Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen!Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein-bart, während der Haushaltsberatungen ab dem13. September 2010 keine Befragung der Bundesregie-rung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stun-den durchzuführen. Sind Sie damit einverstanden? – Dasist der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:Abgabe einer Regierungserklärung durch denBundesminister des AuswärtigenAfghanistan und die Konferenz von Kabul –Auf dem Weg zur Übergabe in VerantwortungHierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Wider-spruch dagegen? – Das ist offenkundig nicht der Fall.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister des Auswärtigen, Dr. GuidoWesterwelle.AfdwbatRDlgiwbtenRedet
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren Kolleginnen und Kollegen! Am 20. Juli findet die in-ternationale Afghanistan-Konferenz in Kabul statt. Eshätte sicherlich einfachere Orte auf der Welt für dieseKonferenz gegeben. Die Tatsache, dass diese Außenmi-nisterkonferenz in Kabul stattfindet, ist ein Signal.Der Ort Kabul ist Ausdruck unseres festen Willens,die vollständige Sicherheitsverantwortung in afghani-sche Hände zu übergeben. Der Ort KabulAusdruck des festen Wunsches der Afghaneschicke ihres Landes wieder in die eigenennehmen.
Auf der Konferenz in London Anfang des Jahres ha-en die afghanische Regierung auf der einen und die in-ernationale Staatengemeinschaft auf der anderen Seiteine gegenseitige Verpflichtung geschlossen. Die afgha-ische Regierung hat sich auf die Ziele bessere Regie-extrungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämp-fung und Reduzierung des Drogenanbaus verpflichtet.Im Gegenzug hat die internationale Gemeinschaft zuge-sagt, ihre Anstrengungen zu erhöhen, damit die Afgha-nen diese Ziele erreichen können.Die internationale Gemeinschaft hat ihre Zusagen er-füllt. Die Bundesregierung hat ihr Afghanistan-Konzeptdurch eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerinvor diesem Hohen Hause im Januar vorgelegt und des-sen Umsetzung auf den Weg gebracht. Ich danke demBundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung, Dirk Niebel, dafür, dass es gelungen ist,Deutschlands zivile Hilfe für die Menschen in Afghanis-erdoppeln.erdoppeln konnten wir seit Jahresbeginner Polizeiausbilder vor Ort. Deswegenist ebenson, die Ge- Hände zutan beinahe zu vEbenso fast vdie Zahl unser
Metadaten/Kopzeile:
5836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
)
)
danke ich ausdrücklich dem BundesinnenministerThomas de Maizière und den Bundesländern für diesenwichtigen Beitrag.
Dem Bundesverteidigungsminister, Karl-Theodor zuGuttenberg, danke ich für die kollegiale Zusammenar-beit
bei der Neufassung des deutschen ISAF-Mandates ge-mäß unseren internationalen Verabredungen. Gemein-sam haben wir den deutschen Schwerpunkt, nämlich dieAusbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, wei-ter verstärkt.
Neben Umschichtungen im Mandat können wir heute500 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan entsenden,um die Ausbildung der Sicherheitskräfte vor Ort zu ver-bessern und zu beschleunigen.Das Kabinett hat in dieser Woche einen ehrgeizigenSparhaushalt beschlossen. An unserem Engagement inAfghanistan wird aber nicht gespart, weil wir den Erfolgwollen und unsere Verantwortung kennen. Deutschlandhält seine Zusagen.
Manches haben wir seit London erreicht. Wir habenneue Trainingszentren für die Polizei gebaut und in die-sem Jahr schon fast 2 000 afghanische Polizisten aus-und fortgebildet. Wir haben in Kunduz und Dakar be-gonnen, die Provinzkrankenhäuser wieder aufzubauen.Wir unterstützen mobile Gesundheitsteams im Norden,die Gesundheitsversorgung zu den Menschen bringensollen. Etwa 2,6 Millionen Menschen wollen wir so mitGesundheitsversorgung erreichen. In der Provinz Balkhhaben wir Schulplätze für 3 000 Jungen und Mädchenneu geschaffen. In unserem neuen Ausbildungszentrumfür Lehrkräfte in Masar-i-Scharif werden im NordenAfghanistans mittlerweile mehr als 6 000 angehendeLehrerinnen und Lehrer ausgebildet.Das alles wurde im vergangenen halben Jahr erreicht.Ich denke, das ist eine gute, wenn auch noch nicht zurei-chende Zwischenbilanz.
Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört es näm-lich auch, Rückschläge nicht zu übersehen und die Gren-zen unserer Möglichkeiten zu erkennen. Wir wissen umden Drogenanbau, der in Afghanistan weiter betriebenwird. Wir wissen um die Korruption im Land und sindbeunruhigt über Berichte, nach denen Hilfsgelder außerLandes geschafft werden.
Und wir wissen um die angespannte Sicherheitslage.kfnArFdcvfSIgStsgdbgbosADihgswnrwmnbiSnmAgulLts
Es gibt Licht und Schatten in Afghanistan. Viele vonhnen – aus allen Fraktionen – haben vor Ort Gesprächeeführt und sich persönlich ein Bild der Lage gemacht.ie wissen, wie gefährlich der Einsatz für unsere Solda-innen und Soldaten in Afghanistan ist. Allein im Juniind in Afghanistan über 100 ISAF-Soldaten ums Lebenekommen. Wir trauern um sieben deutsche Soldaten,ie im vergangenen halben Jahr bei Angriffen der Tali-an ihr Leben verloren haben.Wir denken an diejenigen, die im Einsatz Verletzun-en erlitten haben, sichtbare und unsichtbare. Wir sindei den Familien, die um einen Angehörigen trauernder die sich um einen geliebten Menschen sorgen, weilie um die täglichen Gefahren dieses Einsatzes wissen.llen, die in Afghanistan in Uniform oder Zivil ihrenienst tun, allen, die in den PRTs, in der Botschaft odern einem der vielen Entwicklungsprojekte ihre Gesund-eit oder sogar ihr Leben riskieren, spreche ich unserenrößten Respekt und unseren tiefsten Dank aus. Wirchätzen ihre Arbeit, wir brauchen ihren Einsatz, und wirollen ihren Erfolg.
Deutschland leistet viel in Afghanistan. In Diskussio-en reduzieren manche unser Engagement auf die militä-ische Komponente, andere auf den zivilen Teil. Wirerden Afghanistan nicht stabilisieren, indem wir alleinilitärisch vorgehen. Wir werden Afghanistan auchicht allein dadurch stabilisieren, dass wir Schulenauen, Straßen teeren und Polizisten ausbilden. Beidesst notwendig und Teil unseres Ansatzes der vernetztenicherheit. Beides zusammengenommen reicht aberoch nicht aus. Es muss ein drittes Element dazukom-en. Eine dauerhafte, selbsttragende Stabilisierungfghanistans kann nur durch einen politischen Prozesselingen, der die Interessen der verschiedenen Ethniennd gesellschaftlichen Gruppen in Afghanistan ausba-anciert.Auch dazu haben wir mit unseren Verbündeten inondon Anfang des Jahres bereits den ersten Schritt ge-an, indem wir ein Reintegrationsprogramm für aus-tiegswillige Mitläufer der Taliban beschlossen haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5837
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
)
)
Ein zweiter Schritt war die Friedensjirga, die geradeAnfang Juni in Kabul stattfand. Dort trafen sich1 600 Delegierte; über 20 Prozent davon waren übrigensFrauen. Es fanden dort sehr offene, teilweise emotionalgeführte Diskussionen statt. Teilnehmer berichteten vonder Zusammenkunft, dass sich konservative Mullahs undFrauenvertreterinnen gegenübergesessen und sich zu-nächst geweigert hätten, sich gegenseitig ins Gesicht zuschauen. Tadschikische und paschtunische Vertreter hät-ten einen ganzen Tag lang gestritten, ob man Paschtuoder Dari miteinander sprechen soll. Am dritten Tagaber hat diese Friedensjirga ein Abschlussdokument ver-öffentlicht – ohne Gegenstimme. Einstimmig haben sichdie 1 600 Delegierten für den Einsatz der internationalenStaatengemeinschaft in ihrem Land ausgesprochen. Siehaben ihren Präsidenten aufgefordert, Friedensverhand-lungen aufzunehmen. Sie haben außerdem klargestellt,dass Versöhnung nur mit denen möglich ist, die der Ge-walt abschwören, die ihre Verbindung zum internationa-len Terrorismus kappen und die die afghanische Verfas-sung und die damit eingegangenen Verpflichtungen zurEinhaltung internationaler Menschenrechtsstandards res-pektieren. Das alles zeigt, dass Afghanistan eine afgha-nische Lösung braucht. Das sage ich auch mit Blick aufdie Parlamentswahlen am 18. September. Der politi-sche Prozess muss ein afghanisch geführter Prozess sein,damit er erfolgreich sein kann. Nur die afghanische Re-gierung selbst kann Frieden mit denen schließen, die siebekämpfen.
Unsere Aufgabe ist es, zum einen diesen Prozess zuunterstützen, zum anderen ist es Aufgabe der internatio-nalen Staatengemeinschaft, die Nachbarländer Afghanis-tans in diesen Prozess einzubinden. Ziel ist es, die Nach-barländer Afghanistans dazu zu bringen, deninnerafghanischen Friedensprozess zu unterstützen.
Die regionale Einbettung innerafghanischer Ergebnissewird helfen, Erreichtes auch zu sichern. Auch dazu wirddie Kabul-Konferenz einen Beitrag leisten.Diese Kabul-Konferenz wird keine weitere Geber-konferenz, auf der die internationale Staatengemein-schaft neue Zusagen macht. In Kabul wird die afghani-sche Regierung ihrerseits Rechenschaft darüber ablegen,wie es um die Erfüllung ihrer Verpflichtungen steht undwelche konkreten Schritte sie in den nächsten Wochenund Monaten plant. Das ist zuallererst im Sinne derAfghanen selbst, die von sich aus dieser Konferenz dasLeitmotiv der Wiederherstellung der vollen Souveränitätihres Landes gegeben haben.Ein zentrales Thema werden Reintegration und Ver-söhnung sein. Im Grundsatz haben wir in London einProgramm beschlossen, mit dem Taliban-Kämpfer in dieGesellschaft zurückgeholt werden sollen. Dieses Pro-gramm werden wir jetzt in Kabul genau beraten, unddann werden wir eine Entscheidung über die Freigabeder Mittel treffen, die Deutschland dafür in Aussicht ge-stellt hat.gwhdatbüzHBsdiwagnSeiNgddAgWnTpssumgsDAggSspbmlKIsem
Metadaten/Kopzeile:
5838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
(Anhaltender Beifall bei der FDP und derCDU/CSU)
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Kollegen Dr. Gernot Erler von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Außenminister, Sie haben versucht, hier eine posi-tive Zwischenbilanz nach sechs Monaten der neuen Stra-tegie vorzutragen, und uns Ihre hohen Erwartungen andie bevorstehende Konferenz in Kabul geschildert. Ichmuss ehrlich sagen: Bei diesem Bericht habe ich michöfter fragen müssen, über welches Land und welche Si-tuation Sie eigentlich reden.
Nach meiner Einschätzung werden Sie im Zuge derDebatte hier erfahren, dass die Sorgen und die konkretenFragen, die die Mitglieder des Hauses haben, sich deut-lich von den Darstellungen unterscheiden, die Sie hierabgegeben haben.Was ist denn die Lage vor Ort? Wir haben am 26. Fe-bruar 2010 im Deutschen Bundestag eine Fortsetzung desdeutschen Engagements in Afghanistan beschlossen, undzwar auf der Grundlage einer neuen Strategie, die im Ja-nuar dieses Jahres in London beschlossen worden ist. Ichwill noch einmal daran erinnern, welche Punkte dabei dieentscheidenden waren.Es war die Konzentration auf die Ausbildung vonSoldaten und Polizisten, damit sich Afghanistan soschnell wie möglich selber gegen die Aufständischenverteidigen kann.Es war die Erstellung eines Stufenplans zum Abzug,der im nächsten Jahr beginnen soll, das aufgreifend, wasPräsident Karzai selber gesagt hat, nämlich dass diesesLand möglichst bis 2014 vollkommen in afghanischeVerantwortung übergehen soll.Es war eine Verdopplung der zivilen Anstrengungen,um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zustärken.Es war eine Verbesserung der Regierungsführung inKabul, damit die Zustimmung der Bevölkerung gegen-über der eigenen Gesellschaft wächst. Die Kabuler Kon-ferenz, die jetzt bevorsteht, sollte dazu eigentlich schonim April dieses Jahres konkrete Festlegungen, auch aufZwischenschritte, erreichen.Es war schließlich die verstärkte Unterstützung desVersöhnungs- und Integrationsprozesses, für den aucherhebliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Ur-sprünglich sollte schon im Mai dieses Jahres die Frie-densjirga weitere Beiträge leisten.vnUhgdvtwnUwmtZmkdeNzdzMbdRsddsZsdnsinagKtkMdse
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5839
)
und 76 Delegationen gern zu Wort kommen wollen –und das alles an einem Tag. Man muss feststellen, dassdie internationale Gemeinschaft verbindliche Bench-marks, also konkrete Zwischenziele, für diese Konferenzwill, dass die Afghanen aber ganz offensichtlich vor al-lem sogenannte Bankable Programs vorbereitet haben,also finanzierungsreife Projekte, die sie den internatio-nalen Partnern vorstellen wollen und für die sie gern Fi-nanzierungszusagen haben wollen. Herr Minister, wiewollen Sie diesen Widerspruch, diesen Gegensatz in denErwartungen eigentlich beantworten? Wie haben Siesich auf diese Situation vorbereitet?Schließlich: Wie sieht es mit der Übergabe in Verant-wortung aus? Sie haben vorhin gesagt: eine von neunProvinzen. Die Frage ist: Wie viele von den 124 Dis-trikten im Norden sollen übergeben werden? Wenn jetztauf dieser Konferenz nicht klar wird, wie die Vorberei-tungen dafür aussehen, wann sonst soll das dann eigent-lich passieren?Schließlich ist die Frage: Wie stehen Sie zu der For-derung der afghanischen Zivilgesellschaft, dass die Er-gebnisse der Friedensjirga vom 2. bis 4. Juni Tages-ordnungspunkt in Kabul werden sollen? Auch dazuhaben Sie überhaupt nichts gesagt. Wie soll das bei demvorbereiteten Ablauf dieser Konferenz eigentlich passie-ren?All diese Fragen im Kontext der fälligen Zwischenbi-lanz zeigen, wie wichtig es ist, sich ständig und kritischmit der tatsächlichen Umsetzung der neuen Strategie zubeschäftigen. SPD und Grüne haben hierzu am 9. Junieinen detaillierten Antrag eingebracht. Wir halten es fürnotwendig, in den Evaluierungsprozess von vornhereindie reichlich vorhandene wissenschaftliche Expertise zuAfghanistan und auch die Erfahrungen von Nichtregie-rungsorganisationen, die uns außerordentlich wichtigsind, einzubeziehen. Ziel ist dabei, belastbare Grundla-gen für die Bewertung der neuen Strategie zu erreichen.Das brauchen wir für die nächste Entscheidung, die ge-gen Ende des Jahres vorbereitet werden muss.
Aber wir brauchen die Evaluierung auch, weil wir dieChance haben müssen, nachzusteuern und zu korrigie-ren. Wir können es uns nicht mehr erlauben, nach einemJahr erneut zu hören, warum vieles von dem, was be-schlossen worden ist, wieder nicht geklappt hat. Es mussmöglich sein, dass wir hier vom Parlament aus auf derBasis einer solchen Evaluierung vorher dazwischenge-hen.
Bei unseren Gesprächen in den vergangenen Tagenhaben wir gehofft, Herr Kollege Schockenhoff, dass wirzu einer Verständigung kommen. Ich bin sehr traurig da-rüber, dass das bisher nicht gelungen ist. Es ist nicht ge-lungen, weil Sie nicht wollen, dass die Expertise bei demProzess ständig beteiligt wird.dAsusFgcVvwSdgmeSKÜvbDAsruCszsndwngSaBLlgvbr
Metadaten/Kopzeile:
5840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
afghanischen Bevölkerung in ihre Regierung gestärktwerden. Es ist erfreulich, dass von der afghanischen Re-gierung hier ein ambitioniertes Programm aufgesetztwurde. Jetzt kommt es auf die Taten an. Eine gleichzei-tige Umsetzung aller Maßnahmen nach der Konferenzist dabei gar nicht möglich. Vielmehr ist eine Priorisie-rung und Sequenzierung wichtig. Entscheidend aber ist:Die Fortschritte müssen für die Menschen in Afghanis-tan sichtbar sein.Mit Bezug auf aktuelle, beunruhigende Presseberichteüber die Veruntreuung internationaler Hilfsgelder gilt:Insbesondere müssen bei der Korruptionsbekämpfungspürbare Verbesserungen erzielt werden.
In diesem Zusammenhang ist es richtig, dass die Bun-desregierung keine unkonditionierte Budgethilfe an dieafghanische Regierung zahlt, deren Verwendung kaumkontrollierbar wäre. Es ist besser, konkrete Projekte mitKabul zu vereinbaren und deren Finanzierung dann si-cherzustellen.Es ist klar: Voraussetzung für Umsetzbarkeit undNachhaltigkeit der in Kabul zu konkretisierenden Ent-wicklungspläne der afghanischen Regierung für denWiederaufbau sind eine bessere Regierungsführung undErfolge bei der Korruptionsbekämpfung. Für die CDU/CSU steht fest: Die Verdoppelung unserer Entwick-lungshilfe ist zwingend an messbare Erfolge in diesemBereich gekoppelt.Die Kabuler Konferenz wird die Kernpunkte desafghanischen Reintegrationsprogramms und die Ergeb-nisse der Friedensjirga vom Juni dieses Jahres, also Vor-schläge von Vertretern aus ganz Afghanistan, aufgreifen.Beim deutschen Anteil am Fonds für das Reintegra-tionsprogramm der afghanischen Regierung ist auf ei-nen transparenten, wirksamen und nachhaltigen Einsatzdieser Mittel zu achten. Es muss sichergestellt sein, dasskeine finanziellen Vorableistungen erbracht werden, son-dern nur bezahlte Arbeit und bezahlte Ausbildung mitden Geldern ermöglicht werden.
Schließlich soll zwischen der afghanischen Regie-rung, der ISAF und der internationalen Gemeinschaft einverbindliches Konzept zur Vorbereitung der Übergabeder Verantwortung an die Afghanen abgestimmt werden.Dabei ist es wichtig, dass Provinzen nicht nur im Be-reich Sicherheit, sondern auch in Bezug auf Regierungs-führung und zivile Entwicklung übergabereif sind.Es wird deutlich: Die Konferenz von Kabul unter-streicht die Bedeutung des politischen Prozesses. Vondem Treffen wird ein Signal für eine konkrete Verant-wortungsübernahme durch die afghanische Regierungausgehen. Noch wichtiger aber ist, dass die Beschlüssein den kommenden Monaten auch entsprechend umge-setzt werden. Um hier schnelle und sichtbare ErgebnisseziiggdadabkBSBfw–EedGceslenmddSSSpgpieerd
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Engagementn Afghanistan ist mit dem Ziel einer schrittweisen Über-abe in Verantwortung in eine neue entscheidende Phaseekommen. Für die CDU/CSU ist eine schrittweise Re-uzierung der militärischen Präsenz ab 2011 zwingendn Fortschritte beim zivilen Aufbau und den Aufwuchser afghanischen Sicherheitskräfte gekoppelt und nichtn willkürliche Abzugsdaten. Es geht um Wegmarken,ei deren Erreichen ein Reduzierungsschritt erfolgenann. Für uns ist es deshalb wichtig, dass wir für dieegleitung und Bewertung der Umsetzung der neuentrategie der Bundesregierung ressortübergreifendeenchmarks entlang der von der Kabuler Konferenz de-inierten Zielvorgaben vorgelegt bekommen. Zudemollen wir, dass die Bundesregierung im Sommer 2011 18 Monate nach den Beschlüssen von London – einevaluation des laufenden Mandats vorlegt. Dafür könntes sinnvoll sein, externe Expertise hinzuzuziehen.
Herr Schockenhoff, erlauben Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Ströbele?
Gerne.
Herr Ströbele, bitte.
Herr Kollege, ebenso wie der Außenminister spre-hen Sie über dieses Thema, als ginge es um möglichstffektive Hilfe für ein Entwicklungsland. Aber die deut-che Bevölkerung ist doch nicht wegen der Entwick-ungsprojekte, die dort durchgeführt und einmal besser,inmal schlechter gemanagt werden, gegen die Afgha-istan-Politik der Bundesregierung und dieses Parla-ents. Vielmehr ist die deutsche Bevölkerung gegeniese Politik, weil Krieg geführt wird. Weder Sie nocher Außenminister reden von Krieg.Sagen Sie doch einmal: Welche Art von Krieg haltenie für richtig? Welche Einsätze der Bundeswehr haltenie für richtig? Welche Einsätze der Bundeswehr haltenie für problematisch? Halten Sie es zum Beispiel fürroblematisch, dass – wie die Bundesregierung jetzt zu-egeben hat – auch Deutschland für die Liste von Ziel-ersonen, die bei der Festnahme umgebracht werden,st? Halten Sie es für problematisch, dass Deutschlandine solche Art von Kriegsführung mitmacht? Halten Sies für richtig, dass Deutschland mit den USA und ande-en NATO-Verbündeten Großoffensiven startet, beienen Hunderte von Menschen umkommen, nicht nur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5841
Hans-Christian Ströbele
)
)
Alliierte, sondern auch Afghanen, und zwar meist fünf-oder zehnmal so viele Afghanen wie Alliierte?Reden Sie endlich zum eigentlichen Thema! Das er-wartet die deutsche Bevölkerung von Ihnen. Sie erwartetnicht, dass Sie darüber reden, wie man Entwicklungs-hilfe besser machen kann.
Herr Kollege Ströbele, ich rede zu der Regierungs-
erklärung unseres Außenministers, die der Ältestenrat
für heute auf die Tagesordnung des Hohen Hauses ge-
setzt hat. Darin geht es um eine Abzugsperspektive und
um eine Konkretisierung der Beschlüsse von London.
Die Aufbauschritte müssen festgelegt und messbare Da-
ten entwickelt werden.
Herr Kollege, ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie
bei jeder Gelegenheit, egal was auf der Tagesordnung
steht, immer wieder die gleichen Sprüche ablassen.
Wir wollen Erfolge in Afghanistan haben, für die Sicher-
heit unserer Bevölkerung und für eine konkrete Abzugs-
perspektive. Ihre Sprüche werden dadurch, dass Sie sie
immer wiederholen, nicht besser, und sie dienen auch
nicht der Bevölkerung.
– Sie können sich setzen. Ich habe Ihre Frage beantwor-
tet.
CDU/CSU und FDP haben den Oppositionsfraktio-
nen ein gemeinsames Vorgehen hinsichtlich der parla-
mentarischen Begleitung des Afghanistan-Einsatzes an-
geboten.
Herr Erler, dabei ist meines Erachtens deutlich gewor-
den, dass wir inhaltlich gleiche Vorstellungen haben. Wir
wollen gemeinsam die Umsetzung der neuen Strategie
auf Grundlage der von uns eingeforderten intensivierten
Berichterstattung und Unterrichtung durch die Bundes-
regierung einer kontinuierlichen parlamentarischen Be-
wertung unterwerfen. Uns unterscheidet aber, Herr Kol-
lege Erler und Herr Kollege Schmidt, dass wir diese
Aufgabe nicht an externe, etwa wissenschaftliche Exper-
ten abgeben wollen.
amit würden wir Abgeordnete – wir haben den Einsatz
n Afghanistan mandatiert – der Verpflichtung gegen-
ber unserer Bevölkerung und den Soldatinnen und Sol-
aten nicht entsprechen.
Wir müssen feststellen, dass SPD und Grüne diese
uffassung nicht teilen und zu einem gemeinsamen Vor-
ehen nicht bereit sind.
ch wiederhole: Selbstverständlich wollen wir Nicht-
egierungsorganisationen, Wissenschaftler und alle mög-
ichen Experten anhören,
m uns eine Meinung bilden zu können. Entscheidend
ür die CDU/CSU ist aber, dass wir Parlamentarier und
iemand sonst die politische Verantwortung für den Ein-
atz in Afghanistan haben
nd dieser Verantwortung weiterhin gerecht werden
üssen. Auch hier müssen wir feststellen, dass SPD und
rüne diese Auffassung nicht teilen und zu einem ge-
einsamen Vorgehen nicht bereit sind.
Diese Verantwortung wurde uns von den Wählerin-
en und Wählern übertragen, und wir können sie nicht
bgeben. Deswegen werden wir als Parlamentarier die-
en Einsatz begleiten. Wir werden unserer Verantwor-
ung gerecht werden.
Das Wort hat der Kollege Jan van Aken von der Frak-
ion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herresterwelle, ich bin richtig erschrocken darüber, wasie in nur neun Monaten aus dem Außenministerium ge-acht haben.
Vorgestern haben Sie auch für Ihr Ministerium Kür-ungen beschlossen. Natürlich haben Sie nicht querbeetleichmäßig gestrichen, sondern Sie haben ganz gezieltie Axt angelegt. Das ist grundsätzlich in Ordnung; aberenn ich mir anschaue, wo Sie die Axt angelegt haben,ann kommt mir das kalte Grausen. Sie haben genau da
Metadaten/Kopzeile:
5842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Jan van Aken
)
)
gekürzt, wo es um Frieden und Völkerverständigunggeht, und das ganz kräftig. Ausgerechnet bei der Abrüs-tung wollen Sie 19 Millionen Euro einsparen. Sie habenhier vor einem halben Jahr gesagt – ich zitiere –:Nach dem Jahrzehnt der Aufrüstung brauchen wirjetzt ein Jahrzehnt der Abrüstung …
Das sind Ihre Worte. Das Jahrzehnt der Abrüstung leitenSie damit ein, die Abrüstung kräftig, um 19 MillionenEuro, zu kürzen. Das müssen Sie mir einmal erklären.
Es kommt aber noch dicker: 67 Millionen Euro spa-ren Sie bei der humanitären Hilfe und bei der Vorbeu-gung von Konflikten. Ich habe tatsächlich den Eindruck,dass Sie bei der zivilen Konfliktbearbeitung sparen wol-len, um die Konflikte hinterher militärisch zu lösen. Ge-nau das machen Sie in Afghanistan. Dort setzen Sie völ-lig einseitig auf Waffen und Soldaten.
Aber ich sehe nichts, was Sie für eine Friedenslösungtun. Sie haben hier von einer „Übergabe in Verantwor-tung“ gesprochen. Ich frage mich die ganze Zeit: Waswollen Sie eigentlich übergeben? Einen Krieg oder einenFrieden? Der einzige Schlüssel zum Frieden sind dochVerhandlungen und nichts als Verhandlungen. JederKrieg in der Geschichte ist entweder durch eine bedin-gungslose Kapitulation oder durch Verhandlungen been-det worden. Selbst die größten Träumer in Ihren Refera-ten können doch nicht ernsthaft glauben, dass dieAufständischen in Afghanistan jetzt die Waffen niederle-gen und kapitulieren. Das Gegenteil ist doch der Fall.Die Sicherheitslage ist so desolat wie nie zuvor. Die An-zahl der Toten war im letzten Monat so hoch wie nie seitBeginn des Einsatzes. Das Einzige, was uns bleibt, sindFriedensverhandlungen.
Dafür muss man aber auch etwas tun. Sie haben hiergerade die Friedensjirga erwähnt. Das Hochnotpeinli-che an Ihrem Beitrag ist, dass Sie das entscheidende Er-gebnis der Friedensjirga hier verschwiegen haben. Denndie Friedensjirga hat ganz klare Forderungen an Sie,Herr Westerwelle, und an alle internationalen Truppen-steller formuliert, und zwar mit dem Ziel, die Friedens-verhandlungen zu ermöglichen. Ich zähle die For-derungen einmal auf: Erstens fordert die Friedensjirgavon Ihnen, alle Gefangenen freizulassen, die ohne An-klage festgehalten werden. Zweitens fordert sie, endlichdie Namen von Aufständischen von der internationalenschwarzen Liste zu streichen. Drittens fordert sie eineSicherheitsgarantie für all diejenigen, die an den Frie-densverhandlungen teilnehmen wollen. Das macht auchSinn. Sie können doch nicht erwarten, dass irgendeinWarlord oder Taliban-Führer an Verhandlungen teil-nimmt, wenn er befürchten muss, gleich erschossen zuwerden!kSrnEhhKdbhkwkmSgSAWhkZsbhmzdSfImRFBadSw
Herr Westerwelle, ich habe noch anderthalb Minutenedezeit. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie dieragen ganz konkret beantworten könnten.
eantworten Sie ganz präzise die Frage: Sind Sie bereit,uf die Forderungen der Friedensjirga einzugehen, wasie Friedensverhandlungen angeht? Was ist mit dertreichung der Namen von der schwarzen Liste?
Wenn Sie Ihre Rede beendet haben, nehmen Sie bitteieder Platz.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5843
)
)
Herr Solms, mit Verlaub, aber ich finde, das ist falsch.
Wir machen hier kein Theater.
Der Sinn einer Debatte ist doch, dass man miteinan-
der redet, offen Argumente austauscht und irgendwann
auch einmal Fragen stellt und Antworten gibt. Wenn hier
alle nur vorbereitete Reden vorlesen, kann ich die auch
zu Hause lesen.
Deswegen meine ich, dass man auch einmal auf eine
Frage antworten sollte. Aber wenn Sie nicht wollen,
dann müssen wir es lassen.
Die Regularien der Debatte sind in der Geschäftsord-
nung festgelegt. Sie werden nicht von Ihnen bestimmt.
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Elke
Hoff von der FDP-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich finde es in hohem Maße bedauerlich, verehrterHerr Kollege van Aken, dass Sie in diesem Hohen Hauseein so wesentliches Thema wie den Einsatz in Afghanis-tan bzw. die Stabilisierungsbemühungen in Afghanis-tan für Ihren politischen Klamauk benutzen.
Ich glaube, dass die Vorträge oder Wünsche der Frie-densjirga in Kabul von der internationalen Gemeinschaftsehr ernst genommen werden. Ich war vor 14 Tagen inKabul. Zeitgleich war dort auch eine Delegation der Ver-einten Nationen, die genau über diese Themen gespro-chen hat, die Sie heute so in den Raum stellen, als würdesich die internationale Gemeinschaft vor diesen wichti-gen Fragen drücken.
Das heißt, die internationale Gemeinschaft nimmtdas, was die afghanischen Vertreter der Politik sagen,durchaus ernst.
– Selbstverständlich habe ich eine Meinung dazu. Diewerde ich Ihnen im Verlauf der Rede auch darlegen.ssDgcgAadtphdgNWMlSgddmngaerÜsmidjzwahnshsbzdnVbgJ
ach meinem zeitlichen Verständnis ist es beim bestenillen nicht möglich, zwischen dem Zeitraum von sechsonaten und Nachhaltigkeit eine Verbindung herzustel-en.Wir haben versucht, durch die Maßstäbe der neuentrategie die internationale Gemeinschaft und die Af-hanen in die Lage zu versetzen, auf einer Grundlage,ie am Ende der Reise in einen politischen Prozess mün-et, endlich neue Weichen zu stellen. Ich glaube, nie-and von der Bundesregierung und auch von der inter-ationalen Gemeinschaft hat bisher einen Zweifel daranelassen, dass eine militärische Lösung dieses Konfliktsllein nicht möglich ist. Darüber besteht, wie ich glaube,in breiter Konsens auch hier im Hause. Deswegen wa-en die Punkte, die der Minister vorgetragen hat, nämlichbergabe in die Verantwortung Afghanistans, eine ver-tärkte Dezentralisierung und Einmündung in einen – ichöchte hier gerne noch etwas draufsetzen – dauerhaftennstitutionalisierten politischen Prozess in Afghanistan,er richtige Weg.Aber wir müssen der internationalen Gemeinschaftetzt erst einmal die Zeit geben, diese Strategie umzuset-en. Natürlich gibt es Erfolge. Ich glaube, dass einesentlicher Aspekt zur Übergabe in Sicherheitsver-ntwortung die Ausbildung der afghanischen Sicher-eitskräfte ist. Die Bundesrepublik Deutschland wirdoch in diesem Jahr damit beginnen, auch hier einen we-entlichen Beitrag zu leisten. Sie können davon ausge-en, dass das die einzige Möglichkeit ist, die afghani-chen Sicherheitskräfte auf den richtigen Weg zuringen.Ich hatte vor wenigen Tagen die Möglichkeit, mir an-uschauen, was bereits im Süden und im Osten des Lan-es getan wird. Es gibt auch dort Erfolge. Es gibt Regio-en, in denen die afghanischen Sicherheitskräfte dieerantwortung für die Stabilisierung übernommen ha-en. Sie können und tun das. Deswegen ist die Ankündi-ung des Bundesaußenministers, dass wir es in diesemahr schaffen werden, Regionen in Afghanistan in die
Metadaten/Kopzeile:
5844 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Elke Hoff
)
)
Verantwortung zu übergeben, keine Illusion; vielmehrwird das Realität werden.
Viele Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort waren,wissen, dass die afghanische Bevölkerung darauf hofft,dass endlich Frieden einkehrt. Auch wir in der interna-tionalen Gemeinschaft hoffen, dass in der Region end-lich Frieden einkehrt. Deshalb ist es wichtig, die Bun-desregierung und Außenminister Westerwelle dabei zuunterstützen, genau diesen politischen Prozess jetzt mitNachdruck auf den Weg zu bringen.Ich hoffe nicht, lieber Kollege Erler – Sie haben dieKonfliktlage in der Vergangenheit immer sehr konstruk-tiv und auch sehr sachlich analysiert –, dass das, was Sieheute vorgetragen haben, sozusagen die erste Absetzbe-wegung von unserem gemeinsamen Engagement inAfghanistan ist. Sie haben selbstverständlich recht, dasswir immer wieder evaluieren müssen. Deswegen findeich es richtig und gut, dass die Bundesregierung heute,vor der Afghanistan-Konferenz, vor dem Parlament undder Öffentlichkeit noch einmal eine Einschätzung überdie Lage abgibt,
damit wir wissen, auf welcher Grundlage die zukünfti-gen politischen Aktivitäten erfolgen. Ich wünsche mirsehr, lieber Herr Erler – das sage ich gerade in Richtungder Sozialdemokraten –, dass wir den gemeinsamenKonsens, dass wir die Lage in Afghanistan nicht sichselbst überlassen können –
wir haben uns gegenüber der afghanischen Bevölkerungcommitted und wissen, dass es ein sehr schwieriger Pro-zess ist –, nicht aus innenpolitischen Erwägungen herausaufs Spiel setzen, sondern gemeinsam in diese Richtunggehen.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hin-weisen: Wir sind auf einem Weg, der vernünftig ist. Wirsind auf einem Weg, der machbar ist. Wir sind auf einemWeg, der Geduld braucht, der Zeit braucht, der Engage-ment braucht.
Ich darf mit dem gleichen Satz noch einmal schließen:Deutschland hat sich verpflichtet, und Deutschland hältseine Zusagen.
– Lieber Kollege Ströbele, ich glaube, ich habe das ebengesagt.
IedmEWsbsenNHdsnDvWKGddgKbHwsvescIAwopmAt
Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Frithjof Schmidt von Bünd-is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Außenminister, wir teilen mit Ihnen das Anliegener internationalen Gemeinschaft, eine politische Lö-ung für Afghanistan zu erreichen. Wir sind jetzt seiteun Jahren in Afghanistan im internationalen Einsatz.ie Dilemmata des Engagements sind größer als je zu-or. Deswegen sage ich: Umso wichtiger sind offeneorte dazu.Wir reden hier über eine politische Lösung, derenern eine Machtteilung mit den wichtigsten bisherigenegnern sein wird. Eine solche Lösung wird von Präsi-ent Karzai angestrebt; er hat dafür die Rückendeckunger von ihm organisierten Friedensjirga erhalten. Dabeieht es um Verhandlungen mit nichtdemokratischenräften. Wir wissen: Da werden auch Kompromisse vor-ereitet, die in demokratischer und menschenrechtlicherinsicht hochproblematisch sind.
Wir reden dabei über rote Linien. Zugleich wissenir, dass Herr Karzai unter diesen roten Linien offen-ichtlich etwas anderes versteht und verstehen wird alsermutlich alle hier im Saal.Vieles davon – ich sage das etwas gequält – wird beiiner politischen Lösung wahrscheinlich unvermeidbarein. Aber Wahrhaftigkeit und Klarheit beim Anspre-hen dieser Dilemmata sind unverzichtbar.
ch sage Ihnen: Die Menschen in Deutschland und infghanistan werden diese Politik nicht akzeptieren,enn wir ihnen nicht reinen Wein einschenken und nichtffen über die hässlichen Seiten reden, die diese Kom-romisse notwendigerweise haben werden. Herr Außen-inister, bei allem Verständnis für die Zwänge Ihresmtes: An dieser Stelle haben Sie mich heute ent-äuscht; da hätte ich mir klarere Worte gewünscht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5845
Dr. Frithjof Schmidt
)
)
Ein weiteres Dilemma betrifft die internationalenRahmenbedingungen. Auch dazu muss man klareWorte sagen. Wir alle wissen: Der internationale Militär-einsatz in Afghanistan wird in den nächsten Jahren en-den. Einige unserer wichtigsten Partner haben bereitsentschieden: Die USA wollen 2011 mit einem Abzug be-ginnen; der neue britische Premierminister hat angekün-digt, dass 2015 der letzte britische Soldat abgezogen seinsoll; unser westlicher Nachbar, die Niederländer, verlas-sen bereits dieses Jahr das Land; nächstes Jahr gehen dieKanadier; für unseren östlichen Nachbar hat der neuepolnische Präsident erklärt, er wolle bis 2012 den Abzugder 2 600 polnischen Soldaten aus dem Norden komplettvollziehen. All das verändert auch die Lage der Bundes-wehr und ihres Einsatzes; das muss einmal klar ange-sprochen und bilanziert werden.Die Sicherheitslage in Afghanistan ist in den letztenMonaten nicht besser geworden. Die jüngsten Veröffent-lichungen der Vereinten Nationen attestieren eine mas-sive Zunahme militärischer Gewalt. Seit 2009 hat sichdie Zahl der Straßenbomben fast verdoppelt; die Zahlder Selbstmordattentate hat sich sogar verdreifacht. DieMilitäroperationen im Süden, die auch dagegen Abhilfeschaffen sollten, liegen zudem im Zeitplan weit zurück.Meine Damen und Herren von der Koalition, ein ab-gestimmtes Konzept der Bundesregierung, wie man mitdieser Situation und diesen Dilemmata – ich räume aus-drücklich ein, dass es sie gibt – umgehen will, ist nichtwirklich erkennbar.
Da hören wir auf der einen Seite Sie, Herr Außenminis-ter. Sie sprechen heute hier, aber auch in der Zeit von ei-ner Abzugsperspektive, die in den nächsten drei Jahrenerarbeitet werden soll. Danach, 2014, soll die Übergabeeigentlich schon in vollem Umfang abgeschlossen sein.Dann ist da Herr zu Guttenberg, der kein konkretes Ab-zugsdatum nennen will. Stattdessen spekuliert er in derFrankfurter Allgemeinen Zeitung darüber, dass… einer der größeren oder der größte Bündnispart-ner aus welchen Gründen auch immer beschleunigtAfghanistan verlässt …Er schließt also nicht aus, dass die USA viel schnellergehen als angekündigt. In dem Fall will er nicht derje-nige sein, der – so wörtlich – „alleine und verlassen dasLicht ausmacht“. Dann spekuliert er über den Einsatzvon Geheimdiensten und Special Forces in Afghanistannach einem plötzlichen Abzug von ISAF. Das ist dochkeine seriöse Planungsdebatte in der Regierung.
Ich kann Sie nur fragen: Ist Ihnen eigentlich klar, wieviel Unsicherheit Sie mit solch einem Regierungsgeredebei den zivilen und militärischen Einsatzkräften vor Ortstiften? Es ist nicht in Ordnung, dass Sie die Planungs-dbapbvdgd5dhggdainAzhEsvakuseddZIkaszbfdkBpd
Meine Herren Minister, legen Sie endlich unter Ihnenbgestimmte und konkrete Schritte zu einem Abzugs-lan vor, die Orientierung geben, oder schweigen Sie lie-er!Auch bei unseren zivilen Anstrengungen stehen wiror großen Problemen. Wir alle sind uns einig, dass wiren zivilen Aufbau beschleunigen müssen und die Auf-aben eigentlich mehr Mittel erfordern. Das wurde aufer Londoner Konferenz auch beschlossen. Bis zu0 Prozent der Mittel sollen danach in Zukunft direkt anie afghanische Regierung ausgehändigt werden. Jetztaben wir aber erfahren müssen, dass viele der bisherezahlten Gelder nicht ausgehändigt, sondern ausgeflo-en werden. Über 4 Milliarden Dollar in bar sollen inen letzten drei Jahren kistenweise von korrupten Elitenus dem Land geschafft worden sein. Deswegen sagech: Die 50-Prozent-Vereinbarung von London darf soicht umgesetzt werden.
uch dies sollten Sie in Kabul klarmachen.Studien haben deutlich gemacht: In unsicheren Provin-en bringt die Entwicklungszusammenarbeit keine nach-altigen Erfolge. Sie führt auch nicht zu einer positivereninstellung der Bevölkerung gegenüber den ausländi-chen Truppen. Deshalb sollte der zivile Wiederaufbauor allem in den friedlichen Provinzen konzentriert vor-ngetrieben werden.Herr Außenminister, ich hätte mir eine Regierungser-lärung gewünscht, die diese Dilemmata offen benenntnd eine nicht ganz angenehme Wahrheit klar aus-pricht: Auf der Kabuler Konferenz geht es nicht mehr inrster Linie darum, was eigentlich notwendig wäre, son-ern es geht politisch um die Frage, was wir angesichtser komplizierten Lage und der kurzen verbleibendeneit noch erreichen können.Nur wenn man dieser Wahrheit ins Auge schaut – beihnen ist nicht klar geworden, ob Sie das so sehen –,ann man einen realistischen Weg zur Übergabe in Ver-ntwortung und auch zum Abzug in Verantwortung be-chreiben. Ich wünsche Ihnen hier zukünftig mehr Mutum offenen Wort, Herr Westerwelle.
Meine Damen und Herren, wir erwarten von der Ka-uler Konferenz, dass man dort auf diese teilweise uner-reulichen Realitäten eingeht. Sie muss die Leerstellener Londoner Konferenz füllen und einen Aufbauplan mitlaren Zwischenzielen vorlegen. Ja, wir wollen ein klaresekenntnis der internationalen Gemeinschaft zu einerolitischen Lösung. Dabei müssen auch die Ergebnisseer Friedensjirga in Afghanistan einbezogen werden.
Metadaten/Kopzeile:
5846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Dr. Frithjof Schmidt
)
)
Aber ich sage auch: Die internationale Gemeinschaftmuss auf die Einhaltung roter Linien bei Menschen- undFrauenrechten achten
und bei diesem Thema gegebenenfalls auch den Konfliktmit der Regierung Karzai suchen.
Sie muss auch eigene militärische Aktivitäten, die dasErreichen einer politischen Lösung schwieriger machen,überdenken. Gezielte Tötungen von Aufständischen, dieauf einer Art schwarzer Liste stehen, gehören mit Si-cherheit dazu. Sie sind inakzeptabel und kontraproduk-tiv.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschlusswollte ich eigentlich sagen, dass ich über die Signale ausden Koalitionsfraktionen, bei der Evaluierung gemein-sam vorzugehen, positiv überrascht war. Wir haben auchschon Gespräche darüber geführt. Jetzt war ich allerdingsetwas negativ überrascht, dass Sie, Herr Schockenhoff, esso dargestellt haben, als hätten wir überhaupt keine Eini-gung über Zwischenschritte erzielt.
Wir waren uns eigentlich einig, was zu tun ist. Es gabzwei Modelle, wie man, gegebenenfalls im Rahmen ei-nes Parlamentsgremiums, vorgehen kann. Diese zweiModelle wollten wir prüfen. Heute haben Sie es aller-dings so dargestellt, als wollten wir uns nicht mit Ihneneinigen.
Da kann ich Ihnen nur sagen: Nein. Wir würden mit Ih-nen gerne noch einmal über die Modelle, die auf demTisch lagen und die wir noch vorgestern gemeinsam prü-fen wollten, sprechen. Das, was wir in der Debatte vorzwei Wochen erlebt haben, wollen wir Ihnen nichtdurchgehen lassen. Da haben Sie nämlich gesagt: DieEvaluierung ist gut und wichtig, aber wir fangen damiterst in einem Jahr an. – Erst in einem Jahr damit anzu-fangen, wäre viel zu spät. Das darf nicht sein.
Die Lehren aus dem bisherigen Einsatz müssen gezo-gen werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür,dass ein Abzug in Verantwortung – ich glaube, das istunser gemeinsames Anliegen – überhaupt gelingen kann.Deswegen sage ich: Lassen Sie uns noch einmal über die-ses Thema sprechen.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.CraESEwsssIkguksBknnmesflHDGkSHBPAnss
Das Wort hat der Kollege Holger Haibach von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gernn das anschließen, was der Kollege Schmidt gesagt hat.rstens. Ich glaube, durch den Beitrag des Kollegenchockenhoff ist deutlich geworden, dass wir uns einervaluation des Einsatzes – diese erachten wir für not-endig – nicht verschließen. Es muss aber ganz klarein, was Beratung und was Entscheidung ist. Die Ent-cheidung wird am Ende – da hilft ein Blick in das Ge-etz – hier gefällt.
n keiner Sekunde darf der Eindruck in der Öffentlich-eit entstehen, als würden wir die Entscheidung an ir-endwelche Außenstehende – und seien sie noch so gutnd erfahren – abgeben. Deswegen muss hier eine ganzlare Linie gezogen werden.
Zweitens. Ich möchte auf das Gesamtbild des deut-chen Einsatzes und das, was Herr Westerwelle und derundesverteidigungsminister gesagt haben, zu sprechenommen. Ich habe das, was der Bundesverteidigungsmi-ister veröffentlicht hat, so verstanden, dass er darüberachgedacht hat, was eventuell andere, was Verbündeteachen könnten. Das ist legitim und aus meiner Sichtxtrem notwendig; denn wenn ein anderer Staat, der zu-ammen mit uns dort militärisch handelt, seine Truppenrüher abziehen sollte, als er das bisher öffentlich ver-autbart hat, dann hätte das Konsequenzen für unserandeln.
eswegen finde ich es richtig, sich rechtzeitig darüberedanken zu machen.Drittens. Herr Kollege Schmidt, Sie haben darauf re-urriert, was möglicherweise im Süden passieren wird.ie haben es vielleicht nicht gehört, aber die Kolleginoff hat zu Recht dazwischengerufen: Im Süden ist dieundeswehr nicht tätig. – Wir können zwar unserenartnern Vorschläge machen, wie sie vorgehen sollen.ber wir werden die Strategie dort nicht bestimmen kön-en. Deshalb sollten wir die Debatte über unseren deut-chen Einsatz führen.Ich möchte klarmachen – auch weil sehr viele Zu-chauer auf der Tribüne sitzen –, dass es sehr viel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5847
Holger Haibach
)
)
Schwarz-Weiß-Malerei in der öffentlichen Debatte überdieses Thema gibt. Ich möchte Ihnen – mit Zustimmungdes Präsidenten – aus der Berliner Zeitung vom 3. Juli2010 zitieren. Dort schreibt Steffen Hebestreit:„In Deutschland gibt es ein völlig verzerrtes Bildvon Afghanistan.“ Bei einer Reise durch Afghanis-tan kann man diesen Satz vielfach hören – vomdeutschen Botschafter in Kabul, von Polizeiausbil-dern aus Erkrath, Bundeswehr-Obersten aus Hada-mar, Entwicklungshelfern aus Österreich, afghani-schen Ministern und von vielen einfachen Soldaten.Immer wieder. „Afghanistan“, beschwert sich einer,„ist in den Medien immer nur Bürgerkrieg, Zerstö-rung, Korruption und Verzweiflung.“Auch daran müssen wir denken, wenn wir hier diskutie-ren. Afghanistan ist nicht heile Welt, aber auch nicht dieKatastrophe, zu der es immer gemacht wird. Deswegenist es wichtig – in dem Punkt hat der Kollege Schmidtrecht –, dass die Konferenz in Kabul, wie Sie das ge-nannt haben, die Leerstellen füllt, die in London übriggeblieben sind. Ich habe, ehrlich gesagt, diese Konferenzauch nie anders verstanden. Es geht darum, zu operatio-nalisieren und aus den Grundlagen, die in London gelegtwurden, ein vernünftiges Gesamtkonzept zu machen unddieses mit Leben zu füllen. Dabei ist es wichtig, dass wirden afghanischen Staat in militärischer, justizieller undrechtsstaatlicher, aber auch in wirtschaftlicher Hinsichtdazu befähigen, das Schicksal selbst in die Hand zu neh-men. Dazu gehört der Aufbau entsprechender Struktu-ren. Das wird schwierig genug.Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um ein klei-nes Warnzeichen zu setzen. Die Bundesregierung unddas Parlament haben – aus meiner Sicht: zu Recht – dieMittel für den Wiederaufbau in Afghanistan nahezuverdoppelt. Ich halte das für das richtige Zeichen, weilwir in dieser schwierigen Zeit diese Mittel brauchenwerden. Aber es gibt drei Punkte, bei denen wir aufpas-sen müssen. Der erste Punkt ist das Thema Veruntreu-ung; darüber wurde schon gesprochen. Dem muss nach-gegangen werden. Das muss mit aller Härte verfolgtwerden. Der zweite Punkt ist die Korruption. Seit 2007hat sich die Korruption in Afghanistan verdoppelt. DerUmfang der Korruption lag im Jahr 2009 bei etwa1 Milliarde Dollar. Der dritte Punkt ist die Entwick-lungszusammenarbeit, auf der sehr viele Teile des Kon-zepts fußen. Entwicklungszusammenarbeit ist langfristigangelegt und kann kurzfristig keine Erfolge zeitigen underst recht nicht Dinge wiedergutmachen, die in der Ver-gangenheit nicht so gut gelaufen sind.Insofern warne ich davor, der Entwicklungszusam-menarbeit all das aufzubürden, was in den vergangenenJahren schiefgelaufen ist, und die Erwartungshaltung zuhaben, mit mehr Geld werde man innerhalb von einemJahr oder zwei Jahren die Dinge so radikal verändern,dass es vorangeht. Die Entwicklungszusammenarbeitwird es in Afghanistan aber auch nach Beendigung derinternationalen Militärpräsenz noch lange geben.Deswegen ist es richtig, dass wir mit dem Afghanistan-Konzept auch die Schwerpunkte unserer künftigen Arbeitvorgelegt haben. Das sind: der Aufbau einer vernünftigenSswPiuSgzsddkddFzgwDswdeDaIhdshiwhnl4mvntaswdgldihdagfd
Metadaten/Kopzeile:
5848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
zu implementieren; denn das ist eine wichtige Vorausset-zung dafür, dass wirtschaftliches Handeln unter rechts-staatlichen Bedingungen stattfindet.Es ist wichtig, dass von dieser Konferenz nicht nurein Signal dafür ausgeht, dass die internationale Ge-meinschaft bereit ist, die Realitäten in dem Land anzuer-kennen, und dass wir bereit sind, alles zu tun, was not-wendig ist, um in Afghanistan voranzukommen, sondernes ist eben auch wichtig, dass die afghanische Seitezeigt, dass sie bereit ist, ihren Teil dazu beizutragen, ei-nen vernünftigen Wiederaufbau in Afghanistan zu errei-chen.Danke sehr.
Als nächster Redner hat der Kollege Johannes Pflug
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister, als ich Sie heute Morgen im
Deutschlandradio und im ARD-Morgenmagazin gehört
habe, hatte ich gleich die Befürchtung, dass das eintreten
würde, was wir hier auch tatsächlich erlebt haben, näm-
lich eine Regierungserklärung nach dem Motto: Busi-
ness as usual – alles wird gut in Afghanistan.
Ich muss Ihnen sagen, verehrte Frau Kollegin Hoff
und verehrte Kollegen von den Koalitionsfraktionen:
Der Tenor Ihrer Reden ging in dieselbe Richtung. Des-
halb möchte ich gerne versuchen, Ihnen zu erklären, dass
die Situation etwas anders ist, als es in dieser Regie-
rungserklärung zum Ausdruck kam. Der Kollege
Schmidt hat das aufgegriffen.
Ende 2009 haben die Japaner ihre logistische Unter-
stützung für die amerikanischen Schiffe eingestellt. Ende
dieses Jahres werden die Niederländer ihren Truppenein-
satz in Afghanistan beenden; daran ist die niederländi-
sche Regierung zerbrochen. Die Polen haben angekün-
digt, dass sie 2012 ihre Truppen aus Afghanistan
zurückziehen wollen. Das einzige konkrete Ergebnis
vom G-20-Gipfel ist die Ankündigung von Herrn
Cameron gewesen, dass die Briten bis 2015 ihre Truppen
zurückziehen werden.
Von den Amerikanern wissen wir, dass sie 2011 mit
dem Truppenabzug beginnen wollen. Wenn ich mich
richtig erinnere, ist das auch unsere Beschlusslage. Denn
s
i
L
r
n
d
f
W
t
h
g
t
w
O
e
d
r
b
2
d
w
g
i
e
K
b
m
d
d
z
d
s
K
K
d
k
i
v
t
Z
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5849
)
(Ulrike Flach [FDP]: Das hast du aber gut ver-borgen! – Zuruf von der CDU/CSU: Das hat erweggelassen!)Aber glauben Sie, dass der amerikanische Präsident2012 in den Vereinigten Staaten den Präsidentschafts-wahlkampf führen möchte, wenn seine Truppen inAfghanistan in die heftigsten Kämpfe verwickelt sind?Er hat doch genügend innenpolitische Probleme. GehenSie davon aus: Der meint das ernst.Er wird sicherlich versuchen, bis 2011 die Sicher-heitslage in Afghanistan zu verbessern, und zwar durchentsprechende Offensiven, die auch angekündigt waren,aber verschoben worden sind. Es hat eine Offensive inHelmand stattgefunden. Die für Kandahar und HelmandValley angekündigten Offensiven sind bisher verschobenworden. Der amerikanische Präsident wird 2011 denEindruck vermitteln, dass sich die Sicherheitslage mitt-lerweile entsprechend verbessert hat, und dann wird eruns und die anderen bitten, sich entsprechend zu beteili-gen.Glauben Sie bloß nicht, dass Sie darauf verweisenkönnen: Der Deutsche Bundestag hat verschiedene Be-schlüsse gefasst mit dem Inhalt: Wir sind nicht dabei. –Man wird von uns einen Beitrag erwarten. Herr Minister,deshalb müssen Sie fragen: Was haben die Amerikanervor? Wie wird die bisherige Strategie beurteilt? Was hatPetraeus in Afghanistan vor? Welche Rolle sollen diedeutschen Truppen spielen? Es geht doch nicht an, dassman einfach so tut, als könnten wir weiter vor uns hinwursteln.Frau Kollegin Hoff, Sie haben gefragt: Sind das, wasvon Herrn Erler kam, vorsichtige Absetzbewegungengewesen? Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Nein! Wir ste-hen in der Kontinuität und werden auch weiterhin in die-ser Kontinuität stehen, aber nur dann, wenn wir den Ein-druck haben, dass Ihre Augen offen sind und Sie dieLage mit uns auch realistisch beurteilen. Sonst hat daskeinen Sinn. Sonst müssen wir von uns aus die Konse-quenzen ziehen und versuchen, von unserer Seite auseine entsprechende Strategie zu entwickeln.Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegenden Afghanistan-Einsatz. Und wenn Sie ehrlich in IhreFraktion und in die anderen Fraktionen hineinfragen,dann werden Sie feststellen, dass insbesondere bei denneueren Kolleginnen und Kollegen eine große Skepsisbesteht und sie große Zweifel haben.
Bisher haben wir die Kontinuität durchhalten können,weil unsere Politik erklärbar war. Erklärbar ist sie dann,wenn sie politisch und moralisch zu rechtfertigen ist. Diemoralische Rechtfertigung endet aber spätestens dann,wenn mit dem Einsatz deutscher Soldatinnen und Solda-ten nur noch der Status quo gehalten werden kann oderdie Sicherheitslage sich sogar permanent verschlechtert.Genau das schildern unsere Geheimdienste in den Lage-berichten. Es werden Kisten mit Geld außer Landes ge-bracht, aber wir sollen weiter finanzieren. Das kann dochalles nicht wahr sein!rrnliqksibznvlWididgmRtTmEiiAsKgglsindldtr
Metadaten/Kopzeile:
5850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
chen werden. Das ist die wohl größte Herausforderung,vor der wir alle zusammen stehen.Meiner Meinung nach kann die Lösung dieses Pro-blems in dieser Phase nur Reintegration heißen. Das istauch ein Punkt, der in der aktuellen internationalen Stra-tegie aufgeführt ist. Reintegration kann nur erfolgen,wenn alle Akteure eng zusammenarbeiten – die afghani-sche Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft.Afghanistan muss auf kultureller, politischer und wirt-schaftlicher Ebene gestärkt werden. Nur so werden wirdort Vertrauen und Zuversicht vermitteln können.
Reintegration ist eine große Chance für die Stabilisie-rung von innen heraus. Das ist ein wichtiges Moment dergesamten Strategie. Darüber müssen wir uns alle im Kla-ren sein.Wenn man über die Kabuler Konferenz diskutierenwill, so muss man ebenfalls über die Londoner Konfe-renz und die damit verbundenen Ergebnisse diskutieren.Mit der Londoner Konferenz ist ein Strategiewechseleingeleitet worden. Dabei wurde der zivile Aufbau nochstärker forciert, der Schutz der afghanischen Bevölke-rung in den Mittelpunkt gestellt und die Ausbildung derSicherheitskräfte verstärkt. Im Nachgang der LondonerKonferenz hat die Bundesregierung entschieden, dieHaushaltsmittel für Entwicklungszusammenarbeit zu er-höhen. Die Erfolge sind in Afghanistan sichtbar. Ob esdie Übergabe von Schulen ist, die Einweihung einesAusbildungszentrums oder einer Polizeiwache, ob esProgramme für Infrastrukturverbesserung oder zum Bauvon Krankenhäusern sind – eines wird deutlich: Wirwollen und werden den zivilen Aufbau in Afghanistanweiter intensiv unterstützen.
Dafür brauchen wir weiterhin die Bundeswehr dort.Sie macht diese positive zivile Entwicklung überhaupterst möglich. Eine stabile Sicherheitslage ist und bleibtdie wichtigste Voraussetzung für den Erfolg ziviler Pro-jekte.
– Fahren Sie einmal nach Afghanistan, schauen Sie sichdas an! Nehmen Sie diese Mühe auf sich, und informie-ren Sie sich vor Ort! Das ist in der Tat so. – Unsere Sol-datinnen und Soldaten können stolz darauf sein, dassaufgrund ihres Einsatzes die positive Entwicklung inAfghanistan erst möglich wird.
Für ihren schweren und gefährlichen Einsatz in Afgha-nistan habe ich die höchste Wertschätzung und Anerken-nung. Das muss an dieser Stelle an so einem Tag auchgesagt werden.
zsSTndduStnEgWAsssmTszadügcVAetmvDWN
s wäre allerdings ein Fehler, wenn wir uns jetzt festle-en und einen Termin des Abzuges bestimmen würden.ir haben mit der internationalen Gemeinschaft einennsatz erarbeitet. Diesen Ansatz müssen wir durch un-er Afghanistan-Mandat umsetzen. Unser Ziel muss esein, schrittweise die Rückgabe in Verantwortung zu ge-talten. Wir werden uns aber auch Gedanken machenüssen, was nach einem Abzug der internationalenruppen kommen wird.Nachsorgelemente werden notwendig sein. Sie müs-en von langer Hand und sorgfältig geplant werden, umu einem abschließenden Teil unserer Übergabe in Ver-ntwortung zu werden. Eines muss klar sein: Wir dürfenieses Land nie wieder Terroristen und Verbrechernberlassen, sonst würden wir einen Flächenbrand in deresamten Region riskieren. Das wäre eine sehr gefährli-he Entwicklung. Wir können auch nicht erst nacherantwortung rufen, dann aber die Afghaninnen undfghanen allein ihrem Schicksal überlassen. Das wärebenfalls ein sehr schlimmer Fehler.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Frak-
ion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habeich gefragt: Warum führen wir eigentlich jetzt, so kurzor der Sommerpause, diese Debatte hier?
enn wirklich Neues ist nicht gesagt worden.
enn darauf hingewiesen wurde, dass eigentlich nichtseues gesagt wurde, hat man entgegnet: Es ist noch viel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5851
Paul Schäfer
)
)
zu früh, um etwas Neues zu sagen. – Ich habe jetzt ver-standen, worum es geht.
Es geht darum, noch einmal vor der langen Sommer-pause der Bevölkerung das Mantra vorzutragen: Okay,wir sind in Afghanistan zwar in Schwierigkeiten, aberalles wird gut in Afghanistan. – Das ist das Mantra, dieBeschwörungsformel. Dies scheint bitter nötig zu sein,weil gleichzeitig die Ankündigung erfolgt: Es wird inAfghanistan für unsere Soldatinnen und Soldaten einenharten, bitteren Sommer geben. Es geht hier also offen-sichtlich darum, für den Fall, dass uns solche Meldungenin den nächsten Wochen ereilen werden, die Lage in derHeimat zu stabilisieren.Aber das Mantra wirkt nicht mehr. Nach neun JahrenNATO-Intervention in Afghanistan hat sich bei denmeisten Menschen – nicht nur in Deutschland, sondernauf allen Kontinenten – die Erkenntnis durchgesetzt,dass Frieden in Afghanistan mit NATO-Truppen nichterreicht werden kann.
Nach einer kürzlich vorgelegten aktuellen Umfrage in22 Staaten auf allen Kontinenten – darunter USA,Deutschland, Frankreich, China und Indien – haben sichnur in einem Staat mehr als 50 Prozent der befragtenPersonen für den Verbleib der NATO-Truppen in Afgha-nistan ausgesprochen: in Kenia.Ich bin angesichts dieser Debatte allerdings skeptisch,ob sich diese Erkenntnis, die in der Bevölkerung schongereift ist, auch im Bundestag durchsetzen wird. Sie sindimmer noch sehr darauf fixiert, dass nicht sein kann, wasnicht sein darf. Ihre Devise lautet daher: Die NATO darfnicht scheitern. Es geht aber nicht um die NATO, die alsMilitärbündnis ihre Zukunft schon längst hinter sich hat.Es geht um eine Friedenslösung für Afghanistan.
Was SPD und Grüne anbetrifft, so ist zu sagen, beideParteien kommen offensichtlich einfach nicht davonweg, dass sie den Afghanistan-Einsatz beschlossen ha-ben. Deshalb müssen die Grünen die ISAF-Militärinter-vention in ihrem Entschließungsantrag immer noch alsTeil einer politischen Lösung darstellen. Diese Militär-intervention ist kein Teil der Lösung, sondern ein gravie-render Teil des Problems!
Der neue ISAF-Kommandeur Petraeus hat zuletztsehr markig verkündet: „Wir sind hier, um zu siegen.“Liebe Kolleginnen und Kollegen, da kann einem wirk-lich angst und bange werden, weil es zeigt, dass dasDenken in den militärischen Kategorien von Sieg undNiederlage ungebrochen ist. Der Herr meint tatsächlich,dass man das Blatt militärisch wenden kann. Man wirdund kann es nicht militärisch wenden!
gtw1sf8nSsfWamldvmRmdtkGsKsdnTdUgsfknAzzsd
enn man schon in der Klemme ist, scheut man sichuch nicht, sich mit fragwürdigen Alliierten zusam-enzutun, etwa mit den lokalen Milizen, die jetzt in al-en Regionen als Partner aufgewertet werden, obwohl sieas staatliche Gewaltmonopol untergraben.Die schönen Pläne eines sauberen Krieges, der die Zi-ilbevölkerung schützt – Sie haben dieses Bild hier im-er wieder transportiert – zerschellen einfach an derealität. Allein in den letzten drei Monaten sind erneutehr als 340 zivile Opfer zu beklagen. Wir trauern umiese Opfer. Wir trauern um die toten deutschen Solda-en, und wir trauern um die Opfer von Kunduz.
Was die Praxis der Aufstandsbekämpfung angeht,ann man nur sagen: Das steht einfach in diametralemegensatz zur Förderung von Reintegration und Aus-öhnung. Wir hören von Menschenjagd, von verdecktenommandooperationen und von nächtlichen Hausdurch-uchungen. Angesichts dessen ist es kein Wunder, dassas Bundesministerium der Verteidigung vier Monateach der Londoner Konferenz gerade einmal von sechsaliban berichten kann, die im Norden ihre Waffen nie-ergelegt haben, während gleichzeitig allein bei einerS-Offensive im Norden mehr als 150 Aufständischeetötet worden sind. Das fördert die Verhandlungsbereit-chaft nicht.
Was die Korruptionsbekämpfung angeht, ist eben-alls das Nötige gesagt worden. Ich erinnere an die Geld-offer, die nach Dubai wandern.Nur wer diese Realitäten ungeschminkt ins Visierimmt, kann die richtige Antwort finden. Die richtigentwort heißt unseres Erachtens, erstens, sofortiger Ab-ug der Bundeswehr aus Afghanistan,
weitens, alles daransetzen, ein Friedens- und Waffen-tillstandsabkommen zu schließen. Statt Afghanisierunges Krieges ist Afghanisierung des Friedens angesagt.Danke.
Metadaten/Kopzeile:
5852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Hahn von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnenund Kollegen! Die Schreckensmeldungen über Kämpfe,Anschläge und Korruption in Afghanistan werden nichtweniger. Das haben wir heute schon einige Male festge-stellt.Diejenigen, die behaupten, das liege am Einsatz derinternationalen Gemeinschaft, sind meines Erachtens aufder falschen Fährte. Vielmehr scheint es doch so zu sein,dass die neue Strategie wirkt und die Taliban sich ent-sprechend dagegen wehren. Beispielsweise haben dieTaliban mit den Verhaftungen von Führern in Karat-schi, Quetta und Peschawar Ende Januar und Anfang Fe-bruar dieses Jahres einen herben Schlag erlitten.Die Operation „Hamkari Baraye Kandahar“ trifftdie Taliban-Stadtguerilla sehr hart. Vorher hatte sie sichbereits in den meisten Vierteln der Stadt Kandahar alsDe-facto-Regierung etabliert. Das konnten wir auflösen.Die Taliban reagieren jetzt mit Mordversuchen, um sichso gegen ihre schwindende Macht zu wehren. Hier dür-fen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen.
Für unsere Truppen, für unsere Soldaten ist dies nichtungefährlich.Gerade auch vor diesem Hintergrund müssen wir unsnoch einmal vor Augen führen, warum wir unsere Sol-datinnen und Soldaten in Afghanistan tagtäglich derGefahr für Leib und Leben aussetzen. Afghanistandarf nicht wieder eine Organisationsplattform für den in-ternationalen Terror werden, der dann auch Deutschlandtreffen könnte. Diese Gefährdung wäre um vieles größer,wenn die internationale Gemeinschaft das Land plötzlichund überhastet verlassen würde. Ja, der Einsatz ist ge-fährlich; er ist aber auch notwendig.Die Rückschläge, die wir immer wieder hinnehmenmüssen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wirseit 2001 den Grundstein für einen neuen StaatAfghanistan und für viele gute Entwicklungen gelegthaben.In einem so jungen Staat, in dem knapp die Hälfte derBevölkerung jünger als 15 Jahre ist und rund zwei Drit-tel nicht älter als 24 Jahre sind, haben wir zu Recht vielGeld in die Bildung investiert. Allein in den letzten fünfJahren konnten wir die Einschulungsquote von 37 auf54 Prozent steigern. Die Alphabetisierungsrate der Ju-gendlichen hat im selben Zeitraum um 8 Prozentpunktezugenommen. Das ist eine beachtliche Leistung – auchin Bezug auf das Ziel 2 der Millenniumserklärung, dasda lautet, allen Kindern eine Grundschulausbildung zuermöglichen. Hier dürfen wir ebenfalls nicht nachlassen.Bildung ist der Grundstein für Demokratie. Nur so ist esmnSüddIgmdlsdduSdgsnmAvlwwegvwAakVvqdagFdEcmdJdt
Die Kernpunkte auf dem Weg zur Übergabe in Ver-ntwortung haben wir in der Konferenz in London fest-elegt. Nun müssen diese weiter konkretisiert und mitristen versehen werden. Die vier Kernpunkte des Lon-oner Schlussdokuments – wirtschaftliche und sozialentwicklung, gute Regierungsführung, Frieden und Si-herheit sowie regionale Kooperation – müssen in Kabulit klaren und messbaren Meilensteinen versehen wer-en.Die Ergebnisse der Friedensjirga vom Juni diesesahres müssen ebenfalls Eingang in die Konferenz fin-en. Das dort beschlossene Friedens- und Reintegra-ionsprogramm, mit dem „entfremdete Brüder“ in Staat
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5853
Florian Hahn
)
)
und Gesellschaft zurückgeholt werden sollen, wird dieKonferenz ebenfalls übernehmen. Es soll Kämpfern undAufständischen unter bestimmten Bedingungen Straf-freiheit zusichern. Hier finden sich zentrale deutscheAnliegen wieder: Angebote vor allem in Form von Ar-beit und Ausbildung, keine Benachteiligung von Nicht-kämpfern, Einbeziehung der gesamten Bevölkerung so-wie eine landesweite Umsetzung.Ein herausfordernder Punkt ist die regionale Koope-ration. Wir alle können uns gut vorstellen, welche Inte-ressen die umliegenden Staaten in Afghanistan verfol-gen. Wir müssen daher unbedingt ein strategischesUmdenken bei einigen Nachbarstaaten einfordern.Wir erwarten von der Konferenz die Konkretisierungder afghanischen Entwicklungsagenda hinsichtlich In-frastruktur, Landwirtschaft, Bildung und Ausbildung so-wie eine Regierungsführung, die die Korruptionsbe-kämpfung mit einschließt. Auch hier muss es unser Zielsein, eine mit Fristen und erreichbaren Meilensteinenversehene Agenda in allen vier Bereichen zu erarbeiten.Dabei müssen wir das Gleichgewicht zwischen Anreizenund afghanischer Selbstverpflichtung unbedingt wahren.Meine Damen und Herren, der Einsatz ist gefährlich,und leider müssen wir weiterhin mit Verlusten rechnen.Wir wissen aus der Vergangenheit: Im Vorfeld von Wah-len verschlechtert sich die Sicherheitslage noch einmal.Wir müssen mit einer verstärkten Aktivität der Talibanrechnen; denn sie versuchen, die Demokratisierung desLandes mit allen Mitteln zu unterbinden. Daher dankeich unseren Soldatinnen und Soldaten, die tagtäglich fürunsere Sicherheit in Afghanistan kämpfen und zusam-men mit zivilen Aufbauhelfern, Polizisten und Diploma-ten für die Entwicklung dieses Landes arbeiten.
Für ihren Einsatz wünsche ich ihnen auf diesem WegeGottes Segen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Rudolf Körper
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberHerr Westerwelle, ich hätte mir eigentlich gewünscht,dass Sie sich in Ihrer Regierungserklärung nicht in ersterLinie bei dem Herrn Innenminister bedanken, sondernbei den Polizistinnen und Polizisten, die aufopferungs-voll ihren Dienst in Afghanistan leisten.
whmSb–lsWiaItsDmPdAsLlRWdwkJeSWmlPJwB
Lesen Sie es nach! Er hat das nicht getan.
Was die Frage der Soldatinnen und Soldaten anbe-angt: Ihnen hat der Kollege Hahn hier schon Dank ge-agt.Aus Umfragen in Afghanistan wissen wir, dass derunsch nach Sicherheit und Frieden bei den Menschenn einem sehr hohen Maße ausgeprägt ist, und das istuch kein Wunder in einem solch geschundenen Land.ch finde, all das, was wir tun, müssen wir daran orien-ieren, inwieweit es für die Verbesserung des Lebens-chicksals der Menschen in Afghanistan notwendig ist.
a ist die Frage: Wie kann man ihrem Wunsch nachehr Sicherheit nachkommen?
In der Bundesregierung wird im Moment gerne vonriorisierung gesprochen. Ich habe den Eindruck: Das istas neue Wort für Kürzen, Reduzieren und Einsparen.ber in Afghanistan geht es doch um die Frage, wie wirelbsttragende Sicherheitsstrukturen fördern können.ieber Herr Westerwelle, da liegen Anspruch und Wirk-ichkeit sehr weit auseinander. Ich finde nämlich, eineegierungserklärung zu Afghanistan sollte nicht nur vonünschenswertem und Nebulösem geprägt sein, son-ern auch von einem gewissen Realitätssinn getragenerden.
Es gibt einen Fakt, der heute hier allerdings nocheine Rolle gespielt hat. Man muss wissen, dass in denahren 2008 und 2009 jeweils doppelt so viele Polizistenrmordet bzw. getötet worden sind wie beispielsweiseoldaten. Das zeigt, vor welchem Problem wir stehen.enn wir jetzt die Strukturen verbessern wollen, dannüssen wir – das ist ganz wichtig – Anspruch und Wirk-ichkeit in Einklang bringen. Die Polizeimaßnahmen undolizeivorhaben im Rahmen von EUPOL leiden seitahren jedoch an einer Unterfinanzierung. Sie müssenissen: Wir geben für Afghanistan, was den EUPOL-ereich anbelangt, insgesamt 55 Millionen Euro aus. Im
Metadaten/Kopzeile:
5854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Fritz Rudolf Körper
)
)
Vergleich zu dem, was wir in anderen Bereichen tun, istdas nicht ausreichend.
Herr Westerwelle, es ist wichtig, dass Sie auf der Ka-bul-Konferenz das Thema Polizeiausbildung anspre-chen. Es kann nämlich nicht sein, dass Polizeiausbildungeinzig und allein auf Quantität ausgerichtet ist und dieQualitätsgesichtspunkte dabei vernachlässigt werden.
Es gibt zwar eine Zielgröße für die Ausbildung, aber esist beispielsweise auch so, dass die Ausbildungszeit aufsechs Wochen verkürzt wird. Ich glaube nicht, dass nachdieser Zeit vollwertig ausgebildete Polizisten für Ein-sätze zur Verfügung stehen. Alle Erfahrungen zeigen,dass dies nicht möglich ist. In Anbetracht der hohenQuote von Morden an Polizisten müssen wir das ThemaQualität bei der Polizeiausbildung berücksichtigen. Ichbitte Sie ganz ausdrücklich, sich in diesem Sinne einzu-setzen.
Ich komme nun zur Frage der wirksamen Bekämp-fung von Korruption. Dass wir diesen Kraken bekämp-fen müssen, ist ganz klar. Ich will in diesem Zusammen-hang einen konkreten Vorschlag machen: Es ist wichtig,Herr Westerwelle, dass wir uns auch für eine angemes-sene Bezahlung im Polizeibereich einsetzen. Damit be-wahren wir die Polizisten davor, für Korruption anfälligzu werden. Ich glaube, das wäre ein erster wichtiger undpragmatischer Schritt, Korruption zu bekämpfen.Wir sollten uns auf dieser Afghanistan-Konferenz mitsolchen praktischen und konkreten Vorschlägen einbrin-gen. Ich hoffe, dass Sie das tun.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich
das Wort dem Kollegen Roderich Kiesewetter von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! LieberHerr Kollege Körper, zu Ihrer Zeit als Staatssekretär lagdie Verantwortung für den Aufbau der Polizei in Afgha-nistan noch in unseren Händen. Es ist schon interessant,dass gerade Sie heute hier den EUPOL-Einsatz kritisie-ren.
Wir wollen uns nicht zulasten einer Gruppe, seien esnun Soldaten oder Polizisten, profilieren. Entscheidendist doch – gerade im Falle von EUPOL ist das wichtig –,dass wir wirklichkeitsnah handeln: So müssen wir teil-weise Analphabeten ausbilden. Diese Vorhaben sindaaagtkrmstwakksügUssdrcukbsspgmtsweOggKnzgsEdwU
Eines ist klar: Es gibt keine Regionalmacht vor Ort.s gibt auch keine Aussicht auf ein regionales Bündnis,as in den nächsten Jahren die Sicherheit vor Ort ge-ährleisten kann. Das heißt, es kommt weiterhin auf dieNO und den internationalen Einsatz an, an dem wir in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5855
Roderich Kiesewetter
)
)
großem Umfang beteiligt sind. Es kommt auf uns an.Wenn wir die Probleme nicht lösen, wer dann? Wir dür-fen nicht hoffen, dass das andere Kräfte vor Ort überneh-men, sondern wir müssen die Afghanen dazu befähigen,dass sie die Führung von uns übernehmen. Dazwischenwird es keinen Schritt geben. Das ist ein Mannschafts-spiel.
Lassen Sie mich einen weiteren Gedanken anfügen.Unser Verteidigungsminister hat das letzte Woche – ichhabe den Artikel anders gelesen – deutlich gemacht: Wirmüssen mit unserer Bevölkerung, mit unseren Mitbürge-rinnen und Mitbürgern, sehr offen und ehrlich umgehen.Wir dürfen nicht idealistisch an das Thema herangehen.Das war in den letzten Jahren vielleicht manchmal not-wendig, aber heute ist es entscheidend, dass wir klug mitder Wahrheit umgehen. Es kommt also darauf an, dasswir die Kommunikation anders gestalten und zutreffen-dere Informationen liefern. Wir müssen der Bevölke-rung ehrlich sagen – wenn nicht wir, wer sonst? –, dasswir voraussichtlich für einen bestimmten Zeitraum mithöheren Gefährdungen und möglicherweise mit mehrOpfern bei unseren zivilen Aufbauhelferinnen und Auf-bauhelfern und den Helfern in Uniform rechnen müssen.Das meine ich sehr ernst. Wir müssen sorgsam mit dieserSituation umgehen. Zu einer glaubwürdigen Politik ge-hört es dazu, unangenehme Dinge in passende Worte zufassen.Lassen Sie mich abschließend zwei weitere Gedankenausführen. Zum einen – es ist zum Teil angeklungen –möchte ich auf die afghanischen Befindlichkeiten ein-gehen. Eine Shura bzw. eine Jirga ist kein Bundestag,kein House of Lords oder House of Parliament. Es isteine afghanische Besonderheit. Es ist das, was die Af-ghanen auszeichnet, das ist ihre Tradition. Das müssenwir ernst nehmen, und wir müssen sie ermutigen und be-fähigen. Natürlich gibt es die afghanische Verfassung,ein afghanisches Parlament und Wahlen, aber wir müs-sen gleichzeitig alle Elemente stärken, die die afghani-schen Besonderheiten hervorheben und die die Afgha-nen in ihrem Selbstbewusstsein stärken. Das müssen wireng begleiten und kontrollieren. Dabei müssen wir aufdie roten Linien achten. Wir können andere Ansätzenicht einfach überstülpen. Ich glaube, wir haben in die-sem Jahr einen ganz guten Ansatz gewählt. Afghanistankann nämlich mit dezentralen Elementen eine viel grö-ßere Wirksamkeit entfalten. Das heißt, wir brauchen einestarke Zentralregierung, aber auch eine Aufwertung derRegionen.Noch ein Punkt: Wir haben heute mehrfach überReintegration gesprochen. Wir sollten diese Reintegra-tion auch aufgrund unserer eigenen Geschichte sehr auf-merksam begleiten. Reintegration ist ohne einen Versöh-nungsprozess nicht denkbar. Diese Versöhnung müssendie Afghanen aber selbst leisten. Dazu müssen wir sieermutigen. Wenn nicht wir, wer dann? Ich denke, das istSache der Afghanen und liegt in der Verantwortung derAfghanen; dennoch müssen wir hier auch Forderungenstellen.dsHzdfsEeFzdaÜegkDfbnPnwtmißDßEtmSdWd
Metadaten/Kopzeile:
5856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, diedieser Aussprache nicht beiwohnen wollen, den Saalmöglichst geräuschlos zu verlassen, damit die anderender Aussprache folgen können.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Klaus Ernst von der Links-partei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsi-dent! Im März 2007 ist mit den Stimmen der damaligenGroßen Koalition die Rente ab 67 eingeführt worden.Gleichzeitig ist vereinbart worden, dass zum ersten Malim Jahr 2010 – und dann alle vier Jahre – zu berichtenist, ob dieser Beschluss angesichts der Entwicklung aufdem Arbeitsmarkt sowie der wirtschaftlichen und sozia-len Situation älterer Arbeitnehmer tatsächlich aufrecht-erhalten werden kann.Wir haben deshalb eine Große Anfrage gestellt, dieseit dem 23. Juni beantwortet ist. An dieser Stellemöchte ich anmerken, dass ich es verwunderlich fand,dass Herr Weiß als Erster, und zwar zu einem Zeitpunkt,als wir die Antwort der Bundesregierung noch gar nichthatten, darauf reagiert hat. Herr Weiß, es ist ja wirklichklasse, dass Sie offensichtlich zu einem Zeitpunkt infor-miert wurden, zu dem die Antragsteller die Antwortnoch gar nicht kannten.
Ich denke, das war kein gutes Verfahren. Herr Weiß,vielleicht wäre ein wenig Zurückhaltung an der einenoder anderen Stelle ganz hilfreich.
Angesichts dieses Vorgehens stellt sich für uns aller-dings die Frage, ob die Bundesregierung die Überprü-fungsklausel überhaupt ernst nimmt. Schade, dass Frauvon der Leyen nicht hier ist. Sie hat nämlich am 17. Maiim Focus auf die Frage „An der Rente mit 67 wird nichtgerüttelt?“, geantwortet: „Warum sollten wir?“ – Zumdamaligen Zeitpunkt hat sie die Antworten der Bundes-regierung offensichtlich auch noch nicht gehabt, sonstwäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen.Wir haben uns gefragt: Welche messbaren Kriteriengibt es bzw. müssen vorliegen, damit man diese Frageüberhaupt beantworten kann? Es gibt 234 Fragen undTausende von Antworten. Einige Antworten machen unsdeutlich: Die Rente mit 67 kann so nicht funktionieren.Das erste Argument: Der Anteil der sozialversiche-rungspflichtig beschäftigten 64-Jährigen an der Ge-samtzahl der 64-Jährigen – die dann also mit 65 bzw.67 Jahre in Rente gehen sollen – liegt zurzeit bei9,4 Prozent. Das heißt, 90 Prozent der Menschen, denenSie eine Rente ab 67 antun wollen, haben in diesem Al-ter gar keine sozialversicherungspflichtige Arbeit mehr.Dwa–DhJ–wsws7trtSdmdtfsa6td0uaRdfkb
Auf dieses Argument komme ich gleich, Herr Weiß. –as bedeutet für diese Menschen lediglich schlichtwegöhere Abschläge. Im Übrigen betrug diese Quote imahr 2000 3,7 Prozent. Okay, die Quote ist gestiegen.
Herr Weiß, hören Sie erst einmal zu, Sie sind schonieder so vorlaut.
Wenn wir für die Folgejahre dieselbe Dynamik unter-tellen, die es von 2000 bis 2008 gab,
ird im Jahr 2029 der Anteil der 64-Jährigen, die ohneozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind, bei5 Prozent liegen. Das heißt, für die Betroffenen bedeu-et das auch im Jahr 2029 schlichtweg eine Kürzung ih-er Leistungen.Bei den Vollzeit-Sozialversicherungspflichtigen be-rägt der Anteil der 63- und 64-Jährigen nur 7,4 Prozent.ie beginnen mit der Rente ab 67 im Januar 2012. Bisahin wird sich das nicht ändern. Das bedeutet für dieeisten Bürger in unserem Lande höhere Abschläge beier Rente ab 67 – und sonst überhaupt nichts.
Das zweite Argument: Das tatsächliche Rentenein-rittsalter liegt nach wie vor weit unter den gesetzlichestgelegten 65 Jahren. Momentan haben wir ein durch-chnittliches Renteneintrittsalter von 63 Jahren. Wir sindlso weit davon entfernt, überhaupt über die Rente mit7 zu diskutieren.Ich komme – das ist das dritte Argument – zum Ren-enversicherungsbeitrag. Die Antworten, die wir voner Bundesregierung haben, besagen: Es sind um,5 Prozent höhere Beiträge für die Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmer erforderlich, wenn wir auf die Renteb 67 verzichten und die Arbeitnehmer mit 65 Jahren inente gehen ließen. Was heißt das für einen Menschen,er 2 000 Euro verdient? Es bedeutet für ihn, dass er umünf Euro höhere Rentenbeiträge zu zahlen hätte; erönnte dann aber mit 65 in Rente gehen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch keinen Ar-eitnehmer getroffen, der gesagt hätte, dass er wegen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5857
Klaus Ernst
)
)
fünf Euro brutto mehr zwei Jahre länger arbeiten würde.Den müssen Sie mir mal zeigen!
Was ist Ihre Politik? Die Antworten der Bundesregie-rung besagen, dass Sie die Menschen, weil diese in demAlter keine Jobs mehr haben, in Altersarmut treiben.Denn sie werden durch die Rente mit 67 um 7,2 Prozenthöhere Abschläge haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Poli-tik, und sonst nichts.Jetzt könnten wir noch über Demografie streiten; ichwill eigentlich gar nicht darüber streiten.
Dazu haben wir ganz andere Ansichten als Sie, die durchHerrn Rürup belegt sind, der die Produktivitätsentwick-lung höher einschätzt als die demografische Entwick-lung.Von Ihnen möchte ich gern hören, was Sie den Men-schen sagen,
die mit 63, 62 oder 61 nicht mehr arbeiten können undlaut Ihnen bis 67 arbeiten sollen. Sie sollten wenigstensfür diese Menschen Antworten haben, ihnen zum Bei-spiel sagen können, dass sie umschulen sollen. Aber sa-gen Sie einmal einem Dachdecker, dass er zum Buchhal-ter umschulen soll. Was soll der tun? Welche Antwortenhaben Sie für diese Menschen? Sie haben keine einzigeAntwort.
Sie verstecken sich hinter dem Argument der Demogra-fie. Letztendlich ist Ihr ganzes Vorgehen bei der Rentemit 67 ein Manöver zur Kürzung der Renten für dieMehrheit der Menschen im Interesse der deutschen Ver-sicherungswirtschaft, damit sich möglichst viele privatversichern.
Das ist Ihre Politik. Die ist wirklich unzumutbar.Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim
Fuchtel hat das Wort.
H
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Ernst, wenn ich nicht Parlamentarischer Staats-
sekretär wäre, würde ich auf Ihre agitatorische Rede eine
g
F
a
i
w
d
s
g
z
n
s
v
m
s
s
m
d
B
w
r
Z
z
g
2
M
6
d
W
w
g
r
d
u
Z
d
u
z
g
Die Bundesregierung hat auf Ihre Große Anfrage ge-
ntwortet und deutlich gemacht: Die Bevölkerungszahl
n Deutschland wird zukünftig sinken, vor allem aber
ird die Bevölkerung älter werden. Wenn es stimmt,
ass die Lebenserwartung der Älteren steigt, wenn es
timmt, dass die Anzahl der Menschen im erwerbsfähi-
en Alter zurückgeht, und wenn es stimmt, dass die An-
ahl der Älteren zunimmt, dann kann man den Kopf
icht einfach in den Sand stecken, dann muss etwas ge-
chehen.
Lassen Sie mich das an einigen signifikanten Fakten
erdeutlichen. Sie wollen ja möglichst nicht über die De-
ografie diskutieren; aber das geht nicht. Die Fakten
ind gesetzt. Auch wenn Prognosen sonst oftmals nicht
timmen, hier sind sie ziemlich zielgenau. Wenn das zu-
indest anerkannt wird, sind wir einen Schritt weiter.
Herr Staatssekretär, möchten Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Ernst zulassen?
H
Ich habe mir vorgenommen, darauf hinzuweisen, dassir im Herbst eine große Debatte über diese Punkte füh-en werden und ich bei meiner Rede heute daher keinewischenfragen zulassen möchte. Ich werde Ihnen dannum gegebenen Zeitpunkt sehr ausführlich zur Verfü-ung stehen.
Bis 2030 wird die Lebenserwartung um weitere,5 Jahre steigen. Andererseits wird das Potenzial anenschen im erwerbsfähigen Alter bis 2030 umMillionen Personen zurückgehen. Gleichzeitig wirdie Anzahl der Älteren um gut 5,5 Millionen zunehmen.as das bedeutet, ist klar. Hätte man nichts getan, dannürden die Rentnerinnen und Rentner in Zukunft gerin-ere Renten erhalten und die Beitragszahler für diese ge-ingeren Renten auch noch höhere Beiträge zahlen. Iner Folge würde der Wohlstand für alle sinken. Das kannnd darf es nicht geben. Das kann und darf nicht unsereukunft sein. Deswegen muss hier gehandelt werden.
Die Große Koalition hat den Mut gehabt, sich dieseremografischen Herausforderung zu stellen. Wir habennter der Federführung des damaligen Arbeits- und So-ialministers Franz Müntefering den Handlungsbedarfesehen und die Anhebung der Regelaltersgrenze auf
Metadaten/Kopzeile:
5858 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
)
)
67 Jahre gesetzlich festgelegt. Das war keine leichte,aber eine notwendige, mutige und richtige Entscheidung.
Warum klatschen eigentlich Sie von der SPD nicht?Sie haben das doch mitbeschlossen.
Was damals richtig war, kann heute so falsch nicht sein;davon sind wir überzeugt.
Es gibt hier einige, die die Richtung sogar umkehrenwollen. Wenn man das Rad zurückdreht und die Anhe-bung der Regelaltersgrenze auf 67 rückgängig macht,dann – das sage ich ganz deutlich – hat das gewaltigeKonsequenzen: Der Beitragssatz bei der Rentenversiche-rung wäre dann langfristig 0,5 Prozentpunkte höher. Wasbedeuten diese 0,5 Prozentpunkte?
– Rechnen Sie das mal auf die gesamtstaatlichen Kostenum: Die Kosten einer Beitragserhöhung um 0,1 Prozent-punkte betragen 1,1 Milliarden Euro; also entstünden beieiner Anhebung um 0,5 Prozentpunkte Jahr für Jahr zu-sätzliche Kosten in Höhe von über 5 Milliarden Euro.Diese Kosten müssen von irgendjemandem aufgebrachtwerden; das müssen Sie um der Wahrheit willen dazusa-gen.
Es ist aber nicht nur das; auch ein zweiter Punkt wirdverschwiegen: Die gesetzlich vorgeschriebene Beitrags-satzobergrenze von 22 Prozent würde ebenfalls über-schritten oder müsste angehoben werden.
– Das juckt Sie wahrscheinlich nicht;
aber das juckt denjenigen, der darüber nachdenkt, wiedie Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufDauer gewährleistet werden kann.
Es ist klar: Wer hier etwas anderes will, der mussauch Vorschläge machen.
SRgngrR–nteEaEtA–dwSgIebhntSdEdWkdmthgb
s war demnach der richtige Weg, die Regelaltersgrenzeuf das 67. Lebensjahr anzuheben. Ich betone nochmals:s muss auch auf die Generationengerechtigkeit geach-et werden.Manchmal hat man hier sogar den Eindruck, dass dienhebung der Altersgrenze bereits morgen bevorsteht.
2012 beginnt die Anhebung. Warum sagen Sie nicht,ass die Altersgrenze von 67 Jahren erst 2029 erreichtird?
ie sollten der Wahrheit die Ehre geben und dies so sa-en. – Es geht um kleine Schritte, über 17 Jahre verteilt.n diesen 17 Jahren werden sehr viele Veränderungenintreten, was die Arbeitsbedingungen in Deutschlandetrifft. Wir reden also über einen langen Zeitraum. Werätte vor 20 Jahren gedacht, dass wir heute alle ein klei-es Telefon in der Tasche haben, mit dem wir sogar Fo-ografien machen und diese versenden können!
ie werden uns doch wohl nicht weismachen wollen,ass sich in den nächsten 20 Jahren nicht ebenfalls großentwicklungen vollziehen werden, die dazu beitragen,ass sich die Arbeitsbedingungen anders gestalten.
Ich muss einen weiteren Gesichtspunkt erwähnen:ir werden, wie ich vorhin schon gesagt habe, in Zu-unft ungefähr 6 Millionen Menschen weniger haben,ie im erwerbsfähigen Alter sind. Deswegen muss auchit Blick auf den Arbeitsmarkt in Deutschland etwas ge-an werden. Wir sind dafür, dass das in Deutschland vor-andene Potenzial an Arbeitskräften möglichst stark aus-enutzt wird,
evor man über andere Lösungen nachdenkt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5859
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
)
)
Die richtige Überschrift heißt daher aus allen aufge-zeigten Gründen nicht „Rente mit 67“, sondern „Arbeitbis 67“.
Die Aufgabe, die vor uns steht und der wir uns alle wid-men müssen, ist, den damit verbundenen Prozess besserzu gestalten, entsprechende Konzepte zu entwickeln unddiese dann auch umzusetzen.
Es gibt bereits erste gute Zeichen: Die BeschäftigungÄlterer hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.So ist die Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis65 Jahren seit 2000 um fast 1 Million auf über 5 Millio-nen im Jahr 2008 gestiegen. Selbst im Krisenjahr 2009hat sich der Arbeitsmarkt für Ältere stabil gezeigt. Wirsollten das nicht kleinreden.Das Zweite. Die Arbeitslosigkeit Älterer ist gesun-ken, und der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter denälteren Arbeitslosen ist von 58 Prozent im Jahr 2007 auf42 Prozent im Jahr 2009 zurückgegangen.Vor diesem Hintergrund halten wir es nach wie vorfür den richtigen Weg, dass wir das Renteneintrittsalterauf 67 Jahre gesetzt haben. Wir werden alles tun, um denMenschen die Ängste zu nehmen,
dieses Alter im Erwerbsleben nicht zu erreichen.Wir könnten noch lange über dieses Thema diskutie-ren. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir unseren umfangrei-chen Bericht im Herbst dieses Jahres vorlegen werden.Sie haben ihn übrigens mitbeschlossen, meine Damenund Herren. Wenn Sie sich daran genauso gut erinnernwie an Ihren Beschluss, das Renteneintrittsalter auf67 Jahre zu setzen, dann steuern wir sicher auf eine guteDiskussion zu.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Elke Ferner hat jetzt für SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Herr Fuchtel, es bestreitet niemand, dass sich die Be-schäftigungssituation der Älteren verbessert hat.WIJsAalrlqDszAvsdniDÄrgmEdbIcgQIkwudBkwadd
ir bestreiten nur, dass das ausreicht. Ich hätte mir vonhnen gewünscht, dass Sie nicht erst im Herbst diesesahres, sondern jetzt Vorschläge vorlegen, über die die-es Haus dann hätte diskutieren können.
ber Sie haben im Prinzip nur das vorgetragen, was manuch in der Antwort auf die Große Anfrage hätte nach-esen können. Neuigkeiten waren von Ihnen nicht zu hö-en.
Herr Fuchtel, es kommt auch darauf an, wie die Qua-ität der Beschäftigung ist. Allein die Beschäftigungs-uote zu betrachten, reicht nicht aus.
ie Frage ist doch: Ist die Beschäftigung existenz-ichernd, oder ist sie das nicht? Ist der Beschäftigte so-ial abgesichert, oder ist er das nicht? Entsprechen dierbeitswelt und die Arbeitsbedingungen auch der indi-iduellen Leistungsfähigkeit des Beschäftigten? Dasind die zentralen Fragen.Der Anspruch muss sein, dafür zu sorgen, dass alliejenigen, die arbeiten wollen, so lange arbeiten kön-en, bis sie die Regelaltersgrenze – egal wie hoch siest – erreichen. Aber dazu bedarf es zusätzlicher Mittel.enn wir wissen, dass die Beschäftigungssituation derlteren schlechter ist als die der mittleren und der jünge-en Generation. In Ihrem Sparpaket kürzen Sie aber aus-erechnet bei den Maßnahmen für die aktive Arbeits-arktpolitik. Wer braucht diese Mittel denn am meisten?s sind die Älteren, die nicht über den normalen Weger Arbeitsvermittlung eine Beschäftigung im ersten Ar-eitsmarkt finden.
hnen nehmen Sie die Perspektive, wieder in sozialversi-herungspflichtige und existenzsichernde Beschäfti-ung zu kommen.Wir brauchen auch eine Umsetzungsstrategie, was dieualität der Arbeit anbelangt; auch dazu habe ich vonhnen gerade nichts gehört. Wir alle wissen: Wir habenein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit,eniger in großen Betrieben, sondern eher in kleinennd mittleren Betrieben. Ich würde mir wünschen, dassie entsprechenden Informationen flächendeckend in dieetriebe getragen werden, damit dort begonnen werdenann, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass ältererdende Belegschaften mit ihnen zurechtkommen. Daslles ist Aufgabe Ihres Ressorts. Aber gehört haben wirazu nichts.Natürlich brauchen wir auch flexible Übergänge inen Ruhestand; auch dazu habe ich nichts gehört.
Metadaten/Kopzeile:
5860 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Elke Ferner
)
)
– Herr Kolb freut sich schon. – Aber das, was Sie vor-schlagen, ist im Interesse der Besser- und Höchstverdie-nenden.
Das hat nichts damit zu tun, auch für Menschen mitniedrigem Einkommen die Möglichkeit des flexiblenÜbergangs in die Rente zu schaffen.
Wir schlagen vor, dass nicht nur Menschen, die leis-tungsgemindert sind, gegenüber der Bundesagentur fürArbeit einen Anspruch auf Beschäftigung bekommensollten, damit sie, wenn sie im ersten Arbeitsmarkt nichtvermittelt werden können, über öffentlich geförderte Be-schäftigung eine Beschäftigungsperspektive im Alter er-halten.Wir schlagen auch vor, die Übergänge zu flexibilisie-ren.
Beispielsweise könnte die Teilrente flexibilisiert werden,sowohl was den Zugang zur ihr als auch was die Höhedes Nebenverdienstes und der Zuverdienstgrenzen anbe-langt.Wir schlagen darüber hinaus vor, dass man in ZukunftZusatzbeiträge, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern bisher nur relativ rentennah zahlen können,während der gesamten Erwerbsphase zahlen kann unddass das auch die Arbeitgeber tun können. Das eröffnetRaum für tarifliche Regelungen und die Möglichkeit,Abschläge zu kompensieren und die Rentenanwartschaf-ten zu erhöhen, wenn man früher in Rente gehen will.Auch davon habe ich bisher nichts gehört.
Wir haben den Vorschlag in den Bundestag einge-bracht – das ist bei der Koalition auf wenig Gegenliebegestoßen –, die Geltungsdauer der Regelung zur ge-förderten Altersteilzeit zu verlängern, wenn ein jungerMensch einen Ausbildungsplatz bekommt oder einfrisch ausgebildeter junger Mensch eine Beschäftigungs-perspektive erhält. Sie haben zwar die demografischenDaten richtig dargelegt. Aber im Moment brauchen wirBrücken für die Älteren in die Ruhephase und Brückenfür die Jüngeren in die Erwerbsphase. Auch dazu höreich von Ihnen nichts.
Wenn man über die Rente spricht, dann sind armuts-feste Renten ein wichtiger Punkt. Auch hier haben wirkein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.Die Grundvoraussetzung für armutsfeste Renten sind ar-mbM–SlAmAWsTMznmdFcwstfaWntSMSdKe2kzwggusik
Das hören Sie nicht gerne. Aber es ist bekannt, dassie Wahrheiten nicht gerne hören.Ihre Weigerung, hier etwas zu tun, ist unverantwort-ich. Wir brauchen auch nicht mehr Minijobs oder eineusweitung der Grenze über 400 Euro hinaus, sondernehr sozialversicherungspflichtige und existenzsichernderbeitsverhältnisse.
ir brauchen vor allem für Frauen mehr Vollzeitbe-chäftigung statt Teilzeitbeschäftigung. Auch das ist eineil des Problems von Frauenarmut im Alter.
an muss sehen, dass insbesondere für Mütter die Teil-eitbeschäftigung mittlerweile zum Regelarbeitsverhält-is geworden ist. Sie befördern das mit Ihren Maßnah-en auch noch bzw. versuchen, die Frauen wieder ausem Arbeitsmarkt herauszudrängen, obwohl die meistenrauen gerne mehr arbeiten wollten, wenn sie entspre-hende Arbeitsplätze und Rahmenbedingungen findenürden.Während Sie SGB-II-Empfängerinnen das Elterngeldtreichen, bekommt die Millionärsgattin, die nicht arbei-et, es weiterhin. Gleichzeitig wird am Betreuungsgeldestgehalten. Das ist im Hinblick auf den Arbeitsmarktbsolut kontraproduktiv und verschärft die Altersarmut.ir haben bereits Anträge zu Verlängerung der Renteach Mindesteinkommen und Höherbewertung der Zei-en der Arbeitslosigkeit eingebracht. Herr Fuchtel, weilie eben die Beitragssatzziele so hoch gehängt haben:it der Streichung der Rentenversicherungsbeiträge fürGB-II-Empfänger – das sind 1,8 Milliarden Euro – under Anhebung des Beitragssatzes in der gesetzlichenrankenversicherung – das macht 640 Millionen Euro –ntziehen Sie der Rentenversicherung Jahr für Jahr über,4 Milliarden Euro, mit der Folge, dass die Schwan-ungsreserve geringer wird und dass die Beitragssatz-iele für 2014 und 2015 mit Sicherheit nicht erreichterden können.Wenn Sie im kommenden Herbst Ihren Bericht vorle-en, werden wir ein eigenes Konzept vorlegen. Ich binespannt, was Sie anzubieten haben. Wenn Sie aber Ihrensoziale Sparpolitik fortsetzen werden, haben die Be-chäftigten nichts Gutes zu erwarten.
Herr Kollege Ernst, Sie hatten sich zu einer Kurz-ntervention zur Rede des Parlamentarischen Staatsse-retärs gemeldet. Sie sollen die Möglichkeit dazu haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5861
)
)
Frau Präsidentin, recht herzlichen Dank. – Herr
Fuchtel, ich will auf den Vorwurf eingehen, wir berück-
sichtigten die demografische Entwicklung nicht. Selbst-
verständlich berücksichtigen wir sie. Sie selber haben
gesagt: Die Bevölkerungszahl in der Bundesrepublik
nimmt ab. – Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Gleichzei-
tig weist aber das Bruttoinlandsprodukt eine jährliche
Steigerungsrate in Höhe von 1,6 bzw. 1,7 Prozent auf.
Das heißt, dass im Jahr 2030 der Kuchen größer ist und
sich weniger Menschen diesen Kuchen teilen müssen.
Wenn Sie diesen Fakt jetzt anhand normaler mathemati-
scher Erkenntnisse bewerten, dann erkennen Sie, dass
sich trotz bzw. aufgrund dieser demografischen Verände-
rung weniger Menschen einen größeren Kuchen teilen
können, womit die Kuchenstücke für die Einzelnen grö-
ßer sind.
Das ist die Realität aufgrund der Demografie, und diesen
Fakt nehmen Sie nicht zur Kenntnis.
Herr Fuchtel, die Produktivitätsentwicklung ist stär-
ker und dynamischer als die Entwicklung der Bevöl-
kerungszahl. Das Problem ist allerdings, dass sich die
Produktivitätsentwicklung nicht mehr in den Löhnen wi-
derspiegelt; darauf hat Frau Ferner hingewiesen. Da sich
die Produktivitätsentwicklung nicht mehr in den Löhnen
widerspiegelt, haben wir kein Problem mit der Demo-
grafie, sondern ein Problem mit der Gerechtigkeit und
der Verteilung.
Das ist das eigentliche Thema, wenn es um die Rente
geht.
Das Zweite, was ich Ihnen sagen muss: Sie haben die
Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie als Grund
dafür angeführt, dass die Rentner verzichten müssen,
und von ein paar Milliarden Euro gesprochen. Es tut mir
leid, aber wenn ich sehe, was wir hier für die Banken, für
die Rettung des Euros und sonst noch beschließen,
dann muss ich sagen: Die höheren Ausgaben, die wir in
diesem Zusammenhang für die Rente hätten, sind Pea-
nuts. – Deshalb möchte ich sagen: Es geht hier in dieser
Debatte um die soziale Gerechtigkeit und nicht um die
Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen In-
dustrie. Das müssen Sie berücksichtigen.
Ich habe kein einziges Argument und auch keine ein-
zige Zahl von Ihnen gehört – auch aus Ihrer Antwort auf
unsere Anfrage geht das nicht hervor –, womit Sie be-
gründen könnten, dass die Rente mit 67 richtig ist.
Herr Fuchtel möchte nicht reagieren.
D
d
F
z
d
t
M
–
r
e
e
r
–
n
u
s
„
f
o
n
w
s
U
l
I
b
enn der Wahrheit zuliebe muss man hier einmal festhal-
en: Die Rente mit 67 ist die Erfindung eines SPD-
inisters gewesen.
Ich war zwar nicht dabei, aber es ist damals umfang-
eich dokumentiert worden, dass Franz Müntefering vor
iner Kabinettssitzung nachdrücklich auf die Kanzlerin
ingewirkt hat, mit dem Ziel, eine Erhöhung des Regel-
enteneintrittsalters herbeizuführen.
Frau Kollegin Ferner, wenn das anders war, dann kön-
en Sie das hier ja erklären. Meine Erinnerung ist so,
nd deswegen hätte es Ihnen als SPD-Fraktion im Deut-
chen Bundestag gut angestanden, entweder zu sagen:
Wir halten weiter an unserer damaligen Erkenntnis
est“,
der zu sagen: „Wir sind davon abgerückt“. – Es wäre
icht überraschend, wenn Sie davon abrücken würden,
eil Sie ja versuchen, wenn ich das richtig sehe, die ge-
amte Agenda 2010 Zug um Zug zurückzunehmen. Ihrer
rheberschaft werden Sie hier aber nicht ledig.
Herr Kolb, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
egin Ferner zulassen?
Selbstverständlich, ja.
Bitte schön.
Ich bin so nett und verlängere Ihnen Ihre Redezeit. –ch stelle Ihnen eine kurze Frage, die Sie auch ganz kurzeantworten können.
Metadaten/Kopzeile:
5862 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Ja, mal schauen.
Stimmen Sie mir zu, dass im Wahlprogramm der
CDU und der CSU im Jahre 2005 das Thema „Anhe-
bung des Renteneintrittsalters“ stand und im Wahlpro-
gramm der SPD nicht?
Frau Kollegin Ferner, ich habe nicht die Wahlpro-gramme aller Parteien der vorletzten Bundestagswahl imKopf. Das hat keiner hier in diesem Hause; das mussman ehrlicherweise sagen.Ich weiß aber noch, wer wie abgestimmt hat, bevordie Rente mit 67 ins Bundesgesetzblatt aufgenommenwurde:
Die SPD und die Union haben dafür gestimmt, die FDPund andere Fraktionen in diesem Haus haben dagegengestimmt. – Das war so, und daran kann ich mich nochsehr gut erinnern. Sie bleiben hier also verhaftet, ob Siedas wollen oder nicht.
Ich will jetzt gerne auf den Antrag der Linken zusprechen kommen. Herr Kollege Ernst, Sie haben hiereine Situationsbeschreibung hinsichtlich der Erwerbs-teilhabe älterer Menschen vorgenommen. Als Mo-mentaufnahme ist sie natürlich richtig. Man muss aberauch sagen: Sie ist natürlich auch das Ergebnis politi-scher Entscheidungen der Vergangenheit, und wir sindim Moment dabei, umzusteuern.Wir haben die Möglichkeit, in geförderte Altersteil-zeit zu gehen, abgeschafft. Das wird perspektivisch na-türlich zu einem deutlichen Anstieg der Erwerbsbeteili-gung in dieser Altersklasse führen. Diejenigen, die schonvor wenigen Jahren in Altersteilzeit gegangen sind,kommen in der aktuellen Statistik aber natürlich nichtvor.
– Ja, sie sind nicht mehr dabei.
– Ja, den Anteil der Quote, aber trotzdem sind sie ausdem Erwerbsleben bzw. aus der aktiven Phase ausge-schieden; das muss man doch sehen.Deswegen ist es wichtig und richtig gewesen, dasswir hier jetzt einen Paradigmenwechsel vorgenommenhaben. In den letzten Jahren war es in den Betrieben an-gnWthsSnrAzkUd6dAoHwmgaBinwrwsbsilnnmSdürwbsTl
Die Erwerbsquote nimmt zu. 57,1 Prozent der 55- bis4-Jährigen sind zurzeit in Arbeit. Damit liegen wireutlich oberhalb der Lissabon-Ziele. Wir werden dennteil weiter erhöhen. Denn eines ist klar – das sage ichhne Wenn und Aber, auch wenn wir damals in diesemause gegen die Rente mit 67 gestimmt haben –: Wennir länger leben, dann werden wir auch länger arbeitenüssen.
Fraglich ist nur – darauf haben wir damals schon hin-ewiesen –, ob man es mit einem festen Renteneintritts-lter angeht, oder ob es besser ist, die Menschen auf derasis einer eigenen freien Entscheidung möglichst langem Erwerbsleben zu halten. Es war doch in den Unter-ehmen so, dass etwa einem 60-Jährigen eingeredeturde, in den Vorruhestand zu gehen, um einem Jünge-en Platz zu machen, der vielleicht nachrücken würde,as in vielen Fällen aber gar nicht geklappt hat.
Ich glaube, es ist besser, wenn sich der Beschäftigteelbst fragt, ob er mit Anfang 60 noch ein Jahr länger ar-eiten möchte, und ihn dann selbst entscheiden zu las-en. Das wird im Ergebnis – das bestätigen Erfahrungenn den skandinavischen Ländern, auch wenn einige Kol-egen von den Linken das nicht glauben wollen – zu ei-er deutlich höheren Erwerbsbeteiligung führen.Unser Angebot an diese Menschen ist: Wir wollen ei-en flexiblen Übergang gewährleisten. Dabei freue ichich, Frau Ferner – in diesem Zusammenhang trifft dasprichwort „Steter Tropfen höhlt den Stein“ zu –, dassie SPD offensichtlich einige Teile unseres Konzeptesbernommen hat.Wir wollen, dass man mit 60, wenn man grundsiche-ungsfrei ist – das ist beileibe keine hohe Anforderung,eil auch die private bzw. betriebliche Altersvorsorgeerücksichtigt werden soll; auch für Bedarfsgemein-chaften soll das geprüft werden –, mit einer Voll- odereilrente in den Ruhestand gehen kann. Gleichzeitig sol-en alle Zuverdienstgrenzen entfallen. Denn es ist nicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5863
Dr. Heinrich L. Kolb
)
)
nachzuvollziehen, warum jemand, der eine Vollrente be-zieht, nach heutiger Rechtslage nur 400 Euro hinzuver-dienen kann. Es gibt viele Menschen, die in den Vorru-hestand gegangen sind, aber dann feststellen, dass siegerne noch ein oder zwei Jahre arbeiten würden, undzwar zu einem höheren Verdienst als 400 Euro, weil siesich noch nicht zum alten Eisen zählen. Das ist derzeitnicht möglich, und das wollen wir ändern. Das ist unserinnovativer Ansatz.Wenn es die Mehrheitsfindung in diesem Hause er-leichtert, können wir gerne mit einer Verbesserung derTeilverrentungsmöglichkeiten anfangen. Man muss aberehrlicherweise berücksichtigen, dass der Bürokratieauf-wand bei der Berechnung der Zuverdienste bei Teilren-ten sehr hoch ist, was die Akzeptanz in der Praxis deut-lich reduziert. Warum soll aber nicht jemand, der eineTeilrente bezieht, unbegrenzt hinzuverdienen können?Die Menschen in unserem Land sind längst so weit. Dashabe ich auf vielen Veranstaltungen erlebt, auf denen ichunser Konzept erläutert habe. Sie wollen den flexiblenRentenzugang, und sie wollen als Rentner selbst ent-scheiden können, wie viel sie noch arbeiten. Das solltenwir den Menschen ermöglichen.Ich komme zum Schluss. Die Altersarmut ist Gottsei Dank derzeit kein Massenphänomen. Es ist kein gro-ßes Problem.
Aber es verschärft sich.
Der Normalfall wird aber auch weiterhin ein ausreichen-des Alterseinkommen sein, jedenfalls dann, wenn mannicht allein von der gesetzlichen Rente ausgeht, sondernvom Zusammenwirken von gesetzlicher Rente und pri-vater und betrieblicher Altersvorsorge.Ich bitte Sie, die Zahlen im Alterssicherungsbericht2005 der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen. Der-zeit beziehen 2,5 Prozent der über 65-Jährigen Leistungender Grundsicherung. Künftig werden es 8 bis 9 Prozentsein. Sie, Herr Strengmann-Kuhn, haben „14 Prozent“dazwischengerufen, das ist ein sehr pessimistischesSzenario.Die richtige Antwort darauf heißt Prävention stattnachsorgender Kompensation. Prävention ist besser. Wirmüssen junge Menschen ermutigen, beizeiten eine ei-gene Zusatzvorsorge über die gesetzliche Rente hinausanzustreben, und ihnen garantieren, dass sie im Alter da-von profitieren, indem ihnen Anrechnungsfreibeträge fürprivate und betriebliche Altersvorsorge gewährt werden.
Das ist der richtige Weg.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
E
k
d
D
L
g
G
z
g
u
b
N
s
t
H
s
V
n
l
k
S
d
S
g
A
r
g
t
H
E
d
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Herr Ernst, Ihre Rede hat einmal mehr deutlichemacht, wo der Unterschied zwischen Ihnen und unsrünen liegt: Während Sie rückwärtsgewandt und so-ialstaatskonservativ zu einem Sozialstaat der Vergan-enheit zurückwollen, sind wir der Zukunft zugewandt
nd wollen den Sozialstaat reformieren.
Wir alle leben im Durchschnitt immer länger und le-en auch immer länger gesünder. Das ist auch gut so.ehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis!
Die längere Lebenserwartung führt – neben der ge-unkenen Geburtenquote – dazu, dass der Anteil der Al-en in der Gesellschaft steigt. Wir stellen uns diesererausforderung, während die Linke zurück zum Sozial-taat der 1980er-Jahre will. Die Linke ist die Partei derergangenheit – die Grünen sind die Partei der Zukunft!
Gleichzeitig sind die Grünen auch die Partei der öko-omischen Vernunft. Wir wissen nämlich, dass eine Ver-ängerung der Lebensarbeitszeit gleich zwei gute Wir-ungen für die Rentenversicherung hat: Auf der eineneite werden länger Beiträge gezahlt und die Einnahmener Rentenversicherung gesteigert. Auf der andereneite ist eine längere Lebensarbeitszeit gut für die Aus-abenseite, weil weniger lang Renten gezahlt werden.ufgrund dieser doppelten Wirkung ist eine Verlänge-ung der Lebensarbeitszeit besonders effektiv und eineanz wichtige Stellgröße für die Finanzierung der Ren-enversicherung in der Zukunft. Auch das sollten Sie,err Ernst, endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
Und was volkswirtschaftlich gilt, gilt auch für jedeninzelnen und jede Einzelne. Je länger gearbeitet wird,esto höher sind die Renten.
Metadaten/Kopzeile:
5864 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
– Ich habe ja noch ein paar Minuten.Ich habe gerade über den Durchschnitt geredet, wirwissen aber auch, dass nicht jede Person bis zu einemAlter von 67 oder auch nur 65 Jahren arbeiten kann – dasbeträfe also auch die Rente mit 65, die Sie ja wollen.
Häufig haben gerade diejenigen, die früher in Rente ge-hen, eine geringere Lebenserwartung. Das sollte auf derrechten Seite des Plenums einmal zur Kenntnis genom-men werden. Von diesen Personen mit einer kürzerenLebenserwartung, die früher in Rente gehen müssen, zuverlangen, dass sie bis 67 arbeiten, wäre in der Tat zy-nisch.Die Alterung verläuft individuell sehr unterschied-lich. Manche können mit 60 nicht mehr arbeiten, manchekönnen und wollen aber auch noch mit 75 oder älter ar-beiten. Johannes Heesters arbeitet sogar noch mit über100.
Diesen individuellen Unterschieden muss ein Alterssi-cherungssystem gerecht werden. Das ist für uns eineganz wichtige Voraussetzung für eine generelle Verlän-gerung der Lebensarbeitszeit.Wir wollen deswegen flexible Übergänge in den Ru-hestand schaffen, über die die Menschen möglichstselbstbestimmt entscheiden können, Herr Kolb.
Denn wir Grünen sind nicht nur die Partei der Zukunftund der ökonomischen Vernunft, sondern wir sind auchdie Partei der Freiheit und Selbstbestimmung.
Aber im Gegensatz zur FDP wollen wir nicht nur Frei-heit und Selbstbestimmung für die Besserverdienenden
– Sie haben eben in Ihrer Rede schon wieder eineGruppe ausgeschlossen. Wir dagegen wollen das tat-sächlich allen ermöglichen.
Ich bin deswegen der Meinung, dass wir von einemstarren Renteneintrittsalter wegkommen sollten. Warumsollten die Menschen nicht in der Tat selbst entscheiden,wann sie in Rente gehen, ob sie ihre Rente nur teilweisein Anspruch nehmen, ob sie ihre Arbeitszeit sofort ganzreduzieren oder in Stufen?
DhelnWmeDnsargh–azaLeVgvAcrvwAgrmlGAß
ir wollen es den Menschen ermöglichen, früher – zu-indest teilweise – in Rente zu gehen. Gleichzeitig musss sich auch lohnen, länger zu arbeiten.
ie skandinavischen Länder haben mit dieser Kombi-ation gute Erfahrungen gemacht – Herr Kolb hat ebenchon darauf hingewiesen,
uch wenn die skandinavischen Länder sonst nicht ge-ade Ihr Vorbild sind; das muss man auch sagen. Dortibt es jedenfalls die Möglichkeit, früher in Rente zu ge-en.
Stellen Sie eine Zwischenfrage, und reden Sie nichtndauernd dazwischen!
In Schweden gibt es die Möglichkeit, früher in Renteu gehen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, länger zurbeiten. Im Durchschnitt arbeiten die Schweden länger.änger, aber weniger arbeiten wäre also das Motto.Für uns ist eine stärkere Flexibilisierung des Renten-intritts eine wichtige Voraussetzung für eine generelleerlängerung der Lebensarbeitszeit. Von der Bundesre-ierung haben wir dazu bisher noch nichts gehört. Auchon Ihnen von der FDP habe ich in letzter Zeit keinenntrag dazu gesehen. Bringen Sie doch einen entspre-henden Antrag ein, dann können wir konstruktiv da-über diskutieren.Für uns ist aber auch wichtig – das unterscheidet unson der FDP –, dass diejenigen, die früher aus dem Er-erbsleben ausscheiden, nicht dafür mit einem höherenrmutsrisiko bestraft werden. Wir wollen deshalb einearantierte Mindestrente – wir nennen das Garantie-ente – für das Alter, die den Grundbedarf deckt. Werehr als 30 Jahre versichert war, muss sich darauf ver-assen können, dass er eine Rente erhält, die über demrundsicherungsniveau liegt.
uch diesbezüglich gibt es von der Regierung nichts au-er einem sehr kryptischen Satz in der Koalitionsverein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5865
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
barung. Im Gegenteil: Mit ihrem dreisten Griff in dieRentenkasse durch das sogenannte Sparpaket wird dieAltersarmut ansteigen. Es handelt sich um über2 Milliarden Euro. Frau Ferner hat das eben schon ange-deutet. Das hat mit Sparen überhaupt nichts zu tun, weildie Ausgaben der Rentenversicherung sogar noch stei-gen werden und die Ausgaben der Kommunen für dieGrundsicherung ebenfalls. Das heißt, bezahlen müssenes die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und dieKommunen. Das Ganze nennen Sie Sparen. Für unssieht Sparen anders aus.
Herr Strengmann-Kuhn, möchten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Fricke zulassen?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben darum gebeten, nachzufra-gen, wenn man etwas, was Sie gesagt haben, nicht nach-vollziehen kann oder nicht verstanden hat. Ich möchte,dass Sie mir etwas erklären. Jemand, der 30 Jahre gear-beitet hat, soll nach Ihrem Modell einen Anspruch aufeine Grundrente haben? Habe ich das richtig verstanden?Das heißt, jemand, der mit 16 Jahren angefangen hat, indie Rentenkasse einzuzahlen, hat mit 46 Jahren einenAnspruch auf die Grundrente. Ist es das, was Sie erklä-ren wollen, oder was macht der Betreffende zwischen 46und dem Renteneintrittsalter?
Wir sind nicht für die Rente mit 46, um das klar zu sa-gen.
Unsere Vorstellung ist, dass jemand ab 60 eine Teilrentebeziehen kann. In Schweden gibt es eine Garantierenteab 65, also ab dem üblichen Renteneintrittsalter. Wirwollen einen Einstieg für die langjährig Versichertenschaffen. Wir wollen denjenigen, die 30 Jahre in dieRentenkasse eingezahlt haben, ein Minimum garantie-ren.Ich möchte einen Satz im Koalitionsvertrag anführen,weil er so schön ist:Deshalb wollen wir, dass sich die private und be-triebliche Altersvorsorge auch für Geringverdienerlohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Voll-zeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Altersein-kommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, dasbedarfsabhängig und steuerfinanziert ist.AleHkaegnsziSumeaGsmSdtvDdlwtEg––jDgswbnA–stdg
eswegen wollen wir sicherstellen – das ist der entschei-ende Punkt –, dass diejenigen, die länger arbeiten wol-en, dies auch können. Wenn das nicht der Fall ist, dannäre es in der Tat eine Rentenkürzung durch die Hinter-ür. Wir haben aber noch etwas Zeit. Die stufenweiseinführung fängt erst im Jahr 2012 an. Die Rente mit 67ilt für meinen Jahrgang erst im Jahr 2029.
Hören Sie mir doch einmal zu! –
Gut, wunderbar. – Wir müssen sicherstellen, dass die-enigen, die länger arbeiten wollen, dies auch können.as ist eine Frage der Gesundheit und der Arbeitsbedin-ungen. Deswegen brauchen wir insbesondere eine Ge-undheitspolitik, die mehr auf Prävention setzt, damitir nicht nur länger leben, sondern auch länger gesundleiben. Wir brauchen Arbeitsplätze, die die Menschenicht kaputtmachen. Wir brauchen gute Arbeit und nichtrbeit um jeden Preis.
Das ist richtig, aber dazu hätte ich gerne einige Vor-chläge von Ihnen. –Außerdem gehören dazu sowohl alters- als auch al-ernsgerechte Arbeitsplätze, also Arbeitsplätze, die da-urch gekennzeichnet sind, dass sich die Arbeitsbedin-ungen und die Arbeitszeit dem zunehmenden Alter der
Metadaten/Kopzeile:
5866 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
Beschäftigten anpassen. Hier sind vor allem die Arbeit-geber in der Pflicht. Der Jugendwahn, der in vielen Un-ternehmen immer noch vorherrscht, muss endlich been-det werden.
Diejenigen, die arbeiten können und wollen, müssenauch einen Arbeitsplatz finden. Wichtig ist also die Ent-wicklung auf dem Arbeitsmarkt. Wie die Antwort aufdie Große Anfrage zeigt, gibt es hier durchaus Fort-schritte: Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Be-schäftigten an der Gruppe der 60- bis 65-Jährigen hatsich von 2000 bis 2008 immerhin verdoppelt, nämlichvon 10,7 Prozent auf 21,5 Prozent. Das ist nicht allzuviel: Nur ein Fünftel der 60- bis 65-Jährigen hat einesozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Bei den64-Jährigen sind es gerade einmal – Herr Ernst hat schondarauf hingewiesen – 10 Prozent, die sozialversiche-rungspflichtig beschäftigt sind. Auch das ist kein großerFortschritt.Wenn Erwerbstätige und Arbeitslose zusammenge-zählt werden, sieht man, dass es zwar Fortschritte gibt– die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen ist von21,5 Prozent auf 37,8 Prozent gestiegen; auch das ist im-merhin fast eine Verdoppelung –, aber selbst bei denMännern lag die Erwerbsquote immer noch unter50 Prozent. Das Glas ist also vielleicht gerade einmalhalb voll.Es ist noch einiges zu tun, und die Zeit bis 2012 wirdin der Tat langsam knapp. Wir Grünen wollen längeresArbeiten und einen flexibleren Übergang in den Renten-eintritt ermöglichen – im Interesse der Menschen und imInteresse der Rentenversicherung. Wir wollen deswegenkeine Rückkehr zur Rente mit 65. Eine bedingungsloseZustimmung zur Anhebung der Altersgrenze ab 2012wird es mit uns aber auch nicht geben. In diesem Sinnesind wir gespannt auf den Bericht der Bundesregierungim November. Wir werden ihn genau prüfen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Paul
Lehrieder.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Lieber Kollege Ernst, es ist jammer-schade, dass Sie der demografischen Entwicklung ausZeitgründen nicht mehr Aufmerksamkeit widmen konn-ten, als Sie es in Ihrer Rede letztendlich getan haben. Eswäre vielleicht besser gewesen, manche Ihrer Vorbemer-kungen hier einfach hintanzustellen und erst einmal aufdie Demografie zu schauen. Es ist richtig – KollegeStrengmann-Kuhn hat es bestätigt, auch die KollegenVorredner haben es getan –: Wir gewinnen von Genera-tSIMUddwwnRmp–gDgBlgdiHiPhbps–biufnevzkkdBmldwsGuvD
Auch bei der FDP gibt es positive Beispiele. Was icheschreibe, gilt parteiübergreifend. Lieber Herr Kolb,ch danke für Ihren Zwischenruf. Ich erinnere auch annseren Kollegen Riesenhuber. Es gibt also wirklichitte, dynamische Personen, die an diesem Podium oftoch mehr Leben entfalten als manche jüngere.
Eines verstehe ich nicht, Herr Ernst; ich muss nochinmal auf Ihre Rede eingehen. Sie haben vorhin etwason einem Zuwachs des BIP in Höhe von 1,6 Prozent er-ählt. Der Kuchen, der in 20 Jahren verteilt werdenönne, sei automatisch größer; deshalb brauchten wireine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Sie müssenoch wissen: Der Kuchen wird erst in 20 Jahren von deneitragszahlern gebacken, die dann auf dem Arbeits-arkt tätig sind. Um der demografischen Fehlentwick-ung gegenzusteuern, zahlen wir jetzt schon 81 Milliar-en Euro aus Steuermitteln in die Rentenkasse ein. Sonstürde es schon jetzt nicht mehr funktionieren.Im selben Atemzug haben Sie gesagt, die Bankenhilfeei nicht das Richtige gewesen. Ich entgegne: Wenn dieroße Koalition vor eineinhalb Jahren nicht so deutlichnd kräftig gegengesteuert hätte, wäre ein Wachstumon 1,6 Prozent natürlich völlig illusorisch gewesen.as muss man fairerweise dazusagen. Sie sprachen da-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5867
Paul Lehrieder
)
)
von, dass es immer weiter wächst, vergaßen aber zu er-wähnen, dass man die Voraussetzungen für das Wachs-tum auch sichern muss.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Politik und Wirt-schaft – hierauf haben die Vorredner zum Teil ebenfallsschon hingewiesen – stehen auch in Zukunft vor großenHerausforderungen, wenn es darum geht, ältere Men-schen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und das Systemder gesetzlichen Rentenversicherung zu stabilisieren.Die Große Koalition hat hier gerade mit der Rente mit 67– Müntefering sei Dank; jetzt könntet ihr einmal klat-schen, lieber Anton Schaaf – und der Initiative „50 plus“entscheidende Weichen gestellt. Die positiven Effektedieser Maßnahmen sind eindeutig zu erkennen und mitZahlen zu belegen.
– Danke.Nicht nur die Anfrage der Linken ist groß, auch dieAntwort der Bundesregierung auf die immerhin234 Einzelfragen ist mit 139 Seiten besonders umfang-reich. Sehen Sie mir deshalb bitte nach, dass ich michheute auf die Beschäftigungssituation der Älteren alsSchwerpunkt konzentriere.Die in den Antworten der Bundesregierung vorge-brachten Fakten widerlegen das von den Linken in ihrerEinleitung beschworene Schreckgespenst von Arbeits-losigkeit und Armut als Folge der Rente ab 67. Die Bun-desregierung legt ihrer Antwort auf diese Anfrage jaauch eine große Zahl sehr aussagekräftiger Statistikenbei – auf immerhin noch einmal 146 Seiten. Ich verweiseinsbesondere auf die Tabellen auf den Seiten 111, 115,119 und 125. Kollege Strengmann-Kuhn hat in seinerVorrede hier bereits einige Zahlen zitiert. Ich lese dasnicht noch einmal vor. In dieser Richtung ist schon vielpositive Entwicklung festzustellen.Liebe Kollegen von der Linken, schon bei der Abfas-sung Ihrer Anfrage wussten Sie vermutlich sehr genau,dass das Ergebnis nicht Ihrem Weltbild entsprechenwürde.
Warum sonst schreiben Sie auf Seite 2: „Es ist aller-dings zu erwarten, dass die Bundesregierung diese Er-kenntnisse“ – Altersarmut folgt auf Rente mit 67 –„ignorieren und sich bei der Überprüfung auf ihr ge-nehme Indikatoren konzentrieren wird“?Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Linken sindwieder einmal auf einer Insel isoliert. Das dürfte jedemklar sein, der gestern die Berichterstattung in den Me-dien verfolgt hat. Liebe Frau Präsidentin, mit Ihrem ge-schätzten Einverständnis darf ich zitieren:EU-Kommission für späteres RenteneintrittsalterBei der Vorstellung eines Diskussionspapiers
zur Sicherung der Renten- und Pen-
sionssysteme“ sagte Sozialkommissar László Andoram Mittwoch, es bestehe jetzt die Wahl, entwederim Ruhestand über ein geringeres Einkommen zuverfügen, die Beiträge zur Altersvorsorge zu erhö-nShdWFtcn2wlhwEvkazaie6lnstvdEqiQdz4wvvbhwngs
Metadaten/Kopzeile:
5868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
ternsgerecht gestaltet werden. Frau Kollegin Ferner, indem Punkt haben Sie recht. Vieles von dem, was Sie ge-sagt haben, war nicht richtig, aber damit haben Sie rechtgehabt. Auch der Kollege Strengmann-Kuhn hat das hierzutreffend ausgeführt.
– Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren.Mit aktivem Arbeitsschutz, gezielter Prävention undentsprechender Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltunglässt sich die betriebliche Praxis anpassen. Herr KollegeErnst, Sie haben danach gefragt, wie ein Dachdecker aufeinen anderen Arbeitsplatz kommen soll. In größerenUnternehmen ist es durchaus möglich, andere Arbeits-plätze für Ältere zu finden, im Bereich Lager, Logistiketc. Ich kenne keinen Unternehmer, der, wenn er 10, 15,20 Leute hat, den Ältesten auf die höchste Dachspitzeschickt. Halten Sie unsere Unternehmer nicht für soblöd! Die sind intelligent und passen da schon auf.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frau Präsidentinmacht sich in meinem Rücken dezent bemerkbar. Ich be-danke mich für die Aufmerksamkeit, darf aber noch aufeines hinweisen: Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben ausunserem Koalitionsvertrag zitiert. Darin steht auch, dassder Bericht der Bundesregierung zur demografischenLage und künftigen Entwicklung des Landes imJahr 2011 vorgelegt wird. Dann wird er hier ausgiebigdiskutiert. Das ist ein Thema, das uns die nächsten Jahredauernd beschäftigen wird; da teile ich Ihre Auffassung.Da werden wir in Kontakt bleiben. Da werden wir imGespräch bleiben. Bis dahin wünsche ich uns allen, diewir hier sitzen, ein gesundes Älterwerden.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Anton Schaaf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Er-
innerung für alle, die gefragt haben, wie die SPD mit der
Rente mit 67 umgehen will: Wir haben das RV-Alters-
grenzenanpassungsgesetz in Gänze beschlossen und
nicht nur diesen einen Punkt. Darin ist die Überprü-
fungsklausel ein eigener Paragraf. Wir debattieren
heute, wie wir mit dieser Überprüfungsklausel umgehen
wollen; das ist die entscheidende Frage.
Ich habe nun vernommen, wie die Bundesregierung
mit dieser Überprüfungsklausel umgehen will, und bin
an der Stelle ziemlich erschrocken. Wie gesagt, sie ist
Bes
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diewird ab 2012 kommen – unabhängig von dieser Über-prüfungsklausel. Das ist das, was wir als Opposition indemBBwsrRBbdtdvAeunRswaDkdSdsdDAmw
Herr Staatssekretär, zum Thema Beitragssätze solltean sich als Regierungsmitglied sehr zurücknehmen. Imereich Gesundheit halten Sie die Beitragssätze und dieelastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so-ie Arbeitgeber für so wichtig und sagen, da dürfe nichto viel passieren; gleichzeitig aber will die Bundesregie-ung die Beitragssätze erst einmal erhöhen.Was Sie bei den Beiträgen für Langzeitarbeitslose zurentenversicherung vorhaben, ist nichts anderes als eineeitragssatzerhöhung für Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer sowie Arbeitgeber. Eigentlich war geplant,ass die Schwankungsreserve genutzt wird, um den Bei-ragssatz zu senken; dazu sollte sie abgeschmolzen wer-en. Sie werden aber die Beitragssätze für die Renten-ersicherung nicht senken können, wenn Sie für dierbeitslosen kein Geld mehr in die Rentenversicherunginzahlen. Das heißt, Sie nehmen Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmern das Geld, um Ihre Sparpolitik zu fi-anzieren. Das ist die Tatsache, die dahintersteht.
eden Sie mir nicht über Beitragssätze und Beitragssatz-tabilität! Das ist nicht in Ordnung!Herr Kolb, wenn ich mich recht entsinne, dann sind,as die Frühverrentung angeht, alle Dämme gebrochen,ls Sie in Regierungsverantwortung waren.
ie Vorruhestandsmodelle hat die Kohl-Regierung undeine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung aufen Weg gebracht.
ie waren damals als Staatssekretär Mitglied der Bun-esregierung. Sie haben die Dämme geöffnet und habenich anschließend über die Wirkung beklagt.
Wie ist denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt fürie Älteren jetzt tatsächlich? Kann es nicht sein, meineamen und Herren der Regierungskoalition, dass dasuslaufen der Vorruhestandsregelungen unmittelbar da-it zu tun hat, dass die Beschäftigungsquote Älterer et-as besser geworden ist,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5869
Anton Schaaf
)
)
dass also die Beschäftigungssituation Älterer insgesamtetwas besser geworden ist, weil sie eben nicht mehr soschnell aus den Betrieben hinausgedrängt werden kön-nen? Mit der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Situa-tion, die hier zu betrachten ist, hat das aber definitivnichts zu tun. Der entscheidende Indikator ist doch: Wieviele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen un-mittelbar aus der Beschäftigung in eine abschlagsfreieRente? Diese Quote muss man sich genau anschauen.Ich sage Ihnen: Sie tun an dieser Stelle überhaupt nichts.
– Herr Kolb, wir haben zum Beispiel die Initiative„50 plus“ auf den Weg gebracht, mit der wir die Situa-tion der Älteren deutlich verbessert haben. Sie ist ja auchzum Teil fortgeführt worden.Die Frage ist doch, ob sich die Situation der Älterentatsächlich verbessert hat. Da hat der Kollege Ernstrecht: Die Menschen gehen derzeit mit durchschnittlich63 Jahren in Rente. Im Moment ist nicht absehbar, wasdiese Regierung plant, damit man länger im Arbeitsle-ben verweilen kann.
Da hilft die Aussage der Ministerin von der Leyen„Wenn jemand 40 Jahre Maurer, Zimmermann oderMüllmann war, dann kann er am Ende noch einmal et-was anderes machen“ überhaupt nicht; denn es fehlt eineAussage darüber, was diese Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer am Ende ihres Arbeitslebens anderes ma-chen sollen.
Etwa die von Ihnen geplante Bürgerarbeit? Vielleichtwollen Sie sie aus diesem Grund einführen. Nein, dieseFrage ist noch nicht beantwortet.Sie haben zur Humanisierung der Arbeitswelt kei-nen einzigen Beitrag geliefert. Auch in Ihrem Koali-tionsvertrag finden wir nichts dazu. Dass Menschen biszum 67. Lebensjahr arbeiten können, ist Grundvoraus-setzung für die Einführung eines höheren Rentenein-trittssalters. Da bleiben Sie jede Antwort schuldig. Sielassen die Menschen an dieser Stelle gnadenlos im Stich.Das ist die Realität, die man konstatieren muss.
Die Frage nach der Altersteilzeit will ich ebenfallsaufgreifen, weil Sie, Herr Kolb, gesagt haben, die Förde-rung sei jetzt weggefallen und damit sei das ThemaFrühverrentung erledigt. Das ist nicht ganz richtig; dennzwei Drittel der genutzten Altersteilzeit entfällt auf dienicht geförderte Altersteilzeit. Das heißt, zwei Drittel derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. der Betriebehaben keine staatliche Förderung in Anspruch genom-mdzutzngAMdacSLfnEApcualKwWdEsWrak
ie sagen hier aber, wir müssten ermöglichen, dass dieeute privat vorsorgen können. Grundvoraussetzung da-ür, dass Menschen im Alter nicht arm sind, ist abericht die private Vorsorge, sondern ein auskömmlichesinkommen in der Zeit des Erwerbslebens.
n dieser Stelle verweigern Sie sich, wie gehabt, kom-lett.Ich sage noch einmal – da stimmen wir im Wesentli-hen überein –: Das Mindeste, was man machen muss,m Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Alters-rmut zu schützen, ist, jetzt einen gesetzlichen Mindest-ohn einzuführen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kolb?
Gern, Herr Kolb.
Danke. – Herr Kollege Schaaf, weil ich weiß, dass Sieeg wollen, stelle ich nur eine kurze Zwischenfrage.ürden Sie mir zustimmen, dass man mit einem Min-estlohn von 8,50 Euro auch nach einem 40-jährigenrwerbsleben nur einen Rentenanspruch unter Grund-icherungsniveau erwirbt?
enn Sie das bezweifeln, kann ich es Ihnen gerne vor-echnen. Vielleicht haben Sie es selber schon einmalusgerechnet, sodass Sie die Frage jetzt beantwortenönnen.
Metadaten/Kopzeile:
5870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Selbstverständlich gebe ich Ihnen recht: Wenn Sie
40 Jahre lang ausschließlich einen Mindestlohn von
8,50 Euro bekommen, dann kommen Sie nicht über das
Grundsicherungsniveau. In England gibt es zum Beispiel
die Low Pay Commission, die in wenigen Jahren den
Mindestlohn bedarfsgerecht deutlich angehoben hat, so-
dass sich Arbeit für die Menschen lohnt. Wenn aller-
dings der Mindestlohn 40 Jahre lang nur bei 8,50 Euro
liegt, dann wird man sicherlich nicht über das Grundsi-
cherungsniveau hinauskommen. Allerdings ist es so,
dass man mit einem Lohn von 8,50 Euro zumindest
mehr Rentenansprüche erwirbt
als mit einem Durchschnittslohn von 6 Euro, den viele
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt bekommen.
Mit Ihrer Lohndumpingpolitik machen Sie doch Fol-
gendes: Sie machen die Menschen, die jetzt zu Dum-
pinglöhnen arbeiten müssen, nachher zu Bittstellern. Sie
verlagern die Kosten auf die Kommunen, weil im Alter
die Grundsicherung gezahlt werden muss, und entlasten
damit die Sozialkassen. Das genau ist der Hintergrund.
Sie tun das übrigens auch an einer anderen Stelle.
Wenn Sie die Zuverdienstgrenzen für SGB-II-Empfän-
ger anheben – das haben Sie ja vor; Sie haben es be-
schlossen, Herr Kolb –,
– nein, das ist nicht mehr Ihre Frage; das stimmt in der
Tat –, dann tragen Sie dazu bei, dass die Altersarmut
noch einmal deutlich ansteigt, weil ein Teil des Einkom-
mens, das über die Grundsicherung bezogen wird, nicht
versicherungspflichtig ist. Das trägt nicht dazu bei, dass
man Ansprüche auf die Rentenversicherung erwirbt. Das
ist der entscheidende Punkt. Mit einer solchen Maß-
nahme verringern Sie die zu erwartenden Renten für Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nehmen Sie davon
Abstand.
Sorgen Sie lieber dafür, dass diejenigen, die in unserem
Land arbeiten, vernünftige Löhne bekommen. Dann sind
wir bei der Bekämpfung von Altersarmut einen Schritt
weiter.
Ich komme zum Schluss. Vor uns liegt eine parlamen-
tarische Auszeit. Ich freue mich sehr darauf, und im We-
sentlichen gönne ich es Ihnen allen.
Es ist nur schade, Herr Kolb, dass die parlamentarische
Auszeit für die Regierungsfraktion nur für die Sommer-
pause gilt. Viele Menschen in unserem Lande wünschen
sich, dass Ihre Auszeit wesentlich länger dauert.
I
L
K
F
s
–
S
f
W
D
m
V
b
s
w
V
d
l
E
i
k
a
K
Pascal Kober hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ch möchte auf den Beginn der Debatte zurückkommen.
ieber Kollege Ernst, Sie haben den Kolleginnen und
ollegen im Hohen Haus zwei Fragen gestellt. Die eine
rage war, ob wir jemanden kennen, der für 5 Euro zu-
ätzlich zwei Jahre länger arbeiten würde.
Für 5 Euro weniger Einkommen. – Damit offenbaren
ie, wes Geistes Kind Sie sind. Sie sind ein Linker,
ür den es über den reinen Materialismus hinaus in der
elt keinen Sinn gibt.
as sehen wir als christlich-liberale Koalition naturge-
äß anders.
ielleicht möchten die Menschen arbeiten, weil die Ar-
eit ihnen Freude macht. Vielleicht möchten die Men-
chen nicht nur arbeiten, um Geld zu verdienen, sondern
eil Arbeit Sinn vermittelt.
ielleicht möchten die Menschen arbeiten, weil sie in
er Gesellschaft Verantwortung für sich und ihre Fami-
ien übernehmen wollen.
Sie haben eine zweite Frage gestellt, lieber Herr
rnst. Sie haben danach gefragt, was mit jenen Berufen
st, bei denen es schwierig ist, sie aufgrund der hohen
örperlichen Belastung über einen längeren Zeitraum
uszuüben.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage desollegen Ernst zulassen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5871
)
LINKE]: Sie haben doch nur drei Minuten!Dann bekommen Sie mehr!)
Herr Kollege Ernst, das reicht aus, um sich mit Ihrem
Antrag auseinanderzusetzen; heute also nicht.
Sie haben gefragt, was ein Dachdecker im Alter ma-
chen soll, ob er zum Beispiel Buchhalter werden soll.
Ihre Antwort war: Er kann kein Buchhalter werden.
Das ist vielleicht richtig, wobei ich meine, dass Sie dem
einen oder anderen Dachdecker unrecht tun. Vielleicht
möchte er aber Baumaschinenführer werden.
Wenn wir das Problem der Altersarmut wirklich an-
packen wollen, dann müssen wir bedenken, dass Alters-
armut unterschiedlichste Ursachen hat und unterschied-
lichster Lösungsansätze bedarf. Ein Lösungsansatz wird
mit Sicherheit sein, dass wir eine innovativere Berufsbil-
dungspolitik betreiben, als es bisher der Fall war. Unsere
Gesellschaft wird lernen, dass man nicht einmal im Le-
ben einen Beruf lernt, sondern vielleicht zwei- oder drei-
mal im Leben. So weit sind wir noch nicht; aber im Inte-
resse der künftigen Generationen müssen wir solch
innovative Konzepte entwickeln und sollten uns nicht
mit der Frage aufhalten, ob man das Renteneintrittsalter
erhöhen kann oder nicht.
Wir müssen bei den Ursachen für Altersarmut ansetzen,
besser heute als morgen.
Zu den Ursachen. Altersarmut kann entstehen, wenn
während der Erwerbsphase längere Zeiten der Arbeitslo-
sigkeit auftreten.
Was müssen wir tun? Wir brauchen eine aktive, wachs-
tumsorientierte Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.
Dafür steht unsere christlich-liberale Koalition. Dafür
haben wir Impulse gesetzt. Die Arbeitsmarktdaten zei-
gen, dass wir recht haben, dass wir richtig handeln und
dass diese Regierung erfolgreich ist, Herr Ernst.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie eine
Kommission einsetzen wird, um sich des Themas Al-
tersarmut anzunehmen.
Wir werden die Ergebnisse dieser Kommission in die
Beratungen des Parlaments einbeziehen. Wir werden
k
e
W
P
h
t
H
A
s
v
R
u
m
H
s
c
6
D
R
h
e
n
d
w
h
S
S
E
R
t
M
R
t
s
l
ir werden uns dieses Problems annehmen und eine
olitik für die Menschen machen, die ihnen wirklich
ilft.
Vielen Dank.
Matthias W. Birkwald hat jetzt das Wort für die Frak-
ion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen underren! Die Antwort der Bundesregierung auf die Großenfrage der Fraktion Die Linke zur Beschäftigungs-ituation Älterer bestätigt, was Gewerkschaften, Sozial-erbände und wir Linken stets kritisiert haben: Dieente erst ab 67 ist das eine; tatsächlich bis 67 in Lohnnd Brot stehen, ist das andere. Das sind zwei vollkom-en unterschiedliche Paar Schuhe.
err Kober, wo sind denn die Arbeitsplätze für Men-chen über 60? Die können Sie doch mit der Lupe su-hen. Ich sage es noch einmal: Nicht einmal jeder zehnte4-Jährige ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt.as Sparpaket für Rentnerinnen und Rentner heißt:ente erst ab 67. Diese Rentenkürzung müssen wir ver-indern.
Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung hält sichine heilige Kuh, die nicht angetastet werden darf. Sieennt sie Beitragssatzstabilität. Nach diesem Glaubenürfen die Beiträge zur Rentenversicherung nicht erhöhterden. Im Gegenteil: Sie sollen gesenkt werden. Wieuldigen die Bundesregierungen von Rot-Grün bischwarz-Gelb der heiligen Kuh Beitragssatzstabilität?ie kürzen die Rente, und das gleich dreifach: Erstens.s gibt weniger Rente für alle; in 20 Jahren wird dasentenniveau ein Viertel niedriger sein als 1998. Zwei-ens. Es wird noch mehr Abschläge geben; noch mehrenschen werden das völlig unrealistische gesetzlicheenteneintrittsalter von 67 Jahren nicht erreichen. Drit-ens wird es weniger Rente geben, da die Zeit des Ruhe-tandes gekürzt wird. – Diese Politik des Rentenklausehnen wir Linken ab.
Metadaten/Kopzeile:
5872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Matthias W. Birkwald
)
)
Jetzt wird es ein bisschen kompliziert.
Wer heute in Rente geht, ist durchschnittlich 63 Jahre alt.Das hat Konsequenzen. Wer vor 65 in den Ruhestandgeht, erhält weniger Rente. 115 Euro Monat für Monatbis zum Lebensende – so hoch sind die Abschläge schonheute im Durchschnitt. Das heißt bereits jetzt: Ohne dieRente erst ab 67 müssen Rentnerinnen und Rentner inden durchschnittlich 18 Jahren, in denen sie Rente erhal-ten, wegen der Abschläge auf insgesamt 25 000 Euroverzichten. 25 000 Euro weniger, nur weil das Renten-eintrittsalter von 65 Jahren von der Hälfte derer, die inRente gehen, nicht erreicht werden konnte. Und Sie wol-len das Renteneintrittsalter ernsthaft anheben? ErklärenSie das einmal den Betroffenen, zum Beispiel der Che-miearbeiterin, dem Elektriker oder dem Bauarbeiter. Diewerden Ihnen etwas husten, und das völlig zu Recht.
Ihre Politik der Arbeitszeitverlängerung nützt nur derheiligen Kuh Beitragssatzstabilität. Dazu will ich nochetwas sagen: Beitragssatzstabilität wird allein deshalbvon Schwarz-Gelb und Rot-Grün nahezu absolut gesetzt,weil damit die Arbeitskosten niedrig gehalten werdensollen; der Staatssekretär hat das vorhin gesagt. EinBlick auf die durchschnittlichen Lohnkosten zeigt, wa-rum wir recht entspannt sein können: Deutschland liegtmit 32 Prozent sogenannter Lohnnebenkosten deutlichunterhalb des europäischen Durchschnitts von 36 Pro-zent.
Deswegen sage ich Ihnen: Die Beitragssatzstabilität darfkeine heilige Kuh bleiben.
Herr Kober und Herr Fuchtel, das Stichwort, das im-mer genannt wird, ist Generationengerechtigkeit. Ichsage: Das ist kein Problem der Generationengerechtig-keit; denn es würde die Beschäftigten nur wenig kosten,wenn es weiterhin bei der Rente ab 65 bliebe. Den Ren-tenkürzungen wegen der Rente erst ab 67 stehen nichteinmal zwei Weißbier oder drei Pils oder – ich bin Köl-ner – fünf Kölsch im Monat gegenüber, die sich eine Ar-beitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Durchschnitts-verdienst in diesen heißen Sommertagen leisten könnte.Die Rente ab 67 wird den Beitrag, den durchschnittlichverdienende Beschäftigte an die Rentenkasse zahlenmüssen, um nicht einmal 7 Euro senken. Bevor diese7 Euro weniger Beitrag für die Rentenkasse für Bier aus-gegeben werden können, werden sie im Übrigen durchdie 8 Euro Beitragserhöhung für die Krankenkasse, dieHerr Rösler will, mehr als aufgebraucht. Heute heißt esim Handelsblatt:Röslers Reform belastet vor allem die Rentner.Kümmern Sie sich bitte einmal darum.
aEfssFaRFtwemSkWlABhlMFdVv–gDgaDnFmmlk
Heute Abend.
Peter Weiß hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Es ist verständlich, dass man in einer politischenebatte über die Vergangenheit redet. Aber es ist Auf-abe der Politik, zu fragen: Wie packen wir die Zukunftn?
ie Vergangenheit war in der Tat dadurch gekennzeich-et, dass in den Personalbüros unserer großen Betrieberühverrentungspolitik und Jugendwahn die bestim-enden Themen waren. Aber wenn man die Zukunfteistern will, muss Schluss sein mit Frühverrentungspo-itik und Jugendwahn; denn die Aufgaben für die Zu-unft sehen anders aus.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5873
Peter Weiß
)
)
Viele Zahlen können unterschiedlich interpretiert wer-den. Ich will mich aber auf folgende Fakten beziehen, diejedem klarmachen, dass wir in den kommenden Jahr-zehnten eine Veränderung zu erwarten haben: Heutekommen auf 100 20- bis 64-Jährige, also Menschen imErwerbsleben, 33,8 Personen über 65, also Rentnerinnenund Rentner. Das wird sich in den nächsten Jahrzehntendramatisch verändern. In 50 Jahren werden auf 100 Perso-nen im Erwerbsleben 63 über 65-Jährige kommen.Gleichzeitig wird die Lebenserwartung erfreulicherweiseweiter steigen. Sie wird, so schätzt man, für neugeboreneMädchen gegenüber heute um 6,5 Jahre ansteigen, fürneugeborene Jungen um sechs Jahre. – Ich glaube, jederkann jetzt nachvollziehen, dass man die Gewinne an Le-benszeit und Lebensqualität nicht einfach privat genießenund die daraus folgenden Kosten auf die Allgemeinheitabwälzen kann.Normalerweise sagen die Linken hier im Parlamentund auch anderswo, Gewinne würden privatisiert undVerluste sozialisiert, und kritisieren das. In diesem Fallverraten die Linken ihre Ideologie voll und ganz. HerrErnst und Herr Birkwald sagen, dass sie Gewinne an Le-benszeit privatisieren und die daraus folgenden Kostensozialisieren wollen. Das ist das Gegenteil von dem, wassie als ihre Politik ausgeben.
Die Auswirkungen dieser Veränderung in unserer Ge-sellschaft in den kommenden zehn Jahren – sie werdenzu einem ganz anderen Bild führen als zu dem, das wir inden vergangenen Jahrzehnten hatten – werden sich aucham Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt niederschlagen.Das geschieht in der Tat schon jetzt. Wir Deutschen hat-ten in der Vergangenheit eine grottenschlechte Beteili-gung älterer Menschen am Erwerbsleben, weil man sieaus den Betrieben herausgedrängt hat. Im ersten Quartal2005 lag die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigenbei 44,5 Prozent. Sie ist bis zum dritten Quartal 2009 auf55,9 Prozent angestiegen; das ist immerhin schon eineVeränderung. Unser Ziel als christlich-liberale Koalitionist es, die Erwerbsbeteiligung Älterer bis zum Ende die-ser Legislaturperiode auf mindestens 60 Prozent anzuhe-ben und damit zu den in diesem Bereich erfolgreichenStaaten in Europa zu gehören.
Frau Ferner, Sie haben einfach falsch zitiert; man solltedas Wahlprogramm der CDU, auch wenn man in der SPDist, richtig lesen. In unserem Wahlprogramm 2005 stand:Wir wollen die Regelaltersgrenze so anheben, wie es dieSituation am Arbeitsmarkt zulässt, also wie die Beschäf-tigungsmöglichkeiten für Ältere steigen.
Deswegen hat sich die Große Koalition dazu entschlos-sen, die Regelaltersgrenze im Jahr 2029 auf 67 Jahre an-zuheben. Damit wird der Geburtsjahrgang 1964 der ersteJahrgang sein, für den die neue Regelaltersgrenze gilt.Warum der Geburtsjahrgang 1964? Weil er der stärksteGhgdmKEgmnnwtGtied–GlwDagsdfm
Wenn man diese beiden Jahrgänge miteinander ver-leicht, den Jahrgang 1964, der erste, für den die Renteit 67 gilt, und den Jahrgang 2009 – die 2009 Gebore-en stehen dann als 21-Jährige im Berufsleben und fi-anzieren die Rente mit –, dann wird einem klar, dassir zwingend – nicht weil wir mutwillig sind – Genera-ionengerechtigkeit in Deutschland herstellen müssen.
erecht ist, dass die Älteren für eine lebenslange Leis-ung eine angemessene Rente bekommen. Aber gerechtst auch, dass wir die Jungen nicht über Maßen mit Steu-rn und Abgaben belasten. Generationengerechtigkeit istie Zukunftsaufgabe, der wir uns stellen müssen.
Die Zurufe der Linken zeigen nur eines: Sie reden vonerechtigkeit; aber das Ergebnis von dem, was Sie wol-en, ist Ungerechtigkeit, also das Gegenteil von dem,as Sie sagen.
as ist einfach so. Man kann die Zahlen nicht weglügen,uch nicht mit noch so vielen Debatten.
Nun stellen sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbür-er, die erkennen, dass die Entwicklung, die ich darge-tellt habe, einer Antwort bedarf, zu Recht eine entschei-ende Frage.
Herr Strengmann-Kuhn würde gerne eine Zwischen-
rage stellen. Herr Weiß, ist das in Ordnung?
Lassen wir Herrn Strengmann-Kuhn zu Wort kom-en. Bitte.
Metadaten/Kopzeile:
5874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Bitte schön.
Herr Weiß, Sie sagen: Zahlen lügen nicht.
Ja.
Nun hat die Regierung im Rahmen ihres Sparpakets
beschlossen, Beiträge in Höhe von 1,8 Milliarden Euro
nicht mehr an die Rentenversicherung zu zahlen. Das hat
aber nicht zur Folge, dass die Renten sinken. In den
nächsten Jahren werden der Rentenversicherung jedes
Jahr Einnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden bzw., wenn
man das dazuzählt, was Frau Ferner gesagt hat, über
2 Milliarden Euro fehlen. Welche Konsequenz hat das
für die Beitragssätze, und wer zahlt das? Welche Bei-
tragssatzentwicklung sieht die Bundesregierung für die
nächsten Jahre?
Das heißt doch, dass die Beiträge steigen. Sehe ich das
richtig oder falsch?
Sehr geehrter Herr Strengmann-Kuhn, Beiträgen ste-hen eines Tages Ausgaben gegenüber. Das wissen Sieganz genau. Ich glaube, das Entscheidende ist Folgen-des:Wir sollten erstens feststellen, dass die Deutsche Ren-tenversicherung eine gute Rücklage hat.
– Wir wollen sie nicht aufbrauchen, sondern wir wollen,dass sie in Zukunft wieder steigt. Sie wird aufgrund derKrise etwas abnehmen. Wir wollen, dass sie wiedersteigt.
Das Zweite ist: Der um 1,8 Milliarden Euro redu-zierte Bundeszuschuss für die Rente, also Zuschuss ausSteuermitteln, führt dazu, dass keine entsprechendenRentenansprüche entstehen.
Ich glaube aber, dass für die Arbeitslosengeld-II-Be-zieher Folgendes entscheidend ist – ich sage jetzt ein-mal, was wir machen werden –: Wir werden die Zeitendes Bezugs von Arbeitslosengeld II weiter als Anrech-nungszeiten in der Rentenversicherung vorsehen undverankern.DZzz3gsmdeIwDnätnmlWDeArbvdbeeduBAdpbsnz
as heißt, Arbeitslosengeld-II-Beziehern wird auch inukunft der Zugang zur Erwerbsminderungsrente, zu so-ialer Rehabilitation und – für langjährig Versicherte –ur Rente nach Erreichen einer Versicherungszeit von5 Jahren ermöglicht. Wir sorgen dafür, dass für diejeni-en, die es am Arbeitsmarkt am schwersten haben, weilie krank oder behindert sind – die zum Beispiel Erwerbs-inderungsrente beantragen müssen –, auch in Zukunfter Schutz der Rentenversicherung in vollem Umfangerhalten bleibt.
Nun wird, wie ich finde, zu Recht die Frage gestellt:st denn längeres Arbeiten überhaupt möglich, selbstenn man will?
ie erste Voraussetzung dafür ist, dass sich in den Perso-albüros unserer Betriebe Grundlegendes ändert und eslteren Beschäftigten ermöglicht wird, länger zu arbei-en. Ich will einige Punkte nennen, wo sich in der Perso-alpolitik unserer Betriebe noch Entscheidendes ändernuss:Erstens. Weiterbildung muss über das ganze Berufs-eben hinweg möglich sein, nicht nur in jüngeren Jahren.as die berufliche Weiterbildung anbelangt, gehörteutschland im Vergleich zu anderen Industrienationenher zu den schlechteren Ländern.Zweitens: Gestaltung moderner, gesundheitsgerechterrbeitsplätze, weitere Fortschritte bei der Humanisie-ung der Arbeitswelt,
esserer Arbeitsschutz, bessere betriebliche Gesundheits-orsorge und auch die Entwicklung neuer Arbeitsformen,ie auf die Erfordernisse eines älteren Arbeitnehmersesser eingehen, als das heute der Fall ist. Es muss auchin Stück weit zu mehr Flexibilität kommen. Das heißt,s geht um die Schaffung von Möglichkeiten, gegen Endees Berufslebens die Arbeit schrittweise zu reduzierennd dafür vorher rechtzeitig Arbeitszeit anzusparen, zumeispiel durch Lebensarbeitszeitkonten. Auch ich bin deruffassung: Die Perspektive muss nicht unbedingt sein,ass man bis zum Renteneintritt 150-prozentig durch-owert.Damit diese neue Personalpolitik in unseren Betrie-en in Gang kommt, hat die Bundesregierung – übrigenschon zu Zeiten eines sozialdemokratischen Arbeitsmi-isters – eine Reihe von Initiativen gestartet, die ich auf-ählen möchte:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5875
Peter Weiß
)
)
die Initiative Neue Qualität der Arbeit – INQA –, die Ge-meinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, das Pro-gramm „Perspektive 50 plus“, das wir übrigens im nächs-ten Jahr auf ganz Deutschland ausdehnen wollen, und dasProjekt „Lebenslang gut arbeiten“ des Bundesforschungs-ministeriums.Unternehmen, die an diesen Modellprogrammen teilneh-men, verzeichnen erstaunlich positive Ergebnisse; etlichevon ihnen sind in den letzten Jahren als Deutschlands besteArbeitgeber ausgezeichnet worden. Der Altenbericht derBundesregierung zeigt, dass man mittlerweile in diesenPersonalbüros umgelernt hat. Da wird die Bedeutung desErfahrungswissens älterer Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer für den wirtschaftlichen Erfolg höher einge-schätzt als die Bedeutung der Innovationsfreude der Jün-geren. Deswegen gilt: Eine älter werdende Gesellschaftverursacht nicht nur Probleme; sie ist auch eine Chance.Wir wollen politische Voraussetzungen dafür schaffen,dass diese Chance genutzt wird.Vielen Dank.
Josip Juratovic hat jetzt für die SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Debatten um die Erhöhung des Ren-teneintrittsalters werden gewöhnlich sehr hitzig, oft lei-der auch sehr einseitig geführt. Das Thema ist aber vieltiefgründiger als allein die Frage, wann wir in die Rentekommen. Vielmehr ist die wichtigste Frage: Wie errei-chen wir das Rentenalter, und können wir von dieserRente anständig leben?Bevor ich in den Deutschen Bundestag kam, habe ichunter anderem sieben Jahre lang am Fließband gearbei-tet. Ich war in der Lackiererei eines Automobilunterneh-mens beschäftigt. Auch wenn sich die Arbeit dort inzwi-schen verändert hat – vieles wurde automatisiert –, weißich, dass ich diese Arbeit aus unterschiedlichen Gründennicht bis zum Alter von 67 hätte verrichten können. Sogeht es vielen Arbeitnehmern.Leider entscheiden die wenigsten Menschen in unse-rem Land tatsächlich nach freiem Willen darüber, wannsie in Rente gehen. Wenn sie vorzeitig in Rente gehen,dann tun sie das nicht, weil sie keine Lust mehr haben,zu arbeiten, sondern sie hören früher auf, weil sie mitdem Leistungsdruck nicht mehr zurechtkommen.
Viele einfache Tätigkeiten sind von den Unternehmenausgelagert oder wegrationalisiert worden. Ältere Ar-beitnehmer haben daher keine Schonarbeitsplätze mehr.Durch Maßnahmen wie den Kontinuierlichen Verbesse-rungsprozess im Quadrat, den sogenannten KVP2, gibteDWsnzdbtdDtzbskrKSddtDMktDb6tAnsmsrbPkdmf
enn sie wissen, dass sie unter den derzeitigen Arbeits-edingungen nicht bis 67 arbeiten können, auch nicht bis5 und oft nicht einmal bis 60. Die Erhöhung des Ren-eneintrittsalters bedeutet für sie somit, dass sie höherebschläge in Kauf nehmen müssen.
Meine Damen und Herren, leider werden mittelfristigoch viele Kolleginnen und Kollegen nicht bis zum ge-etzlichen Renteneintrittsalter arbeiten können. Deshalbüssen wir politische Maßnahmen ergreifen, zum Bei-piel die Weiterentwicklung der Altersteilzeit, eine Teil-ente, gleitende Übergänge in die Rente und einen ver-esserten Erwerbsminderungsschutz. Erst wenn dieserobleme gelöst sind, ist die Rente mit 67 keine Renten-ürzung, sondern das, was sie sein soll: die Sicherunger Finanzierung unserer Renten im Hinblick auf den de-ografischen Wandel und veränderte Erwerbsbiogra-ien.
Metadaten/Kopzeile:
5876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Josip Juratovic
)
)
Meine Zustimmung zum Gesetzentwurf zur Einfüh-rung der Rente mit 67 hatte ich 2007 mit einer persönli-chen Erklärung gemäß § 31 GO verbunden. Die Punkte,die ich in meiner damaligen persönlichen Erklärung auf-geführt habe, sind leider aktueller denn je.Wir brauchen altersgerechte Arbeitsplätze; darunterfallen die bereits angesprochenen Schonarbeitsplätze,die möglicherweise auch subventioniert werden müssen.Wir müssen ab dem 55. Lebensjahr gleitende Übergängein den Ruhestand ermöglichen; dazu gehören die Alters-teilzeit und flexible altersgerechte Arbeitszeiten. Wirmüssen neue Wege im präventiven Gesundheitsschutzgehen. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Krankenkassenmüssen Konzepte entwickeln, wie Arbeit am gesündes-ten zu organisieren ist. Bereits bei der Planung müssenArbeitsplätze für die leistungsgewandelten und älterenArbeitnehmer berücksichtigt und eventuell staatlich ge-fördert werden.
Wir müssen Qualifizierungsmöglichkeiten nicht nur,aber auch für ältere Arbeitnehmer schaffen. Und wirmüssen den Zugang zur Erwerbsminderungsrente si-chern.Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mir nicht an-maßen, für alle Arbeitnehmer in allen Lebenslagen zureden. Aber leider haben weder die Betriebe, jedenfallsin den meisten Branchen, noch die Politik die letztendrei Jahre genutzt, um unsere Arbeitswelt altersgerechterzu gestalten.
Wir haben das Gesetz, wie gesagt, 2007 beschlossen. Inder betrieblichen Realität ist seitdem aber fast nichtsgeschehen. Wir müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmerauffordern, zu handeln. Wettbewerb und gute Arbeitmüssen in Einklang gebracht werden. Dazu müssen aberauch wir in der Politik handeln. Wir brauchen gesetzli-che und finanzielle Vorgaben, um die Arbeitswelt zu ver-ändern.
Kolleginnen und Kollegen, das zeigt, dass es nichtreicht, nur für ein Umdenken zu sorgen, sondern wirmüssen nach Modellen suchen, damit die Rente mit 67keine Rentenkürzung ist. Zurzeit ist das leider die be-triebliche Realität. Wir müssen unser Handeln daranmessen lassen, dass die Menschen gesund in Rente ge-hen können und dass sie von der Rente anständig und inWürde leben können. Übrigens, Herr Kolb, das war dasZiel von Arbeitsminister Franz Müntefering. Daraufwerden wir im anstehenden Bericht der Bundesregie-rung, der durch die Revisionsklausel nötig ist, sehr ge-nau achten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und eine erhol-same Urlaubszeit.InBSrggAebsbsvrwszdgbtzmBhüddbgzSuRmWbs
Jetzt spricht Johannes Vogel für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch will auf den Ausgangspunkt der Debatte eingehen,ämlich die Große Anfrage der Linken. Lieber Herrirkwald, ich glaube, an zwei Stellen gehen Sie eintück weit von falschen Annahmen und falschen Vo-aussetzungen aus. Wir sollten zuerst über die Grundla-en reden, über die wir hier diskutieren.Wenn Sie in Ihrer Großen Anfrage „vor dem Hinter-rund fortdauernder Arbeitslosigkeit und der schlechtenrbeitsmarktsituation Älterer“ schreiben – das haben Sieben noch einmal wortreich ausgeführt –, dann bin ichei Ihnen, wenn es darum geht, die Situation zu verbes-ern. Aber wir müssen feststellen, dass dieser Weg schoneschritten wird; denn es gibt einen kontinuierlichen An-tieg der Beschäftigung Älterer. Heute gibt es doppelt soiele 60- bis 65-jährige Beschäftigte wie vor zehn Jah-en. Das ist erst einmal eine gute Nachricht; das solltenir festhalten.
Leider gehen Sie daneben auch beim demografi-chen Wandel ein Stück weit von falschen Vorausset-ungen aus, oder Sie verstehen vielleicht die Herausfor-erungen einfach falsch. Herr Ernst, Sie haben ebenesagt, dass Sie den demografischen Wandel sehr wohlerücksichtigen. Aber Sie sprechen in dem Papier „Posi-ionen zum demografischen Wandel und die Konsequen-en für die Linke“ auf Ihrer Homepage von einer „De-ografiekampagne“ des gesamten restlichen Deutschenundestages, von Schwarz bis Grün, und das sei nur des-alb passiert, um die Menschen vom Sozialabbau zuberzeugen. Mir scheint, dass Sie die Herausforderung,ie Realität, dass sich unsere Gesellschaft wandelt, dassie Menschen älter werden und dabei im Schnitt fitterleiben und dass es mehr Ältere und weniger Jüngereibt, einfach nicht verstanden haben. Dass Sie dann nichtu guten Schlüssen kommen, verwundert mich nicht.
Die Herausforderung besteht darin, dass wir dieozialsysteme – es ist gut, dass das eingeleitet wurde –mbauen müssen. So haben wir zum Beispiel bei derente eine kapitalgedeckte Säule eingeführt. Natürlichusste auch das Renteneintrittsalter erhöht werden.enn die Menschen älter werden und dabei fitter blei-en – es geht nicht um diejenigen, die heute alt sind,ondern zum Beispiel um meine Generation –, dann ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5877
Johannes Vogel
)
)
es ganz logisch, dass sie länger arbeiten müssen. Wirmüssen dann natürlich dafür sorgen, dass die Menschenauch Jobs in den Unternehmen bekommen. Die Heraus-forderung für uns in der Politik besteht deshalb darin,mehr für lebenslanges Lernen sowie für Weiterbildungund Qualifikation zu tun. Daher ist der erste Schritt, diejahrzehntelange Kultur der Frühverrentung zu beenden.Wir haben die Regelung betreffend die geförderte Al-tersteilzeit auslaufen lassen, weil sie zu Frühverrentun-gen geführt hat. Das ist der richtige Schluss.
Es tut sich aber auch schon etwas in der Wirtschaft.Nach einer Umfrage des IW wandelt sich die Einstellungder Führungskräfte in den Unternehmen gegenüber älte-ren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Herausforde-rung ist, diesen Weg fortzusetzen. Man darf nicht, wieSie, Herr Ernst, es wollen, zu einer Politik der Frühver-rentung zurückkehren. Das ist rückwärtsgewandt. Ichhabe mich sehr gefreut, dass aus der Opposition auchHerr Strengmann-Kuhn für die Grünen ausgeführt hat,dass wir den Weg, den wir eingeschlagen haben, weiter-gehen müssen. Ich sage für meine Fraktion: Wir müssenes flexibler machen. – Herr Ernst, wollen Sie eine Zwi-schenfrage stellen?
– Bitte, gern.
Herr Kollege, das geht nicht, wenn Ihre Redezeit be-
reits vorbei ist. Es war aber einen Versuch wert.
Herr Ernst, es tut mir sehr leid, aber ich freue mich
auf eine Kurzintervention.
Darf ich noch einen Satz zur SPD zu Ende ausführen?
Der Kollege Schaaf hat uns eben vorgeworfen, die FDP
selber habe die Politik der Frühverrentung in den 90er-
Jahren vorangetrieben. Herr Kolb hat darauf hingewie-
sen –
Herr Kollege!
– das ist der letzte Satz –,
Schon wieder.
– dass wir diese Politik auch beendet haben. Wenn
man sich anschaut, wie Sie mit dem Thema Rente mit 67
umgehen, dann erkennt man den Unterschied: Wir keh-
ren um, wenn etwas falsch gelaufen ist. Sie kehren um,
w
n
H
u
K
t
R
i
w
e
u
G
a
d
a
b
w
A
a
j
S
d
n
s
D
s
d
r
I
t
I
w
s
g
a
v
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Frank
einrich das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meinollege Weiß hat es vorhin gesagt: Es ist keine Stich-agsregelung, aber es gibt einen Jahrgang, für den dieegelung am Schluss erstmalig gilt. Ich habe nicht nurn meiner Stadt, sondern, ich vermute, auch deutschland-eit genau das Durchschnittsalter der Deutschen. Ich bininer aus diesem Jahrgang 1964,
nd ich werde damit zu den Ersten gehören, die in denenuss der 67-Jahre-Regelung kommen.Ich bin ein Stück weit froh darüber; denn ich halte dasuch für ein Signal. Ich halte das für ein Signal nicht nurafür, dass ich erst mit 67 Jahren in Rente gehe, sondernuch dafür, dass ich eine Chance bekomme, zu arbeiten,is ich 67 Jahre alt bin. Herr Juratovic hat es gesagt: Ja,ir müssen Bemühungen hinsichtlich der zukünftigenrbeitsgestaltung unternehmen. – Vorhin wurde aberuch gesagt, dass es erst in 20 oder 25 Jahren so weit ist,e nachdem, wen es wann trifft. Ich sage: Ich bin eintück weit stolz darauf, dass wir jetzt damit anfangen,as zu planen. Es ist ja nicht so, dass wir das in denächsten Jahren einfach vernachlässigen werden.Ich gehöre diesem Jahrgang an, und ich bin einver-tanden mit dieser Regelung; ich bin sogar froh darüber.urch viele Studien wird belegt, dass sich unsere Gesell-chaft schon im Wandel befindet. Herr Kolb, Sie habenas gesagt: Die Leute haben verstanden, dass sie sich da-auf einstellen müssen. – Das gilt auch für die Betriebe.ch höre es eigentlich nicht so gerne, dass sich die Be-riebe nicht umstellen. Das ist nicht wahr.
n meinem Umfeld sind die Betriebe aufmerksam ge-orden, und sie haben ja auch noch ein bisschen Zeit,ich umzustellen, nämlich so lange, bis diese Regelungreift.Man sollte nicht polemisch über dieses Thema reden,lso nicht mit plakativen Formeln, wie ich sie auch inielen Fragen dieser Großen Anfrage gesehen habe.
Metadaten/Kopzeile:
5878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] gewandt:Aber die Fragen waren von euch! Zuhören!)Ich habe gemerkt: Wenn ich in der Auseinandersetzungmit Bürgern mehrere Sätze dazu sagen und ihnen erklä-ren kann, warum das sein muss, dann ist in unserem Volksehr schnell eine breite Zustimmung und ein Verständnisfür diese Regelung vorhanden.
– 80 Prozent lehnen sie ab, wenn sie nur plakativ gefragtwerden, wie Sie das sehr oft auch tun.
Wir haben es – das haben wir jetzt schon zuhauf ge-hört – mit sehr groben und starken gesellschaftlichenVeränderungen zu tun; das ist hier im Haus in vielenDebatten klargeworden. Das ist aber auch schon demVolk klargeworden, und viele bemühen sich und sind da-bei, Umstellungen zu treffen.Ich habe ein Problem damit, dass hier immer von Ver-greisung und Überalterung gesprochen wird. Ein Kol-lege von mir aus dem Wahlkreis hat einmal gesagt: Wirsollten das umformulieren und von Entjüngung spre-chen, damit das Problem einfach ein Stück weit anderswahrgenommen wird. – Das Diskussionsklima gefälltmir an dieser Stelle manchmal überhaupt nicht.Es gibt eine Zahl, mit der der Hintergrund ein biss-chen beschrieben werden kann: Die Bevölkerungszahl indiesem Altersbereich – 55 bis 65 Jahre – wird deutsch-landweit um 1 Million steigen. In den neuen Bundeslän-dern, aus denen ich komme, wird sie aber sinken.Genau aufgrund dieser regionalen Unterschiede, dieja nicht nur in diesem Bereich deutlich werden, brauchenwir die heute genannte Flexibilität umso mehr. Wir kön-nen nicht einfach nur einen Strich über alle ziehen, so-dass alle gleich sind, sondern wir müssen die Chancenfür mehr Flexibilität schaffen.
In diesem Sinne habe ich auch das gehört, was Sie, HerrJuratovic, gesagt haben. Wir müssen gemeinsam daranarbeiten, um das zu erreichen; hier haben wir noch einStück Wegstrecke vor uns.Durch die Antworten wird gezeigt, ohne jetzt aufviele einzelne Fragen und Antworten sowie Zahlen ein-zugehen, die hier genannt wurden:Der Hauptgrund eins für die Regelung ist – HerrFuchtel hat ganz am Anfang der Debatte darauf hinge-wiesen –, dass dies eine wichtige rentenpolitische Maß-nahme ist, um die gesetzlichen Beitrags- und Niveausi-cherungsziele einhalten zu können.Der Hauptgrund zwei dafür ist, dass mit dieser Rentemit 67 dazu beitragen wird, in einem ausgewogenen Ver-hältnis zwischen den Generationen die finanzielleGrundlage und die Leistungsfähigkeit der Rentenversi-csdsAssbrsdsnsgvvsk5sWWVGlRLsrdimgzgudAesds6l
ir erleben gerade eine grundlegende Veränderung.iele der gegebenen Antworten – ich bitte, die in derroßen Anfrage gestellten Fragen noch einmal nachzu-esen – zeigen, dass die Entwicklung genau in dieseichtung weist.Eine Zahl noch: Die jährliche Erhöhung der Zahl dereistungsberechtigten auch in Bezug auf die Grund-icherung geht absolut und prozentual kontinuierlich zu-ück, auch wenn offensichtlich ein gegensätzlicher Ein-ruck erzeugt wird. Die Regierung arbeitet darauf hin,m November eine Kommission einzusetzen, die sichit dem Thema Altersarmut beschäftigt.Der Arbeitsmarkt im Osten ist von einem Ungleich-ewicht zwischen einem hohen Arbeitsangebot und un-ureichender Nachfrage nach Arbeit geprägt. Laut IABeht die Differenz zwischen dem Arbeitskräfteangebotnd der Nachfrage nach Arbeit in den neuen Bundeslän-ern in den nächsten 15 Jahren sehr stark zurück.Für die Schaffung alters- und alternsgerechterrbeitsplätze sind allerdings – damit komme ich nochinmal auf einen meiner Vorredner zurück – weitere An-trengungen nötig. Wir müssen Grips investieren, umabei zu einer größeren Flexibilität zu kommen. Darintimme ich Ihnen völlig zu.
Die Einstellung älterer Arbeitnehmer, der 50- bis5-Jährigen, ist seit dem ersten Halbjahr 2005 deutsch-andweit um 9 Prozent und um 13 Prozent in den neuen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5879
Frank Heinrich
)
)
Bundesländern gestiegen. Die kleinen und mittleren Be-triebe sind besonders stark daran beteiligt, dass dieseMenschen eingestellt werden. Ein Problem dabei ist,dass sich immer noch Bewerbungen von Älteren vor al-lem bei kleinen und mittleren Betrieben aufstauen, ob-wohl bereits ein Großteil der Neueinstellungen auf dieseBewerber entfallen.Viele Unternehmen nutzen aber schon heute das Wis-sen und schätzen die Fähigkeiten der über 50-Jährigen.Das wurde mir von begeisterten Wirtschaftsleuten alsauch von Menschen berichtet, die dieser Altersgruppeangehören, zu der ich in wenigen Jahren selber zähle.
In den kleinen und mittelständischen Unterneh-men gibt es einen deutlichen Bewusstseinswandel. Ichkomme aus einer Region, die ganz stark davon geprägtist. Frau von der Leyen wird immer wieder mit ihrer Be-wertung dieses Teils unserer Gesellschaft zitiert, diePotenziale darstellen, die wir abrufen können. Ich binsehr zuversichtlich, dass wir durch Fortbildung und Um-stellung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitiknoch weit mehr erreichen können.Sie haben in vielen der Fragen die zehn wichtigstenBereiche angesprochen, in denen Beschäftigung auch fürdiese Altersgruppe gesucht wird. Vorgestern las ich in ei-ner Hamburger Zeitung von einer Liste genau solcherzehn Bereiche. Sechs dieser Top 10 sind Berufsgruppen,in denen Menschen bis 67 und viele sogar noch längerarbeiten möchten. Da wird krampfhaft gesucht.Ich komme zum Schluss. Sie sagen, ich sei einer derwenigen, die zuversichtlich sind. Ich glaube tatsächlich,dass wir auf einem guten Weg sind und entsprechendeWeichen gestellt wurden und dieses Jahr noch gestelltwerden. Wir müssen erstens aufmerksam bleiben und,um dieser Altersgruppe tatsächlich gerecht zu werden,entsprechende alters- und alternsgerechte Arbeitsplätzeschaffen bzw. in sie investieren. Zweitens müssen wirmit Blick auf Weiterbildungsmaßnahmen für Ältere auf-merksam werden. In diesem Zusammenhang nenne ichwieder das Wort „Flexibilität“ – aber nicht nur Flexibili-tät des Staates, sondern auch des Bürgers und der Wirt-schaft.
Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende.
Ja, ich komme jeden Moment zum Ende.
Ich wünsche mir, dass wir es dann schaffen – so wie
bei der Staffelung bei der Rente mit 67 –, nach und nach
die Einzelbedingungen zu regeln.
Herr Kollege!
r
u
a
b
d
R
H
A
c
g
t
t
z
K
W
h
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittel-
marktes in der Gesetzlichen Krankenversiche-
– Drucksache 17/2413 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für ein modernes Preisbildungssystem bei
Arzneimitteln
– Drucksache 17/2324 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verabredet ist es, hierzu eine Dreiviertelstunde zu de-
attieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch,
ann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Philipp
ösler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren Abgeordnete! Das Gesetz zur Neuordnung desrzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversi-herung hat drei wesentliche Ziele und enthält eineroße politische Botschaft.Das erste Ziel ist: Wir wollen den Zugang der Patien-innen und Patienten zu den bestmöglichen Medikamen-en auch in Zukunft garantieren und sicherstellen. Dasweite Ziel ist: Wir wollen die damit einhergehendenosten besser kontrollieren als bisher. Das dritte Ziel ist:ir wollen den Mittelstand stärken. Forschung soll auchier weiterhin möglich sein. Wir leisten damit unseren
Metadaten/Kopzeile:
5880 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
)
)
Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung auch und ge-rade in der Gesundheitswirtschaft.
Darüber hinaus wird mit diesem Gesetz die Unabhän-gige Patientenberatung dauerhaft gesetzlich abgesichert –auch, aber nicht nur im Arzneimittelbereich. Trotzdemgehört gerade die Unabhängige Patientenberatung in die-sen Gesetzentwurf mit hinein. Denn dies führt uns zu derentscheidenden Botschaft dieses Gesetzes, das zwartechnisch klingt, aber am Ende den Patientinnen und Pa-tienten nützt und die Versicherten entlastet. Deswegen,meine Damen und Herren, können wir hier festhalten:Dieses Gesetz ist gut für die Menschen in der gesetzli-chen Krankenversicherung in Deutschland.
Wir werden all die angepeilten Ziele erreichen. Künf-tig wird im ersten Jahr die Vollerstattungsfähigkeit er-halten bleiben – aber eben nicht mehr über die gesamtePatentlaufzeit von 20 Jahren. Erstmalig und neu ist indiesem Gesetz geregelt, dass die Industrie neben demneuen Medikament immer auch Studien mit vorlegenmuss, die den Nutzen oder gegebenenfalls Zusatznutzenwissenschaftlich belegen. Diese Studien werden dannvon unabhängiger Stelle, nämlich vom GemeinsamenBundesausschuss, überprüft werden. Meine Damen undHerren, wenn die Industrie will, dass ihre Medikamenteauch weiterhin bezahlt werden, dann ist sie es den Men-schen auch schuldig, solche Studien mit vorzulegen.Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wir ver-langen auch die Vorlage von Studien, die abgebrochenwurden, also nicht nur von positiven, sondern auch vonnegativen Studien. Das, meine Damen und Herren, ist imInteresse der Menschen in der gesetzlichen Krankenver-sicherung.
Diese Studien werden dann die Grundlage für Ver-tragsverhandlungen zwischen der Industrie und der ge-setzlichen Krankenversicherung sein. Erstmalig in derGeschichte ist es damit gelungen, das Preismonopol derIndustrie zu brechen. Wir werden damit zu Einsparungenim gesamten Arzneimittelbereich von annähernd2 Milliarden Euro kommen. Das zeigt, dass wir durchdieses Gesetz die Versicherten finanziell werden entlas-ten können.Das zeigt auch, dass die gesamte Diskussion, die wirin der letzten Woche geführt haben, mit dem vorliegen-den Gesetzentwurf zusammenhängt. Im Übrigen habenwir von Ihnen bisher im Bereich der gesamten gesetzli-chen Krankenversicherung herzlich wenige Sparvor-schläge gehört.
– Trotzdem dürfen Sie das Wort ergreifen und Vor-schläge machen. –
DWslbsbfkewfmtGGiSnagggtIZSZTspPvdbdgDk9
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5881
)
Das ist keine Kleinkariertheit, und das ist auch keineMissgunst. Ich will die Ablehnung begründen. Zunächsteinmal ist es sehr gut und angemessen, dass dem Minis-ter selbst sein eigener Gesetzentwurf gefällt; aber diesererntet das Lob nicht in Fachkreisen und auch nicht inden Medien. Weshalb ist das so? Die zentralen Schwä-chen dieses Gesetzentwurfs liegen auf der Hand.Im ersten Jahr nach der Zulassung werden Preisver-handlungen mit dem Spitzenverband der Krankenkassengeführt. Sie haben überhaupt keine Möglichkeit, auszu-schließen, dass die zu erwartenden Preisabschläge, wennsie jemals kommen, vorher aufgeschlagen werden.
Daher sprechen mittlerweile die Fachpresse und auchzum Beispiel die Leiterin des Referats Arzneimittel imAOK-Bundesverband, Frau Beckmann, vom Teppich-händlereffekt. Es wird so gehandelt werden wie bei denTeppichhändlern. Sie mögen das nicht gerne hören, aberes ist tatsächlich so. Sie werden nachher bemüht sein,den Aufschlag, der jetzt erhoben wird, wieder herunter-zuhandeln. Ich sage Ihnen: Wir werden ein Jahr lang hö-here Preise als sonst haben, und danach werden wir dienormalen Preise haben. Das endet letztendlich mit Mehr-kosten, und Sie werden keinerlei Einsparungen erzielen.
– Es wäre das erste Mal, dass ich von Ihnen, HerrLanfermann, in dieser Hinsicht Nachhilfe beziehenkönnte.
Was ist denn zusätzlich zu erwarten? Sie haben da-rüber hinaus noch mit erheblichen Mengensteigerungenund mit einer Ausweitung der Indikationen zu rechnen.Sie haben im gleichen Gesetzentwurf die Richtgrößen-prüfung geschwächt, und durch eine Schwächung derRichtgrößenprüfung müssen Sie mit einer Ausweitungder Menge und einer Ausweitung der Indikationen rech-nen. Somit kommt es zunächst einmal zu einer Auswei-tung der Indikationen und der Menge bei steigendenPreisen. Im ersten Jahr haben Sie ja gar nichts in derHand. Sie müssen überlegen, was das bedeutet. Ich wie-derhole: Im nächsten Jahr müssen Sie mit steigendenPreisen, mit einer Ausweitung der Menge und einer Aus-weitung der Indikationen rechnen. Der eingeschlageneWeg wird zu Mehrkosten führen. Um das zu erkennen,sind wir doch lange genug im Geschäft. Das ist dochkein Spargesetz.
Ich will einer Legende vorbeugen, die Herr Spahngleich wieder verbreiten wird. Herr Spahn wird gleichwieder argumentieren, dass diese Koalition wagt, etwasdd–tsSdltwsAhkDvagSdtssk–AWcbbfdpekasMmAn
Sie, Minister Rösler, sind doch immer gegen dieierte Hürde gewesen. Ich könnte jetzt zitieren, wie Siels zuständiger niedersächsischer Wirtschaftsministeregen die vierte Hürde polemisiert haben.
ie können doch nicht behaupten, dass Sie hier etwasurchgesetzt haben, was durchzusetzen wir uns nicht ge-raut haben. Die Wahrheit ist: Es war schon Gesetz; Sieind damals dagegen gewesen. Sie haben jetzt eine abge-chwächte Version durchgesetzt, wodurch zum Schlussein einziger Euro gespart wird.
Das ist keine Märchenstunde. Die Kosten-Nutzen-nalyse ist Gesetz. Sie wird jetzt abgeschwächt.
ir werden uns hier in einem Jahr noch einmal spre-hen. Ich sage voraus: Es wird keine Einsparungen ge-en.Darüber hinaus führen Sie hier eine IGeL-Leistungei den Arzneimitteln ein. Die von Ihnen hier einge-ührte Mehrkostenregel wird darauf hinauslaufen, dasser Versicherte demnächst nur noch die Basiskom-onente, das Rabattmedikament – unabhängig davon, obs erhältlich ist oder nicht – erstattet bekommt und dieomplette Preisdifferenz zuzahlen muss. Das wird Ihnenuf die Füße fallen. Der Apotheker wird nämlich immeragen: Herr Rösler ist schuld, dass Sie die Kosten für dasedikament, das Sie jetzt eigentlich brauchen, nichtehr erstattet bekommen. Genauso wird es sein. Jederpotheker wird sagen: Dieses Medikament kann ich Ih-en leider nicht mehr kostenlos geben; da müssen Sie
Metadaten/Kopzeile:
5882 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Dr. Karl Lauterbach
)
)
sich bei Herrn Rösler bedanken; wenn Sie dieses Medi-kament haben möchten, müssen Sie die Mehrkosten tra-gen. Die Zuzahlung kann 10 oder sogar 15 Euro betra-gen. – Erinnern Sie sich an meine Worte! Bei jederGelegenheit wird man sagen: Bedanken Sie sich beiHerrn Rösler oder tragen Sie die Mehrkosten; wir kön-nen Ihnen nur noch das billigste Rabattmedikament ver-kaufen. – Sie versuchen das als eine Stärkung der Kun-den darzustellen.Ich will Sie hier noch ein letztes Mal daran erinnern:
Der kranke ältere Mensch, der Medikamente nicht beur-teilen kann, bedarf der Fürsorge. Er ist kein Kunde. Erkann nicht bewerten, ob er abgezockt wird oder ob essich wirklich um unterschiedliche Medikamente handelt.Fangen Sie an, den mündigen Kunden im Gesundheits-system einzuführen! Mündig ist der Kunde dann, wenner sich zwischen der privaten und der gesetzlichen Kran-kenkasse entscheiden kann. Schützen Sie nicht dieKlientel und machen Sie nicht ausgerechnet den kran-ken, armen älteren Menschen zum Spielball der Interes-sen der Apotheker und der Pharmaindustrie.
Das Wort hat der Kollege Jens Spahn für die Unions-
fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir beschäftigen uns zum dritten Mal in dieser Wochemit Gesundheitspolitik. Erstmals wird konstruktiv ge-handelt – zuvor gab es viel Gemeckere, etwa in der Ak-tuellen Stunde –: Heute legen wir einen Gesetzentwurfvor, in dem die Neuordnung des Arzneimittelmarktes ge-regelt wird.Lieber Herr Kollege Lauterbach, auch wenn wir unsfreuen, dass Sie das, was bei der Unabhängigen Patien-tenberatung gelungen ist, anerkennen – Sie selbst sagen,dass Sie das falsch eingeschätzt haben –, sage ich Ihnenvoraus, dass Sie spätestens in einem Jahr hier stehenwerden und sagen müssen, dass Sie sich geirrt haben,dass all das, was Sie prognostiziert haben, nicht eingetre-ten ist,
sondern dass wir – im Gegenteil – eine langfristig wir-kende Strukturvereinbarung im Arzneimittelbereich zu-stande gebracht haben.
IhaweftndGmRSrnedddLztdVWeldgzdeAgakdsknf
ie haben ja über ein Jahrzehnt die Gesundheitsministe-innen in diesem Land gestellt –, dass dieser Zustandicht so bleiben kann. Jetzt sind Sie doch ein Stück weitrschrocken darüber,
ass es gerade eine christlich-liberale Koalition ist, voner Sie das vielleicht am wenigsten erwartet hätten, dieiese strukturelle Frage nun endlich angeht und einerösung zuführt, die dem Ziel dient, den direkten Zugangu Innovation und neuen Medikamenten für die Patien-en aufrechtzuerhalten, und gleichzeitig dafür sorgt, dassas Ganze bezahlbar ist und in einem angemessenenerhältnis steht.Sie haben jahrelang davon geredet. Nichts ist passiert.ir regieren erst wenige Monate und legen heute schontwas Konkretes vor. Das ist effektive Arbeit, liebe Kol-eginnen und Kollegen.
Auch in anderen Bereichen findet übrigens ein Para-igmenwechsel statt. Jenseits des kurzfristigen Sparenseht es um strukturelle Veränderungen.Herr Kollege Lauterbach, Sie haben die Kosten-Nut-en-Bewertung erwähnt. Sie wissen genauso gut wie ich,ass die Kosten-Nutzen-Bewertung in keinem einzigenuropäischen Land Grundlage für die Preisfindung ist.uch in Deutschland wäre sie das am Ende nie wirklichewesen; denn sie hat nicht funktioniert.Es ist richtig, hier zur Nutzenbewertung zu kommen,lso zu schauen, wie viel besser ein neu auf den Marktommendes Arzneimittel im Vergleich zu den bereits aufem Markt vorhandenen Therapiealternativen ist. Dannoll zwischen dem Spitzenverband Bund der Kranken-assen und dem entsprechenden pharmazeutischen Unter-ehmen verhandelt werden. Es gibt also keine staatlichestgesetzten Preise, sondern Verhandlungslösungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5883
Jens Spahn
)
)
Unterschätzen Sie bitte auch nicht den Intellekt derKrankenkassen in Bezug darauf, wie sie in diese Ver-handlungen gehen. Natürlich wird auf Basis des Dos-siers, also der Frage, wie viel mehr Nutzen das neue Me-dikament im Verhältnis zur Therapiealternative hat, überden Preis verhandelt werden – und nicht, wie Sie es im-mer darstellen wollen, im Sinne von Teppichhändlerrun-den. Hier werden mit Schiedsverfahren – wir haben auchKonfliktlösungsmechanismen eingebaut – vernünftigePreise gefunden.Wir wollen Vertragslösungen. Wir wollen keinenstaatlichen Dirigismus. Das mag Ihnen nicht gefallen.Zumindest wir halten das aber für die bessere Lösung.
Im Übrigen beinhaltet das Ganze auch eine wichtigegesellschaftliche Debatte. Einen Aspekt blenden Sienämlich immer völlig aus. Es geht natürlich darum, dassdie Pharmaunternehmen auch die Chance haben, für et-was, was tatsächlich eine Innovation ist – denken Sie nuran Demenz; wie froh wären wir, wenn es endlich einMedikament gegen diese Geißel gäbe – –
Kollege Spahn, gestatten Sie eine Frage des Kollegen
Lauterbach?
Jederzeit.
Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nennen. Das
neueste und teuerste Medikament bei den Cholesterin-
senkern, Crestor, wurde bewertet. Nach zwei Jahren
wurde die Studie abgebrochen. Der Pharmahersteller
kam zu dem Ergebnis, es sei wunderbar und bringe deut-
lich mehr. Das ist Gegenstand des Dossiers gewesen.
Später kam dann heraus – das hatten die Unternehmen
nicht vorgelegt –, dass es in der gleichen Studie, der
JUPITER-Studie, auch Daten gab, die gezeigt haben,
dass die eigentliche Senkung der Zahl von Herzinfarkten
oder Schlaganfällen nie aufgetreten war.
Wenn man jetzt nur das Dossier des Unternehmens
bewerten müsste, dann wäre – –
– Im Dossier des Unternehmens ist das an keiner Stelle
erwähnt worden. Hätte man allerdings unabhängige Be-
wertungen zugelassen, wäre das sofort herausgekom-
men.
Was jetzt vorgetragen wird, ist so ähnlich, als würden
Sie nur die Testberichte der Werksfahrer anfordern, und
die Autos würden von den unabhängigen Testern selbst
nie gefahren. Das ist doch das, was hier passiert.
S
a
h
s
m
m
t
N
s
l
M
j
d
r
D
a
s
i
s
u
s
D
a
s
D
g
b
s
p
v
s
a
d
d
d
n
g
c
E
d
d
amit würde diesem Punkt, der ja lange gefordert wird,uch Rechnung getragen.Die entscheidende Herausforderung, auch in der ge-ellschaftlichen Debatte, ist aber folgende – das würdech jetzt gerne einmal in einem Zug ausführen –: Einer-eits wollen wir, dass die Pharmaunternehmen forschennd dass es neue Medikamente gibt. Ich sagte geradechon, wie wichtig es ist, dass etwa gegen die Geißelemenz endlich etwas auf den Markt kommt.Solche Innovationen müssen natürlich auch finanziellnerkannt werden; sonst gäbe es keinen Anreiz, zu for-chen. Gleichzeitig müssen wir einen Spagat schaffen.as alles muss auch finanziell darstellbar sein. Es musselingen, die Solidargemeinschaft nicht übermäßig zuelasten. Genau dieser Spagat ist so schwierig.Das stört mich manchmal an den Debatten, wie Sieie führen, wenn es um die Entwicklung der Pharma-reise geht: Sie blenden den Aspekt völlig aus, dass füriele Tausende und Zehntausende schwerkranker Men-chen mit neuen Medikamenten auch viele Hoffnungenuf Minderung von Leid verbunden sind. Wir versuchen,urch das Bewertungsverfahren beim Institut, aber auchurch die Vorlage von wissenschaftlichen Studien genauiesen Spagat zu schaffen. Deswegen bringt die Keuleichts, die immer gegen die Pharmaindustrie geschwun-en wird nach dem Motto: Die kann man richtig abzo-ken.
ine sachlich orientierte Debatte, die diesen Spagat wi-erspiegelt, ist entscheidend. Genau das wollen wir miter Debatte zu diesem Gesetz erreichen.
Metadaten/Kopzeile:
5884 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Kollege Spahn, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage, und zwar der Kollegin Volkmer?
Jederzeit.
Ich dachte mir das schon.
Herr Spahn, ich möchte Sie etwas zu den Studien fra-
gen, die die Pharmaindustrie vorlegen muss. Sie haben
gesagt: Es müssen jetzt alle veröffentlicht werden. Im
Gesetzentwurf steht: Es ist den Pharmaunternehmen
überlassen, in welcher Form sie diese Studien veröffent-
lichen. Es reicht auch, wenn sie das auf ihrer Internet-
seite veröffentlichen. – Stimmen Sie mir darin zu, dass
das in dem Gesetzentwurf so steht?
Klar, ich stimme Ihnen zu.
Ich habe jetzt nur nicht ganz die Problematik erkannt. Es
geht darum, dass es am Ende zu einer Veröffentlichung
kommt. Es gibt im Übrigen – das blenden Sie bei den
Debatten auch immer aus – auf europäischer Ebene
schon Datenbanken, die entsprechende Studien sam-
meln.
Eines sage ich Ihnen noch, weil das eine Frage be-
trifft, über die man konstruktiv miteinander reden kann:
Wir gehen in diese Debatte hinein mit der deutlichen
Ansage, dass wir bereit sind, im Gesetzgebungsverfah-
ren über alle diese Fragen mit allen Beteiligten – dazu
gehören die Patientenverbände, die pharmazeutische In-
dustrie, die Kostenträger, gern auch die Opposition,
wenn es denn konstruktiv ist – konstruktiv zu reden.
Transparenz ist die Voraussetzung von Akzeptanz.
Ich habe schon deutlich gemacht, wie schwer es ist,
diesen gesellschaftlichen Spagat zu schaffen. Da gibt es
die Hoffnungen und Erwartungen vieler kranker Men-
schen, und da ist zu unterscheiden: Was ist Abzockerei
durch die Pharmaindustrie? Was ist berechtigtes Inte-
resse, auch Forschungsleistungen abgegolten zu bekom-
men?
Dafür braucht man Verfahren, die transparent sind, die
nachvollziehbar sind, die für Akzeptanz sorgen. Wir sind
bereit, bis zur zweiten und dritten Lesung über alle diese
Schritte zu sprechen: beim Gemeinsamen Bundesaus-
schuss, beim IQWiG und bei all dem, was anliegt. Wir
jedenfalls wollen diese Diskussion in den nächsten Wo-
chen und Monaten bis zur zweiten und dritten Lesung
k
H
l
k
d
w
S
n
F
W
d
K
s
v
r
b
b
r
S
b
z
r
z
v
k
b
K
K
A
a
a
t
c
egründen Sie immer wieder gern mit der steigenden Le-enserwartung. Das war auch in der Rentendebatte ge-ade wieder das Thema. In unserem Bereich verweisenie da auf den medizinischen Fortschritt.Wenn dem so ist, dann sollten Sie diejenigen, die voneidem stärker profitieren, auch mehr oder angemessenur Kasse bitten. In Deutschland leben nämlich dieeichsten 10 Prozent der Bevölkerung durchschnittlichehn Jahre länger als die ärmsten. Das zeigt, dass unserielgelobtes Gesundheitswesen – ich schätze es; ichenne seine Qualitäten – wirklich gut ist, aber nicht un-edingt sozial und nicht gut für alle.
Mit Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie, Herr Rösler, dieostensteigerungen für Arzneimittel in der gesetzlichenrankenkasse bremsen.
ndererseits – das sagen Sie ganz offen – wollen Sieuch Wirtschaftsförderung betreiben. Wir machen hierber keine Wirtschaftspolitik, sondern Gesundheitspoli-ik. Weil Ihre Vorschläge dementsprechend unzurei-hend und inkonsequent sind, um die Megaprofite der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5885
Kathrin Vogler
)
)
Pharmaindustrie zu begrenzen, hat die Fraktion DieLinke einen eigenen Antrag für vernünftige und nach-vollziehbare Arzneimittelpreise vorgelegt. Ich fordereSie auf: Setzen Sie sich vernünftig damit auseinander!
Schauen wir einmal genauer auf das, was Sie da vor-haben. Sie wollen also, dass die Pharmaindustrie auchweiterhin für jedes neue Medikament selbst den Preisfestlegen darf.
Diesen Preis, egal ob 20 oder 2 000 Euro, müssen die ge-setzlichen Krankenkassen dann mindestens ein Jahr langerstatten.
Sie, Herr Rösler, nennen das einen patientenfreundlichenZugang zu Innovationen. Aber ich nenne das die Lizenzzum Gelddrucken.Die Linke fordert eine viel schnellere und transparen-tere Preisfestlegung gerade für die neuen Arzneimittel;denn das sind die Arzneimittel, die die hohen Kostenverursachen. Dabei wollen wir vor allem darauf achten– das haben wir in unserem Antrag dargestellt –, ob dasPräparat wirklich einen Nutzen für die Patientinnen undPatienten hat. Ist es nicht wirklich neu oder nicht besserals bereits auf dem Markt befindliche Medikamente,dann darf es auch nicht teurer sein.Bei den sogenannten therapeutischen Solisten, alsobei den Präparaten, für die es keine Behandlungsalterna-tive gibt und für die eine Kosten-Nutzen-Bewertung inangemessener Zeit nicht möglich ist, brauchen wir wei-tere Kriterien – Herr Kollege Spahn, Sie haben geradegesagt, Forschung sei wichtig für Innovationen –, zumBeispiel die Forschungskosten. Dazu müsste die Indus-trie erst einmal ihre tatsächlichen Kosten offenlegen,und zwar ohne die üblichen Mogeleien.
Die Pharmalobbyisten erklären uns ja immer gerne,dass die Mondpreise für neue Mittel sein müssten, umdie Forschung zu finanzieren. Angeblich kostet die Ent-wicklung eines neuen Medikaments über 600 MillionenEuro. US-Wissenschaftler haben aber schon vor einigenJahren nachgewiesen, dass es real oft nicht einmal50 Millionen Euro sind. Hier brauchen wir dringend dieTransparenz, die Sie, Herr Minister, und Sie, Herr Kol-lege Spahn, immer so gerne fordern.
Nach dem ersten Jahr sollen dann die Krankenkassenmit den Herstellern über den Preis verhandeln. Daranglauben Sie doch selbst nicht.
Herr Rösler, gehen Sie doch einmal zur Deutschen Postund verhandeln über den Preis einer Briefmarke. Wa-rum, bitte schön, sollte sich die Post darauf einlassen?SdkzwvKsnnlSDsVWlwlMIlddpbsTüK2dDkUlld
ie hätten in diesem Fall wenigstens die Möglichkeit,en Brief selbst zu überbringen. Ein Kranker hat abereine Alternative, und die Krankenkassen müssen dasahlen, was die Industrie verlangt.Last, not least wollen wir mit unserem Antrag eineeitere Lücke Ihres Entwurfes schließen. Es gibt keinenernünftigen Grund, warum die Arzneimittel in denrankenhäusern von der Preisgestaltung ausgenommenein sollen. Schließlich werden die meisten Erstverord-ungen von teuren Medikamenten in Kliniken vorge-ommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,ieber Kollege Spahn, es nützt überhaupt nichts, wennie dauernd beklagen, dass die Opposition nur meckere.as stimmt nämlich nicht. Wir haben ganz konkrete Vor-chläge gemacht. Ich fordere Sie auf: Prüfen Sie dieseorschläge vorurteilslos, soweit Ihnen das möglich ist!
ir erheben kein Copyright; denn es geht hier schließ-ich um ein zukunftsfähiges und soziales Gesundheits-esen. Und nicht vergessen: Gesundheit ist keine Ware.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
egin Birgitt Bender das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrinister, ich bin froh, dass Sie eben bei der Vorstellunghres Gesetzentwurfs das revolutionäre Pathos wegge-assen haben, mit dem wir den Entwurf oft in den Me-ien beschrieben gefunden haben, nach dem Motto „Ich,er Ritter, gegen die Pharmaindustrie“.Es ist richtig, die Ziele des AMNOG verdienen Res-ekt. Da geht es um Nutzenbewertung zu Beginn des Le-enszyklus eines Medikaments, um Preise, die der Her-teller nicht völlig frei festlegen kann, oder um mehrransparenz bei Arzneimittelstudien. Es ist allerdingsberraschend, dass Schwarz-Gelb so etwas macht, lieberollege Spahn. Ich will Ihnen sagen, warum. Im Jahre003 sind wir mit einem rot-grünen Reformentwurf anen Verhandlungstisch zu Union und FDP gekommen.ie Gelben sind sofort davongesprungen, weil sie aufeinen Fall der Pharmaindustrie etwas tun wollten. Dienion hat damals die Kosten-Nutzen-Bewertung abge-ehnt. Ich kann nur sagen: Schön, dass Sie etwas dazuge-ernt haben.
Wenn es tatsächlich so sein soll, dass überhöhte Ren-iten der Pharmaindustrie zugunsten der Versicherten
Metadaten/Kopzeile:
5886 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Birgitt Bender
)
)
abgeschöpft werden, dann darf das Vorgehen aber nichthalbherzig sein. Anders gesagt: Wenn man Fische fan-gen will, aber das Netz besonders große Maschen hat,dann wird der Angler hungrig bleiben. Genau das droht,wenn sich am AMNOG nicht noch etwas verändert.
Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen,warum die Nutzenbewertung in der Regel erst nach derZulassung und nicht parallel zum Zulassungsverfahrendurchgeführt wird, wie das in anderen Ländern der Fallist?
– Nein, das können Sie nicht.
Bereits beim Design und der Durchführung der Zulas-sungsstudien muss berücksichtigt werden, dass für dieBewertung eines Zusatznutzens die Prüfung gegenüberder Standardtherapie notwendig ist. Wenn nur gegenüberPlacebos geprüft wird, dann nutzt das vielleicht demHersteller, aber nicht dem Gesundheitssystem.
Klare Anforderungen an vorzulegende Studien und derStart der Nutzenbewertung bereits zum Zeitpunkt desZulassungsantrages, das wäre der richtige Ansatz.Ein weiterer Punkt. Kann mir die Koalition einen gu-ten Grund nennen, warum Impfstoffe von der Nutzen-oder Kosten-Nutzen-Bewertung ausgenommen sind? Ichhabe bisher keinen einzigen gehört.
Das Verfahren der Ständigen Impfkommission ist eineBlackbox. Wir brauchen ein transparentes, methodischesVorgehen wie beim IQWiG und Transparenz im Verfah-ren, wie es für das IQWiG und den G-BA selbstverständ-lich ist.Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen,warum sie den Pharmaherstellern im ersten Jahr völligfreien Spielraum bei der Preisgestaltung lässt? Zum ei-nen können Verhandlungen zwischen Herstellern undKassen früher beginnen, wenn die Nutzenbewertung frü-her vorliegt. Zum anderen wird unser Vorschlag derRückerstattung bei überhöhten Preisen abgelehnt, weildas ein nachträglicher, nicht zulässiger Eingriff in dieunternehmerische Freiheit sei.Unser Vorschlag ist weit marktwirtschaftlicher als derVorschlag, den die Koalition anderenorts preist. In denaktuellen Sparvorschlägen der Koalition heißt es: „DiePreise für Impfstoffe werden auf das europäische Durch-schnittsniveau gesenkt.“ Das heißt, zum einen ist dasSenken von Preisen möglich, aber Sanktionen für über-höhte Preise nicht? Das verstehe, wer will. Ich glaube,Sie müssen Ihre Argumente noch einmal überprüfen.gwtPgtmPSrwsdWhtndMnNaanUKmdsmmdb
Auch die Frage, ob es Preis- oder Rabattverhandlun-en geben soll, haben Sie nicht zu Ende gedacht. Sieollen doch immer der PKV etwas Gutes tun. Unser In-eresse gilt dem Verbraucherschutz, wir wollen, dass dieKV-Versicherten – solange es sie in der jetzigen Formibt – nicht ständig überhöhte Preise auch im Arzneimit-elbereich bezahlen. Wenn das der Fall ist, dann mussan Preisverhandlungen führen, weil nur dann diereise auch für die PKV-Versicherten gelten. Das scheintie nicht zu interessieren, aber vielleicht denken Sie da-über nach.
Kann mir die Koalition einen guten Grund nennen,arum sie bei der Transparenz von Arzneimittelstudieno hasenfüßig ist? Sie schreiben nicht vor, wo diese Stu-ien zu veröffentlichen sind.
enn ich Beratungsdienste für Böswillige zu leistenätte, dann würde ich sagen: Gründet doch eine Publika-ion – das ist zwar teuer und die Informationen erreichenur wenige – und veröffentlicht dort die Arzneimittelstu-ie, sodass sie auch ja keiner findet.
it Ihrem Gesetz wird so etwas nicht verhindert. Warumicht? Können Sie dafür einen guten Grund nennen?ein, das können Sie nicht.Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Ko-lition, Sie haben über den Sommer noch einige Haus-ufgaben zu machen. Vor diesen Aufgaben sollten Sieicht wegtauchen. Das empfehle ich Ihnen.
Der Kollege Wolfgang Zöller spricht nun für die
nionsfraktion.
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Bei der Diskussion, die geführt wird, solltean das Positive festhalten: Heute ist ein guter Tag fürie Patienten.
Als Patientenbeauftragter möchte ich zwei Punkte an-prechen. Die strukturellen Änderungen auf dem Arznei-ittelmarkt werden die Patientenrechte stärken. Es wirdehr Transparenz erreicht. Es wird dem Patienten mehrarüber mitgeteilt werden können, welcher Nutzen ihmei neuen Arzneimitteln nachgewiesen werden muss.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5887
Wolfgang Zöller
)
)
Auch die klinischen Prüfungen sind zu veröffentlichen.Das ist ebenfalls ein wichtiger Vorteil für die Patienten.
– Da gefragt wird, wo, sage ich: Im SPD-Mitteilungs-blatt Vorwärts muss es nicht unbedingt stehen, damit dieLeute es zur Kenntnis nehmen können.
Die Patienten erhalten wieder mehr Wahlfreiheit, wasihr gewohntes Arzneimittel angeht. Sie können nicht nurrabattierte Arzneimittel auswählen. Ich glaube, das för-dert die Zufriedenheit und die Akzeptanz.Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen,den ich für sehr wichtig halte. Mein Leitbild ist der mün-dige und informierte Patient.
Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Vogler?
Selbstverständlich.
Lieber Kollege Zöller, würden Sie mit mir darin über-
einstimmen, dass nur diejenigen Patientinnen und Pa-
tienten bei den Medikamenten eine Wahlfreiheit haben,
die über das nötige Kleingeld verfügen, um sich die Zu-
zahlung zu den Medikamenten leisten zu können?
Nein, dem kann ich so nicht zustimmen. Bei der Fest-
betragsregelung hatten wir ähnliche Befürchtungen. Da-
mals ist aber das eingetreten, was wir gesagt haben: Die
Arzneimittelhersteller, die höhere Preise hatten, haben
festgestellt, dass die Versicherten die Zuzahlung nicht
haben leisten wollen, sodass von der Zuzahlungsmög-
lichkeit kaum Gebrauch gemacht wurde. Sie sind mit
dem Preis dann bis zum Festbetrag heruntergegangen.
Dadurch war das sogar eine kostendämpfende Maß-
nahme.
Kollege Zöller, bevor Sie weitermachen, weise ich
Sie darauf hin, dass es eine zweite Zwischenfrage gibt. –
Nein, der Kollege Lauterbach zieht zurück. Dann kann
es weitergehen.
b
e
n
P
1
a
m
n
s
V
S
G
F
Z
l
r
B
s
t
n
w
h
t
K
f
z
I
n
z
d
d
w
G
e
d
w
Bitte schön.
Sie werden gleich auf die Patientenberatung und die
örderung eingehen. Ich möchte Sie bitten, in diesem
usammenhang etwas dazu zu sagen, wie Sie sicherstel-
en wollen, dass dieses verzögerte Gesetzgebungsverfah-
en und die sehr späte Beschlussfassung nicht zu einem
ruch bei den bisherigen Beratungsstellen führen. Bitte
agen Sie etwas dazu, dass die Mitarbeiter der Bera-
ungsstelle nicht wissen, ob es für sie weitergeht oder
icht. Bitte sagen Sie insbesondere, wie Sie sicherstellen
ollen, dass sich die Vergabeverfahren nicht so lange
inziehen, dass die befürchtete Entwicklung eintritt.
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die am Sys-
em Beteiligten – angefangen beim Spitzenverband der
rankenkassen –, mit denen wir schon Gespräche ge-
ührt haben, dafür sorgen werden, dass das Gesetz recht-
eitig umgesetzt wird. Ich bin da recht zuversichtlich.
ch würde allen Beteiligten raten, in der Öffentlichkeit
icht allzu viel über die eine oder andere Schwierigkeit
u diskutieren, sondern sich an einen Tisch zu setzen und
afür zu sorgen, dass es umgesetzt wird. Wer will, dass
as Gesetz umgesetzt wird, findet Wege. Wer das nicht
ill, der sucht Gründe.
Kollege Zöller, ich bitte um einen kleinen Momenteduld. – Ein Hinweis an alle Kolleginnen, die sichbenfalls zu Zwischenfragen zu diesem Beitrag gemel-et haben: Bei diesen kurzen Redebeiträgen lasse ich je-eils zwei Zwischenfragen zu, da wir nicht zu einer Ver-
Metadaten/Kopzeile:
5888 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
dreifachung der Redezeit kommen wollen. Wir habeneine entsprechende Verabredung zwischen den Fraktio-nen getroffen.
Ich habe kein Problem damit und akzeptiere das mit
Rücksicht auf die nachfolgenden Redner selbstverständ-
lich.
Nach zehn Jahren Modellphase wurden die richtigen
Schlüsse gezogen. Wir haben – davon bin ich fest über-
zeugt – alle Kriterien berücksichtigt. Dazu darf ich stich-
punktartig sagen: Das Verfahren wird neutral und unab-
hängig sein; es wird im Einvernehmen mit dem
Patientenbeauftragten erfolgen – auch das ist sehr erfreu-
lich –; die Beratung wird evidenzbasiert und von Kom-
petenz geprägt sein; die Ausschreibung erfolgt alle fünf
Jahre; die Beratung ist kostenfrei, was gut für die
Niedrigschwelligkeit ist. Vielleicht darf ich die Telefon-
nummer hier einmal nennen: 0800 0 117722. Das ist
eine 0800er-Nummer.
– Das ist eine wesentlich seriösere Nummer. Da erhalten
Sie unbürokratisch die notwendigen Informationen.
Wir haben keine Doppelstrukturen. Es gibt Koopera-
tion und Vernetzung mit den Selbsthilfeorganisationen.
Finanziellen Mehraufwand gibt es nicht. Erfreulich ist
auch, dass sich die privaten Krankenversicherungen an
den Kosten beteiligen. Die Mittel werden dynamisiert.
Es gibt eine Berichtspflicht an den Patientenbeauftrag-
ten. Auch das halte ich für eine wesentliche Verbesse-
rung, weil wir auf diese Weise sehr schnell Schwachstel-
len im System feststellen und aufgrund von Meldungen
Handlungsoptionen ableiten können.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit diesem Ge-
setzentwurf einen Punkt des Koalitionsvertrags als erle-
digt abhaken können. Dafür möchte ich mich an dieser
Stelle ganz besonders bei Gesundheitsminister Rösler
und seiner Mannschaft bedanken.
– Das sage ich nicht nur aus Überzeugung, sondern auch
deshalb, weil es bei der letzten Diskussion in diesem
Hause geheißen hat, ich hätte keine Rückendeckung
vom Ministerium. Die Rückendeckung vom Ministe-
rium hätte ich mir nicht besser vorstellen können.
Ich werde aber die Hände nicht in den Schoß legen.
Jetzt beginnt nämlich die Umsetzung. Wir werden zu-
sammen mit dem BMG und dem GKV-Spitzenverband
die Ausschreibung der Beratungsstellen vorantreiben,
damit die Patientenberatung pünktlich ihre Arbeit auf-
n
s
F
H
s
f
l
g
b
i
t
w
g
v
G
s
L
P
k
A
s
a
d
t
d
d
E
d
H
k
D
d
d
d
d
h
m
u
s
g
e
i
d
g
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5889
)
Spanien oder sonst wo so viel billiger? Insofern, glaubeich, ist da noch ordentlich nachzubessern.
– Bitte? In unserem Vorschlag, geehrte Frau Flach, steht,dass wir den europäischen Durchschnittspreis habenwollen. Auch das macht Sinn. Was ist das denn für einMarkt in Deutschland, auf dem der größte Nachfragerdie höchsten Preise für die Arzneimittel zahlen muss?Was hat das mit Wettbewerb und Marktmechanismen zutun?
Damit bin ich beim dritten Punkt; er ist heute nochnicht angesprochen worden. Sie machen mit diesem Ge-setz einen Schritt in die Kommerzialisierung des Ge-sundheitswesens
– Frau Flach sagt Ja –,
weil Sie das Wettbewerbsrecht statt das Sozialrecht an-wenden. Sie müssen sich einmal vor Augen führen, wasdas bedeutet. Es gibt ja noch anhängige Verfahren inDüsseldorf und in Hessen,
bei denen es um mögliche Absprachen bei Zusatzbeiträ-gen geht. Offenbar verstehen Sie nicht, dass eine Kran-kenversicherung kein Wirtschaftsunternehmen ist. DieKrankenversicherungen sind Körperschaften des öffent-lichen Rechts. Sie unterliegen einer staatlichen Aufsicht.Keine Krankenkasse kann ohne den Beschluss ihres Ver-waltungsrates oder ohne die Zustimmung der zuständi-gen Aufsichtsbehörde einen Zusatzbeitrag, eine Kopf-prämie oder sonst etwas festsetzen.
Da, wo die Krankenkassen gemeinsam und einheitlichhandeln, lassen Sie es außen vor. Das heißt, da, wo Siequa Gesetz sozusagen Monopolist sind, wird das Sozial-recht angewandt, und da, wo Sie auch unter Wettbewerbs-gesichtspunkten gemeinsam und einheitlich handeln kön-nen – das wollen ja alle –, wollen Sie jetzt das Kartellrechtanwenden. Das wird dazu führen, dass die Großen stärkerund die Kleinen schwächer werden. Denn die regionalenKassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskranken-kassen werden sich nicht mehr zusammenschließen kön-nen, um bessere Rabattverträge bezüglich der Arzneimittelzu erzielen und um mit Leistungserbringern gemeinsamüber integrierte Versorgung zu verhandeln.Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt über das, was Sie damachen, nachgedacht haben. Auf alle Fälle wird es dazuführen, dass es insgesamt teurer wird, dass es schnellerwsFFilWpdwzddasIsBZanDnbdnmdSi
ir sind hier nicht in Kuba oder stellen irgendwelchelanwirtschaftlichen Überlegungen an. Wir schaffen mitiesem Gesetz die Möglichkeit, zum ersten Mal Markt-irtschaft im Arzneimittelbereich einzusetzen, und zwarugunsten der Patienten.
Ich möchte Sie einmal daran erinnern: Wir haben inen Krankenkassen ein Defizit in Höhe von 11 Milliar-en Euro,
ber nicht aufgrund des marktwirtschaftlichen Systems,ondern aufgrund Ihres planwirtschaftlichen Systems.
hre ehemalige Ministerin hat noch vor zwei Tagen ge-agt: Wenn Steuermittel begrenzt sind, dann müssen dieeiträge steigen. Das ist doch Ihre Überlegung in diesemusammenhang. Sie setzen immer darauf, dass der Staatlles weiß, und Sie misstrauen dem Markt zutiefst. Ge-au an dieser Stelle gibt es an diesem Tag die Wende.enn wir werden dafür sorgen, dass Arzneimittel endlichach marktwirtschaftlichen Gegebenheiten einen Preisekommen,
er gut für die Menschen ist, nämlich niedrig.
Ich kann auch nicht verstehen, warum Sie jetzt mei-en, dass ein erhöhter Herstellerabschlag oder ein Preis-oratorium etwas Schreckliches ist; das habe ich eben iner Rede von Herrn Lauterbach so vernommen.
ie haben so etwas 2006 zum ersten Mal eingeführt. Dasst doch immer SPD-Gedankengut gewesen; Sie wollten
Metadaten/Kopzeile:
5890 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Ulrike Flach
)
)
das. Das machen wir jetzt, um schnell zu Geld zu kom-men, und zwar in diesem Jahr.
Zum 1. August 2010 wird der Preisabschlag erhöht, undes wird einen Preisstopp geben. Die Menschen in diesemLand werden merken, dass die Krankenkassen um500 Millionen Euro entlastet werden.
Ich wundere mich, Herr Lauberbach, über Ihre Kritik,wir täten nichts gegen den Preisanstieg. Ehrlich gesagt:Neun Jahre lang haben wir bei Ihnen nur begrenzte Mög-lichkeiten gesehen, da etwas zu tun. Das Defizit ist zuIhrer Regierungszeit entstanden. Wir sind jetzt ein hal-bes Jahr an der Macht,
und es ist bereits das zweite Gesetz, das dieser Ministerauf den Weg bringt und das den Menschen in diesemLand 2 Milliarden Euro ersparen wird. Was ist denn dasfür ein Gerede? Einerseits meinen Sie, man würde allesschlecht machen; andererseits erkennt man, dass es läuft.Lieber Herr Lauterbach, ich kann das ein wenig ver-stehen, wenn ich an Ihre Worte vom Januar dieses Jahresdenke. Da haben Sie in der Deutschen Apotheker Zei-tung – in diesem Zusammenhang eine interessante Zei-tung – geschrieben:Wenn wir wirklich innovative Arzneimittel gut bezah-len würden, dann … müssten wir uns keine Sorgenmachen um den einen oder anderen kleinen Anbietervon Generika, der wegen eines Rabattvertrages auf-geben muss.
Was ist das für ein Verständnis von Marktwirtschaft?Was ist das für ein Selbstverständnis gegenüber kleinenund mittelständischen Unternehmen?
Was erzählen Sie uns am heutigen Tage? Dass angeblichalles zu teuer ist und Sie deshalb so tolle Überlegungenanstellen!Ihre Vorschläge in diesem Haus beschränken sich imWesentlichen auf einen Antrag, Importeure zu schützen.Das war ein Lobbyantrag. Ansonsten haben Sie in denletzten Tagen nur dafür gesorgt, dass den Menschen indiesem Land etwas erzählt wird, was nicht stimmt.
UKSgdrHdsr1varbzdtizlAszrahadhweAdtRarhgs
eute treten wir den Gegenbeweis an.
Ich will kurz in Erinnerung rufen, dass wir erst vorrei Wochen Rabatte für die Arzneimittelhersteller be-chlossen haben. Die Herstellerrabatte und das Preismo-atorium bringen uns insgesamt Einsparungen von rund,5 Milliarden Euro. Nun legen wir einen Gesetzentwurfor, mit dem wir langfristige strukturelle Veränderungenuf den Weg bringen. Das Einsparvolumen beträgt hierund 2 Milliarden Euro.Vor einigen Tagen wurden uns die Zahlen zur Ausga-enentwicklung im ersten Quartal 2010 im Verhältnisum ersten Quartal 2009 vorgelegt. Es gab Steigerungener Ausgaben um durchschnittlich 4,5 Prozent, überpropor-onal im Bereich der Krankenhausbehandlungen – 5,3 Pro-ent – und im Bereich der ambulanten ärztlichen Behand-ungen, 4,8 Prozent. Relativ gute Zahlen gab es bei denrzneimittelausgaben, die im Schnitt um 3,9 Prozent ge-tiegen sind.Das sind auf den ersten Blick recht gute Zahlen, dieeigen, dass wir in der letzten Legislaturperiode im Be-eich des Arzneimittelmarktes einige sinnvolle Reformenuf den Weg gebracht haben. Es lohnt sich aber, genauinzusehen: Im Festbetragsmarkt sind die Arzneimittel-usgaben um 1,8 Prozent zurückgegangen; im Bereicher Ausgaben für Arzneimittel ohne Festbetrag gab esingegen Steigerungen um rund 8 Prozent. Deshalb ist esichtig, dass wir mit diesem Gesetzentwurf die Initiativergreifen, um die Ausgaben bei den patentgeschütztenrzneimitteln in den Griff zu bekommen.
Ich glaube, dass diese Maßnahmen der Arzneimittelin-ustrie zuzumuten sind. Wer in krisengeschüttelten Zei-en wie den letzten zwei oder drei Jahren immer nochenditen von mehr als 20 Prozent erwirtschaften kann, istufgefordert, einen Beitrag zur Zukunftssicherung unse-es Gesundheitswesens zu leisten. Deswegen legen wireute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir Einsparun-en erzielen, Überregulierung abbauen und langfristigetrukturelle Veränderungen auf den Weg bringen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5891
Michael Hennrich
)
)
Unser Ziel bleibt es, die Patienten weiterhin mit denbesten und wirksamsten Arzneimitteln zu versorgen. Wirmüssen aber auch darauf achten, dass die Versorgungkosteneffizient und wirtschaftlich ist. Wir schaffen mitdiesem Gesetzentwurf einen verlässlichen Rahmen fürInnovationen, für die Versorgung der Versicherten undfür die Arbeitsplätze.In diesem Zusammenhang richte ich einen Appell andie Arzneimittelindustrie, die jetzt schon wieder teilweiseden Arbeitnehmern droht: Die Politik sei schuld, wennjetzt verschärft Arbeitsplätze abgebaut würden. Ich willin Erinnerung rufen, dass es in den letzten zehn Jahren inder Pharmaindustrie einen Arbeitsplatzaufbau um 10 Pro-zent gab, trotz vieler Reformen. Ich richte den ausdrück-lichen Appell an die Unternehmen, die Diskussion mitder Politik nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer aus-zutragen. Wir sind gerne bereit, mit ihnen über den einenoder anderen Punkt in einen Dialog zu treten. Aber eswirft einen Schatten auf diese Gespräche, wenn sie mitden Ängsten der Arbeitnehmer spielen.
Die wesentlichen Elemente sind schon dargestelltworden. Vonseiten der Linken wurde angemahnt, dasswir noch schneller als innerhalb von drei Monaten zu ei-ner vernünftigen Nutzenbewertung kommen sollten. Alseinzige Möglichkeit bleibt wohl nur noch Paul, das Ora-kel, übrig. Mit seiner Hilfe könnten wir eine Nutzenbe-wertung in der Tat innerhalb von zwei Tagen durchfüh-ren.
– Ja. Das schottische Modell ist im Grunde genommenauch hier implementiert.
– Doch. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen,Frau Bender. – Was die Nutzenbewertung betrifft, soglaube ich, dass drei Monate ein vernünftiger Zeitraumsind. Wir stellen eine angemessene Beteiligung von Arz-neimittelherstellern und Patienten sicher. Ich denke, esist durchaus vertretbar, innerhalb eines Zeitraums von ei-nem Jahr Preisverhandlungen zu führen.Ich möchte einen zweiten Aspekt ansprechen, die Ra-battverträge. Es wurde kritisiert, die Patienten würdenmehr oder weniger abgezockt. Welches Bild, meine sehrverehrten Damen und Herren von der Opposition, habenSie eigentlich von Apothekern? Haben Sie von Apothe-kern das Bild, dass sie, wenn Patienten in ihre Apothekekommen, nur unter dem Gesichtspunkt „Wie kann ichden maximalen Erlös erzielen?“ beraten und entspre-chende Produkte verkaufen? Das ist nicht das Bild, dasich von Apothekern habe. Ich glaube – das hat auch derKollege Zöller gesagt; es ist nämlich wie beim ThemaFestbeträge –, dass es nicht zu Preisexplosionen kom-men wird. Warum haben wir denn die Mehrkostenrege-lung? Wir wollen die Patientenautonomie stärken undvs–iWlAoPtASsuttnEcuFrhSveI
enn Sie, Frau Ferner, anderer Auffassung sind, bitte!
Wir regeln den Großhandelszuschlag; dadurch erzie-en wir Rabatte in Höhe von rund 400 Millionen Euro.ußerdem formulieren wir Therapiehinweise und Ver-rdnungsbeschlüsse klarer; auch hier besteht, was diereisbildung angeht, die Möglichkeit, innerhalb des ers-en Jahres regulierend einzugreifen. Weitere wichtigespekte sind die Veröffentlichungspflicht für klinischetudien und die Unabhängige Patientenberatung.Aber, Herr Minister Rösler, es gibt noch offene Bau-tellen, erstens bei den Rabatten für Privatversichertend zweitens beim Pick-up-Verbot. Wir haben im Koali-ionsvertrag versprochen, hier eine klare Regelung zureffen. Wir sollten dieses Versprechen einhalten.
Herr Lauterbach, Sie haben dargelegt, Sie hätten fastur Kritik an den geplanten Regelungen gehört. Meinindruck ist: Sie haben mit den falschen Leuten gespro-hen, zu viel mit der Pharmaindustrie
nd zu viel mit Schmidtchen statt mit Herrn Schmidt.rau Fischer, die ehemalige Bundesgesundheitsministe-in, hält die geplanten Maßnahmen – Frau Bender, Sieaben diesen Begriff vorhin kritisiert – für revolutionär.
ie sagte, dass ihr dieser Schritt imponiert, will sie nichterbergen.Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir habenin vernünftiges Gesetz auf den Weg gebracht. Ich ratehnen, sich konstruktiv zu beteiligen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Metadaten/Kopzeile:
5892 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 17/2413 und 17/2324 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MichaelGroß, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDAngekündigte Mittelkürzung beim CO2-Ge-bäudesanierungsprogramm zurücknehmen– Drucksache 17/2346 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten StephanKühn, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENCO2-Gebäudesanierungsprogramm fortfüh-ren – Mit energetischer Sanierung Konjunk-tur ankurbeln, Arbeitsplätze sichern undKlima schützen– Drucksache 17/2395 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten BettinaHerlitzius, Stephan Kühn, Daniela Wagner, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENLebensqualität und Investitionssicherheit inunseren Städten durch Rettung der Städte-bauförderung sichern– Drucksache 17/2396 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussDie Aussprache werde ich erst dann eröffnen, wennwir mit der nötigen Aufmerksamkeit dieser Aussprachefolgen können. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kol-legen, die nicht vermeidbaren Wechsel möglichst ge-räuschlos vorzunehmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeMichael Groß für die SPD-Fraktion.
He2 –gAmrMcmaFHSUGEagppfdsbwmspeBaszc
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5893
)
rung gibt es noch viel zu tun, um die europäischen Kli-maschutzziele zu erreichen. Durch die Einsparungen derBundesregierung kommt das notwendige Sanierungs-tempo eindeutig zum Erliegen. Fachleute schätzen denFinanzierungsbedarf für die nötige Sanierungsrate auf5 Milliarden Euro pro Jahr, um die Klimaschutzziele zuerreichen. Drei von vier Wohnungen in Deutschland sindenergetisch sanierungsbedürftig. Hinzu kommen150 000 Schulen und Kindergärten. Rund 85 Prozent desgesamten Energiebedarfs in privaten Haushalten fallenfür Heizung und Warmwasser an. Ein erheblicher Teilder Heizkosten lässt sich durch die Modernisierung vonFenstern, gute Dämmung von Fassaden und Dächern so-wie neue Heizungsanlagen einsparen. EnergieeffizientesWohnen wirkt sich so direkt auf den Geldbeutel der Ei-gentümer und Mieter aus.Der Ausfall bei den Investitionen wird sich erneut di-rekt auf die Handlungsfähigkeit der Kommunen auswir-ken. Kommunen tragen zwei Drittel aller öffentlichenInvestitionen und somit erheblich zur wirtschaftlichenund klimapolitischen Zukunftsvorsorge bei.
Hinzu kommt, dass die Programme der Städtebauförde-rung, zum Beispiel „Soziale Stadt“ und Stadtumbau Ostund West, abgewickelt werden. Allein übrig bleibt einunspezifisches Schrumpfprogramm. Das bedeutet dasAus für einen Großteil der bundesweit 3 400 Gebiete, indenen Städtebauförderung betrieben wurde.Für eine nachhaltige und zukunftsweisende Entwick-lung der Städte und Gemeinden sind die Bundesländerund Kommunen auf eine engagierte Klimaschutzpolitikdes Bundes und eine Fortentwicklung der Instrumentezwingend angewiesen. Die SPD hat in ihrer Regierungs-zeit die entscheidenden Impulse gegeben. Aufgabe derPolitik muss es sein, einen nachhaltigen und sozialver-träglichen Ansatz zu verfolgen, der Barrierefreiheit, de-mografischen Wandel und Klimaschutz verbindet.
Ich fasse zusammen. Durch die ambitionierten Pro-gramme müssen vier Ziele erreicht werden: Die Klima-schutzziele müssen in den geplanten Zeiträumen erreichtwerden; Arbeitsplätze müssen generiert und gesichertwerden; die Energiekosten müssen für alle bezahlbarbleiben; lebenswerte Städte und Gemeinden müssen ge-staltet werden. Deshalb fordern wir Sie auf, die angekün-digte Mittelkürzung zu unterlassen und die Programmeweiterzuentwickeln.Ich komme zum Schluss: Auf der Homepage desBundesbauministeriums finden Sie interessanterweisefolgenden Satz zur CO2-Gebäudesanierung: „Die Bun-desregierung handelt konsequent …“ Ich fasse zusam-men: Die Bundesregierung untergräbt Klimaschutzziele,gefährdet Arbeitsplätze und vernachlässigt die Kommu-nen.Herzlichen Dank.fgtMBreubnbdSwgedpsdNdKbuorgnudW
Das Wort hat der Kollege Peter Götz für die Unions-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Städ-ebauförderung braucht nicht gerettet zu werden. Dieittel dafür stehen im Einzelplan 12 des Entwurfs desundeshaushalts. Lieber Kollege Groß, im Hinblick da-auf, dass der Umfang der Förderung einmal wächst undinmal sinkt, ist politische Untergangsrhetorik durchausnangebracht.
Die Erfolgsgeschichte der Städtebauförderung ist un-estritten. International werden wir darum beneidet. Seitunmehr knapp 40 Jahren leisten wir mit der Städte-auförderung erfolgreich einen Beitrag zur Verbesserunger Innenentwicklung unserer Städte und Gemeinden.ie hat sich bewährt und wurde stetig und zielgerichteteiterentwickelt und den jeweiligen Anforderungen an-epasst.Es gibt viele gute Beispiele in unserem Land, die diesindeutig dokumentieren. Ein Beispiel ist Pirmasens, woer Strukturwandel dieser von der Schuhindustrie ge-rägten Industriestadt unterstützt wurde. Weitere Bei-piele sind die Spandauer Vorstadt in Berlin, das Hollän-ische Viertel in Potsdam und die Aufwertung desordostbahnhofs in Nürnberg. Schauen Sie sich auchie städtebaulichen Maßnahmen in Greifswald, Essen,assel, Bamberg, Leinefelde usw. an. Das könnte belie-ig fortgesetzt werden. All das sind gelungene Beispiele,nd ein Besuch lohnt sich.
Ich lade Sie auch in meinen Wahlkreis nach Rastattder nach Baden-Baden ein, wo nach dem Abzug meh-erer Tausend Angehöriger der französischen Streitkräfteanze Stadtteile mit Städtebaufördermitteln neu geord-et wurden,
nd das war nicht in Ihrer Regierungszeit.
Vor dem Hintergrund dringend notwendiger Konsoli-ierungsmaßnahmen hat die Bundesregierung in dieseroche den Bundeshaushalt 2011 beschlossen.
Metadaten/Kopzeile:
5894 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
Peter Götz
)
)
Eine der vielen darin enthaltenen Sparmaßnahmen ist dieReduzierung der Mittel für die Städtebauförderung; dasbleibt nüchtern festzustellen.
Das schmerzt die Fachpolitiker genauso wie die Vielzahljener, denen die Erfolgsgeschichte der Städtebauförde-rung bewusst ist. Wir wissen: Nicht nur die Städte-bauförderung, sondern auch andere Politikfelder sindvon den Kürzungen betroffen, und die Begeisterung da-für ist auch dort begrenzt und überschaubar.Die vorgesehenen Konsolidierungsmaßnahmen sindein Teil des Weges, den wir gehen müssen, um die imGrundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse einzu-halten. Die Schuldenbremse haben wir alle gemeinsambeschlossen, und ich sage auch: Sie ist richtig. In denletzten Jahren haben wir im Rahmen der Konjunkturpa-kete I und II zig Milliarden Euro an Bundesmitteln fürdie Städte, Gemeinden und Kreise ausgegeben, um dieKonjunktur zu stützen. Dafür haben wir zu Recht vonvielen Seiten Beifall erhalten. Davon flossen übrigensauch zusätzliche Gelder in die Städtebauförderung unddie Stadtentwicklung.Nachdem die Wirtschaft aufgrund der politischenEntscheidungen, die wir hier in diesem Hause getroffenhaben, jetzt nachweislich wieder wächst, muss nun alsnächster Schritt die Phase der Haushaltskonsolidierungfolgen, damit wir auch in Zukunft wieder mehr für denStädtebau tun können.Für uns ist es wichtig, dass die Städtebauförderung indieser Diskussion nicht ganz dem Rotstift zum Opfer ge-fallen ist und dass sich Bundesminister Peter Ramsauerklar und eindeutig zur Städtebauförderung bekannt hat.
In dieser Woche hat der Minister zusammen mit denLändern den Dialog zur Perspektive der Städtebauförde-rung in Gang gesetzt. Herr Staatssekretär Mücke, ichbitte darum, in diesen notwendigen Dialog frühzeitigauch die kommunalen Spitzenverbände einzubinden, da-mit ihr Sachverstand genutzt werden kann. Denn die Be-troffenen sind letztlich die Städte und Gemeinden.Wir wollen übrigens auch die Gemeindefinanzennachhaltig stärken. Deshalb hat die Bundesregierungeine Gemeindefinanzreformkommission eingesetzt. DerZwischenbericht lag uns diese Woche vor. Die Ergeb-nisse werden wir im Herbst dieses Jahres beraten.Doch zurück zur Städtebauförderung. Wir sollten dieDebatte um eine Mittelreduktion auch als Chance sehen.Wir müssen die Effizienz der Städtebauförderpro-gramme verbessern, damit mit weniger Geld mehr Nut-zen entsteht.WswsdGdtafjlwsgahddhiEbFvdwpsSgdhIpfs
Wir sollten auch über eine Priorisierung der uns be-onders wichtigen Handlungsschwerpunkte im Bereicher Städtebauförderung nachdenken. Unsere alterndeesellschaft und Klimaschutzfragen sind dabei beson-ers zu berücksichtigen. Des Weiteren sollten wir krea-ive Wege suchen, wie wir für bestimmte Programmteilelternative Finanzierungsquellen erschließen. Dies giltür den öffentlichen wie für den privaten Bereich.Die Städtebauförderung ist unbestritten auch ein Kon-unkturprogramm, das viele private Investitionen aus-öst. Sie ist eine wichtige Stütze für das heimische Hand-erk und den Mittelstand. Auch deshalb ist es richtig,ie zu erhalten und weiterzuentwickeln. Das gilt übri-ens auch für das -Gebäudesanierungsprogramm,uf das mein Kollege Volkmar Vogel noch näher einge-en wird.Übrigens hat der Haushaltsausschuss mit der Vorlagees Entwurfs des Bundeshaushalts 2011 in dieser Wocheie Haushaltssperre beim Marktanreizprogramm aufge-oben. Das heißt konkret, dass die Antragsteller jetzthre Bundeszuschüsse im Bereich der erneuerbarennergien und bei der energetischen Sanierung im Ge-äudebestand erhalten können.
ür die Folgejahre sind dafür weit über 1 Milliarde Euroorgesehen. Das ist übrigens mehr als doppelt so viel, alsie rot-grüne Regierung seinerzeit einzusetzen bereitar.
Die Städtebauförderung ist das wichtigste kommunal-olitische Instrument für die Lebensqualität der Men-chen und die Stärkung der Innenentwicklung unserertädte und Gemeinden. Sie ist ökonomisch und ökolo-isch sinnvoll, und sie hat sich bewährt.Deshalb arbeiten wir dafür, dass diese Städtebauför-erung auch nach nahezu 40 Jahren eine gute Zukunftat.
ch werde mich im Rahmen der anstehenden Haushalts-lanberatungen dafür einsetzen, dass der Kürzungsum-ang in der heute diskutierten Größenordnung nicht be-tehen bleibt.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5895
)
)
Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wer die Städtebauförderung dermaßen zusam-menstreicht und die Programme abwickelt, dass er dieRestmittel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm imnächsten Jahr nochmals halbiert und 2012 gar keine Mit-tel mehr zur Verfügung stellt, macht genau das Gegenteilvon intelligentem Sparen.
Damit werden Sie nichts einsparen; vielmehr wird es denStaat im Nachhinein sehr viel kosten. Denn die ökologi-sche Verschuldung wird zunehmen.Vor allen Dingen ist es ein weiterer Beitrag Ihrer Poli-tik zulasten der Kommunen. Denn Sie verhindern not-wendige Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unsererStädte und Gemeinden.Sie sparen, wie gesagt, auch nichts ein. Denn Sie ge-fährden Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittelstand.Gerade jetzt, wo ein konjunktureller Impuls gebrauchtwird, streichen Sie diese Programme zusammen.Man hat von Ihnen immer geglaubt, dass Sie gut rech-nen können. Das Schlimme ist, dass Sie völlig die öko-nomische Hebelwirkung vergessen, die von diesen Pro-grammen ausgeht. Es ist zum Teil schon angesprochenworden: 2009 sind 2,2 Milliarden Euro öffentlicher Gel-der in das CO2-Gebäudesanierungsprogramm geflossen.Dadurch sind private Investitionen in Höhe von18 Milliarden Euro zustande gekommen. In der Städte-bauförderung – dazu hatten wir eine Anfrage gestellt –hat 1 Euro aus öffentlichen Mitteln 8,5 Euro private In-vestitionen ausgelöst. Zu ähnlichen Ergebnissen kommteine Studie des DIW. Das sind also rentable Fördermaß-nahmen, die zu Mehreinnahmen führen – allein schondurch die Umsatzsteuer oder die Lohnsteuer.Vor allen Dingen frage ich mich, wie Sie, wenn Siediese Programme so massiv zusammenstreichen, IhreKlimaschutzziele erfüllen wollen.
Im Januar sind wir im Bauausschuss darüber unter-richtet worden, dass das Bundesministerium vorhat, sek-torspezifische Energie- und Klimaschutzziele für denBereich Verkehr und Gebäude aufzustellen. In dem Be-richt an den Ausschuss heißt es – ich zitiere –:Im Rahmen ihrer Klimaschutzpolitik im Gebäude-bereich setzt die Bundesregierung auf den bewähr-ten Instrumenten-Mix, der Vorgaben und Anreizemiteinander verbindet, fordert und fördert. Ein eta-bliertes Werkzeug, dessen Wirksamkeit und Effizienzstets verbessert wird, ist das CO2-Gebäudesa-NBC2vsndimdmbtsGgvrnkMuraaEsSfvfmSüDüdvvdMgs
Denn ansonsten – das muss man ganz klar sagen –indet Städtebaupolitik und Baupolitik im Ministeriumon Herrn Ramsauer überhaupt nicht mehr statt. Ichrage mich, wie wir unsere Städte auf das Problem de-ografischer Wandel und im Osten auf das Problemtadtumbau Ost – Stichwort: zweite Leerstandswelle –berhaupt einstellen und sie dabei unterstützen wollen.arauf geben Sie keine Antwort.Anders sieht es im Verkehrsbereich aus. Da gibt esberhaupt keine Abstriche. Wir leisten uns weiter über-imensionierte Verkehrsprojekte, die keine privaten In-estitionen zur Folge haben, sondern nur Folgekostenerursachen. Dann soll Herr Ramsauer ehrlich sein undie Begriffe „Bau“ und „Stadtentwicklung“ aus seineministeriumstitel streichen. Dann können wir im Übri-en auch den Staatssekretär, der für dieses Thema zu-tändig ist, einsparen.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
5896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Jan
Mücke.
J
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Deutschland ist gut durch die Wirtschafts-und Finanzmarktkrise gekommen.
Wir haben ein erfreuliches Wirtschaftswachstum, das indiesem Jahr bei 2 Prozent liegen wird. Einige gehen so-gar von einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozentaus. Wir können feststellen, dass wir in Deutschland nurnoch knapp über 3 Millionen Arbeitslose insgesamt ha-ben. In den neuen Bundesländern – das freut mich ganzbesonders – liegt die Zahl der Arbeitslosen seit Anfangder 1990er-Jahre das erste Mal sogar wieder unter ei-ner Million.
Dass diese Erfolge erzielt werden konnten, liegt anstaatlichen Ausgabeprogrammen, die zum großen Teilschuldenfinanziert gewesen sind. Dazu gehören dieKonjunkturpakete I und II; dazu gehört auch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Die damaligen Regie-rungsparteien haben sich für dieses Programm eingesetztund durchgesetzt, dass für insgesamt vier Jahre pro Jahr1,5 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungspro-gramm zur Verfügung stehen. Das ist ein Gesamtbetragvon 6 Milliarden Euro. Wenn ich mir heute die Bilanzanschaue, dann kann ich für das Jahr 2010 feststellen,dass die Gesamtausgaben am Ende dieses Jahres bei7,2 Milliarden Euro liegen werden. Sie können an diesenZahlen sehen, dass die Bundesregierung dieses erfolgrei-che CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortgesetzt hat,obwohl Sie selbst – damit spreche ich ausdrücklich dieSozialdemokraten an – ursprünglich vorhatten, diesesProgramm nur 4 Jahre lang mit einem Volumen von6 Milliarden Euro durchzuführen.Bei einer volkswirtschaftlichen Betrachtung im Sinnevon Keynes ist es wichtig, nicht nur die von ihm vorge-schlagenen schuldenfinanzierten Ausgabenprogrammedurchzuführen, sondern auch seine Forderung zu beher-zigen, das öffentliche Defizit in Zeiten guter Konjunkturzurückzuführen. Das tun wir mit den Einsparungen, diewir jetzt vornehmen, da die Wirtschaft etwas besser läuftund sich der Haushalt positiver entwickelt.
Das ist in den vergangenen Jahren oftmals vergessenworden. Man hat weiter versucht, die Konjunktur durchschuldenfinanzierte Programme anzuregen. Wir müssenjetzt die Aufgabe erfüllen, diese Programme zu reduzie-ren; so schmerzlich das ist.gIErlEwtJtudGvAff25dwnujunwzSaVmmradwgwddbDnunt
Das wird keine ganz einfache Aufgabe werden. Wirollen gemeinsam mit den Kommunen dafür sorgen,ass wir auch andere Fördertöpfe, zum Beispiel solche,ie es auf europäischer Ebene gibt, anzapfen, um Städte-auförderung in den nächsten Jahren voranzubringen.ass auch die Städtebauförderung einen Anteil zur Sa-ierung des Bundeshaushalts leisten muss, schulden wirnseren Kindern und unseren Enkeln; denn auch die Ge-erationengerechtigkeit hat etwas mit der Zukunftsfes-igkeit einer Gesellschaft zu tun.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5897
)
)
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Heidrun Bluhm das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Herr Götz, Sie tun so, als wären unsere Städte allefertig.
Nach der von Ihnen hier vorgelegten Bilanz könnte dasStadtumbauprogramm zu Ende gehen, weil wir so wun-derschöne Städte haben. Und das sagen Sie als ehemali-ger Bürgermeister!
Wie wollen Sie das Ihren Bürgermeisterkollegen in denanderen Städten erklären?Was mich beeindruckt hat: Sie haben es in Ihrer Redetatsächlich geschafft, keinen einzigen Satz dazu zu ver-lieren, dass es sich hier um eine Halbierung der Förde-rung, die wir bereits in Aussicht gestellt hatten, handelt.Gerade im Bereich Bauen besteht die Verlässlichkeit da-rin, dass man, auch als Kommune, über Jahre planenkönnen muss. Ich weiß nicht, wie Sie Ihren Bürgermeis-terkollegen erklären wollen, dass wir die Hälfte, also50 Prozent, der zugesagten Mittel – wir hatten die Fort-schreibung unseres Haushalts vereinbart – für alle in-frage kommenden Förderprogramme streichen.
Kurz bevor das Sparprogramm verabschiedet wurde,hat unser Fachminister Ramsauer insbesondere zur Im-mobilienwirtschaft gesagt – ich zitiere –:Die Immobilienwirtschaft ist eine tragende Säuleunserer Volkswirtschaft. Sie stärkt den StandortDeutschland und trägt maßgeblich dazu bei, Ar-beitsplätze in Deutschland zu sichern. Die Brancheist eine der größten Wirtschaftszweige mit mehr als460 000 Erwerbstätigen und einer Bruttowertschöp-fung von mehr als 260 Milliarden Euro.
Zusammen mit der Bauwirtschaft findet dort eine jährli-che Wertschöpfung von über 400 Milliarden Euro statt.Wenn wir uns bewusst machen, welche Wirkungen dasauf die Bauwirtschaft und auf die Immobilienwirtschafthat – ich rede jetzt noch nicht einmal von den Städten,die die Städtebaumittel brauchen –, dann wird uns klar,dass die Zahlen zur Arbeitslosigkeit, die Herr Mückehier eben vorgetragen hat, überhaupt keinen Bestand ha-ben werden und dass es eine Rückwärtsentwicklung ge-bddfIbmHmfN1cdafwvlrebsfSKSvsugDsbtrenltwdiAOdsWdmn
Dabei ist das, was Sie tun, nicht einmal Sparen; dennparen hieße ja, für die Zukunft vorzusorgen. Unsereinder und Enkel, die vorgeblich vor weiter wachsendenchulden bewahrt werden sollen, werden ein Vielfacheson dem, was jetzt weggestrichen wird, aufbringen müs-en, um die ihnen hinterlassenen ökologischen Lastennd vor allem die demografischen Probleme noch ir-endwie in den Griff zu bekommen.
ie Erderwärmung werden wir ihnen ebenso wenig er-paren können wie den Mangel an altersgerechtem undarrierefreiem Wohn- und Lebensraum. Drastische Un-erversorgung mit bezahlbaren Wohnungen in prosperie-enden Regionen kriegen Sie mit diesem Streichpaketbenso wenig kleingespart wie den dramatischen Woh-ungsleerstand und den Zerfall ganzer Quartiere, vor al-em in den schrumpfenden Regionen.Erfahrungsgemäß heißt das: Was einmal weg ist, dasaucht auch nie wieder auf, Herr Mücke. Deswegenage ich zu prognostizieren: Wenn dieses Sparpaket sourchgezogen wird, wie beabsichtigt, ist das der Einstiegn den Ausstieg aus den Klimaschutzzielen, ist das dernfang vom Abschied des Bundes aus dem Stadtumbaust und West, aus dem Programm „Soziale Stadt“, auser Förderung aktiver Stadt- und Ortsteilzentren, undelbstverständlich ist das auch der K.o. für die sozialeohnraumförderung der Länder. Denn die Länder wer-en – das kann man ihnen in dieser Situation nicht ein-al verübeln – die freigesetzten Kofinanzierungsmittelicht sparen, –
Metadaten/Kopzeile:
5898 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010
)
)
Kollegin Bluhm, achten Sie bitte auf das Signal.
– sondern sie werden sie gezwungenermaßen zur Lö-
sung anderer Probleme ausgeben, sodass sie auch dieses
Geld später nicht mehr haben.
Wir als Linke wollen – –
Das war jetzt ernst gemeint. Sie haben Ihre Redezeit
bereits überschritten.
Entschuldigung. – Wir wollen dem sozialen Grundbe-
dürfnis nach Wohnen gerecht werden, und deshalb unter-
stützen wir die beiden Antragsteller SPD und Grüne.
Danke schön.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Volkmar
Vogel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Unsere Städte werden nie fertig sein. Sie stehen nämlichimmer wieder vor neuen Herausforderungen. Die Heraus-forderungen der nächsten Jahre sind der demografischeWandel und die Energieeinsparung, damit Nebenkostenbezahlbar bleiben sowie Umwelt und Klima geschütztwerden.Die Strukturanpassungen unterstützt der Bund mitseinen Städtebauförderprogrammen.Nun können wir mit der Opposition über die vorlie-genden Anträge streiten, darüber, dass diese Programmenicht mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausge-stattet sind.Ich möchte hier aber gemeinsam mit meinem Kolle-gen Peter Götz noch einmal ganz deutlich erklären: Wirwerden keines der Programme streichen. Sie bedienenalle Belange des Städtebaus in ihrer Vielschichtigkeitund in ihrer Differenziertheit,
also regional, nach Eigentümerstruktur, nach Bewirt-schaftungsform, nach sozialen Belangen und nach öko-logischen Erfordernissen.Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm hat sich aufdiesem Feld ganz besonders bewährt: klimapolitisch fürdie Umwelt, konjunkturpolitisch für das Handwerk so-wie das Baugewerbe und wohnungspolitisch in Bezugauf den Modernisierungsgrad der Gebäude.blznInnzaKDggHwWgdaf2ligHnEdKMemDlhdzwt8Snt
Wir müssen die privaten Initiativen unterstützen, undwar mit Geld, aber – das kam heute in der Diskussionus meiner Sicht zu kurz, bzw. wurde außer von meinemollegen Peter Götz noch gar nicht genannt – vor alleningen auch durch einfache, nachvollziehbare Regelun-en.Trotzdem helfen die gezielten Anreize des Pro-ramms, Investitionen freizusetzen – besonders imandwerk und bei mittelständischen Baufirmen.Das Programm war bis Ende 2011 ausgelegt. Danachäre Schluss. Derzeit laufen Untersuchungen, welcheirkung es zeigt. Im internationalen Maßstab liegt esanz vorn; ich denke, sogar auf Platz eins. Deshalb wirdie christlich-liberale Koalition prüfen – das werden wiruch positiv tun –, wie dieses Programm noch effizienterortgeführt werden kann.Ich möchte an dieser Stelle an Folgendes erinnern:009 standen 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung. 750 Mil-onen Euro davon haben wir aus 2010 und 2011 vorgezo-en. Trotz der erkennbaren Finanzlücke haben wir denaushaltsansatz für 2010 durch Vorziehung aus 2011och einmal um 400 Millionen Euro auf 1,4 Milliardenuro aufgestockt.Die Sparzwänge durch die Schuldenbremse gehen lei-er auch an diesem Programm nicht vorbei.Lassen Sie mich an dieser Stelle bekräftigen: Dieollegen meiner Fraktion und ich sind nach wie vor dereinung, dass das CO2-Gebäudesanierungsprogrammines der erfolgreichsten klimapolitischen Förderinstru-ente der Bundesrepublik ist.
ennoch muss jetzt bedachtes, nachhaltiges und vor al-em generationengerechtes Handeln, besonders in Haus-altsfragen, im Vordergrund stehen. Wir müssen uns iniesen Zeiten damit abfinden, dass wir nicht unbegrenztusätzliches Geld ausgeben können.
2012 wäre mit dem Programm Schluss. Wie gesagt,ir prüfen die Fortschreibung. Was ist in Anbetracht nö-iger Sparzwänge besser – 2011 ohne Kürzung circa00 Millionen Euro auszugeben und dann garantiertchluss machen zu müssen oder eine Fortsetzung aufiedrigem Niveau, um das Programm am Laufen zu hal-en?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. Juli 2010 5899
Volkmar Vogel
(C)
)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Mei-nung, dass Letzteres der geeignetere Weg ist.
Wie Staatssekretär Mücke bereits ausgeführt hat, kanndas derzeit niedrige Zinsniveau nämlich eine günstigereKreditaufnahme ermöglichen.Die effektive Förderung von Einzelmaßnahmen in derBreite bewirkt ein besseres Ergebnis für Wirtschaft undKlimabilanz als eine teure Förderung zur Erreichung desabsoluten Spitzenwertes an Effizienz. Es ist doch alle-mal besser, mit einer bestimmten Geldsumme in derBreite viel zu erreichen, als mit einem Betrag, der nur fürdie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten WolfgangWieland, Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENElektronischen Personalausweis nicht einfüh-ren– Drucksache 17/2432 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologiedie Spitze eingesetzt wird, eine viel geringere CO2-Min-derung zu erzielen.Deswegen kommt es aus unserer Sicht darauf an, dasswir das CO2-Gebäudesanierungsprogramm in der Zu-kunft flexibler handhaben.Dies gilt übrigens auch in Verbindung mit anderenProgrammen. Der Ansatz der Verknüpfung der Pro-gramme im Städtebau muss gerade bei knappen Kassenkonsequent fortentwickelt werden. Altersgerechtes Woh-nen, Barrierefreiheit, Energieeffizienz, soziale und tech-nische Infrastruktur sowie Gebäudemanagement müssenim Komplex betrachtet werden.Dafür haben wir unsere bewährten Programme. Des-halb führen wir sie weiter, und deshalb werden wir siefinanziell so ausstatten, wie wir es uns leisten können:mal schlechter, aber garantiert auch wieder besser. Daran– davon bin ich überzeugt – werden die Baupolitiker derKoalition arbeiten.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/2346, 17/2395 und 17/2396 an
s
s
R
M
f
W
n
D
A
d
o
d
e
k
t
1)
Auch hier wird interfraktionell die Überweisung der
rucksache an die in der Tagesordnung aufgeführten
usschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
en? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Dienstag, den 14. September 2010, 10 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen erholsame Tage, manche neue Er-
enntnisse und Ideen. Wir sehen uns dann am 14. Sep-
ember hier wieder.