, wie sie bislang in
den Vereinbarungen verankert ist. So werden wichtige
Kriterien wie Flüssigkeitsversorgung, Ernährungszu-
stand und Wundliegen gerade im ambulanten Bereich
nur unzureichend erfasst. Die Gefahr des Übersehens
von gravierenden Pflegemängeln ist deshalb groß. Zu-
dem ist die Vergleichbarkeit der Prüfergebnisse nicht ge-
währleistet. Schlechte Bewertungen können aufgrund
der Mittelwertbildung einfach ausgeglichen werden, und
durch die Durchschnittsbildung werden Einrichtungen
mit einem größeren Anteil an Pflegefällen mit großem
Risiko benachteiligt.

All das gefährdet die Glaubwürdigkeit des Transpa-
renzinstruments als solches. Die Träger, die hieran nichts
ändern wollen, leisten gerade den Pflegeeinrichtungen,
die gute Arbeit leisten, einen Bärendienst.

(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Sehr gut! Genau!)


Denn diese Einrichtungen haben zu Recht einen An-
spruch darauf, dass sich gute, qualitätsvolle Leistung
auch lohnt. Deshalb muss eine klare Unterscheidbarkeit
zu schlechteren Einrichtungen gegeben sein. Auch darin
liegt die Verantwortung der Selbstverwaltung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es war gut, dass das Bundesministerium für Gesund-
heit von Beginn an den Umsetzungsprozess eng begleitet
und immer wieder auf die Wahrnehmung von Verant-
wortung der Leistungspartner gedrängt hat. Umso ent-
täuschender ist es, dass sich die Selbstverwaltung letzt-
lich selbst blockiert. Das liegt zum einen daran, dass
aufgrund der Vereinbarungen das Einstimmigkeitsprin-
zip angewendet werden muss, und zum anderen daran,
dass auch das Kündigungsrecht keine wirkliche Wirkung
entfalten kann, da das alte Recht bis zur Geltung einer
neuen Vereinbarung weiterhin gilt. Es ist allerdings nicht
akzeptabel, dass diese Selbstblockade besteht. Wir wol-
len diese Eigenblockade mit einer Schiedsstellenlösung
überwinden. Diese Schiedsstellenlösung entspricht dem
Wunsch relevanter Teile der Selbstverwaltung und ist ein
Konfliktlösungsmechanismus, der der Systematik des
SGB XI Rechnung trägt. Durch die Möglichkeit der
Fristverkürzung bei der Anrufung der Schiedsstelle be-
steht die Chance auf eine rasche Auflösung der derzeiti-
gen Blockade.

Wenn Sie nun, liebe Frau Kollegin Mattheis, kritisie-
ren, dass Schiedsstellenlösungen unter Umständen zu
Kompromissen verleiten, dann stellen Sie indirekt die
gesamte Konzeption infrage. Selbstverständlich ist die
Transparenzvereinbarung, so wie sie angelegt ist, auf
eine Vereinbarung der Selbstverwaltung bezogen. Daher
verabschieden Sie sich wieder von einem Stück dessen,
was wir in der Großen Koalition vereinbart haben. Das
finde ich etwas schade.


(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist ja lächerlich!)


Ich erwarte nun, dass sich die Selbstverwaltung ihrer
Verantwortung bewusst ist und dementsprechend han-
delt. Ich erwarte von der Selbstverwaltung, dass das der-
zeit unzureichende System der Zufallsstichprobe durch
ein geeigneteres System ersetzt wird und dass Verrech-
nungsmöglichkeiten und Überstrahlungseffekte in Zu-
kunft nicht mehr gegeben sind. Ich bin mir sicher, dass
das Bundesministerium für Gesundheit diesen anstehen-
den Weiterentwicklungsprozess weiterhin eng begleiten
wird, und ich bin mir gewiss, dass die Hausspitze auf
diese Weise der Selbstverwaltung den notwendigen Rah-
men aufzeigt, in dem Veränderungen notwendig und
sinnvoll sind. Diesen Prozess werden nicht zuletzt wir
vonseiten der christlich-liberalen Koalition entsprechend
begleiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709622100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An-
trag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Qualität und
Transparenz in der Pflege konsequent weiterentwickeln –
Pflege-Transparenzkriterien optimieren“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/4925, den Antrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/1427 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Lin-
ken und der Grünen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes

– Drucksache 17/4981 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes

– Drucksache 17/2766 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Andreas
Scheuer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


D
Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1709622200


Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die freiwilligen Feuerwehren, aber auch die Rettungs-
dienste und das Technische Hilfswerk leisten mit ihren
Einsätzen einen unschätzbaren Dienst für unsere Gesell-
schaft. Nicht selten setzen sie bei ihrem Einsatz Leib und
Leben aufs Spiel: für andere, für den Nächsten. Ich
möchte auch unseren Einsatzkräften, die im Katastro-
phenschutz tätig sind, vor allem den Mitgliedern des
THW, für ihren Einsatz und für ihre Bereitschaft, auch in
Japan zu helfen, danken. Herzlichen Dank dafür.


(Beifall im ganzen Hause)


Leider gibt es immer weniger junge Ehrenamtliche,
die über eine zum Führen der Einsatzfahrzeuge notwen-
dige Fahrerlaubnis verfügen. Lediglich ältere Fahr-
erlaubnisinhaber, die ihre Fahrerlaubnis vor dem
1. Januar 1999 erworben haben, können aufgrund des
Bestandsschutzes auch schwerere Fahrzeuge mit dem
Führerschein der alten Klasse 3 fahren. Da diese Fahrer
den freiwilligen Feuerwehren nunmehr aus Altersgrün-
den langsam nicht mehr zur Verfügung stehen, müssen
jüngere Fahrer nachrücken, die aber nicht mehr über die
benötigte Fahrerlaubnis für die zwischenzeitlich aus
technischen Gründen auch schwerer gewordenen Ein-
satz-fahrzeuge verfügen. Nicht nur in meinem Heimat-
land Bayern, in dem rund 300 000 Ehrenamtliche in den
freiwilligen Feuerwehren aktiv sind, führt dies zu dra-
matischen Engpässen bei den Einsatzfahrten. Das ist
eine aus meiner Sicht nicht akzeptable Situation, für die
es jetzt endlich eine vernünftige Lösung gibt. Das Bun-
desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
setzt die Vorschläge der Ehrenamtlichen um.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Döring [FDP]: Gutes Ministerium!)


Ursache für diese Entwicklung ist die sogenannte
2. EU-Führerschein-Richtlinie von 1991, nach der das
Fahrerlaubnisrecht und insbesondere die deutschen
Fahrerlaubnisklassen zum 1. Januar 1999 an die gemein-
schaftsrechtlichen Vorgaben anzupassen waren. Seither
dürfen mit einer Fahrerlaubnis der Klasse B für Pkw nur
noch Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse
von bis zu 3,5 Tonnen gefahren werden. Für Kraftfahr-
zeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen
3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen ist hingegen eine Fahrerlaub-
nis der Klasse C 1 und für Kraftfahrzeuge über 7,5 Ton-
nen eine Fahrerlaubnis der Klasse C erforderlich. Diese
Rechtsänderung wurde von der Europäischen Union ein-
geführt. Aus europarechtlichen Gründen ist es leider
ausgeschlossen, der Forderung nachzukommen, eine
Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass Angehörige der
freiwilligen Feuerwehren, der nach Landesrecht aner-
kannten Rettungsdienste und des Katastrophenschutzes
mit einer Fahrerlaubnis der Klasse B Einsatzfahrzeuge
mit einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 4,25 Ton-
nen fahren dürfen.

Die in der vergangenen Legislaturperiode beschlos-
sene Rechtsgrundlage für eine Sonderfahrberechtigung
zum Führen von Einsatzfahrzeugen der freiwilligen Feu-
erwehren bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von bis
zu 4,75 Tonnen bzw. 7,5 Tonnen reicht nach meiner Ein-
schätzung und auch aus Sicht der betroffenen Organisa-
tionen nicht aus, um die Einsatzfähigkeit der betroffenen
Organisationen tatsächlich zu verbessern.

Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden die
Vereinbarungen der Koalitionsfraktionen im Koalitions-
vertrag umgesetzt. Es werden weitere Erleichterungen
für Ehrenamtliche geschaffen, die kostengünstig und un-
bürokratisch zu handhaben sind.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die betroffenen Or-
ganisationen eine organisationsinterne Einweisung und
– das ist das Entscheidende – auch eine organisationsin-
terne Prüfung auf Einsatzfahrzeugen mit einer zulässi-
gen Gesamtmasse von bis zu 7,5 Tonnen durchführen
können.

So wird ein einfaches und kostengünstiges Verfahren
geschaffen, mit dem den jeweiligen Bedürfnissen vor





Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer


(A) (C)



(D)(B)

Ort entsprechend mit den vorhandenen Einsatzfahrzeu-
gen ausgebildet und geprüft werden kann. Dabei wird
zwischen einer Sonderfahrberechtigung bis zu einer zu-
lässigen Gesamtmasse von 4,75 Tonnen einerseits und
bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen an-
dererseits differenziert, da die Anforderungen an die
Fahrerinnen und Fahrer mit der Höhe des Fahrzeugge-
wichts zunehmen.

Im Gegensatz zu vorherigen Regelungen aufgrund
des tatsächlich geltend gemachten Bedarfs werden jetzt
auch Anhänger in die Fahrberechtigungen aufgenom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, in Anlehnung an
das in Deutschland bewährte System der professionellen
Ausbildung die Ausbildung auch durch Fahrlehrer vor-
nehmen zu lassen.

Die Ermächtigung zur Ausstellung der Fahrberechti-
gungen wird dabei unmittelbar auf die Landesregierun-
gen übertragen. So wird sichergestellt, dass den jeweili-
gen regionalen Gegebenheiten Rechnung getragen wird
und möglichst passgenaue Regelungen getroffen werden
können. Wir appellieren an die Landesregierungen, diese
Basisvereinbarung, die wir jetzt treffen, zum Wohl der
Ehrenamtlichen zügig umzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich werbe daher um Ihre Zustimmung zu dem unbü-
rokratischen Gesetzentwurf, der sicherstellt, dass das eh-
renamtliche Engagement wieder für mehr junge Freiwil-
lige beim Technischen Hilfswerk, bei den nach
Landesrecht anerkannten Rettungsdiensten, den freiwil-
ligen Feuerwehren sowie den Organisationen des Kata-
strophenschutzes interessant wird. Wer sich engagiert
gewinnt, vor allem mit den Gesetzentwürfen der christ-
lich-liberalen Koalition und ihrer Bundesregierung.


(Gustav Herzog [SPD]: Na, na! Nicht so viel Eigenlob, Herr Kollege!)


In diesem Sinne freuen wir uns, dass wir für die Eh-
renamtlichen einen weitreichenden Vorschlag beschlie-
ßen, der schon lange diskutiert wird und den wir jetzt
endlich umsetzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709622300

Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1709622400

Herr Präsident! Sehr geehrte Anwesende! Als ich

eben von einer Besuchergruppe, die uns jetzt auf der Tri-
büne zuhört, gefragt wurde, worum es in der Debatte
geht, habe ich flapsig gesagt: um den Feuerwehrführer-
schein. Aber wir sollten einmal klarstellen, worum es
sich handelt. Es handelt sich nicht um eine neue Art der
Fahrerlaubnis, sondern um eine Ausnahmeregelung zum
bestehenden Führerscheinrecht.

Ich möchte kurz – der Staatssekretär hat damit begon-
nen – weiter auf die Historie eingehen. Vor etlichen Jah-
ren wurde in Brüssel unter Beteiligung der damaligen
schwarz-gelben Bundesregierung ein neues Führer-
scheinrecht verhandelt. Der Grund waren Sicherheitsbe-
denken, dass mit steigendem Kraftfahrzeugverkehr die
jetzigen Fahrerlaubnisklassen nicht mehr die Realität ab-
bildeten.

Das Resultat wurde eben erläutert. Unter anderem
kann man mit dem PKW-Führerschein Klasse B nur
noch Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse
führen.

Die Zustimmung zur Neuregelung auch durch die da-
malige Bundesregierung war gut und richtig. Die Folgen
hat auch der Herr Staatssekretär eben dargelegt.

Nach immerhin elf Jahren des neuen Rechtes gibt es
inzwischen immer weniger Ehrenamtliche mit den alten
Führerscheinklassen, die noch die Fahrzeuge bis
7,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse führen können. Das
ist problematisch, weil wir in der Bundesrepublik
Deutschland unseren Rettungsdienst zum Beispiel in der
Feuerwehr, im Technischen Hilfswerk, im DRK, in der
DLRG und in vielen anderen Organisationen hauptsäch-
lich ehrenamtlich regeln. Die Leistungsfähigkeit war so-
mit gefährdet.

Dazu kommt, dass die Feuerwehrfahrzeuge immer
schwerer und die regulären Fahrerlaubnisse immer teu-
rer werden. Die Rettungsdienste waren also in einer sehr
schwierigen Situation.

Es war die Große Koalition, die darauf reagiert hat,
und zwar mit der fünften Änderung des StVG. Dadurch
wurden die Länder ermächtigt, Sonderfahrerlaubnisse zu
erteilen, um den Ehrenamtlichen im Rettungsdienst zu
erlauben, die Fahrzeuge zu führen.

Das Ergebnis war ein Kompromiss in Zusammenar-
beit mit allen Beteiligten: mit den Verbänden der Ver-
kehrssicherheit, mit den betroffenen Rettungsorganisa-
tionen und der Politik. Der Inhalt lautete, dass bis
4,75 Tonnen eine organisationsinterne Einweisung aus-
reichte. Damit durften nur Einsatzfahrzeuge gefahren
werden. Laut Auskunft des BMVBS haben lediglich
Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-
Württemberg von dieser Regelung Gebrauch gemacht.
Das sind lediglich vier von 16 Bundesländern, die diese
Möglichkeit hatten.


(Zuruf von der FDP: Alle schwarz-gelb regiert!)


Die zweite Regelung bis 7,5 Tonnen sah eine verein-
fachte Fahrausbildung und eine vereinfachte Prüfung
vor. Hierbei konnte aber eine Umschreibung zur privaten
Nutzung erst nach einer gewissen Zeit möglich gemacht
werden.

Diese zweite Regelung wurde aber niemals umge-
setzt, weil das BMVBS die Ermächtigungsverordnung
für die Länder nie erlassen hatte. Wir wissen also gar
nicht, ob diese Regelung der Großen Koalition ausrei-





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)

chend gewesen wäre, um das Problem der Rettungs-
dienste zu beheben.

Trotzdem haben wir jetzt eine neue Regelung vor uns
liegen.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Jetzt haben wir die richtige!)


Die jetzige Regelung hat einen erheblichen Vorteil: Sie
ist nahezu kostenfrei. Die alte Regelung sah Kosten für
eine reduzierte Schulungs- und Prüfungsgebühr vor. Bei
der neuen Regelung führt, wenn es möglich ist, der Kol-
lege bzw. die Kollegin die Schulung mit einem ganz nor-
malen Einsatzfahrzeug durch, also ohne Möglichkeit für
den Schulenden, die Fahrt zu beeinflussen oder selbst
die Prüfung abzunehmen. Organisationsintern entstehen
nahezu keine Kosten.

Aber die Feuerwehrfahrzeuge werden immer schwe-
rer, insbesondere die wasserführenden Fahrzeuge. Diese
Regelung schafft nur für gut die Hälfte aller Fahrzeuge,
nämlich etwa 13 000, Abhilfe. Auf bundesdeutschen
Straßen sind jedoch auch Feuerwehrfahrzeuge über
7,5 Tonnen in einer Größenordnung von 11 000 Fahr-
zeugen unterwegs. Auch über diese sollten wir reden.

Wir sollten in den Ausschussberatungen genau prü-
fen, ob die vorgelegten Regelungen zumutbar sind. Was
meine ich damit? Geprüft werden muss, ob sie zum ei-
nen für die Begünstigten zumutbar sind. Der Begünstigte
ist der Ehrenamtliche, der seine Freizeit opfert und nicht
selten auch seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Wir möch-
ten ihn nicht in schwierige Situationen bringen. Was
meine ich damit? Ein junger Mensch mit zwei Jahren
Fahrerlaubniserfahrung und einer kurzen Einweisung
durch einen Kollegen fährt einen Lkw mit 7,5 Tonnen in
der Einsatzfahrt mit Sirene und Blaulicht unter starkem
nervlichem Druck, denn er stellt sich die Frage: Was er-
wartet mich am Einsatzort?

Was das bedeutet, weiß ich sehr genau, zumindest
was den Pkw angeht, weil ich in meiner Tätigkeit als Po-
lizeibeamtin sehr viele Einsatzfahrten gemacht habe.
Obwohl ich daran gewöhnt war, weil ich es vier- bis
fünfmal in der Woche tun musste, war das schon sehr be-
lastend. Wie erst wird es für die jungen Leute sein, die es
mit wesentlich weniger Schulung machen müssen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aus der Studie der BASt ergibt sich, dass bei Fahrten
mit Sonderrechten ein achtmal höheres Risiko besteht,
einen Unfall mit Schwerverletzten zu verursachen. Man
muss sich die Frage stellen: Kann es Probleme geben,
wenn einer der Unfallbeteiligten lediglich eine Sonder-
fahrerlaubnis hat und Zweifel an seiner Eignung zum
Führen dieses Fahrzeugs geltend gemacht werden?

Aber wir sollten auch prüfen, ob diese Regelungen
zumutbar für die Schulenden sind. Denn sie befinden
sich in einer Zwickmühle. Es sind Kollegen, es sind
Ausbilder, und es sind Prüfer. Als Kollegen wollen sie
niemanden verprellen oder in die Pfanne hauen. Als
Ausbildende wollen sie sichere Feuerwehrwagenfüh-
rende ausbilden. Und als Prüfende stehen sie erheblich
unter Druck, weil sie wissen, dass ihre Wehr dringend
neue Fahrzeugführende benötigt.

Insofern möchte ich mit Ihnen die Frage diskutieren:
Ist die Regelung ausreichend, oder brauchen wir nicht
vielmehr bundesweit einheitliche Richtlinien über die
Ausgestaltung dieser Einweisungsfahrten? Und brau-
chen wir nicht unabhängige Prüfer und Prüferinnen, die
anschließend das Ergebnis dieser Einweisung begutach-
ten müssen?

Ich bitte Sie, noch intensiver als der Staatssekretär auf
die Frage einzugehen, ob diese Regelung konform zum
EU-Recht ist. Ich erinnere Sie daran: Im August hat der
Bundesrat einen Entwurf im Bundestag eingebracht, der
wie der jetzige aussah. Das Ministerium hat ihn zurück-
gezogen, weil es europarechtliche Bedenken hatte, die
jetzt laut Auskunft des BMVBS ausgeräumt sind. Aber
das Ministerium hat mir auch mitgeteilt, dass sich andere
Häuser, zum Beispiel das BMJ, noch nicht geäußert ha-
ben.

Weiterhin stellt sich die Frage: Warum kam es zur
Änderung der Rechtsauffassung? Haben wir eventuell
die Kommission gefragt,


(Zuruf von der FDP: Besser nicht!)


oder verabschieden wir wieder eine Regelung, die gut
gemeint ist, die aber dann wieder von der Kommission
als europarechtswidrig gestoppt wird?

Meine Herren und Damen, Sie sehen: Es gibt eine
Menge Diskussionsstoff. Ich freue mich auf die Beratun-
gen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709622500

Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic von der FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1709622600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beraten heute über die Entwürfe der Bundesregierung
und des Bundesrates zur Schaffung des sogenannten
Feuerwehrführerscheins. Beide Entwürfe stimmen in ih-
ren grundlegenden Zielen überein. Wir wollen die Mög-
lichkeit schaffen, dass in Zukunft bei der freiwilligen
Feuerwehr, bei Rettungsdiensten, beim THW und bei
sonstigen Katastrophenschutzeinheiten engagierte Eh-
renamtliche für ihre dortige Arbeit einen Führerschein
für Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen bzw. 7,5 Tonnen machen
können. Die Koalition setzt damit einen weiteren Punkt
aus der Koalitionsvereinbarung im Verkehrsbereich um.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir tun dies, um die Einsatzfähigkeit der freiwilligen
Feuerwehren und anderer Dienste dauerhaft aufrechter-
halten zu können; denn seit 1999 dürfen mit den neu er-





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)

worbenen Pkw-Führerscheinen nur Fahrzeuge bis
3,5 Tonnen gefahren werden. Allerdings übertreffen in
der Praxis selbst die kleineren Einsatzfahrzeuge leicht
diese Grenze. Das liegt neben der verstärkten Ausstat-
tung mit Fahrerassistenzsystemen auch an der Ausrüs-
tung, die zu Einsätzen mitgenommen werden muss.
Nach Angaben des Deutschen Feuerwehrverbandes be-
nötigen aber bundesweit über 16 000 Fahrzeuge fünf
oder mehr mögliche Fahrer, um ständig einsatzfähig zu
sein, also um rund um die Uhr Sicherheit für die Bürge-
rinnen und Bürger gewährleisten zu können.

Es musste also eine Lösung gefunden werden, wie wir
den Freiwilligendienst in den verschiedenen Rettungs-
und Katastrophenschutzorganisationen zukunftsfest ma-
chen. Das tun wir mit diesem Gesetz. Spätestens wenn
die jetzt noch aktiven Jahrgänge, die im Besitz einer
Fahrerlaubnis für die Einsatzfahrzeuge über 3,5 Tonnen
sind, aus dem Dienst ausscheiden, brauchen wir weiter-
hin gut ausgebildete Nachwuchskräfte, die die Einsatz-
fahrzeuge führen können. Daher sehen sowohl der Ent-
wurf der Bundesregierung als auch der des Bundesrates
eine Lösung vor, nach der sowohl organisationsintern
eingewiesen als auch geprüft wird. Das spart Kosten, das
baut Bürokratie ab, und das ist genau das, was wir als
christlich-liberale Koalition wollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben immer wieder gehört, dass durch diese
Vorgehensweise die Verkehrssicherheit gefährdet werde,
doch ich meine, es sind verantwortungsvolle Bürgerin-
nen und Bürger, die den Dienst in den Feuerwehren ver-
sehen. Außerdem stehen in beiden Gesetzentwürfen
klare Anforderungen an diejenigen, die einweisen und
prüfen dürfen. Es ist also nicht so, dass in Zukunft
schlecht ausgebildete Einsatzfahrer auf den Fahrzeugen
sitzen. Vor allem ist uns wichtig, dass dieses Vorgehen
den klammen Kommunen Geld spart, die sonst in der
Praxis häufig Nachschulungen oder Fortbildungen zum
Erwerb von Führerscheinen gerade bei der freiwilligen
Feuerwehr bezuschussen oder ganz übernehmen. Ich
kenne das aus meiner Tätigkeit im Rat meiner Heimatge-
meinde. Wir gewährleisten mit dem sogenannten Feuer-
wehrführerschein dauerhaft die Sicherheit der Bevölke-
rung bei Bränden und Unfällen, und wir entlasten die
Kommunen. Das ist gerade für unsere Koalition ein
wichtiger Ansatz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte den Blick noch auf einen weiteren Aspekt,
der eben genannt wurde und uns allen sehr wichtig ist,
lenken, nämlich die Stärkung des Ehrenamtes. Es muss
uns gelingen, dass in Zukunft weiterhin junge Leute sa-
gen: Ja, ich möchte mich für die Gesellschaft engagieren
und ein Ehrenamt übernehmen. Das muss das Ziel aller
Parteien hier im Hause sein. Hierfür müssen wir Anreize
schaffen. Ich glaube, der Feuerwehrführerschein ist ein
solcher Anreiz. Gerade in kleineren Gemeinden spielen
Organisationen wie die Feuerwehr oder das THW für
das Leben im Dorf und den Zusammenhalt in der Ge-
meinde, auch zwischen den Generationen, eine wichtige
Rolle. Wir müssen gerade in diesem Zusammenhang an
die Aussetzung der Wehrpflicht denken. Es ist gut, dass
wir sie ausgesetzt haben. Das ist ein Erfolg der Regie-
rung. Aber durch deren Aussetzung fällt eine Rekrutie-
rungsquelle zum Beispiel für das THW weg, nämlich die
Verpflichtung zu einem langjährigen Ersatzdienst.

Ich glaube, auch unter diesem Aspekt sollten wir die
Einführung des Feuerwehrführerscheins vorantreiben,
damit das Ehrenamt gestärkt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Abschluss kurz auf die Diskus-
sion eingehen, die auch im Bundesrat geführt wurde. Der
federführende Verkehrsausschuss hat eine bundesein-
heitliche Lösung gefordert, auch wenn im Gesetzentwurf
des Bundesrates weiterhin die Länderlösung vorgesehen
ist. Zwar kann man über eine bundeseinheitliche Lösung
diskutieren, aber es ist sinnvoll, eine Länderlösung anzu-
streben. Eine solche Lösung stärkt die Länderhoheit und
ermöglicht passgenaue Lösungen für jedes Bundesland.
Allerdings werden die Länder nicht davon abgehalten,
sich eng abzusprechen, damit es zu keiner völligen Zer-
splitterung der Rechtslage kommt. Ich hoffe, bei diesem
Thema finden wir einen breiten Konsens zwischen den
Fraktionen. Es geht um die Sicherung der Einsatzfähig-
keit unserer Rettungsorganisationen und um die Stär-
kung des Ehrenamtes.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709622700

Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709622800

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Angesichts der großen Einigkeit über dieses Thema
gestatten Sie mir, dass ich mich kurzfasse. Es macht
nämlich wenig Sinn, hier sämtliche Details meiner Vor-
rednerinnen und Vorredner zu wiederholen.


(Beifall des Abg. Dr. Lutz Knopek [FDP])


– Es ist etwas ungewohnt, als Oppositionspolitiker aus
dieser Richtung Applaus zu bekommen. – Das meiste,
was gesagt wurde, war sachgemäß und richtig.

Im Gegensatz zu meiner Kollegin von der SPD sehe
ich keinen sonderlich großen Diskussionsbedarf. Es gibt
einzelne Punkte wie die EU-Konformität und die ein-
heitlichen Prüfrichtlinien, über die in der Tat diskutiert
werden muss; aber das sind Details. Ich denke, die damit
verbundenen Probleme wird man im Verkehrsausschuss
in absehbarer Zeit einvernehmlich lösen können.

Es ist zu Recht gesagt worden: Die freiwilligen Feu-
erwehren hatten bei der Vereinheitlichung der Umset-
zung des europäischen Rechts das Nachsehen. Ehren-
amtlich engagierte junge Menschen mit der alten Führer-
scheinklasse 3 gibt es immer weniger. Ich selber – man
merkt an meinem Dialekt, dass ich in der DDR aufge-





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)(B)

wachsen bin – hatte einen Führerschein für Fahrzeuge
bis 2,8 Tonnen. Mit dem Tag der Deutschen Einheit war
ich berechtigt, Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zu steuern,
ohne jemals auf einem solchen Lkw gesessen zu haben.
Es gab auch keine Fahrprüfung. Das war halt so. Das
war für mich eine sehr positive Erfahrung. Diese Rege-
lung ist, wie gesagt, korrigiert worden.

Das Problem für die Betroffenen ist allerdings gleich-
zeitig banal und fatal: Wer als junger Mensch nicht ge-
rade eine Betätigung als Kraftfahrerin oder Kraftfahrer
in der Transportbranche anstrebt, der wird die Kosten
und die Mühen einer zusätzlichen offiziellen Führer-
scheinausbildung sicherlich nicht in Kauf nehmen. Eine
Lösung, die den Angehörigen der freiwilligen Feuer-
wehren und weiterer Dienste das Führen von Fahrzeugen
bis 4,75 Tonnen ermöglicht, erweist sich offensichtlich
als nicht ausreichend – darauf haben auch die Vorredner
hingewiesen –, weil viele Einsatzfahrzeuge einfach auf-
grund der Entwicklung die Gewichtsgrenzen überschrei-
ten. Die Fahrzeuge, die angeschafft werden, werden in
der Tendenz immer schwerer. Als Lösung bietet sich ein-
zig und allein die Anhebung der Gewichtsgrenze im
Rahmen des sogenannten Feuerwehrführerscheins auf
7,5 Tonnen an. Dazu gibt es gar keine Alternative.

Kritisiert wurde die Möglichkeit der organisationsin-
ternen Ausbildung und Prüfung. Natürlich wäre der opti-
male Weg eine ordentliche Ausbildung durch professio-
nelle Fahrlehrer. Wir reden allerdings hier im Parlament
über eine Notlösung. Eine professionelle Ausbildung,
wie sie sicherlich wünschenswert wäre, ist für die meis-
ten Organisationen und auch für die betroffenen ehren-
amtlichen Helfer im Prinzip schlichtweg nicht finanzier-
bar.

Zur Wahrheit gehört auch: Den Inhabern des alten
Führerscheins Klasse 3 wurde die Lkw-Fahrberechtigung
erteilt, ohne dass die Auszubildenden jemals eine Ausbil-
dung für einen 7,5-Tonner hatten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Eine organisationsinterne Ausbildung und Prüfung ist im
Prinzip eine Verbesserung des Standards, der bis 1999
gegolten hat.

Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung, weil das
vielleicht an diesem Punkt ein bisschen zur Gretchen-
frage wird. Im Gegensatz zum Kollegen Luksic würde
ich empfehlen, eine bundesweit einheitliche Regelung
anzustreben und dies nicht in die Länderhoheit zu geben.
Ich kann nicht erkennen, wie sich eine freiwillige Feuer-
wehr in einem Ort in Thüringen unterscheidet von einer
freiwilligen Feuerwehr in einem Ort im Saarland. Das
funktioniert alles nach demselben Prinzip. Deshalb sehe
ich keinen Grund, ländereinheitliche Regelungen zu ma-
chen. Lassen Sie uns das bundesweit einheitlich regeln.
Die freiwilligen Feuerwehren, das Technische Hilfswerk
und die ganzen Organisationen arbeiten alle nach dem-
selben Prinzip. Die Notwendigkeit für eine länderspezi-
fische Hoheit kann ich beim besten Willen nicht erken-
nen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709622900

Das Wort hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709623000

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage: Feuer-
wehren, Technisches Hilfswerk, DLRG und Katastro-
phenschützer bilden eine wichtige Grundlage für die Si-
cherheit in unserem Land. Sie kommen dorthin, wo
andere weglaufen. Das sollte uns auch einen Applaus
des Hauses wert sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Diese Helfer sind auch immer wieder Botschafter un-
seres Landes. Sie helfen, wenn andere Länder in Not ge-
raten sind. Diese Tage werden völlig überschattet von
der Katastrophe in Japan. Auch hier sind unsere Helfer
vor Ort. Diese Helfer können in kürzester Zeit Menschen
retten, versorgen und erste Schritte zur Normalität ge-
hen. Mit einer guten Infrastruktur in der Not- und Kata-
strophenhilfe tragen wir ganz entscheidend zur Erhal-
tung und Sicherung unseres Wohlstandes bei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Voraussetzung für einen guten Katastrophenschutz
sind viele freiwillige Helfer, die gut ausgestattet und gut
ausgebildet sind. Gleichzeitig wissen wir, dass beson-
ders die freiwilligen Feuerwehren auch eine wichtige so-
ziale Aufgabe wahrnehmen. Viele junge Menschen ha-
ben hier eine Möglichkeit, sich zu engagieren und sich
zu bilden. Nicht wenige finden als Helferinnen und Hel-
fer ihren Sinn des Lebens. Das müssen wir unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kirsten Lühmann [SPD]: Das stimmt!)


Deswegen müssen wir eine Lösung finden, wie wie-
der mehr Menschen die Einsatzfahrzeuge fahren dürfen.
Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben relativ deut-
lich aufgezeigt, worin die Schwierigkeiten liegen. Auf
diese möchte ich deshalb nicht eingehen. Pragmatische
Lösungen begrüßen wir an dieser Stelle, wenn sie nicht
zulasten der Sicherheit gehen.

Für mich gibt es beim vorliegenden Entwurf durchaus
Fragen, die wir nicht so einfach vom Tisch fegen kön-
nen. So ist zum Beispiel das Unfallrisiko bei Einsatz-
fahrten unter Blaulicht achtmal so hoch wie bei norma-
len Fahrten. Dazu werden Katastrophenschützer oft
Extremsituationen ausgesetzt, auf die sie gut vorbereitet
werden müssen. Auch die oft hohen Fahrgeschwindig-
keiten und die Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit
benötigen eigentlich eher eine bessere Ausbildung, als
dass darauf verzichtet werden kann.

Im Ernstfall sind manche sonst überfordert und ver-
schlimmern die Probleme, statt schnell und gezielt zu
helfen. Als Helfer braucht man deswegen eine gründli-





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)

che theoretische und praktische Ausbildung und sollte
psychologisch geschult werden. Ich habe hierbei Ver-
trauen in die Fähigkeiten der Feuerwehren, diese Ausbil-
dung selbst zu übernehmen. Wir sollten aber darauf ach-
ten, dass wir nicht nur handeln, weil es eine kosten-
günstige Lösung ist. Wir wollen kein Dumping zulasten
der Sicherheit.

Als Grüne sehen wir daher Diskussionsbedarf und
wollen hierzu gern im zuständigen Fachausschuss bera-
ten. Wir erkennen klar den Bedarf für eine Lösung. Da
müssen wir ran. Wir müssen dies aber in aller Ruhe tun
und die Ansätze abwägen. Ich hoffe dabei auf die Bereit-
schaft der Koalitionsfraktionen. Ich gehe davon aus, dass
wir daraus gelernt haben und durchgepeitschte Gesetze
nicht mehr der Stand der Dinge sind.

Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt einen Ansatz,
den wir in den Ausschüssen beraten werden. Wir Grüne
arbeiten hieran gern konstruktiv mit. Dabei sollten wir
ernsthaft die Frage diskutieren, ob wir eine bundesein-
heitliche Richtlinie brauchen oder ob wir das den Län-
dern überlassen sollten. Lassen Sie uns gemeinsam an
einer guten Lösung für unsere Ehrenamtler vor Ort ar-
beiten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709623100

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Gero Storjohann von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1709623200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles ist hier
gesagt worden. Die älteren Kollegen erinnern sich noch
an die Anfangsdebatten zum Feuerwehrführerschein.


(Iris Gleicke [SPD]: Was heißt „die älteren“? – Kirsten Lühmann [SPD]: Die erfahreneren!)


Wir sind jetzt dabei, ein gutes Gesetz auf den Weg zu
bringen. Ein schlanker und unbürokratischer Feuerwehr-
führerschein wäre längst möglich gewesen, scheiterte
aber an der ehemals sozialdemokratischen Hausführung
im Bundesverkehrsministerium.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Döring [FDP]: Endlich sagt das mal einer! – Iris Gleicke [SPD]: Na, na, na!)


Die christlich-liberale Koalition unterstützt – das
kann nicht oft genug gesagt werden – mit dem neuen
Feuerwehrführerschein die vielen Tausend Bürgerinnen
und Bürger, die sich bei den technischen Hilfswerken,
beim Katastrophenschutz oder bei unseren Feuerwehren
ehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren. Sie tra-
gen mit ihrer Arbeit zu unser aller Sicherheit bei. Gerade
im ländlichen Raum sind die Feuerwehren und die Ret-
tungsdienste ein wichtiger und fester Bestandteil des ge-
sellschaftlichen Lebens.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Aufgabe – so sehe ich es – ist, diese Arbeit zu
unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein besonderer Dank ist in diesem Zusammenhang
dem Bundestagskollegen und jetzigen Staatssekretär
Andreas Scheuer auszusprechen, der in unseren Arbeits-
gruppen immer wieder deutlich gemacht hat, dass wir
hier eine bessere Lösung benötigen, als bisher verein-
bart.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Laut einer Schätzung wären 16 000 Einsatzfahrzeuge
in der Gewichtsklasse 3,5 bis 7,5 Tonnen von der Neure-
gelung betroffen. Das bedeutet, dass rund 100 000 eh-
renamtliche Einsatzkräfte davon profitieren würden. Für
jedes Fahrzeug müssen in der Regel fünf Personen mit
Fahrerlaubnis zur Verfügung stehen, damit es im Falle
des Falles einsatzfähig ist. Nichts wäre schlimmer, als
wenn ein Einsatz anstünde und niemand das Fahrzeug
bewegen könnte. Selbstverständlich kann man sich auf
die Straße stellen, einen Lkw anhalten und den Fahrer
innerhalb kürzester Zeit dienstverpflichten. Aber darauf
möchte man sich nicht unbedingt verlassen.

Ich halte es für sachgerecht, die Kompetenz, den Feu-
erwehrführerschein durch Rechtsverordnungen spezi-
fisch auszugestalten, bei den Ländern zu belassen. Das
wurde hier schon kritisch diskutiert. Der Feuerwehrfüh-
rerschein sollte in diesem Fall aber in allen Bundeslän-
dern anerkennungsfähig sein. Denn Feuerwehrleute
müssen ja durchaus beruflich flexibel sein und möchten,
wenn sie sich zwischen Schleswig-Holstein und Meck-
lenburg-Vorpommern bewegen, nicht jedes Mal mit ei-
ner anderen Rechtsverordnung konfrontiert werden.


(Patrick Döring [FDP]: So ist es! – Kirsten Lühmann [SPD]: Genau! Also machen wir es bundeseinheitlich!)


Wir halten es sehr wohl für sinnvoll, dass die Bundeslän-
der hier eigenverantwortlich tätig sind. Denn die Fahr-
zeuge in Bayern zeichnen sich durch eine andere Funk-
tionsfähigkeit aus als die in Schleswig-Holstein. Die einen
haben Flüsse zu sichern, die anderen Deiche.

Die SPD ist die einzige Fraktion, die Zweifel bezüg-
lich der Verkehrssicherheit bei Einsatzfahrten ange-
bracht hat. Ich glaube nicht, dass es spezielle Untersu-
chungen in Bezug auf Feuerwehreinsatzfahrten gibt; die
Untersuchungen beziehen sich allgemein auf Blaulicht-
fahrten. Hier geht es in erster Linie um Personen, die in
diesem Bereich hauptberuflich tätig sind. Schon heute
gibt es Unfallgeschehen bei Einsatzfahrzeugen im Be-
reich Polizei und Feuerwehr; das ist nicht zu bestreiten.
Deswegen brauchen wir eine Topausbildung.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig!)






Gero Storjohann


(A) (C)



(D)(B)

Diese erfolgt bei den Feuerwehren auch. Der Führer-
schein allein sichert nicht die Befähigung, das Fahrzeug
im Einsatz unter Stress sicher zu lenken.


(Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber wir sprechen hier in erster Linie von Fahrzeugen
im ländlichen Bereich. Die Verkehrssituation dort ist
nicht vergleichbar mit der in Hamburg, München oder
Köln. Im ländlichen Bereich kann man solche Einsätze
üben. Wenn die jungen Leute Fahrzeugführer werden
wollen, können sie dort entsprechend vorbereitet wer-
den.


(Florian Pronold [SPD]: Da sind die Straßen schlechter!)


Die feuerwehrtechnische Ausbildung halten wir sehr
wohl für sinnvoll. Wir haben auch keinen Zweifel daran,
dass die Feuerwehr die bestmögliche Ausbildung garan-
tieren wird. So habe ich jedenfalls meine Feuerwehr
kennengelernt. Sie ist korrekt und achtet darauf, dass al-
les gut abgewickelt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, auch ich weiß, dass dieser
Feuerwehrführerschein von den Kommunalpolitikern,
hauptsächlich Bürgermeistern, aber auch von den Feuer-
wehrkameraden förmlich herbeigesehnt wird. Deswegen
ist hiermit eine gründliche Beratung, aber auch eine
schnelle Umsetzung versprochen. Trotzdem wird das
Gesetz nicht durchgepaukt; denn wir haben schon eine
lang andauernde Diskussion geführt und sollten jetzt zu
einer Entscheidung kommen.


(Patrick Döring [FDP]: Wohl wahr!)


Die Kommunen werden es uns danken. Da ich schon
jetzt Wahlkreisabgeordnete der SPD erlebe, die die Seg-
nungen des neuen Feuerwehrführerscheins als eigene
Idee verkaufen, möchte ich die Prognose wagen, dass
wir hier im Parlament zu einer breiten Mehrheit kom-
men. Es hilft auch den Teams der Feuerwehrkameraden,
wenn sie wissen: Sie bekommen unsere breite Unterstüt-
zung. Die Punkte, die angesprochen wurden, werden wir
noch würdigen müssen. Glück auf in den Ausschussbe-
ratungen!


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glück auf?)


Wir sollten es kurzfristig schaffen, ein gutes Gesetz auf
den Weg zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709623300

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 17/4981 und 17/2766 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Barthel,
Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Fairen Rohstoffhandel sichern – Handel mit
Seltenen Erden offenhalten

– Drucksachen 17/4553, 17/4910 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Breil

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist es
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Klaus Breil von der FDP-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der FDP)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1709623400

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir – damit meine ich die christlich-liberale Koali-
tion und unsere Bundesregierung – wissen: Die stark ge-
stiegene Nachfrage nach Seltenen Erden hat in den
vergangenen Monaten zu einem raschen Preisanstieg ge-
führt. Wir wissen auch, dass das protektionistische Ver-
halten der Volksrepublik China der deutschen Industrie
Sorgen bereitet. China ist derzeit der einzige Exporteur
Seltener Erden. Deshalb fürchtet die Industrie um ihre
Versorgung mit diesen wichtigen Rohstoffen.

Es ist offensichtlich, dass hier die Politik zusammen
mit der Wirtschaft reagieren muss.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Aber mit Verlaub: Bundeswirtschaftsminister Rainer
Brüderle hat im Oktober letzten Jahres seine Roh-
stoffstrategie veröffentlicht und entsprechende Rohstoff-
dialoge initiiert. Der Antrag der SPD läuft diesen Initia-
tiven hinterher.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wie wahr!)


Rohstoffversorgung ist die Zukunftsaufgabe. Das er-
gibt sich schon alleine aus folgendem Zusammenhang:
Wachsende Weltbevölkerung bedeutet wachsender Ener-
gie- und Rohstoffbedarf. Dabei sind noch unter keiner
Bundesregierung, schon gar nicht unter Rot-Grün, so
viele Initiativen zur Rohstoffversorgung gestartet wor-
den wie unter Rainer Brüderle. Zusätzlich zu den Aktivi-
täten der auch im weltweiten Vergleich hochkompeten-
ten Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
in Hannover hat der Bundeswirtschaftsminister vieles
auf den Weg gebracht: Rohstoffdialoge, Rohstoffstrate-
gie, Rohstoffagentur, eine eigene Unterabteilung „Roh-
stoffpolitik“ im Ministerium und bilaterale Rohstoffpart-





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)

nerschaften. Das sind unsere Antworten auf die
drängenden Fragen der Rohstoffversorgung.

Bei den Rohstoffpartnerschaften möchte ich zudem
auf die hervorragende Arbeit eines weiteren liberalen
Bundesministers hinweisen: Dirk Niebel hat in seinem
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung auf die Fehler der Vergangenheit re-
agiert.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Höhere Investitionen in Entwicklungsländer sollen zu-
allererst privatwirtschaftlich angestoßen werden. Nur
dadurch werden die Strukturen vor Ort stabilisiert. Vo-
raussetzung dafür ist aber Transparenz. Sie verhindert il-
legale Aktivitäten. Wirtschaftswachstum aus der eigenen
Mitte ist der Schlüssel, um Armut sukzessive abzu-
bauen.

Investitionen vor Ort, besonders in den vor- und nach-
gelagerten Wertschöpfungsketten, schaffen Arbeits-
plätze. Sie führen zu Folgeinvestitionen und damit zu
Weiterentwicklungen. Rohstoffpartnerschaften werden
so zu Win-win-Situationen.

Wir fordern von den Partnerregierungen aber die Ein-
haltung von Menschenrechten, gutes und transparentes
Regierungshandeln und die Bekämpfung von Korrup-
tion. Wir müssen vor allem ganz besonders darauf ach-
ten, dass Umwelt- und Sozialstandards angemessen
hohen Maßstäben genügen; sonst darf es keine Unter-
stützung geben.

Die Bundesregierung hat jedenfalls ihre Hausaufga-
ben gemacht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD, dürfen das natürlich gerne durch nachlaufende An-
träge bestätigen.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie kurz auf
den aktuellsten Stand bringen. Die Bundesregierung ist
derzeit in Gesprächen über bilaterale Rohstoffpartner-
schaften. Ein Beispiel dafür ist Mongolia. Dort liegt ne-
ben der weltweit wichtigsten neu entwickelten Kupfer-
mine Oyu Tolgoi die Bayan-Obo-Mine mit einem der
attraktivsten Vorkommen Seltener Erden. Dies alles
zeigt: Die Bundesregierung bedarf ihrer Fingerzeige
nicht, auch dann nicht, wenn es um die Erleichterung des
Handels mit Seltenen Erden geht.

Noch in diesem Jahr beginnen zwei weitere Minen
außerhalb Chinas mit der Förderung Seltener Erden. Es
bleibt abzuwarten, wie sich dies auf Verfügbarkeit und
Preise auswirken wird.

So birgt die gegenwärtige Situation sicher auch Chan-
cen für andere Länder, ihre Vorkommen umweltverträg-
licher zu explorieren. Gleichwohl: Die Situation der letz-
ten Monate ist für uns und ganz besonders für die
deutsche Wirtschaft ein deutlicher Weckruf. Es war ein
Fehler der Industrieunternehmen, das erste Glied in der
Wertschöpfungskette der Rohstoffwirtschaft ohne Not
aufzugeben. Für eine Rückwärtsintegration ist es heute
zu spät. Die Kosten dafür wären schlicht zu hoch. Also
werden wir uns dafür einsetzen, einseitige Abhängigkei-
ten und Handelsbarrieren abzubauen. Im Übrigen müs-
sen wir dafür sorgen, dass Sanktionen vonseiten der
WTO auch greifen.

Dafür stehen wir Liberale, dafür stehen unsere Bun-
desminister Rainer Brüderle und Dirk Niebel, und dafür
steht die ganze Bundesregierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709623500

Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel von der SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1709623600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

Ende unserer Beratungen über unseren Antrag zu fairem
Rohstoffhandel in Plenum und Ausschüssen ist zweierlei
deutlich: Erstens, Herr Breil, müsste die Koalition ei-
gentlich froh sein, dass wir die Debatte über die künftige
Rohstoffversorgung in Deutschland und über die welt-
weite Rohstoffpolitik einmal von den Homepages des
Wirtschaftsministeriums und der Institute in den Deut-
schen Bundestag geholt haben und unabhängig von den
schubweisen Panikattacken auf den Börsenparketten be-
handeln. Zweitens müsste die Koalition, wenn sie ihre
Redner und ihre Reden ernst nimmt, unserem Antrag ei-
gentlich zustimmen. Argumente dagegen haben wir bis
heute nicht gehört. Wir haben bemerkt, dass viele in der
Koalition insgeheim froh sind, dass wir dem Bundes-
wirtschaftsminister endlich einmal Dampf machen, da-
mit er es nicht länger bei flotten Sprüchen und der Ver-
kündung irgendwelcher Strategien belässt.

In der Kürze folgende Anmerkungen: Die Engpässe
und die Preisexplosion bei den Seltenen Erden sind nur
die Spitze des Eisbergs. Mit Recht stellt eine aktuelle
Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik fest – ich
zitiere –:

Die Allokation von Ressourcen gilt als eines der
größten Sicherheitsrisiken des 21. Jahrhunderts.

Wenn erst einmal die Produktion wichtiger Güter, wie
zum Beispiel elektronischer Geräte, wegen Rohstoffeng-
pässen eingeschränkt werden müsste, dann stiege der
Druck allenthalben sehr schnell. Wenn es erst einmal eng
geworden ist, dann kann sich der Druck auch in Rich-
tung Panikreaktionen und falscher Risikobereitschaft
auswachsen.

Auf nationaler Ebene können wir das Rohstoffpro-
blem nicht lösen, aber wir können einen Beitrag zur Lö-
sung leisten. Der Ruf nach der Wirtschaft und den freien
Weltmärkten reicht nicht, weil das Drama der rohstoff-
reichen Länder unter dem Regime freier Märkte gerade
darin besteht, dass die Menschen dort – mit wenigen
Ausnahmen – nichts von dem Rohstoffreichtum haben
und dass es gerade die Rohstofflieferländer sind, die
weit überdurchschnittlich am Mangel an Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und Wohl-
stand leiden. Der Verdacht liegt nahe, dass der Rohstoff-
reichtum und diese Mängel etwas miteinander zu tun ha-





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)

ben und dass die Gefahr groß ist, dass genau dies zu
Instabilität und zu Verwerfungen führt, wie wir das ge-
rade in Nordafrika erleben. Hat nicht gerade jener freie
Markt zu den Fehlentwicklungen geführt, die wir heute
beklagen, nämlich dass wir die Erkenntnisse über die
Knappheiten übersehen haben, dass es Monopole und
Oligopole bei der Gewinnung und dem Handel mit Roh-
stoffen gibt, dass es Spekulationen gibt?

Wenn wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratin-
nen heute vom ungehinderten Zugang zu sicherer Roh-
stoffversorgung für die Industrie sprechen, dann meinen
wir damit bestimmte Bedingungen: weltweit geltende
faire Regeln, möglichst weitgehende Ausschaltung von
Spekulation und die Vermeidung von einseitigen politi-
schen Eingriffen, von welcher Seite auch immer.


(Beifall bei der SPD)


Drittens. Eine dieser Regeln ist die Transparenz über
Vorkommen, Handelsströme und Verbrauch, über Fi-
nanzströme und Verteilung der Erträge. Dies finge bei
uns damit an, dass die Erkenntnisse unserer steuerfinan-
zierten Deutschen Rohstoffagentur und der Bundesan-
stalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, allge-
mein zugänglich sind und nicht nur ausgewählten bzw.
unmittelbar interessierten Kreisen. Die Forderung nach
offenen Märkten und Transparenz verträgt sich nicht mit
der Geheimnistuerei, der wir dort teilweise begegnen.

Zur internationalen Transparenzinitiative, EITI, wird
Kollege Raabe noch einiges sagen. Nur so viel: Verbal
unterstützt die Koalition diese Transparenz. Aber wer
genau zuhört, erkennt, dass Schwarz-Gelb mit Transpa-
renz immer nur die anderen meint. Wie sonst wäre es er-
klärbar, dass es ausgerechnet die Bundesregierung ist,
die auf europäischer Ebene bisher auf der Bremse steht,
wenn es um die volle Unterstützung von EITI durch die
EU geht,


(Beifall bei der SPD)


wenn es um die Schaffung wirksamer Regeln zur Kor-
ruptionsbekämpfung in der EU geht? Selbst in den USA
gibt es mit dem Dodd-Frank-Act solche Regeln schon
seit über einem Jahr. Heute, liebe Kollegen und Kolle-
ginnen von der Koalition, wäre die Chance für ein klares
Wort in dieser Frage, zur Haltung der Bundesregierung
zu diesen Initiativen und zu Wahrheit und Klarheit bei
der Haltung in der Europäische Union.

Viertens wären noch Energieeffizienz und Recycling
zu erwähnen. Ein Blick auf die Reden in der ersten Bera-
tung über diesen Antrag ergibt: Da sind spannende Sa-
chen über erneuerbare Energien und über Erneuerbarkeit
insgesamt gesagt worden, nämlich dass das alles wahn-
sinnig teuer sei. Dann wurde wieder auf die billige
Atomenergie angespielt. Lesen Sie es noch einmal nach
und korrigieren Sie es bitte! Das wäre sehr hilfreich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Schluss darf ich noch einmal die SWP zitieren.
Ihrer Meinung nach bedarf es „eines integrierten Ansat-
zes für eine Rohstoffstrategie, die Wirtschafts- und Ent-
wicklungspolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Um-
welt- und Technologiepolitik miteinander verbindet, also
ressortübergreifend wirkt“.

Ich finde, wir sollten endlich anfangen, daran zu ar-
beiten.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709623700

Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1709623800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wenn man täglich die Zeitungen aufschlägt und in
die Wirtschaftsteile blickt, stellt man fest: Rohstoffe sind
das Megathema an allen Fronten.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An allen Fronten?)


Dabei geht es nicht nur um Seltene Erden, sondern um
Rohstoffe insgesamt. Wenn man sich die Rangfolge der
zehn wertvollsten Unternehmen der Welt genau an-
schaut, stellt man fest, dass in diesem Jahr von den
Top 10 immerhin fünf Unternehmen mit der Förderung,
der Verarbeitung und dem Verkauf von Bodenschätzen
befasst sind. 2006 war es nur ein Unternehmen in den
Top 10. Daran kann man also sehen: Rohstoffe sind zum
einen ein wichtiges Thema und zum anderen ein guter
Stoff, Geschäfte zu machen.

Herr Barthel, damit wir uns nicht falsch verstehen:
Der von Ihrer Fraktion gestellte Antrag, den Sie vertei-
digt haben, ist im Grunde nicht falsch, sondern veraltet.
Die Dinge, die Sie fordern – ich komme gleich darauf –,
sind nämlich zum großen Teil schon in Arbeit bzw. sind
schon erledigt. Es ist interessant, dass die rot-grüne Re-
gierung damals nicht in der Lage war, eine Rohstoffstra-
tegie zu entwickeln. Erst die christlich-liberale Koalition
hat das Thema angepackt. Sie hat im Dialog mit Politik,
Wirtschaft und allen beteiligten Partnern eine Roh-
stoffstrategie auf den Weg gebracht, über die wir heute
diskutieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, die Rohstoffstrategie der
Bundesregierung ist ein ganzheitlicher Ansatz für die
Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft. Sie geht
beispielsweise in die aktuelle Technologieoffensive oder
in die aktuelle Mittelstandsoffensive des Bundeswirt-
schaftsministeriums ein. Ebenso sind organisatorische
Maßnahmen im Bundeswirtschaftsministerium getroffen
worden. Es wurde eine Unterabteilung „Rohstoffpolitik“
eingerichtet. Herr Barthel, so etwas hat es unter Rot-
Grün nie gegeben.

Sie haben korrekt angemerkt, dass die Sicherung der
Rohstoffbasis „zuallererst Aufgabe der Unternehmen“
ist; darin stimmen wir überein. Dazu muss man sagen:
Die Politik kann nur flankierend wirken, also nur unter-
stützende Maßnahmen ergreifen.





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

Ich komme zu drei Punkten aus Ihrem Antrag. Ers-
tens. Sie fordern Rohstoffpartnerschaften und Rohstoff-
abkommen sowie einen „offenen und fairen Zugang im
Rohstoffhandel“. Es wird schon seit einiger Zeit über
Rohstoffpartnerschaften verhandelt. Dafür brauchen wir
nicht Ihren Anstoß. Bevor man wirklich über Rohstoff-
partnerschaften verhandeln kann, muss die Wirtschaft
ihre Bedarfe formulieren; sie muss sich darüber klar
sein, über welche Rohstoffe, über welche Mengen ver-
handelt werden soll. Herr Barthel, die erste Rohstoffpart-
nerschaft steht kurz vor ihrem Abschluss bzw. ist schon
sehr weit ausverhandelt. Dann werden wir doch einmal
sehen, ob Sie diese Partnerschaft wirklich unterstützen.

Sie machen einen bemerkenswerten Schwenk. Sie
verknüpfen in Ihrem Antrag erstmalig die Außenpolitik
und die Entwicklungszusammenarbeit mit der Rohstoff-
politik. Eine solche Verknüpfung haben Sie bisher im-
mer geleugnet. Ich kann mich noch genau daran erin-
nern, wie die SPD-Ministerin für Entwicklungszusam-
menarbeit hier im Plenum stand und jeglichen Zusam-
menhang geleugnet hat. Wir danken Ihnen für diesen
Schwenk; denn er macht die Arbeit in Zukunft mögli-
cherweise leichter.

Sie wissen, dass hinsichtlich des freien Zugangs zu
Rohstoffmärkten ein Verfahren der WTO gegen China
läuft. Auch hier ist die Bundesrepublik Deutschland, die
Bundesregierung aktiv geworden.

Zweitens. Sie fordern die Nutzung heimischer Lager-
stätten; das ist ein ganz spannendes Thema. Ich halte das
für einen guten Vorschlag. Er wird übrigens umgesetzt.
Vielen Dank, dass Sie mit Ihrem Antrag den Abbau von
Rohstoffen in Sachsen unterstützen. Wir werden uns das
gut merken. Jeder Abbau von Rohstoffen ist ein Eingriff
in die Natur. Wir sind sehr gespannt, zu sehen, ob Sie die
Abbauaktivitäten vor Ort unterstützen oder ob die SPD,
die Grünen oder die Linken vielleicht in vorderster Front
stehen, wenn es darum geht, den Abbau von Rohstoffen
sowie neue Aufschlüsse zu verhindern. Dann zeigt sich
möglicherweise ein Gegensatz zwischen der Politik, die
Sie draußen machen, und dem, was Sie hier am Pult er-
zählen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben in Deutschland ein großes Problem. Große
Teile des Landes sind in Flora-Fauna-Habitat-Schutzge-
biete eingeteilt. Wir werden darüber diskutieren müssen,
ob Sie uns unterstützen, wenn es darum geht, möglicher-
weise auch in Natura-2000-Gebieten Rohstoffabbau zu
betreiben und dort Rohstoffvorkommen zu erschließen.


(Zuruf von der SPD: Sie müssen den Antrag zu Ende lesen!)


Drittens. Sie thematisieren das Recycling. Recycling
ist wichtig und richtig. Herr Barthel, hier hoffen wir auf
Ihre Unterstützung, wenn es im Deutschen Bundestag
zur Lesung der Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes
kommt. Dann werden wir sehen, wie viel Ihre Unterstüt-
zung wert ist.
Ich komme zu einer Maßnahme, die Sie nicht gefor-
dert haben – die Bundesregierung hat sie unabhängig
von Ihnen ergriffen –, der Einrichtung der Deutschen
Rohstoffagentur. Die Deutsche Rohstoffagentur wird der
deutschen Wirtschaft die Daten liefern, die notwendig
sind, um zu sehen, welche Rohstoffe in welcher Menge
auf der Welt vorhanden sind, wo abgebaut werden kann,
wo man sich an welchen Neuaufschlüssen beteiligen
kann. Gerade bei den Seltenen Erden – das wissen Sie
ganz genau – gibt es weltweit Lagerstätten, also nicht
nur in China. Um den Engpass abzubauen, der auch
durch China verursacht wird, muss es jetzt darum gehen,
neue Lagerstätten zu erschließen. Wir werden sehen, wie
Ihre Unterstützung an dieser Stelle letztendlich aussieht.

Herr Barthel, in Ihrem Antrag fordern Sie, dass die
Bundesregierung Instrumente bereitstellt, die dazu die-
nen, die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Roh-
stoffen zu gewährleisten. Ich kann Ihnen sagen, welche
Instrumente es gibt – die Bereitstellung dieser Instru-
mente hätten Sie in Ihrem Antrag gar nicht fordern müs-
sen –: Es gibt Hermesbürgschaften, es gibt die ungebun-
denen Finanzkredite, und es wird eine Explorations-
unterstützung geben. Das sind die Instrumente, die im
Moment erforderlich sind, damit sich die deutschen Un-
ternehmen auf dem Rohstoffmarkt stärker einbringen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Fazit: Das Thema Rohstoffsicherung ist längst ein be-
deutender Teil der politischen Agenda der christlich-li-
beralen Koalition. Anträge Ihrer Fraktion dazu brauchen
wir nicht. Es ist notwendig, dass wir das Rohstoffthema
insgesamt betrachten und die Diskussion nicht auf die
Seltenen Erden verengen. Die christlich-liberale Koali-
tion beachtet diesen Grundsatz. Herr Barthel, weil Ihr
Antrag veraltet ist, können wir ihm leider nicht zustim-
men.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709623900

Das Wort hat die Kollegin Ulla Lötzer von der Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709624000

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Stellen

wir die Debatte einmal wieder vom Kopf auf die Füße,
Herr Lämmel.


(Beifall bei der LINKEN)


Richtig ist: China fördert derzeit 90 Prozent der Seltenen
Erden. Richtig ist aber auch: China verfügt nur über
knapp 30 Prozent der Reserven an Seltenen Erden. Die
deutsche Industrie freute sich wie andere auch über die
billigen Rohstoffe. Niemand scherte sich auch nur einen
Deut um die katastrophalen Arbeits- und Umweltbedin-
gungen, unter denen sie in China gefördert werden. Den
Rest der Seltenen Erden hat man in der Erde gelassen,
weil die Lieferung aus China viel billiger war. Diese Ab-





Ulla Lötzer


(A) (C)



(D)(B)

hängigkeit hat nicht China produziert, diese Abhängig-
keit ist selbst gewählt. Statt jetzt darüber zu klagen oder
China die Schuld zuzuschieben, hätten Sie besser vorher
eine andere Rohstoffpolitik gemacht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Klaus Barthel [SPD])


Kollege Barthel, die von Ihnen geforderte weiterge-
hende Handelsliberalisierung als Lösung verbessert den
Zustand aber nicht. Wer einen fairen Handel will, muss
erst einmal anerkennen, dass die Rohstoffe den Roh-
stoffländern gehören. Da wir dies anerkennen, haben
diese Länder aus unserer Sicht auch die Legitimation,
Exportbeschränkungen zu verfügen und regulierende
Maßnahmen zu erlassen.

Sie, Kollege Lämmel, führen die Diskussion, als
ginge es um den freien Zugriff unserer Wirtschaft auf
unsere Rohstoffe, die scheinbar nur aufgrund eines
Missverständnisses der Natur im Boden anderer Länder
liegen.


(Klaus Barthel [SPD]: Nicht in Sachsen!)


Statt einer verschärften Konkurrenz um den Zugang
zu begrenzten Rohstoffen, brauchen wir auf internatio-
naler Ebene partnerschaftliche Regeln und die Einfüh-
rung sozialer und ökologischer Mindeststandards in
Handelsverträgen. Statt Freihandel brauchen wir eine
faire Beteiligung der Entwicklungs- und Schwellenlän-
der an den Gewinnen und eine Verhinderung von Roh-
stoffspekulationen.


(Beifall bei der LINKEN)


Hauptziel einer Rohstoffpolitik sollte nicht Beschaf-
fungskonkurrenz, sondern die drastische Reduzierung
des Ressourcenverbrauchs sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Derzeit verbrauchen einige wenige Industrieländer in-
nerhalb weniger Jahrzehnte hemmungslos die begrenz-
ten Ressourcen der Welt. Trotz des Bekenntnisses zur
Rohstoffeffizienz ist der absolute Verbrauch an Rohstof-
fen in der EU der 27 in den letzten Jahren um mehr als
10 Prozent gestiegen. Einen weiteren wichtigen Beitrag
muss der Ausbau eines umfassenden Recyclingsystems
für die wichtigen Metalle leisten. Kollege Breil, ich weiß
zwar, dass Ihnen das ein Gräuel ist, aber an dieser Stelle
muss der Staat steuernd eingreifen. Er muss Anreize
schaffen und darf nicht, wie in Ihrer Rohstoffstrategie
– die eine Luftnummer ist – leere Versprechungen ma-
chen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen konkrete politische Maßnahmen. Wir
müssen Rohstoffeffizienz bei der öffentlichen Beschaf-
fung zwingend vorschreiben. Wir brauchen eine Förde-
rung des ökologischen Umbaus der Industrie durch eine
regulierende Industriepolitik, eine Besteuerung des Roh-
stoffverbrauchs, was die EU-Kommission vorgeschlagen
hat, und viele andere Maßnahmen. Wir haben jetzt Gele-
genheit, in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohl-
stand, Lebensqualität“ eine Konzeption zu entwickeln,
mit der dann – hoffentlich gemeinsam – bessere Ergeb-
nisse vorgelegt werden können, als sie mit diesem An-
trag, aber vor allem auch im Rahmen der Rohstoffstrate-
gie der Bundesregierung vorgelegt worden sind.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1709624100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Nestle von

Bündnis 90/Die Grünen.


Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709624200


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Staatssekretär Pfaffenbach hat in der letz-
ten Sitzung des Wirtschaftsausschusses gesagt, Deutsch-
land sei ein rohstoffarmes Land.


(Zuruf von der FDP: Da hat er aber recht!)


Das ist typisch für den Tunnelblick von Schwarz-Gelb.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Oh!)


Diese Perspektive ist nicht nur einseitig. Sie geht an der
Realität vorbei;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn wir verfügen über Rohstoffe hier vor Ort. Eine
Tonne Handyschrott enthält 60-mal mehr Gold als eine
Tonne Golderz, außerdem weitere knappe Rohstoffe wie
Tantal. Recycling als Rohstoffgewinnungsstrategie hat
enormes Potenzial – in Deutschland und darüber hinaus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir doch!)


Allein in Europa werden nur 40 Prozent des Elektronik-
schrotts korrekt recycelt. Nach Schätzungen der UN lan-
den weltweit jedes Jahr 40 Millionen Tonnen Elektroge-
räte im Müll. Die ausgedienten Telefone, Computer oder
Fernseher enthalten viele wertvolle und teils sehr seltene
Metalle, die in großen Mengen zurückgewonnen werden
und so der Wirtschaft zur Verfügung stehen könnten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch für die Umwelt ist es besser, die Rohstoffe, die wir
schon haben, mit innovativen Verfahren aus dem Müll
wieder herauszulösen, als sie unter steigenden Belastun-
gen für die Umwelt auszugraben. Damit wir dieses Po-
tenzial nutzen können, brauchen wir aber eine andere
Rohstoffstrategie, als die Bundesregierung sie vorgelegt
hat. Die Kernbotschaft einer modernen Ressourcenstra-
tegie ist: Ressourceneffizienz, Recycling, Substitution.

Die Industrie muss ressourcensparender arbeiten und
schon beim Design der Produkte über die Wiederver-
wertbarkeit nachdenken. Hierfür und nicht für das Gra-
ben nach den Ressourcen sollte die Wirtschaftspolitik in
erster Linie Anreize setzen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


zum Beispiel mit Ordnungspolitik und finanziellen An-
reizen wie einer besseren Förderung von Forschungs-





Ingrid Nestle


(A) (C)



(D)(B)

und Entwicklungsausgaben. Das ist auf Dauer aussichts-
reicher als die Beschaffungsstrategie. Die Bundesregie-
rung setzt mit dem Fokus auf die Beschaffung von Roh-
stoffen die falsche Priorität. Aber leider springt auch die
SPD auf diesen Zug auf. Auch sie unterschätzt die Po-
tenziale von Ressourceneffizienz, Recycling, Substitu-
tion.


(Klaus Barthel [SPD]: Das steht doch darin!)


Natürlich muss auch die von uns Grünen vorgeschla-
gene Innovationsstrategie durch eine Sicherung des Zu-
gangs zu Rohstoffen flankiert werden. Vor allem für
kleine und mittlere Unternehmen brauchen wir funktio-
nierende offene Rohstoffmärkte. Aber Rohstoffpartner-
schaften, wie jetzt mit Kasachstan angedacht, dürfen
nicht exklusiv sein und damit die offenen Märkte gefähr-
den. Sie müssen Win-win-Situationen für alle Beteilig-
ten schaffen. Das heißt, auch die Menschen in den Ab-
bauländern müssen davon profitieren, durch transparente
Zahlungsströme, durch ökologisch und sozial verant-
wortbare Abbaubedingungen. Solche Partnerschaften
dürfen den berechtigten Anspruch der Menschen auf De-
mokratie und Mitbestimmung in ihren Ländern nicht be-
hindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ih-
rem Antrag steht sehr viel Richtiges, aber wir würden
die Schwerpunkte anders setzen. Die Antwort auf Res-
sourcenverknappung muss heißen: weniger verwenden,
wiederverwenden und durch günstigere Rohstoffe erset-
zen.


(Klaus Barthel [SPD]: Steht doch alles darin!)


Sie vernachlässigen darüber hinaus die europäische Per-
spektive, und Sie setzen auf die überholte Philosophie
„mehr für uns“.


(Florian Pronold [SPD]: Die lesen unseren Antrag auch nicht zu Ende, genauso wenig wie Herr Lämmel! Das sparen die auch ein! Das ist eine ganz moderne Reform von Ressourcenschonung, dass Sie unseren Antrag nicht zu Ende lesen!)


– Nein, wir haben den Antrag durchaus gelesen. – Wir
richten den Fokus eher auf die Ressourceneffizienz, das
„Wenigerverwenden“, das Wiederverwenden und das
Ersetzen durch günstigere Rohstoffe; denn wir können in
den Industrieländern nicht länger erwarten, dass auf-
grund eines überproportionalen Verbrauchs ein überpro-
portionales Recht auf Zugang zu Rohstoffen besteht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709624300

Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe für die

SPD-Fraktion.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1709624400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Es mag paradox klingen, dass ausgerech-
net in vielen der ärmsten Länder dieser Erde die meisten
Rohstoffe liegen. Ich glaube, dass wir alle uns fragen
müssen: Warum sind viele Länder arm, warum sind die
Menschen in diesen Ländern arm, obwohl dort Roh-
stoffe wie Öl, Gold und Diamanten oder eben auch Sel-
tene Erden vorhanden sind? Für viele Entwicklungslän-
der sind Rohstoffe leider mehr Fluch als Segen.

Natürlich kann man es sich leicht machen und sagen,
dass die dortigen Regierungen dafür sorgen müssen,
dass mehr entsprechende Steuern erhoben und die Um-
weltstandards eingehalten werden. Aber ein Teil der
Wahrheit ist auch, dass es deutsche, dass es unsere Kon-
zerne sind, die in diesen Länder Rohstoffe abbauen, und
dass Unternehmen hier von diesen Rohstoffen profitie-
ren


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


und sich zu wenig Gedanken darüber machen, was vor
Ort in diesen Ländern passiert. Deswegen können wir
das nicht, wie es in der Rohstoffstrategie der Bundesre-
gierung steht, allein der Privatwirtschaft überlassen.
Vielmehr brauchen wir verbindliche Regeln, damit Um-
welt- und Sozialstandards eingehalten werden und die
Rohstoffe endlich den Menschen zugutekommen, die sie
fördern, und den Ländern, aus denen sie stammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte kurz aus einem Artikel zitieren, in dem
die Situation im Zusammenhang mit dem Abbau in
China beschrieben wird. Hier steht:

Aber auch dort, wo der chinesische Staat die Förde-
rung der Seltenen Erden direkt kontrolliert, ge-
schieht dies unter völliger Missachtung von Um-
weltschutz und Gefährdung der Anwohner. …
unweit der Stadt Baotou. Auch hier werden die Sel-
tenen Erden nicht mit umweltschonenden Metho-
den isoliert, sondern durch Auswaschen mit Schwe-
felsäure, Nitratsalzen und anderen Chemikalien.
Anschließend wird die Brühe einfach in einen
künstlichen See gepumpt, für den ein Staudamm er-
richtet wurde. Der Giftsee ist inzwischen zwölf Ki-
lometer lang – auch dies ein Weltrekord. Er ist nicht
nur voller Chemie, sondern enthält auch Tonnen ra-
dioaktiven Thoriums, das so gut wie immer in den
Seltene-Erden-Erzen enthalten ist.

Wenige Kilometer von der Kloake entfernt lagen
bis vor kurzem mehrere Dörfer, die sich den un-
rühmlichen Namen „Krebsdörfer“ erwarben.

Denn dort sind viele Menschen elendig an Krebs gestor-
ben.

Ich sage deshalb: Wir dürfen nicht zulassen, dass
diese Zustände in China und in anderen Entwicklungs-
ländern vorherrschen, dass wir mit unseren Handys und
unserer Produktion entsprechender Güter dazu beitra-
gen.

Herr Lämmel, Sie haben zitiert, dass auch wir der
deutschen Wirtschaft zum Beispiel Hermesgarantien ge-
ben möchten. In unserem Antrag steht aber, dass staatli-





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)

che Garantien nur dann gegeben werden dürfen, wenn
sich die Unternehmen strikt dazu verpflichten, die
OECD-Leitlinien, den Global Compact der Vereinten
Nationen, die EITI-Vereinbarungen für Transparenz und
Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten. Nur dann
dürfen diese Bürgschaften gegeben werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage an dieser Stelle: Diese Bundesregierung geht
mit Hermesbürgschaften ganz anders um, als wir es da-
mals zusammen mit den Grünen in unseren Richtlinien
2001 vorgesehen haben. Wir haben Hermesbürgschaften
nur gegeben, wenn die ökologischen und sozialen Krite-
rien gestimmt haben. Sie geben Hermesbürgschaften
mittlerweile nur nach den Kriterien, dass dadurch die
Außenwirtschaft gefördert wird und möglichst viele Pro-
fite gemacht werden. Sie schrecken nicht einmal davor
zurück, Hermesbürgschaften für den Bau von Atom-
kraftwerken in Brasilien und auch anderswo in der Welt
zu geben. Das ist ein Skandal. Wir dürfen nicht mit deut-
schen Steuergeldern die Umwelt belasten, Menschen
ausbeuten und Atomkraftwerke in Entwicklungs- und
Schwellenländern bauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in unserem Antrag natürlich keine umfas-
sende Antwort auf die Rohstoffstrategie der Bundesre-
gierung gegeben; da haben wir einen noch viel breiteren
Ansatz. Es ist wichtig, dass wir nicht immer nur mit gu-
ten Worten Appelle an die deutsche Industrie und Wirt-
schaft richten, sondern dass wir fordern und sagen, dass
das eine mit dem anderen verbunden ist.

Wir verstehen unter Rohstoffpartnerschaften – das
möchte ich zum Schluss noch sagen – Partnerschaften,
die über die Einhaltung der Transparenzregelungen nicht
nur der Entwicklung des Landes dienen, sondern über
die Verteilung der Gewinne – das steht in unserem An-
trag – auch der Bevölkerung zugutekommen. Auch da-
rüber müssen wir mit den Regierungen reden.

Ich hoffe, dass wir bald auch hier im Deutschen Bun-
destag ein Gesetz verabschieden – der Kollege Barthel
hat es angesprochen –, mit dem alle Unternehmen, die an
der Börse notiert sind, verpflichtet werden, ihre Geld-
zahlungen offenzulegen. Wenn selbst die USA ein sol-
ches Gesetz verabschieden, –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709624500

Herr Kollege.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1709624600

– werden auch wir in Deutschland das tun können.

Das sind wir den Menschen in Deutschland, vor allem
aber in den Entwicklungsländern schuldig. Dafür sollten
wir gemeinsam kämpfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709624700

Herr Kollege!


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1709624800

Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem An-

trag.

Vielen Dank, Frau Präsidentin.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709624900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der SPD mit dem Titel „Fairen Rohstoff-
handel sichern – Handel mit Seltenen Erden offenhal-
ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/4910, den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4553 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zu-
stimmung durch die CDU/CSU, die FDP, Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke angenommen. Die SPD hat
dagegen gestimmt.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung mautrechtlicher Vorschriften für Bun-
desfernstraßen

– Drucksache 17/4979 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Dr. Andreas Scheuer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


D
Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1709625000


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Neuregelung
mautrechtlicher Vorschriften für Bundesfernstraßen soll
die Autobahnmaut für schwere Lkw auch auf Teile der
Bundesstraßen ausgedehnt werden. Es handelt sich um
eine Erweiterung des mautpflichtigen Straßennetzes.
Alle anderen Merkmale wie die Mautsätze und die
Bemautung nur von Lkw ab 12 Tonnen bleiben unverän-
dert. Es sollen auch nur Abschnitte von Bundesstraßen
bemautet werden, die ausbaumäßig einer Autobahn na-
hekommen.

Diesem Projekt, der Maut auf Bundesstraßen, liegt
die Überlegung zugrunde, dass insbesondere zu Auto-
bahnen Bundesstraßen führen, die den Fahrkomfort ei-
ner Autobahn bieten. Das hat auch der Bundesrech-





Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer


(A) (C)



(D)(B)

nungshof schon lange aufgezeigt. Er hat die Möglichkeit
der Aufstufung zu Bundesautobahnen thematisiert,
durch die der Bund weitere Mauteinnahmen erzielen
könnte.

Jedoch erfüllen viele dieser gut ausgebauten Bundes-
straßen nicht sämtliche rechtlichen und technischen Vo-
raussetzungen, die eine Autobahn zu erfüllen hat. Zu
nennen wären zum Beispiel Anbauverbotszonen, höhen-
freie Knotenpunkte und sonstige Ausbaustandards, zum
Beispiel Mindestkurvenradien. Wir haben also gut aus-
gebaute Bundesstraßen, die aber im Gegensatz zur Auto-
bahn nicht bemautet werden können, weil wir diese Stra-
ßen nicht zu Autobahnen aufstufen können, da das
geltende Recht bis auf geregelte Ausnahmen in der
Mautstreckenausdehnungsverordnung eine Bemautung
nicht vorsieht. Diese Situation ist auch vor dem Hinter-
grund des erheblichen Finanzbedarfes für Erhalt und
Ausbau der betroffenen Verkehrsinfrastruktur mehr als
unbefriedigend.

Der hier vorliegende Gesetzentwurf regelt die Aus-
dehnung der Lkw-Maut auf mindestens vierstreifige
Bundesstraßen, die sich in der Baulast des Bundes befin-
den, mit Anbindung an eine Bundesautobahn, damit wir
räumlich einen Bezug zum mautpflichtigen Autobahn-
netz herstellen können.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu diesem
Gesetzentwurf weitere Kriterien für einen zu bemauten-
den Bundesstraßenabschnitt vorgeschlagen: eine Min-
destlänge von 5 Kilometern, eine bauliche Richtungs-
trennung und Verzicht auf eine Bemautung im
innerstädtischen Bereich. Die Bundesregierung hat die
Anliegen geprüft und wird dem Deutschen Bundestag
Änderungen am mautpflichtigen Streckennetz durch die
Regelung zusätzlicher Kriterien, wie jetzt folgt, empfeh-
len: Mindestlänge von 4 Kilometern, durchgehende bau-
liche Richtungstrennung, also ein durchgehender Mittel-
streifen, und keine Bemautung von Strecken innerorts.
Zudem soll empfohlen werden, die im Gesetzentwurf
vorgesehene Bemautung von mittelbar an das Autobahn-
netz angebundenen Strecken nicht mehr vorzusehen.

Mit diesen vorgesehenen und empfohlenen Änderun-
gen werden im Gesetz die zu bemautenden Strecken aus-
schließlich abstrakt-generell geregelt. Eine Auflistung
wie bei den ursprünglich mittelbaren Strecken soll es
nicht geben, auch nicht im Wege einer Rechtsverord-
nung. Es ist aber vorgesehen, die einzelnen mautpflichti-
gen Bundesstraßenabschnitte, die schon in den soge-
nannten Mauttabellen veröffentlicht sind, zusätzlich
rechtssicher im elektronischen Bundesanzeiger bekannt
zu machen.

Mit der Regelung des zusätzlichen Kriteriums eines
durchgehenden Mittelstreifens kommt der zu bemau-
tende Bundesstraßenabschnitt einem autobahnähnlichen
Zustand noch näher. Durch die zusätzlichen Abgren-
zungsmerkmale wie Mindestlänge, Herausnahme von
Ortsdurchfahrten und Herausnahme der mittelbaren
Strecken wird auch den Befürchtungen der Länder hin-
sichtlich Mautausweichverkehren Rechnung getragen.
Beim Stichwort Mautausweichverkehre möchte ich
auf Folgendes hinweisen: Mautausweichverkehre stellen
seit Einführung der Lkw-Maut auf Bundesautobahnen
kein Flächenproblem dar; laut den konstatierten Unter-
suchungen liegt der verlagerungsbedingte Anstieg des
Lkw-Verkehrs bei weniger als 4 Prozent. Auch zukünftig
wird kein besonderer Anreiz zur Verlagerung erwartet.
Wir werden dies allerdings prüfen und die Untersuchung
zur Verlagerungswirkung vorlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kriterien
sollen rund 1 000 Kilometer Bundesstraße zukünftig
bemautet werden.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wie viel?)


Das sind rund 1 000 Kilometer weniger als ursprünglich
geschätzt. Mit dieser Reduzierung tragen wir gleichzei-
tig der Speicherkapazität der Fahrzeuggeräte Rechnung.

Inzwischen liegen erste Einschätzungen der Gutach-
ter zu den erwarteten Fahrleistungen vor. Danach erwar-
ten wir trotz alledem jährlich rund 100 Millionen Euro
Mehreinnahmen, die in der mittelfristigen Finanzpla-
nung ausgewiesen sind.

Abschließend noch ein paar Worte zum Thema „Fi-
nanzierung der Verkehrsinfrastruktur“. Der Bedarf an
Mitteln für den beabsichtigten Aus- und Neubau der Ver-
kehrsinfrastruktur erfordert neue und ergänzende Finan-
zierungsinstrumente zur Sicherung und Stärkung der
Verkehrsinfrastruktur.

Wie hier alle wissen, wurde die Lkw-Maut vor mehr
als sechs Jahren unter anderem zur Sicherung der Finan-
zierung der Verkehrsinfrastruktur eingeführt. In diesem
Sinne muss es in der Konzeption des vorgelegten Ent-
wurfes weiterentwickelt werden.

Zur Reduzierung der Haushaltsabhängigkeit der Ver-
kehrsinfrastrukturfinanzierung und zur Schaffung mehr-
jähriger Planungssicherheit wollen wir Nutzerfinanzie-
rungskreisläufe stärken. Mit dem Bundeshaushalt 2011
haben wir einen ersten Schritt zur Herstellung eines Fi-
nanzierungskreislaufs Straße eingeleitet. Die Mautein-
nahmen, die bisher für Investitionen in Schiene und
Wasserstraße verteilt wurden, fließen nunmehr zu
100 Prozent in die Straße.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dies führt zu mehr Transparenz bei der Verwendung der
Mauteinnahmen, und ich halte es für gerecht, dass die
Brummifahrer wissen, dass 100 Prozent ihrer Mautab-
gabe in die Straßen, in die Erhaltung, in den Neubau und
in die Baustellen, fließen. So ist die Transparenz ge-
währleistet.

Die christlich-liberale Koalition und die Bundesregie-
rung setzen das um, was die Verkehrspolitiker schon
längst fordern. Ich möchte mich in diesem Zusammen-
hang noch einmal persönlich bei Gero Storjohann bedan-
ken, der meine Ausführungen zum Feuerwehrführer-
schein bei Tagesordnungspunkt 13 sehr gelobt hat.


(Heiterkeit)






Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer


(A) (C)



(D)(B)

Ich denke, wir werden auch im Ausschuss bei den The-
men „Maut“ und „Bemautung der vierspurigen Bundes-
straßen“ eine gute Diskussionsebene finden.

Glück auf! Wir werden damit die Finanzbasis für die
Infrastruktur weiter stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709625100

Der Kollege Uwe Beckmeyer hat das Wort für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1709625200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Scheuer – – Herr Dr. Scheuer – Entschuldi-
gung –,


(Heiterkeit – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht! Er ist aus Bayern! – Zuruf von der SPD: Das weiß man bei der Regierung ja nicht so!)


1 000 Kilometer sind es geworden. 3 000 Kilometer wa-
ren einmal geplant. Grundsätzlich ist ja nichts dagegen
zu sagen, dass Sie sich nach neuen Einnahmequellen
umschauen. Ich habe vorhin schließlich gesagt, dass ich
Sie geradezu dazu auffordere, sinnvolle Sachen zu ma-
chen. Die Frage ist nur, wie es passiert? – Ich habe dazu
ein paar Fragen. Vielleicht kann im Rahmen der heuti-
gen Debatte der eine oder andere Koalitionsvertreter
– Sie können dazu schließlich nicht mehr reden – noch
etwas dazu sagen.

Erstens. Auf der Sparklausur der Bundesregierung
2010 wurde diese vierspurige Bundesstraßenmaut schon
für den 1. Januar 2011 angekündigt; daraus ist bekannt-
lich nichts geworden.

Nun planen Sie die Einführung zum 1. Juli 2011. Weil
das Problem ja häufig im Detail liegt, interessiert uns
Sozialdemokraten, ob die vielen ungeklärten rechtlichen
und technischen Fragen inzwischen eigentlich so geklärt
wurden, dass man davon ausgehen kann, dass diese
Maut tatsächlich zum 1. Juli 2011 eingeführt werden
kann. Dass dieser Termin verschoben worden ist, deutet
ja zumindest darauf hin, dass da noch einiges nicht klar
ist. Im Haushalt 2011 haben Sie hier Einnahmen in Höhe
von 50 Millionen Euro eingeplant. Wir hoffen, dass Sie
das auch realisieren können.

Zweitens. Mit dem Beschluss des Gesetzentwurfes
durch das Kabinett ist nicht klar, auf welchen Bundes-
straßen die Lkw-Maut eingeführt werden soll. Zu Recht
fordern Ihr eigenes Bundesland Bayern und andere Bun-
desländer, dass sie wenigstens an der Zusammenstellung
der Liste beteiligt werden. Die Frage an Sie ist: Sind
diese Länder beteiligt worden?


(Gustav Herzog [SPD]: Der Staatssekretär hat den Kopf geschüttelt!)


Sie sind die vor Ort Betroffenen, die mit den Konse-
quenzen auf dem nachgeordneten Straßennetz leben
müssen. Das muss man einfach berücksichtigen.
Diese vierspurigen Bundesstraßen gibt es ja nicht
überall, sondern nur an ganz bestimmten neuralgischen
Punkten. Sie haben vorhin von Strecken über vier Kilo-
metern gesprochen – nicht in den Städten. Also denke
ich einmal, dass wir es mit Versatzstücken zu tun haben,
die irgendwo angeschlossen sind und Verkehr auf nach-
geordneten Straßen der Länder hervorrufen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum
das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungsbedürftig
ist. Aus dem, was im Gesetzentwurf steht, habe ich ge-
schlossen, dass die Ausdehnung auf Bundesstraßen im
Bundesrat zustimmungsbedürftig ist. Ich denke, das ist
auch eine Frage, die geklärt gehört.

Drittens. Bisher sind in keinem Fall Untersuchungen
darüber durchgeführt worden, welche Auswirkungen die
Einführung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstra-
ßen für das nachgeordnete Netz wie Kreis- und Landes-
straßen usw. hat. Sollen auch vierspurige Bundesstraßen
innerhalb von größeren Städten – das haben Sie jetzt
ausgeschlossen – oder Ortsumgehungen – das ist meines
Erachtens noch unklar – bemautet werden? Auch das ist
meines Erachtens noch unklar.

Viertens. Wie groß werden die technischen Aufwen-
dungen sein, die für eine Erhebung der Lkw-Maut auf
vierspurigen Bundesstraßen notwendig sind? Dazu habe
ich hier heute auch nichts gehört.


(Patrick Döring [FDP]: Steht im Gesetzentwurf!)


Wird es Mautbrücken geben müssen? Wird es ledig-
lich Kontrollen durch das BAG geben, und wird damit
das Risiko der Kontrollen zu 100 Prozent auf den Staat
übertragen? Das sind ebenfalls Fragen, die ich aus dem
Kreise des Bundeskabinetts bisher nicht beantwortet be-
kommen habe.

Fünftens. Bis heute ist nicht klar, in welcher Höhe bei
der Erhebung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundes-
straßen Systemkosten anfallen. Bisher heißt es im Ge-
setzentwurf lediglich, dass 8,5 Millionen Euro an Voll-
zugskosten beim BAG entstehen. Bei Einnahmen von
rund 100 Millionen Euro sind das 8,5 Prozent. Darin
sind noch nicht die Kosten enthalten, die ein Unterneh-
men, das im Auftrag des Bundes die Lkw-Maut erhebt,
in Rechnung stellen wird. Auch das ist nicht geklärt.

Sechstens. Bis heute verweigert die Bundesregierung
jegliche konkrete Aussage dazu, wie die rechtlichen
Rahmenbedingungen für eine Vergabe der Erhebung der
Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen aussehen.
Wird es eine Direktvergabe geben? Muss europaweit
ausgeschrieben werden? Das ist dem Parlament gegen-
über bisher überhaupt noch nicht eindeutig geklärt. Auch
hierzu erwarte ich von der Bundesregierung eine Aus-
kunft.


(Gustav Herzog [SPD]: Vielleicht weiß die Bundesregierung das selbst noch nicht!)


– Vielleicht weiß sie es nicht.

Siebtens. Bisher ist nicht bekannt, welche Belastun-
gen auf die Unternehmen des Transport- und Logistikge-





Uwe Beckmeyer


(A) (C)



(D)(B)

werbes zukommen werden. Laut dem Wegekostengut-
achten der Bundesregierung ist die Mauthöhe auf
Bundesstraßen allerdings generell doppelt so hoch wie
auf Bundesautobahnen, weil dort weniger Schwerlast-
verkehr stattfindet. Die Frage an die Bundesregierung
ist: Wann werden Sie einen Entwurf für eine neue Maut-
höheverordnung auf den Weg bringen, dem Deutschen
Bundestag, dessen Zustimmung nach der Gesetzeslage
zumindest aus unserer Sicht erforderlich ist, vorlegen
und die Länder entsprechend informieren? Ich habe den
Eindruck, dass es noch sehr viele Fragen gibt, die Sie
immer noch nicht geklärt haben und dass bei Ihnen im
Hause anscheinend eine große Unsicherheit unter den
Fachleuten existiert. Die Fragen, die ich stelle, stellen
ebenfalls die Kolleginnen und Kollegen aus den Verbän-
den. Auch sie fragen sich, ob Sie möglicherweise dabei
sind, das Gewerbe in diesem Zusammenhang hinter die
Fichte zu führen. Insofern bitte ich um Aufklärung zu
diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte nicht, dass Sie den Eindruck gewinnen,
dass Sie im Deutschen Bundestag eine unseriöse Ver-
kehrspolitik betreiben können, ohne dass es jemand
merkt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709625300

Das Wort hat der Kollege Patrick Döring für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ob er seinem Namen an diesem Tag gerecht wird und
eine missionarische Rede hält, werden wir sehen.


Patrick Döring (FDP):
Rede ID: ID1709625400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will mich bemü-

hen, die Debatte, die um diese Uhrzeit überwiegend im
geschlossenen Kreis der Ausschussfreunde stattfindet
– über die vielen interessierten Gäste freut man sich
selbstverständlich, die Bürgerinnen und Bürger ohnehin –,
zu nutzen, um ein paar Fragen, die aufgeworfen worden
sind, zu beantworten.

Zunächst bedanke ich mich bei der Bundesregierung
dafür, dass bereits erkannt worden ist, dass der Gesetz-
entwurf vor der zweiten und dritten Beratung noch an ei-
nigen Stellen verbessert werden kann, wozu wir als
FDP-Fraktion in jedem Fall bereit sind. Aus den Ände-
rungen, die der Herr Staatssekretär vorgetragen hat, las-
sen sich schon einige Fragen, die der geschätzte Kollege
Beckmeyer gestellt hat, beantworten.

Eingangs muss man festhalten – das ist erkennbar –,
dass die Umsetzung dieser in der Sparklausur beschlos-
senen Änderung tatsächlich deutlich komplizierter ist,
als dies seinerzeit erwartet wurde. Das hängt damit zu-
sammen, dass zum Beispiel umfangreich gutachterlich
geklärt werden musste, ob im Rahmen des bestehenden
Konsortialvertrages mit Toll Collect die Erhebung an
Toll Collect übertragen werden kann. Das ist nach mei-
ner Kenntnis inzwischen durch ein ausführliches Rechts-
gutachten geklärt. Wir können im Rahmen dessen, was
mit Toll Collect vereinbart worden ist, auch diese Aus-
weitung des Mautnetzes vornehmen, ohne Änderungen
am Vertrag durchzuführen, was in der Tat gegebenen-
falls Ausschreibungskonsequenzen gehabt hätte.

Es war außerdem zu klären, welche der ungefähr
3 000 Kilometer vierstreifigen Bundesstraßen wir tat-
sächlich bemauten wollen. Deshalb begrüße ich für die
FDP-Fraktion ausdrücklich, dass die Bundesregierung
den Gesetzentwurf, dem eine Liste und eine weitere An-
lage beigefügt sind – einige von Ihnen wissen, dass ich
das ohnehin nicht gerne habe –, zu einem Gesetzentwurf
weiterentwickelt hat, der klar definiert, welche Straßen
bemautet werden sollen. Die entscheidende Regelung
lautet: Mittelbar an Bundesautobahnen anschließende
vierstreifige Bundesstraßen, die jeweils zwei baulich ge-
trennte Fahrstreifen aufweisen, sind zu bemauten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn das so ist, lieber Kollege Beckmeyer, dann er-
gibt sich jedenfalls nach meiner Überzeugung keine ne-
gative Auswirkung auf Landes- und Kreisstraßen, weil
die in der Regel nicht für Substitutionsverkehre geeignet
sind, da sie gerade nicht unmittelbar an Bundesautobah-
nen anschließen.

Die Frage wäre berechtigt gewesen, wenn man eine
lange Liste erstellt hätte. Aber wenn man sich darauf be-
zieht, dass ausschließlich die vierstreifigen Bundesstra-
ßen in Verlängerung oder als Zubringer zu Autobahnen
bemautet werden, dann ergibt sich die Substitution an
anderer Stelle aus meiner Sicht nicht.

Das ist nach unserer festen Überzeugung auch der
entscheidende Punkt bei der Beteiligung der Länder. Mit
dieser Definition und durch die reine Änderung des
Mautgesetzes ist das nicht mehr nötig. Bei einer Liste
wäre das – darin stimme ich mit Ihnen überein – aller
Voraussicht nach nötig gewesen. Wir wären auch gar
nicht darum herumgekommen. Denn wir alle haben
Briefe von Landräten und Landesverkehrsministern be-
kommen, in denen die Herausnahme einzelner Strecken-
abschnitte gefordert wurde. Ich habe keinen einzigen
Brief bekommen, in dem jemand vorschlägt, einen Stre-
ckenabschnitt zu bemauten. Das hätte am Ende ein hefti-
ges Gerangel gegeben.

Insofern streben wir eine klare gesetzliche Definition
an. Wir werden im Ausschuss sicherlich die notwendi-
gen Änderungen vorschlagen und hoffen auf Ihre Unter-
stützung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zur Frage der Mauthöheverordnung. Es ist in der
Tat richtig, dass der Hinweis auf die Bundesstraßen in
der Mauthöheverordnung aufgeführt ist. Ich bin aber
auch der festen Überzeugung, dass das, was für die Bun-
desstraßen im Allgemeinen gelten mag, für die vierstrei-
figen, durch baulich getrennte Fahrstreifen ausgezeich-
neten Bundesstraßen nicht gilt, sondern dass hier ganz





Patrick Döring


(A) (C)



(D)(B)

sicher analog die ermittelten Mauthöhesätze übernom-
men werden können. Übrigens ist das keine Benachteili-
gung der Nutzerinnen und Nutzer. Wenn wir jetzt will-
kürlich einen höheren Satz festlegen würden, wäre das
sicherlich klageanfällig. Wenn wir aber unter den Emp-
fehlungen des Mauthöhegutachtens für Bundesstraßen
bleiben und nur die Mauthöhe für Bundesautobahnen
nehmen, ist das aus meiner Sicht keine Benachteiligung
des Gewerbes, sondern ein positiver Aspekt, der dazu
führt, dass die echten Wegekosten dieser Strecke wahr-
scheinlich nicht abgebildet werden; dazu müsste der
Mautsatz wohl höher sein. Aber aus unserer Sicht ist es
nicht sinnvoll, für diese 1 000 Kilometer jetzt neue
Mauthöheermittlungsverfahren einzuleiten. Wir nehmen
den Satz, der bei der baulichen Analogie, nämlich einer
vierstreifigen Autobahn, gilt. Das ist gut für das Ge-
werbe und aus unserer Sicht rechtssicher, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es zeigt sich, wie sinnvoll der Finanzierungskreislauf
Straße ist, denn mit dieser Maßnahme organisieren wir
gemeinsam mit dem Gewerbe zusätzliche Mittel für den
Ausbau der Straßeninfrastruktur. Das hilft den Lkw-Fah-
rerinnen und -Fahrern. Das hilft den betroffenen Kom-
munen. Das will diese Koalition, nämlich zusätzliche
Mittel für Straße, Schiene und Wasserstraße organisie-
ren: im Bundeshaushalt oder von den Nutzerinnen und
Nutzern.

Ich möchte abschließend einen Gedanken äußern. Wir
erleben immer wieder, dass planungsrechtlich die Aus-
weitung einer vorhandenen zweistreifigen Bundesstraße
auf die Dreistreifigkeit deutlich leichter als die Erweite-
rung zur Vierstreifigkeit ist. Wir sollten uns alle gemein-
sam – nicht nur, aber auch wegen der Mauteinnahmen –
darüber Gedanken machen, ob es klug und vernünftig
ist, dass man die Erweiterung einer vorhandenen zwei-
streifigen Autobahn auf eine dreistreifige über die Unter-
haltungsmittel in der Regel ohne Planfeststellungsver-
fahren machen kann, man aber in dem Moment, in dem
man eine zweistreifige Bundesstraße zu einer vierstreifi-
gen Bundesstraße machen will, ein Planfeststellungsver-
fahren anschieben muss.

Im Rahmen dessen, was wir heute Morgen zum
Thema Planungsbeschleunigung in ganz anderem Kon-
text – das will ich zugeben – besprochen haben, wäre es
vielleicht des Schweißes der Edlen wert, darüber nach-
zudenken, die Hürden etwas niedriger zu legen, um mehr
vierstreifige Bundesstraßen zur Entlastung der betroffe-
nen Kommunen einerseits, aber auch zur Erhöhung der
Einnahmen für den Verkehrshaushalt andererseits zu er-
möglichen.

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709625500

Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709625600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Bundesregierung legt uns heute einen Gesetz-
entwurf vor – ein halbes Jahr zu spät und dann auch
noch Murks.


(Patrick Döring [FDP]: Was?)


Ihre Bundesstraßenmaut bringt weder ausreichende Ein-
nahmen noch verhindert sie, dass die schweren Lkw
weiter durch Dörfer und Städte donnern.

Sie haben Veränderungsbedarf angekündigt. Hier ei-
nige Vorschläge:

Erstens. Der Bundesverkehrsminister begnügt sich
zunächst mit 2 000 Kilometern Bundesstraßen. Das sind
gerade einmal 5 Prozent aller Bundesstraßen. Statt kon-
sequent Mautflucht zu verhindern und Lkw-Verkehr zur
Finanzierung der Verkehrskosten heranzuziehen, betrei-
ben Sie Flickschusterei.


(Patrick Döring [FDP]: Wollen Sie die Bemautung aller Bundesstraßen? – Gegenruf von der LINKEN: Ja!)


– Genau das wollen wir.


(Patrick Döring [FDP]: Dann ist das ja geklärt!)


In diesem Gesetz kommt überhaupt nicht vor, welche
Belastungen die Menschen zu ertragen haben, die mit
schweren Lkw vor der Haustür leben müssen, weil die
Spediteure ihre Fahrer über Land schicken. Um der
Maut auszuweichen, nutzen sie einspurige Bundesstra-
ßen.

Ich nenne als Beispiel die Bundesstraße 5. Das ist die
klassische Strecke für Mautpreller zwischen Hamburg
und Berlin. Die B 5 fehlt – bis auf einen einzigen kurzen
Abschnitt – in der Liste der Mautstrecken. Erklären Sie,
Herr Minister oder Herr Staatssekretär, das einmal den
Bewohnerinnen und Bewohnern in Lauenburg und in
Ludwigslust!

Mautflüchtlinge benutzen aber auch Landesstraßen.
In meiner Heimatstadt Osterholz-Scharmbeck kämpfen
Anwohnerinnen und Anwohner der L 135 gegen 800
schwere Lkw, die täglich auf der Strecke zwischen Bre-
men und Bremerhaven pendeln, obwohl sie auf der pa-
rallel gelegenen A 27 hätten fahren sollen.

In einem Bericht des Ministeriums über Verlagerun-
gen durch Mautausweichverkehr gibt es dazu eine ge-
naue Auflistung. Würden wir nur die am stärksten be-
troffenen Strecken, also die mit mehr als 500 schweren
Lkw pro Tag, nehmen, dann müssten zum Beispiel in
Niedersachsen doppelt so viele Strecken zusätzlich
bemautet werden, wie jetzt von Ihnen vorgeschlagen.

Unsere Forderung zur Gesetzesvorlage: Die Liste der
Streckenabschnitte, also die Liste der 80, muss überar-
beitet werden.


(Patrick Döring [FDP]: Die wird es nicht mehr geben, die Liste!)






Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)

Auch die Auswirkungen auf Ballungsgebiete müssen un-
tersucht und die Einbeziehung von Ortsdurchfahrten in
kommunaler Baulast muss überprüft werden. Das hat ja
auch der Bundesrat im vergangenen Monat gefordert.

Zweitens. Die Maut ist nicht hoch genug. Das sagt
selbst eine Studie aus dem Bundesverkehrsministerium.
Bei der dort vorgenommenen Wegekostenberechnung
kommen 30 Cent pro Kilometer heraus. 30 Cent pro Ki-
lometer müssten Spediteure also eigentlich zahlen; heute
sind es im Schnitt gerade einmal 18 Cent auf Autobah-
nen. Wir fordern, die Mauthöhe auf Bundesstraßen auf
Grundlage der realen Wegekosten zu berechnen. In der
Schweiz gibt es übrigens eine flächendeckende Maut,
die drei- bis viermal höher ist als die aktuelle auf bun-
desdeutschen Autobahnen. Die Einnahmen daraus flie-
ßen auch in das gesamte Verkehrssystem und nicht nur in
die Straße.

Drittens. Wir halten die Lkw-Maut für ein absolut
sinnvolles Instrument, aber es muss konsequent zu einer
ökologischen Verkehrslenkung genutzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Spreizung der Maut nach Schadstoffklassen war ein
erster Schritt. Wir fordern: Die Maut muss zu einem
Steuerungsinstrument im Transportwesen weiterentwi-
ckelt werden. Mauteinnahmen sind nicht ausschließlich
für den Straßenbau da; sie gehören in das Verkehrssys-
tem insgesamt: in die Schiene, in die Straße und in die
Wasserwege.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz zeigt,
dass die Bundesregierung im Klein-Klein verharrt. Das
ist auch auf europäischer Ebene der Fall. So schlägt bei-
spielsweise die EU eine Eurovignette für alle Transpor-
ter ab 3,5 Tonnen vor. Wie kommt das bei Herrn
Ramsauer an? Wir hören von ihm nur: Blockade.


(Patrick Döring [FDP]: Beantragen Sie das doch mal hier!)


Die EU versucht, Staukosten und die Kosten für Lärm
und Umweltschäden in die Eurovignette einzubeziehen.
Was kommt aus Deutschland? Wieder Blockade.


(Patrick Döring [FDP]: Wo ist der Antrag der Linken?)


Der Bundesverkehrsminister hätte heute die Chance
gehabt, dazuzulernen. Es ist jetzt an ihm, ob er weiter
herummurkst oder ein Gesetz auf den Weg bringt, das
den Verkehr beruhigt und vielen Menschen das Leben
einfacher macht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709625700

Der Kollege Dr. Anton Hofreiter hat das Wort für

Bündnis 90/Die Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vielen Dank für den Applaus.

Nachdem der Herr Staatssekretär heute schon aus-
führlich gelobt worden ist,


(Patrick Döring [FDP]: Zu Recht!)


auch ein Lob von unserer Seite; denn wir halten die Aus-
weitung der Maut auf Bundesstraßen durchaus für ein
richtiges Instrument. Das ist ein Schritt in die richtige
Richtung. Wir loben euch sogar, wenn ihr einmal etwas
richtig macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Döring [FDP])


Das Problem ist nur, dass man auf der halben Strecke
stehen bleibt. Wir haben weitaus mehr Bundesstraßen.
Letztendlich müsste man konsequent sein und die Maut
auf die gesamten Bundesstraßen ausweiten.


(Patrick Döring [FDP]: Stellen Sie doch mal den Antrag!)


Das wäre von entscheidender Bedeutung für die Steue-
rung des Verkehrs.

Die Situation auf der B 5 ist bereits erwähnt worden.
Auch ich war einmal in Lauenburg und habe mir das an-
geschaut. Man findet wenig Bundesstraßen, auf denen in
solcher dichten Folge Lkw fahren. Es gibt also durchaus
Bundesstraßen, die nicht vierstreifig sind, auf denen er-
heblicher Lkw-Verkehr stattfindet und auf denen nach
allen Aussagen und allen Zahlen auch Lkw-Ausweich-
verkehr vorhanden ist. Den Anwohnern dieser Straßen
wird wieder nicht geholfen. Deshalb wäre zu fordern,
dass neben den vierstreifigen Bundesstraßen zumindest
auch die Bundesstraßen, auf denen ein massiver Lkw-
Ausweichverkehr vorhanden ist, in die Bemautung auf-
genommen werden. Das wäre jederzeit möglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Wenn man sich die Stellenentwicklung beim Bundes-
amt für Güterverkehr anschaut, ist des Weiteren zu fra-
gen, ob insgesamt das Modell, wie es gewählt worden
ist, wirklich effizient ist. Wenn wir uns anschauen, wie
viele Stellen da ausgeschrieben sind und wie viele Leute
zusätzlich eingestellt werden müssen, dann stellt sich
durchaus die Frage, ob das Modell, das mit Toll Collect
gewählt worden ist, wirklich geeignet ist, um die Lkw-
Maut zu einem wirtschaftlich vertretbaren Maß auf die
Bundesstraßen auszuweiten.

In Kürze werden die Ausschreibungen stattfinden; zu-
mindest wird der momentan gültige Mautvertrag verlän-
gert. Vielleicht muss man sich überlegen, ob das Modell
weiterzuentwickeln ist. Es ist dringend an der Zeit, dass
man sich im Verkehrsministerium Gedanken darüber
macht. Es gibt große Fragezeichen. Man schaue sich ein-
mal an, welch hoher Prozentsatz der Mauteinnahmen an
den Betreiber fließt. Zu klären ist, ob das alles effizient





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

genug ist und ob damit eine effiziente Ausweitung, wie
wir sie uns vorstellen, wirklich möglich ist.

Was sind unsere Vorstellungen? Unsere Vorstellungen
sind einfach: Die Lkw-Maut ist auf alle Bundesstraßen
auszuweiten. Die Lkw-Maut ist auf Fahrzeuge bis
3,5 Tonnen auszuweiten. Wir stellen fest, dass im Mo-
ment eine starke Umschichtung hin zu Fahrzeugen
knapp unter 12 Tonnen stattfindet; 11,5-Tonnen-Fahr-
zeuge sind plötzlich sehr beliebt. Dieser Entwicklung
wäre damit ein Riegel vorgeschoben. Diese Ausweitung
der Maut wäre rechtlich und technisch möglich. Mit ei-
nem etwas geschickteren Mauterhebungssystem wäre sie
auch ökonomisch sinnvoll.

Des Weiteren erwarten wir von der Bundesregierung,
dass sie die ökonomisch kontraproduktive Nichterhö-
hung der Maut für die Euro-3-Fahrzeuge zurücknimmt.
Man hat gedacht, man tue insbesondere dem Gewerbe
etwas Gutes. Man stellt nun aber fest, dass man dem ein-
heimischen Gewerbe damit – es hat weitgehend umge-
stellt, und Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge sind schon in
der Überlegung – eigentlich nichts Gutes getan hat;


(Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig! Ende mit dem Lob!)


man hat ihm mit der sinnlosen Rücknahme der Erhöhung
der Maut für Euro-3-Fahrzeuge einen Bärendienst erwie-
sen.


(Patrick Döring [FDP]: Sie müssen mal mit den Mittelständlern sprechen, nicht nur mit den Großen!)


– Wir sprechen mit den Mittelständlern. Die Mittelständ-
ler sind viel weiter als Sie; sie haben weitgehend mo-
derne Fahrzeuge.

Was hat man mit dieser Nichterhöhung erreicht? Man
hat insbesondere die Konkurrenz gestärkt, die mit alten,
mit schlechten, mit abgeschriebenen Fahrzeugen unter-
wegs ist. Man hat diejenigen Unternehmen, die moderne
Fahrzeuge einsetzen, also Unternehmen, die investiert
haben, geschwächt. Man hat noch etwas Weiteres be-
wirkt: Dem Bundeshaushalt wurde sinnlos Geld entzo-
gen, Geld, das wir dringend für den Unterhalt des Stra-
ßennetzes benötigen.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Recht hast du! Jawohl! – Patrick Döring [FDP]: Geld, das der Bundeshaushalt nie hatte, kann man nicht entziehen!)


Erweitern Sie Ihr Konzept: Bemautung aller Bundes-
straßen, Ausweitung der Maut auf 3,5-Tonner und stär-
kere Spreizung der Mauthöhen. Das hätte nämlich eine
stärkere ökologische Lenkungswirkung.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD])


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709625800

Der Kollege Thomas Jarzombek hat das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1709625900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte

mit Blick auf die Kollegen der Grünen eigentlich einige
schöne Zitate vorbereitet, war aber auf so viel Lob von
Ihrer Stelle gar nicht gefasst. Das nehmen wir doch er-
freut zur Kenntnis.

Herr Kollege Hofreiter, ich gehe gerne auf Ihr Argu-
ment ein, was die Rücknahme der Mauterhöhung für die
Euro-3-Lkws betrifft. Genau das war ja Wunsch der
Transportwirtschaft. Wir reden hier ja nicht über die
Fahrzeuge, die ganz große Strecken fahren, sondern über
das Drittel der Fahrzeuge der deutschen Transporteure,
die nach der Euro-3-Norm ausgerichtet sind, deren Fahr-
leistung aber nur 16 Prozent der Streckenkilometer aus-
macht. Sie müssen also auch an den kleinen Betrieb mit
wenigen Fahrzeugen, die eher im innerstädtischen Be-
reich auf kurzen Strecken fahren, denken.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im innerstädtischen Bereich wird überhaupt keine Maut erhoben! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Maut wird innerstädtisch überhaupt nicht erhoben!)


Sie erfahren an dieser Stelle eine deutliche Entlastung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, dass das, was wir hier tun, richtig ist. Ich
freue mich darauf, dass Sie beide, Kollege Hofreiter,
Kollege Behrens – eine Koalition habe ich hier heute
ausgemacht –, demnächst einen Gesetzentwurf einbrin-
gen, in dem geregelt wird, dass erstens alle Bundesstra-
ßen und zweitens alle Lastwagen bis 3,5 Tonnen bemau-
tet werden. Darauf sind wir gespannt. Wenn das
geschieht, können wir hier eine ehrliche Diskussion da-
rüber führen, wer was will. Insofern lade ich Sie dazu
ein, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Dann haben wir
eine tolle Basis, hier miteinander zu diskutieren.

Warum wir das Ganze überhaupt machen, ist relativ
klar. Ein Unterschied ergibt sich allerdings zwischen
dem, was wir tun, und der damaligen Konstruktion noch
unter Bodewig. Bodewig hat es in der Bundestagsde-
batte im Jahre 2001 – die Autobahnmaut für Lkw war ja
Ihre Erfindung, meine Damen und Herren von Rot-
Grün –


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja, Gott sei Dank!)


gesagt:

Das hat eine positive Wirkung; denn diese Bewer-
tung führt dazu, dass wir mehr investieren können,
und zwar richtig. Es geht um zusätzliche Einnah-
men, …


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja!)






Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)

Diese zusätzlichen Einnahmen, die Sie mit der Lkw-
Maut generieren wollten, sind bei den Finanzpolitikern
im Laufe der Zeit immer mehr verschwunden.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie sprechen sich gegen eine Haushaltskonsolidierung hier aus! Verstehe ich das richtig?)


Deshalb ist es so wichtig, dass wir für den Einstieg in ei-
nen geschlossenen Finanzierungskreislauf bei den Ver-
kehrsträgern gesorgt haben, damit die zusätzlichen Mit-
tel, die jetzt durch die Einbeziehung der Bundesstraßen
erhoben werden, tatsächlich auch beim Straßenbau an-
kommen und nicht bei den Sozialpolitikern oder ir-
gendwo anders versickern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie haben gar kein Instrument dafür, Herr Jarzombek!)


Das macht den allergrößten Unterschied zwischen Ihnen
und uns aus.

Herr Kollege Beckmeyer, Sie haben das Verfahren der
Ausschreibung kritisiert. Ich sage einmal, wie das da-
mals unter Ihnen abgelaufen ist. Das Autobahnmautge-
setz ist im Jahre 2002 vom Deutschen Bundestag be-
schlossen worden. Funktionsfähig war das System Toll
Collect tatsächlich erst zum 1. Januar 2005. Dazwischen
lagen fast drei Jahre. Sie wollen uns doch wohl nicht
ernsthaft den Ratschlag geben, wir sollten das jetzt wie-
derholen und ein neues System europaweit ausschreiben –
und das auch noch für 1 000 Kilometer!


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das lag doch nicht an der europaweiten Ausschreibung, sondern an der Technologie, Herr Jarzombek!)


Das ist doch total unsinnig. Das wird niemand machen.
Dafür wird niemand eine neue Struktur aufbauen. Des-
halb ist unser Vorgehen richtig.


(Gustav Herzog [SPD]: Wir wollen einmal schauen, wie euer Geschäft ausgeht!)


Es ist auch realistisch, dass nach einer konservativen
Schätzung in den Haushalt 50 Millionen Euro für dieses
Jahr und 100 Millionen Euro für die Folgejahre einge-
stellt wurden. Ich glaube, dass sich die Bundesregierung
an dieser Stelle realistische Ziele gestellt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Schön, dass das alles im Protokoll steht, Herr Jarzombek!)


– Das ist schön. Ich hätte mich auch gefreut, wenn Sie
eine Zwischenfrage gestellt hätten, anstatt pausenlos wie
auch immer geartete Kommentare abzugeben. Das wäre
mit Sicherheit ein eleganterer Weg gewesen, die Diskus-
sion zu führen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleich ist die Zeit um! – Gustav Herzog [SPD]: Wir verlängern Ihre Redezeit nicht! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Den Gefallen tun wir Ihnen nicht!)

Ich möchte natürlich die Zeit nutzen, die ich noch
habe.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Ich habe noch zwei Minuten. Vorsicht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die müssen Sie aber nicht nutzen!)


Ich möchte insbesondere der Bundesregierung und
Herrn Staatssekretär Dr. Scheuer für die wirklich exzel-
lente Arbeit danken,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gustav Herzog [SPD]: Zwei Minuten Lob! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zwar, Herr Kollege Beckmeyer, weil genau diese Än-
derungen noch kommen. Wir sind nicht beratungs-
resistent und haben im Laufe des Gesetzgebungs-
verfahrens – –


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Also Murks aus dem Ministerium, und Sie bessern nach!)


– Jetzt hören Sie doch einmal auf, ständig dazwischen-
zurufen. Sie sind ja schlimmer als Waldorf und Statler.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Patrick Döring [FDP]: Er ist Waldorf und Statler in einer Person! Das muss man erst einmal schaffen!)


– Da hat der Kollege Döring absolut recht. Die späte
Stunde sollte uns zur Ernsthaftigkeit zurückbringen.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Das war an Herrn Beckmeyer gerichtet.

Es ist ein Zeichen für ein vernünftiges Vorgehen, dass
die Kriterien für die Straßen – Herr Kollege Döring hat
es dargestellt – jetzt noch einmal deutlich verändert wur-
den, dass wir jetzt ein praktikableres Verfahren haben
und dass auch die Streckenlängen verändert wurden. Das
zeigt, dass wir als Fraktion mit der Bundesregierung ein
gutes Einvernehmen haben und nicht mit dem Kopf
durch die Wand wollen. Wo hat man das sonst schon?

Das Letzte, was noch anzusprechen ist, ist die stetige
Kritik an Toll Collect, die ich auch im Ausschuss gehört
habe. Toll Collect ist ein System, das von der rot-grünen
Koalition eingeführt wurde. Ich glaube, dass das System
ein gutes System ist und dass wir uns das nicht immer
schlechtreden lassen sollten.


(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wer hat das denn kritisiert?)


Ich glaube, dass es eine Menge Potenziale für die Zu-
kunft hat. Ich hoffe, dass wir über das Schiedsverfahren
bald zu einem Einvernehmen kommen.


(Gustav Herzog [SPD]: Hätten Sie damals unsere Arbeit gelobt, als wir es eingeführt haben! Da habt ihr nur gestänkert!)






Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)

Ich wünsche mir, dass wir diese Technologie etwas mehr
schätzen und nicht leichtfertig glauben, dass man Sys-
teme aus anderen Ländern, die zwar gut funktionieren,
aber auf ganz anderen Netzen, einfach übertragen könne.

Ich freue mich auf den Gesetzentwurf, mit dem Sie
alle Bundesstraßen bemauten. Bis dahin sind wir auf
dem richtigen Weg.

Meine Damen und Herren, einen schönen Abend
noch. Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709626000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/4979 an die Ausschüsse vorge-
schlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun
Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Aufgaben und Zusammensetzung der Alters-
armutskommission – Altersarmut umfassend
und mit den richtigen Mitteln bekämpfen

– Drucksachen 17/4422, 17/4926 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf

Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es han-
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Peter Weiß, Ulrich Lange, Anton Schaaf, Heinrich Kolb,
Matthias Birkwald und Wolfgang Strengmann-Kuhn.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1709626100

Zum 1. Juli 2011 werden die Renten in Deutschland

um rund 1 Prozent ansteigen, und auch in Zukunft ist
nach den Modellrechnungen im Rentenversicherungsbe-
richt 2010 von einem Rentenanstieg um 29 Prozent bis
2024 oder entsprechend einer durchschnittlichen Steige-
rungsrate von knapp 1,9 Prozent pro Jahr auszugehen.

Das sind erfreuliche Nachrichten angesichts der Tat-
sache, dass im Rentenversicherungsbericht vor zwei
Jahren noch Nullrunden für die Rentnerinnen und Rent-
ner prognostiziert wurden. Gleichzeitig steigt die Rück-
lage in der Rentenversicherung weiter an. Aus heutiger
Sicht kann davon ausgegangen werden, dass schon im
Laufe des Jahres 2012 die Rücklage den Stand von
1,5 Monatsausgaben übersteigt. Damit könnte zum
1. Januar 2013 der Rentenversicherungsbeitrag abge-
senkt werden.

Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen
die gesetzliche Rentenversicherung nahezu unbeschadet
die Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden hat. Auch
der Sozialbeirat hat in seinem Bericht zum Rentenversi-
cherungsbericht 2010 festgestellt, dass „hervorzuheben

(ist), dass die Rentenversicherung die weltweite Wirt-

schafts- und Finanzkrise unbeschadet überstanden hat.
Dies hat nicht nur in den Medien Anerkennung gefun-
den, die zum Teil der Rentenversicherung lange Zeit kri-
tisch gegenüberstanden. Die Rentenversicherung wurde
als ,Fels in der Brandung’ beschrieben. Auch die Bevöl-
kerung weiß wieder den Wert der Rentenversicherung
mehr zu schätzen. Nach der jüngsten Postbank-Studie
,Altersvorsorge in Deutschland 2010/2011’ bewerten
drei Viertel der Bevölkerung die Rentenversicherung als
eine ideale Form der Alterssicherung. Damit liegt die
Rentenversicherung weit vor allen anderen Systemen
der Alterssicherung.“

Angesichts dieser Feststellungen ist es umso verwun-
derlicher, dass die Linken in ihrem Antrag einen grund-
legenden Kurswechsel in der Rentenpolitik und einen
Umbau der Deutschen Rentenversicherung fordern. Wir
wollen, dass die Rentensysteme und die Altersvorsorge
insgesamt armutsfest bleiben und Armut im Alter ver-
mieden werden kann. Altersarmut ist ein wichtiges und
komplexes Thema, und deshalb ist es richtig, dass CDU/
CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag die Einset-
zung einer Regierungskommission zur Vermeidung von
Altersarmut beschlossen haben.

Was aber nicht passieren darf, ist, dass man – wie es
die Linken tun – Altersarmut als Begründung dafür
nimmt, die deutsche Rentenversicherung zu einer Aus-
zahlungsstelle für Pauschalrenten zu machen. Die ge-
setzliche Rente in Deutschland ist lohn- und beitragsbe-
zogen. Darauf vertrauen auch die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die in die Rente einzahlen. Ebenso
kurzsichtig ist es, eine Reform der gesetzlichen Renten-
versicherung zu fordern und die Stärkung der privaten
und der betrieblichen Altersvorsorge abzulehnen. Des-
halb haben wir im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und
FDP auch festgeschrieben: „Wir verschließen die Au-
gen nicht davor, dass durch die veränderten wirtschaftli-
chen und demografischen Strukturen in Zukunft die Ge-
fahr einer ansteigenden Altersarmut besteht. Deshalb
wollen wir, dass sich die private und betriebliche Alters-
vorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch die-
jenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vor-
gesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der
Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und
steuerfinanziert ist.“

Unser Rentensystem basiert auf drei Säulen. Eine al-
leinige Sicherung des eigenen Lebensstandards im Alter
durch die gesetzliche Rente kann allein schon aufgrund
der demografischen Entwicklung und des Generationen-
vertrages nicht funktionieren. Der Präsident der Deut-
schen Rentenversicherung Bund, Dr. Herbert Rische,
schreibt dazu: „Die Lebensstandardsicherung bei Ein-
tritt der Altersrente wie der Erwerbsminderung kann vor
dem Hintergrund der Entwicklung des Rentenniveaus
künftig im Regelfall nicht mehr allein durch die Leistun-
gen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleistet
werden, auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung
die stärkste Säule der Sicherung bei Alter und Erwerbs-
minderung bleiben wird.“

Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)

Nach einer Prognose der Deutschen Rentenversiche-
rung Bund wird sich die Bedeutung der einzelnen Teil-
segmente im Drei-Säulen-System – gesetzliche Renten-
versicherung, betriebliche Altersvorsorge und private
Altersvorsorge – in Zukunft immer mehr verlagern. Lag
der Anteil der gesetzlichen Rentenversicherung am ge-
samten Alterssicherungssystem 2005 noch bei 85 Pro-
zent so wird er 2035 nur noch bei 65 Prozent, im Jahre
2050 sogar nur noch bei 56 Prozent liegen. Dementspre-
chend werden sich die Anteile der betrieblichen Alters-
vorsorge von im Jahre 2005 von 10 Prozent auf 24 Pro-
zent für 2035 und sogar auf 31 Prozent für 2050 erhö-
hen. Bei der privaten Altersvorsorge liegen die Zahlen
bei 5 Prozent in 2005, 11 Prozent in 2035 und 13 Pro-
zent in 2050.

Diese Entwicklungen zeigen, dass alle Säulen der Al-
terssicherung zur Lebensstandardsicherung und zur
Vermeidung von Altersarmut beitragen müssen. Deshalb
ist es auch richtig, dass die Bundesregierung private
und betriebliche Zusatzversorgung mit erheblichen För-
derungen stützt, wie beispielsweise die Förderung mit fi-
nanziellen Zuschüssen – Riester-Zulagen –, die Förde-
rung mit Extra-Steuerersparnissen – zusätzlicher
Sonderausgabenabzug – oder die Basis-Rürup-Rente.
Richtig ist auch, dass die gesetzliche Rente die wesentli-
che Säule der Alterssicherung ist und bleibt. Deshalb
gilt es, auch die gesetzliche Rentenversicherung zu stär-
ken.

Ein besserer Schutz vor Altersarmut ist das zentrale
rentenpolitische Vorhaben dieser Koalition. Dazu brau-
chen wir aber keine Panikmache und keine unrealisti-
schen Forderungen, sondern ein echtes Gesamtkonzept.
Ein solches zu erstellen und die Grundlage für weiteres
Handeln zu erarbeiten, ist Ziel der Regierungskommis-
sion zur Vermeidung von Altersarmut, die in den kom-
menden Wochen durch die Bundesregierung eingesetzt
wird.

Derzeit sind nur 2,3 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner wegen zu geringer Alterseinkünfte auf zusätzli-
che staatliche Unterstützung angewiesen. 1957, vor der
Einführung der dynamischen Rente, waren über 70 Pro-
zent der Seniorinnen und Senioren in Deutschland auf
zusätzliche staatliche Hilfen angewiesen. Auch dies
zeigt noch einmal, wie erfolgreich die gesetzliche Ren-
tenversicherung zur Vermeidung von Altersarmut beige-
tragen hat. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so
bleibt. Wir wollen, dass die gesamte Problematik von Al-
tersarmut, Erwerbsminderung und Langzeitarbeitslo-
sigkeit fachkundig, umfassend und mit Blick auf eine zu-
kunftsfähige und bedarfsgerechte Lösung angegangen
wird. Denn nur so kann dieses ernsthafte und komplexe
Thema bewältigt werden.

CDU/CSU und FDP unterstützen das Vorhaben, eine
Regierungskommission einzusetzen. Nach Vorlage des
Berichts der Kommission werden wir als Parlament de-
ren Vorschläge diskutieren und bewerten. Es liegt dann
an uns als Parlamentariern, welche Vorschläge wir auf-
greifen und was wir als Gesetz beschließen. An dieser
klaren Aufgabenteilung zwischen einer Fachkommission
und der Verantwortung von uns Abgeordneten wollen
Zu Protokoll
wir nichts ändern. Eine Verwischung oder Vermengung
von Verantwortlichkeiten, wie das die Linke beantragt,
lehnen wir ab.

Was die Zusammensetzung der neuen Regierungs-
kommission anbelangt, hat die Bundesregierung bereits
mehrfach geäußert, dass die derzeitigen Planungen
auch vorsehen, im Rahmen der Beratungen auch Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler anzuhören und/
oder gegebenenfalls schriftliche Gutachten einzuholen
sowie betroffene Institutionen – zum Beispiel die Ren-
tenversicherungsträger – und die Sozialpartner, Sozial-
verbände und Kirchen zu beteiligen. Es wäre auch nicht
sachgerecht, externen Sachverstand aus dem Bereich
der zusätzlichen Altersvorsorge von vornherein auszu-
schließen. Dies würde auch die Bedeutung der zusätzli-
chen betrieblichen und privaten Altersvorsorge für die
Alterssicherung insgesamt verkennen. Mögliche Pro-
bleme und Risiken müssen nicht nur innerhalb, sondern
auch außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenver-
sicherung genau analysiert werden – nur so können
tragfähige und passgenaue Lösungsansätze zur Vermei-
dung von Altersarmut insgesamt entwickelt werden.

Wir, die Koalitionsfraktionen, sind davon überzeugt,
dass die Regierungskommission wegweisende Empfeh-
lungen zur Vermeidung von Altersarmut in der Zukunft
erarbeiten wird. Wir sind fest entschlossen, dazu im Par-
lament noch in dieser Legislaturperiode konkrete Geset-
zesbeschlüsse zu fassen.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1709626200

Heute debattieren wir zum wiederholten Male zur Al-

tersarmut in Deutschland, weil die Linken mal wieder
einen Antrag eingereicht haben. Diese Fraktion wird
einfach nicht müde, ihre kommunistischen Forderungen
wieder und wieder vorzutragen. Aber dadurch werden
sie nicht besser. Und da Sie auch keine stichhaltigen Ar-
gumente anführen, werden Sie auch niemanden von Ih-
ren leeren Worthülsen überzeugen.

Aber kommen wir zu Ihrem Antrag. Gut daran ist,
dass wir uns mit der Altersarmut beschäftigen. Dieses
Problem ist in unserer Gesellschaft vorhanden, und wir
müssen ihr heute begegnen, damit die Altersarmut in
den kommenden Jahren nicht ansteigen, sondern redu-
ziert wird. Aus diesem Grund wird die Bundesregierung
eine Regierungskommission bilden und nicht eine Parla-
mentskommission. Hierzu werden dann Fachleute he-
rangezogen, die diese Kommission beraten. Das Ziel der
Regierungskommission wird es sein, alle Rentensysteme
in der Bundesrepublik Deutschland in die Betrachtung
einzubeziehen. Dies betrifft auch die Riester-, Betriebs-
und Erwerbsminderungsrenten. Es wird einen Think
Tank geben – eine Diskussion ohne Tabus mit dem Ziel,
wirksame Maßnahmen gegen die Altersarmut zu finden.

Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich darauf hin-
weisen, dass die beste Absicherung gegen die Altersar-
mut auch schon die Berufstätigkeit ist. Wir haben die Ar-
beitslosigkeit auf ein Niveau gesenkt, wie es keiner
erwartet hatte, und dies trotz der Finanz- und Wirt-
schaftskrise. Wir werden auch weiter dahin wirken, dass
die Arbeitsplätze in Deutschland gesichert und dass



gegebene Reden

Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

neue Stellen geschaffen werden. Die von Ihnen so oft in
die Waagschale geworfene Forderung nach einem Min-
destlohn wirkt sich da nur negativ aus, würde Arbeits-
plätze vernichten und zu vermehrter Altersarmut führen.
Deshalb sprechen wir uns dagegen aus.

Ja, wir fordern von unseren Bürgerinnen und Bür-
gern, auch für die Alterssicherung einen privaten Bei-
trag zu leisten. Dies ist notwendig. Dafür vermeiden wir
aber eine drastische Erhöhung der Rentenbeiträge, die
sonst notwendig wäre. Mit der Einführung der Riester-
Rente ist ein Instrument geschaffen worden, mit dessen
Hilfe der Altersarmut begegnet werden kann. Dieses In-
strument zu verunglimpfen ist nicht gerechtfertigt. Die
Zahlungen aus der Riester-Rente ergänzen die Zahlun-
gen der gesetzlichen Rentenversicherung sehr sinnvoll
und verringern im Wesentlichen die Gefahr der Altersar-
mut. Um dies zu gewährleisten, haben wir das Schon-
vermögen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr
angehoben. Diese Verdreifachung führt dazu, dass ein
60-Jähriger bis zu 45 000 Euro für das Alter ansparen
darf. Das ist eine sinnvolle und effektive Vorsorge gegen
Altersarmut.

Es muss nicht alles staatlich reguliert werden, wie
das die Linken fordern. Die meisten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer sind durchaus selbst in der Lage, pri-
vat die zu erwartende Rente zu ergänzen. Ob dies über
Lebensversicherungen oder die eigene Immobilie ist,
sollen unsere Bürgerinnen und Bürger selbst entschei-
den. Denjenigen, denen es nicht gelingt, ordentlich
selbst vorzusorgen, müssen wir die helfende Hand rei-
chen. Aber die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
sorgt lieber auf dem Sektor für die Altersvorsorge vor,
der ihm selbst am sichersten und profitabelsten er-
scheint. Lassen wir ihnen dieses Recht auf Selbstbestim-
mung.

Was Sie, meine Damen und Herren von der Linken,
betreiben, ist doch ein Etikettenschwindel. Sie kennen
doch die demografische Entwicklung und wissen genau,
dass langfristig die Anzahl derer, die die Rente finanzie-
ren, zurückgehen wird und die Anzahl der Rentner an-
steigen wird. Wenn wir bei Ihren Forderungen bleiben,
würde der Rentenbeitrag ins Unermessliche steigen.
Deshalb haben wir den Nachhaltigkeits- sowie den
Riester-Faktor in den letzten Jahren bei der Berechnung
der Einkommen im Alter einbezogen. Wir wollen eine so-
lide Sicherung der Einkommen im Alter und setzen auf
ein Splittung in gesetzliche Rentenversicherung und pri-
vate Vorsorge.

Ob und wo es noch sinnvolle und bezahlbare Mög-
lichkeiten zur Vermeidung der Altersarmut bei uns in
Deutschland gibt, wird jetzt von der Regierungskommis-
sion erarbeitet. Lassen wir ihr für diese wichtige Tätig-
keit die Zeit, um gründlich zu recherchieren und sich mit
den Fachleuten aus allen Bereichen ausführlich zu bera-
ten. Versuchen Sie, Ihr Strickmuster zu durchbrechen,
und vermeiden Sie eine polemische Debatte. Diskutieren
Sie mit uns die kommenden Vorschläge zum Nutzen un-
serer Bürgerinnen und Bürger und zur Vermeidung der
Altersarmut.
Zu Protokoll

Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1709626300

Mit dem vorliegenden Antrag erkundigt sich die

Fraktion Die Linke nach Aufgabe und Zusammenset-
zung der von der Bundesregierung angekündigten Al-
tersarmutskommission.Die Linke kritisiert auch die feh-
lende Beteiligung des Parlaments an der geplanten
Einsetzung der regierungsinternen Kommission. Unse-
res Erachtens aber ist weniger die Zusammensetzung
der Kommission ein Problem als deren Aufgabenstel-
lung. Angesichts der politischen Vorgaben im Koali-
tionsvertrag von CDU, CSU und FDP für deren Arbeit
ist für uns eine Beteiligung ohnehin nicht sinnvoll. Da-
her können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Weil wir
aber die zugrunde liegende Analyse für richtig halten,
enthalten wir uns der Stimme.

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP wurde
vereinbart, gegen Altersarmut vorzugehen; das ist er-
freulich. Aber außer dieser Absichtserklärung wurde
bisher noch nichts geliefert.

Die Bundesregierung hat es offenbar nicht eilig. Im
April dieses Jahres soll die Kommission ihre Arbeit auf-
nehmen, der Abschlussbericht wird erst im September
2012 vorliegen. Die Regierungskoalition stellt sich ihrer
Verantwortung viel zu spät. Eine Umsetzung noch in die-
ser Legislaturperiode ist daher kaum zu erwarten.

Deutschland ist stabiler als andere Länder durch die
Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Allerdings
kommt die aktuell gute wirtschaftliche Lage den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern in zu geringem Maß
zugute. Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte ha-
ben nach wie vor große Schwierigkeiten auf dem Ar-
beitsmarkt. In atypischen Beschäftigungsverhältnissen
liegen die Stundenverdienste um ein Drittel niedriger.
Über 20 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten sind im Nie-
driglohnsektor beschäftigt.

Langzeitarbeitslosigkeit und Niedriglohnbeschäfti-
gung hinterlassen deutliche Spuren in den Erwerbsbio-
grafien der Beschäftigten. Kräftige finanzielle Einbußen
bei der Altersversorgung sind die Folge.

Altersarmut wird in Zukunft vor allem im Osten zum
Problem. Berechnungen des DIW haben ergeben, dass
in der Alterskohorte der Jahrgänge 1952 bis 1971 jeder
dritte Mann – 31,4 Prozent – und fast jede zweite Frau
– 46,6 Prozent – einen Rentenzahlbetrag aus der gesetz-
lichen Rentenversicherung von unter 600 Euro erhalten,
also mit seinem Renteneinkommen unterhalb der Grund-
sicherung bleiben wird.

Von herausragender Bedeutung für die Vermeidung
von Altersarmut sind:

Erstens eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspoli-
tik, die dem Leitbild der „guten Arbeit“ verpflichtet ist.
Dazu gehören die Einführung eines gesetzlichen Min-
destlohns und die Schaffung sozialversicherungspflichti-
ger Beschäftigung. Dann können die Versicherten auch
wieder mit höheren Renten rechnen.

Zweitens – auch wenn der eigentliche Schlüssel zur
Bekämpfung von Altersarmut auf dem Arbeitsmarkt liegt
– muss sozialpolitisch flankierend eingegriffen werden.



gegebene Reden

Anton Schaaf


(A) (C)



(D)(B)

Daher müssen wir bereits entstandene Absicherungslü-
cken in der Rente schließen. Wir schlagen vor, die Rente
nach Mindestentgeltpunkten bis zum 1. Januar 2011
fortzuführen sowie Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit
innerhalb der Gesamtleistungsbewertung besser zu be-
werten. Darüber hinaus stellt auch die Erwerbsminde-
rung ein Risiko für Altersarmut dar. Dem müssen wir mit
besseren Erwerbsminderungsrenten begegnen.

Die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag sind kaum
dazu geeignet, Altersarmut zu bekämpfen. Die Leitmo-
tive Ihrer Vereinbarungen zur Alterssicherung – privat
vor solidarisch und Almosen statt Leistungsgerechtig-
keit – degradieren die gesetzliche Rente zum Neben-
schauplatz der Alterssicherung. Dies lässt kaum positive
Erwartungen aufkommen.

Die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP
getroffenen Vorfestlegungen bestätigen, dass Sie – auf
Kosten der Versicherten – Konflikten innerhalb der Bun-
desregierung aus dem Weg gehen. Daher fehlt ein klares
Bekenntnis zur gesetzlichen Rente als erster und wich-
tigster Säule der Alterssicherung. Der Koalitionsvertrag
von CDU, CSU und FDP wirft mehr Fragen auf, als er
beantwortet:

Die private und betriebliche Altersvorsorge soll sich
auch für Geringverdiener lohnen. Entsprechende Frei-
beträge müssten dann aber auch für Einkünfte aus der
gesetzlichen Rente gelten.

Sie wollen die kapitalgedeckte Altersvorsorge stär-
ken. Inwiefern sogenannte Soloselbstständige aber die
finanziellen Mittel für die zusätzliche Altersvorsorge
aufbringen können, ist fraglich. Tatsächlich ist die staat-
lich geförderte Altersvorsorge nur sinnvoll, wenn sie zu-
sätzlich betrieben wird.

Geprüft wird, ob und wie die Absicherung gegen das
Erwerbsminderungsrisiko in der staatlich geförderten
Vorsorge kostenneutral verbessert werden kann. Das be-
deutet wohl in der Konsequenz Leistungskürzungen.

Sie wollen diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit ge-
arbeitet und vorgesorgt haben, mit einer neuen Fürsor-
geleistung vor Altersarmut bewahren. Ein neben der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
zusätzliches steuerfinanziertes System soll dafür sorgen,
dass ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung
erreicht wird. Damit schaffen Sie eine Grundsicherung
erster und zweiter Klasse.

Aus all diesen Vorgaben wird deutlich, in welch eng
gestecktem Rahmen Sie nach Lösungen suchen. Sie
scheuen davor zurück, den Bürgerinnen und Bürgern zu
erklären, was Sie mit Ihren Vorgaben bezwecken – ver-
mutlich haben Sie Angst vor der öffentlichen Diskussion.
Sie übertragen Ihre Arbeitsmarktpolitik konsequent auf
die Alterssicherung. Wer einen gesetzlichen Mindest-
lohn verweigert und einen immer weiter wachsenden
Niedriglohnsektor akzeptiert, dem fällt auch bei der Al-
terssicherung nur die Fürsorge ein: hier prekäre Be-
schäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit, dort Alters-
einkommen als Almosen.
Zu Protokoll
Bisher waren individuelle Lebensleistung und verant-
wortungsvolle Alterssicherungspolitik verantwortlich
dafür, dass ältere Menschen in Deutschland heute in der
Mehrzahl finanziell gut abgesichert sind. Wir wollen,
dass dies so bleibt. Und wie wir seit dem 23. CDU-Par-
teitag wissen: Die Parteibasis der CDU sorgt sich eben-
falls um die Zukunft der Alterssicherung. Eine Fülle von
konkreten Maßnahmen wurde hier vorgeschlagen, die
die Regierungskommission in ihre Überlegungen mit
aufnehmen soll, um zukünftige Altersarmut wirksam zu
bekämpfen. Greifen Sie diese Vorschläge auf und gestal-
ten den Auftrag der Kommission offener. Im Übrigen:
Wenn Sie hinter den Vorschlägen des CDU-Parteitags
stünden, hätten Sie unserem Antrag zur Bekämpfung der
Altersarmut im vergangenen Herbst getrost zustimmen
können.

Jede Alterssicherungspolitik muss an Legitimations-
grenzen stoßen, wenn selbst jahrzehntelange Beitrags-
zahlung nicht mehr zu einer Altersversorgung oberhalb
der Armutsgrenze führt. Unser Anliegen ist es, Men-
schen zu ermöglichen, von ihrer Arbeit auch zu leben
und zugleich für das Alter vorzusorgen. Die Schließung
von Lücken in der Erwerbsbiografie und eine faire Ent-
lohnung sind Voraussetzungen für eine angemessene fi-
nanzielle Absicherung im Alter. Zusätzlich müssen wir
dem Wandel der Arbeitswelt Rechnung tragen und die
gesetzliche Rentenversicherung zur Erwerbstätigenver-
sicherung ausbauen; denn Altersarmut findet sich vor
allem dort, wo keine Anwartschaften aus der gesetzli-
chen Rente vorhanden sind.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1709626400

Die Vermeidung von Armut ist eine zentrale Aufgabe

der Politik. Wir wissen, dass es für ältere Menschen spe-
zielle und in Zukunft steigende Risiken gibt. Deshalb
wird die Bundesregierung in den nächsten Wochen eine
Regierungskommission einsetzen, die sich mit dieser
wichtigen Materie fundiert auseinandersetzen wird.
Eine Ausweitung des Auftrages und der Zusammenset-
zung dieser Kommission im Sinne der Fraktion der Lin-
ken lehnen wir ab.

Der Ansatz der Linken ist kurativ nachsorgend. Unser
Ansatz ist präventiv. Und genau das halte ich nicht nur
für den liberalen Ansatz, sondern auch für die einzige
realistische Lösung dieses wachsenden Problems: Je-
dem Bürger die Chance zu geben, seine eigene Alters-
versorgung auf eine ausreichende und ihm als geeignet
erscheinende Basis zu stellen.

Einen wichtigen Schritt haben wir schon zu Beginn
dieser Wahlperiode gemacht, nämlich den Freibetrag
beim Schonvermögen im SGB II, der verbindlich der Al-
tersvorsorge dient, auf 750 Euro pro Lebensjahr verdrei-
facht. Eigenständige Altersvorsorge darf nicht bestraft
werden – schon gar nicht, wenn jemand auf das Arbeits-
losengeld II angewiesen ist.

Die aktuelle Situation ist undramatisch. Nur etwa
2,5 Prozent der über 64-Jährigen sind auf Leistungen
der Grundsicherung angewiesen. Die Statistiken besa-
gen auch, dass geringe Renten durchaus häufig mit an-
deren Einkommen oder Vermögen zusammentreffen. Da-



gegebene Reden

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)

von lassen wir uns nicht täuschen. Die geringe Zahl
Betroffener mildert für den Einzelnen nicht die Tragik
seiner Situation. Diejenigen, deren politisches Geschäft
in der Dramatisierung und Beschwörung sozialer Miss-
stände besteht, dürfen sich und die Öffentlichkeit aber
eben auch nicht täuschen. Kleine Renten bedeuten kei-
neswegs automatisch Armut. Die nötigen Korrekturen
auf das staatliche Rentensystem zu beschränken geht an
der Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland
vorbei.

Ich behaupte nicht, dass eine geringe Rente unproble-
matisch wäre, aber der reduzierte Blick auf Anwart-
schaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung greift
zu kurz. In einer Anhörung ist uns gesagt worden, dass
die Bezieher geringer gesetzlicher Renten statistisch ein
deutlich höheres Haushaltseinkommen haben als die Be-
zieher mittlerer Renten.

Zur Feststellung von Altersarmut müssen neben dem
regelmäßigen Einkommen auch das Vermögen und an-
dere Einkommensarten berücksichtigt werden. Das be-
stätigen ausdrücklich die Gutachter. Auch der Alters-
sicherungsbericht 2008 wies aus, dass Rentner mit
weniger als 250 Euro gesetzlicher Rente im Schnitt ein
Gesamteinkommen von fast 1 400 Euro im Monat hatten.

Die Altersarmutskommission wird unter anderen zwei
Fragen zu beantworten haben: Wie können wir beför-
dern, dass sich private und betriebliche Altersvorsorge
auch für Geringverdiener lohnt? Und wie sichern wir al-
len, die langjährig Vollzeit gearbeitet haben, ein Alter-
seinkommen oberhalb der Grundsicherung, ohne an an-
deren Stellen Ungerechtigkeiten zu schaffen?

Ich habe mir noch einmal die vorliegenden Initiativen
der Oppositionsparteien angeschaut. Das ist alles nicht
kreativ. Nach einleitenden Sätzen mit den üblichen so-
zial klingenden Floskeln folgt der altbekannte Apparat
linker Forderungen. Unter anderem behaupten sie auch,
die Einführung von Mindestlöhnen helfe bei der Vermei-
dung von Altersarmut. Das ist nicht durchdacht und
führt zum Gegenteil von Armutsbekämpfung, wenn in
der Folge Arbeitsplätze verschwinden.

Ein Diskussionspunkt, den die Opposition taktisch
sehr hoch aufhängt, ist die Zahlung der RV-Beiträge für
erwerbsfähige ALG-II-Bezieher. Ich verstehe den prinzi-
piellen Ansatz, dass der Träger einer den Lebensunter-
halt sichernden Sozialleistung in der Regel auch die Bei-
träge zu anderen Sozialversicherungen abdecken soll.
Wäre das ein heiliger Grundsatz, hätte die Große Koali-
tion den ersten Sündenfall begangen. Ich teile aber nicht
die Theorie, dass ein RV-Beitrag von 2,09 Euro pro Jahr
der Arbeitslosigkeit Altersarmut vermeiden kann.

Der heute zu behandelnde Antrag hat zum Inhalt, der
Bundesregierung Vorgaben sowohl dazu zu machen, wie
sich die Regierungskommission zusammenzusetzen hat,
als auch dazu, welche Inhalte dort beraten werden sol-
len. In Wirklichkeit geben Sie der Kommission die von
Ihnen gewünschten Ergebnisse vor. Expertenmeinungen,
die nicht in das linke Weltbild passen, werden als böse
Klientelinteressen bezeichnet. Allen Bundesregierungen
der letzten Jahre wird nachgesagt, nur auf die Interessen
Zu Protokoll
der Banken- und Versicherungswirtschaft zu hören. Ich
weise das zurück. Ihre Antragsbegründung ist unsach-
lich und böswillig.

Auch die Strapazierung des Begriffes „Solidarität“
muss kommentiert werden. Ihre „Solidarität“ bedeutet
neben massiven Steuererhöhungen für Facharbeiter,
mittlere Beamte und kleine Selbstständige auch Beitrags-
erhöhungen, in diesem Fall der Rentenversicherung.
Das erwähnen Sie im Antrag nicht. Aber es ist klar und
anderswo auch nachlesbar. Die Realisierung Ihrer Ideen
erzwingt höhere Beiträge. Allein für die Rentenversiche-
rung hat Ihr Vorsitzender Klaus Ernst im November mal
eben 0,5 Prozent höhere Beiträge für akzeptabel erklärt.
Dieser Tage bezeichnete Herr Kollege Birkwald ein Pro-
zent höhere Beiträge als unproblematisch. SPD und
Linke fordern in unterschiedlicher Ausprägung unbe-
fristete Aufwertungen der Rentenanwartschaften von
Geringverdienern. Damit durchbrechen Sie das Prinzip
der Äquivalenz. Das heißt, Sie schaffen echte Ungerech-
tigkeiten, ohne wesentliche Beiträge zur Armutsvermei-
dung bewirken zu können.

Ich komme zum Ausgangsgedanken zurück. Was ge-
gen Altersarmut hilft, sind stabile Erwerbsbiografien
und sichere Einkommen. Eine gute wirtschaftliche Ent-
wicklung, die sich entsprechend auf dem Arbeitsmarkt
niederschlägt, bewirkt mehr als noch so gut gemeinte
nachträgliche Korrekturen.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709626500

Altersarmut ist bereits heute ein Problem. Seit die

„Grundsicherung im Alter“ in Kraft getreten ist, ist die
Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die auf sie angewie-
sen sind, um über 55 Prozent gestiegen. Im Jahr 2003
gab es knapp 260 000 Betroffene, Ende 2009 waren es
schon fast 400 000. Bereits heute sind 15 Prozent der
Menschen über 65 Jahre in Deutschland armutsgefähr-
det – beinahe genauso viele wie im Durchschnitt der Ge-
samtbevölkerung. Armut im Alter ist aufgrund des fortge-
schrittenen Lebensalters und begrenzter Möglichkeiten,
an dieser Situation noch etwas zu ändern, in der Regel
verfestigte Armut. Das Problem ist seit langem bekannt.
Ebenso bekannt ist, dass in Zukunft mit einer rasant stei-
genden Altersarmut – insbesondere in Ostdeutschland –
zu rechnen ist.

Deswegen ist der Plan der Bundesregierung, eine Al-
tersarmutskommission einzusetzen, die Vorschläge zur
Bekämpfung der Altersarmut entwickeln soll, nicht
falsch. Doch ihre Zielsetzung bleibt diffus, und die ge-
plante Beteiligung von Lobbyisten aus der Versiche-
rungswirtschaft verheißt nichts Gutes. Zudem wird die
Kommission zu spät eingesetzt, und die Verzögerung des
Abschlussberichts bis September 2012 lässt befürchten,
dass tatsächlich wirksame Maßnahmen letztlich doch
wieder unter den Kabinettstisch fallen werden.

Altersarmut ist politisch gemacht. Langzeiterwerbs-
losigkeit, die Ausbreitung von Niedriglohnbeschäftigung
und die von der rot-grünen Bundesregierung beschlos-
sene und von späteren Regierungskoalitionen fortge-
setzte langfristige Absenkung des Rentenniveaus führen
dazu, dass viele Beschäftigte keine armutsfesten Renten



gegebene Reden

Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)

aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr erhalten
und auf die unzureichende „Grundsicherung im Alter“
angewiesen sind. Die Versicherten im Osten stehen in ei-
ner besonderen Gefahr, künftig im Alter in Armut zu le-
ben. Frauen sind, waren und werden auch in Zukunft
weiter stark von Altersarmut betroffen sein. Erwerbsge-
minderte werden ebenfalls sehr häufig Renten unterhalb
des Existenzminimums beziehen.

Die bisher bekannte Zielsetzung geht in die falsche
Richtung. Denn statt zu prüfen, wie die gesetzliche Ren-
tenversicherung so reformiert werden kann, dass sie den
Lebensstandard im Alter wieder sichert und langjähri-
gen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern ein Ren-
tenniveau bietet, das deutlich über dem Niveau der
„Grundsicherung im Alter“ liegt, will sie die private
und betriebliche Altersvorsorge weiter stärken. Wer hier
nicht mitziehen kann, wer keine Mittel für eine private
Vorsorge aufzubringen vermag, wird mit einer stigmati-
sierenden Fürsorgeleistung abgespeist. Stattdessen will
die Linke ein Leben in Würde für alle statt nur für einige.

Die Linke stellt deshalb klare Anforderungen an eine
sinnvolle Kommissionsarbeit. Wir wollen das Verfahren
beschleunigen und das Thema Altersarmut aus den mi-
nisteriellen Hinterzimmern herausholen. Deshalb muss
die Kommission demokratisch zusammengesetzt sein:
Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Sozialverbände, Se-
niorenorganisationen und Wissenschaft sowie alle Par-
teien des Deutschen Bundestages müssen beteiligt wer-
den. Lobbyisten der Versicherungswirtschaft darf keine
weitere Einflussmöglichkeit gegeben werden.

Wir wollen Klarheit in der Analyse: Die politischen
Ursachen von Altersarmut müssen benannt werden – ins-
besondere die verfehlte Rentenpolitik durch den Paradig-
menwechsel seit 2001, mit dem das Ziel der Lebensstan-
dardsicherung mit der gesetzlichen Rente aufgegeben
worden ist und die Privatisierung der Alterssicherung
ebenso eingeführt wurde wie eine nach wie vor stigmati-
sierende und unzureichende „Grundsicherung im Al-
ter“. Ein besonderes Augenmerk muss auf die Situation
von Frauen und auf die Menschen in Ostdeutschland ge-
legt werden.

Wir formulieren ein klares Ziel: Wir wollen Lebens-
standardsicherung und Altersarmutsvermeidung durch
Reformen der gesetzlichen Rente und des Arbeitsmark-
tes erreichen. Die Kommissionsarbeit muss dem Drei-
klang „gute Löhne, gute Arbeit, gute Rente“ folgen.
Dazu gehören unweigerlich die Einführung eines flä-
chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns sowie ein en-
ergischer Ausbau der Konzepte zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Die Kommission muss darüber hin-
aus das Konzept einer solidarischen Erwerbstätigenver-
sicherung ebenso prüfen wie innerhalb dieses Konzepts
anzulegende Elemente der Mindestsicherung. Gerade
für Ostdeutschland muss endlich ein Konzept entwickelt
werden, mit dem die Renten in Ostdeutschland möglichst
schnell auf das Westniveau angehoben werden können.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit der Ein-
berufung der Altersarmutskommission das Problem der
Altersarmut anerkennt. Das ist ein notwendiger Schritt,
Zu Protokoll
um endlich auch zu einer Diskussion über Maßnahmen
gegen Altersarmut zu kommen.

Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit der Kom-
mission das Problem der Altersarmut endlich anerkennt,
auch wenn einige aus den Regierungsfraktionen das
Problem offenbar immer noch kleinreden.

Ich begrüße, dass die Bundesregierung eine Altersar-
mutskommission einsetzt, auch wenn ich Zweifel habe,
wie ernst die Bundesregierung ihr Engagement auf die-
sem Gebiet meint. Ich darf nur daran erinnern, dass die-
selbe Bundesregierung gerade im letzten Jahr beschlos-
sen hat, die Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld-II-
Beziehende zu streichen. Das wird unweigerlich zu mehr
Altersarmut führen.

Und ich muss auch daran erinnern, wie die Bundesre-
gierung derzeit agiert bezüglich der EU-2020-Strategie
zur Reduzierung der Armut. Die Bundesregierung ist of-
fenbar nicht bereit, ihren fairen Anteil an dem anvisier-
ten Ziel einer Reduzierung der Armut in Europa um 20
Millionen zu leisten.

Dies alles lässt mich zweifeln, wie ernst der Bundes-
regierung ihr Engagement gegen Altersarmut ist.

Ich bekomme allerdings auch Zweifel, wenn ich den
Antrag der Fraktion Die Linke lese, den wir heute ver-
handeln. Was mich stutzen lässt, ist, dass die in dem An-
trag zuerst genannte Forderung die nach einem
Vorschlag der Kommission für die Lebensstandardsiche-
rung ist. Ich finde das bemerkenswert, wo es bei der
Kommission doch explizit um die Bekämpfung der Al-
tersarmut gehen soll. Eine Rentenpolitik, die sich dem
Ziel der Lebensstandardsicherung verschreibt, kann für
einen Teil der Rentner eine Antwort auf die drohende Al-
tersarmut sein. Klar ist aber auch, dass bei einer sol-
chen Strategie viele herausfallen und im Alter arm sein
werden. Ich möchte das nicht zu hoch bewerten – und
die Linkspartei nennt in ihrem Antrag auch anderes –,
aber stutzen lässt mich diese Rangfolge doch.

Altersarmut ist ein Problem, und wir müssen endlich
auch handeln. Derzeit sind 2 Millionen ältere Menschen
in Deutschland arm. Es ist zwar richtig, dass die Armut
bei Kindern höher ist. Und es ist sicher auch richtig,
dass die empörende Kinderarmut uns als Gesellschaft
vor eine noch dringlichere Aufgabe stellt. Aber ich
warne davor, das Problem der Altersarmut kleinzureden
oder die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen.

Armut im Alter ist anders als in anderen Lebenspha-
sen. Altersarmut ist verfestigte Armut. Ältere, die arm
sind, haben in der Regel keine Chance mehr, die Armut
zu überwinden. Das unterscheidet sie grundlegend von
allen anderen Altersgruppen. Altersarmut ist dauer-
hafte, unbefristete, ja für die Betroffenen lebenslängli-
che Armut. Ich bin überzeugt davon, dass die älteren
Menschen, die arm sind, in ihrem Leben auf die eine
oder andere Weise einen Beitrag zu unserer Gesellschaft
geleistet haben. Manche haben Kinder erzogen, andere
haben Angehörige gepflegt, wieder andere haben sich
politisch oder sozial engagiert. Manche haben lange
Jahre für wenig Geld gearbeitet. Manche haben jahre-
lang erfolglos versucht, wieder eine Arbeit zu finden.



gegebene Reden





Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

Dadurch entstehen Lücken in den Rentenbiografien, und
ich finde es empörend, dass die Leistungen dieser Men-
schen nicht anerkannt werden und hingenommen wird,
dass sie im Alter in Armut leben müssen.

Bezüglich der nächsten Jahre erwartet uns nach allen
Prognosen ein deutlicher, ein überproportionaler An-
stieg der Altersarmut.

Gerade heute ist die neue Studie der OECD „Renten
auf einen Blick“ erschienen. Darin ist nachzulesen, dass
Deutschland bei der Absicherung der zukünftigen Rent-
ner mit niedrigem Einkommen im internationalen Ver-
gleich äußerst schlecht dasteht. In der EU bildet
Deutschland das Schlusslicht. Unter den OECD-Län-
dern sichert nur Japan die derzeitigen Niedrigverdiener
schlechter ab. Damit schneidet Deutschland zum Bei-
spiel auch schlechter ab als Mexiko und Polen. Altersar-
mut in Deutschland ist vorprogrammiert.

Und dabei ist bei der Projektion der OECD noch
nicht einmal berücksichtigt, dass die Versicherungsbio-
grafien in den letzten Dekaden immer lückenhafter ge-
worden sind: immer mehr unterbrochene Erwerbsbio-
grafien, immer mehr Langzeitarbeitslosigkeit, immer
mehr Teilzeiterwerbstätige, immer mehr Soloselbststän-
dige, immer mehr in der Leiharbeit Beschäftigte, immer
mehr im Niedriglohnsektor Beschäftigte.

Diese Erwerbsbiografien lassen sich nicht mehr ret-
ten. Diese Erwerbsbiografien lassen sich auch nicht
mehr retten durch eine wie auch immer geartete Wirt-
schafts- oder Arbeitsmarktpolitik. Die Rentenbiografien
der letzten Dekaden sind nämlich schon geschrieben.
Und die Massenarbeitslosigkeit der letzten Jahrzehnte
hat sich in die Rentenbiografien eingeschrieben. Das ist
nicht mehr zu ändern. Zu ändern ist aber, ob dies zu Al-
tersarmut führt. Und wenn die Kommission der Bundes-
regierung dafür Konzepte vorlegt, begrüße ich das aus-
drücklich.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709626600

Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4926,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/4422 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen; dagegen hat die Linke
gestimmt, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grü-
nen und die SPD-Fraktion.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Europäische-Betriebsräte-Ge-
setzes – Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG

(2. EBRGÄndG)


– Drucksache 17/4808 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss

Interfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Re-
den zu Protokoll zu nehmen. Johann Wadephul, Josip
Juratovic, Heinrich Kolb, Jutta Krellmann, Beate
Müller-Gemmeke und Parlamentarischer Staatssekretär
Brauksiepe sind die Rednerinnen und Redner.1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 17/4808 vorgeschlagen. Gibt es an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs,
Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei
in Deutschland aufnehmen

– Drucksachen 17/2439, 17/4087 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Daniela Kolbe (Leipzig)

Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. Es handelt sich um die Reden von Helmut
Brandt, Daniela Kolbe, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und
Tom Koenigs.2)

Wir kommen zur Abstimmung.

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/4087, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2439
abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen; die Oppositionsfraktionen haben
dagegen gestimmt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicherheit in
Europa und zur Änderung anderer Gesetze

– Drucksache 17/4978 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

1) Anlage 12
2) Anlage 13

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Wie in der Tagesordnung steht, sollen die Reden zu
Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Wadephul, Lehrieder,
Schaaf, Molitor, Birkwald und Müller-Gemmeke.


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1709626700

Die Europäische Union hat im Rahmen ihrer Zustän-

digkeiten bereits einen ganzen Sockel verbindlicher
Mindeststandards im Arbeits- und Gesundheitsschutz
sowie im Arbeitsrecht verabschiedet. Diese Standards
gelten für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
der EU gleichermaßen. Die Mitgliedstaaten können na-
türlich darüber hinausgehen. Aber 20 Tage Jahresur-
laub, Grundlagen für den Kündigungsschutz und ge-
wisse Arbeitszeitregelungen sind immer schon Teil der
Verträge. Die Europäische Union hat auch Regeln für
die Beteiligung der Arbeitnehmer und die Mitwirkung
der Sozialpartner geschaffen. Der Europäische Be-
triebsrat gehört ebenso dazu wie der „soziale Dialog“.

Bereits mit der Lissabon-Strategie – also mit der Stra-
tegie, in der es darum geht, Europa zu einem wirt-
schaftskräftigen und dynamischen Kontinent zu machen,
wobei der Anspruch sogar lautet, ihn zum dynamischs-
ten Kontinent weltweit zu machen – haben sich die Mit-
gliedstaaten verpflichtet, die Beschäftigungs- und So-
zialpolitiken besser zu koordinieren. Um mehr und
bessere Arbeitsplätze in Europa zu schaffen, arbeiten die
Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft seit langem an ei-
ner koordinierten Beschäftigungsstrategie und stimmen
ihre Beschäftigungspolitik aufeinander ab. Diese Koor-
dinierung hat über die Lissabon-Strategie ein ganz star-
kes Momentum bekommen. Kernstück dieses Prozesses
sind die beschäftigungspolitischen Leitlinien als wesent-
licher Bestandteil der EU-2020-Strategie, die die Lissa-
bon-Strategie abgelöst hat. Wir können also festhalten:
Es gibt durchaus einen Sockel sozialer Standards, Re-
geln für die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern, Regeln für die Koordinierung der sozialen
Sicherheit, finanzielle Hilfen zur Unterstützung der sozi-
alen Kohäsion und europäische Ziele im Bereich der Ko-
ordinierung der Beschäftigungs- und Sozialpolitiken.

Wie weit aber soll ein soziales Europa auch aus sozi-
alen Regelungen auf der europäischen Ebene bestehen?
Sozialer Zusammenhalt im Rahmen der Globalisierung
und soziale Sicherheit in Europa sind elementare Her-
ausforderungen, auf die wir nach der globalen Finanz-
und Wirtschaftskrise in Europa kurz- und mittelfristig
Antworten finden müssen, um Europa für die nächsten
zehn Jahre zukunftsfähig aufzustellen. Wie erhalten und
entwickeln wir unser europäisches Sozialstaatsmodell
unter den Bedingungen der Globalisierung? Wie weit
soll ein soziales Europa auch aus sozialen Regelungen
auf der europäischen Ebene bestehen?

Nach meiner Überzeugung geht es bei der Ausgestal-
tung der sozialen Dimension nicht in allen Fragen um
eine Verlagerung der Kompetenz von der nationalen auf
die europäische Ebene, also auf die Ebene der Kommis-
sion. Viele soziale Regelungen auf der nationalen Ebene
sollten bestehen bleiben, auch wegen der in ihrem Auf-
bau und in ihrem Gewachsensein sehr unterschiedlichen
Zu Protokoll
Strukturen der Sozialsysteme. Wir brauchen aber ange-
sichts gewachsener Mobilität immer wieder neue Min-
deststandards. Dies zeigt sich beispielsweise bei dem
Problem der Portabilität betrieblicher Renten und Pen-
sionen. Dies ist ein wichtiger Punkt, um Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern bestimmte Grundrechte über-
haupt zu ermöglichen.

Der Koordinierung der sozialen Sicherung in den
Mitgliedstaaten kommt dabei eine erhebliche Bedeutung
zu. Die soziale Sicherung in der Europäischen Union ist
in den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/
2009 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit gere-
gelt. Ziel dieser Verordnungen ist es, die sozialen Siche-
rungssysteme der Mitgliedstaaten zu koordinieren, da-
mit niemand, der von seinem Recht auf Freizügigkeit in
der Europäischen Union Gebrauch macht, hierdurch
unangemessene sozialrechtliche Nachteile hat. Diese
Verordnungen sind ein wichtiges Beispiel für ein Hand-
lungsfeld der europäischen Sozialpolitik. Denn nur
durch verbindliche Regelungen auf europäischer Ebene
kann sichergestellt werden, dass das Recht auf Freizü-
gigkeit – eine der großen europäischen Grundfreiheiten –
im Hinblick auf die soziale Absicherung der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer und der Selbst-ständigen
bei ihren erworbenen Anwartschaften angemessen flan-
kiert wird.

Zahlreiche Zuständigkeitsfragen wurden nicht mehr
in den Anhängen der Durchführungsverordnung gere-
gelt, sondern sollen in eine öffentlich zugängliche Da-
tenbank eingetragen werden. Aus Gründen der Rechtssi-
cherheit und der Rechtsklarheit sollen entsprechende
Aufgabenzuweisungen durch innerstaatliche Regelun-
gen vorgenommen werden. Auch bedingt die Ablösung
der bisherigen Verordnungen entsprechende Änderun-
gen im Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzen sowie
der darin enthaltenen Verweisungen.

Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent-
wurf zur Koordinierung der Systeme der sozialen Si-
cherheit in Europa regelt diese verwaltungsmäßige
Durchführung der neuen Verordnungen (EG) Nr. 883/
2004 und Nr. 987/2009 zur Koordinierung der Systeme
der sozialen Sicherheit in Europa. Insbesondere werden
damit künftig pflichtversicherte Rentner auch mit ihrer
ausländischen Rente zur Beitragszahlung herangezo-
gen. Im Fall von Entsendungen werden dabei die Be-
schäftigungsländer durch den Spitzenverband Bund und
Krankenkassen oder die Deutsche Verbindungsstelle
Krankenversicherung benachrichtigt. Mit diesen Maß-
nahmen wird dem Grundsatz der Gleichstellung von
Leistungen, Einkünften, Sachverhalten und Ereignissen
im Bereich der Krankenversicherung von Rentnern ent-
sprochen. Wesentlicher Zweck des Gesetzentwurfes ist
die Feststellung der zuständigen Behörden, Träger so-
wie Verbindungs- und Zugangsstellen bei der Anwen-
dung und Durchführung der EU-Verordnungen.

Verbindungsstelle für den europaweiten Datenaus-
tausch berufsständischer Versorgungseinrichtungen soll
die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versor-
gungseinrichtungen werden. Sie soll die Verwaltungs-
hilfe und den Datenaustausch bei grenzüberschreiten-



gegebene Reden

Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)

den Sachverhalten koordinieren. Des Weiteren sind eine
Verbindungsstelle für Familienleistungen sowie eine
Koordinierungsstelle für die Systeme der Beamtenver-
sorgung vorgesehen. Insgesamt sollen fünf Zugangsstel-
len als Kontaktstellen für grenzüberschreitenden Daten-
austausch geschaffen werden, die alle in der EU-
Verordnung Nr. 883/2004 geregelten Bereiche abdecken.
Im Gesetz sind auch Anpassungen des Dritten, Sechsten,
Siebten und Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie des
Gesetzes über die Altersversicherung der Landwirte ver-
merkt, die sich aus der Umsetzung der EU-Verordnun-
gen ergeben.

Finanziell wird es nach Aussagen der Regierung zu
geringfügigen Mehreinnahmen der gesetzlichen Kran-
kenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung
kommen. Durch den elektronischen Datenaustausch und
die Betreuung der Zugangsstellen rechnet die Bundesre-
gierung mit erhöhten Kosten der entsprechenden Leis-
tungsträger und Verbindungsstellen. Diese belaufen sich
für die Jahre 2011 und 2012 auf 2 bis 3 Millionen Euro,
in den Folgejahren auf ungefähr 1 Million Euro.

Erfreulich ist, dass für die Wirtschaft, besonders für
kleinere und mittlere Unternehmen, durch die neu einge-
führten Informationspflichten keine zusätzlichen Kosten
erwartet werden. Für die Bürgerinnen und Bürger wer-
den durch das Gesetz keine Informationspflichten neu
eingeführt, geändert oder aufgehoben.

So wie sich Europa also nach außen neu ausrichtet,
so muss es das auch nach innen schaffen. Denn die Si-
cherung unseres Wohlstandes, Wachstum, Beschäftigung
und soziale Sicherheit – kurz: die Erhaltung und Ent-
wicklung unseres europäischen Sozialstaatsmodells, und
zwar unter den Bedingungen der Globalisierung –, ist
das, was die Bürger von Europa und von ihren Regie-
rungen erwarten. Mit der EU-2020-Strategie wollen wir
die Europäische Union zu einem Wirtschaftsraum ma-
chen, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum
mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größe-
ren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1709626800

Die Europäische Union garantiert ihren Mitgliedern

seit vielen Jahrzehnten Stabilität und Wohlstand. Sie ist
kein Gut, auf dem wir uns ausruhen sollten. Das hat die
jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise mehr als deutlich-
gemacht.

Die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen
Rahmenbedingungen Europas sind einem ständigen
Prozess der Veränderung, Verwerfung und Neuorientie-
rung unterworfen. Daher sind wir gehalten, die Europä-
ische Union ständig fortzuentwickeln. Die EU ist ein or-
ganisches Ganzes. Unsere Nationalstaaten sind nicht
allein auf sich zurückgeworfen. Die Entwicklungen in
einem Staat können beeinflussen, was im Nachbarland
geschieht. So werden wir noch in diesem Jahr erleben,
dass sich die Bürgerinnen und Bürger der neuen EU-
Mitglieder uneingeschränkt auf unserem Arbeitsmarkt
bewerben können. Auch unsere Sozialsysteme stehen vor
besonderen Herausforderungen.
Zu Protokoll
In diesem Zusammenhang ist die EU-Verordnung zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu
sehen, die die Bundesregierung mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf umsetzen will.

Demnach sollen pflichtversicherte Rentner künftig
auch mit ihrer ausländischen Rente zur Beitragsfinan-
zierung ihrer Kranken- und Pflegeversicherung heran-
gezogen werden. Nach Art. 30 der EG-Verordnung Nr.
987/2009 darf der Betrag an Beiträgen im Ergebnis
keinesfalls den Betrag übersteigen, der bei einer Person
erhoben wird, die denselben Betrag an Renten im
zuständigen Mitgliedstaat erhält. Ausländische Renten-
versicherungsträger können darüber hinaus nicht ver-
pflichtet werden, wie die deutschen Rentenversicherungs-
träger die Hälfte der nach der Rente zu bemessenden
Beiträge nach dem um 0,9 Beitragspunkte verminderten
allgemeinen Beitragssatz zu tragen. Deshalb wird die
Beitragsregelung so ausgestaltet, dass Bezieher einer
ausländischen Rente im Ergebnis nicht stärker belastet
werden als Bezieher einer gleich hohen inländischen
Rente.

Nach bisherigem Recht unterlagen pflichtversicherte
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung allein
mit ihren ausländischen Versorgungsbezügen im Sinne
von § 229 SGB V der Beitragspflicht zur Krankenver-
sicherung der Rentner, nicht aber mit ausländischen
Renten, die den Renten der gesetzlichen Rentenver-
sicherung im Sinne von § 228 SGB V vergleichbar sind,
weil dort eine § 229 Abs. 1 Satz 2 SGB V entsprechende
Regelung fehlt. Bei pflichtversicherten Rentenbeziehern,
die sowohl eine deutsche als auch eine ausländische
Rente beziehen, wird deshalb lediglich die deutsche
Rente zur Berechnung der Beiträge zu ihrer Kranken-
versicherung herangezogen.

Nach der neuen Regelung werden Beschäftigungslän-
der entweder durch den Spitzenverband Bund der Kran-
kenkassen oder die Deutsche Verbindungsstelle Kranken-
versicherung im Fall von Entsendungen benachrichtigt.
Unter anderem Deutschland hat den Antrag gestellt, in
jedem Einzelfall über Entsendungen in unser Land in-
formiert zu werden. Sobald der Datenaustausch zwi-
schen den Mitgliedstaaten auf elektronischem Weg er-
folgt, sollen die entsprechenden Mitteilungen über den
Spitzenverband Bund der Krankenkassen, Deutsche
Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland, ge-
leitet werden. Soweit Entsendungen in einen anderen
Mitgliedstaat stattfinden, sollen die Daten von dem
GKV-Spitzenverband, DVKA, zentral gespeichert wer-
den, um sie gegebenenfalls den Trägern des Beschäfti-
gungslandes auf Nachfrage unverzüglich zur Verfügung
stellen zu können.

Mit diesen Maßnahmen wird dem Grundsatz der
Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhal-
ten und Ereignissen im Bereich der Krankenversiche-
rung von Rentnern entsprochen.

Eine weitere wichtige Änderung betrifft § 4 des
SGB VI, auch weiterhin allen Staatsangehörigen derje-
nigen Staaten, in denen die Verordnungen zur Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar
sind, bei Beschäftigung für eine begrenzte Zeit im Aus-



gegebene Reden

Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

land die Versicherungspflicht auf Antrag zu ermögli-
chen. Die neue Regelung gilt für Mitglieder einer amtli-
chen Vertretung des Bundes und der Länder sowie für
die bei ihnen Beschäftigten, soweit sie nicht bereits auf-
grund einer Entsendung nach § 4 SGB IV oder aufgrund
zwischen- oder überstaatlichen Rechts der deutschen
Sozialversicherung unterliegen. Sie ist deshalb insbe-
sondere für Ortskräfte in den Fällen von Bedeutung, in
denen die Vorschriften über die soziale Sicherheit im Be-
schäftigungsstaat keine ausreichende Absicherung ge-
währleisten oder in denen eine Rückkehr nach Deutsch-
land von Beginn an beabsichtigt ist. Andererseits soll
durch das flexible Instrument der Antragspflichtversi-
cherung auch vermieden werden können, dass es zu un-
nötigen Doppelversicherungen kommt.

Zahlreiche Zuständigkeitsfragen werden zudem nicht
mehr in den Anhängen der Durchführungsverordnung,
sondern dadurch geregelt, dass sie in eine öffentlich zu-
gängliche Datenbank eingetragen werden. Deshalb sind
Konkretisierungen im nationalen Recht erforderlich.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt da-
her im Wesentlichen den Zweck, zuständige Behörden,
Träger sowie Verbindungs- und Zugangsstellen bei der
Anwendung und Durchführung der EU-Verordnungen
festzustellen. Verbindungsstelle für den europaweiten
Datenaustausch berufsständischer Versorgungseinrich-
tungen soll die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer
Versorgungseinrichtungen werden. Sie soll die Verwal-
tungshilfe und den Datenaustausch bei grenzüberschrei-
tenden Sachverhalten koordinieren.

Außerdem sind eine Verbindungsstelle für Familien-
leistungen sowie eine Koordinierungsstelle für die Sys-
teme der Beamtenversorgung vorgesehen. Insgesamt
sollen fünf Zugangsstellen als Kontaktstellen für grenzü-
berschreitenden Datenaustausch geschaffen werden, die
alle in der EU-Verordnung Nr. 883/2004 geregelten Be-
reiche abdecken.

Zwar wird davon ausgegangen, dass sich die Mehr-
kosten insgesamt in den Jahren 2011 und 2012, also den
Jahren der Entwicklung und Einführung der neuen tech-
nischen Verfahren, auf rund 2 bis 3 Millionen Euro und
in den Folgejahren auf circa 1 Million Euro belaufen
werden. Durch die neuen Verfahren werden auf der an-
deren Seite aber auch Effizienzzuwächse erzielt, die sich
aus der in der EG-Verordnung Nr. 987/2009 vorgese-
henen engeren Zusammenarbeit zwischen den inländi-
schen und ausländischen Trägern und Verbindungs-
stellen bei der Koordinierung der jeweiligen Systeme
der sozialen Sicherheit ergeben. Außerdem wird sich
durch das im Aufbau befindliche europäische Datenaus-
tauschverfahren im Bereich der sozialen Sicherheit der
Verwaltungsaufwand für die Führung der Datei in den
kommenden Jahren sukzessiv in erheblichem Umfang
vermindern.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger
Schritt hin zur Angleichung der Sozialsysteme der Eu-
ropäischen Union. Er verdient daher eine breite Mehr-
heit.
Zu Protokoll

Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1709626900

Mit dem Gesetz zur Koordinierung der Systeme der

sozialen Sicherheit in Europa und der damit verbunde-
nen Änderung anderer Gesetze soll eine innerstaatliche
gesicherte Rechtsgrundlage hergestellt werden, die den
zuständigen Behörden Trägern und Verbindungsstellen
zu mehr sozialer Sicherheit verhilft. Das dient dem be-
reits verankerten Grundsatz der Gleichstellung von
Leistungen, in diesem Fall den Beziehern einer auslän-
dischen Rente. Diese soll künftig zur Beitragsfinanzie-
rung der Kranken- und Pflegeversicherung herangezo-
gen werden. Ferner soll die Benachrichtigung der
Träger des Beschäftigungslandes im Fall von Entsen-
dungen geregelt werden.

Ab dem 1. Juli 2011 sollen in Deutschland damit auch
für Renten aus dem Ausland Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung gezahlt werden. Das sehen zwei
neue EU-Verordnungen, 883/2004/EG und 987/2009/
EG, über die soziale Sicherheit vor, die in allen EU-Staa-
ten gelten.

Nach bisherigem Recht unterlagen pflichtversicherte
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung allein
mit ihren ausländischen Versorgungsbezügen im Sinne
von § 229 SGB V der Beitragspflicht zur Krankenversi-
cherung der Rentner, nicht aber mit ihren ausländischen
Renten im Sinne von § 228 SGB V. Bei pflichtversicher-
ten Rentenbeziehern, die sowohl eine deutsche als auch
eine ausländische Rente beziehen, wurde deshalb bis-
lang lediglich die deutsche Rente zur Berechnung der
Beiträge zu ihrer Kranken- und Pflegeversicherung her-
angezogen.

Dieses eher technische Gesetz soll es erleichtern, die
Verfahren der Leistungen in grenzübergreifenden Sach-
verhalten besser zu koordinieren. Bisher kennen wir
hauptsächlich den Fall von Erleichterungen bei der Er-
stattung von Leistungen aus der bisherigen Praxis. In
der heutigen Thematik geht es um die Anpassung deut-
scher Gesetze: des SGB III, SGB IV, SGB V, SGB VI,
SGB VII, SGB XI sowie des Gesetzes über die Alters-
und Krankenversicherung der Landwirte, des Altersteil-
zeitgesetzes und der Umsetzung der EU-Verordnungen.
Kostenlos ist dies nicht umzusetzen.

Den geringen Mehreinnahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung und der Pflegeversicherung ste-
hen für den elektronischen Datenaustausch und die Be-
treuung der Zugangsstellen erhöhte Kosten in den Jah-
ren 2011 und 2012 von 2 bis 3 Millionen Euro in den
Folgejahren ungefähr 1 Million Euro gegenüber. Die
sich hieraus ergebenen Mehrbelastungen für den Bun-
deshaushalt müssen in den jeweiligen Einzelplänen im
Rahmen der bestehenden Ansätze aufgefangen werden;
ich bin gespannt, wie die Bundesregierung dies im Rin-
gen des Sparwettbewerbes umsetzen wird. Faktisch be-
deutet diese Regelung für Grenzgänger eine Kürzung ih-
rer Rente.

Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Deutsch-
land, die lange gearbeitet haben und demnach meist nur
einen kleinen Teil ihrer Rente aus Deutschland bekom-
men, sind hiervon besonders betroffen.



gegebene Reden

Anton Schaaf


(A) (C)



(D)(B)

Was ich an der Regelung kritisiere, ist, dass Grenz-
gänger und Entsandte durch die neue Regelung in die
deutsche Sozialversicherung automatisch „überführt“
werden und sie keine Wahlmöglichkeit haben. Sie haben
keine Entscheidungsmöglichkeit darüber, in dem Sys-
tem, in dem sie oft jahrzehntelang Beiträge gezahlt ha-
ben, zu bleiben, weil das Wohnortprinzip über das Ar-
beitsprinzip gestellt wird. Daher muss der Grundsatz
gelten, dass Bezieher einer ausländischen Rente im Er-
gebnis nicht stärker belastet werden als Bezieher einer
gleich hohen inländischen Rente.

Natürlich ist der Gleichstellung der europäischen
Bürger und Bürgerinnen in Form der Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit in Europa Rechnung zu
tragen, wenn es um Neuregelungen geht, aber nicht mit
dem Ziel insgesamt in Europa eine schrittweise Durch-
setzung eines niedrigen Niveaus der sozialen Sicherheit
zu etablieren, was an vielen Stellen der europäischen
Handlungen leider allzu deutlich wird.

Wir wissen, dass die europäische Gesellschaft vor ei-
nem beispiellosen demografischen Wandel steht, der
sich massiv auf die wirtschaftliche und soziale Situation
der gesamten Europäischen Union auswirken wird. Dies
ist für alle EU-Mitgliedstaaten relevant.

In allen Mitgliedstaaten wächst der Anteil der älteren
Menschen, während die Zahl der Kinder deutlich ab-
nimmt. Ab 2025 wird die Bevölkerung der EU nach heu-
tigem Erkenntnisstand schrumpfen. In einem Drittel der
EU-Regionen nimmt die Bevölkerung bereits seit Ende
der 90er-Jahre ab.

Die SPD-Fraktion begrüßt, dass die EU-Kommission
eine Gleichstellung der Europäer in den Blick nimmt.
Da es in allen Mitgliedstaaten immer mehr ältere Men-
schen gibt, stehen die aktuellen Systeme für die Alterssi-
cherung unter massivem Druck. Die Wirtschafts- und Fi-
nanzkrise hat diesen Druck noch weiter verstärkt.

Unabhängig von der Koordination der sozialen Si-
cherheit in Europa ist es für die SPD grundsätzlich, dass
die Finanzierung und Bereitstellung von Renten in der
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben muss. Wir
werden es nicht zulassen, dass europaeinheitliche Stan-
dards zu einer Verschlechterung guter Systeme einiger
Mitgliedstaaten führen.

Der Schwerpunkt bei der Sicherung der Renten und
Pensionen muss es sein, für den sozialen Fortschritt in
Europa einzutreten. Wir wollen soziale Ziele und Grund-
rechte im europäischen Binnenmarkt stärken. Es muss
sichergestellt sein, dass die wirtschaftlichen Grundfrei-
heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vorrang
vor sozialen Grundrechten und Zielen haben. Die sozia-
len Grundrechte müssen im Konfliktfall vorgehen. Wir
lehnen es ab, die Finanzierung der gesetzlichen Renten-
versicherung ausschließlich auf die Bewältigung des de-
mografischen Wandels zu verengen. Wir werden jede
Möglichkeit nutzen, die Diskussion um die Zukunft der
Altersvorsorge wieder um die Dimension der Arbeits-
marktpolitik zu erweitern.

Auch den einsamen europäischen Ruf nach der Erhö-
hung des Renteneintrittsalters teilen wir nicht.
Zu Protokoll
Wir glauben, dass es eine Reihe von Alternativen zur
Privatisierung und zur Erhöhung des Renteneintrittsal-
ters gibt. Neben der Erhöhung der Verantwortung der
Arbeitgeber, Renten für ihre Mitarbeiter zu schaffen, be-
darf es einer Förderung der Flexibilität des Rentenein-
tritts, einer Erhöhung der Sicherheit von Pensionsfonds
und einer Garantie für eine Mindestrente. Es bedarf ge-
meinsamer Mindeststandards für die Renten. Um Alters-
armut erfolgreicher zu bekämpfen, bedarf es der offenen
Methode der Koordinierung im Bereich Renten und Ar-
mutsbekämpfung.

Wir sind für ein Europa mit sozialem Antlitz, wir weh-
ren uns gegen Sozialabbau. Wir brauchen ein Europa
mit hohen Standards der sozialen Sicherheit und guten,
sicheren Renten für alle Bürgerinnen und Bürger.


Gabriele Molitor (FDP):
Rede ID: ID1709627000

In der Europäischen Union gilt das Recht auf Freizü-

gigkeit. Jeder EU-Bürger kann frei entscheiden, in wel-
chem anderen EU-Land er leben und arbeiten möchte.
Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
der Mitgliedstaaten soll die Freizügigkeit der Bürger in-
nerhalb der Europäischen Union erleichtern. Es gilt das
Prinzip der Gleichbehandlung. Staatsangehörige eines
EU-Mitgliedstaats und Bürger, die in diesem Mitglied-
staat wohnen, aber nicht dessen Staatsangehörigkeit be-
sitzen, haben die gleichen Rechte und Pflichten. Seit Mai
2010 gelten für die Koordinierung der Systeme der sozi-
alen Sicherheit in Europa zwei neue Verordnungen. Die-
ser Schritt wurde notwendig, da die bereits seit 1971
geltende Verordnung des Rates vielfach geändert wurde
und die gemeinschaftlichen Regeln der Koordinierung
zu unüberschaubar wurden.

Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist aus zwei
Gründen nötig: Um für Rechtssicherheit und -klarheit zu
sorgen, muss die Aufgabenzuständigkeit festgelegt wer-
den, da diese nicht mehr in der Durchführungsverord-
nung geregelt wird. Des Weiteren sind Änderungen von
Regelungen im Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzen
nötig. Auch die anderen Länder in der Europäischen
Union werden so verfahren. Geregelt werden unter an-
derem die Zuständigkeiten für Aufgaben wie beispiels-
weise den europaweiten Datenaustausch, Familienleis-
tungen und Beamtenversorgung. Neu eingeführt wird
eine Beitragspflicht für Auslandsrenten. Angepasst wird
auch das Gesetz über die Altersversicherung von Land-
wirten.

Sozialpolitik liegt in der nationalen Zuständigkeit.
Jeder Staat betreibt seine Sozialpolitik eigenständig. Die
Rolle der Europäischen Union in der Sozialpolitik be-
schränkt sich auf koordinierende Aufgaben und die Un-
terstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.
Aufgabe der Europäischen Union ist es aber auch, dar-
auf zu dringen, dass die Mitgliedstaaten ihre Sozialsys-
teme reformieren und damit den aktuellen Entwicklun-
gen, wie zum Beispiel in der Eurostabilisierung,
Rechnung tragen.

Laut des „Gemeinsamen Berichts über Sozialschutz
und soziale Eingliederung von 2010“ der Europäischen
Union haben die europäischen Sozialsysteme, aber auch



gegebene Reden

Gabriele Molitor


(A) (C)



(D)(B)

kurzfristige Sozialmaßnahmen entscheidend dazu beige-
tragen, die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen
der Wirtschaftskrise abzufedern. Die Krise hat aber
auch deutlich gezeigt, wo die Schwächen in einzelnen
Sozialsystemen zu finden sind.

Deutschland hat ein gut funktionierendes Sozialsys-
tem. In den vergangenen Jahren waren immer wieder
zahlreiche Reformen der verschiedenen Zweige nötig.
Diese Anpassungen sind sowohl gesellschaftlichen Ver-
änderungen wie beispielsweise dem demografischen
Wandel geschuldet, aber auch aktuellen wirtschaftlichen
Einflüssen oder Entwicklungen. Deutschland steht mo-
mentan vor der großen und dringenden Aufgabe, das
deutsche Sozialversicherungssystem zukunftsfest zu ma-
chen. Etwa ein Drittel seines jährlichen Bruttoinlands-
produktes gibt Deutschland für Sozialleistungen aus.
Das beweist: Es ist viel Geld im sozialen Netz.

Liberale Sozialpolitik verfolgt einen umfassenden An-
satz. Das heißt, allgemeine Lebensrisiken wie Krank-
heit, Pflege, Alter und Arbeitslosigkeit sind abgesichert.
Eine gute Bildungspolitik und gute Rahmenbedingungen
für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sind
die beste Sozialpolitik. Sie ermöglichen Aufstiegschan-
cen von jungen Menschen. Investitionen in Bildung be-
deutet, in Zukunft weniger Geld für Sozialleistungen
ausgeben zu müssen.

Die Verzahnung von beschäftigungs- und wirtschafts-
politischen Maßnahmen mit Maßnahmen des sozialen
und gesellschaftlichen Zusammenhalts ist ein wesentli-
ches Element der Strategie „Europa 2020“. Damit die
soziale Dimension dieser Strategie, also die Förderung
der sozialen Eingliederung umgesetzt werden kann,
muss die Umsetzung von langfristigen Strategien in den
Mitgliedstaaten auch tatsächlich erfolgen. Letzten En-
des garantiert wirtschaftliche Prosperität soziale Si-
cherheit. Deshalb ist es so wichtig, dass die Europäische
Union sich den Herausforderungen stellt, um auf den
Weltmärkten bestehen zu können.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709627100

Die Linke begrüßt grundsätzlich und nachdrücklich

die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
in Europa. Im vorliegenden Gesetzentwurf legt die Bun-
desregierung dazu Detailregelungen zur Umsetzung der
entsprechenden EU-Verordnungen fest. In den dort ge-
troffenen Regelungen zur Konkretisierung im nationalen
Recht kann auch die Linke kein Problem erkennen.

Wir sehen aber generell ein großes Problem darin,
dass soziale Sicherheit in Deutschland im europäischen
Kontext völlig unzureichend ausgestaltet ist. Deutsch-
land hat bislang wenig zur Entwicklung eines Europäi-
schen Sozialmodells beigetragen, welches soziale
Rechte garantiert, vor allem aber die Bürgerinnen und
Bürger Europas vor Sozialdumping schützt. Der Ge-
danke und die Umsetzung einer europäischen Sozialpo-
litik darf sich nicht darin erschöpfen, nur Regelungen
zur Anwendbarkeit und gegenseitigen Anerkennung von
Prinzipien der Sozialversicherungssysteme zu erlassen.
Das ist entschieden zu wenig. Die Bürgerinnen und Bür-
ger können zu Recht erwarten, dass hier Inhalte gesetzt
Zu Protokoll
werden und auch die Bundesregierung bestrebt ist, ihren
Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass er soziale Sicherheit
bietet, sowohl für Bürgerinnen und Bürger Deutsch-
lands als auch aus anderen europäischen Ländern.

Doch hier ist die Bundesregierung in erschreckendem
Ausmaß seit vielen Jahren untätig. Zum 1. Mai 2011
werden die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit und
Dienstleistungsfreiheit hergestellt. Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer aus den im Jahre 2004 der Europäi-
schen Union beigetretenen Staaten Osteuropas können
dann ohne Beschränkungen eine Beschäftigung in
Deutschland aufnehmen. Eine Arbeitsgenehmigung
durch deutsche Behörden ist nicht mehr nötig. Die Öff-
nung der Grenzen für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer ist zu begrüßen. Sie sollten frei über ihren
Aufenthalts- und Arbeitsort entscheiden dürfen. Leider
hat es Deutschland aber bislang völlig versäumt, für
Schutzmechanismen zu sorgen, um einen Lohndumping-
wettbewerb auf dem Rücken der osteuropäischen Kolle-
ginnen und Kollegen zu verhindern, der zudem das in
vielen Regionen und Branchen Deutschlands sinkende
Reallohnniveau weiter unter Druck setzen wird. Nur ein
flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn könnte dies
verhindern. Fast alle anderen Staaten der EU sind dar-
auf vorbereitet. Sie haben Regelungen zu flächendecken-
den Mindestlöhnen. Ein weiteres großes Problem ist,
dass es nur wenige Beratungseinrichtungen für Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen Ländern
gibt. Viele Beschäftigte haben nur sehr unzureichende
Kenntnisse über ihre Rechte und Ansprüche in Deutsch-
land, was von immer mehr Arbeitgebern schamlos aus-
genutzt wird.

Die Bundesregierung muss nun schnell handeln, um
die Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen. Sie
muss sich auch in die Sozialpolitik der Europäischen
Union stärker einbringen und Akzente setzen. In das
Vertragswerk der Europäischen Union muss eine soziale
Fortschrittsklausel aufgenommen werden, die sozialen
Grundrechten den Vorrang vor dem Kapital garantiert.
Wir Linken fordern, die Entsenderichtlinie so zu ändern,
dass sie lediglich Mindestanforderungen formuliert,
aber nicht als Maximalrichtlinie zu verstehen ist. Das
Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen
Arbeitsort“ muss angewandt werden. Schnellstmöglich
muss Deutschland endlich einen flächendeckenden ge-
setzlichen Mindestlohn einführen. Gleichzeitig ist das
Arbeitnehmerentsendegesetz auf alle Branchen auszu-
weiten und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von
Tarifverträgen zu erleichtern. Für die Leiharbeit ist das
Gleichstellungsgebot umzusetzen. Der Tarifvorbehalt
muss aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gestri-
chen werden. Wo dies hingeführt hat, haben wir bei den
christlichen Pseudogewerkschaften gesehen, die Gefäl-
ligkeitstarifverträge zulasten der Leiharbeitskräfte ab-
geschlossen haben und diese in vielen Fällen ohne deren
Wissen von den Leiharbeitsunternehmen zwangsweise
zu Mitgliedern der christlichen Leiharbeitsorganisation
gemacht wurden. Ganz bewusst vermeide ich den Begriff
„Gewerkschaft“, da ja der CGZP die Tariffähigkeit ab-
gesprochen wurde und dies bekanntermaßen ein zentra-
les Kriterium einer Gewerkschaft ist.



gegebene Reden





Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)

Für mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
muss unverzüglich ein flächendeckendes Netz von Bera-
tungsstellen aufgebaut werden. Bei Entsendung von Be-
schäftigten über einen längeren Zeitraum ist unbedingt
zu prüfen, inwiefern durch eine Pflicht zur Entrichtung
der Sozialversicherungsbeiträge in die sozialen Siche-
rungssysteme am Arbeitsort verhindert werden kann,
dass Arbeitgeber Entsendungen durchführen, um Sozial-
versicherungsabgaben zu sparen, da die Höhe der zu
entrichtenden Beiträge variiert.

Im Bereich der sozialen Sicherheit in Europa gibt es
noch viel zu tun. Gehen Sie es endlich an. Stärken sie die
sozialen Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Europa.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch wenn die vollständige Arbeitnehmerfreizügig-
keit für Menschen aus den neuen Mitgliedsländern ab
dem 1. Mai 2011 noch einigen Handlungsbedarf auf-
zeigt – im Grundsatz ist die Mobilität der Menschen in-
nerhalb der Europäischen Union eine Erfolgsge-
schichte. Es ist vor allem die Personenfreizügigkeit, die
den Reiz der Europäischen Union ausmacht. Die Frei-
heit der Menschen, sich in anderen europäischen Län-
dern als Arbeitnehmende oder als Selbstständige nieder-
zulassen, die Freiheit, Familienangehörige mit sich zu
nehmen, die Freiheit, Chancen zu ergreifen, auch wenn
sie jenseits der Grenzen des Nationalstaats liegen –
diese Freiheit ist nach wie vor der größte Reiz einer auf
Sicherheit und Recht fußenden Europäischen Union.

Was bedeutet es, wenn sich Menschen in Europa frei
bewegen können? Wenn Menschen wandern, dann sind
auch viele zutiefst menschliche Belange berührt. Denn
Menschen sind nie nur Arbeitnehmende oder aus-
schließlich selbstständig. Sie führen ihr Leben nicht nur
in beruflicher Tätigkeit und in Unternehmen. Menschen
sind auch mal krank, verlieren ihren Arbeitsplätz, verän-
dern ihre Familiensituation oder scheiden wegen hohen
Alters aus dem Erwerbsleben aus. In all diesen Lebens-
situationen brauchen sie den Schutz der Systeme der so-
zialen Sicherheit. Insbesondere wenn durch eigene ma-
terielle oder nichtmaterielle Leistungen Ansprüche an
soziale Sicherungssysteme erworben wurden, müssen
diese Ansprüche auch im Ausland gewährleistet sein.
Dies muss funktionieren, wenn von einem „sozialen Eu-
ropa“ die Rede sein soll.

In der Praxis bedeutet die Umsetzung dieses sozial-
und europapolitischen Ideals ernüchternderweise vor
allem technische und regulative Detailarbeit. Sie erfor-
dert ein Benennen von Zuständigkeiten, einen Austausch
von Sozialdaten und ein Festschreiben von Pflichten und
Ansprüchen. Und sie erfordert regelmäßige Anpassung
und Weiterentwicklung. Die Verordnung über die An-
wendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeit-
nehmer und Selbstständige sowie deren Familienange-
hörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern, und die entsprechende Durchführungsver-
ordnung wurden zum 1. Mai 2010 durch neue Verord-
nungen abgelöst. Um den Festlegungen der zuständigen
Behörde, der zuständigen Träger, der Verbindungsstel-
len sowie der Zugangsstellen eine innerstaatlich gesi-
cherte Rechtsgrundlage zu schaffen, wurde der vorlie-
gende Gesetzentwurf eingebracht.

Zunächst ist festzuhalten: Als überzeugte Europäe-
rinnen und Europäer begrüßen wir Grünen dies. Denn
die damit getroffenen Regelungen sind wichtig, um das
Zusammenleben und die Mobilität in der EU zu erleich-
tern, mehr noch: die Mobilität in ganz Europa. Denn die
bisherigen Verordnungen im Verhältnis zu den Vertrags-
staaten des Europäischen Wirtschaftsraums – also
Liechtenstein, Norwegen und Island – sowie der Schweiz
bleiben weiterhin anwendbar. Auch das ist wichtig.

Der Gesetzentwurf löst die an ihn gestellte Aufgabe
insgesamt ordentlich. Er behebt einzelne bisher beste-
hende Ungleichheiten. So sind Rentnerinnen und
Rentner bereits bisher in der Krankenversicherung für
Rentner pflichtversichert und müssen aus ihren Renten-
bezügen die Kranken- und Pflegeversicherung mitfinan-
zieren. Der festgeschriebene Grundsatz der Gleichstel-
lung von Leistungen und Einkünften erfordert, dass dies
in Zukunft auch für Beziehende einer ausländischen
Rente gilt. Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwen-
den.

Zu begrüßen ist der Schritt, die Benachrichtigung der
Träger des Beschäftigungslandes im Falle von Entsen-
dungen zu regeln. Wenn das Instrument der grenzüber-
schreitenden Arbeitnehmerentsendung zur Anwendung
kommt, ist es dringend erforderlich, dass alles unter-
nommen wird, um illegale Beschäftigung zu verhindern
und die ordnungsgemäße Anwendung der jeweils gelten-
den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates und
des Entsendestaates sicherzustellen. An dieser Stelle
würden wir uns von der Bundesregierung über den vor-
liegenden Gesetzentwurf hinaus weitere Regelungen
wünschen, die für Transparenz und bessere Koordinie-
rung der sozialen Absicherung auch von entsandten Ar-
beitnehmenden sorgen und die Missbrauchsrisiken ein-
dämmen.

Wir wollen die Mobilität der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in Europa auch weiterhin erleichtern und
dabei die sozial- und arbeitsrechtlichen Schutzstandards
halten und auch grenzübergreifend sicherstellen. Mobi-
lität ohne soziale Sicherheit, einen europaweiten Ar-
beitsmarkt ohne europaweite Koordination der Schutz-
rechte und Absicherungen kann und darf es in Europa
nicht geben. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Bun-
desregierung nicht weiter dagegen sperren, dass auch
Ansprüche aus Betriebsrenten in ein anderes europäi-
sches Land mitgenommen werden können. Auch für
diese gilt, dass sie portabel ausgestaltet werden müssen,
um die Anspruchsberechtigten nicht in ihrer Freizügig-
keit zu behindern. Denn – ich habe das eingangs er-
wähnt – der Freiheitsgedanke in Europa wird nur dann
eine menschengerechte Freiheit sein, wenn er mit sozia-
ler Sicherheit verknüpft ist.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709627200

Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Druck-

sache 17/4978 an die in der Tagesordnung aufgeführten





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

Ausschüsse vorgeschlagen. – Anderweitige Vorschläge
sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung des
Einsatzes von Videokonferenztechnik in ge-
richtlichen und staatsanwaltschaftlichen Ver-
fahren

– Drucksache 17/1224 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Patrick
Sensburg, Christine Lambrecht, Jens Petermann, Jerzy
Montag und der Parl. Staatssekretär Max Stadler.


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1709627300

Fortschritt besteht wesentlich darin, fortschreiten zu

wollen. Als Mitglieder dieses Hohen Hauses obliegt uns
nicht nur die Aufgabe, durch Gesetze Rahmen für zu-
künftige Entwicklungen zu schaffen, sondern auch,
längst vollzogene Entwicklungen und technologische
Entwicklungen klug in Gesetze zu gießen. Der techni-
sche Fortschritt ist rasant und verändert unsere Lebens-
realität jeden Tag auf ein Neues. Wenn wir uns einmal in
unseren Abgeordnetenbüros umschauen, stellen wir fest,
wie sehr der technologische Fortschritt auch unsere Ar-
beit verändert und vor allem erleichtert hat.

Als Abgeordnete sind wir in der Pflicht, die Chancen
von technologischen Veränderungen zu nutzen. Der vor-
liegende Gesetzentwurf zum vermehrten Einsatz von Vi-
deokonferenztechnik ist so ein Fall.

Der Ausgangspunkt der Diskussion über den Einsatz
von Videokonferenztechnik findet sich im Zeugenschutz
der Strafprozessordnung. 1998 trat mit dem Zeugen-
schutzgesetz § 247 a der StPO in Kraft, der in den fol-
genden Jahren um wichtige Gedanken zur Vermeidung
des Beweismittelverlustes ausgedehnt wurde.

Aber auch bei Vernehmungshindernissen in der ge-
richtlichen Hauptverhandlung oder bei großen nicht zu-
mutbaren Entfernungen zum Gerichtsort wird die Video-
konferenztechnik bereits angewandt.

So stößt beispielhaft der verstärkte Einsatz von Video-
konferenztechnik in verschiedenen Bundesländern – es
sei hier nur auf Nordrhein-Westfalen und Hessen hinge-
wiesen – auf positive Resonanz. Bislang zählt diese Ver-
fahrenstechnik aber noch nicht zu den Standards, da bei
den Gerichten, Justizbehörden und Anwaltskanzleien
noch nicht die erforderlichen Ausstattungen verfügbar
sind und das Einverständnis der Beteiligten zum Einsatz
der Videoverfahrenstechnik nach der derzeit geltenden
Rechtslage vorliegen muss.

Wir wissen, dass unsere Justiz nicht über mangelnde
Arbeit klagen kann. Wir wissen um das Problem, dass
Verfahren manchmal sehr lange Zeiträume einnehmen
und sich Aktenstapel an Aktenstapel in den Gerichten
reihen. Die Videokonferenztechnik kann einen guten Bei-
trag zur Entlastung unserer Gerichte leisten. Es handelt
sich um eine Win-win-Situation; denn alle Beteiligten
können deutlich Zeit einsparen, und die Gerichte können
ihre Termine somit besser koordinieren. Die Verfahren
können deutlich beschleunigt werden.

Auch gerade für die Anwaltschaft stellt die Videokon-
ferenztechnik eine große Entlastung dar. Der aktive Ein-
satz der Videokonferenztechnik kann einerseits als Ent-
gelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen
in voller Höhe als Auslage geltend gemacht werden. So-
mit wäre auch keine weitere Änderung des Rechtsan-
waltsvergütungsgesetzes notwendig. Andererseits ent-
fallen Fahrtkosten und Terminierungsprobleme. Der
verstärkte Einsatz der Technik stellt insoweit ein verbes-
sertes Serviceangebot im Sinne einer kundenorientierten
Justiz dar. Die konkreten Bereitstellungskosten betreffen
die Einrichtung von Leitungen und Anschlüssen in den
jeweiligen Sitzungssälen bzw. Vorführräumen der Voll-
zugsanstalten, wo diese noch nicht vorhanden sind. Der
Einsatz von Web-Technik könnte diese Kosten erheblich
senken und sollte im Laufe dieses Gesetzgebungsverfah-
rens noch stärker überdacht werden.

Ich möchte aber hier deutlich darauf hinweisen, dass
die Kosten für die Länder kalkulierbar sein müssen.
Letztlich bleibt die jeweilige Umsetzung eine Entschei-
dung der Länder.

Kommen wir nun zu einzelnen Aspekten des Gesetzes:

Durch eine Änderung des Gerichtsverfahrensgesetzes
wird nach dem Gesetzentwurf ein Einsatz der Dolmet-
scher auch auf die anderen Übertragungsorte durch das
Gericht ermöglicht. Kritisch muss hier jedoch gesehen
werden, dass gerade die Leistung der Dolmetscher eine
hochanstrengende Tätigkeit ist. Es muss genauer geprüft
werden, ob es beispielsweise einem Dolmetscher alleine
möglich ist, über einen längeren Zeitraum im Rahmen
einer Videokonferenz zu dolmetschen. Ich habe hier
meine Bedenken.

Die Verfahrensbeschleunigung soll im Zivilprozess
vor allem dadurch erreicht werden, dass der Einsatz von
Videokonferenztechnik nicht mehr vom Einverständnis
aller Parteien abhängig sein soll. Künftig soll das Ge-
richt diese Entscheidung bei einem Antrag einer der
Parteien treffen können.

Die Möglichkeit der Aufzeichnung beim Einsatz der
Videokonferenztechnik bedarf zudem noch der Klärung,
da es dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann,
durch den Einsatz anders behandelt zu werden als im
herkömmlichen Verfahren, bei dem lediglich protokol-
liert wird. Ich bin der Meinung, dass es grundsätzlich zu
keiner Aufzeichnung kommen darf.

Die Zielsetzung der vorgeschlagenen Änderungen be-
steht in der Verbesserung der Rechtsklarheit und An-
wenderfreundlichkeit. Doch muss natürlich bei einem
anderen Aufenthaltsort des zu Vernehmenden außerhalb
des Sitzungszimmers sichergestellt sein, dass am Ort des
Vernehmens keine Fremdeinflüsse auftreten können.

Für den Bereich des Strafrechts ist beispielsweise
denkbar, eine entsprechende Regelung in den Richtlinien
für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren,

Dr. Patrick Sensburg


(A) (C)



(D)(B)

RiStBV, einzufügen, die sicherstellt, dass der Ort der
Vernehmung im Strafprozess ein Gerichtssaal sein muss.

Die Gesetzesänderung belässt es vollkommen zu
Recht dabei, bei Personen, bei denen es auf einen per-
sönlichen Eindruck des Gutachters ankommt, bei der
klassischen Vorladung zu verbleiben, dies aus dem
Grund, da eine Videoübertragung den Eindruck durch
nonverbale und allgemein persönliche Eindrücke nicht
zureichend vermittelt.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Vernehmung
von Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung durch die
Videokonferenztechnik verbessert und beschleunigt den
Verfahrensablauf, da auch der Versand von Verfahrens-
akten und Vernehmungsversuchen an ferne Gerichte und
Polizeidienststellen entbehrlich wird. Dies führt zu einer
erheblichen Verkürzung des Verfahrens und äußert sich
auch durch eine qualitative Verbesserung, da der einge-
arbeitete Staatsanwalt oder Polizeibeamte die Anhörung
übernehmen kann. Auch hier zeigt sich wieder eine nut-
zerfreundliche Ausgestaltung des Rechtssystems, da Zeit-
ersparungen unter Beibehaltung eines hohen Qualitäts-
standards eine ideale Lösung für die betroffenen Bürger
darstellen.

Das Verfahren wird darüber hinaus auch in den Fäl-
len der Reststrafenaussetzung zur Bewährung für die
Strafvollstreckungskammer vereinfacht. Zudem kommt
es zu einer wichtigen sicherheits- und aufwandsrelevan-
ten Vereinfachung für die Vollzugsanstalten. Eine Ver-
einfachung der Anhörung darf aber keineswegs zulasten
des Anzuhörenden gehen, da hier der unmittelbare Kon-
takt mit dem Verurteilten übersehen wird.

Durch dieses Gesetz muss sichergestellt werden, dass
es durch den Einsatz der Videokonferenztechnik nicht zu
qualitativen Mängeln bei Aussagen oder Befragungen
kommt. Wird dies sichergestellt, haben wir ein kunden-
orientiertes Instrument für die Justiz.

Wir dürfen die Augen vor dem technologischen Fort-
schritt nicht verschließen. Die Vorteile der Videokonfe-
renztechnik liegen auf der Hand. Lassen Sie uns in der
Frage der Videokonferenztechnik zusammen fortschrei-
ten, um gemeinsam Fortschritt zu ermöglichen.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1709627400

Das Gesetz zum verstärkten Einsatz von Videokonfe-

renzen in deutschen Gerichten ist sinnvoll und notwen-
dig. Die Videokonferenztechnik ist ein zukunftsweisen-
der Fortschritt für Verhandlungen, der gerade dem
Bürger zugutekommt. Daher begrüße ich das Bestreben
des Bundesrates, durch das Gesetz Kosten einzusparen,
genauso wie die forcierte Zeitersparnis durch den Weg-
fall der Anreise der Beteiligten und die daraus resultie-
rende Flexibilität. Wenn durch moderne Technik erreicht
werden kann, dass ein Verfahren beschleunigt wird,
sprechen wir hier von einer guten Serviceleistung sei-
tens der deutschen Gerichte, die dieser Zeit absolut an-
gemessen ist.

Dennoch gibt es bei dem Gesetzentwurf einen Casus
knaxus. Man sollte den verstärkten Einsatz von Video-
konferenzen unbedingt nach Verfahrensarten abstufen.
Zu Protokoll
Das größte Problem sehe ich hier bei der Regelung in
der Strafprozessordnung und im Strafvollzugsgesetz.
Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Hauptverhand-
lung muss als fundamentales Recht um jeden Preis er-
halten bleiben. Es reicht nicht, wenn das Gericht allein
die Anordnung trifft. Die Videokonferenz in der Verneh-
mung sollte nur mit dem Einverständnis des Beschuldig-
ten und in Rücksprache mit seinem Verteidiger erfolgen.
Dies ist in Bezug auf die Unmittelbarkeit und Mündlich-
keit der Beweisaufnahme unabdingbar. Man sollte nicht
unterschätzen, wie wichtig es für die Prognose des Rich-
ters ist, dass der Beschuldigte sich persönlich und un-
mittelbar äußern kann. „Face to face“ werden Aspekte
wie das Verhalten, Erscheinungsbild und die Körper-
sprache des Angehörten anders wahrgenommen, als
wenn dieser in einer unnatürlichen Umgebung sitzt,
vielleicht noch sehr nervös vor der Kamera. Warum also
die Urteilsfindung des Richters erschweren, wenn es zu-
dem noch in die Rechte des Beschuldigten eingreift? So
sehr ich auch ein Befürworter der modernen Technik
bin, so sehr müssen wir doch darauf achten, dass wir mit
ihrem Einsatz keine rechtsstaatlichen Prinzipien torpe-
dieren.

Sehr gut ist es hingegen, den Einsatz der Technik ins
freie Ermessen der Gerichte zu stellen. So ist von einem
verstärkten Einsatz der Technik auszugehen, ohne dass
sich Gerichte gezwungen sehen, nicht auf herkömmliche
Art verfahren zu können, vor allem in den Fällen, in de-
nen eine Videokonferenz nicht angemessen ist.

Was die Aufzeichnung der Videokonferenzen betrifft,
so sehe ich jedoch nichts, was grundsätzlich dagegen
spricht. Die obligatorische Aufzeichnung bedeutet nur
einen geringen Arbeits- und zusätzlichen Kostenauf-
wand. Es wäre ein unglaublicher Fortschritt in gericht-
lichen Anhörungen, wenn man sich auf das unver-
fälschte Zeugnis einer dokumentierten Aussage berufen
könnte. Es wäre ein Fundament für Kontrolle und
Selbstkontrolle, da nicht wie bisher durch langwierige
Recherche versucht werden müsste, Missverständnisse,
Suggestionen und Verzerrungen aufzudecken und zu be-
seitigen. Es wäre schnell, einfach und unmissverständ-
lich. Es wäre ohne Fehler im Protokoll und großen In-
terpretationsspielraum nachzuvollziehen, wie eine
Aussage zustande gekommen ist. Es wäre ein neues Ka-
pitel der Glaubhaftigkeitsprüfung, welches ich sehr be-
fürworten würde. Ich sehe darin einen wesentlichen Ge-
winn für die Richtigkeit des Urteils.

Die Aufzeichnung würde sich auch bei staatsanwalt-
schaftlichen und polizeilichen Anhörungen anbieten.
Gegebenenfalls kann man sie danach wieder löschen
oder nur beschränkt zugänglich machen, zum Beispiel,
um eine Unterscheidung von öffentlichen und nicht öf-
fentlichen Anhörungen vorzunehmen. Aber im Allgemei-
nen denke ich, wenn die Aufzeichnung, und sei es nur die
Tonaufzeichnung der Anhörung, Bestandteil von Ver-
handlungsakten wäre, so würde dem Prinzip der Wahr-
heitsfindung ein großer Gefallen getan.

Es wäre ein bedeutender Vorteil für die gerichtliche
Praxis, den wir unbedingt unterstützen sollten. Der Ein-
satz moderner Kommunikationsmittel in deutschen Ge-



gegebene Reden

Christine Lambrecht


(A) (C)



(D)(B)

richten ist ein technischer Fortschritt, den es zu fördern
gilt. Die Anschaffungskosten sind gering im Vergleich zu
der Ersparnis, die durch den Wegfall der Reisetätigkeit
der Beteiligten zu erwarten ist. Es ist eine Investition in
die Zukunft, die sich lohnt. Zeit und Geld zu sparen bei
sämtlichen Gerichtsverfahren, das freut auch den Steu-
erzahler.

Ich halte die Nutzung von Videokonferenztechnik
auch im Strafverfahren für sinnvoll, wenn es einem Op-
fer erspart, seinem Peiniger gegenübertreten zu müssen
oder im Einzelfall der Sicherheitsaufwand für einen Ge-
fangenentransport eingespart werden kann. Da handeln
wir absolut im Interesse der Bürger. Diese Ersparnis,
und so sollte es auch aus dem Gesetz hervorgehen, darf
nur nicht zum Leidwesen eines essenziellen Rechts-
grundsatzes geschehen.


Jens Petermann (Plos):
Rede ID: ID1709627500

Der Gesetzentwurf des Bundesrates zum intensiven

Einsatz von Videokonferenztechnik ist leider unausge-
goren und nicht bis zum Ende durchdacht.

Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist bereits seit
1998 bzw. 2004 für bestimmte Verfahren vorgesehen,
soll aber nun aufgrund der sehr seltenen Nutzung ge-
setzlich ausgebaut und gefördert werden. Neu ist die
Ausweitung des Einsatzes von Videotechnik auf Verfah-
ren nach der Strafprozessordnung. Dieser Ausbau darf
auf keinen Fall zulasten der Unmittelbarkeit der Verfah-
ren gehen oder zur Beschneidung von Beschuldigten-
rechten führen. Im vorliegenden Entwurf ist das aber der
Fall, da vorgesehen ist, die fakultative videogestützte
Anhörung auch ohne Einverständnis des Betroffenen an-
zuordnen.

Die Verfasser des Entwurfs preisen natürlich die Vor-
teile des vermehrten Einsatzes von Videokonferenztech-
nik an. Dazu zählen eine Verringerung der Reisetätigkeit
und damit die Einsparung von Reisekosten, aber auch
eine angebliche Verfahrensbeschleunigung. Damit pro-
phezeit der Bundesrat, dass beim Einsatz von Videotech-
nik ein Prozess kostengünstiger gestaltet wird. Diese
Schlussfolgerung bezweifle ich sehr.

Wie sieht denn die Kehrseite der Medaille aus? Je Vi-
deokonferenzanlage werden die Kosten auf 5 000 bis
12 000 Euro geschätzt, hinzu kommen noch die Kosten
für die Bereitstellung von Leitungen und Anschlüssen.
Die Einrichtung soll aus dem Etat der Justizverwaltun-
gen gezahlt werden, ohne dass diesen dafür zusätzliche
Mittel im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt werden.
Diese Vorgehensweise halte ich vor dem Hintergrund
der leider immer noch nicht befriedigenden Sach- und
Personalausstattung vieler Gerichte für verfehlt. Meine
Thüringer Richterkolleginnen und Richterkollegen be-
richten mir nach wie vor über Personalmangel, erneue-
rungsbedürftige technische Ausstattung und Platzman-
gel in Justizgebäuden. Von daher ist es nicht
nachvollziehbar, dass nun der Einsatz von teurer Video-
technik forciert werden soll –, dies zulasten der eben ge-
nannten Problemfelder. Bevor moderne Übertragungs-
technik in baufällige Gerichtssäle eingebaut wird,
Zu Protokoll
sollten die vorhandenen Gelder in die Sanierung, die
Sach- und Personalausstattung gesteckt werden.

Die Verfasser sehen für dieses Serviceangebot der
kundenorientierten Justiz eine Gebühr von pauschal
15 Euro je Verfahren und je angefangene halbe Stunde
des Einsatzes vor. Damit sollen lediglich die anfallenden
Betriebs-, Verbindungs- und zusätzlichen Personalkos-
ten abgedeckt werden.

Die Linke sagt: Dieser Service darf nicht zulasten der
ohnehin schon zusammengesparten Justiz und der Geld-
börse der rechtsschutzsuchenden Bürgerinnen und Bür-
ger gehen. Wenn man eine solche moderne Kommunika-
tionsart in Gerichtsverfahren einführen will, müssen die
dafür benötigten Mittel zusätzlich durch den Bund oder
die Länder bereitgestellt werden, und zwar ohne den so-
wieso schon knappen Justizetat zu belasten.

Abgesehen von der Finanzierung begegnen dem Ge-
setzentwurf auch inhaltliche Bedenken:

Die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, wo-
nach Dolmetscherleistungen per Video in den Sitzungs-
saal übertragen werden sollen, halte ich für wenig ziel-
führend. So übersetzt der Dolmetscher regelmäßig nicht
nur für das Gericht selbst, sondern auch die vertrauli-
chen Gespräche der Prozessparteien mit deren Anwäl-
ten. Das Problem mit Dolmetschern liegt meist nicht da-
rin, sie in den Verhandlungssaal zu laden, sondern
überhaupt einen Dolmetscher zu finden. Daran ändert
auch der Einsatz von Videotechnik nichts.

Die Änderung der Strafprozessordnung eröffnet der
Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten die
Möglichkeit, einen Zeugen außerhalb der Hauptver-
handlung durch Videoübertragung zu vernehmen. Bei
der Vernehmung eines Zeugen kommt aber besonders
der persönlich-wahrhaftige Eindruck für die Ermittlung
der Glaubwürdigkeit und des Beweiswertes zum Tragen.
Dies ist Ausdruck der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit
der Beweisaufnahme im Strafrecht. Eine Bild-Ton-Über-
tragung steht einer persönlichen Vernehmung eines Zeu-
gen an Erkenntnisgewinn also nach und durchbricht den
Unmittelbarkeitsgrundsatz. Sogar die Bundesregierung
bemängelt, dass in manchen Fällen ein höchstpersönli-
cher Eindruck von Zeugen oder Angeklagten erforder-
lich ist, dieser jedoch durch Videoübertragung nicht er-
setzt werden kann. Wenn man die Videovernehmung
gleichberechtigt neben der persönlichen Vernehmung
ansiedelt, wird die Ausnahme zur Regel und bedeutet
das Ende der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung. Mit
der Linken ist ein verstärkter Einsatz von Videokonfe-
renztechnik nur zu machen, wenn die Rechte der Pro-
zessbeteiligten nicht abgewertet werden und die Finan-
zierung nicht auf Kosten des ohnehin schon zu niedrigen
Justizetats realisiert wird. Der Entwurf muss dahin ge-
hend dringend nachgebessert werden.


Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709627600

Als die großen Prozessordnungen in Deutschland ent-

wickelt wurden, gab es keine Möglichkeiten, mithilfe von
Ton- und Bildtechnik Prozesse sozusagen zur gleichen
Zeit an verschiedenen Orten stattfinden zu lassen oder



gegebene Reden

Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)

Prozessteile zeitlich gestaffelt aufzunehmen und später
in die Prozesse einzuspielen. Seit Jahren schon halten
die neuen Ton- und Bildtechniken Einzug in die deut-
schen Gerichtssäle. Da, wo sie wirklich nur der Res-
sourcenersparnis und Bequemlichkeit dienen, ist ihr
Einsatz sinnvoll und zu begrüßen. Dies trifft ferner auch
da zu, wo schon bisher die Anwesenheit von Verfahrens-
beteiligten nicht vorgeschrieben war und jetzt ihre Mit-
wirkung zumindest über eine Zuschaltung in Ton und
Bild ermöglicht wird.

Aber es ist offensichtlich, dass der Einsatz solcher
Techniken Gefahren in sich birgt und die Voraussetzun-
gen und die Strukturen der Prozesse verändern kann. Zu
einer rechtsstaatlichen Justiz gehören ein fairer Prozess
und eine objektive Wahrheitsfindung. Prozessordnungen
tarieren immer die gegensätzlichen Interessen von
Grundrechtsträgern aus, dies macht im Kern einen fai-
ren Prozess aus, dessen Grundpfeiler verfassungsrecht-
lich geschützt sind.

Für gerichtliche Verhandlungen gelten die rechts-
staatlichen Verfahrensgrundsätze der Mündlichkeit, der
Öffentlichkeit, der Unmittelbarkeit und nicht zuletzt des
rechtlichen Gehörs. Alle diese Grundsätze können ten-
denziell mit dem Einsatz von Ton- und Bildtechniken kol-
lidieren, wenn sich nicht alle Verfahrensbeteiligten zur
gleichen Zeit am gleichen Ort – nämlich im Gerichts-
saal – befinden. Deshalb sind Bild- und Tontechniken
bisher immer nur als Ausnahme dann zum Einsatz ge-
kommen, wenn sie im Einzelfall vorrangige Rechte von
Verfahrensbeteiligten schützen können. Hier sind vor al-
lem Opferschutzrechte zu nennen.

Deshalb bedarf der Einsatz solcher Techniken, hier
der Videokonferenztechnik, einer sorgfältigen Prüfung
auf mögliche Auswirkungen auf das Recht des rechtli-
chen Gehörs und die verfassungsfesten Maximen eines
fairen Verfahrens. Besonders ist darauf zu achten, dass
im Strafprozess die Rechte des Beschuldigten und der
Verteidigung nicht auf der Strecke bleiben.

Bisher sind Ton- und Bildzuschaltungen schon in
mindestens zwei Gesetzen eingeführt worden. Mit dem
Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 wurde die Mög-
lichkeit eröffnet, in der Hauptverhandlung die Verneh-
mung eines Zeugen aus einem anderen Raum in den Ge-
richtssaal mithilfe von Videotechnik zu übertragen.
Damals hat der „im Interesse einer wirksamen Bekämp-
fung moderner Kriminalitätsformen erforderliche Zeu-
genschutz“ Vorrang vor der Anwesenheit des in der
Hauptverhandlung zu hörenden Zeugen erhalten. Seit
2002 sieht die Zivilprozessordnung, allerdings nur mit
Zustimmung aller Beteiligten, die Möglichkeit vor,
Videokonferenzen im Zivilprozess einzusetzen. Damit ist
ein notwendiger Beitrag zur Modernisierung der Justiz
geleistet worden, ohne in Rechte der Beteiligten einzu-
greifen.

Der vorliegende Gesetzentwurf – übrigens eine Neu-
auflage einer ursprünglich hessischen Initiative aus dem
Jahr 2007, die seinerzeit dem Bundestag zwar zugelei-
tet, aber nicht zu Ende beraten wurde – sieht unter
Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes eine
Abwesenheit von Beteiligten bei gleichzeitiger Zuschal-
Zu Protokoll
tung über Ton- und Bildtechniken in zahlreichen Fällen
vor: Dolmetscher sollen bei Verhandlungen, Anhörun-
gen oder Vernehmungen zugeschaltet werden können

(§ 185 GVG); Parteien, ihre Bevollmächtigten und Bei-

stände sollen sich an einem anderen Ort aufhalten und

(§ 128 a ZPO)

den können (§ 58 b StPO); auch bei Abwesenheit des

(§ 118 a Abs. 2 Satz 2 StPO)

nen (§ 163 a Abs. 1 Satz 1 StPO); auch bei Abwesenheit
des Angeklagten soll dieser über die Anklage vernom-
men (§ 233 Abs. 2 StPO) und bei Abwesenheit des Sach-
verständigen (§ 247 a Abs. 2 StPO) soll dieser vernom-
men werden können; in Abwesenheit des Verurteilten
kann über eine Bewährungsentlassung oder weitere Inhaf-
tierung entschieden werden (§ 115 StVollZG).

Ich will aus Zeitgründen heute nur zu den Vorschlä-
gen in der ZPO und in der StPO Stellung nehmen. Schon
heute ist im Einverständnis der Beteiligten im Zivilpro-
zess der Einsatz von Videotechnik möglich. Eine Auswei-
tung erscheint möglich, wenn Parteien dies für sich be-
antragen und damit auf ihre Anwesenheit bei Gericht
verzichten. Bei der Zeugenvernehmung sollten aber wie
bisher alle Verfahrensbeteiligten ihr Einverständnis er-
klären müssen. Im Strafverfahren mitsamt der Strafvoll-
streckung ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit tra-
gend. Das Gericht kann sich bei physischer Anwesenheit
von Beschuldigten und Zeugen ein Bild von den Perso-
nen und ihrer Glaubwürdigkeit machen. Der Beschul-
digte kann als physisch Anwesender eindeutig besser
seine Argumente zu Gehör bringen. Das Recht auf recht-
liches Gehör ist ein Grund- und Menschenrecht.

Von diesen Grundüberlegungen ausgehend können
wir alle Änderungen im Ermittlungs- wie im Vollstre-
ckungsverfahren begrüßen, die das Recht auf rechtliches
Gehör ausweiten. Allerdings wird sorgfältig zu prüfen
sein, inwieweit der Einsatz der Videotechnik von einer
Ausnahme zu einer Regel mutieren könnte. Der beste
Schutz davor ist die erforderliche Zustimmung des Be-
schuldigten zu einem solchen Verfahren. Dies gilt beson-
ders für die Bewährungsentscheidungen im Strafvollzug.
Die Anhörung durch das Gericht wird für eine richtige
Entscheidung meist eine zwingende Voraussetzung sein.
Wo das Gericht eine mündliche Anhörung für notwendig
hält, kann der Einsatz einer Ton- und Bildübertragung
nur mit Zustimmung des Verurteilten erfolgen. Abzuleh-
nen ist der Einsatz der Videotechnik beim Einsatz von
Dolmetschern und der Anhörung von Sachverständigen
und Zeugen. Die Nachteile einer solchen Regelung über-
wiegen bei Weitem die möglichen Vorteile.

Der hessische Justizminister Banzer von der CDU,
auf dessen Initiative der Entwurf 2007 ja zurückging,
sah die Vorteile der Videokonferenztechnik vor allem „in
der Zeitersparnis“ für die Beteiligten und das Gericht.
Die Terminierung werde erleichtert, Verfahren könnten
beschleunigt werden. Durch die eingesparten Reisekos-
ten und den reduzierten Zeitaufwand würden gerichtli-
che Verfahren insgesamt „kostengünstiger“. Das ist die
eigentliche Absicht des vorliegenden Gesetzentwurfs
und das kommt auch in seiner Begründung zum Aus-



gegebene Reden

Jerzy Montag


(A) (C)



(D)(B)

druck. Ich will nicht missverstanden werden: Gegen eine
Verfahrensbeschleunigung als solche haben wir gar
nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil: Der Europäi-
sche Gerichtshof für Menschenrechte hat ja bereits
vielfach einen effektiven Rechtsschutz gegen überlange
Verfahren von Deutschland eingefordert. Aber Verfah-
rensbeschleunigung ist nun mal kein Selbstzweck und
darf keinesfalls dazu führen, dass rechtsstaatliche Ga-
rantien geopfert werden.

Der Gesetzentwurf enthält schließlich, rechtstech-
nisch völlig verunglückt, eine Ermächtigung für die
Bundesländer, Zeitpunkt und Ausmaß des Einsatzes der
Ton- und Bildübermittlung in allen Prozessordnungen
einzusetzen. Die Bundesregierung benennt diesen Vor-
schlag klar, deutlich und richtig als ein Verbot des Ein-
satzes dieser Techniken mit einem Erlaubnisvorbehalt.
Ich füge hinzu: Dies ist ein Erlaubnisvorbehalt nach
Kassenlage und eine Verschlechterung der bisherigen
Rechtslage, die von den Bundesländern die Einführung
dieser Technik in bestimmten Fällen zwingend verlangt.
Verdeutlichen wir uns, dass der Einsatz der Ton- und
Bildübermittlung mit dem Gedanken des Opferschutzes
begründet ist, dann wird deutlich, dass der Gesetzesvor-
schlag des Bundesrates auch gegen den bisher schon er-
reichten Opferschutz gerichtet ist.

Ich darf zusammenfassen: Die rechtsstaatlichen
Grundsätze der deutschen Prozessordnungen dürfen
durch den Einsatz der Ton- und Bildübertragung nicht
ausgehebelt werden. Es ist zu begrüßen, wenn der Ein-
satz dieser Technik in Einzelfällen das Recht auf rechtli-
ches Gehör stärkt und zu einem Erkenntniszugewinn
beim Gericht führt. Es ist nicht angebracht, Sachver-
ständige und Zeugen über Ton- und Bildtechniken zu be-
fragen und Dolmetscher über diese Technik zuzuschal-
ten. Wir dürfen rechtsstaatliche Standards unserer
Prozessordnungen nicht unter einen Finanzierungsvor-
behalt stellen und den erreichten Stand des Einsatzes
der Videotechnik zum Schutz von Opfern nicht aus finan-
ziellen Gründen zurückfahren. Und schließlich: Wir
sollten ernsthaft darüber nachdenken, die modernen
Techniken in unseren Prozessordnungen umfassend zu
Dokumentationszwecken einzusetzen.

D
Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1709627700


Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Ge-
setz zur Reform des Zivilprozesses wurde die Videokon-
ferenz in den Zivilprozess eingeführt. Sie baute die
Möglichkeiten des Einsatzes moderner Kommunikati-
onsmittel weiter aus, indem bei Einvernehmen aller Be-
teiligten Verfahrensbeteiligte an der mündlichen Ver-
handlung im Wege einer Videokonferenz teilnehmen
können. Im Strafverfahrensrecht wurden die rechtlichen
Möglichkeiten zum Einsatz der Videokonferenztechnik in
den letzten Jahren fortlaufend ausgebaut.

Die Videokonferenztechnik ist heute – fast zehn Jahre
später – in vielen Gerichten und Anwaltskanzleien tech-
nisch verfügbar, führt aber oft nur ein Schattendasein.
Sie sollte nach Auffassung der Bundesregierung häufi-
ger eingesetzt werden. Dadurch könnten den Beteiligten
Zu Protokoll
aufwendige und zeitintensive Anreisen erspart werden.
Dies kommt nicht nur den Bürgern entgegen, sondern
hilft auch, das Verfahren schneller und kostengünstiger
zu machen.

Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Gesetzent-
wurf des Bundesrates im Grundsatz. Der Entwurf baut
einige rechtliche Hürden für den Einsatz der Videokon-
ferenztechnik ab: Künftig soll im Zivilprozess der Ein-
satz der Videokonferenztechnik in der mündlichen Ver-
handlung und bei der Beweisaufnahme im Ermessen des
Gerichts stehen und nicht mehr vom Einverständnis der
Parteien abhängen. Im Falle der Gefahr eines zukünfti-
gen Beweisverlustes soll das Gericht die Aufzeichnung
anordnen können. Im Bereich des Strafverfahrensrechts
soll nach dem Entwurf das Ziel der Verfahrensbeschleu-
nigung und der Steigerung der Verfahrensökonomie ins-
besondere dadurch erreicht werden, dass unter bestimm-
ten Voraussetzungen Vernehmungen oder Anhörungen
von Verfahrensbeteiligten und Zeugen unter Verzicht auf
deren persönliche Anwesenheit erfolgen können.

Es soll unter anderem ein entsprechender Einsatz der
Videokonferenztechnik für die Vernehmung eines Zeugen
außerhalb der Hauptverhandlung nach § 58 b StPO-E
zum Beispiel zur Verhinderung des zeitaufwendigen Ver-
sandes von Verfahrensakten mit Vernehmungsersuchen
an ferne Polizeidienststellen möglich sein. Auch im Zu-
sammenhang mit der mündlichen Haftprüfung soll der
Einsatz von Videokonferenztechnik nach § 118 a Abs. 2
Satz 2 StPO-E ermöglichen, dass der Beschuldigte in
den Fällen, in denen das Gericht wegen Krankheit oder
anderer nicht zu beseitigender Hindernisse nach bishe-
riger Rechtslage auf dessen Vorführung verzichtet hat,
nunmehr an der Haftprüfung per Videokonferenz teil-
nehmen kann. Im Bereich der Strafvollstreckung soll
durch den vermehrten Einsatz von Videokonferenztech-
nik den Strafvollstreckungskammern eine erhebliche
Verfahrenserleichterung dadurch zuteilwerden, dass die
persönliche Anwesenheit des Verurteilten zum Beispiel
bei der Anhörung im Rahmen der Entscheidung einer
Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nicht mehr
stets erforderlich ist. Die Bundesregierung kann aber
den Vorschlägen des Bundesrates nicht uneingeschränkt
zustimmen.

Die Videokonferenztechnik wird bereits jetzt im Be-
reich des Strafverfahrensrechts eingesetzt. So dürfen die
Staatsanwaltschaft und die Polizei Vernehmungen von
Beschuldigten und Zeugen schon nach der bestehenden
Gesetzeslage per Videokonferenztechnik vornehmen,
ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen Regelung be-
dürfte. Denn der die gerichtlichen Verhandlungen be-
herrschende Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt hier nicht.
Die gesetzliche Verankerung des Einsatzes der Video-
konferenztechnik für gerichtliche Vernehmungen und
Anhörungen, unter anderem in § 58 b StPO-E, ist daher
grundsätzlich zu begrüßen. Für den Bereich der polizei-
lichen Zeugenvernehmung bedeutet die beabsichtigte
Regelung des § 58 b StPO-E hingegen eine Einschrän-
kung der bislang möglichen Anwendung der Videokonfe-
renztechnik. Denn die Vorschrift würde für die polizeili-
che Zeugenvernehmung mangels Verweisung in der für
sie ausschlaggebenden Regelung des § 163 Abs. 3 StPO



gegebene Reden





Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler


(A) (C)



(D)(B)

nicht gelten und damit den Umkehrschluss nahelegen,
dass die Videokonferenztechnik bei der polizeilichen
Zeugenvernehmung nicht zulässig ist. Das ist kontrapro-
duktiv. Die bereits bestehenden Möglichkeiten, die Video-
konferenztechnik im Bereich der staatsanwaltschaftli-
chen und polizeilichen Vernehmungen einzusetzen,
sollten nicht beschränkt werden. Dies muss aus Sicht der
Bundesregierung durch sprachliche Änderungen im Ge-
setzentwurf noch sichergestellt werden.

Aus strafprozessualer Sicht muss darüber hinaus wei-
terhin gewährleistet sein, dass das Gericht beim Einsatz
der Videokonferenztechnik die tragenden und bewährten
Grundsätze des Strafverfahrens, insbesondere den
Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, so-
wie die berechtigten Interessen aller Verfahrensbeteilig-
ten miteinander abwägen und zu einem Ausgleich
bringen kann, ohne dass von vornherein ein Abwä-
gungsvorrang festgelegt würde. Es muss vermieden wer-
den, dass durch den Gesetzentwurf Widersprüche zu den
bereits vorhandenen Regelungen über den Einsatz von
Videokonferenztechnik, der vor allem zum Schutz des
Opfers bereits geltendes Recht ist, entstehen. Schließlich
muss insbesondere vermieden werden, dass durch eine
Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der
Beweisaufnahme dem erkennenden Gericht die Mög-
lichkeit genommen wird, sich einen ganz persönlichen
Eindruck von dem Zeugen oder dem Angeklagten zu ma-
chen.

Gerade und in besonderem Maße bei der Anhörung
des Verurteilten im Strafvollstreckungsrecht spielt der
persönliche Eindruck eine wesentliche Rolle. Wenn das
Gericht den Verurteilten vor seiner Entscheidung, ob die
Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, an-
hört, gewährt es ihm damit nicht nur rechtliches Gehör.
Es verschafft sich, was mindestens ebenso wichtig ist,
durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Verurteilten
einen höchstpersönlichen Eindruck von ihm. Es ist da-
her von wesentlicher Bedeutung, dass dieser Zweck bei
den Vorschlägen zur Einführung der Videokonferenz-
technik in den Fällen der §§ 453, 454 StPO-E nicht aus
dem Blick gerät.

Zum Schluss möchte ich auf einen weiteren problema-
tischen Punkt im Entwurf hinweisen. Die Nutzung der
Videokonferenztechnik sollte nicht davon abhängen,
dass die Länder sie durch eine Rechtsverordnung – wo-
möglich für jedes einzelne Gericht gesondert – zulassen.
Das in Art. 9 des Entwurfes stehende grundsätzliche
„Verbot mit Zulassungsvorbehalt“ wäre ein Rückschritt
gegenüber der heutigen Rechtslage, die den Einsatz von
Videotechnik generell zulässt. Die Regelung steht dem
Ziel des Entwurfes, den Einsatz der Videotechnik zu för-
dern, entgegen.

Die Regelung ist auch nicht zum Schutz der Landes-
justizhaushalte vor unkalkulierbaren Kosten notwendig.
Im Zivilprozess ist schon jetzt klar, dass die Beteiligten
den Einsatz von Videotechnik nicht beanspruchen kön-
nen. Im Strafprozess hat dagegen der Bundesgerichtshof
schon entschieden, dass die Justizverwaltungen ver-
pflichtet sind, es zu ermöglichen, dass ein Zeuge per Vi-
deokonferenz vernommen wird, wenn es anders nicht
geht. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, in den
noch offenen Fragen des Entwurfs in den jetzt anstehen-
den Beratungen des Deutschen Bundestages zufrieden-
stellende Lösungen zu finden, damit die Videokonferenz
in der gerichtlichen Praxis künftig eine größere Bedeu-
tung erlangt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709627800

Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf

Drucksache 17/1224 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind nicht da-
gegen. Deswegen ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Holger Ortel,
Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Die Reform der Gemeinsamen Fischereipoli-
tik zum Erfolg führen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Behm, Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth

(Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Chancen der EU-Fischereireform 2013 nut-
zen und Gemeinsame Fischereipolitik
grundlegend reformieren

– Drucksachen 17/3179, 17/3209, 17/3957 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Gitta Connemann
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen und Kollegen Connemann, Ortel, Happach-
Kasan, Tackmann und Behm.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/3957.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/3179. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung wurde angenommen bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen; SPD
und Linke haben dagegen gestimmt.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/3209. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men. Dafür haben die Koalitionsfraktionen und die SPD

1) Anlage 14





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen ge-
stimmt, die Linke hat sich enthalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel-
gesetzbuches sowie anderer Vorschriften

– Drucksache 17/4984 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit

Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen und Kollegen Holzenkamp, Tack, Happach-
Kasan, Binder und Höfken.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1709627900

Im vergangenen Jahr, genauer am 21. Dezember,

drangen erste Meldungen über erhöhte Dioxinbelastun-
gen von Futtermitteln an die Öffentlichkeit. Am 14. Ja-
nuar – nur 24 Tage später – stellte Bundesagrarministe-
rin Ilse Aigner ihren Aktionsplan zur Sicherheit in der
Futtermittelkette vor. Wiederum nur 19 Tage später, am
2. Februar, billigte das Kabinett mit den Änderungen
zum Lebens- und Futtermittelgesetzbuch erste gesetz-
liche Umsetzungen einzelner Punkte des Aktionsplans.
Das sind nicht einmal anderthalb Monate nach den ers-
ten Dioxinmeldungen. Ich wiederhole: anderthalb Mo-
nate. Wer den zähen, langen Fluss der Gesetzgebung
kennt, der weiß was dieser Zeitraum bedeutet.

Und was kam in dieser Zeit von der Opposition? Wie-
der einmal nur die übliche Phrasendrescherei, Hysterie
und Angstmacherei. Sie haben Ministerin Aigner Untä-
tigkeit und Überforderung vorgeworfen. Welch ein
Quatsch! Denn die Fakten sprechen eine völlig andere
Sprache: CDU/CSU und FDP haben besonnen reagiert.
CDU/CSU und FDP haben schnell reagiert.

Nun mag der eine oder andere sagen, er höre hier mal
wieder das übliche Selbstlob der Regierung. Dem sei die
Aussage der EU-Kommission entgegengehalten. Diese
sagte Mitte Februar sinngemäß, Deutschland habe in
der Dioxinkrise höchst effizient gehandelt. Also, ein di-
ckeres Lob für das Krisenmanagement der Bundesregie-
rung kann ich mir kaum vorstellen.

Bevor ich zu der heute in erster Lesung beratenen No-
velle des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches komme,
lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Dioxinvor-
fällen sagen. Ich denke, das ist – auch wenn wir darüber
schon debattiert haben – bitter nötig. Die Rolle, die die
Opposition und ein Teil der Medien hier gespielt haben,
war höchst verantwortungslos. Anstatt zur sachlich-
fachlichen Aufklärung beizutragen, überschlug man sich
in immer hysterischeren Überschriften. Und während
der Agrarausschuss des Deutschen Bundestages die
Vorfälle um das dioxinverschmutzte Futtermittel disku-
tierte, hatte die Opposition nichts Besseres zu tun, als
den Sitzungssaal zu verlassen und der Presse angebliche
neue Skandale in die Feder zu diktieren. Wir hätten uns
eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition
gewünscht. Doch von dieser kam, wie so häufig in der
Vergangenheit, nur ein destruktives Skandalisieren, und
das alles zulasten der Verbraucher. Der Opposition
scheint nichts am aufgeklärten, mündigen Verbraucher
zu liegen. Nein, der Verbraucher muss Angst haben.
Dann kann man eigene politische Ziele am besten um-
setzen.

Dabei wurde dann natürlich geflissentlich übergan-
gen, dass wir in den letzten Jahren auch verschiedene
Dioxinskandale bei Bioprodukten hatten. Dabei wurde
dann auch geflissentlich übergangen, dass das Bundes-
institut für Risikobewertung die wenigen geringen
Höchstmengenüberschreitungen von Dioxin in Lebens-
mitteln als für den Verbraucher völlig ungefährlich ein-
gestuft hat. Und dabei wurde ebenso übergangen, dass
die Dioxinbelastung der Menschen in Deutschland – gut
zu messen zum Beispiel am Dioxingehalt in der Mutter-
milch – seit 1990 kontinuierlich zurückgegangen und
heute auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzenten liegt.
Die Opposition betreibt politischen Missbrauch auf dem
Rücken der Verbraucher mit dem Ziel, ihre sogenannte
ökologische Agrarwende zu erreichen.

Die Wirklichkeit sieht aber gänzlich anders aus:
Diese von Ihnen angestrebte Ökologisierung der Land-
wirtschaft verteuert Lebensmittel erheblich. Eben in die-
ser Diskussion offenbaren Sie, wie unsozial Grüne, SPD
und Linke eigentlich sind. De facto ist es doch so: Die
moderne arbeitsteilige und intensive Landwirtschaft ist
dafür verantwortlich, dass die Menschen heute nur
11 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben
müssen. Die moderne Landwirtschaft ist unter anderem
dafür verantwortlich, dass die Lebensmittel heute quali-
tativ so hochwertig sind wie nie zuvor.

Die moderne Landwirtschaft produziert für die Ver-
braucher Lebensmittel gut und preiswert. Das nenne ich
wirklich nachhaltig. Verschonen Sie uns also bitte mit
Ihrem Gerede von der Agrarwende.

Niemand will die Situation schönreden. Es hat die
Verunreinigung des Futtermittels mit Dioxin gegeben.
Aber warum war das so? Wir haben es hier mit kriminel-
len Machenschaften Einzelner zu tun. Es geht um indivi-
duelles Versagen, mit erheblichen finanziellen Auswir-
kungen auf viele Tausend ehrlich wirtschaftende
bäuerliche Familien.

Die negative Entwicklung der bäuerlichen Einkom-
men als Folge der Dioxinpanscherei lässt sich schon an
den Schlachtpreisnotierungen für Schweine in den ver-
gangenen Wochen ablesen. Gesperrte Höfe, gesperrte
deutsche Exporte in Drittländer für Schweine- und Ge-
flügelfleisch sprechen eine deutliche Sprache. Hier zeigt
sich, was von der von der Opposition propagierten öko-
logischen Systemwende und den darin verborgenen An-
schuldigungen gegenüber dem modern wirtschaftenden
Bauernstand zu halten ist. Nichts! Die Landwirte und
ihre Familien sind Opfer von Kriminellen, nicht Täter.

Nein, wir brauchen keine Agrarrolle rückwärts. Die
Grundlage der Lebensmittelproduktion ist und bleibt die
intensiv und ertragreich wirtschaftende Landwirtschaft.
Wir müssen vorwärts schauen und vorwärts handeln.

Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)

Was wir, was die Bundesregierung und – das darf nicht
vergessen werden – was auch die EU plant, sind Maß-
nahmen, Schwachpunkte in der Futtermittelproduktion
so weit zu minimieren, dass in Zukunft die Schlupflöcher
für Betrüger noch kleiner werden.

Der erste Umsetzungsblock der Maßnahmen des Ak-
tionsplans der Bundesregierung und der Länder sind
Änderungen im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch.
Diese betreffen insbesondere die Punkte der Melde-
pflicht von privaten Laboren, wenn sie erhöhte Werte bei
ihren Untersuchungen von Futtermittelproben feststel-
len, sowie eine Meldepflicht von internen Untersuchun-
gen, bei denen erhöhte Werte festgestellt worden sind.

Wir wollen bei der Umsetzung der Maßnahmen des
Aktionsplanes eng mit allen beteiligten Fachkreisen zu-
sammenarbeiten, um die Effizienz der Maßnahmen so
weit wie möglich zu steigern, gleichzeitig aber ineffi-
ziente Reibungsverluste zu vermeiden. Deswegen haben
die Fraktionen von CDU/CSU und FDP beschlossen, zu
dem vorgelegten Gesetzentwurf eine öffentliche Anhö-
rung im Agrarausschuss durchzuführen. Danach werden
die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP entschei-
den, ob und, wenn ja, welche Änderungen am LFGB-
Vorschlag der Bundesregierung vorgenommen werden.


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1709628000

Neben den Anpassungen im Rahmen von bereits gel-

tenden EU-Verordnungen enthält der Entwurf aus aktu-
ellem Anlass des Dioxinskandals auch Regelungen, die
im gemeinsamen Aktionsplan des Bundes und der Län-
der „Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel,
Transparenz für den Verbraucher“ festgelegt wurden.
Dies ist zunächst grundsätzlich zu begrüßen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hatte umgehend Forde-
rungen für Konsequenzen aus dem Dioxinskandal erho-
ben und darin unter anderem die jetzt vorgeschriebene
Meldepflicht für private Untersuchungslabore gefordert.
Diese sollen jetzt laut Gesetzentwurf bedenkliche Men-
gen von gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen, die
sie in untersuchten Lebens- und Futtermitteln festge-
stellt haben, an die zuständigen Behörden melden. Wir
fordern, dass Untersuchungslabore und das Laborper-
sonal alle Ergebnisse von Lebensmittel- und Futter-
mitteluntersuchungen unmittelbar an die zuständigen
Überwachungsbehörden melden, das heißt, die Rege-
lung im Gesetzentwurf der Bundesregierung greift hier
zu kurz.

Die Verpflichtung von Lebens- und Futtermittelunter-
nehmen, Ergebnisse über Eigenkontrollen hinsichtlich
Dioxinen und Furanen sowie dioxinähnlichen und nicht-
dioxinähnlichen polychlorierten Biphenylen an die zu-
ständigen Behörden zu melden, ist ebenfalls ein Fort-
schritt. Allerdings muss hier noch eine strengere Kon-
trolle von Futterfetten vorgeschrieben werden, und die
Hersteller müssen verpflichtet werden, jede Charge be-
proben zu lassen. Die Futtermittelfette sind als Haupt-
eintragsquelle der fettlöslichen Dioxine besonders sen-
sibel und deshalb schärfer zu überwachen Auch muss
eine offene und vollständige Deklaration aller Futter-
mittelinhaltsstoffe umgesetzt werden. Damit wird dafür
Zu Protokoll
gesorgt, dass nur sichere Bestandteile in die Futtermit-
telkette gelangen.

Wir erwarten, dass die vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz an-
gekündigte Rechtsverordnung für die nicht erwünschten
Stoffe umgehend vorgelegt wird, und werden deren In-
halt kritisch überprüfen.

Die zuständigen Behörden der Länder sollen nach ei-
ner Rechtsverordnung die ihnen vorliegenden Untersu-
chungsergebnisse über Gehalte an gesundheitlich nicht
erwünschten Stoffen an das Bundesamt für Verbraucher-
schutz und Lebensmittelsicherheit melden. Das Bundes-
amt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
erstellt aus dem gemeinsamen Datenpool vierteljährlich
einen Bericht, sodass der Ausbau eines Frühwarnsys-
tems zu begrüßen ist.

Allerdings muss auch das Verbraucherinformations-
gesetz, VIG, unverzüglich novelliert und an die neuen
Anforderungen angepasst werden. Wir wollen, dass
sämtliche Untersuchungsergebnisse der betrieblichen
Eigenkontrollen sowie die staatlichen Untersuchungser-
gebnisse in einer Datenbank veröffentlicht werden. Dies
hat unabhängig davon zu geschehen, ob Grenzwerte ein-
gehalten oder unterschritten wurden.

Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in die
Lage versetzt werden, dioxin- oder anderweitig belastete
Lebensmittel auch unterhalb der erfassten und zulässi-
gen Grenzwerte zu meiden. Nach dem derzeitigen Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten mit Dioxin
belastete Lebensmittel unterhalb bestimmter Grenzwerte
als ungefährlich. Die Gifte reichern sich jedoch in der
Nahrungskette an und lagern sich im Fettgewebe ein.
Dioxine können vom Körper kaum abgebaut oder ausge-
schieden werden. Ziel muss es sein, die Belastung mit
Dioxin so weit wie möglich zu vermindern.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht
auf diese Informationen, die Novellierung des VIG muss
also schnellstens vorgelegt werden.

Die jetzt vorgesehenen Änderungen des Lebensmittel-
und Futtermittelgesetzbuches, LFGB, sind deswegen
nur ein Anfang der erforderlichen Konsequenzen aus
dem Dioxinskandal. Auch wenn die Bundesregierung
nicht für die Umsetzung aller Punkte des Aktionsplans
zuständig ist, muss Frau Aigner für eine zügigere Abar-
beitung sorgen und Maßnahmen bei den Ländern oder
auf der EU-Ebene einfordern. Die Bundesländer dürfen
sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen oder die im
Aktionsplan vereinbarten Maßnahmen verzögern.

Die Einrichtung der zentralen Informationsplattform
www.lebensmittelwarnung.de ist längst überfällig, Ver-
braucherinnen und Verbraucher müssen sich ausführ-
lich informieren können. Eine bundesweite und zeitnahe
Aufstellung über Rückrufaktionen, Warnungen, bean-
standete Produkte sowie deren Kennnummern und darü-
ber, welche Behörde verantwortlich ist, muss öffentlich
gemacht werden.

Andere dringende und angekündigte Regelungen feh-
len ebenfalls noch oder sind gar nicht vorgesehen. Die



gegebene Reden

Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)

Durchsetzung einer Positivliste für Futtermittelinhalts-
stoffe in Europa muss intensiviert werden; sollte es dort
Widerstände geben, muss es eine nationale Liste geben.
Einheitliche Kontrollstandards auf europäischer Ebene
müssen eingefordert werden. Eine Senkung der Grenz-
werte für Futtermittelausgangsstoffe muss ebenfalls ein-
gefordert werden. Ein funktionierendes Rückverfol-
gungssystem, ein bundesweit einheitliches Niveau der
Lebensmittelüberwachung oder neue Haftungsregeln
und Strafverschärfungen sind bisher nur angekündigt.
Ein Informantenschutz für Mitarbeiter und Beschäftigte,
die die zuständigen Behörden über Missstände bei ihren
Arbeitgebern informieren, ist von der Bundesregierung
gar nicht vorgesehen; deshalb wird die SPD-Bundes-
tagsfraktion dazu zeitnah ein eigenes Gesetz einbringen.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1709628100

Die Belastung von Lebens- und Futtermitteln durch

Dioxine, wie sie durch das augenscheinlich kriminelle
Handeln eines Fettmischbetriebes verursacht worden
sind, haben zu Beginn dieses Jahres für große Verunsi-
cherung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern
gesorgt. Viele landwirtschaftliche Betriebe sind existen-
ziell in Bedrängnis geraten. Sie sind die eigentlichen
Opfer. Zu keiner Zeit sind Menschen gefährdet worden.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat zu Recht
darauf hingewiesen, dass die bestehenden Grenzwerte
keine toxikologische Bedeutung haben. Sie verfolgen
das Ziel, den Gehalt unserer Lebens- und Futtermittel
an Dioxinen, die in unserer Umwelt nahezu überall vor-
handen sind, möglichst zu minimieren. Dies ist in den
letzten beiden Jahrzehnten gut gelungen, denn die Di-
oxinbelastung konnte durch technische Maßnahmen auf
ein Drittel abgesenkt werden.

Um solche Vorkommnisse wie zu Beginn dieses
Jahres zukünftig zu vermeiden, wurde am 18. Januar die
Gemeinsame Erklärung des Bundes und der Länder
„Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel,
Transparenz für den Verbraucher“ mit einem 14-Punkte-
Maßnahmenkatalog verabschiedet. Um die ersten Maß-
nahmen umzusetzen, hat das Ministerium jetzt in kurzer
Zeit einen Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, LFGB,
erarbeitet. Enthalten sind hier Vorschläge, wie die Ei-
genkontrollen bei Futtermittel- und Lebensmittelunter-
nehmen transparenter ausgestaltet werden können.

Für die FDP-Fraktion steht die Lebensmittelsicher-
heit an erster Stelle. Wir unterstützen die Ziele des Akti-
onsplans, die Kontrollen von Futter- und Lebensmitteln
noch effizienter und wirksamer zu gestalten. Wir haben
in Deutschland heute so sichere Lebensmittel wie nie zu-
vor. Dennoch gilt es, auch hier zu prüfen, ob die Qualität
und Dichte der Kontrollen im Hinblick auf die Risikopo-
tenziale ausreichend sind. Die Produzenten haben die
Verantwortung für ihre Produkte. Die große Mehrheit
der Produzenten nimmt diese Verantwortung sehr ernst.
Wir dürfen die Hersteller nicht durch staatlichen Aktio-
nismus aus der Eigenverantwortlichkeit für ihre
Produkte entlassen. Staatliche Kontrollen können Ei-
genverantwortung nicht ersetzen. Die Qualitätssiche-
rungssysteme der Lebens- und Futtermittelhersteller
Zu Protokoll
müssen gestärkt und transparenter ausgestaltet werden,
um frühzeitig mögliche Belastungen mit unerwünschten
Stoffen erkennen zu können. Nur so können potenzielle
Gefahren für den Verbraucher und die wirtschaftlichen
Folgen für Landwirte und Unternehmen so gering wie
möglich gehalten werden.

Der LFGB-Entwurf des Ministeriums sieht in § 44
eine Meldepflicht für private Laboratorien vor. Bei ver-
dächtigen Untersuchungsergebnissen von Lebens- oder
Futtermitteln sind die zuständigen Behörden unverzüg-
lich zu informieren. Weiterhin sollen Unternehmen aus
der Lebens- und Futtermittelbranche mittels des neuen
§ 44 a dazu verpflichtet werden, Ergebnisse aus internen
Eigenkontrollen über eine ganze Reihe von unerwünsch-
ten Stoffen an die zuständigen Behörden zu melden.
Nach Ansicht der betroffenen Wirtschaftsverbände und
der mit den Untersuchungen betrauten Laboratorien
stellt der Entwurf eine vollkommene Neuordnung der
bisherigen Rechtspraxis dar. Es werden teilweise pro-
blematische Auswirkungen auf die Praxis erwartet. Ver-
bände äußerten die Besorgnis, dass das Vertrauensver-
hältnis zwischen Laboratorien und Herstellern durch
die Auskunftspflicht nachhaltig gestört wird.

Wir nehmen diese Einwände sehr ernst. Wir sind al-
lerdings der Auffassung, dass zumeist zwischen Produ-
zenten und Laboratorien seit vielen Jahren enge ge-
schäftliche Verbindungen bestehen, die sich auch unter
neuem Recht vertrauensvoll weiterführen lassen.
Gleichzeitig handelt es sich bei den hier vorgeschlage-
nen Gesetzesänderungen jedoch um eine nationale Son-
derregelung im Bereich des Lebens- und Futtermittel-
rechtes. Die Gefahr einer Benachteiligung nationaler
Unternehmen und ein Ausweichen auf Laboratorien in
anderen EU-Staaten kann daher nicht ausgeschlossen
werden.

Die grundlegende Idee des neuen § 44 a, über die
Mitteilungspflicht von Untersuchungsergebnissen zu ge-
sundheitlich nicht erwünschten Stoffen eine bessere Da-
tengrundlage zu erhalten und mögliche Belastungsquel-
len besser abschätzen zu können, ist sinnvoll. Allerdings
werden hier ungefiltert riesige Datenmengen, die kein
statistisch abgesichertes Bild der Situation liefern kön-
nen, von nichtöffentlichen Stellen erhoben und beim
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit, BVL, gesammelt. Diese Daten stammen aus
sehr verschiedenen Quellen, haben unterschiedliche
Qualitäten und führen nach Ansicht der Verbände zu ei-
nem erheblichen bürokratischen Mehraufwand bei den
Unternehmen. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass ein
Bearbeiten der Daten, was Voraussetzung für deren
sinnvolle Nutzung ist, nur unter einem erheblichen per-
sonellen Mehraufwand durch die Behörden zu bewerk-
stelligen ist. Angesichts der Haushaltssituation und der
gegebenen hohen Lebensmittelsicherheit muss hinter-
fragt werden, ob dies zielführend ist.

Ein gut durchdachtes Vorbild stellt das Deutsche Le-
bensmittel-Monitoring dar, das 1995 eingeführt wurde.
In einem festgelegten Kontrollplan werden Daten zur
Belastung von Lebensmitteln, Kosmetika und Bedarfsge-
genständen erhoben. Grundlage ist ein repräsentativer



gegebene Reden

Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)

Warenkorb, der aufgrund einer Risikoabschätzung auf
unterschiedliche unerwünschte Stoffe wie Mykotoxine,
Schwermetalle, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln
und andere getestet wird. In der Allgemeinen Verwal-
tungsvorschrift Monitoring wird nach einem statistisch
validen Verfahren jeweils für fünf Jahre festgelegt, wel-
che Stichproben zu welchem Zeitpunkt gezogen werden
müssen und auf welche Stoffe dabei untersucht werden
soll. Jährlich werden 9 000 Untersuchungen bei Lebens-
mitteln auf die festgelegten Stoffe durchgeführt. Das
Beispiel des Lebensmittel-Monitorings zeigt: Nur wenn
solche Daten mit Sinn und Verstand erhoben werden,
können aus unserer Sicht nachvollziehbare, belastbare
Schlüsse gezogen werden.

Die Dioxinfunde am Anfang des Jahres, welche die
Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert haben,
erforderten schnelles und entschlossenes Handeln. Die
Koalition wird dafür Sorge tragen, dass die Maßnahmen
des 14-Punkte-Plans rasch umgesetzt werden können.
Dennoch darf die Gründlichkeit nicht der Schnelligkeit
geopfert werden. Deshalb werden wir einzelne De-
tailfragen in einer Anhörung mit Fachleuten erörtern.
Gemeinsam gilt es zu prüfen, wie eine Datenerhebung
aus Eigenkontrollen und unter Berücksichtigung der
Grundsätze des Datenschutzes effizient und zielgerichtet
vorgenommen werden kann.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709628200

Der Lobbyistenverband der Ernährungsindustrie, der

BLL, rühmt sich öffentlich damit, die Erstellung des hier
vorliegenden Gesetzentwurfes stark beeinflusst zu ha-
ben. Bei näherem Hinsehen wird auch klar, warum. Nur
2 der 14 Punkte, die im Laufe des Dioxinskandals zwi-
schen der Bundesregierung und den Ländern vereinbart
wurden, sollen jetzt gesetzlich geregelt werden, und das
auch nur zu Teilen. Wesentliche Teile des „Aktionsplans
Verbraucherschutz“ sollen nämlich am Parlament vor-
bei per Verordnung durch das Ministerium allein gere-
gelt werden. Lobbyisten, die im Hause Aigner ein und
aus gehen, haben damit mehr mitzureden als der Deut-
sche Bundestag. Das ist nicht hinnehmbar.

Gut an dem wenigen, das nun geregelt wird, ist: Pri-
vate Labore, die im Auftrag von Unternehmen Schad-
stoffuntersuchungen durchführen, müssen bedenkliche
Mengen künftig direkt an die Behörden melden. Die
Linke findet es richtig, dass private Labore der Lebens-
mittelanalyse stärker in die Verantwortung genommen
werden. Im Dioxinskandal waren einem solchen Labor
die hohen Dioxinwerte der Verursacherfirma Harles und
Jentzsch bereits im März 2010 bekannt. Hätten die Be-
hörden davon gewusst, wäre der Dioxinskandal ein
Dreivierteljahr später vermeidbar gewesen. Die Mel-
dung der Daten ist also eine wichtige Information für die
Ämter, darf jedoch nicht die einzige sein.

Deshalb ist auch gut: Die Unternehmen werden ver-
pflichtet, alle durchgeführten Schadstoffmessungen
– auch mit unbedenklichem Ergebnis – an die Behörden
zu übermitteln. Doch schon dieser Punkt geht der Le-
bensmittellobby zu weit. Bei der anstehenden Anhörung
zum Änderungsgesetz soll erreicht werden, dass die Äm-
Zu Protokoll
ter keine Informationen über die tatsächliche Belastung
unserer Lebensmittel erhalten. Ich sage: Lebensmittel
sind kein Betriebsgeheimnis. Wer hier etwas verheim-
licht, will den Verbraucherinnen und Verbrauchern et-
was vormachen. Die Linke wird sich deshalb nicht über
den Tisch ziehen lassen. Wir wollen echte Verbraucher-
informationen.

An diesem Gesetzentwurf wird deutlich, dass Frau
Aigner wieder nur Ankündigungsministerin ist. In ihrem
Hause bestimmen offenbar andere die Richtung. Die
Linke fordert, dass aus dem Dioxinskandal endlich die
richtigen Konsequenzen gezogen werden.

Erstens. Die Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle
muss systematisch zusammen mit den Bundesländern
weiterentwickelt werden. Dazu sind die Eigenkontrollen
der Futter- und Lebensmittelbetriebe zu verbessern. Be-
triebliche Zertifizierungssysteme sind entlang der ge-
samten Erzeugungskette nach strengen gesetzlichen Vor-
gaben zu regeln und zu überwachen. Sie müssen
Erzeugungsformen und betriebswirtschaftliche Risiken
erfassen und eine durchgängige Dokumentationspflicht
beinhalten. Dazu muss für jede Futtermittelcharge vor
der Verarbeitung ein Test die Unbedenklichkeit belegen.
Wichtig ist auch: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
Behörden auf Missstände in Betrieben hinweisen, sollen
nach dem Vorbild von Großbritannien und den USA als
Hinweisgeber gesetzlichen Schutz erhalten.

Auch die staatlichen Kontrollen sind zu stärken: Die
behördliche Lebensmittelüberwachung muss die Wirk-
samkeit betrieblicher Zertifizierungssysteme überwa-
chen sowie Risiken und Lücken in der Branche frühzei-
tig erkennen und schließen können. Dazu sind sie
personell und finanziell abzusichern. Der Bund soll die
Zusammenarbeit der Länder besser fördern. Der jeweils
beste Standard im Bereich der Lebensmittel- und Futter-
mittelüberwachung in einem einzelnen Bundesland ist
deutschlandweit zum Maßstab zu machen. Die Koordi-
nation auf Bundesebene ersetzt dabei nicht die Verant-
wortung in den Ländern. Die Behörden müssen im Ver-
dachtsfall ungehinderten Zugang zu allen Betriebsdaten
erhalten, die die Erzeugungskette betreffen.

Zweitens. Mängel in der Lebensmittel- und Futtermit-
telerzeugung müssen systematisch behoben werden.
Dazu ist eine verpflichtende Positivliste bei Futtermit-
teln für Roh- und Zuschlagsstoffe auf EU-Ebene einzu-
fordern. Betriebe sollen durchgängig nach Lebensmit-
telerzeugung und technischer Produktion getrennt sein.
Alle tierischen Fette zur industriellen Verarbeitung sind
am Herstellungsort durch Einfärbung kenntlich zu ma-
chen. Regionale Erzeugerkreisläufe und betriebseigene
Erzeugung von Futtermitteln sollen durch ein Förder-
programm des Bundes gezielt gefördert werden. Das
verkürzt die Lebensmittelkette, mindert die Eintragsrisi-
ken und erleichtert die Nachvollziehbarkeit der Erzeu-
gungskette.

Drittens. Die Verbraucherinformation muss erheblich
verbessert werden. Die Herkunft der Zutaten in den Le-
bensmitteln sowie die Verarbeitungsbetriebe müssen
auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher nach-
vollziehbar sein. Daten der Behörden und Betriebe sind



gegebene Reden

Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)

kein Betriebsgeheimnis, sondern eine wichtige Verbrau-
cherinformation. Dazu muss das Verbraucherinforma-
tionsgesetz verbessert werden: Die zuständigen Behör-
den sollen von sich aus über Produkte bzw. Erzeugnisse
und Hersteller informieren, wenn Anhaltspunkte für eine
Gesundheitsgefährdung vorliegen. Verbraucherinnen
und Verbraucher sollen auch gegenüber Unternehmen
ein direktes Auskunftsrecht, beispielsweise zur gesamten
Herstellungs- und Lieferkette sowie über die Einhaltung
von Umwelt- und Sozialstandards, erhalten.

Viertens. Die Bundesregierung muss die Vorausset-
zungen für eine systemübergreifende Forschung schaf-
fen, in der die vielfältigen Fachkenntnisse zusammen-
fließen, und ein Forschungsprogramm aufsetzen.

Fünftens. Die Verfolgung und Ahndung von Lebens-
mittelkriminalität ist zu verbessern, indem ein Förder-
programm für Fachleute zur Erkennung von Straftaten
in der Lebensmittelbranche aufgelegt wird und die Straf-
normen im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch
handhabbarer gestaltet werden. Außerdem sollte der
Strafrahmen bei Verstößen gegen das Lebensmittel- und
Futtermittelrecht angemessen erhöht werden.

Sechstens. Für die vom Dioxinskandal betroffenen
Landwirtschaftsbetriebe, die keine Möglichkeit hatten,
sich der Krise zu entziehen, sollen unverzüglich Ent-
schädigungsleistungen zum Beispiel über die landwirt-
schaftliche Rentenbank ermöglicht werden. Per Gesetz
sollte für zukünftige Schadensfälle ein Ausgleichsfonds
geschaffen werden, der von der Futtermittelindustrie
über Abgaben aus dem Handel mit Futtermittelchargen
finanziert wird. So sieht ein Aktionsplan für den Schutz
der Verbraucherinnen und Verbraucher aus.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709628300

Die Aufnahme der Meldepflicht für Labore und die

vorgesehene Erweiterung des Dioxinmonitorings über
das LFGB ist eine richtige Konsequenz aus den Skanda-
len um Lebens- und Futtermittel und speziell dem jüngs-
ten Dioxinskandal. Die Ministerin setzt damit einen Teil
des von Bund und Ländern beschlossenen Aktionsplans
zur Bewältigung der Dioxinkrise um.

Allerdings haben sich Bundesministerin Ilse Aigner
und ihre bis vor kurzem für den Verbraucherschutz zu-
ständige Staatssekretärin Julia Klöckner mit der LFGB-
Änderung nur die kleinsten und unwichtigsten Punkte
aus dem von Nordrhein-Westfalens Minister Johannes
Remmel entwickelten Aktionsplan ausgesucht. Die we-
sentlich relevantere Rechtsverordnung zur Zulassungs-
pflicht für Futtermittelhersteller, Trennung der Futter-
mittelproduktion von der Produktion für die technische
Industrie oder zu verschärften Vorgaben für die Eigen-
kontrollsysteme teilt weiterhin das Schicksal der meisten
Aigner-Initiativen: Sie bleibt eine Ankündigung.

Zurück zum Gesetzentwurf. Angesichts der bekannten
Sympathien von Ministerin Aigner für die Eigenkontroll-
systeme der Wirtschaft ist zu befürchten, dass die Melde-
pflicht für private Labore einer erneuten Verlagerung
der Lebens- und Futtermittelüberwachung aus dem
staatlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich Vor-
Zu Protokoll
schub leisten soll. Meldepflichten für private Labore
können und dürfen aber die notwendigen Verbesserun-
gen des Lebens- und Futtermittelkontrollsystems nicht
ersetzen. Wir haben zum Beispiel in Rheinland-Pfalz
nach wie vor viel zu wenige Kontrolleure. Im Schnitt ge-
rade einmal 2,27 Kontrolleure sollen dort 1 000 Unter-
nehmen pro Jahr überwachen, was auch der Landes-
rechnungshof bereits monierte. Der Anteil der
Verdachtsproben an allen erhobenen Proben liegt mit
nur 10,9 Prozent weit unter den vorgesehenen 20 Pro-
zent. Die von Frau Aigner vorgeschlagene Verbesserung
der Kontrollqualität durch länderübergreifende Evalu-
ierungen wird dieses Problem nicht lösen, hier muss der
Bund weiter auf die Länder einwirken und gleichzeitig
durch intelligente Ressourcennutzung Unterstützung
leisten, zum Beispiel durch länderübergreifende Refe-
renzlabore oder eine Bundesunterstützung bei der Aus-
und Weiterbildung von Kontrolleuren.

Trotz Verbesserungen bei Melde- und Überwachungs-
systemen sperrt sich die Bundesregierung weiter gegen
das wirksamste Kontrollinstrument überhaupt: gut in-
formierte Verbraucher, die durch ihre Kaufentscheidung
direkt die Marktentwicklung beeinflussen. Wir haben
dazu im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, aber auch in verschiedenen Anträ-
gen mehrfach die Erweiterung des Verbraucherinforma-
tionsgesetzes um den direkten Informationsanspruch der
Verbraucher gegenüber Unternehmen gefordert. Damit
wären die Konsumenten nicht länger vom oft wenig um-
fassenden oder aktuellen Informationsstand der Behör-
den abhängig, und die Unternehmen hätten mehr direkte
Kundenresonanz – ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine
auch ökonomisch nachhaltige Entwicklung.

Auch die laut einer Umfrage von 93 Prozent der Be-
völkerung gewünschte Veröffentlichung von Kontroll-
ergebnissen in Form eines „Smiley“ nach dänischem
Vorbild wird von der Bundesregierung nicht aktiv unter-
stützt. Die Verbraucherschutzminister der Länder muss-
ten Aigner mit ihrem Beschluss auf der VSMK im Sep-
tember 2010 erst zu einer bundesweiten Umsetzung des
Smiley-Konzeptes zwingen.

Die entscheidende Schwäche von Aigners und
Klöckners Reaktion auf die Dioxinkrise liegt jedoch in
der Weigerung der Bundesregierung, die fundamentalen
Fehlentwicklungen in der Lebensmittelproduktion über-
haupt wahrzunehmen, geschweige denn, sie zu beenden.
Es handelt sich um die industrielle Futtermittelproduk-
tion und die Massentierhaltung ohne Flächenbindung,
den Import von gentechnisch veränderten Futtermitteln
mit verheerenden Auswirkungen für Mensch und Um-
welt in den Anbauländern verbunden mit der fallenden
einheimischen Erzeugung von Eiweißfuttermitteln, den
dramatischen Verlust an Biodiversität durch viel zu enge
Fruchtfolgen, den weltweiten Einsatz von Pestiziden in
Acker- und Gartenbau und die Verwendung von 300 Le-
bensmittelzusatzstoffen in der industriellen Lebensmit-
telproduktion als billigen Ersatz für hochwertige, natür-
liche Zutaten.

Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt endlich die
richtigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige,



gegebene Reden





Ulrike Höfken


(A) (C)



(D)(B)

ökologische und bäuerliche Landwirtschaft zu setzen,
die uns auch langfristig mit gesunden und sicheren Le-
bensmitteln versorgen kann. Frau Aigner darf nicht län-
ger nur an den Symptomen herumdoktern und auf die In-
tensivierung der Produktion setzen, zum Beispiel bei der
Förderung der Konzentration in der Milchwirtschaft
oder der Produktion von Schweine- und Geflügelfleisch
für den Export. Sonst werden wir auch in Zukunft immer
wieder mit Skandalen konfrontiert werden, deren Folgen
in der Regel nicht die Verursacher, sondern die Land-
wirte und Verbraucher tragen müssen. Die Überarbei-
tung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches werden
wir weiter kritisch begleiten und fordern zu diesem
Thema eine öffentliche Anhörung.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709628400

Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Druck-

sache 17/4984 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstan-
den. Dann ist so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 23:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Birgitt Bender, Cornelia Behm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Umsetzung der EU-Health-Claims-Verord-
nung voranbringen

– Drucksachen 17/4015, 17/4892 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Kerstin Tack
Dr. Christel Happach-Kasan
Karin Binder
Ulrike Höfken

Ihre Reden zu Protokoll geben die Kolleginnen und
Kollegen Stauche, Tack, Geisen, Binder und Höfken.


Carola Stauche (CDU):
Rede ID: ID1709628500

Wir beraten heute einen Antrag von Bündnis 90/Die

Grünen, der die Bundesregierung auffordert, sich für
eine zügige Umsetzung der Health-Claims-Verordnung
einzusetzen. Die Unionsfraktion lehnt diesen Antrag ab.
Die Gründe haben wir schon während der Ausschusssit-
zung erörtert ich möchte aber die Gelegenheit nutzen,
sie an dieser Stelle zu wiederholen.

Um die Health-Claims-Verordnung umzusetzen, be-
darf es eines Verordnungsentwurfes der EU-Kommis-
sion, der dem Europäischen Parlament und den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union vorgelegt werden
muss. Einen solchen gibt es allerdings noch nicht. Das
bedeutet, dass die derzeitigen Einflussmöglichkeiten der
Bundesregierung stark eingegrenzt sind. Wir müssen
also warten, bis ein konkreter Vorschlag vorliegt. Die-
sen können oder, anders, diesen werden wir dann ge-
meinsam beraten und, wenn nötig, an der einen oder an-
deren Stelle ändern. Denn sowohl der Bundesregierung
als auch der Koalition ist an einer vernünftigen und wis-
senschaftsbasierten Kennzeichnung gelegen. Dass es in
diesem Punkt, was tatsächlich vernünftig ist, weit aus-
einandergehende Ansichten gibt, ist ja hinlänglich be-
kannt. Wobei ich anmerken möchte, dass ich bei den
Farbenspielen der Opposition in Sachen Lebensmittel-
kennzeichnung weniger an Vernunft denn an Verwirrung
denke, aber das nur am Rande.

Sie fordern in Ihrem Antrag, die EFSA im Hinblick
auf Unabhängigkeit und Transparenz zu reformieren.
Ich weiß gar nicht, warum das notwendig sein soll. Die
Unabhängigkeit der EFSA ist durch eine Reihe von Kon-
trollmechanismen gesichert. Ich denke da an den wis-
senschaftlichen Ausschuss und die wissenschaftlichen
Gremien, die sich aus unabhängigen Experten zusam-
mensetzen. Diese Experten müssen Interessen- und Un-
abhängigkeitserklärungen abgeben, die veröffentlicht
werden. Dadurch ist Transparenz geboten. Oder wollen
Sie mir erzählen, dass ein Wissenschaftler oder Experte
bei einem Verstoß gegen diese Erklärungen nicht sofort
am digitalen Pranger stehen würde?

Auch die Unionsfraktion ist der Meinung, dass nicht
nur bei Lebensmittelzusatzstoffen zu technologischen
Zwecken, sondern auch bei Stoffen, die zu anderen Zwe-
cken Lebensmitteln zugesetzt werden, der Schutz von
Verbraucherinnen und Verbrauchern vor gesundheitli-
chen Schäden und vor Irreführung sichergestellt werden
muss. Solche Stoffe bedürfen nach lebensmittelrechtli-
chen Vorschriften – bis auf einige wenige Ausnahmen –
einer grundsätzlichen Zulassung. Eine solche Zulassung
wird nur dann erteilt, wenn sich bei der gesundheitli-
chen Bewertung des Stoffes – beispielsweise durch das
Bundesinstitut für Risikobewertung – keine Bedenken
hinsichtlich der Sicherheit ergeben. Ich möchte noch
darauf hinweisen, dass bei der Verwendung von arznei-
lichen Wirkstoffen zu überprüfen ist, ob das Erzeugnis
nicht als Arzneimittel einzustufen ist und damit dem Arz-
neimittelrecht unterliegt. Ich möchte hier noch einmal
darauf hinweisen, dass Lebensmittelrecht und Arznei-
mittelrecht strikt getrennt sind. Das ergibt sich aus den
arzneimittelrechtlichen und den lebensmittelrechtlichen
Bestimmungen und hat zur Folge, dass ein als Arznei-
mittel eingestuftes Erzeugnis kein Lebensmittel sein
kann und umgekehrt.

Zum Thema Health Claims fällt mir noch ein Spruch
ein, den mir ein sehr geschätzter Kollege einmal auf-
sagte: Gesundheit erwirbst du nicht im Handel, sondern
nur durch Lebenswandel!

Wir lehnen den Antrag der Opposition ab. Wir setzen
uns aber, wie erwähnt, für eine übersichtliche, wissen-
schaftsbasierte Lebensmittelkennzeichnung ein, ohne
den Verbraucher zu bevormunden. Das hat sehr viel mit
unserem Leitbild vom mündigen Bürger zu tun. In die-
sem Fall wäre es der mündige Konsument oder Verbrau-
cher, der – gut informiert – selbst entscheidet, welches
ordentlich gekennzeichnete Produkt er kauft oder zu sich
nimmt.

(A) (C)



(D)(B)


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1709628600

Gegen die Stimmen der Oppositionsparteien haben

die Koalitionsfraktionen den Antrag im Ausschuss abge-
lehnt. Die SPD-Fraktion hat den Antrag unterstützt;
denn auch wir sind der Meinung, dass sich die Bundes-
regierung für eine zügige Umsetzung der noch offenen
Teile dieser EU-Verordnung von 2007 einsetzen soll. Mit
der Verordnung soll sichergestellt werden, dass künftig
Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel nur dann
mit gesundheitsbezogenen Angaben versehen und be-
worben werden dürfen, wenn diese Angaben auch wis-
senschaftlich belegt sind. Die erforderliche Festlegung
der Nährwertprofile für die einzelnen Lebensmittelgrup-
pen durch die EU-Kommission steht aber noch aus.
Diese Profile sollen absichern, dass Lebensmittel, die
mit positiven Gesundheitseffekten beworben werden,
nicht gleichzeitig Nährstoffe enthalten, deren übermäßi-
ger Verzehr mit chronischen Krankheiten in Verbindung
gebracht werden kann. Der Schutz der Verbraucherin-
nen und Verbraucher vor irreführenden oder falschen
Angaben wird damit verbessert.

Auch wir meinen, dass Werbung für Lebensmittel mit
gesundheitsbezogenen Aussagen wie zum Beispiel „gut
für den Knochenbau“ oder „stärkt die Abwehrkräfte“
nur dann zulässig sein darf, wenn das beworbene Le-
bensmittel kein ungünstiges Nährwertprofil hat und die
Werbeaussagen wissenschaftlich belegbar sind. Ver-
braucherinnen und Verbrauchern soll nicht vorgegau-
kelt werden können, Süßigkeiten oder „Dickmacher“
seien gesund, nur weil sie viel Kalzium oder Vitamine
enthalten.

Handlungsbedarf besteht auch im Grenzbereich zwi-
schen Arzneimitteln und Lebensmitteln. Wir meinen,
dass arzneilich wirkende Stoffe in Lebensmitteln nichts
zu suchen haben. Beimischung von Arzneimitteln in Le-
bensmittel, die einen positiven Nutzen versprechen, darf
nicht genehmigt werden. Denn durch eine Aufweichung
der Grenze zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln
besteht die Gefahr einer Überversorgung mit bestimm-
ten Inhaltsstoffen, die schädlich sein kann. In Deutsch-
land verschreibungspflichtige Stoffe dürfen nicht über
die EU-Ebene in Lebensmitteln genehmigt werden. Eine
Berücksichtigung der unterschiedlichen Arzneimittel-
verordnungen der Mitgliedstaaten muss also auch erfol-
gen, und es müssen klarere Vorgaben von der Kommis-
sion gemacht werden.

Wir begrüßen im Grundsatz das Ziel der Health-
Claims-Verordnung, und eine zügige Festlegung der
Nährwertprofile ist auch aus unserer Sicht erforderlich.
Auch die vom Ausschuss durchgeführte Expertenanhö-
rung am 6. Oktober 2010 hat dies gezeigt. In der Anhö-
rung wurde deutlich, dass strenge Nährwertprofile not-
wendig sind. Die Überlegungen der EU-Kommission
sind dafür aus unserer Sicht noch nicht ausreichend.
Denn danach könnten zum Beispiel nach Berechnungen
aus Großbritannien zwei Drittel der verzehrten Lebens-
mittel als gesund beworben werden, wenn sie nur einen
besonderen Vitaminzusatz enthalten. Wir fordern die
EU-Kommission auf, dem Druck der Lebensmittelindus-
trie nicht nachzugeben, andernfalls können die ur-
sprünglichen Ziele der Health-Claims-Verordnung nicht
Zu Protokoll
erreicht werden. Dafür muss sich auch die Bundesregie-
rung einsetzen.

Die Prüfung der sogenannten Health Claims durch
die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit,
EFSA, läuft noch immer, dabei werden aber auch nur die
Eigenangaben der Antragsteller kontrolliert und auf po-
sitive Wirkung geprüft. Da aber durchaus die Möglich-
keit besteht, dass bestimmte Nährstoffe je nach Verbrau-
cher sowohl positive als auch negative Wirkungen haben
können, wäre aus unserer Sicht auch eine Bewertung ei-
nes Nutzen-Risiko-Profils sinnvoll. Als Beispiel dafür
möchte ich Kalzium anführen: Es kann die Knochenge-
sundheit fördern, bei Risikogruppen aber durchaus auch
das Herzinfarktrisiko erhöhen.

Von den mehr als 44 000 bei der EFSA eingereichten
Anträgen konnten bei circa 80 Prozent keine überzeu-
genden Belege für gesundheitsfördernde Auswirkungen
gefunden werden; einige Hersteller haben Anträge aus
Angst vor Imageverlust auch selbst zurückgezogen. Die
zu bewertenden restlichen 4 600 Claims sind in der Prü-
fung. Nach jetzigem Stand will die EFSA bis Ende Juni
2011 die Bewertung aller gesundheitsbezogenen Anga-
ben über allgemeine Funktionen – mit Ausnahme der
Angaben über pflanzliche Stoffe – abschließen. Die EU-
Kommission wird dann eine Liste mit ihren Empfehlun-
gen vorlegen. Die Mitgliedstaaten und das Europäische
Parlament müssen danach entscheiden.

Wir fordern zusätzlich die Einrichtung eines Regis-
ters, in dem alle Studien über gesundheitsbezogene An-
gaben transparent und für jedermann zugänglich aufge-
listet werden. Auch muss sichergestellt sein, dass eine
laufende Überprüfung der bereits genehmigten Claims
erfolgt. Durch ständige Forschung ist es durchaus mög-
lich, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse für be-
stimmte Nährstoffe gewonnen werden. Nachträgliche
Veränderungen der Bewertung durch die EFSA müssen
also möglich sein. Ein kontinuierliches Studienmonito-
ring sollte deshalb vorgeschrieben werden.

Ich hoffe sehr, dass die jetzt angekündigten Zeitanga-
ben der EFSA zu halten sind; denn Irreführung oder
Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher
durch nicht erwiesene gesundheitsbezogene Werbeaus-
sagen muss bald beendet werden.

Auch die Bundesregierung sollte im Interesse der Ver-
braucherinnen und Verbraucher auf eine schnelle Lö-
sung dringen und sich für eine zügige Umsetzung der
Nährwertprofile einsetzen. Da wir bereits im Ausschuss
dem Antrag der Grünen zugestimmt haben, können wir
die Beschlussempfehlung des Ausschusses nicht mittra-
gen und lehnen sie somit ab.


Dr. Edmund Peter Geisen (FDP):
Rede ID: ID1709628700

Die im Jahr 2006 erlassene Health-Claims-Verord-

nung der EU, die gesundheitsbezogene Werbeaussagen
auf Lebensmittel reguliert, hat schon jetzt zu überbor-
dender Bürokratie geführt. Die jetzt diskutierte Defini-
tion von Nährwertprofilen für unterschiedliche Lebens-
mittelgruppen ist hochumstritten. Es ist nahezu
unmöglich, wissenschaftlich festzulegen, wann ein Pro-



gegebene Reden

Dr. Edmund Peter Geisen


(A) (C)



(D)(B)

dukt beispielsweise wegen seines Fett- oder Zuckerge-
halts als ungesund gilt, weil Kinder, Jugendliche,
Erwachsene und Senioren sehr unterschiedliche Anfor-
derungen an den Nährwertgehalt von Lebensmitteln ha-
ben. Dazu kommen auch noch die individuellen Bedarfe
und Grenzwerte.

Zwar ist unbestritten, dass ein hoher Salzkonsum am
Auftreten bestimmter Krankheiten beteiligt ist. In
Deutschland ist zum Beispiel der durchschnittliche Salz-
konsum pro Person mehr als doppelt so hoch, wie es aus
gesundheitlicher Sicht von der Weltgesundheitsorgani-
sation, WHO, empfohlen wird. Dies hat bei salzempfind-
lichen Personen erhebliche negative Auswirkungen für
die Gesundheit. Dass aber Maßnahmen auf Grundlage
der Health-Claims-Verordnung zu einer Minderung des
Salzkonsums führen, ist nach Einschätzung von Exper-
ten nicht zu erwarten. Hier fühlen wir uns als FDP-
Fraktion bestätigt.

Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion ist
nach der gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland si-
chergestellt, dass Werbeaussagen nicht irreführend sein
dürfen. Deshalb geht ein generelles Verbot gesundheits-
bezogener Werbung im Rahmen der Health-Claims-Ver-
ordnung, wie es Bündnis 90/Die Grünen im vorliegen-
den Antrag zum Beispiel für die Kategorie der Süßwaren
fordern, zu weit. Wir setzen uns stattdessen für eine wis-
senschaftsbasierte Kennzeichnung ein.

In diesem Zusammenhang ist auch die Behauptung
von Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen, bei der Euro-
päischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA,
gebe es ein Defizit an Transparenz und Wissenschaft-
lichkeit. Im Gegenteil: Gerade weil sich diese Behörde
nicht den ideologisierten Forderungen anschließt, ar-
beitet sie wissenschaftlich und nicht ideologisch beein-
flussbar.

Ich halte es im Übrigen auch für heikel, über die Um-
setzung der EU-Health-Claims-Verordnung zu diskutie-
ren, wenn überhaupt noch kein Verordnungsentwurf sei-
tens der EU vorliegt. Für meine Fraktion ist von daher
die intensive Befassung mit dieser Verordnung verfrüht.
Wir können ihn erst dann beraten, wenn er tatsächlich
vorliegt. Alles andere ist zunächst einmal Spekulation.

Absehbar ist aber schon jetzt, dass mit dieser Verord-
nung ein Bürokratiemonster droht. Denn mit der Defini-
tion von Nährwertprofilen besteht die Gefahr, dass
kleine und mittlere Unternehmen durch kostspielige, bü-
rokratische Zulassungsverfahren von der Nutzung ge-
sundheitsbezogener Aussagen ausgeschlossen werden.
Das wollen wir, das müssen wir verhindern. Die Priori-
tät muss auf einer gesunden Ernährung liegen und nicht
auf der Mehrung der Bürokratie. Nicht zuletzt liegt eine
klare Kennzeichnung im Interesse der Unternehmen, die
sonst Gefahr laufen, das Vertrauen ihrer Kunden zu ver-
spielen. Deswegen wird die FDP gemeinsam mit Unter-
nehmen nach den besten Lösungen für dieses Thema su-
chen.

In einem Punkt allerdings erhält der Antrag unsere
volle Zustimmung, und zwar bei der Forderung nach ei-
ner klaren Trennung von Lebens- und Arzneimitteln.
Zu Protokoll
Hier gilt es wirklich zu prüfen, inwiefern die bisherigen
Regelungen zum Zusatz von arzneilichen Wirkstoffen zu
Lebensmitteln ausreichen, um die Verbraucherinnen und
Verbraucher vor Täuschung zu schützen. Es dürfen keine
Anreize zur Entwicklung einer Pharma-Lebensmittel-
Sparte gegeben werden. Insgesamt jedoch lehnen wir
den vorliegenden Antrag aus den oben von mir darge-
legten Gründen ab.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709628800

Der Werbeschwindel im Supermarkt ist besonders bei

Lebensmitteln groß. So verspricht etwa ein Schokoriegel
eine „Extra-Portion-Milch“ mit viel gutem Kalzium.
Die Wahrheit: Erst 13 Riegel würden den Tagesbedarf
eines Kindes an Kalzium decken. Das bedeutet aber
gleichzeitig: 48 Würfelzucker und ein halbes Paket But-
ter. Ein Fruchtgetränk wurde als „gesunder Durstlö-
scher“ für Kinder beworben. Tatsächlich enthielt das
Gemisch aus Wasser und Saftkonzentrat nicht nur um-
strittene Süßstoffe, sondern auch jede Menge zahn-
schädliche Citronensäure. Gerade Produkte für Kinder
werden oft als gesund beworben, obwohl sie nicht auf
die Ernährungsbedürfnisse von Kindern abgestimmt
sind. So werden Mini-Würstchen als „täglicher Beitrag
für die gesunde Ernährung“ angepriesen. Angesichts ei-
nes völlig überhöhten Salzgehaltes kann davon aber
keine Rede sein.

Lebensmittel wie Joghurt, Margarine oder Müsli un-
terstellen mittels Werbung Gesundheit, ohne dies zu be-
legen. Sie können angeblich Knochen und Abwehrkräfte
stärken, das Wohlbefinden beleben oder die Darmflora
ins Gleichgewicht bringen. Glaubt man den Herstellern,
dann können wir mithilfe solcher Produkte unsere Ge-
sundheit regeln. Häufig sind sie im Vergleich zu norma-
lem Essen aber doppelt so teuer. Der einzige Zusatznut-
zen liegt meist darin, dass sie die Kassen der
Lebensmittelhersteller füllen. Gesund sind hingegen
vorwiegend frisch zubereitete Lebensmittel und eine ab-
wechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Curry-
wurst und Schokolade gehören gelegentlich genauso
dazu wie der frische Apfel. Produkte mit Gesundheits-
versprechen hingegen fördern einseitiges Essen und
Fehlernährung.

Den haltlosen Gesundheitsversprechen der Herstel-
ler soll mit der sogenannten Health-Claim-Verordnung
durch die EU Einhalt geboten werden. In Zukunft darf
nur noch auf den Verpackungen stehen, was wissen-
schaftlich bewiesen ist. So sollen der Wildwuchs an Wer-
beaussagen eingedämmt und die Verbraucherinnen und
Verbraucher vor irreführender Werbung geschützt wer-
den.

Die Linke bewertet die gesundheitsbezogene Wer-
bung von Lebensmitteln grundsätzlich kritisch. Lebens-
mittel sind keine Arzneimittel. Der angebliche Zusatz-
nutzen dient vor allem der Absatzförderung in einem
übersättigten Lebensmittelmarkt. Die Lebensmittelkon-
zerne locken mit Nahrung fürs schlechte Gewissen – und
das, obwohl viele Verbraucherinnen und Verbraucher
weder einen hohen Cholesterinspiegel haben noch zu-
sätzliche Vitamine benötigen. Laut Schätzungen der



gegebene Reden

Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)

Branche erwartet man von den „funktionellen Lebens-
mitteln“ einen Marktzuwachs auf 90 Milliarden Dollar
bis 2013. Diese Zahl steht für einen dreisten Versuch der
organisierten Verbrauchertäuschung.

Dennoch kann die Health-Claims-Verordnung in der
jetzigen Fassung die Wildwüchse gesundheitsbezogener
Werbung in vernünftige Bahnen lenken. Denn die bishe-
rige Bilanz der Bewertung der von den Lebensmittelher-
stellern beantragten Claims ist verherrend. Bei rund
80 Prozent der Werbebotschaften suchte die internatio-
nale Expertengruppe der EFSA – das ist die europäische
Behörde für Lebensmittelsicherheit – vergebens nach
Belegen für die heilsame Wirkung mancher Vitamine
und Mineralien. In Zukunft sollen sich die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher darauf verlassen können, was
auf der Packung steht. Das ist der Wille der EFSA. Die
Linke unterstützt deshalb die Verordnung ausdrücklich.

Wichtig bei der Beurteilung von Lebensmitteln ist
aber nicht nur der wissenschaftliche Nachweis, ob ein
behaupteter Zusatznutzen tatsächlich gesundheitsför-
dernd oder krankheitshemmend ist. Die Voraussetzung
für Lebensmittelwerbung muss auch an die Frage ge-
knüpft werden, ob das Produkt insgesamt gesund ist. Da-
her werden sogenannte Nährwertprofile erstellt. Sie be-
schreiben die gesamte Nährstoffzusammensetzung eines
Lebensmittels. So können die Grenzen festgelegt werden,
ab denen nährwert- oder gesundheitbezogene Angaben
nicht verwendet werden dürfen. Nährwertprofile verhin-
dern also, dass unausgewogenes Essen mit gesundheits-
bezogenen Aussagen beworben wird. Das stößt den Le-
bensmittelkonzernen sauer auf, weshalb sie die Profile
zum Schaden der Verbraucherinnen und Verbraucher
aufweichen wollen.

Einige Kompromisse haben einen allzu merkwürdi-
gen Beigeschmack: Zukünftig sollen Produkte, die viel
Salz, Zucker oder Fett enthalten, nur eingeschränkt mit
positiven Gesundheitsversprechen beworben werden
können. Beispiel: Ein Fruchtgummi, der mit „fettarm“
beworben werden soll, aber viel Zucker enthält, muss
nunmehr ausdrücklich auf den hohen Zuckergehalt hin-
weisen.

Diese Regelung trägt deutlich die Handschrift der Le-
bensmittellobby. Die Linke fordert, dass Süßwaren
grundsätzlich nicht als gesund beworben werden dürfen.
Sie dienen nicht der gesunden Ernährung – ob mit oder
ohne Vitamin-C-Anreicherung. Der Zusatznutzen von
Süßwaren sollte das Naschen bleiben.

Die Linke fordert eine schnelle Veröffentlichung der
Nährwertprofile, wie sie die EU-Kommission vorsieht.
Eigentlich hätte diese bis Anfang 2009 erfolgen müssen.
Die EU-Kommission und die EFSA scheinen aber unter
dem massiven Druck der Lebensmittellobby zu zögern.
Der Grund: Allein in Deutschland machen die Lebens-
mittelunternehmen jährlich einen Umsatz von 5 Milliar-
den Euro mit „funktionellen Lebensmitteln“. Die Le-
bensmittellobby hat es bereits geschafft, die Verordnung
auszuhöhlen. Ausnahmen bei den Nährwertprofilen wer-
den zugelassen und Grenzwerte erhöht. Der Süßwaren-
verband hofft auf eine vollständige Verhinderung. Um es
noch einmal deutlich zu machen: Für die Linke sind
Zu Protokoll
nicht Nahrungsergänzungsmittel die Grundvorausset-
zung für eine gute Gesundheit, sondern eine abwechs-
lungsreiche und ausgewogene Ernährung. Unnötige und
gesundheitsbedenkliche Anteile sollten grundsätzlich in
allen Lebensmitteln gesenkt werden. Verbraucherinnen
und Verbraucher müssen sich bei ihrer Lebensmittelaus-
wahl auf klare, zutreffende und verlässliche Informatio-
nen stützen können.

Die Linke erwartet von der Bundesregierung, sich da-
für einzusetzen, dass die Ausnahmen bei den Nährwert-
profilen auf unverarbeitete Lebensmittel begrenzt wer-
den und Süßwaren grundsätzlich nicht als gesund
beworben werden dürfen, dass die Grenzwerte ungesun-
der Nährstoffanteile grundsätzlich gesenkt werden, Bal-
laststoffe Mindestgrenzwerte enthalten und Transfett-
säuren in die Nährwertprofile aufgenommen und dass
Verbraucherverbände in die Nährwertprofilbestimmung
einbezogen werden. Lassen wir uns nicht von der Le-
bensmittelindustrie in die Suppe spucken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709628900

Die Debatte um die Health-Claims-Verordnung ist ein

Beispiel für die Diskrepanz zwischen den großen Ver-
braucherschutzankündigungen von Ministerin Aigner
– und ihrer bisherigen Staatssekretärin Julia Klöckner –
und dem tatsächlichen Engagement für die Interessen
der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Fast vier Jahre sind seit dem Inkrafttreten der
Health-Claims-Verordnung am 1. Juli 2007 vergangen.
Drei Jahre lang ist Frau Aigner für dieses Thema zu-
ständig, aber getan hat sich seitdem nichts. Der letzte
Eintrag auf der Homepage des Bundesministeriums zum
Thema Health Claims stammt vom August 2007. Wir
warten auch immer noch auf die Nährwertprofile, die
von der EU-Kommission als Grundlage für die Bewer-
tung von „gesunden“ Lebensmitteln festgelegt werden
sollten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR,
das Aigners Ministerium untersteht, hat sich nachdrück-
lich für eine konsequente Umsetzung der Nährwert-
profile mit strengen Kriterien für Fett, Salz und Zucker
ausgesprochen – bislang leider ohne nennenswerte Re-
sonanz im Ministerium. Dabei zeigt das Beispiel Däne-
mark mit strengen Vorgaben zum Beispiel für Trans-
fettsäuren, dass hohe Qualitätskriterien keineswegs
nachteilige Folgen für die Ernährungswirtschaft haben
müssen, sondern sogar zum entscheidenden Innovations-
motor für eine ganze Branche werden können.

Solange Frau Aigner und ihre Staatssekretäre – ob sie
nun Julia Klöckner oder Peter Bleser heißen – jede Ini-
tiative bei den Health Claims vermissen lassen, jubelt
die Ernährungsindustrie weiter mit gesundheitsbezoge-
nen Aussagen den Verbrauchern für teures Geld zucker-,
salz- oder fettreiche Produkte unter. Außerdem bereiten
die Konzerne in aller Ruhe bereits Ausweichstrategien
für mögliche zukünftige Verschärfungen vor. Mit Soft
Claims, also indirekten Bezügen zu Gesundheitsaspek-
ten, wird eine gesundheitsfördernde Wirkung der Pro-
dukte suggeriert, ohne dass der Regelungsbereich der
Health-Claims-Verordnung betroffen ist: „So wichtig
wie das tägliche Glas Milch“ – Werbung für „Ehrmann



gegebene Reden





Ulrike Höfken


(A) (C)



(D)(B)

Monsterbacke“ mit umgerechnet 4 Stück Würfelzucker
pro Packung. Damit werden gerade die Bevölkerungs-
gruppen zu einem ungesunden Ernährungsverhalten
motiviert, die eine gesunde Ernährung dringend benöti-
gen, wie zum Beispiel Kinder oder ältere Menschen. Da-
bei steigt die Zahl der Menschen mit Fehlernährung
dramatisch, wie die Antwort der Bundesregierung auf
unsere Kleine Anfrage zur Bekämpfung von Überge-
wicht, Bundestagsdrucksache 17/3808, bestätigt. Diese
Entwicklung hat katastrophale Folgen für die Gesund-
heit der Betroffenen, aber auch für die Kosten unseres
Gesundheitssystems: Die Folgekosten ernährungsbe-
dingter Krankheiten werden auf bis zu 90 Milliarden
Euro geschätzt – jährlich.

Sicher hängt die erfolgreiche Umsetzung der Health-
Claims-Verordnung nicht nur von den Aktivitäten der
deutschen Bundesregierung ab. Leider ist diese Thema-
tik aber nicht das einzige Beispiel dafür, wie wenig sich
Frau Aigner für die deutschen Verbraucher und wie
stark sie sich für die Ernährungsindustrie einsetzt. In
den Verhandlungen über die Lebensmittel-Info-Verord-
nung hätte sich Aigner dem klaren Votum von Verbrau-
cherschützern, Ärzteverbänden und Krankenkassen an-
schließen können und für eine europaweite Einführung
der Ampelkennzeichnung kämpfen oder sich wenigstens
für eine verpflichtende Umsetzung dieser verbraucher-
freundlichen Auslobung in Deutschland stark machen
können. Stattdessen stellt sie sich schützend vor die In-
dustrie und deren für die Praxis völlig untaugliches
GDA-Modell: empfohlene Tagesmengen von Zucker,
Salz, Fett, gesättigte Fettsäuren und Kalorien pro
100 Gramm des jeweiligen Produkts und in Prozent der
empfohlenen Tagesmenge. Aigner geht sogar so weit
und verdreht die Aussagen einer Studie ihres eigenen
Ministeriums, die klar besagen, dass eine farbliche
Kennzeichnung für die Verbraucher wesentlich sinnvol-
ler ist als das GDA-Konzept.

Diese Grundhaltung der Ministerin lässt auch für die
neue Internetplattform „Klarheit & Wahrheit“ nicht viel
Gutes erwarten, obwohl der Ansatz und die Umsetzung
durch den Verbraucherzentralen-Bundesverband sicher-
lich richtig sind. Doch die widersprüchlichen Aussagen
von Ilse Aigner und die vor allem von den Koalitions-
fraktionen vorgebrachten massiven Angriffe gegen das
Projekt der eigenen Ministerin bei der Diskussion im
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz am 27. Oktober 2010 lassen befürchten, dass
auch bei diesem Thema nach großen Ankündigungen
nur ein windelweich gespültes Konzept übrig bleibt, das
der Industrie nicht weh tut und die Verbraucherinnen
und Verbraucher mit ihrem Wunsch nach transparenter,
ehrlicher Information allein lässt.

Wir fordern die Bundesregierung daher auf, sich für
eine zügige Umsetzung strenger, wissenschaftlich be-
gründeter Nährwertprofile einzusetzen. Außerdem muss
die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde, EFSA,
dringend reformiert werden. Immer wieder wurden enge
Verflechtungen von EFSA-Mitarbeitern mit der Lebens-
mittel- und Gentechnikindustrie aufgedeckt, die eine se-
riöse Prüfung von Health Claims unmöglich machen.
Wenn Union und FDP ihre Ankündigungen zum Ver-
braucherschutz wirklich ernst meinen, müssen sie heute
unserem Antrag zustimmen und ihre einseitige Klientel-
politik für die Interessen der Lebensmittelindustrie end-
lich aufgeben.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709629000

Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/4892, den Antrag auf Drucksa-
che 17/4015 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die
Koalitionsfraktionen waren dafür und die Oppositions-
fraktionen dagegen. Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.

Tagesordnungspunkt 24:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel,
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfah-
ren – Konsequenzen aus der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte ziehen

– Drucksache 17/4886 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Ihre Reden zu Protokoll geben die Kolleginnen und
Kollegen Brandt, Veit, Wolff (Rems-Murr), Jelpke und
Winkler.


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1709629100

In ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen die Bundesregierung auf, den in § 18 Abs. 2,
§§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehenen
Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Über-
stellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-
II-Verordnung aufzuheben. Außerdem wird die Bundes-
regierung aufgefordert, sich im Rat im Rahmen der Ver-
handlungen über die Neufassung der Dublin-II-Verord-
nung dafür einzusetzen, dass Asylantragstellern der
Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf in Einklang
mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
für Menschenrechte sowie den gemeinschafts- und völ-
kerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten ga-
rantiert wird.

Hintergrund des vorliegenden Antrags ist eine Ent-
scheidung des Europäischen Gerichtshofes für Men-
schenrechte vom 21. Januar 2011. In dem Verfahren
M. S. S. gegen Belgien und Griechenland hat die Große
Strafkammer des Europäischen Gerichtshofes für Men-
schenrechte festgestellt, dass Belgien mit der Überstel-
lung des Beschwerdeführers nach Griechenland auf-
grund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen gegen
Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ver-
stoßen habe.

Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)

Begründet wird der Antrag von Bündnis 90/Die Grü-
nen mit den durch den Gerichtshof festgestellten men-
schenrechtswidrigen Bedingungen in Griechenland, die
die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung mit auf-
schiebender Wirkung in Deutschland unerlässlich
machten.

Ihren Antrag lehnen wir ab, da Ihre Forderungen
durch eine Entscheidung des Bundesinnenministers vom
19. Januar dieses Jahres obsolet geworden sind.

Am 19. Januar 2011 hat das Bundesinnenministerium
entschieden, dass mit sofortiger Wirkung für die Dauer
eines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsange-
hörigen nach der sogenannten Dublin-Verordnung nach
Griechenland durchgeführt werden sollen. Das Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge wurde gebeten, ent-
sprechend zu verfahren. Deutschland wird in diesen Fäl-
len von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 3
der Dublin-II-Verordnung Gebrauch machen und die
Asylverfahren in Deutschland durchführen.

Hintergrund dieser Entscheidung ist eine Empfehlung
des Bundesverfassungsgerichts. Denn die Problematik
von Überstellungen von Deutschland nach Griechen-
land nach dem sogenannten Dublin-Verfahren war, wie
Sie ja selbst wissen, auch Gegenstand von Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht.

Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht am
28. Oktober 2010 mündlich über die Verfassungsbe-
schwerde eines irakischen Asylbewerbers verhandelt,
2 BvR 2015/09, mit der dieser die Verfassungswidrigkeit
des Ausschlusses von vorläufigem Rechtsschutz hin-
sichtlich seiner Überstellung von Deutschland nach
Griechenland geltend machte. Kurz nach der mündli-
chen Verhandlung gab es eine Sondierung des Gerichts
bei den Verfahrensbeteiligten zu der Frage, ob sie sich
angesichts des Verlaufs der mündlichen Verhandlung
vorstellen könnten, dass das Bundesinnenministerium
von der Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts Gebrauch
macht.

Dieses und vor allem die tatsächliche Entwicklung in
Griechenland haben das Bundesinnenministerium ver-
anlasst, für ein Jahr von seinem Selbsteintrittsrecht ge-
mäß der Dublin-II-Verordnung Gebrauch zu machen.
Zusätzlich soll damit auch zum Prozess der Konsolidie-
rung des griechischen Asylsystems beigetragen werden.

Ich möchte jedoch an dieser Stelle darauf hinweisen,
dass es entgegen der in Ihrem Antrag vom 19. Januar
2010 enthaltenen Forderung einer Aussetzung von
Rücküberstellungen richtig war, zunächst die endgültige
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwar-
ten.

Zum einen werden durch Eilentscheidungen des Bun-
desverfassungsgerichts eben gerade keine abschließen-
den Bewertungen getroffen. Wie Sie wissen, basieren die
Beschlüsse ausschließlich auf einer Abwägung des Ge-
richtes zwischen den Folgen, die ohne den Erlass der
einstweiligen Anordnung eintreten, wenn die Hauptsa-
che für den Antragsteller erfolgreich wäre, und den Fol-
gen für den umgekehrten Fall.
Zu Protokoll
Das heißt, die einstweiligen Anordnungen, auf die Sie
in Ihren Anträgen abgestellt haben, enthielten keine ab-
schließenden Aussagen zur Zulässigkeit der Überstel-
lungen nach Griechenland. Sie enthielten vor allem
auch keine Beurteilung der Situation in Griechenland
durch das Gericht.

Zum anderen hat das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge der schwierigen Situation in Griechenland
bereits 2009 und 2010 Rechnung getragen, indem es bei
besonders schutzbedürftigen Personen, zum Beispiel für
Minderjährige, für Flüchtlinge hohen Alters, oder bei
denen Schwangerschaft, ernsthafte Erkrankungen, Pfle-
gebedürftigkeit oder eine besondere Hilfebedürftigkeit
vorlag, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3
Abs. 2 Dublin-II-Verordnung sehr großzügig Gebrauch
gemacht und von einer Überstellung nach Griechenland
abgesehen hat. So machte das Bundesamt 2009 in
circa 700 Fällen von seinem Selbsteintrittsrecht Ge-
brauch. Dem standen nur circa 200 Überstellungen ge-
genüber. Im Jahr 2008 war das Größenverhältnis noch
umgekehrt. 222 Überstellungen standen 130 Selbstein-
tritten gegenüber. Das Bundesamt hat also auch in den
beiden vergangenen Jahren einen sehr verantwortungs-
vollen Umgang mit der tatsächlichen Situation bewie-
sen.

Außerdem haben Sie selbst in Ihrer Begründung fest-
gestellt, dass sich die Mehrheit der Verwaltungsgerichte
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Ab-
schiebungsanordnungen des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge über die Gesetzeslage rechtsfortbildend
hinweggesetzt haben.

Mit der Entscheidung des Bundesinnenministeriums,
für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen von
Drittstaatsangehörigen nach der sogenannten Dublin-
II-Verordnung nach Griechenland durchzuführen und
stattdessen von der Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts
Gebrauch zu machen, haben sich Ihre Forderungen
nach einer grundsätzlichen Aufhebung des in § 18
Abs. 2, §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgese-
henen Ausschlusses des vorläufigen Rechtsschutzes ge-
gen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der
Dublin-II-Verordnung erübrigt.

Eine grundsätzliche Einführung einer aufschieben-
den Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Rücküberstel-
lungen brauchen wir nicht. Denn das in Art. 3 Abs. 3 der
Dublin-II-Verordnung vorgesehene Instrument des
Selbsteintrittsrechts trägt der jetzigen Situation hinrei-
chend Rechnung.

Und wir wollen sie auch nicht. Wir sind nach wie vor
der Auffassung, dass auch Griechenland ein sicherer
Drittstaat für Asylbewerber ist. Mit der auf ein Jahr be-
fristeten Entscheidung wird ein weiterer Beitrag zum
Prozess der Konsolidierung und Entlastung des griechi-
schen Asylsystems geleistet. Damit schließt sich
Deutschland der Praxis anderer Dublin-Staaten wie
Großbritannien, Schweden, Island und Norwegen an.

Wir stellen mit dieser Entscheidung deshalb nicht das
Dublin-System als solches infrage. Denn die auf dem
Verantwortungsgrundsatz basierenden Zuständigkeits-



gegebene Reden

Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)

regelungen der Dublin-Verordnung und ihres Vorgänger-
abkommens haben sich in den über zehn Jahren ihrer
Anwendung bewährt. Das Dublin-System bietet die Ga-
rantie dafür, dass jeder auf dem Gebiet der teilnehmen-
den Staaten gestellte Asylantrag auch tatsächlich ge-
prüft wird. Hierzu muss das System weiterhin zügige
Entscheidungen und Überstellungen in den zuständigen
Staat ermöglichen. Wie die jetzige und vergleichbare
Entscheidungen anderer Staaten zeigen, bietet die Dub-
lin-Verordnung bereits in ihrer geltenden Fassung hin-
reichende Möglichkeiten, um auf außergewöhnliche Si-
tuationen zu reagieren.

Die griechische Regierung hat zwischenzeitlich der
Kommission einen anspruchsvollen nationalen Aktions-
plan vorgelegt, der eine bessere Bewältigung des Zu-
stroms von Flüchtlingen und Migranten nach Griechen-
land sicherstellt und Defizite in der Behandlung von
Flüchtlingen und Migranten beseitigen soll. Die Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union – darunter auch
Deutschland –, die Kommission und der UNHCR haben
Griechenland substanzielle Unterstützung bei der Um-
setzung der geplanten Maßnahmen zugesagt und werden
– wie bisher – in koordinierter und vielfältiger Weise
helfen.

Die Entscheidung ist auf ein Jahr befristet, weil da-
von auszugehen ist, dass in dieser Zeit substanzielle Ver-
besserungen in Griechenland erreicht werden können.

Dies werden wir ebenso wie das Bundesinnenministe-
rium genauestens beobachten und gegebenenfalls eine
Anschlussregelung prüfen.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1709629200

Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist

zuzustimmen. Das Urteil der Großen Kammer des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Ja-
nuar 2011 verlangt auch aus unserer Sicht eine Ände-
rung der Dublin-II-Verordnung sowie des Asylverfah-
rensgesetzes.

Insbesondere die Regelung im Asylrecht, nach der die
aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels gegen eine
Dublin-II-Rückführung ausgeschlossen ist, verstößt ge-
gen europäisches Menschenrecht. Dies hat auch das
Bundesverfassungsgericht in mehreren Eilentscheidun-
gen, in denen es eine aufschiebende Wirkung eingelegter
Rechtsmittel gegen Rückführungen nach Griechenland
aufgrund einer „grundrechtskonformen Auslegung“ des
§ 34 a Abs. 2 AsylVerfG bejaht hat, so gesehen. Ebenso
urteilten verschiedene Verwaltungsgerichte quer durch
die gesamte Republik.

Die Forderung der Kolleginnen und Kollegen der
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist mithin nicht
nur eine logische Konsequenz aus der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, son-
dern auch aus der deutschen Rechtsprechung.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Das Bundesministerium des Inneren hat im Januar

für ein Jahr alle Überstellungen nach der Dublin-II-Ver-
ordnung nach Griechenland für ein Jahr ausgesetzt.
Zu Protokoll
Hier hat der Bundesinnenminister die volle Unterstüt-
zung der FDP-Bundestagsfraktion. Damit wird die
schwierige Situation berücksichtigt, die in Griechenland
für Asylbewerber besteht. Bereits im Jahr 2010 war nur
ein kleiner Anteil von Personen überhaupt nach Grie-
chenland überstellt worden; in den restlichen Fällen
hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits von ihrem
Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht.

Das Bundesverfassungsgericht hat als Reaktion auf
die Aussetzung die Verfahren, die dort zur Geltendma-
chung einstweiligen Rechtsschutzes anhängig waren,
eingestellt. Es ist über die Notwendigkeit eines einstwei-
ligen Rechtsschutzes also nicht entschieden worden. Die
Bundesregierung geht sehr verantwortungsvoll mit dem
Mechanismus um: Für ein Jahr sind nun Rückführungen
ausgesetzt; bereits im vergangenen Jahr wurden nur
50 Personen nach Griechenland zurückgeschoben, beim
Rest wurde vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht.
Gleichzeitig können Staaten wie Griechenland nicht be-
vorzugt werden, wenn sie die Standards nicht einhalten:
Der Druck muss aufrecht erhalten bleiben. Dennoch hat
die Bundesregierung konkrete Hilfe für die griechischen
Behörden angeboten – hinsichtlich der menschenwürdi-
gen und schnelleren Gestaltung der Asylverfahren und
der Rahmenbedingungen hierzu ist dieses ebenso wie
zur stärkeren Grenzsicherheit vonnöten.

Nicht zuletzt aufgrund der Verhältnisse in Griechen-
land, des Urteils des EGMR und der Verfassungsge-
richtsbeschlüsse zu Dublin II muss man über das System
nachdenken und das auch bei den anstehenden Verhand-
lungen zum Ausdruck bringen. Eine Nachjustierung er-
scheint erforderlich. In diesem Zusammenhang wie die
Antragsteller, plakativ von „menschen- und europa-
rechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts“ zu
sprechen, ist aber überzogen. Die FDP wird in der Koa-
lition mit der CDU/CSU die Asylpolitik weiterhin ver-
antwortungsbewusst und sensibel entwickeln und die
EU-Planungen konstruktiv begleiten.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709629300

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat

am 21. Januar dieses Jahres eine aufsehenerregende
Entscheidung getroffen. Er sprach einem irakischen
Asylsuchenden Schadensersatz zu. Erstens, weil dieser
in Griechenland eine menschenunwürdige Behandlung
zu erleiden hatte. Zweitens, weil er von Belgien im Rah-
men der Zuständigkeitsregelungen der EU für Asylver-
fahren nach Griechenland zurückgeschoben worden
war, ohne dass er gegen diese Entscheidung wirksame
Rechtsmittel einlegen konnte. Er konnte also nicht er-
folgreich gerichtlich dagegen angehen, in einen Staat
überstellt zu werden, in dem ihm schwere Menschen-
rechtsverletzungen drohen.

Diese Zuständigkeitsregelungen in der EU sind in der
sogenannten Dublin-II-Verordnung niedergelegt. Dem-
nach ist immer der Staat für die Durchführung des Asyl-
verfahrens zuständig, über den ein Asylbewerber in die
EU eingereist ist. In den letzten Jahren waren das vor al-
lem Italien und Griechenland.



gegebene Reden

Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

Über die Zustände im griechischen Asylsystem ist
hier schon breit debattiert worden. Mittlerweile hat auch
die Bundesregierung eingestanden, dass die Zustände
dort für Asylbewerber unzumutbar sind und kein faires
Asylverfahren gewährleistet ist. Die Überstellung von
Asylsuchenden wurde nun zumindest erst einmal für ein
Jahr ausgesetzt. Aber die Bundesregierung hat verpasst,
eine andere wichtige Konsequenz aus dem Urteil des
Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu ziehen.
Auch in Deutschland haben Asylsuchende, die über ei-
nen anderen Mitgliedstaat des Dublin-Systems einge-
reist sind, keinen wirksamen Rechtsschutz. Sie erfahren
überhaupt erst am Tag ihrer Abschiebung, dass ihr Asyl-
antrag abgelehnt wurde. Somit bleibt ihnen keine Mög-
lichkeit mehr, dagegen zu klagen.

Der Antrag der Grünen fordert deshalb von der Bun-
desregierung Änderungen an den entsprechenden Rege-
lungen im Asylverfahrensgesetz vorzuschlagen und sich
bei der Neuverhandlung der Dublin-II-Verordnung für
entsprechende Verfahrensgarantien einzusetzen. Das
geht uns alles nicht weit genug. Nach Ansicht der Frak-
tion Die Linke ist durch diese Entscheidung die gesamte
Drittstaatenregelung als Teil des Asylkompromisses von
1993 infrage gestellt. Denn dort wurde schon festgelegt,
dass nur noch eingeschränkten Rechtsschutz erhält, wer
über einen vermeintlich sicheren Drittstaat nach
Deutschland einreist und hier einen Asylantrag stellt. Si-
chere Drittstaaten sind per definitionem alle EU-Mit-
glieder. Doch nicht nur das Beispiel Griechenland zeigt,
dass die Mitgliedschaft in der EU nicht gleich zum si-
cheren Drittstaat qualifiziert.

In den vergangenen Tagen hat die Flüchtlingsorgani-
sation Pro Asyl einen schockierenden Bericht über die
Lage im italienischen Asylsystem vorgelegt. Demnach
ist die Lebenssituation dort nicht nur für Asylbewerber,
sondern auch für anerkannte Flüchtlinge verheerend.
Dieser Ansicht sind bereits mehrere Verwaltungsge-
richte und der Europäische Gerichtshof für Menschen-
rechte gefolgt und haben Dublin-Überstellungen nach
Griechenland verhindert. Die Zahl der Asylbewerber
überstieg in Italien die Zahl der Plätze in staatlich fi-
nanzierten Unterkünften zum Teil um das Zehnfache.
Wer einen Platz in einer solchen Unterkunft erhält, muss
sie nach sechs Monaten wieder verlassen, egal wie der
Stand des Asylverfahrens ist. Die Asylsuchenden werden
systematisch in die Obdachlosigkeit getrieben. Sie er-
halten auch sonst keine staatliche Unterstützung, die ih-
nen ein Existenzminimum garantieren würde. Viele le-
ben in besetzten Häusern oder auf Brachflächen und
müssen sich ohne jede staatliche Unterstützung durch-
schlagen. Wer aber über keinen festen Wohnsitz verfügt,
erhält auch keine Krankenversicherungskarte. Davon
sind nach Angaben der Behörden in Italien 88 Prozent
der nach dem Dublin-Verfahren überstellten Asylsu-
chenden betroffen. Besonders betroffen von dieser ganze
Situation sind, wie immer, besonders schutzbedürftige
Menschen: unbegleitete Minderjährige, alleinreisende
Frauen und jene, die durch die erlittenen Menschen-
rechtsverletzungen in ihrem Herkunftsland traumatisiert
sind.
Zu Protokoll
Situationen wie in Griechenland, in denen eine Re-
gierung nicht in der Lage oder nicht willens ist, die An-
forderungen an ein faires Asylverfahren oder eine men-
schenwürdige Aufnahme von Schutzsuchenden zu
erfüllen, können jederzeit auch in jedem anderen Land
der EU auftreten. Das starre Verteilungssystem der Dub-
lin-II-Verordnung muss deshalb durch ein System ersetzt
werden, das sowohl die Bedürfnisse der Betroffenen als
auch die ökonomische Leistungsfähigkeit der Mitglied-
staaten berücksichtigt. Sollten sich in den nächsten Wo-
chen tatsächlich Zehntausende Flüchtlinge aus Libyen
in Richtung Italien auf den Weg machen, ist dort eine hu-
manitäre Katastrophe riesigen Ausmaßes vorprogram-
miert. Diese kann nur mit einer sofortigen und umfas-
senden Reform des Dublin-Systems verhindert werden.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am 21. Januar 2011 hatte der Europäische Men-
schenrechtsgerichtshof, EGMR, Griechenland und Bel-
gien wegen der Verletzung der Europäischen Menschen-

(Beschwerde Nr. 30696/09)

nischen Asylsuchenden, der 2009 über den Iran, die
Türkei und Griechenland nach Belgien geflohen war, wo
er Asyl beantragte. Er wurde aber wegen der Zuständig-
keitsregeln aus der Dublin-II-Verordnung von Belgien
nach Griechenland zurücküberstellt.

Der EGMR hat festgestellt, dass Griechenland auf-
grund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen, denen
der schutzsuchende Beschwerdeführer dort ausgesetzt
war, Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention,
Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Be-
handlung oder Strafe, verletzt hat. Wegen der zahlrei-
chen Defizite in seinem Asylverfahren hat Griechenland
zudem Art. 13 der Konvention, Anspruch auf rechtliches
Gehör, in Verbindung mit Art. 3 verletzt.

Der Gerichtshof hat weiterhin festgestellt, auch Bel-
gien habe die Europäische Menschenrechtskonvention
verletzt, als es den Beschwerdeführer im Rahmen der
Dublin-II-Verordnung nach Griechenland überstellte:
Zum einen habe Belgien gegen Art. 3 EMRK verstoßen,
indem es den Beschwerdeführer den Gefahren ausge-
setzt habe, die sich aus den Mängeln im Asylverfahren
und aus den Haft- und Lebensbedingungen in Griechen-
land ergaben. Zum anderen sei Art. 13 EMRK, in Verbin-
dung mit Art. 3 EMRK, dadurch verletzt worden, dass es
keine Möglichkeit für den Beschwerdeführer gegeben
hatte, in Belgien gegen die Entscheidung, ihn nach Grie-
chenland zu überstellen, wirksame Rechtsmittel einzule-
gen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
in dieser Grundsatzentscheidung unmissverständlich
klargestellt, dass die Haft- und Lebensbedingungen für
Flüchtlinge in Griechenland gegen die Menschenrechte
verstoßen. Andere europäische Staaten dürfen Asylsu-
chende daher nicht nach Griechenland überstellen. Das
Gericht hat auch festgestellt, dass ein Schutzsuchender
in jedem Fall vor einer Rückführung in einen anderen
EU-Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven recht-
lichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben



gegebene Reden

Josef Philip Winkler


(A) (C)



(D)(B)

muss. Eine solche Möglichkeit gibt es aber nach gelten-
dem deutschem Recht nicht. Diese Entscheidung des
EGMR hat unmittelbare und weitreichende Folgen für
den Rechtsschutz im Asylverfahren in Deutschland.
Denn die deutsche Regelung, wonach die aufschiebende
Wirkung von Rechtsmitteln gegen eine Dublin-Überstel-
lung ausgeschlossen ist, ist mit der Europäischen Men-
schenrechtskonvention nicht vereinbar. Seit den mit dem
1. EU-Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführten
Änderungen wurde über § 34 a Abs. 2 AsylVfG der einst-
weilige Rechtsschutz in Deutschland gegen Entschei-
dungen im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung ge-
nerell ausgeschlossen. Vom Ausland aus kann ein
effektiver Rechtsschutz vor deutschen Verwaltungsge-
richten nicht greifen. Ein Rechtsbehelf ist nur dann
wirksam, wenn irreparable Folgen, wie sie durch die so-
fortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme vor
deren gerichtlicher Überprüfung eintreten können, so-
weit als möglich ausgeschlossen werden können.

Aus dem EGMR-Urteil müssen daher grundlegende
Änderungen für das deutsche Asylverfahrensrecht fol-
gen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Linksfraktion (Drucksache 17/4827)

vom 21. Februar 2011 mitgeteilt, dass sie derzeit prüft,
wie sich Passagen der EGMR-Entscheidung zur Rege-
lung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG verhalten.

Im vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregie-
rung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen,
mit dem der in § 18 Abs. 2, § 27 a, § 34 a Abs. 2 und § 75
AsylVfG vorgesehene Ausschluss des vorläufigen
Rechtsschutzes gegen Überstellungen im Rahmen der
Dublin-II-Verordnung aufgehoben wird und gegen der-
artige Überstellungen im deutschen Recht ein effektiver
Rechtsschutz gemäß der Europäischen Menschenrechts-
konvention und europarechtlichen Vorgaben festge-
schrieben wird. Der EGMR hat in seiner Entscheidung
vom 21. Januar 2011 das belgische Rechtsschutzsystem
für unvereinbar mit Art. 13 EMRK erklärt, obwohl es im
Gegensatz zum deutschen Recht sogar noch einen
– wenn auch äußerst eingeschränkten – Eilrechtsschutz
vorsah. Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass der
völlige Ausschluss durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG erst
recht gegen die EMRK verstößt.

Es bietet sich an, diese gesetzgeberischen Maßnah-
men im Rahmen des geplanten 2. EU-Richtlinienumset-
zungsgesetzes zum Beispiel in das Richtlinienumset-
zungsgesetz zu integrieren. Dieses will unter anderem
die Rückführungsrichtlinie, Richtlinie 2008/115/EG, in
nationales Recht umsetzen, die in ihrem Art. 13 ebenfalls
die Gewährung effektiven Rechtsschutzes fordert.

Weiterhin fordern wir die Bundesregierung im vorlie-
genden Antrag auf, sich in den Verhandlungen über die
Neufassung der Dublin-II-Verordnung sowie der Asyl-
verfahrens-Richtlinie (2005/85/EG) im Europäischen
Rat nachdrücklich dafür einzusetzen, dass Asylantrag-
stellern der Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf in
Einklang mit der EGMR-Rechtsprechung und mit den
gemeinschafts- und völkerrechtlichen Verpflichtungen
der Mitgliedstaaten garantiert wird.
Zu Protokoll
Sowohl die Dublin-II-Verordnung als auch die Asyl-
verfahrensrichtlinie befinden sich derzeit auf EU-Ebene
in der Neuverhandlung. Die klare neue Rechtsprechung
des EGMR ist bei der Neuformulierung des EU-Rechts
so umzusetzen, dass alle Mitgliedstaaten klare und ver-
bindliche Vorgaben für EMRK- und europarechtskonfor-
men effektiven Rechtsschutz erhalten. Nachdem die Bun-
desregierung diese Vorschläge bisher abgelehnt hat,
muss sie nun ihre Verhandlungsposition anpassen und
ihre bisherige Blockadehaltung aufgeben.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709629400

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/4886 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlos-
sen.

Tagesordnungspunkt 25:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenter Stresstest für die Leistungsfä-
higkeit des Bahnprojektes Stuttgart 21

– Drucksache 17/5041 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Haushaltsausschuss

Ihre Reden zu Protokoll geben die Kollegen Ulrich
Lange, Steffen Bilger, Ute Kumpf, Werner Simmling,
Sabine Leidig und Winfried Hermann.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1709629500

Die Grünen haben durch die von ihr selbst initiierten

Demonstrationen gegen Stuttgart 21 in Baden-Württem-
berg viel Zustimmung erhalten. Sie waren in einen Hö-
henrausch der Umfragen geraten. Aber dann kam das
von ihnen geforderte Schlichtergespräch mit Heiner
Geißler. Das Ergebnis hat den Grünen nicht gefallen,
die Grünen haben es nie akzeptiert. Und deshalb disku-
tieren wir heute im Bundestag erneut das Thema.

Es waren die Grünen, die einen gemeinsamen Tisch
unter einem Schlichter Heiner Geißler gefordert haben.
Die baden-württembergische Landesregierung hat dem
zugestimmt. Es wurde sehr hart und kontrovers, aber
meist sachlich gestritten. Heiner Geißler hat seinem Na-
men als unabhängiger Schlichter alle Ehre gemacht.
Für diese Leistung möchte ich ihm meinen Dank erneut
aussprechen. Das war ein Glanzstück an Diplomatie in
einer ausweglos erscheinenden Situation.

Dieses Stuttgarter Modell hat sich in dieser schwieri-
gen Situation nicht nur bewährt, sondern gezeigt, wie in
Zukunft zu Beginn eines Großprojektes verfahren wer-
den muss. Wir müssen die Menschen bei allen Großpro-
jekten frühzeitig informieren und aufzeigen, wo der
Sinn, der Nutzen, die Notwendigkeit liegt. Dies war am
Anfang bei Stuttgart 21 nicht erfolgt. Unter der erfolg-
reichen Schlichtung von Heiner Geißler wurde dies



gegebene Reden

Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

nachgeholt. Was Sie, meine lieben Grünen, aber lernen
müssen, ist, das Ergebnis einer solchen Schlichtung
dann auch zu akzeptieren, wenn es anders ausfällt, als
Sie es wünschen oder erwartet haben. Kommen Sie zu
der Sachlichkeit zurück, die die Schlichtungsgespräche
geprägt hat.

Wir sind von der Leistungsfähigkeit des unterirdi-
schen Bahnhofs überzeugt. Der von Ihnen angespro-
chene Stresstest wird dies belegen. Wir sind fest davon
überzeugt, dass der Bahnknoten Stuttgart 21 einen Leis-
tungszuwachs von 30 Prozent nicht nur über den gesam-
ten Tag verteilt erreichen wird, sondern sogar zu den
Spitzenzeiten.

Die Bahn ist dabei, den Schlichterspruch zu erfüllen
und den Stresstest entsprechend der Vereinbarung des
Schlichterspruches durchzuführen. Die Bahn wird den
Stresstest nicht „hinter verschlossenen Türen“ durch-
führen, wie von den Grünen polemisch unterstellt wird,
sondern sich gemeinsam mit dem Land Baden-Württem-
berg an das in der Schlichtung vereinbarte Verfahren
halten. Die Firma SMA wird die Durchführung des
Stresstestes begleiten und begutachten. Die seitens der
Grünen erhobenen Forderungen nach Einrichtungen ei-
nes Steuerungskreises, Beistellung eines Co-Gutachters
vonseiten des Aktionsbündnisses und Federführung
durch einen unabhängigen externen Gutachter wurden
im Schlichterspruch in keiner Weise aufgeführt. Sie sind
Ausdruck der Grünen, wieder Unruhe und Streit in die-
ses Verfahren zu bringen; die Grünen wollen Sand in das
Getriebe der Schlichtung streuen.

Die Vorgehensweise der Bahn entspricht den Verein-
barungen: Zum einen ist das Verfahren, welches die DB
AG dem Stresstest zugrunde legt, das allgemeingültige
Verfahren für Betriebssimulationen in Deutschland. So-
gar das Eisenbahnbundesamt akzeptiert dies. Außerdem
wird die DB AG die Firma SMA, die, wie ich betonen
möchte, von allen Schlichtungsteilnehmern als Begut-
achter des Stresstestes gewünscht wurde, zu Beginn in
alle Aktivitäten des Stresstestes involvieren. Sobald die
DB AG die ersten Schritte – Eingabe der Infrastruktur-
daten in das System, Konstruktion eines Fahrplans für
die Spitzenstunde – abgeschlossen hat, werden die Er-
gebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt und die weitere
Arbeit im Dialogforum zur Diskussion stellen.

Das Ergebnis des Stresstestes wird zeigen, welche
Leistungsfähigkeit Stuttgart 21 haben wird, und es wird
ein weiteres Stück Vertrauen zurückgewinnen, das im
Vorfeld verloren gegangen war. Wir wollen uns diesem
Stresstest unterziehen, weil es richtig ist, öffentlich dar-
zulegen, welche Leistungsfähigkeit das Projekt wirklich
hat.

Ich fordere Sie auf: Seien Sie doch zumindest jetzt so
viel Demokrat, dass Sie die Ergebnisse des Testes ab-
warten und sich erst dann ein Urteil bilden. Vorabverur-
teilungen nutzen niemandem: Baden-Württemberg
nicht, Stuttgart nicht und langfristig auch Ihrer Partei
nicht, weil Sie sich damit unglaubwürdig machen. Stei-
gen Sie in konstruktive Gespräche ein und suchen Sie
gemeinsam mit uns nach Lösungen, die frei von Partei-
ideologie und der Stuttgarter Bevölkerung nützlich sind.
Zu Protokoll

Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1709629600

Bei dem Antrag der Grünen geht es um eine Ver-

pflichtung der Deutschen Bahn AG. Diese hat sich in der
Schlichtung unter Heiner Geißler bereit erklärt, einen
Stresstest für die Leistungsfähigkeit des unterirdischen
Durchgangsbahnhofs Stuttgart 21 durchzuführen. Da-
mit soll der Beweis angetreten werden, dass ein Fahr-
plan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzen-
stunde – zwischen 7 und 8 Uhr am Morgen, also dann,
wenn der Bahnhof am stärksten gefordert wird – mit gu-
ter Betriebsqualität möglich ist. Dabei sind – gemäß
Schlichterspruch – anerkannte Standards des Bahnver-
kehrs für Zugfolgen, Haltezeiten und Fahrzeiten zur An-
wendung zu kommen.

Den Spezialisten für Fahrpläne der DB Netz AG ste-
hen für diese Modellrechnungen aufwendige Computer-
programme zur Verfügung. Als Basis für die notwendi-
gen Simulationen und Tests werden alle für Stuttgart 21
geplanten Bahnanlagen – wie Gleise, Weichen, Signale
und Bahnsteige inklusive der Eisenbahnstrecken – rund
um Stuttgart übertragen. Die Ergebnisse aus 100 simu-
lierten Betriebstagen bilden dann die Grundlage, um die
Leistungskapazität beurteilen zu können. Das alles wird
Zeit in Anspruch nehmen. Mit einem Ergebnis ist des-
halb erst im Sommer 2011 zu rechnen.

Oft wurde verwundert gefragt, warum die Leistungs-
fähigkeit nicht schon lange feststeht. Dabei wird verges-
sen, dass es absolut unüblich ist, bereits zum jetzigen
Zeitpunkt einen Fahrplan vorliegen zu haben. Als Stutt-
gart 21 geplant wurde, lag die Inbetriebnahme bis zu
20 Jahre in der Zukunft. So weit im Voraus kann kein
Fahrplan realistisch aufgestellt werden.

Bevor ich auf den Antrag eingehe, möchte ich auch
an dieser Stelle noch einmal Heiner Geißler, einem mei-
ner Vorgänger als Landesvorsitzender der Jungen
Union Baden-Württemberg, danken. Heiner Geißler hat
nicht nur dafür gesorgt, wie er immer zu sagen pflegt,
dass die Beteiligten an, sondern auch die Fakten auf den
Tisch kommen. Das ist ihm vorbildlich gelungen. Das
Verfahren hat sehr zur Versachlichung der Debatte bei-
getragen und ist definitiv ein Erfolg. Solche Runden
wird es sicherlich in Zukunft auch bei anderen Projekten
geben.

Lassen Sie mich noch etwas zum Umgang der Grünen
mit der Schlichtung sagen: Sie haben sie gefordert, jetzt
sind sie gegen die Ergebnisse. Sie haben Heiner Geißler
vorgeschlagen, jetzt kritisieren sie ihn. Sie haben wie
alle anderen Beteiligten den Schlichterspruch akzep-
tiert, jetzt wollen sie Änderungen. Sie wollen aus wahl-
taktischen Gründen Termine diktieren – etwa bei der
Forderung, den Stresstest vor der Wahl durchzuführen,
das ist faktisch nicht möglich – und so weiter. So geht es
nicht.

Wir Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP lehnen
den Antrag der Grünen unter anderem aus folgenden
Gründen ab:

Erstens. Die Deutsche Bahn AG wird den Stresstest
nicht, wie behauptet, mit selbst definierten Parametern
durchführen. Der Test wird allgemein gültigen Stan-



gegebene Reden

Steffen Bilger


(A) (C)



(D)(B)

dards folgen, die vom Eisenbahn-Bundesamt anerkannt
sind. Außerdem wird die renommierte Schweizer Firma
SMA die Durchführung begleiten und abschließend be-
gutachten.

Zweitens. Der geforderten Transparenz wird bereits
Rechnung getragen: Das Ergebnis des Stresstests wird
öffentlich gemacht. Außerdem werden alle Grundlagen
der Öffentlichkeit präsentiert. Dann können sie disku-
tiert werden. Schon am 11. März 2011 wurden durch die
DB AG Verfahren, Umfang, Annahmen und Beurtei-
lungskriterien sowie die Form der Qualitätssicherung
durch SMA beim ersten Sondierungstreffen für das Be-
gleitforum Stuttgart 21 vorgestellt. Die weiteren Schritte
sollen auch in Zukunft regelmäßig in Begleitforen prä-
sentiert und diskutiert werden. Mehr Transparenz ist
kaum möglich.

Drittens. Ja, die Grünen haben recht darin, dass der
Stresstest eine Folge der Schlichtung ist. Und genau da-
ran hält sich die Bahn: Sie folgt den während der
Schlichtung getroffen Vereinbarungen. Das Aktions-
bündnis gegen Stuttgart 21 hat übrigens genau diesem
Vorgehen der DB AG bereits zugestimmt. Planungssi-
cherheit bei von allen akzeptierten Abmachungen geht
auch hier vor nachträglichen „Ich-wünsch-mir-was“-
Aktionen.

Viertens. Im Sinne von Effizienz und ohne unnötige
Kostensteigerungen sollten wir die Bahn den Stresstest
durchführen lassen. Wir brauchen hier Handwerker,
keine Mundwerker! Die Grünen sind doch immer die
Ersten, die vor zusätzlichen finanziellen Mehraufwand
warnen und fragen, wer das bezahlen soll.

Fünftens. Die Grünen haben zwar Schlichter und
Schlichtung gewollt und akzeptiert, wehren sich aber
jetzt gegen den Grundtenor des Schlichterspruchs. Das
ist durchaus legitim. Sie verweisen darauf, dass ein sol-
cher gar nicht im Schlichtungsverfahren angelegt gewe-
sen sei. Umso schwerer verständlich ist für mich, dass
sie sich dann einen Punkt herausgreifen und neue
Rechte für sich daraus ableiten. Die Kollegen von den
Grünen picken sich die Rosinen raus. Das ist für uns
nicht hinnehmbar. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer
also aus Teilen des Schlichterspruchs bestimmtes Ver-
halten abliest, muss auch die ganze Schlichtung anneh-
men. In letzter Konsequenz bedeutet das: Stuttgart 21
akzeptieren und nicht mehr bei jeder passenden und un-
passenden Gelegenheit unsachlich dagegen stänkern.

Die zentrale Forderung des Antrags nach Transpa-
renz wird erfüllt, alle anderen Forderungen sind unnö-
tig. Die akzeptierten Vereinbarungen werden dazu ein-
gehalten bzw. noch übertroffen. Somit ist der Antrag
überflüssig und in Teilen sogar kontraproduktiv. Seine
Ablehnung ist deshalb die richtige Konsequenz.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1709629700

Die Schlichtung zu Stuttgart 21 und zur Neubaustre-

cke Wendlingen–Ulm war in zweifacher Hinsicht ein Er-
folg. Nach dem indiskutablen und überzogenen Einsatz
der Polizei am „Schwarzen Donnerstag“ im September
2010 – mit Rückendeckung der Landesregierung – hat
Zu Protokoll
sie zur Versachlichung beigetragen. Durch den intensi-
ven Meinungsaustausch von Befürwortern, Bürger-
initiativen, Vertretern der Deutschen Bahn AG und
Gegnern wurden Ergebnisse geschaffen, die jetzt ausge-
wertet und umgesetzt werden müssen.

In der Schlichtung konnte deutlich gemacht werden,
dass Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen–
Ulm von herausragender verkehrspolitischer Bedeutung
für ganz Baden-Württemberg sind. Die Projekte sind
verkehrs- wie standortpolitisch ohne ernstzunehmende
Alternative. Mit einem Durchgangsbahnhof in der Lan-
deshauptstadt Stuttgart, der Anbindung des Landesflug-
hafens und der neuen Landesmesse sowie der Realisie-
rung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm wird die
erforderliche Verkehrsinfrastruktur geschaffen, um Ba-
den-Württemberg in das europäische Hochgeschwindig-
keitsnetz einzubinden. Das Projekt trägt nachhaltig dazu
bei, den Standort Baden-Württemberg auch in Zukunft
wettbewerbsfähig zu gestalten. Gleichzeitig wird durch
die neue Infrastruktur eine deutliche Verbesserung des
Regionalverkehrs innerhalb Baden-Württembergs er-
reicht; das Projekt nutzt der städtebaulichen Entwick-
lung und erweitert die Kapazität für den Güterverkehr.

Auch die Gegner des Projekts konnten mit ihren kriti-
schen Einwürfen auf problematische Punkte in dem
Großprojekt Stuttgart 21 hinweisen, die verbesserungs-
würdig sind und optimiert werden müssen. Heiner
Geissler hat in seinem Schlichterspruch vom 30. Novem-
ber 2010 für eine Berücksichtigung einer Reihe von
Kritikpunkten der Gegner bei der weiteren Planung und
Durchführung des Projekts Stuttgart 21 plädiert.
Schwachstellen wurden identifiziert, die beseitigt werden
sollen. Das Projekt Stuttgart 21 soll baulich attraktiver,
umweltfreundlicher, behindertenfreundlicher und sicherer
gemacht werden. Im Klartext heißt das, aus Stuttgart 21
wird „Stuttgart 21 plus“.

Dazu gehört der Stresstest als zentrales Ergebnis der
Stuttgart-21-Schlichtung. Die SPD unterstützt den
Stresstest. Mit dieser Computersimulation muss die
Deutsche Bahn die Leistungsfähigkeit des neuen Bahn-
hofs nachweisen. Sie muss zeigen, dass der im Bau be-
findliche Tiefbahnhof von Stuttgart 21 in der Spitzen-
stunde am Morgen bis zu 49 Züge abfertigen kann.
Andernfalls muss die Infrastruktur nachgebessert oder
erweitert werden. Sollte der Stresstest die Notwendigkeit
weiterer Investitionen aufzeigen, muss die Deutsche
Bahn diese realisieren. Die Bahn muss dabei vor allem
jedoch die Durchführung, die Auswertung und die Inter-
pretation der einzelnen Zwischen- und Endergebnisse
des Stresstests öffentlich und transparent gestalten. Ist
er nicht in vollem Umfang transparent, ist das Ergebnis
nicht viel wert. Die Bahn darf beim Leistungstest nicht
den Eindruck erwecken, hinter verschlossenen Türen zu
agieren. Der Stresstest wird sonst nicht akzeptiert. Die
Schlichtung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Die SPD hat nach der Schlichtung gefordert, dass der
Stresstest noch vor den Landtagswahlen am 27. März
vorliegt. Leider wurde dies von der Deutschen Bahn AG
als nicht machbar dargestellt. Umso notwendiger ist es,
dass die Deutsche Bahn AG den Stresstest so transpa-



gegebene Reden

Ute Kumpf


(A) (C)



(D)(B)

rent wie möglich gestaltet und den Dialog mit den Kriti-
kern aufnimmt. Gelingt dies nicht, wird erneut Vertrauen
in die Bahn und die Zustimmung zu Stuttgart aufs Spiel
gesetzt. Es muss alles getan werden, um die Akzeptanz
von Stuttgart 21 durch Transparenz, Kommunikation
und Diskussion weiter zu stärken. Dies muss bereits mit
der Überprüfung der Vorschläge aus dem Schlichter-
spruch auf ihre Umsetzbarkeit hin beginnen. Die Vor-
schläge aus dem Schlichterspruch müssen zügig, trans-
parent und unter Beteiligung der Bürger auf ihre
Umsetzbarkeit hin überprüft werden.

Die Forderung der SPD nach einem Verzicht auf ei-
nen Weiterbau von Stuttgart 21 bis zu einer Volksabstim-
mung war und ist richtig. Große Infrastrukturprojekte
brauchen die Unterstützung der Bevölkerung. Nach dem
27. März wird sich zeigen, wie der Volksentscheid auf
den Weg gebracht werden kann.


Werner Simmling (FDP):
Rede ID: ID1709629800

Dr. Heiner Geißler wurde von der Fraktion Bünd-

nis90/die Grünen im baden-württembergischen Landtag
für das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Schlichter vorge-
schlagen. Alle Fraktionen haben sich diesem Vorschlag
angeschlossen. Wir haben dann mit der Fachschlichtung
ein in Deutschland einmaliges Konzept praktiziert. Es
saßen nicht nur alle an einem Tisch – Gegner und Befür-
worter –, sondern es kamen auch alle Fakten auf den
Tisch. Transparent und offen wurden das Projekt Stutt-
gart 21, aber auch K 21 diskutiert. Das Ergebnis war ein
Schlichterspruch, der betont, dass Stuttgart 21 ein wich-
tiges verkehrspolitisches Projekt und für die Region von
herausragender Bedeutung ist. Alle Teilnehmer der
Schlichtung haben dieses Ergebnis anerkannt und be-
grüßt. Auch bei der Mehrheit der Bevölkerung hat der
Schlichterspruch eine große Akzeptanz gefunden.

Schaue ich mir nun aber Ihren Antrag an, dann habe
ich das Gefühl, dass Sie mit der Schlichtung nicht einver-
standen sind. Lassen Sie mich noch kurz die Genese der
Entwicklungen bis hin zum Schlichtungsspruch wieder-
geben: Auf parlamentarischer Ebene gab es Einwände,
die aber nie zu einer Mehrheit gegen Stuttgart 21 geführt
haben. Es wurden alle Rechtswege beschritten; auch
hier kam es immer zu dem gleichen Urteil: Stuttgart 21
ist rechtsmäßig. Schlussendlich wurden die demokrati-
schen Beschlüsse der parlamentarischen Gremien und
die Rechtmäßigkeit der Urteile infrage gestellt. Der Ruf
nach Mediation und Schlichtung wurde immer lauter.
Die Landesregierung und auch die politischen Parteien
haben diese Schlichtung gemeinsam beschlossen. Der
Erfolg und das Ergebnis dieses Schlichtungsverfahrens
sind unbestritten. Sie wollen aber partout dieses Ergeb-
nis nicht anerkennen und fordern nun über den Schlich-
terspruch hinaus eine Schlichtung Teil zwei.

Liebe Kollegen von Bündnis90/Die Grünen, es ist
schon bemerkenswert, wie Sie mit parlamentarischen
Entscheidungen umgehen; nun aber wollen Sie das Er-
gebnis der von Ihnen geforderten Schlichtung nicht ak-
zeptieren. Sie fordern eine „nachgelagerte Fortführung
des Schlichtungsverfahrens“. Wenn Ihnen dann auch
dessen Ergebnis nicht passt, dann kommt noch eine
Zu Protokoll
Runde – immer so weiter. Mein Eindruck ist, Sie wollen
gar nicht ernsthaft ein Ergebnis, Sie wollten es nie. Sie
wollen blockieren und verhindern, aber konstruktiv mit-
arbeiten an der Sache, dass wollen Sie nicht.

Ich möchte aber gern auf Ihren Antrag und Ihre For-
derungen zurückkommen. Sie stellen es in ihrem Antrag
so dar, als würde die Deutsche Bahn AG jenseits der
Vereinbarungen im Schlichterspruch den Stresstest
durchführen, intransparent, still und heimlich, ohne of-
fenen Dialog mit der Bevölkerung. Diese Behauptungen
sind schlichtweg falsch. Unter Ziffer 11 und 12 des
Schlichterspruches steht ganz klar, dass die Deutsche
Bahn AG den Stresstest durchführt und welche Grundla-
gen sie dafür annehmen muss. Daher ein Zitat aus dem
Schlichterspruch vom 30. November 2010. Darin steht
unter Ziffer 11 und 12 – das ist auf den Seiten 12 bis14 –:

„11. Für die Fortführung des Baues von S 21 halte
ich aus den genannten Gründen folgende Verbesserun-
gen für unabdingbar:

1. Die durch den Gleisabbau frei werdenden Grund-
stücke werden der Grundstücksspekulation entzogen und
daher in eine Stiftung überführt, in deren Stiftungszweck
folgende Ziele festgeschrieben werden müssen: Erhal-
tung einer Frischluftschneise für die Stuttgarter Innen-
stadt. – Die übrigen Flächen müssen ökologisch, fami-
lien- und kinderfreundlich, mehrgenerationengerecht,
barrierefrei und zu erschwinglichen Preisen bebaut wer-
den. – Für notwendig halte ich eine offene Parkanlage
mit großen Schotterflächen.

2. Die Bäume im Schlossgarten bleiben erhalten. Es
dürfen nur diejenigen Bäume gefällt werden, die ohne-
hin wegen Krankheiten, Altersschwäche in der nächsten
Zeit absterben würden. Wenn Bäume durch den Neubau
existentiell gefährdet sind, werden sie in eine geeignete
Zone verpflanzt. Die Stadt sollte für diese Entscheidun-
gen ein Mediationsverfahren mit Bürgerbeteiligung vor-
sehen.

3. Die Gäubahn bleibt aus landschaftlichen, ökologi-
schen und verkehrlichen Gesichtspunkten erhalten und
wird leistungsfähig, zum Beispiel über den Bahnhof
Feuerbach, an den Tiefbahnhof angebunden.

4. Im Bahnhof selber wird die Verkehrssicherheit ent-
scheidend verbessert. Im Interesse von Behinderten, Fami-
lien mit Kindern, älteren und kranken Menschen müssen
die Durchgänge gemessen an der bisherigen Planfest-
stellung verbreitert werden, die Fluchtwege sind barrie-
refrei zu machen.

5. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhof
und in den Tunnels zum Brandschutz und zur Entrau-
chung müssen verbessert werden. Die Vorschläge der
Stuttgarter Feuerwehr werden berücksichtigt.

6. Für das Streckennetz sind folgende Verbesserungen
vorzusehen: Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein
9. und 10. Gleis; Zweigleisige westliche Anbindung des
Flughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke; Zwei-
gleisige und kreuzungsfrei angebundene Wendlinger
Kurve; Anbindung der bestehenden Ferngleise von Zu-
ffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Canstatt zum



gegebene Reden

Werner Simmling


(A) (C)



(D)(B)

Hauptbahnhof; Ausrüstung aller Strecken von S 21 bis
Wendlingen zusätzlich mit konventioneller Leit- und Si-
cherungstechnik.

12. Die Deutsche Bahn AG verpflichtet sich, einen
Stresstest für den geplanten Bahnknoten Stuttgart 21 an-
hand einer Simulation durchzuführen. Sie muss dabei
den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent
Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Be-
triebsqualität möglich ist. Dabei müssen anerkannte
Standards des Bahnverkehrs für Zugfolgen, Haltezeiten
und Fahrzeiten zur Anwendung kommen.

Auch für den Fall einer Sperrung des S-Bahn-Tunnels
oder des Fildertunnels muß ein funktionierendes Not-
fallkonzept vorgelegt werden. Die Projektträger ver-
pflichten sich, alle Ergänzungen der Infrastruktur, die
sich aus den Ergebnissen der Simulation als notwendig
erweisen, bis zur Inbetriebnahme von S 21 herzustellen.
Welche der von mir vorgeschlagenen Baumaßnahmen
zur Verbesserung der Strecken bis zur Inbetriebnahme
von S 21 realisiert werden, hängt von den Ergebnissen
der Simulation ab.

Diese von mir vorgetragenen Vorschläge in den Zif-
fern 11 und 12 werden von beiden Seiten für notwendig
gehalten.“

Auch in der Pressekonferenz nach der Schlichtung
wurde von der Deutschen Bahn AG betont, dass die
Firma SMA den Stresstest begleiten und begutachten
wird. Mitglieder des Aktionsbündnisses haben dies be-
grüßt. Auch in einer Debatte im baden-württembergi-
schen Landtag haben Sie als grüne Fraktion einem An-
trag von CDU, FDP/DVP und SPD zugestimmt, der den
Schlichterspruch und auch den Stresstest unter Durch-
führung der Deutschen Bahn AG begrüßt. Nun fällt ih-
nen aber ein, dass Sie noch einen Steuerungskreis ein-
richten oder weitere externe Gutachter bestellen
möchten. Dies alles ist nicht in dem Schlichterspruch
enthalten. Ich habe langsam den Eindruck, dass Sie
nach der Pippi-Langstrumpf-Methode verfahren: „Ich
mach mir die Welt, wie Sie mir gefällt“. Das kann man
machen, aber wir leben in einem Rechtsstaat und nicht
in Taka-Tuka-Land. Zusagen und Beschlüsse müssen
verbindlich sein, Sie halten sich nicht daran. Für mich
sind Bündnis 90/Die Grünen in der politischen und par-
lamentarischen Arbeit unglaubwürdig und kein zuver-
lässiger Partner. Wir lehnen daher den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen ab.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709629900

Die Mehrheit der Bevölkerung in Stuttgart lehnt das

Großprojekt Stuttgart 21 ab. Die Menschen vor Ort tun
dies unter der Losung „Oben bleiben“. Mit dieser Kurz-
formel bringen sie zum Ausdruck, dass das Denkmal
Bonatzbau in Gänze erhalten, das Gleisfeld als oberirdi-
sches bestehen bleiben und Stuttgart seinen traditionel-
len Kopfbahnhof behalten soll. Sie erwarteten von
Heiner Geißler, dass dieser als Ergebnis des Fakten-
Checks entweder sich von den Sachargumenten überzeu-
gen lassen und sich für das „Oben bleiben“ entscheiden
würde oder dass er sich für eine demokratische Ent-
Zu Protokoll
scheidung der Stuttgarter Bevölkerung aussprechen
würde.

Geißler hat diese Chance zu einer Abwägung der
Sachargumente und zu einem beispielhaften demokrati-
schen Prozess nicht ergriffen. Er entschied sich im Sinne
der Bahn und der CDU, für ein „Weiterbauen plus“; für
Stuttgart 21 mit einigen Nachbesserungen. Die Bevölke-
rung fühlt sich mit dem sogenannten Schlichterspruch
ein weiteres Mal von der Politik getäuscht.

Ein Element bei den Nachbesserungen ist der soge-
nannte Stresstest. Wie immer dieser Test gemeint gewe-
sen sein soll und was immer einige S21-Gegnerinnen
und -Gegner sich dabei gedacht oder damit erhofft ha-
ben, zunächst muss man sich auf den Text als solchen be-
ziehen. Im Schlichterspruch heißt es dazu nur: „Die
Bahn muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahr-
plan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzen-
stunde mit guter Betriebsqualität möglich ist.“ Das Bun-
desverkehrministerium wies bereits im November in
einer ersten Stellungnahme darauf hin, dass in dieser
Festlegung sogar der mathematische Bezugspunkt fehlt:
30 Prozent mehr als was? Inzwischen scheint man sich
darauf geeinigt zu haben, dass die Leistung 30 Prozent
größer als die des gegenwärtigen Kopfbahnhofs sein
müsse.

Das scheint mir bereits eine erste Falle zu sein. Wie in
der Schlichtung durch den langjährigen Stuttgarter
Bahnhofschef Egon Hopfenzitz nachgewiesen wurde,
hatte der Stuttgarter Kopfbahnhof im Jahr 1969 – und
weitgehend ähnlich von 1970 bis 1974 – eine tägliche
Leistung von 809 Zugbewegungen. Heute sind es 650.
Damit lag diese Leistung bereits einmal um knapp
30 Prozent über der gegenwärtigen. Das trifft auch zu
auf die Spitzenstunde, wo besonders viele Vorortzüge
abgefertigt werden mussten. Diese Tagesleistung konnte
deutlich herabgefahren werden, weil 1975 der S-Bahn-
Tunnel eröffnet wurde. Damit entfielen so gut wie alle
sogenannten Vorortbahnen, die heute als S-Bahnen im
„Bauch“ des Kopfbahnhofs verkehren.

Die Polemik gegen den Kopfbahnhof und die vielen
flammenden Plädoyers für einen Durchgangsbahnhof
gehen im Grunde ins Leere. In Stuttgart gibt es seit
36 Jahren einen Durchgangsbahnhof – mit der S-Bahn
und damit dort, wo dies sinnvoll ist: bei den durchzubin-
denden Nah- und teilweise auch regionalen Verkehren.
Und es gibt in der Landeshauptstadt seit mehr als
85 Jahren den bekannten Kopfbahnhof, ebenfalls dort,
wo das Sinn macht: für den weitergeführten Regional-
und für den Schienenpersonenfernverkehr.

Rechnet man den damals erforderlichen Lokwechsel
hinzu, dann lag die reale Leistung 1969 bis 1975 bei
rund 40 Prozent über der heutigen. Es gab also längst
einen Stresstest mit dem Ergebnis einer zusätzlichen
Leistung von weit mehr als 30 Prozent. Und diese Leis-
tung wurde nicht in einem Computerprogramm
simuliert – sie fand in diesem Bahnhof Werktag für
Werktag statt. Demnach hat der jetzige Kopfbahnhof
Leistungsreserven von mindestens 40 Prozent. Das ist in
dem geplanten Kellerbahnhof nie und nimmer darstell-
bar.



gegebene Reden

Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)

Es gibt noch einen weiteren Denkfehler bei der For-
derung nach einem solchen Stresstest für die Leistung
„in der Spitzenstunde“. Es ist nicht von besonderem In-
teresse, wie viel Züge insgesamt pro Stunde oder gar an
einem Tag in einem Bahnhof abgefertigt werden können.
Bei der „Philosophie“ eines „Integralen Taktfahr-
plans“, der in der Schweiz seit mehr als zwei Jahrzehn-
ten mit großem Erfolg praktiziert wird und der ja auch
vom Aktionsbündnis gegen S21 gefordert wird, geht es
um etwas ganz anderes. Der Fahrplanspezialist Profes-
sor Wolfgang Hesse, der auch als Sachverständiger an
der Schlichtung teilnahm, schrieb dazu jüngst in der
renommierten „Eisenbahn-Revue International“, 3/2011:
„Die Grundidee des Integralen Taktfahrplans, ITF, be-
steht darin, zu einem bestimmten Zeitpunkt, vorzugs-
weise zu den leicht merkbaren Minuten 00 und 30, Fern-
und Regionalzüge aus möglichst vielen Richtungen zu-
sammenlaufen zu lassen, um ein wechselseitiges Umstei-
gen in möglichst viele Richtungen zu ermöglichen. Dazu
bedarf es möglichst vieler (…) Bahnsteigkanten, die für
den Rest der Stunde nicht oder nur wenig genutzt wer-
den.“ Es ist einleuchtend, dass ein Kopfbahnhof mit sei-
nen 17 Gleisen dieser Anforderung weit besser gerecht
werden kann als ein Tiefbahnhof mit acht Gleisen. Das
Argument der Bahn, man könne im Kellerbahnhof
„durchbinden“, beantwortet Professor Hesse wie folgt:
„Aus der Not der fehlenden Bahnsteigkanten soll mit
dem Angebot der durchgebundenen Regionalzüge eine
Tugend gemacht werden. Diese bieten zwar dem Fahr-
gast, der zufällig in die angebotene Fahrrichtung wei-
terfahren will, einen Zeitvorteil, für den Wechsel zu an-
deren Fahrtzielen ergeben sich aber in der Regel
weitaus höhere Umsteige- und Wartezeiten.“ Auch ein
optimal verlaufender Stresstest für einen Tiefbahnhof,
wenn er denn als sinnvoll erachtet wird, sagt also rein
gar nichts über dieses entscheidende Erfordernis für ei-
nen ITF aus.

Nun gibt es im Antrag der Grünen eine Reihe von gut
gemeinten Forderungen, wonach der Stresstest mit
„Transparenz und als Dialog auf Augenhöhe“ zu führen
sei, wonach es ein „Steuergremium für den Stresstest“
geben solle und die „Federführung bei“ einem „unab-
hängigen externen Gutachter“ liegen solle. Tatsache
ist: Von all dem ist im Geißler-Spruch nichts zu lesen.
Ein Vierteljahr nach Verkündung der anmaßenden Geiß-
ler´schen Entscheidung können solche Forderungen
leicht vom Tisch gefegt und als „Nachkarten“ denun-
ziert werden. Selbst wenn die DB AG auf solche Forde-
rungen eingehen würde – es dürfte extrem schwer sein,
einen solchen „unabhängigen externen Gutachter“, auf
den sich beide Seiten einigen, zu finden. Die mehrfach
ins Spiel gebracht Züricher Firma SMA ist bereits von
der Auftragslage her erheblich von der DB AG abhän-
gig. Es gibt sogar Gerüchte, dass die DB AG bei SMA
bereits eingestiegen sei.

Es geht jedoch auch um Grundsätzliches. Wenn man
sich einmal auf die Ebene der Nachbesserungen einge-
lassen hat, hat man sich auf eine schiefe Ebene eingelas-
sen. In der Öffentlichkeit entsteht dann der Eindruck,
dass die grundsätzliche Position des „Obenbleibens“
aufgegeben oder zumindest aufgeweicht wird. Das wirkt
Zu Protokoll
entwaffnend und irritierend und es ist kontraproduktiv.
Was würde es denn besagen, wenn der Stresstest „auf
Augenhöhe“ und mit einem „Steuerungsgremium“, mit
Präsenz der S21-Gegner in diesem stattfände und zum
Ergebnis kommen würde: S21 ist möglich als „S21 plus“
mit diesen und jenen Verbesserungen? Es würde sich
rein gar nichts daran ändern, dass mit S21 der Kopf-
bahnhof weitgehend zerstört, in Stuttgart ein Jahrzehnt
lang eine Großbaustelle im Zentrum existiert, die Tun-
nelbauten mit immensen Gefahren für die Mineralwas-
serquellen und die Standfestigkeit der Gebäude verbun-
den sein würde und daran, dass das Projekt als solches
ein Schienenverkehr-Vermeidungs-Projekt ist.

Oben bleiben heißt oben bleiben. Wenn es um Verbes-
serungen und Nachbesserungen geht, dann auch oben.
„Stresstest – könnt ihr haben. Widerstand 2.0“ – so
stand es auf einem schönen Plakat, das im November,
nach Geißlers Spruch, im Schlossgarten hing.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709630000

Sie erinnern sich sicher alle noch gut an die heftigen

Auseinandersetzungen im Herbst letzten Jahres um das
Großprojekt Stuttgart 21 und die dazu öffentlich durch-
geführte Faktenschlichtung in Stuttgart. Stuttgart 21 ist
nach Auffassung der Bundesregierung ein Projekt der
Deutschen Bahn AG. Daher verlässt sie sich bis heute
blindlings auf die Zahlenwerke der Bahn sowie auf die
von ihr behauptete Wirtschaftlichkeit und den verkehrli-
chen Nutzen des Projekts, trotz hoher finanzieller Betei-
ligung und Risiken für den Bund.

Wir sehen dies ebenso wie der Bundesrechnungshof
kritisch. Der Bund beteiligt sich mit 1,2 Milliarden Euro
am Ausbau des Eisenbahnknotens Stuttgart und ist Ei-
gentümer der Deutschen Bahn AG. Er muss also ein ur-
eigenes Interesse daran haben, dass die Kosten des Pro-
jekts Stuttgart 21 nicht explodieren – unabhängig davon,
ob sich dies nun negativ im Bundeshaushalt nieder-
schlägt oder in der Bilanz der bundeseigenen DB AG. Zu-
dem muss der Bund ein ureigenstes Interesse daran ha-
ben, dass der Ausbau des bundeseigenen Schienennetzes
den verkehrlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen hebt
und die DB AG keine Projekte errichtet, die gigantisch
viel kosten, ohne Nutzen für den Schienenverkehr zu
schaffen. Insofern ist es schon sehr aufschlussreich, dass
keine Vertreter des Bundesverkehrsministeriums am
Schlichtungsverfahren teilnahmen und die Bundesregie-
rung damit ausdrücklich ihr Desinteresse an den wirkli-
chen Fakten signalisierte. Das deckt sich mit unseren
jahrelangen Erfahrungen.

Es bedurfte erst der Schlichtung, eines nichtparla-
mentarischen Gremiums auf der Basis des guten Willens
aller Beteiligten, damit mehr Informationen über dieses
Projekt vorgelegt wurden – mehr Informationen übri-
gens, als den Mitgliedern des Deutschen Bundestages im
gesamten Planungsprozess für Stuttgart 21 zugestanden
wurde, selbst wenn sie nur in den Geheimschutzstellen
Einblick in die Unterlagen nehmen wollten, was zur Ver-
schwiegenheit verpflichtet.

Damit sind wir beim Kern unseres Antrags. Die Bahn
begründet den milliardenschweren Umbau des Stuttgar-



gegebene Reden

Winfried Hermann


(A) (C)



(D)(B)

ter Hauptbahnhofs von einem gut funktionierenden
Kopfbahnhof in einen unterirdischen Tunnelbahnhof
insbesondere damit, dass dieser hohe Kapazitätszu-
wächse bewältigen könne. Es war jedoch eine der wich-
tigsten Erkenntnisse der Faktenschlichtung, dass die ei-
senbahntechnische Leistungsfähigkeit des von der DB
AG geplanten neuen Bahnknotens Stuttgart 21 ernsthaft
infrage gestellt werden muss. Daher verpflichtete sich
die DB AG zu einem sogenannten Stresstest, einer Belas-
tungssimulation, bei der nachgewiesen werden soll, dass
Stuttgart 21 in Spitzenbelastungszeiten 30 Prozent mehr
Züge bewältigen kann als der bestehende Kopfbahnhof.
Ansonsten sind Nachbesserungen nötig, und diese ma-
chen das Projekt erheblich teurer, als es ohnehin schon
nach dem jetzigen Stand ist.

Mehr als pikant ist allerdings, dass die Deutsche
Bahn nach den heftigen Auseinandersetzungen, die in
das Schlichtungsverfahren mündeten, eine Beteiligung
unabhängiger Experten und die Einbeziehung von Ver-
tretern des Aktionsbündnisses von Anfang an ablehnt
und den Stresstest selbst durchführen will. Erst die Er-
gebnisse der bahninternen Prüfung sollen zur Kontrolle
an das Schweizer Verkehrsberatungsunternehmen SMA
übergeben werden, dass zu 75 Prozent von Aufträgen
der DB AG lebt. Von einem transparenten Verfahren ist
keine Rede mehr. Dies kritisierte auch Schlichter Heiner
Geißler, der laut Äußerungen in den Medien das Anlie-
gen des Aktionsbündnisses, von Anfang an an der Leis-
tungsüberprüfung beteiligt zu sein, voll unterstützt. Aber
was passiert, wenn die DB AG sich quasi selbst kontrol-
liert und die Nachkontrolle einem Unternehmen über-
lässt, das regelmäßig Aufträge von der DB AG erhält?
Es liegt auf der Hand: Man kommt zu dem gleichen Er-
gebnis wie bereits vor der Schlichtung – Stuttgart 21 ist
wunderbar, funktioniert und benötigt keinerlei Nachbes-
serungen, und selbstverständlich bleibt auch alles im
vertraglichen Kostenrahmen. Für diese Erkenntnis hätte
es allerdings weder das Schlichtungsverfahren noch den
aufwendigen Stresstest benötigt. Das wird auch die Bür-
gerinnen und Bürgern nicht überzeugen, die monatelang
in Baden-Württemberg und ganz Deutschland zu Zigtau-
senden energisch gegen das Projekt protestiert haben.

Der Stresstest ist ein Zwischenergebnis der Schlich-
tung und die zeitlich nachgelagerte Fortführung des
Schlichtungsverfahrens, da zentrale Problempunkte im
Rahmen der Schlichtung nicht abschließend geklärt
werden konnten. Er muss daher den gleichen Kriterien
wie das Schlichtungsverfahren, nämlich Transparenz
und Dialog auf Augenhöhe, folgen. Deshalb fordern wir
die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, in ihrer
Verantwortung als Eigentümerin der DB AG dafür Sorge
zu tragen, dass der Stresstest von Anfang an, also bereits
bei Eingabe der Daten und der Datenverarbeitung, öf-
fentlich und transparent erfolgt. Das heißt, er muss un-
ter Beteiligung des Aktionsbündnisses und unabhängi-
ger Experten durchgeführt werden. Nur dann kann eine
breite Akzeptanz für das Ergebnis erreicht werden. Die
Federführung des Stresstests darf nicht beim Projektträ-
ger der DB AG liegen, denn dessen Planungen sollen ja
schließlich überprüft werden.
Zu Protokoll
Nach den zahlreichen Fehl- und Halbinformationen
bezogen auf Kosten, Risiken und Nutzen von Stuttgart 21
über Jahre hinweg ist das Vertrauen in die Deutsche
Bahn erheblich gestört. Der Stresstest und die daraus
abgeleiteten Konsequenzen sind nur dann tragfähig,
wenn es ein gemeinsames, transparentes Verfahren gibt,
an dem die Projektkritiker des Aktionsbündnisses und
damit die Öffentlichkeit von Anfang an beteiligt sind.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709630100

Sind Sie damit einverstanden, den Antrag auf Druck-

sache 17/5041 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zu überweisen? – Das ist der Fall. Dann ist
es so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 26:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia
Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt, Manuel
Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
wiederbeleben

– Drucksache 17/5042 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben bereits die
Kolleginnen und Kollegen Bareiß, Karl, Nietan, Vogel

(Lüdenscheid), Hunko und Roth (Augsburg).



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1709630200

Gegenstand der heutigen Debatte ist die Wiederbele-

bung der Verhandlungen mit der Türkei zum Beitritt in
die Europäische Union. Im Oktober 2005 wurden unter
der damaligen rot-grünen Bundesregierung Beitrittsver-
handlungen aufgenommen. Die CDU/CSU hat sich von
Anfang an skeptisch gegenüber einer Vollmitgliedschaft
der Türkei geäußert und mit der privilegierten Partner-
schaft ein Gegenkonzept vorgestellt, das der großen Be-
deutung einer engen Beziehung angemessen ist und für
beide Seiten große Vorteile bietet. Wir haben uns aber
auch dazu bekannt, dass beschlossene Verträge gelten
und die Beitrittsverhandlungen weitergehen. Ich sage
ganz klar: Ob die Beitrittsverhandlungen wiederbelebt
werden, liegt ganz allein in der Hand der Türkei, die ent-
scheiden muss, ob sie Reformen will oder nicht. Ich
glaube, sie will sie nicht. Auch nach dem Beginn der
Beitrittsverhandlungen sind die Grundsätze des Kon-
zepts der privilegierten Partnerschaft angesichts des of-
fen gestalteten Verhandlungsprozesses, der ausdrücklich
keine EU-Mitgliedschaft am Ende garantiert, aktuell.

Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass die Tür-
kei ein enorm wichtiger Partner für die Europäische
Union ist und unser Land ein besonderes Interesse an ei-
ner Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Tür-
kei hat. Lassen Sie mich dazu zunächst einige Ausfüh-



gegebene Reden

Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

rungen machen, ehe ich anschließend auf die inner-
türkischen Probleme eingehe.

Zunächst einmal ist die Türkei ein wichtiger Handels-
partner und Investitionsstandort, gehört sie doch mit ei-
nem Bruttoinlandsprodukt von 729 Milliarden US-Dol-
lar im Jahr 2010 zu den 20 größten Volkswirtschaften
der Welt. Die Türkei ist mit ihren 71 Millionen Einwoh-
nern ein wichtiger Handelspartner für Europa und vor
allem auch für Deutschland. So war die Bundesrepublik
mit einem Anteil von rund 10 Prozent an den gesamten
türkischen Wareneinfuhren im Jahr 2009 zweitgrößter
Lieferant der Türkei. Eine enge wirtschaftliche Koope-
ration bietet für beide Seiten große Vorteile. Die Türkei
mit ihrer sehr jungen Bevölkerung besitzt somit ein ho-
hes wirtschaftliches Potenzial.

Darüber hinaus ist die Türkei durch ihre geografi-
sche Lage gleichsam eine Energiedrehscheibe – ein
wichtiges Bindeglied zwischen den Märkten Europas
und den Erdöl und Erdgas exportierenden Ländern des
Nahen und Mittleren Ostens sowie der Region um das
Kaspische Meer. Für die Energieversorgung Europas
spielt die Türkei damit eine immer wichtigere Rolle. Ein
Beispiel ist die Nabucco-Gasleitung, die Westeuropa un-
abhängiger von Russland machen soll.

Vor allem aber – und das betrifft die Außen- und Si-
cherheitspolitik – ist die Türkei ein wichtiges Nato-Mit-
glied, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie die
zweitgrößte Armee des Bündnisses besitzt. Durch die
Nähe zum arabischen Raum stellt sich die Türkei als ein
wichtiger Partner in geostrategischer Hinsicht dar: Die
Türkei grenzt an Georgien, Armenien, Aserbaidschan,
Iran, Irak und Syrien. Damit ist die Türkei für uns ein
wichtiger vermittelnder Brückenstaat zu diesen Län-
dern, gerade was die dortigen Krisenherde betrifft und
gerade angesichts der aktuellen politischen Umwälzun-
gen in Nordafrika und im Nahen Osten. Die Türkei mit
ihrer Staatsform und ihrer außenpolitischen Ausrich-
tung ist als starke Mittelmacht in der Region somit eine
wichtige Brücke zum Nahen Osten und zur islamischen
Welt.

Auf dem Europäischen Rat im Juni 1993 in Kopenha-
gen wurden die Bedingungen für einen Beitritt beschlos-
sen, nämlich Kriterien, die potenzielle Beitrittsländer
zur Europäischen Union erfüllen müssen. Der Acquis
umfasst die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die politi-
schen Beitrittsvoraussetzungen, institutionelle Stabili-
tät, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Men-
schenrechte und den Schutz von Minderheiten.

Nun zum Stand der Reformen. Bei allen oben genann-
ten Kriterien ist die Türkei in den letzten Jahren nicht
viel vorangekommen. Sie hat sich vielmehr, gemessen an
den oben genannten Werten, bei einigen Punkten von
Europa entfernt. Leider hat der Fortschrittsbericht der
EU-Kommission vom Oktober 2010 gezeigt, dass die
Türkei in den letzten Jahren bedauerlicherweise sehr
wenig Reformfortschritte gemacht hat. In der Türkei
herrschen nach wie vor enorme Defizite bei zentralen
Demokratie-Beitrittskriterien. Dazu gehören unter an-
derem der Schutz von Minderheiten, Frauenrechte, Mei-
nungsfreiheit und Pressefreiheit. Die stagnierenden Re-
Zu Protokoll
formentwicklungen machen mir große Sorge. Jüngste
Verhaftungen von Journalisten wegen angeblicher Mit-
gliedschaft in terroristischen Netzwerken, eine Welle
von Klagen und Ermittlungen gegen Karikaturisten,
Reporter und Kolumnisten wegen Verleumdung und an-
tistaatlicher Propaganda, exorbitante Steuerstrafen
gegen regierungskritische Medienunternehmen sowie
medienkritische Äußerungen von Politikern geben An-
lass dazu. Bis die Türkei diese Grundwerte westlicher
Demokratien nicht nur auf dem Papier verabschiedet
hat, sondern die Gerichte und die Menschen diese Prin-
zipien auch verinnerlicht haben, wird wohl noch eine
lange Zeit vergehen.

Dass zurzeit keine weiteren Kapitel in den Beitritts-
verhandlungen eröffnet werden, liegt an der unnachgie-
bigen Haltung der türkischen Regierung in der Zypern-
Frage. Die Türkei verstößt in der Zypern-Frage gegen
Völkerrecht, indem es den Norden besetzt hält und sich
einer Einigung Zyperns nach wie vor entgegenstellt. Die
Türkei ist gemäß Ankara-Protokoll verpflichtet, die
Zollunion mit der EU auf alle Mitgliedstaaten anzuwen-
den, und das heißt, türkische Häfen und Flughäfen für
zypriotische Waren zu öffnen. Unsere Bundeskanzlerin
hat in vielen Gespräche mit der Türkei und mit Zypern
dieses Problem klar angesprochen und betont, dass sich
beide Seiten bewegen müssen und dass die Bundesregie-
rung bereit ist, bei der Überwindung der Probleme Hil-
festellung zu geben. Daher verstehe ich den Vorwurf der
Untätigkeit der Grünen gegenüber der Bundesregierung
nicht. Ebenfalls hat die Bundesregierung immer betont,
dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden.

Wenn Ministerpräsident Erdogan die Türkei als
Schutzmacht für die in Deutschland und Libyen leben-
den Türken bezeichnet, dann ist das schlichtweg ein
nicht hinnehmbarer Vergleich. Solche Vergleiche und
solche Reden von Ministerpräsident Erdogan sind si-
cher nicht förderlich, um zu zeigen, dass sich die Türkei
der Europäischen Union annähert. Und seine Aussage
in Düsseldorf, dass die in Deutschland lebenden Kinder
mit türkischen Eltern zuerst türkisch lernen sollen, zeigt,
dass die Türkei noch weit weg vom gemeinsamen euro-
päischen Verständnis ist.

Zu begrüßen sind die Fortschritte, die durch das Ver-
fassungsreferendum in der Türkei im September letzten
Jahres erreicht werden konnten. Die Reform des Justiz-
wesens ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zu begrü-
ßen ist auch, dass sich die Türkei mit Armenien darauf
geeinigt hat, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
Dies war sicher kein einfacher Schritt nach fast hundert
Jahren Lügen und Leugnen des Massenmordes an den
Armeniern.

Nun zur Lage der Christen in der Türkei. Nicht hin-
nehmbar ist für mich, dass in der Türkei das Recht auf
freie Religionsausübung als einer der Grundpfeiler un-
serer Werteordnung nicht gewährleistet ist. Das christli-
che Leben wird dort weiterhin stark eingeschränkt. Es
ist den christlichen Minderheiten in der Türkei nicht ge-
stattet, ihren Nachwuchs an Geistlichen auszubilden
oder Unterricht in den Sprachen der Minderheiten zu er-
teilen; sie dürfen keine Kirchen errichten und ihren



gegebene Reden

Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Glauben nicht frei praktizieren. Ein weiterer großer
Rückschlag ist auch das Urteil in Bezug auf das Kloster
Mor Gabriel. Mor Gabriel ist eines der ältesten Klöster
der Christenheit und soll nun nach Meinung des obers-
ten Gerichtshofes in Ankara zugunsten des Schatzamtes
Midyat enteignet werden. Die Kläger wurden von der re-
gierenden AKP-Partei massiv unterstützt.

Es muss ein deutliches Signal aus Deutschland, aber
auch aus Europa, in die Türkei gesandt werden, dass das
Menschenrecht der Religionsfreiheit auch in der Türkei
uneingeschränkte Geltung bekommen muss. Ich bin un-
serem Bundespräsidenten Christian Wulff sehr dankbar,
dass er in seiner vielbeachteten Rede vor dem türkischen
Parlament besonders unterstrichen hat, dass die Religi-
onsfreiheit für unsere europäische und deutsche Werte-
gemeinschaft unabdingbar ist. Zu Recht wies er mit sei-
ner Mahnung, Religionsfreiheit auch für Christen
möglich zu machen, auf die herrschenden Missstände in
Bezug auf die Religionsfreiheit hin. So wie die Muslime
in Deutschland ihre Religion ohne jegliche Einschrän-
kungen praktizieren und leben können, muss Gleiches
auch für die in der Türkei lebenden Christen gelten. Wie
Volker Kauder bin ich der Auffassung, die Einhaltung
der Religionsfreiheit zur Voraussetzung für die Öffnung
neuer Kapitel zu machen.

Am 12. Juni 2011 finden in der Türkei die Wahlen zum
türkischen Parlament statt. Die neue türkische Regie-
rung wird vor einer Reihe wichtiger Aufgaben und Her-
ausforderungen stehen. Ein vorrangiges Ziel auf der po-
litischen Agenda wird die Erarbeitung und
Verabschiedung einer neuen Verfassung sein. Im weite-
ren Entwicklungsprozess hat die Türkei die Möglichkeit,
ihre rechtsstaatlichen Probleme und Demokratiedefizite
zu lösen sowie die Rolle der Religion in Politik und Ge-
sellschaft neu zu definieren.

Wir unterstützen aus Überzeugung den Reformpro-
zess, bei dem sich die Türkei an europäischen Werte-,
Wirtschafts- und Rechtsstandards orientiert. Die Türkei
ist ein wichtiger Partner Deutschlands und der Europä-
ischen Union in der Region. Die CDU/CSU setzt auf
eine starke Türkei an der Seite Europas. Aber als voll-
wertiges EU-Mitglied sehen wir die Türkei nicht und
setzen weiterhin auf das Konzept der privilegierten
Partnerschaft.


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1709630300

Wenn wir uns heute mit dem Antrag der Grünen be-

fassen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
wiederzubeleben, so mutet dies wie eine Pflichtübung
an. In periodischen Abständen wird aus dem Lager der
Opposition der Vorschlag geradezu gebetsmühlenartig
wiederholt, das Tempo der Türkei in Richtung Europa zu
forcieren. Bedauerlicherweise geht das Petitum bei die-
sem Antrag – wie bei manch anderen gleichgerichteten
Überlegungen – immer in die Richtung der Europäi-
schen Union, der europäischen Einrichtungen. Immer
wird subtil unterstellt, dass „Europa“, dass die „euro-
päischen Einrichtungen und Institutionen“ eine gewisse
Bringschuld an Aktivitäten nunmehr zu leisten hätten,
dass es an der Zeit wäre, dass die Europäische Union
Zu Protokoll
nun endlich „ihre Hausaufgaben macht“, nun endlich
ihre Verpflichtungen gegenüber der Türkei einhält, um
der Türkei den Weg in die Europäische Union zu ebnen.

Bei Licht betrachtet sehen die Dinge jedoch ganz an-
ders aus. Nicht die Europäische Union hat eine Bring-
schuld gegenüber der Türkei, vielmehr ist es gerade umge-
kehrt. Um in eine bestehende Gemeinschaft aufgenommen
zu werden, sind die Grundsätze der Gemeinschaft zu ak-
zeptieren, sind deren Grundlagen zu akzeptieren. Es
wäre ja geradezu schizophren, wenn jemand, der sich ei-
ner Gemeinschaft anschließen möchte, darauf pochen
und bauen könnte, dass die festgefügte Organisation
sich deshalb verändert, weil das neue Mitglied, das um
Aufnahme ersucht, in wesentlichen Teilen zu der beste-
henden Gemeinschaft nicht passt. Das wäre ja genau so,
als wenn jemand in einen Verein aufgenommen werden
möchte, aber als Nicht-Mitglied vom Verein verlangt,
dass dieser schon einmal – quasi vorab – seinen Vereins-
zweck ändert, um den Verein passend für ihn zu machen.

Wer solch einem Gedankengang nachhängt, liegt
doch völlig verkehrt, gerade andersherum wird ein
Schuh aus der Sache. Derjenige, der einer Gemeinschaft
beitreten will, muss von sich aus zu der Gemeinschaft
passen; hierbei sehe ich gerade nicht zu überwindende
Schwierigkeiten. Die Aufnahmewünsche der Türkei in
die EU sollten aus verschiedener Sichtweise, auch aus
historischer Sicht, beleuchtet werden. Wir müssen min-
destens bis in das Jahr 1957 zurückblicken, als die
Staatsmänner Europas in Rom die Verträge, die „Römi-
schen Verträge“, geschlossen haben, um eine Europäi-
sche Wirtschaftsgemeinschaft zu begründen. Schon
Jahre vorher, durch eine gemeinsam ausgerichtete Poli-
tik bei Kohle und Stahl, zusammengekommen, wurde
1957 in Rom manifestiert und fortgeschrieben, dass man
sich künftig in Europa auf eine gemeinschaftliche Wirt-
schaftspolitik einigen wollte.

Aus früheren Feinden wurden über wirtschaftliche In-
teressen politische Freunde. Die nunmehr von Zäunen
und Schlagbäumen befreiten westeuropäischen Länder,
die sechs Kernländer Europas, konnten sich ohne au-
ßenwirtschaftliche Schranken hervorragend entwickeln
und haben eine noch nie dagewesene wirtschaftliche
Prosperität in den letzten fünf Jahrzehnten gesehen. Die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich zur Euro-
päischen Gemeinschaft und dann zur Europäischen
Union entwickelt. 27 Länder Europas sind es mittler-
weile, die weit über die wirtschaftlichen Interessen hin-
aus eine gemeinschaftliche europäische Politik auf vie-
len Feldern wollen.

Nach den Erweiterungen der EU ist das „politische
Europa“ groß geworden, es hat frühere trennende regio-
nale Grenzen aufgehoben. Durch die deutliche Erweite-
rung Europas nach Süden, nach Norden und nach Osten
ist Europa allerdings auch auf regionale Grenzen gesto-
ßen. Heute gilt es, das groß gewordene Europa zu konso-
lidieren.

Grenzen sind aber nicht nur regional zu definieren.
Die Gemeinschaft darf nicht an der Oberfläche düm-
peln. Europa muss gerade an Tiefgang gewinnen, um die
über Jahrzehnte hin gewachsenen Grundlagen des poli-



gegebene Reden

Alois Karl


(A) (C)



(D)(B)

tischen Europas überall zu implementieren und nicht zu
verwässern. Neben den regionalen Grenzen gibt es auch
noch ganz andere Grenzen, geistige Grenzen zum Bei-
spiel, die die Identität Europas bedeuten. Es gibt die kul-
turelle Identität, es gibt die weltanschauliche Identität
und es gibt die historische Identität Europas.

Durch die jetzigen 27 Mitgliedstaaten Europas kön-
nen im Wesentlichen diese kulturellen, weltanschauli-
chen und historischen Identitäten subsumiert werden –
auch wenn der Beitritt Rumäniens und Bulgariens mit
gewissen Schwierigkeiten versehen war. Es bleibt jedoch
festzustellen, dass sich die frühere Wirtschaftsgemein-
schaft hervorragend entwickelt hat zu einer Gemein-
schaft, die nach außen hin mit einer gleichmäßig ausge-
richteten Außen- und Sicherheitspolitik aufwartet und
die ihre gemeinschaftliche Zukunft in einer gleichge-
richteten Wirtschafts- und Währungspolitik sucht.

Die Einführung des Euro war ein außerordentlich
wichtiger und markanter Punkt in der gemeinschaftli-
chen Politik in Europa. Das gemeinsame Geld hat die
gemeinsamen Wurzeln Europas, hergeleitet aus ihrer
Tradition und aus ihrer Kultur, ganz deutlich manifes-
tiert. An diesen Entwicklungen in Europa bis zurück ins
Mittelalter hat die Türkei keinen Anteil gehabt. Die kul-
turellen, die geistigen und die historischen Wurzeln Eu-
ropas sind nicht die gleichen wie die der Türkei. Wenn
die Türkei also Aufnahme in die Europäische Gemein-
schaft sucht, dann kann man sich nicht auf eine aus ge-
meinschaftlichen Wurzeln herrührende Tradition beru-
fen.

Die Interessen der Türkei liegen heute auf wirtschaft-
lichem Gebiet. Die gewünschten Beitrittsverhandlungen
mit der Türkei sind Verhandlungen, um der Türkei wirt-
schaftliche Vorteile zu bringen. Dies ist nichts Schlechtes,
und Verhandlungen werden seit Jahrzehnten betrieben.
Von den wirtschaftlichen Interessen zu unterscheiden sind
aber eben die tiefer gehenden Überlegungen; die Frage
lässt sich darauf reduzieren: Ist die Türkei ein europäi-
sches Land, das in die EU aufgenommen werden kann,
oder nicht? Die augenblicklichen Diskussionen sind da-
her manchmal etwas peripher.

Gewiss hat die Türkei augenblicklich nicht die Reife,
die man sich von einem rechtsstaatlichen, demokratisch
verfassten Land vorstellt. Verstöße gegen die Meinungs-
freiheit sind evident. Erst vor wenigen Wochen wurden
Journalisten in der Türkei festgenommen wegen angeb-
licher Mitgliedschaft in einer Organisation Ergenekon,
die sich gegen Ministerpräsident Erdoğan wendet.

Die Religionsfreiheit ist in der Türkei in großen Tei-
len nicht gegeben. Noch immer können Kirchen und
christliche Glaubensgemeinschaften kein Eigentum er-
werben, noch immer ist die Ausbildung für Priester und
Ordensleute in der Türkei nicht möglich. Die Enteignun-
gen beim 1 600 Jahre alten Kloster Mor Gabriel sind ein
unglaubliches Zeugnis dafür, dass die Religionsfreiheit,
insbesondere die Religionsfreiheit der Christen, in der
Türkei geradezu mit Füßen getreten wird. Auf dem
Christenverfolgungsindex 2011 rangiert die Türkei auf
Platz 30, noch vor Weißrussland und dem Sudan.
Zu Protokoll
Die Türkei kommt auch bei der Zypern-Politik, was
die Fortschrittsberichte der EU anbelangt, außerordent-
lich schlecht weg. Auch dadurch gibt die Türkei zu er-
kennen, dass sie sich an internationales Recht und an in-
ternational übliche Vorgehensweisen nicht halten
möchte.

Diese Dinge mögen überwindbar sein. Anstelle der
geknebelten Presse könnte nach einem langen Prozess
durchaus auch Pressefreiheit treten, Christen und an-
dere Religionsgemeinschaften könnten längst mit ähnli-
chen Rechten ausgestattet sein wie die vorherrschende
Religion im Lande, der Islam. All dies erwarten wir seit
langem schon gerade auch deswegen, weil uns die Tür-
kei als Nachbar nahesteht. All dies würde aber nicht das
Grundsätzliche entkräften, nämlich, dass die Türkei kein
europäisches Land ist. Ein Land, das zu mehr als
90 Prozent in Asien liegt, kann durch keinerlei rhetori-
sche Volte zu einem europäischen gemacht werden.

Um einen ehrlichen Umgang mit der Türkei zu pfle-
gen, ist es an der Zeit, der Türkei zu sagen, dass das tür-
kische Interesse an einer besser koordinierten Wirt-
schaftspolitik durchaus respektiert und protegiert werden
kann, dass wir aber nicht in eine europäische Wirt-
schaftsgemeinschaft zurückfallen wollen.

Die Lösung, die die Bundeskanzlerin Angela Merkel
auch in der Türkei sehr offen vertreten hat, ist daher
richtig. Die Türkei kann mit einer privilegierten Part-
nerschaft all die wirtschaftlichen Überlegungen treffen,
die sie sich in Bezug auf die EU vorstellt. Eine privile-
gierte Partnerschaft ist nichts Ehrenrühriges, ein Bei-
tritt in die EU ist das allerdings auch nicht. Die Ehrlich-
keit gebietet es auch, den Türken zu sagen, was möglich
ist und was nicht – und ein Beitritt ist nicht möglich.
Wenn ein Beitritt also nicht möglich ist, sind auch Bei-
trittsverhandlungen nur Hinhaltetaktiken. Dies ist nicht
seriös. Beitrittsverhandlungen, wie von den Grünen jetzt
gefordert, wiederzubeleben, bedeutet nichts anderes, als
diese Hinhaltetaktiken fortzusetzen. Damit ist der Türkei
jedoch nicht gedient; dafür stehen wir auch nicht zur
Verfügung.


Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1709630400

Vor zwei Tagen fand ich eine Postkarte der rechts-

populistischen Partei „Pro Deutschland“ im Briefkas-
ten meiner Berliner Wohnung. „Wir wollen die Türkei
nicht in der EU!“ lautet die Überschrift dieser Hetz-
schrift, in der die Bürger gebeten werden, sich an einer
Petition an den Bundestag zu beteiligen, in der wir Ab-
geordnete aufgefordert werden, „in allen zuständigen
Gremien gegen den geplanten Beitritt der Türkei zur EU
zu stimmen.“

Es scheint, als sei die Frage eines möglichen Beitritts
der Türkei zur EU wie keine andere geeignet, die Ängste
der Menschen in unserem Land zu mobilisieren. Doch
geht es hier nicht etwa um die Ängste vor einem Kollaps
der EU durch Überdehnung. Es dreht sich immer wieder
um die eine große Angst: die Angst vor dem Islam.

Auch ich als Befürworter eines Beitritts der Türkei
zur EU muss einräumen, dass es nicht nur gute Argu-



gegebene Reden

Dietmar Nietan


(A) (C)



(D)(B)

mente für einen Beitritt, sondern auch ernstzunehmende
Argumente gegen einen Beitritt gibt. Dass die Türkei ein
muslimisch geprägtes Land ist, ist allerdings in keiner
Weise ein ernsthaftes Argument gegen einen EU-Beitritt.

Die Europäische Union versteht sich ausdrücklich als
eine Gemeinschaft, die sich den säkularen Werten von
Demokratie, Menschenrechten, Pluralität und sozialer
Marktwirtschaft verpflichtet fühlt. Wir sind kein christli-
cher Klub. Und ich als gläubiger Christ sage ausdrück-
lich: Das ist auch gut so.

Wer sich allerdings anschaut, mit welcher Inbrunst
manche Vertreter von CDU und CSU sich gegen eine
mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei wenden, der
muss feststellen, dass diese Kräfte ebenfalls mehr von ei-
ner dumpfen Islamophobie getrieben sind als von einer
sachlichen Abwägung der Vor- und Nachteile eines
möglichen Beitritts der Türkei zur EU. Das mag viel-
leicht allzu menschlich sein, aber es zeugt nicht von po-
litischer Reife.

Es ist wirklich erschreckend, dass die massive Ableh-
nung der Türkei von weiten Teilen der Konservativen in
unserem Land auf einer zutiefst vorurteilsbeladenen und
oft ganz und gar falschen Sicht auf die Türkei fußt, die
mit den heutigen Realitäten oft nichts mehr zu tun hat.

Wer sich auf eine rationale, nicht von Ängsten gesteu-
erte Abwägung der Argumente für einen Beitritt der Tür-
kei einlässt, wird ihm durchaus einiges abgewinnen kön-
nen.

Zuerst einmal sollte man sich in Erinnerung rufen,
dass die Türkei ja erst der EU beitreten kann, wenn sie
den gesamten Rechtsrahmen der EU in ihrer Gesell-
schaft umgesetzt hat. Die Türkei müsste in den Fragen
von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten, Re-
ligionsfreiheit, Achtung von Eigentumsrechten, Minder-
heitenschutz, Justiz, Wirtschaftsverfassung und vielem
mehr so sein wie die anderen EU-Mitgliedstaaten, und
dies nicht nur auf dem Papier, sondern in der gesamtge-
sellschaftlichen Realität. Dass die Türkei heute diese
Standards noch nicht erfüllt, wird selbst von den enthu-
siastischsten Beitrittsbefürwortern nicht bestritten.

Und natürlich ist es in keiner Weise hinnehmbar, dass
unter dem Vorwand der sogenannten Ergenekon-Ermitt-
lungen in den letzten Jahren immer mehr Journalisten in
der Türkei ohne Beweise inhaftiert worden sind. Die
jüngsten Verhaftungen der beiden verdienten Journalis-
ten Ahmet Sik und Nedim Sener lassen vermuten, dass
der Fall Ergenekon von den jetzt in der Türkei Regieren-
den dazu genutzt wird, kritische Journalisten mundtot zu
machen. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit stellt ganz
eindeutig einen Rückschritt auf dem Weg der Türkei in
die EU dar.

Doch jeder, der zu Recht die Verletzung von Minder-
heitenrechten, Pressefreiheit und anderen Bürgerrech-
ten in der Türkei kritisiert, müsste doch eigentlich ein
großes Interesse an Fortschritten der Türkei im EU-Bei-
trittsprozess haben.

Und in der Tat kann man feststellen, dass seit 1999,
als der Europäische Rat von Helsinki der Türkei den
Zu Protokoll
Status eines Beitrittskandidaten gab, die Türkei im Zuge
des Beitrittsprozesses auf den Gebieten von Rechtsstaat-
lichkeit bis Demokratisierung größere Fortschritte ge-
macht hat als in all den Jahrzehnten davor.

Die Türkei gilt als eine der dynamischsten Volkswirt-
schaften mit hervorragenden Entwicklungsprognosen.
Sie ist eine junge Gesellschaft mit vielen gut ausgebilde-
ten Menschen. Aus wirtschaftlichen Gründen wandern
mittlerweile mehr Menschen von Deutschland in die
Türkei ein als umgekehrt. Das sollte uns zu denken ge-
ben. Aus all dem wird schnell klar: Die Türkei wäre eher
eine große Chance als eine Belastung für den EU-Bin-
nenmarkt. Dies käme unserem Land als „Exportwelt-
meister“ sicherlich besonders zugute. Schon jetzt liegen
wir bei Importen und Exporten auf Platz eins als der
wichtigste Handelspartner der Türkei. Und trotzdem
gleicht der Versuch, ein Visum für Deutschland zu erhal-
ten, für türkische Geschäftsleute eher einem Himmel-
fahrtskommando.

Für die politischen und wirtschaftlichen Eliten der
Türkei war seit der Staatsgründung der modernen,
„postosmanischen“ Türkei Europa immer das große
Ziel. Die neue Türkei sollte eine moderne Republik sein,
den Werten der Aufklärung und Moderne verpflichtet
und den Blick auf Europa gerichtet.

Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir Euro-
päer der Türkei mit dem 1963 geschlossenen Assoziie-
rungsabkommen bereits ein klares Signal gegeben, wel-
ches lautete: Wenn ihr Türken es ernst meint mit dem
Weg nach Europa und euer Land entsprechend refor-
miert, dann steht euch die Tür nach Europa weit offen.

Allerdings muss die Türkei sich auch darauf verlas-
sen können, dass man es mit diesem Versprechen auch
heute noch ernst meint. Doch aus innenpolitischen
Gründen sind es insbesondere Präsident Sarkozy und
Bundeskanzlerin Merkel, die alle Beschlüsse und Ver-
sprechen der EU hinsichtlich einer fairen Chance auf ei-
nen Beitritt gegenüber der Türkei unterlaufen. Während
der französische Präsident aus seiner Ablehnung des
Beitritts keinen Hehl macht, laviert – wie so oft – die
Bundeskanzlerin in dieser Frage herum. Angesichts der
derzeitigen Schwierigkeiten im Beitrittsprozess reicht
die demonstrative Passivität von Frau Merkel schon
aus, um klar zu machen, dass die derzeitige Bundesre-
gierung nicht mehr an der Seite der Türkei steht.

Die Folgen sind verheerend: Gerade die Menschen,
die in der Türkei mutig für mehr Demokratie und Rechts-
staatlichkeit eintreten, fühlen sich von der jetzigen Bun-
desregierung im Stich gelassen. Für diese Menschen
war die Beitrittsperspektive immer die entscheidende
Unterstützung in ihrem Kampf für die Menschenrechte.

Doch auch immer mehr Teile der politischen und
wirtschaftlichen Eliten der Türkei wenden sich frustriert
von Europa ab. Jetzt, wo endlich die Reformen in Gang
kommen, die die Europäer als Bedingung für den Eintritt
gefordert haben, schlägt man ihnen die Türe vor der
Nase zu. Wer aber den politischen Eliten in der Türkei
die europäische Perspektive verweigert, zwingt diese ge-
radezu dazu, sich neue Perspektiven zu suchen. Hier



gegebene Reden

Dietmar Nietan


(A) (C)



(D)(B)

bieten sich dann leider insbesondere der Nationalismus
und der Islamismus an. Das kann nicht in unserem Inte-
resse sein. Besonders scheinheilig ist es dann auch noch,
wenn sich die Konservativen in Europa, die der Türkei
seit Jahren die kalte Schulter zeigen, jetzt lauthals darü-
ber beschweren, dass die Türkei sich vom Westen ab-
wende.

Die Türkei spielt eine herausragende Rolle in der Re-
gion. Ihre geostrategische Lage ist von größter Bedeu-
tung. Nahost-Konflikt, Schwarzmeer-Kooperation, Er-
schließung der Energiereserven im Kaspischen Raum,
Irak, Iran, Versöhnung des Orient mit dem Okzident
oder auch die Energiesicherheit – es gibt an der europä-
ischen Peripherie kaum eine Frage von Belang, bei der
die Türkei nicht eine entscheidende Rolle spielt.

Wie sehr würde es gerade uns Deutschen, aber auch
der EU insgesamt zum Vorteil gereichen, wenn wir in all
diesen Fragen die Türkei als Freund und Partner an un-
serer Seite hätten. Vielleicht muss man es einmal so
deutlich sagen: Es scheint so, als haben all die konser-
vativen Kräfte in Europa in ihrer teilweise schon obses-
siven Anti-Türkei-Agitation völlig aus den Augen verlo-
ren, dass wir die Türkei am Ende möglicherweise mehr
brauchen als diese uns.

Niemand will der Türkei einen Rabatt im Beitrittspro-
zess einräumen. Niemand geht von einem Beitrittsauto-
matismus aus. Niemand bestreitet die immer noch
vorhandenen Defizite in puncto Rechtsstaatlichkeit,
Pressefreiheit und Minderheitenrechte in der Türkei.
Niemand behauptet, dass die Türkei schon morgen Mit-
glied der EU werden könnte. Niemand glaubt, dass ein
Beitritt der Türkei in die EU ein Kinderspiel sei. Nie-
mand bestreitet, dass die EU selbst dringend weiterer
Reformen bedarf, um ihre eigene Aufnahmefähigkeit zu
stärken.

Doch gerade angesichts der dramatischen Ereignisse
in unserer unmittelbaren Nachbarschaft rund um das
Mittelmeer brauchen wir jetzt eine EU, die sich nicht ab-
kapselt und sich in Ängsten ergeht, sondern mit Mut und
Zuversicht ihrer Rolle als ein gutes Beispiel für politi-
sche Weitsicht und beherztes Eintreten für die Werte von
Demokratie und Menschenrechten gerecht wird.

Dem Beitrittsprozess mit der Türkei jetzt neue Im-
pulse zu geben und somit zu dem Versprechen zu stehen,
das wir der Türkei 1963 gegeben haben, das wäre eine
wirklich weitsichtige Politik. Aber noch wichtiger wäre
dabei das Signal, welches wir den Menschen innerhalb
und außerhalb der EU geben würden: dass wir selbst
nämlich immer noch an die Kraft unserer eigenen euro-
päischen Ideen glauben.


Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1709630500

Heute überraschen uns die Grünen ausnahmsweise

einmal mit Regierungskritik im Gewand der EU-Bei-
trittsverhandlungen mit der Türkei. Dazu möchte ich Ih-
nen noch einmal die Koalitionsvereinbarung zwischen
Union und FDP in Erinnerung rufen. Dort heißt es:
„Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer Ver-
tiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Türkei und
Zu Protokoll
an einer Anbindung des Landes an die Europäische
Union. Die 2005 mit dem Ziel des Beitritts aufgenomme-
nen Verhandlungen sind ein Prozess mit offenem Ende,
der keinen Automatismus begründet und dessen Aus-
gang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.“

Die Kollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/Die
Grünen sehen also, die Koalition hat das Thema auf der
Agenda. Und es ist eine Selbstverständlichkeit, beste-
hende Verträge und Vereinbarungen einzuhalten. Da
machen wir im Fall der Türkei keine Ausnahmen. Wa-
rum sollten wir auch?

Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass
der EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich absolut unter-
stützenswert ist. Wenn die Türkei beitrittsfähig und die
Europäische Union aufnahmefähig ist, dann wäre eine
Vollmitgliedschaft die beste Form unserer Zusammenar-
beit. Die Verhandlungen sind ergebnisoffen, und es gibt
keine Garantien; aber man muss auch klar sagen, was
man will. Ich tue das und wir tun das: Wir wollen, dass
diese früher oder später erfolgreich abgeschlossen wer-
den.

Eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei als
Mitglied der Europäischen Union brächte eine Reihe
von wichtigen Vorteilen: So wies die Türkei in den letz-
ten Jahren ein wirklich beeindruckendes Wirtschafts-
wachstum auf. Das muss man sich nur einmal im G-20-
Verleich anschauen. Sie ist weiterhin mit einem Durch-
schnittsalter von 27,7 Jahren ein sehr junges Land. Für
eine alternde Europäische Union – denken Sie nur an
unsere mit durchschnittlich 44 Jahren fast doppelt so
alte Republik – wäre das ein Gewinn. Und die Türkei
kann eine Brücke in die islamische Welt sein, die zur
friedlichen Völkerverständigung beiträgt.

Zudem wäre ein Beitritt der Türkei eine echte Feuer-
taufe für die Europäische Union als Wertegemeinschaft.
Der Islam ist seit dem Mittelalter ein Teil Europas, wie
etwa der Blick auf Südspanien, den Balkan oder die isla-
mischen Einflüsse am apulischen Hof des in der deut-
schen Nationalgeschichte ja nun nicht gerade unbedeu-
tenden Kaisers Friedrich II. zeigt. Dies lässt sich nicht
wegdiskutieren. Vielmehr sollten wir diese Tatsache an-
erkennen und die Chance darin erkennen, gerade vor
dem Hintergrund der aktuellen politischen Gescheh-
nisse in Nordafrika und insbesondere Libyen. Diese zei-
gen doch: Europa braucht eine demokratische Türkei.

Die Türkei kann eine Schlüsselrolle und Vorbildfunk-
tion für andere islamische Staaten einnehmen. Die türki-
sche Verfassungsreform des letzten Jahres bietet dafür
die besten Voraussetzungen und zeigt Schritte in die
richtige Richtung, die wir selbstverständlich weiterhin
unterstützen werden. Die Türkei kann sich darauf ver-
lassen, dass wir sie auf ihrem Weg zu mehr Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit begleiten. Ich hoffe, es freut die
Kollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen,
dass wir das auch ohne ihren Antrag tun. Immerhin be-
haupten Sie in Ihrem Antrag, die Bundesregierung habe
die Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei mit zu verantworten. Später in Ihrem Antrag
schreiben Sie dann bereits, wir selbst hätten eine Blo-
ckadehaltung. Ganz so sicher sind Sie sich dabei offen-



gegebene Reden

Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)

sichtlich nicht. Aber ich kann ihre Verwirrung auflösen,
weil es nämlich so oder so schlicht nicht stimmt. Sie wol-
len hier etwas herbeireden, was nicht da ist. Und das
wissen Sie im Grunde genommen auch selbst.

Mit Blick auf den EU-Beitritt der Türkei muss man je-
doch feststellen, dass zurzeit weder die Türkei beitritts-
fähig noch die Europäische Union aufnahmefähig ist.
Dabei hilft es der Türkei und auch uns überhaupt nicht,
ihren Reformbedarf, so wie Sie es tun, herunterzuspie-
len. Die Türkei hat zuletzt nicht die „atemberaubende
Entwicklung“ durchgemacht, wie Sie sie beschreiben.
Der Fortschrittsbericht der Europäischen Union spricht
diesbezüglich eine deutliche Sprache: Es gibt noch viel
zu tun, vor allem bei den Grund- und Minderheitenrech-
ten, insbesondere von ethnischen und religiösen Minder-
heiten wie beispielsweise den Griechen, den Armeniern,
den Aramäern und den Aleviten, und dem Aufbruch der
Blockade in der Zypern-Frage.

Auch die aktuellen Geschehnisse im Zuge des Ergenekon-
Verfahrens sorgen zu Recht für erhebliches Aufsehen.
Hier sind kritische Fragen berechtigt, und wir alle müs-
sen diese stellen – gerade als Freunde und Partner.
Gleichzeitig bietet genau dieser Prozess für die Türkei
aber auch die Chance, die Unabhängigkeit der Justiz
und die rechtsstaatlichen Standards der Türkei unter Be-
weis zu stellen. Wir müssen hier kritisch hinschauen –
und dann werden wir sehen.

Die Türkei wäre eine große Bereicherung für die Eu-
ropäische Union. Dazu muss sie weitere Fortschritte
machen. Eine solche Entwicklung braucht seine Zeit.
Drängeln hilft da nicht weiter. Sie müssen sich aber je-
denfalls keine Sorgen machen: Die Beitrittsverhandlun-
gen mit der Türkei sind bei der Koalition in guten Hän-
den.

Aus den dargelegten Gründen werden wir den Antrag
der Grünen ablehnen. Denn da wo Ihr Antrag richtig ist,
brauchen wir ihn nicht. Und dort, wo er falsch ist, brau-
chen wir ihn erst recht nicht.


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1709630600

Wir diskutieren heute den Antrag der Grünen „EU-

Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederbeleben“.
In der Tat ist es so, dass die Beitrittsverhandlungen mit
der Türkei nach dem hoffnungsvollen Beginn 2004 er-
lahmt sind und gegenwärtig stagnieren. Diese Erlah-
mung hat im Wesentlichen zwei Gründe, auf die der An-
trag der Grünen nicht oder nur unzureichend eingeht.

Erstens wachsen innerhalb der EU rassistische und
rechtspopulistische Stimmungen, die die Türkei als frem-
den Kulturraum betrachten, der mit Europa nichts zu
tun habe. So hat die österreichische FPÖ angekündigt,
eine europäische Bürgerinitiative gegen die EU-Bei-
trittsverhandlungen mit der Türkei zu starten. Die
Grundlage solcher Stimmungen sind nicht konkrete De-
mokratiedefizite oder Menschenrechtsverletzungen, die
es im Zuge der Beitrittsverhandlungen zu überwinden
gilt, sondern Ablehnungen gegenüber den Menschen aus
der Türkei an sich. Dagegen gilt es deutlich und ent-
schieden Flagge zu zeigen.
Zu Protokoll
Leider greifen auch konservative Parteien wie CDU
und CSU diese Stimmungen auf. Ein Ausdruck davon ist,
dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Bei-
trittsverhandlungen mit der Türkei nur noch als „ergeb-
nisoffen“ bezeichnet wurden – ein Zugeständnis an den
rechten Flügel der CDU und insbesondere der CSU.
Und es mehren sich die Stimmen in der Bundesregie-
rung, die die Beitrittsverhandlungen insgesamt ableh-
nen und nur noch von einer „privilegierten Partner-
schaft“ sprechen. So etwas wird in der Türkei sehr
genau wahrgenommen und wirkt sich dort negativ auf
die demokratischen Reformprozesse aus. Dies konnte
ich bei der Delegationsreise des EU-Ausschusses in die
Türkei sehr deutlich feststellen. Mit solchen Signalen
wird nicht nur dem Beitrittsprozess zur EU ein Bären-
dienst erwiesen, sondern auch denjenigen in der Türkei,
die an einer demokratischen Weiterentwicklung interes-
siert sind.

Zweitens gibt es parallel zu dieser Entwicklung in der
EU auch besorgniserregende Entwicklungen in der Tür-
kei selbst. Es ist überhaupt nicht hilfreich, die Lage der
Menschenrechte und der Demokratie in der Türkei
schönzureden und auf die „atemberaubende“ ökonomi-
sche Entwicklung zu verweisen, wie das der grüne An-
trag leider tut. Ich möchte hier einige Beispiele auffüh-
ren, die ich höchst besorgniserregend finde.

Der grüne Antrag begrüßt eine angeblich offene De-
batte in der Kurdenfrage. Leider bleibt es bei dieser De-
batte. Die Verweigerung elementarer Rechte und die po-
litische Repression gegenüber dem kurdischen
Bevölkerungsteil bleiben bestehen. So sitzen zahllose
Funktionäre und gewählte Vertreter der legalen kurdi-
schen Partei für Frieden und Gerechtigkeit, BDP, dar-
unter auch viele Bürgermeister, seit nunmehr zwei Jah-
ren in Untersuchungshaft. Ihnen wird eine Verteidigung
in ihrer Muttersprache verweigert. Der Menschen-
rechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning,
spricht hier von einer „Verletzung fundamentaler
Rechte“. Darüber hinaus gibt es leider immer wieder
Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdi-
schen Gebieten, wie es auch im EU-Fortschrittsbericht
zur Türkei konstatiert wird. Das alles sollte sehr deut-
lich benannt und kritisiert werden.

Im Falle der Meinungsfreiheit gibt es leider eine zu-
nehmende Zahl an Inhaftierungen von Journalistinnen
und Journalisten sowie Schriftstellerinnen und Schrift-
stellern. Die Fälle Dogan Akhanli und Pinar Selek sind
ja in den deutschen Medien breit kommuniziert worden.
In einem anderen Fall, Nevim Berktas, hat der EuGHM
die Türkei vor kurzem verurteilt. Aber es gibt sehr viel
mehr Journalistinnen und Journalisten sowie Schrift-
stellerinnen und Schriftsteller, die inhaftiert sind. Die
türkische Journalistengewerkschaft sprach zuletzt von
55. Der Präsident der Europäischen Journalisten-Föde-
ration sprach im Januar vor der Parlamentarischen Ver-
sammlung von 120 weiteren, deren Verhaftung er be-
fürchtet. All das ist sehr besorgniserregend und muss
benannt werden.

Nach wie vor wird die größte religiöse Minderheit,
die alevitische Gemeinde, unterdrückt. Auch hier kon-
gegebene Reden




Andrej Hunko


(A) (C)



(D)(B)

statiert der EU-Fortschrittsbericht zur Türkei keine
Fortschritte.

Die Gewerkschaftsrechte in der Türkei entsprechen
ebenfalls nicht demokratischen Standards. Laut EU-
Fortschrittsbericht erfüllen sie nicht die Standards der
ILO und der EU.

Zentraler Streitpunkt und gegenwärtiger Hauptgrund
für die Blockade der Beitrittsverhandlungen ist aber die
Zypern-Frage. Hier weigert sich die Türkei, das An-
kara-Protokoll zu ratifizieren. Dieses Protokoll, das den
Warenverkehr mit der Republik Zypern regelt, war ur-
sprünglich eine Voraussetzung für die Beitrittsverhand-
lungen. Deswegen blockiert Zypern auch zu Recht die
Eröffnung weiterer Kapitel. Dies hat auch der Deutsche
Bundestag immer wieder deutlichgemacht, so etwa am
9. Mai 2007 im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU,
SPD, FDP und Grünen, in dem von der Türkei erwartet
wird, dass das Ankara-Protokoll „vollständig imple-
mentiert wird“.

Nun fordern die Grünen in ihrem Antrag die Bundes-
regierung auf, gleichzeitig die Forderungen aus dem al-
ten Antrag umzusetzen und sich gegenüber den anderen
Mitgliedstaaten und der Türkei dafür einzusetzen „die
Blockaden aufgrund mangelnder Umsetzung des An-
kara-Protokolls zu lösen“. Das widerspricht sich nicht
nur, sondern stellt eine Kehrtwende um 180 Grad dar.
Konkret bedeutet das, jetzt Zypern unter Druck zu set-
zen, obwohl der Spielball hier eindeutig bei der Türkei
liegt. Ich finde das völlig kontraproduktiv.

Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Linke
ist für die Fortsetzung und Wiederbelebung der Beitritts-
verhandlungen mit der Türkei. Diese müssen entlang
klarer demokratischer und menschenrechtlicher Krite-
rien geführt werden, wie sie auch in den Kopenhagener
Kriterien festgelegt sind. Sowohl in der EU als auch in
der Türkei gibt es Kräfte, die die Beitrittsverhandlungen
beenden wollen. Es ist notwendig, diejenigen in der EU
und in der Türkei zu stärken, die sich für die Fortsetzung
der Beitrittsverhandlungen einsetzen, auch um demo-
kratische und rechtsstaatliche Reformen zu befördern.
Die wünschenswerte Wiederbelebung des Beitrittspro-
zesses darf aber nicht auf dem Rücken der Republik Zy-
pern erfolgen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Im Antrag haben wir ausführlich und eindringlich
dargelegt, warum wir angesichts der eingetretenen Sta-
gnation in den Beitrittsverhandlungen der EU mit der
Türkei und auch angesichts der dramatischen Entwick-
lungen in den Nachbarregionen der Europäischen
Union neue außen- und europapolitische Initiativen
brauchen.

Manche Entwicklungen in der türkischen Innenpolitik
und den verlangsamten Reformprozess in der Türkei
nehmen wir mit Sorge zur Kenntnis. Vor allem die aktu-
ellen Festnahmen von renommierten Journalisten oder
Schikanen und juristische Verfolgung von Medienvertre-
tern machen deutlich, wie dringend notwendig eine neue
Zu Protokoll
Dynamik und die Intensivierung der vor zehn Jahren be-
gonnenen Reformen in der Türkei sind. Die türkische
Justiz braucht eine Generalsanierung in Sachen Rechts-
staatlichkeit, um endlich Schluss zu machen, dass jeder
Verdächtige unmittelbar und quasi prophylaktisch in
Haft genommen werden kann und manchmal sogar Jahre
im Gefängnis verbringen muss, bevor seine Schuld recht-
lich bewiesen ist. Bei solchen Fragen sind wir parteiisch –
parteiisch für Menschen- und Bürgerrechte und für um-
fassende und vorbehaltlose Pressefreiheit. Die EU muss
die Beitrittsverhandlungen ebenfalls im Namen dieser
fundamentalen Rechte der Menschen in der Türkei füh-
ren. Neben Fortschritten und der Entwicklung auf vielen
wirtschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen
Feldern muss sie auch dazu beitragen, mit einer glaub-
würdigen Beitrittsperspektive die türkische Innen- und
Rechtspolitik demokratisch und rechtsstaatlich zu ge-
stalten und zu stabilisieren.

Einige Regierungen der EU-Staaten, die aus innenpo-
litischen Gründen gegen den EU-Beitritt der Türkei wa-
ren und sind, haben es nun erreicht, dass die Beitritts-
verhandlungen stagnieren. Vom bisherigen Rhythmus
einer Kapiteleröffnung pro Präsidentschaft wurde be-
reits abgewichen. Faktisch besteht die Gefahr, dass die
Verhandlungen ganz zum Stillstand kommen. Das wäre
ein Pyrrhussieg für Sarkozy und die Bundesregierung
von Frau Merkel. Bei Sarkozy weiß man ja, dass seine
Politik kaum europapolitische Ambitionen hegt. Sein
Tun und Lassen steht nur im Dienste einer auf seine Wie-
derwahl zugeschnittenen Innenpolitik. Sich kritiklos ei-
ner solchen Politik anzuschließen, ist ein Armutszeug-
nis. Mit der aktuellen Türkei-Politik bricht die schwarz-
gelbe Regierungskoalition mit der Politik der Bundesre-
gierungen in den letzten Jahrzehnten bis 2009.

Die Koalition setzt zentrale strategische wirtschafts-,
außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutsch-
lands und der EU für innenpolitische Taktik aufs Spiel.
Die Wahrheit aber ist: Zentrale Pfeiler der bestehenden
wirtschaftlichen Integration gründen auf der Beitritts-
perspektive und drohen bei deren Verlust zu zerfallen.
Eine „privilegierte Partnerschaft“, die vor allem von
Unionspolitikern immer wieder gerne – ausweichend
oder ablehnend – in den Mund genommen wird, wäre ein
Rückschritt gegenüber dem Status quo.

Selbstverständlich muss die Türkei die politischen
und wirtschaftlichen Kopenhagen-Kriterien erfüllen und
die daraus abzuleitenden Konsequenzen in Reform-
schritten umsetzen. Diese sind nicht verhandelbar. Von
einem Beitrittsautomatismus kann daher keine Rede
sein. Die türkische Regierung macht ja selbst deutlich,
dass vor einem Beitritt weitere grundlegende Staats- und
Rechtsreformen durchgeführt werden müssen.

Die Demokratiebewegungen in den arabischen Län-
dern führen uns vor Augen, welchen Stellenwert eine de-
mokratische Türkei für die Menschen in der Region hat
und welche stabilisierende Wirkung in der angrenzenden
krisengeschüttelten, im Umbruch befindlichen Region
von ihr ausgehen kann. Die weitere Vertiefung der de-
mokratischen und rechtsstaatlichen Reformen in der
Türkei kann ein Beispiel dafür sein, wie unsere Vorstel-



gegebene Reden





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)


lungen von Rechtsstaat und Menschenrechten mit isla-
misch geprägten Gesellschaften kompatibel sind.

Die humanitäre Katastrophe in Japan und die verhee-
renden Folgen von Erdbeben und Tsunami haben uns
alle erschüttert. Die anschließende atomare Katastro-
phe sollte auch für uns in der EU und in der Türkei eine
Lehre sein, angesichts der energiepolitischen Pläne der
türkischen Regierung, mehrere AKW zu bauen, und an-
gesichts der Tatsache, dass das gesamte Territorium des
Landes hochgradig erdbebengefährdet ist. Einem atom-
politischen Irrweg der Türkei kann am besten durch eine
strategische und energiepolitische Einbindung der Tür-
kei durch die EU begegnet werden – einer Türkei, die
sich wie übrigens fast alle EU-Länder hinter einem nati-
onalen energiepolitischen Konzept versteckt.

Unbestritten würde eine Türkei in der EU enorm po-
sitive Wirkungen bei den Integrationsbemühungen von
Türkeistämmigen in der EU entfalten. Deshalb bitte ich
Sie um Unterstützung des Antrags, um die aktuellen Blo-
ckaden bei den Beitrittsverhandlungen aufzuheben, die

Glaubwürdigkeit der EU zu bewahren, den Reformkräf-
ten in der Türkei den Rücken zu stärken und so für mehr
Wohlstand, Stabilität und eine konsequente Einhaltung
der Menschenrechte zu sorgen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1709630700

Auch hier wird Überweisung der Vorlage auf Druck-

sache 17/5042 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.

Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 18. März 2011, 9 Uhr,
ein.

Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonne-
nen Einsichten.

Die Sitzung ist geschlossen.