Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck derschrecklichen Ereignisse in Japan, nach denen es keineinfaches Eintreten in die Tagesordnung geben kann.Die Nachrichten über die Lage im Katastrophengebiethalten die Welt in Atem, auch die Menschen in unseremLand. Die geradezu apokalyptischen Bilder aus der be-troffenen Region hätte sich fast niemand von uns auchnur vorstellen können, und wir wissen nicht einmal, obdas Schlimmste nun überstanden ist. Mit Bestürzung undAnteilnahme verfolgen wir alle die Folgen der gewalti-gen Naturkatastrophe, die Japan und den gesamtenpazifischen Raum ereilt hat. Das Ausmaß der immerdeutlicher werdenden Verheerungen erschüttert uns alle.Die Auswirkungen auf die Menschen, auf die Umwelt,aber auch auf die Weltwirtschaft sind noch unabsehbar.Im Namen des Deutschen Bundestages habe ich be-reits am vergangenen Freitag meinem japanischen Amts-RKSMntekzdaaresdfeelehZtetesRedetkollegen unser tiefes Mitgefühl übermittelt. Auch wennuns derzeit vor allem die atomare Bedrohungslage um-treibt, gedenken wir in diesem Augenblick insbesondereder Opfer, die das heftige Erdbeben und die reißendenFluten des Tsunami gekostet haben, der Tausenden Totenund ihrer Hinterbliebenen, der unzähligen Verletzten undder Hunderttausenden, die ihr Hab und Gut – nicht we-nige vielleicht auch in schierer Verzweiflung den Le-bensmut – verloren haben und die nicht wissen, wie esjetzt weitergehen soll. Ihrer wollen wir morgen auch inder täglichen ökumenischen Besinnung im Andachts-raum des Bundestages in besonderer Weise gedenken.Auf der Ehrentribüne hat der japanische Botschaf-ter in Deutschland, Herr Dr. Takahiro Shigenommen, den ich herzlich begrüße. Sehr geeBotschafter, unsere Gedanken sind beim jaVolk, das sich in diesen Tagen mit bewund
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Eidesleistung des Bundesministers des InnernDer Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom3. März 2011 mitgeteilt, dass er am selben Tage gemäßArt. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepu-blik Deutschland auf Vorschlag der Frau Bundeskanzle-rin den Bundesminister der Verteidigung, Herrn Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, und den Bundesminis-ter des Innern, Herrn Dr. Thomas de Maizière, aus ihrenÄmtern als Bundesminister entlassen und HerrnDr. Thomas de Maizière zum Bundesminister der Vertei-digung und Herrn Dr. Hans-Peter Friedrich zum Bundes-minister des Innern ernannt hat.Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet einBundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56vorgesehenen Eid.Herr Dr. Friedrich, ich darf Sie zur Eidesleistung zumir bitten.
Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich möchte Siebitten, den im Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten.Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle desdeutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Scha-den von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetzedes Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten ge-wissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermannüben werde. So wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister, Sie haben den in der Verfassung
vorgesehenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen für die über-
nommene Aufgabe alles Gute, Erfolg und Gottes Segen
wünschen.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Vielen Dank, Herr Präsident.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auchdem neuen Bundesminister der Verteidigung, HerrnDr. Thomas de Maizière, im Namen des ganzen Hausesfür seine Aufgabe alles Gute und viel Erfolg wünschen.
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Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-ärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Nordafrika und die arabische Welt erleben eine his-rische Zäsur. Die Freiheitsbewegung, die als Jasmin-evolution auf den Straßen Tunesiens begann, hat vielendere Staaten erreicht. Als Demokraten stehen wir aner Seite von Demokraten. Wir Deutschen haben daslück, eine friedliche Revolution im eigenen Land er-bt zu haben, die zur Einheit unseres Landes und zurereinigung Europas geführt hat. Unser Land ist auf denerten der Freiheit gebaut. Es sind diese freiheitlichenerte, nach denen jetzt Millionen Menschen im nördli-hen Afrika und in der arabischen Welt verlangen. Wirerden diese Völker dabei als Bundesrepublik Deutsch-nd unterstützen.
Die Sehnsucht nach Freiheit ist nicht begrenzt aufine Kultur, auf eine Region oder gar auf eine Religion.s ist ein Irrglaube, es gebe Kulturen, in denen derensch auf Dauer unfrei sein müsse. Es gibt keine Kul-r der Unfreiheit. Unfreiheit ist Ausdruck von Unkultur.ine weitere Erkenntnis können wir aus dieser Entwick-ng gewinnen: Nicht eine autokratische Regierungacht ein Land stabil, sondern eine stabile Gesellschaftt die Voraussetzung für die Stabilität eines Landes. Wirollen stabile Demokratien und demokratische Stabili-t.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undollegen, in Marokko hat König Mohammed VI. vorenigen Tagen eine Verfassungsreform eingeleitet, dieiele Forderungen aus der Gesellschaft aufgreift. Dasacht Mut, aber es werden die Taten zählen. Das Bei-piel Marokko zeigt, wie eine Regierung den Weg zurffnung und zur Demokratisierung der Gesellschaft ein-chlagen kann.
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Mit großer Sorge blicken wir nach Jemen, wo ein vonbreiten Schichten der Gesellschaft getragener Protest im-mer gewaltsamer niedergeschlagen wird. Bereits vor ei-nem Jahr, bei meinem Besuch im Jemen, habe ich Präsi-dent Salih eindringlich darauf hingewiesen, wienotwendig der friedliche gesellschaftliche Ausgleich fürdie Stabilität des Jemen ist. Heute müssen wir feststel-len: Die Zeit wurde nicht genutzt, und die Lage im Je-men hat sich dramatisch verschlechtert.Mit Sorge verfolgen wir auch die alarmierendenNachrichten aus Bahrain. Wir rufen alle Beteiligten imLand selbst zum Dialog auf, und wir rufen die Länder inder Region zur Zurückhaltung auf. Die Eskalation derGewalt muss ein Ende haben und einem ernsthaften Dia-log, einem nationalen Dialog zwischen Regierung undOpposition Platz machen. Eine Lösung muss im Landselbst gefunden werden.
Im Iran geht die Führung in diesen Tagen erneut mitäußerster Härte gegen die Opposition vor. Die iranischeRegierung will mit diesem Vorgehen Stärke demonstrie-ren, sie offenbart aber nur Schwäche.
Wir fordern die iranische Führung auf, die Unterdrü-ckung der Opposition unverzüglich zu beenden und demiranischen Volk die ihm zustehenden Freiheitsrechte zugewähren.
Die Sehnsucht nach Freiheit und Teilhabe, nachWürde und Gerechtigkeit wächst auch in vielen anderenLändern des Mittleren Ostens von Tag zu Tag und brichtsich Bahn. Die Lage in der Region ist von Land zu Landverschieden. Deshalb brauchen wir maßgeschneidertepolitische Antworten. Eines aber haben alle diese Auf-brüche gemeinsam: den unbedingten Willen zu Freiheit,zu Teilhabe und zu neuen Chancen.Ich danke den Frauen und Männern der Bundeswehr,den Angehörigen des Auswärtigen Dienstes und den vie-len Hilfsorganisationen für ihre Leistung bei der Evaku-ierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen und fürihren Beitrag, zahlreiche ägyptische Flüchtlinge wiederin ihre Heimat zu ihren Familien zu bringen. Wenn allesgut gegangen ist, denkt man, dass es einfach war. Aberich weiß, dass es alles andere als einfach war. Deswegenmöchte ich vor diesem Hohen Hause – ich hoffe, in Ihreraller Namen – diesen Dank ausdrücklich aussprechen.
In Libyen führt ein Diktator Krieg gegen das eigeneVolk. Im Angesicht dieses Verbrechens ist sich die inter-nationale Staatengemeinschaft einig: Der Diktator mussgehen. Mit seinen Taten stellt sich Oberst Gaddafi außer-hvgdntiteDeSteßFzleddVdwWGlisVTnmmsWvLavhuFwaagdtuLsledeIlezritreu
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Nordafrika werden. Wir wollen nicht auf eine schiefeEbene geraten, an deren Ende dann deutsche SoldatenTeil eines Krieges in Libyen sind.
– Ich wünschte, meine Damen und Herren von derLinksfraktion, Sie wären auch bei anderen Fragen soentschieden, wenn es um Demokratie und Freiheit geht.
Aber was geschieht, wenn die Angriffe am Bodenweitergehen? Müssen wir Gaddafis Panzer dann aus derLuft bekämpfen? Und wenn das nicht reicht, müssen wirdann Bodentruppen schicken? Die Alternative ist nichtTatenlosigkeit, sondern sind gezielte Sanktionen, die denDruck auf Gaddafi erhöhen. In den vergangenen Tagenhaben wir zudem erste Kontakte mit dem NationalenÜbergangsrat geknüpft. Wir sehen in ihm einen wichti-gen politischen Ansprechpartner.Die Entscheidung über den richtigen Weg im Ange-sicht menschenverachtender Gewalt ist alles andere alseinfach. Als Mitglied des Sicherheitsrates trägt Deutsch-land in dieser schwierigen Lage besondere Verantwor-tung für die internationale Sicherheit. Wir respektierenund begrüßen den Beschluss der Arabischen Liga vomvergangenen Wochenende. Aber wir sehen die Verant-wortung für das weitere Handeln der internationalenStaatengemeinschaft zuerst bei den Staaten der Region.Dies wird auch unsere Haltung bei den Beratungen inNew York bestimmen.Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, eine stabile Demokratie entsteht nicht über Nacht.Ein solcher Prozess kann Jahre, manchmal Jahrzehntedauern. Wir wollen die Länder Nordafrikas dabei unter-stützen, eine feste, tragfähige Demokratie in einer star-ken Zivilgesellschaft zu verankern. Wir stehen in derarabischen Welt vor einem Neubeginn voller Chancen.Aber nicht nur die Völker der Region, sondern auch wirbrauchen einen langen Atem. Dieser arabische Frühlingist eine historische Chance für Frieden und Wohlstand inder gesamten Region mit positiven Folgen weltweit.Deutschland und Europa stehen als Partner bereit, damitder demokratische Aufbruch in Nordafrika und anderenTeilen der arabischen Welt tatsächlich gelingen kann.Der Umbruch in Tunesien und Ägypten ging von derMitte der Gesellschaft aus, und er wurde von ihr getra-gen. Wir haben größten Respekt vor dem Mut all jener,die friedlich und ohne Waffen auf die Straße gegangensind, um sich den Herrschenden in ihren Ländern entge-genzustellen. In den Straßen von Tunis können die jun-gen Frauen und Männer vielleicht zum ersten Mal in ih-rem Leben völlig frei reden. Sie haben vielleicht zumersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, ihre eigene Zu-kunft in den Händen zu halten. Sie spüren, dass sie sel-ber entscheiden können, wie sie leben wollen.Was sich die Menschen in Tunesien wünschen, wassie sich erträumen, ist unseren Wünschen und unserenThMepNdgOeCpliDhkmUasvduhtaseszkräwgTAKKfüwVnGwEEuMakMR
ier Punkte stehen dabei im Vordergrund.Erstens. Die europäische Nachbarschaftspolitik musseu ausgerichtet werden. Ihre strategischen Ziele undrundsätze bleiben gültig. Aber mehr als bisher werdenir die Unterstützung der Europäischen Union an klarerwartungen knüpfen. Am vergangenen Freitag hat deruropäische Rat beschlossen, dass wir Leistungen annsere Mittelmeerpartner an sichtbare Fortschritte beienschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, in Richtung un-bhängiger Justiz und bei der Korruptionsbekämpfungnüpfen werden. Gerade die Zeichnung internationalerenschenrechtsverpflichtungen, wie sie die tunesischeegierung nach dem Sturz Ben Alis auf die Tagesord-
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nung der ersten Kabinettsitzung setzte, dokumentiertdiesen Willen zum Neuanfang.Zweitens stärken wir den Aufbau und Ausbau der Zi-vilgesellschaft. Träger des Aufbruchs sind neue politi-sche und gesellschaftliche Kräfte, die noch am Anfangstehen. Sie sind kaum organisiert, und sie brauchen un-sere Unterstützung; ich denke etwa an die eindrucksvolleBegegnung mit dem Vorsitzenden der tunesischen Men-schenrechtsliga. Dafür wollen wir die etablierten Kon-takte unserer Botschaften nutzen, aber auch die Netz-werke von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden undParlamentariergruppen.Eine besondere Rolle kommt den politischen Stiftun-gen zu, mit denen wir uns in Tunis wie in Kairo getrof-fen haben und von denen es in Europa kaum ihresglei-chen gibt. Sie verfügen über ein enges Netzwerk anAnsprechpartnern, von denen viele aktiv an den Frei-heitsbewegungen beteiligt waren. Ihre langjährige Er-fahrung wollen wir verstärkt nutzen und unseren neuenPartnern anbieten.Drittens fördern wir eine umfassende Demokratisie-rung. Die Regierungen in Tunis und Kairo sind Über-gangsregierungen, die in Zeiten des Umbruchs entstan-den sind. Heute stehen teilweise schon andere Personenan ihrer Spitze als bei meinem Besuch vor wenigen Wo-chen. Ihnen fehlt noch die demokratische Legitimation.Für den Umbau der Gesellschaft brauchen die Regierun-gen aber den Rückhalt der Mehrheit im Volk. Die Zeitfür die Organisation der freien politischen Willensbil-dung ist knapp, Erfahrungen darin noch knapper. Wir ha-ben deshalb angeboten, bei allen Fragen der Vorberei-tung und Durchführung freier und fairer Wahlen zuhelfen.Viertens wird es für das Gelingen des Aufbruchs inder arabischen Welt entscheidend sein, dass die Men-schen die Früchte ihres Aufbegehrens auch im täglichenLeben spüren. Arme und ausgegrenzte junge Frauen undMänner haben ebenso wie die gut Ausgebildeten aus derMitte der Gesellschaft nicht allein für Freiheit, sondernauch für ihre Lebenschancen demonstriert. Damit derpolitische Aufbruch Erfolg hat, müssen politische Ent-wicklungen und wirtschaftlicher und sozialer FortschrittHand in Hand gehen. Wenn uns an ihrem Erfolg liegt,dann müssen wir rasch und gezielt auch wirtschaftlichhelfen. Damit meine ich vor allem Hilfe zur Selbsthilfe.Die Tourismuswirtschaft spielt eine große Rolle, aberwir müssen auch mehr Handel zulassen und unsereMärkte in Europa öffnen. Auch über Agrarexporte, diefür diese Länder eine wichtige Rolle spielen, werden wirin Brüssel sprechen müssen.
Zugleich wollen wir die Voraussetzungen dafür schaf-fen, dass noch mehr als die beispielsweise 270 deutschenUnternehmen allein in Tunesien, die dort investieren, inder Region tätig werden. Die Rechtssicherheit in diesenLändern muss gestärkt werden, sonst können private In-vestitionen kaum in großem Umfang fließen. Unser An-gDTte–ddEOnEfüsreutitewsgFasnwfüdkseMgdüreUWdsdjeNaspbP
amit der Stillstand bei den Friedensgesprächen endlichberwunden werden kann.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-n Kolleginnen und Kollegen, die Unterstützung desmbruchs in der arabischen Welt entspricht unserenerten wie unseren Interessen gleichermaßen. Dabeiürfen wir nie vergessen, dass jedes Land selbst überein Schicksal zu entscheiden hat. Jeder Mensch schul-et jedem Menschen Respekt, und jedes Land schuldetdem Land Respekt. Jede Bevormundung verbietet sich.ur wenn die Reformen von den Gesellschaften Nord-frikas selbst getragen werden, werden sie von Dauerein.
Wir haben unsere Angebote gemacht: bei der Reformolitischer Institutionen, beim Umbau der Verwaltung,ei der Verankerung und Stärkung von Meinungs-,resse- und Religionsfreiheit und beim Ausbau der Bil-
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dung. Es geht uns dabei um rasche, aber nicht allein umkurzfristige Hilfe. Wir arbeiten für eine langfristig ange-legte Partnerschaft, eine Partnerschaft auf Augenhöhe.Niemand kann heute mit Sicherheit vorhersagen, wie esin Nordafrika und der arabischen Welt weitergehen wird.Es wäre vorschnell, anzunehmen, der Wandel wäre ein-fach oder die Freiheit hätte bereits gesiegt.Die Demokratiebewegung muss sich vielerorts stabi-lisieren, muss teils auch erst richtig beginnen, sich zu or-ganisieren. Noch sind die alten Kräfte vielerorts fest imSattel, noch verfügen sie über Geld und Einfluss. Dienächsten sechs Monate werden für die politische Ent-wicklung entscheidend sein, aber das Rad der Ge-schichte lässt sich nicht zurückdrehen.Ich bin zuversichtlich, dass der Aufbruch am Ende er-folgreich sein wird. Der Impuls der Demokratiebewe-gungen kommt nicht von außen. Er kommt in jedemLand aus der Mitte der Gesellschaft. Die Umbrüche sindnicht vom Westen gestartet worden. Sie werden auchnicht vom Westen gesteuert. Das ist allein die Propa-ganda derer, die vieles im Sinn haben, nur nicht die Frei-heit ihrer Völker.
Jedes Land muss seinen eigenen Weg finden, jede Ge-sellschaft ihren eigenen Weg gehen. Mit Rat und Tatwollen wir helfen, aber auch mit Respekt und Anerken-nung für den großen Mut der Menschen.Die Völker der arabischen Welt nehmen in diesenMonaten ihre Zukunft selbst in die Hand. Den Fahrplanzur Freiheit bestimmen sie selbst, aber wir Deutsche, wirEuropäer stehen ihnen zur Seite.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und ichdanke dafür, dass trotz der schrecklichen Bilder aus Ja-pan, die wir sehen, und trotz der vielen Fragen, die unsbeschäftigen, sich so viele von Ihnen die Zeit genommenhaben, an dieser Debatte im Deutschen Bundestag überdie Entwicklung in Nordafrika teilzunehmen. Ich glaube,allein schon das ist ein wichtiges Zeichen der Unterstüt-zung an die gesamte Zivilgesellschaft in der arabischenWelt und in Nordafrika.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nach dieser Regierungserklärung eröffne ich jetzt die
Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dr. Rolf
Mützenich von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inder Tat ist es angesichts der schrecklichen Bilder aus Ja-pan schwer, sich heute im Parlament auf andere Themenzu konzentrieren. Wir müssen es tun, aber ich will andieser Stelle sagen, dass wir gestern als Deutsch-Japani-ssudsFuzDacinweliasddsensbanbbwlekgascimNdwdAhwswbDnz
In der Tat ist das, was in der arabischen Welt, in Nord-frika und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft pas-iert, ein wichtiges Thema. Ich glaube, wir müssen eineseutlich machen: Libyen ist nicht das Gesicht der Verän-erung in Nordafrika oder in der arabischen Welt. Dasind vielmehr die jungen Menschen, die mutigen Frauen;s sind diejenigen, die auf dem Tahrir-Platz oder in Tu-is demonstriert haben – einige haben ihr Leben gelas-en oder sind verletzt worden – und Regime gestürzt ha-en. Das ist das Bild, und das muss auch unser Bild derrabischen Welt insgesamt bleiben, weil das nach mei-em Dafürhalten auch die Chancen deutlich macht.Diese Menschen wollen in ihren Gesellschaften le-en. Sie wollen nicht fliehen. Sie wollen etwas auf-auen, das es ihnen möglich macht, mit Europa in einerichtigen Region, in der Mittelmeerwelt, zusammenzu-ben, die in der Zukunft Prosperität und Kultur zeigenann. Ich glaube, wir müssen den deutschen Bundesbür-ern auch vermitteln, dass selbst angesichts der Bilderus Libyen in dieser Entwicklung mehr Chancen als Ri-iken liegen.
Auch wenn an dieser Stelle nicht oft darüber gespro-hen wird, sind natürlich Fehler gemacht worden, auchmer dann, wenn es um totalitäre Regime in unsererachbarschaft ging. Dennoch möchte ich Sie fragen, obie scheinbar einfachen Antworten auf eine solche Frageirklich zutreffen. Denn was wäre passiert, wenn wir inen 90er-Jahren nicht mit Gaddafi über den Verzicht auftomwaffen verhandelt und wenn wir nicht versuchtätten, das Gespräch über einen Verzicht zu suchen? Wirären heute in einer Situation, die die Bearbeitung die-er internationalen Krise noch erschweren würde! Des-egen darf man nicht einfach diese Alternativen so auf-auen.Ich bekenne mich dazu, dass Fehler bei einzelneningen gemacht worden sind. Aber man darf das nichtur schwarz-weiß darstellen. Deswegen gibt es zum jet-igen Zeitpunkt keine einfachen Lösungen, um mit der
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Dr. Rolf Mützenich
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libyschen Krise umzugehen, was nach meinem Dafür-halten in erster Priorität zivil und friedlich geschehensollte.Für mich zählt dazu, dass insbesondere die internatio-nale Gemeinschaft geeint bleibt. Denn das ist eines derwichtigsten Instrumente, um überhaupt Einfluss zu neh-men. Deswegen war es gut, dass es die Sicherheitsrats-resolution 1970 gegeben hat.Das ist oft schnell zur Seite geschoben worden. Plötz-lich haben auch einige Länder gesagt: „Wir sind fürSanktionen und sogar für das Instrument des Internatio-nalen Strafgerichtshofes“, die das für sich selbst nichtwollen. Sie begreifen diesen Internationalen Strafge-richtshof als Fortschritt des Völkerrechts. Deshalb wol-len sie ihn als Instrument einsetzen. Das sind wichtigeDinge, die nach meinem Dafürhalten in den letztenWochen und Monaten vorangekommen sind. HerrWesterwelle, Sie haben auf die Sanktionen und auf an-dere Dinge hingewiesen.Dennoch, Herr Bundesaußenminister: Die UN-Chartabeinhaltet auch das Instrument der Flugverbotszone.Deswegen wäre es eine kluge Politik, wenn wir in der in-ternationalen Gemeinschaft zusammenbleiben wollen,deutlich zu machen, dass wir alle Instrumente der UN-Charta wollen. Dann sollte man nicht schon im Vorgriffsagen, dass all diese Instrumente möglicherweise nichtwirken. Ich glaube, auch die Bundesregierung sollteetwas offener vorgehen; denn das gehört genauso wiedamals zum Sanktionskatalog dazu, als die Resolu-tion 1970 beschlossen worden ist.
Aber, Herr Außenminister, da gebe ich Ihnen recht:Man muss auch abwägen. Wir haben Erfahrungen imIrak, im Kosovo und an anderer Stelle gemacht. Wir ma-chen auch die Erfahrung, dass es offensichtlich nicht nurdie libysche Luftwaffe ist, sondern im Gegenteil: Wahr-scheinlich macht es das, was auf dem Boden passiert,den Aufständischen so schwer, auch militärisch demDruck von Gaddafi zu widerstehen. Auch diese Fragenmüssen gestellt werden.Aber dennoch: Innerhalb des Militärbündnisses müs-sen diese Optionen weiter auf dem Tisch bleiben, weitergeprüft werden, und unter Umständen, wenn es noch ei-nen Beschluss im Sicherheitsrat geben sollte, muss auchhier erwogen werden, ob es notwendig ist, sie zu nutzen.Herr Bundesaußenminister, ich habe einen großenTeil Ihrer Versuche unterstützt, innerhalb der internatio-nalen Gemeinschaft für Weltsicherheitsratsresolutionenund für anderes mehr zu werben. Aber was ich von Ih-nen in Bezug auf die innenpolitische Diskussion gehörthabe, hat, finde ich, dem Fass den Boden ausgeschlagen.Sie haben in einem Interview im Morgenmagazin am11. März 2011 gesagt:Meine Aufgabe als Außenminister ist, dafür zu sor-gen, dass wir als Deutsche nicht leichtfertig in ei-nen Krieg hineingezogen werden, aus dem wir dannviele Jahre nicht hinauskommen können.DuDEbhWeAtebmBvsAMdbrübfoaA2bBcmwgdüinscIhdmBrüpin
s sind wir von Rot-Grün gewesen, die verhindert ha-en, dass wir als Deutsche im Irakkrieg mit interveniertaben. Neben Ihnen sitzt eine Bundeskanzlerin, die nachashington geflogen ist und den damaligen Präsidentenrmutigt hat, dort zu intervenieren.
ls Vertreter der SPD-Fraktion lasse ich es mir nicht bie-n, dass Sie diese Verknüpfung herstellen. Das ist schä-ig. Ich finde, das gehört zu einem Versuch, eine ge-einsame außenpolitische Position des Deutschenundestages zu halten, nicht dazu.Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegenersuchen, diese innenpolitischen Debatten sein zu las-en. Ich habe das in den vergangenen Tagen versucht.ber wichtig ist, Sie daran zu erinnern, dass auch Sie alsitglied der Bundesregierung hierbei in der Pflicht sind.
Oft ist hier über die Arabische Liga gesprochen wor-en und darüber, dass sie uns auffordert, einer Flugver-otszone zuzustimmen. Heute Morgen haben wir da-ber auch im Auswärtigen Ausschuss gesprochen. Esietet sich ein sehr spannendes Bild. Auf der einen Seiterdert die Arabische Liga eine Flugverbotszone, auf dernderen Seite sagt sie, die Einmischung in die innerenngelegenheiten anderer Länder sei nicht erlaubt.4 Stunden später schickt ein wichtiges Land dieser Ara-ischen Liga, nämlich Saudi-Arabien, Truppen nachahrain und schafft damit möglicherweise eine zusätzli-he Krisensituation. Dann erfahren wir, dass elf Außen-inister bei der Sitzung der Arabischen Liga anwesendaren und zwei oder drei gegen diese Flugverbotszoneestimmt haben. Ich finde, zur Redlichkeit gegenüberiesem Instrument gehört – auch in der Berichterstattung –,ber diese Entscheidungen hier zu informieren.Herr Bundesaußenminister, Sie haben zum Schlusssbesondere über die Rolle der Europäischen Union ge-prochen. Das haben auch wir in den vergangenen Wo-hen hier im Deutschen Bundestag getan. Ich unterstützere Aufforderung, zum Beispiel an Deutschland und an-ere europäische Staaten, im Bereich der Bildung etc.ehr zu tun. Das gilt aber genauso für die Agrarpolitik.ei dieser Aussage ist eben hier geklatscht worden. Da-ber wird es nicht nur zum Schwur innerhalb der Euro-äischen Union kommen; es kommt auch zum Schwurnerhalb des Kabinetts. Mich würde interessieren, wie
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Dr. Rolf Mützenich
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Sie möglicherweise die anderen Kabinettsmitglieder vonder Freizügigkeit überzeugen, die Sie an dieser Stelleeingefordert haben.
Ich glaube, es kommt darauf an, dass wir auch in die-ser schwierigen Situation eine Außenpolitik betreiben,bei der die Parteien des Deutschen Bundestages zusam-menbleiben. Ich biete Ihnen, Herr Bundesaußenminister,und dem gesamten Kabinett das an. Ich bitte Sie deshalb,von dem einen oder anderen Reflex, den Sie möglicher-weise noch aus alten Zeiten übernommen haben, in IhrerRegierungstätigkeit abzusehen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gaddafi führt Krieg gegen das libysche Volk. Ich sagebewusst nicht „gegen das eigene Volk“ oder „gegen seinVolk“; denn die Menschen in Libyen kämpfen für ihreFreiheit gegen einen Diktator, der schlimme Verbrechengegen die Menschlichkeit begeht. Die libysche Führungmuss abtreten und für ihr Handeln zur Rechenschaft ge-zogen werden.Die Staatengemeinschaft hat entschlossen gehandelt,Gaddafi ist isoliert, die EU hat ebenso wie die USAschnell Sanktionen gegen das libysche Regime verhängt.Über weitere wird diskutiert. Der VN-Sicherheitsrat hatim Februar mit der Zustimmung Russlands und ChinasStrafmaßnahmen gegen die libysche Führung verhängtund den Internationalen Strafgerichtshof mit Ermittlun-gen beauftragt. Deutschland hat zu dieser Entscheidungim Sicherheitsrat maßgeblich ermutigt. Die CDU/CSU-Fraktion dankt der Bundesregierung für ihr Engagementund ihre klare Haltung.
Aber ich sage auch: Das reicht nicht. Gestern hatGaddafi in einem Gespräch mit RTL gesagt, Deutsch-land habe im Unterschied zu vielen anderen westlichenLändern eine sehr gute Position eingenommen, weshalber sich vorstellen könne, dass Deutschland weiterhin Öl-aufträge bekomme. Das zeigt nur, wie paranoid dieserMann ist und wie sicher er sich im Sattel fühlt. Es zeigtvor allem, wie wichtig es ist, dass wir im Sicherheitsratweiter darauf drängen, alle verantwortbaren Maßnahmenzu prüfen, damit der Gewalt in Libyen so schnell wiemöglich ein Ende gesetzt wird. Das sage ich nicht nuraFbcbknKadsSDcgste–WzssrimwkzDesdaKnndteBuSRdruEztämsAg
as von der Arabischen Liga geforderte Mandat der Ver-inten Nationen ist sicherlich zwingend die erste Voraus-etzung; entscheidend ist jedoch, dass auch beim Schutzer Zivilbevölkerung in Libyen die arabische Eigenver-ntwortung im Vordergrund steht. Jeder muss sich imlaren darüber sein, dass allein durch die Einrichtung ei-er Flugverbotszone das Morden des Gaddafi-Regimesicht beendet wird. Wer stoppt die Panzer, die Artillerie,ie gut ausgebildeten Söldnertruppen Gaddafis? Spätes-ns dann stellt sich die Frage nach einem Einsatz amoden. Saudi-Arabien entsendet Soldaten nach Bahrain,m das bedrängte Königshaus zu verteidigen. Zumchutz einer Befreiungsbewegung in Libyen unternimmtiad bislang nichts. Wenn dies aber ausschließlich voner NATO und der EU als Konsequenz aus der Erklä-ng der Arabischen Liga erwartet wird, muss ich sagen:ine solche Arbeitsteilung ist mit uns nicht zu machen.
Die Arabische Liga muss, wenn sie eine Flugverbots-one fordert, nicht nur politisch, sondern auch mili-risch Verantwortung bei der Durchsetzung und denöglichen weiteren Konsequenzen übernehmen. Insbe-ondere Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigtenrabischen Emirate sind hier gefordert; denn sie verfü-en über die notwendigen militärischen Fähigkeiten,
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Dr. Andreas Schockenhoff
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einschließlich einer modernen Luftwaffe. Die ArabischeLiga spricht sich in ihrem Gründungsakt für die Einheitder arabischen Nation aus. Warum sind die arabischenStaaten, die das koloniale Erbe überwunden haben, bis-her nicht bereit, dem bedrohten libyschen Brudervolk zuHilfe zu kommen? Das wäre eine arabische und nicht er-neut eine von außen geführte Intervention.Wir lassen die Freiheitsbewegung nicht im Stich.Aber wie sollen, solange die Staaten der ArabischenLiga nicht bereit sind, militärisch zu handeln, die NATOoder die EU militärisch unterstützend tätig werden kön-nen? Es geht um politische und militärische Unterstüt-zung; aber der Transformationsprozess – Herr Außen-minister, darauf haben Sie zu Recht hingewiesen – mussvon der libyschen Freiheitsbewegung gestaltet werden.In Ägypten und Tunesien geht es jetzt darum, in kur-zer Zeit die institutionellen und verfassungsrechtlichenVoraussetzungen zu schaffen, um freie und faire Wahlendurchführen zu können. Der Zeitpunkt dieser Wahlensollte so gewählt werden, dass wirkliche Chancengleich-heit gewährleistet ist. Bei dem notwendigen Aufbau vonParteistrukturen und Jugendorganisationen können diedeutschen politischen Stiftungen eine maßgebliche Rollespielen.Extreme Islamisten spielen bei den Umbrüchen inNordafrika bisher keine Rolle. Viele Träger des Wandelsin Ägypten und Tunesien sind neue politische und ge-sellschaftliche Kräfte. In Ägypten haben die Muslimbrü-der ihr Oppositionsmonopol verloren. Frauen haben beiden Protesten – auch das wurde schon gesagt – einemaßgebliche Rolle gespielt. Mit diesen Kräften muss derDialog verstärkt werden mit dem Ziel, eine gleichbe-rechtigte Bürgergesellschaft aufzubauen. Dieser Prozessmuss inklusiv sein und auch die moderaten islamischenKräfte einbeziehen. Gerade die Muslimbrüder müssen indie politische Mitverantwortung für den demokratischenWandel genommen werden. Von zentraler Bedeutung istfür unsere Fraktion, dass der politische und gesellschaft-liche Wandel nicht zulasten religiöser Minderheitengeht. Das gilt gerade für die christliche Glaubensge-meinschaft der Kopten in Ägypten.Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die führendeRolle, die die Bundesregierung in den vergangenen Wo-chen bei der Unterstützung dieses historischen Wandelsin der arabischen Welt gespielt hat. Die von Deutschlandmit Erfolg angestoßene Transformationspartnerschaftmit Tunesien und Ägypten sollte als Vorbild für die Zu-sammenarbeit mit weiteren Staaten dienen, auch mitdenen, die noch nicht in erheblichem Ausmaß von derProtestwelle und dem demokratischen Transformations-prozess erfasst worden sind.Es ist konsequent, dass die Europäische Nachbar-schaftspolitik auf den Prüfstand gestellt wird. Auch hierhat die Bundesregierung eine führende Rolle übernom-men. Unsere Unterstützungsmaßnahmen müssen vieldeutlicher als bisher an gute Regierungsführung sowiean politische und rechtsstaatliche Reformen gebundenwerden.mbwhdnruliÖefüabsWdnglogztewwGrefüavngaFadhscvbtrSte
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10822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
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sagt: Vom Westen wollen wir überhaupt nichts wissen. –Da habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Ich glaubeauch nicht, dass Deutschland in erheblichem Maße andiesem Umbruch im positiven Sinne beteiligt war, son-dern eigentlich eher im negativen Sinne. Wir haben alldie Regime mit zu verantworten gehabt. Wir haben siegestützt, gestärkt, ihnen die Hand gehalten, und wir ha-ben mit ihnen paktiert. Auch das gehört zur Wahrheitdazu.Deswegen sollte die erste Botschaft des Bundestagessein, dass wir uns mit großem Respekt an die Menschenwenden, die ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzthaben, um Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtig-keit zu erreichen: in Ägypten, in Tunesien und auch inLibyen. Diesen Respekt sollten wir in diesem Hause aus-sprechen und sagen: Es war nicht unser Umbruch. Eswar nicht unsere Revolution. Es war euer Umbruch. Eswar eure Revolution. Dafür sind wir euch dankbar. Da-von erwarten wir uns auch etwas für uns und für die Ge-staltung hier in unserem Lande.
Meine zweite Bitte ist, dass wir viel dafür tun, dassder Freiheitsimpuls aus den nordafrikanischen und arabi-schen Ländern durch die Unterdrückung der Freiheitdurch Gaddafi oder Bahrain nicht verloren geht. Er mussim Vordergrund bleiben.Da manche noch mit dem Bild herumrennen, Gaddafihabe angeblich einmal etwas mit einer antiimperialisti-schen Bewegung zu tun gehabt, möchte ich Folgendessagen: Gaddafi ist nicht links, Gaddafi ist nicht Freiheit,sondern Gaddafi ist das Gegenteil von links und vonFreiheit. Eine solche Politik darf man – und das gilt auchfür eine ganze Reihe anderer Länder – nicht unterstüt-zen, egal wo in der Welt man Verantwortung trägt.
– Ach komm, hör auf!Ich möchte aber gerade in diesem Zusammenhang dieFrage stellen: Wie kann man überhaupt helfen? WelcheMöglichkeiten haben wir außer Krieg und dem Einsatzvon Militär, wenn man diese nicht als Hilfsmittel an-sieht, sondern eher als das Gegenteil davon? Ich denke,dass man, auch in Libyen, nach wie vor auf die Vermitt-lung zwischen den Bürgerkriegsparteien setzen muss.Das klingt nicht leicht; aber es wäre eine Aufgabe fürDeutschland, das auch im Weltsicherheitsrat der Verein-ten Nationen durchzusetzen. Vermitteln ist in einer sol-chen Situation besser, als die Menschen weiter aufeinan-der schießen zu lassen. Wer die Menschen wirklichretten will, muss sich für eine Vermittlung einsetzen.
Ich bin strikt dafür, dass handelspolitische Maßnah-men ergriffen werden. Wenn wir für Öl kein Geld mehrbezahlen und die Öllieferungen ausgesetzt werden, wirduns das zwar in Probleme bringen. Es wäre aber einwGFWeNfereNgWkksRFsDaIcvkCIrEwrewktemwwdLmdaPpAdliMreabwtiF
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sche Unterstützung, weder für Gaddafi noch gegen ihn!Das ist kein Mittel.
Ich schlage vor, dass wir auch über ein paar andereDinge nachdenken, bei denen wir uns unserer eigenenRolle vielleicht nicht ganz sicher sind. Ich fand den Ein-wand, dass man auch mit Schurken in Staatsämtern ver-handeln muss, richtig; das war immer auch meine Posi-tion.
Aber Verhandeln ist etwas anderes als Paktieren. UnserLand hat mit solchen Schurken in Staatsämtern paktiert,zum Beispiel mit Mubarak, den wir finanziert und imAmt gehalten haben. Unser Land hat mit Gaddafi pak-tiert, und zwar einzig und allein aus dem Grunde, dass erdie Flüchtlinge in Libyen hält und diese nicht nachEuropa lässt. Das Paktieren mit Schurken gilt auch inBezug auf Ben Ali. Das darf sich nicht wiederholen. Dasist aber doch das Bild, das sich ergibt. Die Schlussfolge-rung müsste sein: Verhandeln ja, aber nicht paktieren.Ich möchte gern, dass hier klar wird: Wir stellen dieWaffenexporte ein. Deutschland hat an Saudi-Arabien,an Libyen, an die Vereinigten Arabischen Emirate Waf-fen in großem Umfang geliefert und dafür Geld kassiert.Auch das muss hier einmal ausgesprochen werden: EinTeil der Waffen, mit denen jetzt in Bahrain gegen dieDemonstranten vorgegangen wird, stammt aus Deutsch-land bzw. ist von Deutschland geliefert worden. Wollenwir das etwa fortsetzen? Ich finde, darauf gibt es nureine einzige Antwort: Sofort beenden!
Es kann doch nicht dabei bleiben, dass wir mit unse-rer Politik dazu beitragen, dass sich die Preise von Nah-rungsmitteln so erhöhen, dass sich Menschen in vielenTeilen der Welt sie nicht mehr leisten können. Die Poli-tik muss sich nicht nur im Nahen Osten, in den arabi-schen Ländern ändern. Auch wir müssen die Grundlagenunserer Politik ändern. Damit zeigen wir, dass wir etwasvon dem begriffen haben, was uns die Menschen aufdem Tahrir-Platz vorgemacht haben.Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Rainer
Stinner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Tunesien, Ägypten, Libyen, Bahrain, Jemen: Es zeigtsich, dass das, was in Tunesien anfing – vor einigen Wo-chen haben wir uns ja noch gefragt, ob das weitergeht –,mittlerweile Realität geworden ist. Allerdings bitte ichSLLddvsdNpeteimeeAisfateicwWswsssWsfetävWkzvm„dbtetäVgngsEmd
Jetzt ist natürlich völlig klar: Wenn es dazu kommenollte, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dieinrichtung einer Flugverbotszone beschließt, dannuss sich Deutschland Gedanken darüber machen, werenn dort eventuell eingreifen könnte. Ich stehe da unter
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Dr. Rainer Stinner
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dem Eindruck des Besuchs einer Konferenz in Oman amletzten Wochenende, wo wir öfter folgenden Dreiklanggehört haben: Erstens. Der Westen versteht uns nicht, hatkeine Ahnung und hat in der ganzen Großregion – inAfghanistan, aber auch im Nahen Osten – vieles falschgemacht. Zweitens. Jetzt muss dringend etwas gemachtwerden in Libyen. Drittens. Das können nicht wir; dasmüsst ihr machen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kommt bei mirnicht gut an. Deshalb sage ich unseren Freunden in derArabischen Liga sehr deutlich: Jetzt ist die arabischeWelt zunächst einmal selbst gefordert.
Ich weiß nicht, wie die Entscheidung der internationa-len Gemeinschaft ausfallen wird. Wenn aber die UN Ent-sprechendes beschließen, müssen auch wir neu nachden-ken. Es wird allerdings unter keinen Umständen dieZustimmung von mir und meiner Fraktion finden, dassder Westen wieder einmal allein als Problemlöser auftrittund sich andere einen schlanken Fuß machen, um unsspäter dafür zu verdammen, dass wir etwas falsch ge-macht haben. Das geht nicht mehr.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ganz kurz aufden Vorwurf der Opposition eingehen, die Regierunghätte den rettenden Einsatz in Libyen rechtlich nichtrichtig gehandhabt. Wir von der FDP-Fraktion habendiesbezüglich die weißeste Weste, die es auf Erden ge-ben kann.
Erstens hat unsere Fraktion das AWACS-Urteil er-stritten.Zweitens haben wir zu Zeiten der rot-grünen Koali-tion ein Bundestagsbeteiligungsgesetz vorgelegt, das Sieleider abgelehnt haben. Hätten wir heute das Gesetz, daswir damals vorgeschlagen haben, wäre das Beteiligungs-recht des Parlaments deutlicher definiert und wir wärenbesser dran. Es war Ihr Fehler, unter dem Sie heute lei-den.
Wir haben uns die Entscheidung nicht einfach ge-macht. Wir haben sorgfältig geprüft, und nach Abwä-gung aller Aspekte kommen wir zu dem eindeutigenSchluss – mich beeindruckt insbesondere eine Seite desAWACS-Urteils –, dass das Vorgehen der Bundesregie-rung in diesem Fall völlig richtig war und eine Manda-tierung nicht notwendig ist.Dennoch, lieber Herr Mützenich, ist es natürlich imInteresse der Bundesregierung und der sie tragendenParteien, die Opposition möglichst umfassend in Ent-scheidungsprozesse mit einzubeziehen. Das ist im Vor-hinein durch die Information der Fraktionsvorsitzendenund im Nachhinein durch die Information der Obleutegeschehen. Herr Mützenich, die Bundesregierung hat eingroßes Interesse daran, bei kritischen Einsätzen, die demdEzmnDddwRnNWnUHLHuUpmteRnDHa
as dient unserem Interesse, und das dient vor allem
em Interesse der betroffenen Menschen.
Vielen Dank.
Herr Kollege, ich wollte Sie gar nicht stoppen, son-ern Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassenollen. Das ist aber jetzt nicht mehr möglich, denn dieedezeit ist leider überschritten.Ich gebe dem Kollegen Frithjof Schmidt für Bünd-is 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir sind Zeugen eines historischen Umbruchs. Millio-en Menschen in der arabischen Welt stehen auf gegennterdrückung und stehen auf gegen ihre korruptenerrscher. Diese Menschen kämpfen unter Einsatz ihresebens für Freiheit und Demokratie. Ihnen gehört unsereochachtung und Solidarität.
Diese demokratische Revolution kam, glaube ich, fürns alle überraschend. Deutschland und die Europäischenion haben in dieser Region Politik nach den Prinzi-ien „Für Stabilität sorgen“ und „Kampf gegen den isla-istischen Terrorismus“ gemacht. Deshalb hat der Wes-n einseitig auf enge Bündnisse mit autoritärenegimen gesetzt. Demokratische Bewegungen wurdenicht ausreichend unterstützt.Ehrlicherweise müssen wir deshalb Selbstkritik üben.as betrifft alle Regierungen der letzten zehn Jahre.
err Außenminister, diese Selbstkritik hätte ich heuteuch von Ihnen erwartet.
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Dr. Frithjof Schmidt
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Ich finde es schade, dass Sie nicht die Kraft aufgebrachthaben, sich das für Ihr Regierungshandeln einzugeste-hen.Auch ein selbstkritisches Wort von der Frau Bundes-kanzlerin wäre durchaus angebracht. Die Fehlkonstruk-tion der Union für das Mittelmeer geht maßgeblich aufdas Konto von Präsident Sarkozy und das von FrauMerkel. Sie haben sich damals dafür feiern lassen. Dashat alle bisherigen Fehler der europäischen Politik inNordafrika verschärft. Das fand damals bereits Kritik;diese aber haben Sie ignoriert.
Auch die Reaktionen der Europäischen Union, aberauch der Bundesregierung auf den Umbruch waren zuBeginn von Zaudern und Zögern geprägt. Herr Außen-minister, auch Sie haben lange gebraucht, um sich ein-deutig auf die Seite der Demokratiebewegung in Tune-sien und Ägypten zu stellen. Ich meine, zu lange.
In diesen Ländern ist es gelungen, Machthaber zumRücktritt zu zwingen, die bis vor kurzem noch als unan-tastbar galten. Dieser Erfolg hat in diesen Ländern zwarauch vielen Menschen das Leben gekostet, aber Armeeund Teile der Sicherheitskräfte haben sich dort auf dieSeite der Demonstranten gestellt und so ein schlimmeresBlutbad verhindert.In anderen Ländern sieht das gerade leider nicht soaus. In Libyen, wo Gaddafi mit großer Brutalität gegendie eigene Bevölkerung vorgeht, spitzt sich die Lage zu,aber auch in Bahrain. Mit dem Einmarsch von etwa1 000 saudi-arabischen Soldaten hat der Golfkoopera-tionsrat dort eine neue, sehr gefährliche Stufe der Eska-lation eingeleitet.
Auch im Jemen sucht die Regierung die Konfrontation.Das schreckliche Beispiel von Oberst Gaddafi strahlt be-reits aus. Wenn wir die Bilder aus Libyen sehen, fühlenwir wohl alle Wut und Entsetzen.Ja, es ist klar: Gaddafi muss weg. Und es ist gut, dasssich die internationale Gemeinschaft darin einig ist. Eswar ein wichtiger Schritt, den Internationalen Strafge-richtshof einzuschalten. Ebenso wichtig war es, Sanktio-nen zu verabschieden. All diese Schritte waren gut, abernicht ausreichend. Mir ist es völlig unverständlich, dasses noch immer nicht gelungen ist, Gaddafi den Geldhahnzuzudrehen.
Noch immer gibt es keinen Bann gegen Ölfirmen, die li-bysches Öl kaufen oder verkaufen. Es gibt nicht einmaleine Liste.NGmnbeSsmWFDgEDLsdGritikmDshrekdHuddTocdbDddbzk
och immer fließt Ölgeld nach Libyen und fülltaddafis Kriegskasse. Das ist skandalös, und damituss Schluss sein.Auch bei der Stärkung der libyschen Opposition isticht genug getan worden. Sie, Herr Außenminister, ha-en Vertreter der Opposition hier in Berlin noch nichtinmal empfangen. Das verstehe ich nicht. Oder habenie sonst etwas getan, um die Opposition in Libyen zutärken? Ich sehe da nichts.Es zerreißt einen innerlich, wenn man Gaddafis Vor-arsch sieht. Er hat gut ausgebildete Truppen mit neuenaffen, die in den letzten Jahren geliefert wurden: ausrankreich, aus Italien, aus Großbritannien. Aucheutschland hat seit der Aufhebung des Waffenembar-os 2004 Rüstungsgüter im Wert von über 112 Millionenuro an Libyen geliefert, darunter auch Hubschrauber.as war unverantwortlich.
Wir alle haben schlimme Befürchtungen, was inibyen passiert, sollte Gaddafi weitere Städte der Oppo-ition einnehmen. Über Sanktionen hinaus wird ja auchie Einrichtung einer Flugverbotszone diskutiert, umaddafi zu stoppen. Ich halte eine solche Prüfung fürchtig, wenn die Arabische Liga dies fordert. Es ist rich-g, alle Optionen der UN-Charta zu prüfen, die helfenönnten, die Menschen im Osten Libyens vor Gaddafisöglicher Rache zu schützen.
er Einsatz von Militär ist aber die Ultima Ratio undetzt für uns zwingend ein UN-Mandat voraus. Darüberinaus teile ich in diesem Punkt die Skepsis der Bundes-gierung hinsichtlich der militärischen Durchsetzbar-eit und der Wirkung eines Flugverbotes am Boden. Wirürfen aus dem verständlichen Wunsch nach schnellerilfe nicht Dinge tun, die militärisch nicht funktionierennd kontraproduktiv sind. Auch das muss gesagt wer-en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dieemokratischen Kräfte in der Region stärken. Selbst inunesien und Ägypten ist die weitere Entwicklung nochffen. Es gibt immer noch starke Kräfte, die weitrei-hende Veränderungen verhindern wollen. Die Uhrenürfen hier nicht zurückgedreht werden. Diese Völkerrauchen Unterstützung, und sie wollen Unterstützung.ass aus diesen Ländern erfolgreiche Demokratien wer-en, liegt nicht zuletzt auch im strategischen Interesseer Europäischen Union. Da geht es um Hilfe beim Auf-au von Parteien und Gewerkschaften und um Unterstüt-ung zivilgesellschaftlicher Akteure; zentral ist die Stär-ung der Rolle der Frauen in der Gesellschaft; da geht es
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Dr. Frithjof Schmidt
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um eine Ausweitung der Entwicklungszusammenarbeit,erweiterten Handelszugang, Hochschulkooperationenund vieles mehr.Es ist schon gesagt worden: Es geht um nicht wenigerals eine Neugestaltung der europäischen Nachbar-schaftspolitik. Europa muss aber auch grundsätzlicheLehren aus der arabischen Revolution ziehen: Nie wie-der und nirgendwo dürfen Demokratie und Stabilität sogegeneinander ausgespielt werden, wie wir es in Nord-afrika gemacht haben.
Die Absage an autoritäre Herrschaft und der Glaube andie Kraft der demokratischen Bewegung müssen zumLeitmotiv europäischer Außenpolitik werden, und zwarnicht nur im arabischen Raum.Danke für die Aufmerksamkeit.
Philipp Mißfelder hat das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Am 17. Dezember vergangenen Jahres hat sichder tunesische Gemüsehändler Bouazizi vor lauter Ver-zweiflung selbst verbrannt, nachdem er seinen Gemüse-stand verloren hat und von den Gerichten gedemütigtworden ist. Der Funke des Protestes, der sich daran an-schloss und darin kulminierte, dass das Regime von BenAli gestürzt wurde, sprang nach Ägypten und auf dieganze Region über. Erst seitdem beschäftigen wir uns– das gehört zur Ehrlichkeit in dieser Debatte dazu – imnotwendigen Maße und in angemessener Weise mit die-sem Thema.Ich begrüße zunächst einmal, dass unser Außenminis-ter in den vergangenen Monaten nachhaltige Akzentegesetzt und deutlich gemacht hat, dass sich die Bundes-regierung dieses Themas mehr annimmt, als es vorherder Fall war, und vor allem eine neue Aufgabenteilung inder Europäischen Union gefordert hat. Man muss selbst-kritisch sagen: Themen, die die arabische Welt und denMittelmeerraum insgesamt angingen, sind in der Euro-päischen Union viel zu lang früheren Kolonialmächtenüberlassen worden, die zum Teil aus nicht nachvollzieh-baren Gründen politische Forderungen erheben, welchenach unseren Maßstäben nicht umsetzbar sind und derenUmsetzung aus unserer Sicht auch nicht erstrebenswertist.Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig,dass sich die nördlicheren Länder in der EuropäischenUnion mehr einbringen; das hat der Außenminister ge-macht. Ich möchte deshalb, Herr Minister, Ihre beidenenntemKWMDBhtiWuStiteuswdnPDhmsgvzIcdWfenAdFRWADnIndUgdgsh
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Maßnahmen, über die wir noch vor einer Woche disku-tiert haben, müssen wir heute eventuell gar nicht mehrstreiten, weil sie unter Umständen wirkungslos gewor-den sind. Ich bedauere es sehr, dass eine Chance verpasstworden ist, durch ein entschlosseneres, einheitlicheresAuftreten der Europäischen Union mehr zu erreichen.Angesichts dessen, was sich zurzeit in Libyen voll-zieht, müssen wir uns sehr große Sorgen machen. DieMittelmeerregion gehört zu unserer Nachbarschaft. Wirmüssen dafür werben, dass es dort jetzt nicht zu einerAbrechnung mit der Opposition kommt, dass jetzt keinweiteres Blutvergießen stattfindet. Im Einvernehmen mitden Vereinten Nationen sollten wir alle politischen undweiteren Möglichkeiten dahin gehend prüfen, wie weite-res Blutvergießen verhindert werden kann.
Diese ganze Region ist für uns wichtig. Deutschlandund Europa haben nicht nur, aber auch wirtschaftlicheInteressen. Wir müssen das auch selbstkritisch sagen;dieses Thema ist vorhin schon angesprochen worden.Firmen, die sich in der Vergangenheit in dieser Regionbetätigt haben, fordere ich ausdrücklich auf, bei einemzukünftigen Engagement darauf zu achten, dass dadurchnicht nur die Herrscherfamilie an wirtschaftlichemWohlstand gewinnt, sondern auch in die Ausbildung derjungen Menschen investiert wird, sodass diese eine Zu-kunftsperspektive erhalten.
In den vergangenen Wochen haben wir von eindrück-lichen Beispielen gehört. Man kann zwar sagen, dass dieWirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland undÄgypten gut sind und die Wirtschaftsbeziehungen zwi-schen Deutschland und Tunesien ausgebaut wurden,man kann sogar sagen, dass die Wirtschaftsbeziehungenzwischen Deutschland und Libyen im vergangenen Jahr-zehnt massiv ausgebaut wurden, aber das gilt nur aufdem Papier. Ich habe nämlich zunehmend den Eindruck,dass den normalen Bürgern in diesen Ländern, auch weilwir Fehler gemacht haben, dadurch kaum eine Perspek-tive eröffnet und auch keine Teilhabe am Wohlstand er-möglicht wurde. Ich fordere die deutsche Wirtschaft des-halb dazu auf, bei ihrem weiteren Engagement darauf zuachten, dass sie mehr ausbildet und damit auch den jun-gen Menschen – das ist gerade vor dem Hintergrund derdemografischen Entwicklung in diesen Ländern wichtig –eine bessere Perspektive bietet und damit auch Zuver-sicht für die Zukunft mit auf den Weg gibt.Die Situation in Bahrain, Saudi-Arabien und imJemen ist je unterschiedlich. Jeder Fall birgt aber großeRisiken für uns und tangiert unsere Interessen, auch un-sere vitalen wirtschaftlichen Interessen, und darf unsdeshalb politisch nicht ruhen lassen. Es hat sich heraus-gestellt, dass im Jemen in der Vergangenheit viele Akti-vitäten geplant worden sind, die im Zusammenhang mitdem internationalen Terrorismus zu sehen sind. Sollte esdort zu einer weiteren Verschlechterung der politischenSgeaRSinwragtrdgKVFssvmsgLBledkmwfodMgrelehdneVdga
Günter Gloser hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Mit dem arabischen Frühling beweisen dieölker des Nahen Ostens eindrucksvoll ihr Streben nachreiheit, Gerechtigkeit, aber auch nach sozialem Fort-chritt. Ja, was vielleicht ungewöhnlich ist, was wir nieo recht geglaubt haben, sie kämpfen auch für die uni-ersellen Menschenrechte.Nicht überall haben Revolutionen stattgefunden. Ichöchte die Diskussion wieder ein wenig darauf fokus-ieren, wie es in Tunesien und Ägypten weitergeht. Waseschieht in Libyen? Aber daneben gibt es noch andereänder des Nahen und Mittleren Ostens. Saudi Arabien,ahrain und Jemen wurden hier bereits angesprochen.Ich möchte auch den Maghreb nicht vergessen. In dentzten Tagen hat sich gezeigt, dass möglicherweise auchurch andere Art und Weise ein Umbruch geschehenann. So hat der marokkanische König Mohammed VI.assive Reformen angekündigt. Einen Umbruch stellenir uns eigentlich nicht so vor, dass der König diese Re-rmen einleitet. Aber wenn es dazu kommt, dass er iner Tat – das wäre auch eine Revolution – endlich mehracht an die Regierung, aber auch an das Parlament ab-ibt, dass man in Marokko darüber diskutiert, Politik zugionalisieren, also eine Balance zwischen der zentra-n Ebene und der föderalen Ebene ähnlich wie bei unserzustellen, dann finde ich das einen guten Weg.Aber die erst vor kurzem zu Ende gegangene Reiseer deutsch-maghrebinischen Parlamentariergruppeach Algerien, Marokko und Mauretanien zeigte ja, dasss in anderen Ländern eben nicht so funktioniert. Dieerknüpfung zwischen Politik und Militär ist so eng,ass das politische Denken oft durch militärische Kate-orien bestimmt wird, wie es zum Beispiel in Algerien,ber auch in Mauretanien der Fall ist.
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Günter Gloser
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Nachdem all diese Entwicklungen von uns gemein-sam so festgestellt worden sind, kommt es jetzt auf dieEntschlossenheit der Europäischen Union an und darauf,ob es gelingt, diese Chancen des Aufbruchs zu nutzen,oder ob es am Schluss wieder enttäuschte Hoffnungenvieler Menschen gibt, die ja – beginnend mit dem17. Dezember in Tunesien und noch weit darüberhinaus – doch sehr mutig waren. Der Kollege Mißfelderhat es bereits gesagt. Ich finde, zu dieser Enttäuschungsollte es nicht kommen.Wir haben vorhin völlig zu Recht die Rolle der Arabi-schen Liga angeführt – damit komme ich jetzt auf dasThema Libyen und die Europäische Union zu sprechen –und darauf hingewiesen, dass die Position der Arabi-schen Liga teilweise unklar und unbestimmt gebliebenist, dass sie sehr lange gebraucht hat, um zu einer Ent-scheidung zu kommen, und es natürlich auch wider-sprüchliche Aussagen gegeben hat. Aber, liebe Kollegin-nen und Kollegen, wie sah es denn mit der EuropäischenUnion aus? An dieser Stelle korrigiere ich mich immerund sage: Ich meine nicht die Europäische Union, son-dern ausdrücklich die Mitgliedstaaten. – Hier gab esFehleinschätzungen, Zögerlichkeiten, Spaltung, Hand-lungsunfähigkeit!Herr Außenminister, die Sozialdemokratie hat an die-ser Stelle schon bei den ersten Debatten vor einigen Wo-chen gesagt: Was passiert da eigentlich vor unsererHaustür, eine, zwei, drei Flugstunden von uns entfernt?Und die Europäische Union macht Business as usual.Wir haben damals schon gefordert, dass sich der Euro-päische Rat in einer Sondersitzung damit befassen muss.Dies ist erst jetzt am 11. März geschehen.Ich sage ganz bewusst – ich kenne ja das Verhältnisvon Exekutive zu Legislative –: Es gab kein nationalesParlament, es gab kein Europaparlament, es gab keinenParlamentsvorbehalt, es gab auch kein Gerichtsurteil,das die Mitgliedstaaten der Europäischen Union darangehindert hätte, schleunigst zu handeln. Ich weiß vonden Diskussionen auf der letzten Sitzung des Außenmi-nisterrats – Kollege Staatsminister Hoyer hatte damalsauch über die Initiativen der deutschen Bundesregierungberichtet; das haben wir damals auch ausdrücklich ge-würdigt und unterstützt – und frage: Welches Bild gebendiese Mitgliedstaaten ab?Die Leute können nicht mehr verstehen, dass mansich mit der Krümmung der Gurken und anderen Dingenrelativ schnell und zeitnah beschäftigt, die Mitgliedstaa-ten aber hinsichtlich dieser vor unserer Haustür stattfin-denden Revolution uneinig sind.Ich sage an dieser Stelle Folgendes ganz klar, obwohlich jemand bin, der sowohl aufgrund früherer Funktio-nen als auch jetzt weiterhin zu den deutsch-französi-schen Beziehungen steht: Es ist ein Armutszeugnis. Ichsage dies nicht, um jemanden aus der Regierung gegenandere Partner auszuspielen. Es kann doch einfach nichtangehen, dass die französische Seite, ohne sich abzu-stimmen, Dinge fordert, von denen man weiß, dass sienicht realisiert werden können, beispielsweise was Li-byen angeht. Ich hätte mehr erwartet als immer nur diefeierlichen Gipfel zwischen diesen beiden Ländern. WirmgDRliczmhjevIcsDEGafüakünFßdEdinhnkcABgWmwSmgnnmGUganmkuuM
ber es muss doch nicht erst gewartet werden, bis eineauftragter der Vereinten Nationen oder andere Kolle-innen und Kollegen mit ihnen sprechen. Sie sagen:enn man die Bilder sieht, ist man schockiert, dannuss man handeln. – Trotzdem muss man klug handeln,obei sich die Frage stellt, was kluges Handeln in dieserituation ist. Ich denke, es wäre notwendig gewesen,ehr Antworten auf die von Ihnen selbst gestellten Fra-en zu geben.Letztendlich kommen wir in der Europäischen Unionicht umhin, über unseren Schatten zu springen. Es gehticht mehr an – das sagte der marokkanische Außen-inister –, dass wir in der Europäischen Union schonefahren sehen, wenn mehr Produkte in die Europäischenion eingeführt werden, zum Beispiel schon bei weni-er als 1 Prozent Tomaten aus Marokko, Frühkartoffelnus Ägypten oder mehr Bekleidung. Wir können dochicht ständig Sonntagsreden halten und sagen, dass wirehr kooperieren müssen, und dann am Anfang derommenden Woche, wenn wir zu entscheiden haben,ns dagegen wehren. Bei dieser Frage müssen wir übernseren Schatten springen genauso wie bei der Frage derigration.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10829
Günter Gloser
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Ich stimme Ihnen zu, Herr Außenminister – das habenSie mehrfach gesagt –, dass Hilfe zur Selbsthilfe not-wendig ist, aber lesen Sie beispielsweise einmal dieneuen Ausführungen der Deutschen Gesellschaft fürAuswärtige Politik. Die haben wunderbare Statistikenveröffentlicht, die zeigen, welches Wachstum in denLändern notwendig ist, um die Arbeitslosigkeit zu be-kämpfen. Wir alle wissen, wie schwer das ist. Zwischender Zahl der Abgänger aus Schulen und Universitätenund der Zahl der Arbeitsplätze klaffen Lücken; dazumuss man auch das Wachstum betrachten. Hier geht esum zwei, drei verschiedene Punkte. Ich glaube, dassauch hier ein entsprechendes Handeln der EuropäischenUnion notwendig ist. Einige Mitgliedstaaten, auch unserfranzösischer Partner, müssen bei der Agrarpolitik end-lich über ihren Schatten springen.Noch ein Punkt. Jemen wurde bereits angesprochen.„Friends of Yemen“ tagt seit einigen Monaten, auch mitSaudi-Arabien. Es war für mich schon immer etwasschwierig, nachzuvollziehen, dass man den JeminitenVorschläge macht, wie sie sich organisieren sollen, unddass man ihnen sagt, dass sie Wahlrechtsreformen durch-führen müssen, während der saudi-arabische Partner da-beisitzt. Dazu kommen jetzt die Vorgänge in Bahrain.Mich würde interessieren, wie die Bundesregierungdemnächst mit einer solchen Situation umgeht. Ichglaube, Saudi-Arabien hat da viel verspielt.Mein letzter Punkt; dies muss auch deutlich in Rich-tung unserer Freundinnen und Freunde in Nordafrika ge-sagt werden. Der marokkanische Außenminister sagt:Dem Land gehen 2 Prozent Wachstum allein aufgrunddes ungeklärten Konflikts und der fehlenden Zusammen-arbeit zwischen Algerien und Marokko und des ungelös-ten Problems der Westsahara verloren. Wir erwarten auf-grund all der Anstrengungen, die wir unternehmen, dassendlich auch in dieser Region eine Süd-Süd-Kooperationeingegangen wird. Wenn wir über unseren Schattenspringen, können wir dasselbe auch von den Ländern imSüden erwarten. Sonst sind unsere Anstrengungen fürunsere Bürgerinnen und Bürger nicht verständlich.Vielen Dank.
Marina Schuster hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der Fern-sehbilder, die uns aus Nordafrika, aus der arabischenWelt erreicht haben und erreichen. Ich bin froh, dass un-sere Bundesregierung von Anfang an klargemacht hat,auf wessen Seite sie steht. Wir stehen auf der Seite derDemokraten, und wir haben dies in unseren Positionie-rungen auch klar und deutlich so gesagt.dlaeinWmPEwuPgraFgraAssInSgDdresfrpregeSMFssd5InJsingd
Natürlich können wir mit dem Erscheinungsbild derU nicht zufrieden sein. Umso wichtiger war es, dassir einen klaren Kurs fahren. Dass die EU einheitlichnd geschlossen auftreten muss, haben wir in vielenlenardebatten, auch zu anderen Themen, immer wiederefordert. Umso schlimmer ist natürlich, wenn wir ge-de im Fall von Tunesien und Ägypten, aber auch imall von Libyen erleben, dass die Positionen der Mit-liedstaaten auseinandergehen.Es ist mehrmals angesprochen worden, dass wir ge-de in Libyen Kontakte zur Opposition pflegen sollten.uf Arbeitsebene geschieht dies auch. Nur, eines müs-en wir zur Kenntnis nehmen: Die Lage ist sehr unüber-ichtlich. Wir kennen die Figuren, die dem nationalenterimsrat angehören. Ich glaube, es ist ein Gebot dertunde, dass wir unsere Gesprächspartner und das Vor-ehen auch hier mit Bedacht wählen.
Die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses deseutschen Bundestages haben in Genf an der Sitzung, iner über den Ausschluss Libyens aus dem Menschen-chtsrat diskutiert worden ist, teilgenommen. Die Ent-cheidung, die getroffen wurde, begrüße ich sehr. Ich binoh, dass sich auch die Generalversammlung ganz klarositioniert hat. Angesichts der Schwere der Menschen-chtsverletzungen kann es hier keine andere Antworteben. Libyen hätte nie einen Sitz im Menschenrechtsratrhalten sollen.Meine Damen und Herren, ich möchte kurz auf dieituation der Flüchtlinge eingehen. Markus Löning, derenschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, hatlüchtlingslager an der tunesisch-libyschen Grenze be-ucht. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dassich allein dort 250 000 Flüchtlinge befinden. Die Bun-esregierung hat Hilfe in Höhe von insgesamtMillionen Euro zugesagt. Dabei werden Mittel für dasternationale Komitee vom Roten Kreuz bereitgestellt.etzt geht es auch darum, gerade in Libyen die medizini-che Notversorgung sicherzustellen und die Entwicklung den Flüchtlingslagern genau zu beobachten. Ich be-rüße sehr, dass wir hier humanitäre Hilfe leisten, umie Situation der Flüchtlinge zu verbessern.
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10830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Marina Schuster
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Ich möchte nun ganz kurz auf die politische Situationeingehen. Wir dürfen nicht vergessen: Die Länder Ägyp-ten und Tunesien befinden sich in einer sehr wichtigen,aber auch fragilen Transformationsphase. Unseren poli-tischen Stiftungen bietet sich jetzt die Möglichkeit, dieKontakte, die sie in den vergangenen Jahren aufgebauthaben, zu nutzen. In der Vergangenheit war die Situationallerdings eine andere. Die Angehörigen von Opposi-tionsparteien, zu denen wir Kontakte hatten, wurden in-haftiert, und die Parteien waren nicht zu Wahlen zugelas-sen. Jetzt ist die Möglichkeit da, sich auf die Wahlenvorzubereiten. Deswegen begrüße ich sehr, dass uns mitunseren politischen Stiftungen vor Ort Organisationenzur Verfügung stehen, die mit der Zivilgesellschaft zu-sammenarbeiten und die demokratischen Strukturenstärken können.Eines dürfen wir nicht vergessen – das ist von meinenVorrednern bereits angesprochen worden –: Jetzt geht esnatürlich auch darum, eine ökonomische Perspektive zuschaffen. Die Forderung, unsere eigenen Handelshemm-nisse für Agrarprodukte zu senken, betrifft natürlichauch den Textilsektor. Dazu gehört auch, dass wir denTourismussektor wieder beleben, sofern die Sicherheits-lage in den entsprechenden Gebieten dies zulässt.Eines ist allerdings auch klar: Wenn die sozialenMissstände nicht behoben werden, wenn die ökonomi-sche Verbesserung nicht eintritt, kann dies dazu führen,dass der gesamte Transformationsprozess ins Schlingerngerät. Deswegen ist es wichtig, eine ökonomische Per-spektive zu bieten.
Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Wirhaben uns in den Debatten, die wir im Menschenrechts-ausschuss geführt haben, auch um das Thema Religions-freiheit gekümmert. Ich möchte am Beispiel Ägyptenklarmachen, was es für ein Land, in dem die Staatsreli-gion der Islam ist, in dem die Bevölkerung tief religiösist, heißt, jetzt eine politische Ordnung zu schaffen, dieReligionsfreiheit, Toleranz und Pluralismus beinhaltet.Ich denke, dass auch solche Fragen diskutiert werdenmüssen und dass man sich auch damit befassen muss,wie der Schutz der Religionsfreiheit zugunsten der Men-schen besser ausgestaltet werden kann.
Frau Kollegin!
– Ich komme zum Schluss.
Unser Weg ist klar: Wir bieten Hilfe und Unterstüt-
zung an, allerdings nicht mit dem erhobenen Zeigefinger
oder durch Bevormundung, sondern mit ehrlichen und
brauchbaren Angeboten. Das ist unser Weg, und den
werden wir auch weiterhin gehen.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Seit Wochen sind wir Zeugen des dramatischenmbruchs, der gewaltigen Umwälzungen in der arabi-chen Welt. Dabei hat vor allem die verbrecherischeewalt, mit der Gaddafi in Libyen seine Macht sichernill, weltweit für Empörung gesorgt. Aber auch in ande-n Ländern bleibt die Lage nach gewaltsamen Aus-inandersetzungen zwischen Protestierenden und Si-herheitskräften angespannt. In Algerien, Bahrain,ordanien, Irak, Iran, Marokko und dem Jemen bei-pielsweise ist es in den vergangenen Wochen immerieder zu Protesten gekommen. Dabei gab es zahlreicheerletzte und auch Tote.Am 11. März dieses Jahres ist daher der Europäischeat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenge-ommen, und allein dies ist ein starkes Signal dafür, wieichtig der Europäischen Union eine gemeinsame Re-ktion auf die Geschehnisse ist. So etwas hat es in denergangenen zehn Jahren nur dreimal gegeben: beimeorgienkrieg, beim Irakkrieg und nach den Terroran-chlägen vom 11. September.In vielen arabischen Ländern fürchten die Herrscheren Verlust ihrer Macht. In Tunesien und Ägypten ist derturz der Despoten bereits erfolgt. Bahrain ruft saudi-che Truppen ins Land. In Libyen droht die Revolte ininen langen und blutigen Bürgerkrieg zu münden, wo-r die libysche Führung die alleinige Verantwortungägt.Die internationale Gemeinschaft sieht dem mörderi-chen Wüten Gaddafis nicht tatenlos zu. Zahlreicheanktionen und andere Konsequenzen wurden inzwi-chen von den Vereinten Nationen, der Europäischennion und den USA beschlossen. Damit wurden klareignale gesetzt, dass das menschenverachtende Vorge-en gegen das eigene Volk von der Weltgemeinschafticht hingenommen wird.Was allerdings die Forderung nach der Errichtung ei-er Flugverbotszone angeht, so müssen wir uns – undas ist heute schon mehrmals angesprochen worden –arüber im Klaren sein, dass dies eine militärische Inter-ention bedeutet. Deshalb ist es auch ein klarer Wider-pruch, wenn uns die Arabische Liga einerseits zur Er-chtung einer solchen Zone auffordert, uns andererseitsber gleichzeitig vor jeglicher Form einer militärischentervention warnt.Ein Flugverbot lässt viele Fragen offen und birgt vieleisiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Ara-ische Liga – derzeit hat es diesen Anschein – daranicht beteiligen will. Ich nenne zum Beispiel das Risikoieler ziviler Todesopfer. Zivile Todesopfer in einemrabischen Land durch eine westliche militärische Inter-ention könnten schnell zu einer Verschärfung der im
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10831
Dr. Wolfgang Götzer
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arabischen Raum ohnehin weit verbreiteten antiwestli-chen Stimmung führen.Damit der Wandel hin zur Demokratie Erfolg und Be-stand hat, muss – davon bin ich überzeugt – die Befrei-ung von den alten Machthabern durch die einheimischeBevölkerung selbst erfolgen. So etwas kann nicht inBrüssel oder in Berlin geschehen.Was wir aber tun können und müssen, ist Folgendes:Wir müssen in enger Abstimmung mit den internationa-len Partnern weiterhin darauf hinwirken, dass die Gewaltin Libyen sofort beendet wird.
Nach wie vor hat es auch höchste Priorität, alle huma-nitären Anstrengungen zu unternehmen, um die aus Li-byen in die Nachbarländer geflohenen Menschen zu un-terstützen. Gemeinsam mit den Partnern der EU sollteden Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und des Mitt-leren Ostens ein breites Angebot für eine zielorientierte,bedarfsgerechte und partnerschaftliche Unterstützungdes Wandels unterbreitet werden. Hierfür sollten auch imEU-Haushalt Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.Bei diesem Angebot müssen die Gründe der Protestezum Ausgangspunkt genommen werden, und es muss anden Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein. Ge-rade in der Zeit des Übergangs sind schnelle, spürbareVerbesserungen der Lebensumstände und Erfolge von-nöten, damit der politische Wandel von einer breitenMehrheit der Bevölkerung getragen und akzeptiert wird.Von besonderer Bedeutung ist, dass die Reformen in-stitutionell und verfassungsrechtlich abgesichert werden.Deshalb müssen wir unbedingt unsere Hilfe beim Auf-bau eines Mehrparteiensystems, bei der Vorbereitungund Durchführung freier Wahlen, bei der Stärkung derZivilgesellschaft, bei der Bekämpfung der Korruptionund beim Aufbau einer unabhängigen Justiz anbieten.Die politischen Stiftungen spielen hier eine wichtigeRolle – auch das ist schon erwähnt worden; ich möchtedas noch einmal unterstreichen – und können eine wert-volle Hilfe leisten.
Klar muss auch sein: Finanzielle Unterstützungsleis-tungen der EU müssen zukünftig viel stärker als bislangvon politischen und rechtsstaatlichen Reformen abhän-gig gemacht werden.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bislang gab eskeinen islamischen Staat mit einer funktionierenden De-mokratie nach unseren Maßstäben. Der stattfindendeUmbruch in der arabischen Welt ist eine Chance, dasssich daran etwas ändert.Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!mbruch in der arabischen Welt: Was hat sich im Ver-leich zum vorigen Jahr eigentlich geändert? Ich glaube,er entscheidende Punkt ist: Die Menschen haben keinengst mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnenoralische, materielle und politische Unterstützung ge-en, und ich finde, die Bundesregierung hat dies mit ih-r Antwort auf diese Umbrüche in der arabischen Weltuch entschlossen und klug getan.Wir als Bundesrepublik Deutschland haben Hilfe inorm einer Transformationspartnerschaft in der ganzenreite der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politi-chen Entwicklung angeboten. Wir haben sie in denlick genommen. Gleichzeitig haben wir aber deutlichemacht: Es ist Sache der Araber, der Menschen in die-en Ländern selbst, darüber zu entscheiden, welcheneg sie einschlagen wollen und wie sie sich ihre Zu-unft vorstellen.Die Region hat eine globale Bedeutung. Das habenir in dieser Debatte vielleicht noch etwas wenig be-uchtet. In dem Gebiet von Marokko bis zum Persi-chen Golf liegen die Energiereserven an Öl und Gas fürie ganze Welt, und die Bedeutung dieser Region wirdurch die atomare Katastrophe in Japan eher zu- als ab-ehmen.Auch für Deutschland und die Europäische Union hater Nahe und Mittlere Osten eine strategische Bedeu-ng, und wir haben dort eigene Interessen; das müssenir in dieser Debatte auch sagen.Was sind unsere Interessen?Wir haben erstens ein Interesse an wirtschaftlicherusammenarbeit im Bereich der Energie: beim Öl, beimas und in Zukunft aber auch bei der Solarenergie. Wiraben ein Interesse an den Märkten, die sich in dieseregion auch für unsere Wirtschaft ergeben.Wir haben zweitens ein strategisches Interesse an dericherheit Israels.Wir haben drittens das Interesse, dass wir Migrations-nd Flüchtlingsströme aus dieser Region oder durchiese Region nach Europa vermeiden, vor allen Dingenadurch, dass wir die Ursachen für diese Flüchtlings-tröme in diesen Ländern und gemeinsam mit diesenändern dann auch weiter südlich bekämpfen.Deshalb haben wir viertens ein Interesse an Moderni-ierung, Reformen und guter Regierungsführung.Last, but not least möchte ich fünftens das Interessearan nennen, den Terrorismus, der in dieser Regioneine Wurzeln hat, wie sich immer wieder zeigt, gemein-am mit den Ländern dieser Region zu bekämpfen.
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10832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Ruprecht Polenz
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Was in Tunesien, Ägypten, Libyen und Bahrain ge-schieht, ist zuallererst Sache der Tunesier, Ägypter, Li-byer und Bahrainer. Aber wir müssen ihnen dabei helfen,das selbst zu gestalten. In Tunesien und Ägypten geht esum Partizipation, Demokratie, Rechtsstaat und Men-schenrechte. Die Hilfen sind in der Debatte beschriebenworden. Es geht aber auch um Ökonomie, um die Markt-öffnung auch im Bereich der Agrarpolitik, um Markt-wirtschaft und Korruptionsbekämpfung.Ich will an dieser Stelle ein Stichwort aufgreifen, dasimmer wieder genannt wird, wenn es heißt, die Regionbrauche jetzt einen Marshallplan. Das ist richtig. Siebraucht auch ein Konzept zur interregionalen Zusam-menarbeit. Das ist sehr wichtig. Denn es gibt in der Re-gion genug Geld. Es geht aber auch darum, dass wirdazu beitragen, dass das Milliardenvermögen der BenAlis und Mubaraks, das eigentlich das Geld der Bevöl-kerung dieser Länder ist, wieder seinen Weg dorthin zu-rückfindet. Wir sollten dazu beitragen, dass die hohenzweistelligen Milliardenbeträge – es wird einemschwindlig vor Augen, wenn man hört, welche Summendiese Herrscher zur Seite geschafft haben – zugunstendes Aufbaus der Länder, um die es geht und denen dasGeld eigentlich gehört, zurückgeführt werden.
Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Stinner imHinblick auf Bahrain gesagt hat. Denn ich glaube, dasswegen der Diskussion um Libyen die Brisanz der Ent-wicklung in Bahrain etwas aus dem Blick gerät. Es gibtdrei Besonderheiten, die den Konflikt und die Situationin Bahrain von allen anderen Ländern unterscheiden.Das sind erstens die interreligiöse Dimension des Kon-flikts mit Blick auf die Sunniten und Schiiten und zwei-tens die grenzüberschreitende Dimension wegen einerInvolvierung Saudi-Arabiens einerseits und möglicher-weise des Iran andererseits, die es in anderen Ländernnicht gibt. Drittens gibt es eine internationale Dimen-sion. Denn in Bahrain hat die fünfte amerikanischeFlotte ihre Basis. Das alles macht die Lage dort so bri-sant.Leider hat die Regierung, das Königshaus in Bahrain,auf die ursprünglichen Forderungen nach Partizipationund Reformen nicht konstruktiv reagiert. Sie hat denZeitpunkt verpasst. Aber ich bin mit Ihnen, Herr Stinner,einer Meinung. Die Intervention durch den Golfkoopera-tionsrat mit etwa 500 Polizisten und Saudi-Arabien mitetwa 1 000 Soldaten eskaliert. Auf diese Weise lassensich die Unruhen nicht dauerhaft befrieden. Das ist nurdurch Reformen und Partizipation möglich.Man darf das nicht durch die enge religiöse Brille se-hen, aber es besteht die Gefahr, dass gerade durch die In-tervention Saudi-Arabiens diese Perspektive deutlichverstärkt wird. Wenn wir in Zukunft an einer möglichstwiderspruchsfreien Politik für den Nahen Osten arbeitenwollen, dann dürfen wir nicht zulassen, dass das Re-formtempo in Bahrain durch Saudi-Arabien bestimmtwird. Denn dann dauert es mit Sicherheit zu lange.dzliKaGtesmkezStednddmAhsctrisenbdmteruInsra
Noch eine letzte Bemerkung zu Libyen: Es ist viel zuen Problemen im Zusammenhang mit der Flugverbots-one gesagt worden. Ich habe mich dazu schon öffent-ch geäußert. Ich bin bei meinem Besuch in Oman undatar von meinen arabischen Gesprächspartnern daraufufmerksam gemacht worden, warum Gaddafi gefalleneegner exhumieren lässt. Das sind bestätigte Nachrich-n. Er macht es deshalb, um sie zu identifizieren undich an ihren Familien zu rächen. Das zeigt, was dortöglicherweise auch noch auf die Bevölkerung zu-ommt.Deshalb kann man, Herr Außenminister, wenn manrstens richtigerweise fordert „Gaddafi muss weg!“ undweitens richtigerweise sagt, dass ihn der Internationaletrafgerichtshof erwartet, nicht nur abwarten, dass mit-lfristig Sanktionen dazu führen, dass er irgendwannort landen wird.Ich glaube, wir stehen noch vor der Aufgabe, zu-ächst die Frage einer Resolution und der Beteiligunger Arabischen Liga zu beantworten. Dann geht es umie Umsetzung der Forderung „Gaddafi muss weg! Eruss vor Gericht gestellt werden“. Ich glaube, vor dieserufgabe stehen wir noch. Das wird uns auch im Sicher-eitsrat noch einiges abverlangen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
chließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
he 17/5040. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
ag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
t der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die
inbringende Fraktion abgelehnt. Die übrigen Fraktio-
en haben dagegen gestimmt.
Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 3 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
inettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung
es Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze.
Für den einleitenden Bericht erteile ich dem Bundes-
inister für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehr-n Damen und Herren Abgeordnete! Die Bundesregie-ng hat heute den Gesetzentwurf zur Änderung desfektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze beschlos-en.Sie alle wissen, dass wir in Deutschland eine hervor-gende medizinische Versorgung für die Menschen ha-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10833
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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ben. Allerdings gibt es durchaus auch Probleme; denneinige Infektionen können im Rahmen einer medizini-schen Behandlung erworben werden. Nach Schätzungengibt es pro Jahr circa 400 000 bis 600 000 solcher Fällein Deutschland. Daraus resultierend kommt es zu 7 500bis 15 000 Todesfällen aufgrund solcher im Rahmen ei-ner medizinischen Behandlung erworbenen Infektionen.Erschwerend kommt hinzu, dass es im Rahmen dieserInfektionen besonders häufig Resistenzen gibt, die dieBehandlungen erschweren, die Behandlungszeit verlän-gern und nachteilig für die Patientinnen und Patienten,aber natürlich auch für das Gesundheitssystem insge-samt sind.Die jetzige Bundesregierung, aber auch schon dieVorgängerregierungen haben eine Reihe von Maßnah-men auf den Weg gebracht, um mit solchen sogenanntennosokomialen Infektionen umgehen zu können und siezu reduzieren. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf heutebeschlossen wurde, sollen diese Maßnahmen weiter ge-stärkt und unterstützt werden.Gerade Resistenzen kann man durch eine sinnvolleund richtige Antibiotikagabe vermeiden. Hierzu sollkünftig eine Kommission beim Robert-Koch-Instituteingerichtet werden. Sie wird Leitlinien für Ärztinnen,Ärzte und medizinisches Personal ausgeben, wie manrichtig Antibiotika verordnet und entsprechend anwen-det, um möglichst von vornherein Resistenzen zu ver-hindern. Diese soll „Kommission Antieffektiva, Resis-tenz und Therapie“ heißen, kurz: ART.Eine der Maßnahmen, die schon andere Bundesregie-rungen auf den Weg gebracht haben, ist die sogenannteKommission für Krankenhaushygiene und Infektions-prävention, die ebenfalls am Robert-Koch-Institut ange-siedelt ist. Diese Kommission gibt wissenschaftlicheEmpfehlungen heraus, wie die Abläufe in den Kranken-häusern im Rahmen von Hygienemaßnahmen verbessertwerden können, um auf diesem Wege entsprechende In-fektionen zu vermeiden. Diese Empfehlungen sinddurchaus wissenschaftlich anerkannt – sie sind auch un-streitig –, haben aber den Nachteil, dass es sich dabeibisher nur um Empfehlungen handelt. Das heißt, dasssich nicht alle Krankenhäuser an die vorgegebenen Leit-linien zur Vermeidung von Infektionen im Krankenhaushalten.Das soll durch das Gesetz künftig geändert werden.Die Leitlinien dieser Kommissionen sollen verbindlicherals bisher ausgestaltet werden. Insbesondere soll dasmithilfe der Bundesländer geschehen. Wir wollen denBundesländern die Möglichkeit geben und sie gleichzei-tig auch verpflichten, eigene Hygieneverordnungen aufden Weg zu bringen, um sich orientierend an den Leit-linien dieser Kommissionen auch auf Landesebene dafüreinzusetzen, dass sich flächendeckend alle, insbesonderestationäre Einrichtungen, tatsächlich an den wissen-schaftlich anerkannten Stand zur Infektionshygiene hal-ten.Bisher haben nur 7 von 16 Bundesländern überhaupteine solche eigene Hygieneverordnung. Bislang war esnotwendig, dass die Länder in ihren Landeskranken-hsInVbvLbgdb2addnremwgfeQKpdvpesKsgvsBÄzredinkgvhEvdregMPrekDss
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10834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
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nen und Patienten in Einrichtungen sind bisher nichtBestandteil eines solchen Pflegebenotungssystems ge-wesen. Bei dem Versuch, diese einzuführen, konntensich die Partner nicht einig werden. Deswegen ist in die-sem Gesetzentwurf die Vorgabe einer Schiedsstelle ent-halten, die in solchen Streitfällen zu einer Entscheidungkommt, sodass diese Frage nicht so lange offenbleibtwie bisher, sondern schnell zum Nutzen von Patientin-nen und Patienten entschieden werden kann.So weit, Frau Präsidentin, zur Einführung in das Ge-setz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes undweiterer Gesetze.Vielen Dank.
Mir wurden jetzt zwei Nachfragen zu diesem The-
menbereich und darüber hinaus weitere Fragen avisiert.
Ich rufe die Fragen zu dem Bericht des Gesundheitsmi-
nisters zuerst auf.
Herr Riebsamen hat sich gemeldet.
Herr Minister Rösler, Sie haben ausgeführt, dass pro
Jahr 400 000 bis 600 000 Fälle von Krankenhausinfek-
tionen mit entsprechend vielen Sterbefällen zu beklagen
sind. Mich würde interessieren, wie ehrgeizig man sein
kann, um von dieser Zahl herunterzukommen. Wie rea-
listisch ist es, diese Zahl zu halbieren oder um zumindest
30 oder 40 Prozent zu reduzieren? Wie sieht die Lage im
internationalen und besonders im europäischen Ver-
gleich aus?
Herr Minister, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
Abgeordneter, die Zahlen sind in der Tat beeindruckend.
Im europäischen Vergleich zählen nicht allein die abso-
luten Zahlen, sondern es zählt vor allem der Anteil an
Resistenzen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt.
Ungefähr 20 Prozent dieser Fälle sind mit resistenten Er-
regern infiziert. Nehmen wir die Niederlande als Bei-
spiel: Dort gibt es – es handelt sich um einen kleineren
Staat – ungefähr 100 000 Infektionen. Das ist, was die
Anzahl der Operationen und der stationären Aufnahmen
anbelangt, ungefähr vergleichbar. Von diesen Patienten
ist ungefähr 1 Prozent selber mit resistenten Erregern in-
fiziert. Das heißt, es gibt ein deutliches Übergewicht an
resistenten Erregern in Deutschland, übrigens auch in
anderen Staaten, zum Beispiel in Südosteuropa, aber
auch in Großbritannien. Angesichts dessen muss man
die Zahl der Infektionen senken. Insbesondere muss man
sich des Themas Resistenzen annehmen.
Was die ehrgeizigen Ziele angeht: Wissenschaftler ge-
hen davon aus, dass man durch die sinnvolle Anwen-
dung der vorhandenen Regeln und durch ihre Verbesse-
rung, wie wir sie jetzt vorschlagen, die Anzahl solcher
Infektionen um 20 bis 30 Prozent senken kann. Wie ge-
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10835
)
dass dieses Wissen in den praktischen Alltag übertragenwerden kann.
Herr Spahn, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich
habe noch zwei Fragen zum Gesetzentwurf.
Zuerst eine Vorbemerkung. Nachdem über dieses
Thema in den letzten Jahren viel geredet worden ist, ist
es schön, dass diese Bundesregierung hier im Rahmen
dessen Regelungen vorschlägt, was wir bundesgesetz-
lich regeln können, um die Möglichkeiten vollumfäng-
lich auszuschöpfen. Insofern erst einmal ein Dankeschön
dafür, dass die Bundesregierung hier die Initiative er-
greift und versucht, dieses lang diskutierte Thema abzu-
schließen.
Jetzt möchte ich auf die auch von Ihnen angesproche-
nen Landeshygieneverordnungen zu sprechen kommen.
Wie ist es zu bewerten, dass von den 16 Ländern bis jetzt
nur 7 eine entsprechende Hygieneverordnung für die
Krankenhäuser haben? Wird durch das, was jetzt gere-
gelt werden soll, tatsächlich ein hinreichender Druck
aufgebaut? Gleichzeitig soll mit diesem Gesetz eine
beim sogenannten Pflege-TÜV vorhandene Blockade-
haltung überwunden werden. Darf man das als Bekennt-
nis der Bundesregierung dazu werten, dass die Idee des
Pflege-TÜV und die Transparenz von Pflegeeinrichtun-
gen aufrechterhalten werden sollen?
Herr Minister Rösler, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
Abgeordneter Spahn, was die Bewertung anbelangt,
halte ich mich zurück. Tatsache ist, dass bisher nur 7 von
16 Ländern eigene Hygieneverordnungen erlassen ha-
ben. Das Verfahren ist vergleichsweise aufwendig, weil
die Länder in ihren jeweiligen Krankenhausgesetzen ei-
gene gesetzliche Grundlagen schaffen müssen.
Sollte der Deutsche Bundestag dieses Gesetz verab-
schieden, könnte man auf der Grundlage eines Infek-
tionsschutzgesetzes künftig selbst eine solche Verord-
nung auf den Weg bringen, dies also deutlich schneller
machen. Unser Ziel ist es, zu quasi standardisierten
Hygieneverordnungen zu kommen, und zwar bundes-
weit.
Weiter wird empfohlen, sich an die Empfehlungen der
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektions-
prävention zu halten. Vorgegeben ist, immer den Stand
der Wissenschaft bei solchen Hygieneverordnungen zu
berücksichtigen. Der Gesetzgeber würde dann davon
ausgehen, dass genau das geschehen ist, wenn man sich
an die Richtlinien der KRINKO tatsächlich halten
würde.
Das gibt dem Bund ein bisschen die Sicherheit, dass
erstens die Länder solche Hygieneverordnungen flä-
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10836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
)
Wer antwortet für die Bundesregierung? – Bitte
schön, Herr von Klaeden.
E
Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage, weil
sie sich auf die heutige Kabinettssitzung bezieht.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass § 19
des Atomgesetzes eine Rechtsgrundlage für ein entspre-
chendes Verhalten der Landesaufsichtsbehörden für die
Kernkraftwerke bietet. Deswegen ist eine Stellungnahme
oder eine Festlegung der Bundesregierung nicht erfor-
derlich. Für die Aufsicht über die Kernkraftwerke und
die entsprechenden rechtlichen Maßnahmen, insbeson-
dere die Verwaltungsakte, sind die Landesregierungen
zuständig. An diese sind dann auch die entsprechenden
Fragen zu richten.
Die Kollegin Dorothee Menzner, bitte.
Frau Präsidentin! Ich frage die Bundesregierung, ob
in der heutigen Kabinettssitzung im Zusammenhang mit
dem dreimonatigen Moratorium, wie immer es dann
rechtlich gestrickt ist, auch darüber nachgedacht wurde,
international tätig zu werden: zum einen auf der Ebene
der Vereinten Nationen in Form eines Gespräches über
die Frage der zivilen und militärischen Nutzung von
Atomenergie und zum anderen im Hinblick auf zumin-
dest eine zeitweise Aussetzung und ein Überdenken der
deutschen Importe von atomarer Technik und atomaren
Anlagen, was perspektivisch vielleicht zu der Erkenntnis
führt, dass der Import dieser Technik nicht sinnvoll und
deshalb dauerhaft einzustellen ist.
E
Frau Kollegin, die Bundesregierung wird dieses Mo-
ratorium nutzen – dazu ist es auch gedacht –, die Sicher-
heit unserer Kernkraftwerke vor dem Hintergrund der
Ereignisse in Japan nochmals einer grundlegenden Prü-
fung zu unterziehen. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind
abzuwarten; sie können nicht vorweggenommen wer-
den.
Zu Ihrer Frage zum internationalen Vorgehen will ich
nur darauf verweisen, dass auch auf europäischer Ebene
eine Überprüfung der Sicherheit der Kernkraftwerke
stattfindet. Darüber wurde in der Presse unter dem Stich-
wort „Stresstest“ berichtet.
Der Kollege Ulrich Kelber.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10837
)
dass ein Atomkraftwerk nicht dem gesetzlichen Sicher-heitsstandard entspricht; der andere ist, dass Gefahr fürLeben und Gesundheit befürchtet wird. Herr MinisterRöttgen hat heute im Umweltausschuss gesagt, dass esnicht um akute Gefahrenabwehr gehe. Dann bleibt nach§ 19 Abs. 3 nur die Begründung, dass ein Atomkraft-werk nicht dem gesetzlichen Sicherheitsstandard ent-spricht.Meine Frage an die Bundesregierung lautet: Welchekonkreten Sicherheitsmängel oder Gefahren bestehen indiesen sieben alten Atomkraftwerken heute, die vor we-nigen Wochen oder Tagen noch nicht bestanden haben?E
Frau Kollegin, ich muss auf meine Antwort auf die
Frage des Kollegen Beck verweisen. Die verbindliche
Anwendung von § 19 Atomgesetz obliegt den Ländern,
die die Atomaufsicht führen. Ich werde hier jetzt keine
verbindliche Interpretation dieser Vorschrift vornehmen
können.
Richtig ist, dass den Ländern, die entsprechende
Maßnahmen im Zusammenhang mit diesem Moratorium
getroffen haben oder noch treffen werden, die Möglich-
keit gegeben wird, die Sicherheit unserer Kernkraft-
werke und die Einhaltung des entsprechenden Regelwer-
kes vor dem Hintergrund der Ereignisse in Japan
grundlegend zu überprüfen.
Jetzt ist die Kollegin Heidrun Dittrich an der Reihe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Hat sich die Bundes-
regierung in ihrer heutigen Kabinettssitzung damit be-
fasst, welche Position sie im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen einnehmen möchte, um weltweit Hilfe für die
japanische Bevölkerung zu organisieren, die es bei-
spielsweise ermöglicht, Familien mit Kindern, die der
Strahlung ausgesetzt waren, auszufliegen?
E
Mir ist eine solche Initiative im Sicherheitsrat nicht
bekannt. Klar ist, dass die Bundesregierung der japani-
schen Regierung umfassende Hilfe angeboten hat. Die
ersten Hilfsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Entsen-
dung von Experten des Technischen Hilfswerks, sind an-
gelaufen. Deutschland ist das erste Land gewesen, das
Japan in dieser Weise geholfen hat. Das ist in Japan ent-
sprechend gewürdigt worden.
Der Kollege Matthias Miersch.
Auch ich habe eine Frage zu dem sogenannten Mora-
torium die Atomkraft betreffend. Sie haben ja nicht nur
das Atomgesetz als Grundlage, sondern nach wie vor
den Vertrag, den die Bundesregierung mit den vier gro-
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ie Bundesregierung ist dafür nicht zuständig. Ich ver-
eise auf die Verteilung der Zuständigkeiten nach unse-
m Grundgesetz und bitte um Verständnis, dass ich Ihre
rage deswegen nicht beantworten kann.
Die nächste Frage stellt der Kollege Weinberg.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Bei dem betroffenen
eaktorblock 3 in Japan werden sogenannte Mischoxid-
rennelemente eingesetzt mit einem hohen Anteil an
ochgiftigem Plutonium. Auch im Kernkraftwerk
rohnde sollen MOX-Brennelemente eingesetzt wer-
en. Fällt der Einsatz dieser Elemente unter das dreimo-
atige Moratorium? Würde das nicht Sinn machen?
E
Herr Kollege, ich kann Ihnen diese technische Fragetzt nicht beantworten und kann deswegen die Wertung,ie Sie in Ihrer Frage vorgenommen haben, nicht bestäti-
Metadaten/Kopzeile:
10838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Staatsminister Eckart von Klaeden
)
)
gen. Klar ist aber, dass im Rahmen dieses dreimonatigenMoratoriums vor dem Hintergrund der Ereignisse inJapan eine grundlegende Überprüfung auch der Sicher-heitsbestimmungen bei uns stattfinden wird.
Die Kollegin Höhn.
Es wundert mich schon, dass die Kanzlerin die Idee
eines Moratoriums verkünden konnte, ohne mit den Län-
dern gesprochen zu haben; denn nach dem, was Sie eben
gesagt haben, sind eigentlich die Länder zuständig. Aber
das will ich einmal dahingestellt sein lassen.
Angesichts eines solchen Moratoriums und ange-
sichts der Tatsache, dass die ältesten Atomkraftwerke
drei Monate vom Netz genommen werden – einige wie
beispielsweise Neckarwestheim und Isar 1 will man so-
gar für immer stilllegen; das steht zumindest in der Zei-
tung –, frage ich Sie: Werden die Laufzeiten dieser
Atomkraftwerke auf neuere übertragen? Was haben Sie
dazu im Kabinett entschieden?
E
Dazu ist im Kabinett nichts entschieden worden.
Auch das wäre ja eine Vorwegnahme der Ergebnisse der
Untersuchung, die stattfinden soll.
Ich muss aber Ihren Einleitungssatz korrigieren:
Selbstverständlich hat die Bundeskanzlerin, hat die Bun-
desregierung mit den betroffenen Ländern gesprochen.
– Nein, es hat ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit den
Ministerpräsidenten der betroffenen Länder gegeben.
Dann sind diese Entscheidungen verkündet worden.
Darüber hinaus hat es natürlich Stellungnahmen gege-
ben. Es ist schnell und nachvollziehbar auf die Ereig-
nisse in Japan reagiert worden. Ich möchte mich gar
nicht auf die Überlegung einlassen, wie Ihre Kritik aus-
sehen würde, wenn es entsprechende Äußerungen und
Entscheidungen der Kanzlerin und der Bundesregierung
nicht gegeben hätte.
Herr Kollege Kelber.
Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt, dass es im
Rahmen des Moratoriums keine Genehmigung für die
Übertragung von Restlaufzeiten von älteren Atomkraft-
werken aus den 70er-Jahren auf neuere aus den 80er-
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Herr Kollege Koppelin, die Tagesordnung des Bun-
estages ist mir in der Form, wie Sie sie gerade zitiert
aben, bekannt. Auch Ihre Schilderung des Ablaufs ist
utreffend. Zusätzlich will ich erwähnen, dass die Kanz-
rin am Wochenende zunächst mit dem Vizekanzler be-
prochen hat, wie auf diese Situation zu reagieren ist,
nd dass beide eng das weitere Vorgehen abgestimmt ha-
en.
Der Kollege Ott.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10839
)
)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Angesichts der wun-
derbaren Geschmeidigkeit des Vertreters der Bundes-
regierung in der Regierungsbefragung
und seiner Fähigkeit, allen klaren und konkreten Ant-
worten aus dem Wege zu gehen, verzichte ich auf wei-
tere Fragen zu § 19 Atomgesetz und möchte eine Frage
von allgemeinem Interesse stellen.
Allen in diesem Hause geht es wahrscheinlich ähn-
lich, dass sie sich darüber beklagen, wie wenige Infor-
mationen über Strahlungswerte eigentlich bekannt sind.
Die Betreiberfirma Tepco ist diesbezüglich sehr zurück-
haltend. Es gibt allerdings eine internationale Einrich-
tung, die konstant Daten im gesamten pazifischen Raum
misst und diese an die Regierungen weitergibt. Es han-
delt sich um das Sekretariat des Nuclear Test Ban Treaty.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Sekretariat beim BMU
oder beim Auswärtigen Amt angebunden ist. Ist Ihnen
das bekannt? Können vielleicht die Vertreter und Vertre-
terinnen der jeweiligen Ministerien dazu Stellung neh-
men und prüfen, ob diese Informationen weitergegeben
werden können? Das Sekretariat hat erklärt, ihm seien
leider die Hände gebunden, es könne diese Informatio-
nen selbst nicht weitergeben.
E
Zunächst einmal gehen wir dieser Anregung gerne
nach. Vielleicht können die Kolleginnen und Kollegen
beantworten, ob das bereits der Fall ist.
Auf eines möchte ich hinweisen: Für uns alle gilt,
dass die Ereignisse in Japan unvorhersehbar waren und
eine Zäsur darstellen; auch in der Frage, welche Schwer-
punktsetzungen und welche Abwägungen für die Ener-
gieversorgung unseres Landes zu treffen sind. Daher
bitte ich um Verständnis, dass wir, wenn wir eine solche
grundlegende Überprüfung seriös durchführen wollen,
nicht wenige Stunden oder Tage nach den Ereignissen
– womöglich parallel dazu – bereits Ergebnisse präsen-
tieren können, die eine solche Untersuchung im Grunde
vorwegnehmen.
Der Kollege Hoyer möchte zu der Frage nach dem
Sekretariat des Nuclear Test Ban Treaty etwas sagen.
Herr Hoyer, bitte schön.
D
Herr Kollege, ich würde diese Frage gerne befriedi-
gend beantworten, kann es aber nicht. Der Sache gehe
ich aber gerne nach. Ich kann Ihnen nur versichern, dass
wir, seitdem wir seit dem Wochenende im Krisenreak-
tionszentrum des Auswärtigen Amtes teilweise rund um
die Uhr damit beschäftigt sind, die Kommunikationsauf-
gabe im Zusammenhang mit dieser Krise in den Griff zu
bekommen, uns um nichts mehr bemühen als darum,
möglichst objektive Daten zu sammeln.
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Die Kollegin Heinen-Esser wollte der Beantwortung
och etwas hinzufügen. – Bitte schön.
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Alle Informationen, die wir erhalten – auch zu mögli-
hen Strahlenbelastungen und zu Radioaktivitätswerten –,
erden veröffentlicht, und zwar auf den Internetseiten
es BMU, der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und
nserer nachgeordneten Behörde, dem Bundesamt für
trahlenschutz. Der Präsident, Wolfram König, nimmt
azu regelmäßig Stellung, sodass alle Informationen, die
ir erhalten, sehr schnell der Öffentlichkeit zugänglich
emacht werden.
Jetzt die Frage der Kollegin Bulling-Schröter.
Danke schön, Frau Vorsitzende. – Ich habe gehört,
ass heute im Finanzausschuss darüber diskutiert wurde,
ass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer sinken
ürden, wenn es ein dreimonatiges Moratorium gibt. Es
ab die Aussage der Bundesregierung, das sei kein Pro-
lem. Das passt aber nicht zusammen: Bei einem Mora-
rium von drei Monaten, bei einer Stilllegung von drei
onaten braucht man natürlich weniger Brennelemente.
ie ist diese Antwort zu interpretieren? Oder ist es nicht
och so, dass die Laufzeiten auf die neueren AKWs um-
elegt werden?
E
Ich schlage vor, dass der Parlamentarische Staats-
ekretär aus dem Finanzministerium, der Kollege
oschyk, diese Frage beantwortet, Frau Präsidentin.
Herr Koschyk, bitte schön.
H
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!achdem ich diese Frage heute im Finanzausschusschon beantwortet habe, möchte ich noch einmal fest-tellen: Wir haben im Finanzausschuss mitgeteilt, dass
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10840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
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sich aufgrund des Moratoriums Einnahmeminderungenim Bereich der Kernbrennstoffsteuer ergeben können.Wir können darüber hinaus nichts zu den insgesamt hie-raus resultierenden Einnahmeminderungen sagen, weilnoch nicht endgültig absehbar ist, welche weiteren gene-rellen Schlussfolgerungen sich aus den vom Kollegenvon Klaeden angekündigten Überprüfungen für den Be-trieb von Kernkraftwerken in Deutschland ergeben. Diesich allein aus dem Moratorium ergebenden möglichenMindereinnahmen im Bereich der Kernbrennstoffsteuersind in einer Größenordnung von circa 200 MillionenEuro zu beziffern.
Ich nehme noch zwei Fragen zu diesem Themenbe-
reich an; dann kommen wir zur Fragestunde. – Kollegin
Höfken.
Danke schön. – Herr Kollege von Klaeden, ich will
nur sagen: Rasches Handeln der Bundesregierung um-
fasst natürlich auch gesetzgeberisches Handeln. Insofern
fragen wir zu Recht nach den konkreten Handlungs-
optionen der Bundesregierung. Ich finde, Sie müssen
unsere Frage zu dem beantworten, was die Kanzlerin
verkündet hat. Es geht um folgende Frage: An genau
welchen Punkten unterscheiden sich die Sicherheits-
merkmale der ältesten AKW, die zur Einstellung des Be-
triebes führen, von den Sicherheitsmerkmalen der wei-
terlaufenden AKW?
Wer antwortet?
E
Ich antworte, Frau Präsidentin.
Herr von Klaeden, bitte schön.
E
Ich beginne mit dem Hinweis auf meine vorherige
Antwort; denn Sie haben nahezu wörtlich die vorherige
Frage eines anderen Kollegen bzw. einer anderen Kolle-
gin wiederholt. Insofern bleibt es bei meiner Antwort,
dass die Einschätzung der jeweils aufsichtsführenden
Behörde obliegt. Die Zuständigkeit für diese Behörden
liegt nach unserer Rechtsordnung bei den Ländern.
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önnen Sie uns sagen, welche Ressorts augenblicklich
ber den Vertrag mit den vier großen Energiekonzernen
erhandeln? Die Frage richtet sich auch an die anwesen-
en Regierungsmitglieder; vielleicht können sie uns er-
lären, welche Ressorts darüber verhandeln.
Ich stelle die Frage, weil Sie auf die weitere Nach-
age an anderer Stelle nicht genau geantwortet haben.
E
Herr Kollege, es ist ein Unterschied, ob man mit
nergieversorgungsunternehmen in Kontakt steht oder
it ihnen Verhandlungen über Verträge führt.
oweit mir bekannt ist, werden zurzeit keine Verhand-
ngen über Verträge geführt. Das ist auch ein Gebot der
ogik, denn zunächst einmal ist der Sinn des Morato-
ums, die von mir schon mehrfach erwähnte grundle-
ende Überprüfung durchführen zu können. Aus dieser
berprüfung wird man Konsequenzen ziehen. Das kann,
ie ich dem Kollegen Kelber schon erläutert habe, ge-
etzgeberischer Handlungsbedarf sein; es kann aber auch
ine Anpassung der Verträge sein. Ich würde aber – auch
or dem Hintergrund meiner früheren anwaltlichen Tä-
gkeit – niemandem raten, in Vertragsverhandlungen
inzutreten, bevor man sich nicht Klarheit darüber ver-
chafft hat, welches Ergebnis man in diesen Verhandlun-
en erreichen möchte. Das wiederum soll in der grundle-
enden Überprüfung festgestellt werden, von der ich
tzt schon öfter gesprochen habe.
Damit beende ich die Befragung der Bundesregie-ng.Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:Fragestunde– Drucksache 17/5015 –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10841
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/5015 in derüblichen Reihenfolge auf, zunächst aus dem Geschäfts-bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft undTechnologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentari-sche Staatssekretär Peter Hintze bereit, der sich als be-sonders technikbegabt erwiesen hat.Ich komme zur Frage 1 des Kollegen Koppelin:Ist die Bundesregierung bereit, dem Land Schleswig-Hol-stein die Möglichkeit einzuräumen, im gesamten Bundeslanddie Lagerung bzw. Verpressung von Kohlendioxid abzuleh-nen?Bitte sehr.P
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Koppelin, der in der gemeinsamen Federführung von
BMU und BMWi erarbeitete Referentenentwurf sieht
die Begrenzung auf einige wenige Demonstrationspro-
jekte vor. Im Rahmen der laufenden Ressortabstimmung
wird derzeit geprüft, wie den berechtigten Interessen der
Länder bei der Steuerung der Nutzung des Untergrunds
noch weiter entgegengekommen werden kann. Hierzu
sind abschließende Aussagen noch nicht möglich.
Herr Kollege Koppelin, Sie haben eine Nachfrage. –
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, das Land Schleswig-Holstein hat
sich – das ist der Stand vom 11. März 2011 – mit dem
Bundesumweltministerium auf einen Gesetzestext und
eine Gesetzesbegründung geeinigt. Sehen Sie vom Bun-
deswirtschaftsministerium sich in der Lage, dem beizu-
treten, was dort vereinbart worden ist?
P
Die Bundesregierung bildet ihre Auffassung immer
gemeinsam. Dieser Meinungsbildungsprozess in der
Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb
kann ich heute auch noch keiner von Ihnen hier vorgetra-
genen Position beitreten.
Sie haben eine weitere Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das ist ein Problem für das Land
Schleswig-Holstein, weil es über das größte Gebiet ver-
fügt, auf dem diese Ablagerung stattfinden könnte. Da-
her frage ich: Gibt es Gespräche der Bundesregierung
mit der rot-grünen Landesregierung von Nordrhein-
Westfalen? Schließlich würde das meiste CO2, das abge-
lagert werden müsste, aus Nordrhein-Westfalen stam-
men. Eigentlich müsste doch die rot-grüne Landesregie-
rung von Nordrhein-Westfalen Wert darauf legen, dass
– ich sage das einmal mit meinen Worten – dieser Dreck
nicht in andere Bundesländer kommt. Gibt es Gespräche
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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10842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
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kern hinsichtlich weiterer Kohlekraftwerke. Dahermeine Frage: Was würden weitere Kohlekraftwerke fürdie CO2-Ablagerung bedeuten?P
Weitere Kohlekraftwerke würden die Klimabilanz in
Deutschland verschlechtern; es sei denn, es gelänge, die
CCS-Technologie in großem Stil einzusetzen und damit
Kohlekraftwerke klimaneutral oder nur mit geringen
Auswirkungen auf die Klimagasentwicklung zu betrei-
ben. Aus Sicht der Bundesregierung sind das CCS-Ge-
setz und die Errichtung einer solchen Demonstrationsan-
lage wichtig, um diese Technologie, die dem
Klimaschutz dienen soll, hier im großen Stil zu entwi-
ckeln und zu erproben.
Der Kollege Ott hat eine Nachfrage dazu.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich bin dem Kolle-
gen Koppelin sehr dankbar dafür, dass er diese Fragen
hier stellt. Ich möchte im Anschluss daran fragen, ob der
Bundesregierung bekannt ist, dass nach Untersuchungen
der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
– das ist eine bundeseigene Behörde – die Speicherkapa-
zität von Kohlendioxid in deutschem Boden nicht mehr
als 25 bis 30 Jahre beträgt. Halten Sie es für sinnvoll,
eine solche Großtechnologie in Deutschland zu entwi-
ckeln, die neue Anlagen erfordert, die mindestens
ebenso groß sind wie die Kraftwerke, von denen sie das
Kohlendioxid abscheiden sollen? Es müssten riesige
Rohrleitungen durch Deutschland gezogen werden, da-
mit das Kohlendioxid irgendwo in Schleswig-Holstein
verpresst werden kann, obwohl das nur für 25 oder
30 Jahre möglich ist. Was hält die Bundesregierung da-
von?
P
Hier verschränken sich verschiedene Fragekomplexe
ineinander. Ich möchte zuerst darauf hinweisen, dass wir
gezwungen sind, die CCS-Richtlinie in deutsches Recht
umzusetzen. Es handelt sich dabei um eine europäische
Richtlinie; das ist europäisches Recht. Dann muss die
Umsetzung auch in Deutschland erfolgen. Dazu sind wir
verpflichtet. Das ist Punkt eins.
Punkt zwei. Ob es dann auf der Grundlage des Geset-
zes – ich habe ja gesagt, dass wir einen Referentenent-
wurf formuliert haben und dass wir vor der Erstellung
des Regierungsentwurfs stehen – Anträge auf die Errich-
tung einer solchen Demonstrationsanlage geben wird
oder nicht, werden wir sehen. Nach dem jetzigen Stand
wird es einen solchen Antrag geben. Der wird dann ge-
prüft, und wie ich in der Antwort auf die zweite Frage
des Kollegen Koppelin dargelegt habe, ist die Beachtung
der Sicherheitsaspekte – wozu auch die dauerhafte Spei-
cherfähigkeit gehört – Voraussetzung für die Genehmi-
gung einer solchen Anlage. Das wird im Genehmigungs-
verfahren zu prüfen sein.
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Schönen Dank, Herr Staatssekretär Hintze. – Wenn
ie das als tragfähige Politik darstellen, direkte Einkom-
enshilfen für Landwirte zu gewähren, führt mich das
u der Frage, ob das Bundeswirtschaftsministerium
laubt, dass das nach 2013, in der nächsten Finanzie-
ngsperiode, als Begründung für diese Einkommenshil-
n ausreichen wird.
P
Ja, das glaube ich.Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind solche Direkt-ahlungen für die eben von mir genannten ZweckeEinkommenssicherung; dazu kommen noch Zwecke,ie nicht über den Marktpreis zu erreichen sind – besserls Eingriffe in den Markt-Preis-Mechanismus. Deswe-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10843
Parl. Staatssekretär Peter Hintze
)
)
gen ist diese gemeinsame Position der Bundesregierungauch aus wirtschaftspolitischer Sicht vernünftig undwird von meinem Haus mitgetragen.
Sie haben noch eine weitere Nachfrage. – Bitte schön.
Wir als Grüne sind ja gemeinhin unverdächtig,
marktradikal aufzutreten.
P
Stimmt.
Aber wir müssen feststellen, dass auf den Agrarmärk-
ten die Preise und damit die Erlöse sehr deutlich angezo-
gen haben. Auch alle Langfristprognosen gehen davon
aus, dass Agrarrohstoffe sehr gute Preise am Markt er-
zielen werden und damit auch sehr gute Einkommen er-
möglichen. Deshalb noch einmal die Frage, mit welchem
Argument das Bundeswirtschaftsministerium angesichts
steigender Rohstoffpreise die direkte Einkommenshilfe
begründen will.
P
Ich glaube, es würde den Rahmen der Fragestunde
sprengen, wenn wir hier jetzt alle Zusammenhänge der
Gemeinsamen Agarpolitik behandelten. Wir haben ja
auch ein Ressort, das dafür zuständig ist.
Ich habe mich darauf konzentriert, Ihre wirtschafts-
politische Frage zu beantworten, und sage: Wenn man zu
einer Unterstützungsmaßnahme greifen will, dann ist die
wirtschaftspolitisch neutralste die, nicht in den Markt-
Preis-Mechanismus einzugreifen – Sie haben ja eben sel-
ber geschildert, dass er in zunehmendem Maße funktio-
niert –, sondern dies über Direktzahlungen zu leisten.
Das ist eine gemeinsame Position der Bundesregierung,
die das Bundeswirtschaftsministerium mitträgt.
Nun folgen eine Reihe von Fragen, die schriftlich be-
antwortet werden: die Frage 4 der Kollegin Lazar, die
Fragen 5 und 6 der Kollegin Högl, die Frage 7 der Kolle-
gin Wicklein, die Frage 8 des Kollegen Duin, die
Frage 9 der Kollegin Keul, die Frage 10 des Kollegen
Nink und die Frage 11 des Kollegen Krischer.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 12 und
13 der Kollegin Mast werden schriftlich beantwortet.
Die Fragen 14 und 15 der Kollegin Hiller-Ohm werden
ebenso wie die Fragen 16 und 17 der Kollegin Silvia
Schmidt schriftlich beantwortet.
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10844 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
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marktintegration von Migrantinnen und Migranten nichtnachlassen.
Gibt es eine Nachfrage?
Ja. – Herr Staatssekretär, welche Bedeutung misst die
Bundesregierung angesichts der Situation von Personen
mit Migrationshintergrund Diversity-Management-Mo-
dellen in Betrieben zu?
D
Frau Kollegin, es kann, glaube ich, nicht darum ge-
hen, bestimmte Maßnahmen oder Programme in ein
Ranking einzuordnen. Die weitere Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit hat trotz der unbestreitbar erzielten großen
Erfolge auf dem Arbeitsmarkt für die Bundesregierung
nach wie vor oberste Priorität. Das gilt für arbeitslose
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gleicher-
maßen. Uns stehen in diesem Bereich verschiedene
Maßnahmen zur Verfügung.
Eine weitere Nachfrage? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer
Antwort die unterschiedliche Ausbildungsbeteiligung
angesprochen. Ich würde Sie gerne fragen, welche
Gründe die Bundesregierung dafür sieht, dass die Betei-
ligung und die Chancen von Personen mit Migrations-
hintergrund so viel geringer sind. Vor allem bitte ich Sie,
etwas konkreter als in Ihrer vorigen Antwort deutlich zu
machen, welche Maßnahmen Sie ergreifen, um hier ge-
genzusteuern.
D
Herr Kollege, dieses Problem wird vermutlich nicht
monokausal zu erklären sein. Für die Bundesregierung
steht im Vordergrund, Maßnahmen zu ergreifen, um
Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Ich
will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass
es im Hinblick auf die Beschäftigung von Menschen,
bei dem Versuch, Menschen in Ausbildung und Arbeit
zu bringen, nicht darum gehen darf, in Schubladen zu
denken nach dem Motto: hier die Menschen mit Migra-
tionshintergrund, dort die Menschen ohne Migrations-
hintergrund. Vielmehr richten sich die umfangreichen
Anstrengungen, die die Bundesregierung, die Bundes-
agentur für Arbeit und die anderen Akteure wie Wirt-
schaft und Gewerkschaften unternehmen, um Menschen
in Ausbildung zu bringen, an alle ausbildungswilligen
und ausbildungsfähigen Menschen. Ich denke, dies
muss im Mittelpunkt stehen. Wir haben ein umfangrei-
ches Instrumentarium. Es geht darum, die individuell
ganz unterschiedlichen Hemmnisse zu beseitigen, unab-
hängig davon, welches Hemmnis in diesem oder jenem
Einzelfall besteht.
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So wie ich es sehe, ist Ihr Fragerecht aufgebraucht.
Jetzt rufe ich die Frage 18 des Kollegen Dr. Ilja
eifert auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Forderungen des
Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinder-
ter Menschen, Hubert Hüppe, nach einer schnellen Überprü-
fung der Regelsätze für erwerbsgeminderte behinderte Men-
schen über 25 Jahre und einer Zahlung des vollen Regelsatzes
an diesen Personenkreis in Höhe von 364 Euro statt 291 Euro,
da es nach seiner Auffassung weder nachvollziehbar noch ge-
recht ist, dass behinderte Menschen schlechtergestellt werden
als über 25-jährige Hartz-IV-Bezieher, die noch bei den Eltern
D
Herr Kollege Seifert, ich beantworte Ihre Frage wie
lgt: Nach der im Rahmen des Vermittlungsverfahrens
bgegebenen Protokollerklärung ist zu prüfen, ob für
ehinderte Menschen, die keinen eigenen Haushalt füh-
n, weil sie im Haushalt ihrer Eltern leben, anstelle der
egelbedarfsstufe 3 die Regelbedarfsstufe 1 gelten
ann. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist vielschich-
g und bedarf einer eingehenden Prüfung. Insbesondere
ind mögliche Folgewirkungen in die Prüfung einzube-
iehen. Die Bundesregierung kann dem Ergebnis der er-
rderlichen Prüfung deshalb nicht vorgreifen.
Danke schön. – Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich kann Ihre Antwort nicht so
cht verstehen. Sie haben die Regelbedarfsstufe 3 ge-
de erst eingeführt. Gleichzeitig sagen Sie, Sie wollten
ie überprüfen mit der Zielstellung der Abschaffung. Sie
ätten sie doch gar nicht erst einführen müssen; dann
äre die ganze Prüferei nicht notwendig. Insofern lautet
eine Frage, wie Sie die Anregung Ihres eigenen Behin-
ertenbeauftragten, dies möglichst schnell zu tun, auf-
reifen. Oder hat er überhaupt nichts zu sagen?
D
Herr Kollege Seifert, Ihre Frage beruht auf einer fal-chen Voraussetzung, nämlich darauf, dass wir dieegelbedarfsstufe 3 erst jetzt eingeführt hätten. Davonann keine Rede sein.
s ist seit langem so – dies wurde vom Bundesverfas-ungsgericht ausdrücklich als berechtigt und angemes-en anerkannt –, dass bei erwachsenen Leistungsberech-gten eine Unterscheidung getroffen wird, je nachdem,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10845
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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)
ob allein ein eigener Haushalt geführt wird, ob gemein-sam mit einem Partner ein eigener Haushalt geführt wirdoder ob kein eigener Haushalt geführt wird. Diese Unter-scheidung ist nicht neu und hat mit den von Bundestagund Bundesrat jüngst beschlossenen Maßnahmen nichtszu tun.
Danach richten sich die Regelbedarfsstufen schon seitJahren. Erwachsene Leistungsberechtigte, die alleine ei-nen Haushalt führen, bekommen 100 Prozent des Regel-satzes, solche, die gemeinsam mit einem Partner einenHaushalt führen, 90 Prozent, und solche, die keinen ei-genen Haushalt führen, erhalten 80 Prozent des Regel-satzes.Die Rechtslage ist seit Jahren so, dass Personen über25 Jahren im Rechtskreis des SGB II 100 Prozent desRegelsatzes gewährt werden; im Rechtskreis desSGB XII ist dies nicht der Fall. Es hat Gerichtsentschei-dungen gegeben, die notwendigerweise Einzelfallent-scheidungen waren, in denen Menschen ein Regelsatzvon 100 Prozent zugesprochen worden ist, weil das Ge-richt moniert hat, dass die Gründe, weswegen der Ge-setzgeber im SGB II anders verfährt als im SGB XII,nicht hinreichend deutlich geworden sind.Im Rahmen des jetzt abgeschlossenen Gesetzge-bungsverfahrens hat der Gesetzgeber diese Gründe deut-lich gemacht, indem er insbesondere darauf hingewiesenhat, dass von Menschen im Rechtskreis des SBG II, dieerwerbsfähig sind, im Rahmen des Förderns und For-derns auch Anstrengungen zur Aufnahme einer Erwerbs-tätigkeit erwartet werden, die mit Kosten verbunden seinkönnen. Vor diesem Hintergrund muss ich noch einmaldie in Ihrer Frage angelegte Behauptung zurückweisen,dass eine solche Regelbedarfsstufe neu eingeführt wor-den sei. Es hat sie schon vorher gegeben.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe das hier verkürzt dargestellt; das gebe ich
gerne zu. Allerdings haben Sie die Menschen mit Be-
hinderung, die nicht erwerbsfähig sind, neu in die
Regelbedarfsstufe 3 hineingenommen. Das wird wohl
nicht zu bestreiten sein; denn vorher sind bei diesen
Personen die 20 Prozent nicht abgezogen worden.
Ich will auf Folgendes hinweisen: Hier im Plenum
gab es, als ich diese Frage bereits während des Gesetzge-
bungsverfahrens stellte – und das wurde beispielsweise
von Kollegin Ulla Schmidt von der SPD unterstützt –,
relativ großes Verständnis dafür, dass man es so eigent-
lich nicht machen sollte. Darüber ist in dem Moment na-
türlich nicht abgestimmt worden; aber das war ziemlich
deutlich. Dann haben Sie diese merkwürdige Protokoll-
notiz gemacht, in der im Grunde steht: Wir sehen, dass
diesbezüglich ein Problem besteht, und werden das über-
prüfen und lösen mit dem Ziel – das steht in der Proto-
kollnotiz sinngemäß –, wieder auf 100 Prozent zu kom-
men.
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10846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
)
sind. Von daher ist die Frage, wie man hier zu einer ge-rechten Lösung kommt, nicht einfach mit dem Hinweisdarauf zu beantworten, dass wir speziell für Menschenmit Behinderungen ab einem Alter von 25 Jahren dieRegelbedarfsstufe 3 durch die Regelbedarfsstufe 1 erset-zen. Das ist eine denkbare Lösung am Ende eines Prüf-prozesses, der andauert und dessen Lösung ich hier nichtvorgreifen kann.
Danke, Herr Staatssekretär. – Die Fragen 20 und 21
des Kollegen Michael Groß, die Fragen 22 und 23 der
Kollegin Ute Kumpf sowie die Fragen 24 und 25 der
Kollegin Aydan Özoğuz sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen damit zur Frage 26 des Kollegen
Rüdiger Veit:
Aus welchem Grund hat die Bundesregierung der Tatsa-
che nicht systematisch entgegengewirkt, dass in den Grundsi-
cherungsstellen nur vereinzelt Strategien und Konzepte zum
Umgang mit migrationsspezifischen Problemen existieren,
obwohl rund 30 Prozent der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
einen Migrationshintergrund aufweisen, und wie werden Op-
tionskommunen eingebunden, wenn es darum geht, Strate-
gien und Konzepte zum Umgang mit migrationsspezifischen
Problemen zu entwerfen und in die Praxis umzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank. – Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr
Kollege Veit, mit Ihrem Einverständnis möchte ich die
Fragen 26 und 27, die in einem engen Zusammenhang
stehen, gerne gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 27 des Kollegen
Veit auf:
In wie vielen Jobcentern bzw. Optionskommunen existie-
ren derzeit Integrationsbeauftragte, und welche Tätigkeiten
verrichten diese?
D
Herr Kollege, ich antworte Ihnen auf Ihre Fragen wie
folgt: In der Grundsicherung für Arbeitsuchende gilt der
Grundsatz der dezentralen Aufgabenwahrnehmung und
Verantwortung. Dies betrifft grundsätzlich auch den Um-
gang mit spezifischen Problemlagen, wie sie bei der Ar-
beitsmarktintegration von erwerbsfähigen hilfebedürfti-
gen Menschen mit einem Migrationshintergrund
auftreten können. Strategien und Konzepte zum Umgang
mit migrationsspezifischen Problemen werden grund-
sätzlich lokal entwickelt und praktisch umgesetzt. Dies
gilt sowohl für gemeinsame Einrichtungen als auch für
Optionskommunen. Die Bundesregierung unterstützt die
lokalen Handlungsansätze entsprechend den Festlegun-
gen im nationalen Integrationsplan.
Auch über die Frage, ob und inwieweit die Arbeit vor
Ort dadurch unterstützt werden soll, dass besondere Be-
auftragte benannt werden, wird von den vor Ort Verant-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10847
)
Haben Sie Erkenntnisse darüber, inwieweit die Mög-
lichkeit, durch die erwähnten Kurse beim BAMF Sprach-
erwerb nachzuholen, von den Betroffenen ausgeschlagen
bzw. nicht genutzt wird?
D
Mir ist bekannt, dass diese Instrumente von zahlrei-
chen Personen genutzt werden. Eine prozentuale Auf-
stellung, inwieweit solche Angebote ausgeschlagen wer-
den, um Ihre Formulierung aufzugreifen, ist mir nicht
bekannt.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nach-
frage.
Danke sehr.
Dann danke ich dem Staatssekretär.
Die Frage 28 des Kollegen Oliver Kaczmarek, die
Frage 29 der Kollegin Bärbel Bas, die Fragen 30 und 31
des Kollegen Michael Gerdes, die Frage 32 der Kollegin
Doris Barnett sowie die Fragen 33 und 34 der Kollegin
Sabine Zimmermann sollen schriftlich beantwortet wer-
den.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz auf. Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Kerstin
Tack, die Fragen 37 und 38 der Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann sowie die Fragen 39 und 40 der Kollegin Rita
Schwarzelühr-Sutter sollen ebenfalls schriftlich beant-
wortet werden.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 41 der Kollegin Inge Höger:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Verstrickung der Bundeswehr in Vorfälle im afghanischen
Distrikt Chahar Darreh am Mittwoch, dem 9. März 2011, die
nach Medienangaben zum Tod einer Frau sowie der Verlet-
zung einer zweiten führten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
C
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich komme noch einmal auf die Sachverhaltsdarstellung
zurück. Am 9. März 2011 ereigneten sich im Distrikt
Chahar Darreh in der Provinz Kunduz folgende drei Vor-
fälle:
Erstens. Gegen 10.18 Uhr Ortszeit bzw. 6.48 Uhr mit-
teleuropäischer Zeit wurden deutsche Kräfte der Schutz-
kompanie des regionalen Wiederaufbauteams etwa 7 Ki-
lometer südwestlich der Stadt Kunduz im Distrikt
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Waffenwirkung resultieren. Wieso ist das der Fall? Ne-ben der Tatsache, dass die Verletzte circa 1 300 Meter,also einen guten Kilometer, vom Anschlagsort entferntaufgefunden wurde, schließt die Art der Verletzung, diebei der Untersuchung der beim PRT Kunduz an einerschweren Kopfverletzung verstorbenen Frau festgestelltwurde, eine Schussverletzung oder einen Querschlägernahezu aus. In der Wunde wurden keine Projektile oderSplitter aufgefunden. Auch die Wundränder wiesenkeine Anhaltspunkte für eine Schussverletzung auf.Eine Obduktion konnte nicht vorgenommen werden.Wir wissen, dass das Begräbnis der Verstorbenen denkulturellen und den muslimischen Gebräuchen in Afgha-nistan entsprechend zeitnah erfolgt ist. Das wurde nichtvon der Bundeswehr oder anderen Stellen, sondern vonden Angehörigen organisiert. Eine definitive Klärungder Verletzungsursache ist also nur noch sehr schwermöglich. Dazu bedarf es unter anderem entsprechenderGespräche mit der betroffenen Familie, die frühestensnach Abschluss der landesüblichen Trauerzeit von dreiTagen nach Durchführung des Begräbnisses beginnenkönnen. Dies wollen wir natürlich respektieren. ZurStunde und in diesen Tagen werden diese Gespräche ge-führt werden.Bei der am Knie verletzten Frau ist nicht auszuschlie-ßen, dass die Knieverletzung möglicherweise durchSplitterwirkung erfolgt ist. Die beiden Damen warenaber nicht unmittelbar räumlich nebeneinander; es sindvielmehr zwei getrennt zu betrachtende Situationen undSchicksale.
Ihre zweite Frage? – Sie verzichten. Dann danke ich
dem Herrn Staatssekretär.
Die Frage 42 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
sowie die Fragen 43 und 44 der Kollegin Nicole Gohlke
zu diesem Geschäftsbereich sollen schriftlich beantwor-
tet werden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die
Frage 45 der Kollegin Monika Lazar sowie die
Fragen 46 und 47 der Kollegin Hilde Mattheis werden
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe damit den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung der
Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Daniel
Bahr zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 48 des Kollegen Dr. Ilja
Seifert:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass
pflegebedürftige Menschen, insbesondere Menschen mit aner-
kannter Pflegestufe nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch,
zu dem Personenkreis gehören, die von der UN-Behinderten-
rechtskonvention betroffen sind, und welche Konsequenzen
hat dies für die anstehende Pflegereform sowie die Entwick-
lung der Behindertenpolitik?
Bitte, Herr Staatssekretär.
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Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es war nicht irgendein Gutachtenon irgendeiner Kommission, sondern es war das Gut-chten der Kommission, die Gohde-Kommission ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10849
Dr. Ilja Seifert
)
)
nannt werden kann, die von der Bundesregierung einge-setzt wurde, die sehr lange und sehr intensiv gearbeitetund ein Ergebnis hervorgebracht hat, das innerhalb derKommission weitgehend unumstritten war. Es war alsonicht irgendein Gutachten oder irgendein Ergebnis. ObSie das als eine von Dutzenden Möglichkeiten sehenoder ob Sie als die favorisierte Variante des Gesundheits-ministeriums betrachten, dass wir Teilhabe ermöglichenwollen und mit Pflege nicht nur satt, still und saubermeinen, müsste doch zumindest aussagbar sein.
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Lieber Kollege Seifert, Sie fragen sehr geschickt und
wollen, obwohl es noch keine Entscheidung der Bundes-
regierung gibt, diese doch irgendwie herauskitzeln.
– Selbstverständlich. – Aber da es bisher keine Entschei-
dung gibt, kann ich nicht darüber spekulieren, welche
Entscheidung zu erwarten ist. Ich habe damit auch nicht
das angesprochene Gutachten abwerten wollen, sondern
ich habe nur gesagt, dass das Gutachten noch keine Ent-
scheidung bedeutet. Es hilft vielmehr bei der Entschei-
dungsfindung und fließt in diese ein. Wir begrüßen die
Vorschläge, die in dem Gutachten gemacht werden; aber
die Entscheidung über die verschiedenen Wege, die vor-
geschlagen worden sind, muss jetzt die Bundesregierung
treffen. Das tun wir in diesem Jahr, im Jahr der Pflege.
Der Bundesgesundheitsminister hat dieses Jahr zum Jahr
der Pflege ausgerufen. Wir sind in mehreren Fragen, die
die Pflegeversicherung und das Pflegewesen in Deutsch-
land beschäftigen, bei der Vorbereitung eines Gesetzge-
bungsverfahrens. Auch die Frage des Pflegebedürftig-
keitsbegriffs spielt dort eine zentrale Rolle.
Wie gesagt: Eine konkrete Entscheidung, wie der
Pflegebedürftigkeitsbegriff zukünftig gefasst ist, ist noch
nicht getroffen. Einfließen werden die Erkenntnisse aus
dem Gutachten. Das Gutachten selbst aber stellt keine
Entscheidung dar.
Danke. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbe-
reichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Zur Beant-
wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 49 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Arbeit des Dialog-
forums Airport Berlin Brandenburg, und aus welchen Grün-
den arbeitet die Bundesregierung als Gesellschafter der Flug-
hafen Berlin Schönefeld GmbH im Gegensatz zu den
Landesregierungen Berlin und Brandenburg in diesem Gre-
mium nicht aktiv mit?
Bitte, Herr Staatssekretär.
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10850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
)
geführt. Allerdings greifen wir nicht in die Arbeit desDialogforums ein, weil dies der Aufgabenverteilung klarwidersprechen würde. Daher gibt es an dieser Stelle kei-nen Handlungsbedarf. Wir nehmen den Dialog zurKenntnis und lassen uns Berichte geben; aber eingreifenin die Behandlung der sehr spezifischen lokalen Themenkann nur die Genehmigungsbehörde. Wenn das LandBerlin und das Land Brandenburg das Dialogforum ver-antwortungsvoll gestalten, dann gehen wir davon aus,dass ordnungsgemäß gehandelt wird. Noch einmal: Ver-antwortlich an dieser Stelle ist das Land Brandenburg.Eine kurze politische Bemerkung. Wenn sich Ein-zelne im Hinblick auf das Dialogforum, das vom LandBrandenburg und vom Land Berlin begleitet wird, nichtwohlfühlen, dann muss ich auf Folgendes hinweisen:Die Vereinbarung war, dass das für uns das Land Bran-denburg macht.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
„Die Vereinbarung war, dass das das Land Branden-
burg macht.“ Ich denke, dass der Bund als ein Investor in
dieses Großvorhaben durchaus die Verantwortung ge-
genüber den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern hat.
Wäre der Bund in das Dialogforum eingebunden, dann
wüsste er auch um die Sorgen der Bürger bezüglich der
gesundheitlichen Auswirkungen.
Es gab einen Antrag auf ein Gesundheitsmonitoring.
Dieser Antrag wurde von Berlin abgelehnt. Das Land
Brandenburg hat gesagt, es habe ebenfalls gerade kein
Geld, um ein Gesundheitsmonitoring durchzuführen.
Mittlerweile ist der Antrag gestellt worden, dass der
Flughafen in Schönefeld in eine Lärmwirkstudie am
Flughafen Frankfurt/Main als Vergleichsflughafen ein-
bezogen wird; es wurde nämlich noch ein Vergleichs-
flughafen gesucht. Obwohl drei von vier Wissenschaft-
lern, die als Mitglieder der Arbeitsgruppe für die
Qualitätssicherung der Studie berufen worden sind, das
Design der Studie als völlig unzureichend kritisieren – –
Kollegin Behm, versuchen Sie, dem Staatssekretär
deutlich zu machen, was Ihre Frage ist, bitte.
Hier wäre die Kompetenz der Bundesbehörden ganz
sicher hilfreich. Wie kann es sein, dass der Bund zwar
einer der Investoren in den neuen Flughafen ist, jedoch,
was die Verantwortung für den Schutz der betroffenen
Bevölkerung angeht, sich zurückhält und sehenden Au-
ges zulässt, dass die gesundheitlichen Interessen der
Menschen in der Region den wirtschaftlichen Interessen
der Bundesländer Berlin und Brandenburg untergeordnet
werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10851
)
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das stimmt!Gut beobachtet!)Kann ich jetzt aus dieser Fragestunde mitnehmen, dassdie betroffenen Bürger, die von der Kollegin Behm ge-schildert wurden, von diesen beiden Regierungsparteienüberhaupt nicht beteiligt werden? Ist das nicht etwas,was die Bundesregierung aufgreifen sollte? Sollte sienicht den Sozialdemokraten und den Linken mitteilen,dass sie bürgernäher sein sollten?
D
Herr Kollege Koppelin, Ihre wertvollen Hinweise
nehmen die Bundesregierung und auch das BMVBS
gerne zur Kenntnis. Ich denke auch, dass der Regierende
Bürgermeister und der Ministerpräsident von Branden-
burg genügend Betätigungsfelder als Genehmigungsbe-
hörden und als Vertreter im Aufsichtsrat haben, um die
Bürger einzubinden. Man könnte schon einmal einen
transparenten Prozess mit den Initiativen machen.
Ich bin gespannt, wie Spitzenkandidaten von einzel-
nen Parteien – die Kollegin Behm repräsentiert eine
wichtige Partei in der Bundesrepublik Deutschland – im
Wahlkampf diese sehr wichtige Drehscheibe im Luftver-
kehr in Berlin unterstützen oder dieses Großprojekt auch
torpedieren werden.
Wir kommen damit zur Frage 50 der Kollegin Sabine
Stüber:
Was unternimmt die Bundesregierung gegen die Strei-
chung grenzüberschreitender Angebote der Deutschen Bahn
AG im Regional- und Fernverkehr?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin Stüber, die Deutsche Bahn AG gestaltet
das Angebot von Verkehrsleistungen in eigener unter-
nehmerischer Verantwortung. Das schließt ein, dass ent-
sprechend der Nachfrage Fernverkehrsangebote neu ein-
geführt werden oder Angebote, die aufgrund einer
geringen Fernverkehrsnachfrage unwirtschaftlich ge-
worden sind, eingestellt werden. Dies gilt genauso für
grenzüberschreitende Angebote.
Für den öffentlichen Personennahverkehr müssen die
betroffenen Bundesländer mit der Deutschen Bahn AG
den Fahrplan abstimmen. Die Abstimmung zwischen der
Deutschen Bahn AG und den Ländern zur Gestaltung
des Angebots im Personennahverkehr hat der Bund ge-
genüber allen Beteiligten stets als ein grundlegendes Er-
fordernis hervorgehoben.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung sowie die Bundesregierung insgesamt sind
bei den Abstimmungsgesprächen und den Entscheidun-
gen nicht einbezogen. Im Übrigen verweise ich auf die
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10852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
)
Wie ist der Stand der Verhandlungen zwischen der Deut-schen Bahn AG und der polnischen Bahn zur Einigung über
Bitte, Herr Staatssekretär.D
Diese Antwort kann ich sehr kurz machen: Hierbei
handelt es sich ebenfalls um eine unternehmerische Ent-
scheidung der beteiligten Bahnen. Das Bundesministe-
rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist an den
Verhandlungen nicht beteiligt.
Ihre erste Nachfrage?
Da das Bundesministerium nicht beteiligt ist, kann ich
auch keine Frage stellen.
D
Danke schön!
Gut, dann verzichten Sie auf die Nachfragemöglich-
keit. – Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Die Fragen 52 und 53 der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, die Frage 54 des Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, die Frage 55 des Abgeordneten
Garrelt Duin und die Fragen 56 und 57 der Abgeordne-
ten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beant-
wortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten René
Röspel, die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Klaus
Barthel, die Fragen 62 und 63 der Abgeordneten
Marianne Schieder , die Fragen 64 und 65
des Abgeordneten Klaus Hagemann und die Frage 66
der Abgeordneten Bärbel Bas sollen schriftlich beant-
wortet werden.
Ich rufe die Frage 67 der Kollegin Agnes Alpers auf:
Inwiefern werden Hochschulabschlüsse und generell
Rechtsansprüche auf Anpassungs- und Ergänzungsqualifika-
tionen bzw. auf Finanzierung dieser Maßnahmen im geplanten
Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung im Ausland erwor-
bener Berufsqualifikationen mit einbezogen bzw. verankert,
bitte begründen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
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Frau Kollegin Alpers, Hochschulabschlüsse, die nicht
zu reglementierten Berufen führen, werden von dem ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10853
)
Sie haben erklärt, dass Anpassungs- und Ergänzungs-
finanzierungen unter bestimmten Voraussetzungen ge-
währleistet werden. Warum ist es aber so, dass in dem
Gesetzentwurf grundsätzlich Menschen ausgeschlossen
werden, die länger als zehn Jahre in der Bundesrepublik
Deutschland verweilen? Ich nenne zum Beispiel den Fall
einer hochqualifizierten Akademikerin, die nach
Deutschland gekommen ist und Sprachkurse besucht
hat, die sich aber wegen der Erziehung der Kinder nicht
integrieren konnte und bisher keinen Anspruch hat. Wir
wissen, wie schnell zehn Jahre im Leben einer Frau mit
Familie vergehen können. Warum werden diese Men-
schen in dem Gesetzentwurf ausgeschlossen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Frau Kollegin Alpers, ich möchte mich an dieser
Stelle nicht zu etwaigen Einzelfällen äußern. Das würde
zu weit gehen, zumal wir noch nicht einmal das eigentli-
che Gesetzgebungsverfahren begonnen haben.
Ich glaube, dass dieses Gesetz einen großen qualita-
tiven Sprung bedeutet. Was in der Bundesrepublik
Deutschland über 60 Jahre nicht geschaffen worden ist,
ist nun auf dem Weg. Menschen, die seit längerer Zeit
hier leben, geben wir einen Rechtsanspruch auf ein An-
erkennungsverfahren. Soweit es sich um bundesgesetz-
lich geregelte Berufe handelt, haben sie die Möglichkeit,
in diesem Verfahren überprüfen zu lassen, ob die Ab-
schlüsse, die sie in ihrem Heimatland erworben haben,
den entsprechenden Voraussetzungen in Deutschland ge-
nügen.
Darüber hinaus wird dieses Gesetz die Chance schaf-
fen, dass auch Menschen, die sich zurzeit im Ausland
befinden und die einen im Gesetz beschriebenen Beruf
ausüben, ein solches Überprüfungsverfahren nutzen
können. Auch das ist ein enormer qualitativer Sprung.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kilic.
Herr Staatssekretär, können Sie bitte Klarheit darüber
schaffen, ob die Grenze von zehn Jahren Aufenthalts-
dauer Inhalt Ihres Gesetzentwurfs ist?
T
Herr Kollege, dazu möchte ich mich im Moment nicht
abschließend äußern. Im jetzigen Entwurf ist ein solcher
Ausschluss nicht vorgesehen. Darüber werden wir dann
beraten können, wenn der Gesetzentwurf im Wortlaut
vorliegt und zwischen den Ministerien abgestimmt ist.
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10854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
)
Wir haben über 126 Anerkennungsstellen in den
16 Ländern und im Bund. Bezüglich der Berufe, die
nicht bundeseinheitlich geregelt werden, haben wir das
Problem, dass der Zuständigkeitsdschungel nicht besei-
tigt werden wird. Welche Kooperationsformen mit den
Ländern sind da angedacht?
Welche Gewährleistung wird es, wenn wir diesen Zu-
ständigkeitsdschungel überwinden wollen, geben, dass
es nicht zu der Situation kommt, dass ein Bundesland
bestimmte Qualifikationen und Berufsabschlüsse aner-
kennt, ein anderes aber nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, diese Frage ist
von der Sache her interessant, richtet sich allerdings an
die 16 Bundesländer und müsste insofern den Zuständi-
gen der jeweiligen Länder gestellt werden, weil es in de-
ren Kompetenz steht, sowohl für den landeshoheitlichen
Bereich Regelungen zu treffen als auch zu Abstimmun-
gen zwischen den 16 Bundesländern zu kommen.
Eine weitere Nachfrage stellt jetzt der Kollege Kilic.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Ihre Ausführungen
richtig, dass die Anerkennung der bundesweit reglemen-
tierten Berufe sich an der EU-Anerkennungsrichtlinie
orientieren wird?
T
Mir steht es nicht zu, die Einschätzung eines Abge-
ordneten zu kommentieren. Deswegen will ich nur noch
einmal feststellen, dass das Bundesgesetz, das wir vorbe-
reiten, die bundesgesetzlich reglementierten Berufe ei-
genständig regeln und in Bezug auf sie einen Rechtsan-
spruch auf ein Anerkennungsverfahren – also nicht auf
eine Anerkennung als solche – garantieren wird. Der Ge-
setzentwurf orientiert sich dabei an der Berufsanerken-
nungsrichtlinie der EU.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Frage 69 des Abgeordneten Tom Koenigs zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird
schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 70 der Abge-
ordneten Inge Höger zum Geschäftsbereich des Auswär-
tigen Amtes.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Sie müssen doch trotzdem einen ungefähren Zeitplan
aben. Ihre Planung im Hinblick auf die Abstimmung
ird kaum zwischen zwei Monaten und dem Ende der
egislaturperiode liegen. Deshalb meine Frage nach ei-
em Zeitplan. Wie lange soll die Abstimmung ungefähr
auern? Wann kann man damit rechnen, dass dieses
urchaus komplizierte Gesetz, in dem es viele Fragen
ur Verkehrspolitik gibt, den Bundestag und seine Aus-
chüsse erreicht?
D
Auch wenn mich meine Experten im Ministerium da-
or gewarnt haben, einen konkreten Zeitpunkt zu nen-
en, weil man nie weiß, wie die Abstimmungen laufen,
nd schwierige Abstimmungen mit den Ländern vor uns
egen – diese müssen das Verfahrensgesetz des Bundes
uf ihre Verfahrensgesetze übertragen –, hoffe ich, dass
ir das bis zur Sommerpause hinbekommen.
Ihre zweite Nachfrage?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10855
)
)
Erst einmal nicht. Nehmen wir die nächste Frage.
Gut. – Dann kommen wir zur Frage 79 des Kollegen
Hofreiter:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
aktuellen Diskussionen um die Verbesserung der Bürgerbetei-
ligung an Planungsprozessen im Hinblick auf die Inhalte des
Planungsvereinheitlichungsgesetzes, und wie bewertet die
Bundesregierung die vielfach vorgeschlagene Einrichtung ei-
ner frühzeitigen Bürgerbeteiligung im Planfeststellungsrecht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Bundesregierung prüft derzeit eine Ergänzung
des Gesetzentwurfs über die Einführung zusätzlicher
Formen einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Plan-
feststellungverfahren. Dabei werden verschiedene
Lösungsmöglichkeiten, etwa die von Baden-Württem-
berg als Bundesratsinitiative geplanten Ergänzungsvor-
schläge, berücksichtigt.
Ihre Nachfrage, bitte.
Was kann man sich unter einer „frühen Beteiligung“
vorstellen? Das aktuelle Problem ist: Manchmal ist der
Plan erst nach vielen Monaten oder sogar Jahren Arbeit
– wenn es sich um ein kompliziertes Infrastrukturpro-
blem handelt – komplett fertiggestellt. Dann ist es ver-
ständlich, dass man nicht mehr groß etwas ändern will.
Heißt „frühe Beteiligung“, dass die Bürger bereits bei
Grundsatzentscheidungen beteiligt werden sollen, wie
zum Beispiel im Straßenbau beim Linienfindungsverfah-
ren, oder bereits im Raumordnungsverfahren? Wie kann
man sich das praktisch vorstellen, und was wird disku-
tiert?
D
All die Punkte, die Sie angesprochen haben, müssen
jetzt überlegt werden. Darauf basierend werden wir den
Gesetzentwurf ändern.
Haben Sie noch eine Nachfrage?
Sind auch für die frühe Beteiligung Rechtsmittel vor-
gesehen? Derzeit besteht ein großes Problem darin, dass
Rechtsmittel erst eingelegt werden können, wenn die
Angelegenheit abgeschlossen ist. Unter Umständen wird
vor Gericht dann eine fertige Planung verworfen, was
natürlich auch für den Planenden unangenehm ist. Soll
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10856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
)
den, sich zu einer möglichen Zusammenarbeit mit derStaatssicherheit der ehemaligen DDR zu erklären. Lageine solche Zusammenarbeit vor, so führte dies – ebensowie die Abgabe einer falschen Erklärung – zur Entlas-sung des betroffenen Mitarbeiters.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
In dem Schreiben von Präsident Rohwedder war ein-
deutig angegeben, welcher Personenkreis diese Erklä-
rung abzugeben hat. Ich möchte gerne wissen, ob diese
Erklärungen vom betreffenden Personenkreis in den ein-
zelnen Unternehmen der Treuhandanstalt vollständig ab-
gegeben worden sind, ob es hier möglicherweise Unter-
schiede zwischen den einzelnen Unternehmen gegeben
hat und wo diese Erklärungen abgelegt worden sind bzw.
ob man nachprüfen kann, dass diese Erklärungen wirk-
lich vollständig abgegeben worden sind. Ich frage des-
wegen, weil insbesondere in Brandenburg wiederholt
Fälle auftauchen – ich spreche hier die Polizei an –, in
denen keine redlichen Erklärungen abgegeben worden
sind bzw. die Erklärungen fehlen.
H
Frau Kollegin Behm, da die Zuständigkeit für die Per-
sonalpolitik der Treuhandanstalt bei deren Vorstand lag,
hat die Bundesregierung nur insoweit Erkenntnisse, wie
diese Gegenstand von Berichten an den Deutschen Bun-
destag, seine Ausschüsse oder Mitglieder waren. In die-
sem Zusammenhang darf ich auf den Abschlussbericht
des zweiten Untersuchungsausschusses „Treuhandan-
stalt“ auf Drucksache 12/8404 und die Antwort der Bun-
desregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen
Werner Schulz auf Drucksache 12/782 hinweisen.
Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang einige Zah-
len nennen. Bis Ende Juli 1991 gingen bei den Vertrau-
ensbevollmächtigten der Treuhandanstalt insgesamt
rund 4 000 Hinweise auf mögliche politische Belastun-
gen von Mitarbeitern ein. Bereits im Oktober 1990 wa-
ren 17 Vertrauensbevollmächtigte zur Überprüfung jed-
weder Hinweise auf mögliche politische Belastungen
von Mitarbeitern der Treuhandanstalt oder Mitarbeitern
in leitenden Stellungen von Treuhandunternehmen beru-
fen worden. Die Vertrauensbevollmächtigten, ehemalige
hochrangige westdeutsche Richter oder Beamte aus dem
Bundesjustizministerium, waren in ihrer Arbeit völlig
weisungsunabhängig und arbeiteten eng mit der damali-
gen Gauck-Behörde zusammen. Aufgrund der Eingaben
bei den Vertrauensbevollmächtigten hatte sich die Treu-
hand bis Ende August von 400 Mitarbeitern – Geschäfts-
führern, Vorstandsmitgliedern und oberen Führungskräf-
ten in den Treuhandunternehmen – getrennt; hinzu
kamen noch mehr als 200 weitere Kündigungen bis Ende
August 1992. Genauere Zahlen lassen sich nicht mehr
ermitteln.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei-
sen, dass sich die Bundesanstalt für vereinigungsbe-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10857
)
wrackprämie aus Steuermitteln gewährt wurden“,nachdem diese Unternehmen, wie Sie in Ihrer Frage aus-führen, „jetzt außerordentliche Gewinne in dreistelligerMilliardenhöhe an ihre Aktionäre ausschütten“.
– Ich habe nur aus der Frage des Kollegen Ströbele zi-tiert, damit die Kollegen, aber auch die Besucherinnenund Besucher wissen, was der Herr Kollege gefragt hat.Ich mache mir diese Einschätzung natürlich nicht zu ei-gen.Sehr geehrter Herr Kollege Ströble, grundsätzlichgilt: Rückzahlungen würden das Vertrauen der Unter-nehmen, aber auch der Bürger in derartige Maßnahmenerheblich beschädigen und die Wirksamkeit beeinträch-tigen. Die Umweltprämie ist ein Bestandteil des durchdie Bundesregierung aufgestellten konjunkturpolitischenProgramms gewesen. Eine rechtliche Grundlage für einenachträgliche Beteiligung besteht nicht.Im Einzelnen halten wir eine Rückzahlung aus fol-genden Gründen für problematisch: Die Umweltprämiewurde den Automobilkäufern, den Bürgern, ausgezahltund kam der Automobilwirtschaft somit nur mittelbarzugute. Daher kann sie nicht im Nachhinein von derWirtschaft zurückgefordert werden. Auch haben diedeutschen Hersteller in sehr unterschiedlichem Maßemittelbar von dieser Prämie profitiert. Im Wesentlichenhaben die Volumenhersteller zusammen mit ihren Liefe-ranten und ihren Händlern von der durch die Umweltprä-mie induzierten Nachfrage profitiert, während insbeson-dere die Hersteller der deutschen Premiumfahrzeugekaum Absatzzuwächse durch sie verzeichnen konnten.Das sind aber genau diejenigen Unternehmen, die jetztmit guten Geschäftszahlen und guten Ergebnissen glän-zen.Lieber Herr Ströbele, dem Gedanken, der Ihrer Fragezugrunde liegt, entsprechend, müssten wir uns nicht nuran die Automobilhersteller wenden, sondern an den ge-samten Kfz-Handel. Wir müssten uns auch an ausländi-sche Hersteller wenden. Allein das zeigt, dass der vonIhnen vorgeschlagene Weg für die Bundesregierung ausrechtlichen, aber auch aus politischen Gründen nicht in-frage kommt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bedanke mich für die Beantwortung der Frage,
obwohl Millionen und Milliarden darin ein bisschen
durcheinandergeworfen wurden. Das kann man ange-
sichts der Summen, die europaweit als Hilfen vergeben
werden, vielleicht verstehen und nachvollziehen, wenn
es dadurch auch nicht richtig wird.
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Meine Frage zielte darauf, ob Sie direkte oder indi-
kte Subventionen, die gewährt worden sind, ausglei-
hen. Ich habe das „Rückzahlungen“ genannt. Man kann
amit aber auch auf andere Weise umgehen.
Meine Nachfrage: Das Besondere unseres kapitalisti-
chen Systems ist, dass die Unternehmer ein Risiko tra-
en. Wenn dann das Risiko zu groß wird, kann das be-
euten, dass die betreffende Firma Geld verliert oder
ogar nicht mehr existiert. Dieses Risiko hat man den
ktionären abgenommen, indem man sie mit Steuermit-
ln massiv unterstützt hat. Man kann sich darüber strei-
n, ob das richtig oder falsch war, aber jedenfalls ist es
eschehen.
Halten Sie es für richtig, dass die Unternehmen nun
esige Gewinne machen und an die Aktionäre ausschüt-
n, obwohl man ihnen einen großen Teil des Risikos ab-
enommen hat? Möglicherweise würde sonst die eine
der andere Firma nicht mehr in der Form existieren wie
uvor. Gibt es keine rechtlichen Möglichkeiten, dafür zu
orgen, dass der Steuerzahler zum Beispiel in Form von
onderabgaben – das muss man nicht Rückzahlung nen-
en – etwas von dem, was er diesen Unternehmen gege-
en bzw. – so möchte ich das bezeichnen – geliehen hat,
urückbekommt?
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Herr Kollege Ströbele, der Steuerzahler bekommt da-urch etwas zurück, dass diese Unternehmen, wenn sietzt gute Erträge haben, entsprechend Steuern zahlen.er Steuerzahler hat auch etwas davon, dass wir den Un-rnehmen durch diese Maßnahmen über die Krise hin-eggeholfen und es ihnen ermöglicht haben, das Be-chäftigungsniveau zu halten. Das heißt, es ist nicht zuusätzlicher Arbeitslosigkeit gekommen. Zusätzlicherbeitslosigkeit in erheblicher Höhe hätte nicht alleinus den Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit,ondern auch aus Steuermitteln finanziert werden müs-en.Würde man Ihren Gedanken, die Logik Ihres Vor-chlags fortführen, Herr Kollege Ströbele, dann müsstenir uns zum Beispiel fragen: Was machen wir eigentlich,enn wir Unternehmen fördern, die im Bereich derindkraft sehr gute Erträge erzielen?
ollten wir dann, wenn Windkraftunternehmen undindkraftanlagenhersteller sehr gute Erträge erzielen,ie Förderbeträge von diesen Unternehmen zurückfor-ern?
Sie bemerken sicherlich, dass der logische Ansatz Ih-r Überlegung zu Weiterungen führen würde, denen dieundesregierung nicht nachkommen möchte.
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10858 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(C)
(B)
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Im Gegensatz zu Ihnen fallen mir in diesem Zusam-
menhang nicht in erster Linie die erneuerbaren Energien
als Beispiel ein,
sondern die Kernenergie, in die ungeheuer viel investiert
worden ist. Da hier die Unternehmen praktisch als Geld-
druckmaschinen funktionieren, frage ich, ob man dem
Steuerzahler nicht etwas zurückgeben könnte. Aber das
will ich jetzt nicht vertiefen.
Meine Frage lautet: Wird denn daran gedacht, in Zu-
kunft Rückzahlungsvereinbarungen mit staatlich unter-
stützten privaten Industrieunternehmen zu schließen, die
Profite machen und Dividenden ausschütten? Das
scheint mir als normal denkender Mensch, als Steuer-
zahler und Abgeordneter eigentlich gerecht zu sein.
H
Herr Ströbele, man wird sicherlich generell überlegen
müssen, welche Konsequenzen man aus den Maßnah-
men, die die Bundesregierung zur Abfederung der volks-
wirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise getroffen
hat, zieht. Ich will einen Bereich nennen. Um in Zukunft
bei Schieflagen von Banken nicht gleich wieder den
Steuerzahler in Haftung zu nehmen, haben wir entschie-
den, eine Bankenabgabe zu erheben, mit der ein Restruk-
turierungsfonds zur Lösung künftiger Schieflagen von
Banken finanziert werden soll. Sie sehen an den ver-
schiedenen Stabilisierungsmaßnahmen, dass die Bundes-
regierung durchaus Konsequenzen aus der Finanzmarkt-
krise zieht. Die Bankenabgabe ist eine solche
Konsequenz. Sicherlich wird man darüber nachdenken
müssen, ob man in zukünftigen Krisen ähnlich stabilisie-
rende Maßnahmen wie in der Vergangenheit ergreifen
wird.
Auf die Banken kommen wir noch zurück.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 17. März 2011,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.