Gesamtes Protokol
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 28./29. Oktober 2010
in Brüssel und zum G-20-Gipfel am 11./12. No-
vember 2010 in Seoul
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP sowie je ein Entschließungsan-
trag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.
Interfraktionell ist verabredet, in der Aussprache im
Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel
Stunden zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ge-EvgdajcwagrdDbhHaRedetmeinsam haben wir vor dreieinhalb Wochen den20. Geburtstag des wiedervereinten Deutschlands gefei-ert. Gemeinsam haben wir uns die Kraft der Freiheit inErinnerung gerufen, die es möglich gemacht hat, dasswir heute mit all unseren Nachbarn in Freundschaft le-ben. Wir erleben die glücklichste Phase in der deutschenGeschichte. Dafür sind wir unendlich dankbar.
Wir vergessen nie, dass dieses Glück unseres Landesvon der Geschichte der Europäischen Union nicht zutrennen ist. In diesem Bewusstsein macht unsere Gene-ration Politik für unser Land und für Europa; denn um-gekehrt ist das europäische Einigungswerksche Beteiligung überhaupt nicht vorstellbsollten wir uns nicht nur an Festtagen und Juwusst sein, sondern auch im politischen Alltag
Wunsch nehme ich die Linke aus.er Dehm [DIE LINKE]: Ich dankeIhnen!)ohne deut-ar. Dessenbiläen be-. Auf speziellen
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Ansonsten weiß es ganz Europa. Aber, bitte schön, wennSie nicht dabei sein wollen, können wir das ausdrücklichfesthalten.
Ich habe damals gefordert: Wir brauchen eine Stabili-tätskultur in ganz Europa. Heute kann ich feststellen:Fast alle EU-Länder haben sich unserem energischenKonsolidierungskurs angeschlossen. Dieser Kurs warund ist unumgänglich und muss unter allen Umständenfortgesetzt werden; denn noch – das ist die Wahrheit – istnicht ausgemacht, dass Europa wirklich dauerhaft ge-stärkt aus dieser Krise hervorgeht. Noch ist nicht ausge-macht, dass wir tatsächlich Vorsorge für die Zukunfttreffen. Noch stehen weitere entscheidende Schritte aus.Wir müssen diese Schritte unternehmen, und zwar nichtirgendwann, wenn Europa das Wasser wieder bis zumHalse steht, sondern jetzt. Dazu bin ich fest entschlos-sen.
Der Europäische Rat morgen und übermorgen ist vongrößter Bedeutung. Wir müssen die richtigen Lehren ausder Krise ziehen, verhindern, dass neue Krisen entste-hen, und die Wirtschafts- und Währungsunion langfristigauf ein stabiles Fundament stellen. Deutschland undFrankreich haben auf dem Weg zu diesem Ziel in dervergangenen Woche gemeinsam Führung übernommen.Es ist wahr: Eine deutsch-französische Einigung ist nichtalles in Europa. Aber wahr ist auch: Ohne eine deutsch-französische Einigung wird vieles nichts. Das gilt auchin diesem Fall.
Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass sichDeutschland und Frankreich in einigen entscheidendenPunkten einig sind: erstens darüber, dass wir die Stabili-tätsregeln in der Währungsunion verschärfen wollen, umrascher auf unverantwortliches Verhalten einzelner Mit-gliedstaaten reagieren zu können, und zweitens darüber,dass wir jetzt Vorsorge für mögliche zukünftige Krisen-situationen treffen wollen, um die Stabilität der Euro-Zone langfristig zu sichern.
Zum ersten Schwerpunkt, also zur Verschärfung derhaushalts- und wirtschaftspolitischen Überwachung inEuropa, um künftige Krisensituationen nach Möglich-keit zu verhindern: Dazu wollen wir morgen im Europäi-schen Rat den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe unterVorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates, HermanVan Rompuy, annehmen. Deutschland hat die Ein-setzung dieser Gruppe im März 2010 durchgesetzt; daswaren wir gemeinsam. Deutschland hat durch die ex-zellente Arbeit von Finanzminister Schäuble die Bera-tungen mit wichtigen Vorschlägen geprägt, und Deutsch-land hat dafür gesorgt, dass durch die Einigung mitFrankreich der Weg für einen Konsens in der Gruppeinsgesamt möglich wurde.ISpdnwtMDnwirRDdEnrsA6K6daGoaWdwsaduHl
ch sage ganz klar: Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
chon heute ist sicher: Der Stabilitäts- und Wachstums-akt erhält deutlich mehr Biss, um eine stabilitätsgefähr-ende Politik einzelner Euro-Staaten zu verhindern.
Ich will drei Beispiele dafür nennen: Erstens. Sanktio-en werden künftig früher und schneller verhängt. Sieerden viel früher einsetzen als bisher, und zwar präven-iv, bei schweren Fehlentwicklungen schon bevor einitgliedstaat die Defizitgrenze von 3 Prozent verletzt.as gibt es heute überhaupt nicht. Das ist vollkommeneu. Die Sanktionen werden automatisiert, und zwar so-ohl bei dem sogenannten präventiven Arm, von demch eben gesprochen habe, als auch beim Defizitverfah-en selbst. Das heißt, eine Sanktion kommt, wenn derat nicht mit qualifizierter Mehrheit widerspricht.
amit werden die politischen Hürden für Sanktioneneutlich verkleinert. Nichts anderes versteht auch dieuropäische Kommission unter automatischen Sanktio-en.Zweitens. Ab jetzt wird der Schuldenstand eine he-ausragende Rolle spielen. Bislang mussten Mitglied-taaten nur auf die Defizitgrenze von 3 Prozent achten.llein wegen eines Schuldenstandes von mehr als0 Prozent musste niemand ein Verfahren befürchten.ünftig gilt: Ab einem Schuldenstand von über0 Prozent wird ein Defizitverfahren eingeleitet, wenner Mitgliedstaat den Schuldenstand nicht hinreichendbbaut. Das ist ein großer Fortschritt; denn die größtenefahren für die Stabilität der Euro-Zone gehen von ex-rbitant hohen Schuldenständen einiger Mitgliedstaatenus. Ein Defizit unter 3 Prozent ist bei schwachemachstum leider keine Garantie dafür, dass der Schul-enstand nicht völlig aus dem Ruder läuft. Genau dasird jetzt geändert.
Drittens werden wir – das ist auch der Ausdruck des-en, dass wir in Zukunft als Wirtschaftsregierung im Ratrbeiten – nicht mehr zusehen, wenn Mitgliedstaatenurch falsche Politik ihre eigene Wettbewerbsfähigkeitntergraben.
ier wird es künftig Sanktionen geben – das ist ein völ-ig neuer Ansatz –; denn die Krise hat gezeigt: Durch fal-
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sche Wirtschaftspolitik können massive Strukturpro-bleme entstehen.
– Herr Trittin, auch wenn Sie gerne hätten, dass wirdamit gemeint sind, ist der Eindruck in Europa im Au-genblick nicht, dass Deutschland eine falsche Wirt-schaftspolitik macht, schon gar nicht eine falsche Ar-beitsmarktpolitik.
So ist die Lage nun einmal. Auch Ignoranz ändert nichtsdaran.Meine Damen und Herren, auf diese Maßnahmen ha-ben sich die Finanzminister und die Europäische Kom-mission in der Van-Rompuy-Arbeitsgruppe einvernehm-lich verständigt. Mit ihnen verschärfen wir dieStabilitätsregeln der Wirtschafts- und Währungsunion.Mit ihnen wollen wir verhindern, dass neue Krisen über-haupt entstehen können. Mit ihnen allein sind wir aberimmer noch nicht am Ziel; denn auch mit den schärfstenStabilitätsregeln können wir noch nicht zu 100 Prozentausschließen, dass es eines Tages wieder zu einem extre-men Krisenfall kommt, der die Stabilität der Euro-Zoneinsgesamt gefährdet.Wenn das so ist, dann müssen wir den Tatsachen insAuge sehen. In diesem Fall kann es nur eine Konsequenzgeben, was mich zu meinem zweiten Schwerpunkt führt:Wir müssen heute Vorsorge zur Bewältigung künftigerKrisensituationen treffen. Dazu brauchen wir – das istdie Überzeugung der Bundesregierung sowie der Koali-tionsfraktionen – einen neuen, robusten Krisenbewälti-gungsrahmen für Notfälle. Nur so können wir die Stabi-lität der Euro-Zone dauerhaft sichern.Das kann nicht irgendein Krisenbewältigungsrahmensein. Ein neues Wort alleine hilft da wenig. Vielmehrmuss der neue Krisenbewältigungsrahmen rechtlich un-angreifbar sein, das heißt ohne Wenn und Aber, klippund klar: Gelingen wird das nur mit einer Änderung dereuropäischen Verträge. Diese Änderung benötigen wir.Wir sind bereits so weit, dass sich Deutschland undFrankreich darin einig sind. Das hätten viele, wenn nichtfast alle von Ihnen noch vor einem halben Jahr für un-möglich gehalten.
Wir sind aber so weit. Deutschland und Frankreichsind hierüber einer Meinung. Damit haben wir einen ers-ten, großen Schritt geschafft. Diesem müssen wir jetztnatürlich den zweiten folgen lassen. Dabei handelt essich um eine Einigung in ganz Europa über die Notwen-digkeit von Vertragsänderungen. Ich mache mir garkeine Illusionen. Das durchzusetzen, wird schwer genug.Deshalb wird es aber noch lange nicht weniger notwen-dig, und zwar im Sinne des Wortes „not-wendig“.ddnwcnwmShDdgnshwdcrbWmdDggktMiDzGdzrSaaekdudgwsmre
Fassen wir zusammen: Ich werde morgen und über-orgen auf dem Rat der europäischen Staats- und Regie-ungschefs darauf drängen, dass Präsident Van Rompuyinen präzisen Auftrag des Europäischen Rates erhält, auf)
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dessen Basis er in enger Abstimmung mit den Mitglie-dern des Europäischen Rates Vorschläge für die erforder-lichen, eng begrenzten Vertragsänderungen und konkreteOptionen für einen auf Dauer angelegten robusten Kri-senbewältigungsrahmen entwickeln und spätestens biszum März 2011 dem Europäischen Rat vorlegen kann.Ich sage für die Bundesregierung und unser Land unmiss-verständlich: Für mich sind die Zustimmung zum Berichtder Van-Rompuy-Arbeitsgruppe und ein präziser Auftragan Herman Van Rompuy nicht voneinander zu trennen.Sie sind ein Paket.
Wir alle wissen: Die Lösung muss bis zum Sommer2013 rechtlich gültig sein. Das heißt, für die Bewälti-gung künftiger Krisen sind wir nur dann gewappnet,wenn das der Fall ist. Deshalb sage ich: Obwohl dasnoch lange hin zu sein scheint, ist nicht viel Zeit, um dasalles umzusetzen. Sie alle wissen: Ich war diejenige, diewährend der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 zu-sammen mit dem damaligen Außenminister Steinmeierden Lissabon-Vertrag auf den Weg gebracht hat. Heutebin ich diejenige, die zusammen mit unserem Außen-minister Guido Westerwelle entschieden dafür eintritt,
dem schwierigen Weg einer Vertragsänderung nicht aus-zuweichen, sondern ihn mutig und entschlossen zu ge-hen.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs müs-sen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Europasden Nachweis erbringen, dass sie aus der Krise die rich-tigen und notwendigen Lehren gezogen haben.
Nur weil sich viele vor dem natürlich beschwerlichenWeg der Vertragsänderung fürchten, ist das noch langekein Argument gegen diesen Weg. Ich bin überzeugt:Nur auf diesem Weg erreichen wir eine zweifelsfreie de-mokratische Legitimation für einen auf Dauer angeleg-ten Krisenbewältigungsrahmen. Das ist das Ziel derBundesregierung.Ich stehe dafür ein, dass Deutschland eine führendeRolle dabei spielt, die gute Zukunft der EuropäischenUnion zu sichern. Wir werden dafür nicht immer sofortBeifall bekommen – das haben wir im Frühjahr erlebt –,aber am Ende kommt es nicht auf den schnellen Beifallan, sondern darauf, eine Mehrheit für unsere richtigenVorschläge zu gewinnen, von deren Bedeutung für einegute Zukunft Europas wir überzeugt sind. Daran arbeitenwir, und dafür bitte ich um Unterstützung.
Der Europäische Rat morgen und übermorgen wirdsich auch mit dem kommenden G-20-Gipfel am 11. und12. November dieses Jahres in Seoul befassen. Die Er-rndiGIwpknBberDgWkkpUmdzwKthlüshdPktdhnirgAssiRlmV
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kung der Kapitalanforderungen für Banken. Hierzu hatder Baseler Ausschuss quantitativ und qualitativ höhereKapitalstandards beschlossen – ein ganz wichtigerSchritt. Wir müssen auch global abgestimmte Regelnaufstellen, damit wir systemisch relevante Finanzinsti-tute in Krisenfällen grenzüberschreitend restrukturierenoder abwickeln können, und zwar finanzmarktschonendund möglichst ohne Belastung der Steuerzahler.Deutschland wird sich bei dem bevorstehenden G-20-Treffen in Seoul dafür einsetzen, dass wir bei diesemwichtigen Thema vorankommen. Für Deutschland hatdie Bundesregierung bereits ein wichtiges Gesetzge-bungsvorhaben zur Restrukturierung bzw. Abwicklungvon Banken auf den Weg gebracht. Dieser Gesetzent-wurf ist in den parlamentarischen Beratungen und hat in-ternational Vorbildcharakter.Die Europäische Kommission hat für Anfang 2011Rechtsetzungsvorschläge angekündigt. Ich sage es ganzunumwunden: Was die Beteiligung des Finanzsektors anden Kosten der Krise betrifft, hätte sich die Bundesregie-rung mehr vorstellen können.
Wir hätten uns vorstellen können, dass es G-20-weit zueiner einheitlichen Lösung kommt. Dazu ist leider keinKonsens erzielt worden. Das ändert aber nichts daran,dass wir an unserem Ziel festhalten. Es darf kein Wegdaran vorbeiführen, dass sich der Finanzsektor an denKosten der Krise beteiligt.
Er muss Vorsorge für eventuelle künftige Krisen treffen.
Deshalb unterstützt die Bundesregierung weiterhin dieEinführung einer Finanztransaktionsteuer,
zumindest, wenn sie global nicht umsetzbar ist, auf euro-päischer Ebene; so ist das.
– Meine Damen und Herren, auch Sie können nichtignorieren, dass es dafür bei der G 20 keine Mehrheitengab.
Eckpfeiler einer neuen globalen Finanzarchitektur istein starker Internationaler Währungsfonds.
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ber dessen Hiersein ich mich heute besonders freue, ge-auso wie über das von Herrn Steinmeier.
Meine Damen und Herren, neben der Weiterführunger Reformen auf den Finanzmärkten wird die weltweitetärkung der Wachstumskräfte der zweite Schwerpunkter Diskussionen in Seoul sein. Was können wir gemein-am für ein nachhaltiges, starkes und ausgewogenesachstum tun? Zunächst einmal müssen wir verstehen,ass quantitative Ziele in Bezug auf die Leistungsbilanzeine Lösung sein können. Leistungsbilanzsalden sindusdruck von Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirt-chaften und kommen durch Marktprozesse zustande,nd in diese darf an dieser Stelle nicht künstlich einge-riffen werden.
Zur Erreichung eines starken, nachhaltigen und aus-ewogenen Wachstums ist es daher vielmehr erforder-ich, die strukturellen Ursachen, die gesamtwirtschaftli-hen Ungleichgewichten zugrunde liegen, in den Blicku nehmen und Wettbewerbsnachteile dauerhaft zurück-uführen. Wenn wir diesbezüglich auf Deutschlandchauen, dann wird klar, dass unser Land seiner interna-ionalen Verantwortung als führende Wirtschaftsnationerecht wird. Wir haben zwei Konjunkturpakete im Um-ang von zusammen rund 80 Milliarden Euro aufgelegt,nd wir haben weitere Maßnahmen ergriffen, um dieachfrage zu stärken. Damit haben wir den Abschwungn Deutschland gestoppt.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Im Übrigen sind durch unsere Maßnahmen gegen dieKrise unsere Exporte in der Krise wesentlich stärker ge-sunken als die Importe. Deutschland hat damit einensubstanziellen Beitrag zur Stabilisierung der Weltwirt-schaft geleistet, und dies werden wir auch weiterhin tun.
Inzwischen sind wir dabei, die Krise schneller als an-dere Länder zu überwinden.
Die aktuellen Zahlen und Daten sind beeindruckend.
Mit einem Wachstum von 3,4 Prozent in diesem und vo-raussichtlich 1,8 Prozent im nächsten Jahr gehörtDeutschland zu den Wachstumsmotoren in Europa. Ichfüge hinzu: Bei den Arbeitsplätzen zeigt sich das nochdeutlicher; denn wir können damit rechnen, dass wirbald weniger als 3 Millionen Arbeitslose haben. Dies istin einer solchen Situation ein Riesenerfolg.
Auch die Investitionstätigkeit ist mittlerweile wiederspürbar angestiegen. Wir können heute sagen: Es warrichtig, die Krise auch unter Inkaufnahme einer massivenVerschuldung zu stoppen. Diesen Weg – daran werdenSie sich erinnern – ist die Bundesregierung gegangen. Dasich das als richtig erwiesen hat, wird es sich jetzt auch alsrichtig erweisen, dass wir nun gegen die Verschuldungvorgehen, und zwar genau jetzt, nicht früher, aber ebenauch nicht später. Bei einer Wachstumsrate von über3 Prozent in diesem Jahr ist jetzt der richtige Zeitpunktdafür, mit der Konsolidierung zu beginnen.Die zeitlich befristeten Maßnahmen im Rahmen derKonjunkturpakete werden wie geplant zum Jahresendeauslaufen. Eine wachstums- und beschäftigungsorien-tierte Haushaltskonsolidierung ist eingeleitet. Dies liegtgenau auf der Linie, auf die sich die Staats- und Regie-rungschefs der G 20 im vergangenen Juni in Torontoverständigt haben. Auch die Belebung des internationa-len Handels spielt bei der Erholung der Weltwirtschafteine zentrale Rolle, und deshalb werden wir alles daran-setzen – ich werde das auch in Seoul wieder auf die Ta-gesordnung bringen –, dass die Doha-Verhandlungenendlich mit einem vernünftigen Ergebnis abgeschlossenwerden können; denn sie könnten zu einem wirklichenWachstumsimpuls für einen freien Welthandel führen.Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich eineinternationale Diskussion über angemessene Wechsel-kurse zwischen den weltweit bedeutendsten Währungensachlich und in kooperativem Geist führen. Ich sage al-lerdings: Der globale Aufschwung würde infrage ge-stellt, wenn wir verstärkte Verzerrungen der Wechsel-kurse in Kauf nehmen würden.Ich bin überzeugt, Wechselkurse sollten mittelfristigdie fundamentalen Daten einer Volkswirtschaft wider-szvDawdFdadwsdJzaFesAevdmhgEdaesmsssessAMdFsm
enn bei einem Abwertungswettlauf verlieren am Endelle. Die schlimmen Erfahrungen in der Folge der Welt-irtschaftskrise in den 30er-Jahren des letzten Jahrhun-erts sollten uns allen eindringliche Mahnung sein, dieehler von damals nicht zu wiederholen. Wir haben inieser Krise vieles richtig gemacht; aber wenn wir jetztuf dem Weg raus aus der Krise Fehler von damals wie-erholen würden, wäre das sehr schwierig und könnteirklich ganz falsche Effekte hervorrufen.Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht verges-en, dass die zukünftige Schlagkraft der G 20 auch voner Fähigkeit abhängt, eine Agenda für die nächstenahre zu entwickeln und den kooperativen Ansatz, wie erur Bekämpfung in der Krisenzeit sichtbar geworden ist,uf andere Themen zu übertragen. Deutschland wird hierrankreich in seiner kommenden G-20-Präsidentschaftntschieden unterstützen.Wir unterstützen auch den Vorschlag der koreani-chen Präsidentschaft, die Entwicklungspolitik in dergenda der G 20 zu verankern: zum einen, weil wir alsntwickelte Industrieländer unsere humanitäre Gesamt-erantwortung kennen, aber zum anderen auch, weil sichie G 20 bewusst ist, dass die internationale Staatenge-einschaft ihre Ziele nur erreichen kann, wenn es nach-altige Fortschritte in den Entwicklungsländern selbstibt.Meine Damen und Herren, auf der Tagesordnung desuropäischen Rates wird fünf Wochen vor dem Beginner UN-Klimakonferenz in Cancún selbstverständlichuch der internationale Klimaschutz stehen. Auch wennr hier heute – wie auch in Brüssel und Seoul – wahr-cheinlich nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Auf-erksamkeit stehen wird, so hat Klimaschutz nichts voneiner Dringlichkeit verloren. Im Gegenteil, Deutschlandteht unmissverständlich zum Ziel eines neuen umfas-enden Klimaübereinkommens unter dem Dach der Ver-inten Nationen.Es ist leider wahr: Cancún wird noch nicht den ent-cheidenden Durchbruch und das umfassende Klima-chutzabkommen bringen.
ber wahr ist auch: Gerade dieser Konferenz zwölfonate nach Kopenhagen kommt dahin gehend eine Be-eutung zu, dass gezeigt werden kann, dass wichtigeortschritte beim Aufbau der internationalen Klima-chutzarchitektur und bei der Umsetzung konkreter Kli-aschutzmaßnahmen möglich sind.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7087
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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In diesem Sinne wird sich die Europäische Union für einmöglichst umfassendes und ehrgeiziges Ergebnis inCancún einsetzen. Deutschland unterstützt das nachKräften.
Meine Damen und Herren, die politischen Prioritäten,die die Bundesregierung mit Blick auf den EuropäischenRat und den G-20-Prozess verfolgt, sind ehrgeizig. Sieumzusetzen, erfordert unseren ganzen Einsatz. Rück-schläge kann auch niemand ausschließen. Aber wennwir mutig vorangehen, dann hat das für Europa immerFortschritte gebracht. Und so wird es auch dieses Malsein, wo sich so viele vor einer Änderung der europäi-schen Verträge scheuen. Doch nichts muss so bleiben,wie es ist. Das galt schon immer, und Veränderungenzum Besseren sind immer möglich, auch wenn der Wegsteinig und mühsam ist. Mit dieser Haltung werde ich inBrüssel und Seoul dafür werben, dass Europa und dieG 20 die Weichen richtig stellen. Und so werden wir ei-nen wichtigen Beitrag für die Zukunft unseres Konti-nents und der G 20 leisten.Herzlichen Dank.
Den nächsten Redner begrüße ich mit einem herzli-
chen Willkommen zurück. Frank-Walter Steinmeier hat
das Wort für die SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Es ist tatsächlich so: Ichbin froh, wieder da zu sein.
Frau Präsidentin, erlauben Sie mir einige Worte vor-weg: Ich habe ganz ehrlich nicht damit gerechnet, dasssich so viele aus diesem Kreis partei- und fraktionsüber-greifend in den letzten Wochen bei mir gemeldet haben.Sie haben mir geschrieben, mit mir telefoniert, ihre An-teilnahme bekundet und mir Zuspruch und Genesungs-wünsche übermittelt. Dafür möchte ich Ihnen wie auchfür Ihre herzlichen Willkommensworte, Frau Präsidentinund Frau Bundeskanzlerin, von dieser Stelle aus herzlichdanken.
Ich freue mich aber nicht nur selbst, dass ich wiederhier sein kann, sondern ich freue mich auch darüber,dass wir Herrn Schäuble wieder unter uns haben. HerrSchäuble, von mir persönlich, von meiner ganzen Frak-tion und sicherlich von allen im Hause alle guten Wün-sche für Ihre Gesundheit!
Was ich zu Herrn Schäuble gesagt habe, gilt über allesRingen um richtige Politik hinweg. Aber zum RingenubwkubFrsntsslidUiDE3–tsGHgmeHnnBSnufnhbkSGtwgw
nd das in einer Zeit – das will ich ausdrücklich sagen –,n der die Welt wieder positiv auf Deutschland blickt undeutschland durchaus wieder Wirtschaftslokomotive inuropa ist.Wenn jetzt die Zahl der Arbeitslosen in der Tat unterMillionen sinkt, Frau Merkel, dann ist das ein Erfolgdas sehen wir auch so –, zu dem viele im Land beige-ragen haben, nur einem wird er offenbar nicht zuge-chrieben, nämlich dieser Bundesregierung. Und das hatründe.Angekündigt haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, einenerbst der Entscheidungen. Offensichtlich hört keinerenau hin, wenn Sie das sagen. Jedenfalls ist die Som-erpause schon lange vorbei, und es geht so weiter, wies vor der Sommerpause geendet hat. Ich sehe keinenerbst der Entscheidungen, sondern einen Herbst voneuer Missgunst und neuem Streit. Die Koalitionspart-er streiten sich weiter wie die Kesselflicker. Auch inrüssel hält man sich mittlerweile genervt die Ohren zu.o sieht das Bild gegenwärtig aus. Es stellt sich leidericht in den schönen rosaroten Farben dar, wie Sie siens eben aufgezeigt haben, Frau Bundeskanzlerin.
Wenn wir nach den Ursachen fragen, dann stellen wirest, dass die Ursache für die ohrenbetäubende Kakofo-ie, die wir am Wochenende wieder gehört haben, wahr-aftig nicht bei der Opposition liegt und sicherlich nichtei der SPD. Sie wissen, Frau Merkel: Wir Sozialdemo-raten stehen für eine verantwortliche Europapolitik.
ie wissen auch, dass Sie unsere Zustimmung zu denriechenland-Hilfen und dem Euro-Rettungsschirm hät-en bekommen können. Sie wissen das, aber Sie hatteneder Kraft noch Mut, Ihren eigenen Leuten beizubrin-en, dass auch die Finanzmärkte ihren Beitrag zur Be-ältigung der Krise leisten müssen.
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7088 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Das müssen sie, weil die normalen Steuerzahler esschlicht nicht mehr ertragen, dass die Belastungen amEnde immer nur bei ihnen abgeladen werden.Für mich und meine Fraktion – das sei hier noch ein-mal klargestellt – bleibt es dabei: Wir werden uns nichtdavon abbringen lassen, dass diejenigen, die in und ander Finanzkrise Milliarden verdient haben, auch zahlen.Wir streiten weiter mit aller Kraft und Energie für die fi-nanzielle Beteiligung der Finanzmärkte. Deshalb sageich noch einmal: Die Finanzmarkttransaktionsteuer warvernünftig und ist vernünftig. Sie ist notwendig, und– ich bin sicher – sie muss und sie wird auch kommen,allen momentanen Widerständen, die es gibt und die ichsehe, zum Trotz, meine Damen und Herren.
Wenn Sie die Signale im Vorfeld dieser Debatte unddes Gipfels einmal genau analysieren, zeigt sich doch:Mit ein wenig Anstrengung, mit ein wenig Geschick hät-ten Sie weit mehr als nur die eigenen Koalitionsfraktio-nen auf Ihrer Seite. Wir wollen auch nicht, dass sich eineso gefährliche Situation wiederholt, wie Sie sie eben ge-schildert und wie wir sie alle im Frühjahr erlebt haben.Viele hier, auch die SPD, streiten für einen vernünftigenFrühwarnmechanismus, für einen wirksamen Stabilitäts-pakt. Über manches Instrument lässt sich diskutierenund müssen wir auch diskutieren. In der Grundhaltunggibt es doch zwischen vielen von uns keinen völlig un-überwindlichen Streit. Aber so, wie Sie, Frau Bundes-kanzlerin, in den letzten Monaten und Wochen Europa-politik betrieben haben, so geht das nicht und so könnenwir das nicht durchgehen lassen. Ich sage gleich, warum.
Angefangen hat das im Grunde genommen – daranerinnern wir uns doch alle miteinander – schon in derGriechenland-Krise. Wochen- und monatelang, noch biskurz vor dem Tag der Entscheidung, haben im Frühjahrgroße Teile der Regierung und auch Sie selbst, FrauMerkel, beteuert: Keine Hilfen für Griechenland! Man-che haben Sie sogar dafür gefeiert, und Sie haben es ge-schehen lassen. Aus Angst und wahrscheinlich obwohlSie wussten, was am Ende kommen würde, hat die Re-gierung den Menschen die Wahrheit vorenthalten unddamit den Großteil der EU zunächst einmal gegen sichaufgebracht. Und was war das Ergebnis? Am Endewurde hier im Hause das ganze Programm fast ohne Dis-kussionsmöglichkeiten in den Ausschüssen durchge-peitscht. Das war alles nicht notwendig und hat das Ver-trauen nicht gestärkt.Damit wären wir zum überwiegenden Teil vielleichtnoch klargekommen, weil die Griechenland-Hilfe eineNothilfe war. Das Finanzministerium hatte hier von die-sem Pult aus ja auch gesagt: Seien Sie sicher, das ist dasLetzte, was in diesem Hause dazu debattiert und be-schlossen werden muss.antrdRGwssBiptsdnsrdnIibtnsuRsRIPndHdzjbadhDmgEgpa
s ist nämlich wieder dasselbe Muster. Sie treten mitroßen Ankündigungen an, aber dann kommt die euro-äische Realität.Wo wir jetzt über den Stabilitätspakt und möglicheutomatische Sanktionen reden, will ich nur zitieren,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7089
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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was Herr Schäuble am Wochenende gesagt hat – so wares ja in der Presse zu lesen –: Nie habe es eine realisti-sche Chance auf automatische Sanktionen gegeben. –Wenn das so ist, Herr Schäuble, wenn Sie in dem Text,den ich gelesen habe, einigermaßen richtig zitiert wor-den sind, dann stellen sich weitere Fragen. Wenn Sie da-von überzeugt waren, dass automatische Sanktionennicht kommen werden: Wie ist es dann um die anderenDinge bestellt, um die wir im Augenblick streiten? Wieist es um die Vertragsänderungen bestellt, für die Sie umZustimmung des Hauses nachsuchen? Und erst rechtstellt sich die Frage: Warum sagt Herr Schäuble, wenn erder Meinung ist, dass für automatische Sanktionen keineChance bestünde, das nicht vorher? Warum fragt mansich nicht vorher, ob für den Entzug des Stimmrechtseine Chance besteht und ob es überhaupt sinnvoll ist, dasVerhandlungspaket wieder aufzuschnüren? ZumindestTransparenz müsste darüber hergestellt werden, ob Sieselbst der Meinung sind, dass der Vorschlag, mit dem Siedort ins Rennen gehen, am Ende verhandlungsfähig istund eine Chance auf Erfolg hat.Wenn man genau hinschaut – darum ging es offen-sichtlich auch ein bisschen in den Diskussionen in IhrerFraktion –, dann stellt man fest: In Deauville istDeutschland in Wahrheit eher mit leeren Händen vomTisch aufgestanden. Frau Merkel, wenn ich die französi-sche Position richtig deute, dann hatte Präsident Sarkozydrei Vorstellungen: erstens möglichst keine automati-schen Sanktionen einzuführen, die auch Frankreich tref-fen können, zweitens den unliebsamen und etwas zu un-abhängigen Ecofin-Rat möglichst weit einzuhegen unddrittens den Deutschen das Angebot zu machen, die Ver-tragsänderungen zu unterstützen, wohl wissend, dass an-dere dagegen streiten werden und Frankreich diese Rollegar nicht übernehmen muss. Das ist ein ganz wunderba-res Ergebnis.
Nur, beglückwünschen kann ich Sie dazu nicht, liebeFrau Merkel.Wer sich in den europäischen Dingen ein bisschenauskennt, muss befürchten, dass man sich im Élysée an-gesichts dieses Ergebnisses ein wenig die Hände gerie-ben hat. Ich selbst weiß, wie schwierig es ist, im interna-tionalen Geschäft Vereinbarungen zu erringen. Deshalblasse ich mir auch nicht vormachen, das Ergebnis vonDeauville sei am Ende ein riesiger Erfolg für Deutsch-land gewesen.
Damit wir uns nicht missverstehen: Auch wir, dieSPD, sind für einen wirksamen Frühwarnmechanismus.Auch wir sind für glaubwürdige Sanktionen gegen noto-rische Defizitsünder. Aber genau das scheint mir durchden Alleingang, den ich Ihnen eben geschildert habe, ge-fährdet zu sein. Sie sind mit unhaltbaren Maximalforde-rungen losgerannt und haben diese gegen wenig belast-bare Zusagen eingetauscht. Sie sind sozusagen als Hansim Glück gestartet und versuchen nun, das, was Sie mit-gebracht haben, als Goldklumpen zu verkaufen. DasfF–GibdWElMgkewS–bzraSndisiAvstFwmmpBszluwotrkgem
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7090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
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dann kommt es darauf an, dass man deutliche Signalesetzt und ein klares Auftreten, auch gegenüber dem Aus-land, an den Tag legt. Genau daran fehlt es. Das will ichIhnen an der Finanzmarkttransaktionsteuer noch einmalklarmachen.Vonseiten der Bundesregierung tun Sie so, als seienSie im Prinzip dafür. Es waren sogar entsprechende Er-träge in Ihre mittelfristige Finanzplanung eingestellt;2 Milliarden Euro jährlich ab 2012. Herr Schäuble hatdann aber auf einer Veranstaltung des CDU-Wirtschafts-rates gesagt, wie ich gelesen habe, er sei kein Freunddieses Instruments. Das wird natürlich am nächsten Tagin allen Hauptstädten Europas genüsslich vernommen.Nicht nur das: Herr Schäuble soll sogar gesagt haben,diese Steuer sei gar nicht auf seine Initiative in das Kon-solidierungskonzept der Regierung aufgenommen wor-den. Das alles sind natürlich Signale, die in Europa ver-standen werden. Es ist genau dieser Unernst, dieseUnentschiedenheit, mit denen die gegenwärtige Koali-tion das Vertrauen eben nicht nur in Deutschland, son-dern, wie ich befürchte, auch in Europa verspielt.Das gilt zum Beispiel auch für die Frage der Kohle-beihilfen; ich führe das noch an, weil es in diesesSchema passt. Da hat es am Wochenende offenbar eineEinigung gegeben, die ich begrüße.
– Ja, darauf wollte ich zu sprechen kommen. – Wir ha-ben jedoch durch diese internen Streitigkeiten drei Mo-nate verloren. Jetzt hat Herr Brüderle, wie ich lese, an-scheinend beigedreht, ist aber, wie ich höre, nicht bereit,diese Einigung in Brüssel zu vertreten. So machen wiruns, meine Damen und Herren, bei unseren Partnern lä-cherlich, und das darf nicht unsere Rolle in Brüssel seinund werden.
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Ja, ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, Europa ist in keiner guten
Verfassung; das spüren Sie alle. Das sage ich weiß Gott
nicht nur mit Blick auf die Haushaltsdefizite in den meis-
ten Mitgliedstaaten. Das hat mit vielem zu tun, auch da-
mit, dass der Gründungsmythos Europas bei der jungen
Generation offenbar nicht mehr ausreichend trägt. Das
hat damit zu tun, dass die Entscheidungsprozesse in Eu-
ropa nach wie vor zu schwerfällig, zu wenig transparent
sind. Das hat auch damit zu tun, dass sich europäisches
Engagement von Regierungen häufig nicht entsprechend
lohnt. Aber ich stelle eben auch eine Unterströmung in
der europäischen Diskussion fest, bei der vor allen Din-
gen große Mitgliedstaaten verdächtigt werden, europäi-
sche Politik schon langsam wieder in nationale Hände zu
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Birgit Homburger hat jetzt für die FDP-Fraktion das
ort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch möchte mich zunächst an Sie wenden, Herrteinmeier. Sie haben gerade Ihre Redezeit um ungefähro viele Minuten überzogen, wie ich überhaupt zur Ver-ügung habe.
as zeigt, dass Sie wieder fit sind und dass Sie offen-ichtlich auch von der Präsidentin nicht zu stoppen sind.ir freuen uns, dass Sie wieder fit zurück sind, so wieir uns auch darüber freuen, dass Herr Schäuble wiederesund bei uns ist.
Jede Krise birgt eine Chance, und diese Chance müs-en wir konsequent nutzen. Die Maßnahmen, die wir bis-
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Birgit Homburger
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her getroffen haben und die heute auch schon angespro-chen worden sind, beispielsweise bei der Griechenland-Hilfe und beim Euro-Stabilisierungspaket, haben aller-dings nicht die Ursachen beseitigt. Im Grunde haben wiruns Zeit erkauft. Diese Zeit muss man jetzt nutzen.Wenn man sich die Ursachen anschaut, dann kommtman zum Schluss, dass kein Spekulant der Welt eineChance gehabt hätte, den Euro in Schwierigkeiten zubringen, wenn die Haushalte der Euro-Staaten in Ord-nung gewesen wären.
Deshalb steht dies auch bei uns im Mittelpunkt.Aber, Herr Steinmeier, da Sie in Ihrer Rede die Situa-tion auf dem Finanzmarkt und die Boni angesprochenhaben, will ich deutlich sagen: In Ihrer Regierungszeitist in diesem Bereich nichts unternommen worden. Wirhaben eine Reihe von Maßnahmen zur Regulierung derFinanzmärkte auf den Weg gebracht, und wir haben mitdem Banken-Restrukturierungsgesetz auch eine Be-schränkung der Boni auf den Weg gebracht. Diese Re-gierung, diese Koalition handelt im Gegensatz zu dem,wie Sie sich verhalten haben.
Haushaltskonsolidierung ist das zentrale Stichwort fürdie Stabilisierung des Euro. Deutschland hat hier aucheine Vorbildfunktion. Wenn wir den Stabilitätspakt ver-schärfen und andere Länder auf eine solide Haushalts-politik verpflichten wollen, dann müssen wir selber Vor-bild sein. Wir brauchen eine neue Stabilitätskultur inEuropa. Diese darf eben nicht nur formal vorhandensein, sondern muss auch in den Köpfen der Regierungenverankert werden. Wir brauchen klare, starke und ein-deutige Vereinbarungen, um die unkontrollierte Schul-denpolitik zu beenden.An dieser Stelle will ich auch sagen: Diese Maßnah-men wären nicht nötig, wenn nicht die rot-grüne Bun-desregierung im Jahr 2005 aus Eigeninteresse dafür ge-sorgt hätte, dass der Stabilitätspakt auf europäischerEbene fahrlässig verwässert wurde. Wir kehren nun dieScherben zusammen, die Sie seinerzeit gemacht haben.Das ist nicht einfach, aber wir bemühen uns darum.
Das entspricht genauso wenig verantwortlicher Euro-papolitik wie Ihre Position, die Sie vorhin noch einmalzum Ausdruck gebracht haben. Sie haben versucht, hierden Eindruck zu erwecken, als ob Sie dem, was wir imFrühjahr hier durch den Deutschen Bundestag gebrachthaben, gerne zugestimmt hätten. Sie hätten die Chancedazu gehabt. Sie waren dazu eingeladen. Wir sind Ihnenim Entschließungsantrag weit entgegengekommen. Siehaben damals entschieden: Sie wollen sich daran nichtbeteiligen. – Das war unverantwortlich, und damit müs-sen Sie heute auch leben.
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Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. Er ist für dieirtschaftliche Entwicklung Europas, aber gerade auchür unser Land, für Deutschland, von zentraler Bedeu-ung. Deshalb muss alles dafür getan werden, den Euroöglichst stabil zu machen. Wir wollen einen hartenuro. Weiche Maßnahmen taugen dafür nicht, und des-alb muss auch hart verhandelt werden.Es darf nicht dazu kommen, dass wir die Schulden an-erer Länder bezahlen. Deshalb kämpft diese Koalitionür eine Stabilitätskultur in Europa und einen hartenuro. Eine Umwandlung der Währungsunion in eineransferunion oder in eine Haftungsgemeinschaft kommtür uns nicht infrage.
ies bedeutet auch den Verzicht auf die Einrichtung ei-es dauerhaften Fonds für überschuldete Staaten, in demndere Staaten der Währungsunion oder auch die EUredite oder Garantien bereitstellen müssen.Eine Entfristung des gegenwärtigen Rettungspakets,ie wir es verabschiedet haben, kommt für uns ebenfallsicht infrage, weil wir der Auffassung sind, dass wir al-es dafür tun müssen, dass alle Euro-Mitgliedstaatenaßnahmen ergreifen, die auf Dauer die Sicherheit da-ür bieten, dass der Euro stabil bleibt.
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Birgit Homburger
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Auf dem Europäischen Rat wird jetzt ein Auftrag fürdie weiteren Verhandlungen formuliert. Das Ziel sindklare Stabilitätskriterien. Wir haben klare Erwartungenan die Mitgliedstaaten. Wir wollen klare Sanktionsmög-lichkeiten, und wir wollen, dass diese Sanktionsmöglich-keiten automatisch greifen. Darüber hinaus wollen wireinen klaren dauerhaften Krisenmechanismus durchUmschuldung, der durch eine Vertragsänderung abgesi-chert werden muss.Das ist es, was jetzt auf den Weg gebracht werdenmuss. Das ist nicht einfach, aber es ist notwendig. Wirhaben heute in einem Entschließungsantrag der Fraktio-nen der Koalition noch einmal klargestellt, welche Posi-tionen wir unterstützen. Dies stellt eine Fortschreibungdes Antrags dar, den wir im Mai hier im Deutschen Bun-destag auf den Weg gebracht und in dem wir deutlich ge-macht haben, dass wir harte Verhandlungen für eine ent-sprechende Verschärfung des Stabilitätspakts fordern.Wir wissen auch, dass bei den Verhandlungen mit denanderen Ländern in Europa letztendlich nicht eins zueins das erreicht werden wird, was wir uns hier im Deut-schen Bundestag wünschen. Aber wir wissen sehr wohl,dass es wichtig ist, in einer solchen Verhandlung eineklare Haltung zu haben. Deshalb werden wir diesen Ent-schließungsantrag heute mehrheitlich beschließen unddamit der Bundeskanzlerin für die schwierigen Verhand-lungen, die sie jetzt zu führen hat, den Rücken stärken.Das ist eine Rückendeckung, die der Deutsche Bundes-tag an dieser Stelle gibt – mit dem klaren Auftrag, für ei-nen harten Euro zu verhandeln.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Diether Dehm hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBundeskanzlerin, am 24. April 2008 haben Sie an dieserStelle vollmundig verkündet – ich zitiere –:… anders als andere Verträge trägt dieser Vertragvon Lissabon kein Verfallsdatum … keine Revi-sionsklausel.Dann sagten Sie:Eine weitere grundlegende Änderung der Verträgeist heute nicht in Sicht.
– Natürlich hört sie nicht zu. Haben Sie etwas andereserwartet, Frau Kollegin?Aber kurz nach dem Inkrafttreten entpuppte sich derVertrag bereits als Bremsklotz bei der Bewältigung dervor uns liegenden Krisenlasten, denn er verbietet jedeRkbebFSudwrdmmDmKBstdzUpmgbHWphtsSsnganSzrwAdV
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Vielleicht, Herr Steinmeier, ist das der Grund, dassder Bundesfinanzminister in der letzten Bild am Sonntaggesagt hat, es habe niemals, zu keiner Zeit eine Chancefür automatische Sanktionen gegen Defizitsünder gege-ben. Vielleicht veranlasste ihn der Blick auf unser Ver-fassungsgericht dazu: „Niemals“, hat er gesagt. Aber hatder Bundesfinanzminister – er ist jetzt auch nicht hier –der FDP das vielleicht verschwiegen, oder wird dort be-wusst gelogen, wenn weiterhin von diesem Automatis-mus geredet und schwadroniert wird? Hören Sie damitauf! Hören Sie auf Ihren Bundesfinanzminister! Er hat indieser Frage ausnahmsweise recht.
Er hat deswegen recht, weil ein Sanktionsautomatismusgegen Art. 126 des AEUV verstößt und auch eine ver-steckte Änderung von EU-Primärrecht die Billigungdurch die Mitgliedstaaten nötig macht. Sonst würde erspätestens am Bundesverfassungsgericht scheitern, wiejeder seit dem Lissabon-Urteil weiß. Die Linke würdewieder Karlsruhe anrufen. Verfassungsbruch ist mit unsnicht machbar!
Aber was ist die Alternative? Wir brauchen in der Tateine grundlegende Änderung der Verträge, aber eine Än-derung für demokratische Finanzmarktregulierung, fürmehr Sozialstaatlichkeit in der EU und für Mechanis-men, mit denen die Krisenlasten ihren Verursachern, derDeutschen Bank und anderen Taliban in Nadelstreifen,auferlegt werden.
Wenn Sie solche sozialstaatlichen und zivilisatorischenReformen der EU durchsetzen wollen, Frau Bundes-kanzlerin, werden Sie auf breite Mehrheiten in den Par-lamenten und auf den Straßen und Plätzen in Frankreich,Griechenland und Deutschland setzen können. Die Euro-päische Union wird demokratisch und sozial sein – odernicht von langer Dauer.
Michael Stübgen spricht jetzt für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Europäische Union hat in den letzten achtMonaten eine beispiellose Entwicklung im Euro-Raumerleben müssen. Schon Ende des letzten Jahres mehrtensich die Hinweise auf eine drohende Zahlungsunfähig-keit Griechenlands. Die Ursachen lagen – das wissen wireindeutig – in der immer deutlicher werdenden katastro-phalen Haushalts- und Finanzsituation in Griechenlandund in gezielten Spekulationen gegen Griechenland. DieRisikoaufschläge auf den Kapitalmärkten für griechischeAnleihen stiegen in eine Höhe, die dieses Land nichtmehr finanzieren konnte.hwserakWzsKBisgwnbswdZ–szAddtEl2BdsrSs
och am selben Tag, als wir hier das Griechenland-Paketeschlossen haben, mehrten sich zum Abend hin, ver-chärft zum Wochenende hin die Hinweise darauf – dasar schon am Montag der darauffolgenden Woche –,
ass auch Länder wie Portugal, Irland und Spanien in dieahlungsunfähigkeit kommen könnten.
Das war nicht abzusehen. Auch Sie haben das nicht ab-ehen können. Sogar die Grünen – da stimme ich Ihnenu – haben damals dem Griechenland-Paket zugestimmt.
ber bei einem wichtigeren Paket haben Sie sich dann inie Büsche geschlagen.
Die Europäische Union war in der Lage, quasi überas Wochenende den sogenannten europäischen Ret-ungsschirm aufzubauen, zu kreieren: 750 Milliardenuro, 60 Milliarden Euro von der Kommission, 440 Mil-iarden Euro von den Mitgliedstaaten und bis zu50 Milliarden Euro vom IWF. Wir als Mitglieder desundestages waren in der Lage, binnen einer Woche dieazu notwendigen und richtigen Beschlüsse zu fassen.An dieser Stelle will ich kurz darauf eingehen, wieich die Opposition in dieser Zeit verhalten hat: Sie wä-en eventuell für diesen Rettungsschirm gewesen; aberie hätten – wir haben es vorhin von Herrn Steinmeierelbst gehört – nicht zustimmen können, weil wir uns
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7094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Michael Stübgen
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nicht nachdrücklich für die Finanztransaktionsteuer ein-gesetzt haben. Ich will Ihnen den wahren Grund für IhrVerhalten nennen: Sie haben natürlich mitbekommen,dass die notwendigen Entscheidungen, die die Koalitiongetroffen hat, in Deutschland sehr unpopulär waren.
Einige Medien haben sich darauf eingeschossen. Sie ha-ben es vorgezogen, sich in dieser Frage in die Büsche zuschlagen. Das ist pure Verantwortungslosigkeit.
Beide Ad-hoc-Maßnahmen – das zeigt sich heute sehrdeutlich – haben ihre Ziele erreicht. Wir konnten dieexistenzielle Gefahr für den Euro und für die gesamteEuropäische Union abwenden. Griechenland befindetsich auf dem Weg der Besserung. Es hat eigene nachhal-tige Reformen umgesetzt und strebt weitere Reformenan. Alle Mitgliedsländer der Europäischen Union unter-nehmen mittlerweile nachhaltige Konsolidierungsanstren-gungen, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland.Die Europäische Zentralbank konnte in der vergangenenWoche mit dem Ankauf von Staatsanleihen aufhören.Auch sie sieht mittlerweile die Euro-Stabilität als ausrei-chend gesichert an, sodass sie solche Maßnahmen nichtmehr durchführen muss.Wir können feststellen: Der Feuerwehreinsatz in derersten Hälfte dieses Jahres war erfolgreich. Die Brändesind weitgehend gelöscht. Jetzt kommt es darauf an, dasGebäude feuerfest zu bauen. Darum geht es im Wesentli-chen morgen und übermorgen beim Europäischen Rat.Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung ha-ben schon im Juni angefangen, zu definieren, welcheMaßnahmen wir denn ergreifen müssen, um eine Wie-derholung derartiger Krisen in der Europäischen Unionzu verhindern. Wir haben in einer Entschließung im Junidieses Jahres zum einen darauf hingewiesen, dass wir esfür notwendig halten, den Euro-Stabilitätspakt deutlichzu verschärfen. Zum anderen gehen wir mehr und mehrdavon aus, dass wir auch Maßnahmen ergreifen müssen,die mit einer Vertragsveränderung verbunden sind.Ich will zum ersten Punkt kommen.
Die Europäische Kommission hat im September diesesJahres Vorschläge zur Stärkung des Stabilitäts- undWachstumspaktes gemacht. Hier muss man Folgendessehen – das gehört zur Analyse dazu –: Nachdem im Jahr2004 der Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgeweichtworden war, entwickelte er sich leider endgültig zu ei-nem zahnlosen Tiger. Zur historischen Wahrheit gehörtnun einfach dazu, dass diese Aufweichung auf Initiativevon Frankreich und der rot-grünen Bundesregierung zu-stande gekommen ist.
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Ich bin allerdings der Meinung – das ist die Schluss-olgerung aus meiner Analyse –, dass auch ein Festhal-en am alten Stabilitätspakt, also am Stabilitätspakt voreiner Aufweichung, diese Krise wohl nicht hätte ver-indern können.
Aber es ist dadurch noch schlimmer geworden.
Bitte plustern Sie sich jetzt nicht auf, indem Sie sagen,ass das, was wir umsetzen, zu wenig sei. Wir sind da-ei, die Fehler, die Rot-Grün gemacht hat, zu beheben.
Der Stabilitätspakt ist eindeutig einseitig fokussiert.r orientiert sich nämlich im Wesentlichen am Defizit-riterium, aber nicht mehr an der Gesamtverschuldung.r ist kompliziert und schwerfällig und politisch leichtanipulierbar – siehe das Handeln der rot-grünen Regie-ung und Frankreichs im Jahre 2004. Deshalb ist es not-endig, dass wir hier die geeigneten Maßnahmen zurerschärfung ergreifen.Die Europäische Kommission hat im September die-es Jahres Vorschläge vorgelegt. Diese Vorschläge sindmbitioniert. Sie greift im Wesentlichen die Reformvor-chläge auf, die wir in der Koalition schon im Sommerieses Jahres gemacht haben. Die Vorschläge der Kom-ission bilden einen ausreichend guten Ansatz; aller-ings hatten sie bis vor wenigen Tagen einen entschei-enden Nachteil: Es war absolut ausgeschlossen, dassie im Europäischen Rat eine Mehrheit finden könnten,amit sie umgesetzt werden können.
Deshalb war es richtig, dass der Europäische Ratchon im Sommer dieses Jahres eine Taskforce unter dereitung von Kommissionspräsident Van Rompuy einge-ichtet hat, die ihrerseits Vorschläge für den Europäi-chen Rat zur Verschärfung des Stabilitätspaktes erarbei-en soll. Man hat von dieser Kommission leider längereeit nichts gehört, außer dass es wohl schwierig war,ich dort zu einigen. In der letzten Woche haben wir aberinen Vorschlag dieser Taskforce erhalten, der am8. Oktober einstimmig verabschiedet wurde, das heißton den 27 EU-Finanzministern, dem Ratspräsidentennd dem Währungskommissar. Das bedeutet, dass dieserorschlag, der sehr nah am Vorschlag der Kommissionst und in einigen Punkten, gerade im präventiven Be-eich, sogar konkreter und weitgehend ist, umgesetzterden kann. Das ist ein erster großer Erfolg im Bereicher notwendigen Reformen, die wir ergreifen müssen.Wir sollten solche Erfolge nicht kleinreden. Es ist derrößte Fehler, nur zu sagen, was vielleicht noch besser
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7095
Michael Stübgen
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gewesen wäre, anstatt darauf hinzuweisen und den Men-schen zu erklären, dass diese Entscheidung gut ist. Na-türlich kann ein solcher Kompromiss der 27 EU-Finanz-minister niemals zu 100 Prozent die Überzeugung jedesEinzelnen zum Ausdruck bringen.Die Frage ist aber: Was bleibt noch übrig? Das ist eineentscheidende Frage; wir haben sie bereits im Sommerbeantwortet. Wir sind der Meinung, dass wir für einenTeil – wir haben drei wesentliche Punkte definiert; ichwill mich aus Zeitgründen auf nur einen konzentrieren –eine Vertragsänderung brauchen. Warum? Wir sind derMeinung, dass es wesentlich ist, dass wir in der Europäi-schen Union, nachdem die Ad-hoc-Maßnahmen ausge-laufen sind, langfristig zu einer Struktur, zu einem robus-ten Krisenbewältigungsmechanismus kommen müssen,der uns in die Lage versetzt, dass es in einem vielleichtdoch wieder eintretenden Krisenfall, den wir vielleichtnicht verhindern können,
als Ultima Ratio zu einem geordneten Umschuldungs-verfahren kommt und dass private Gläubiger, die in je-dem Fall Profiteure einer solchen Krise sind, mit zurVerantwortung gezogen werden.
Die genauere Analyse der Situation scheint problema-tisch zu sein, weil die deutliche Mehrheit der Mitglied-staaten sie nicht wünscht. Allerdings will die deutlicheMehrheit der Mitgliedstaaten, dass wir eine Entfristungdes vorhandenen Stabilisierungsmechanismus vorneh-men. Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum die CDU/CSU-Fraktion das kategorisch ablehnt:Erstens. Dieser Mechanismus ist vertrags- und verfas-sungsrechtlich sehr fragwürdig, wenn er entfristet wird.Er ist maximal als kurzfristige Übergangslösung zuläs-sig.Zweitens. Der Mechanismus ist auch politisch inak-zeptabel; denn er hat einen ganz entscheidenden Nach-teil: Die privaten Gläubiger werden in gar keiner Weiseeinbezogen.Wenn wir es jetzt schaffen, dass sich der EuropäischeRat morgen und übermorgen darauf einigt – das ist derVorschlag von Deauville –, eine zweite Taskforce – VanRompuy zwei – einzurichten und ihr den Auftrag zu ge-ben, in dieser Frage Vorschläge zu erarbeiten, damit wirin Zukunft auf gesicherter vertraglicher Grundlage agie-ren können, aber auch die privaten Gläubiger mit einbe-ziehen können, dann haben wir die wesentlichen Anfor-derungen, die sich aus der Krise ergeben haben, erfüllt.Deshalb wünsche ich der Bundeskanzlerin für morgenruhige, harte und erfolgreiche Verhandlungen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nun denn, Van Rompuy wurde Leiter einer Taskforce das war Ausdruck des Misstrauens gegenüber Barrosond der EU-Kommission –, die parallel schärfere Vor-chläge erarbeiten sollte. Herausgekommen ist übrigensichts Schärferes. Das Ansehen der Kommission istamponiert.
„Verrompuyniert“ könnte man auch sagen. Wenn ichur wüsste, wie man das schreibt. – Das sorgte für unnö-ige Doppelstrukturen und Chaos.Jetzt kommt noch Folgendes: Die Van-Rompuy-ruppe hat sich wie die Kommission auf ein quasi auto-atisches Defizitverfahren geeinigt. Das ist schon ein-al gut, wenn dort auch einiges schwächer formuliertar. Doch dann haben Sie den französischen Präsiden-en, Herrn Sarkozy, am Strand von Deauville getroffennd mit ihm am vergangenen Montag einen Deal verein-art: Kehrtwende um 180 Grad. Das ist keine konsis-ente europäische Politik. Es stellt sogar die herrschen-en Institutionen infrage, wenn Sie an dem gleichen Tag,n dem Van Rompuy ein quasi automatisches Sanktions-erfahren vorschlägt, gemeinsam mit Sarkozy sagen:as wollen wir aber nicht. – Das ist nicht nur beschä-end für Deutschland, sondern schädigt auch unsereurchsetzungskraft und die Durchsetzungskraft Euro-as, zum Beispiel im Rahmen der G 20.
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Renate Künast
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Was gilt denn jetzt eigentlich? Am Wochenende hießes noch: „Kein Automatismus“, und jetzt will man wie-der einen Automatismus. Es ist wie üblich in dieserKoalition: Die eine Hand weiß nicht, was die andere tut.
Irgendetwas muss doch der Grund dafür sein, dass HerrWesterwelle und andere Europaexperten in Ihrer Frak-tion sauer waren. Aus den Reihen von FDP und CDU/CSU kam immer wieder der Hinweis, dass das eine nichtabgesprochene Politik ist.
Sauer sind auch die Mitgliedstaaten. Frau Merkel, alsSie noch in der Opposition waren, haben Sie immer mitviel Getöse gesagt, man solle die Dinge nicht nur mitFrankreich abstimmen, sondern auch die kleinen Mit-gliedstaaten mitnehmen. Jetzt haben offensichtlich auchSie verstanden, dass man Dinge mit Frankreich ab-stimmt. Aber Sie haben das auf die denkbar schlechtesteArt und Weise getan. Wenn zwei vorangehen, bedeutetdas nämlich nicht zwangsläufig, dass alle anderen außenvor gelassen und verärgert werden.
– Sie können gerne erzählen, wie das unter Rot-Grünwar. Ich weiß, was Sie damals wollten und was Sie nichtwollten. Ich weiß auch, dass Sie Ihre konservativenFreunde in Frankreich bei so ziemlich jeder Reform inEuropa auf die Zinne getrieben haben. Daher würde ichan Ihrer Stelle die Füße still halten.Sie wären besser der Volksweisheit „Besser den Spatzin der Hand als die Taube auf dem Dach“ gefolgt. DerSpatz in der Hand wäre an dieser Stelle nämlich nicht einpossierliches Tierchen gewesen, sondern ein von Kom-mission und Taskforce erarbeitetes Regelwerk, das quasiautomatisch funktioniert, und zwar im präventiven wieauch korrektiven Bereich. Dazu bräuchten Sie keine Ver-tragsänderung und keine politische Lähmung der De-batte. Wie wollen Sie das jetzt machen? Soll das heißen,dass Sie wirklich glauben, Sie könnten die europäischenMitgliedstaaten zu Vertragsänderungen bewegen, wo-möglich per Referendum? Glauben Sie, dass Sie dieRegierungschefs dazu bewegen können, zu Hause zu sa-gen: „Ihr Lieben, wir haben nicht nur einen Mechanis-mus implementiert; das Verfahren wirkt präventiv undbei Defizitsündern“, sondern auch beschlossen, dass wirim entscheidenden Augenblick nichts zu sagen haben?Das glauben Sie selbst nicht. So etwas würden Sie mitsich selber auch nicht machen lassen.
Meine These ist, dass Sie in der EU-Politik alles ver-masselt haben, was zu vermasseln ist. Auch das ThemaGriechenland – das sage ich Ihnen ganz klar – habenSie nicht angepackt, obwohl alle wussten, was da auf unszngszDsnSugedEÖbdHHbHhvbVtbAtmmbwbüwulh
a haben Sie gesagt: Europa interessiert uns nicht; un-ere Haushalte interessieren uns nicht. Uns interessiertur die Wahl in Nordrhein-Westfalen. – Zu Recht sindie dann dort abgestraft worden.
Wir wissen, dass wir die zentralen Fragen, die sich innserem Land, in Europa und in dieser Welt stellen, nurlobal werden beantworten können. Dafür brauchen wirin starkes Europa. Dazu brauchen wir ein Deutschland,as sich seiner Rolle bewusst ist, voranzugehen unduropa zusammenzuhalten, statt wie jetzt Luxemburg,sterreich, Tschechien und andere auf die Palme zu trei-en.Frau Merkel, Sie haben gesagt, dies werde der Herbster Entscheidungen. Ich sage hingegen: Das wird dererbst der schwarz-gelben Wirrungen. Es wird dererbst der verbal-radikalen Ankündigungen, der Nach-esserungen und der Respektlosigkeiten, aber nicht dererbst, in dem diese Bundesregierung wirklich anste-ende Probleme aktiv, verantwortlich und mit Respektor anderen EU-Mitgliedstaaten löst.
Meine Damen und Herren, Europa ist nach einer glo-alen Finanzkrise auch in eine Schuldenkrise gerutscht.iele Mitgliedstaaten haben Defizite, die so gar nichtragbar sind.
Wir wissen alle: Mehr Hilfepakete kann es nicht ge-en. Es muss also zu grundlegenden Reformen kommen.uch wir sagen, dass es zum einen mehr wirtschaftspoli-ische Koordination braucht. Es braucht mehr Abstim-ung in der Haushaltspolitik. Daher ist es richtig, dassan seine Haushaltspläne vorlegen muss. Zum anderenraucht es aber auch ein außenwirtschaftliches Gleichge-icht.Tun wir also nicht so, als würden nur andere Pro-leme bereiten. In Deutschland müssen wir uns auchberlegen, wie unsere eigene wirtschaftspolitische Ent-icklung verläuft und wie wir die Binnennachfrage beins stärken. Deshalb kommt man am Ende um Mindest-ohndebatten – um nur einen Punkt zu nennen – gar nichterum.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7097
Renate Künast
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Wenn Sie die Binnennachfrage stärken wollen, müs-sen Sie dafür Maßnahmen ergreifen, anstatt sich überGriechenland zu beklagen, aber am Ende festzustellen,dass wir im Wesentlichen auch von unseren Exporten inandere Mitgliedstaaten leben.Deshalb sagen wir auch Ja zu dem stärksten Vor-schlag der EU-Kommission des quasi automatischenDefizitverfahrens. Die EU-Kommission hat – auch dashaben Sie heute gar nicht erwähnt – sechs Vorschlägevorgelegt, von denen vier auch durch das EuropäischeParlament gehen müssen.Meine Sorge ist, dass Sie mit Ihrem Alleingang dasEuropäische Parlament eher gegen sich aufgebracht ha-ben, als es zu unterstützen. Meine Sorge ist, dass diesesdilettantische Vorgehen voller Widersprüchlichkeit– man weiß immer noch nicht, was eigentlich gelten soll;wir könnten jetzt auf die Sarkozy-Antwort auf dieMerkel-Rede warten – am Ende auch die Schlagkraft beidem G-20-Gipfel in Seoul nicht erhöhen wird, weil alleWelt sich über die deutsche und europäische Wider-sprüchlichkeit kaputtlacht.Frau Merkel, Sie haben die Hausaufgaben nicht ge-macht. Sie tragen hier allgemeine Sätze über internatio-nales, weltweites Wachstum vor. Frau Merkel, dannmüssen Sie jetzt auch einmal Butter zu den Fischen ge-ben.
Sie müssen sagen, welches Wachstum Sie wollen: Nach-haltigkeit statt Raubbau? Tatsächliches Verteilen derLasten auf mehrere Schultern in der EU und in Deutsch-land? Starten Sie doch eine Initiative für die Doha-Runde, damit Europa nicht mehr auf Kosten andererlebt.
Frau Kollegin.
Ich bin beim letzten Satz. – Dann hören Sie auf mit
Ihrer Blockade, zum Beispiel bei der Reform der EU-
Agrarpolitik, und zeigen anderen Ländern auf dieser
Welt: Wir wollen uns bewegen.
Zukunftsfragen kann man nur global lösen. Dazu
braucht es eine einige Europäische Union. Dazu braucht
es Weichenstellungen bei der Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion.
Frau Merkel, ich kann nur sagen – das ist jetzt wirk-
lich aus meinem tiefsten Inneren gesprochen –, dass ich
nach Ihrem Ausflug nach Deauville eine Erwartung
habe: Vermasseln Sie es nicht!
Michael Link spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
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ch kann nur sagen: Für flotte Sprüche und Belehrungen la Oberlehrer ist dieses Thema zu ernst.
enn Sie in den ersten Jahren der Währungsunion, alsie Regierungsverantwortung getragen haben – damalsurde auch der Stabilitätspakt ausgehöhlt –,
esser aufgepasst hätten, dann hätten wir einige der Pro-leme, die wir heute haben, vielleicht nicht. Sie hattenie Gelegenheit dazu, unter anderem auch bei Griechen-and.
Die CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion legen Ih-en heute einen Entschließungsantrag vor, weil wir un-ere Verantwortung für die europäische Integration sehrrnst nehmen. Dass wir sie ernst nehmen, zeigen wir, in-em wir vor einem Europäischen Rat Maßstäbe definie-en. Wir haben viele Wochen gemeinsam an diesem An-rag gearbeitet. Ich glaube, dies zeigt ein bisschen, wieie Europäische Union nach Lissabon funktioniert: Vorem Europäischen Rat sagen wir als Bundestag klar, wasir wollen. Wir begrüßen im Übrigen, dass die Grünennd die Linken ebenfalls Anträge vorgelegt haben. Er-taunlicherweise hat die SPD keinen Antrag vorgelegt.as finde ich schade; denn genau das wäre wichtig. Wirollen und wollen hier darüber diskutieren, was die ver-chiedenen Fraktionen vor dem Europäischen Rat sagen.Frau Bundeskanzlerin, wir begrüßen, dass wir beimuropäischen Rat die ersten Schritte machen werden.ir begrüßen auch, dass der Zeitplan für die möglichenertragsänderungen, die wir anstreben, bis März 2011ehr ambitioniert ist. Da kann viel schiefgehen; das istöllig klar. Es ist logisch, dass es hier und da am Anfanganchmal rumpelt. Glauben Sie denn, dass vor einemuropäischen Rat – das wissen Sie aus Ihrer Erfahrungm besten – in Europa immer alles einstimmig gesehenird? Nein, das ist nicht der Fall. Umso wichtiger ist,ass wir als Bundestag sagen, was wir wollen, und dassir Maßstäbe definieren, wobei wir erwarten, dass sichie Bundesregierung in den Verhandlungen an diesenaßstäben orientiert.
Wir haben viele Maßstäbe genannt – ich brauche sieicht im Einzelnen zu wiederholen –, zum Beispiel dieutomatischen Sanktionen und den robusten Mechanis-us. Beim robusten Mechanismus, so wie er von
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7098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Michael Link
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Van Rompuy vorgeschlagen worden ist, fehlt uns nochetwas, Frau Bundeskanzlerin; das ist schade. Vorgesehenist dort in der Ziffer 49 des Vorschlags von Van Rompuy,dass der private Sektor beteiligt werden kann. Das istnoch kein Muss. Da haben wir noch einen großen Kampfvor uns; das müssen wir gemeinsam bewältigen. Leiderist der Text, so wie er von Van Rompuy vorgelegt wor-den ist, an dieser Stelle noch nicht befriedigend. Aberwir arbeiten gemeinsam daran. Auch deshalb formulie-ren wir hier unsere Forderungen.Wir sind uns als Koalitionsfraktionen einig – ichhoffe, auch das gesamte Haus sieht das so –, dass wir dieWährungsunion nicht als eine Transfer- und Haftungs-union sehen, in der die Stärkeren zum Rettungsankerderjenigen werden, die ihre Schuldenprobleme nichtrechtzeitig selbst lösen. Wir als Bundestag sagen also,was wir wollen. Wir sagen, was wir korrektiv wollen,also im Nachhinein, und was wir präventiv wollen. Wirschreiben in diesem Antrag aber auch ganz klar – zwei,drei Sätze sollten dazu gesagt werden –, dass wir Anlei-hen aus dem EU-Haushalt, ein Gemeinschaftsinstru-ment, einen Fonds – egal unter welchem Namen; es wirdunter verschiedensten Namen darüber diskutiert: Wäh-rungsfonds, Liquiditätsfonds, Notfallfonds – nicht wol-len. Die Dinge, die wir nicht wollen, benennen wir klarund deutlich.Wir, also die Bundesregierung, der Bundestag undsehr viele Staaten in der Europäischen Union, die unsschon klar signalisiert haben, dass sie mit uns darüber re-den wollen, haben dadurch die Chance, die Währungs-union so fortzuentwickeln, dass sie wesentlich stabilerwird. Für uns ist klar: Es gibt bei Fragen der Währungkein Primat der Politik in dem Sinne, dass man beliebigan der Währung herumdoktern kann. Das ist der großeUnterschied zu anderen Bereichen. Wir haben damals,als die Währungsunion eingeführt wurde, klipp und klargesagt: Währungsfragen sind wichtige Fragen, deren Be-antwortung wir durch die unabhängige Europäische Zen-tralbank – früher war es die unabhängige Bundesbank –gewährleistet sehen wollen. Deshalb haben wir großeSympathie für die Vorschläge zu den automatischenSanktionen, wie sie von der Europäischen Kommissionvorgelegt wurden.
Machen wir uns eines nicht vor: Vieles von dem, wasuns heute Probleme bereitet, haben wir der Schwächungdes Stabilitäts- und Wachstumspakts in den Jahren 2004und 2005 zu verdanken. Anstatt andere hier zu schul-meistern, möchte ich daran erinnern, wie BundeskanzlerSchröder in Spiegel Online vom 21. März 2005 die da-malige Aufweichung des Währungsfonds begrüßt hat. Erhat damals gesagt, er begrüße die von den EU-Finanz-ministern beschlossene Reform des Stabilitätspaktes.Finanzminister Hans Eichel habe mit seinen europäi-schen Kollegen ein gutes Ergebnis erzielt. Eichel hattesich zuvor angesichts der Einigung ähnlich erfreut ge-zeigt. Er sagte, es handele sich um eine gute Entschei-dung, und fügte hinzu: „Sie sehen heute einen ausge-ssAtdiwDWdueewHwtsuRWrvsFbvvcnEBfRdnsdd
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Es müssen endlich wirksame Maßnahmen getroffen wer-den. Dazu gehören unter anderem ein Verbot von CDS,ein Verbot von Leerverkäufen, ein Verbot von Bankkre-diten an Hedgefonds und ein Verbot des außerbörslichenDerivatehandels.Da man im Entschließungsantrag der Koalitionsfrak-tionen kein einziges Wort zum Thema Finanzmarktregu-lierung, sondern stattdessen die Aussage findet, dieKräfte des Marktes sollten genutzt werden, um die Staa-ten vor künftiger Verschuldung zu bewahren, kann mannur sagen: Sie haben offensichtlich überhaupt nichts ge-lernt und nichts verstanden.
Die Verursacher der Krise dürfen derzeit nicht nur weit-gehend so weitermachen wie bisher, sondern sie werdenfür ihr verantwortungsloses Handeln auch nicht zurKasse gebeten. Die deutsche Bankenabgabe ist ein Trop-fen auf den heißen Stein. Auch auf EU- und internatio-naler Ebene einigte man sich nur auf kosmetische Maß-nahmen.Die zweite Lehre aus der Krise muss lauten: Die Ver-ursacher müssen zur Kasse gebeten werden. Wir forderneine Bankenabgabe nach US-amerikanischem Vorbild,unter Ausnahme der Sparkassen und Genossenschafts-banken. Wir fordern darüber hinaus die Einführung undErhebung einer Finanztransaktionsteuer auf alle Wertpa-pier-, Devisen- und Derivateumsätze, und zwar auf na-tionaler und europäischer Ebene.
Frau Bundeskanzlerin, warum setzen Sie nicht Ihreganze Energie für die Einführung der Finanztransaktion-steuer ein? Wenn Sie hierfür genauso hart kämpfen wür-den wie für die völlig unsinnige Verschärfung des Stabi-litäts- und Wachstumspaktes, hätte diese Steuer guteChancen auf Verwirklichung.
Derzeit können wir beobachten, was passiert, wenndie falschen Lehren aus der Krise gezogen werden. DieSpekulanten machen weiter wie bisher. Die Kosten derKrise tragen die Beschäftigten, die Armen, die Steuer-zahler und Rentner sowie die Kinder. In Deutschlandwird Hartz-IV-Empfängern das Elterngeld gestrichen, inPortugal wird die Mehrwertsteuer auf viele Lebensmittelvon 6 auf 23 Prozent erhöht, und Großbritannien streichtfast 500 000 Stellen im öffentlichen Dienst; mit denGrausamkeiten in Griechenland, Irland und Spanien willich gar nicht erst anfangen.
Dies ist in hohem Maße unsozial und ökonomisch völligunsinnig. Wer in der Krise spart, wird die Krise ver-schärfen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Krise um den Euro im Frühjahr hat so gewaltigeeltweite Auswirkungen gezeitigt, dass es keine Unter-reibung ist, festzustellen, dass es jetzt ums Ganze geht,enn sich unsere Staats- und Regierungschefs zusam-ensetzen, um die Euro-Zone zu stabilisieren und un-ere gemeinsame Währung, den Euro, zu stärken.Die Van-Rompuy-Arbeitsgruppe hat wichtige Wei-henstellungen vorgeschlagen: eine engere Koordinie-ung der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken,ie Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte,chnellere und schärfere Sanktionen bei Verstößen gegenen Stabilitäts- und Wachstumspakt und nicht zuletzt dasekenntnis, dass wir Regeln für mögliche künftige Kri-enfälle finden müssen. – Wir müssen zur Solidität in deruro-Zone zurückkehren, und wir müssen zugleich Vor-ehrungen für den Fall treffen, dass künftig nochmals einitglied der Euro-Zone zu scheitern droht.Deswegen ist zweierlei notwendig: Wir müssen zuminen den Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken, umine zu hohe Verschuldung zu vermeiden oder gegebe-enfalls rechtzeitig korrigieren zu können, und wir müs-en zum anderen ein geordnetes Insolvenzregime errich-en, um eine Umschuldung zu ermöglichen.
Ich sage das in aller Deutlichkeit und ohne jedenchaum vor dem Mund: Wir müssen es hochverschulde-en Staaten tatsächlich ermöglichen, pleitezugehen, weil
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Thomas Silberhorn
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nur dann eine Umstrukturierung und eine notwendigeUmschuldung vorgenommen werden können.Die Wirtschafts- und Währungsunion weist dazu eineRegelungslücke auf, durch die wir vor ernsthafte Pro-bleme gestellt sind. Wir können ein Mitglied der Euro-Zone, das dauerhaft gegen die Regeln verstößt, nicht ein-fach ausschließen, wir können aber auch nicht einfachimmer helfen; denn im Vertrag von Maastricht ist ganzklar das Verbot vorgesehen, Schulden anderer Mitglied-staaten zu übernehmen. Das ist nach der Rechtsprechungunseres Bundesverfassungsgerichts – insoweit müssenwir unsere Nachbarn um Verständnis bitten – eine ver-fassungsrechtliche Voraussetzung für die ZustimmungDeutschlands zum Eintritt in die Wirtschafts- und Wäh-rungsunion gewesen. Deswegen kann ein dauerhafterHilfsmechanismus mit uns nicht möglich sein, deswegenwird es mit uns keine Rettungsschirme für Griechenlandoder die gesamte Euro-Zone nach dem vereinbartenZeitpunkt geben können.
Es ist allerdings auch nicht erstrebenswert, einemMitgliedstaat der Euro-Zone nicht zu helfen, weil dieKonsequenzen natürlich furchtbar gravierend wären.Gleichwohl bin ich der Auffassung, dass diese Optionauf dem Tisch bleiben muss, nicht, um jemanden be-drängen oder erniedrigen zu wollen, sondern um der Sta-bilität des Euro willen; denn der Ausweg wird am Endenur sein können, dass wir ein Verfahren finden – unddazu die Verträge ändern –, mit dem wir diese Rege-lungslücke schließen können. Das ist die Voraussetzungdafür, dass wir in künftigen Fällen überhaupt Hilfe leis-ten können.Deshalb ist die deutsch-französische Erklärung vonDeauville ein Bekenntnis der gemeinsamen Bereitschaftvon Deutschland und auch Frankreich, die jetzt notwen-digen Änderungen der europäischen Verträge vorzuneh-men. Das ist durchaus ein beachtlicher Verhandlungser-folg, Frau Bundeskanzlerin, und ich habe gerade mitInteresse gehört, dass jetzt auch der luxemburgische Pre-mierminister, Jean-Claude Juncker, öffentlich erklärt hat,dieses Vorgehen unterstützen zu wollen, nachdem er sichvor ein, zwei Tagen noch ganz anders geäußert hat.Meine Damen und Herren, ein solches Verfahren derVertragsänderung ist auch keineswegs ein unüberwind-bares Hindernis. Wir brauchen nur wenige Sätze im Ver-trag zu ändern. Wir müssen ohnehin die Verträge fürKroatien und Irland ändern. Eine Änderung brauchenwir auch nur für die Mitglieder der Euro-Zone, sodassStaaten, die heute noch Skepsis signalisieren – wie bei-spielsweise Großbritannien oder Tschechien –, davongar nicht betroffen wären. Es sollte also keiner so tun, alswäre eine Vertragsänderung ein Ding der Unmöglich-keit. Im Gegenteil, wir müssen ohnehin dieses Verfahrenaufsetzen.Wenn ich nun höre, Herr Steinmeier, dass der großeEhrgeiz besteht, zu noch weiter gehenden Vereinbarun-gen zu kommen, als sie in der deutsch-französischen Er-klärung von Deauville ihren unmittelbaren Ausdruckffhs2agfwzuvAlgGgfgcutkNudLwWIMeGdggsvdrddsseFde
nd sie fordern genauso vehement wie wir ein, dass pri-ate Gläubiger beteiligt werden.
lso gilt der alte Grundsatz: Es ist nichts vereinbart, so-ange nicht alles vereinbart ist. Wir stehen erst am Be-inn dieser Verhandlungen.Nun, meine Damen und Herren, die Lehre bezüglichriechenland muss doch sein, dass gerade das Fehlenemeinsamer Regeln für eine Umschuldung dazu ge-ührt hat, dass bei Griechenland die privaten Gläubigereschont worden sind und allein die Steuerzahler die Ze-he zahlen mussten. Wer das nicht will, muss jetzt mitns dafür streiten, dass zwingend eine Beteiligung priva-er Gläubiger vereinbart wird, wenn in Krisenfällenünftig Hilfe angefordert werden sollte.
ur so wird man den Fehlanreiz verhindern, mit einernsoliden Haushaltspolitik fortzufahren.Die Alternative dazu wäre auch nicht sehr viel besser;enn wenn wir in der Europäischen Union nicht in derage sind, dieses Thema für uns selbst zu regeln, dannird man im Zweifel im Rahmen des Internationalenährungsfonds eine Lösung dafür finden müssen. Dernternationale Währungsfonds hatte dazu bereits einenechanismus aufgesetzt, als es bei Argentinien anstand,ine Umschuldung vorzunehmen. Die Besonderheit beiriechenland ist doch nur, dass wir feststellen mussten,ass, anders als damals bei Argentinien, jetzt ein ver-leichsweise kleines Land der Euro-Zone mit einem ver-leichsweise überschaubaren Anteil an der volkswirt-chaftlichen Wertschöpfung in der Europäischen Unionon nur 2 Prozent eine gewaltige Turbulenz nicht nur iner Euro-Zone verursacht hat, sondern auch den Dollar-aum und den Yenraum in Mitleidenschaft zu ziehenrohte. Deswegen wird es notwendig sein, dass wir voniesen Einzelfällen abstrahieren und generelle Verfahrenchaffen, wie wir Staaten, die eine untragbar hohe Ver-chuldung haben, eine Umschuldung ermöglichen.Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir auchin sehr klares Signal an die Finanzmärkte senden. Dieinanzmärkte müssen wissen, dass Hilfen für Staaten,ie von Zahlungsunfähigkeit bedroht sind, nicht nochinmal gewährleistet werden können, ohne dass private
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Thomas Silberhorn
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Gläubiger mit in die Haftung genommen werden. Erstwenn wir dieses klare Signal an die Finanzmärkte sen-den, werden wir bewirken können, dass Unterschiedezwischen den Schuldnern gemacht werden, dass natür-lich bei unterschiedlicher Haushaltslage unterschiedlicheZinsen für staatliche Anleihen gezahlt werden müssen.Das bedeutet, dass Länder mit Haushaltsproblemen al-lein dadurch zu haushaltspolitischer Disziplin angehal-ten würden. Zugleich müssen die Gläubiger wissen, dasssie für höhere Zinsen auch ein höheres Risiko eingehen,das sie dann tragen müssen, wenn es schiefgeht und sichdas Risiko realisiert.Dieser Marktmechanismus entfaltet mindestens ge-nauso disziplinierende Wirkung wie die Verankerung au-tomatischer Sanktionen im Stabilitäts- und Wachstums-pakt. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir dieBeteiligung von privaten Gläubigern durchsetzen. Wirhaben dazu jetzt schwierige Verhandlungen vor uns; aberdie Alternative für uns kann nicht sein – aus politischenwie aus juristischen Gründen –, in eine Transferunion zumarschieren, nicht nur weil wir die größten Garantiege-ber sind, sondern weil insgesamt die Stabilität der Euro-Zone auf dem Spiel steht.Deswegen ist es jetzt an der Zeit, die notwendigenVertragsänderungen vorzunehmen und insbesondere denprivaten Sektor bei der Übernahme von Garantien, wennes schiefgeht, mit einzubeziehen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Der nächste Redner ist der Kollege Bernhard Schulte-
Drüggelte für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Im Mai haben wir uns an dieser Stelle neben Grie-chenland auch mit dem europäischen Stabilisierungsme-chanismus beschäftigt und auch darüber verständigt. Dasheißt, die eine Seite des Hauses hat sich verständigt. Dieandere Seite des Hauses – die Linke und die SPD – hatsich verantwortungslos gedrückt.Es war eine schnelle, aber auch eine einmalige Ent-scheidung. Die Maßnahmen des Rettungsschirms wer-den im Sommer 2013 auslaufen. Eine solche Maßnahmekann und darf nicht zur Dauereinrichtung werden.Krisen markieren aber auch Wendepunkte. Die Frageist nun, wie künftig verfahren werden soll. Wie kanneine Situation verhindert werden, wie wir sie im Früh-jahr erleben mussten? Aus dieser Krise müssen Konse-quenzen gezogen werden.Ich möchte drei Bereiche ansprechen, in denen Kon-sequenzen zu ziehen sind: Erstens. Die Haushaltsdiszi-plin muss durch strengere Regeln unterstützt werden.Zweitens. Die Haushalts- und Wirtschaftspolitiken dereuropäischen Mitgliedstaaten müssen besser aufeinanderasssnkmaslnHsalsdeDebDfhSddVkgeDZmaazFdgdrpdn
Zur Haushaltsdisziplin: Das Volumen des Rettungs-chirms macht deutlich, dass die Währungsunion nichtoch einmal mit solchen Beträgen stabilisiert werdenann. Es muss klar das Ziel sein, solche Krisen zu ver-eiden oder zumindest die Wucht einer solchen Krisebzubremsen.Die Situation der öffentlichen Haushalte in Europa istchwierig. Die Zahlen der EU-Statistikbehörde aus deretzten Woche kommen klar zu einem unschönen Ergeb-is: Fast in allen EU-Staaten stieg das Staatsdefizit auföhen, die vor der Krise unvorstellbar waren.Es gibt viele Gründe für die Krise. Dazu gehört dastaatliche Regierungshandeln in den USA. Aber es gabuch andere Gründe für die Krise. Wenn Shareholder-Va-ue oder Bonuszahlungen die einzigen Erfolgskriterienind und sich die Freiheit von der Verantwortung löst,ann darf das Risiko nicht zulasten Dritter bzw. des Steu-rzahlers gehen. Das muss in Zukunft verhindert werden.afür ist dringend ein funktionsfähiger Ordnungsrahmenrforderlich: effiziente Aufsicht, mehr Transparenz undessere internationale Zusammenarbeit.
Zunächst müssen aber alle Länder der Euro-Zone ihreefizite reduzieren. Denn sie sind Ursache und Anlassür Spekulationen. Der Stabilitäts- und Wachstumspaktat entgegen den Erwartungen nicht ausgereicht, dietaatsverschuldung einzudämmen. Damit ist das Erfor-ernis einer grundlegenden Reform erkennbar gewor-en. Aber das bedeutet keine Aufweichung, sondern eineerstärkung der Stabilitätskriterien.Die Koalition setzt sich in ihrem Antrag für die Stär-ung von präventiven Maßnahmen ein. Ziel ist eine aus-eglichene Haushaltsführung. Denn zu einer Eröffnungines Defizitverfahrens soll es erst gar nicht kommen.as ist zwar eine Idealvorstellung, aber es ist auch dasiel der Maastricht-Verträge.Wenn aber Vorgaben nicht eingehalten werden, dannüssen schnell weitere Sanktionen folgen. Vorschlägeus verschiedenen Bereichen liegen vor. Ich hoffe, dassuf dem EU-Gipfel nicht nur debattiert, sondern auchügig entschieden wird.Aber über eines bin ich mir natürlich auch klar – Herrinanzminister Schäuble hat es gesagt; es gibt Politiker,ie sich in Europa auskennen –: Wer annimmt, bei 27 Mit-liedern könne die Position Deutschlands zu 100 Prozenturchgesetzt werden, dem fehlt es an Verständnis für Eu-opa. – So einfach wird es also nicht sein, aber eine Leit-lanke müssen wir deutlich setzen: Es darf nicht sein, dassie Währungsunion zu einer Transferunion wird. Das leh-en wir entschieden ab.
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Bernhard Schulte-Drüggelte
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Es sollte selbstverständlich sein, dass verantwortlichhandelnde Regierungen, die betroffenen Mitgliedstaatenin der Europäischen Union auch die Haftung für getrof-fene Fehlentscheidungen übernehmen.Damit komme ich zum zweiten Punkt. Auch die Wirt-schafts- und Haushaltspolitiken der Mitgliedstaatenmüssen besser aufeinander abgestimmt werden. Es ist anein „Europäisches Semester“ gedacht, das erstmals 2011eingeführt wird und die Elemente der finanz- und wirt-schaftspolitischen Überwachung besser und wirksamerim Sinne eines Frühwarnsystems koordinieren soll. AlsHaushälter möchte ich sagen: Natürlich darf nicht in dasBudgetrecht der nationalen Parlamente eingegriffen wer-den. Dieser Punkt ist aus meiner Sicht nicht zu verhan-deln.
Auch die Wettbewerbsfähigkeit der Länder muss inZukunft anhand ausgewählter Indikatoren besser über-wacht werden; denn in den letzten Jahren haben sich dieRelationen zwischen den Volkswirtschaften verändert,auch innerhalb der Euro-Zone und innerhalb Europas.Da bleiben Spannungen natürlich nicht aus, doch esbleibt unverzichtbar, Verantwortung auch für einen län-geren Zeitraum zu übernehmen.Das führt zum nächsten Punkt, zum dauerhaften Kri-senmechanismus. Die Europäische Union sowie die na-tionalen Regierungen dürfen zukünftig nicht wiederdurch eine Dynamik krisenhafter Ereignisse zu kurzfris-tigen Maßnahmen gezwungen werden. Wir waren da-mals gezwungen und hatten kaum eine andere Chance.Deshalb muss ein glaubwürdiger Krisenmechanismusentwickelt werden, der aber nicht nur aus rechtlichenRegeln bestehen darf, sondern auch die Kräfte derMärkte nutzt, damit die Staaten Verschuldung vermei-den. Ich möchte deutlich betonen, was in der letztenZeit, auch in der Presse, diskutiert worden ist: Das Bail-out-Verbot muss bestehen bleiben. Kein Land darfSchulden für ein anderes Land übernehmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich das aufgreifen,was die Vorredner gesagt haben: Auch die Gläubigerhochverschuldeter Staaten müssen sich künftig an derSanierung finanziell beteiligen.
Das Stichwort heißt „Haircut“. Ein geordnetes Entschul-dungsverfahren für diese Staaten muss möglich sein, undes muss möglich sein, auch die Gläubiger heranzuzie-hen. Das ist die klare Ausrichtung für eine künftige Ent-wicklung. Um es noch einmal deutlich zu sagen: DasPrinzip von Risiko und Haftung muss stärker zur Gel-tung gebracht werden.
Das wird nach allem, was zu hören und zu lesen ist,nicht ohne Vertragsveränderungen möglich sein. Ichhabe den Eindruck, dass die Bundesregierung hier aufeinem guten Weg ist. Dass dieser Weg nicht einfach ist,idMAutWsisDELdLGDwHagEDbBSrshMnBErslwtKb1)
Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ie Grünen auf Drucksache 17/3425 soll überwiesenerden, und zwar zur federführenden Beratung an denaushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Finanz-usschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technolo-ie sowie den Ausschuss für die Angelegenheiten deruropäischen Union. Sind Sie damit einverstanden? –as ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-inettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurekämpfung der Zwangsheirat und zum besserenchutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Ände-ung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vor-chriften.Das Wort für den einführenden fünfminütigen Berichtat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Thomas deaizière.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-ern:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieundesregierung hat heute den von mir eingebrachtenntwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangshei-at und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheiratowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrecht-icher Vorschriften beschlossen. Mit diesem Gesetzent-urf werden mehrere aufenthaltsrechtliche und integra-ionspolitische Vorhaben umgesetzt, auf die sich dieoalitionspartner im Koalitionsvertrag verständigt ha-en. Den Schwerpunkt bilden verbesserte RegelungenAnlage 2
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizièrezur Bekämpfung der Zwangsheirat einerseits und zumSchutz der Opfer von Zwangsheirat andererseits.Zwangsheirat ist auch in Deutschland ein ernst zu neh-mendes Problem, das in den letzten Jahren verstärkt in denBlickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist. Um Zwangshei-rat stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten,soll mit dem Gesetz ein eigener Straftatbestand geschaf-fen werden. Dadurch bringt der Gesetzgeber klar zumAusdruck, dass Zwangsheirat als schweres Unrecht zuverurteilen ist.
Er tritt damit gleichzeitig der Fehlvorstellung entgegen,es handele sich um eine zumindest tolerable Traditionaus früheren Zeiten oder anderen Kulturen. Durch einenneuen Absatz wird auch die Verschleppung zum Zweckder Zwangsheirat unter Strafe gestellt. Insofern dientdiese Neuregelung einer allgemeinen integrationspoli-tischen Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Wir müssendeutlich machen, dass Zwangsheiraten nicht mit unsererWerteordnung vereinbar sind. Wir müssen dafür sorgen,dass unsere Werteordnung stärker als bisher als ver-pflichtend wahrgenommen wird.Der Entwurf sieht weiter die Schaffung eines eigen-ständigen Wiederkehrrechts vor. Wir wollen die Opfervon Zwangsheirat besserstellen. Dies dient der Verbesse-rung der aufenthaltsrechtlichen Stellung ausländischerOpfer von Zwangsverheiratungen, die sich als Minder-jährige in Deutschland aufgehalten haben und nach derZwangsheirat an der Rückkehr nach Deutschland gehin-dert werden. Voraussetzung für die Inanspruchnahmedieses Wiederkehrrechts ist eine starke Vorintegration inDeutschland oder eine positive Integrationsprognose. Esgibt also zwei Möglichkeiten in diesem Zusammenhang.Des Weiteren wird die Antragsfrist zur Aufhebung einerZwangsehe verlängert, damit die Opfer von Zwangshei-rat mehr Zeit haben, sich von dem Druck zu lösen undeinen entsprechenden Antrag zu stellen.Ein ernst zu nehmendes aufenthaltsrechtliches Pro-blem ist die Eingehung einer Ehe ausschließlich zu demZweck, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, eine soge-nannte Scheinehe. Die Mindestbestandszeit einer Ehe,die erforderlich ist, um ein eigenständiges Aufenthalts-recht zu begründen, wird deshalb von zwei auf drei Jahreverlängert. Damit wird der Anreiz zur Schließung vonScheinehen verringert und die Wahrscheinlichkeit derAufdeckung einer Scheinehe erhöht.Schließlich werden die Regelungen für die räumlicheBeschränkung von Asylbewerbern und Geduldeten gelo-ckert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung, ei-ner Ausbildung oder eines Studiums bzw. den Schulbe-such in einem Gebiet zu erleichtern, das nicht von derjetzigen aufenthaltsbeschränkenden Maßnahme erfasstist.Das ist eine Regelung, die für Ballungsgebiete undauch länderübergreifend gedacht ist und etwa im Groß-raum Berlin, im Großraum Hamburg, im Großraum Bre-men helfen wird.gvkddltAcpdezwwSlpmfdtdIasnwelvdgeasFivS§ZvMfIvcg
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete Humme, meines Erachtens ist esfalsch, das als Alternativen zu sehen. Rechtspolitischmacht es einen Unterschied, ob ein Unterfall der Nöti-gung vorliegt oder ob man der deutschen und der inter-nationalen Öffentlichkeit mit einem eigenen, auch so be-nannten Paragrafen deutlich macht: Wir wollen inDeutschland freiwillige Verheiratung und keine Zwangs-heirat. Das ist rechtspolitisch ein gewichtiger Unter-schied, auch wenn das Strafmaß in diesem Fall nicht er-höht werden soll. Zugleich wird in einem weiterenAbsatz festgestellt: Auch die Verschleppung von Perso-nen für eine Zwangsheirat ist strafbar. Ich glaube, dasdient der rechtspolitischen Klarheit und ist ein Fort-schritt. Die Frage der Strafverfolgung ist davon zu tren-nen. Sie wissen, die Länder sind dafür zuständig.Sie fragen, warum die Verfolgung so schwierig ist.Das liegt exakt an der Zwangslage der Frau und an denschwierigen Beweislagen zur Aufklärung einer Straftat,die innerhalb der Familie stattfindet. Wie Sie wissen, istdas vor etlichen Jahren beim Thema „Vergewaltigung inder Ehe“ diskutiert worden, also bei einer sehr ähnlichenFragestellung. Man sollte den Opfern nicht vorwerfen,dass sie nicht gleich einen Strafantrag stellen; sie sind jaeinem bestimmten Zwang ausgesetzt, und sie halten sichoft im Ausland auf. Deswegen lässt sich aus einer man-gelnden Verfolgungsmöglichkeit nicht der Rückschlussziehen, dass wir diesen Straftatbestand nicht ernst neh-men oder nicht angemessen bezeichnen sollten. Vielmehrbrauchen wir beides: einen klaren Straftatbestand undeine ordnungsgemäße und zügige Strafverfolgung.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Jetzt hat der
Kollege Rüdiger Veit das Fragerecht.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ichmöchte meiner Frage ein anerkennendes Wort voranstel-len, indem ich sage: Das Rückkehrrecht für Opfer vonZwangsheirat, aber beispielsweise auch Erleichterungenbei der Residenzpflicht für Geduldete sind durchausSchritte in die richtige Richtung. Dazu haben wir auchals SPD-Fraktion bereits an einem eigenen Gesetzent-wurf gearbeitet. Es freut uns, dass wir dabei jetzt offen-bar auf einen Nenner kommen. Ich verrate auch kein Ge-heimnis, wenn ich sage, dass wir in der GroßenKoalition an diesem Problem auch schon gearbeitet ha-ben. Damit leite ich zu meiner Frage über.Bei aller Freude über dieses Aufeinander-Zugehenhabe ich kritisch zu fragen: Was veranlasst Sie als Per-son oder auch die Koalition – vielleicht können Sie auf-grund der Verhandlungen, die vorausgegangen sein wer-den, sogar für die FDP mit antworten –, jetzt zu sagen:„Scheinehen könnten dadurch besser vermieden werden,dass die für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehe-gatten erforderliche Ehebestandszeit von zwei auf dreiJahre heraufgesetzt wird“? Warum gerade drei Jahre? ImJahr 2000 haben wir die Frist von vier auf zwei Jahre he-runtergesetzt, und dies aus gutem Grund. Ich glaube, wirhvgmAezdbdpnemeweASsajigsdSmtuwDDzedekdEwkFEgds
ber ich will gern Folgendes sagen: Für uns ist derchutz der Ehe wichtig, nicht nur weil das im Grundge-etz steht, sondern aus innerer Überzeugung. Wir habenuch Verständnis dafür, dass man, wenn Ehen zwischenemandem, der in Deutschland lebt, und jemandem, derm Ausland lebt, zustande gekommen sind, einen Ehe-attennachzug organisiert. Denn Ehepartner sollen zu-ammenleben können und dürfen. Das Problem ist nur,ass diese sinnvollen und vernünftigen Maßnahmen zumchutz der Ehe missbraucht worden sind und ständigissbraucht werden, um in Wahrheit einen ungesteuer-en Zuzug nach Deutschland zu organisieren, und diesnter Missachtung der Rechte der Frauen. Das wollenir verhindern. Das ist immer ein Optimierungsproblem.eswegen die Regelung bezüglich der Zwangsheirat.as ist ein Baustein, der unter bestimmten Vorausset-ungen auch ein Rückkehrrecht für die Opfer vorsieht.In diesem Zusammenhang will ich auch das Eingeheniner Scheinehe nennen, einer Ehe, die den Zweck hat,ass anschließend ein Ehepartner – in der Regel ist diesine Frau – ein eigenständiges Aufenthaltsrecht be-ommt. Ist die Frist sehr kurz, so ermuntern Sie mancheazu, die vernünftigen Regelungen, die es gibt, damithepartner zusammenleben können, zu missbrauchen,odurch es zu einer Zuwanderung nach Deutschlandommt, die so nicht beabsichtigt war.Insoweit ist die Frist von drei Jahren besser als einerist von zwei Jahren. Wir gehen davon aus, dass gutehen in der Regel zwei bis drei Jahre und möglichst län-er halten sollten. Je kürzer eine Ehe ist, desto stärker isties ein Indiz dafür, dass die Ehe vielleicht aus ganz be-timmten Gründen eingegangen worden ist.
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Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de MaizièreInsoweit finde ich drei Jahre besser als zwei, und dreiJahre sind ein Kompromiss zwischen zwei und vier Jah-ren.
Vielen Dank. – Jetzt hat das Fragerecht die Kollegin
Sevim Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr
Minister, ich muss im Anschluss an die Frage des Kolle-
gen Veit nachfragen. Sie haben von Missbrauchsfällen
berichtet. Es wäre interessant, zu wissen, auf welcher
empirischen Grundlage diese Bundesregierung diese
Aussagen macht, dass hier Missbrauch betrieben wird
und deshalb die Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre
verlängert werden soll. Den Deutschen Bundestag haben
in den letzten Jahren sehr viele Praktikerinnen und Prak-
tiker sowie Expertinnen und Experten über die Zwangs-
situation der Frauen unterrichtet.
Wir haben in der letzten Wahlperiode, als Sie nicht In-
nenminister waren, mit Ihrem Vorgänger, Herrn
Schäuble, im Bundestagsinnenausschuss Anhörungen
zum Thema Zwangsverheiratung durchgeführt; auch im
Familienausschuss fanden dazu Anhörungen statt. Dabei
wurde immer wieder von Expertinnen und Experten Fol-
gendes gefordert: Wenn man den Opferschutz tatsächlich
möchte – von diesem haben Sie gerade gesprochen –,
dann sollte man die Ehebestandszeit nicht verlängern,
sondern eher reduzieren.
Ich komme zu meiner eigentlichen Frage zum Thema
Opferschutz: Inwieweit wird die Bundesregierung die
vom Forum Menschenrechte geforderten Verbesserun-
gen im Opferschutz umsetzen, beispielsweise Regelun-
gen im Melderecht schaffen, die verhindern, dass ein
bundesweiter Zugriff auf die Daten von bedrohten oder
von Zwangsverheiratung betroffenen Personen möglich
wird, sodass nicht der Mann über das Scheidungsverfah-
ren oder das gerichtliche Umgangs- und Sorgerechtsver-
fahren am Amtsgericht den Wohnort der jungen Frau
herausfinden kann und damit alle Anonymisierungsbe-
mühungen zunichte gemacht werden? – Ich hoffe, Sie
haben die Frage verstanden. Wenn nicht, kann ich sie
wiederholen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich möchte, ehrlich gesagt, jetzt nicht im einzelnen zu
Forderungskatalogen von noch so ehrwürdigen Organi-
sationen Stellung nehmen; das kann gerne im Gesetzge-
bungsverfahren geschehen.
Das Melderecht enthält bestimmte Auskunftsrechte,
welche jedermann zur Verfügung stehen. Nun in Bezug
auf Ihre Fallkonstellation eine spezifische Auskunftsein-
schränkung vorzunehmen, scheint meiner Meinung nach
problematisch zu sein; darüber können wir allerdings
gerne im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens reden.
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as wird auch so bleiben, denke ich.Würden Sie mir zustimmen, dass Verschleppung be-eits nach heute geltendem Recht strafbar ist? Das istchließlich Freiheitsberaubung. Wenn Sie diese Verbes-erung damit begründen, ist es womöglich nicht richtig.Würden Sie mir auch zustimmen, dass Zwangsverhei-atung in Deutschland bereits seit Jahren aufgrund von240 des Strafgesetzbuches verboten ist? Und würdenie mir auch zustimmen, dass die damalige rot-grüneundesregierung diese zu einem besonders schwerenall der Nötigung erklärt und ein Strafmaß von bis zuünf Jahren vorgesehen hat?Sie sehen allerdings in der Tat ein Novum vor. Dennie sagen: In minderschweren Fällen wird das Strafmaßechs Monate bis drei Jahre betragen. Ich würde sagen:enauso wenig wie es „ein bisschen Schwangerschaft“ibt, so wenig gibt es auch „ein bisschen Zwangsverhei-atung“. Wie also soll man sich minderschwere Fälle beiwangsverheiratung vorstellen, wofür das niedrigeretrafmaß vorgesehen ist?Ein weiterer Bereich ist: Sie wollen die Zahlen bezüg-ich der Verweigerung der Teilnahme an Integrations-ursen ermitteln. Aber Sie haben schon im Vorhineinrklärt, dass 10 bis 15 Prozent der Immigranten Integra-ionsverweigerer sind. Danach haben Sie versucht, zu-
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7106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Memet Kilic
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rückzurudern; aber das ist nicht gelungen. Ihre Antwortauf eine schriftliche Frage von mir belegt Ihre Aussagenicht.Nach unseren Erkenntnissen besuchen die Immigran-ten die Integrationskurse. 140 000 nehmen zurzeit daranteil, 9 000 warten darauf. Bis Ende dieses Jahres werdenes 20 000 Immigranten sein.
Herr Kollege Kilic.
Ich komme sofort zum Schluss. – Die Leute, die die
Teilnahme an den Kursen abbrechen, haben unterschied-
liche Gründe: Es können gesundheitliche Gründe sein,
oder sie finden einen Job; in dem Fall müssen sie den In-
tegrationskurs sogar abbrechen und dem Job den Vor-
rang geben. Würden Sie also die Zahl korrigieren und
sagen, dass nicht 10 bis 15 Prozent der Immigranten in-
tegrationsunwillig sind?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ich beginne einmal mit Ihrer ersten Frage. Wenn Er-
gänzungen nötig sind, bitte ich Herrn Stadler, diese vor-
zunehmen; denn das Justizministerium ist ja für das
Strafrecht zuständig.
Man könnte sehr viele Paragrafen des Strafrechts
streichen und alles unter Beleidigung und Nötigung fas-
sen. Wir haben vor einiger Zeit das Stalking, die unange-
messene Belästigung, als Straftatbestand eingeführt.
Auch das ist eine Art Nötigung. Ich finde – ich wieder-
hole das noch einmal; ich habe es der Kollegin Humme
schon gesagt –, es macht einen Unterschied, ob ich von
einem noch so gewichtigen Unterfall der Nötigung spre-
che oder ob ich im In- und Ausland sage: Wir wollen
keine Zwangsheirat. – Das ist ein großer rechtspoliti-
scher Unterschied. Es dient der Systematisierung und
der Transparenz, auch im Hinblick auf das gesellschaftli-
che Unwerturteil. Deswegen haben wir das heute so be-
schlossen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich habe nicht gesagt, dass
nach meiner Schätzung 10 bis 15 Prozent aller Migran-
ten integrationsunwillig sind. Vielmehr habe ich gesagt,
dass 10 bis 15 Prozent der hier lebenden Muslime inte-
grationsunwillig sind.
Das ist eine Schätzung, die ich vorgenommen habe. Ich
habe das auch ausdrücklich so vorgetragen. Das ist eine
Schätzung, die sich aus der großen Studie „Muslimi-
sches Leben in Deutschland“ herleitet, die im Zusam-
menhang mit der Deutschen Islam-Konferenz in der letz-
ten Legislaturperiode entstanden ist. Ein paar Indizien
aus dieser Studie – zum Beispiel Nichtteilnahme am
Sportunterricht, auch Selbstaussagen von Betroffenen –
bringen mich zu der Aussage, die ich in Bezug auf Mus-
lime – nicht auf die Gesamtheit der Migranten – getrof-
fen habe. Das ist von interessierter Seite anders berichtet
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s gibt da keinen Automatismus, sondern im Wege des
flichtgemäßen Ermessens muss berücksichtigt werden,
ass es unterschiedliche Gründe dafür geben kann, der
erpflichtung der Teilnahme an einem Integrationskurs
icht nachgekommen zu sein.
Dass wir hier offensichtlich ein Vollzugsdefizit ha-
en, scheint mir unstreitig zu sein. Ich werde mit meinen
ollegen Innenministern noch darüber zu reden haben,
oran das liegt. Aber das Argument, wir könnten be-
timmte Sachen nicht machen, um das Vollzugsdefizit zu
eheben, etwa weil wir die Daten nicht austauschen
ürften, möchte ich durch diesen Gesetzentwurf entkräf-
en.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Josef
inkler.
Entschuldigung! Es bedarf noch einer weiteren Ant-
ort. Herr Kollege Dr. Stadler, bitte.
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Herr Kollege Kilic, zu Ihren strafrechtlichen Fragenarf ich noch auf Folgendes aufmerksam machen: Zu-ächst einmal sind wir alle uns sicherlich einig, dass esin elementares Menschenrecht ist, selber frei zu ent-cheiden, ob man eine Ehe eingeht und, wenn ja, mitem.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7107
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
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Dass dieses elementare Menschenrecht durch dieRechtsordnung, auch durch das Strafrecht, geschütztwerden muss, ist unstreitig. Hinzu kommt jetzt, dass esbeim Rückkehrrecht Verbesserungen für die Opfer gibt;das hat Herr Minister de Maizière ausgeführt.Die Koalition aus SPD und Grünen hat das, was diestrafrechtliche Seite angeht, übrigens genauso gesehen,da sie beim Nötigungstatbestand die Zwangsverheira-tung als besonders schweren Fall definiert hat. Dastaucht spiegelbildlich im neuen Grundtatbestand des§ 237 Abs. 1 auf. Insofern gibt es hier sicherlich keiner-lei Differenz.
Hinzu kommt jetzt, dass wir auch andere Tatmodalitätenunter Strafe stellen, die zum Teil im Strafgesetzbuch ver-streut, in anderen Vorschriften erfasst waren, zum Teilaber auch nicht. Das betrifft das Verbringen des Opfersins Ausland zum Zweck der Begehung der Tat.
Soweit dies durch Gewalt geschieht, ist es als Verschlep-pungstatbestand erfasst. Darüber hinaus gibt es den Be-griff der Drohung mit einem empfindlichen Übel – daswar bisher Nötigung –, aber auch die Verbringung insAusland durch List. Es ist schon fraglich, ob das von denbestehenden Strafgesetzen wirklich erfasst wird. Dieneue Regelung dient auch der Rechtsklarheit, weil diesalles jetzt in einer einzigen Vorschrift zusammengefasstund somit eindeutig als strafwürdiges Verhalten gekenn-zeichnet ist.Sie hatten die Frage aufgeworfen, ob minderschwereFälle überhaupt denkbar seien, die nach unserem Ent-wurf mit einem geringeren Strafrahmen bedacht sind,nämlich mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu dreiJahren, während der Grundtatbestand wie im bisherigen§ 240 Abs. 4 mit sechs Monaten bis fünf Jahren Frei-heitsstrafe bestraft wird. Es ist eine bekannte Regelungs-technik im Strafgesetzbuch, dass vom Gesetzgeber beivielen Straftatbeständen auch die Möglichkeit eines min-derschweren Falls vorgesehen ist. Wir sind uns einig,dass bei dem Straftatbestand der Zwangsheirat vermut-lich eher selten ein minderschwerer Fall angenommenwerden kann; dies haben wir auch in die Begründung desGesetzentwurfs geschrieben. Gleichwohl wollten wir dergerichtlichen Praxis diese Möglichkeit eröffnen.Sie wissen, dass auch der Versuch strafbar ist, jeman-den ins Ausland zu verbringen. Die Tatmodalitäten stel-len sich in einer Gesamtwürdigung möglicherweise et-was anders dar als der Grundtatbestand. In dieGesamtbewertung – Herr Kollege Montag als Strafver-teidiger weiß das – fließt auch die Persönlichkeit des Tä-ters, die bisherige Unbescholtenheit und Ähnliches ein.Daher kann es Fälle geben, in denen ein minderschwererFall in Betracht kommt. Wir wollen es gerne der straf-rdtgkNmVegdfgFbzEbbZgdwuBrkegdnnPasbbatrvew
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesinnen-
inister, im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die
erlängerung der Ehebestandszeit zur Erlangung eines
igenständigen Aufenthaltstitels von zwei auf drei Jahre
eprüft werden soll. Uns würde interessieren, was bei
ieser Prüfung herausgekommen ist; denn Sie haben sich
ür einen Zeitraum von drei Jahren entschieden. Der Be-
ründung des Gesetzentwurfs entnehme ich dazu nur die
ormulierung, dass Wahrnehmungen aus der ausländer-
ehördlichen Praxis darauf hindeuten, dass die Verkür-
ung der Mindestehebestandszeit auf zwei Jahre zu einer
rhöhung der Scheineheverdachtsfälle geführt hat. Nun
esteht aber ein Unterschied zwischen Verdachtsfällen,
ei denen Wahrnehmungen darauf hindeuten, dass ihre
ahl zugenommen hat, und tatsächlichen Fällen. Das Er-
ebnis Ihrer Prüfung halte ich daher auch in Anbetracht
er Tatsache, dass Sie den Sachverhalt ernsthaft prüfen
ollten, für nicht besonders stichhaltig.
Ich möchte Sie noch zu einem anderen Punkt fragen,
nd zwar zur Regelung für die Wiedereinreise. Plant die
undesregierung, für Personen, die von Zwangsverhei-
atung nur bedroht sind und versuchen, dieser zu ent-
ommen, die Einreise nach Ablauf der Sechsmonatsfrist
benfalls zu erleichtern, oder halten Sie diese Personen-
ruppe für nicht schutzbedürftig? Nach dem Wortlaut
es Gesetzentwurfes gilt das Recht auf Wiedereinreise
ur für bereits zwangsverheiratete Personen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
ern:
Meine Antwort auf die erste Frage: Das Ergebnis der
rüfung ist der heute vorliegende Gesetzentwurf.
Meine Antwort auf die zweite Frage: Die von Ihnen
ngesprochene Konstellation wird außerordentlich selten
ein. Das Rückkehrrecht bezieht sich auf Personen, ins-
esondere Frauen und Minderjährige, die hier waren und
eispielsweise zur Ferienzeit mit List, mit Gewalt oder
uf andere Weise ins Ausland – ich sage es einmal neu-
ral – verbracht werden, verheiratet werden und dann zu-
ückkehren können sollen. Wer hier ist und von Zwangs-
erheiratung nur bedroht ist, für den ist die
ntsprechende Regelung nicht einschlägig. Dieser Fall
ird daher so gut wie nie eintreten.
Die nächste Frage stellt der Kollege Jerzy Montag.
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7108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
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Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich weiß, dass
Sie ein glänzender Jurist sind. Außerdem sind Sie für
diesen Gesetzentwurf verantwortlich. Deswegen er-
laube ich mir, diese Frage, obwohl sie sich auf das Straf-
recht bezieht, erst einmal an Sie zu stellen. Wenn Sie
mögen, können Sie die Beantwortung gern Herrn Staats-
sekretär Stadler überlassen.
Es geht um die Strafvorschriften, die Sie vorschlagen.
Insbesondere für das Strafrecht gilt: Wenn es nicht unab-
weisbar nötig ist, ein Gesetz zu machen, ist es unabweis-
bar nötig, kein Gesetz zu machen. Nun stellen Sie eine
Vorschrift vor, die bis auf Punkt und Komma – sowohl
was das Strafmaß als auch was die Textformulierung an-
belangt – dem seit fünf Jahren geltenden Recht ent-
spricht. Sie führen sozusagen nur eine Umetikettierung
durch. Dafür muss es einen vernünftigen Grund geben.
Ich frage Sie, ob Ihnen vielleicht Tatsachen bekannt
sind, die es unabdingbar machen, der Strafvorschrift eine
neue Überschrift zu geben, nämlich dass beispielsweise
die Polizeibehörden das bisherige Recht nicht richtig
kennen oder dass die Staatsanwaltschaften den besonde-
ren Tatbestand der Nötigung nicht im Auge gehabt ha-
ben, sodass die Straftaten – es handelt sich ja nicht um
ein Antragsdelikt – nicht verfolgt worden sind. Was ist
also außer der Umetikettierung der Grund dafür, dass Sie
die Strafvorschrift ändern?
Der zweite Teil meiner Frage geht in die gleiche
Richtung. Ich bin ein Freund der minderschweren Fälle;
vorhin wurde ich darauf persönlich angesprochen. In al-
len Fällen, in denen eine Mindeststrafe von sechs Mona-
ten vorgesehen ist, sollte es den Richtern möglich sein,
auch minderschwere Fälle zu judizieren. Fakt ist aber,
dass Sie mit diesem Gesetzentwurf entgegen den Ver-
lautbarungen in der Presse die Strafvorschriften zur
Zwangsverheiratung nicht verschärfen – Sie lassen sie
nicht einmal gleich –, sondern entschärfen, indem Sie
diese minderschweren Fälle einführen. Das sollten Sie
der Ehrlichkeit halber der Öffentlichkeit sagen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter, da wir alle – Sie, Herr Stadler und
ich – ordentliche Juristen sind, können wir das im Rah-
men der Zuständigkeit beantworten. Ich würde deshalb
den ehemaligen Staatsanwalt Stadler bitten, zu antwor-
ten.
Ich will nur eines vorweg sagen. Sie haben von einer
Umetikettierung gesprochen. Das klingt so herabwürdi-
gend. Ich finde, das ist auch rechtspolitisch ein wichtiger
Punkt: Wie bezeichnen wir das, was wir allgemein für
strafwürdig halten? Ich finde, es ist rechtspolitisch ein
gewichtiger Unterschied, ob wir Zwangsheiraten als ei-
nen Unterfall von Nötigung bezeichnen oder aber durch
Schaffung einer eigenen Regelung zum Ausdruck brin-
gen: Wir wollen keine Zwangsheiraten.
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as ist ein spezieller Fall. Die Freiheit der Eheschlie-
ung ist nicht nur durch Art. 6 des Grundgesetzes ge-
chützt, sondern auch durch die Europäische Menschen-
echtskonvention und die UN-Menschenrechtscharta.
eswegen halte ich es für eine durchaus gerechtfertigte
ntscheidung, den Schutz dieser Freiheit im Strafgesetz-
uch gesondert zum Ausdruck zu bringen.
Sie haben recht, dass der Strafrahmen der bisher gülti-
en Vorschrift zur Nötigung nach § 240 Abs. 4 Strafge-
etzbuch entnommen ist. Ich stimme Ihnen ebenfalls zu,
ass es zweckmäßig ist, den Richtern für die vielen Ein-
elfälle – man kann bei Verabschiedung eines Gesetzes
ar nicht vorhersehen, was sich in der Praxis zuträgt –
ie Möglichkeit zu geben, das Strafmaß sachgerecht, auf
en jeweiligen Einzelfall bezogen festzulegen. Deshalb
ehen wir, dem Vorbild vieler anderer Straftatbestände
olgend, einen minderschweren Fall mit einem anderen
trafrahmen vor. Ich bin sicher, dass die Judikatur davon
n sachgerechter Weise Gebrauch machen wird.
Vielen Dank. – Eigentlich ist die Zeit für die Befra-
ung der Bundesregierung abgelaufen. Wenn Sie einver-
tanden sind, verlängere ich die Zeit dafür, und zwar auf
osten der Fragestunde, bei der die Zeit dann mögli-
herweise nicht ganz ausgeschöpft werden kann. – Da-
über scheint Einvernehmen zu bestehen.
Die nächste Frage hat die Kollegin Heidrun Dittrich.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ichabe eine Detailfrage zum Schutz der Opfer vonwangsverheiratungen. Nach dem Personenstandsgesetz
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7109
Heidrun Dittrich
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muss eine Namensänderung in das Familienbuch einge-tragen werden, in das enge Angehörige Einsicht nehmendürfen. Dadurch sind Betroffene extrem gefährdet. ImNotfall kann den Behörden jedoch die Bedrohungssitua-tion einer Betroffenen dargelegt und so eine Eintragungdes neuen Namens verhindert werden. Diese Prozedurist jedoch schwierig. Es werden hohe Anforderungen andie Glaubhaftmachung einer Zwangsverheiratung odereiner entsprechenden Bedrohung gestellt. BeabsichtigenSie, diese hohen Anforderungen zu senken, um denSchutz der Opfer von Zwangsverheiratungen besser zugewährleisten?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete, ich muss freimütig gestehen, dassich die Frage nicht aus dem Stand beantworten kann. Ichwürde Ihnen die Antwort gern schriftlich nachreichen.
Die nächste Frage hat die Kollegin Monika Lazar.
Ich habe eine Nachfrage zur Erhöhung der zur Erlan-
gung eines Aufenthaltstitels notwendigen Ehebestands-
zeit. Mein Kollege Winkler hat schon versucht, Ihnen et-
was mehr zu entlocken als die Antwort: Das Ergebnis
sehen Sie heute. In der Gesetzesbegründung heißt es,
dass Wahrnehmungen darauf hindeuten. Uns würde inte-
ressieren, welche Wahrnehmungen Sie haben. Können
Sie uns diese Wahrnehmungen mitteilen? Unter anderem
Terre des Femmes sieht die Erhöhung der Ehebestands-
zeit sehr kritisch. Diese Organisation, die sich seit vielen
Jahren für Frauenrechte einsetzt, spricht sich dagegen
aus.
Ich habe eine weitere Frage zu diesem Themenkomp-
lex. Es gibt eine Härtefallregelung. Wissen Sie, wie viele
Frauen und Männer von der Härtefallregelung Gebrauch
machen und die Möglichkeit zur Verkürzung der Ehebe-
standszeit in Anspruch nehmen? Können Sie uns diese
Zahlen zur Verfügung stellen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete, wir haben weder zu der Frage
„Wie viele Zwangsverheiratungen gibt es in Deutsch-
land?“ noch zu der Frage „ Wie viele Scheinehen gibt es
in Deutschland?“ eine Statistik. Das liegt in der Natur
der Sache. Diese Ehen werden schließlich in scheinba-
rem Einvernehmen der Beteiligten geschlossen, um die
wahre Absicht des Vorgangs zu verschleiern. Es wäre er-
staunlich, wenn man hierzu Statistiken hätte.
Beides wollen wir aber nicht. Wir wollen weder
Zwangsheiraten noch Scheinehen. Herr Stadler hat über-
zeugend vorgetragen, warum wir keine Zwangsheiraten
wollen. Wir wollen auch keine Scheinehen, und zwar
nicht nur, weil man sich dadurch das Recht zum Zuzug
nach Deutschland erschleicht, sondern auch, weil es un-
serem Verständnis von der Würde und dem Ansehen der
Ehe nicht entspricht, sie nur zum Schein einzugehen. Sie
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Die nächste Frage stellt die Kollegin Ekin Deligöz.
Herr Minister, ich gebe zu, dass es eine frauenpoliti-che Errungenschaft ist, wenn es in Zukunft ein Rück-ehrrecht gibt. Das ist eine Forderung, die ich als Fami-ienpolitikerin schon seit Jahren stelle. Leider konnte ichie bisher, auch zur Zeit einer anderen Regierungskoali-ion, nicht durchsetzen. Ich gebe zu, dass das ein wichti-er Schritt ist.Jetzt kommt mein großes Aber bei der Sache. Wir re-en hier über juristische Finessen, die ihre Berechtigungaben und die ich auch nicht schmälern will. Wenn ichir aber die Praxis in Deutschland anschaue, stelle ichest, dass die größten Defizite nicht im Bereich destrafrechts liegen, sondern die Situation vor Ort betref-en. Was werden Sie tun, um Ihre Absicht, diese Formon unmenschlicher Heirat zu verhindern, Wirklichkeiterden zu lassen? Welche Begleit- und Unterstützungs-aßnahmen wollen Sie ergreifen? Wird es dazu eineampagne geben? Werden Sie darauf insistieren, dass eseratungsstellen gibt? Werden Sie Unterstützungsmaß-ahmen anbieten, zum Beispiel in Frauenhäusern, damitie Frauen, die sich befreien und zurückkehren, auch dieöglichkeit haben, sich an jemanden zu wenden? Wenns zwar eine Rückkehroption, aber keine Aufnahmeop-ion gibt, werden die Frauen den entscheidenden Schrittermutlich nicht wagen, sondern sich sozusagen ergebennd in die Familienstruktur, die sie unter Druck setzt, zu-ückkehren müssen. Mit welchen Begleitmaßnahmenollen Sie Ihre Intention, die richtig ist, durchsetzen?us dem Blickwinkel der Frauen- und Familienpolitikar bisher nicht der Straftatbestand das entscheidenderoblem, sondern die Tatsache, dass Deutschland nichtn der Lage war, Unterstützungsstrukturen für diese Op-er aufzubauen.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-ern:Heute reden wir über ein Paket, das sich auf das Auf-nthaltsrecht bezieht. Es besteht aus einem strafrechtli-hen Element und aus einer Gesetzgebung, die mit demufenthaltsgesetz zu tun hat. Das ist Gegenstand diesesesetzentwurfs. Damit können wir die ganze sozialeirklichkeit und die Dramen, die sich abspielen, natür-
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7110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizièrelich nicht abbilden. Für manches sind auch die Länderzuständig. Es nützt aber überhaupt nichts, ein Programmfür eine Wiederaufnahme vor Ort zu machen, wenn eskein Rückkehrrecht gibt. Das heißt: Ohne ein solchesRückkehrrecht und ohne dass man den Straftäter – ob esnun der Vater, der Bruder, der Onkel oder sonst jemandist – an den Kanthaken bekommt, wird es nicht gehen.Das andere sind Maßnahmen, die folgen können. Esgibt auch entsprechende Strukturen. Wir haben Opfer-vereinigungen, Beratungsstellen und Frauenhäuser, diesich kümmern. Aber wenn wir den rechtlichen Rahmennicht hinbekommen – sowohl mit Blick auf die klarereRegelung der Strafe als auch mit Blick auf das Rück-kehrrecht –, nützen Hilfsmaßnahmen nichts. Das eineschließt das andere nicht aus.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Aydan Özoğuz.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesinnen-
minister, zweifellos sind Forschung und Wissenschaft
ganz wichtige Grundlagen unserer Arbeit. Ich möchte
aber doch zum Ausdruck bringen, dass ich es wirklich
für schwierig halte, wenn die Befragung von Jugendli-
chen zu ihrem kriminellen Verhalten verbunden mit der
Frage, wie religiös sie sich fühlen, zu der Aussage des
Bundesinnenministers führt, dass 10 bis 15 Prozent der
Muslime bei uns integrationsunwillig seien. Ich denke,
darüber sollten wir noch einmal sprechen.
Meine Frage geht aber eher in den Bereich des Opfer-
schutzes. Sie haben vorhin gesagt, dass eine starke Vor-
integration die Voraussetzung für das eigenständige Wie-
derkehrrecht sei. Ich würde dies gerne noch ein wenig
präzisiert bekommen. Was ist eine starke Vorintegration?
Spielt das Einkommen eine Rolle? Spielt der Bildungs-
stand eine Rolle? Was genau ist damit gemeint?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zum ersten Punkt. Ich habe mich bei meiner Antwort
ausdrücklich nicht auf die Studie des Direktors des Kri-
minologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zur
überproportional hohen Gewaltneigung junger Muslime
bezogen. Sie haben sich jetzt darauf bezogen. Diese Stu-
die ist bemerkenswert. Ob sie so aussagefähig ist, halte
auch ich für fragwürdig.
Ich habe meine Aussage auf die große Studie über is-
lamisches Leben in Deutschland von Faruk Sen und an-
deren bezogen, die in den Jahren 2008 und 2009 durch-
geführt worden ist. Durch die Fülle von Aussagen, wie
man zum Staat steht, ob man den Staat ablehnt oder
nicht, und zu ähnlichen Fragen komme ich zu diesem Er-
gebnis, dass es sich um 10 bis 15 Prozent der Muslime
handelt. Das ist meine Quelle – und nicht Herr Pfeiffer.
Es ist wichtig, darauf noch einmal hinzuweisen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7111
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Sevim DağdelenSie nicht der Auffassung, dass es pauschal und sehr dis-kriminierend ist, von etwas zu sprechen, dem jedwedeGrundlage in der Realität fehlt, und gleichzeitig Sanktio-nen vorzusehen? Dies stellt letztendlich nur eine hekti-sche Aktivität der Bundesregierung dar, hat aber mit derLebenswirklichkeit in Deutschland nichts zu tun.
Herr Minister.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete, das war eher ein Debattenbeitrag
als eine Frage. Ich fand und finde meine Äußerungen
nicht pauschal. Das ist meine Antwort.
Im Übrigen war das eine Frage zu dem gleichen The-
menkomplex. Sie haben Ihr Fragerecht missbraucht.
Ich bitte jetzt den Kollegen Stefan Liebich, seine
Frage zu stellen.
Ich frage Sie, Herr Präsident, ob ich jetzt eine Frage
zur angeblich mangelnden Integrationsbereitschaft stel-
len darf. Vorhin haben wir über Zwangsheirat gespro-
chen. Das sind meiner Ansicht nach zwei verschiedene
Themen. Deswegen hatte ich mich vorher nicht gemel-
det und möchte meine Frage an dieser Stelle stellen.
Das ist dem vorherigen Themenkomplex zumindest
sehr nahe. Bitte stellen Sie Ihre Frage.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Bundesinnen-
minister de Maizière, Sie haben im Zusammenhang mit
den Regierungsentscheidungen zur angeblich mangeln-
den Integrationsbereitschaft auf das Beispiel Berlin ver-
wiesen. Damit haben Sie viele Berlinerinnen und Berli-
ner, die Berliner Landesregierung und mich als Berliner
Abgeordneten überrascht. Deswegen habe ich dazu zwei
Fragen: Wie beurteilen Sie, dass die langjährige Politik
von SPD und Linkspartei in Berlin, die mehr Durchläs-
sigkeit oder sogar die Überwindung des gegliederten
Schulsystems zum Ziel hat, dazu geführt hat, dass wir
eine Quote von Abiturienten und Fachabiturienten mit
Migrationshintergrund in Höhe von 22 Prozent haben,
während der bundesweite Durchschnitt bei nur 9 Prozent
liegt? Wie beurteilen Sie, dass die Einführung von kos-
tenfreien Kitaplätzen für drei- bis sechsjährige Kinder in
Berlin dazu geführt hat, dass nahezu alle Kinder aus Mi-
grantenhaushalten in Kitas gehen?
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Danke schön, Herr Bundesminister. Damit ist Ihre
ufgabe erfüllt.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3:
Fragestunde
– Drucksachen 17/3363, 17/3398 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß
r. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
ringlichen Fragen auf Drucksache 17/3398 auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
undesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Inge
öger auf:
Plant die Bundesregierung den Einsatz von Tornado-
Kampfflugzeugen, anderen Fahr- und Flugzeugen oder Perso-
nal der Bundeswehr zur Überwachung der Proteste gegen den
bevorstehenden Castortransport, und, wenn nicht, was ist der
Hintergrund der nach jüngsten Berichten von Anwohnern ak-
tuell stattfindenden Tiefflüge von Bundeswehr-Tornados über
der Region Wendland?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
ekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Bitte, Herr Staatssekretär.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, bitteestatten Sie, dass ich Ihre Frage wie folgt beantworte:ie Bundeswehr unterstützt im Rahmen der Amtshilfeie Durchführung von Castortransporten. Hierüberurde der Bundestag in den Antworten auf Anfragen derm Bundestag vertretenen Fraktionen in regelmäßigenbständen unterrichtet. Die Unterstützungsleistungeneschränken sich regelmäßig auf die befristete Überlas-
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7112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
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sung von Infrastruktur und die Mitbenutzung infrastruk-tureller Einrichtungen wie Truppenküchen und Tankstel-len.Für die im November dieses Jahres geplanten Castor-transporte sind die genannten Unterstützungsleistungender Bundeswehr für die Bundespolizei und für polizeili-che Einsatzkräfte der Länder erneut zugesagt worden;hierüber wurde der Deutsche Bundestag nach meinerKenntnis bereits ausführlich informiert. Für die Überwa-chung etwaiger Proteste gegen Castortransporte amkommenden Wochenende werden aber weder Tornado-Luftfahrzeuge noch andere Flugzeugmuster der Bundes-wehr noch Fahrzeuge und Personal der Bundeswehr ein-gesetzt. Tornado-Aufklärungsflugzeuge sind weder inder Vergangenheit noch für die im Jahr 2010 geplantenCastortransporte angefordert worden. Damit haben auchkeine Flüge zur Unterstützung solcher Transporte statt-gefunden; sie werden auch in diesem Jahr nicht erfolgen.Aufklärungsaufgaben mit Tornado-Luftfahrzeugenwerden in der Luftwaffe ausschließlich vom Aufklä-rungsgeschwader 51 „Immelmann“ durchgeführt. Diesesführt zurzeit normalen Ausbildungs- und Übungsflugbe-trieb im genehmigten Luftraum über Deutschland durch.Am kommenden Wochenende ruht der allgemeineÜbungs- und Ausbildungsflugbetrieb der Luftwaffe. Nä-here Kenntnisse von einzelnen Überflügen, die Sie insi-nuieren, bedürften zu ihrer Überprüfung der konkretenBenennung von Ort und Zeit. Ich kann aber ausschlie-ßen, dass dies mit vorbereitenden oder sonstigen Maß-nahmen im Zusammenhang mit dem Transport atomarerBrennstoffe zu tun hat.
Eine Nachfrage?
Ja.
Bitte.
Sie schließen ausdrücklich aus, dass bei den Castor-
transporten Tornado-Flugzeuge zum Einsatz kommen
oder andere Aufklärungsmaßnahmen, zum Beispiel mit
Fenneks, die in Heiligendamm eingesetzt wurden, durch-
geführt werden. Unabhängig davon frage ich Sie: Gibt es
Fotos vom Verlauf der Castorroute?
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Frau Kollegin, dass es Fotos vom Verlauf der Castor-
route gibt, davon gehe ich aus, weil es bei uns von fast
allem Fotos gibt. Dass die Bundeswehr diese Fotos im
Auftrag gemacht hat, möchte ich allerdings ausschlie-
ßen. Ich habe, abgesehen vom bisherigen Auftrag, den
ich Ihnen geschildert habe, keinerlei Anhaltspunkte da-
für, dass sich die Bundeswehr beteiligt.
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Herr Staatssekretär, Sie haben meine schriftlicherage zu diesem Thema ja schon beantwortet. Darinteht, dass die Bundeswehr Amtshilfe nach Art. 35bs. 1 des Grundgesetzes leistet.Ich hatte in dieser schriftlichen Frage allerdings aucharum gebeten, mir in einer vollständigen Auflistung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7113
Hans-Christian Ströbele
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– Behörde, Dauer, Art und Umfang – alle Maßnahmenzu benennen, die geplant bzw. zugesagt sind. Diese Auf-listung vermisse ich in der Antwort auf meine schriftli-che Frage bisher. Ich bitte also darum, schriftliche Fra-gen in Zukunft vollständig und nicht nur zum Teil zubeantworten.Im Anschluss an das, was die Kollegin hier jetzt ge-fragt hat, will ich Sie einmal ein bisschen konkreter fra-gen, weil Sie das ja auch erbeten haben.Im Oktober 2010 sollen in der Nähe der Orte Seedorfund Dahlenburg – dort verläuft die Strecke, auf der derCastortransport nicht am kommenden Wochenende, son-dern am Wochenende danach stattfinden wird; für IhreNachfrage können Sie das vielleicht gebrauchen – mehr-fach insbesondere Hubschrauberüberflüge über dieBahngleise und das nahegelegene Gebiet stattgefundenhaben. Mir liegen hier auch die Angaben von Augenzeu-gen zu Uhrzeiten an einem dieser Tage vor.Sie sagen, das seien ganz normale Flüge, die immerdurchgeführt werden. Das mag ja sein, trotzdem stelleich die Frage: Dienen diese Flüge auch der Beobach-tung, und werden diese Beobachtungen in irgendeinerWeise durch Kameras oder in anderer Weise aufgezeich-net? Wo verbleiben die Aufnahmen, die dort hergestelltwerden? Insbesondere interessiert mich: Wird die Bun-deswehr diese Aufnahmen auf Anforderung auch den Si-cherheitsbehörden in Niedersachsen zur Verfügung stel-len, wie das ja bei den Ereignissen um Heiligendammder Fall gewesen ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Herr Kollege Ströbele, ich bitte zuerst, meine Unauf-
merksamkeit zu entschuldigen, weil ich – das war für Sie
ja auch erkennbar – noch einmal die Papiere, die mir
vorliegen, sortiert und dabei festgestellt habe, dass auf
Ihre Frage hin, die Sie schriftlich gestellt hatten, eine
Übersicht über die beschlossenen Unterstützungsmaß-
nahmen im Rahmen der Amtshilfe erstellt wurde. Falls
diese Ihrem Schreiben nicht beigelegen hat, werde ich
sie gerne nachreichen.
Falls Sie sie besonders schnell haben wollen, emp-
fehle ich Ihnen, Ihren Kollegen Nouripour im Rahmen
der innerfraktionellen Amtshilfe anzusprechen, der am
22. Oktober 2010 von meinem Kollegen Kossendey
über die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und
den Verteidigungsausschuss insgesamt nämlich solch
eine Übersicht erhalten hat.
Aber ich werde Sorge dafür tragen, dass Sie diese An-
lage erhalten, die detailgenau auflistet, wer wann zu wel-
chem Anlass wo welche Unterstützungsleistungen bean-
tragt hat. Das geht von der Nutzung als Park- und
Stellflächen in der Tat bis hin zur Verpflegung.
Die Frage, die mir jetzt gestellt war, Herr Kollege, zu
der Sie eine Zusatzfrage gestellt haben, hat sich aus-
drücklich auf Tornado-Flugzeuge bezogen. Über diese
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die in den Pressmitteilungen vorhandenen Aussagenwirklich seriös zu bewerten und zu kommentieren, ver-mag ich die in Ihrer Frage enthaltene Behauptung, es seiBundeswehrsoldaten gestattet, auf Zivilisten zu schie-ßen, die sich telefonierend oder schreiend über das Ge-fechtsfeld bewegen, so nicht der Pressemitteilung zu ent-nehmen.Die Frage, die durch die Meldung aufgeworfen ist,lautet ja doch eher, ob gegen feindliche Kräfte, die imRahmen eines Feuergefechtes einen Stellungswechseldurchführen, militärische Gewalt angewendet werdendarf, auch wenn sie den Stellungswechsel gegebenen-falls ohne ihre Waffen vornehmen. Dies ist nach dem hu-manitären Völkerrecht sowie nach den ISAF-Einsatzre-geln der Fall!Ich möchte zwei Punkte ausdrücklich betonen. Zumeinen habe ich ein gewisses subjektives Verständnis da-für, dass ein Soldat, der aus einer Gefechtssituationkommt, die überhaupt nichts mit den Lebensumständenin unserem Land zu tun hat – wenn es ein authentischerBericht sein sollte –, durchaus eine Notwendigkeit sieht,seine Erfahrungen zu berichten, auszudrücken oder zukommentieren. Ich glaube sogar, dass es in einem gewis-sen Rahmen notwendig ist, dies zu tun. Ob das immer inForm von anonymisierten Pressemeldungen der Fall seinmuss, ist eine andere Frage. Aber wir regen unsere Sol-datinnen und Soldaten durchaus dazu an, mit einem ge-wissen Abstand auch in unserer Öffentlichkeit über dieschlimmen Erfahrungen, die sie machen, zu reden.In den interessanten Tagebucheinträgen ist vieles na-türlich subjektiv. Trotzdem hat es seinen Platz. Manmuss es zwar einordnen, aber ich glaube, dass es einemöglicherweise sogar notwendige Konsequenz derschlimmen Situationen ist, in die der einzelne Soldat imEinsatz geraten kann. Aber wenn er eine bewusste Fehl-information oder Informationen, die die Sicherheit sei-ner Kameraden betreffen, damit berühren würde, dannwäre allerdings der Punkt erreicht, an dem man diesnicht mehr billigen kann.Zum anderen will ich deutlich festhalten – das gibt,ohne dass ich mich auf die Lektüre dieser Meldungen imEinzelnen beziehe, seine Kritik an den Vorgesetzten zuerkennen –, dass das humanitäre Völkerrecht in der Bun-deswehr beim Einsatz in Afghanistan und anderswoselbstverständlich Weisungslage ist und auch eingehal-ten wird. Wie und ob in einer konkreten Gefechtssitua-tion die Frage zu entscheiden ist, ob jemand ein unbetei-ligter Zivilist ist oder jemand, der im Rahmen deshumanitären Völkerrechts in einem bewaffneten nichtinternationalen Konflikt durch seine Beteiligung anKampfhandlungen diesem völkerrechtlichen Schutznicht mehr unterworfen ist, kann, glaube ich, im Grund-satz in diesem Hause oder in der Öffentlichkeit beant-wortet werden. In der konkreten Situation verbietet essich uns aber, allein aufgrund irgendwelcher Meldungenzu beurteilen, was wirklich geschehen ist. Deswegenbleibe ich bei der grundsätzlichen Bewertung.Selbstverständlich können Sie, Herr Kollege Schäfer,ebenso wie wir davon ausgehen, dass das humanitäreVölkerrecht die Grundlage für ein völkerrechtskonfor-mucvgmsjbanasvABKlgdbddznß–HgmsseÄuwbGddavSuwdgve
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bracht hat, wodurch der Oberfeldwebel tödlich verwun-det wurde.Wenn man als Soldat eine solche Situation erlebt,dann glaube ich schon, dass Fragen jenseits von Befeh-len auf einen zukommen, wie ich es auch in einem per-sönlichen Gespräch mit einem Unteroffizier erlebte, dermich fragte: „Muss ich mich erst erschießen lassen, be-vor ich mich wehren darf?“ Solche Fragen sind jenseitseiner ganz nüchternen Würdigung und spiegeln nur wi-der: Es geht um Tod oder Leben.Ich vermag aus diesem „Kriegstagebuch“ keine An-haltspunkte für ein nicht völkerrechtskonformes Verhal-ten zu erkennen und gehe deswegen davon aus, dass dieDarstellungen wirklich eine subjektive Bewertung sind,dass die Fragen aber ihre Berechtigung haben.
Eine zweite Nachfrage, Herr Schäfer?
Danke, Herr Präsident. – Auch in diesem Punkt, Herr
Staatssekretär, habe ich Verständnis dafür, in welche pre-
kären Lagen man in diesen sogenannten asymmetrischen
Kriegen kommen kann. Aber dennoch, noch einmal zu-
gespitzt, auch an dieser Stelle die Frage: Steht es nach
Ansicht der Bundesregierung im Einklang mit dem
Völkerrecht und dem Mandat des deutschen ISAF-Kon-
tingents, dass in einer solchen Gefechtssituation Perso-
nen, die unbewaffnet sind, die man aber für irgendwie
verdächtig hält, weil sie zum Beispiel ein Handy haben,
bekämpft werden können, auch erschossen werden kön-
nen?
C
Das Besitzen oder Mitführen eines Handys kann kein
Anlass sein, jemanden zu töten. Ich bin jetzt im hypothe-
tischen Bereich und will eigentlich nur deswegen auf die
Frage eingehen, weil man sich ihr jenseits von Regie-
rungshandeln auch im persönlichen Bereich nähern und
sich mit ihr auseinandersetzen muss. Wenn Soldaten er-
lebt haben, dass vermeintliche Zivilisten, vermeintlich
Unbewaffnete, vermeintlich nur einen Kaftan tragende
Menschen unter dem Kaftan eine Kalaschnikow tragen
und Kameraden ihr Leben lassen, dann finde ich, dass
wir mit der feinen Ziselierung, wie das alles zu sehen ist,
tatsächlich unseren Soldaten Unterstützung geben und
das Vertrauen in sie haben müssen, dass sie in solch ei-
ner Situation besonnen und in Kenntnis des Völkerrechts
handeln, dass sie aber auch bereit sind, wenn erkennbar
eine Situation entsteht, die zu einem Gefecht oder zu ei-
nem Anschlag führt, entsprechend zu reagieren. Das ist
der entscheidende Punkt. Wenn wir diesen Spielraum
nicht ließen, dann könnten wir nicht verantworten, un-
sere Soldatinnen und Soldaten in diesen gefährlichen
Einsatz in Afghanistan zu schicken.
Jeder Getötete ist sozusagen einer zu viel. Aber leider
ist bei asymmetrischen Bedrohungen die Unterschei-
dung zwischen dem, der Gegner, der Kombattant ist, und
dem, der friedliche, zivile Absichten hat, oft schwierig.
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das Leben gekostet hat?
Frau Staatsministerin, bitte sehr.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter,ie Bundesregierung wird regelmäßig durch die Lagebe-ichte des Büros der Vereinten Nationen für die Koordi-ierung humanitärer Angelegenheiten und die entspre-hende Abteilung der Europäischen Kommission überie humanitäre Lage in Haiti informiert. Bei Bedarf wird
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Staatsministerin Cornelia Pieper
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dies durch Berichterstattung der deutschen Botschaft inPort-au-Prince ergänzt. Hieraus ergibt sich folgender ak-tueller Sachstand: Am 21. Oktober 2010 wurden im De-partment L’Artibonite – das liegt im Zentrum Haitis –erste Fälle von Cholera im Labor bestätigt. In den fol-genden Tagen nahm die Zahl der Infizierten im Einzugs-bereich des gleichnamigen Flusses rasch zu, sowohl imBereich des Zentralplateaus als auch an der Küste. Biszum 24. Oktober 2010 wurden nach offiziellen Angabencirca 3 000 Choleraerkrankungen in den DepartmentsL’Artibonite und Centre identifiziert und über 250 To-desfälle festgestellt.Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Haitiwurde dementsprechend am 22. Oktober 2010 um dasAuftreten der Cholera erweitert. Seit dem 20. Oktoberhaben die verantwortlichen Stellen sowohl der Regie-rung als auch der vor Ort befindlichen internationalenOrganisationen mit entsprechenden Notmaßnahmen be-gonnen. Es erfolgte eine systematische epidemiologi-sche Überwachung, eine verstärkte Ausstattung der Ge-sundheitseinrichtungen mit intravenösen und oralenrehydrierenden Lösungen sowie der Start einer Informa-tionskampagne zur Prävention und Behandlung der Cho-lera.In oder bei Krankenhäusern wurden verschiedene Be-handlungszentren eingerichtet. Parallel reagieren Hilfsorga-nisationen mit konkreten Hilfsmaßnahmen, zum Beispielder Verteilung von Choleratabletten, Wasserfiltern sowieNotnahrung, was als Folge des Erdbebens im Januarnoch in großer Zahl im Lande präsent ist. Zu diesenHilfsorganisationen gehören dank der Spendenbereit-schaft der Deutschen im Frühjahr eine größere Zahldeutscher Nichtregierungsorganisationen, wie Sie wis-sen, Herr Abgeordneter.Im Auftrag der humanitären Hilfe der Bundesregie-rung sind infolge des Erdbebens noch ein Feldhospitaldes Deutschen Roten Kreuzes und ein Projekt der NROHumedica zur medizinischen Grundversorgung aktiv.Letzteres verlagert seine Aktivitäten derzeit ganz auf dasDepartement Artibonite. Eventuell zusätzlicher Bedarfan Medikamenten würde seitens der Bundesregierungumgehend bewilligt.Das Feldhospital des DRK wird seinen Standort bei-behalten. Mit Ausstattungsmitteln des Hospitals, das mitMitteln der humanitären Hilfe der Bundesregierung fi-nanziert wurde, werden zwei zusätzliche Behandlungs-zentren an den Ausfallstraßen von Port-au-Prince errich-tet. Auch das Technische Hilfswerk ist noch vor Ort undprüft momentan eine Ausweitung seiner laufendenTrinkwasseraufbereitung.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Lagezwar ernst ist, den akut Betroffenen aufgrund der in ver-gleichsweise hoher Zahl präsenten internationalen Hilfemomentan aber noch weitgehend mit den vorhandenenKapazitäten geholfen werden kann. Die Bundesregie-rung steht im engen Kontakt mit den genannten und mitweiteren Hilfsorganisationen. Sie wird ihre Hilfe bei Be-darf im Rahmen verfügbarer Mittel natürlich aufstocken.Ich bitte um Nachsicht, dass ich das etwas länger ausge-führt habe. Ich denke, es war auch in Ihrem Interesse.fIUsgbsjlIrpndswztkAadtbeAbcRgnanlüsC
Wir sind damit am Ende der Beantwortung der dring-ichen Fragen.Wir kommen zu den Fragen der Fragestunde in derblichen Reihenfolge.Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Siegmund Ehrmannollen schriftlich beantwortet werden.Dann kommen wir zur Frage 3 des Abgeordnetenhristian Ströbele:Welche Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft oderletztem Wohnsitz in Deutschland wurden nach Kenntnis derBundesregierung durch US-Sicherheitskräfte im Raum Afgha-nistan/Pakistan seit 2007 – insbesondere mittels Drohnen – getö-
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Personen haben deutsche Stellen zuvor der US-Seite – direktoder indirekt, etwa über ISAF – Informationen zur Identifizie-rung oder Ortung übermittelt?Hierfür steht wiederum Frau StaatsministerinCornelia Pieper zur Verfügung.C
Ähnliche Fragen haben uns schon in der letzten Fra-
gestunde beschäftigt. Diese Frage des Abgeordneten
Ströbele beantworte ich wie folgt:
Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Er-
kenntnisse über die Tötung deutscher Staatsangehöriger
durch amerikanische Sicherheitskräfte im Raum Afgha-
nistan/Pakistan vor. Es wurden keine Daten übermittelt,
die nach Kenntnis der Bundesregierung im Sinne der
Fragestellung hätten verwendet werden können.
Nachfrage, Herr Ströbele?
Ja. – Frau Staatsministerin, ich habe ganz konkret ge-
fragt und unter anderem auch das Datum des Angriffs
genannt, bei dem im pakistanisch-afghanischen Grenz-
gebiet mindestens drei Personen getötet worden sein sol-
len. Pressemeldungen zufolge sollen dabei drei vermut-
lich deutsche Staatsangehörige oder Personen, die
zuletzt längere Zeit in Deutschland gelebt haben, getötet
worden sein. Ich frage Sie jetzt: Auch zu diesen Perso-
nen haben die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete
Behörden keinerlei Information? Das wollen Sie ernst-
haft sagen?
C
Sie haben Ihre Informationen, die Sie mir gerade ge-
schildert haben und die Sie vor 14 Tagen auch schon
Staatsminister Hoyer geschildert haben, ernst zu neh-
menden Medienberichten entnommen. Ich kann nur sa-
gen, dass die Bundesregierung unmittelbar nach Erschei-
nen der letzten Medienberichte zur angeblichen Tötung
mehrerer deutscher Staatsangehöriger durch US-Droh-
nen in Pakistan pakistanische Behörden offiziell um
Auskunft gebeten hat. Das Auswärtige Amt und die
deutsche Botschaft in Islamabad bemühen sich weiterhin
um Aufklärung insbesondere der Frage, ob es sich bei
den Getöteten um deutsche Staatsangehörige handelt.
Bislang liegen jedoch keine belastbaren Informationen
vor.
Da ich wusste, dass Sie heute nachhaken, habe ich
noch einmal in unserer deutschen Botschaft in Islamabad
angerufen und mich erkundigt, welche Maßnahmen
nachträglich noch unternommen worden sind. Sie müs-
sen natürlich auch verstehen, dass die Umstände für die
pakistanischen Behörden vor Ort extrem schwierig sind,
weil – was Sie sicherlich auch wissen – das pakistani-
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Jetzt muss ich ein bisschen heftig werden. Die Bun-
esregierung besteht ja nicht nur aus dem Auswärtigen
mt, und nachgeordnete Stellen sind nicht nur die Bot-
chaften. Haben Sie, bevor Sie diese Antwort gegeben
aben, an deren Richtigkeit ich – um es einmal ganz
ilde auszudrücken – erhebliche Zweifel habe, einmal
m Bundeskanzleramt nachgefragt, ob es Informationen
ber die Identität der Getöteten gibt, ob es sich dabei um
eutsche Staatsangehörige handelt?
C
Dem Bundeskanzleramt stehen ebenso wie dem Aus-
ärtigen Amt im Moment keine anderen Fakten zur Ver-
ügung. Wir stehen natürlich – auch in dieser Frage – in
tändigem Austausch mit dem Bundeskanzleramt.
Ich rufe auf die Frage 4 des Kollegen Ströbele:
Welche Informationen zur Ortung oder Identifizierung
über den deutschen Staatsbürger A. S., der in Kabul im Juni
2010 verhaftet wurde, als er auf dem Weg zur deutschen Bot-
schaft gewesen sein soll, der seither auf dem US-Stützpunkt
Bagram inhaftiert ist und nun in die USA verbracht werden
soll, haben deutsche Stellen zuvor afghanischen oder US-
Sicherheitsstellen – direkt oder indirekt, etwa über ISAF –
übermittelt , und
welche Bemühungen wurden von deutscher Seite nach Kennt-
nis der Bundesregierung vor und nach der Festnahme unter-
nommen, um die Rückkehr des A. S. nach Deutschland zu er-
reichen?
C
Ich möchte die Frage des Abgeordneten wie folgt be-ntworten:Es wurden keine Daten übermittelt, die nach Kenntniser Bundesregierung im Sinne der Fragestellung hättenerwendet werden können. Die Bundesregierung hatich gegenüber der Regierung der Vereinigten Staatenon Amerika dafür eingesetzt, dass der Inhaftierte, derowohl deutscher als auch afghanischer Staatsangehöri-er ist, zum Zwecke der Strafverfolgung in die Bundes-epublik Deutschland zurückgeführt wird. Gegen den In-aftierten besteht ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs
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7118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Staatsministerin Cornelia Pieper
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wegen des dringenden Verdachts der Mitgliedschaft ineiner terroristischen Vereinigung im Ausland.
Nachfrage, Kollege Ströbele?
Meine Frage war ganz eindeutig. Ich wollte wissen,
ob überhaupt Informationen geliefert werden. Es ging
mir nicht darum, dass Sie jetzt sagen, dass zu irgend-
einem in meiner Frage gar nicht angesprochenen Zweck
Informationen geliefert werden.
Also, sind von bundesdeutscher Seite, von deutschen
Behörden, Informationen über diesen Herrn Sidiqi – so
heißt er ja, wie wir inzwischen wissen – an die US-Be-
hörden geflossen? Wenn ja, welche?
C
Herr Abgeordneter Ströbele, Sie haben bereits im
Parlamentarischen Kontrollgremium über diese Frage
beraten, soweit ich weiß. Sie werden dort sicherlich wei-
terhin die Möglichkeit haben, auch von der Bundesregie-
rung Auskunft zu erhalten. Ich möchte Ihre Frage noch-
mals nachdrücklich mit Nein beantworten.
Weitere Nachfrage?
Welche Bemühungen hat die Bundesregierung unter-
nommen, um – Sie haben ja zu Recht darauf hingewie-
sen, dass gegen diesen Mann in Deutschland ein straf-
rechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist – diese
Person nach Deutschland zurückzuholen und damit den
deutschen Strafverfolgungsbehörden zuzuführen?
C
Wir haben in der Tat mehrmals Bemühungen unter-
nommen. Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin
dafür einsetzen, dass inhaftierte deutsche Staatsangehö-
rige im Einklang mit den Bestimmungen des humanitä-
ren Völkerrechts und unter Beachtung der Menschen-
rechte behandelt werden.
Darüber hinaus liegt es im Interesse der Bundesregie-
rung, dass – wie ich schon sagte – es sehr bald zu einer
Überführung des Genannten nach Deutschland kommt
und seine Verurteilung hier vor Ort in Deutschland er-
folgt.
Danke schön. – Wir kommen nun zu Frage 5 der Ab-
geordneten Inge Höger, die sich wohl mit dem gleichen
Sachverhalt beschäftigt.
Welche Schritte über Forderung nach Auslieferung an die
Bundesrepublik Deutschland durch die Staatsanwaltschaft hi-
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und Behandlung des Gefangenen hat der deutsche Diplomat,
der A. S. am 3. Oktober 2010 in Bagram besuchte, erlangen
können?
C
Ich beantworte die Frage der Abgeordneten Höger:
er Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse
ber den Tod einer Person in US-Gewahrsam in Bagram
or. Die Bundesregierung hat sich gegenüber der Regie-
ung der Vereinigten Staaten von Amerika dafür einge-
etzt – wie ich schon sagte –, dass der Inhaftierte, der so-
ohl deutscher als auch afghanischer Staatsangehöriger
st, zum Zwecke der Strafverfolgung in die Bundesrepu-
lik zurückgeführt wird. Bei dem von Ihnen erwähnten
esuch konnte sich ein Mitarbeiter der Deutschen Bot-
chaft Kabul davon überzeugen, dass der Inhaftierte in
uter gesundheitlicher Verfassung ist.
Nachfrage?
Welchen rechtlichen Status hat der Gefangene Ahmad S.
ach Ihrer Einschätzung: Kombattant, Kriegsgefange-
er oder Zivilist? Welche Handlungsverpflichtungen er-
achsen daraus für die Bundesregierung?
C
Der rechtliche Status, Frau Abgeordnete, ist sicher
indeutig geregelt. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass gegen
en Inhaftierten ein Haftbefehl wegen des Verdachts der
itgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im
usland besteht und dass der Strafgefangene nach seiner
berführung hier nach §§ 129 a und 129 b Strafgesetz-
uch angeklagt wird.
Weitere Nachfrage?
Sitzen nach Erkenntnissen der Bundesregierung wei-
ere deutsche Staatsangehörige in Gefängnissen in Af-
hanistan?
C
Uns liegen keine weiteren Erkenntnisse vor.
Vielen Dank. – Die Frage 6 des Kollegen Hunko so-ie die Fragen 7 und 8 des Kollegen Mützenich aus die-em Geschäftsbereich sollen schriftlich beantwortet wer-en. Deswegen bedanke ich mich bei Ihnen, Frautaatsministerin.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7119
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht derParlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergnerzur Verfügung.Zunächst kommen wir zur Frage 9 des KollegenKoppelin:Findet durch das Bundesverwaltungsamt die inhaltlichePrüfung von Internetseiten von Zuwendungsempfängern desBundes statt?D
Herr Kollege Koppelin, das Bundesverwaltungsamt
als ein zentraler Dienstleister des Bundes, gleichzeitig
nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern, ist für mehrere Ressorts mit
der administrativen Bearbeitung von zuwendungsrechtli-
chen Angelegenheiten beauftragt. Dabei prüft das Bun-
desverwaltungsamt im Rahmen seiner Beauftragung die
zweckentsprechende Verwendung von Bundesmitteln
– das die sogenannte Verwendungsnachweisprüfung –
und in diesem Rahmen stichprobenartig gegebenenfalls
geförderte Internetseiten.
Nachfrage, Kollege Koppelin?
Herr Staatssekretär, es ist allerdings so, dass ich einen
Unterschied feststelle zwischen dem, was Sie mir jetzt
sagen, und dem, was Sie mir schriftlich am 1. Oktober
dieses Jahres mitgeteilt haben. Dort hieß es nämlich,
eine inhaltliche Prüfung finde im Rahmen der Erfolgs-
kontrolle in Form von Stichproben durch das Bundesver-
waltungsamt statt. Stichproben sind ja mehr als zufällige
Funde. Hier beziehe ich mich besonders auf das Internet-
portal rusdeutsch.ru, das in russischer Sprache erscheint.
Heißt das, dass beim Bundesverwaltungsamt Experten
sitzen, die der russischen Sprache mächtig sind und
diese Seiten kontrollieren können? Es geht ja vor allem
um den Inhalt.
D
Herr Kollege Koppelin, zunächst einmal ist festzu-
stellen, dass die Seite rusdeutsch.ru auch eine deutsche
Ausgabe unter rusdeutsch.eu hat, dass diese Seiten so-
wohl von der Mittlerorganisation GTZ als auch von den
Fachreferaten begleitet werden, weil die Art der Kom-
munikation auch Teil des Fördergeschehens ist, und dass
die Überprüfung durch das Bundesverwaltungsamt
stichprobenartig, erforderlichenfalls auch unter der Ver-
wendung von Sprachmittlern, stattfinden kann.
Weitere Nachfrage, bitte?
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann sagen, wie
oft diese Seiten in den letzten zwei Jahren auf den Inhalt
überprüft worden sind?
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7120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
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oft solche Genehmigungen für Operationen oder ärztli-che Behandlungen in der Bundesrepublik Deutschlanderfolgt sind?D
Ich kann Ihnen diese Zahl nicht sagen. Aber es han-
delt sich um Ausnahmefälle. Bei der Mitteilung des
Hauses an das Bundesverwaltungsamt, die aus dem
Fachreferat erfolgte, ist auf die Besonderheit dieses Fal-
les und auf die Ausnahmesituation hingewiesen worden.
Vielen Dank.
Damit kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Sevim
Dağdelen:
Ist die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung der
Bundesregierung ein Einwanderungsland?
D
Frau Kollegin Dağdelen, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Eine geregelte und kontrollierte Gestaltung
der Zuwanderung nach Deutschland findet nach Maß-
gabe des deutschen Aufenthaltsrechts statt, das somit be-
stimmt, für welche Personen Deutschland die Funktion
eines Einwanderungslands haben soll.
Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht und gestaltet die
Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme-
und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und
arbeitsmarktpolitischen Interessen unseres Landes. Es
dient zugleich der Erfüllung unserer humanitären Ver-
pflichtungen. Ich verweise auf § 1 Abs. 1 des Aufent-
haltsgesetzes.
Die Zuwanderungssteuerung betrifft im Wesentli-
chen vier verschiedene Gruppen: Ehegatten und Fami-
liennachzug, Asyl- und Flüchtlingsschutz, ausländische
Studierende und Auszubildende sowie Arbeitsmigration.
Die §§ 27 ff. des Aufenthaltsgesetzes bilden den ge-
setzlichen Rahmen für den Aufenthalt aus familiären
Gründen, wie er im Wesentlichen durch Art. 6 des
Grundgesetzes und die Menschenrechtskonvention vor-
gegeben ist.
Die Gewährung von politischem Asyl ist durch
Art. 16 a des Grundgesetzes und die Genfer Flüchtlings-
konvention in Verbindung mit den aufenthaltsrechtlichen
Abschiebungsverboten – § 60 des Aufenthaltsgesetzes –
gesichert. Daneben gibt es Möglichkeiten der Aufnahme
aus humanitären oder politischen Gründen. Ich verweise
auf die §§ 22 ff. des Aufenthaltsgesetzes.
Möglichkeiten des Aufenthalts zum Zweck des
Schulbesuchs, zur Teilnahme an Sprachkursen sowie
zum Zweck des Studiums oder der Ausbildung halten
die §§ 16 ff. des Aufenthaltsgesetzes bereit.
Die Regelung der Arbeitsmigration in den §§ 18 ff.
des Aufenthaltsgesetzes ist als ein Kernstück der Zuwan-
derungssteuerung zu betrachten. Hier steht die Steuerung
der Zuwanderung von Fachkräften – § 18 Abs. 2 und 4 –
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Sevim Dağdelentik. Deshalb möchte ich eine politische Antwort aufmeine Frage. Ich frage daher noch einmal: Ist die Bun-desrepublik Deutschland nach Auffassung der Bundes-regierung – nicht nach Ihrer Auffassung, Herr Staats-sekretär – ein Einwanderungsland?Eine Nachfrage dazu. Nach einer Meldung der Nach-richtenagentur dpa vom 25. Oktober fordert die CSU ineinem Leitantrag der Parteispitze für den Parteitag amkommenden Wochenende mit dem Titel „7-Punkte-Inte-grationsplan“ ein Bekenntnis zur deutschen Leitkultur.Wörtlich heißt es dort:Wer bei uns leben will, muss sich in die deutscheLeitkultur integrieren …Teilt die Bundesregierung diese Forderung? Inwieweitplant die Bundesregierung gesetzgeberisch, ein Bekennt-nis zur deutschen Leitkultur einzuführen?D
Frau Kollegin Dağdelen, die Haltung der Bundes-
regierung, die, wie Sie wissen, aus unterschiedlichen
Koalitionspartnern besteht, ist in der Koalitionsvereinba-
rung in einem umfangreichen Kapitel zur Migration und
Integration festgelegt. Die Frage, welche Rolle politi-
sche Wertungsprozesse in diesem Zusammenhang spie-
len, ist Sache der beteiligten Parteien. Ich mache Sie da-
rauf aufmerksam, dass Sie nicht aus einer Vorlage der
Bundesregierung, sondern aus einem Antrag eines ge-
schätzten Koalitionspartners zu seinem Parteitag zitiert
haben.
Der Kollege Ströbele hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das ist ein Eiertanz; darüber sind
wir uns doch einig. Sie wollen die Frage nicht beantwor-
ten, weil es in den drei die Koalition bildenden Parteien
ganz offensichtlich unterschiedliche Auffassungen dazu
gibt. Die Frage der Opposition ist aber berechtigt, was
Auffassung der Bundesregierung – nicht Ihre – oder
meinetwegen Auffassung der die Richtlinien bestim-
menden Mehrheit der Mitglieder der Bundesregierung in
Bezug auf die Bewertung und die Bezeichnung Einwan-
derungsland ist.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die CSU,
einzelne Abgeordnete einbezogen, betont immer wieder,
dass nach ihrer Auffassung die Bundesrepublik Deutsch-
land kein Einwanderungsland ist, wobei nicht zwischen
klassischem und nichtklassischem Einwanderungsland
unterschieden wird. Die Bundeskanzlerin stellt dies an-
ders dar. Die FDP wiederum behauptet, die Bundesrepu-
blik Deutschland sei ein Einwanderungsland. Gibt es
dazu eine Auffassung der Bundesregierung, wenn ja:
welche?
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7122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
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Verhaltens von Ausländern“, die zum 20. Oktober 2010 beant-wortet sein sollte, und wieso hat die Bundesregierung nichtvon der auf Bundestagsdrucksache 17/3147 ausdrücklich ein-geräumten Fristverlängerungsmöglichkeit Gebrauch gemacht,um meine diesbezüglichen Fragen überhaupt und umfassendbeantworten zu können?D
Die Antworten der Länder liegen noch nicht vollstän-
dig vor. Die Auswertung konnte daher noch nicht abge-
schlossen werden. Aus den bisher vorliegenden Antwor-
ten ergibt sich, dass in den Ländern vielfach keine
Arbeitsstatistiken zu der Nutzung der ausländerrechtli-
chen Sanktionsmöglichkeiten geführt werden. Deshalb
steht hierzu derzeit kein abschließendes Zahlenbild zur
Verfügung.
Von der Tendenz der vorliegenden Einzelzahlen her
ist zu erkennen, dass von den Sanktionstatbeständen bei
nicht ordnungsgemäßer Teilnahme an den Integrations-
kursen – Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis,
Bußgeldverhängung – vielfach nur in geringem Umfang
Gebrauch gemacht wird. Inwieweit dies auf nachvoll-
ziehbaren rechtlichen oder praktischen Gründen beruht
oder als Indiz für ausländerbehördliche Vollzugsdefizite
anzusehen ist, bedarf noch einer eingehenden Analyse.
Im Hinblick auf die angesprochene Möglichkeit der
Fristverlängerung ist anzumerken, dass die Bundesregie-
rung die regelmäßige Praxis verfolgt, auf parlamentari-
sche Anfragen auf Basis des jeweiligen Kenntnisstandes
möglichst fristgerecht zu antworten.
Ihre Nachfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Sie haben ge-
sagt, dass Ihnen die Daten der Landesinnenministerien
noch nicht vollständig vorliegen, aber einige Länder die
Anfrage schon beantwortet haben. Deshalb möchte ich
Sie fragen: Welche Bundesländer haben bis heute noch
keine Auskünfte gegeben? Welche Bundesländer haben
bis zum 20. Oktober dem Bundesinnenministerium ge-
antwortet? Welche Bundesländer konnten zumindest zu
einzelnen Fragen oder Teilbereichen klare Auskünfte er-
teilen, etwa dergestalt, dass von aufenthaltsrechtlich vor-
gesehenen Sanktionen deshalb kein Gebrauch gemacht
wurde, weil es im Zusammenhang mit der Integrations-
kursteilnahme kein vorwerfbares Verhalten in nennens-
wertem Umfang gibt? Wenn Sie nicht fähig sind, jetzt
die Fragen genauestens zu beantworten, würde ich Ihnen
die Möglichkeit geben, mir diese Fragen schriftlich zu
beantworten, aber bitte so schnell wie möglich.
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Frau Kollegin, ich will Ihnen gerne schriftliche Anga-
ben machen. Sie werden verstehen, dass ich jetzt keinen
Überblick darüber parat habe. Ich will trotzdem darauf
hinweisen, dass eine Klassifizierung – Bundesland A hat
soundsoviele Auskünfte gegeben, Bundesland B sound-
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zespaket, zu dem mein Minister vorhin Rede und Ant-wort gestanden hat. Zumindest in einem Aspekt wird da-bei versucht, in Zusammenarbeit mit den zuständigenAusländerbehörden eine Verbesserung der Vernetzungs-möglichkeiten und anderes durch entsprechende Maß-nahmen herbeizuführen.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Die Frage 13 der Abgeordneten Ingrid Hönlinger soll
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut
Koschyk zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Heidrun Dittrich
auf:
Wie will die Bundesregierung vermeiden, dass durch das
weitere Anregen von Sponsoring und die steuerliche Begüns-
tigung von Stiftungen es zu Mindereinnahmen des Staates
kommt und damit die öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr
sozialstaatlich gesichert werden kann?
H
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Kollegin Dittrich,
Millionen Bürgerinnen und Bürger setzen sich tagtäglich
ehrenamtlich für gemeinnützige Zwecke in unserem
Land ein. Über 17 000 Stiftungen in Deutschland unter-
stützen viele gesellschaftliche Bereiche. Sie engagieren
sich im Sozialen, in der Wissenschaft, in der Kunst, in
der Kultur, aber auch im Umweltbereich.
Mit dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürger-
schaftlichen Engagements betont der Staat seine Wert-
schätzung für Menschen, die sich in unserem Land
ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel indem er Ehren-
amtliche steuerlich begünstigt und neue steuerliche An-
reize für die Gründung von Stiftungen und zur Unterstüt-
zung von Stiftungen gesetzt hat. Die hierdurch bedingten
Steuermindereinnahmen bedeuten keineswegs eine Ab-
kehr vom Konsolidierungskurs und gefährden auch
künftig nicht die Handlungsfähigkeit des Staates. Die
Anreize sind nach Ansicht der Bundesregierung gut in-
vestiertes Geld in den Zusammenhalt unserer Gesell-
schaft.
Vielen Dank für die Antwort. – Die Linke sieht das
natürlich anders. Der staatliche Zusammenhalt kann nun
einmal nicht durch Ehrenamtliche und Stiftungen, die
selbst entscheiden, wo sie ihr Geld investieren, und die
dafür steuerlich begünstigt werden, gesichert werden.
Ich frage daher: Sehen Sie eigentlich nicht die Gefahr,
dass die Bundesregierung das von ihr proklamierte Ziel,
die Demokratie zu fördern, nicht erreicht, wenn die Fi-
nanzmittel dieser Spender privat und gezielt eingesetzt
werden? Schließlich unterliegt die Vergabe dieser Mittel
nicht dem Prozess der demokratischen Willensbildung,
sondern die Mittel fließen an den Parlamenten und den
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den. Gleichzeitig konnte man aber den Missbrauch nichtaufdecken.H
Verehrte Frau Kollegin, ich will Ihnen einmal zwei
Fallbeispiele nennen, die deutlich machen, dass es nach
geltendem Recht und nach der geltenden Verordnungs-
lage absolut in Ordnung ist, wenn zum Beispiel ehren-
amtlich Tätige dies tun und es mit einer hauptberuflichen
Tätigkeit verbinden.
Das erste Fallbeispiel ist die Pflege alter, kranker oder
behinderter Menschen bis zu einem Drittel der Arbeits-
zeit eines vergleichbaren Vollzeiterwerbs, wenn sie im
Dienst einer staatlichen, kirchlichen oder gemeinnützi-
gen Einrichtung mit einem monatlichen Entgelt von
400 Euro erfolgt. Hierfür sind vom Arbeitgeber pauscha-
lierte Sozialversicherungsabgaben sowie pauschalierte
Lohnsteuer zu zahlen. Dazu können 175 Euro steuer-
und sozialabgabenfrei gezahlt werden, ohne dass dane-
ben ein Hauptberuf ausgeübt wird.
Das zweite Beispiel ist die Pflege alter, kranker oder
behinderter Menschen bis zu einem Drittel der Arbeits-
zeit eines vergleichbaren Vollzeiterwerbs im Dienst ei-
ner staatlichen, kirchlichen oder gemeinnützigen Ein-
richtung mit einem monatlichen Entgelt von 400 Euro
plus 175 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei neben
einem davon zu unterscheidenden, gänzlich anders gear-
teten Hauptberuf. Dieser kann auch bei demselben Ar-
beitgeber ausgeübt werden. Beispiel: Jemand ist haupt-
beruflich Sekretärin bei einer Wohlfahrtseinrichtung und
übt zusätzlich eine nebenberufliche bzw. ehrenamtliche
Tätigkeit abends oder am Wochenende bei derselben
Wohlfahrtseinrichtung als Pflegekraft oder Rettungssa-
nitäterin aus.
Darin sieht die Bundesregierung keinen Missbrauch
gegenwärtig geltender Gesetze.
Vielen Dank. – Haben Sie eine zweite Nachfrage? –
Bitte schön, Frau Dittrich.
Vielen Dank für die Antwort. Es freut mich, dass der
Bundesregierung die tatsächlichen Verhältnisse in ge-
meinnützigen Organisationen bekannt sind.
Ich möchte fragen, ob die Regierung bereit ist, einen
Gesetzentwurf einzubringen, um die unklare Lage bei
Empfängern von Übungsleiterpauschalen und ehrenamt-
lich Beschäftigten sowie Minijobbern zu beenden, und
zwar dahin gehend, dass ein und dieselbe Person nicht
für 400 Euro arbeiten und gleichzeitig ehrenamtlich als
Übungsleiterin tätig sein darf.
Dazu ein Beispiel: Es gibt den Verbund Sozialthera-
peutischer Einrichtungen mit Sitz in Celle, der vor allem
in Niedersachsen aktiv ist. Dort wurde ein Ehrenkodex
vereinbart: Dieselbe Person darf nicht beide Tätigkeiten
ausüben. Sie haben als Beispiel genannt, dass jemand
morgens als Sekretärin arbeitet und abends als Musik-
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im Umfeld dieser Anlagen durch Übertragungswege, zumBeispiel in Krankenhäusern, aber auch darüber hinaus erhöht?Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz wird die Fragereundlicherweise beantworten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7125
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Herr Präsident! Herr Abgeordneter Ostendorff, die
Studien zeigen, dass Beschäftigte in landwirtschaftlichen
Nutztierbeständen, deren Tiere Träger von LA-MRSA
sind, einem erhöhten Risiko der klinisch inapparenten
nasalen Besiedlung durch die im Bestand vorkommen-
den LA-MRSA ausgesetzt sind. Ein ähnliches Risiko gilt
für Beschäftigte in Schlachthöfen, die Umgang mit le-
benden Tieren vor der Schlachtung haben, sowie für
Tierärztinnen und Tierärzte, die in Nutztierbeständen tä-
tig sind, in denen Tiere Träger von LA-MRSA sind.
Sehr selten erfolgt eine Verbreitung über diesen Perso-
nenkreis hinaus. So erbrachte die gegenwärtig vom Na-
tionalen Referenzzentrum für Staphylokokken am Robert-
Koch-Institut durchgeführte Untersuchung in Altenhei-
men in einer Region mit einer hohen Dichte von Schwei-
nemastanlagen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern
bisher keinen einzigen Nachweis von LA-MRSA. Der
Anteil von LA-MRSA an MRSA aus Krankenhausinfek-
tionen ist gering und lag im Jahr 2009 bei 1,8 Prozent. Die
Ausbreitung im Krankenhaus selbst erfolgt im Unter-
schied zu den krankenhausassoziierten MRSA nur selten.
Die in Deutschland gewonnenen Untersuchungser-
gebnisse sind auch mit Daten aus den Niederlanden ver-
gleichbar. Derzeit gibt es nach unserer Einschätzung
keine Hinweise auf eine allgemeine Verbreitung auf Per-
sonen ohne Kontakt zu den besiedelten Tieren. Aufgrund
der prinzipiellen Möglichkeit der Verbreitung werden
LA-MRSA dennoch von uns als potenzielles Risiko für
den Menschen eingeschätzt und überwacht.
Zusatzfrage? – Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, schönen Dank für die Beantwor-
tung der Frage. Das Robert-Koch-Institut hat auch klei-
nere Tierhaltungen auf Stroh, die zum Programm „Neu-
land“ gehören – in diesem Fall Schweinehaltungen –,
untersucht. Die Untersuchung ergab, dass fast 100 Pro-
zent der dort arbeitenden Menschen keinerlei MRSA-Be-
siedlung zeigten. Das führt mich zu der Frage, ob die
Bundesregierung in ihre Betrachtung einbezieht, dass es
offenbar große Unterschiede je nach Intensität der Tier-
haltung gibt. Die Intensivtierhaltung scheint hier das Pro-
blem zu sein. Wie sieht die Bundesregierung diesen Fakt?
A
Das Robert-Koch-Institut hat dazu eine Studie durch-
geführt. Wir sehen hier Unterschiede. Allerdings haben
wir keine Gefährdungen für nicht in den Beständen tä-
tige und im Umfeld von Beständen tätige Menschen er-
kennen können.
Gestatten Sie mir eine zweite Zusatzfrage? – Planen
Sie – Sie haben das Ergebnis der Untersuchung des
Robert-Koch-Instituts über Beschäftigte, die keinerlei
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deutschen Krankenhäusern vor allem in ländlichen Regionen
mit Intensivtierhaltung vor dem Hintergrund, dass es anders
als zum Beispiel in den Niederlanden keine gesetzlich vorge-
schriebene obligatorische Voruntersuchung von Menschen
aus den einschlägigen Risikogruppen – Nutztierhaltung –
gibt?
A
Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: Präventiv
rfolgte eine Erweiterung der Empfehlung des prästatio-
ären Aufnahmescreenings für MRSA bei Risikopatien-
en auf Beschäftigte in der Landwirtschaft mit Tierkon-
akt sowie auf Tierärzte und Tierärztinnen, um der
erbreitung im Krankenhausbereich vorzubeugen. Dies
st auch dem Epidemiologischen Bulletin des RKI, des
obert-Koch-Instituts, zu entnehmen. Auftreten und Ver-
reitung von LA-MRSA sind zudem ein Schwerpunkt der
uf molekularepidemiologischen Untersuchungen beru-
enden Surveillance-Aktivitäten des Robert-Koch-Insti-
uts, insbesondere des dort angesiedelten Nationalen Re-
erenzzentrums für Staphylokokken. Weiterführende
orschungsarbeiten zur Epidemiologie und zum zoonoti-
chen Potenzial von LA-MRSA werden im Rahmen des
om Bundesministerium für Bildung und Forschung ge-
örderten Forschungsclusters MedVet-Staph ab Novem-
er 2010 durchgeführt; für den Titel sind wir nicht verant-
ortlich.
Wer dafür die Verantwortung zu übernehmen hat, klä-
en wir bei anderer Gelegenheit.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Ostendorff.
Die Begrifflichkeiten waren in der Tat etwas verwir-end. – Letztlich bedeutet das, was Sie gesagt haben,ass in Deutschland, anders als in den Niederlanden,ein obligatorisches Krankenhausscreening durchge-ührt wird.In den Niederlanden waren nur noch 4 Prozent derenschen – diese Zahl wurde uns genannt –, die insrankenhaus gekommen sind, Träger des MRSA-Virus,achdem sie isoliert und behandelt worden sind. Zahlen
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7126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Friedrich Ostendorff
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aus Deutschland, zum Beispiel aus dem Münsterland,deuten auf eine Trägerschaft von weit mehr als20 Prozent der Patienten hin. Angesichts dieser Zahlenund der Ergebnisse, die in den Niederlanden festzustel-len waren, frage ich Sie: Warum ist in Deutschland keinobligatorisches Screening vorgesehen, vor allen Dingenin Gebieten mit sehr großen Stalleinheiten, zum Beispielin bestimmten Teilen des Münsterlandes oder des Olden-burger Landes?A
Herr Abgeordneter Ostendorff, es gibt eine gemein-
same Aktivität, und zwar das Projekt Euregio MRSA-net,
das insbesondere vom Bundesministerium für Gesund-
heit gefördert wird. In diesem Rahmen wird versucht,
über unterschiedliche Situationen Erkenntnisse zu gewin-
nen. Wir haben allerdings festgestellt, dass die angewand-
ten Hygienemaßnahmen, nämlich Isolation, Kittelpflege,
die Verwendung von Mundschutz und Handschuhen so-
wie die Desinfektion der Hände, vom Grundsatz her ver-
gleichbar sind und sich aufgrund der Handhabung keine
Unterschiede feststellen lassen. Durch die Verpflichtung
allein lassen sich Unterschiede letztlich nicht erklären.
Deshalb sind aus unserer Sicht Handhabung und Praxis
entscheidend.
Ich habe eine zweite Frage zum Themenkomplex
MRSA. Wir können den vorliegenden Zahlen auch ent-
nehmen, dass der Antibiotikaeinsatz in Intensivtierhal-
tungen sehr stark steigt und zunehmend zu einem Pro-
blem wird. Sieht das Bundesgesundheitsministerium
hier gesetzlichen Regelungsbedarf? Werden Sie, was den
Antibiotikaeinsatz in Intensivtierhaltungen betrifft, mög-
licherweise zur Tat schreiten und Regelungen treffen,
um die Praxis, dass den Tieren mehr als zwei Drittel ih-
res Lebens Antibiotika verabreicht werden, einzuschrän-
ken?
A
Die Entwicklungen bei der Verabreichung von Anti-
biotika werden im Bundesgesundheitsministerium mit
besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Auch zu diesem
Thema haben wir die Forschungsaktivitäten in unserem
Haus verstärkt.
Wenn wir die Ergebnisse dieser Forschungsaktivitä-
ten ausgewertet haben, wird die Bundesregierung bewer-
ten, ob sie darüber hinausgehende Maßnahmen für erfor-
derlich hält.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Behm, bitte.
Kürzlich ist ein Bekannter von mir, der bis dahin
kerngesund war und nichts mit Landwirtschaft zu tun
hat, wegen eines Aneurysmas ins Herzzentrum eingelie-
fert worden. Nachdem man ihn auf der Intensivstation
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ist auch nicht unser Begriff –, also der Best and Final Of-fers.
Herr Staatssekretär, mir wäre es noch lieber, wenn die
Bundesregierung statt ihres Bedauerns über ihr zugemu-
tete unnötige englische Begriffe freiwillig eine passende
deutsche Übersetzung vortragen würde.
D
Herr Präsident, Sie wissen, dass Bundesminister
Ramsauer sehr viel zu der Deutschoffensive beigetragen
hat,
und wir werden uns auch bei unseren Antworten bemü-
hen, möglichst deutsche Begriffe zu verwenden.
Herr Kollege Paula, als Datum für den Konzessions-
beginn, der Voraussetzung für den Beginn des Strecken-
ausbaus ist, wird Januar 2011 angestrebt.
Zusatzfragen?
Zunächst einmal besten Dank für die Beantwortung,
Herr Staatssekretär. – Ich habe noch eine kurze Nach-
frage. Die Konzessionsvergabe soll im Januar 2011 er-
folgen. Können Sie sich noch zu einer realistischen Pro-
gnose für den Baubeginn äußern?
D
Herr Kollege Paula, wir haben jetzt gerade, zum Ab-
schluss des Jahres, noch die letzten Verhandlungen zu
diesem Vergabeverfahren geführt. Die Konzessionsver-
gabe ist das Entscheidende. Damit beginnt das ganze
Geschäftsverhältnis. Als Folge daraus wird der Konzes-
sionsbeginn somit in 2011 sein. Das Verhältnis zwischen
den Konzessionspartnern beginnt damit also im Januar
2011.
Keine Zusatzfrage. – Dann rufe ich Frage 45 des Ab-
geordneten Paula auf:
Womit wird die Verzögerung, die Zeitungsberichten zu-
folge bei der
Elektrifizierung der Bahnstrecke München–Lindau auftritt,
begründet, und bis wann ist dann stattdessen mit dem Baube-
ginn bzw. der Fertigstellung zu rechnen?
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7128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
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fällt nach dem Grundgesetz in die Zuständigkeit derLänder. Dies gilt auch für die beide in Brandenburg lie-genden Flächen des Truppenübungsplatzes Wittstockund der ehemaligen Heeresversuchsstelle Kummersdorf.Innerhalb der Bundesregierung wird diskutiert, obund gegebenenfalls in welchem Umfang und unter wel-chen Voraussetzungen eine Teilaufnahme in das natio-nale Kulturerbe sinnvoll und möglich ist. Dies kann abererst im Laufe des Fortgangs des Konversionsprozessesin enger Abstimmung zwischen der BImA, also der Bun-desanstalt für Immobilienaufgaben, und dem Bundes-ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit festgelegt werden.
Bitte schön, Frau Behm.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Die
Antworten sind leider nicht so konkret, wie ich es mir
gewünscht hätte. Sie sagen, darüber kann im Verlaufe
des Fortgangs der Übertragung der Liegenschaften ent-
schieden werden. Können Sie in etwa, vielleicht getrennt
nach Liegenschaften, eine Angabe zum Zeithorizont ma-
chen?
Ka
Sie wissen, dass im Koalitionsvertrag festgelegt ist,
eine weitere Tranche, nämlich 25 000 Hektar Bundesflä-
che, an die Länder bzw. an Stiftungen zu übertragen, um
wertvolle Flächen zu sichern. Wir identifizieren gerade
mögliche weitere Flächen für diese zweite Tranche. Die
erste Tranche bestand aus rund 100 000 Hektar. Wir ha-
ben in Bezug auf Flächen der zweiten Tranche mit der
Abfrage an die Länder begonnen. Die Verfügbarkeit sol-
cher Flächen wird geprüft. Die Prüfungen sind aber noch
nicht abgeschlossen.
Das hört sich ja so an, als ob Sie bei der Unterschutz-
stellung tatsächlich an die Übertragung ins nationale
Naturerbe denken. Nun weiß ich, es sind noch etwa
25 000 Hektar offen. Es sind inzwischen, verstreut über
die Republik, aber schon Flächen in einer deutlich höhe-
ren Größenordnung identifiziert worden, die in dieses
nationale Naturerbe passen würden. Das veranlasst mich
zu der Befürchtung, dass bei einer Übertragung von Tei-
len der Kyritz-Ruppiner Heide oder der Kummersdorfer
Heide ins nationale Naturerbe die 25 000 Hektar ausge-
schöpft wären. Oder würde das gegebenenfalls on top
kommen?
Ka
Diese Befürchtungen kennen wir. Sie werden insbe-
sondere durch die Naturschutzverbände geäußert. Des-
wegen laufen Gespräche über die von Ihnen genannten
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Nein. Das kommt gelegentlich vor und ist natürlichöchst bedauerlich, aber leider kein Einzelfall, der zu ei-er besonderen Handhabung Anlass geben würde.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7129
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Die Frage 48 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhlaus demselben Geschäftsbereich sowie die Frage 49 desAbgeordneten Klaus Hagemann und die Frage 50 derAbgeordneten Nicole Gohlke aus dem Geschäftsbereichdes Bundesministeriums für Bildung und Forschungwerden schriftlich beantwortet.Wir sind damit am Ende der Fragestunde.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKERentenkürzung durch Rente erst ab 67 verhin-dernErster Redner in der Aktuellen Stunde ist der KollegeKlaus Ernst für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben durchaus Anlass, uns noch einmalmit diesem Thema zu beschäftigen, nachdem sich nunoffensichtlich auch in der CSU die Einsicht durchzuset-zen scheint, dass man über dieses Thema noch einmalreden muss. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genom-men, das der Parteivorsitzende der CSU gesagt hat – ichzitiere ihn –:Ich werde meine Zustimmung zur Rente mit 67 auf-kündigen, wenn die Wirtschaft Menschen, die über50 sind, nicht beschäftigt. Das habe ich heute auchder Kanzlerin gesagt. Sonst ist das eine reine Ren-tenkürzung, und da mache ich nicht mit.
Der Vorsitzende der CSU hat sich also mit dieserFrage erneut beschäftigt und kommt offensichtlich zuvöllig neuen Erkenntnissen, die allerdings von seinenParteifreunden in einer Weise quittiert werden, dass mansich schon wundert, was zurzeit bei Ihnen los ist.
Ich zitiere Herrn Schlarmann aus dem CDU-Vorstand:Wenn Herr Seehofer dies– die Rente mit 67 –infrage stellt, stört er nicht nur den Koalitionsfrie-den, sondern bestätigt auch diejenigen, die die Re-gierung für handlungsunfähig halten.Jetzt frage ich mich natürlich, meine Damen und Her-ren aus der CDU/CSU: Was ist Ihnen eigentlich wichti-ger? Tatsächlich das Wohl der Bürger in diesem Lande,das Wohl der Menschen, die irgendwann eine Rentebrauchen, oder Ihr Koalitionsfrieden? Wenn sich beieuch von der CSU schon einmal eine Einsicht durch-setzt, dann müsst ihr doch euren Vorsitzenden nicht indnukssdnnudH5dbIa1kabDsb–Sbrd3d3ü–üt
nd ich weiß nicht, warum Sie sich dieser Einsicht in soramatischer Weise verschließen, meine Damen underren.
Zweitens. Wir stellen fest, dass 2004 11 Prozent der5- bis 64-Jährigen arbeitslos waren. Das bedeutet, dassie Gruppe der 55- bis 64-Jährigen an der gesamten Ar-eitslosigkeit im Jahr 2004 mit 11 Prozent beteiligt war.m Jahr 2010 beträgt der Anteil der 55- bis 64-Jährigenn der gesamten Zahl der Arbeitslosen inzwischen6 Prozent. Wir haben also eine steigende Arbeitslosig-eit in genau der Personengruppe, die Sie künftig längerls bis 65 arbeiten lassen wollen. Die sind jetzt schon ar-eitslos. Die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe nimmt zu.
eshalb hat Herr Seehofer vollkommen recht, wenn eragt: Wir müssen diese Frage neu verhandeln und neuesprechen.
Wenn Sie ein Problem mit der Statistik haben, müssenie das mit Herrn Seehofer diskutieren. Offensichtlicheruft er sich ja darauf.Es gibt einen weiteren Punkt, meine Damen und Her-en. In der Antwort auf die Große Anfrage, die wir anie Bundesregierung gestellt haben, wird bestätigt, dass6 Prozent der Betriebe keine Mitarbeiter beschäftigen,ie älter als 50 Jahre sind.
6 Prozent der Betriebe beschäftigen niemanden, derber 50 Jahre alt ist!
Warum regen Sie sich denn so auf? Ich verstehe dasberhaupt nicht. Herr Seehofer hat doch recht. Jetzt un-erstütze ich einmal euren Vorsitzenden, und ihr be-
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7130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Klaus Ernst
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kommt schon wieder einen heißen Hintern. Das mussdoch wirklich nicht sein.
Meine Damen und Herren, wir kommen ja von einerVeranstaltung der IG Metall, an der auch andere Kol-legen des Hauses teilgenommen haben. So kann ich Ih-nen noch ein paar weitere Beispiele nennen: Von den4 800 Beschäftigten der Salzgitter Flachstahl GmbH ist1 Prozent älter als 63 Jahre.
Beim Küchenhersteller SieMatic ist genau einer von400 Beschäftigten 61 Jahre alt, niemand ist älter. Und dawollen Sie an der Rente mit 67 festhalten!Ich kann nur Herrn Hartmut Koschyk von der CSUzitieren, der gesagt hat:Ich halte nichts davon, einmal getroffene politischeEntscheidungen wieder infrage zu stellen – nur weilsich die SPD beim Thema Rente mit 67 vom Ackermacht.Das ist doch Ihr Problem, meine Damen und Herren.Wenn Sie schon einmal ein richtiges Korn herausgepickthaben, sollten Sie auch dabei bleiben. Ich kann HerrnSeehofer nur empfehlen – vielleicht können Sie ihm dasausrichten –, bei seiner Position zu bleiben. Das bayeri-sche Wappentier ist schließlich der Löwe und nicht derflüchtende Hase.Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Herr Ernst hat so getan, als würde heute die Rente mit 67eingeführt werden. Dann hätte er mit all den Beispielen,die er vorgetragen hat, recht. Die Rente mit 67 stelltedann für die meisten Rentnerinnen und Rentner eineRentenkürzung dar.
Nur, Herr Ernst hat uns alle hier mit seinen Beispielenangelogen,
weil die Rente mit 67 nicht heute, sondern erst im Jahr2029 kommt.
DJagsSDwwjghdggDgMsgdgdBvrmdgwnssDaeBhzfe
a bekannt ist, wie viele Kinder in Deutschland geborenurden und wie viele Personen ins Rentenalter kommenerden, wissen wir, dass bis zum Jahr 2025 die Zahl der-enigen, die arbeiten gehen können, also im arbeitsfähi-en Alter sind, um 7 Millionen Personen im Vergleich zueute abnehmen wird. Wir wissen,
ass die Zahl der 15- bis 20-Jährigen – das sind diejeni-en, die sich auf das Berufsleben vorbereiten – im Ver-leich zu heute um 16,8 Prozent zurückgehen wird.
as heißt, der Arbeitsmarkt im Jahr 2029 wird grundle-end anders aussehen als heute. Man wird dann dieenschen nicht mehr in den Vorruhestand schicken,ondern dankbar sein, wenn jemand bereit ist, etwas län-er zu arbeiten. Das ist das, was wir wissen.
Jetzt zu Horst Seehofer. CDU/CSU und SPD haben iner Großen Koalition das Gesetz zur Anpassung der Re-elaltersgrenze bis zum Jahr 2029 verabschiedet undort festgeschrieben, dass die Bundesregierung demundestag vom Jahr 2010, also von diesem Jahr an, alleier Jahre über die Entwicklung der Beschäftigung älte-er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berichtenuss und eine Einschätzung darüber abzugeben hat, obie Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichti-ung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie derirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeit-ehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin vertretbar er-cheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen be-tehen können. Wir nehmen diesen Beschluss sehr ernst.
eshalb wird die Bundesregierung im November einenusführlichen Bericht genau zu diesen Themen vorlegen.Nun hätte ich Verständnis gehabt, wenn die Linkeine Aktuelle Stunde unmittelbar nach Vorlage dieseserichts beantragt hätte. Dass Sie von der Linken füreute eine solche Aktuelle Stunde beantragt haben,eigt, dass Sie das, was wir im Bundestag beschließen,ür völlig irrelevant halten und vor allen Dingen nicht aniner öffentlichen Diskussion über Daten und Fakten in-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7131
Peter Weiß
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teressiert sind. Die Tatsache, dass Sie für heute eine sol-che Aktuelle Stunde beantragt haben, ohne dass der ent-sprechende Bericht vorliegt, zeigt: Sie sind nicht anDaten und Fakten, sondern schlichtweg an Polemik inte-ressiert.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-land zählen auf eine solide Rente. Diese kann man nurmit klaren Berechnungen, beruhend auf Daten und Fak-ten, gewährleisten. Mit Polemik kann man die Rentehöchstens kaputtmachen. Das ist Tatsache.
Gestern Abend hat „Das Demographie Netzwerk“– das ist ein Zusammenschluss von über 200 Betriebenin Deutschland, die mit Förderung des Bundesministe-riums für Arbeit und Soziales neue Wege zur Verbesse-rung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer ausprobieren – hier in Berlinzu einem Parlamentarischen Abend eingeladen. Von derLinken war niemand da; wahrscheinlich ist Herr Ernstwieder Porsche gefahren.
Das zeigt: Die Linke ist nur daran interessiert, hier imBundestag vorzutragen, was in den Betrieben schlechtläuft. Sie hat aber null Interesse daran, darzustellen, wasin den Betrieben gut läuft.
Gestern Abend wurde vorgestellt, dass ältere Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer dann, wenn sich Betriebe –
Herr Kollege!
– ich komme zum Ende – bei Gesundheitsmanage-
ment, Arbeitsorganisation sowie Fort- und Weiterbil-
dung anstrengen, eine Chance haben. Wenn Rente mit 67
eine Perspektive sein soll, muss mit dem Jugendwahn
Schluss sein und es mehr Chancen für ältere Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer geben. Dafür treten wir ein.
Vielen Dank.
Elke Ferner ist die nächste Rednerin für die SPD-
Fraktion.
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err Seehofer hat beispielsweise auch einmal gesagt:Kopfpauschale – nur über meine Leiche.“ Er lebt im-er noch, und das Modell der Kopfpauschale steht kurzor der Beschlussfassung. Insofern steht man ein biss-hen auf wackligen Füßen, wenn man sich auf Herrneehofer bezieht, auch wenn er in der Sache einmalecht hat; denn er wechselt seine Meinungen so schnell,ass man mit dem Schauen kaum noch hinterherkommt.Herr Kollege Weiß, es geht um die Frage, ob wir esor dem Hintergrund der jetzigen Arbeitsmarktsituationerantworten können, 2012 in die Anhebung des Ren-eneintrittsalters einzusteigen. Sie haben soeben kriti-iert, dass wir heute darüber debattieren, obwohl der Be-icht über die Beschäftigungssituation Älterer noch nichtorliegt. Ich hätte gern einmal gehört, dass Sie Frau voner Leyen kritisieren, die ja jetzt schon weiß, dass derinstieg 2012 losgehen kann, obwohl dieser Berichtoch nicht vorliegt.
azu habe ich von Ihnen jetzt nichts gehört.Ich sage Ihnen: Wenn Ihre Einschätzung jetzt schoneststeht, geht das an den Fakten vorbei. Die Fakten hater Kollege Ernst eben genannt. Sie spiegeln sich widern Zahlen, die die von Ihnen getragene Bundesregierungn einer Bundestagsdrucksache als Antwort auf eineroße Anfrage veröffentlicht hat. Fakt ist, dass 9,9 Pro-ent, also weniger als 10 Prozent, der 64-Jährigen in ei-er sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sind.
Jetzt kommt Frau von der Leyen daher und sagt: Naa, es sind eigentlich viel mehr. Klar sind es viel mehr:inbezogen wurden nämlich auch Minijobber – dazu ge-ören teilweise Rentner und Rentnerinnen, die sich zuhrer Rente etwas dazuverdienen – und 1-Euro-Jobber.
o kann man aber die Leute nicht in die Irre führen. Manuss wirklich bei den Fakten bleiben und diejenigenahlen ins Kalkül ziehen, um die es geht. Was ist dennit den 90 Prozent der 64-Jährigen, die heute keiner so-ialversicherungspflichtigen Erwerbsarbeit nachgehen?
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7132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Elke Ferner
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Sollen die Arbeitnehmer später unter Inkaufnahmevon Zwangsabschlägen in Rente gehen müssen, weil sienicht mehr die Arbeit ausüben können, die sie bisher ge-tan haben? Diejenigen, die auf der heutigen IG-Metall-Veranstaltung waren, durften lernen, dass selbst in gro-ßen Betrieben mit einem hohen Organisationsgrad, mitstarken Gewerkschaften und starken Betriebsräten dieArbeitsabläufe Menschen zwangsläufig krankmachen.Glauben Sie denn allen Ernstes, dass die Zustände in allden Betrieben, wo hart und schwer gearbeitet wird, inzwei Jahren überwunden sein werden? Ich glaube dasnicht. Wir müssen daran arbeiten; das ist wohl richtig.
Niemand hier bestreitet, dass die Beschäftigungssitua-tion der Älteren verbessert worden ist. Aber wir be-streiten, dass das ausreichend ist, um im Jahre 2012 denEinstieg in die Anhebung des Renteneintrittsalters zuvollziehen. Das geht unter den jetzigen Bedingungennicht.Wir brauchen auch flexiblere Übergänge. Sie weigernsich, die geförderte Altersteilzeit zu verlängern.
Wir brauchen eine Brücke für die Älteren, die, aus wel-chen Gründen auch immer, nicht mehr können, und eineBrücke für die Jüngeren, damit sie eine Ausbildung ma-chen oder nach ihrer Ausbildung im Betrieb bleiben kön-nen.Was im Moment stattfindet, ist aus meiner Sicht einwenig schizophren. Diejenigen, die heute nach Fachkräf-ten rufen, sind diejenigen, die sich in der Vergangenheitum die Erfüllung ihrer Ausbildungspflicht gedrückt ha-ben. Das ist die Wahrheit.
Diejenigen, die verlangen, wir müssten das Erwerbsper-sonenpotenzial besser ausschöpfen, sind diejenigen, diees versäumt haben, insbesondere Frauen und ÄlterenVollzeitbeschäftigung zu ermöglichen. Ebendiese Frauenund Älteren sind heute teilweise in Teilzeitbeschäfti-gung, obwohl sie es nicht wollen. Es gibt keine familien-freundlichen Arbeitszeiten, und die Rahmenbedingun-gen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind leiderimmer noch nicht gut genug.Angesichts dieser Notwendigkeiten und noch nichtausgeschöpften Möglichkeiten können wir 2012 nichteinsteigen. Wir brauchen mehr flexible Übergänge. Dazuhaben wir Vorschläge erarbeitet, und wir werden diesauch noch in einer Arbeitsgruppe, die wir eingesetzt ha-ben, vertiefen. Wir brauchen weiterhin die geförderteAltersteilzeit, und vor allen Dingen brauchen wir, um dieREsakcdwSrasSddckAwddKdHesm
ie nehmen lieber Altersarmut in Kauf,
Frau Kollegin!
Sie nehmen lieber in Kauf, dass ein großer Teil unse-
er Gesellschaft, der arbeiten will, nicht in dem Umfang
rbeiten kann, wie er das gerne möchte. Mit dem Ein-
tieg in die Verlängerung der Lebensarbeitszeit –
Liebe Frau Ferner!
– gehen Sie den falschen Weg, nämlich den zweiten
chritt vor dem ersten.
Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen,
ass nach unseren Regelungen der einzelne Redner in
er Aktuellen Stunde nicht länger als fünf Minuten spre-
hen darf. Das bedeutet im Umkehrschluss: Notfalls
önnen es kürzere Redezeiten sein.
ber die üblicherweise vom amtierenden Präsidenten er-
artete Großzügigkeit bei der Bewirtschaftung der Re-
ezeit lässt unsere Geschäftsordnung für Aktuelle Stun-
en gar nicht zu.
Dass das machbar ist, wird nun der Kollege Heinrich
olb nachweisen, der als Nächster für die FDP-Fraktion
as Wort erhält.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Präsident, das Problem besteht ja auch darin, dasss in der Aktuellen Stunde keine Zwischenfragen gibt,odass es heute wirklich bei den fünf Minuten bleibenuss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7133
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Gott sei Dank!
Ich will mich also in den einzelnen Punkten kurzfas-sen.Ich danke dem bayerischen Ministerpräsidenten HorstSeehofer, dass wir heute wieder einmal die Möglichkeithaben, uns über die Rente mit 67 auszutauschen.
Ich habe mir natürlich auch Gedanken gemacht; dennman ist ja immer bemüht, etwas Neues in die Debatteeinzubringen. Heute habe ich mir überlegt, Frau Ferner:Warum führen wir die Diskussion eigentlich so drama-tisch, als ob es den Untergang des Abendlandes bedeu-tet, wenn die Lebensarbeitszeit verlängert wird? Ichhabe einmal nachgeschaut, wann eigentlich die Alters-grenze von 65 Jahren festgelegt worden ist. Für Ange-stellte war das 1911 und für Arbeiter 1916 – für den Kol-legen Birkwald habe ich auch die Quelle dabei.
Damals betrug die durchschnittliche Lebenserwartungder Frauen 48 Jahre und die der Männer 45 Jahre. Heuteliegt sie sowohl bei Männern als auch bei Frauen unge-fähr 30 Jahre höher.
Vor diesem Hintergrund halte ich es jedenfalls nichtfür vollkommen unanständig, dass man darüber nach-denkt, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, obwohl ich– das wissen Sie – kein Freund von starren Altersgren-zen bin, sondern mich in diesem Zusammenhang eherfür flexible Lösungen ausspreche.
Ich will es hier sehr deutlich sagen: Eine lange Er-werbsteilhabe, allerdings auf der Basis einer eigenenfreien Entscheidung, ist für uns nichts Schlechtes. Wirreden doch in vielen Bereichen über Teilhabe. JungeMenschen, behinderte Menschen, alle sollen teilhabenam gesellschaftlichen Leben. Die Erwerbsarbeit ist einganz wesentlicher Aspekt des gesellschaftlichen Lebens.Daher sollte uns die Frage umtreiben, wie man es orga-nisieren kann, dass Menschen möglichst lange dabeiblei-ben können, und es sollte nicht um die Frage gehen, wieman sie möglichst früh aus dem Erwerbsleben heraus-bringen kann, was lange das Dogma auch in den Füh-rungsetagen deutscher Unternehmen gewesen ist. Daswill ich hier sehr deutlich sagen, Herr Ernst.
– Aber nicht in DAX-Konzernen, Frau Kollegin Ferner.Wir haben das auch korrigiert.sbASUwdswdswsEFdmddcdsVeWrzüoFsAAbagMsDaW
rau Ferner, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen voner SPD müssen sich fragen lassen: Haben Sie denn da-als ernsthaft mehr erwartet? Der Trend ist sowohl iner Altersgruppe zwischen 55 und 60 Jahren als auch iner Altersgruppe zwischen 60 und 65 Jahren ungebro-hen positiv. Das heißt, wir dürfen vor allem angesichtser demografischen Entwicklung davon ausgehen, dassich das in den nächsten Jahren weiter verbessern wird.or diesem Hintergrund – das muss ich sagen – halte ichs auch für verantwortbar, Frau Kollegin Ferner, deneg weiterzugehen, den Franz Müntefering, der von Ih-er Partei gestellte Bundesarbeitsminister, damals aufge-eigt hat. Er hat gesagt: Wir wollen das probieren. Wirberprüfen regelmäßig,
b der Arbeitsmarkt das hergibt. – Obwohl ich keinreund der Rente mit 67 bin und damals dagegenge-timmt habe, muss ich sagen:
ngesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt imllgemeinen – wir werden in Kürze erleben, dass die Ar-eitslosenzahlen auf unter 3 Millionen sinken werden –,ber auch im Speziellen – damit meine ich die Beschäfti-ungsquote Älterer –, gibt es keinen Grund, diesesüntefering’sche Projekt zum jetzigen Zeitpunkt zutoppen.
as heißt, wir werden 2012 damit beginnen, die Lebens-rbeitszeit Jahr für Jahr um einen Monat zu verlängern.ir werden auch in vier Jahren wieder gucken,
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7134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Dr. Heinrich L. Kolb
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wie es gelaufen ist. Ich sage Ihnen voraus: Wir werdenfeststellen, dass sich die Dinge
– warten Sie erst einmal ab, Frau Ferner – im Sinne derÄlteren weiter zum Positiven entwickelt haben werden.
Deswegen sollten Sie jetzt nicht mauern, Frau Kolle-gin Ferner. Ihr Beschluss von damals zum § 154 SGB VIverpflichtet Sie, wenn Sie ihn ernst nehmen, alternativeMaßnahmen vorzulegen – das steht auch in § 154 –, da-mit sowohl das Versorgungsniveau als auch das Bei-tragssatzziel eingehalten werden können.
Diese Verpflichtung hätten Sie.Wir sind nach wie vor auf einem auch für mich er-staunlichen Weg. Ich hätte nämlich nicht gedacht, dasssich –
Herr Kollege!
– Entschuldigung, Herr Präsident – die Erwerbsbetei-
ligung Älterer so verbessern lässt. Aber es ist passiert,
und insofern denke ich, dass man die Dinge so laufen
lassen kann, wie sie zurzeit laufen. Wir werden bei Gele-
genheit wieder darüber diskutieren. – Ich habe jetzt lei-
der um 23 Sekunden überzogen, Herr Präsident.
Ja, die ziehen wir beim nächsten Mal ab.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Strengmann-
Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
nehme Sie beim Wort, was die 23 Sekunden bei Herrn
Kolb angeht. Er kann es gut gebrauchen.
Sie haben hoffentlich nicht den Eindruck gewonnen,Sie bekämen diese jetzt zusätzlich.
Auch ich bin relativ erstaunt, dass wir heute schonwieder über die Rente mit 67 debattieren – wir haben dasja erst letzte Sitzungswoche gemacht –, nur weil HorstSmgvBdlErkksBeDatAe6tbsIamLhruLsAwdwfLsBD
Es kommen gleich die üblichen Reflexe. Die Bundes-egierung sagt, die Rente mit 67 müsse auf jeden Fallommen, wohl wissend, dass es diese Überprüfungs-lausel gibt – Herr Weiß hat sie gerade zitiert –, in derteht: Die Bundesregierung muss auf der Basis dieseserichts hier im Bundestag darlegen, ob der Zeitplan soingehalten werden kann oder nicht.
iesen Bericht gibt es zwar noch nicht,
ber die Bundesregierung hat schon vor ein paar Mona-en gesagt: Komme, was wolle, wir machen es einfach. –uch das geht eigentlich nicht.Der andere Reflex kommt von der Linkspartei, die sotwas natürlich gerne aufnimmt und sagt: Die Rente mit7 muss weg. – Damit macht sie es sich unseres Erach-ens viel zu einfach. Denn in der Tat geht es darum, zueurteilen, wie die Situation jetzt aussieht und wie sieich in den nächsten 20 Jahren entwickeln wird.
nsofern bin ich gespannt, ob der Bericht dazu Lösungenufzeigt. Wenn man sich die Situation jetzt anguckt, souss man Ihnen recht geben – und da stimme ich deninken auch zu –: Die Voraussetzungen sind nicht vor-anden.
Sie haben die Zahlen genannt: 9,9 Prozent der 64-Jäh-igen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Fürns ist es wichtig, dass die Menschen in ihrem gesamtenebensverlauf gute Arbeitsbedingungen haben, damitie länger arbeiten können; hier gibt es noch viel zu tun.uf der Veranstaltung der IG Metall, auf der ich auchar, hat man an Einzelbeispielen aufgezeigt, wie sicher Arbeitsdruck verdichtet und dass in den Betrieben zuenig Gesundheitsprävention erfolgt. Unsere Schluss-olgerung daraus ist aber eine andere als die, die dieinke daraus zieht. Die Linke sagt: Die Bedingungenind schlecht, also geht das Ganze nicht. Wir sagen: Dieedingungen sind schlecht, und wir müssen sie ändern.arum geht es.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7135
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Wir müssen etwas tun, um Verbesserungen zu erreichen,um gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, um Weiterbil-dungsmöglichkeiten auch für Menschen in höherem Al-ter zu schaffen. Wir brauchen auf Ältere zugeschnitteneArbeitsmarktprogramme, damit die Arbeitslosigkeit indieser Gruppe abnimmt.All das sind Maßnahmen, um zu verhindern, dass dieRente mit 67 eine Rentenkürzung nach sich zieht. Das istunser wesentliches Ziel: Die Rente mit 67 soll keineRentenkürzung zur Folge haben, sondern etwas Positi-ves für die Menschen sein, die Beitragszahlerinnen undBeitragszahler, aber auch die Rentnerinnen und Rentner.Aber jenseits der Arbeitsmarktentwicklung gibt esnoch mehr Stellschrauben, an denen die Politik drehenkann. Da höre ich von der Bundesregierung bisher nichtviel. Erstens. Was ist mit der Schaffung flexiblerer Mög-lichkeiten, zum Beispiel in Bezug auf die Teilrente, dieHerr Kolb öfter im Mund führt? Die FDP spricht immerdavon; es passiert aber nichts, es gibt keine Vorschlägedazu.
Zweitens. Bei der Erwerbsminderungsrente halten wirden Anstieg der Grenze für die abschlagsfreie Alters-rente von 63 auf 65 Jahre im Zusammenhang mit derAnhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre für völ-lig falsch; denn Erwerbsminderung sucht man sich nichtaus; man ist erwerbsgemindert oder man ist es nicht.Deshalb muss die Grenze für die abschlagsfreie Alters-rente bei 63 bleiben. Punkt.
Drittens müssen wir verhindern, dass bei den Men-schen, die früher in Rente gehen müssen, weil sie nichtlänger arbeiten können, die Rente mit 67 zur Armutführt. Das heißt, wir brauchen ein stabiles soziales Netz.Wir müssen Maßnahmen gegen Armut ergreifen. Auchda gibt es bisher noch nicht viel außer der vagen Ankün-digung einer Kommission. Ich bin gespannt, was nächs-tes Jahr dabei herauskommt. Aber konkrete Vorschlägegibt es dazu noch nicht. Wir müssen sehen, dass wir Ar-mut im Alter grundsätzlich bekämpfen. Gerade im Hin-blick auf die Rente mit 67 ist das besonders wichtig. Un-ser Ziel ist, dass das Rentenniveau der Menschen, die ihrLeben lang gearbeitet und länger als 30 Jahre in dieRente eingezahlt haben, wenigstens über dem Grund-sicherungsniveau liegt. Das ist für uns eine wesentlicheBedingung für die Rente mit 67.Wichtig für uns ist also: Wir müssen die Rahmenbe-dingungen schaffen. Das ist auf politischer Ebene mög-lich. Die Bundesregierung macht bisher allerdingsnichts. Wir werden ab 2013 darangehen, die Rahmenbe-dingungen für die Rente mit 67 zu schaffen. Wenn dieseerfüllt sind, dann ist es meines Erachtens auch vertretbar,die Rente mit 67 einzuführen und den Weg dahin zu ge-hen.Danke schön.CWuS–AllflSFrtngkPaaKehdbüdird
Max Straubinger ist der nächste Redner für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!ir haben einen guten Parteivorsitzenden,
nd den werden wir auch behalten, lieber Kollege Antonchaaf.
Viele, viele Jahre, weit länger, als Sie denken können.
us diesem Grund erübrigt sich eine solche Diskussion.Die Linke hat heute wiederum eine verkürzte Darstel-ung der Aussagen unseres Parteivorsitzenden zum An-ass genommen, eine Debatte über die Rente mit 67 zuühren. Ihre Darstellung, Herr Kollege Ernst, ist natür-ich verkürzt. Denn unser Parteivorsitzender, Horsteehofer, hat dies im Zusammenhang mit der ständigenorderung von Arbeitgebern nach vermehrter Zuwande-ung von Fachkräften gesagt. Es kann nicht sein, dass äl-ere Bürgerinnen und Bürger, erfahrene Arbeitnehmerin-en und Arbeitnehmer vorzeitig in den Ruhestandeschickt werden und gleichzeitig der Ruf nach Fach-räften aus Drittstaaten und der ganzen Welt ertönt.
Zunächst einmal ist es wichtig, die demografischenrobleme, die es nicht nur in unserem Land gibt, sondernuch in anderen Ländern in Europa und darüber hinaus,us eigener Kraft zu lösen. Ich glaube, dass die Großeoalition unter Arbeitsminister Franz Müntefering hierine richtige Entscheidung in der Rentengesetzgebungerbeigeführt hat; denn – der Kollege Kolb hat bereitsarauf hingewiesen – die steigende Lebenserwartung ge-ietet es mit Blick auf die Generationengerechtigkeit,ber eine längere Lebensarbeitszeit nachzudenken undiese ins Gesetz zu schreiben.Die Handlungsoptionen sind nur begrenzt. Niemandn diesem Haus will sie unterschreiben, denn es geht da-um, entweder die Rente zu kürzen, riesige Beiträge aufie im Erwerbsleben stehenden Personen abzuwälzen –
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7136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Max Straubinger
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-oder die Wochenarbeitszeit zu verlängern. Unter diesenGesichtspunkten war es vernünftig, die Lebensarbeits-zeit auf 67 zu verlängern, und das über einen langenZeitraum hinweg, nämlich bis zum Jahr 2029.Ich bin besonders stolz darauf, dass insbesondere aufInitiative der CSU eingeführt wurde, dass jemand, der45 Beitragsjahre oder gleichgestellte Beitragszeiten hin-terlegt hat, mit dem 65. Lebensjahr ohne Abschlag inRente gehen kann. Das kommt besonders Menschen mithandwerklichen Berufen und auch Menschen, die aufBaustellen arbeiten, zugute, weil sie relativ früh mit derLehre beginnen. So hat man diese sozialpolitische He-rausforderung gemeistert.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es geht auch umdie Frage der Arbeitsmöglichkeiten für ältere Bürgerin-nen und Bürger. Hier haben wir eine gewaltige Aufgabevor uns. Arbeitsplätze in unseren Betrieben müssen na-türlich – Herr Strengmann-Kuhn, hier gebe ich Ihnenausdrücklich recht – auf die älteren Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer abgestellt und auch weiterentwickeltwerden.
Ich bin überzeugt, dass wir hier gute Vorgaben bringenwerden.Entscheidend ist, zuerst zu versuchen, die bei uns ar-beitslos gemeldeten Menschen in Arbeit zu bringen, ins-besondere die Älteren, wie es uns zunehmend gelingt,Herr Kollege Ernst.
Ich wehre mich dagegen, dass die ganze Zeit nur Rufekommen, dass Arbeitsplätze mit Zuwanderern aus Dritt-staaten besetzt werden sollen.
Vielleicht noch eines, weil auch dies in diesem Zu-sammenhang zu berücksichtigen ist. Ab und zu wird be-richtet, unser Arbeitsmarkt sei vernagelt. Ich habe mirheute die Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit ge-ben lassen. Ich war überrascht: Über 100 000 Menschenaus Drittstaaten haben einen Antrag gestellt – oder vonderen Arbeitgebern ist ein Antrag gestellt worden –, umnach einer Vorbehaltsprüfung Arbeit in Deutschland auf-zunehmen. Davon sind allein im Jahr 2009 fast 90 000Anträge positiv beschieden und ist die Genehmigung er-teilt worden.
Herr Straubinger!
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Der Redner hat zum Schluss noch für die Aufmerk-
amkeit danken wollen. Das trage ich hiermit nach.
Der nächste Redner ist nun der Kollege Josip
uratovic für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Manchmal wundert man sich, was al-es möglich ist.
in Unions-Ministerpräsident fordert zur Rente mit 67as, was im Gesetz steht, nämlich eine Überprüfung derrbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmer.
ofort gibt es in den Reihen der Unionsfraktionen einenufruhr. Kolleginnen und Kollegen von der Union, dauss ich mich doch wundern. Sie kritisieren Herrneehofer dafür, dass er sich an das Gesetz halten will.
Erlauben Sie mir, Folgendes in Erinnerung zu rufen:ie vornehmste Aufgabe der Politik ist es, sicherzustel-en, dass Menschen, die drei Viertel ihres Lebens anstän-ig gearbeitet haben und unseren Wohlstand zum Teilnter schwierigsten Bedingungen gesichert haben, imlter ein menschenwürdiges Leben mit einer fairenente haben.Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor der schwie-igen Aufgabe, die Rente zukunftsfest zu machen. Durchen demografischen Wandel und veränderte Erwerbsbio-rafien haben wir immer weniger junge Menschen, undiese steigen auch noch immer später ins Berufslebenin. Außerdem werden die Menschen dank fortschrittli-her medizinischer Versorgung Gott sei Dank immer äl-er. Deshalb haben wir 2007 verantwortungsvoll undrotz aller Proteste den stufenweisen Einstieg in dieente mit 67 beschlossen, die 2029 voll zum Tragenommen soll.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7137
Josip Juratovic
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Allerdings müssen wir in unserer Arbeitswelt Voraus-setzungen dafür schaffen, dass die Menschen tatsächlichlänger arbeiten können. Das haben wir Sozialdemokra-ten bereits bei der Gesetzgebung angemahnt. Deshalbhaben wir die sogenannte Überprüfungsklausel bewusstin das Gesetz geschrieben und nicht, wie es die Unionwollte, nur in die Präambel.
Heute sehen wir: Das war richtig und wichtig.
Die Überprüfungsklausel stellt uns vor zwei Fragen:Erstens. Wie viele Menschen arbeiten bereits heute undunter welchen Bedingungen bis 65? Zweitens. Was istmit denjenigen, die es nicht bis 65 schaffen?Ich freue mich, dass wir weltweit für unsere florie-rende Wirtschaft gelobt werden. Aber zu welchen Be-dingungen haben wir dieses Wachstum? Fakt ist: DerLeistungsdruck im produzierenden und im Dienstleis-tungsgewerbe wird immer größer. Die Auslastung derBeschäftigten liegt bei über 95 Prozent. Die Anzahl derpsychischen Erkrankungen nimmt gewaltig zu. Viele Ar-beitnehmer können unter den heutigen Arbeitsbedingun-gen nicht bis 65 arbeiten, geschweige denn bis 67. DieWirtschaft hat mittlerweile zwar erkannt, dass sie in Zu-kunft nicht auf ältere Fachkräfte verzichten kann. Aller-dings fallen Vorhaben zur Schaffung besserer Arbeitsbe-dingungen stets dem Wettbewerb zum Opfer.Aber nicht nur die Wirtschaft, auch die Bundesregie-rung muss etwas tun. Es ist falsch, dass Sie von der Re-gierung Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen für ältereArbeitnehmer kürzen. Es ist falsch, dass Sie die Renten-versicherungsbeiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfän-ger einsparen wollen.
Diese 1,8 Milliarden Euro fehlen dann in der Rentenver-sicherung. Dadurch werden noch mehr Menschen in dieGrundsicherung getrieben. Es ist falsch, dass Sie sichnicht um die Erwerbsminderungsrente kümmern. DasArbeitsministerium selbst sagt, dass gerade einmal21,5 Prozent der 60- bis 64-Jährigen sozialversiche-rungspflichtig beschäftigt sind. Darunter sind viele inTeilzeit, in Leiharbeit oder sie haben eine befristeteStelle. Das sind keine guten Voraussetzungen, um dieRente mit 67 umzusetzen. Deshalb ist es wichtig, dasswir die Überprüfungsklausel ernst nehmen.
Herr Seehofer hat dies offensichtlich verstanden und willnach dem Gesetz handeln.Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,das Parlament erwartet von Ihnen im November einenehrlichen und aussagekräftigen Bericht. Das sind Sie denMstFdDdsnuvgMmEILSskRcPWguAdRzDrvM
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Spitzenreiterposi-
ion im Zeitmanagement der Aktuellen Stunde.
Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Iner Tat debattieren wir häufig über die Rente mit 67.ies ist kein Schaden; denn man lernt immer etwasazu.Auch kurz vor der Sommerpause haben wir über die-es Thema diskutiert. Dabei habe ich nicht etwas von Ih-en, sondern etwas über Sie gelernt, liebe Kolleginnennd Kollegen der Linkspartei. Der Kollege Peter Weißon der Union hat Ihnen damals erklärt, was der demo-rafische Wandel bedeutet, nämlich dass immer mehrenschen älter werden und immer weniger Arbeitneh-er für die Rente dieser Menschen einzahlen.
s gab dann einen bemerkenswerten Zwischenruf aushren Reihen, dass die Produktivität ja steigen würde.iebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,ie malen nicht nur ein falsches Bild von der Gegenwart,ondern auch ein zu hoffnungsfrohes Bild von der Zu-unft. Ich bin der Meinung, dass wir ein bisschen mehrealismus walten lassen sollten. Gerade wir von derhristlich-liberalen Koalition verstehen etwas von einerolitik, die Wirtschaftswachstum fördert.
ir glauben aber nicht, dass sich das Problem des demo-rafischen Wandels allein mit gesteigerter Produktivitätnd größerem Wirtschaftswachstum lösen lässt.
ll das ist viel zu unsicher.Sicher ist aber beispielsweise, dass im Jahr 2012, inem wir überhaupt erst mit der Entwicklung hin zurente mit 67 beginnen – erst im Jahr 2029 kommt sieur vollen Wirkung –, erstmalig mehr Menschen ineutschland ihren 65. Geburtstag feiern werden als ih-en 20. Geburtstag. Im Jahr 2029, wenn die Rente mit 67ollumfänglich in Wirkung tritt, werden 1,35 Millionenenschen in den Ruhestand gehen.
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7138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Pascal Kober
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Ihnen stehen diejenigen gegenüber, die zu diesem Zeit-punkt ins Erwerbsleben eintreten werden.
Dazu zählen unter anderem diejenigen, die letztes Jahrgeboren sind, nämlich – wir wissen es ganz genau –651 000. Jetzt stehen sich diese beiden Zahlen, die Sienicht leugnen können, gegenüber:
1,35 Millionen Menschen, die im Jahr 2029 das Ren-tenalter erreichen, und 651 000 Personen, die dann unge-fähr in dem Alter sind, mit der Arbeit zu beginnen.
Diesen Zusammenhang können Sie nicht leugnen; wirmüssen darauf reagieren.Ich sage wie mein Kollege Heinrich Kolb: Wir vonder FDP haben eigentlich ein anderes Modell. Wir er-kennen aber zumindest an, dass das Problem mit derEinführung der Rente mit 67 in der richtigen Richtungangegangen worden ist. Letztlich werden wir nicht da-rum herumkommen, dass die Menschen mehr und längerarbeiten. Wir trauen uns, diese Wahrheit offen anzuspre-chen und mit den Menschen darüber zu diskutieren. Wirmachen den Menschen keine Angst. Wir versuchen, denMenschen Zuversicht zu geben; denn wir erklären ihnenplausibel, dass wir schon jetzt die Weichen in die rich-tige Richtung stellen.
Die gegenwärtige Situation am Arbeitsmarkt ist beiweitem nicht so dramatisch schlecht, wie Sie es skizzierthaben.
– Nein. Ich sage Ihnen aber eine weitere Zahl.
– Lieber Herr Ernst, unterbrechen Sie mich nicht. DerPräsident möchte, dass ich rechtzeitig fertig werde.
Der Präsident möchte es nicht; er stellt es sicher.
Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass der Prozent-
satz der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ar-
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ir werden in der Politik noch mehr dafür tun, dass es in
ukunft so weitergeht. Dabei wird uns der anstehende
achkräftemangel unterstützen; denn es wird gar nicht
nders gehen, als dass die Menschen in unserem Land
ehr und länger arbeiten
nd die Unternehmen in Zukunft verstärkt ältere Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen.
Vielen Dank.
Matthias Birkwald ist der nächste Redner für die
raktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!igentlich wollte ich mich jetzt – –
Ja, besser Papier dabeihaben und über Fakten reden,ls hier heiße Luft zu verbreiten. –
ch hätte mich heute gerne an dieser Stelle, von diesemult aus bei Ministerpräsident Seehofer entschuldigt.arum? Ich habe seinen Vorschlag als – Verzeihung,err Präsident! – „derbe Volksverarschung aus Bayern“ezeichnet. Genauso stellt es sich dar; denn die richtigeninlassungen von Herrn Seehofer sind unisono von Ih-en abgelehnt worden. Deswegen kann ich nur sagen:ch habe an der Stelle recht gehabt; es handelt sich hierm eine Parodie, um eine Tragödie und um eine „derbeolksverarschung aus Bayern“.Ich will mich jetzt mit dem auseinandersetzen, wasie hier eben gesagt haben. Herr Kollege Weiß, Sie ha-en eben behauptet, wir Linken würden lügen und hättenein Interesse an Daten und Fakten.
chauen wir uns das doch einmal genau an. Sie habenesagt, die Rente erst mit 67 käme 2029.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7139
Matthias W. Birkwald
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Das kann man so sagen, wenn Sie den letzten Jahrgangmeinen.
Mit Rente erst ab 67 soll aber schon im Jahr 2012 begon-nen werden. Das müssen alle Menschen wissen, die da-von betroffen sind. Dann geht es los.
Sie haben gesagt, wir hätten eine Verringerung desErwerbspersonenpotenzials um 7 Millionen bis 2025.
Der Kollege Kober hat eben den ganzen Unsinn der De-mografielüge auch noch einmal erzählt. Ich möchte jetztgerne zitieren aus Rente mit 67?, dem Vierten Monito-ring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente, he-rausgegeben vom DGB und anderen. Auch Herr Kolbkennt ihn. Die Zahlen darin wurden nicht selbst ausge-rechnet, sondern es wurde Bezug genommen auf die Be-rechnungen der Statistischen Landes- und Bundesämterfür das Jahr 2009; die haben nichts mit der Linken zutun. Es gibt verschiedene Varianten. Bei allen Variantenwird das Erwerbspersonenpotenzial auch in denJahren 2020 und 2030 groß genug sein. Heute sind es42 Millionen Menschen. Die Varianten, mit denen ge-rechnet wird, liegen zwischen 35 und 43 Millionen Er-werbspersonen.
Zusammengefasst heißt das:Die Statistischen Ämter … des Bundes und derLänder folgern aus ihren Berechnungen:– ich zitiere –„Damit ist es eher unwahrscheinlich, dass es in ab-sehbarer Zeit aus demographischen Gründen zu ei-nem Arbeitskräftemangel kommen wird.“So sieht es aus.
Dann wollen wir einmal festhalten, dass die Ver-pflichtung, die im Gesetz steht, alle vier Jahre zu prüfen,ob die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungenvorhanden sind – auch die Situation der Älteren auf demArbeitsmarkt ist zu prüfen –, nicht für das Jahr 2029,sondern heute gilt; denn in zwei Jahren soll die Renteerst ab 67 schrittweise eingeführt werden.Wir nehmen die Sorgen der Menschen an dieser Stelleernst.
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ir haben jetzt mehrfach gehört, dass nur knapp 10 Pro-ent der 64-Jährigen einen sozialversicherungspflichti-en Job haben. Man muss hinzufügen – das ist ganz per-ide –, dass das für nur 7 Prozent der Frauen gilt. An die-er Stelle kann man auch sagen: Die Rente erst ab 67 istesonders ungerecht für die Frauen, und das ist nicht inrdnung.
Außerdem bleibt das Muster: Je näher Sie dem5. Geburtstag kommen, umso weniger sozialversiche-ungspflichtig Beschäftigte gibt es. Aber nicht nur das:ir haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass vieleschlechter geworden ist, Herr Kober, und nicht besser.
as meine ich? Es ist doch wichtig, ob jemand unmittel-ar vor seinem Renteneintritt sozialversicherungspflich-ig beschäftigt gewesen ist. Wie sieht es damit aus? 1999aren das noch 29,6 Prozent. Jetzt sind es noch geradeinmal etwa 18 Prozent. Deswegen sage ich: Nein, esird nicht besser, es wird schlechter, und das ist nicht zukzeptieren.Der nächste Punkt. Wir haben vor 14 Tagen in deneitungen gelesen – das ist sehr traurig –, dass es zweichwere Lkw-Unfälle gegeben hat. Der eine Fahrer war7, der andere 69 Jahre alt. Sie fuhren 40-Tonner. Dasöchten wir nicht. Die Menschen müssen dann in Renteehen, wenn sie noch leistungsfähig sind. Es darf nichtein, dass dadurch Gefährdungen auf uns zukommen.
Da mich der Herr Präsident gleich mahnen wird,omme ich jetzt zum Schluss und sage noch einmal ganzeutlich: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen undrbeitnehmer bereit wären, 7 Euro im Monat mehr inie Rentenkasse einzuzahlen, und es einen höheren Bun-eszuschuss gäbe, dann wäre die ganze Nummer mit derente erst ab 67 vom Tisch. Sagen Sie den Menschen,ass es um 7 Euro im Monat geht. Dann sperren Sie Ihrehren weit auf. Ich sage Ihnen voraus, dass alle sagenerden: Die zahlen wir gerne, wenn wir dafür weiterhinit 65 in Rente gehen dürfen.Herzlichen Dank.
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7140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Matthias W. Birkwald
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Das Wort erhält nun der Kollege Paul Lehrieder für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Lieber Klaus Ernst, Sie haben den Antrageingebracht, hören Sie mir bitte zu. Herr KollegeBirkwald, es war schon ungeheuerlich, was Sie zumSchluss erzählt haben. Weil ein älterer Arbeitnehmer miteinem Lkw einen Unfall verursacht hat
– weil zwei ältere Arbeitnehmer mit einem Lkw einenUnfall verursacht haben –, sind Ältere nicht mehr leis-tungsfähig? Ja, wo sind wir denn? Sie können doch nichtdie Leistungsfähigkeit unserer älteren Generation per semit einer solchen flapsigen Behauptung infrage stellen.Das ist ungeheuerlich.
Lieber Herr Kollege Ernst, Sie haben in Ihrem Auf-schlag zur Begründung Ihres Antrags sehr viel über un-seren geschätzten bayerischen Ministerpräsidenten HorstSeehofer ausgeführt.
Ich freue mich ja, dass Sie seine Reden zumindest zu le-sen versuchen. Wie der Kollege Max Straubinger bereitsausgeführt hat, wäre es aber schon gut, wenn Sie alles le-sen würden, was er gesagt hat. Da war natürlich auchvom Problem der Zuwanderung die Rede. Ich brauche eshier nicht zu vertiefen. Sie haben völlig recht, letztend-lich ist es müßig, das zu wiederholen.Lieber Herr Kollege Ernst, im Hinblick auf die vonIhnen bemühten Zahlen müssen wir auch erst einmalschauen, wo wir eigentlich stehen. Wir stehen im Jahreins nach dem Auslaufen der 58er-Regelung. Wenn dieBeschäftigungsquote unserer älteren Mitbürgerinnenund Mitbürger noch relativ niedrig ist, ist das natürlichzum großen Teil den früheren Möglichkeiten des vorzei-tigen Ruhestandes geschuldet. Das muss man realisti-scherweise mit in die Diskussion einführen,
um die Leute nicht weiter einseitig zu verunsichern, wiewir es von Ihnen von der Linkspartei gewohnt sind undimmer wieder erleben.
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Der erste Bericht wird bis zum Jahresende vorliegen.ann schauen wir einmal. Erst dann können wir kon-rete Aussagen über die Vertretbarkeit der Rente mit 67reffen.
Es ist unseriös, ausgehend vom heutigen Arbeits-arkt bei nachweisbar und stetig steigenden Beschäf-igungsquoten älterer Menschen aus der aktuellenituation heraus zu behaupten, es gebe nicht genügendrbeitsplätze für Ältere. Wir alle werden die Entwick-ung verfolgen.Außerdem möchte ich den Jugendlichen hier auf denribünen ganz bewusst sagen: Auch bei der Rente mit 67ird es nach 45 Beitragsjahren möglich sein, mit 65 inente zu gehen und eine abschlagsfreie Rente zu bezie-en. Das gilt auch für die heute junge Generation, dasuss man fairerweise gelegentlich wiederholen, weil esu schnell in Vergessenheit gerät.
Die Diskussion darüber, dass bis jetzt noch zu wenigeltere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind,echtfertigt es nicht, jetzt schon über einen Ausstieg bzw.inen Verzicht auf die Rente mit 67 nachzudenken.Wir werden die volle Wirkung der Rente mit 67 imahr 2029 erleben. Vom Statistischen Bundesamt wurdeelegt, dass aktuell knapp jeder Vierte im Alter von4 Jahren – 23,7 Prozent – noch am Erwerbsleben betei-igt ist, während es von den 65-Jährigen jeder Neunte11,6 Prozent – ist, und zwar aus den von mir eingangseschilderten Gründen. Der Arbeitsmarkt gibt den Älte-en jedoch Hoffnung. Im Jahr 2009 waren immerhin8,7 Prozent der Personen zwischen 60 und 64 Jahrenrwerbstätig. Das waren fast doppelt so viele wie zehnahre zuvor.Wir stellen also fest, dass ältere Mitbürgerinnen unditbürger in zunehmendem Maße in den Unternehmenebraucht werden. Im Übrigen sollten wir die Arbeiticht nur als Belastung sehen, sondern auch ein Stückeit als Erfüllung. Viele ältere Mitbürgerinnen und Mit-ürger wollen auch in Zukunft ganz bewusst und gernhrer Arbeit nachgehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7141
Paul Lehrieder
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Ich weiß nicht, wie der Job des Fraktionsvorsitzendender Linkspartei ist. Er muss eine ziemliche Qual sein,wenn Sie so über Arbeit denken.
Herr Kollege Strengmann-Kuhn hat völlig recht: Wirsind die nächsten Jahre und Jahrzehnte aufgefordert, dieArbeitswelt für die älteren Mitbürgerinnen und Mitbür-ger, die Arbeitsbedingungen und die medizinische Ver-sorgung entsprechend zu gestalten. Dann wird das allesauch möglich sein. Lassen Sie uns deshalb nach vorneschauen.Lieber Herr Präsident, es geschehen noch Zeichenund Wunder: Ich bin schon vor meiner Zeit fertig. –Danke schön.
Silvia Schmidt erhält nun das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Herr Kober, die Menschen im lutherischen MansfelderLand haben Angst. Sie haben Angst vor Arbeitslosigkeit– es gibt dort die höchste Arbeitslosenquote –, und vorallen Dingen haben sie Angst, dass sie keine ausrei-chende Rente mehr bekommen. Das ist keine Polemik ir-gendeiner Partei; dieses Gefühl besteht tatsächlich. HerrKolb, tolle Entwicklung? Die Zahlen der arbeitslosenSchwerbehinderten steigen. Sie profitieren nicht davon.In Sachsen-Anhalt hat die Zahl der älteren Arbeitslosen,die Leistungen nach dem SGB III bekommen, um4 Prozent zugenommen. Das sind Tatsachen.Ich sage, dass ich durchaus zur Rente mit 67 stehe.
Wenn ich mit diesem Thema in meinem Wahlkreis oderbundesweit unterwegs bin, erhalte ich immer mal wiederein gewaltiges „Buh!“. Ich erkläre den Menschen dann,um was es im Einzelfall geht – Sie haben das gerade an-gesprochen –: Es geht um gute Arbeitsbedingungen, eineArbeitswelt, in der es Spaß macht, arbeiten zu gehen, inder man sich wohlfühlt.Jetzt komme ich zu dem Thema Frauen. Wir brauchennatürlich Kindergartenplätze, damit Mütter arbeiten ge-hen können. Sie brauchen auch ordentliche Löhne. Da-mit komme ich zu Karthago: Wir brauchen Mindest-löhne, um Altersarmut zu verhindern,
obwohl – das habe ich Ihnen schon einmal gesagt –8,50 Euro nicht ausreichen.zvavzVrMnN–efErwmEdEdgrCEkmeBzwhmIsSdSstiktgtdsWhF
s gibt auch das Problem, dass die Erwerbsminderungs-enten – das habe ich schon beim letzten Mal gesagt –eiter schrumpfen. Hier müssen wir etwas tun. Wirüssen über Zuschläge reden und darüber, wie wir dierwerbsminderungsrenten in Zukunft gestalten, damitie Menschen sicher davon leben können.Ein weiterer Punkt, den wir im Zusammenhang mit derrwerbsminderungsrente beachten sollten, ist, dass geradeiese Menschen – ich wiederhole die Zahl: 1,2 Millionen –erne arbeiten möchten. Hier muss die Rentenversiche-ung deutlicher eingreifen, um diesen Menschen einehance zu geben. Mit 48 Jahren darf man nicht in einecke abgeschoben werden, in der man nichts mehr tunann. Da gehört man nicht hin. Das ist wichtig.Sie sagen: Schluss mit dem Jugendwahn. Ja, das kannan so sehen. Das ist auch wichtig. Ich sage, dass wirher eine Kampagne brauchen, um den Bürgern undürgerinnen, um vor allem unseren jungen Leuten zueigen, was ältere Menschen tatsächlich leisten können,
elchen Wert Weisheit und Klugheit in den Betriebenaben. Wir brauchen – das haben auch Sie gesagt; dasöchte ich gerne betonen – eine lebenslange Bildung.ch muss Ihnen sagen: Da habe ich die größten Bauch-chmerzen. Ihre Kürzungen bezüglich des SGB II undGB III treffen den Osten besonders scharf. Wir habenie höchsten Arbeitslosenzahlen. Wir haben die meistenGB-II-Empfänger. Wir brauchen – auch das habe ichchon gesagt – in Zukunft ausgebildete Fachkräfte. Un-ernehmen können das nicht alleine leisten. Man musshnen zur Seite stehen. Wir gehen mit Schrecken auf dieommenden Jahre zu. Die Arbeitsämter, die Eigenbe-riebe und die optierenden Kommunen bis hin zu den Ar-en haben ihre Bedenken angemeldet. Die Gewerkschaf-en möchte ich erst gar nicht erwähnen.Ich sage noch einmal: Wir brauchen die Akzeptanzer Rente mit 67. Wir müssen beste Voraussetzungenchaffen; das ist wichtig. Ansätze sind schon gegeben.ir werden uns in der nächsten Zeit damit befassen. Wiraben im Willy-Brandt-Haus eine Arbeitsgruppe; Elkeerner ist dabei.
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7142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010
Silvia Schmidt
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Wir wollen nicht nur eine sichere Rente, sondern wirwollen natürlich auch die Altersarmut verhindern. Dazugehört der Mindestlohn.Danke schön.
Letzter Redner ist der Kollege Frank Heinrich für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Monat begann so, wie er jetzt fast endet,nämlich mit genau dem gleichen Thema. Sie haben dasheutige Thema auch zu Beginn des Monats auf die Ta-gesordnung gesetzt. Heute heißt es: „Rentenkürzungdurch Rente erst ab 67 verhindern“.Ich möchte vier Stichworte ansprechen; ich hoffe,dass ich meine Redezeit von fünf Minuten nicht über-schreiten werde. Meine erste Bemerkung betrifft dasWort „Rentenkürzung“. Ein Stück weit kann ich das,ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Ich halte das für eineMär, die immer wieder hochgekocht wird.
Es handelt sich nämlich nicht um eine Kürzung, auchnicht um eine verbrämte. Wir zahlen zwar länger ein.Aber fast genau den gleichen Teil, der zustande kommt,weil wir länger einzahlen – das kann man bis auf Hellerund Pfennig ausrechnen –, werden wir, wenn wir Rentebeziehen, zusätzlich herausbekommen. Außerdem bezie-hen wir länger Rente. Wir wissen, dass wir bis dahinnicht nur zwei Jahre länger arbeiten, sondern im Schnittauch drei Jahre länger leben werden. Auch dies ist einerder Gründe, warum wir das Ganze eingeführt haben, wirmüssen den längeren Rentenbezug finanzieren.Mein zweites Stichwort betrifft die Zahlen. Wir habeneine ganze Menge Zahlen gehört. Da ich weiß, dass esimmer um die Frage nach der jeweiligen Quelle geht,
sage ich Ihnen: In der Wirtschaftswoche
vom 18. Oktober dieses Jahres habe ich gelesen: Dasdurchschnittliche Renteneintrittsalter ist in den letztenzwei Jahren von 61,7 Jahren auf 63,2 Jahre gestiegen. –Diese Aussage bezieht sich auf die Zahlen, die die Bun-desregierung Ihnen vorgelegt hat, also auf die Zahlenvon Ende letzten Monats.Die Frankfurter Allgemeine ZeitunghnDtbDsewzwbIrdlwEiswVa2eJn
at vorgestern geschrieben:Damit haben in zehn Jahren zusätzlich 800 000 äl-tere Beschäftigte Arbeit gefunden. Es handele sichdabei ausnahmslos um sozialversicherungspflich-tige Arbeitsplätze.
1999 waren 950 000 Ältere ohne Arbeit, 2009 hatsich die Zahl fast halbiert.Eine weitere Zahl war vorgestern dem Focus zu ent-ehmen.
er Focus hat Martin Brussig, einen Forscher am Insti-ut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duis-urg-Essen, zitiert, der darauf hingewiesen hat,dass inzwischen deutlich mehr Menschen im Altervon Mitte 50 im Beruf sind als noch vor zehn Jah-ren.
as sind deutliche Signale, die darauf hindeuten, dassich die Situation schon jetzt verändert und sich nichtrst irgendwann in Zukunft möglicherweise verändernird.Das dritte Stichwort, das in dieser Diskussion in Be-ug auf ältere Arbeitnehmer immer wieder angeführtird, betrifft die Arbeitsmarktchancen. Die Zahlen ha-en sich unter anderem deshalb verändert – um das auchhnen, Frau Ferner, deutlich zu machen –, weil die An-eize zur Frühverrentung weggefallen sind;
as war auch Absicht. Nur deshalb konnten sich die Zah-en in den letzten Jahren so entwickeln, wie sie sich ent-ickelt haben.
ntscheidend ist nicht nur, wie die Situation im Momentst, sondern auch und vor allem, wohin wir unterwegsind, wie die Situation also in Zukunft sein wird.Herr Weiß hat gesagt, dass wir erst 2029 am Ziel seinerden.
ielleicht sollten wir den Bürgerinnen und Bürgern aberuch einmal Folgendes sagen: Wenn die Rente mit 67 ab012 schrittweise eingeführt wird, bedeutet dies nichtine Verschiebung des Renteneintrittsalters um zweiahre, sondern eine Verlängerung der Arbeitszeit um ei-en Monat. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Oktober 2010 7143
Frank Heinrich
(C)
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haben gezeigt, dass es, unter anderem mit flexiblerenRegelungen, möglich ist, dieses Vorhaben wie geplantumzusetzen.
Dabei spielen auch die Eigeninteressen unserer Wirt-schaft eine Rolle. Ich sage aus voller Überzeugung: DieSchritte, die wir für die ersten zehn Jahre nach Inkraft-treten der Rente mit 67 vorgesehen haben, sind von un-serem Land, unserer Wirtschaft und unseren Betriebenohne Probleme zu leisten.Zum vierten Stichwort, der Planungssicherheit. Ichbin der festen Überzeugung, dass die Menschen, die Be-triebe, die Rentenkassen und die Wirtschaft eine Sicher-heit brauchen, wenn sie für die Zukunft planen. Ichmöchte in diesem Zusammenhang ein Aussage vonHerrn Rürup, die vor einigen Wochen in einer Zeitungstand, vortragen: Bleibt es dabei, dass von 2029 an dieIch komme zum Schluss. Grundsätzlich sollte mandieses Thema nicht auf die Rente reduzieren. Vielmehrgeht es darum, dass wir die riesigen Herausforderungen,vor denen wir stehen – demografischer Wandel, Fach-kräftemangel in einigen, wenn auch nicht allen Berei-chen,
steigende Lebenserwartung bei gleichzeitig geringererLebensarbeitszeit –, bewältigen müssen. Die Rente mit67 ist ein Faktor, den wir auf diesem Weg unbedingtbrauchen. Außerdem spielen aber auch die Bildungspoli-tik, die Integrationspolitik und die Familienpolitik eineRolle.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit am heutigenAbend.
Altersgrenze bei 67 Jahren liegt, ist die Verschiebungdes Anlaufens dieser Reform – ich bitte Sie von derSPD, jetzt besonders gut zuzuhören – von 2012 auf 2015eine lässige Sünde. – Weiter hieß es: Problematischer seiaber, dass mit der Verschiebung die Zweifel an der ren-tenpolitischen Standhaftigkeit der SPD zunehmen. Wereinmal verschiebt, verschiebt auch ein zweites oder drit-tes Mal.
So viel zum Thema Planungssicherheit.
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Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 28. Oktober 2010,
Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen, insbesondere ruhi-
en Abend. Morgen könnte es etwas lebhaft werden.
Die Sitzung ist geschlossen.