Plenarprotokoll 17/96
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin: zur aktuellen Lage in Ja-
pan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 1:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-
Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur
Änderung des Atomgesetzes und zur Wie-
derherstellung des Atomkonsenses
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . .
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 6:
10882 D
10909 B
10910 B
10911 D
10912 D
10913 D
10914 D
10915 A, B, C
10921 A, 10923 B
10926 A, 10928 B
10930 B, 10933 A
10935 B
Deutscher B
Stenografisc
96. Sit
Berlin, Donnerstag,
I n h a
Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord-
neten Dr. Lukrezia Jochimsen und Edelgard
Bulmahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Begrüßung der neuen Abgeordneten Helmut
Heiderich und Ingo Egloff . . . . . . . . . . . . . .
Wahl des Abgeordneten Peter Wichtel als
Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . .
Absetzung der Tagesordnungspunkte 27 d und
30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . .
Tagesordnungspunkt 5:
10881 A
10881 B
10881 B
10881 C
10882 B
10882 B
(Drucksache 17/5035) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Angela Merkel,
Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10882 D
10883 A
undestag
her Bericht
zung
den 17. März 2011
l t :
Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . .
Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . .
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
10889 D
10893 D
10896 B
10898 D
0000 A10901 B
10901 C
10901 D
10903 C
10905 A
10905 C
10907 C
Erste Beratung des von den Abgeordnete
Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Mem
Kilic, weiteren Abgeordneten und der Fra
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eing
n
et
k-
e-
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
derung des Bundeswahlgesetzes
(Drucksache 17/4694) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . .
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 32:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Durchführung der Verordnung
(EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung
bestehender Aus- und Durchführungs-
bestimmungen auf dem Gebiet des in-
ternationalen Unterhaltsverfahrensrechts
(Drucksache 17/4887) . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die vorläufige Durchführung
unmittelbar geltender Vorschriften der
Europäischen Union über die Zulas-
sung oder Genehmigung des Inverkehr-
bringens von Pflanzenschutzmitteln
(Drucksache 17/4985) . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Antrag der Abgeordneten Ulrich Lange,
Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Patrick Döring, Werner Simmling, Oliver
Luksic, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Sicherheit im Eisen-
bahnverkehr verbessern – Strecken-
netz mit Sicherungssystemen ausstatten
(Drucksache 17/5046) . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Antrag der Abgeordneten Martin Gerster,
Sönke Rix, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD: Rechtsextremistische Einstellungen
im Sport konsequent bekämpfen – Tole-
ranz und Demokratie nachhaltig för-
dern
(Drucksache 17/5045) . . . . . . . . . . . . . . . .
10915 D
10916 A
10917 B
10938 A
10941 A
10941 C
10943 D
10946 A
10948 A
10949 A
10949 B
10949 B
10949 C
Zusatztagesordnungspunkt 2:
Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede,
Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu verwais-
ten Werken erleichtern
(Drucksache 17/4695) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 33:
a) Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
BVL-Gesetzes
(Drucksachen 17/4381, 17/5034) . . . . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu
der Verordnung der Bundesregierung: Ein-
hundertsechzigste Verordnung zur Än-
derung der Einfuhrliste – Anlage zum
Außenwirtschaftsgesetz –
(Drucksachen 17/4403, 17/4499 Nr. 2,
17/4774) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz zu dem Antrag der
Abgeordneten Karin Binder, Ralph Lenkert,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE: Verbraucher-
freundliche Rücknahmepflicht des Ein-
zelhandels für Energiesparlampen
durchsetzen
(Drucksachen 17/2121, 17/3684) . . . . . . .
d) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-
Uhl, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Bürgerfreundliches Rück-
nahmesystem für gebrauchte Energie-
sparlampen im Handel einrichten
(Drucksachen 17/1583, 17/3278) . . . . . . .
e) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dr. Diether Dehm, Alexander
Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE: Ge-
gen Armut und soziale Ausgrenzung –
Soziale Fortschrittsklausel in das EU-
Vertragswerk aufnehmen
(Drucksachen 17/902, 17/4773) . . . . . . . .
f) – o)
Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
schusses: Sammelübersichten 224, 225,
10949 C
10949 D
10950 A
10950 B
10950 C
10950 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 III
226, 227, 228, 229, 230, 231, 232 und 233
zu Petitionen
(Drucksachen 17/4864, 17/4865, 17/4866,
17/4867, 17/4868, 17/4869, 7/4870, 17/
4871, 17/4872, 17/4873) . . . . . . . . . . . . . .
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 7:
a) – Zweite und dritte Beratung des von
den Fraktionen der CDU/CSU und FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Bekämpfung
von Geldwäsche und Steuerhinter-
ziehung (Schwarzgeldbekämpfungs-
gesetz)
(Drucksachen 17/4182, 17/5067 (neu))
– Zweite und dritte Beratung des von
der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Bekämpfung von Geldwäsche und
Steuerhinterziehung (Schwarzgeld-
bekämpfungsgesetz)
(Drucksachen 17/4802, 17/5067 (neu))
– Zweite und dritte Beratung des von der
Fraktion der SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines … Gesetzes zur Änderung
der Abgabenordnung (Abschaffung
der strafbefreienden Selbstanzeige
bei Steuerhinterziehung)
(Drucksachen 17/1411, 17/5067 (neu))
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses
– zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP: Steuerhinterzie-
hung wirksam und zielgenau be-
kämpfen
– zu dem Antrag der Fraktion der SPD:
Instrumente zur Bekämpfung der
Steuerhinterziehung nutzen und
ausbauen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost,
Richard Pitterle, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE: Den
Kampf gegen Steuerhinterziehung
nicht dem Zufall überlassen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke,
Britta Haßelmann, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
10951 A
10951 A
10954 D
10952 A
10952 A
10952 A
DIE GRÜNEN: Steuerhinterziehung
wirksam bekämpfen
(Drucksachen 17/1755, 17/4670, 17/1149,
17/1765, 17/5067 (neu)) . . . . . . . . . . . . . .
Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .
Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . .
Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . .
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Tagesordnungspunkt 8:
a) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer,
Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD:
Stillstand in der Verkehrspolitik über-
winden – Zukunftskommission zur
Reform der Infrastrukturfinanzierung
einrichten
(Drucksache 17/5022) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung zu dem Antrag der Abgeord-
neten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol,
Martin Burkert, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD: Erhalt und
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur si-
chern – Deutschland braucht eine mo-
derne Zukunftsstrategie zur Infrastruk-
turfinanzierung
(Drucksachen 17/782, 17/1479) . . . . . . . .
c) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung zu dem Antrag der Abgeord-
neten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol,
Martin Burkert, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD: Mobilität
nachhaltig gestalten – Erfolgreichen
Ansatz der integrierten Verkehrspoli-
tik fortentwickeln
(Drucksachen 17/1060, 17/2226) . . . . . . .
Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
10952 B
10952 B
10957 A
10958 D
10960 A
10961 B
10962 C
10963 A
10964 A
10965 B
10966 A
10966 C
10967 D
10969 C
10969 C
10969 D
10970 A
10971 B
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 9:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung
der Zwangsheirat und zum besseren
Schutz der Opfer von Zwangsheirat
sowie zur Änderung weiterer auf-
enthalts- und asylrechtlicher Vor-
schriften
(Drucksachen 17/4401, 17/5093) . . . .
– Zweite und dritte Beratung des von
den Abgeordneten Rüdiger Veit,
Daniela Kolbe (Leipzig), Gabriele
Fograscher, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes für ein
erweitertes Rückkehrrecht im Auf-
enthaltsgesetz
(Drucksachen 17/4197, 17/5093) . . . .
– Zweite und dritte Beratung des von
den Abgeordneten Rüdiger Veit, Dr.
Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Auf-
enthaltsgesetzes (Altfallregelung)
(Drucksachen 17/207, 17/5093) . . . . .
– Zweite und dritte Beratung des von
den Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
Korte, Sevim Dağdelen, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Auf-
enthaltsgesetzes (Bleiberechtsrege-
lung und Vermeidung von Ketten-
duldungen)
(Drucksachen 17/1557, 17/5093) . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des In-
nenausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,
weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE: Menschenrecht auf
Freizügigkeit ungeteilt verwirkli-
chen
10972 C
10974 A
10975 B
10976 B
10977 B
10978 C
10980 B
10980 A
10980 A
10980 A
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Sevim Dağdelen, Jan Korte, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE: Für ein
wirksames Rückkehrrecht und eine
Stärkung der Rechte der Opfer von
Zwangsverheiratungen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Memet Kilic, Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Für eine wirksame und
stichtagsunabhängige gesetzliche Blei-
berechtsregelung im Aufenthaltsge-
setz
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Memet Kilic, Volker Beck (Köln),
Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Opfer von Zwangsverhei-
ratungen wirksam schützen durch
bundesgesetzliche Reformen und eine
Bund-Länder-Initiative
– zu dem Antrag der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Memet Kilic, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Residenzpflicht abschaf-
fen – Für weitestgehende Freizügig-
keit von Asylbewerbern und Gedul-
deten
(Drucksachen 17/2325, 17/4681, 17/1571,
17/2491, 17/3065, 17/5093) . . . . . . . . . . .
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aydan Özoğuz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 10:
Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
10980 D
10981 A
0000 A10982 C
10984 A
10985 B
10986 C
10988 A
10989 C
10990 A
10991 A
10992 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 V
Für eine gerechte Angleichung der Renten
in Ostdeutschland
(Drucksache 17/4192) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . .
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . .
Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 11:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union
– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP: Einvernehmensherstel-
lung von Bundestag und Bundesregie-
rung zur Ergänzung von Artikel 136
des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) hinsicht-
lich der Einrichtung eines Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus (ESM)
hier: Stellungnahme des Deutschen
Bundestages nach Artikel 23 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes i. V. m.
§ 10 des Gesetzes über die Zu-
sammenarbeit von Bundesregie-
rung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäi-
schen Union
– zu dem Antrag der Fraktion der SPD: zum
Entwurf eines Beschlusses des Europäi-
schen Rates zur Änderung des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen
Union hinsichtlich eines Stabilitätsme-
chanismus für die Mitgliedstaaten, de-
ren Währung der Euro ist
– Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10), An-
lage 1 –
hier: Stellungnahme des Deutschen
Bundestages nach Artikel 23 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes (GG)
i. V. m. § 10 des Gesetzes über die
Zusammenarbeit von Bundesre-
gierung und Deutschem Bundes-
tag in Angelegenheiten der Euro-
päischen Union
Herstellung des Einvernehmens bezüg-
lich der Ergänzung von Artikel 136
AEUV zur Einrichtung eines Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus (ESM)
verantwortlich gestalten
10994 C
10994 D
10996 A
10997 C
10999 A
11000 A
11001 C
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.
Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE: zum Entwurf eines
Beschlusses des Europäischen Rates zur
Änderung des Vertrags über die Ar-
beitsweise der Europäischen Union hin-
sichtlich eines Stabilitätsmechanismus
für die Mitgliedstaaten, deren Währung
der Euro ist
– Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10), An-
lage 1 –
hier: Stellungnahme gegenüber der
Bundesregierung gemäß Artikel
23 Absatz 3 des Grundgesetzes
– zu dem Antrag der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Alexander Bonde, Dr. Gerhard
Schick, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Her-
stellung des Einvernehmens zwischen
Bundestag und Bundesregierung zur
Änderung des Artikels 136 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen
Union hinsichtlich eines Stabilitätsme-
chanismus für die Mitgliedstaaten, de-
ren Währung der Euro ist
hier: Stellungnahme des Deutschen
Bundestages nach Artikel 23 Ab-
satz 3 GG i. V. m. § 10 des Geset-
zes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Drucksachen 17/4880, 17/4881, 17/4882,
17/4883, 17/5094) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . .
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . .
Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . .
Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
11002 D
11003 C
11004 C
11005 B
11006 B
11007 D
11008 B
11010 A
11011 B
11012 B
11012 D
11013 D
11014 B
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Tagesordnungspunkt 12:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit zu dem Antrag der
Abgeordneten Hilde Mattheis, Dr. Karl
Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD: Qualität und
Transparenz in der Pflege konsequent wei-
terentwickeln – Pflege-Transparenzkrite-
rien optimieren
(Drucksachen 17/1427, 17/4925) . . . . . . . . . .
Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . .
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 13:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Sieb-
ten Gesetzes zur Änderung des Straßen-
verkehrsgesetzes
(Drucksache 17/4981) . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Straßenverkehrsgesetzes
(Drucksache 17/2766) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 14:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu
dem Antrag der Abgeordneten Edelgard
Bulmahn, Klaus Barthel, Garrelt Duin, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD:
Fairen Rohstoffhandel sichern – Handel
mit Seltenen Erden offenhalten
(Drucksachen 17/4553, 17/4910) . . . . . . . . . .
Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
11016 A
11016 B
11017 B
11018 B
11019 B
11020 A
11021 A
11022 A
11022 A
11022 B
11023 B
11024 D
11025 D
11026 C
11027 B
11028 C
11028 C
11029 C
11030 C
Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .
Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 15:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung mautrechtlicher Vorschriften
für Bundesfernstraßen
(Drucksache 17/4979) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 16:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem An-
trag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald,
Diana Golze, Heidrun Dittrich, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Aufgaben und Zusammensetzung der Al-
tersarmutskommission – Altersarmut um-
fassend und mit den richtigen Mitteln be-
kämpfen
(Drucksachen 17/4422, 17/4926) . . . . . . . . . .
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . .
Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . .
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 17:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Europäische-Be-
triebsräte-Gesetzes – Umsetzung der
Richtlinie 2009/38/EG über Europäische
Betriebsräte (2. EBRG-ÄndG)
(Drucksache 17/4808) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11031 D
11032 C
11033 B
11034 C
11034 D
11036 A
11037 B
11038 C
11039 C
11040 C
11042 A
11042 B
11043 C
11044 C
11045 D
11046 C
11047 B
11048 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 VII
Tagesordnungspunkt 18:
Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten
Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Josef Philip
Winkler, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weitere
iranische Flüchtlinge aus der Türkei in
Deutschland aufnehmen
(Drucksachen 17/2439, 17/4087) . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 19:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Koordinierung der Systeme der sozialen
Sicherheit in Europa und zur Änderung
anderer Gesetze
(Drucksache 17/4978) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . .
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 20:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung
des Einsatzes von Videokonferenztechnik in
gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen
Verfahren
(Drucksache 17/1224) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 21:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Holger
Ortel, Petra Crone, Petra Ernstberger, wei-
11048 C
11048 D
11049 A
11050 B
11051 C
11052 C
11053 B
11054 A
11055 A
11055 A
11056 B
11057 A
11057 D
11059 B
terer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD: Die Reform der Gemeinsamen Fi-
schereipolitik zum Erfolg führen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Behm, Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth
(Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN: Chancen der EU-Fischereireform
2013 nutzen und Gemeinsame Fische-
reipolitik grundlegend reformieren
(Drucksachen 17/3179, 17/3209, 17/3957) . .
Tagesordnungspunkt 22:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vor-
schriften
(Drucksache 17/4984) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . .
Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . .
Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 23:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge-
ordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender,
Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Umsetzung der EU-Health-Claims-Verord-
nung voranbringen
(Drucksachen 17/4015, 17/4892) . . . . . . . . . .
Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) . . . . . . . . . .
Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 24:
Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler,
Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck
(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak-
11060 C
11061 A
11061 A
11062 A
11063 A
11064 A
11065 B
11066 A
11066 B
11067 A
11067 D
11068 C
11069 C
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für wirk-
samen Rechtsschutz im Asylverfahren –
Konsequenzen aus der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte ziehen
(Drucksache 17/4886) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 25:
Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann,
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenter Stress-
test für die Leistungsfähigkeit des Bahn-
projektes Stuttgart 21
(Drucksache 17/5041) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 26:
Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augs-
burg), Dr. Frithjof Schmidt, Manuel Sarrazin,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Beitritts-
verhandlungen mit der Türkei wiederbele-
ben
(Drucksache 17/5042) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . .
Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Claudia Roth (Augsburg)
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . .
11070 C
11070 D
11072 B
11072 B
11072 D
11073 C
11074 C
11074 D
11075 C
11076 B
11077 A
11078 B
11079 C
11080 C
11080 D
11082 B
11083 D
0000 A11085 B
11086 B
11087 B
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen
Abstimmung über den Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion
der FDP zu der Abgabe einer Regierungser-
klärung durch die Bundeskanzlerin zur aktu-
ellen Lage in Japan (Tagesordnungspunkt 5)
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zur na-
mentlichen Abstimmung über die Nummer 3
des Entschließungsantrags der Fraktion der
SPD zu der Abgabe einer Regierungserklä-
rung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen
Lage in Japan (Tagesordnungspunkt 5) . . . . .
Anlage 4
Erklärung des Abgeordneten Dr. Johann
Wadephul (CDU/CSU) zur namentlichen Ab-
stimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan
(Drucksache 17/5052) (Tagesordnungspunkt 5)
Anlage 5
Erklärung des Abgeordneten Roderich
Kiesewetter (CDU/CSU) zur namentlichen
Abstimmung über den Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu
der Abgabe einer Regierungserklärung durch
die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Ja-
pan (Drucksache 17/5052) (Tagesordnungs-
punkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11088 C
11089 A
11089 C
11090 A
11090 C
11090 D
11091 A
11091 B
11091 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 IX
Anlage 6 Anlage 11
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Petra Hinz (Essen) (SPD) zur namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung:
Gegen Armut und soziale Ausgrenzung – So-
ziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags-
werk aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e)
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Daniela Kolbe (Leipzig) und Rüdiger Veit
(beide SPD) zur namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung: Gegen Armut
und soziale Ausgrenzung – Soziale Fort-
schrittsklausel in das EU-Vertragswerk auf-
nehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) . . . . . . . .
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Manuel Sarrazin, Beate Müller-Gemmeke und
Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung: Gegen
Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale
Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk
aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e) . . . . .
Anlage 9
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Elvira Drobinski-Weiß, Heinz Paula, Petra
Crone und Kerstin Tack (alle SPD) zur na-
mentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung: Gegen Armut und soziale Aus-
grenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das
EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesord-
nungspunkt 33 e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 10
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Sibylle Laurischk (FDP) zur Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämp-
fung der Zwangsheirat und zum besseren
Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur
Änderung weiterer aufenthalts- und asylrecht-
licher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 9 a)
11091 C
11092 A
11092 C
11093 A
11093 C
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Frank Schäffler (FDP) und Klaus-Peter Willsch
(CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung zu dem Antrag:
Einvernehmensherstellung von Bundestag und
Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel
136 des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) hinsichtlich der
Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsme-
chanismus (ESM)
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages nach Artikel 23 Absatz 3 Grund-
gesetz i. V. m. § 10 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bundesregie-
rung und Deutschem Bundestag in An-
gelegenheiten der Europäische Union
(Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . .
Anlage 12
Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung
des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
derung des Europäische-Betriebsräte-Geset-
zes – Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG
über Europäische Betriebsräte (2. EBRG-
ÄndG) (Tagesordnungspunkt 17)
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . .
Josip Juratovic (SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Jutta Krellmann (DIE LINKE . . . . . . . . . . . .
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 13
Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei
in Deutschland aufnehmen (Tagesordnungs-
punkt 18)
Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . .
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . .
Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11094 C
11095 D
11096 C
11097 C
11098 B
11099 B
11100 A
11101 A
11102 C
11103 B
11103 C
11104 A
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Anlage 14
Zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung
der Anträge:
– Die Reform der Gemeinsamen Fischerei-
politik zum Erfolg führen
– Chancen der EU-Fischereireform 2013 nut-
zen und Gemeinsame Fischereipolitik grund-
legend reformieren (Tagesordnungspunkt 21)
Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . .
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11105 B
11107 A
11108 C
11109 C
11110 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 10881
(A) (C)
(D)(B)
96. Sit
Berlin, Donnerstag,
Beginn: 9
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11089
(A) (C)
(D)(B)
Die Diskussion und die Art der Argumentation zeigen,
dass es im Gegenteil wohl eher darum geht, RegierungDr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 17.03.2011
zustimmen. Ich habe nicht den Eindruck, dass es der
SPD und den Grünen mit ihren Anträgen primär darum
geht, die Sicherheit der Kernkraftwerke zu erhöhen und
den Ausstieg aus der Kerntechnologie zu beschleunigen.
Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 17.03.2011
Nietan, Dietmar SPD 17.03.2011
Anlage 1
Liste der entschuldi
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Aigner, Ilse CDU/CSU 17.03.2011
Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2011
Börnsen (Bönstrup),
Wolfgang
CDU/CSU 17.03.2011
Brinkmann
(Hildesheim),
Bernhard
SPD 17.03.2011
Bülow, Marco SPD 17.03.2011
Burchardt, Ulla SPD 17.03.2011
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 17.03.2011
Dr. Danckert, Peter SPD 17.03.2011
Dyckmans, Mechthild FDP 17.03.2011
Ernst, Klaus DIE LINKE 17.03.2011
Fischbach, Ingrid CDU/CSU 17.03.2011
Fischer (Karlsruhe-
Land), Axel E.
CDU/CSU 17.03.2011*
Friedhoff, Paul K. FDP 17.03.2011
Hänsel, Heike DIE LINKE 17.03.2011
Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2011
Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.03.2011
Holmeier, Karl CDU/CSU 17.03.2011
Kipping, Katja DIE LINKE 17.03.2011
Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2011
Kossendey, Thomas CDU/CSU 17.03.2011
Kramme, Anette SPD 17.03.2011
Kunert, Katrin DIE LINKE 17.03.2011
Anlagen zum Stenografischen Bericht
gten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer
Regierungserklärung durch die Bundeskanzle-
rin zur aktuellen Lage in Japan (Tagesord-
nungspunkt 5)
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Ausgelöst durch die
schrecklichen Ereignisse in Japan hat in der CDU/CSU-
Fraktion ein Prozess der Neubewertung eingesetzt. Die
im Herbst 2010 beschlossene – von mir nicht mitgetra-
gene – „Laufzeitverlängerung“ für Kernkraftwerke wird
infrage gestellt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass am
Ende dieses Prozesses ein wesentlich schnellerer Aus-
stieg aus der Kernenergie steht – und ich glaube, das
wird auch gelingen. Deswegen unterstütze ich den Ent-
schließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, der – und ich
betrachte das als ersten Schritt – unter anderem eine
grundlegende Überprüfung der Sicherheit der deutschen
Kernkraftwerke fordert.
Ich teile im Übrigen durchaus einige Forderungen aus
den Entschließungsanträgen von SPD und Grünen. Ich
werde diesen Entschließungsanträgen allerdings nicht
Pieper, Cornelia FDP 17.03.2011
Dr. Schwanholz, Martin SPD 17.03.2011
Strothmann, Lena CDU/CSU 17.03.2011
Vogel (Kleinsaara),
Volkmar
CDU/CSU 17.03.2011
Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 17.03.2011
Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2011
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 17.03.2011
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
11090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
und Regierungsfraktionen zu beschädigen, obwohl diese
dabei sind, ihre Entscheidungen aus dem Jahr 2010 zu
hinterfragen, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und neu
zu bewerten.
Ute Granold (CDU/CSU): Meine Zustimmung vom
November 2010 zur Verlängerung der Restlaufzeiten der
deutschen Kernkraftwerke als Teil eines umfassenden
Energiekonzeptes für Deutschland beruhte auf der An-
nahme, dass dieses Konzept einen alternativlosen Weg in
das regenerative Zeitalter aufweist, ohne den die Ener-
gieversorgungssicherheit nicht zu gewährleisten sein
würde. Dabei war für mich klar, dass der Laufzeitverlän-
gerung eine Brückenfunktion zukommt. Ein erheblicher
Teil der zusätzlichen Einnahmen sollte zur Finanzierung
der Umstellungskosten auf erneuerbare Energien abge-
schöpft und verwendet werden.
Zudem war meine Zustimmung an das Junktim ge-
bunden, dass die Laufzeitverlängerung an eine deutliche
Erhöhung der Sicherheitsstandards gekoppelt ist, die die
maximale, nach menschlichem Ermessen mögliche Si-
cherheit der deutschen Kernkraftwerke sicherstellt. Die
schrecklichen und unfassbaren Ereignisse in Japan die-
ser Tage zeigen jedoch, dass es diese Sicherheit im Um-
gang mit Kernkraft nicht gibt. Das bis vor wenigen Ta-
gen Undenkbare ist nunmehr Realität geworden. Das
nicht beherrschbare Restrisiko manifestiert sich in den
dramatischen und unfassbaren Ereignissen und Bildern,
deren Zeugen wir nunmehr sind.
Angesichts der neuen Erkenntnisse wurde jetzt ent-
schieden, die gesetzliche Verlängerung der Laufzeiten
für drei Monate auszusetzen und alle vor 1980 in Betrieb
genommenen Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen.
Diesen Schritt begrüße ich vor dem Hintergrund der real
gewordenen Bedrohungslage ausdrücklich.
Dem heutigen Antrag stimme ich zu, weil ich fest
davon ausgehe, dass der jetzt begonnene Prozess der kri-
tischen Überprüfung der bestehenden Sicherheitsstan-
dards im Speziellen und der grundsätzlichen Überprü-
fung der Kernenergie im Allgemeinen nur zu dem
Ergebnis führen kann, dass die älteren, vor 1980 in Be-
trieb genommenen Kernkraftwerke nicht wieder ans
Netz gehen und jetzt endgültig abgeschaltet werden. Die
von der Bundesregierung veranlasste umfassende Prü-
fung aller deutschen Kernkraftwerke darf keine Tabus
kennen und muss Sicherheitsfragen allerhöchste Priorität
einräumen.
Ich erwarte, dass der Antrag, dem ich heute zu-
stimme, einen Weg einleitet, an dessen Ende ein
schnellstmöglicher und vollständiger Ausstieg aus der
Kernkraft in Deutschland steht. Ich appelliere an die
Bundesregierung, alle denkbaren Anstrengungen einzu-
leiten, um auch die dann noch verbliebenen Kernkraft-
werke möglichst schnell vom Netz zu nehmen. Dies be-
inhaltet eine deutlich verstärkte Förderung regenerativer
Energien, den notwendigen Ausbau der Energienetze so-
wie wirksame Energiesparkonzepte. Dieser Weg muss in
enger Abstimmung mit den europäischen Nachbarstaa-
ten erfolgen, die ebenfalls von einem umgehenden Aus-
stieg aus der Atomenergie überzeugt werden müssen. In
diesem Prozess sollte Deutschland eine Vorreiterrolle
einnehmen.
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/
CSU): Erstens. Ich werde zum Entschließungsantrag auf
Drucksache 17/5048 mit Enthaltung stimmen.
Zweitens. Auch bin ich der Meinung, dass die Bun-
desregierung und der Deutsche Bundestag nach der Na-
turkatastrophe in Japan nicht zur Tagesordnung überge-
hen dürfen. Das Leid, das die Menschen in Japan heim-
gesucht hat, hat auch mich tief bewegt und betroffen ge-
macht.
Drittens. Maßnahmen, die die Bundesregierung in Ver-
antwortung für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung
einleitet, sind aber unter dem Licht des Art. 20 Abs. 3 GG
daraufhin zu überprüfen, ob es sich um rein administra-
tive Maßnahmen handelt oder ob sie einer gesetzgeberi-
schen Begleitung bedürfen. Die Bundesregierung hat
– was der Antrag begrüßt – in einem Moratorium die
Aussetzung der Verlängerung der Laufzeiten der Kern-
kraftwerke in Deutschland verfügt. Ein Moratorium ist
eine Entscheidung, eine Handlung aufzuschieben oder
zeitlich zu unterlassen oder aber ein „Abkommen“ vo-
rübergehend außer Kraft zu setzen. Im Zusammenhang
mit der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken kann
es nur eine Außerkraftsetzung eines Gesetzes bedeuten.
Dem steht aber Art. 20 Abs. 3 GG entgegen. Gesetze
können nur durch ein Aufhebungsgesetz des Deutschen
Bundestages außer Kraft gesetzt werden.
Viertens. Im Übrigen bedarf es der Aussetzung eines
atomrechtlichen Gesetzes dann nicht, wenn man – wie
die Bundesregierung – davon ausgeht, die zur Sicher-
heitsüberprüfung der Atomkraftwerke notwendigen
Maßnahmen können auf der Rechtsgrundlage des
§ 19 Abs. 3 Ziffer 3 AtG verfügt werden. Ob über
§ 19 Abs. 2 Ziffer 3 AtG der von der Bundesregierung
verfolgte Zweck erreichbar ist, scheint allerdings frag-
lich. Es ist nämlich strikt zwischen Genehmigungs- und
Aufsichtsverfahren zu differenzieren. Nach Genehmi-
gungserteilung ist es Aufgabe der Aufsichtsbehörde, dem
Genehmigungsinhaber etwaige Defizite gegenüber dem
Gesetz oder den Anforderungen des Genehmigungsbe-
scheides nachzuweisen. Ob § 19 Abs. 3 Ziffer 3 AtG
herangezogen werden kann, um ein vorübergehendes Ab-
schalten von Kernkraftwerken zu verfügen, wenn Grund-
lage einer Sicherheitsüberprüfung lediglich eine verän-
derte sicherheitspolitische Betrachtung ist, scheint im
Übrigen fraglich.
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Erstens. Ich
werde dem Entschließungsantrag auf Drucksache 17/5048
trotz erheblicher Bedenken zustimmen.
Zweitens. Mit großer Sorge verfolgen wir die kriti-
sche Lage der betroffenen japanischen Kernkraftwerke.
Auch wenn in Deutschland so starke Erdbeben wie in Ja-
pan und Tsunamis unbekannt sind, können wir nicht ein-
fach zur Tagesordnung übergehen. Besonders, weil es
sich bei Japan auch um ein Hochtechnologieland mit
enormen Sicherheitsstandards handelt, müssen wir prü-
fen, was wir lernen können. Als Konsequenz aus den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11091
(A) (C)
(D)(B)
Katastrophen in Japan ist es aus meiner Sicht richtig, die
Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke erneut zu über-
prüfen. Die Aussetzung der Laufzeitverlängerung für
drei Monate durch die Bundesregierung halte ich aber
nicht für rechtlich bindend, da es an der Zuständigkeit
fehlt. Nicht die Bundesregierung hat nach meiner Mei-
nung hierüber zu entscheiden, sondern das Parlament
oder im Rahmen der Auftragsverwaltung die Bundeslän-
der, wenn die Sicherheit nicht mehr gegeben ist. Ich
kann daher dem Entschließungsantrag von CDU/CSU
und FDP zwar zustimmen, halte die entsprechenden Pas-
sagen aber für unbestimmt bzw. ungenau.
Wir müssen uns nach meiner Meinung vielmehr vor
dem Hintergrund der Katastrophe in Japan fragen, ob die
Akzeptanz der Kernenergie in der Bevölkerung derart
geschwunden ist und die Angst der Menschen derart ge-
wachsen ist, dass die Kernkraftwerke schneller vom
Netz genommen werden müssen, als dies derzeit gesetz-
lich geregelt ist. Ein Parlament muss die Ängste der
Menschen ernst nehmen. Dies ist aber eine politische
Entscheidung, die nur vom Parlament getroffen werden
kann – nicht von Teilen der Bundesregierung und eini-
gen Ministerpräsidenten.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann
(DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung
über die Nummer 3 des Entschließungsantrags
der Fraktion der SPD zu der Abgabe einer Re-
gierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zur aktuellen Lage in Japan (Tagesordnungs-
punkt 5)
Ich werde mich bei Nummer 3 der Stimme enthalten.
Der Atomkompromiss der rot-grünen Bundesregie-
rung war die gesetzliche Garantie für die Energiekon-
zerne, Atomkraftwerke Jahrzehnte weiter betreiben zu
können. Die Laufzeitverlängerung der Bundesregierung
hat gezeigt, dass auch diese mit der Atomwirtschaft ver-
einbarte Regelung zurückgenommen und somit das Aus-
stiegsszenario umkehrbar gemacht werden konnte. Ein
konsequenter Ausstieg aus der Atomkraft war das nicht.
Dieser ist alternativlos. Der Ausstiegszeitraum bis
zum Ende des Jahrzehnts ist viel zu lang. So ist unter an-
derem nach Angaben des Präsidenten des Umweltbun-
desamtes, Jochen Flasbarth, ein kompletter Ausstieg aus
der Atomenergie bereits deutlich früher umsetzbar. Es ist
möglich, den Atomausstieg schneller als bis zum Ende
dieses Jahrzehnts zu vollziehen, ohne dass es zu einem
vermehrten Einsatz fossiler Energien und einem unso-
zialen Anstieg der Strompreise kommt.
Anlage 4
Erklärung
des Abgeordneten Dr. Johann Wadephul (CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Re-
gierungserklärung durch die Bundeskanzle-
rin zur aktuellen Lage in Japan (Drucksache
17/5052) (Tagesordnungspunkt 5)
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 5
Erklärung
des Abgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU/
CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Re-
gierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur
aktuellen Lage in Japan (Drucksache 17/5052)
(Tagesordnungspunkt 5)
Mein Name erscheint nicht in der Abstimmungsliste.
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Petra Hinz (Essen) (SPD) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung: Gegen Armut und soziale Aus-
grenzung – Soziale Fortschrittsklausel in das
EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesordnungs-
punkt 33 e)
Ich stimme für die Beschlussempfehlung und damit
gegen den Antrag der Linken.
Die Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel in
den Europäischen Verträgen ist unsere sozialdemokrati-
sche Idee und wird schon lange von der SPD unterstützt.
Das Präsidium der SPD hat am 14. März 2011 beschlos-
sen:
Darüber hinaus bedarf die Stabilitätsstrategie in Eu-
ropa zwingend einer starken sozialen Dimension …
Damit verbinden wir folgende konkrete Forderun-
gen: … eine soziale Fortschrittsklausel, die mög-
lichst im europäischen Primärrecht verankert ist
und festschreibt, dass die ökonomischen Grundfrei-
heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vor-
rang vor sozialen Grundrechten haben.
Wir Sozialdemokraten haben 2009 gemeinsam mit
dem DGB eine Stellungnahme „SPD und Gewerkschaf-
ten – Gemeinsam für sozialen Fortschritt in Europa“ ver-
abschiedet. Damit sind wir Urheber dieser Forderung
und haben auf dem Weg dahin schon einiges erreicht.
So haben wir mit dem Vertrag von Lissabon bereits
soziale Grundrechte verankern können. Außerdem gibt
es eine soziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV), dem-
zufolge die Europäische Union „bei der Festlegung und
Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen … den
Erfordernissen in Zusammenhang mit der Förderung ei-
nes hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleis-
tung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Be-
11092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
kämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem
hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung
und des Gesundheitsschutzes Rechnung“ trägt. Damit ist
festgelegt, dass die EU sich an Ziele des sozialen Fort-
schritts bindet und sozialen Fortschritt als Ziel formuliert
hat.
Darüber hinaus fordern wir, die Sozialdemokraten,
jetzt, dass eine soziale Fortschrittsklausel in den Lissa-
bon-Vertrag eingefügt wird, da Art. 136 des Vertrages
wegen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ohne-
hin verändert werden muss. Die SPD beteiligt sich – in
enger Abstimmung mit den Gewerkschaften – auch wei-
ter konstruktiv an der Debatte um ein soziales Europa.
Den Antrag der Linken lehne ich ab, insbesondere
wegen der überzogenen Kritik an der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes und der ideologischen
Kritik am Lissabon-Vertrag. Ebenso lehne ich die Forde-
rung der Linken ab, zukünftige Beitritte von der Auf-
nahme der sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Ver-
träge abhängig zu machen.
Deshalb stimme ich in der namentlichen Abstimmung
für die Beschlussempfehlung des EU-Ausschusses.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) und
Rüdiger Veit (beide SPD) zur namentlichen Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung: Ge-
gen Armut und soziale Ausgrenzung – Soziale
Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk
aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e)
Wir unterstützen grundsätzlich die Verankerung einer
sozialen Fortschrittsklausel in den Europäischen Verträ-
gen. Sie ist eine sozialdemokratische Idee und wird
schon lange von der SPD unterstützt. Zuletzt hat das Prä-
sidium der SPD am 14. März 2011 beschlossen:
Darüber hinaus bedarf die Stabilitätsstrategie in Eu-
ropa zwingend einer starken sozialen Dimension …
Damit verbinden wir folgende konkrete Forderun-
gen: … eine soziale Fortschrittsklausel, die mög-
lichst im europäischen Primärrecht verankert ist
und festschreibt, dass die ökonomischen Grundfrei-
heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vor-
rang vor sozialen Grundrechten haben.
Die SPD hat 2009 gemeinsam mit dem DGB eine
Stellungnahme „SPD und Gewerkschaften – Gemeinsam
für sozialen Fortschritt in Europa“ verabschiedet. Sie ist
Urheberin dieser Forderung und hat auf dem Weg dahin
schon einiges erreicht.
Schon mit dem Vertrag von Lissabon wurden bereits
soziale Grundrechte verankert. Außerdem gibt es eine so-
ziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV), derzufolge die
Europäische Union „bei der Festlegung und Durchfüh-
rung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen … den Erforder-
nissen in Zusammenhang mit der Förderung eines hohen
Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines an-
gemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der
sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der
allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesund-
heitsschutzes Rechnung“ trägt. Damit ist festgelegt, dass
die EU sich an Ziele des sozialen Fortschritts bindet und
sozialen Fortschritt als Ziel formuliert hat.
Darüber hinaus fordert die SPD jetzt, dass eine so-
ziale Fortschrittsklausel in den Lissabon-Vertrag einge-
fügt wird, da Art. 136 des Vertrages wegen des Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus ohnehin verändert werden
muss. Die SPD beteiligt sich – in enger Abstimmung mit
den Gewerkschaften – auch weiter konstruktiv an der
Debatte um ein soziales Europa.
Den Antrag der Linken lehnen wir ab, weil er die For-
derung enthält, zukünftige Beitritte von der Aufnahme
der sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Verträge ab-
hängig zu machen. Diese Forderung können wir nicht
teilen.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Beate
Müller-Gemmeke und Hans-Christian Ströbele
(alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur nament-
lichen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung: Gegen Armut und soziale Ausgrenzung –
Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags-
werk aufnehmen (Tagesordnungspunkt 33 e)
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
in den Jahren 2007 und 2008, insbesondere in den Sa-
chen Viking Line, Laval, Rüffert und Luxemburg, hat
den sozialen Grundrechten geschadet und zu einem Un-
gleichgewicht gegenüber den Grundfreiheiten des Mark-
tes geführt. Daher ist es notwendig, die Balance wieder-
herzustellen und sozialen Grundrechten mehr Gewicht
zu geben. Wir unterstützen daher die Forderung, eine so-
ziale Fortschrittsklausel in die Verträge der Europäi-
schen Union aufzunehmen.
Die konkrete Formulierung des Europäischen Ge-
werkschaftsbundes, auf die sich der Antrag bezieht, ist
ein begrüßenswerter Denkanstoß, kann von uns in dieser
Form aber nicht mitgetragen werden. Der Vorschlag sta-
tuiert einen generellen Vorrang der sozialen Grundrechte
innerhalb der Europäischen Verträge. Dies bedeutet, dass
soziale Grundrechte Vorrang gegenüber allen anderen in
den Verträgen enthaltenen Normen, sogar denen in der
Grundrechtecharta der Europäischen Union, bekommen
sollen. Für uns sind soziale Grundrechte und die Grund-
und Menschenrechte wichtig.
Zudem statuiert der Vorschlag eine Anweisung an Ge-
richte, auch in einer Abwägung verschiedener Grund-
rechtsnormen immer zugunsten der sozialen Grund-
rechte zu entscheiden. Das widerspricht unserem
Grundrechtsverständnis, weil aus unserer Sicht eine
durch die Gerichte im Einzelfall unabhängige Abwä-
gung von Grundrechten geboten ist.
Wir befürworten eine soziale Fortschrittsklausel, die
die sozialen Grundrechte gegenüber den Grundfreiheiten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11093
(A) (C)
(D)(B)
des Marktes stärkt. Eine soziale Fortschrittsklausel, die
allerdings generell Vorrang genießt, bewegt sich nicht
im Grünen-Rechtsverständnis. Dem Antrag in dieser
Form können wir nicht zustimmen. Weil auch wir eine
soziale Fortschrittsklausel unterstützen, werden wir uns
enthalten.
Anlage 9
Erklärungen nach § 31 GO
der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Heinz
Paula, Petra Crone und Kerstin Tack (alle SPD)
zur namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung: Gegen Armut und soziale
Ausgrenzung – Soziale Fortschrittsklausel in
das EU-Vertragswerk aufnehmen (Tagesord-
nungspunkt 33 e)
Die Verankerung einer sozialen Fortschrittsklausel in
den Europäischen Verträgen ist eine sozialdemokratische
Idee und wird schon lange von der SPD unterstützt. Zu-
letzt hat das Präsidium der SPD am 14. März 2011 be-
schlossen:
Darüber hinaus bedarf die Stabilitätsstrategie in Eu-
ropa zwingend einer starken sozialen Dimension ...
Damit verbinden wir folgende konkrete Forderun-
gen: ... eine soziale Fortschrittsklausel, die mög-
lichst im europäischen Primärrecht verankert ist
und festschreibt, dass die ökonomischen Grundfrei-
heiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vor-
rang vor sozialen Grundrechten haben.
Wir haben 2009 gemeinsam mit dem DGB eine Stel-
lungnahme „SPD und Gewerkschaften – Gemeinsam für
sozialen Fortschritt in Europa“ verabschiedet.
So hat die SPD mit dem Vertrag von Lissabon bereits
soziale Grundrechte verankern können. Außerdem gibt es
eine soziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV), der zu-
folge die Europäische Union „bei der Festlegung und
Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen … den
Erfordernissen in Zusammenhang mit der Förderung eines
hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung ei-
nes angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung
der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau
der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Ge-
sundheitsschutzes Rechnung“ trägt. Damit ist festgelegt,
dass die EU sich an Ziele des sozialen Fortschritts bindet
und sozialen Fortschritt als Ziel formuliert hat.
Darüber hinaus fordert die SPD jetzt, dass eine so-
ziale Fortschrittsklausel in den Lissabon-Vertrag einge-
fügt wird, da Art. 36 des Vertrages wegen des Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus ohnehin verändert werden
muss. Die SPD beteiligt sich – in enger Abstimmung mit
den Gewerkschaften – auch weiter konstruktiv an der
Debatte um ein soziales Europa.
Den Antrag der Linken lehnen wir ab, insbesondere
wegen der überzogenen Kritik an der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes und der ideologischen
Kritik am Lissabon-Vertrag. Wir lehnen auch die Forde-
rung der Linken ab, zukünftige Beitritte von der Auf-
nahme der sozialen Fortschrittsklausel in die EU-Ver-
träge abhängig zu machen.
Anlage 10
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Sibylle Laurischk (FDP) zur
Abstimmung über den Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum
besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat
sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und
asylrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs-
punkt 9 a)
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämp-
fung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Op-
fer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer auf-
enthaltsrechtlicher und asylrechtlicher Vorschriften ist
vorgesehen, die Mindestbestandszeit einer Ehe zur Be-
gründung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts, von
zwei auf drei Jahre zu erhöhen. In der Begründung des
Gesetzentwurfs wird dazu ausgeführt, dass Wahrneh-
mungen aus der ausländerrechtlichen Praxis darauf hin-
deuten, dass durch die im Jahr 2000 vorgenommene Ver-
kürzung der Ehebestandszeit von vier auf zwei Jahren
der Anreiz für ausschließlich zum Zwecke der Erlan-
gung eines Aufenthaltstitels beabsichtigte Eheschließun-
gen gesteigert worden sei. Durch die Erhöhung der Ehe-
bestandszeit auf drei Jahre würde der Anreiz für die
Eingehung einer Scheinehe verringert und durch die Ver-
längerung des Zeitraums gleichzeitig die Wahrschein-
lichkeit der Aufdeckung einer Scheinehe vor Entstehung
eines eigenständigen Aufenthaltsrechts erhöht.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat die Ziel-
setzung, Opfer von Zwangsheirat besser zu schützen.
Die Erhöhung der Ehebestandszeit steht meines Erach-
tens dazu im Widerspruch. Die Gefahr, die Abhängigkeit
der Opfer von Zwangsheirat von ihren Ehepartnern zu
erhöhen, überwiegt gegenüber den Vorteilen, die mit der
Regelung zur Verhinderung von Scheinehen angestrebt
wird. Je länger die aufenthaltsrechtliche Abhängigkeit
der zwangsverheirateten Frauen vom Bestand der Ehe
andauert, umso länger sind diese Frauen gezwungen, in
einer von Gewalt geprägten Lebenssituation gegen ihren
Willen auszuharren.
Die bereits bestehende Härtefallregelung des § 31
Abs. 2 AufenthG, wonach von der zwei- bzw. nun vorge-
sehenen dreijährigen Frist abgewichen werden kann,
greift in der Praxis aufgrund von Beweisschwierigkeiten
in vielen Fällen nicht. Die Zwangsehe stellt zwar einen
Umstand dar, der eine besondere Härte im Sinne dieser
Vorschrift begründen kann. Die hohen Anforderungen an
den Nachweis der Zwangslage lässt hingegen viele
Frauen davor zurückschrecken, eine Trennung vor Ab-
lauf der Mindestehebestandszeit vorzunehmen. Auch
durch den Änderungsantrag der Fraktionen CDU/CSU
und FDP (Ausschussdrucksache 17 (4) 205) hat sich in
Bezug auf die Beweislast keine Verbesserung der Situa-
tion der betroffenen Frauen ergeben. Zwar wird durch
11094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
die Ergänzung von § 31 Absatz 2 Satz 2 AufenthG um
einen weiteren Halbsatz nunmehr ausdrücklich erwähnt,
dass die Unzumutbarkeit des Festhaltens an der eheli-
chen Lebensgemeinschaft insbesondere dann anzuneh-
men ist, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt
durch den stammberechtigten Ausländer ist. Dies bringt
jedoch in der Praxis keine Beweiserleichterung für die
zwangsverheirateten Frauen mit sich.
Die Verlängerung der für das eigenständige Aufent-
haltsrecht erforderlichen Frist von zwei auf drei Jahre
würde daher die Situation der Betroffenen insgesamt
verschlechtern, den Druck auf sie erhöhen und ihre Lei-
denszeit verlängern. In diesem Zusammenhang möchte
ich auch darauf verweisen, dass der UN-Frauenrechts-
ausschuss CEDAW im Jahr 2004 ausdrücklich die
Herabsetzung der Ehebestandsdauer auf zwei Jahre lo-
bend hervorgehoben hat. Eine erneute Anhebung der
Ehebestandsdauer bedeutet im Umkehrschluss einen
Rückschritt in der Verwirklichung des Menschenrechts
von Frauen auf ein Leben frei von Gewalt.
Im Koalitionsvertrag ist im Kapitel „Integration und
Zuwanderung“ ein Prüfauftrag bezüglich aller Maßnah-
men zur Verhinderung von Scheinehen, wie zum Bei-
spiel die Verlängerung der Ehebestandszeit von zwei auf
drei Jahre, formuliert. Eine Prüfung der im Gesetzent-
wurf nunmehr vorgesehenen Erhöhung der Ehebestands-
zeit ist meines Erachtens nicht erfolgt.
Im Rahmen der heutigen Abstimmung zum Gesetz-
entwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung der
Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von
Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts-
rechtlicher und asylrechtlicher Vorschriften werde ich
daher mit „Nein“ stimmen.
Auch die geplante Änderung des § 37 AufenthG sehe
ich kritisch. Grundsätzlich begrüße ich zwar die Anpas-
sung von § 37 Abs. 2 AufenthG, da die Regelung eine
Besserstellung der Opfer von Zwangsheiraten im Aus-
land vorsieht. Allerdings wird von der beabsichtigten
Neuregelung lediglich ein kleiner Personenkreis begüns-
tigt.
Mit Einfügung des § 37 Abs. 2 a AufenthG wird sol-
chen Personen ein Rechtsanspruch auf Rückkehr nach
Deutschland eingeräumt, die rechtswidrig mit Gewalt
oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Einge-
hung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach
Deutschland abgehalten werden, wenn sie sich vor ihrem
Auslandsaufenthalt als Minderjährige mindestens acht
Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben so-
wie sechs Jahre eine Schule besucht haben und den An-
trag auf Rückkehr innerhalb von drei Monaten nach
Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch vor Ablauf
von zehn Jahren seit der Ausreise, gestellt haben. Unab-
hängig von der Dauer des Aufenthalts in Deutschland
kann solchen Personen die Rückkehr nach Deutschland
gewährt werden, die rechtswidrig mit Gewalt oder Dro-
hung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der
Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland
abgehalten werden, wenn der Antrag auf Rückkehr in-
nerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage,
spätestens jedoch vor Ablauf von fünf Jahren seit der
Ausreise gestellt wird und eine positive Integrationspro-
gnose abgegeben werden kann.
Als problematisch erachte ich, dass den Opfern von
Zwangsheirat, die die oben genannten Voraussetzungen
eines achtjährigen Deutschland-Aufenthalts sowie eines
sechsjährigen Schulbesuches in Deutschland nicht erfül-
len, kein Rechtsanspruch auf Rückkehr zusteht. Der Ge-
setzentwurf eröffnet den Behörden einen Ermessens-
spielraum. Die Opfer können somit nicht sicher davon
ausgehen, dass ihnen bei Erfüllung der im Gesetz nor-
mierten Voraussetzungen auch tatsächlich ein Rückkehr-
recht zugestanden wird. Dies führt bei den Betroffenen
zu weiteren Unsicherheiten. Daher lehne ich auch die
geplante Einfügung des § 37 Abs. 2 a AufenthG im Er-
gebnis ab, da die Regelung meines Erachtens nicht weit
genug geht und sie in der Praxis kaum tatsächliche Rele-
vanz aufweist.
Anlage 11
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Frank Schäffler (FDP) und
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung zu dem
Antrag:
Einvernehmensherstellung von Bundestag und
Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136
des Vertrages über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union (AEUV) hinsichtlich der Ein-
richtung eines Europäischen Stabilitätsmecha-
nismus (ESM)
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges nach Artikel 23 Absatz 3 Grundge-
setz i. V. m. § 10 des Gesetzes über die
Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäische Union (Ta-
gesordnungspunkt 11)
Der von der Bundesregierung am 11. März 2011 in
Brüssel eingeschlagene Weg zur „Änderung des Vertra-
ges über die Arbeitsweise der Europäischen Union hin-
sichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitglied-
staaten, deren Währung der Euro ist – Ratsdok. 17620/10
(EUCO 30/10, Anlage I) –“ ist der Weg zur Ausweitung
des bestehenden Euro-Rettungsschirms, die der Deut-
sche Bundestag nie wollte, ist der Weg zur unbefristeten
Verlängerung des Euro-Rettungsschirms, die der Deut-
sche Bundestag nie wollte, ist der Weg zur qualitativen
Veränderung der Europäischen Wirtschaftsverfassung,
die der Deutsche Bundestag nie wollte.
Alle drei Wege sind und bleiben falsche Wege. Denn
es ist nach wie vor richtig, was unsere Frau Bundeskanz-
lerin in ihrer Regierungserklärung am 27. Oktober 2010
bezüglich des derzeitigen Rettungsschirms klargestellt
hatte:
Er läuft 2013 aus. Das haben wir auch genau so ge-
wollt und beschlossen. Eine einfache Verlängerung
kann und wird es mit Deutschland nicht geben, weil
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11095
(A) (C)
(D)(B)
der Rettungsschirm nicht als langfristiges Instru-
ment taugt, weil er Märkten und Mitgliedstaaten
falsche Signale sendet und weil er eine gefährliche
Erwartungshaltung fördert. Er fördert die Erwar-
tungshaltung, dass Deutschland und andere Mit-
gliedstaaten und damit auch die Steuerzahler dieser
Länder im Krisenfall schon irgendwie einspringen
und das Risiko der Anleger übernehmen können.
Diese Worte sind nach wie vor richtig. Die Lage hat
sich nicht geändert. Offensichtlich wird jedoch, dass im
Mai 2010 der politisch falscheste Satz des noch jungen
21. Jahrhunderts im Deutschen Bundestag gesprochen
worden ist: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“
Flankiert vom Wort des Jahres 2010 „alternativlos“
darf seitdem niemand mehr öffentlich über Alternativen
zum 750-Milliarden-Rettungsschirm nachdenken. Und
wird der Rettungsschirm beim EU-Gipfel der Staats- und
Regierungschefs am 24. und 25. März nicht verewigt,
dann „Scheitert der Euro und scheitert Europa!“
Welches Europa da gerade scheitert, wird indes nicht
hinterfragt, denn es könnte auffallen, dass es das Europa
der Planwirtschaftler und Bürokraten ist.
Die Alternativlosigkeit verbietet, über die Ziele einer
liberalen Europapolitik nachzudenken, über Rechtsstaat-
lichkeit in Europa, über den Schutz der individuellen
Freiheit, über eine freiheitliche Wirtschaftsverfassung,
denn: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“
Wir dürfen natürlich auch nicht darauf hinweisen,
dass wir am 21. Mai 2010 im Deutschen Bundestag zwei
Drittel des Steueraufkommens des Bundes für die Staats-
schulden anderer Länder verpfändet haben und dass dies
ohne einen Parlamentsvorbehalt und ohne eine rechtli-
che Grundlage in den europäischen Verträgen vom Deut-
schen Bundestag durchgewunken wurde.
Noch im Jahr 2009 hat das Bundesverfassungsgericht
in seinem Lissabon-Urteil das Budgetrecht des Parla-
ments zum Kernbereich demokratischen Lebens gezählt.
Sowohl das Demokratieprinzip als auch das Wahlrecht
seien verletzt, wenn die Festlegung über die Art und
Höhe der den Bürger betreffenden Abgaben in wesentli-
chem Umfang supranationalisiert würde.
Wir dürfen nicht aussprechen, dass der Deutsche
Bundestag bei der nunmehr geplanten „Verstetigung“
des Euro-Rettungsschirms sein Königsrecht der freien
Haushaltsplanung und -verabschiedung verliert. Wir
dürfen nicht beklagen, dass wir als Bundestagsabgeord-
nete unserer eigenen Entmachtung zustimmen sollen.
Nein! Nein! Nein! Gute Europäer müssen wir sein!
Wir dürfen nicht laut darüber nachdenken, dass das
heutige Europa auf dem Weg in die monetäre Planwirt-
schaft und den politischen Zentralismus ist und dass Plan-
wirtschaft und das Brechen der Europäischen Verträge
nicht alternativlos sind. Wir dürfen die Hauptursachen
der Überschuldungskrise unserer Staaten und Banken na-
türlich nicht benennen: die Geld- und Kreditschöpfung
aus dem Nichts und die Möglichkeit, staatliches unge-
decktes Zwangspapiergeld unbegrenzt vermehren zu
können. Dass ohne diese Alchemie des Geldes kein welt-
weites Schneeballsystem aus ungedeckten zukünftigen
Zahlungsverpflichtungen hätte entstehen können, dürfen
wir natürlich auch nicht sagen. Es könnte ja erkannt wer-
den, dass dieses Schneeballsystem nur möglich ist, weil
der Staat aus Gründen der leichteren Finanzierung von
Staatsausgaben den Banken Privilegien verliehen hat, die
gegen die Grundprinzipien jeder marktwirtschaftlichen
Ordnung verstoßen.
Und es ist natürlich eine Beleidigung des heutigen Es-
tablishments, wenn man deutlich macht, dass dieses
Geldsystem fast zwangsläufig zur Überschuldung von
Staaten und Banken führt, die sich in diesem Prozess ge-
genseitig decken, stützen und erpressen. Die Erpressung
lautet: Werden die Zahlungen für uns eingestellt, fällt
das gesamte Finanzsystem zusammen.
Ein Europa des Rechts, des Wettbewerbs und der
Marktwirtschaft muss die Antwort auf diese Vertrauens-
krise sein. Regeln, die gemeinsam vereinbart wurden,
müssen eingehalten und von der EU-Kommission als
Hüterin des Rechts durchgesetzt werden. Nicht planwirt-
schaftliche Gleichmacherei durch Bürokraten einer
Wirtschaftsregierung oder einen „Pakt für Wettbewerbs-
fähigkeit“, sondern mehr Wettbewerb als Entdeckungs-
verfahren, als Entmachtungsinstrument und faktische
Schuldenbremse müssen zugelassen werden. Und
schließlich ist eine marktwirtschaftliche Geldordnung
vonnöten, die der EZB nicht weiter erlaubt, den Zins und
damit den Preis für Güter und Dienstleistungen beliebig
zu manipulieren und damit die marktwirtschaftliche
Ordnung zu zerstören.
Dieser Dreiklang ist die Alternative zur Alternativlo-
sigkeit. Denn sonst behalten die recht, die behaupten:
„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“
Anlage 12
Zu Protokoll gegebenen Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Europäische-Betriebs-
räte-Gesetzes – Umsetzung der Richtlinie 2009/
38/EG über Europäische Betriebsräte (2. EBRG-
ÄndG) (Tagesordnungspunkt 17)
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Mit dem Euro-
päischen Binnenmarkt und der Währungsunion haben
viele Unternehmen ihre Strategien grenzüberschreitend
ausgerichtet, Planungen und Standortentscheidungen be-
trachten Europa als einen einheitlichen Wirtschaftsraum.
Dagegen enden die Möglichkeiten der deutschen Be-
triebsverfassung nach wie vor an der Landesgrenze. Um
diese Lücke zu schließen, wurde 1994 die EU-Richtlinie
über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates
verabschiedet. Seit 1996 gibt es auch ein entsprechendes
deutsches EBR-Gesetz. Das Europäische Parlament hat
im Dezember 2008 einen Richtlinienentwurf zur Neufas-
sung der Europäischen-Betriebsräte-Richtlinie 94/95/EG
gebilligt, mit dem die Kommission das Verfahren zur
Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen
11096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
und Arbeitnehmer über Europäische Betriebsräte verbes-
sern will.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich die Sozialpart-
ner auf europäischer Ebene nach jahrelangen Auseinan-
dersetzungen im Sommer 2008 dann auf einen gemeinsa-
men Richtlinienentwurf geeinigt haben. Das war eine
schwierige Geburt. Denn nach einer ersten Konsultation
der Sozialpartner im April 2004 und einer zweiten im Jahr
2007 scheiterte im Frühjahr 2008 die angestrebte Eini-
gung zunächst. Erst auf Drängen des Europäischen Parla-
ments entschloss sich die Kommission, einen eigenen
Entwurf zur Revision der Europäischen-Betriebsräte-
Richtlinie vorzulegen. Der dann erzielte Durchbruch ist
deshalb besonders erfreulich und ein wichtiges Signal,
weil sich die bestehenden Europäischen Betriebsräte –
ungeachtet gewisser Probleme im Detail – bewährt haben.
Als Gremium zur Unterrichtung und Anhörung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in grenzüber-
schreitend tätigen Unternehmen spielt er auch vor dem
Hintergrund der sozialen Dimension in Europa eine
wichtige Rolle. Er ist kein Betriebsrat im Sinne der deut-
schen Betriebsverfassung, insbesondere verfügt er über
keine Mitbestimmungsrechte. Seine Aufgabe ist eher mit
einem Wirtschaftsausschuss vergleichbar. Er soll die Un-
terrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auch dann sicherstellen, wenn sie von
Entscheidungen betroffen werden, die außerhalb ihres
Mitgliedstaates gefasst werden, in dem sie beschäftigt
sind. Gebildet werden kann er in Unternehmen, die in
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des
Europäischen Wirtschaftsraumes mindestens 1 000 Ar-
beitnehmer beschäftigen, davon mindestens jeweils
150 Arbeitnehmer in zwei verschiedenen Mitgliedstaa-
ten. Deutschland gehört in Europa noch vor Großbritan-
nien, Frankreich, Schweden und den Niederlanden zu
den Mitgliedstaaten, in denen am häufigsten ein Euro-
päischer Betriebsrat gegründet wird.
Mit der nun von der Bundesregierung vorgelegten No-
velle des Europäischen-Betriebsräte-Gesetzes soll die
neue EU-Richtlinie über Europäische Betriebsräte eins zu
eins in nationales Recht umgesetzt werden. Dies ist auch
im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen. Damit wird
das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeit-
nehmer in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen und
Unternehmensgruppen weiter gestärkt. Zu den wesentli-
chen Änderungen gehören die erweiterte Definition der
Begriffe Unterrichtung und Anhörung, die Anerkennung
der Rolle der Gewerkschaften als Sachverständige zur
„Unterstützung der Verhandlungen des besonderen Ver-
handlungsgremiums“ sowie die Regelungen für erforder-
liche Schulungen von Mitgliedern dieses Gremiums und
des Europäischen Betriebsrates. Die wichtigste Neuerung
stellt die Neuverhandlungspflicht bestehender Vereinba-
rungen bei strukturellen Änderungen des Unternehmens
oder der Unternehmensgruppe dar.
Die europäischen Sozialpartner sind ihrer Verantwor-
tung zum sozialen Dialog in vorbildhafter Weise gerecht
geworden. Das zeigen die beeindruckenden Kompro-
misse über die gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze und
über die Überarbeitung der Richtlinie über Europäische
Betriebsräte. Es stimmt auch positiv, dass sich die Kom-
mission bei der Europäischen-Betriebsräte-Richtlinie in
Selbstbeschränkung geübt und das Subsidiaritätsprinzip
gewahrt hat.
Josip Juratovic (SPD): Als früherer Betriebsrat bei
Audi war auch ich mit dem Problem konfrontiert, dass
unser Unternehmen europaweit agierte. Für mich stellte
sich die Frage: Wie können wir Mitarbeiter mithalten,
wenn ein Unternehmen über die Grenzen hinweg organi-
siert ist? Wie organisieren wir dann die Mitbestimmung?
Zum Glück gibt es seit 1994 die EU-Richtlinie über Eu-
ropäische Betriebsräte. Es ist wichtig, dass Arbeitneh-
mer europaweit organisiert sind, wenn die Unternehmen
staatenübergreifend aufgestellt sind. Wir brauchen Mit-
bestimmung auf Augenhöhe. Das geht nur, wenn Ge-
werkschaften und Unternehmen beide transnational or-
ganisiert sind. In einer globalisierten Welt ist es nicht
möglich, nur nationale Mitbestimmung zu haben, ohne
die Mitbestimmung auf EU-Ebene zu stärken. Es reicht
nicht, wenn wir die deutsche Mitbestimmung in Sonn-
tagsreden loben, wie die Kanzlerin es tut, und auf EU-
Ebene untätig bleiben.
Es gibt keine Alternative zu einer europaweiten Aus-
weitung der Mitbestimmung. In einigen Unternehmen,
wie beispielsweise bei EADS, funktionieren die Europäi-
schen Betriebsräte sehr gut. EADS ist erfolgreich, und
die Mitbestimmung ist ein Grund dafür. Denn unser
Wohlstand baut auf zwei Säulen auf: Zum einen sind
dies erfolgreiche und innovative Unternehmer, zum an-
deren sind dies die unzähligen Arbeitnehmer, die für den
Erfolg ihres Unternehmens arbeiten. Wenn diese Arbeit-
nehmer an den Entscheidungen beteiligt werden und
wenn es funktionierende Betriebsräte gibt, sind die Un-
ternehmen erfolgreicher. Das zeigen zahlreiche Studien.
Denn in Betrieben mit Mitbestimmung setzen sich die
Arbeitnehmer stärker für den Erfolg ihres Unternehmens
ein, mit dem sie sich verbunden fühlen. Deswegen ist es
für unseren Wohlstand so wichtig, dass Europäische Be-
triebsräte gut funktionieren.
Aber die Werksverlagerung von Nokia in Bochum hat
gezeigt: Es ist zu einfach, die Mitbestimmung zu umge-
hen. Wir haben zahlreiche Beispiele aus der Praxis, dass
Europäische Betriebsräte an wichtigen Entscheidungen
nicht beteiligt wurden. Die Richtlinie von 1994 war
nicht mehr zeitgemäß. Die Europäischen Betriebsräte
standen vor einem Scherbenhaufen. Auf europäischer
Ebene haben wir lange für eine verbesserte Richtlinie
gekämpft. Die deutsche Wirtschaft und besonders der
Arbeitgeberverband haben dabei keine rühmliche Rolle
gespielt. Vielmehr versuchten die Arbeitgeber, weiter
gehende Mitbestimmung auf europäischer Ebene zu ver-
hindern. Es war eine harte Arbeit der europäischen Ge-
werkschaften und des europäischen Arbeitgeberverban-
des, bis es zu einer Einigung kam und der destruktive
Widerstand der deutschen Arbeitgeber gebrochen war.
Unterstützt wurden Gewerkschaften und europäische
Arbeitgeber von vielen Erfahrungen aus der Praxis. In
den Betrieben wurde viel zwischen Betriebsräten und
Betriebsleitungen diskutiert, es fanden viele Aktionen
vor Ort statt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11097
(A) (C)
(D)(B)
Die neue Richtlinie beinhaltet viele Verbesserungen.
Die Grundrechte der Mitbestimmung, nämlich das Infor-
mationsrecht und das Konsultationsrecht, werden durch
die neue Richtlinie gewährleistet. Den Europäischen Be-
triebsräten werden diese Grundrechte in Zukunft nicht
mehr verweigert, wie es bisher in einigen Unternehmen
der Fall war. Es wurde klargestellt, in welchen Fällen
Europäische Betriebsräte zuständig sind. Dazu gehören
auch Unternehmensverlagerungen. Die Europäischen
Betriebsräte müssen in Zukunft früher informiert werden
von den Unternehmensleitungen. EBR-Mitglieder haben
in Zukunft das Recht auf Schulungs- und Bildungsveran-
staltungen. In der Richtlinie werden viele wichtige
Dinge geregelt, die die Arbeit von Europäischen Be-
triebsräten vereinfachen.
Die Richtlinie kann sich also sehen lassen. Aber die
deutsche Umsetzung der Richtlinie, die wir heute debat-
tieren, muss verbessert werden. Ich fordere drei Ände-
rungen an dem Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt.
Erstens. In der Richtlinie steht, dass die Mitgliedstaa-
ten verpflichtet sind, wirksame, angemessene und ab-
schreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Richtli-
nie einzuführen. Die Höhe der Sanktionen muss national
festgelegt werden. Denn natürlich ist beispielsweise eine
Sanktion von 15 000 Euro für ein mittelständisches Un-
ternehmen in Rumänien abschreckend. In Deutschland
ist das aber viel zu niedrig. Der Gesetzentwurf von
Union und FDP sieht vor, dass bei Verstößen eine Sank-
tion von 15 000 Euro fällig ist. Glauben Sie ernsthaft,
dass große deutsche Unternehmen bei 15 000 Euro zu-
sammenzucken? 15 000 Euro hätte Nokia aus der Porto-
kasse bezahlt, um Mitbestimmung zu verhindern. Kein
Unternehmen, das die Mitbestimmung aushebeln will,
fürchtet solch niedrige Sanktionen. Um die Europäi-
schen Betriebsräte zu stärken, müssen wir also dringend
höhere Sanktionen ins Gesetz schreiben.
Zweitens müssen wir einen Unterlassungsanspruch
festschreiben. Wenn ein Unternehmen gesetzwidrig han-
delt, also den Europäischen Betriebsrat nicht rechtzeitig
anhört oder unterrichtet, dürfen die Entscheidungen, an
denen der Betriebsrat nicht beteiligt wurde, auch nicht
vollzogen werden. Wenn ein Unternehmer also eine
Werksschließung vornehmen will, aber den Europäischen
Betriebsrat nicht anhört, kann der Betriebsrat dagegen
klagen und sein Recht vor Gericht durchsetzen. Das fehlt
bisher im Gesetz. Kolleginnen und Kollegen von Union
und FDP, lassen Sie uns gemeinsam in den kommenden
Beratungen einen solchen Unterlassungsanspruch in das
Gesetz schreiben.
Drittens fordere ich, dass ein Zutrittsrecht für die Mit-
glieder der Europäischen Betriebsräte festgeschrieben
wird. Wenn die Europäischen Betriebsräte hier nach
Deutschland kommen, um die hiesigen Betriebsräte zu
unterrichten, muss sichergestellt sein, dass die EBR-Mit-
glieder nicht am Betreten des Unternehmens gehindert
werden. Ein Unternehmen darf nicht verhindern, dass
Europäische Betriebsräte in die deutschen Niederlassun-
gen kommen. Auch dieses Zutrittsrecht müssen wir in
das Gesetz integrieren.
Die SPD-Fraktion wird dazu in den kommenden Ta-
gen einen Antrag mit den konkreten Forderungen vorle-
gen. Denn das Gesetz über europäische Mitbestimmung
hat auch eine tiefere Bedeutung für unser gemeinsames
Europa: Mit diesem Gesetz zeigen wir, was das soziale
Europa für jeden Einzelnen von uns bedeutet. Wir zeigen
den Menschen: Die EU rettet nicht nur den Euro und die
Banken, sondern in der EU sorgen wir dafür, dass die
Menschen bessere Arbeitsbedingungen bekommen. Die
Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten ist ein
Kernstück des sozialen Europas. Damit schaffen wir es,
dass die Menschen nicht europamüde werden. Diese
Chance müssen wir nutzen.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Europäische-Be-
triebsräte-Gesetz stellt sicher, dass auch in gemein-
schaftsweit tätigen Unternehmen und Konzernen eine
grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung der
Arbeitnehmer über eine von ihnen gebildete Interessen-
vertretung erfolgt. Ein Europäischer Betriebsrat kann ge-
bildet werden in Unternehmen, die in den Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union und in den anderen
Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum insgesamt mindestens 1 000 Arbeitneh-
mer und davon mindestens jeweils 150 Arbeitnehmer in
zwei verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigen.
Nach Zahlen der Europäischen Kommission bestehen
in Europa derzeit etwa 900 Europäische Betriebsräte, die
gut 15 Millionen Arbeitnehmer repräsentieren. In
Deutschland gibt es rund 140 Unternehmen mit einem
Europäischen Betriebsrat.
Am 15. Dezember 2010 hat das Bundeskabinett den
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Euro-
päische-Betriebsräte-Gesetzes beschlossen. Damit soll
die Richtlinie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte
in nationales Recht umgesetzt werden. Die neugefasste
Richtline stärkt das Recht des Europäischen Betriebsrates
auf Unterrichtung und Anhörung und gestaltet Beteili-
gungsverfahren praxistauglicher. Die neuen Regelungen
sollen im Sommer 2011 in Kraft treten.
Ein wesentlicher Bestandteil des vorliegenden Ge-
setzentwurfs ist die rechtzeitige Information und Anhö-
rung des Europäischen Betriebsrates über geplante Maß-
nahmen des Unternehmens, die die Arbeitnehmer
betreffen, wie zum Beispiel Umstrukturierungen. Damit
wird sichergestellt, dass auch in europaweit tätigen Un-
ternehmen die Interessen der Arbeitnehmer berücksich-
tigt werden und in die Entscheidungsfindung im Unter-
nehmen einfließen.
Die Anpassungen erfolgen, um der Praxis besser ge-
recht zu werden. Dabei stehen die betrieblichen Sozial-
partner im Mittelpunkt, indem sie die Verantwortung für
die Einrichtung, das Format, die Aufgabenstellung und
die Tätigkeit des Europäischen Betriebsrates oder eines
anderen Verfahrens zur grenzüberschreitenden Unter-
richtung und Anhörung der Arbeitnehmer erhalten haben.
Der in der Richtlinie enthaltene Verhandlungsansatz
ist die Grundlage für den großen Erfolg der Europäi-
schen Betriebsräte in der unternehmerischen Praxis. Die-
11098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
ser Ansatz ermöglicht eine Vielfalt von Modellen der
Information und Konsultation und trägt den unterneh-
mensindividuellen Gegebenheiten Rechnung. Durch das
Gesetz werden keine neuen bürokratischen Hürden auf-
gebaut, sondern es lässt Spielraum für maßgeschneiderte
betriebliche Lösungen. Wir sind der festen Überzeu-
gung, dass es richtig ist, den einzelnen Unternehmen die
Möglichkeit zu geben, mit ihren Arbeitnehmern und Ar-
beitnehmervertretern die besten Lösungen zu finden.
In der Entstehung der Richtlinie, die nach unserer
Vorstellung eins zu eins mit diesem Gesetz umgesetzt
werden sollte, wurden viele Verbesserungsvorschläge
der betroffenen Parteien angenommen, die die Arbeitge-
ber zusammen mit dem Europäischen Gewerkschafts-
bund in einer gemeinsamen Stellungnahme erarbeitet
haben. Hier wurden gute Lösungen im Sinne der Arbeit-
nehmer und Arbeitgeber gefunden. Dies ist insbesondere
deshalb erfreulich, weil so zügig Ergebnisse gefunden
werden konnten, die von einer breiten Mehrheit getragen
werden.
An einzelnen Stellen sehen wir als Liberale noch Ge-
sprächsbedarf, so zum Beispiel bei den Anzeigepflich-
ten. Unser Ziel ist es, Wettbewerbsgleichheit in der Eu-
ropäischen Union sicherzustellen. In der Anhörung
werden wir die Möglichkeit haben, auf einzelne Fragen-
stellungen noch näher einzugehen.
Dieser vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer
Schritt, um die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern auf europäischer Ebene einfacher
und praxisgerechter zu gestalten. Daher würde ich mich
freuen, wenn auch in diesem Hohen Hause über die Par-
teigrenzen hinweg diese Regelungen Zustimmung fin-
den würden.
Jutta Krellmann (DIE LINKE): Wir brauchen starke
Europäische Betriebsräte, um die Beschäftigten vor rei-
nem Profitstreben ihrer Konzerne zu schützen. Mitbe-
stimmung ist notwendig, wenn Konzerne, wie zum
Beispiel Nokia, ihre Standorte verlagern, nur um Lohn-
kosten zu sparen. Nokia hatte für das Werk in Bochum
Subventionen bekommen, um dauerhafte Arbeitsplätze
zu schaffen. Wie dauerhaft das war, hat man 2008 gese-
hen: Das Werk wurde einfach verlagert. Am neuen
Standort in Rumänien gab es Ansiedlungsprämien, und
billige Löhne lockten. Also verlagerte Nokia seine Han-
dyproduktion dorthin. Weder der deutsche noch der Eu-
ropäische Betriebsrat waren ausreichend informiert wor-
den. Die Belegschaft wurde chancenlos vor vollendete
Tatsachen gestellt. Rumänische Gewerkschafter wurden
aktiv bei ihrer Arbeit im neuen Werk gehindert. Immer
wieder werden so Belegschaften verschiedener Werke in
Europa gegeneinander ausgespielt.
Europäische Betriebsräte ermöglichen es den Be-
schäftigten, sich über nationale Grenzen auszutauschen
und gemeinsame Positionen zu entwickeln. Die rasant
gestiegene Zahl der Europäischen Betriebsräte belegt,
wie wichtig sie für die Beschäftigten in transnationalen
Unternehmen sind. Standortverlagerungen, wie bei No-
kia, sollten in Europa nicht mehr möglich sein. Daran
muss sich eine Richtlinie für Europäische Betriebsräte
messen lassen.
Ganze zwölf Jahre hat es gedauert, bis die verbesserte
Richtlinie nun auf dem Tisch liegt. Herausgekommen
sind die Beseitigung vieler kleiner Hürden, die die Arbeit
der Europäischen Betriebsräte bisher erschwert haben.
Die Informationsrechte des EBR wurden verbessert: Der
Anspruch auf Informationen ist nun klarer definiert und
leicht ausgeweitet. Es gibt nun endlich einen Schulungs-
anspruch für Mitglieder eines Europäischen Betriebsrates,
inklusive Kostenübernahme und Lohnkostenausgleich.
Die Zusammenarbeit mit den Nationalen Mitbestim-
mungsgremien wurde verbessert. Sanktionen, die die Un-
ternehmen zur Einhaltung der Rechte der Europäischen
Betriebsräte verpflichten, wurden in der Richtlinie festge-
schrieben.
Wenn man das hört, fragt man sich ernsthaft, wie zu-
vor eine wirkungsvolle Arbeit möglich war. An einigen
zentralen Punkten wurde aber nichts verändert. Der Eu-
ropäische Betriebsrat kann sich auch weiterhin nur ein-
mal im Jahr treffen. Für ein arbeitsfähiges Gremium ist
dies zu wenig. Mit mehreren Treffen im Jahr wäre es ge-
lungen, den Europäischen Betriebsrat von einem reinen
Informationsgremium zu einem Arbeitsgremium zu ma-
chen. Diese Chance ist verpasst worden. Zudem wurde
die Ausweitung von EBRs auf kleinere europäische Un-
ternehmen blockiert. Auch in Unternehmen mit 500 Be-
schäftigten und mindestens 100 Beschäftigten in zwei
Ländern müssen EBRs möglich sein. Bei den Sanktio-
nen schließlich setzt die Bundesregierung die Richtlinien
nur mangelhaft um: Geldstrafen von maximal 15 000
Euro sind nicht wirksam, wie die Richtlinie vorschreibt –
das ist Klimpergeld für einen europäischen Konzern.
Was brauchen Europäische Betriebsräte um arbeiten
zu können? Aufgrund der reichhaltigen europäischen Er-
fahrungen mit betrieblicher Mitbestimmung ist es ein-
fach zu sagen, was Europäische Betriebsräte brauchen
um gute Arbeit zu machen. Erstens. Europäische Be-
triebsräte brauchen das Recht auf regelmäßige Treffen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem internationalen
Unternehmen beschäftigt, Sie sind Teil einer internatio-
nalen Arbeitsgruppe und treffen sich mit Ihren Kollegen
aus anderen Ländern nur einmal im Jahr zur Abstim-
mung. Glauben Sie im Ernst, Sie sind so arbeitsfähig?
Zweitens. Sie brauchen das Recht auf umfassende und
frühzeitige Information, um ein gemeinsames europäi-
sches Vorgehen der Beschäftigten abzustimmen. Deshalb
fordert die europäische Linke, dass Europäische Betriebs-
räte gegen Pläne der Unternehmensführung für Umstruk-
turierungen, Unternehmenszusammenschlüsse, Übernah-
men oder Entlassungen Einspruch erheben können. Alle
endgültigen Entscheidungen müssten so lange aufge-
schoben werden, bis der Europäische Betriebsrat alterna-
tive Lösungen anbieten kann und diese mit der Unterneh-
mensführung ausführlich erörtert wurden.
Drittens. Die Teilnahme der Gewerkschaftsvertreter
an den Treffen muss ermöglicht werden.
Zustimmen wird die Linke dieser Verbesserung, aber
einen Grund zum Feiern sehen wir darin nicht. Mit der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11099
(A) (C)
(D)(B)
neuen Richtlinie bleiben die Mitspracherechte der Be-
schäftigten bei Umstrukturierungen und Verlagerungen
ungenügend – ein neues Nokia wird nicht verhindert.
Den europäischen Beschäftigten wird mit dem neuen
Gesetz statt einem Fahrrad nun ein Mofa zur Verfügung
gestellt. Wirklich notwendig für grenzübergreifende
Mitbestimmung wäre jedoch mindestens eine europäi-
sche Bahncard 100. Die dicken Bretter der Mitbestim-
mung werden in Europa nur langsam gebohrt. Während
der freie Binnenmarkt längst gelebte Praxis ist, bleiben
die Rechte von europäischen Betriebsräten weiterhin
von bescheidenem Format.
Die Reform der Europäischen-Betriebsräte-Richtline
wurde lange verzögert. Sie war für 1999 vorgesehen. In
Kraft tritt die Reform nun 2011, das heißt, ganze zwölf
Jahre später. Erst im Jahre 2016 wird eine erneute Über-
arbeitung der Richtlinie möglich sein. Wenn diese in
demselben Tempo verhandelt wird, wie bei dieser Über-
arbeitung, ist der Prozess 2028 abgeschlossen. Das ist zu
spät für mehr betriebliche Mitbestimmung in Europa.
Das ist für ein demokratisches und soziales Europa be-
schämend.
Die europäischen Gewerkschaften haben dafür ge-
sorgt, dass die Europäischen Betriebsräte, trotz der bis-
her bescheidenen Möglichkeiten, mit Leben gefüllt wur-
den. Es bleibt den Gewerkschaften Europas und der Welt
auch mit der neuen Richtlinie nichts anderes übrig, als
wirklich wirksame internationale Konzernmitbestim-
mung selbst durchzusetzen.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Bundesregierung ist bereits spät dran mit
dem Gesetzentwurf zur Änderung des Europäischen-Be-
triebsräte-Gesetzes. Seit dem 5. Juni 2009 ist die überar-
beitete EU-Richtlinie zu den Europäischen Betriebsräten
in Kraft, und bis zum 5. Juni dieses Jahres muss sie in
nationales Recht umgesetzt werden. Viel Zeit bleibt also
nicht mehr. Das Thema ist mir sehr wichtig, und ich
meine, es muss intensiv und sorgfältig beraten werden.
Denn die Umsetzung muss auch eine entsprechende
Qualität haben. Die Beratungen im federführenden Aus-
schuss für Arbeit und Soziales und insbesondere die An-
hörung müssen zu einem umfassenden Austausch ge-
nutzt werden. Den Ergebnissen der anstehenden
Beratungen und der Vertiefung in die Details des Gesetz-
entwurfes kann ich hier nicht vorgreifen. Aber einige
grundlegende Aussagen zum vorliegenden Gesetzesvor-
haben und zu seinem Hintergrund sind mir wichtig.
Die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Arbeit-
nehmervertretung wurde 1994 in der Richtlinie für die
Gründung Europäischer Betriebsräte geschaffen. Das
war ein großer Schritt nach vorne und ein Kernstück des
Europäischen Sozialmodells, denn Unternehmen sind
heutzutage grenzüberschreitend, oft global aufgestellt.
Auch die Arbeitnehmervertretung muss daher die Mög-
lichkeit haben, sich grenzüberschreitend und europaweit
zu organisieren. Andernfalls könnte von einer echten So-
zialpartnerschaft auf Augenhöhe nicht mehr die Rede
sein. Dennoch war die Richtlinie von 1994 höchst man-
gelhaft und eine Revision überfällig. Es waren keine
Mitbestimmungsrechte wie im deutschen Betriebsver-
fassungsgesetz vorgesehen. Und es gab keine wirksa-
men Sanktionen, die die Unternehmen zur Gründung
Europäischer Betriebsräte antreiben.
Die Verbesserungen in der Neufassung der Richtlinie
von 2009 waren hart erkämpft. Insbesondere das Euro-
päische Parlament hat den Kommissionsvorschlag ent-
scheidend verbessert, auch auf Betreiben der Grünen.
Ein wesentlicher Punkt war die Neudefinition der
„Transnationalität“. Sie erinnern sich, die Nokia-Werks-
schließung in Bochum und die Verlegung des Werkes
nach Rumänien geschah über die Köpfe der Europäi-
schen Betriebsräte hinweg. Nun ist klargestellt: Ein Eu-
ropäischer Betriebsrat muss auch dann unterrichtet und
angehört werden, wenn unternehmerische Entscheidun-
gen in einem Mitgliedstaat getroffen werden, die die Be-
schäftigten in einem anderen Mitgliedstaat betreffen.
Auch das Fehlen von abschreckenden Sanktionen gegen
Unternehmen, die sich nicht an die Richtlinie halten,
wurde erkannt. Die Mitgliedstaaten werden nun aufgeru-
fen „geeignete Maßnahmen“ zu treffen. Jetzt ist die Bun-
desregierung also am Zug. Insgesamt muss allen Betei-
ligten klar sein: Die Neufassung der Europäischen-
Betriebsräte-Richtlinie erfüllt einen Minimalanspruch an
die innerbetriebliche Demokratie – mehr nicht. Sie ist
eine Minimalanpassung an die veränderte Unterneh-
menssituation in Europa.
Ganz folgerichtig kann auch die nationale Umsetzung
hier nicht bejubelt, sondern lediglich als dringend not-
wendige Verbesserung begrüßt werden. Wir Abgeord-
nete müssen vor allem bewerten, ob die Bundesregie-
rung den Spielraum auch nutzt, der ihr bei der
Umsetzung in nationales Recht zur Verfügung steht. Be-
deutet die Gesetzesänderung eine Stärkung der Arbeit-
nehmerrechte, oder nicht? Daran muss sich dieser Ge-
setzentwurf messen lassen.
Der Gesetzentwurf sieht wesentliche Änderungen vor,
die ich bereits jetzt als grundsätzlich positiv bewerten
kann. Das Recht der Arbeitnehmervertretung auf Unter-
richtung und Anhörung wird schon allein dadurch ge-
stärkt, dass die Begriffe „Unterrichtung“ und „Anhö-
rung“ nun erstmals ausdrücklich definiert sind. Ebenfalls
im Grundsatz positiv ist die neu geschaffene Möglich-
keit für Gewerkschaften, als Sachverständige zur Unter-
stützung der Verhandlungen des besonderen Verhand-
lungsgremiums an dessen Sitzungen beratend
teilzunehmen. Ferner wird den Mitgliedern des Europäi-
schen Betriebsrates nun die Möglichkeit gewährt, an
Schulungs- und Bildungsveranstaltungen teilzunehmen.
Insofern zeichnen sich in der Tat Verbesserungen im
Vergleich zum Status quo ab. Eine ausführliche Bewer-
tung der Regelungen wird jedoch noch vorzunehmen
sein. Nach meinen bisherigen Erfahrungen in diesem
Hohen Hause bin ich sehr zurückhaltend damit, der Bun-
desregierung eine ausgeprägte Arbeitnehmerfreundlich-
keit zu unterstellen.
Hinzu kommen offensichtliche Auslassungen und
Mängel im vorliegenden Gesetzentwurf. Substanzielle
Nachbesserungen der Bestimmungen zur Sanktion von
Pflichtverstößen fehlen bisher weitgehend. Wir wissen
11100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
aber aus anderen Bereichen des Arbeitsrechtes, dass
Sanktionen wirksam, abschreckend und im Verhältnis
zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sein
müssen. Das wären „geeignete Maßnahmen“, wie sie die
EU-Richtlinie nennt. Bisher ist davon aber nichts zu er-
kennen. Unklar bleibt außerdem, wie genau wir uns die
Unterrichtung der örtlichen Arbeitnehmervertretung
durch den Europäischen Betriebsrat vorstellen müssen.
Erhält dieser beispielsweise ein Zugangs- und Zutritts-
recht zum Betrieb bzw. zum Unternehmen? Diese Fra-
gen sind noch offen.
Ich komme damit zu einem vorläufigen Fazit: Es ist
zumindest zweifelhaft, ob der gegebene Spielraum bei
der Umsetzung in die nationale Arbeitsrechtsordnung
bei den benannten Punkten wirklich ausreichend genutzt
wurde. Das werden wir im Folgenden noch gemeinsam
diskutieren. Und ich werde dabei selbstverständlich ak-
tiv etwas einbringen. Ich freue mich auf spannende und
angeregte Debatten, die uns sicherlich den einen oder
anderen Erkenntnisgewinn bescheren werden.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Die Unter-
richtung und Anhörung der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer ist ein wesentlicher Bestandteil des Europäi-
schen Sozialmodells. Die Verabschiedung der Richtlinie
über Europäische Betriebsräte im Jahr 1994 unter deut-
scher Ratspräsidentschaft war ein Meilenstein auf dem
Weg zu einem sozialen Europa.
Europäische Betriebsräte in grenzüberschreitend täti-
gen Unternehmen sind als Bindeglied zwischen der Un-
ternehmensleitung und den Beschäftigten gedacht. Sie
sollen den Austausch von Informationen und Interessen
der Beschäftigten an den verschiedenen Standorten in
unterschiedlichen Ländern fördern.
Europäische Betriebsräte können so verhindern, dass
die Belegschaften verschiedener Standorte gegeneinan-
der ausgespielt werden.
Nach Zahlen erfreut sich der EBR einer stetig wach-
senden Beliebtheit: 2009 gab es nach Angaben der Euro-
päischen Kommission in über 900 Unternehmen und
Unternehmensgruppen Europäische Betriebsräte, die
circa zwei Drittel der Arbeitnehmer der Unternehmen im
Anwendungsbereich der Richtlinie vertreten.
Maßgeblich hierfür ist vor allem, dass die Richtlinie
den Sozialpartnern einen weiten Gestaltungsspielraum
für die Errichtung Europäischer Betriebsräte einräumt.
Sie ermöglicht, an die Situation des Unternehmens bzw.
der Unternehmensgruppe angepasste maßgeschneiderte
Vereinbarungen über die Errichtung Europäischer Be-
triebsräte zu treffen. Erst wenn keine Vereinbarung zu-
stande ommt, ist ein Europäischer Betriebsrat kraft Ge-
setz zu bilden.
2008/2009 ist die Richtlinie über Europäische Be-
triebsräte neu gefasst worden. Nach längerer Vorlaufzeit
konnten die eigentlichen Verhandlungen auf europäi-
scher Ebene in nur einem halben Jahr abgeschlossen
werden. Dies ist entscheidend der konstruktiven Beteili-
gung der Sozialpartner zu verdanken.
Ziel der Neufassung war es, die Richtlinie dort zu ver-
bessern, wo uns die Erfahrungen aus der Praxis Schwä-
chen aufgezeigt haben. Damit wird eine effektive Arbeit
der Europäischen Betriebsräte sowohl zugunsten der Un-
ternehmen als auch der Arbeitnehmer sichergestellt.
Die neugefasste Richtlinie beruht entscheidend auf ei-
nem im Rat gefundenen Kompromiss der europäischen
Sozialpartner.
Der nun von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz-
entwurf dient der Umsetzung der neugefassten Richtli-
nie. Er enthält entsprechend der Richtlinie folgende
Kernpunkte:
Die Erfahrungen aus der Vergangenheit haben ge-
zeigt, dass eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhö-
rung des Europäischen Betriebsrats nicht immer gewähr-
leistet war. Europäische Betriebsräte wurden teilweise
erst informiert und angehört, wenn Entscheidungen der
Unternehmensleitung schon gefallen waren. Das galt in
besonderem Maße bei Umstrukturierungen. Der Fall No-
kia – um nur ein Beispiel mangelhafter Beteiligung zu
nennen – ist uns allen sicherlich noch gut in Erinnerung.
Hier setzt die neue Richtlinie nunmehr klare Akzente.
Sie stellt klar, dass Europäische Betriebsräte frühzeitig
an geplanten Entscheidungen der Unternehmensleitung
zu beteiligen sind. Dazu gehört insbesondere, dass der
Europäische Betriebsrat die Gelegenheit erhalten muss,
zu der geplanten Maßnahme eine Stellungnahme abzu-
geben. Zeitlich muss die Stellungnahme vom Unterneh-
men bei der Entscheidungsfindung noch berücksichtigt
werden können.
Ein weiterer wesentlicher Fortschritt ist die Veranke-
rung des Schulungsanspruchs für den Europäischen Be-
triebsrat. Denn nur qualifizierte Europäische Betriebs-
räte können ihre Aufgaben sachgerecht und effektiv
wahrnehmen.
Ebenso wichtig ist, dass die Europäischen Betriebs-
ratsmitglieder während der Schulungsteilnahme keine
Lohneinbußen erleiden.
Zur Gewährleistung einer zügigen und kontinuierli-
chen Arbeit des Europäischen Betriebsrats soll in der
EBR-Vereinbarung die Einrichtung eines engeren Aus-
schusses vereinbart werden, der die laufenden Geschäfte
des Europäischen Betriebsrats führt.
Weitere Kernpunkte der neugefassten Richtlinie und
des Entwurfs sind die Klarstellung der Informations-
pflichten des Unternehmens bzw. der Unternehmens-
gruppe über die eigene Struktur und Belegschaft bei der
Gründung von Europäischen Betriebsräten, die Aner-
kennung der Rolle der Gewerkschaften als Sachverstän-
dige zur Unterstützung der Verhandlungen über einen
Europäischen Betriebsrat, die Neuverhandlungspflicht
im Fall wesentlicher Strukturänderungen des Unterneh-
mens oder der Unternehmensgruppe, soweit die EBR-
Vereinbarung dazu noch keine Regelung enthält oder
diese Regelung mit anderen EBR-Vereinbarungen nicht
kompatibel ist, ein Übergangsmandat für den Europäi-
schen Betriebsrat für die Zeit der Neuverhandlungs-
pflicht und das sogenannte Zwei-Jahres-Fenster, wonach
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11101
(A) (C)
(D)(B)
bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist, dem 5. Juni 2011,
bestehende EBR-Vereinbarungen noch nach den Rege-
lungen der bisherigen Richtlinie 94/45/EG angepasst
oder neu abgeschlossen werden können.
Der Gesetzentwurf schafft für die Akteure in der Pra-
xis mehr Klarheit und Rechtssicherheit. Dies gilt insbe-
sondere für die frühzeitige Einbindung des Europäischen
Betriebsrats bei Entscheidungen des Unternehmens, die
die Arbeitnehmer unmittelbar betreffen. Er stärkt die
Rolle des Europäischen Betriebsrats als Informations-
bindeglied zwischen den nationalen Beteiligungsgre-
mien und sorgt für eine angemessene Arbeitsgrundlage
der Europäischen Betriebsräte.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Weitere iranische Flüchtlinge aus der
Türkei in Deutschland aufnehmen (Tagesord-
nungspunkt 18)
Helmut Brandt (CDU/CSU): Zunächst einmal freue
ich mich, dass Sie und ich in unserer Bewertung hin-
sichtlich der menschenrechtsunwürdigen Zustände im
Iran offensichtlich einer Meinung sind. Ich unterstütze
daher gerne jede Maßnahme, die der Verbesserung der
Situation der Menschen im Iran und ihrer Angehörigen
hier in Deutschland dient.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am 7. Juli
2010 beantragt, der Bundestag möge die Bundesregie-
rung auffordern „so schnell wie möglich und unbürokra-
tisch in Absprache mit den Bundesländern weitere irani-
sche Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland
aufzunehmen“. Außerdem solle sich die Bundesregie-
rung dafür einsetzen, dass die Türkei ihren Territorial-
vorbehalt gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention,
durch den die Türkei die Schutzgewährung auf europäi-
sche Flüchtlinge beschränkt, aufhebt und den humanitä-
ren Standard im Umgang mit schutzsuchenden Flücht-
lingen verbessert.
Hintergrund des Antrags ist die anhaltend schlechte
Menschenrechtslage im Iran. Circa 4 000 Iraner, insbe-
sondere Menschen, die sich für Demokratie und Bürger-
rechte einsetzen, sind in die Türkei geflohen, um den
drohenden Repressalien durch ihre Regierung zu entge-
hen. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung
sind sich der prekären Situation iranischer Flüchtlinge
durchaus bewusst. Aus diesem Grund hat der damalige
Bundesminister des Innern, Thomas de Maizière, ge-
meinsam mit der Innenministerkonferenz entschieden,
circa 50 iranische Dissidenten, die in Zusammenhang
mit der Niederschlagung der Proteste gegen die manipu-
lativen Umstände der Wiederwahl des amtierenden Prä-
sidenten Ahmadinedschad ins Ausland geflohen sind, in
Deutschland aufzunehmen. Davon sind bis zum jetzigen
Zeitpunkt 41 Personen in die Bundesrepublik eingereist.
Die Verzögerungen bei der Einreise haben sich im We-
sentlichen durch die Verfahrensabwicklung des UNHCR
in der Türkei ergeben, da die Registrierung als Flücht-
ling beim UNHCR Voraussetzung für die Legalisierung
des vorübergehenden Aufenthalts in der Türkei und die
Aufnahme in Deutschland ist.
Darüber hinaus hatte sich Herr Minister de Maizière
vorbehalten, auf der Grundlage von § 22 Satz 2 Aufent-
haltsgesetz auch über die bereits erfolgten 50 Zusagen
hinaus in besonderen Einzelfällen weitere Aufnahmezu-
sagen zu ermöglichen. Schon deshalb besteht für die in
Ihrem Antrag enthaltene Aufforderung an die Bundesre-
gierung, weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei
aufzunehmen, kein Bedarf.
Es ist richtig, dass auch wir diesen Menschen gegen-
über eine Verantwortung haben und dass diese Men-
schen unsere Hilfe und Unterstützung brauchen. Asyl
und Flüchtlingsschutz haben in Deutschland einen hohen
Stellenwert. Politisch Verfolgte können darauf vertrauen,
in Deutschland eine sichere Aufnahme zu finden, wenn
sie als Asylberechtigte oder Flüchtlinge im Sinne der
Genfer Konvention anerkannt werden.
Aus diesem Grund hat die Bundesrepublik allein im
Jahre 2010 über 1 400 iranische Staatsangehörige in
Deutschland aufgenommen. Davon wurden 254 Perso-
nen als Asylberechtigte anerkannt, 1 140 Personen wurde
Flüchtlingsschutz gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz
gewährt und weiteren 78 Personen gegenüber besteht ge-
mäß § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 ein Abschiebeverbot.
Ich bin überrascht, dass diese Tatsache in Ihrem An-
trag keinerlei Erwähnung findet. Vor diesem Hinter-
grund – ich nehme an, Sie hatten nur vergessen, diese
Zahlen zu erwähnen – ist Ihre Aufforderung an die Bun-
desregierung, sich hinsichtlich der Aufnahme weiterer
Flüchtlinge an anderen westlichen Staaten zu orientieren
und ihr indirekt vorzuwerfen, sie käme ihrer Verantwor-
tung nur in ungenügendem Maße nach, nicht nachvoll-
ziehbar. Immerhin hat sich innerhalb der Europäischen
Union außer Deutschland lediglich Schweden in ver-
gleichbar großem Umfang engagiert.
Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle auch einmal
auf die Gesamtsituation aufmerksam machen, der wir
gegenüberstehen. Im Jahr 2010 wurden beim Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge insgesamt 41 332 Asyl-
erstanträge gestellt, 13 683 mehr als im Jahr 2009. Das
bedeutet nahezu eine Verdopplung der Antragszahl. Da-
von entfallen auf den Iran 2 475 Asylerstanträge gegen-
über 1 170 Anträgen aus dem Jahr 2009. Die Steigerung
beträgt hier also aufgrund der politischen Entwicklung
sogar 111,5 Prozent.
Angesichts dieser Zahlen sind übrigens auch andere
europäische Länder stärker gefragt, Asylbewerber auf-
zunehmen. Neben der Aufnahme von Flüchtlingen be-
müht sich die Bundesregierung aber auch auf anderen
Wegen um eine Verbesserung der Situation der Flücht-
linge in der Türkei.
Aus der EU-Beitrittspartnerschaft der Türkei ergeben
sich für die Türkei konkrete Verpflichtungen auch in
Hinblick auf die Einhaltung bestimmter humanitärer
Standards. Unter die von der Türkei umzusetzenden Pri-
oritäten fallen beispielsweise auch die fortgesetzte An-
11102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
passung an den EU-Besitzstand im Asylbereich, insbe-
sondere durch die Aufhebung der geografischen
Einschränkung der Geltung der Genfer Konventionen
und die Stärkung des Schutzes, der sozialen Unterstüt-
zung und der Integrationsmaßnahmen zugunsten von
Flüchtlingen.
Der Regionalvorbehalt der Türkei bei der Geltung der
Genfer Flüchtlingskonvention widerspricht fundamental
deren Zweck. Seine Aufhebung ist von der EU deshalb
explizit in den in der Beitrittspartnerschaft enthaltenen
Forderungskatalog an die Türkei aufgenommen worden.
Dessen Einforderung ist fester Bestandteil des politi-
schen Dialogs der Bundesregierung mit der Türkei – bi-
lateral und auf Ebene der EU.
Die türkische Regierung erarbeitet zurzeit ein Asylge-
setz. Über den Zeitpunkt der Einführung liegen nach
Auskunft der Bundesregierung gegenwärtig keine ab-
schließenden Informationen vor.
Was die Verbesserung des humanitären Standards von
Flüchtlingen in der Türkei angeht, so richtet die türki-
sche Regierung neue Aufnahme- und Rückführungszen-
tren ein, die durch EU-finanzierte Twinning-Projekte un-
terstützt werden. Das Twinning-Programm umfasst
Partnerschaften zwischen Behörden aus den Mitglied-
staaten der EU und öffentlichen Verwaltungen aktueller
und potenzieller EU-Beitrittskandidaten sowie Ländern
der europäischen Nachbarschaft. Die EU fördert Twin-
ning und nutzt dieses Instrument, um öffentliche Struk-
turen in den Partnerländern zu stärken, zu reformieren
und weiterzuentwickeln.
EU-Beitrittskandidaten müssen das gesamte Rechts-
system der EU übernehmen. Das Personal in den zustän-
digen Verwaltungen muss lernen, EU-Recht anzuwen-
den und zu interpretieren. Twinning-Projekte setzen
genau an diesem Punkt an, in dem die zuständigen und
einzurichtenden Behörden Twinning-Partner zur Seite
gestellt bekommen, die in vergleichbaren Fachgebieten
und auf vergleichbarer Ebene tätig sind, das heißt auf
zentralstaatlicher, Länder-/Provinz- oder auch kommu-
naler Ebene. Seit über zehn Jahren engagieren sich hier
auch deutsche Bundes- und Landesministerien oder
Kommunen, die im Durchschnitt ein Viertel der ausge-
schriebenen Projekte einwerben. So wurde zum Beispiel
das von der EU für den Zeitraum 2008 bis 2010 ausge-
schriebene Twinning-Projekt „Country of Origin und
Asylum Case Management System“ vom Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge gewonnen und durchgeführt.
Dabei wurde die Türkei dabei unterstützt, den EU-Be-
sitzstand im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik
umzusetzen.
Daneben bemüht sich die Bundesregierung aber auch
seit Jahren um eine Verbesserung der Menschenrechts-
lage im Iran. Die gesamte Menschenrechtslage sowie
Einzelfälle im Menschenrechtsbereich sind Bestandteil
aller bilateralen Gespräche der Bundesregierung mit der
iranischen Regierung. Bundesaußenminister Westerwelle
hat in seinem Gespräch am 5. Februar 2010 mit dem da-
maligen iranischen Außenminister Mottaki auf der
Münchner Sicherheitskonferenz den Iran unmissver-
ständlich und eindringlich aufgefordert, die Menschen-
und Minderheitenrechte zu achten. Wegen der drohen-
den Todesurteile im Verfahren gegen die Bahá’ì-Füh-
rung wurde der iranische Botschafter regelmäßig einbe-
stellt. Auch auf EU-Ebene und internationaler Ebene
sind die in Iran stattfindenden Menschenrechtsverletzun-
gen regelmäßig Gegenstand zahlreicher Erklärungen und
Resolutionen durch die UN-Generalversammlung.
Es besteht daher auch kein Bedarf an Ihrer Forderung
an die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die
Türkei ihrem Territorialvorbehalt gegenüber der Genfer
Flüchtlingskonvention, durch den die Türkei die Schutz-
gewährung auf europäische Flüchtlinge beschränkt, auf-
hebt und den humanitären Standard im Umgang mit
schutzsuchenden Flüchtlingen verbessert. Das tut die
Bundesregierung mit unserer Unterstützung ohnehin.
Ich sage es nochmals: Die Bundesregierung verfolgt
die Situation der Menschen im Iran und der iranischen
Flüchtlinge in der Türkei mit großer Aufmerksamkeit
und tut alles in ihrer Macht Stehende, um die Situation
dieser Menschen zu verbessern. Und ich erinnere noch-
mals daran, dass die Bundesregierung die Aufnahme
weiterer Flüchtlinge nicht ausgeschlossen hat. Wir leh-
nen Ihren Antrag ab.
Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): In diesen Tagen fällt
es schwer, über etwas anderes zu sprechen als über die
tragischen und traurigen Geschehnisse in Japan. Sonst
unglaublich relevante Themen treten im Moment in den
Hintergrund vor dem, was dort passiert. Uns allen sind
die Bilder aus Japan allgegenwärtig, sie haben sich in
unsere Netzhaut gebrannt.
Sie zeigen aber auch, dass es immer wieder zu Situa-
tionen kommen kann, in denen es um Menschenleben
geht, in denen andere Nationen dringend Hilfe benöti-
gen, selbst in hochentwickelten Staaten wie Japan.
Doch es sind nicht nur die Bilder aus Japan, die uns
derzeit tief bewegen und berühren; auch aus Nordafrika
kommen beängstigende und beeindruckende Bilder von
Menschen, die für die Freiheit ihr eigenes Leben in Ge-
fahr bringen.
Wir sprechen heute über die Frage der iranischen
Flüchtlinge, Flüchtlinge, die vor dem Regime von
Ahmadinedschad in die Türkei geflohen sind. Doch auch
hier sind sie nicht in ausreichendem Maße geschützt
oder versorgt. Dies ist eine klassische Situation für ein
Resettlement-Programm, also die dauerhafte Übernahme
von Menschen aus einer für sie kritischen Situation in ei-
nen dritten Staat. Oft handelt es sich dabei um ganze Fa-
milien. Damit will man eine Flüchtlingsproblematik, die
nicht kurzfristig gelöst werden kann, dauerhaft angehen.
Dass Deutschland sich an Resettlement-Programmen
beteiligt, ist nicht neu; auch in den vergangenen Jahr-
zehnten ist das passiert. Neuere Beispiele sind die Auf-
nahme von 2 501 Flüchtlingen aus dem Irak, die sich in
Syrien und Jordanien aufhielten, sowie weiteren
102 afrikanischen Flüchtlingen aus Malta.
Deutschland hat bereits zugesagt, 50 iranische Flücht-
linge aufzunehmen. Die Frage ist aber für mich und die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11103
(A) (C)
(D)(B)
SPD-Fraktion, ob das ausreicht. Wir sagen deutlich:
Nein, es reicht nicht. Wir wollen, dass mehr als 50 irani-
sche Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland kom-
men können. Wir haben die Kapazitäten und Möglich-
keiten hier in Deutschland dafür. Auch aus diesem
Grund stimmen wir dem Antrag der Grünen zu.
Denn Resettlement ist nicht nur ein Instrument des
Flüchtlingsschutzes, es ist auch ein Instrument der Las-
tenteilung. Es ist ein Signal an die Erstaufnahmestaaten
– in diesem Fall die Türkei –, dass die jeweiligen Staaten
nicht alleingelassen werden. Ein solcher Schritt kann die
Haltung gegenüber weiteren neu hinzukommenden
Flüchtlingen verbessern, nicht nur, weil Aufnahmekapa-
zitäten frei werden, sondern eben auch, weil das Erstauf-
nahmeland spürt, dass es nicht alleingelassen wird. Es ist
ein Signal an andere Staaten, wenn Deutschland Flücht-
linge aufnimmt, ein Signal, selbst zu prüfen, ob man
nicht unterstützend humanitär tätig sein kann.
Dass eine Lastenteilung hier auch in Zukunft notwen-
dig werden wird, vielleicht sogar stärker als bisher ge-
dacht, ist in Anbetracht der Lage in Nordafrika mehr als
wahrscheinlich. Wir leben in einer Zeit, in der deutlich
wird, dass Nationalstaaten und Bevölkerungsgruppen
sehr schnell in Situationen kommen können, in denen sie
auf die Solidarität und Humanität anderer angewiesen
sind.
Resettlement wird deshalb auch in Zukunft ein wich-
tiges Instrument für Deutschland sein, um konkret
Flüchtlingen zu helfen und um Erstaufnahmestaaten zu
entlasten. Im Endeffekt ist Resettlement aber auch in un-
serem eigenen Interesse; denn es stärkt unseren Kontakt
zu Erstaufnahmestaaten und kann dazu beitragen, dass
sich dort die Situation für Flüchtlinge verbessert und ein
Asylsystem entwickelt, das diesen Namen verdient. Das
ist langfristig auf jeden Fall besser, als sich gegen
Flüchtlinge abzuschotten, wie es derzeit passiert.
Die jetzige Regierung hat zumindest verbal schon er-
kannt, dass Resettlement ein sinnvolles Instrument ist.
Leider stimmen verbale Äußerungen und das tatsächli-
che Handeln nicht überein; das zeigt sich auch jetzt wie-
der in Ihrer Ablehnung des Grünenantrages. Die Politik
der schwarz-gelben Bundesregierung ist kurzsichtig.
Die SPD setzt sich dafür ein, sich stärker an Resettle-
ment-Programmen zu beteiligen. Wir halten es auch für
sinnvoll, über konkrete Resettlement-Quoten zu spre-
chen, wie das in anderen europäischen Staaten wie
Schweden, das jährlich etwa 1 700 Flüchtlinge auf-
nimmt, üblich ist. Diese Debatte sollten wir hier in die-
sem Hohen Hause führen.
Bis dahin gilt es aber immer wieder, konkrete Ent-
scheidungen zu fällen. Eine steht heute auf der Agenda.
Ermöglichen Sie es mehr iranischen Flüchtlingen, die
sich in der Türkei aufhalten, nach Deutschland zu kom-
men und sich hier dauerhaft in Sicherheit niederzulas-
sen. Das wäre ein starkes Signal in die gesamte Region.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Menschen-
rechtslage im Iran ist und bleibt besorgniserregend. An-
dere Ereignisse drängen diesen Sachverhalt leider zu oft
in den Hintergrund. Verfolgung und Unterdrückung An-
dersdenkender sind an der Tagesordnung; das Regime ist
unter dem Deckmantel des Religiösen eine Diktatur. Ich
habe die Hoffnung, dass das iranische Volk die Kraft hat,
sich davon zu befreien. Die Bundesrepublik wird nach
wie vor ihren Teil tun, das Leid der Flüchtlinge zu mil-
dern. Dazu gehört auch die Aufnahme einer angemesse-
nen Anzahl von Flüchtlingen.
Die Grünen haben in ihrer Antragsbegründung gefor-
dert, dass Deutschland sich an den anderen westlichen
Staaten bei der Aufnahme von iranischen Flüchtlingen,
die sich in der Türkei befänden, orientieren möge. Ich
teile diese Auffassung. Die Grünen beziffern die von
westlichen Staaten aufgenommenen Flüchtlingszahlen
wie folgt: Großbritannien – fünf, Niederlande – vier,
Frankreich – drei. Warum die Grünen in diesem Zusam-
menhang die zugesagte Aufnahme von 50 Flüchtlingen
durch Deutschland als zu gering erachten, erschließt sich
mir nicht. Die Bundesrepublik geht mit ihrer Aufnahme-
quote sogar nach Zahlen der Grünen offenkundig weit
über die ihrer westlichen Nachbarn hinaus. Das ist
durchaus eine respektable Zahl und der Vorwurf der
Grünen geht ins Leere.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag
der Grünen-Fraktion fordert die Bundesregierung auf,
sich bei den Bundesländern für die Aufnahme von ira-
nischen Oppositionellen einzusetzen, die in die Türkei
geflüchtet sind. Diese Oppositionellen sind dort vom
UNHCR als Flüchtlinge registriert worden, bekommen
aber in der Türkei kein Aufenthaltsrecht. Denn die Tür-
kei hat die Genfer Flüchtlingskonvention nur unter Vor-
behalt ratifiziert. Sie behält sich vor, nur Flüchtlinge auf-
zunehmen, die aus Europa kommen. Fast alle politisch
Verfolgten aus den Nachbarländern der Türkei, von Ar-
menien bis Syrien, benutzen die Türkei deshalb lediglich
als Transitland, um in die EU zu gelangen. Die Grünen
fordern außerdem von der Bundesregierung, sich gegen-
über der Türkei für die Wahrung humanitärer Grund-
sätze im Umgang mit den iranischen Flüchtlingen einzu-
setzen. Warum nur mit den iranischen, möchte ich an
dieser Stelle fragen. Da greift der Antrag der Grünen
doch arg zu kurz.
Die Frage ist auch, inwiefern hier mit einem Appell
an die Bundesregierung der Bock zum Gärtner gemacht
wird. Denn es ist diese Bundesregierung, die dem Ab-
schluss eines Rückübernahmeabkommens zwischen der
EU und der Türkei im EU-Rat der Innenminister ihre
Zustimmung erteilt hat. Danach soll die Abschiebung
von Menschen, die über die Türkei illegal in die EU ein-
gereist sind, erleichtert werden. Wir wissen alle, welche
Menschen das betreffen wird: Schutzsuchende aus dem
Iran, Irak, Syrien, aus Afghanistan und Pakistan, aus So-
malia und Eritrea. Für sie gibt es keinen legalen Weg in
die Europäische Union, er führt über das Mittelmeer
oder die türkisch-griechische Landgrenze. Die wird be-
kanntlich gerade mithilfe der EU-Abschottungsagentur
FRONTEX dichtgemacht.
Die Türkei wird also ihre Bestrebungen erhöhen, die-
sen Menschen den Transit in die EU über ihr Territorium
11104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
(A) (C)
(D)(B)
zu erschweren. Dafür bekommt sie auch die Hilfe der
EU und der Bundesrepublik. Wie aus einer Antwort der
Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage von
mir hervorgeht, soll die Türkei unter anderem beim Auf-
bau von sieben neuen Auffanglagern unterstützt werden.
Die Bundespolizei hilft den türkischen Grenztruppen,
die dort zur Armee gehören, ihre Grenzüberwachung zu
perfektionieren.
Leider fehlt dieser größere Kontext im Antrag der
Grünen-Fraktion ebenso wie die Forderung, dass die
Bundesrepublik sich endlich dauerhaft an den Aufnah-
meprogrammen für registrierte Flüchtlinge des UNHCR
beteiligt. Immer neue Ad-hoc-Maßnahmen wie die Auf-
nahme der irakischen Flüchtlinge aus Syrien oder nun
der iranischen Flüchtlinge aus der Türkei sind nicht aus-
reichend. Stattdessen fordert die Linke die Einrichtung
eines ständigen Aufnahmemechanismus. Dem Antrag
der Grünen stimmen wir dennoch zu.
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
humanitäre Situation der iranischen Flüchtlinge in der
Türkei ist untragbar. Ihre Lage bleibt trotz der Flucht aus
dem Iran prekär. Erstens sind sie in der Türkei nicht vor
den Häschern des iranischen Regimes sicher. Die Türkei
grenzt an den Iran, und iranische Bürger können visums-
frei in die Türkei einreisen. Zweitens werden sie in der
Türkei nicht als Flüchtlinge anerkannt und erhalten nur
einen zeitlich begrenzten Asylbewerberstatus. Schließ-
lich sind sie in der Türkei gezwungen, ohne Einkommen
und ohne ausreichende ärztliche Betreuung um das tägli-
che Überleben zu kämpfen.
Diese Flüchtlinge müssen also aus zwingenden huma-
nitären Gründen irgendwo aufgenommen werden, und
ich kann einfach nicht verstehen, wieso dieses „ir-
gendwo“ nicht Deutschland sein kann. Die deutsche
Bundesregierung hat sich während der Protestbewegung
mit Worten solidarisch an die Seite der iranischen Men-
schenrechtsverteidiger gestellt. Menschenrechtspolitik
erfordert aber konkrete Handlungen und keine leeren
Versprechen. Die Aufnahme von nur 50 von insgesamt
4 292 schutzbedürftigen iranischen Flüchtlingen ist hier
eindeutig zu wenig. Deutschland kann mehr tun und
muss mehr tun.
Die deutsche Bundesregierung steht vor dem Hinter-
grund der aktuellen Ereignisse in Nordafrika vor der
Frage, wie glaubwürdig sie ihre Außenpolitik in Zukunft
gestalten möchte, wie viel ihr Demokratie, Menschen-
rechte und Rechtsstaatlichkeit wert sind. Auch im Iran
steht die Glaubwürdigkeit deutscher Außen- und Men-
schenrechtspolitik auf dem Spiel.
Immer wieder sagen Bundeskanzlerin und Bundes-
außenminister, die Menschenrechte sind im ureigenen
Interesse Deutschlands. Die Aufnahme von nur 50 irani-
schen Flüchtlingen wird solchen schönen Worten nicht
gerecht. Hier geht es nicht um schwierige Flugverbots-
zonen, sondern um die einfache Aufnahme von Flücht-
lingen. Die Blockadehaltung der Bundesregierung scha-
det unweigerlich der iranischen Protestbewegung. Nach
Angaben des UNHCR schwindet der Optimismus der
iranischen Menschenrechtsaktivisten. Viele junge Iraner
haben die Hoffnung auf einen positiven Wandel im Iran
aufgegeben.
Dabei ist es während der historischen Umwälzungen
in der muslimischen Welt gerade jetzt entscheidend, ein
deutliches Zeichen der Solidarität an die Menschen-
rechtsverteidiger zu senden. Die gezielte Unterstützung
demokratischer Kräfte im Iran erfolgt eben auch durch
die Aufnahme derjenigen Personen, die sich in besonde-
rem Maße für Menschenrechte eingesetzt haben und
dem Tod, der Festnahme und Folter mit knapper Not ent-
kommen sind.
Die Aufnahme von 50 iranischen Flüchtlingen ist
kein deutliches Signal, wie die Bundesregierung gerne
behauptet, sondern ein schwaches. Anstatt sich an die
Seite dieser mutigen Menschenrechtsverteidiger zu stel-
len, lässt Deutschland die Protestbewegung hängen.
Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens für Men-
schenrechte und Demokratie einsetzen, müssen sicher
sein, im Notfall Schutz in einem anderen Land zu finden.
Was spricht gegen die Aufnahme der iranischen
Flüchtlinge? Besteht die Befürchtung, die iranischen
Flüchtlinge seien eine Bedrohung für die kulturelle Iden-
tität Deutschlands? Die Sorge ist unberechtigt. Diese
Menschen sind dem islamischen Gottesstaat Iran entflo-
hen, gerade weil sie nach der Anerkennung der Men-
schenrechte, nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat-
lichkeit streben. Hat man wie Thilo Sarrazin die
Befürchtung, die Aufnahme iranischer Flüchtlinge
würde zu einer Verdummung der deutschen Gesellschaft
führen? Selbst diese Sorge ist unbegründet. Zuwanderer
aus dem Iran haben eine überdurchschnittlich hohe Bil-
dung. Jeder dritte hat Abitur. 15,2 Prozent haben einen
Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Bei der
deutschen Gesamtbevölkerung sind es nur 11,3 Prozent.
In Deutschland warten Arbeitnehmerverbände und
die Industrie auf Fachkräfte. Unternehmen, Ärztekam-
mern und Lehrerverbände klagen über personelle Eng-
pässe. Anfang 2011 warnte der Industrie- und Handels-
kammertag, dass 70 Prozent der Unternehmen Probleme
hätten, offene Stellen zu besetzen. In der Türkei warten
iranische Ärzte, Psychotherapeuten, Anwälte, IT-Spezia-
listen, Journalisten, Blogger, Menschenrechtsaktivisten,
Menschenrechtsverteidiger, Akademiker und Studenten
darauf, in die EU einreisen zu dürfen.
Diese iranischen Flüchtlinge sind gebildete, gut aus-
gebildete und sogenannte westlich orientierte Personen
aus der säkularisierten Ober- und Mittelschicht. Sie ha-
ben das Potenzial, sich erfolgreich in Deutschland zu in-
tegrieren und einen positiven Beitrag für die Gesell-
schaft zu leisten – wenn man ihnen die Chance gibt.
Nehmen wir Hesam Misaghi als Beispiel, einen jun-
gen Mann von 22 Jahren. Er musste aus dem Iran flie-
hen, weil er für das Committee of Human Rights Repor-
ters aktiv war, eine Organisation, die über Verfolgungen
und Festnahmen von Menschenrechtsaktivisten öffent-
lich berichtet. Er kam im Juli 2010 nach Deutschland. Er
ist weiterhin politisch aktiv, saugt die deutsche Kultur
auf und erlernt sehr schnell die deutsche Sprache. Oder
Saeed Habibi, IT-Spezialist, 38 Jahre alt. Er hat auf der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11105
(A) (C)
(D)(B)
Sharif University of Technology studiert, einer Eliteuni-
versität in Teheran. Auch er ist seit Juli 2010 in Deutsch-
land, lernt Deutsch und nimmt an einem Integrationskurs
teil. Er könnte sofort anfangen, zu arbeiten.
Seit 2008 hat die Bundesregierung fast 2 500 iraki-
sche Flüchtlinge unbürokratisch aufgenommen und posi-
tive Erfahrungen gemacht. Alles spricht dafür, ein ähnli-
ches Iran-Kontingent in Zusammenarbeit mit den
Bundesländern zu beschließen. Der Wille vonseiten der
Städte und Kommunen ist vorhanden. Insgesamt haben
sich bereits 36 Städte in Ratsbeschlüssen für eine Auf-
nahme von UNHCR-Flüchtlingen im Rahmen der Save-
me-Kampagne ausgesprochen.
In Nordafrika und im Iran muss die Bundesregierung
endlich ihren Worten Taten folgen lassen. Die Aufnahme
von weiteren iranischen Flüchtlingen wäre der richtige
Schritt in Richtung einer glaubwürdigen, an den Men-
schenrechten orientierten Außenpolitik.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Die Reform der Gemeinsamen Fischereipoli-
tik zum Erfolg führen
– Chancen der EU-Fischereireform 2013 nut-
zen und Gemeinsame Fischereipolitik
grundlegend reformieren
(Tagesordnungspunkt 21)
Gitta Connemann (CDU/CSU): Ein deutsches
Sprichwort sagt: „Lehre mich die Karpfen nicht kennen,
mein Vater war ein Fischer.“ Mit anderen Worten: Er-
zähle mir nichts, was ich schon kenne und tue. So könnte
die Kurzantwort auf die Anträge der Opposition zur Ge-
meinsamen Fischereipolitik lauten. Denn was darin ge-
fordert wird, wird auf Bundesebene längst gelebt.
Gemeinsamer Tenor der Anträge der SPD und von
Bündnis 90/Die Grünen ist die Forderung an die Bundes-
regierung, sich für eine grundlegende und ehrgeizige Re-
form der Fischereipolitik auf europäischer Ebene einzu-
setzen.
Die Diskussion über diese Reform war im April 2009
von der EU-Kommission eröffnet worden. Das seinerzeit
von der Kommission vorgelegte Grünbuch zielt auf eine
grundlegende Neuausrichtung der Gemeinsamen Fische-
reipolitik. Es enthält keine konkreten Vorschläge. Aller-
dings wird das derzeitige System der Quotenverwaltung
einschließlich der relativen Stabilität hinterfragt. Im Üb-
rigen finden sich darin Überlegungen, individuell trans-
ferierbare Fangrechte einzuführen. Und die Kommission
erwägt, gemischte Fischereien ausschließlich auf der Ba-
sis von Fangaufwandssystemen zu verwalten.
Zu diesem Grünbuch konnten die Mitgliedstaaten und
Interessengruppen bis Ende 2009 Stellung nehmen. Die
Bundesregierung hat von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht, offensichtlich sehr gut. Denn die Ähnlichkeit
der Forderungen insbesondere der SPD in ihrem Antrag
mit den Forderungen in der Stellungnahme der Bundes-
regierung aus Dezember 2009 ist verblüffend. Die deut-
schen Kernpunkte finden sich nahezu identisch in dem
ein Jahr später von der SPD aufgelegten Antrag.
Ich freue mich über so viel Einigkeit. Denn es werden
auch die Erfolge anerkannt, die die Gemeinsame Fische-
reipolitik trotz zahlreicher Mängel aufzuweisen hat. Ge-
rade in den letzten Jahren hat sich – dank der mehrjähri-
gen Bewirtschaftungspläne – die Zahl der überfischten
Bestände deutlich verringert.
Dennoch gibt es zu viele Fischbestände in den EU-
Gewässern, die erschöpft sind. 65 Prozent der Bestände
sind überfischt. Das bisherige Krisenmanagement reicht
offensichtlich nicht. Auch die Bilder von Rückwürfen
großer Mengen verzehr- und vermarktungsfähiger Fi-
sche verunsichern die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher zutiefst. Zu Recht! Denn nur wenige Fischarten
überleben den Rückwurf. Gerade Beifänge von gefähr-
deten Arten und Jungfischen sind als besonderes Pro-
blem anzusehen. Rückwürfe stellen gleichermaßen eine
Missachtung der Schöpfung und Verschwendung wert-
voller Meeresressourcen dar.
Das zentrale Ziel bei der anstehenden Reform muss
deshalb aus unserer Sicht die nachhaltige Bewirtschaf-
tung der Fischereibestände in ganz Europa sein. Es han-
delt sich dabei um lebende Meeresschätze. Sie stellen
auch die Grundlage für eine hochwertige und gesunde
Versorgung mit dem Lebensmittel Fisch dar. Deshalb
muss auf europäischer Ebene ein Rückwurfverbot veran-
kert werden. Alle Fänge, auch Beifänge, müssen an
Land gebracht und auf die Fangquoten angerechnet wer-
den. Für die angelandeten Fische ist in der Regel eine
bestimmte Mindestgröße vorzuschreiben.
Fisch ist aber nicht nur Nahrungsgrundlage, sondern
auch die Existenz von vielen kleinen und mittelständi-
schen Fischereibetrieben, den vor- und nachgelagerten
Bereichen. Dort werden mehr als 45 000 Menschen be-
schäftigt. Sie versorgen nicht nur die Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland mit Fischereierzeugnis-
sen von höchster Qualität. Vielmehr tragen sie zur At-
traktion von Regionen für den Tourismus bei. Ich erlebe
dies in meiner ostfriesischen Heimat. Was wären Ditzum
und Greetsiel ohne Krabbenkutter?
Ebenso wie jeder andere Wirtschaftszweig brauchen
diese Fischereibetriebe und ihre Beschäftigten verlässli-
che wirtschaftliche Rahmenbedingungen und eine Per-
spektive. Deshalb dürfen wir die Säulen der Gemeinsa-
men Fischereipolitik nicht infrage stellen. Dies sind
unter anderem die Verteilung der Gesamtfangmengen
nach dem Prinzip der relativen Stabilität. Aber auch das
System nationaler nicht handelbarer Quoten zählt dazu.
Schließlich müssen unsere Betriebe besser vor illegaler
Fischerei geschützt werden.
Diesem Spagat hat die Bundesregierung im Dezem-
ber 2009 mit ihrer Stellungnahme gegenüber der Kom-
mission Rechnung getragen. Die Kernpunkte der deut-
schen Position lauten: Eine Reform der Gemeinsamen
Fischereipolitik muss zielen auf eine nachhaltigere Fi-
11106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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schereipolitik, die Ausweitung der mehrjährigen Bewirt-
schaftungs- und Wiederaufbaupläne auf weitere Be-
stände, die Stärkung der regionalen Beratungsgremien,
die Verbesserung der Kontrollen und Eindämmung ille-
galer (IUU-)Fischerei auf europäischer und internationa-
ler Ebene, die Ablehnung handelbarer Quoten, die Ver-
teidigung der relativen Stabilität, die Reduzierung der
Rückwürfe durch Einführung eines Rückwurfverbots
bzw. eines Anlandegebots, die Verbraucherstärkung
durch Verbesserung von Markttransparenz und Produkt-
informationen sowie nachhaltige und entwicklungspoli-
tisch sinnvolle Ausgestaltung von Fischerei-Partner-
schaftsabkommen.
Die Anträge von der Opposition stimmen weitgehend
mit diesen Kernpunkten überein. Das musste Ihnen beim
Schreiben Ihrer Anträge auch bewusst gewesen sein.
Denn als Sie Ihre Anträge im Oktober 2010 auf den
Markt brachten, hatten wir, die Bundesregierung, uns
schon lange positioniert.
Und mehr als das: Im Juni 2010 hatte die Bundesre-
gierung in einem gemeinsamen Memorandum mit
Frankreich und Polen zentrale Elemente dieser Position
unterstrichen, insbesondere die Ablehnung handelbarer
Quoten bzw. eines reinen Fangaufwandssystems.
Unsere Bundesministerin Ilse Aigner hatte darüber
hinaus im September 2010 in einem Schreiben an die
EU-Kommissarin Maria Damanaki unsere Forderung
nach Einführung von Rückwurfverboten erneuert und
konkretisiert. Das von ihr geforderte System echter
Fangquoten – im Gegensatz zu den heutigen Anlande-
quoten – eröffnet darüber hinaus mittelfristig die Mög-
lichkeit, die gemeinsame Fischereipolitik deutlich zu
vereinfachen.
Inzwischen hat die Kommission am 1. März dieses
Jahres diese deutschen Forderungen aufgegriffen. Im
Rahmen eines Fischereiministertreffens hatte die Kom-
missarin Maria Damanaki zunächst ein informelles Pa-
pier eingeführt. Dieses Papier enthielt in Fortschreibung
des Grünbuchs Vorschläge, die gravierende Auswirkun-
gen auf die deutsche Fischerei gehabt hätten. Die darin
geplante Regelung der gemischten Fischerei durch ein
Aufwandssystem hätte Quoten entbehrlich gemacht, die
für uns als nationaler Besitzstand zu den Grundpfeilern
der Gemeinsamen Fischereipolitik gehören. Dem ange-
dachten Transfer von Quoten in Aufwandseinheiten
sollte die aktuelle und nicht die bisherige relative Stabili-
tät zugrunde gelegt werden. Dies war aus deutscher
Sicht völlig unakzeptabel. Weitere Folge wäre ein erheb-
liches Mehr an Verwaltungsaufwand und Bürokratie ge-
wesen.
Die Bundesregierung fand Unterstützung für ihre
Positionen. Das Papier der Kommissarin ist inzwischen
Geschichte. Am Ende des Tages kündigte sie an, kon-
krete Vorschläge dafür vorzulegen. Und es wurde auf
Initiative Deutschlands eine „Gemeinsame Erklärung
über Rückwürfe im Rahmen der Reform der Gemeinsa-
men Fischereipolitik“ mit Vertretern Dänemarks, Frank-
reichs und des Vereinigten Königreichs geschlossen.
Diese vier Nationen bilden eine Sperrminorität.
Mit dieser Erklärung werden nicht nur die Grundpfei-
ler der bisherigen Gemeinsamen Fischereipolitik gestärkt,
sondern die Beendigung der Praxis der Rückwürfe und
die Einführung echter Fangquoten anstelle von Anlande-
quoten gefordert. Zu Recht! Die Rückwürfe in die Nord-
see betragen allein beim Kabeljau 800 000 Tonnen, ange-
landet werden lediglich 730 000 Tonnen.
Die gravierenden Mängel des derzeitigen Fischerei-
managements in den Gemeinschaftsgewässern sind vor
allem auf zwei Grundprobleme zurückzuführen: auf die
unzureichende Kontrolle und Durchsetzung der beste-
henden Regeln sowie auf die Tatsache, dass Rückwürfe
von vermarktungsfähigem Fisch nicht nur zugelassen
sind, sondern – je nach Ausgestaltung des Quotenma-
nagements in den Mitgliedstaaten – sogar bewusst in gro-
ßem Umfang in Kauf genommen werden.
In Bezug auf die Kontrolle und Durchsetzung gibt es
mit den Regelungen zur Bekämpfung der illegalen Fi-
scherei, IUU, sowie mit der Kontrollverordnung eine
ausreichende Eingriffsgrundlage. Leider hapert es mit
der Durchsetzung, nicht bei uns in Deutschland. Hier
wird kontrolliert – überall und jederzeit. Aber so ist es
nicht in allen Mitgliedstaaten. Hier muss mehr getan
werden. Kommission und Mitgliedstaaten müssen sich
stärker als bisher dafür einsetzen, dass die Fischereikon-
trollen und die Ahndung von Verstößen in allen Gemein-
schaftsgewässern mit der notwendigen Konsequenz er-
folgt. Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
Für die Rückwürfe sind bisher noch keine ausreichen-
den Maßnahmen ergriffen worden. Hier stellt die Reform
der Gemeinsamen Fischereipolitik eine Chance und He-
rausforderung zugleich dar. Die grundlegenden Fehler
des derzeitigen Bewirtschaftungssystems verursachen
systematische Rückwürfe. Deshalb fordert Deutschland
mit Nachdruck für demersale Fischereien in der Nordsee,
insbesondere für die Fischerei auf Kabeljau und verge-
sellschaftete Arten, die Einführung eines Rückwurfver-
bots bzw. eines Anlandegebots. Damit verbunden ist ein
Wechsel von Anlandequoten zu richtigen Fangquoten.
Für diesen Systemwechsel sollte eine Übergangsphase
vorgesehen werden, in der die Beteiligung der Fischer zu-
nächst auf freiwilliger Basis erfolgt, um Erfahrungen für
die konkrete Ausgestaltung neuer Regelungen zu sam-
meln.
Die Umstellung von einer Anlandequote zu einer ech-
ten Fangquote kann für Fischer zunächst mit finanziellen
Einbußen verbunden sein. Denn die Fangzusammenset-
zung kann nicht mehr durch Rückwurf weniger wertvol-
ler Arten oder untermaßiger Exemplare optimiert wer-
den. Diese Härten für unsere Fischereibetriebe sind
abzumildern. Dafür werden wir uns einsetzen.
Eine Verpflichtung zur Anlandung der Fänge bringt
mit sich, dass die Kontrolle sich nicht mehr vorrangig
auf die Anlandung konzentrieren darf. Wenn aus den bis-
herigen Anlandequoten echte Fangquoten werden sollen,
müssen Fangmenge und -Zusammensetzung in stärke-
rem Umfang auf See kontrolliert werden. In diesem Zu-
sammenhang werden folgende Modelle diskutiert: der
Einsatz wissenschaftlicher Beobachter oder staatlich zu-
gelassener Kontrollstellen bei größeren Fischereifahrzeu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11107
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gen, alternativ der Einsatz fest installierter technischer
Hilfsmittel bei größeren und mittleren Fischereifahrzeu-
gen zum Beispiel durch Kameraüberwachung, CCTV,
sowie die Plausibilitätsüberprüfung der Fangmeldungen
von kleineren Fischereifahrzeugen durch Vergleich mit
wissenschaftlichen Probefängen.
Allerdings sind wir uns einig, dass es hier nicht zu ei-
nem deutschen Sonderweg kommen darf, der unsere Fi-
schereibetriebe über Gebühr belastet und ihre Wettbe-
werbssituation verzerrt. Deshalb gibt es freiwillige
Pilotprojekte – in Dänemark, dem Vereinten Königreich
aber auch in Cuxhaven. Die Erfahrungen dort zeigen:
Verbraucherinnen und Verbraucher goutieren nachhal-
tige Fischerei mit der Bereitschaft, höhere Preise zu zah-
len.
Gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher wer-
den also mit ihrer Kaufentscheidung dazu beitragen, ob
die nachhaltige Nutzung der Fischbestände gesichert
werden kann. Dafür braucht es mehr Information und
Transparenz.
Die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik ist
eine Chance. Denn damit kann die Grundlage für eine
nachhaltige Nutzung unserer lebenden Meeresschätze
gelegt werden. Die Bundesregierung hat dies erkannt
und ist tätig geworden. Die vorliegenden Anträge laufen
ins Leere. Wir werden diese deshalb ablehnen.
Holger Ortel (SPD): Ambitioniert ist die Fischerei-
kommissarin Damanaki an die Reform der Gemeinsa-
men Fischereipolitik herangegangen. Dies sollte, und
soll noch immer, eine tiefgreifende Reform werden,
nach der die europäische Fischereipolitik wesentlich
besser dasteht. Kleinere Flotten, die Bestände auf we-
sentlich besserem Niveau – das war die Vorstellung von
Frau Damanaki und auch schon ihres Vorgängers Joe
Borg.
Frau Damanaki sieht sich dabei aber in einigen wich-
tigen Punkten der Reform recht unterschiedlichen Stand-
punkten der Mitgliedstaaten gegenüber. Nur in einem
Punkt scheinen sich alle einig zu sein – die Kommission
ist an allem schuld. Die Kommission wolle die Quoten
zugunsten der südlichen Staaten umverteilen, heißt es.
Die Kommission habe die kw- und die Seetage einge-
führt. Die Kommission nenne nicht Ross und Reiter bei
den zu großen Flotten der Mitgliedstaaten. Einige dieser
Anschuldigungen sind aus unserer Sicht zutreffend, an-
dere nicht.
Aber man muss sich mal in die Situation der Kom-
mission hineinversetzen. Die Interessen der Mitglied-
staaten sind keineswegs deckungsgleich. Wir zum Bei-
spiel wollen keine handelbaren Quoten auf europäischer
Ebene einführen, andere Mitgliedstaaten aber sehr wohl.
Einen Mittelweg gibt es da nicht. Einige Mitgliedstaaten
halten auch die relative Stabilität für überholt, wir nicht.
Wir sprechen uns dafür aus, die nationalen Flotten an die
Quoten anzupassen und nicht die Quoten an die Flotte.
Nun steht Frau Damanaki vor der schwierigen Aufgabe,
Vorschläge zu unterbreiten, die dem allem gerecht wer-
den sollen. Das ist eigentlich eine Aufgabe, die niemand
lösen kann.
Die beiden hier vorliegenden Anträge von SPD und
von den Grünen sind ziemlich unterschiedlich. Ich
möchte Ihnen zunächst den SPD-Antrag erläutern. Im
bestehenden System der Gemeinsamen Fischereipolitik
existieren aus unserer Sicht einige Fehler. Einer der gra-
vierendsten ist, dass die festgesetzte Gesamtfangmenge
nur für die angelandete Menge an Fisch gilt. Sie schränkt
die Rückwürfe auf See aber nicht ein. Gleichzeitig gibt
es Mindestanlandegrößen, die Fischer zwingen, be-
stimmte Fische zurückzuwerfen. Dadurch gibt es eine
Menge „Discard“. Beim Kabeljau in der Nordsee gibt es
geschätzt so viele Rückwürfe wie Anlandungen. Davon
müssen wir wegkommen. Das schaffen wir in erster Li-
nie durch die Entwicklung besserer fangtechnischer Me-
thoden. Es muss gelten: Der beste „Discard“ ist der, der
erst gar nicht entsteht.
Ein weiterer Fehler ist ein auf Aufwand basierendes
System wie das der kw-Tage in der Nordsee. Mit der
Einrichtung dieses Systems ist ein großes Durcheinander
entstanden. Deshalb müssen die kw-Tage wieder abge-
schafft werden. Die Kommission hantiert offensichtlich
sehr gern mit Aufwandssystemen herum. Das mag in an-
deren Regionen Europas auch Sinn machen – nämlich
da, wo es noch gar keine Quoten gibt und jedes Jahr
munter drauflosgefischt wird. Aber in Nord- und Ostsee
sollten wir es beim bewährten Quotensystem belassen.
Zu den Aufgaben bei der Reform zählt aber auch, das
zu bewahren, was in der Vergangenheit gut funktioniert
hat. Damit meine ich vor allem die relative Stabilität.
Die hat sich seit 1983 bewährt und bietet allen Beteilig-
ten in diesem Wirrwarr einen verlässlichen Rahmen.
Deshalb müssen wir sie auch weiterhin behalten, sonst
geht nämlich die ganze Fischereipolitik den Bach runter.
Und wenn ich behalten sage, dann meine ich auch, dass
hier weder der Umverteilungsschlüssel geändert noch
eine Bereinigung um die getauschten Quoten stattfinden
darf. Das sind alles Versuche, die relative Stabilität aus-
zuhebeln. Das darf es nicht geben. Jeder weiß, dass die
Fischerei nicht jedes Jahr gleich ist. Und wenn der eine
vielleicht mal etwas weniger Kabeljau im Netz hat, dann
kann er seine Restquote gegen eine andere Quote tau-
schen. Die relative Stabilität bietet dem Fischer die Fle-
xibilität, die er braucht, um sich am Markt behaupten zu
können.
Mit dem Tausch komme ich auch gleich zur zweiten
Baustelle. Auch das System des Tausches zwischen den
Mitgliedstaaten hat sich seit 1983 bewährt. Was die Mit-
gliedstaaten auf nationaler Ebene machen, hat damit ja
nichts zu tun. Aber zwischen den Staaten darf es aus un-
serer Sicht auch zukünftig keinen Handel von Quoten
geben. Wenn wir das machen, können wir unsere Küs-
tenfischerei zumachen, denn unsere Küstenfischer sind
allesamt kleine Betriebe, die nicht eben mal 100 000 Euro
für eine Quote lockermachen können.
Ich möchte an dieser Stelle einmal Frau Bundesminis-
terin Aigner loben, die sich hier für deutsche Interessen
eingesetzt hat. Mit der Erklärung des Weimarer Dreiecks
und der kürzlich gemeinsam mit Dänemark, Frankreich
11108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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und Großbritannien abgegebenen Erklärung haben sie
Pflöcke eingeschlagen, an denen Frau Damanaki so
schnell nicht vorbeikommt.
Immer wieder ertönt der Ruf nach der 1:1-Umsetzung
von ICES-Vorgaben. Der ICES legt die Vorschläge nach
rein biologischen Gesichtspunkten fest. Das mag ja aus
Sicht der Grünen richtig sein, aber aus unserer Sicht
müssen auch andere Punkte berücksichtigt werden. Au-
ßerdem liegt die Wissenschaft nicht selten daneben. In
der Vergangenheit gab es einige Beispiele, wo der ICES
im Nachhinein seine Zahlen korrigieren musste. Das
Hauptproblem dabei ist die mangelhafte Datenlage. Wir
brauchen dringend mehr Informationen über die Be-
stände.
Wir als SPD haben in unserem Antrag den Anliegen
der Umwelt und der Fischer gleichermaßen Rechnung
getragen. Wir sind uns im Klaren darüber, dass es in Zu-
kunft nur Fischerei geben kann, wenn auch genügend Fi-
sche da sind. Wir haben aber gleichzeitig ein klares Be-
kenntnis für die Fischer abgegeben und dargestellt, dass
die europäischen Bestandsprobleme im Regelwerk der
Fischerei liegen. Wir haben einige Regelungen darge-
stellt, die einer nachhaltigen Fischerei zuwiderlaufen,
und aufgezeigt, wie wir diese verändern möchten.
Und nun zum Antrag der Grünen. Dazu möchte ich
im Wesentlichen sagen, dass Sie beinahe nahtlos an die
Aussagen der früheren Landwirtschaftsministerin Künast
anknüpfen. Sie wollen zwar nicht Fischerboote zu Haus-
booten machen, aber einige Ihrer Forderungen kommen
dem sehr nahe. Wenn man alle Ihre Forderungen umset-
zen würde, gäbe es wahrscheinlich keine Fischerei mehr.
Wenn ich mir nur Ihre Forderung nach Mindestfanggrö-
ßen ansehe oder die Fischereiabgabe! Wenn Sie keine
Fischerei mehr wollen, müssen Sie das nur sagen. Im-
merhin fordern Sie hier nicht die 1:1-Umsetzung der
ICES-Advise. Das allerdings überrascht mich ein wenig.
Nur zur relativen Stabilität äußern Sie sich nicht. Das ha-
ben aber Ihre Kollegen im Europäischen Parlament für
Sie getan. Die fordern nämlich den Ausstieg aus der re-
lativen Stabilität.
Was ich aber an der Debatte hier im Deutschen Bun-
destag am erstaunlichsten finde, ist, dass Union und FDP
es nicht geschafft haben, sich zur Reform der Gemeinsa-
men Fischereipolitik zu positionieren. Sie verstecken
sich schamlos hinter der Bundesregierung, und obwohl
Ihnen der Antrag der SPD inhaltlich zusagt – im Aus-
schuss wurde er noch von CDU und FDP gelobt – leh-
nen Sie ihn ab. Das ist ein Armutszeugnis. Ich will Ihnen
sagen, dass hier zwischen uns und der Bundesregierung
Einigkeit besteht. Das heißt, Sie lehnen heute nicht nur
den Antrag der SPD, sondern auch die Position der Bun-
desregierung ab. Was sagen Sie den Fischern an Nord-
und Ostsee, wie diese ihre Familienbetriebe und ihre Ar-
beitsplätze in Zukunft sichern wollen? Sie lassen sie im
Stich.
Die Debatte zur Reform der Gemeinsamen Fischerei-
politik ist jetzt im Gange. Wir können uns als Deutscher
Bundestag nicht erst äußern, wenn die Kommission im
Mai dieses Jahres ihre Vorstellungen präsentiert. Dann
ist es zu spät. Deutschland muss sein ganzes Gewicht
jetzt in die Waagschale werfen.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die SPD-
Fraktion hat einen sehr respektablen Antrag zur Fische-
reipolitik vorgelegt, in dem sich das große Erfahrungs-
wissen ihres fischereipolitischen Sprechers Holger Ortel
widerspiegelt. Schade, dass der Antrag nicht als gemein-
samer Antrag angelegt war, so müssen wir ihn leider we-
gen einiger Formulierungen trotz verschiedener sehr gu-
ter Ansätze ablehnen.
Die Kommission hat mit ihrem Grünbuch zur Reform
der Gemeinsamen Fischereipolitik im Jahr 2009 eine
wichtige Diskussion angestoßen. Unsere maritimen
Ökosysteme stehen durch den Klimawandel und die in
verschiedenen Regionen zu starke Nutzung der aquati-
schen Ressourcen unter erheblichem Stress. Es gibt
Fischbestände in europäischen und außereuropäischen
Fanggebieten, die in den letzten Jahrzehnten durch ver-
änderte Umweltbedingungen und auch die zunehmende
fischereiwirtschaftliche Nutzung erheblich dezimiert
wurden. Die Bestandsaufnahme der Kommission hat er-
geben, dass die seit 2003 geltende Gemeinsame Fische-
reipolitik die heute herrschenden Probleme nicht lösen
konnte. Insbesondere bestehen in zahlreichen Ländern
zu große Flottenkapazitäten. Es wurden erhebliche Fi-
nanzmittel aufgewendet, um die Flotten an den tatsächli-
chen, für eine nachhaltige Fischerei angemessenen Be-
darf anzupassen. Das ist bisher nur unzureichend
gelungen. Deutschland hat in diesem Bereich seine
Hausaufgaben gemacht. Hohe Flottenkapazitäten bieten
Anreize für eine Überfischung. Wir sind uns in diesem
Haus einig, dass eine Reform der Gemeinsamen Fische-
reipolitik, wie sie die Kommission angestoßen hat, not-
wendig ist.
Gleichzeitig gilt es festzuhalten, dass die Anzahl
nachhaltig bewirtschafteter Bestände inzwischen steigt.
Der Wiederaufbau einiger Fischbestände verläuft viel-
versprechend, zum Beispiel des Dorsches in der Ostsee
und der Scholle in der Nordsee. Das ist ein kleiner Licht-
blick. Eine Reform der gemeinsamen Fischereipolitik
könnte weitere Schritte in Richtung einer MSY-Bewirt-
schaftung – MSY: maximum sustainable yield – bringen.
Leider haben verschiedene Einkaufsführer dies noch
nicht berücksichtigt, sodass teilweise wertvolle Speisefi-
sche nicht verkauft werden konnten, sondern in die In-
tervention gegeben wurden. Wir brauchen deshalb eine
bessere Verbraucherinformation.
Die Fischereiwirtschaft ist entscheidend abhängig
vom Zustand der maritimen Ressourcen. Gleichzeitig
beeinflussen der Klimawandel, die wirtschaftliche Ent-
wicklung, der gesellschaftliche Wandel und regionale
Entwicklungen die Zukunft der Fischer in Deutschland
und Europa. Nur eine nachhaltige Ausrichtung der Ge-
meinsamen Fischereipolitik kann gewährleisten, dass die
Bevölkerung ausreichend mit Fischen und Meeresfrüch-
ten versorgt wird, die wirtschaftliche Zukunft der
Fischer gesichert wird und die natürlichen Bestände er-
halten bleiben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11109
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Deutschland importiert etwa 80 Prozent des hier ver-
zehrten Fisches. Dennoch hat auch in unseren Küstenre-
gionen die Fischerei eine wichtige Bedeutung. Sie liefert
Fisch insbesondere für die regionale Küche, außerdem
ist sie eine wichtige touristische Attraktion. Die Betrach-
tung der Nachhaltigkeit darf nicht nur auf den ökologi-
schen Sektor begrenzt werden, auch wenn er von ent-
scheidender Bedeutung ist. Ökonomische und soziale
Fragen müssen ebenfalls bedacht werden.
Die Europäische Kommission hat im Grünbuch fünf
wesentliche Problemfelder definiert, die bei einer Re-
form angegangen werden müssen. Sie schlägt vor, das
Problem der Flottenüberkapazität zu lösen, die politi-
schen Ziele zu präzisieren, die Beschlussfassung auf we-
sentliche Grundsätze zu beschränken, die Fischereiwirt-
schaft bei der Durchführung besser einzubinden und für
eine verbesserte Durchsetzung und Anwendung der fi-
schereilichen Regelungen zu sorgen. Die Bundesregie-
rung hat sich zu den Überlegungen der Kommission po-
sitioniert und bereits Verhandlungen auf europäischer
Ebene begonnen. Die FDP unterstützt die Bundesregie-
rung in ihrer Haltung, auf dem Grundsatz einer nachhal-
tigen Entwicklung im Rahmen eines ökosystembasierten
Fischereimanagements die Fischereipolitik fortzuentwi-
ckeln. Es ist von besonderer Bedeutung, die mehrjähri-
gen Bewirtschaftungs- und Wiederaufbaupläne unter der
Prämisse des MSY, also des höchstmöglichen Dauerer-
trages, auf solider wissenschaftlicher Basis auszuweiten.
Es ist für Deutschland von entscheidender Bedeutung,
dass die relative Stabilität und das System der nationalen
Fangquoten beibehalten und anhand wissenschaftlicher
Untersuchungen fortwährend evaluiert werden. In die-
sem Punkt stimmen wir dem SPD-Antrag ausdrücklich
zu. Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung und
weiterer Mitgliedstaaten, das Problem der Rückwürfe
entschlossen anzugehen. Nur wenn Rückwürfe konse-
quent auf die Fangquoten angerechnet werden, kann das
Ziel des MSY erfolgreich umgesetzt werden. Hierzu
müssen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik
die illegale Fischerei konsequent bekämpft und geltende
Rechtsbestimmungen so effizient wie möglich auf ihre
Umsetzung kontrolliert werden. Die Fischereiwirtschaft
sollte dabei in die Entwicklung geeigneter Kontroll- und
Überwachungsmethoden eingebunden werden, um prak-
tikable und wirksame Lösungen zu finden. Hierbei ist
der Schwerpunkt aus unserer Sicht insbesondere auf die
Fischfangnationen zu legen, die immer noch viel zu
hohe Flottenumfänge haben und bei denen daher der An-
reiz für Rechtsverstöße besonders groß ist.
Die FDP ist im Wesentlichen mit der Verhandlungs-
position der Bundesregierung auf europäischer Ebene
zufrieden. Aus unserer Sicht besteht jedoch noch ein er-
heblicher Optimierungsbedarf bei der wissenschaftli-
chen Datengrundlage. Um wirklich nachhaltige Bewirt-
schaftungspläne für die bedrohten Meeresarten erstellen
zu können, ist eine fundierte Kenntnis der spezifischen
ökologischen Zusammenhänge und der tatsächlichen
Verteilung und Verbreitung einzelner Arten unabdingbar.
Die gut aufgestellte deutsche Fischerei- und Meeresfor-
schung muss weiter unterstützt und ausgebaut werden.
Ein wirksamer Schutz der Meeresressourcen kann nur
durch eine verbesserte Forschung, effiziente Kontrollen
und Einbindung unserer Fischer erzielt werden. Speziell
dieser Punkt kommt im eigentlich guten und sachlich
fundierten Antrag der SPD zu kurz. Deshalb und weil
die Bundesregierung mit ihrer Haltung bereits auf einem
guten Weg ist, lehnen wir diesen Antrag ab. Den Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen lehnen wir ab, da er völlig
realitätsfremd und ideologisch ist.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Bei der Ge-
meinsamen Fischereipolitik, GFP, sind wir uns zwischen
den Fraktionen im Bundestag in vielen grundsätzlichen
Fragen einig. Wir wollen zum Beispiel gemeinsam, dass
nicht mehr Fisch gefangen werden darf, als im selben
Zeitraum „nachwächst“. Das ist ja auch logisch und
quasi die alte Försterregel zur nachhaltigen Bewirtschaf-
tung des Waldes – übertragen auf das Meer.
Die Linke will eine sachliche Diskussion auf belast-
barer wissenschaftlicher Grundlage.
Dazu gehört, dass wir bei allen Analysen und Ent-
scheidungen berücksichtigen, dass die wissenschaftli-
chen Schätzungen der vorhandenen Fischbestände nicht
genau genug, also nicht wirklich belastbar sind. Das
Rostocker von Thünen-Institut für Ostseefischerei, vTI,
spricht von 10 bis 20 Prozent Fehlerquote. Diese Unge-
nauigkeit kann aber dramatische Auswirkungen bei der
jährlichen Fangquotenfestsetzung haben. Die Fischerei-
forschung muss gestärkt werden, damit wir besser be-
lastbare Grundlagen für die politischen Entscheidungen
bekommen.
Das kann auch zur Versachlichung der Debatte beitra-
gen. Und das ist dringend notwendig. Es geht dabei nicht
um Verharmlosung einer Situation, die im Grünbuch der
EU erstaunlich deutlich und ehrlich beschrieben wurde.
Aber die Situation vieler Fischbestände ist beunruhigend
genug und muss nicht auch noch zusätzlich mit Horror-
meldungen dramatisiert werden. Die Schreckenszahl
88 Prozent geistert immer wieder durch politische De-
batten und Mailing-Aktionen. Aber 88 Prozent über-
fischte Bestände heißt eben nicht 88 Prozent fast ausge-
rottete Bestände, sondern: 88 Prozent der Fischbestände,
über die wissenschaftliche Erhebungen vorliegen, wer-
den zu stark befischt, also mehr, als nach dem höchst-
möglichen, nachhaltigen Dauerertrag, MSY, entnommen
werden dürften. Das ist problematisch genug. Aber nur
bei circa einem Viertel liegen solche Daten überhaupt
vor. Solche überzogenen Dramatisierungen lenken leider
von wirklichen Problemen ab. Das drohende Aussterben
des europäischen Aals wird zum Beispiel kaum wahr-
genommen, wie Dr. Christoph Zimmermann vom von
Thünen-Institut in der Ausgabe 1/2010 der Fachzeit-
schrift Kutter beklagt hat.
Bei allen unbestrittenen Problemen in der Fischerei
sieht die Linke aber nicht nur ihre ökologischen Rah-
menbedingungen, sondern konsequent auch ihre soziale
und wirtschaftliche Funktion. Deshalb dürfen die not-
wendigen Fangreduzierungen nicht auf Kosten der in der
Fischerei Beschäftigten gehen. Quotenkürzungen kön-
nen zu Arbeitsplatzverlusten führen und haben damit er-
11110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
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(D)(B)
hebliche Auswirkungen auf das Leben und Arbeiten an
der Küste. In den Küstenregionen lebt fast die Hälfte
der europäischen Bevölkerung, wie EU-Kommissarin
Maria Damanaki heute bei einer Veranstaltung in Ber-
lin betont hat. Auch in der Fischerei heißt nachhaltig
nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und ökono-
misch denken. Das wissen auch die Fischerinnen und
Fischer. Denn ihre Altersvorsorge sind die Fischbe-
stände. Deshalb treten sie dafür ein, dass Umwelt- und
Fischereipolitik nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Deshalb müssen Fischereibetriebe und die Beschäftigten
in alle Entscheidungen einbezogen werden. Und in den
Küstenregionen müssen alternative Einkommensmög-
lichkeiten gezielt gefördert werden, um den Struktur-
wandel sozial abzufedern.
Ich möchte noch kurz auf einige Aspekte der aktuel-
len EU-weiten Debatte eingehen:
Sicher muss die EU-Fischerei-Flotte abgebaut wer-
den. Aber die deutsche Fischerei hat hier ihre Hausauf-
gaben bereits erledigt. Deshalb erwartet sie aber auch zu
Recht, dass zum Beispiel gegen die illegale Fischerei
noch konsequenter vorgegangen wird. Hier wurde schon
einiges erreicht, aber es liegt noch vieles im Argen.
Die Linke will weg von dem alljährlichen politischen
Kuhhandel um Fischereitage, Fangquoten und dem
Streit über die Entwicklung der Fischbestände. Wir wol-
len stattdessen eine mehrjährige Planung der Bewirt-
schaftung der Fischbestände. In diesem Fall würden sich
auch mögliche Schätzfehler der tatsächlichen Fischbe-
stände nicht so schwerwiegend auswirken.
Mehrjahrespläne wären auch im Interesse der jungen
Menschen. Denn wir haben auch in der Fischerei Nach-
wuchsprobleme. Zu den Gründen gehört neben der Un-
berechenbarkeit der Fischereipolitik auch die skandali-
sierte Berichterstattung über ausgeräumte Meere. Wer
soll da eine berufliche Perspektive für sich sehen?
Dabei ist sich die Forschung nahezu einig: Durch die
Fischerei wird kein Bestand und keine Fischart ausster-
ben, durch eine verfehlte Wirtschafts-, Energie- und Um-
weltpolitik schon eher.
Die jetzt anstehende Reform der Gemeinsamen Fi-
schereipolitik muss deshalb einen Neuansatz finden. Wir
unterstützen EU-Kommissarin Maria Damanaki, die
mehr Langfristigkeit, weniger Bürokratie und effektivere
Kontrollen will.
Über manche Details muss sicher noch diskutiert wer-
den. Kontrollkameras an Bord zum Beispiel sind eine
recht drastische Maßnahme. Hier habe ich ein etwas
mulmiges Orwell’sches Gefühl. Aber Videobelege sind
andererseits eine verlässliche Dokumentation mit ver-
gleichsweise geringem bürokratischem Aufwand.
Ganz klar will die Linke ein Verbot von Rückwürfen
des Beifangs mit Anrechnung auf die Fangquote. Nor-
wegen macht uns das vor. Wir sehen das wie die EU-
Kommissarin: Rückwürfe sind unethisch, Ressourcen-
verschwendung und Vergeudung von menschlicher
Arbeit. In der Fragestunde am Mittwoch hat mir die
Bundesregierung Rückwurfzahlen aus Deutschland vor-
gelegt, die nachdenklich machen müssen. Die höchsten
Rückwurfraten gibt es bei der Baumkurrenfischerei auf
Scholle und Seezunge. In den Jahren 2008 bis 2010 wur-
den zwischen 60 und 75 Prozent des Fangs als Abfall
wieder über Bord gekippt. Das muss aufhören. Wir müs-
sen schrittweise, aber konsequent von den Rückwürfen
wegkommen. Die Rückwurfraten in der pelagischen Fi-
scherei, zum Beispiel Heringsfischerei, sind bereits unter
1 Prozent, auch die deutsche Fischerei auf Kabeljau und
Seelachs ist sehr vorbildlich, wie mir die Bundesregie-
rung bestätigt hat. Von einem zukünftigen Rückwurfver-
bot sollten als Ausnahme nur Arten mit einer sehr hohen
Überlebenswahrscheinlichkeit wieder ins Meer gewor-
fen werden dürfen. Bleiben sie im Ozean zurück, können
sie weiter wachsen und sich fortpflanzen und damit zu
stabilen Beständen beitragen.
Wir kritisieren die oftmals fragwürdigen internationa-
len Fischereiabkommen mit Nicht-EU-Staaten und for-
dern ein globales Netzwerk von Meeresschutzgebieten.
Bei der Ausweisung der Meeresschutzgebiete tragen die
Mitgliedstaaten eine hohe Verantwortung, die Koordina-
tion in Europa erwarte ich jedoch von der EU bzw. welt-
weit von der UNO.
Für die Linke ist der SPD-Antrag nicht grün genug
und der grüne Antrag nicht rot genug. Im Grünenantrag
werden die Konsequenzen aus ihrer „grundlegenden Re-
form“ einfach ausgeblendet. Aber insbesondere in der
Küstenfischerei geht es um viele Menschen, die ihre Er-
werbsarbeit verlieren. Mehr Kontrollen, zusätzliche Ge-
bühren und Abgaben, das mag zwar eine grundlegende
Reform sein, aber ob damit die Fischerei auf einen zu-
kunftsfähigen Weg gebracht werden kann, wage ich zu
bezweifeln. Richtig ist, dass das Grünbuch gezeigt hat,
dass sich wirklich etwas tun muss. Diese Forderung un-
terstützen wir ausdrücklich. Aber es muss mit ökologi-
scher und sozialer Verantwortung gehandelt werden. Der
SPD-Antrag geht vage Schritte in die richtige Richtung,
darum stimmen wir zu. Der grüne Antrag ist aus unserer
Sicht zu radikal, aber mit grundsätzlich diskussionswür-
digen Vorschlägen; daher enthalten wir uns.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
Grünbuch zur Reform der EU-Fischereipolitik eröffnet
die Chance für eine grundlegend bessere Fischereipoli-
tik. Diese Chance muss die EU im Interesse der Meere,
aber auch der Fischeiwirtschaft nutzen. Nur wer Fisch-
bestände heute schützt, kann morgen noch Fische fan-
gen. Deshalb appelliere ich an alle Beteiligten: Treten
Sie für eine anspruchsvolle Reform der EU-Fischerei-
politik ein!
Die Gefahr, dass die Reform kleingekocht wird, ist
groß. Denn genau die Fischereiminister, die bisher für
die Überfischung gesorgt haben, entscheiden über diese
Reform. Hoffnung gibt, dass das Europaparlament nach
dem Vertrag von Lissabon mitentscheiden darf und dass
es die Fischereikommissarin Damanaki offenbar ernst
meint mit der Durchsetzung wirksamer Maßnahmen.
Bündnis 90/Die Grünen fordern einen Paradigmen-
wechsel in der EU-Fischereipolitik. Ein zentraler Punkt
ist die Einführung von Rückwurfverboten und Anlande-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011 11111
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geboten für Arten mit zu niedrigen Rückwurfüberlebens-
raten, damit endlich Schluss ist mit der ökologisch und
ökonomisch fatalen Verschwendung von Fischressour-
cen. Diese Rückwurfverbote brauchen wir so schnell wie
möglich. Eine schrittweise Einführung wie in der Ge-
meinsamen Erklärung Deutschlands mit Dänemark,
Frankreich und Großbritannien reicht nicht. Für ein er-
neutes Zögern gibt es keinen Grund. Hier hat sich die
Bundesregierung erneut auf eine viel zu zaghafte Position
festgelegt.
Wir Bündnisgrüne fordern auch die strikte Orientie-
rung der Gesamtfangmengen an den Empfehlungen der
Fischereiwissenschaft. Denn die wurden in den letzten
Jahren von den Fischereiministern regelmäßig um circa
50 Prozent überschritten. Damit muss Schluss sein! In
den Natura-2000-Meeresschutzgebieten, die in den EU-
Meeren eingerichtet werden müssen, sollte die Fischerei
beschränkt werden können, zumindest soweit sie als
Kinderstube für Fischbestände fungieren. Auffallend ist,
dass Fischereipolitik in den Koalitionsfraktionen gar
nicht stattfindet. Diese überlassen sie zu 100 Prozent der
Bundesregierung. Folgerichtig haben Union und FDP
auch keinen Antrag zur Reform der EU-Fischereipolitik
vorgelegt. Dass aber die Vertreter der Union im Aus-
schuss, wie in der Beschlussempfehlung nachzulesen,
nicht einmal etwas Inhaltliches zur Fischereireform zu
sagen hatten, das hat meine Erwartungen aber doch noch
einmal deutlich untertroffen.
Dem SPD-Antrag könnten wir in weiten Teilen zu-
stimmen. Problematisch ist allerdings die Forderung, die
zulässigen Gesamtfangmengen nach ökologisch, sozial
und ökonomisch nachhaltigen Kriterien festzusetzen.
Das heißt doch im Klartext: Zur Stabilisierung der Be-
stände notwendige Fangmengenreduzierungen sollen
– wie bisher – aus Rücksicht auf die kurzfristigen Er-
tragsausfälle der Fischereibetriebe unterbleiben. Das ist
genau die Logik der Überfischung, der seit Jahrzehnten
gefolgt wird. Das ist genau die Logik, die dazu führt,
dass die Fischereibetriebe auf Dauer weniger fischen
können, als sie bei einer vernünftigen Bewirtschaftung
fischen könnten! Wegen dieser Forderung müssen wir
den SPD-Antrag ablehnen.
Zum erschreckenden Auftritt des fischereipolitischen
Sprechers der SPD im Ausschuss ist zu sagen: Es hat uns
schon sehr irritiert, dass er die Fischereipolitik der Bun-
desregierung über den grünen Klee gelobt hat. Denn die-
ses Lob hat das widersprüchliche Agieren der Bundesre-
gierung nun wirklich nicht verdient. So ist
beispielsweise der Gemeinsamen Erklärung Deutsch-
lands, Frankreichs und Polens zur Fischereireform zu
entnehmen, dass sich die Bundesregierung den Überfi-
schungsinteressen von Frankreich und Polen untergeord-
net hat und eine Linie unterstützt, die fast alles beim Al-
ten belässt.
Die SPD sollte sich wirklich überlegen, ob sie sich
nicht besser einen fischereipolitischen Sprecher wählt,
der frei ist von Lobbyinteressen, der nicht gleichzeitig
Präsident des Deutschen Fischereiverbandes ist. Die
Trennung dieser Funktionen wäre ein notwendiger Akt
der politischen Hygiene.
96. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14