Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Uns wurde als Thema der heutigen Kabinettssitzung
mitgeteilt: Jahresabrüstungsbericht 2010.
Das Wort für den einleitenden Bericht, der fünf Minu-
ten dauern soll, hat der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Herr Dr. Werner Hoyer.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für die Bundesregierung sind Abrüstung und Rüstungs-kontrolle zentrale Bestandteile deutscher Außen- undSicherheitspolitik. Rüstungskontrolle kann durch ihrevertrauensbildende Funktion Spielräume für die globaleZusammenarbeit schaffen und damit entscheidend zumehr Sicherheit und politischer Stabilität weltweit bei-tragen. Diesem besonderen Engagement der Bundesre-gierung, mithilfe von Abrüstung und Rüstungskontrolledie Welt für unsere Bürgerinnen und Bürger sicherer zumachen, verleihen wir heute dadurch Nachdruck, dassßwtiSetuBSMSdkwTfotrgimtuwkRedetdas Bundeskabinett bereits heute als einen der erstenJahresberichte zum vergangenen Kalenderjahr den – soder formelle Titel – 28. Bericht der Bundesregierungzum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Ab-rüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwick-lung der Streitkräftepotenziale, kurz den Jahresabrüs-tungsbericht 2010, beschlossen hat.2010 war ein wichtiges und erfolgreiches Jahr für Ab-rüstung und Rüstungskontrolle; darauf wollen wir 2011gezielt aufbauen. Im Mai 2010 einigten sich die Ver-tragsstaaten des nuklearen Nichtverbreitungsvertrageserstmals seit zehn Jahren auf ein Abschlussdokument,das einen vorwärtsgerichteten Aktionsplan zur Stärkungaller drei Säulen des Nichtverbreitungsvertrder Abrüstung, der Nichtverbreitung und desfriedliche Nutzung der Kernenergie, enthält. Msogenannten Freundesgruppe des NVV, deren
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9654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
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Mitte 2010 haben die NATO-Mitgliedstaaten eine neueInitiative vorgeschlagen, die konkrete Verhandlungen er-möglichen soll. Russland und die anderen der NATOnicht angehörenden KSE-Staaten haben das Ge-sprächsangebot prinzipiell positiv aufgenommen. UnserZiel bleibt damit, 2011 den Einstieg in konkrete Ver-handlungen zu schaffen. Es gilt, die europäische Rüs-tungskontrollarchitektur zu erhalten und sie gleichzeitigan veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. DerKalte Krieg ist glücklicherweise Geschichte, aberEuropa ist auch heute nicht frei von Bedrohungsperzep-tion und der Gefahr regionaler und lokaler Konflikte.Dafür brauchen wir die passenden Instrumente, um Be-rechenbarkeit und Vertrauen zu stärken.Unsere Zukunftsperspektive für die kommendenJahre ist, das vorhandene Momentum im Nuklearbereichweltweit zur Stärkung der konventionellen Rüstungs-kontrolle zu nutzen, zumal beide Themen zwei Seitenderselben Medaille sind. Nukleare Abrüstung wird nurdurch Begrenzung konventioneller Ungleichgewichtevorankommen. Konventionelle Aufrüstung darf niemalsErsatz für reduzierte nukleare Potenziale werden. DasArgument, dass der Abschied von Nuklearwaffen dieFührbarkeit konventioneller Kriege erhöhen könnte,muss ausgeräumt werden.Für die Bundesregierung hat die weltweite Friedens-sicherung durch Stärkung des humanitären Völkerrechtsund der humanitären Rüstungskontrolle sowie mithilfeeffektiver Rüstungsexportkontrolle übergreifende politi-sche Bedeutung. Die Bundesregierung engagiert sichdeshalb nachhaltig für die Umsetzung und Universalisie-rung des Abkommens zum Verbot von Landminen undStreumunition. Sie unterstützt darüber hinaus gezielt Be-mühungen zur Schaffung eines umfassenden Waffenhan-delsvertrags für konventionelle Rüstungsgüter im VN-Rahmen, um endlich weltweit die notwendigen, recht-lich bindenden Standards zu setzen.Bei der Kontrolle von Kleinwaffen als einem wesent-lichen Element deutscher Bemühungen um Krisenprä-vention und Friedenskonsolidierung hat die Bundesre-gierung 2010 wichtige Akzente setzen können. ImJahresabrüstungsbericht wird im Detail berichtet, dassKleinwaffen mehr Opfer als andere Waffengattungenverursachen. Sie verschärfen Konflikte, destabilisierenGesellschaften und hemmen Entwicklungen. Deswegenbleiben wir besonders engagiert, gerade auch im Hin-blick auf unsere Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat.Die Stärkung der konventionellen und nuklearen Rüs-tungskontrolle ist das Essential der gemeinsamen euro-päischen Agenda für Vertrauensbildung, in die wir zu-künftig unsere Nachbarn im Nahen Osten, Verzeihung,im Osten, im Süden und im Nahen Osten noch stärkereinbinden wollen. An der erfolgreichen Umsetzung die-ser großen Agenda für nachhaltige weltweite Abrüstungund Rüstungskontrolle gemeinsam zu arbeiten, dazulade ich Sie herzlich ein. Wenn mir eben der Lapsus un-terlaufen ist, dass ich den Osten mit dem Nahen Ostenverwechselt habe, dann hat das durchaus einen konkre-ten Sinn. Ich glaube, dass die Verpflichtung aus der Ver-einbarung aus dem letzten Jahr in New York zum Nicht-vOdwdriebnpkSvIcmdgalalifeDgwwDFwpMabAkruvladpAvG
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9655
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wegung aus, die dazu führt, dass wir am Ende wiedereine Spirale nach oben sehen? Das liegt natürlich in nie-mandes Interesse, zumindest nicht in unserem. Deswe-gen müssen wir versuchen, dem entgegenzuwirken.Im Hinblick auf die Ratifizierung des New-START-Abkommens im amerikanischen Senat war dieser Punktganz entscheidend. Präsident Obama hat eine, wie ichfinde, in Deutschland und Europa völlig unterschätzteGrundsatzentscheidung getroffen und zieht sie konse-quent durch: keine Entwicklung neuer Nuklearwaffen. –Das ist für den amerikanischen Senat eine sensationelleFestlegung. Unter diesen Umständen 71 Abgeordnetedes Senats dazu zu bewegen, dem New-START-Vertragzuzustimmen, ist eine bemerkenswerte Leistung. Dafürhat er einen Preis gezahlt. Das betrifft wesentliche Fra-gen der Innenpolitik, der Haushalts- und Finanzpolitik,der Sozialpolitik, aber auch die Frage der Modernisie-rung des Arsenals. Das ist etwas, das uns sicherlich nichtso sehr gefällt, das wir aber als Preis zur Kenntnis neh-men müssen. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen,wenn dieses erste große Rüstungsbegrenzungsabkom-men des Jahrzehnts nicht die notwendige Mehrheit imSenat bekommen hätte. Glücklich über den Gesamtkon-text muss man deswegen nicht sein, wenn man einen sol-chen Preis zahlen muss.Der zweite Punkt ist die Raketenabwehr. Die Rake-tenabwehr sehen wir im engen Zusammenhang mit dernuklearen Abrüstung und mit Fragen von Abrüstung undRüstungskontrolle insgesamt. In der Nuclear PostureReview der Vereinigten Staaten heißt es: „the reduced sa-lience of nuclear weapons“. Wir haben im Hinblick aufdas strategische Konzept der NATO gesagt, dass dies einganz entscheidender Punkt sein kann, wenn es gleichzei-tig gelingt, Sorgen zu zerstreuen, indem wir gemeinsamin der NATO, verbunden mit einem Angebot an Russ-land, aktiv daran mitzuwirken, eine Raketenabwehr auf-bauen. Es wird jetzt entscheidend auf die Ausgestaltungdes Systems der Raketenabwehr ankommen. Wir solltenuns nach allen Kräften darum bemühen, das auf einemöglichst breite Basis zu stellen, um den Effekt, den Siebeschrieben haben, zu verhindern. So manche Rhetorikauch im Zusammenhang mit dem Ratifizierungsverfah-ren – gestern in der Duma und heute im Föderationsrat –lässt da ein paar Alarmglocken läuten. Wir müssen dasgenau beobachten.Dritter Punkt ist die AKSE-Ratifizierung. Wir müssenda gemeinsam mit unseren Partnern vorgehen; das ist dieoberste Maxime. Wenn es kreative Möglichkeiten gibt,die Stolpersteine auf dem Weg hin zur Inkraftsetzungneuer konventioneller Rüstungskontrollregime beiseite-zuräumen, dann soll uns das recht sein. Es ist aus deut-scher Sicht sowie aus Sicht der Europäischen Union undder NATO ein ganz entscheidender Punkt, dass insbe-sondere im Hinblick auf Transparenz wieder Fortschrittein diesem Bereich erzielt werden; denn da ist uns in derletzten Zeit natürlich einiges an vertrauensbildendenMaßnahmen abhanden gekommen, die wir dringendwieder brauchen. Ob sich das letztendlich in einer Wei-terentwicklung der Ergebnisse von Istanbul niederschla-gen kann, vermag ich nicht zu beurteilen; denn die Geor-gienfrage scheint im Moment – ich benenne das klar –uunglekgliddtaomnwkSnIdzwicddwAdBZtevrüASsleAAteAsleBhdduRs
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den Zusammenhang zwischen den deutschen Interessenund den Interessen einzelner Mitgliedstaaten des Nordat-lantischen Bündnisses sehen. Diese Bedingungen müs-sen berücksichtigt werden.Innerhalb der NATO sind wir, glaube ich, auf einemguten Weg, wenn es darum geht, die substrategischenAtomwaffen einzubeziehen. Bei den Beratungen überdas neue Strategische Konzept der NATO ist es gelun-gen, die Dimension der substrategischen Nuklearwaffen,die bisher überhaupt keiner Regulierung unterliegen, zuberücksichtigen. Wir wissen genau, dass das ein langerWeg ist, aber im Jahr 2010 sind die ersten Schritte ge-macht worden.
Herr van Aken, bitte.
Herr Hoyer, ich möchte erst einmal betonen, dass wir
uns alle darüber einig sind, dass 2010 aufgrund des
Nichtverbreitungsvertrages und des START-Vertrages
eigentlich ein gutes Jahr war. Ich würde aber auch sagen,
dass es aus deutscher Sicht eher ein schlechtes Jahr für
die atomare Abrüstung war. In Ihrem Koalitionsvertrag
haben Sie explizit das Ziel formuliert, dass die ungefähr
20 in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen abge-
zogen werden. Damit sind Sie komplett gescheitert.
Wenn ich Ihre Worte richtig verstanden haben, gehen Sie
davon aus – das ist die Perspektive –, dass das noch
mehrere Dutzend Jahre dauern wird. Das ist nicht viel-
versprechend. Das ist sogar eine negative Bilanz.
In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen eine Frage
zu Indien leider nicht ersparen. Sie wissen, dass China
und Pakistan sozusagen im Copy-and-Paste-Verfahren
einen ähnlichen Nukleardeal schließen wollen wie die
USA und Indien im letzten Jahr. Daran sieht man, dass
all die Bedenken, die in der letzten Legislaturperiode
hier geäußert wurden, richtig sind: Indem man die
Schleusen einmal öffnet und einem erklärten Atomwaf-
fenstaat wie Indien, das den Nichtverbreitungsvertrag
nicht unterzeichnet hat, Atomtechnologie zur Verfügung
stellt, unterminiert man den ganzen Nichtverbreitungs-
vertrag. Jetzt hören wir von dem deutschen Botschafter
in Indien, Herrn Matussek: Wir werden trotzdem Indien
darin unterstützen, der Nuclear Suppliers Group beizu-
treten. – Das geht nach den Regeln der NSG überhaupt
nicht. Damit torpedieren und unterminieren Sie natürlich
den Nichtverbreitungsvertrag.
Sie haben die Kleinwaffen erwähnt. Sie haben gesagt,
dass Sie – so haben Sie das genannt – bei der Kontrolle
von Kleinwaffen wichtige Akzente gesetzt haben. Dem
würde ich zustimmen, aber, so glaube ich, in einem ganz
anderen Sinn. Sie haben vor einigen Wochen den Rüs-
tungsexportbericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass
Deutschland auch im letzten Jahr für mehrere Dutzend
Millionen Euro Kleinwaffen in alle Welt geliefert hat.
Damit haben Sie den Akzent auf die Verbreitung von
Kleinwaffen in der Welt gelegt. Ich verstehe überhaupt
nicht, wie Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen kön-
nen, dass Sie den Akzent auf die Kontrolle von Klein-
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muss Ihnen sagen, dass man diese Dinge sehr differen-ziert angehen muss. Wir sind an einer globalen Lösungdieser Frage interessiert, weil es ganz offensichtlich ist,dass in völlig unvertretbarem Umfang Kleinwaffen indie falschen Hände geraten. Wenn hingegen ein deut-scher Anbieter in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass inDeutschland produzierte Kleinwaffen in die Hände vonPersonen und Organisationen kommen, für die der Be-sitz dieser Waffen legitim ist, dann ist der Verkauf dieserWaffen nach meiner Auffassung völlig in Ordnung. Un-ter diesem Gesichtspunkt muss man die Zahlen bewertenund darf nicht so pauschal urteilen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kaufmann.
– Entschuldigung, Herr Kiesewetter.
Roderich Kiesewetter, Wahlkreis Aalen-Heidenheim,
Nachfolger von Schorsch Brunnhuber.
Das steht jetzt im Protokoll; das ist wunderbar. Einen
Gruß an den Wahlkreis.
Herr Staatsminister, ich habe den Bericht natürlich
mit großer Freude zur Kenntnis genommen, insbeson-
dere, dass in die Abrüstung insgesamt wieder etwas
mehr Bewegung gekommen ist. Meine Frage bezieht
sich auf die Genfer Abrüstungskonferenz, die sich unter
anderem mit nuklearer Abrüstung befasst. Seit zwölf
Jahren, seit 1999, gibt es keine substanziellen Verhand-
lungsergebnisse mehr. Das Arbeitsprogramm aus dem
Jahr 2009, das im Konsens verabschiedet wurde, kann
aufgrund des Widerstands von Pakistan nicht umgesetzt
werden.
Nun handelt es sich um vier Arbeitsgebiete: nukleare
Abrüstung, Verbot der Produktion von Spaltmaterial,
Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum und das
Thema Sicherheitsgarantien. Der pakistanische Wider-
spruch richtet sich nur gegen den zweiten Punkt, das
Verbot der Produktion von Spaltmaterial. Der Wider-
stand scheint sich also nur gegen einen sehr kleinen Be-
reich zu richten. Meine Fragen lauten: Erstens. Welche
Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, die
Genfer Konferenz wiederzubeleben? Zweitens. In wel-
cher Weise können Sie multilateral oder auch bilateral
auf Pakistan einwirken, um so für weitere Bewegung zu
sorgen?
Danke schön.
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Vielen Dank. – Ein Einwirken auf Pakistan – das wis-
sen wir aus anderen Zusammenhängen – ist außerordent-
lich schwierig. Man darf sich da auch nicht überheben.
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Die Frage der substrategischen Nuklearwaffen steht
für uns natürlich weiterhin im Vordergrund; sie ist von
ganz entscheidender Bedeutung. Wir haben gesagt, dass
wir dieses Thema im Rahmen des Bündnisses weiter vo-
rantreiben. Es ist uns gelungen, dies auch in die Beratun-
gen des neuen Strategischen Konzepts der NATO ein-
fließen zu lassen und eine Diskussion in Gang zu setzen,
die mehr und mehr durch eine rein rationale Wahrneh-
mung der Funktion und der Glaubwürdigkeit nuklearer
Waffen und insbesondere substrategischer Waffen ge-
kennzeichnet ist. Ich glaube, der Weg, den wir beschrit-
ten haben, ist gut.
Wir werden uns sowohl auf der Abrüstungskonferenz
in Genf, bei der das Problem ein Stück weit darin be-
steht, dass immer Einvernehmen hergestellt werden
muss – es müssen immer Konsensentscheidungen ge-
troffen werden; deswegen dauert das unendlich lange –,
als auch im Zusammenhang mit der Nuclear Suppliers
Group und Indien sehr abwägend verhalten. Die Grund-
linien sind klar. Wenn es tatsächlich gelingen würde, In-
dien dazu zu bewegen, den Nichtverbreitungsvertrag zu
unterzeichnen oder zumindest dem Nichtverbreitungs-
regime beizutreten – im Hinblick auf, wie ich glaube,
18 nukleare Installationen in Indien ist das mittlerweile
gelungen, aber längst noch nicht in allen Fällen –, wäre
dies ein Riesenfortschritt. Dann würde man auch die
eine oder andere Entscheidung in einem anderen Licht
beleuchten.
Was den Haushalt angeht, muss ich Ihnen sagen: Die
Tatsache, dass wir die für uns wirklich prioritären kon-
kreten Abrüstungsinitiativen mit einem Haushalt, dessen
Volumen geringer ist als bisher, fördern können, ist ein
großer Erfolg. Warum? Weil große Abrüstungsprojekte,
die in den letzten zehn, zwanzig Jahren finanziert wor-
den sind, abgeschlossen sind. Wir sollten uns darüber
freuen, dass es mithilfe der Mittel, die der deutsche Steu-
erzahler in gigantischem Umfang aufgebracht hat, ge-
lungen ist, furchtbare Waffen, insbesondere auf dem Ge-
biet der früheren Sowjetunion, zu vernichten.
Herr Kollege Stinner.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister, zunächst einmal
möchte ich deutlich zum Ausdruck bringen: Wir begrü-
ßen sehr, dass diese Bundesregierung dem Thema Ab-
rüstung seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2009 in ihrer
Regierungsarbeit eine ganz herausragende Bedeutung
beimisst. Ich kann Sie nur ermuntern, diese Politik kon-
sequent und stringent weiter zu betreiben.
Unter dem Gesichtspunkt der Konsequenz und der
Stringenz möchte ich auf Indien eingehen. Ich möchte
Ihnen, Herr Staatsminister, zur Kenntnis geben, dass
meine Fraktion, die FDP, die Situation damals sehr kri-
tisch beurteilt hat. Wir waren über den amerikanisch-in-
dischen Deal – ich will es einmal so sagen – entsetzt und
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Deutschland und Büchel ganz weit entfernt sind. Deswe-gen ist diese Diskussion im Bündnis schwierig. Wennsich ein Land einen schlanken Fuß machen und sagenwürde: „Wir machen das einseitig und werden darauf be-stehen, dass die Waffen sofort abgezogen werden“, dannwäre das eine schwierige Situation, die wir uns im Bünd-nis nicht leisten können und wollen; denn wir möchtendie Homogenität und den Zusammenhalt des Bündnissesund wollen deswegen lieber mit Überzeugungsarbeit andas Thema herangehen als über einseitige Schritte; sol-che wollen wir als fester Bestandteil dieses nordatlanti-schen Bündnisses nicht.
Vielen Dank. – Gibt es Fragen zu anderen Themen
der heutigen Kabinettssitzung? – Das ist nicht der Fall.
Dann beende ich die Themenbereiche der heutigen Kabi-
nettssitzung.
Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? –
Auch das ist nicht der Fall.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksachen 17/4493, 17/4525 –
Gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Frage-
stunde rufe ich die dringlichen Fragen auf Drucksache
17/4525 auf. Hier geht es um den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Annette
Widmann-Mauz bereit.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Vogler
auf:
Kann die Bundesregierung Agenturmeldungen vom 24. Ja-
nuar 2011 bestätigen, wonach das Bundesgesundheitsministe-
rium es zwar begrüßen würde, wenn deutsche Pharmafirmen
und der Großhandel dem Ersuchen aus den USA zur Liefe-
rung des für die Todesspritze benötigten Betäubungsmittels
Thiopental-Natrium nicht nachkommen, es aber in seinem
Geschäftsbereich keine rechtlichen Möglichkeiten zur Ertei-
lung eines Ausfuhrverbots sieht?
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Frau Kollegin Vogler, es trifft zu, dass sich Minister
Dr. Rösler an deutsche Pharmafirmen und den pharma-
zeutischen Großhandel gewandt hat. Er hat im Hinblick
auf die Grundsatzentscheidung des Grundgesetzes und
europäischer Gremien gegen die Todesstrafe eindring-
lich darum gebeten, möglichen Lieferungsersuchen für
das genannte Narkosemittel nicht zu entsprechen. Vo-
rausgegangen waren Hinweise zur Anforderung des bei
dem Todesstrafenvollzug genutzten Arzneimittels Thio-
pental-Natrium durch die USA in Großbritannien.
Arzneimittelrechtliche Vorschriften sehen kein Ex-
portverbot vor, mit dem die Ausfuhr zur missbräuchli-
chen Verwendung eines solchen Narkosemittels wirksam
unterbunden werden könnte. Die deutschen Pharmafir-
men, die Thiopental-Natrium in den Verkehr bringen,
unterstützen das Anliegen der Bundesregierung und ha-
ben erklärt, einem Exportbegehren der USA nicht nach-
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Exportverbot zum Beispiel auch nicht auf arzneimittel-rechtliche Regelungen. Wir halten Regelungen in ande-ren Bereichen in diesem Fall für sachgerechter und erör-tern diese Fragen innerhalb der Bundesregierung.
Bei der zweiten dringlichen Frage geht es um den
gleichen Themenbereich, aber um Regelungen im Au-
ßenhandelsgesetz. Das betrifft den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher
steht zur Beantwortung bereit.
Ich rufe also nunmehr die dringliche Frage 2 der Kol-
legin Vogler auf:
Kann die Bundesregierung Agenturmeldungen vom 24. Ja-
nuar 2011 bestätigen, wonach ein Ausfuhrverbot über entspre-
chende Regelungen im Außenhandelsgesetz möglich sei, das
in die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums falle,
und welche weiteren rechtlichen und verbindlichen Schritte
jenseits des bloßen Appells des Bundesministers für Gesund-
heit, Dr. Philipp Rösler, erwägt die Bundesregierung – gege-
benenfalls unter der Federführung des Bundeswirtschaftsmi-
nisteriums –, um eine Lieferung des für die Todesspritzen in
den USA benötigten Betäubungsmittels Thiopental-Natrium
zu verhindern?
E
Frau Kollegin Vogler, die Bundesregierung prüft der-
zeit, ob es ausfuhrkontrollrechtliche Möglichkeiten zur
Beschränkung der Ausfuhr des genannten Narkosemit-
tels gibt. Wir befinden uns also in der Prüfungsphase.
Eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Mich würde noch
interessieren, in welchem Zeitrahmen die Bundesregie-
rung diese Prüfung vorzunehmen beabsichtigt. Können
Sie uns heute schon sagen, wann Sie mit dieser Prüfung
zu einem Ergebnis gekommen sein werden und ob Sie in
diese Prüfung auch die Rechtslage in anderen EU-Staa-
ten bzw. die EU-Rechtslage einbeziehen?
E
Frau Kollegin Vogler, ich kann Ihnen jetzt beim besten
Willen keinen konkreten Termin nennen. Wir befinden
uns wirklich in der Prüfung. Es geht genau darum, dass es
seit dem Inkrafttreten der Anti-Folter-Verordnung zwar
entsprechende Möglichkeiten gibt, dass in dieser Verord-
nung momentan aber keine Ausfuhrbeschränkungen für
Thiopental-Natrium vorgesehen sind. Auch die in dieser
Verordnung enthaltene Öffnungsklausel erlaubt keine na-
tionale Beschränkung der Ausfuhr dieses Arzneimittels.
Die Handelspolitik gehört zu den ausschließlichen Ge-
meinschaftskompetenzen. Deshalb müssen wir prüfen,
ob eine ausfuhrkontrollrechtliche Beschränkung nach
dem Außenwirtschaftsgesetz möglich ist. Das prüfen wir.
Dazu sind wir auch mit anderen Ländern im Gespräch.
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daher weiter keine Aussage über die Rolle der mit deut-scher Hilfe ausgebildeten Polizisten vor und nach den Ge-fechten sowie während der Gefechte treffen. Von den inÄthiopien ausgebildeten Polizisten waren einige zumZeitpunkt der Ausbildung unter 18 Jahre alt.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Dağdelen?
Ja.
Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister,
als im vergangenen Jahr öffentlich wurde, dass die Bun-
desregierung nicht ausschließen kann, dass die Bundes-
wehr in Uganda im Rahmen der EU-Ausbildungsmis-
sion EUTM SOM Kindersoldaten ausbildet, kündigte
Verteidigungsminister zu Guttenberg an, diese Möglich-
keit – ich zitiere – „hart und deutlich“ zu überprüfen. Als
wir als Linksfraktion im September die Bundesregierung
fragten, worin diese Prüfung bestanden habe, wurde aus-
weichend geantwortet. Ich zitiere:
Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte
dafür vor, dass sich unter den im Rahmen des
EUTM auszubildenden somalischen Rekruten Per-
sonen unter 18 Jahren befinden.
Es ist also davon auszugehen, dass keine Überprüfung
stattgefunden hat. Auch zu Guttenberg entlarvt sich im-
mer mehr als Ankündigungsminister.
Deshalb frage ich Sie: Wie kann das deutsche Parla-
ment, der Deutsche Bundestag, darauf vertrauen, dass
tatsächlich intensiv geprüft wird, ob sich unter den in
Äthiopien mit deutschem Geld ausgebildeten Soldaten
Minderjährige befanden und ob es unter denjenigen, die
mit deutscher Hilfe zu Polizisten ausgebildet werden,
Minderjährige gibt?
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Zunächst einmal muss ich sagen: Die Bundesregie-
rung ist hier nach der Ausbildung von somalischen Poli-
zisten durch Äthiopien unter deutscher finanzieller Be-
teiligung gefragt worden. Die Frage der militärischen
Ausbildung im Rahmen des EU-Projektes in Uganda
steht jetzt hier nicht auf der Tagesordnung. Deswegen
muss man die Dinge trennen.
Im Übrigen muss man auch zwischen Soldaten und
Polizisten trennen. Ich erinnere grundsätzlich daran:
Auch in Deutschland werden Polizisten, die jünger als
18 Jahre sind, ausgebildet. Das ist also nicht das Kern-
problem. Trotzdem haben wir in dem Fall die Konse-
quenzen gezogen und klar gesagt: Wir müssen auch
dann, wenn wir nicht selber ausbilden, sondern wenn wir
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Frau Dağdelen, Sie dürfen Ihre Nachfrage gern danach
tellen.
Vielen Dank. – Meine Nachfrage bezieht sich auch
uf die Soldatenausbildung in Uganda. Sie haben schon
esagt, Sie könnten dazu nur begrenzt Auskunft geben.
ielleicht können Sie das schriftlich nachreichen. Mir
denfalls ist heute zu Ohren gekommen, dass sich die
ückkehr dieser ausgebildeten Kämpfer nach Mogadi-
chu erneut aus unklaren Gründen verzögert. Offensicht-
ch weiß man gar nicht, wem die in Somalia überhaupt
nterstellt werden sollen. Ich stelle mir die Frage, ob es
nter solchen Umständen überhaupt verantwortlich ist,
ämpfer auszubilden. Deswegen möchte ich Sie bitten,
formationen nachzuliefern.
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Vielen Dank. – Das mache ich gerne, sowohl wasganda als auch was die konkrete Situation hier angeht.ir reden immer gerne von African Ownership, aberenn wir einen afrikanischen Staat – in diesem Fallthiopien – finanziell unterstützen, ohne selber in dieusbildung einzugreifen, dann wird hinterher sehr leichtesagt: Ihr hättet mehr selber übernehmen müssen. – Est eine Gratwanderung, auf der man sich befindet. Dasöchte ich einmal sagen. Wir haben eigentlich nur einenebel in der Hand, und den betätigen wir. Ich hoffe, dassas nicht kritisiert wird. Wir zahlen nämlich nicht; dennie Bezahlung des Solds der Polizisten ist auf den Falleschränkt – so ist es ausdrücklich vereinbart –, dass sie Mogadischu sind. Solange sie nicht in Mogadischuind, erhalten sie von uns kein Geld.
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Frau Dağdelen, Sie haben noch eine zweite Nach-
frage.
Danke, Frau Präsidentin, dass ich von meinem Recht
Gebrauch machen kann, meine zweite Nachfrage zu
meiner mündlichen Frage zu stellen. – Herr Staatsminis-
ter, Sie haben gesagt, die EU-Trainingsmission für So-
malia in Uganda sei ohne Zusammenhang mit der deut-
schen Hilfe für von Äthiopien ausgebildete Polizisten.
Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass diese Polizisten
auch eine militärische Ausbildung vom äthiopischen Mi-
litär erhalten. Ganz abgesehen von der Frage, ob es rich-
tig ist, Deutschland bezüglich der Polizeiausbildung mit
Äthiopien, einem autoritären Regime, zu vergleichen,
würde ich schon gerne wissen: Wann und zu welcher
Gelegenheit hat die Bundesregierung eigentlich von der
spezifischen militärischen Ausbildung der Polizisten
durch das Militär zum ersten Mal erfahren, und wann hat
sie gegenüber Äthiopien, einem autoritären Regime, rea-
giert?
D
Ich weise zunächst einmal zurück, ich würde ein auto-
ritär regiertes Land mit der Bundesrepublik Deutschland
vergleichen. Ich habe nur gesagt, dass wir einem afrika-
nischen Land, das uns um Hilfe gebeten hat, in einer
ganz bestimmten Situation helfen, und zwar rein finan-
ziell. Deswegen mache ich mich mit denen noch nicht
gemein. Das muss von vornherein klar sein.
Im Übrigen muss ich ganz deutlich sagen – auch wie-
der ein Appell, auf die Realitäten zu achten –: Eine mes-
serscharfe Trennlinie zwischen rein militärischen Kom-
ponenten der Ausbildung und rein polizeilich-zivilen
Komponenten jenseits der Rechtsfragen ist in einem sol-
chen Land wie Somalia nicht möglich. Dort gibt es
Grenzbereiche. Deswegen müssen wir – selbst dann,
wenn es sich um die Ausbildung von Polizeibeamten
handelt – in Zukunft darauf achten, dass wir nicht in Wi-
dersprüche zu Grundsätzen geraten, die uns selber wich-
tig sind. Da gibt es manchmal etwas zu lernen; auch das
ist hier der Fall.
Frau Dağdelen, ich will Sie gerne darauf hinweisen,
dass Sie selbstverständlich von Ihrem Fragerecht Ge-
brauch machen können. Dafür müssen Sie sich auch
nicht bei der amtierenden Präsidentin bedanken. Aller-
dings: Ich behandle die Nachfragen nach dem Eingang
der Meldungen.
Ich rufe die Frage 2 auf – sie ist ebenfalls von der
Kollegin Dağdelen –:
Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung die vom Gro-
ßen Strafsenat des Kassationsgerichtshofs in Ankara be-
schlossene Einleitung eines Folgeverfahrens gegen die türki-
sche Soziologin P. S. mit der Feststellung des Auswärtigen
Amts in Einklang zu bringen, die Türkei habe im Menschen-
rechtsbereich viele Reformen in Angriff genommen, und
diese hätten bezüglich der „Verhütung sowie zur erleichterten
Strafverfolgung und Bestrafung von Folter“ viele Verbesse-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9663
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Sevim Dağdelenworden sind. Das sehen Menschenrechtsgruppen, Ge-werkschaften, Oppositionelle und viele andere Verbändeund Organisationen in der Türkei also ein bisschen an-ders.Ich möchte Sie nur ganz kurz fragen: Mir ist klar, dassdie Bundesregierung zu laufenden Gerichtsverfahrenkeine Bemerkungen machen möchte. Das hat sie unsauch in der Antwort mitgeteilt. Am vergangenen Montagaber hat die Vorsitzende der Delegation im GemischtenParlamentarischen Ausschuss EU-Türkei, Frau HélèneFlautre, in Istanbul eine Pressekonferenz zum Fall vonPinar Selek gemacht, in der sie von ihrem Gespräch mitdem dortigen Justizminister berichtet hat, der ihr auchgesagt habe, dass man sich zum laufenden Verfahren na-türlich nicht äußere. Sie hat daraufhin erklärt, dass mandas nicht erwartet – das teile ich –, man aber schon er-wartet, dass Gerichte darauf hingewiesen werden, dassauch nach türkischem Recht durch Folter erzwungeneAussagen in Gerichtsverfahren nicht verwendet werdendürften.Deshalb lautet meine Frage: Hat die Bundesregierungim letzten Jahr – das läuft seit einem Jahr; der nächsteProzesstag ist der 9. Februar – in bilateralen Gesprächenvielleicht einmal den Hinweis gegeben, dass man unterFolter erzwungene Aussagen vor Gericht nicht verwen-den darf?D
Eindeutig ja. Ich bin im Übrigen in der Sachfrage mit
den von Ihnen zitierten NGOs sehr einig. Ich begrüße es
auch, wenn Kolleginnen aus dem Europäischen Parla-
ment gegenüber einer Soziologin, einer Bürgerin der
Türkei, Solidarität beweisen, die mit Folter bedroht wor-
den ist oder die der Folter unterworfen worden ist. Wenn
das der Fall ist, dann verdient diese Dame unsere Solida-
rität. Da sie aber weder deutsche noch EU-Staatsbürge-
rin ist, haben wir keine unmittelbaren Möglichkeiten,
aufgrund von internationalen Konventionen einzuwir-
ken, zum Beispiel auf den Zugang und Ähnliches. Das
ist eine schwierige Situation.
Es ist völlig klar, dass wir nicht nur abstrakt die Ver-
besserung der Gesetzeslage in der Türkei sehen – da hat
die EU-Kommission nach meiner Auffassung recht: Die
Türkei hat sich sehr darum bemüht, ihre Rechtsordnung
dahin gehend weiterzuentwickeln und zu verbessern –,
sondern auch den Unterschied hinsichtlich der Imple-
mentierung; Sie haben ja von der Anwendung von Ge-
setzen gesprochen. Da liegt noch sehr vieles im Argen.
Das wird von der Bundesregierung in einer Vielzahl von
Gesprächskontakten, die es mit der Türkei immer wieder
gibt, zum Ausdruck gebracht.
Dann kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Liebich:
Wie beurteilt die Bundesregierung die außenpolitischen
Wirkungen von Meldungen der New York Times vom 15. Ja-
nuar 2011 über die Zusammenarbeit der USA und Israels bei
der Entwicklung des Computerwurms Stuxnet als Cyberwaffe
und dessen offenkundigen Einsatz gegen den Iran?
Herr Staatssekretär.
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9664 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
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wenn sie erfahren würde, dass der wichtigste Bündnis-partner in der NATO, nämlich die USA, in Zusammenar-beit mit dem israelischen Geheimdienst an einem Cyber-kriegsangriff beteiligt ist?D
Wir haben in Lissabon hierzu eine sehr engagierte
Debatte geführt, und wir haben ein Höchstmaß an Über-
einstimmung auch mit den amerikanischen Freunden ge-
funden. Die amerikanischen Freunde haben selber davor
gewarnt, dieses Thema jetzt im Hinblick auf die Ent-
wicklung von Offensivkapazitäten zu dramatisieren. Sie
haben vielmehr dafür plädiert, den defensiven Charakter
unserer Bemühungen eindeutig in den Vordergrund zu
stellen. Alles andere, was man dazu jetzt sagen könnte,
ist reine Spekulation. Die wiederum hätte möglicher-
weise gefährliche Konsequenzen. Deswegen können Sie
nicht von mir erwarten, dass ich mich daran beteilige.
Zunächst Frau Dağdelen.
Herr Staatsminister, in diesem Zusammenhang kann
ich hier ja die dringliche Frage, die ich gestellt hatte, die
aber nicht zugelassen wurde, stellen. Es ging um die Ent-
hüllungen von WikiLeaks und Welt Online vom 21. Ja-
nuar. Demzufolge habe der Leiter der vom Bundeshaus-
halt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik,
Volker Perthes,
– darüber haben wir ja schon gesprochen: Stuxnet –
die effektiver wären als ein Militärschlag, dessen
Auswirkungen auf die Region furchtbar sein könn-
ten,
bezüglich Irans empfohlen. In diesem Zusammenhang
möchte ich Sie gerne fragen: Teilt die Bundesregierung
diese Auffassung, und welche Konsequenzen zieht sie
daraus vor dem Hintergrund, dass die SWP vom Bun-
deshaushalt finanziert wird?
D
Sie wird vom Bundeshaushalt mitfinanziert – das ist
ganz entscheidend –, und sie wird von der Regierung
und vom Parlament als Ratgeber außerordentlich ge-
schätzt. Das gilt für die von Ihnen genannte Person alle-
mal. Ich kenne die konkreten Äußerungen nicht. Deswe-
gen werde ich sie auch nicht bewerten.
Ich will aber auf jeden Fall sagen, dass wir auch Wert
darauf legen, dass es an der wissenschaftlichen Unab-
hängigkeit der Personen, die in der Stiftung für Wissen-
schaft und Politik arbeiten, keinen Zweifel gibt, sonst
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Die nächste Nachfrage. Kollege Aken.
Herr Hoyer, um jetzt nicht zu spekulieren, möchte ich
rst einmal auf die Frage von offensiver und defensiver
usrichtung eingehen. Es gibt in Sachen Cyber War
ichts, was man als defensive Forschung einstufen
önnte. Wir haben das im Unterausschuss diskutiert. Ein
ertreter der Bundeswehr hat zugestimmt und eindeutig
esagt: In dem Moment, wo Sie im IT-Bereich defensiv
rschen, müssen Sie gleichzeitig auch offensiv for-
chen. Sie müssen sozusagen die Viren bzw. die Würmer
ntwickeln, gegen die Sie sich schützen wollen. – Das
eißt, die Trennung in Defensiv- und Offensivforschung
t hier genauso unmöglich wie bei den biologischen
affen. Das macht das Ganze natürlich zu einem richti-
en Problem für die Rüstungskontrolle; darauf komme
h gleich noch zurück.
Ein weiterer Punkt, der keine Spekulation ist: Wir re-
en hier jetzt nicht über IT-Sicherheit, sondern über ei-
en kleinen Ausschnitt davon. Das ist Cyber War. Es
eht bei Stuxnet ja um einen Virus bzw. einen Wurm, der
der realen Welt katastrophale Auswirkungen zeitigen
ann. Nach allem, was wir heute wissen, ist er technisch
der Lage, Ultrazentrifugen so aus dem Takt zu brin-
en, dass sie dabei möglicherweise sogar zerstört wer-
en, wodurch die Gefahr besteht, dass radioaktives
aterial freigesetzt wird. Es besteht außerdem die Be-
rchtung – diese ist noch nicht belegt –, dass sogar die
unktionsfähigkeit eines Atomkraftwerkes gestört wer-
en kann. Wir reden hier also über Viren, die katastro-
hale Auswirkungen auf die reale Welt haben können,
it möglicherweise Hunderten, Tausenden oder gar
ehntausenden betroffener Menschen. Diese Mittel zur
riegsführung müssen wir, was die Frage der Rüstungs-
ontrolle angeht, eigentlich genauso bewerten wie an-
ere Waffenarten auch.
Hieraus ergibt sich nun meine Frage an Sie, da Sie ja
erade den abrüstungspolitischen Bericht vorgelegt ha-
en: Welche Pläne verfolgt die Bundesregierung, um in
er Rüstungskontrolle solche Art von Cyberangriffen
ich rede nicht über IT-Sicherheit; ich rede nicht über
efensive Forschung, sondern über Rüstungskontrolle –,
ie in der realen Welt katastrophale Auswirkungen ha-
en, zu verhindern bzw. zu kontrollieren? Welche Vor-
tellungen haben Sie hierzu entwickelt? Welchen Beitrag
istet die Bundesregierung dazu?
D
Ich glaube, wir steigen jetzt in eine sehr grundsätzli-he, teilweise sogar philosophische, auf jeden Fall intel-ktuell sehr anregende Debatte über Grenzlinien zwi-chen offensiven und defensiven Systemen ein, die im
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9665
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
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Cyberspace anders zu ziehen sind als zwischen Offen-sive Counter-Air und Luftverteidigung. Hier sind dieUnterschiede eher klar, auch wenn man ein System, daszur Luftverteidigung gedacht ist, auch einmal so anwen-den kann, dass es dem Gegner schadet. In dem vorlie-genden Bereich ist jedoch die Dimension der Verflech-tung eine ganz andere. Deswegen kommt es darauf an,welchen Rechtsrahmen man schafft.Im Hinblick auf einen möglichen Angriff auf kritischeInfrastruktur in einem NATO-Land zum Beispiel müssenwir uns die Frage stellen: Welchen Artikel des NATO-Vertrages aktivieren wir? Wir haben ganz bewusst ge-sagt, dass so ein Fall nicht automatisch ein Artikel-5-Fallist. Diese Schlussfolgerung wäre falsch und völlig vorei-lig. Diese Fragen müssen wir diskutieren. Das ist einsehr schwieriger und großer Komplex, in den man ein-steigen muss.Ich kann aber gar nicht umhin, Ihnen zuzugestehen,dass ich zumindest von der Wissensaufbereitung her garnicht unterscheiden kann, ob ein Wurm, den ich kennenmuss, um ihm entgegenzuwirken, nicht letztlich mögli-cherweise auch eingesetzt werden könnte. Deswegen istdie Frage, in welchem Rechtsrahmen wir uns bewegen,von so entscheidender Bedeutung.Hier stehen wir, wie ich glaube, am Beginn einer fas-zinierenden Debatte, die uns in den nächsten Jahrennoch in ganz andere Dimensionen führen wird. Wir wür-den uns aber etwas überheben, wenn wir versuchenwollten, dies im Rahmen der Fragestunde des DeutschenBundestages zu lösen.
Herr Liebich.
Herr Staatsminister, gerade weil wir am Anfang einer
derart wichtigen und schwierigen Debatte stehen, müs-
sen wir sie auch so intensiv führen.
Sie haben auf die wissenschaftliche Freiheit der Stif-
tung Wissenschaft und Politik hingewiesen. Diese An-
sicht teile ich natürlich. Herrn Perthes habe ich auch
durchaus geschätzt. Ich frage Sie aber noch einmal kon-
kret. Wir müssen uns dabei auch nicht auf WikiLeaks
beziehen. In der Welt vom 21. Januar 2011 war in einem
Zitat von Herr Perthes nachzulesen, dass er nach wie vor
der Auffassung ist, dass Sabotageakte gegenüber dem
Iran Militärschlägen vorzuziehen seien. Nun haben Sie
gesagt, es handele sich hierbei um einen wichtigen Rat-
geber für die Politik. Sie sind die Politik. Was sagen Sie
zu diesem Ratschlag?
D
Ich sage zu diesem Ratschlag, dass ich eine militäri-
sche Option hier nicht sehe – und zu weiteren Optionen
nehme ich nicht Stellung.
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Frau Kollegin Dağdelen, da Sie nicht selbst Fragestel-
rin sind, haben Sie nur die Möglichkeit einer Frage.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Ministe-
ums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamen-
rische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Liebich auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Meldung, dass der deutsche Konzern Siemens mit seiner
Kompetenz und Arbeit faktisch in die Vorbereitung des Cyber-
angriffs einbezogen wurde?
D
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor,
ass Siemens irgendwie in die Vorbereitung des genann-
n Cyberangriffs einbezogen wurde.
Haben Sie eine Nachfrage?
Ja, natürlich habe ich dazu eine Nachfrage. – Ich kann
ichts dagegen tun, dass Sie sagen, darüber wüssten Sie
ichts. Aber ich kann Sie natürlich fragen, wie Sie als
undesregierung die Risiken beurteilen und ob Sie be-
it sind, mit der Firma Siemens auch über diese Risiken
u sprechen, die darin bestehen, eine Atomanlage, um
ie es sich ja handelt – wir führen in Deutschland ohne-
in eine Debatte darüber, ob diese Anlagen sicher genug
ind –, durch einen Computervirus lahmzulegen. Sehen
ie diese Risiken, und sind Sie bereit, mit der Firma Sie-
ens darüber ins Gespräch zu kommen, damit auch die
irma Siemens diese Risiken sieht und darauf achtet,
ass sie nicht in entsprechende Vorhaben einbezogen
ird?
D
Wir sehen diese Risiken nicht.
u genau diesen Fragen haben wir auch schon in einer
ntwort schriftlich Stellung genommen und ausgeführt,
ass diese Risiken nicht vorhanden sind.
Herr van Aken.
Herr Schröder, so geht das nicht. Wir haben vor eini-en Wochen eine Frage gestellt und darauf die schriftli-he Antwort bekommen, dass Siemens das nicht wis-entlich gemacht habe, sondern unwissentlich. Dieseundesregierung hat also offensichtlich sehr wohl Infor-ationen darüber, was Siemens in Idaho gemacht hat,as Siemens nicht in Idaho gemacht hat, ob Siemens
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9666 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Jan van Aken
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– wissentlich oder nicht wissentlich – Informationenüber Schwachstellen in seinem Computersystem weiter-gegeben hat oder ob Siemens das nicht getan hat. Dannkönnen Sie hier doch nicht einfach sagen: Wir wissengar nichts darüber. – Das ist ein Widerspruch, den Sieeinmal intern aufklären müssen. Ich halte das für einschlechtes Beispiel von Informationspolitik der Bundes-regierung.Auch wenn Sie persönlich jetzt nichts darüber wissen,ob Siemens da irgendetwas gemacht hat oder nicht, frageich Sie: Wenn das Unternehmen Siemens Informationenweitergegeben hat, die dazu geführt haben, dass einederart gefährliche Waffe, die in der realen Welt Tausendeoder sogar Zehntausende von Menschen bedrohenkönnte, entwickelt werden konnte, handelt es sich dabeium einen Rüstungsexport, der meiner Ansicht unter dasAußenwirtschaftsgesetz fällt. Das heißt, dass es dafüreine Rüstungsexportgenehmigung geben müsste. Liegtdiese Rüstungsexportgenehmigung vor, oder liegt sienicht vor?D
Die Steuerungssysteme von Siemens sind ja nicht
über eine Schwachstelle des Siemens-Systems fehlge-
steuert worden, sondern über eine Schwachstelle im
Windows-Betriebssystem. Selbstverständlich hat das
BSI direkt nach Bekanntwerden von Stuxnet mit Sie-
mens Kontakt aufgenommen und genau diese Fragen
diskutiert. Uns ist nicht bekannt, dass Siemens daran be-
teiligt war, dass es zur Entwicklung eines solchen Virus
gekommen ist. Insofern kann ich Ihre Fragen auch nicht
nachvollziehen.
Frau Dağdelen.
Nachdem wir nun aufgeklärt haben, dass die Bundes-
regierung doch Kenntnis von der Sache mit Siemens hat
– schon aufgrund der schriftlichen Beantwortung der
von meinem Kollegen Jan van Aken erwähnten Frage –,
würde ich hier gerne noch einmal die eigentliche Frage
stellen. Nachdem Sie gesagt haben, dass das mit dem
Windows-Betriebssystem zusammenhängt, möchte ich
gerne wissen, ob die Bundesregierung aufgrund von Ak-
tivitäten – vielleicht auch nachrichtendienstlicher, wenn
es sie denn gegeben hat – Schlussfolgerungen gezogen
hat oder ziehen wird – vielleicht ist man ja noch im Klä-
rungsprozess –, wie man künftig mit solchen Fällen um-
geht. Sie werden wohl zustimmen können, dass man,
auch wenn es nicht wissentlich oder willentlich gesche-
hen ist, trotzdem dafür Sorge tragen muss, dass das in
Zukunft nicht mehr vorkommt. Welche Aktivitäten hat
die Bundesregierung in dieser Hinsicht entfaltet?
D
Es ist eine ständige Aufgabe, insbesondere des Bun-
desamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, un-
sere Infrastruktur sicher zu machen und dafür zu sorgen,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9667
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päischem Parlament. Sie unterstützt insbesondere dieZielsetzung der Intra-corporate-transferees-Richtlinie,die konzerninterne Entsendung von Führungskräftenoder Fachkräften mit unternehmensspezifischen Kennt-nissen in Unternehmen der Europäischen Union zu er-leichtern. Bei der Ausgestaltung im Einzelnen besteht je-doch noch Klärungs- und Änderungsbedarf. Daherbeteiligt sich die Bundesregierung konstruktiv an denBeratungen und versucht, möglichst viele Mitgliedstaa-ten für die deutschen Anliegen zu gewinnen.Über ihre Verhandlungsposition und den Fortgang derBeratungen auf Ratsebene unterrichtet die Bundesregie-rung den Deutschen Bundestag regelmäßig entsprechendden einschlägigen Vorgaben wie zum Beispiel in dervorletzten Sitzung des Innenausschusses. Die Bundesre-gierung setzt sich bei beiden Richtlinien insbesonderedafür ein, dass die Mitgliedstaaten ausreichend Hand-lungsspielraum für eine arbeitsmarktorientierte Steue-rung der Zuwanderung auf nationaler Ebene haben. Zu-dem achtet die Bundesregierung darauf, dass sowohlArbeits- und Sozialstandards gewahrt werden als auchdie Systeme der sozialen Sicherung nicht unangemessenbelastet werden. Wichtig ist uns außerdem, dass neueBürokratiekosten vermieden werden, die zum Beispieldurch die Einführung eines neuen Aufenthaltstitels oderdie Pflicht zur Übermittlung detaillierter Statistiken ent-stehen würden.Bei der Richtlinie zur konzerninternen Entsendung istnoch unklar, wie das Zulassungsverfahren genau ausge-staltet werden soll. Zuletzt haben im Abstand von einemMonat sowohl der belgische als auch der ungarischeRatsvorsitz jeweils einen vollständig überarbeiteten Vor-schlag zur Ausgestaltung des Verfahrens gemacht. Schondaran ist erkennbar, dass das Zulassungsverfahren vieleFragen aufwirft und noch eingehender Beratung bedarf.Aus Sicht der Bundesregierung ist es wichtig, dass denMitgliedstaaten ausreichende Kontrollmöglichkeitenverbleiben, sowohl bei der Entsendung eines ICT von ei-nem Drittstaat in einen Mitgliedstaat als auch bei derWeiterentsendung von einem Mitgliedstaat in einen an-deren Mitgliedstaat.Bei der Richtlinie zu Saisonarbeitnehmern setzt sichdie Bundesregierung insbesondere dafür ein, dass einemitgliedstaatliche Steuerung der Zuwanderung mit Blickauf einzelne Drittstaaten und auf bestimmte Branchensowie Kontingentierungen möglich bleiben. Insgesamtsollte klargestellt werden, dass ein Anspruch auf Zulas-sung nicht besteht, sondern dass die Entscheidung im Er-messen der Mitgliedstaaten verbleibt. Zudem sollte dienationale Verfahrensautonomie nicht unnötig einge-schränkt werden.
Frau Kolbe, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Herr Staatssekretär Dr. Schröder, erst einmal vielen
Dank für Ihre ausführliche Antwort. Eine solch detail-
lierte Antwort ist auch angemessen im Hinblick auf die
Bedeutung der Sachfragen, die wir hier besprechen. Die
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9668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
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Sinn und Zweck dieser Richtlinie ist ja, es den Kon-
zernen zu ermöglichen, relativ bürokratiearm beispiels-
weise notwendige Führungskräfte aus einem Drittstaat
für gewisse Zeit nach Deutschland einwandern zu las-
sen. Das ist nach deutschem Recht ja schon sehr einfach
möglich. Ein Punktesystem wäre hier ein Rückschritt.
Das würde das Ganze viel mehr erschweren. Insofern ist
für mich nicht nachvollziehbar, dass Sie jetzt das Punk-
tesystem ins Spiel bringen. Wichtig ist für uns, dass es
nicht zu einem Lohndumping kommt und dass das, was
Sie eben beschrieben haben, genau nicht passiert, dass
nämlich eine Unternehmung eines Konzerns in einem
Drittland Arbeitskräfte einstellt, um sie dann gleich nach
Europa weiterzuentsenden. Hier müssen in der Richtli-
nie entsprechende Schranken eingezogen werden, zum
Beispiel in Form einer Regelung, dass dieser Beschäf-
tigte schon eine gewisse Zeit im Konzern beschäftigt
sein muss. Zurzeit wird vorgeschlagen, hierfür in der
Richtlinie eine Frist von zwölf Monaten vorzusehen.
Frau Kolbe.
Weiterer Bestandteil der Richtlinie in der jetzigen
Form ist, dass vor allen Dingen Flächentarifverträge,
also Mindestlöhne und großflächige Tarifverträge, für
Personen, die zum Beispiel konzernintern entsandt wer-
den, zur Anwendung kommen sollen. Wie würden Sie
die Situation angesichts dessen einschätzen, dass es in
den neuen Bundesländern in vielen Bereichen keine Flä-
chentarifverträge gibt, sondern maximal Haustarifver-
träge, und in vielen Betrieben noch nicht einmal Hausta-
rifverträge? Wie wird die Bundesregierung vorgehen,
um weiterem Lohndumping in dieser Bevölkerungs-
gruppe und bei Personen, die in solche Betriebe entsandt
werden, vorzubeugen?
D
Es ist wichtig, dass wir Lohndumping verhindern.
Wir wollen verhindern, dass durch diese Richtlinie Bil-
ligbeschäftigte, nur weil sie in einem Konzern mit Un-
ternehmungen in einem Drittland beschäftigt sind, nach
Deutschland kommen. Dafür ist es notwendig, wie be-
reits gesagt, dass wir die Arbeitsbedingungen bei der
Wanderung prüfen. Dafür setzen wir uns bei den Ver-
handlungen über die Richtlinie ein. Zunächst gelten bei
der ersten Einreise die Bedingungen des Staates, in dem
derjenige, der nach Europa kommt, innerhalb des Kon-
zerns das erste Mal beschäftigt ist.
Die eigentliche Frage ist: Wie kann man verhindern,
dass derjenige einfach innerhalb des Konzerns nach
Deutschland weiterwandert und es dann unter Umstän-
den bei uns zu Lohndumping kommt? Es bedarf einer er-
neuten Prüfung durch die deutschen Behörden, damit ge-
nau das verhindert wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9669
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gelagerter politischer Interessen der BundesrepublikDeutschland“.Im Hinblick auf die Geeignetheit eines Punktesys-tems zur Steuerung des Fachkräftezuzugs werden derzeitim politischen Raum unterschiedliche Standpunkte arti-kuliert. Innerhalb der Regierungskoalition finden Ge-spräche über die Frage des Regelungsbedarfs im Hin-blick auf die Fachkräftemigration statt.
Herr Kilic.
Vielen Dank für die Beantwortung. – Kollege Dr. Uhl
von der Fraktion der CDU/CSU meinte in der Parla-
mentsdebatte vom 20. Januar hinsichtlich unseres Antra-
ges zur Einführung eines Punktesystems, so etwas sei
letztlich „ein klassisch sozialistischer Zuteilungsansatz“.
Teilen Sie diese Einschätzung von Herrn Uhl?
D
Herr Uhl hat sich zu einem von Ihnen beantragten
Punktesystem im Bereich der Fachkräftemigration geäu-
ßert. Er wollte mit dieser Äußerung deutlich machen,
dass ein Punktesystem wesentlich bürokratischer als das
jetzige System ist, weil das Punktesystem vom Staat um-
gesetzt werden muss, weil Kontingente festgelegt wer-
den müssen und weil eine Bürokratie benötigt wird, um
das Punktesystem auszuführen und die zu verteilenden
Punkte zu gewichten. Darum ging es bei der Aussage
des Kollegen Uhl.
Herr Kilic, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Kann man dann nicht feststellen, dass die Bundesre-
publik Deutschland schon einmal den klassisch sozialis-
tischen Verteilungsansatz angewandt hat?
D
Dieses Punktesystem wird nur in einem kleinen Be-
reich angewandt, nämlich bei der Feststellung der Inte-
grationsprognose. Da findet ein gewichtetes Punktesys-
tem Anwendung. Das ist aber nicht mit der Frage
vergleichbar, ob wir für die Fachkräftezuwanderung ein
Punktesystem brauchen oder nicht.
Wir setzen uns für ein möglichst unbürokratisches
System ein. Für uns ist es wichtig, dass wirklich die
Fachkräfte nach Deutschland kommen, die am Ende ei-
nen Arbeitsplatz finden. Wir wollen nicht, dass Fach-
kräfte angeworben werden und über ein Punktesystem
einfach nach Deutschland kommen, ohne sicherzustel-
len, dass für sie Arbeitsplätze vorhanden sind, denn da-
durch würde am Ende mehr Arbeitslosigkeit entstehen.
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gen Medienberichten das Urteil vom 13. Januar 2011 nicht
mehr als die 20 Fälle derer betreffen soll, die derzeit in nach-
Berichten nicht weniger als „Tausende Strafgefangene“ be-
troffen sind, die die formellen Voraussetzungen nachträglicher
Sicherungsverwahrung auch nach der Reform der Sicherungs-
D
Herr Kollege Montag, bei der in Ihrer Frage ange-
prochenen Entscheidung vom 13. Januar 2011 handelt
s sich um eine Einzelfallentscheidung. Sie betrifft die
nterbringung des Beschwerdeführers aufgrund eines
andesgesetzes, das aber bereits im Jahr 2004 vom Bun-
esverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen Kom-
etenznormen für verfassungswidrig erklärt wurde. Zu-
llig handelt es sich im Übrigen um einen Fall, der
einen Ausgang beim Landgericht Passau genommen
atte, dem ich früher angehört habe. Mit den Vorschrif-
n über die nachträgliche Sicherungsverwahrung im
trafgesetzbuch nach § 66 b StGB befasst sich die Ent-
cheidung dagegen nicht, sodass keine weiteren Fälle
nmittelbar betroffen sind.
Herr Montag, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Stadler, ichuss Sie korrigieren: In dem betreffenden Fall M. gings erstmals um eine Entscheidung über Sicherungsver-ahrung nach bayerischem Recht, aber zu diesem Zeit-unkt ging es um eine Entscheidung über eine nachträg-che Sicherungsverwahrung nach altem Recht; dennzwischen war der Strafgefangene bzw. Sicherungsver-ahrte schon übergeführt worden.Aber das war nicht der Sinn und auch nicht der Wort-ut meiner Frage. Auf meine Frage haben Sie nicht ge-ntwortet. Bei der Frage 11, jedenfalls nach meineriste, ging es um Folgendes: Die Bundesregierung hatie nachträgliche Sicherungsverwahrung zum 1. Januar
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9670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Jerzy Montag
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2011 geändert und radikal für die Zukunft zusammen-geschnitten. Teilt die Bundesregierung die Auffassung,dass es sich nach dieser Reform in der Zukunft nur nochum die Fälle von 20 bis 30 Personen handeln wird, diemit dem Problem der nachträglichen Sicherungsverwah-rung konfrontiert sein werden? Oder wird es sich umTausende von Fällen auf Jahrzehnte hinaus handeln, wiein der Presse in den letzten Tagen zu lesen war? Das warder Wortlaut meiner Frage.D
Lieber Herr Kollege Montag, darauf gehe ich gerne
ein. Zunächst haben Sie zu Recht dargestellt, dass die
Bundesregierung das Rechtsinstitut der nachträglichen
Sicherungsverwahrung sehr kritisch bewertet hat. Die
nachträgliche Sicherungsverwahrung ist bekanntlich
während der Regierungszeit von SPD und Grünen ab
dem Jahr 2004 eingeführt worden. Wir waren der Auf-
fassung, dass sie sich nicht bewährt hat, und haben sie
daher pro futuro abgeschafft. Allerdings hat eine Mehr-
heit des Bundestages auf Vorschlag unseres Hauses die
Entscheidung getroffen, dass sie für Altfälle weiterhin
gelten soll.
Nun haben Sie auf Zahlen rekurriert, die unter ande-
rem von Professor Kreuzer in einem Aufsatz erwähnt
worden sind. Dazu habe ich folgende Erkenntnisse: In
der Tat ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur
in ungefähr 20 Fällen angeordnet worden. Dabei handelt
es sich immer um sogenannte Altfälle, bei denen die ent-
sprechenden Taten und Verurteilungen vor dem von Rot-
Grün eingeführten Rechtsinstitut der nachträglichen Si-
cherungsverwahrung lagen. Darüber hinaus ist selbstver-
ständlich denkbar, dass es weitere Altfälle aus der Zeit
vor 2004 gibt, bei denen bisher noch keine nachträgliche
Sicherungsverwahrung beantragt oder entschieden wor-
den ist, und dass es zudem eine weitere Gruppe von Fäl-
len einer nachträglichen Sicherungsverwahrung geben
kann, nämlich die sogenannten Neufälle aus dem Zeit-
raum von 2004 bis 31. Dezember 2010. Zu diesem Zeit-
punkt haben wir das Rechtsinstitut abgeschafft.
Es liegen uns keine belastbaren Erkenntnisse darüber
vor, wie viele Fälle das insgesamt sind. Herr Professor
Kreuzer hat sich bei seiner Aussage, dass es sehr viele
Fälle sein könnten, auf die formellen Voraussetzungen
bezogen. Das ist zutreffend. Hinzukommen musste aber,
dass sogenannte Nova, neue Tatsachen, während der
Haftzeit entstanden waren und eine Gefährlichkeitspro-
gnose gestellt werden musste. Hier gelten aber nicht
mehr alle Tatbestände, die früher einmal gegolten haben.
Da das Verfahren also mehrere Faktoren umfasst, kann
man keine präzise Vorhersage treffen, wie viele solcher
Anordnungen aufgrund alten Rechts noch getroffen wer-
den könnten.
Herr Montag, Sie haben eine weitere Nachfrage? –
Bitte sehr.
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Es geht wieder um denselben Vorgang, und Herr Kol-
lege Montag will wissen, mit welcher Begründung die
Bundesregierung Beschwerde einlegen wird. Es ist
erneut darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Ent-
scheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte vom 13. Januar 2011 um eine Einzelfallentschei-
dung gehandelt hat, die sich, wie ich vorhin schon
dargestellt habe, auf ein vom Bundesverfassungsgericht
für verfassungswidrig erklärtes Landesgesetz bezogen
hat.
Das spricht dafür, dass man keinen Rechtsbehelf da-
gegen einlegt. Aber die Bundesregierung hat noch nicht
abschließend entschieden, ob sie einen Rechtsbehelf ein-
legen wird oder nicht. Demgemäß vermag ich die Frage
nach der Begründung jetzt nicht zu beantworten, da auch
die Möglichkeit besteht, dass gar kein Rechtsbehelf ein-
gelegt wird.
Herr Montag, eine Nachfrage?
Ja, eine Nachfrage habe ich dazu. Es ist erfreulich,
dass die Bundesregierung diese Frage noch prüft und
sich nicht vorschnell festgelegt hat, wie wir es in der
Presse als Forderung der Koalition gelesen haben.
Ich frage Sie, Herr Kollege Stadler, ob folgende Tat-
sachen bei dieser noch zu fällenden Entscheidung eine
Rolle spielen werden: Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte hat ja in der allseits bekannten Ent-
scheidung zur Sicherungsverwahrung vom Dezember
2009 die Bundesrepublik Deutschland verurteilt. Die
Bundesregierung ist entgegen dem Rat vieler Fachleute
in die Beschwerde gegangen. Im Mai 2010 mussten wir
feststellen, dass die Große Beschwerdekammer die Be-
schwerde der Bundesrepublik Deutschland bzw. der
Bundesregierung nicht einmal zur Sachentscheidung an-
genommen hat.
Danach hat die damalige deutsche Richterin am Euro-
päischen Gerichtshof für Menschenrechte Renate Jaeger
in der deutschen Presse ein Interview gegeben, in dem
sie zum Verhalten der Bundesregierung bei der Einle-
gung von Beschwerden sagt: Wir werden so lange ent-
scheiden, bis die deutsche Regierung begriffen hat. Wer-
den diese Überlegungen eine Rolle spielen, wenn es
darum geht, eventuell wieder Beschwerde gegen die
Entscheidung einzulegen?
D
Herr Kollege Montag, bei der Entscheidung aus dem
Jahr 2009, die Sie erwähnt haben, ging es um einen
Sachverhalt, bei dem der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte einen Verstoß gegen das Rückwir-
kungsverbot angenommen hat. Bei dem gleichen Sach-
verhalt hatte zuvor das Bundesverfassungsgericht einen
solchen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nicht
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Herr Kollege Schick, die Antwort der Bundesregie-
ng lautet wie folgt: Die Bundesregierung sieht keinen
edarf, bei Griechenland oder Irland eine Umschuldung
orzunehmen. Der Internationale Währungsfonds hat
uch in seinem jüngsten Review bestätigt, dass beide
taaten nicht, was in Ihrer Frage unterstellt wird, über-
chuldet sind.
Herr Schick, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bedeutet das, dassie Bundesregierung es ablehnt, eine solche Umschul-ung im Rahmen europäischer Regelungen vorzuneh-en, wenn es nicht zu einer Verschlechterung der Kon-itionen für diese Länder kommt?
Metadaten/Kopzeile:
9672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
)
)
S
Herr Kollege Schick, mit Ihrer Frage versuchen Sie,
die Bundesregierung in das Reich der Spekulationen zu
treiben. Die Bundesregierung hat weiterhin das primäre
Ziel, das Marktvertrauen in Griechenland und Irland zu
stärken. Deswegen lasse ich mich zu Spekulationen
nicht hinreißen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Schick?
Ja.
Bitte schön.
Es handelte sich mitnichten um eine Spekulation.
Auch wenn Sie derzeit nicht davon ausgehen, dass eine
Umschuldung nötig ist, könnte sich die Situation in Zu-
kunft verschlechtern. Nach diesem Fall habe ich aber
nicht gefragt. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung
im Fall einer Nichtverschlechterung nicht bereit wäre,
im Rahmen eines europäischen Comprehensive Package
oder anderer Kompromissregelungen einer Umschul-
dung zuzustimmen, zum Beispiel über die EFSF oder
auf anderem Wege, solange sich die Konditionen nicht
verschlechtern.
S
Herr Kollege Schick, in meiner ersten Antwort auf
Ihre Frage habe ich darauf hingewiesen, dass wir – auch
angesichts der Analyse des Internationalen Währungs-
fonds – derzeit überhaupt gar keine Notwendigkeiten se-
hen, über eine solche Maßnahme nachzudenken. Deswe-
gen ist alles, was darüber hinausgeht – zumindest nach
dem Verständnis der Bundesregierung –, rein spekulativ
und kann durch die Bundesregierung oder durch mich
hier nicht beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Schick:
Welche Überlegungen gibt es seitens der Bundesregie-
rung, in einem künftigen Verfahren der europäischen Schul-
denhilfe die von den betroffenen Ländern zu zahlenden Zin-
Herr Staatssekretär.
S
Herr Kollege Schick, die Antwort der Bundesregie-
rung auf Ihre Frage lautet wie folgt: Die Ausgestaltung
der Zinskonditionen bei einem zukünftigen Verfahren
für europäische Schuldenhilfen könnten sich grundsätz-
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Danke. – Ich würde gerne noch eine Frage bezüglich
er Zinsen im Zusammenhang mit dem Euro-Rettungs-
chirm stellen. Herr Brüderle hat geäußert, dass die Kre-
ite unterschiedliche Zinssätze haben könnten. Mich
ürde interessieren, ob es Überlegungen vonseiten der
undesregierung gibt, in unterschiedlichen Fällen der
ilfe unterschiedliche Zinssätze festzusetzen, oder ob
iese einheitlich sein sollen? Ich nehme an, Sie wissen,
uf welchen Vorschlag von Herrn Brüderle ich Bezug
ehme?
S
Ja. Herr Brüderle und die Bundesregierung insgesamt
ind der Auffassung, dass jeder Einzelfall und damit
uch die Gestaltung der Konditionen möglicher Hilfsas-
ekte individuell zu betrachten sind. Welche Konsequen-
en das für zukünftige Programme hat, können wir noch
icht sagen, da derzeit, Gott sei Dank, keine weiteren
nträge auf Hilfe vorliegen. Es ist auch von der Ausge-
taltung des permanenten Mechanismus abhängig, des-
en Grundzüge wahrscheinlich beim Europäischen Rat
März 2011 festgelegt werden. Der Meinungsbil-
ungsprozess der Bundesregierung dazu ist noch nicht
bgeschlossen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Das ist nicht der
all.
Wir kommen zur Frage 17 des Abgeordneten Thomas
ambke:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die effektive
Kapazität des derzeitigen Rettungsmechanismus ausreicht,
oder müsste das verfügbare Volumen durch Kredite der Euro-
S
Herr Kollege Gambke, Ihre Frage möchte die Bun-esregierung wie folgt beantworten: Wir beobachten dientwicklung an den Finanz- und Anleihemärkten sehrenau und sind entschlossen, als Bundesregierung dasotwendige umzusetzen, um die Stabilität der Wirt-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9673
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
)
)
schafts- und Währungsunion als Ganzes zu sichern. Da-bei vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dassalle Maßnahmen zur Euro-Stabilisierung in eine Ge-samtstrategie der Krisenbewältigung eingebettet werdenmüssen, über die noch zu entscheiden sein wird. Einesolche Gesamtstrategie beinhaltet beispielsweise die An-strengungen der Länder, eine stärkere wirtschaftspoliti-sche und finanzpolitische Koordinierung vorzunehmen.Die Europäische Finanzstabilitätsfazilität hat im letz-ten Jahr ihre Arbeit aufgenommen. Gestern hat es eineerste Tranche gegeben. Die Ergebnisse waren insoweitaußerordentlich erfreulich, als dass es ein starkes Inte-resse an dieser Tranche gegeben hat. Die EuropäischeFinanzstabilisierungsfazilität ist als Finanzierungsinstru-ment für Kredithilfen ausgestattet worden. Die Euro-Staaten, sofern sie nicht selber Nehmer eines Kreditssind, stellen Garantien bereit, um Kredite abzusichern.Das Ziel der Bundesregierung ist es, diesen Mechanis-mus effizient und effektiv zu nutzen.Nach der Mechanik der Fazilität stehen die beschlos-senen 440 Milliarden Euro in der Realität möglicher-weise nicht vollumfänglich zur Verfügung, auch vor demHintergrund von Ratingüberlegungen. Unsere Über-legungen, wie wir, gegebenenfalls auch nach einer Be-wertung der ersten Marktergebnisse der Fazilität, weitervorgehen, sind noch nicht abgeschlossen. Eine Entschei-dung wird im Rahmen der Überlegungen, die ich in mei-ner Antwort auf die Frage des Kollegen Schick im Hin-blick auf die Entscheidungen des Europäischen Rateserwähnt habe, im Gesamtkontext zu fällen sein.
Herr Gambke, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. –
Sie haben, soweit ich das verstanden habe, davon ge-
sprochen, dass die Bundesregierung alle Maßnahmen
prüft. Nun haben aber wesentliche Vertreter der Bundes-
regierung gerade gegenüber Euro-Bonds bisher eine
stark ablehnende Haltung an den Tag gelegt. Nach der
kürzlich erfolgten sehr erfolgreichen Lancierung der
Euro-Anleihe, bei der es zu einer achtfachen Überzeich-
nung kam, stellt sich allerdings die Frage, ob das Thema
Euro-Bonds nicht doch noch einmal aufgegriffen werden
sollte. Meine konkrete Frage lautet: Kann die Bundesre-
gierung wirklich ausschließen, in Zukunft mit gemein-
schaftlichen Anleihen, den sogenannten Euro-Bonds,
dazu beizutragen, die Schwierigkeiten im europäischen
Währungssystem zu stabilisieren?
S
Herr Kollege, zuerst einmal bedeutet das erfreuliche
Emissionsergebnis von gestern, dass die von der Bun-
desregierung unterstützte Einrichtung dieser Fazilität ein
Erfolg ist. Die vor der ersten Emission gelegentlich zu
hörenden Zweifel, dass das alles nichts taugt, dass nach-
gebessert werden und über alternative Instrumente nach-
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Ja. – Ich würde an dieser Stelle gerne eine konkrete
achfrage stellen. Sie sprachen von einer Sozialisierung
er Zinsen. Da die kürzlich begebene Anleihe durch den
esamten Euro-Raum abgesichert ist, sind auch in die-
em Fall ein niedriger Zinssatz und, wenn Sie so wollen,
ine Sozialisierung der Zinsen zu beobachten. Könnte
an dies nicht als Argument im Zusammenhang mit den
ogenannten Euro-Bonds ins Felde führen? Hier sehe ich
inen Widerspruch.
S
Bei der temporären Fazilität nutzen wir den Rating-
orteil insbesondere der mit Triple A gerateten Staaten.
urch eine stabile Emission ermöglichen wir die Refi-
anzierung von Staaten, die diesen Bonitätsvorteil nicht
aben. Dabei knüpfen wir die teilweise Weiterreichung
ieses Bonitätsvorteils an eine strikte Konditionalität: an
in umfassendes wirtschaftspolitisches Anpassungspro-
ramm.
Die Vorschläge zu Euro-Bonds gehen gerade nicht da-
on aus, dass es ein konditioniertes wirtschaftspoliti-
ches Anpassungsprogramm gibt, sondern sie gehen von
er Vereinheitlichung eines europäischen Zinses für
taatsanleihen ohne wirtschaftspolitische Konditionie-
ng aus. Das ist für den deutschen Steuerzahler eher ein
achteil und für die betroffenen Länder, die nach Auf-
ssung der Märkte offensichtlich eine nicht adäquate
irtschaftspolitik betreiben, kein hinreichender Anreiz,
iese Wirtschaftspolitik zu ändern.
Eine Nachfrage von Herrn Schick.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade – sinnvoller-eise, wie ich finde – im Zusammenhang mit der Euro-
Metadaten/Kopzeile:
9674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Dr. Gerhard Schick
)
)
Bond-Diskussion etwas differenziert. Man hat manch-mal den Eindruck, dass Mitglieder der Bundesregierungetwas ablehnen, was wir schon beschlossen haben; wirhaben nämlich gerade europäische Anleihen emittiert.Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bun-desregierung das unterstützt hat. Deswegen ist es sinn-voll, da zu differenzieren.Meine Nachfrage: Sie haben Euro-Bonds ausge-schlossen, weil Zinsdifferenzen nivelliert und sozialisiertwerden. Bezieht sich der Ausschluss auch auf Euro-Bonds, bei denen es gerade nicht zu dieser Nivellierungkommt, weil man, wie zum Beispiel nach dem Vorschlagvon Herrn Juncker und Herrn Tremonti, nach Blue undRed Bonds differenziert? Somit würde nach wie vor dif-ferenziert, und die europäischen Verträge würden einge-halten.S
Herr Kollege Schick, ich habe in meinen bisherigen
Antworten versucht, deutlich zu machen, dass wir den
Beitrag nicht in einem einzelnen Instrument, sondern in
einem Gesamtpaket sehen, um die Stabilität des Euro
insgesamt und die Wiederherstellung von solider Staats-
finanzierung in der Breite aller Euro-Staaten zu garantie-
ren.
Die Diskussion, die Sie ansprechen, greift verschie-
dene Facetten einzelner Instrumente auf. Wir haben sie
in unserem Gesamtkonzept bewertet und kommen zu der
Schlussfolgerung, die wir Ihnen vorgetragen haben,
nämlich dass ein integriertes Gesamtkonzept, das sich an
strikteren Fiskalregeln, an einer effektiveren und trans-
parenteren Bankenstruktur sowie an einer Effektivierung
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und
der temporären Fazilität ausrichtet, ein geeignetes In-
strument ist. Andere Instrumente, die der Bundesregie-
rung zum Erreichen des Ziels, nämlich der Stabilität der
Euro-Zone insgesamt und des Abbaus der Staatsver-
schuldung, als adäquates Mittel der Wahl zur Verfügung
stehen, sehen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als
notwendig oder überzeugend an.
Eine Nachfrage der Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
nach Ihren Ausführungen würde ich gerne etwas nach-
fragen. Das heißt also, dass Sie die Vorschläge von
Herrn Juncker im Rahmen eines Gesamtpaketes nicht
ablehnen?
S
Frau Kollegin Haßelmann, Sie und ich kommen aus
Ostwestfalen-Lippe. Wir wissen mit den schwierigen
Lebensumständen, die wir Ostwestfalen-Lipper manch-
mal haben, angemessen umzugehen. Ich habe nicht ge-
sagt, dass ich eine Facette in der einen oder anderen Art
ablehne, sondern ich habe – positiv definiert – gesagt:
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Wenn ich die Nachfrage noch beantworten darf: Frau
ollegin Haßelmann, ostwestfälisch klar: Zu Juncker ist
lles gesagt.
Wir danken der Bundesregierung für die Einblicke in
ie Herkunftsländer und die entsprechenden Verhaltens-
eisen.
Ich komme zur Frage 18 der Abgeordneten Barbara
öll:
Teilt die Bundesregierung die neue Rechtsauffassung des
gen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes, EStG, zur Gel-
tendmachung von Krankheitskosten nun eine ärztliche Be-
scheinigung nicht mehr nötig ist, sodass entsprechende
Verwaltungsanweisungen in R 33,4 EStR – Einkommen-
steuer-Richtlinien – anzupassen sind, und wie viele Steuer-
pflichtige sind nach Schätzungen der Bundesregierung von
dieser positiven Rechtsprechung betroffen?
S
Frau Kollegin Höll, das BFH-Urteil vom 11. Novem-
er 2010 wurde dem Bundesminister der Finanzen und
em Ministerium am 19. Januar 2011 für eine Veröffent-
chung im Bundessteuerblatt zugeleitet. Sie sind also
it Ihrer Frage relativ flott. Deswegen muss ich Ihnen
ider mitteilen: Vor einer abschließenden Erörterung
it den obersten Finanzbehörden der Länder kann die
undesregierung keine Aussage darüber treffen, welche
chlussfolgerungen aus dieser Entscheidung zu ziehen
ind. Die Gespräche dauern an. Im Übrigen liegen der
undesregierung keine Angaben vor, wie viele Steuer-
flichtige von der neuen Rechtsprechung betroffen sind.
Frau Höll, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Danke, Herr Staatssekretär. – Ich gehe davon aus,ass Sie, wenn Sie zu einem abschließenden Ergebnisekommen sind, in der Lage sind, die Zahlen mitzulie-rn und mich entsprechend zu informieren.Ich möchte nachfragen. Dabei geht es ja um außerge-öhnliche Belastungen. Für Menschen mit chronischenrankheiten, für Menschen mit Behinderungen und fürenschen, die Pflegebedürftige betreuen, gibt es imteuerrecht die Möglichkeit, Pauschbeträge anzusetzen.iese Pauschbeträge wurden in den letzten Jahren – eseht hier um § 33 b Einkommensteuergesetz – nicht an-epasst.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9675
Dr. Barbara Höll
)
)
Wir haben jetzt den Referentenentwurf zum Steuer-vereinfachungsgesetz 2011 von Ihnen bekommen. DieLänder hatten angeregt, dass die Pauschbeträge im Rah-men dieses Gesetzgebungsverfahrens angehoben werdensollen. Die Bundesregierung hat diesen Gedanken nichtaufgegriffen. Mich würde interessieren, warum Sie dasnicht getan haben.S
Frau Kollegin Höll, durch die Debatte in den vergan-
genen Wochen hat sich gezeigt, dass das Gesetzgebungs-
verfahren zur Steuervereinbarung äußerst sensibel ist –
nicht nur aufgrund des Kräftespiels im Parlament, son-
dern das gilt auch im Verhältnis zwischen Bund und
Ländern.
Wir haben uns angesichts der zur Verfügung stehen-
den finanziellen Mittel für die Steuervereinfachung posi-
tiv verbindlich darauf geeinigt, die Maßnahmen ins Ge-
setzgebungsverfahren zu übernehmen – nach meiner
Kenntnis im Übrigen dann auch zwischen Bund und
Ländern abgestimmt –, die derzeit in dem Entwurf ste-
hen. Frau Kollegin Höll, dass es darüber hinaus weitere
Wünsche gibt, ist der Bundesregierung sehr wohl be-
kannt. Wir akzeptieren aber die jetzt zwischen dem Bund
und den Ländern und innerhalb der Koalition getroffe-
nen Entscheidungen, und wir werden sie dann im Regie-
rungsentwurf dem Deutschen Bundestag zur abschlie-
ßenden Beschlussfassung vorlegen. Es steht dem
Gesetzgeber jederzeit frei, mithilfe einer parlamentari-
schen Mehrheit davon abzuweichen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Aber ja.
Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. – Das Steuervereinfa-
chungsgesetz ist ja tatsächlich ein sehr sensibles Thema,
wie Sie am Beginn zu Recht betont haben. Gerade des-
halb möchte ich nachfragen.
Sie haben vor, die Kinderbetreuungskosten im Steuer-
vereinfachungsgesetz anders als jetzt zu behandeln.
Wenn sie erwerbsbedingt sind, können sie jetzt als au-
ßergewöhnliche Belastung veranschlagt werden. Diesen
Zusammenhang zwischen erwerbsbedingten Kinderbe-
treuungskosten und Erwerbstätigkeit – es ist ja eine
Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit, dass das Kind
betreut wird – wollen Sie auflösen, und die Kosten sol-
len bei den Sonderausgaben veranschlagt werden.
Das kann man natürlich tun. Ich frage die Bundes-
regierung aber, warum sie das grundlegende Prinzip der
Verbindung zwischen der Erwerbstätigkeit und den er-
werbsbedingten Kinderbetreuungskosten kappen will,
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9676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
)
Damit kommen wir zur Frage 19 der Kollegin
Dr. Barbara Höll:
Welche neuen Erkenntnisse, Ergebnisse bzw. Fortschritte
zur Vereinfachung und Systematisierung der steuerlichen Be-
rücksichtigung von Ausbildungskosten hat die Bundesregie-
rung erzielt, und wie viele Steuerpflichtige haben in den Jah-
ren 2004 bis 2006 basierend auf der Einkommensteuerstatistik
entsprechende Kosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG erklärt
S
Auch hier will ich versuchen, die Kollegin Höll durch
mein intensives steuerrechtliches Wissen zu beeindru-
cken. Die Antwort auf die Frage lautet wie folgt: Die
einkommensteuerrechtliche Behandlung von Berufsaus-
bildungskosten wurde durch das Gesetz zur Änderung
der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli
2004 neu geordnet. Der Bundesfinanzhof ist auf die
Neuordnung mit einer Entscheidung vom Juni 2009 ein-
gegangen und hat den im Rahmen der Neuordnung ein-
geführten § 12 Nr. 5 Einkommensteuergesetz verfas-
sungskonform ausgelegt.
Zur Einbeziehung der Rechtsfolgen aus der allgemei-
nen Anwendung des BFH-Urteils und zur Berücksichti-
gung notwendiger redaktioneller Änderungen wurden
die bisherigen BMF-Rundschreiben – sie datierten vom
4. November 2005 und vom 21. Juni 2007 – zur Neuord-
nung der Ausbildungskosten nach einer Abstimmung
mit den obersten Finanzbehörden der Länder klarstel-
lend überarbeitet und zusammengefasst.
Das neue BMF-Rundschreiben vom 22. September
2010 ist im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Das Ergeb-
nis dieser Maßnahme ist die konsequente und klare Um-
setzung der BFH-Rechtsprechung zugunsten der Studie-
renden mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Die
Entlastung beläuft sich auf mehrere Millionen Euro jähr-
lich.
Die zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz er-
betenen Daten liegen der Bundesregierung nicht vor.
Haben Sie eine Nachfrage?
Ja.
Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, viel-
leicht können Sie die Zahlen noch erheben; sonst kann
ich auch eine Kleine Anfrage dazu machen. Das könnte
man vielleicht absprechen.
Mich interessiert trotzdem, wie Sie in der nächsten
Zeit das Chaos beenden wollen, das durch den Wegfall
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9677
)
Was den Teil Ihrer Frage angeht, der sich auf zukünf-tige Beratungen des Steuervereinfachungsgesetzes be-zieht, möchte ich wie schon bei der vorherigen Frage da-rauf hinweisen, dass wir zurzeit lediglich einenReferentenentwurf erörtern können und eine in allen De-tails abgestimmte Kabinettsauffassung, über die dieBundesregierung hier berichten könnte, noch nicht vor-liegt. Ich bitte Sie, die von Ihnen aufgeworfenen Fragenin die parlamentarischen Beratungen einzubringen.
Sie haben noch eine zweite Frage.
S
Das hatte ich befürchtet.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich vermute, dass die
Antwort auf die zweite Frage ähnlich ausfallen wird,
nämlich dass Sie hier nichts sagen und nur auf die parla-
mentarischen Beratungen verweisen werden. In dem an-
gesprochenen Themenkomplex des Steuerrechts besteht
die Notwendigkeit der Vereinfachung. Sie haben Ihre
Entwürfe. Mich interessiert im Rahmen dieser Beratun-
gen der tatsächliche Stand bei der Einführung der elek-
tronischen Einkommensteuererklärung. Dieses Stich-
wort geistert häufig durch die Presse. Mich würde
interessieren, wie weit Sie als Regierung in dem Bera-
tungsprozess über die elektronische Steuererklärung tat-
sächlich schon gekommen sind.
S
Frau Kollegin Höll, die Meinung der Bundesregie-
rung zur elektronischen Steuererklärung ist ausgespro-
chen positiv. Ob wir das im Gesetzgebungsverfahren zur
Steuervereinfachung aufgreifen, dazu kann ich Ihnen
zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage machen,
ich bin aber gerne bereit, Ihnen schriftlich Informationen
zukommen zu lassen, damit auch diese zweite Nachfrage
nicht ungehört in den Annalen des deutschen Parlamen-
tarismus versickert.
Es gibt noch eine Nachfrage von Frau Tillmann. Bitte
sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass die
Regierung in der Frage der elektronischen Einkommen-
steuererklärung, die zum Rahmenkonsens gehört, zu-
sammen mit den Ländern ein Projekt mit dem Ziel auf
den Weg gebracht hat, in den nächsten Jahren die elek-
tronische Bearbeitung von Steuererklärungen einzufüh-
ren, und dass darüber den Finanzministerkonferenzen in
regelmäßigen Abständen Bericht erstattet wird? Können
Sie uns gleichzeitig zusagen, dass uns auch im Finanz-
ausschuss von diesen Gesprächen berichtet wird?
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9678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
)
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, dass
das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
nämlich eine Evaluierung des Programms, das 2007 in
Meseberg beschlossen wurde und 29 Maßnahmen vor-
sieht, jetzt von Ihnen nicht eingehalten wird? Im Koali-
tionsvertrag ist ja festgelegt worden, dass eine solche
Evaluierung bis zum Ende des Jahres 2010 stattgefunden
haben soll.
E
Herr Kollege Schwabe, wir halten selbstverständlich
den Koalitionsvertrag ein. Die Überprüfung ist uns auch
wichtig. Aber wir haben nun zum ersten Mal – im Ge-
gensatz zu allen Vorgängerregierungen – ein umfassen-
des Energiekonzept verabschiedet. Das hat die Bundes-
regierung mit Kabinettsbeschluss vom 27. September
2010 auf den Weg gebracht. In diesem Energiekonzept
wurde festgelegt, dass das Monitoring des Energiekon-
zepts alle drei Jahre stattfinden soll, erstmals 2013.
Nun schien es uns sinnvoll – ich bin überzeugt, dass
dies das einzig sinnvolle Vorgehen ist –, die Überprü-
fung des IEKP mit dem Monitoring zusammenzuführen.
Es macht überhaupt keinen Sinn, das eine isoliert vom
anderen zu betreiben. Da sind wir im Augenblick in der
Abstimmung. Ich bitte Sie aber um Verständnis. Ich habe
Ihnen das Datum bewusst genannt: Das Energiekonzept
wurde am 27. September 2010 beschlossen. Es muss
jetzt schon seriös erarbeitet werden, wie das Monitoring
erfolgen und wie die Überprüfung des IEKP darin inte-
griert werden kann.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sehen Sie sich in der Lage, ein
Datum zu benennen, wann wir mit der Evaluierung rech-
nen können, oder können Sie uns zumindest einen Zeit-
plan nennen, wie es ablaufen soll?
E
Ich habe Ihnen gerade gesagt, wir sind jetzt in der
Überprüfung. Wir schauen, wie wir das zusammenfüh-
ren können. Bitte haben Sie Verständnis – Sie wissen das
aus eigener Erfahrung –, dass solche Prozesse nicht mit
einem konkreten Enddatum versehen werden können.
Aber wir werden zeitnah darangehen.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beant-
wortung.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales. Hier steht der
Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9679
)
Bezüglich der Frage, wie es ausländerrechtlich aus-sieht, werde ich Ihnen am heutigen Tag kaum einen In-formationsgewinn verschaffen können. Neben all dennotwendigen Anstrengungen, die hier lebenden Men-schen in Beschäftigung zu bringen, brauchen wir mehrqualifizierte Zuwanderung. Über Änderungen im Zu-wanderungsrecht in Bezug auf die Arbeitsmigration fin-den noch Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionenstatt. Sie haben am heutigen Nachmittag bereits ver-sucht, durch verschiedene Fragen an andere Ressorts et-was in Erfahrung zu bringen. Ich kann Ihnen, wie gesagt,beim besten Willen, auch wenn Sie hier so tapfer ausge-harrt haben, leider keinen Erkenntnisgewinn verschaf-fen.
Ihre Nachfrage, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen herzlichen
Dank für die Beantwortung eines Teils der Frage, aber
auch herzlichen Dank dafür, dass Sie offen zugegeben
haben, dass Sie auf einen bestimmten Teil der Frage zur-
zeit keine Antwort geben können.
Stelle ich zu Recht fest, dass die Bundesregierung auf
dem Gebiet der Altenpflege zurzeit keinen Fachkräfte-
mangel feststellen kann?
H
Dieses Thema ist sehr differenziert zu sehen. Es gibt
hier Engpässe. Wir haben Arbeitslose in diesem Bereich,
und wir haben eine Nachfrage in diesem Bereich. Auch
hier sind Diskussionsprozesse im Gange.
Sie haben eine zweite Nachfrage?
Ja. – Die Bundesregierung hatte bereits für den Herbst
letzten Jahres einen Gesetzentwurf angekündigt, welcher
die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse regeln
soll. Später wurde korrigiert: Dieser Gesetzentwurf
sollte Ende letzten Jahres vorgelegt werden. Mittlerweile
sind wir am Ende des Januars 2011 angelangt. Der Ge-
setzentwurf liegt uns bis heute nicht vor. Wie lange müs-
sen wir auf diesen Gesetzentwurf warten?
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Ich habe Ihnen schon vorher gesagt, dass wir in der
Ressortabstimmung sind. Ich möchte nochmals auf die
erhebliche Bedeutung dieses Gesetzes hinweisen. Es
handelt sich um ein Potenzial von circa 500 000 Perso-
nen, die davon Gebrauch machen können. Es ist also
sehr wichtig, ein handwerklich gutes und praktikables
Gesetz zu verabschieden. Sie wissen, dass gerade in mei-
nem Ministerium sehr viele Themen gleichzeitig behan-
delt werden. Daher kann nicht alles so schnell gehen,
wie man es sich vorgestellt hat.
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9680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
)
Seit ich diese Frage gestellt habe, ist ja schon viel
Wasser die Havel und die Spree heruntergeflossen. In-
zwischen sind ganz viele verschiedene Flugrouten und
ganz viele unterschiedliche Flugverfahren im Gespräch.
Sie wissen es sicher genauso gut wie ich: Es haben sich
verschiedene Bürgerinitiativen mit verschiedenen Zielen
formiert, die natürlich alle versuchen, den Fluglärm, so-
weit es geht, einzudämmen. In Rede steht nicht, den
Flughafenstandort zu verlagern, obwohl auch das eine
Bürgerinitiative fordert.
Wenn sich aus der Flugroutendiskussion ergibt, dass
die stark besiedelten Teile vom Süden Berlins sowie
Kleinmachnow, Teltow, Stahnsdorf und auf der östlichen
Seite Zeuthen von verlärmendem Flugverkehr ausge-
spart werden, wird sich der Fluglärm ganz automatisch
bei der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow konzentrieren.
Ich frage Sie nun: In welcher Weise wird dann von der
Bundesregierung darauf Einfluss genommen, dass be-
gleitende Maßnahmen am Boden, um die Menschen vor
Fluglärm zu schützen, eingeleitet werden und im Inte-
resse der dort wohnenden Menschen nach Lösungen ge-
sucht wird?
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Frau Kollegin, wie Sie wissen, ist die Festlegung von
Flugrouten bei uns gesetzlich geregelt, und zwar nach
Vorgaben der Internationalen Organisation für Zivilluft-
fahrt, ICAO. Dieses Verfahren ist in § 29 b Luftver-
kehrsgesetz und § 27 a Luftverkehrs-Ordnung geregelt.
Nach diesen gesetzlichen Regelungen ist in Deutschland
das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die Behörde,
die unter Federführung des zuständigen Ministeriums
– in diesem Fall das MIL in Brandenburg – die Flugrou-
ten festlegt.
Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass vor Festle-
gung von solchen Flugrouten eine Konsultation in einer
sogenannten Fluglärmkommission stattfindet. In dieser
Fluglärmkommission sind die verschiedenen Varianten
für mögliche Flugrouten zum Anflug auf den neuen
Flughafen BBI entstanden, die jetzt auch öffentlich dis-
kutiert werden.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung wird in dieser Frage inhaltlich keinen Ein-
fluss nehmen. Wir haben das Verfahren klar geregelt.
Dieses Verfahren liegt beim Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung, im Benehmen mit dem Umweltbundes-
amt. An der Beteiligung des Umweltbundesamtes kön-
nen Sie schon erkennen, dass versucht wird, die Auswir-
kungen dieser Flugrouten auf die Bevölkerung sowie auf
andere Schutzgüter möglichst gering zu halten. Die Bun-
desregierung verfolgt das Ziel, dass Fluglärm in
Deutschland zu so wenigen Beeinträchtigungen wie ir-
gend möglich führt.
Wie Sie wissen, hat der Deutsche Bundestag in der
vergangenen Legislaturperiode das Fluglärmschutzge-
setz beschlossen. Dieses Gesetz weist den Flughafenbe-
treibern Pflichten zu Maßnahmen passiven Schallschut-
zes in bestimmten Zonen und zur Finanzierung dieser
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9681
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Herr Kollege Ostendorff, die Bundesregierung han-delt schnell und entschlossen – sowohl in Zusammen-arbeit mit den Ländern als auch auf Bundesebene undauf europäischer Ebene –, um Konsequenzen aus demDioxinskandal zu ziehen.Auf Ihre Frage zum Thema QS-System antworte ichwie folgt: Das QS-System, ein Eigenkontrollsystem derWirtschaft, konnte diesen Skandal nicht verhindern. DieBundesregierung zieht daraus Konsequenzen und rea-giert erstens mit einer Verschärfung der Kontrollen so-wie mit Vorgaben zur Stärkung des Eigenkontrollsys-tems der Wirtschaft, zweitens mit einer Änderung derGesetzeslage bezüglich der Meldung der Kontrollergeb-nisse durch die Labors und drittens mit der künftigenVeröffentlichung der Messergebnisse. Wir gehen soweit, dass wir im Rahmen des VIG zukünftig vorschrei-ben, dass Messergebnisse, die über den zulässigenGrenzwerten liegen, veröffentlicht werden müssen, ohnedass die betroffene Wirtschaft dem zustimmen muss.Außerdem werden wir Zulassungskriterien für Betriebeeinführen, in denen wir definieren, welcher Betrieb aufdiesem Sektor überhaupt tätig werden kann. Bundes-ministerin Aigner hat mit den Bundesländern einen Kon-sens in Bezug auf einen neuen qualitativen Ansatz in derFutter- und Lebensmittelkontrolle erzielt. Erstmals sinddie Länder bereit, länderübergreifend Auditorenteamszusammenzustellen und mit dem Bund die Lebensmittel-und Futtermittelkontrolle abzustimmen und weiter zuverbessern.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte.
Herr Staatssekretär Dr. Müller, schönen Dank für die
Beantwortung dieser Frage. Dass der Betrieb Harles und
Jentzsch – Betrieb für Futterfette, technische Fette, dio-
xinhaltige Fette – in Uetersen, Kreis Pinneberg, im ver-
gangenen Oktober das QS-Zertifikat, also das Zertifikat
für Qualität und Sicherheit, erhalten hat, ist ja wohl ein
Offenbarungseid für ein Kontrollsystem, das von der
Wirtschaft geprägt worden ist. Sie haben darauf hinge-
wiesen, dass Sie jetzt stringentere Vorgaben machen
wollen. Die Wirtschaft hat dazu schon erklärt, dass sie
nicht gewillt ist, sich einem stärkeren Kontrollregime zu
unterwerfen. Gestern gab es die Verlautbarung, dass man
gar nicht daran denkt, das zu tun.
Das führt mich zu der Frage: Wie will die Bundes-
regierung da Einfluss nehmen, und was gedenken Sie
genau zu tun, um das QS-System in Bezug auf die Fut-
termittelbetriebe deutlich zu verschärfen?
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Ich kenne diese Verlautbarung nicht. Sollte es eine
solche Verlautbarung von Einzelnen in der Branche ge-
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Ja. – Das führt mich zu der weiteren Zusatzfrage:
enn das nicht wirkt, wenn sich also nach einer gewis-
en Zeit herausstellt, dass die Wirtschaft doch nicht be-
it ist, diese sehr strengen Vorgaben zu erfüllen, ist dann
aran gedacht, dass die Bundesregierung selbst sehr viel
tärker in das Kontrollsystem einsteigt, möglicherweise
nalog zum Biokontrollsystem, bei dem wir eine sehr
tarke staatliche Verzahnung haben? Können Sie sich
as vorstellen?
Dr.
Herr Ostendorff, eine solche Konsequenz war dientwort von Frau Künast in ihrer Verantwortung alserbraucherschutzministerin auf den Nitrofen-Skandal.
ir lassen uns auf dieses Spiel nicht ein. Ich habe des-alb klargelegt, was vonseiten der staatlichen Kontroll-ehörden jetzt an qualitativen Sprüngen in der Lebens-ittel- und Futtermittelkontrolle umgesetzt wird. Wirarten nicht darauf, bis der betroffene Wirtschaftszweigagiert.
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9682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
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Wir haben inzwischen den zeitlichen Rahmen derFragestunde mehr als ausgeschöpft. Deshalb bitte ich umVerständnis dafür, dass wir hier einen Schnitt machen,auch wenn die zweite Frage von Herrn Ostendorff nochoffen ist. Sie wird wie die restlichen Fragen schriftlichbeantwortet. – Herr Staatssekretär, vielen Dank.Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENDie öffentliche Diskussion über die Falsch-und Nichtunterrichtung des Deutschen Bun-destages durch den Bundesverteidigungsmi-nister zu Vorfällen in der BundeswehrIch eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derKollege Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Verteidigungsminister, letzte Woche haben Sie denVorwurf zurückgewiesen, das Parlament wissentlichfalsch über die Umstände des Todes eines Soldaten inAfghanistan unterrichtet zu haben. Diesen Vorwurf ha-ben wir auch gar nicht erhoben. Ich habe am Freitag hierfestgestellt, dass wir vom Ministerium objektiv falschunterrichtet wurden. Wir wollen wissen, warum.Unsere Frage, wie es zu dieser falschen Unterrichtungkommen konnte, bleibt bestehen. Vielleicht können Sieuns heute eine zufriedenstellende Antwort geben. Bei Ih-ren bisherigen Reaktionen konnte man den Eindruck be-kommen, Sie halten das eher für unwichtig. Aber die fal-sche Unterrichtung unseres Parlaments ist keineLappalie.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Nicht derVerteidigungsminister, sondern der Bundestag entschei-det über den Einsatz der Bundeswehr.Eine Antwort, Herr Minister, wollen wir auch auf dieFrage, warum Ihnen der Feldjägerbericht über den Toddes Soldaten in Afghanistan nicht zeitnah vorgelegtwurde. Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie jedenFeldjägerbericht lesen. Aber wenn es sich um den Todvon Soldaten handelt, dann muss ein solcher Berichtsofort auf den Tisch des Ministers. Da müssen doch alleroten Lampen angehen; da muss Ihr Haus doch automa-tisch reagieren.
Ich kann nur sagen: Wenn das bei Todesfällen nichtfunktioniert, dann haben Sie die Abläufe in Ihrem Hausein Jahr nach Kunduz immer noch nicht richtig im Griff.VtrRnwriteLekmsmmwbnDäNz–drudsksbIndgHkPhlessdredu
ies sind ja nicht die ersten Vorgänge dieser Art; es gabhnliche Probleme vor kurzem bei den Gebirgsjägern.atürlich darf es keinen Generalverdacht gegen die Offi-iere und Soldaten der Bundeswehr geben.
Ja, das ist auch so. – Aber es ist doch auch klar, dassie Vorfälle auf Probleme im Bereich der Inneren Füh-ng verweisen. Hier herrscht dringender Handlungsbe-arf.
Die Vorgänge, über die wir hier reden, liegen überechs Wochen zurück, Wochen, in denen nicht viel Auf-lärung geschehen ist. Erst Herr Königshaus hat durchein energisches Agieren Druck in die Angelegenheit ge-racht. Das unterstreicht noch einmal, wie wichtig diestitution des Wehrbeauftragten ist. Aber es wirft auchie Frage auf: Was hat eigentlich der Minister bis dahinetan? Sie haben viel zu viel Zeit verstreichen lassen.
err Minister, es kommt der Eindruck auf, dass die Auf-lärung solcher erschreckenden Fälle bei Ihnen erst dannriorität bekommt, wenn Kommentatoren schreiben, Sieätten Ihren Laden nicht im Griff. Da erwarten nicht zu-tzt die Soldaten mehr von Ihnen.Vor über einem Jahr wurde der Verteidigungsaus-chuss auch deshalb als Untersuchungsausschuss einge-etzt, weil die Informationspraxis der Bundeswehr undes Verteidigungsministeriums schleppend, intranspa-nt und unvollständig war. Leider zeigt sich, dass genauiese Missstände bisher nicht beseitigt wurden, sondernns jetzt erneut einholen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9683
Dr. Frithjof Schmidt
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Das ist Anlass zur Besorgnis. Wir wollen deshalb, dassder Auftrag des Untersuchungsausschusses „Kunduz“um die aktuellen Vorgänge erweitert wird.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidi-gung, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-desminister der Verteidigung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst einmal: Was ist der Gegenstand derheutigen Debatte, die öffentliche Diskussion oder die an-gebliche Nichtunterrichtung des Bundestages? Ichglaube, wir müssen sehr differenziert auf die drei Fälleblicken, die derzeit in der Debatte stehen. All diese Vor-gänge bedürfen zweifelsfrei der vollständigen Aufklä-rung. Abschließende Informationen über Ereignisse sindaber erst nach Abschluss der Ermittlungen, insbesondereauch der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, mög-lich, Ermittlungen, die in den beiden Todesfällen nichterst seit der öffentlichen Diskussion, so wie Sie es ge-rade in den Raum gestellt haben, Herr Schmidt, sondernvon Beginn an, seit November bzw. Dezember des letz-ten Jahres, mit großer Sorgfalt entsprechend dem gelten-den Recht und den geltenden Vorschriften durchgeführtwerden. Ich weise deswegen mit Nachdruck den Vor-wurf zurück, ich hätte das Parlament nicht informiert,ebenso den Vorwurf einer gezielten Vertuschung oder Ir-reführung durch mein Haus oder durch mich selbst.
Was die geöffneten Feldpostbriefe anbelangt, so liegendem Deutschen Bundestag mittlerweile erste Zwischen-berichte vor. Bislang lässt sich nicht darauf schließen,dass es sich um eine systematische, eine flächendeckendin großer Zahl erfolgte Aktion handelt. Nach den mirheute vorliegenden Meldungen sind seit Oktober des letz-ten Jahres insgesamt 29 Postsendungen auf mögliche Un-regelmäßigkeiten zu untersuchen. Jeder dieser Briefe isteiner zu viel; das steht außer Frage. Alles muss in der Hin-sicht aufgeklärt werden; alles muss unternommen wer-den, damit wir in dieser Frage eine entsprechende Lösungfinden.Wir verschicken jede Woche circa 6 000 Briefe und1 800 Päckchen bzw. Pakete aus den Einsatzländernnach Deutschland. Circa 15 000 Briefe und 3 500 Päck-chen gehen jede Woche den umgekehrten Weg. Die Un-regelmäßigkeiten traten zwischen Oktober und Januarauf, also über einen Zeitraum von circa 16 Wochen. Wirsind mit der Sachverhaltsermittlung noch nicht am Endeund gehen der Sache weiter nach.Auch der zweite Fall, so tragisch und furchtbar er an-gesichts des Todes eines jungen Mannes ist, taugt nichtzu Vorwürfen, die in den letzten Tagen konstruiert wur-ddndUkÜsSwnafagnLNmraEWsDdsPvEvh2mhDdtebpluagdFDdnskludwti
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9684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
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Ich komme jetzt zum dritten Aspekt, zu den Vorgän-gen auf der „Gorch Fock“.
– Frau Künast, ich weiß, dass man in Berlin ein bisschenlauter rufen muss, um gehört zu werden. Aber vielleichtkommen Sie nach vorn und reden ein bisschen leiser.Dann können wir uns entsprechend verständigen.
Ich komme jetzt zu den Vorgängen auf der „GorchFock“. Zum einen geht es dabei um den Unfall einer Of-fiziersanwärterin am 7. November des vergangenen Jah-res. – Frau Künast, vielleicht sollte man seine Stimmeangesichts einer toten Offiziersanwärterin ein wenig zü-geln; das empfiehlt sich. –
Hierzu ist festzustellen: Umgehend nach dem Unfall derOffiziersanwärterin wurde ein Havarieverfahren entspre-chend den allgemeinen Vorschriften eingeleitet. Dane-ben hat die Staatsanwaltschaft Kiel ein Ermittlungsver-fahren aufgenommen. Fünf Tage nach dem Unfall, am12. November 2010, traf der Beauftragte für Havariewe-sen der Marine am Unglücksort ein, zeitgleich mit Ver-tretern der Wasserschutzpolizei und der Kripo Kiel.Beide Untersuchungen dauern noch an.Den zweiten Themenkomplex machen zunächst Nach-richten über Verhaltensweisen von Besatzungsmitglie-dern im Nachgang zu dem geschilderten Todesfall aus;darauf wurde hingewiesen. In diesem Zusammenhangwurden zudem mehr und mehr Vorwürfe bekannt, dieganz erhebliche Zweifel am inneren Gefüge, der Ausbil-dungsgestaltung und dem allgemeinen Umgang an Bordder „Gorch Fock“ aufwerfen; aber hierbei handelt es sichum Vorwürfe. Darüber wurde ich Montag, den 17. Januar2011, unterrichtet. Dies habe ich zum Anlass genommen,die aufkommenden Vorwürfe vom Inspekteur der Marineund vom Leiter der Rechtsabteilung überprüfen zu lassen.Hierzu wurden mehrere Maßnahmen ergriffen. Unter an-derem wurde die Entscheidung getroffen, die „GorchFock“ nach Argentinien zurückzubeordern, um ein Un-tersuchungsteam einschiffen zu können. Bekannterma-ßen wurden die Obleute des Verteidigungsausschussesletzten Freitag über die getroffenen Maßnahmen infor-miert.Vor dem Hintergrund einer Zunahme der Unterstel-lungen und Vorwürfe über die ganze Woche hinweg undeines gesteigerten öffentlichen Drucks auf den Kom-mandanten, der sich am Freitag zuspitzte, war absehbar,dass sich der Fokus zunehmend auf die Person des Kom-mandanten und auf sein Führungsverhalten konzentrie-ren und richten würde.
Dabei stand nicht die Frage der Stichhaltigkeit der Vor-würfe und Unterstellungen im Mittelpunkt, sondern dieFrage, ob man es einem Kommandanten unter den sichakrushdmreKvsSAdwdgvdnudukvhVfoumgcbuagnDVIcDSW
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ohl wahr, Herr Minister, es handelt sich um drei sehr
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9685
Rainer Arnold
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unterschiedliche Vorgänge. Sie weisen aber auch Ge-meinsamkeiten auf. Die erste Gemeinsamkeit liegt darin,dass Sie in allen drei Fällen ein wirklich schlechtes Kri-senmanagement betreiben. Erst durch Ihr Missmanage-ment gelangten diese Probleme in die öffentliche Wahr-nehmung und wurden dadurch zu einer großen Krise.Das haben Sie zu verantworten. Sie können die Verant-wortung nicht einfach weiterleiten.
Die zweite Gemeinsamkeit ist: Das Parlament wurdeüber die Vorgänge nicht zeitnah, nicht umfassend undauch nicht immer ganz korrekt informiert. Die dritte Ge-meinsamkeit ist: Sie suchen für alle Vorfälle schnell Ver-antwortliche, um von Ihrer eigenen Verantwortung abzu-lenken.
Lassen Sie mich meine Punkte am Thema „GorchFock“ festmachen. Ich hätte mir wirklich gewünscht,dass die Führung der Marine die Veröffentlichungenüber Probleme auf diesem Schmuckstück der deutschenMarine ernst genommen hätte, die im Herbst letzten Jah-res aufgetaucht sind, und darauf von sich aus reagierthätte. So aber war es der Wehrbeauftragte, der uns aufgravierende Probleme aufmerksam gemacht hat. Dafürdarf er übrigens nicht vom Parlamentarischen Staatsse-kretär des Verteidigungsministers kritisiert werden. DerWehrbeauftragte hat – wie seine Vorgänger auch – un-parteiisch, seriös und gründlich seine Arbeit für das Par-lament geleistet.
Herr Minister, in Ihrem Umgang mit dem Thema istein weiterer wichtiger Punkt hervorzuheben: Mittags la-den Sie die Obleute zur Unterrichtung ein und sagen, esdürfe keine Vorverurteilung geben. Abends dann entneh-men wir der Presse, dass Sie den Kommandeur seinesAmtes entbunden haben, und zwar mit der Begründung– an diesem Abend und am nächsten Abend –, dass neueVorwürfe zu den Missständen bekannt geworden seien.Auf unsere viermalige Nachfrage haben Sie heute keineneinzigen neuen Vorwurf benannt. Am Wochenende aller-dings haben Sie, als Sie gemerkt haben, dass Ihnen dieAngelegenheit medial zu entgleiten droht, in drei Presse-meldungen immer wieder nachgelegt und weitere Infor-mationen gegeben. Herr Minister, das eigentliche Pro-blem in diesem Zusammenhang ist doch: Sie haben denGeist des Boulevards gerufen – jetzt kommen Sie mirvor wie der Zauberlehrling –; Sie werden den Geist nichtmehr los. Genieren Sie sich nicht, wie die Bild-Zeitungzusammen mit Ihnen in der Bild am Sonntag die Entlas-sung des Kommandeurs medial inszeniert hat?
Das muss einem seriösen Minister doch peinlich sein.
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Der zweite große Unterschied ist folgender: Herrinister, merken Sie eigentlich nicht, ob ein Soldatwir schicken junge Soldaten von 22 Jahren nachfghanistan – durch einen Fehler seines Kameradeneim Waffenreinigen zu Tode kommt oder ob bei einemolchen Einsatz mit Waffen gespielt wird?
Lesen Sie doch einfach einmal den Feldjägerberichtnd hören Sie mir bis zu Ende zu.
s gibt übrigens überhaupt kein Indiz dafür, dass esurch das Waffenreinigen passiert ist. Lassen Sie uns beien Fakten bleiben: Es gibt nur acht Zeugen, die nichtsesehen haben, und zwei, die es gesehen haben. Von da-er kommt dieses Indiz.
elbst wenn solche Vermutungen aufkommen, dürfenir bei einer Armee im Einsatz
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9686 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Rainer Arnold
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– jetzt hören Sie bei diesem ernsten Thema doch einmalzu – nicht warten, bis ein Jahr später eine staatsanwalt-schaftliche Ermittlung oder sogar ein Gerichtsprozessabgeschlossen ist, sondern man muss dieser Sache nach-gehen und die Führungsverantwortung so sensibilisie-ren, dass sie bei Einsatzsoldaten unter diesem Druck ge-gebenenfalls auch nachsteuert.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Ende.
Um einen Schlussstrich darunter zu ziehen: Ich
glaube, dass diese Dinge aufgeklärt werden können,
wenn der Minister selbst Druck macht. Wir hoffen, dass
wir für die Zukunft etwas aus diesen Vorgängen lernen.
Herr Minister, ich glaube, es wäre für die anstehende
Bundeswehrreform gut, wenn Sie Ihr Verhältnis zum
Verteidigungsausschuss auf eine andere Basis stellen
würden. Das ist nämlich für die kommende schwierige
Reform notwendig.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich bin fertig.
Wenn Sie fertig sind, dann hören Sie bitte auch auf.
Die Hauptdiskussion, die uns noch beschäftigen wird,
betrifft die Unterfinanzierung der Bundeswehr. Diejeni-
gen, die jetzt laut schreien, müssten einmal unter sich
klären, was bei der Ausgestaltung der Finanzen in der
Truppe tatsächlich Sache und was notwendig ist.
Herzlichen Dank.
Nun hat die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion
das Wort.
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Verzeihung, wir sind hier nicht bei der Bild-Zeitung,ondern im Deutschen Bundestag.
Andererseits unterstellen Sie dem Minister, dass ericht hinreichend informiert habe.
as ist schon eine merkwürdige Art und Weise, mit die-em Sachverhalt umzugehen.Aber im Grunde genommen ist es doch auch ein Indizr das, was zurzeit geschieht. Vorgänge, die stattgefun-en haben, die vom Wehrbeauftragten korrekt und dan-enswerterweise dargestellt worden sind und die imundesministerium der Verteidigung angenommen wor-en sind und unverzüglich zur Aufklärung gebracht wer-en, werden dafür benutzt, einen Skandal heraufzube-chwören, der am Ende nur einem schadet, und zwar derundeswehr.
eswegen bin ich froh, dass der Wehrbeauftragte in sei-er Pressekonferenz und in der Presseberichterstattungehr deutlich gemacht hat, dass die Truppe keineChaos-Truppe“ ist, sondern es sich hier um Einzelver-hlungen handelt, die aufgeklärt werden müssen, ja-ohl. Hier geht es auch um das Ansehen der Bundes-ehr.Der Minister hat in Sachen „Gorch Fock“ zwei Er-ittlungsteams eingesetzt – Herr Schmidt, wenn Sieeute Morgen im Verteidigungsausschuss gewesen wä-n, dann hätten Sie sich das anhören und dazu Stellungehmen können –, die sowohl vor Ort als auch in derarineschule genau diese Vorwürfe, die unerträglichind, die wir alle nicht im Raume stehen lassen können,öglichst unverzüglich aufklären sollen.
Zur Redlichkeit gehört aber auch, dass man den Leu-n die Möglichkeit gibt, sauber zu ermitteln, das heißt,ass man ihnen die Zeit gibt, die notwendig ist, um allearteien anzuhören. An dieser Stelle möchte ich sehreutlich sagen: Ich finde die Entscheidung des Minis-rs, Herrn Kommandanten Schatz, wie es häufig formu-ert worden ist, „aus dem Verkehr zu ziehen“, richtig. Erat ihn aber nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern er
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9687
Elke Hoff
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hat ihn vor den Anwürfen, die zu erwarten waren, inSchutz genommen.
– Sie können gleich zu Wort kommen, Frau Künast.
Ich erinnere mich noch an die Diskussion über OberstKlein, der wochenlang regelrecht durch die Medien ge-jagt worden ist. Für die einen war er der Kriegsheld, fürdie anderen war er der Kriegsverbrecher; Sie müsseneinmal mit der Familie reden. Vor dem Hintergrund die-ser Erfahrungen ist klar, dass es ein Gebot der Fürsorgeist, die eigenen Mitarbeiter zu schützen. Herr Minister,bei dieser Entscheidung haben Sie in jedem Fall unsereRückendeckung.
Ich wünsche mir, dass wir maßhalten – das ist imSinne unserer Streitkräfte –, dass die Dinge, die Fragen,die Vorwürfe, die im Raum stehen, zeitnah, aber auch se-riös aufgeklärt werden. Ich würde mir wünschen, dassam Ende der Reise diejenigen, die jetzt dazu beitragen,dass unsere Streitkräfte in einem Bild erscheinen, das ih-nen in keiner Weise entspricht, so fair sind, dass sieManns und Frau genug sind, um das auch so darzustellenund sich dann vor unsere Streitkräfte zu stellen.Herr Kollege Arnold, ich habe Ihr Pressestatementnach der heutigen Ausschusssitzung gehört. Ich habenicht verstanden, warum Sie die Marine massiv ange-griffen haben.
– Doch. Das ist ganz deutlich geworden. Sie haben denInspekteur der Marine angegriffen, noch bevor uns derAbschlussbericht dieser beiden Untersuchungsteamsvorliegt.
Meine herzliche Bitte: Abrüsten, sich an den Faktenorientieren und dafür sorgen, dass wir für unsere Bun-deswehr in Zukunft das Richtige tun und wir sie nichtschlechtmachen, was in vielen Diskussionen jetzt derFall ist! Ich habe Vertrauen in unsere Bundeswehr, undich habe Vertrauen in die Führung unserer Bundeswehr.An dieser Stelle bedanke ich mich bei dem Ministernoch einmal ausdrücklich dafür, dass er uns im Aus-schuss heute eine umfassende und zeitnahe Aufklärungzugesichert hat.Vielen Dank.
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Moment. Wir haben heute im Ausschuss eine ausführ-che Unterrichtung erhalten – ein bisschen spät. Es ge-chah erst, nachdem es dieses öffentliche Echo gegebenat und – das sollten wir bitte schön, liebe Kolleginnennd Kollegen, nicht vergessen – nachdem der Wehrbe-uftragte die Sache auf die Agenda gesetzt hat. Das ister Punkt, der zu denken geben muss. Dass wir uns da-it beschäftigen, hat mit dem Wehrbeauftragten zu tun.enn er jetzt deshalb attackiert wird – zumindest zwi-chen den Zeilen –, dann, finde ich, sollten die Alarm-locken läuten. Der Wehrbeauftragte – das hat sich inieser Situation gezeigt – ist ein wichtiger Ansprechpart-er für die Soldatinnen und Soldaten, er ist ein Vertrau-nsmann, und er ist eine Warneinrichtung für das Parla-ent. Wir sollten ihn stärken und nicht schwächen undttackieren, nur weil er schlimme Botschaften über-ringt.
Punkt zwei. Der Minister hat im Ausschuss Informa-onspannen eingeräumt, hat sie bedauert und hat Ab-ilfe versprochen. Das letzte Wort kann meines Erach-ns nicht sein, dass man einfach nur sagt: Das war einenvollständige, nicht genaue Information. Ich bin in dieusschusssitzung am 19. Januar 2011 immer noch miter Vorstellung gegangen, möglicherweise handele esich um eine Selbsttötung des Soldaten in Pol-i Khumri Dezember 2010. Nicht nur ich, sondern auch Kolle-en von der CDU/CSU dachten dies; sie haben das auchffentlich zugegeben. Da muss doch etwas schiefgelau-n sein, wenn man das Parlament erst unterrichtet, einoldat sei tot aufgefunden worden, und man dann fest-tellt, dass es Fremdeinwirkung gab. Herr Minister, Ihrinweis, Sie hätten es der Presse gegenüber angedeutet,ann so nicht stehen bleiben. Sie haben zwar vielleicht
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9688 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Paul Schäfer
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gute Verbindungen zu Verlagshäusern, aber Sie habeneine Unterrichtungspflicht dem Parlament gegenüber.Das ist der Punkt.
Das, was die „Gorch Fock“ betrifft, ist, finde ich, ambesorgniserregendsten. Es scheint bestätigt zu sein, dassdie Crew der Offiziersanwärter zu dem Zeitpunkt desUnfalls übermüdet und überlastet war, sie unter diesenBedingungen aber dennoch gedrängt wurde, siebenmalaufzuentern, in die Takelage zu steigen. Möglicherweiseist der Todesfall in diesem Zusammenhang zu sehen.Das kann doch nicht einfach routiniert abgearbeitet wer-den. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber es ist nichtAufgabe der Staatsanwaltschaft und auch nicht des Ha-variebeauftragten, das zu untersuchen, was danach in derBelegschaft passiert ist. Da muss es vielmehr eine eigen-ständige Untersuchung geben.Wenn der Inspekteur der Marine am 15. Dezember2010 im Verteidigungsausschuss sagt: „Es gab eine emo-tional belastete Situation nach dem Tod der Soldatin,aber keine Konflikte“ – aber hallo! –, dann, finde ich,muss doch klar sein, dass das nicht der richtige Umgangdamit ist. Ich frage mich, was die Führung der Marine,die politische Führung – es geht gar nicht darum, dieMarine in Haftung zu nehmen –, getan hat, wenn dieseVorkommnisse klar waren, die Marineführung aber erstim Gespräch mit dem Wehrbeauftragten am 17. Januar2011 hellhörig geworden ist und eine Untersuchung ein-geleitet hat. Da ist doch etwas schiefgelaufen.Das zeigt, dass man dort nicht die nötige Sensibilitäthat. Es ist die Führungsaufgabe eines Ministers, zu sa-gen: Diesen Dingen müssen wir beikommen. Sie habengesagt, dass Sie sich alles vorlegen lassen wollen: dieVerstöße gegen die Innere Führung, gegen das Leitbilddes Bürgers in Uniform, die Rituale etc. Das ist genauder Punkt: Es geht nicht um Schuldzuweisungen oder ei-nen Generalverdacht gegenüber den Streitkräften. Wirmüssen folgende Fragen ins Auge fassen: Welche Verän-derungen ereignen sich gegenwärtig in den Streitkräftenunter dem Vorzeichen einer Armee im Einsatz? Was hatder Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmeemöglicherweise mit Belastungssituationen, Anspan-nungssituationen zu tun, damit, dass man den Korpsgeistbesonders hart fördern will, Stichwort Waffenspiele, Ri-tuale etc.? Das muss in den nächsten Wochen und Mona-ten unser Thema sein. Wir sollten nicht routiniert zur Ta-gesordnung übergehen. Das muss untersucht werden. Esmuss als Bundestag unsere Sorge sein, sich diesen Fra-gen zu stellen. Unsere Konsequenz an dieser Stelle isteindeutig: Wenn man die Bundeswehr zu einer Interven-tionsarmee umbaut,
muss man leider mit bestimmten Folgen rechnen. Das istder Grund, warum wir sagen: Dieser Irrweg sollte been-det werden.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.dWwWleEnteOwtaD–amtrgLrehhgvAwEfodAlasvus
Der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat nun für
ie CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er die Diskussion in den letzten Tagen und auch heuteieder hier im Parlament verfolgt hat, der kann mit denorten der heutigen Süddeutschen Zeitung nur feststel-n: Die Opposition übertreibt die Kritik an den wenigeninzelfällen, um die es eigentlich geht. Die Diskussionimmt hysterische Züge an.Die CDU/CSU-Fraktion ist dem Verteidigungsminis-r dankbar, dass er die Fakten in aller Deutlichkeit undffenheit, soweit dies mit Rücksicht auf die staatsan-altschaftlichen Ermittlungen möglich ist, heute Vormit-g im Verteidigungsausschuss und jetzt im Plenum deseutschen Bundestages dargestellt hat.Ich will zunächst, wie es auch der Minister getan hatdas wird in diesen Tagen leider oft vergessen –, an dieuf dem Ausbildungsschiff „Gorch Fock“ umgekom-ene Kadettin und an den in Afghanistan durch einenagischen Unfall getöteten Soldaten erinnern und ihreredenken. Beide verrichteten ihren Dienst für unserand. Es muss alles getan werden, um die Umstände ih-s Todes vollständig aufzuklären.Meine Damen und Herren, der Verteidigungsministerat die uneingeschränkte Unterstützung unserer Fraktioninsichtlich seiner Maßnahmen zur Aufklärung der Vor-änge auf der „Gorch Fock“. Es ist doch eine Selbst-erständlichkeit, dass erst nach einer umfassendenufklärung der Sachverhalte einschließlich der staatsan-altschaftlichen Ermittlungen eine Bewertung erfolgt.rst dann können und müssen die notwendigen Schluss-lgerungen und definitive Konsequenzen gezogen wer-en.
n diesem Vorgehen ist rein gar nichts auszusetzen.Der Kommandant der „Gorch Fock“ wurde nicht ent-ssen,
ondern, wie es der Minister dargestellt hat, vorläufigon seiner Führungsverantwortung entbunden,
m eine Vorverurteilung zu verhindern. Eine solche Ent-cheidung ist von der Sachlage her richtig, und sie ist
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9689
Dr. Andreas Schockenhoff
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notwendig. Sie dient der Fürsorge für den Kommandan-ten und die Besatzung des Schiffes. Außerdem bin ichmir sicher, dass die Opposition sonst – und zwar ohnedie Grundlage einer fairen Untersuchung – angesichtsimmer neuer Berichte über die „Gorch Fock“ den Vor-wurf erhoben hätte, der Minister tue nichts und halte aneinem scheinbar untragbaren Kommandanten fest.Um auch etwas anderes in aller Klarheit zu sagen:Niemand stellt die „Gorch Fock“ infrage. Wer das be-hauptet, redet unverantwortlich daher. Es gibt überhauptkeinen Grund, jetzt zu rufen: Hände weg von der „GorchFock“! Der gestrige Bericht des Wehrbeauftragten hataußerdem gezeigt, dass der Minister richtigerweise un-tersuchen lässt, ob in der Bundeswehr Rituale undPflichtverletzungen vorkommen, die ihren Grundsätzenund den Prinzipien der Inneren Führung widersprechen.Auch hier – dies will ich unterstreichen – handelt es sichkeineswegs um einen Generalverdacht. Vielmehr solleinzelnes Fehlverhalten für die Zukunft ausgeschlossenwerden.Ich komme zu dem Vorwurf der Vertuschung und derbewussten Irreführung des Parlaments
im Fall des in Afghanistan umgekommenen deutschenSoldaten. Ein solcher Vorwurf war von Anfang an halt-los. Der Minister hat am Tag des Unglücks, am17. Dezember 2010, während seiner Reise mit der Bun-deskanzlerin nach Afghanistan öffentlich geschildert,der Hauptgefreite sei durch eine Kugel aus der Waffe ei-nes Kameraden getötet worden.Aber ich sage auch in aller Deutlichkeit: Dass sichdiese Information in der wöchentlichen Unterrichtungdes Parlamentes durch das Verteidigungsministeriumvom 21. Dezember letzten Jahres unvollständig wieder-findet, ist eine ärgerliche Informationspanne und darfnicht vorkommen.
Die Unterrichtung des Parlamentes muss sorgfältigerwerden.
Aber daraus den Vorwurf einer Vertuschung und be-wussten Irreführung zu konstruieren,
ist abwegig und völlig überzogen. Das alles hat nur einZiel: Ihnen geht es doch nicht um wirkliche Aufklärung,sondern Ihnen ist jedes Mittel recht, einen erfolgreichenund in der Bevölkerung hochangesehenen Verteidi-gungsminister zu beschädigen.
DdwdddaisBWpaasSPaDbriteimnÖshGwdwdshsFdgbfr
t unverantwortlich, schäbig und völlig inakzeptabel.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter
artels für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir reden heute über Führungsverhalten und Führungs-robleme bei der Bundeswehr. Von Problemen sprichtuch Frau Hoff. Darüber sind wir uns wohl relativ einig,uch nach der heutigen Sitzung des Verteidigungsaus-chusses.Probleme treten auf drei Ebenen auf.Erstens: auf der Ebene von Ausbildern auf einemchulschiff. Das muss aufgeklärt werden. Da muss dieraxis in Zukunft stimmen. Man kann gut ausbilden,ber das kann man wahrscheinlich noch besser machen.ie Ausbildung darf nicht lebensgefährlich sein. Wirrauchen eine bessere Praxis. Es ist die Aufgabe der Ma-neführung, dafür zu sorgen.Zweitens. Wir reden über Verantwortliche im Minis-rium, die Informationen verwalten und offenbar nichtmer an die richtige Stelle bringen, nicht zum Minister,icht zum Parlament und manchmal auf Umwegen in dieffentlichkeit. Es gibt Kommunikationsprobleme, wieie auch schon der Vorgänger Herr Jung kennengelerntat. Zu Beginn der Amtszeit haben wir von Herrn zuuttenberg gehört, das werde jetzt abgestellt, das alleserde viel besser. Heute können wir feststellen: Er haten Laden noch nicht besser im Griff. Das muss bessererden.
Drittens: Führungsverhalten bei der Bundeswehr. Aufer obersten Ebene betrifft es den Verteidigungsministerelbst. In allen drei Fällen, über die wir heute sprechen,at er Entscheidungen zu treffen gehabt und hat er Ent-cheidungen getroffen. Dann muss er sich schon dierage gefallen lassen, warum und wie er diese Entschei-ungen getroffen hat. Das ist keine Majestätsbeleidi-ung. Wir werden demnächst eine Freiwilligenarmee ha-en. Auch Minister für diese Bundeswehr ist man nureiwillig. Diesen Fragen müssen Sie sich stellen.
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9690 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Dr. Hans-Peter Bartels
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In Sachen „Gorch Fock“ und Abberufung des Kapi-täns haben wir erlebt, dass, nachdem es zunächst „keineVorverurteilung“ hieß, am Abend desselben Tages dieAbberufung erfolgte.Am nächsten Tag gab es die erste Pressemitteilung:Der Verteidigungsminister hat den Inspekteur der Ma-rine beauftragt, den Kommandanten des Schulschiffes„Gorch Fock“ von seinen Pflichten zu entbinden. – Dashört sich markig an. Da wird jetzt durchgegriffen.Am folgenden Tag, nachdem es schon ein bisschenPresseberichterstattung gegeben hat, wird dann etwas re-lativiert – ich zitiere –:
Die Entbindung eines Kommandanten von seinenPflichten ist ein in der Marine in einer solchenSituation übliches Verfahren.Das war am Tag danach.Noch einen Tag später gab es die dritte Presseerklä-rung zur Abberufung des Kommandanten, die angeblicheine ganz einfache Sache aus Fürsorgegründen gewesenist. Da heißt es:Ein von seinen Pflichten entbundener Kommandantist weder „gefeuert“ noch „geschasst“ oder „rausge-worfen“.Sie hatten offenbar Grund, immer wieder richtigzustel-len, was nicht gleich richtig gesagt wurde.
Das passt in eine Reihe von Korrekturen, die wir inIhrer Amtsführung hier schon gelegentlich zu kommen-tieren hatten. Ich erinnere an die Kunduz-Bombardie-rung: Sie musste stattfinden, hätte aber nicht stattfindendürfen. Ich erinnere an die Sache mit der Wehrpflicht:Mit mir ist eine Abschaffung der Wehrpflicht nicht zumachen. – Am Ende wurde sie dann ganz abgeschafft.Oder ich erinnere an den Haushalt: Wir sparen8,3 Milliarden Euro. – Ach nein, eigentlich brauchen wir1,2 Milliarden Euro mehr. Und letzten Freitag hieß es:Keine Vorverurteilung. – Aber Stunden später ist der Ka-pitän von Bord. Man darf sich zwar korrigieren, aberman darf das doch nicht zu einem politischen Prinzip er-heben.
Stellen Sie sich vor, nachts um 3 Uhr klingelt beiMinister Guttenberg das Telefon. Es geht um eine ernsteGefahr. Er muss eine Entscheidung treffen. Dann sollteman Vertrauen haben können,
dass das die richtige Entscheidung ist und dass er sie amnächsten Morgen nicht wieder korrigieren muss. Auchsollte er nicht erst in der Nachttischschublade nach-schauen, ob ein Journalist darin sitzt, der ihn beratenkönnte.Fnfüle–SnwsgdwradkSaedwTzhalekuds
Herr Minister, Kritik im Parlament dient auch dazu,ehler in Zukunft zu vermeiden. Deshalb: Kritisieren Sieicht die Kritik, sondern gehen Sie einmal in sich.Schönen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Schnurr
r die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-gen! Frau Künast, ganz zu Beginn zu Ihnen.
Auch wenn Sie aufstehen und weglaufen, spreche ichie an. – Sie haben den Bundesminister am Anfang sei-er Rede gefragt, ob ihm klar sei – jetzt ist sie weg –,
ie ernst die Lage ist, wie ernst die Situation ist. Das hatie von ganz hinten nach vorne gerufen. Ich sage Ihnenanz deutlich: Uns, der christlich-liberalen Koalition, istie Lage sehr bewusst. Es ist eine ernste Lage, und des-egen muss auch ermittelt werden.Nur: Wie ernst ist Ihnen die Lage? Wir haben hier ge-de eben ganz zu Beginn von Dr. Schmidt gehört, wasas eigentliche Ziel ist. Ein Ziel ist sicherlich die Auf-lärung – ich will Ihnen definitiv nicht unterstellen, dassie kein Interesse an Aufklärung haben –,
ber er hat vorhin auch ganz deutlich gesagt, dass es dasigentliche Ziel ist, dass der Untersuchungsgegenstandes Untersuchungsausschusses Kunduz geändert und er-eitert wird und er sich auch noch mit dieser aktuellenhemenlage befasst. Was hat das eine mit dem anderenu tun?
Ich sage ganz deutlich, dass wir alle – ich schließe Sieier gerne mit ein – natürlich wollen, dass umfangreichufgeklärt wird, dass sachlich aufgeklärt wird, dass viel-icht auch einmal ein bisschen Ruhe in die Diskussionommt und dass wir vor allem eines Tages über Faktennd nicht nur über Mutmaßungen und Vermutungen re-en. Gerade weil die Vorwürfe, die teilweise im Raumtehen – insbesondere im Zusammenhang mit der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9691
Christoph Schnurr
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„Gorch Fock“ –, sehr schwerwiegend sind, müssen wirabwarten, bis die Fakten vorliegen. Der Minister hat zu-gesichert, dass hier Fakten vorgelegt werden, und das istauch richtig so.Er hat auch über die Abberufung des Kommandantengesprochen. Es ist deutlich geworden – das hat er heutefrüh gesagt, das hat er gerade eben im Plenum gesagt –,warum und auf welcher Grundlage er das gemacht hat.Er hat das aus Fürsorgepflicht getan. Diese Frage hat erbeantwortet. Sie müssen mit der Antwort nicht zufriedensein, aber Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen,dass er sie begründet hat.
Herr Bartels, Sie sagen, das Parlament sei nicht vomMinister informiert worden. Mit gleichem Atemzug be-klagen Sie, dass der Minister drei Pressemitteilungen he-rausgegeben und am Samstag mehrere Gespräche mitJournalisten geführt hat, in denen er deutlich gemachthat, welche Position er vertritt und warum er zu dieserEntscheidung gekommen ist. Das ist Ihnen auch nichtrecht. Was wollen Sie denn?
– Sie sind doch gleich dran.Vor allem ist eines deutlich geworden: Es ist völligklar, dass es Öffentlichkeitsarbeit ist, wenn ein Ministermit Medien – egal, welche Form von Medien, zum Bei-spiel mit Zeitungen – spricht. Dadurch wurde ein Teilder Öffentlichkeit informiert, ja, aber das ist nichtgleichzusetzen mit der Unterrichtung des Parlamentes.
– Das ist so; das ist völlig eindeutig. – Sie müssen sichaber auch den zweiten Satz anhören: Der Minister hatauch klargemacht – daran gibt es keinen Zweifel –, dasshier ein Fehler unterlaufen ist. Die Unterrichtung desParlamentes war in diesem Zusammenhang nicht hun-dertprozentig korrekt.
– Sie sprechen davon, dass sie „falsch“ bzw. irreführendwar. – Auf jeden Fall war sie nicht hundertprozentig kor-rekt.
Der Minister hat gerade eben gesagt, dass er das aner-kennt, dass er diesen Fehler gesehen hat und dass jetztSorge dafür getragen werden muss, dass dieser Fehler inZnudravaHMgEfümdraicemmleeLtöabSdinwcn
nd insbesondere der Minister muss jetzt dafür sorgen,ass wir im Nachgang ordentlich informiert werden. Da-n habe ich auch keinerlei Zweifel.
Am Ende möchte ich eines noch ganz deutlich her-orheben, nämlich die sehr gute Arbeit unseres Wehrbe-uftragten Hellmut Königshaus.
ellmut Königshaus, dem Wehrbeauftragten, und seinenitarbeitern – das möchte ich ganz ausdrücklich sagen –ilt mein Dank und auch der Dank der FDP-Fraktion.
s zeigt sich einmal mehr, wie wichtig diese Institutionr uns Parlamentarier ist, die als Hilfsorgan des Parla-entes agiert, letztendlich aber auch als Anlaufstelle fürie Soldaten dient, um Missstände, Probleme und He-usforderungen anzusprechen. Das ist ganz wichtig.Für die Zukunft und das weitere Vorgehen wünscheh mir, dass wir eine sachgerechte Diskussion führen,ine sachgerechte Aufklärung betreiben und als Parla-entarier, als Abgeordnete, letztendlich korrekt infor-iert werden.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
gin Agnes Malczak das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zualler-rst möchte ich den Angehörigen der im November umseben gekommenen Kadettin und des im Dezember ge-teten Hauptgefreiten in Afghanistan mein Mitgefühlussprechen, und das nicht nur für den Verlust ihrer Lie-en. Denn für sie ist auch die derzeitige Debatte miticherheit alles andere als leicht auszuhalten. Ich denke,as sollten wir alle nicht vergessen.
Was genau auf der „Gorch Fock“, bei dem Todesfall Afghanistan und im Fall der Feldpost geschehen ist,ird und muss noch eine Frage von weiteren Untersu-hungen sein. Wahrscheinlich ist, dass diese Ereignisseicht für die ganze Bundeswehr stehen. Es geht heute
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9692 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Agnes Malczak
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auch nicht darum, die Details der Vorfälle zu diskutierenund Urteile zu sprechen. Die Aufklärung dieser Ereig-nisse muss zeitnah und schnell, gründlich und ohne Vor-verurteilung, aber auch ohne falsche Rücksichtnahme inden kommenden Wochen geschehen.Im Zentrum steht heute aber die Frage, wie das Vertei-digungsministerium, wie Sie, Herr Minister zu Guttenberg,mit diesen Ereignissen umgegangen sind und was dieseVorfälle für die Bundeswehr bedeuten.
Dabei geht es im Kern der Debatte um die Realität derInneren Führung. „Gorch Fock“, der Todesfall in Afgha-nistan und die Feldpost: Über diese drei Ereignissewurde das Parlament nicht durch die politische oder mi-litärische Führung der Bundeswehr informiert. DerWehrbeauftragte hat diese Missstände aufgedeckt undöffentlich gemacht. Dieser Weg, auf dem die Informatio-nen ins Parlament und in die Öffentlichkeit gelangt sind,ist ein Armutszeugnis für Sie, Herr Minister zuGuttenberg.
Das Prinzip der Inneren Führung erfordert, genau hin-zuschauen. Das heißt, man muss wissen, was in derTruppe los ist. Doch die Ereignisse auf der „GorchFock“ im November 2010 wurden Ihnen erst in der letz-ten Woche durch den Wehrbeauftragten in dieser Dring-lichkeit und Priorität zugetragen.Dass es nach dem Tod der Kadettin Probleme gab,war aber schon im Dezember des letzten Jahres Themaim Verteidigungsausschuss. Auch im Fall des am17. Dezember 2010 in Pol-i Khomri ums Leben gekom-menen Hauptgefreiten schienen Sie, Herr Minister, esnicht für nötig gehalten zu haben, sich umgehend zu in-formieren. Der Special Investigations Report wurde lautIhrer eigenen Presseerklärung bereits nach zehn Tagenfertiggestellt. Am 21. Januar, fast einen Monat später,haben Sie dem ARD-Morgenmagazin gesagt, Sie hättenden Feldjägerbericht in den letzten Tagen bekommen.Sie sollten weder im Ausschuss noch hier Pappkame-raden aufstellen, auf die Sie schießen können. Denn nie-mand von uns hat Ihnen gesagt, Sie müssten jeden Feld-jägerbericht lesen. Ich erinnere nur an Ihren ehemaligenGeneralinspekteur Wolfgang Schneiderhan und an denehemaligen Staatssekretär Dr. Wichert, die gehen muss-ten, weil sie Ihnen einen Feldjägerbericht nicht vorgelegthaben. Tun Sie nicht so, als ob ein Feldjägerbericht, indem es um den Tod eines Soldaten geht, ein x-beliebigerBericht wäre.
Mit der Inneren Führung untrennbar verknüpft ist dasPrinzip der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Darausfolgt, dass die politische und militärische Führung eineInformationspflicht gegenüber dem Parlament hat.SdMhdgtrddshdbribKheddwWudjekdssnfüginTAte
enn ein solches Verhalten ist nicht nur eine Frechheit,ondern fällt auch auf Sie zurück, weil eigentlich Sie esind, der bei diesen drei Vorgängen bemerkenswert ah-ungslos war.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck
r die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-innen und Kollegen! Die Häufung der Vorkommnisse der Bundeswehr in der Berichterstattung der letztenage wird von der Opposition, auch heute wieder, zumnlass genommen, von Vertuschung und von Falschun-rrichtung des Parlaments zu sprechen. Nach einer
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9693
Ernst-Reinhard Beck
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beinahe fünfstündigen, ausführlichen und gründlichenUnterrichtung durch den Verteidigungsminister im Ver-teidigungsausschuss kann davon, glaube ich, in über-haupt keiner Weise mehr die Rede sein.
Eine Vielzahl von Vermutungen und Spekulationen sindheute Morgen in sich zusammengefallen. Ich möchte dieKollegen daran erinnern: Empörung ersetzt keine Re-cherche und schon gar keine gründliche Untersuchung.Die Verletzung des Brief-, Post- und Fernmelde-geheimnisses ist ein schwerwiegendes Vergehen. DerMinister hat dem Deutschen Bundestag hierzu amMontag und Dienstag zwei Zwischenberichte zugeleitet.Die Angelegenheit ist heute Morgen sehr detailliert dar-gestellt worden. Bis dahin sollten Spekulationen jederArt unterbleiben, ob die Zugriffsstelle in Afghanistanoder in Deutschland war. Wir können nur hoffen, dasswir das relativ bald herausbringen; denn in der Tat ist derEingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis einEingriff in die Grundrechte der Soldaten, den wir nichthinnehmen können. Aber es geht weit an der Realitätvorbei, bereits jetzt und überhaupt von flächendecken-dem und systematischem Öffnen von Briefen zu spre-chen. Bei einer Menge von etwa 900 000 im Jahr habenwir jetzt, glaube ich, 27 Briefe, um die es geht.
Jeder geöffnete Brief ist schlimm genug. Aber wir dür-fen die Dinge nicht in dieser Weise dramatisieren.Lieber Herr Kollege Arnold, ich halte es in der Tat fürunerträglich, wenn wieder die Rede davon ist, dass mitWaffen gespielt wird. Wir alle haben im Verteidigungs-ausschuss den Feldjägerbericht gelesen, wenn auch rela-tiv spät. Zum Feldjägerbericht möchte ich sagen: Feldjä-gerberichte gehören weder auf den Tisch des Ministersnoch auf den Tisch der Abgeordneten. Es handelt sich imGrunde um Ermittlungsergebnisse für den Disziplinar-vorgesetzten. Die Feldjäger sind eben nicht die Hilfs-polizei. Die Feldjäger haben nicht die polizeilichen Be-fugnisse. Deshalb ist es auch richtig, jedes Mal dieStaatsanwaltschaft einzuschalten; denn nur dann gibt eseine unabhängige Untersuchung. Es war ein tragischerVorfall, bei dem ein junger Mann durch das Verschuldeneines Kameraden ums Leben kam. Dies ist das Faktum.Wenn man sich nach den Umständen fragt, dann mussman sehen, dass das Waffenreinigen im Einsatzgebiet et-was anderes ist als in der warmen Stube im Frieden zuHause. Genauso ist das Übungsschießen im Einsatz et-was anderes als das Übungsschießen auf der Standort-schießanlage zu Hause.Ich komme zu den Ereignissen auf der „Gorch Fock“.Ich glaube, angesichts der sich rasant verdichtenden Me-dienlage mit neuen Vorwürfen im Stundentakt amFreitag Nachmittag konnte der Minister gar nicht andersentscheiden, als den Kommandanten von seiner Verant-wortung zu entbinden. Das gebietet schon die Fürsorgegegenüber einem Soldaten in Führungsverantwortung.Wir alle sind aufgerufen, zu verhindern, dass ein be-wadAEswis7edcmdmszedmkehnbsEmDgihdbunddnulaaPteMKadfamabd
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9694 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Evers-Meyer
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Todesfälle auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“,tödliche Waffenspiele in Afghanistan und geöffneteFeldpost, das ist ganz bestimmt nicht im Sinne derjeni-gen, die aus der Bundeswehr eine offenere Armee ma-chen wollten, eine Armee der Inneren Führung, ebeneine Armee aus Staatsbürgern in Uniform.Ich appelliere heute zuallererst an uns, an die Mitglie-der des Deutschen Bundestages: Unsere Bundeswehr isteine Parlamentsarmee. Wir haben die Verantwortung fürdie Truppe und für diejenigen, die darin ihren Dienst tun.Wir wollen nicht, dass diese Bundeswehr sich innerlichzerreißt, von außen kaputtgeredet oder in ein schlechtesLicht gestellt wird.
Vieles von dem, was da in den letzten Tagen in den Zei-tungen suggeriert wurde, entspricht in keiner Weise demtatsächlichen Bild der Bundeswehr und der Arbeit derSoldatinnen und Soldaten.
Wir können aber auch nicht zulassen, dass die Prinzi-pien, denen diese Bundeswehr in den letzten 60 Jahrenverpflichtet war, offensichtlich Gefahr laufen, auf demScheiterhaufen zu enger Einsatzpläne, mangelnder Aus-bildung und auch unzureichender Finanzierung geopfertzu werden. Und schon gar nicht werden wir es zulassen,dass Vorkommnisse und Entwicklungen vertuscht oderverheimlicht werden und dass eine notwendige Diskus-sion über die inneren Strukturen der Bundeswehr weiterverzögert wird.Als Mitglied des Bundestages danke ich an dieserStelle ausdrücklich dem Kollegen Königshaus für denDienst, den er dem Deutschen Bundestag erwiesen hat.Sie haben mit Ihrer Arbeit dem Amt des Wehrbeauftrag-ten alle Ehre gemacht. Ohne Ihre Berichte wäre die not-wendige Diskussion heute noch weiter hinausgezögertworden.
Als Mitglied des Verteidigungsausschusses würde ichmir wünschen, dass der Verteidigungsminister diese De-batte ebenfalls für notwendig hielte. Das tut Minister zuGuttenberg aber offensichtlich nicht. Bei aller Liebe,Herr Minister,
das, was Sie in den letzten Wochen und Tagen in Rich-tung des Deutschen Bundestages abgeliefert haben, warnach meiner Meinung unterirdisch. Wenn Sie in denAusschuss kommen, dann sind die Informationen, dieSedafoSdgDnfüsDantragdgIhnulaubduSfoddcraudHjuMsEAgDMbdddT
Herr Minister, Sie brauchen jetzt mehr denn je das Ver-auen der Mitglieder des Deutschen Bundestages und vorllen Dingen das Vertrauen der Mitglieder des Verteidi-ungsausschusses, auch wenn Sie heute vielleicht nochenken, die öffentliche Unterstützung bestimmter Zeitun-en lasse Sie über den Dingen schweben. Ich prophezeienen heute: Das reicht am Ende in der Regel nur für ei-en Auftritt in einer Fernsehshow; das reicht aber nicht,m ein guter Verteidigungsminister zu sein. Deswegenssen Sie uns doch endlich offen und ehrlich miteinandermgehen. Lassen Sie sich vernünftig informieren und ge-en Sie Ihre Informationen an uns weiter und nicht erst anie Zeitung. Dann können wir das, was geschehen ist, be-rteilen und unsere Schlüsse ziehen. Auch wenn dertaatsanwalt ermittelt, müssen wir wahrheitsgemäß in-rmiert werden. Wir wollen ja nicht vorverurteilen, son-ern man kann vielleicht zwischendurch schon einmalem einen oder anderen Missstand abhelfen.Natürlich gibt es nicht den einen Grund, der als Ursa-he für diese Vorfälle, beispielsweise in Afghanistan, he-ngezogen werden könnte. Aber es gibt viele größerend kleinere Mängel, die am Ende solche Vorfälle beför-ern. Ich hatte bei meinen letzten Besuchen imerbst 2010 wiederholt den Eindruck, dass es gerade denngen Soldatinnen und Soldaten immer öfter an klarenaßstäben fehlt. Sie sind aber wichtig, gerade wenn Ein-ätze gefährlich sind. Das gilt umso mehr, wenn dieseinsätze immer länger dauern.Das ist doch eines der Kernprobleme: Das aktuellefghanistan-Kontingent wird zum großen Teil nicht dieeplanten vier, sondern sechs Monate im Einsatz sein.ass praktisch ein ganzes Einsatzkontingent für sechsonate nach Afghanistan geschickt wird, ist ein Pro-lem. Wir mögen damit Geld sparen; aber wir überlastenamit auch viele Soldatinnen und Soldaten. Wir wissen,ass die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungenann ansteigt.Noch schlimmer ist es, wenn diese Belastungen in derruppe nicht angemessen abgefedert werden können. In
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9695
Karin Evers-Meyer
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solchen Belastungssituationen kommt es auf gute undverlässliche Menschenführung an, die den Prinzipien derInneren Führung entspricht. Daran mangelt es an einigenStellen. Kollege Königshaus hat das beschrieben. Wirsollten hier im Bundestag, im Verteidigungsausschussgemeinsam über die Probleme diskutieren: schlechteMöglichkeiten der Kommunikation mit der Familie, we-niger politische Bildung und Ausbildung, zu lange Ein-satzzeiten. Das sind Themen, mit denen wir uns beschäf-tigen müssen.
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit.
Ich komme zum Ende. – Das Schlechteste wäre es,
jetzt nur nach einem Verantwortlichen zu suchen und die
Dinge ansonsten laufen zu lassen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Was ist das für eine einfallslose Oppositionsarbeit,die wir in diesen Tagen erleben müssen! In einer Zeit, inder fast wöchentlich wichtige Entscheidungen in der Si-cherheits- und Verteidigungspolitik getroffen werden, ineiner Zeit, in der sich die Menschen in unserem Landfragen: „Wie geht es weiter in Afghanistan?“, in einerZeit, in der die Truppe sich fragt: „Wie sieht die Bundes-wehr der Zukunft aus?“,
fragen Sie sich: Wie können wir das hohe Ansehen desBundesverteidigungsministers endlich nachhaltig be-schädigen?
Nachdem im letzten Jahr alle Versuche in dieser Rich-tung gescheitert sind, nachdem der Kunduz-Untersu-chungsausschuss nicht das Ergebnis gebracht hat, dasSie sich gewünscht haben, haben Sie das neue Jahr miteiner neuen Strategie begonnen.Drei völlig verschieden gelagerte Vorgänge werdenmiteinander vermischt, das Gesamtpaket mit der pau-schalen Behauptung der Vertuschung und Falschinfor-mation des Parlaments unterlegt und der Minister per-sönlich dafür verantwortlich gemacht nach dem Motto:Selbst wenn sich zum Schluss alle einzelnen Vorgänge inLuft auflösen – irgendetwas davon wird schon hängenbleiben.
DNnfeogmdtiindrüSegazdksMridLdnwgted–ddHnhg–aacdtudtuisw
Nein, Kollege Schäfer, das ist nicht die Unterrichtunges Parlaments. Es ist nur die Antwort auf den Vorwurf,ass etwas vertuscht werden sollte. Das ist aber an denaaren herbeigezogen.
Jetzt wird der Vorwurf erhoben – es geht nämlichoch weiter –, dass die Bundeswehr bewusst etwas ver-armlosen wollte und deswegen nur von „Waffe reini-en“ spricht. Es wird aus einem Feldjägerbericht zitiertFeldjägerbericht hört sich ja gut an; wir erinnern unsn Kunduz –, demzufolge einer von mehreren Zeugenngeblich von einem „spielerischen Umgang“ gespro-hen haben soll. Sie wissen genau, dass die Aussagen iniesem Punkt nicht eindeutig sind. Der Vorwurf der Ver-schung, den Sie erheben – Kollege Arnold ist jetzt lei-er schon weg; er hat wahrscheinlich etwas anderes zun –,
t an dieser Stelle besonders hinterhältig, weil Sie genauissen, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen laufen
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9696 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011
Dr. Reinhard Brandl
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und der Dienstherr schon aus Fürsorgegründen zu die-sem Thema nicht Stellung nehmen kann. Wie ich vorhinschon gesagt habe: Der betroffene Soldat hat Anspruchauf eine sachgemäße Klärung ohne eine öffentliche Vor-verurteilung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, lassenSie die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit tun! Nutzen Siediesen tragischen Fall nicht für Ihre Oppositionsarbeitund bilden Sie sich erst nach Abschluss der ErmittlungenIhr Urteil! In der Zwischenzeit haben wir im Verteidi-gungsausschuss für unser Land und unsere Bundeswehrgenügend zu tun.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Nach bemerkenswerten fünf StundenAufklärung im Ausschuss gebührt in meinen Augen ersteinmal der Dank Ihnen, die dem Verteidigungsausschussangehören und diese Aufklärungsarbeit heute vorange-trieben haben, und natürlich auch dem Minister, der Ih-nen ausführlich Rede und Antwort gestanden hat.Deshalb fand ich es an manchen Stellen schon bemer-kenswert, welches Theater Herr Arnold hier seit Tagenaufführt. Er ist leider nicht mehr da; ihm wird meine Kri-tik aber sicherlich nachgereicht. Bei Ihnen zweifle ich anmanchen Grundfertigkeiten, die ein Politiker mitbringensollte, schon sehr stark; denn Lesen gehört definitivdazu.Wenn Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitungvom 20. Dezember 2010 den Bericht von Herrn StephanLöwenstein gelesen haben, kann Ihnen nicht entgangensein,
dass dort keine Vertuschungskampagne im Gange war,sondern dass von Anfang an offen kommuniziert wordenist. Die von Ihnen aufgezählten Beispiele einer Vertu-schungs- oder Verfälschungsaktion stimmen schlichtwegnicht.Der Kollege Brandl hat aus Unionssicht gerade auchetwas dazu gesagt, wie mit der Unterrichtung des Parla-ments umzugehen ist. Das hat aber nichts damit zu tun,dass hier eine bewusste Falschinformation stattgefundenhat.
DadaStasecEdngDMed„KbAw„wligSSSedmAblohdb
ass Sie sich hier nicht aufführen können wie ein Staats-nwalt. Überlassen Sie das dem für den Fall zuständigentaatsanwalt in Gera. Es ist nicht Aufgabe eines Bundes-gsabgeordneten, hier über den laufenden Ermittlungs-tand in dieser Art und Weise abzuurteilen und damitine Verurteilung von Leuten, die in ein Unglück verwi-kelt sind, vorzunehmen.
s ist vielmehr auch Ihre Aufgabe, sich schützend vorie Soldatinnen und Soldaten zu stellen, anstatt hier ei-en solchen Zirkus aufzuführen.
Frau Künast ist vorhin weggelaufen und dann wieder-ekommen, jedenfalls mit großer Schreierei in dieserebatte aufgefallen.Herr Oppermann spricht von einer Meuterei desinisters. Herr Oppermann, das hat doch nichts mitrnsthaftem Interesse an diesem Thema und am Ansehener Bundeswehr zu tun.Die Widersprüche sind sehr groß. In Bezug auf dieGorch Fock“ erklärte Herr Arnold vorhin vor laufendenameras – das ist ja seine neue Lieblingsbeschäftigung;ei ihm sind es etwas mehr als die 15 Minuten Ruhm, diendy Warhol einem jeden von uns zugeschrieben hat –,
enn es nach ihm ginge, wäre der Kommandant derGorch Fock“ schon am vorigen Mittwoch entlassenorden. Ja, was denn nun? Vorhin wurde hier von vorei-gem Handeln gesprochen. Dort wurde jetzt gesagt, ei-entlich hätte man es eher machen sollen. Was wollenie eigentlich? Diese Aufklärung sind Sie uns an diesertelle schuldig und vor allem der Bundeswehr.
Herr Schäfer, genauso unanständig finde ich das, wasie vorhin über Admiral Schimpf gesagt haben. Es istinfach nicht richtig, über einen hochrangigen und ver-ienten Soldaten hier so zu urteilen. Sie behaupten, Ad-iral Schimpf sage im Verteidigungsausschuss nichtsusführliches dazu. Sie können sich doch wesentlichesser daran erinnern, was im Verteidigungsausschusss war. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschussesat gesagt: Admiral Schimpf, jetzt nur noch eine Minute;enn wir müssen alle weg. – Dann wurde er dazu ge-racht, dort eine Stellungnahme abzugeben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Januar 2011 9697
Philipp Mißfelder
(C)
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– So war das an diesem Tag, weil damals eine Regie-rungserklärung abgegeben wurde und weil Sie am Nach-mittag nicht noch einmal zusammenkommen wollten.
– Ich habe mich bei den Kollegen gerade darüber infor-miert. Sie können ja gerne nachlesen, was dort statt-gefunden hat. Jedenfalls erinnern sich unsere Kollegenoffenbar besser als Sie daran, was tatsächlich stattgefun-den hat.Herr Bartels hat von den Sparzielen gesprochen. Auchdort ist mir relativ unklar, was die SPD letztendlich will.Denn an dieser Stelle ist doch festzustellen – das gilt na-türlich für alle Abgeordneten dieses Hauses und insbe-Deswegen fand ich das, was Herr Bartels vorhin zumThema Sparziele gesagt hat, auch ziemlich verlogen. Dagibt es überhaupt kein Hin und Her. Vielmehr gab es vonAnfang an eine klare Ansage.Dieses Haus und der Bundesrat versuchen sukzessive,diese Sparziele zu konterkarieren.
– Das bezieht sich auf die Äußerungen von FrauMalczak und Frau Evers-Meyer.Ich fand es richtig, dass Sie den Wehrbeauftragten lo-ben; er ist ja auch das Hilfsorgan dieses Hauses.
– Ich bin schließlich nicht hierher entsendet worden, umdie ganze Zeit zu klatschen.sondere auch für Vertreter der Bundesländer –: Zunächstwurde gesagt, der Minister solle sparen.
– Ich habe ja die CDU-Länder mit eingeschlossen.Ich kenne viele Abgeordnete aus unserer Fraktion,viele Abgeordnete aus Ihrer Fraktion und viele Minister-präsidenten, die in den vergangenen Wochen massiv ge-worben haben: Sparen ja, aber nicht bei mir.
Es war von Anfang an klar – daraus hat der Ministernie einen Hehl gemacht –, dass die Sparziele dann, wennman sich auf die Zahl von 185 000 Soldaten einigt,schwierig zu erreichen sein werden.Gerade aus diesem Haus sind doch momentan vieleLeute unterwegs, die sagen: Mein Standort ist der wich-tigste; er ist militärisch für die Verteidigung der NATOund für den Weltfrieden das Allerwichtigste.dbggggd1GOd
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir auch am Schluss unserer heutigen Ta-
esordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 27. Januar 2011,
0.30 Uhr ein. Vorher findet um 9 Uhr im Plenarsaal die
edenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die
pfer des Nationalsozialismus statt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
ie Sitzung.