Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu
dieser Plenarsitzung verbunden mit der Hoffnung, dass
sie nicht ganz so turbulent verläuft wie eine der letzten.
Ich habe einige Mitteilungen zu machen bzw. einige
Wahlen durchzuführen, bevor wir in die Tagesordnung
eintreten.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt anstelle
der ehemaligen Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn
die Kollegin Cornelia Behm als neues stellvertretendes
Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung
der SED-Diktatur vor. Sind Sie damit einverstanden?
Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Kollegin
Cornelia Behm hiermit zum stellvertretenden Mitglied
dieses Stiftungsrates gewählt.
Die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer hat ihr Amt als
Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt
die Fraktion Die Linke die Kollegin Heidrun Dittrich
vor. Darf ich auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen?
Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Kollegin
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Redet
Dittrich zur Schriftführerin gewählt.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-
bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:
Notwendigkeit einer einheitlichen Praxis beim
Kauf von Steuer-CDs
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Spenden- und Sponsoring-Praxis vo
und die Glaubwürdigkeit der Politik
)
)
Müller , Elisabeth Winkelmeier-Becker,
Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Nicole Bracht-Bendt, Miriam Gruß, Sibylle
Laurischk und der Fraktion der FDP
Internationaler Frauentag Gleichstellung
national und international durchsetzen
Drucksache 17/901
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel
Humme, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD
Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstel-
lung von Frauen im Erwerbsleben umgehend
durchsetzen
Drucksache 17/821
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Dr. Barbara Höll, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern
wirksam durchsetzen
Drucksache 17/891
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Quote für Aufsichtsratsgremien börsennotier-
ter Unternehmen einführen
Drucksache 17/797
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
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gierung
Dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der
Bundesregierung und den Spitzenverbänden
der deutschen Wirtschaft zur Förderung der
Chancengleichheit von Frauen und Männern
in der Privatwirtschaft
Drucksache 16/10500
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache 75 Minuten vorgesehen. Ich höre kei-
en Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
ie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
ugend, Frau Dr. Kristina Schröder.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
ie, Senioren, Frauen und Jugend:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ier Anträge zur Gleichstellungspolitik stehen heute auf
er Tagesordnung. Kein einziger dieser Anträge fordert
ie Abschaffung des Weltfrauentages; denn zu lang ist
ie Liste der Themen, die an diesem Tag unsere Auf-
erksamkeit verdienen. Ich möchte daher meine erste
leichstellungspolitische Rede als Ministerin für ein paar
rundsätzliche Bemerkungen zur Chancengerechtigkeit
on Frauen und Männern in der beruflichen Entwicklung
utzen.
Meine These ist, dass Strukturen und Kulturen in
er Arbeitswelt nicht nur Frauen benachteiligen, son-
ern zu einer Benachteiligung von Menschen, von Män-
ern und Frauen, führen, wenn sie Fürsorgeaufgaben in
er Familie übernehmen. Deshalb sehe ich mich hier so-
ohl als Familienministerin als auch als Gleichstel-
ungsministerin in der Pflicht.
Wir kritisieren zu Recht, dass Frauen immer noch
eutlich weniger verdienen als Männer. Wir kritisieren
u Recht, dass auf höheren Hierarchieebenen, in Füh-
ungspositionen, insbesondere in Vorständen und Auf-
ichtsräten, sehr wenige Frauen vertreten sind. Aber wa-
um reden wir so wenig über die kulturellen und
trukturellen Ursachen in der Arbeitswelt, die diesen Be-
bachtungen zugrunde liegen? Ich glaube nicht, dass
ehaltsunterschiede und die fehlende Präsenz von
rauen in den Führungsetagen immer noch das Ergebnis
ewusster, schenkelklopfender Diskriminierung sind.
ielmehr glaube ich, dass wir es mit kulturellen und
trukturellen Ursachen zu tun haben.
Ich denke dabei zum Beispiel an ein Erlebnis, das ich
or zwei Wochen im Zug hatte. Vor mir saß eine Frau
itte dreißig mit Notebook, Handy und Tochter. Die
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2325
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Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
Kleine plapperte: Mein Zimmer ist das schönste, aber
dein Zimmer und Papas Zimmer sind auch schön. Da
fragte die Mutter: Mein Zimmer? Papas Zimmer? Die
Kleine antwortete: Die Küche und das Büro. Da
musste ich natürlich erst einmal grinsen, aber in dieser
kindlichen Wahrnehmung wird, glaube ich, eines deut-
lich: Berufstätige Männer nehmen oft zwei, drei Karrie-
restufen auf einmal, während berufstätige Frauen meist
zwei, drei Jobs auf einmal machen, nämlich Beruf, Kin-
dererziehung und Haushalt.
Das hat wenig mit individuellen Denk- und Verhal-
tensmustern zu tun. Wenn Paare sich freiwillig für dieses
Modell entscheiden, dann ist das ihre Privatsache. Aber
in vielen Fällen ist es nicht so. Viele Paare heute wün-
schen sich eine gleichberechtigte Partnerschaft. In den
Führungsetagen vieler Unternehmen gibt es eine struktu-
rell familienfeindliche Kultur, die diese häusliche Ar-
beitsteilung zementiert. Ich glaube, dass genau das das
Problem ist. Diese Arbeitskultur ist von einer Leis-
tungselite geprägt, die sich deshalb so kompromisslos
ihrer Karriere widmen kann, weil sie die Zuständigkeit
für Kinder und Küche weitgehend outgesourct hat. Dazu
lasse ich gern einen Mann zu Wort kommen. Ich zitiere
aus einem Artikel über Managerehen, der schon vor eini-
ger Zeit in der Wirtschaftswoche erschienen ist. Der mo-
derne Manager sei ein
familienferner Lebensnomade
Ich zitiere weiter:
Seine Firma verlangt den ganzen Mann, rund um
die Uhr und rund um den Globus, dafür wird er
schließlich bezahlt, und nicht nur er, auch seine
Frau und seine Kinder stehen auf der Gehaltsliste
der Firma, als entfernte Angestellte gewissermaßen,
weil auch sie ihr Leben dem Job unterordnen, ganz
klar
Ich glaube, die Luft für Frauen in den Führungsposi-
tionen ist auch deshalb so dünn, weil sie keine familien-
fernen Lebensnomaden sein wollen.
Dies wird aber in vielen Unternehmen unausgesprochen
erwartet, und auch die Arbeitszeit in vielen Führungspo-
sitionen lässt es überhaupt nicht anders zu. Das meine
ich mit den Kulturen und Strukturen, die ich als die Ur-
sache für die Benachteiligung von Frauen in der Arbeits-
welt genannt habe. Solange Frauen kinderlos bleiben
und sich für den klassisch kompromisslosen männlichen
Lebenslauf entscheiden, ist das kein so großes Problem.
Da gibt es zwar die typischen Vorurteile, die jede erfolg-
reiche Frau kennt, aber das machen Frauen oft durch ei-
nen besonderen Arbeitseinsatz wieder wett. Sobald
Frauen aber Mütter werden und sich Zeit für Verantwor-
tung nehmen wollen, bezahlen sie dafür mit Gehaltsein-
bußen und eingeschränkten beruflichen Entwicklungs-
möglichkeiten.
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Die christlich-liberale Koalition hat sich in ihrem Ko-
litionsvertrag klar zum gemeinsamen Ziel bekannt, den
nteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen.
abei kann man mit der Brechstange vorgehen und
leichstellungspolitische Ziele gesetzlich vorschreiben,
twa in Form von gesetzlichen Quoten für alle Bereiche,
n denen Frauen fehlen. Das wirkt dann wie Kortison:
ie Symptome verschwinden, aber die Ursachen blei-
en.
Man kann aber auch versuchen, die Ursachen unglei-
her Chancen in der beruflichen Entwicklung zu be-
ämpfen. Das ist eine langfristige Strategie, und sie
ordert ein ganzes Bündel unterschiedlicher Maßnah-
en: Maßnahmen, die Denk- und Verhaltensmuster än-
ern, wie zum Beispiel die Vätermonate oder eine
leichstellungspolitik, die gezielt auch Jungen und
änner in den Blick nimmt, Maßnahmen, die Zeit für
erantwortung in die Arbeitswelt integrieren, wie zum
eispiel das Teilelterngeld oder unser wichtiges Vorha-
en einer Familienpflegezeit, und nicht zuletzt auch
aßnahmen, die die Dominanz von Männern ab einer
ewissen Hierarchiestufe transparent machen und Dis-
ussionen darüber anstoßen.
2326 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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)
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
Hier setzt unser Stufenplan an. Was wir brauchen,
sind Veränderungen, die wir am besten mit Unterstüt-
zung der Unternehmen und nicht im Kampf gegen die
Unternehmen erreichen.
Deshalb halte ich eine Quotenregelung nicht für die gleich-
stellungspolitische Offenbarung. Das gilt insbesondere im
operativen Bereich, im Management und bei Vorständen;
da wäre eine Quotenregelung schon verfassungsrechtlich
problematisch. Für Aufsichtsräte allerdings schließe ich
eine Mindestanteilsregelung als Ultima Ratio nicht aus.
Denn ich bin überzeugt, als Damoklesschwert kann eine
gesetzliche Mindestanteilsregelung für Aufsichtsräte not-
wendige Veränderungsprozesse in Gang setzen.
Als Brechstange benutzt, würde sie aber nur die Zahlen
verändern.
Vielleicht brauchen wir aber weder das eine noch das
andere. Denn Unternehmen können es sich gar nicht
mehr leisten, in den Führungsetagen auf die Kompetenz
von Frauen zu verzichten.
So viel Selbstbewusstsein sollten wir haben, nicht nur
am Weltfrauentag.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christel Humme
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Zugegeben, ich habe Ihre erste gleichstellungspolitische
Rede mit Spannung erwartet, Frau Schröder. Was ich in
dieser Rede gehört habe, sind aber weder für eine junge
Ministerin neue Impulse, noch sind es in irgendeiner
Weise konkrete Lösungen im Hinblick auf die berech-
tigte Kritik, die Sie vorgetragen haben. Ganz im Gegen-
teil, Sie machen nach wie vor den Fehler, Familienpolitik
und Gleichstellungspolitik gleichzusetzen. Ich glaube,
das ist total falsch.
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Frau Schröder, schauen wir doch einmal hin, wo wir
eute nach neun Jahren stehen: In der Bilanz 2008 ist
onstatiert worden das haben Sie auch schon gesagt ,
ass Frauen bei gleicher Arbeit 22 Prozent weniger als
änner verdienten; heute beträgt die Lohnlücke 23 Pro-
ent. In Westdeutschland sind wir so sagt das Statisti-
che Bundesamt bei 25 Prozent angelangt. Mit vier an-
eren Ländern in Europa haben wir die rote Laterne; wir
ind das Schlusslicht. Wollen Sie das etwa hinnehmen?
ie wollen Sie das habe ich Ihrer Rede überhaupt nicht
ntnommen eigentlich den negativen Trend durchbre-
hen, der sich hier ergeben hat? Brauchen wir dafür
icht gesetzliche Regelungen anstelle von Freiwillig-
eit? Brauchen wir nicht endlich ein Entgeltgleichheits-
esetz?
Frauen in Führungspositionen sind immer noch mit
er Lupe zu suchen. Der Frauenanteil in Aufsichtsräten
iegt heute bei 4 Prozent. Da, wo die Unternehmen mit-
estimmt sind, wo die Gewerkschaften aktiv sind, gibt es
1 Prozent Frauen in Aufsichtsräten. Wie sieht es bei
en Vorständen aus? Lediglich eine einzige Frau hat es
eschafft, in den Vorstand eines der DAX-30-Unterneh-
en zu kommen. Wie wollen Sie diesen Trend brechen?
ir müssen uns doch die Frage stellen, was zu tun ist.
Hier rate ich Ihnen ganz eindeutig, Frau Schröder,
inmal über den Tellerrand zu gucken. Schauen Sie über
ie Grenzen hinweg, aber nicht nur nach Norwegen, wo
s schon Erfolge gibt. Schauen Sie einmal auf Ihre kon-
ervativen Kolleginnen und Kollegen in Belgien, die ge-
ade eine Quote für die Aufsichtsräte einführen wollen.
ine Quote von 40 Prozent für Aufsichtsräte ist der rich-
ige Weg. Das wollen wir ebenso wie die belgischen
reunde, die ebenfalls erkannt haben, dass Freiwilligkeit
ichts bringt.
Ich will jedoch wie das diese Beispiele vielleicht
ermuten lassen nicht nur Negatives sagen. Positiv ist,
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2327
)
)
Christel Humme
dass wir eine Frauenerwerbsquote von 66 Prozent er-
reicht haben. Dies ist mehr, als uns das Lissabon-Ziel
vorschreibt. Aber schauen wir einmal genauer hin, wie
es mit dem Arbeitsvolumen aussieht: Das Arbeitsvolu-
men ist konstant geblieben, was bedeutet, dass heute in
Deutschland nur 37 Prozent der erwerbstätigen Frauen
einen Vollzeitjob haben. Hätten Sie in die Bilanz hinein-
geschaut, hätten Sie gesehen, dass seinerzeit immerhin
noch 45 Prozent der Frauen in Vollzeit beschäftigt wa-
ren. Das heißt, wir haben auch da einen negativen Trend.
Die überwiegende Mehrheit der Frauen ist teilzeitbe-
schäftigt; dies gilt sowohl für sozialversicherungspflich-
tige Jobs als auch für Minijobs. Von denen, die allein in
Minijobs sind, sind wiederum zwei Drittel Frauen.
Darum sage ich Ihnen, Frau Schröder: Schauen Sie
genau hin, wie es den Frauen in der Bundesrepublik
geht. Teilzeitarbeit und Niedriglohnsektor sind vor al-
len Dingen weiblich. Damit bauen wir eine Falle auf, die
darin besteht, dass niedriger Lohn zugleich eine niedrige
Rente für die Zukunft bedeutet. Dies können wir den
Frauen nicht zumuten.
Darum kündige ich Ihnen jetzt schon einmal an, Frau
Schröder, dass wir ganz genau hinschauen werden, wie
Sie die Elternzeit gestalten. Bauen Sie das Risiko für
eine Falle aus oder nicht? Ihr Vorschlag für zwei Jahre
Pflegezeit, der heute überall herumgeistert, stellt doch
angesichts unserer Arbeitsmarktstrukturen ebenfalls eine
Falle für Frauen dar.
Welche Frau kann es sich denn heute leisten, über meh-
rere Jahre auf Einkommen zu verzichten? Schauen Sie
einmal hin, wie die Arbeitswelt wirklich aussieht.
Meine lieben Kollegen, liebe Kolleginnen, wir haben
in unserem Antrag ganz konkrete Lösungen aufgezeigt,
die ich bei Ihnen vermisse. Wir können nur sagen: Der
gesetzliche Mindestlohn ist genau das richtige Instru-
ment, um Frauen im Niedriglohnsektor zu helfen. Natür-
lich wollen wir auch den Anteil der Vollzeitbeschäfti-
gung erhöhen und die Einkommenssituation der Frauen
verbessern. Dies geht natürlich nur im Einklang mit der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf; das ist richtig. Wir
brauchen einen Ausbau der Betreuung für unter Drei-
jährige und wollen an dem Rechtsanspruch auf diese Be-
treuung festhalten. Auch hier gebe ich Ihnen eines mit
auf den Weg, Frau Schröder: Nehmen Sie all Ihre Kraft
zusammen und verhindern Sie in Zukunft weitere Steu-
ersenkungen. Wir brauchen hier die Unterstützung für
die Kommunen, die die Betreuungsmöglichkeiten für
unter Dreijährige schaffen müssen. Alles andere wäre
ein gleichstellungspolitischer Rückschritt.
Zum Abschluss. Frau Schröder, ich will nicht ver-
hehlen, dass Sie auch Positives tun. Wir hören von der
Initiative Perspektive Wiedereinstieg, wir hören von
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Das Wort erhält nun die Kollegin Bracht-Bendt für
ie FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Nie zuvor waren Frauen so gut aus-
ebildet wie heute; das bestätigt eine soeben veröffent-
ichte Studie des Berliner Senats.
Der Gender Datenreport Berlin 2009 zeigt allerdings
uch, dass sich der Bildungserfolg von Frauen noch
icht auszahlt: Rund 40 Prozent der 35- bis 45-jährigen
änner haben ein monatliches Nettoeinkommen von
ber 1 500 Euro. Bei den Frauen sind es nur 32 Prozent.
it steigendem Alter wird diese Kluft noch größer.
rauen gehören weit öfter als Männer zu den Geringver-
ienern, aber nur selten zu den Spitzenverdienern.
Teilzeitarbeit ist weiblich; daran hat auch das Gleich-
tellungsdurchsetzungsgesetz, mit dem die Große Koali-
ion mehr Männer für Teilzeitarbeit motivieren wollte,
ichts geändert. 32 Prozent der weiblichen Beschäftigten
rbeiten Teilzeit, ein Drittel davon, weil sie keine Kin-
erbetreuung für den ganzen Tag bekommen. Allein-
rziehende Frauen beziehen statistisch betrachtet am
äufigsten Arbeitslosengeld II.
Diese Fakten machen deutlich, warum wir auch im
ahre 2010 den Internationalen Frauentag zum Anlass
ehmen sollten, offene Fragen anzusprechen.
Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion haben
eute einen Antrag eingebracht. In diesem Antrag wei-
en wir darauf hin, dass sich der Anteil der Frauen, die
ür das Familieneinkommen sorgen, in den letzten
5 Jahren von rund 6 Prozent auf fast 10 Prozent erhöht
2328 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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Nicole Bracht-Bendt
hat, im Osten sogar von 10 Prozent auf 13 Prozent. Die
Frage der Frauenerwerbstätigkeit wird für den Alltag
der Familien immer wichtiger.
Dennoch müssen wir feststellen: Obwohl in Deutsch-
land heute fast 60 Prozent der Hochschulabsolventen
Frauen sind, lag laut Statistischem Bundesamt der Ver-
dienstunterschied zwischen Frauen und Männern 2008
weiterhin bei 23 Prozent. Deutschland liegt damit im eu-
ropäischen Vergleich auf einem der letzten Plätze.
Es gibt viele Ursachen für Lohnunterschiede: Erstens.
Viele junge Mädchen entscheiden sich noch immer für
traditionell als weiblich geltende Berufe. Viele dieser
Berufe sind eine Einbahnstraße, weil es so gut wie keine
Aufstiegsmöglichkeiten gibt.
Zweitens. Wenn sich Frauen der Familie zuliebe für
mehrere Jahre aus dem Beruf ausklinken, haben sie spä-
ter häufig schlechte Karten; denn da sie weniger Berufs-
erfahrung haben, verdienen sie weniger als männliche
Kollegen.
Drittens. Es gibt Probleme bei der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Diese Probleme sind oft der Grund,
warum Frauen Teilzeit arbeiten.
Meine Damen und Herren, weniger Geld ist das eine.
Dass Frauen in leitenden Positionen nach wie vor deut-
lich unterrepräsentiert sind, ist das andere. In der Privat-
wirtschaft beträgt der Anteil von Frauen in Führungs-
positionen rund 27 Prozent, im öffentlichen Dienst
23 Prozent.
Ein Beispiel: Mittlerweile sind mehr als 50 Prozent
derer, die in Zeitungsredaktionen arbeiten, Journalistin-
nen. Je weiter es in der Hierarchie nach oben geht, umso
dünner wird die Luft: Chefredakteurinnen machen ge-
rade einmal 1 Prozent aus.
Hinzu kommt, dass in Deutschland Frauen, die Karriere
machen, überdurchschnittlich oft kinderlos sind. Dies
gilt bekanntlich nicht nur für den Medienbereich.
Warum machen Frauen häufig einen Rückzieher,
wenn Vorstandsposten und leitende Funktionen ausge-
schrieben werden? Wenn die Kindertagesstätte um fünf
schließt, ist für Alleinerziehende eine Tätigkeit, die häu-
fig mit Überstunden verbunden ist, nicht machbar. Von
Wahlfreiheit kann erst die Rede sein, wenn das Infra-
strukturangebot bei der Kinderbetreuung stimmt.
Fehlende flexible Öffnungszeiten von Kindergärten
sind aber nicht das einzige Motiv dafür, dass Frauen oft
keine Führungsaufgabe anstreben. Frauen fehlt es auch
an Selbstbewusstsein. Frauen gründen selten Netzwerke.
Seilschaften sind für sie etwas Unanständiges, während
sie für Männer als klarer Karrierevorteil selbstverständ-
lich sind. Ich rate allen Frauen, mehr Eigen-PR zu leisten
und offensiv für sich einzutreten auch bei Gehaltsver-
handlungen.
Wenn wir über Gleichstellungspolitik reden, dann
denke ich nicht nur an Frauen in der obersten Etage. Wir
müssen auch über die Situation von Frauen reden, die
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Ich möchte noch einmal den Begriff Wahlfreiheit
ufgreifen; denn ob Mütter oder Väter berufstätig sind
nd in welchem Umfang, können sie erst dann wirklich
rei entscheiden, wenn die Kinderbetreuung funktioniert.
ier ist auch weiterhin die Politik gefordert.
Aber auch die Unternehmen sind in der Pflicht. Wir
rauchen familienfreundliche Arbeitszeitmodelle; denn
as wollen auch junge Väter. Viele von ihnen wollen
icht nur Feierabendpapis sein. Diese Entwicklung ist
rfreulich.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal sa-
en: Die Zeit der Lila-Latzhosen-Frauenpolitik ist vor-
ei.
eute muss es darum gehen, das umzusetzen, worüber
ir jahrelang diskutiert haben. Frauen sind auch hier in
er Pflicht. Wir müssen eigenverantwortlich und selbst-
erständlich für unsere Rechte eintreten.
Am Internationalen Frauentag sollte es nicht aus-
chließlich um die Belange der Frauen gehen. Gleichbe-
echtigung von Frauen und Männern muss in allen ge-
ellschaftlichen Bereichen selbstverständlich sein.
assen Sie uns gemeinsam die Weichen dafür stellen,
amit Benachteiligungen in der Wirtschaft, in der Ar-
eitswelt, in der Politik und in der Gesellschaft endlich
usgeräumt werden.
Die Kollegin Cornelia Möhring von der Fraktion Die
inke ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be-
ürchte, wir führen hier eigentlich eine völlig überflüs-
ige und auch verlogene Debatte, und ich glaube, die
eisten von uns wissen das auch.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2329
)
)
Cornelia Möhring
Mit dem Thema dieser Diskussion tun CDU, CSU
und FDP so, als wollten sie mit ihrer Politik tatsächlich
ernsthafte Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen
und Männern erreichen.
In Wirklichkeit interessiert sie die Gleichstellung aber
nur dann, wenn es für die Wirtschaft nützlich ist und
nichts kostet.
Die Lage der Betroffenen ist in ihrem Denken völlig au-
ßen vor.
Schon das Gleichstellungsverständnis der Koalitions-
fraktionen ist selektiv und kritikwürdig. Sie beschränken
Gleichstellung auf Chancengleichheit bei der Teilhabe.
Dabei hat schon das Bundesverfassungsgericht vor Jah-
ren festgestellt, dass Gleichstellung Teilhabe und Anti-
diskriminierung sowie ein Leben frei von Rollenstereo-
typen beinhalten muss.
Davon ist die Bundesregierung mit ihrer Gleichstel-
lungspolitik Lichtjahre entfernt.
Meine Damen und Herren, in vier Tagen begehen wir
den Internationalen Frauentag. In den 99 Jahren sei-
nes Bestehens haben Frauen weltweit viele Fortschritte
erreicht. Dennoch müssen sie auch heute noch um ihre
demokratischen Rechte, für Frieden, für gleichen Lohn
bei gleichwertiger Arbeit und um ihre Teilhabe an der
Gesellschaft kämpfen auch in der Bundesrepublik.
So mussten die Verkäuferinnen bei Hertie und Quelle
im letzten Jahr erfahren, dass formale Gleichberechti-
gung nicht automatisch auch reale Gleichbehandlung be-
deutet. Für die Rettung kriminell agierender Banken hat
die Bundesregierung 2009 einen riesigen Schutzschirm
aus Hunderten Milliarden Euro aufgespannt. Für die
Verkäuferinnen hatten Sie nicht einmal ein Cocktail-
schirmchen übrig.
Dieses Jahr ist das Europäische Jahr zur Bekämp-
fung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Auch vor
diesem Hintergrund ist es dringlich, endlich verpflich-
tende Maßnahmen zur Beseitigung der Entgeltungleich-
heit zwischen Frauen und Männern festzulegen.
2010 sollte der Unterschied in der Bezahlung von
Frauen- und Männerarbeit in der BRD eigentlich nur
noch 15 Prozent betragen. So hatte es die Bundesregie-
rung 2008 beschlossen. Das wäre zwar immer noch kein
Ruhmesblatt für die Politik, aber doch eine deutliche
Verbesserung.
Die Realität sieht aber anders aus: In den unteren und
mittleren Gehaltsgruppen erhalten Frauen konstant im-
mer noch 22 bis 23 Prozent, in den höheren Gehaltsgrup-
pen sogar 27 Prozent weniger Lohn als Männer, allen
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Sie haben uns hier eine Analyse geliefert; Sie haben ver-
sucht, irgendwie die Verhältnisse zu erklären. Sie müs-
sen aber schlicht und einfach die Fakten anerkennen,
dass hier in Deutschland von Gleichberechtigung über-
haupt keine Rede sein kann
und wir überhaupt nicht davon reden können, dass
Gleichstellung tatsächlich stattfindet. Dazu gibt es be-
kanntermaßen jede Menge Zahlen und Fakten. Ihre Ana-
lyse bringt uns also nicht weiter. Nehmen Sie es einfach
zur Kenntnis!
Ein paar Beispiele: Frauen verdienen bei uns immer
noch deutlich weniger als Männer. Dies unterstreicht
auch der europäische Vergleich. Wenn es um Führungs-
posten geht, bleiben Männer hierzulande lieber unter
sich; sie haben ungern Frauen mit dabei. Das ist Fakt.
Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die Opfer von
häuslicher Gewalt sind. Armut in Deutschland hat vor
allem ein weibliches Gesicht. Das ist Fakt. Frauen sind
immer noch diejenigen, die die Frage der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf alleine lösen müssen, auch wenn
Sie noch so viel über Männerpolitik reden. Das ist Fakt.
Ich könnte diese Aufzählung immer weiter fortsetzen.
Spitze ist Deutschland auch im europäischen Vergleich
nur in einem einzigen Punkt: in der Eheförderung.
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Damit komme ich zu der Kernfrage. Die Gleichstel-
ung auf dem Arbeitsmarkt ist und bleibt die Kernfrage
es neuen Feminismus. Jetzt höre ich aber von der Mi-
isterin und von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion
ie Frau Bär, dass Sie Feminismus als einen Kampfbe-
riff sehen und sich gerne davon distanzieren.
ch halte das für einen Fehler. Der Feminismus ist für
ich bzw. für uns junge Frauen das Ergebnis einer Frau-
nrechtsbewegung. Diesem Feminismus haben wir es zu
erdanken, dass wir heute diese Debatte führen können.
Diesem Feminismus haben wir es zu verdanken, dass
unge Frauen, dass unsere Generation aufrecht und
elbstbewusst durchs Leben gehen kann. Diesem Femi-
ismus haben wir es zu verdanken, dass meine Tochter
uch das Büro, also Frauen im Beruf, für selbstverständ-
ich hält statt für irgendetwas, das in weiter Ferne liegt.
Diesem Feminismus haben wir es zu verdanken, dass
ir über Gleichstellung und gleiche Chancen von Män-
ern und Frauen reden. Von diesem Feminismus sollten
ie sich nicht distanzieren. Vielmehr sollten Sie sich ihm
erpflichtet fühlen. Das ist Ihre Aufgabe.
Was aber macht die Regierung? Sie machen Frauen-
olitik zu einer Prüfaufgabe. Sie reden. Sie wollen ein-
reten. Sie wollen werben. Sie wollen ankündigen. Sie
ollen prüfen, ob Sie prüfen, dass Sie prüfen.
as reicht doch nicht. Sie müssen schon ein bisschen
ehr machen.
Eines machen Sie: Sie halten an einem alten Gesell-
chaftsvertrag fest und machen aus einem kleinen Unter-
chied einen großen, und darauf sind Sie auch noch
tolz. Das ist Ihr Fehler.
Es liegt viel im Argen. Wir Grünen haben in der letz-
en und in dieser Wahlperiode jede Menge Vorschläge
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2331
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Ekin Deligöz
gemacht: Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft,
Mindestlohn davon würden vor allem Frauen profitie-
ren und die eigenständige Existenzsicherung von
Frauen.
In diesem Zusammenhang muss ich leider der SPD
sagen: Sie hätten dem allen zustimmen können. Sie hät-
ten mutiger sein können. Sie hätten das alles mitmachen
können. Wo waren Sie in den letzten Jahren?
Es ist schön, dass Sie das jetzt endlich auch erkannt ha-
ben, aber es wäre besser gewesen, Sie hätten es früher
erkannt. Dann wäre das jetzt nämlich alles per Gesetz
geregelt.
Wir wollen, dass jede und jeder so leben kann, wie sie
oder er es möchte, aber nicht auf Kosten des anderen Ge-
schlechts. Eine echte Gleichberechtigung fordert beiden
Seiten etwas ab.
Sie propagieren Jungenpolitik bzw. Männerpolitik.
Ich erziehe einen Sohn und eine Tochter. Ja, ich will,
dass mein Sohn Chancen im Leben und die bestmögliche
Förderung hat. Ich will aber auch, dass meine Tochter
die gleichen Chancen und Rechte hat, und zwar nicht
nur, indem ihr Bruder sich für sie einsetzt, sondern weil
es in diesem Land selbstverständlich ist, dass sie die
gleichen Rechte hat. Das sollten wir durchsetzen, statt
nur darüber zu reden.
Frau Kollegin Deligöz, ich erlaube mir den Hinweis,
dass mindestens bei der großzügigen Bemessung der Re-
dezeit der amtierende Präsident Kolleginnen mindestens
gleichberechtigt behandelt.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothee Bär für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte
mich zunächst bei unseren Parlamentarischen Geschäfts-
führern, Herrn Altmaier, Herrn Müller und Herrn van
Essen, bedanken, dass unsere beiden Koalitionspartner
die Wichtigkeit dieses Themas auch dadurch erkennen
lassen und zum Ausdruck bringen,
dass wir es heute seit 9 Uhr in der Kernzeit behandeln.
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as zeigt doch ganz deutlich, dass für uns Frauenpoli-
ik kein Gedöns ist, wie das bei anderen Fraktionen der
all ist, sondern dass wir Frauenpolitik ernst nehmen.
Ich finde es beeindruckend, welche Beißreflexe aus-
elöst werden. Ganz ehrlich, meine lieben Kolleginnen
on den Grünen und der SPD, Sie glauben doch nicht,
ass Sie etwas für die Frauen in diesem Land erreichen
önnen, wenn Sie eine Kollegin hier so behandeln.
Frau Künast, immer die Lauteste zu sein, bringt nichts,
enn man keine Ergebnisse vorweisen kann. Da Sie sich
ngeblich so für Frauen und lila Latzhosen einsetzen,
ie Sie vorhin betont haben
das hat sie gesagt; Sie hätten die Zwischenrufe hören
ollen , hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich in den
ieben Jahren von Rot-Grün auch für die Frauen einge-
etzt hätten. Es tut mir leid, aber das haben Sie nicht ge-
an.
Ich habe mich vor 17 Jahren mit Begeisterung in mein
olitisches Ehrenamt gestürzt und hätte jemandem, der
ir damals gesagt hätte, dass wir im Jahr 2010 eine De-
atte wie die heutige führen würden, nicht geglaubt. Lei-
er Gottes müssen wir eine solche Debatte führen, weil
n diesem Land nicht alles so ist, wie wir uns das vorstel-
en. Dass Frauenpolitik eine gesamtgesellschaftliche
ufgabe und nicht nur ein Frauenthema ist, lässt nur die
DU/CSU-Fraktion erkennen; denn wir sind die einzige
raktion, die später auch einem Mann das Wort geben
ird.
nter Zeugen hat unser Fraktionsvorsitzender vorhin ge-
agt, dass er in dieser Debatte zu Wort kommen möchte.
as ist hiermit notiert und wird ihm auch gewährt.
Ich bitte Sie, sich nun dem Thema angemessen zu
erhalten und vielleicht auch denjenigen zuzuhören, die
m Rednerpult stehen.
ine Studie der Hertie School of Governance belegt,
ass nur 27 Prozent der Führungskräfte in der Privat-
irtschaft Frauen sind. Wir dürfen aber nicht nur mit
em Finger auf die Privatwirtschaft zeigen; denn im öf-
entlichen Dienst ist diese Quote mit 23 Prozent noch
chlechter. Wenn wir uns andere EU-Länder ansehen,
üssen wir feststellen, dass wir in Deutschland mit dem
nteil von Frauen in Führungsetagen nur im unteren
2332 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dorothee Bär
Mittelfeld liegen. In einigen Ländern gibt es gesetzliche
Maßnahmen zur Gleichstellung darüber haben wir
schon im Ausschuss gesprochen , beispielsweise in
Norwegen und den Niederlanden. Leider gilt im Jahr
2010 noch immer, dass es der beruflichen Entwicklung
junger Frauen schadet, wenn sie in der Familiengrün-
dungszeit zu lange aussetzen oder in Teilzeit arbeiten.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode begonnen,
gegenzusteuern. Wir von der Union haben Zukunftspo-
litik gemacht. Zukunftspolitik ist natürlich nichts ande-
res als Familienpolitik. Wir haben einige Maßnahmen in
die Wege geleitet, zum Beispiel den quantitativen und
qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung in diesem
Land. Wir haben des Weiteren das Elterngeld eingeführt
und für eine bessere steuerliche Absetzbarkeit der Be-
treuungskosten gesorgt. Wir leisten dadurch einen wich-
tigen Beitrag für die Vereinbarkeit von Beruf und Fami-
lie.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass gut ausgebildeten,
hochmotivierten Frauen nicht in gleichem Maße Verant-
wortung übertragen wird wie Männern. Für mich ist es
daher nicht nachvollziehbar, dass Frauen erst dann ge-
holt werden, wenn es gar nicht mehr anders geht. Viel-
mehr müssen schon im Vorfeld Schritte gemacht wer-
den. Man darf nicht so lange warten, bis es nicht mehr
genügend Männer gibt.
Auch mir war zunächst nicht die Möglichkeit gege-
ben, in meiner Pfarrgemeinde zu ministrieren. Erst ein
paar Jahre später, als es nicht mehr genügend Jungen
gab, wurden die Mädels herangezogen. Mir ist wichtig,
dass die Privatwirtschaft erkennt, dass sie nun die Mög-
lichkeit hat, Frauen zu beschäftigen, weil dann effizien-
ter und wirtschaftlicher gearbeitet wird, Stichwort
Fachkräftemangel. Wir haben das hat die Ministerin
bereits angesprochen im Koalitionsvertrag einen Stu-
fenplan zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Vorstän-
den und Führungspositionen vorgesehen. Wir setzen uns
mit der Vereinbarung der Bundesregierung mit der Pri-
vatwirtschaft für mehr Gleichberechtigung ein. Aber
auch das möchte ich an der Stelle sagen wenn sich wei-
terhin nichts tut, dann werden wir zusätzlich konkrete
Maßnahmen beschließen müssen.
Bitte schön, Frau Kollegin Sager, Sie haben Gelegen-
heit zu einer Zwischenfrage.
Frau Kollegin Bär, Sie haben gerade darauf hingewie-
sen, dass Sie einfach erfolgreich gewartet haben, bis
keine männlichen Messdiener mehr zur Verfügung stan-
den und Sie dann an der Reihe waren. Dürfen wir das so
verstehen, dass wir einfach so lange warten sollen, bis
keine Männer mehr in die Aufsichtsräte wollen und wir
endlich an der Reihe sind?
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Es tut mir leid, dass Sie es einfach nicht kapiert ha-
en.
ehr kann man dazu leider nicht sagen, Frau Sager.
ber ein Blick in das Protokoll wird Ihnen vielleicht er-
öglichen, das zu begreifen, was ich hier mitgeteilt
abe.
Wir sollten uns hier eher damit beschäftigen, heraus-
ufinden, wo die Ursachen liegen. In den Unternehmen
ibt es immer noch eine übertriebene Anwesenheitskul-
ur. Natürlich muss man das anprangern. Jeder von uns
eiß, dass alleine die Anwesenheit im Plenum keinen
bgeordneten zu einem guten Parlamentarier macht.
asselbe muss auch für die Privatwirtschaft gelten. Es
arf nicht sein, dass diejenigen, die abends die Letzten
ind und das Licht ausmachen, befördert werden. Frauen
önnen sich oft nicht leisten, bis abends in Diskussions-
unden zu sitzen. Frauen wollen effizient arbeiten und
rgebnisse liefern.
Wir wollen ein weiteres wichtiges Thema bearbeiten,
ämlich den Unterschied im Lohn. Heute wurde schon
ehrfach von verschiedenen Kolleginnen und Kollegen
er Oppositionsfraktionen angesprochen, dass Frauen
eniger als Männer verdienen. Das stimmt nicht.
rauen verdienen genauso viel wie Männer, aber sie be-
ommen weniger. Das ist der große Unterschied.
eswegen wollen wir die Bedingungen dafür schaffen,
ass diese Lohnlücke geschlossen wird; denn
0 Prozent Lohnlücke kann man nicht nur damit erklä-
en, dass Frauen niedrig bezahlte Berufe wählen und fa-
ilienbedingte Erwerbsunterbrechungen haben. Bei-
pielsweise gibt es bei Berufsanfängerinnen immer noch
inen Unterschied von 18,7 Prozent zum Lohn der Be-
ufsanfänger. Der lässt sich dadurch nicht erklären.
Ein letztes Wort an die Kolleginnen von der SPD, die
ie ganze Zeit mehr mit sich selbst als mit der Sache be-
chäftigt sind. Sie sollten vielleicht einmal in Ihrer eige-
en Partei dafür sorgen, dass erstens diese Themen nicht
ie Gedöns behandelt werden das habe ich vorhin an-
esprochen und zweitens auch Ihre männlichen Kolle-
en mit Frauen in der Politik anders umgehen. Wenn Ihr
hemaliger Parteivorsitzender Herr Beck sagt, er wolle
m Wahlkampf in Rheinland-Pfalz Frau Klöckner wie ei-
en Mann behandeln, nämlich fair und sachlich, dann
eißt das im Umkehrschluss, dass er sonst mit Frauen
nders umgeht. Das empfinde ich als viel skandalöser als
lles andere.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2333
)
)
Elke Ferner ist die nächste Rednerin für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ei-
gentlich könnten wir jedes Jahr am Internationalen Frau-
entag die Reden vom Jahr davor hervornehmen. Es hat
sich seit 99 Jahren leider immer noch nichts geändert. Es
geht immer noch um die gleichen Themen. Was mich bei
dieser Debatte das muss ich ganz offen sagen nach
30 Jahren Frauenpolitik und Gleichstellungspolitik wirk-
lich aufregt, ist, welches Verständnis zumindest Teile des
Hauses vom Thema Gleichstellungspolitik haben.
Es geht hier nicht um die Frage, ob Gleichstellung ge-
währt wird, sondern es geht um Rechte. Wir haben ein
Grundgesetz mit dem Art. 3. Viele Frauen haben damals
gekämpft, dass er in das Grundgesetz hineinkommt.
Viele Frauen von der eben viel gescholtenen Lila-Latz-
hosen-Generation haben in ihrer Zeit für eine Weiterent-
wicklung der gesellschaftlichen Gleichstellung ge-
kämpft. Ich finde, es steht uns überhaupt nicht an, diese
Frauengeneration in irgendeine Ecke zu stellen; denn
ohne diese Frauengeneration wären viele von uns heute
nicht da, wo sie heute sind.
Die Frage ist: Welches Verständnis von Gleichstel-
lungspolitik haben wir? In dem Antrag der Koalitions-
fraktionen steht ich zitiere :
Gleichstellungspolitik muss gezielt die Unter-
schiede in den Lebensverläufen von Frauen und
Männern berücksichtigen und bei der Familien-
gründung oder in der Phase des Wiedereinstiegs ins
Erwerbsleben zielgenaue Hilfe anbieten.
Das unterscheidet uns: Wir wollen uns mit diesen Ver-
hältnissen nicht abfinden. Wir wollen die Verhältnisse
ändern, nicht die Auswirkungen beklagen, aber dann et-
was darüberstülpen, um das Ganze zu kaschieren.
Frau Schröder, es stimmt auch nicht, dass nur Eltern,
sprich Mütter, benachteiligt sind. Sie sind stärker be-
nachteiligt; das ist richtig. Aber auch Frauen ohne Kin-
der, ob sie nun gewollt oder ungewollt kinderlos sind,
werden benachteiligt. Sie kommen nicht in Führungspo-
sitionen hinein. Gut, schenkelklopfend ist die Diskrimi-
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Diese Frauenministerin hält nach drei Monaten ihre
rste gleichstellungspolitische Rede und hat nichts ande-
es als einen Antrag der Koalitionsfraktionen anzubie-
en, in dem es um die Unterstützung bei Gehaltsverhand-
ungen geht. Equal Pay, gleiche Bezahlung, ist doch
eine Frage der Unterstützung bei Gehaltsverhandlun-
en. Gleiche Bezahlung für gleiche bzw. gleichwertige
rbeit ist ein Recht. Es ist kein Kavaliersdelikt, wenn
agegen verstoßen wird.
as ist Diskriminierung, ob jetzt schenkelklopfend oder
icht, aber es ist und bleibt eine Diskriminierung, nichts
nderes. Dagegen muss man vorgehen.
Länder, in denen es entsprechende gesetzliche Maß-
ahmen gibt, stehen auf dem Gender-Index besser als
ir da. Dort sind mehr Frauen in Führungspositionen. Es
ibt bessere Einrichtungen zur Kinderbetreuung und
essere Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie
nd Beruf. Das Gender-Pay-Gap, also der Unterschied in
er Bezahlung von Männern und Frauen, ist in solchen
ändern nicht so groß wie bei uns. Darin, über diese Fra-
en zu diskutieren, sind wir spitze. Aber wenn es darum
eht, Art. 3 des Grundgesetzes mit Leben zu füllen, dann
ind wir ganz hinten, insbesondere mit dieser Regierung.
Ich befürchte, dass es in den nächsten vier Jahren zu
inem Stillstand in der Gleichstellungspolitik kommen
ird, weil Sie nicht bereit sind, endlich entsprechende
aßnahmen zu ergreifen. Wir haben jetzt seit über zehn
ahren freiwillige Vereinbarungen, die nichts gebracht
aben. Es wird die Frauen keinen Millimeter weiterbrin-
en, noch einmal vier Jahre und danach noch weitere
ier Jahre auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen. Was
ir brauchen, sind verbindliche Regelungen, die bewir-
en, dass die Barrieren abgebaut werden, beispielsweise
uch die Barrieren in unserem Einkommensteuerrecht,
as das Zuhausebleiben befördert und nicht unbedingt
en Einstieg oder Wiedereinstieg in den Beruf.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich darf Ihnen einen
etzten Rat mit auf den Weg geben. Sie haben vernünfti-
erweise das Betreuungsgeld in Ihrem Antrag schon gar
icht mehr erwähnt. Beerdigen Sie diese Idee. Das Be-
reuungsgeld ist ein Baustein für mehr Ungleichheit statt
u mehr Gleichheit.
Vielen Dank.
2334 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Das Wort hat nun die Kollegin Miriam Gruß für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Ferner, Sie haben gerade
beklagt, dass wir jedes Jahr den Internationalen Frauen-
tag begehen und immer wieder darüber reden, sich aber
Jahr für Jahr nichts ändere. Ich glaube, in den letzten elf
Jahren haben Sie regiert. Sie hätten etwas tun können.
Warum stehen Sie jetzt hier und beklagen die Situation,
die Sie elf Jahre lang hätten ändern können?
Für mich verhält es sich mit dem Internationalen
Frauentag wie mit vielen Gedenktagen:
Es ist wichtig und richtig, dass wir diese Gedenktage be-
gehen und an diesen Tagen über die Verhältnisse spre-
chen und diskutieren. Aber wir sollten eben nicht nur an
diesem einen Tag darüber reden, sondern wir müssen
365 Tage im Jahr darüber reden, diskutieren, aber auch
Lösungen finden. Diese Koalitionsfraktionen bieten Lö-
sungen an, und zwar im Gegensatz zu Ihnen, die Sie die
letzten elf Jahre nur Maßnahmen verkündet, aber nichts
davon durchgesetzt haben.
Im Koalitionsvertrag haben wir einige Maßnahmen
festgehalten, wie zum Beispiel einen Rahmenplan zur
gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in den verschie-
denen Phasen des Lebensverlaufs, die Weiterführung der
Bundesinitiative Gleichstellung von Frauen in der Wirt-
schaft, Maßnahmen zur Förderung eines leichteren
Wiedereinstiegs in das Berufsleben und die Überwin-
dung der Entgeltungleichheit durch das Lohntestverfah-
ren Logib-D.
Wichtig ist mir ganz persönlich aber auch die Erwei-
terung des Blickwinkels in der Gleichstellungspolitik auf
Jungen und Männer. Ich möchte an diesem Tag betonen
weil es da auch bestimmte Befürchtungen gibt , dass
wir durch die Einbeziehung von Jungen und Männern in
unsere Gleichstellungspolitik nicht die Wichtigkeit der
weiteren Mädchen- und Frauenförderung vergessen dür-
fen. Das will auch diese Koalition nicht. Wir wollen nur
den Blickwinkel erweitern, weil er in den letzten Jahren
verengt war.
Es kommt nicht von ungefähr, dass wir jetzt darüber
sprechen, dass Jungen die Bildungsverlierer sind und öf-
ter schlechtere Startchancen haben, aber dann irgend-
wann weiter Karriere machen und die Nachteile ausglei-
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Wir müssen Stereotypen überwinden. Es ist beispiels-
eise nach wie vor so, dass sich fast ausschließlich
rauen in Erzieherberufen wiederfinden und Männer
mgekehrt meist technische oder handwerkliche Berufe
rgreifen. Diese traditionell weiblichen oder traditionell
ännlichen Berufe bringen aber auch Probleme mit sich,
ie beispielsweise den Mangel an Männern in Erzieher-
erufen. Es ist wichtig, dass wir daran etwas ändern,
enn auch Jungen brauchen Vorbilder, und zwar auch
ännliche. Deswegen brauchen wir mehr Männer in Er-
ieherberufen. Es muss gestattet sein, auch das in der
ebatte zum Internationalen Frauentag zu sagen.
Wir wollen deswegen Initiativen fortführen und er-
eitern, zum Beispiel neben dem Girls Day auch einen
oys Day ins Leben rufen und die Initiative Neue
ege für Jungs fortführen, weil wir wissen, dass Jun-
en, die beispielsweise im Rahmen von Schnupperprak-
ika Einblick in traditionell weibliche Berufe bekommen
aben, sich auch selbst eine Berufstätigkeit in diesen Be-
eichen vorstellen können.
Für alle gilt: Die Vereinbarkeit von Familie und Be-
uf ist ein ganz wichtiger Schritt für die Gleichstellung
m Leben. Aber das ist schon gesagt worden auch
änner wollen Familienzeit erleben können. Der Aus-
au der Betreuung muss deshalb oberste Priorität haben,
nd zwar qualitativ wie quantitativ. Betreuung erschöpft
ich im Übrigen nicht in der Betreuung von unter Drei-
ährigen, sondern bezieht sich auf die gesamte kindliche
ebensphase. Deswegen müssen wir zusammen mit den
ändern Lösungen finden, die eine qualitativ gute Be-
reuung und bei Trägervielfalt eine flexible Betreuung
rmöglichen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie erfordert aber
uch familiengerechte Arbeitszeiten. Wir brauchen eine
rbeitswelt, die auf Familien Rücksicht nimmt. Dies gilt
icht nur für die Betreuung von Kindern, sondern diese
ebatte ist gestern angestoßen worden natürlich auch
ür die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Der gesamte
flegebereich ist noch sehr weiblich geprägt. Wir müs-
en diese Debatte anstoßen und Chancen eröffnen, die
ie Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowohl für
rauen als auch für Männer ermöglichen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2335
)
)
Miriam Gruß
Gestern hat eine Kollegin von den Linken im Hessi-
schen Landtag, Frau Schott, gefordert, den Internationa-
len Frauentag in Hessen, aber auch nur in Hessen zum
Feiertag zu machen. Wir müssen den Internationalen
Frauentag zum Anlass nehmen, um die bestehenden Pro-
bleme ins Bewusstsein zu rufen, sie anzugehen und Lö-
sungen für sie zu finden und zwar über Hessen hinaus.
Vielen Dank.
Katja Kipping ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am
8. März findet zum 99. Mal der Internationale Frauentag
statt. Anlässlich dieses Ereignisses sollten wir festhalten,
dass die Frauenbewegung in den letzten 100 Jahren eini-
ges erkämpft hat.
Es ist falsch, die Geschichte der Frauenbewegung als
eine Geschichte des Scheiterns zu beschreiben.
Nichtsdestotrotz gibt es immer noch sehr viel, was
wir verändern müssen und was wir auch erkämpfen müs-
sen, bis wir von wirklicher Geschlechtergerechtigkeit re-
den können. Nur einige wenige Beispiele:
Zwei Drittel aller Jugendlichen, die keinen Ausbil-
dungsplatz bekommen, sind Frauen, und das bei glei-
chen bis besseren Schulabschlüssen. Dem Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung zufolge gehen
zwei Drittel aller Mütter mit einem Kind unter drei Jah-
ren keinerlei Arbeit nach. Damit jetzt keine Missver-
ständnisse aufkommen: Ich finde nicht, dass man junge
Frauen unbedingt zu den Segnungen der Erwerbsarbeit
zwingen muss. Meine Kritik setzt dann an, wenn ein
Mangel an Kitaplätzen, ein Mangel an guter Arbeit oder
aber Rollenklischees Frauen dazu zwingen, auf Erwerbs-
arbeit zu verzichten.
Immer noch wird ein Großteil der Hausarbeit der
Zeitbudgeterhebung des Statistischen Bundesamtes zu-
folge von den Frauen erledigt; 80 Prozent der Putzarbeit
tragen die Frauen weg. Wenn man diese Zahl nennt, hört
man im politischen Raum, besonders gern von Männern:
Was hat denn die Politik damit zu tun? Das muss inner-
halb der Familien geregelt werden. Mit diesem Ein-
wand macht man es sich zu einfach. Solange wir Rege-
lungen wie das Ehegattensplitting haben, die natürlich
befördern, dass einer in der Familie der Haupternährer
ist und ein anderer maximal der Hinzuverdiener es darf
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In dem Antrag der FDP und der CDU/CSU werden zu
echt wichtige Probleme, wie die Entgeltgerechtigkeit,
estgestellt so weit, so gut. Doch was schlagen Sie
ann vor? Zum Beispiel, dass der Übergang von Mini-
obs, also prekärer Arbeit, in sozialversicherungs-
flichtige Arbeit erleichtert wird. Damit erwecken Sie
eradezu den Eindruck, als ob der Minijob das Tor zu
uter Arbeit wäre. In der Realität ist das Gegenteil der
all: Minijob bedeutet Sackgasse Prekarität, und Mini-
obs bedeuten Minirenten. Somit ist Altersarmut vorpro-
rammiert.
Die Erwerbsarbeit von Frauen wird zunehmend pre-
är, das heißt unsicherer und schlecht bezahlt. Gegen
iese Prekarisierung regt sich nun Widerstand. Nicht nur
ie Reinigungskräfte, nicht nur die Beschäftigten bei
chlecker wehren sich vehement gegen Lohndumping.
ei all diesen Kämpfen gegen die Prekarisierung von Er-
erbsarbeit geht es nicht nur um reine Abwehrkämpfe.
icht nur für mich sind die Kämpfe gegen diese Prekari-
ierung verbunden mit einem Aufbruch in die Vier-in-ei-
em-Perspektive. Das wäre eine Vision, die für Männer
ie Frauen gleichermaßen mehr Lebensqualität bedeu-
en würde. Danach besteht eine Woche aus den folgen-
en vier gleichberechtigten Tätigkeiten: ein Viertel Er-
erbsarbeit, ein Viertel Haus- und Familienarbeit, ein
iertel politisches, gesellschaftliches Engagement und
in Viertel Arbeit an sich selber.
Für diese wichtige Vision gibt es Reformschritte, die
ns dahin führen können. Dazu gehören für die Linke
ie Einführung des Mindestlohnes, die Abschaffung des
hegattensplittings und die Einführung von wirklich
erbindlichen Vorgaben für die Wirtschaft. Wer immer
och glaubt, allein Appelle an die Freiwilligkeit der
irtschaft können hier etwas verändern, dem kann ich
ur sagen: Ihr Warten auf die freiwilligen Leistungen der
irtschaft kann ganz schnell zum Warten auf Godot
erden, und der kam bekanntlich nie.
Ich habe am Anfang über die bisher erkämpften Fort-
chritte gesprochen. Ich will noch einmal sagen: Alle
isherigen Fortschritte mussten erkämpft werden. Das
atriarchat hat noch nie den Frauen ihre Rechte auf dem
ilbertablett serviert. Insofern möchte ich uns einfach er-
untern: Wenn es um die Rechte von Frauen geht, wenn
s um Geschlechtergerechtigkeit geht, bleiben wir kämp-
erisch!
Danke schön.
2336 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Katja Kipping
Monika Lazar ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frauen sind mehr wert. Dieses Credo haben sich meh-
rere europäische Länder auf die Fahnen geschrieben. In
Norwegen müssen seit 2006 mindestens 40 Prozent der
Sitze in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen
von Frauen besetzt sein. Sanktionen bis hin zum Börsen-
entzug sind dabei vorgesehen. Auch in den Niederlanden
gibt es eine Quotenregelung. In Belgien und in Öster-
reich wird diese diskutiert, und in Frankreich hat eine
entsprechende Initiative die erste parlamentarische
Hürde genommen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung
nimmt sich an diesen Ländern kein Beispiel, obwohl sie
nicht zu den politisch weit links stehenden gehören.
Die Führungspositionen in der deutschen Privat-
wirtschaft sind nach wie vor fest in Männerhand. Das
gilt auch für die Aufsichtsräte. In den 200 größten deut-
schen Unternehmen liegt der Frauenanteil bei unter
10 Prozent. Den größten Teil hiervon stellen dann auch
noch die Arbeitnehmervertretungen. Die Vereinbarung
von 2001 zwischen der rot-grünen Bundesregierung und
den Arbeitgeberverbänden ist de facto gescheitert. Hier-
mit sollte die Chancengleichheit von Frauen und Män-
nern in der Privatwirtschaft gefördert werden. Passiert
ist leider nichts. Das müssen wir wirklich schmerzhaft
zur Kenntnis nehmen. Aber daraus lernen wir: Es ist Zeit
für verbindliche Regelungen nach einem festen Zeitplan.
Frau Ministerin Schröder hat ja von der Quote als
Brechstange gesprochen. Wenn wir das Wort schon ge-
brauchen wollen, kann ich nur sagen: Manch einer merkt
es vielleicht nicht ohne Brechstange. Wahrscheinlich ist
jetzt die Zeit der Brechstange da.
Doch Union und FDP setzen weiterhin auf ein lahmes
Pferd und halten unbeirrt an freiwilligen Selbstverpflich-
tungen fest. Der vorgesehene Stufenplan ist unverbind-
lich, beinhaltet keine festen Zeitvorgaben und sieht vor
allem auch keine Sanktionen vor. Das ist nur Säbelras-
seln mit stumpfen Waffen. Das spiegelt sich auch im An-
trag der Koalition zu diesem Tagesordnungspunkt wider.
Der Forderungsteil ist wachsweich und beinhaltet keine
konkreten Maßnahmen. Für einen Antrag einer Regie-
rungskoalition ist das wirklich peinlich; denn Sie sind
doch jetzt an der Regierung und könnten das umsetzen,
statt Prüfaufträge zu erteilen.
Bündnis 90/Die Grünen fordern dagegen eine gene-
relle Änderung des Aktiengesetzes. Wir wollen eine um-
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Das gebe ich natürlich zurück. Es gab jemanden, der
ieß Schröder, war männlich und hat sich in der Frauen-
nd Gleichstellungspolitik nicht mit Ruhm bekleckert.
Der Antrag der Linksfraktion spiegelt leider nur all-
emeine Forderungen wider. Es ist richtig, Mindestlöhne
nd auch Verbesserungen bei den Minijobs, also in den
nteren Bereichen, zu fordern. Da sind wir uns einig,
uch wenn gewisse Differenzen bleiben. Allerdings habe
ch in Ihrem Antrag Forderungen nach Veränderungen
uch in den Führungsetagen vermisst. So etwas hätte ich
ir gewünscht.
Dann machen Sie den anderen Antrag. Darauf warten
ir.
ch denke, wir müssen neben Absicherung in den unte-
en Etagen auch dafür sorgen, dass sich etwas in den
ührungsetagen ändert. Diese müssen endlich weibli-
her werden.
Die Diskriminierung von Frauen hat viele Verliererin-
en und Verlierer. Sie schadet den Unternehmen, der
irtschaft und unserer Demokratie. In einer Pressemit-
eilung des Deutschen Juristinnenbundes wurde das auf
en Punkt gebracht. Darin heißt es,
dass die Performance von Unternehmen, die Diver-
sity leben, um vieles besser ist. Daher liegt die Er-
höhung des Frauenanteils unmittelbar im Unterneh-
mensinteresse.
ir sollten es nicht länger hinnehmen, dass Bildungsin-
estitionen vergeudet werden, dass auf kreative Potenzi-
le verzichtet wird und die Chancen auf eine neue Dyna-
ik im Arbeitsmarkt verschlafen werden.
Zum Schluss noch ein kleiner Hinweis auf den Lohn-
nterschied, der, wie ja schon angesprochen wurde,
undesweit 23 Prozent beträgt. In Ostdeutschland ist
ieser Unterschied geringer. Ein Grund ist unter ande-
em, dass Männer dort weniger verdienen. Mir fallen
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2337
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Monika Lazar
auch bundesweit einige Männer in Führungspositionen
ein, die weniger verdient hätten. Vielleicht ist das ja auch
ein Weg.
Vielen Dank.
Nun erhält der Kollege Philipp Mißfelder für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal möchte ich mich bei unserer ei-
genen Fraktion, bei den Kolleginnen und Kollegen aus
der AG Familie, Senioren, Frauen und Jugend, beson-
ders bedanken,
dass ich als einziger Mann in dieser Debatte sprechen
darf.
Auch das zeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist.
Mein Kollege Gauweiler gab mir gerade noch mit auf
den Weg ich glaube, das macht den Kontrast zu unse-
rer Politik sehr deutlich ,
an die engagierten Feministen Schröder und Fischer
zu erinnern. Sie haben gerade Gerhard Schröder er-
wähnt; aber Joschka Fischer stand ihm, glaube ich, in
nichts nach.
Aufgrund der Bandbreite, in der wir in unserer Frak-
tion den Internationalen Frauentag sehen, möchten wir
deutlich machen, dass es uns nicht nur darum geht, dass
wir heute über die Mängel diskutieren, die sicherlich
auch in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Ich sage
nicht, dass all das, was Sie angesprochen haben, unbe-
rechtigt ist. Aber ich glaube, dass es an einem solchen
Tag bei einer Debatte zur Kernzeit ist es besonders
wichtig, dass wir breit darüber diskutieren auch wich-
tig ist, den internationalen Aspekt als außenpolitischer
Sprecher bin ich froh darüber, dass ich sprechen darf
in die Debatte hineinzubringen. Ich glaube, dass es einen
inneren Zusammenhang zwischen Emanzipation, der
Verwirklichung von Frauenrechten und der Implemen-
tierung des Friedens in der Gesellschaft gibt. Das ist der
Grund dafür, warum es heute nicht nur um die Frauen-
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Meine Damen und Herren, ich stimme Frau Kipping
u, wenn sie sagt, dass von der Frauenbewegung in den
ergangenen 100 Jahren sehr viel erkämpft worden ist.
an sollte sich einmal vor Augen führen: Wenn Clara
etkin vor fast genau 100 Jahren auf der Internationalen
rauenkonferenz in Kopenhagen die Einführung eines
rauentages gefordert hat, dann hat sie das nicht getan,
m einen Frauentag als Institution, als Selbstzweck zu
chaffen, sondern hat damit auch konkrete politische
orderungen und deren Umsetzung verbunden. Dank der
rauenbewegung und dank der Emanzipation in
eutschland sind auf diesem Gebiet über Jahrzehnte hin
rfolge zu verzeichnen. Deshalb möchte ich allen
rauen, die sich hierfür engagiert haben, herzlich dan-
en.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu sehen, wo
eutschland international Verantwortung trägt, wo wir
ns mit dem wichtigen Anliegen der Emanzipation, der
leichstellung einbringen können. Die UNO hat sich
or zehn Jahren mit der Resolution 1325 besonders für
ie Frauenrechte eingesetzt. Unsere Kollegin Müller, die
ürzlich mit unserem UN-Botschafter Wittig gesprochen
at, hat mich gerade darauf hingewiesen, dass Deutsch-
and zurzeit versucht, in der UNO an dieser Stelle neue
mpulse zu setzen, indem unser Botschafter dort eine be-
ondere Arbeitsgruppe leiten wird. Ich sage ganz klar,
ass sich unsere Außenpolitik auch an Werten orientie-
en muss. Ein ganz wichtiger Wert ist die Verwirkli-
hung der Rechte von Frauen und Mädchen. Wenn es da-
um geht, in der Welt internationale Verantwortung zu
eigen, dann ist das für uns ein ganz wichtiger Punkt.
Dieser Weg ist bei weitem noch nicht zu Ende. Aber
ch möchte auch auf die Erfolge hinweisen, die erreicht
orden sind. Ich nenne das Beispiel Afghanistan. Bevor
ie Taliban 1996 in Kabul einmarschiert sind und danach
en Besuch der Universität verboten haben, gab es knapp
0 000 Studenten, davon 40 Prozent Frauen. Während der
errschaft der Taliban gab es in Afghanistan keine ein-
ige Frau an den Universitäten. Wenn wir uns anschauen,
as sich in dieser Gesellschaft heute verändert hat, dann
ehen wir das ist ein ganz wichtiger Punkt , dass zu ei-
er Friedenspolitik und zum Aufbau einer Zivilgesell-
chaft selbstverständlich gehört, dass Frauen Zugang zu
niversitäten und zu Schulen überhaupt bekommen. Des-
alb ist es richtig, auch in dieser Debatte darauf hinzuwei-
en, dass von heute 34 000 Studierenden in Afghanistan
000 Frauen sind. Das ist noch zu wenig; das kann noch
ehr werden. Aber wir sind dort auf einem guten Weg.
2338 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Philipp Mißfelder
Im Auswärtigen Dienst der afghanischen Regierung be-
finden sich Frauen, zum Beispiel die Geschäftsträgerin
der afghanischen Botschaft, Frau Neda, hier in Berlin.
Ich habe sie in der großen Afghanistan-Debatte vor eini-
gen Wochen schon erwähnt.
Ich möchte auf andere Beispiele zu sprechen kom-
men. In fast allen großen Konflikten auf der Welt sind
Frauen und Kinder die Hauptopfer von Auseinander-
setzungen. Auch in unserem Antrag ist davon die Rede.
Nach UN-Angaben sind 75 Prozent der Opfer in Krisen-
gebieten Frauen und Kinder. Gerade vor diesem Hinter-
grund möchte ich das große Engagement von mutigen
Frauen herausheben. Es sind sehr häufig Frauen, die sich
für ihr eigenes Geschlecht sehr stark einsetzen, und dies
unter sehr schwierigen Bedingungen. Ich rede von
Kudakwashe Chitsike aus Simbabwe. Sie ist Anwältin
und engagiert sich für eine Menschenrechtsorganisation.
Sie unterstützt vor allem die Aufarbeitung der Untaten
von Robert Mugabe, der schätzungsweise 2 000 Frauen
es waren insgesamt viel mehr gezielt für ihre Tätig-
keit in der Opposition zur Rechenschaft gezogen hat,
und zwar auf brutalste Art und Weise: Sie wurden geprü-
gelt oder brutal vergewaltigt. Ich bin der Meinung, dass
es an einem solchen Tag zu einer solchen Debatte ge-
hört, dass wir neben Aufsichtsratsposten, Managergehäl-
tern und anderem auch darüber reden, dass andernorts
die Verhältnisse, in denen Frauen leben, wesentlich
schlechter sind. Deswegen wollen wir von hier aus dazu
aufrufen, dass diejenigen, die eine Verbesserung der Si-
tuation von Frauen verhindern, wie zum Beispiel Robert
Mugabe, für ihr Fehlverhalten und ihre schlimmen Ver-
brechen zur Rechenschaft gezogen werden.
Frau Chitsike hat ein Internetvideo produziert, das ich
Ihnen empfehle. Sie können es überall im Internet fin-
den. Es heißt Hear Us. Dort schildern vier Frauen auf
sehr bewegende Art und Weise ihre schlimmen Erleb-
nisse in diesem schrecklichen Konflikt.
Ich sehe, dass meine Redezeit leider schon vorbei ist,
aber ich möchte ein weiteres Beispiel nennen.
Da müssen Sie sich aber sehr beeilen, Herr Kollege
Mißfelder.
Im Iran gehen mutige Frauen gegen das Regime von
Ahmadinedschad auf die Straße und werden dafür bru-
talst zusammengeschlagen. Deshalb denke ich, dass es
wichtig ist, am heutigen Tag darauf hinzuweisen, dass es
in allen Krisenherden der Welt fast immer Frauen sind,
die als Erste mit den schlimmen Auswirkungen zu leben
haben. Deshalb möchte ich allen Frauen dieser Welt, die
an ihre Freiheit glauben und dafür kämpfen, für den Mut,
den sie aufbringen, danken.
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ch freue mich, dass sich auch in der CDU Männer vom
hema Gleichstellung angesprochen fühlen. Das sollte
ich dann aber auch im politischen Handeln, in den rich-
igen Konzepten niederschlagen. Da sieht es bei Ihnen
eider zappenduster aus, wie Sie auch heute wieder unter
eweis gestellt haben.
Der Equal Pay Day zeigt es schonungslos: Knapp drei
onate länger, nämlich bis zum 26. März 2010, müssten
rauen in Deutschland arbeiten, um das gleiche Einkom-
en zu erhalten, das Männer 2009 im Schnitt verdient
aben. Selbst bei gleicher Arbeit haben Frauen oft weni-
er in der Lohntüte als ihre männlichen Kollegen, und
as bei ausgezeichneten Bildungsabschlüssen. Schluss
amit!, sagte deshalb die damalige rot-grüne Bundesre-
ierung und setzte sich mit Vertretern der Wirtschaft zu-
ammen, um diesen unhaltbaren Zustand zu beenden.
Im ersten Schritt wurde eine freiwillige Vereinbarung
ur Durchsetzung gleicher Chancen für Männer und
rauen beschlossen. Leider ging diese in die Hose. Wir
aben gelernt: Freiwilligkeit hat ihre Grenzen. Aus die-
er Erfahrung heraus hatte Olaf Scholz im vergangenen
ahr als Arbeitsminister einen Gesetzentwurf zur Ver-
irklichung von Entgeltgleichheit vorgelegt. Lohndis-
riminierung würde damit aufgedeckt, und gleiche
öhne wären rechtlich durchsetzbar. Die Arbeitgeber
önnten sagen: In meinem Betrieb werden Frauen an-
tändig bezahlt. Leider, werte Kolleginnen und Kolle-
en von der CDU/CSU-Fraktion, haben Sie diese drin-
end notwendige Initiative eiskalt ausgebremst.
ie schreiben nun in Ihrem Antrag, den Sie gemeinsam
it der FDP vorlegen: Wir wollen auf die Beseitigung
er Entgeltungleichheit hinwirken. Um Himmels willen,
ann wirken Sie doch endlich!
ie sind doch an der Regierung. Haben Sie das noch
icht begriffen? Wo bleibt Ihr Gesetzentwurf? Der von
laf Scholz liegt übrigens noch im Ministerium in einer
chublade.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2339
)
)
Gabriele Hiller-Ohm
Eine Verbesserung der Situation der Frauen können
wir auch durch entsprechende Richtlinien für die Ver-
gabe öffentlicher Aufträge durchsetzen. Warum so
frage ich Sie vergeben wir öffentliche Aufträge nicht
nur an Unternehmen, die Frauen und Männer gleich ent-
lohnen? Wir fordern dies in unserem Antrag.
Niedriglöhne sind viel zu oft Frauenlöhne. Zwei
Drittel der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland
hängen in mies bezahlten Jobs fest, davon arbeiten
60 Prozent in Teilzeit oder Minijobs. Hier zeigt sich
ganz deutlich: Wir brauchen dringend einen gesetzlichen
Mindestlohn und eine Begrenzung der Minijobs.
Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind keine
Brücke in reguläre Beschäftigung. Das haben wir aus der
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gelernt.
Dumpinglöhne und unfaire Arbeitsbedingungen fin-
den wir auch im Bereich der Leiharbeit. Als wir hier im
Plenum über die XXL-Sauerei bei Schlecker diskutiert
haben, war die Arbeitsministerin von der Leyen sehr be-
troffen und hat Änderungen zugesagt. Wo, so frage ich,
bleiben die Vorschläge zur Verbesserung der Situation
der Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche?
Nicht einmal einen Branchenmindestlohn setzen Sie
durch. Außer Thesen nichts gewesen!
Wir fordern: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Stopfen
Sie endlich die Löcher im Gesetz!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP, durch die Verweigerung eines gesetzlichen Min-
destlohns bringen Sie viele Menschen in Armut. Für
den, der heute von Niedriglöhnen leben oder sogar mit
Arbeitslosengeld II aufstocken muss, ist Armut im Alter
vorprogrammiert. Sie, meine Damen und Herren von
CDU/CSU und FDP, wollen allen Ernstes die Altersar-
mut, die vor allem Frauen droht, mit Informations- und
Beratungsangeboten bekämpfen. Das ist ja geradezu lä-
cherlich. Realitätsferner geht es ja wohl nicht.
Ihr Verhalten und die Äußerungen von Minister
Westerwelle bestätigen: Das größte Armutsrisiko in
Deutschland ist Ihre Regierung.
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ondern geradewegs in die Sackgasse. Ich hoffe, die
eue Familienministerin Schröder, die auch Ministerin
ür Frauen ist, hat die Kraft, sich gegen die unsägliche
erdprämie der CSU durchzusetzen. Wir brauchen die-
es Geld dringend für gute Betreuungs- und Bildungsan-
ebote;
enn trotz großer Anstrengungen unter sozialdemokrati-
cher Regierung ist es nicht gelungen, die Betreuungssi-
uation in Deutschland so zu gestalten, dass Eltern arbei-
en gehen können, während ihre Kinder gut versorgt sind
nd gefördert werden. Diese wichtige Grundlage für die
ereinbarkeit von Beruf und Familie ist immer wieder
m Widerstand der schwarz-gelb regierten Bundesländer
escheitert.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak-
ionen, nutzen Sie die Mehrheiten und die Zeit, die Ihnen
och bleibt, und machen Sie Druck auf Ihre Ministerprä-
identen im Bundesrat, damit wir auch hier einen Schritt
orankommen!
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
lisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frak-
ion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Wir haben uns die Situation der Frauen in
eutschland heute unter sehr vielen verschiedenen As-
ekten vor Augen geführt. In den Anträgen wird dazu ei-
iges ausgeführt. Ich bin Philipp Mißfelder sehr dankbar
afür, dass er den internationalen Aspekt und den Zu-
ammenhang zwischen Emanzipation und Frieden schaf-
enden Maßnahmen bzw. gesellschaftlichen Verhältnis-
en plastisch dargestellt hat. Ich glaube, das ist ein ganz
ichtiger Zusammenhang. Das musste hier gerade aus
nlass des Internationalen Frauentages einmal gesagt
erden.
Nun ist Philipp nicht der Erste, der diesen Gedanken
ormuliert hat. Dazu gibt es auch eine Resolution der
ereinten Nationen, die Resolution 1325. In ihr wird ein
esserer Schutz von Frauen gefordert, gerade in kriegeri-
chen Auseinandersetzungen bzw. in Zeiten politischer
2340 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Umstürze, in denen Gewalt gegen Frauen ganz bewusst
als strategisches Mittel eingesetzt wird. Das müssen wir
ächten. In dieser Resolution wird dazu aufgefordert, die
Täter konsequent zur Verantwortung zu ziehen. In ihr
wird aber auch aufgezeigt, dass Frauen einen unverzicht-
baren konstruktiven Anteil leisten können und müssen,
wenn es darum geht, eine bessere zivile Gesellschaft
aufzubauen. Das ist genau das, was Ziel unseres Einsat-
zes ist.
Diese Resolution wird in diesem Jahr zehn Jahre alt.
Allein das ist Anlass genug, an diese Resolution zu erin-
nern. Ein noch besserer Anlass aber ist ihre Aktualität.
Wir sind dabei, das Afghanistan-Konzept neu auszurich-
ten. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, diese
Resolution in unser Afghanistan-Konzept einzubringen
und ihre Forderungen dort ganz konkret umzusetzen.
Wir sind aber auch aufgerufen, zu überlegen, was die
Situation von Frauen und Mädchen in unserem Land
konkret verbessern kann. Wir müssen die Mädchen hier
noch besser vor Gewalt schützen. Genitalverstümme-
lung und Zwangsverheiratung sind ganz wichtige The-
men. Beides sind massive Menschenrechtsverletzungen.
Wir müssen klarmachen, dass wir das nicht tolerieren.
Das ist kriminelles Unrecht; das lässt sich auch nicht mit
dem Hinweis auf andere Traditionen rechtfertigen. Das
muss strafrechtlich und auch ausländerrechtlich geahn-
det werden. Wir haben den besseren Schutz vor Zwangs-
verheiratung und vor allem einen besseren Opferschutz
im Koalitionsvertrag vorgesehen. Für beides, Genital-
verstümmelung und Zwangsverheiratung, liegen bereits
Gesetzentwürfe vor, die den Bundesrat passiert haben.
Sie werden demnächst bei uns auf der Agenda stehen.
Wir werden uns sehr genau ansehen, ob wir da Verbesse-
rungen erzielen können.
Nicht zuletzt auch das möchte ich erwähnen sieht
der Koalitionsvertrag eine Verbesserung der Situation
für die Opfer von Menschenhandel vor; dies betrifft in
der Mehrzahl Frauen. Es ist an der Zeit, dass das Über-
einkommen des Europarates zur Bekämpfung des Men-
schenhandels endlich auch bei uns ratifiziert wird.
Wir hoffen, dass das Vertragsgesetz in Kürze vorgelegt
wird.
Wir haben in Deutschland auch die im wahrsten Sinne
des Wortes hausgemachte Gewalt. 37 Prozent der Frauen
haben in einer Studie des Frauenministeriums angege-
ben, dass sie selbst schon mit körperlicher Gewalt kon-
frontiert gewesen sind. Dies ging durch alle soziologi-
schen Gruppen und Schichten, ob bildungsnah oder
bildungsfern. Für diese Frauen gibt es durchaus ein dif-
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Wir begrüßen es außerdem, dass die spanische Rats-
räsidentschaft das Thema häusliche Gewalt auf die
genda gesetzt hat. Wir werden an einer europäischen
chutzanordnung arbeiten, und wir werden dies zum
nlass nehmen, bei uns in der Praxis noch einmal ganz
onkret zu fragen, ob alle Rechte für die Behörden und
ie Eingreifmöglichkeiten vorhanden sind, um bei dro-
ender Gefahr das zu tun, was nötig ist, um Opfern auch
m häuslichen Bereich zu helfen.
Und der Frauenhausbericht; auf den warten auch wir
it Spannung.
Ich möchte noch einmal auf die ungenutzten Mög-
ichkeiten und Potenziale zurückkommen. Mir geht es
abei zum einen um die Chancen für Frauen, um Ge-
echtigkeit für Frauen, zum anderen aber auch darum, ob
ie Wirtschaft alle Potenziale nutzt oder Potenziale un-
enutzt liegen lässt. Wir sehen die Unterschiede bei den
ntgelten, die ungleiche Beteiligung in Bezug auf ein-
lussreiche Positionen in der Wirtschaft und die schlecht
bgesicherten Mini- und Midijobs. Die Analyse teilen
ir; die objektiven Zahlen sind vorhanden. In der Be-
ertung gibt es Parallelen, aber auch Unterschiede. Ich
in mir sicher, dass wir deutlich mehr Frauen im Ma-
agement unserer Unternehmen, gerade auch in den Vor-
tänden und Aufsichtsräten, brauchen,
m gerechte Chancen für Frauen zu sichern, aber auch
ls Chance für die Wirtschaft. Denn internationale Stu-
ien zeigen, dass Unternehmen, die mehr Frauen in den
ufsichtsräten haben, besser wirtschaften; sie kommen
esser durch diese Krise. Diese Chance wollen wir allen
nternehmen gönnen.
Der fast völlige Ausschluss von Frauen auf dieser
bene betrifft doch gerade die Unternehmen, deren kol-
ektive Fehlentscheidungen die Finanz- und Wirtschafts-
rise maßgeblich mit ausgelöst haben. Da sollte man
inmal die Frage nach Ursache und Wirkung stellen. Ich
enke, dass die jetzt nötigen Umstrukturierungen eine
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2341
)
)
Elisabeth Winkelmeier-Becker
gute Gelegenheit bieten, mehr Frauen in diese Positio-
nen zu bringen.
Die freiwillige Vereinbarung aus dem Jahr 2001 hat in
der Tat nichts gebracht.
Beispiele aus dem zivilisierten europäischen Ausland
zeigen, dass es auch im abendländischen Kulturkreis
möglich ist, über andere Wege nachzudenken, und dass
Quoten nicht den Untergang des Abendlandes bedeuten.
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag eine erste
Stufe beschrieben.
Es muss klar sein, dass dieser ersten Stufe weitere Stufen
folgen werden. Bei uns steht die Quote nicht im Mittel-
punkt. Aber es ist ganz klar, dass wir hier zu verbindli-
chen Zielvorgaben und zu verbindlichen Maßnahmen
kommen müssen. Es dürfen nicht wieder neun Jahre ver-
gehen, bevor wir die nächste Bilanz ziehen und uns an-
schauen, ob unsere Maßnahmen etwas gebracht haben.
Differenziert sehen wir die Teilzeitarbeit. Sie ent-
spricht in der Tat dem Wunsch vieler Frauen und auch
mancher Männer, die sie in Anspruch nehmen. Diese
Wahlfreiheit erkennen wir ausdrücklich an. Wir sind
nicht erst zufrieden, wenn alle Eltern, auch die kleiner
Kinder, sofort wieder Vollzeit arbeiten.
Wir wollen nicht, dass man sich rechtfertigen muss,
wenn man sich entscheidet, einen wesentlichen Teil des
Tages der Familie zu widmen.
Das kann verschiedene Gründe haben. Es kann pädago-
gische Gründe haben, es kann um Zeit für Pflege gehen,
es kann aber auch schlichtweg um ein Stück Lebensqua-
lität gehen, für das man die Nachteile, die damit verbun-
den sind, bewusst in Kauf nimmt.
Wir müssen zweierlei tun: Erstens müssen wir darauf
achten, dass diese Entscheidung wirklich freiwillig ge-
troffen wird. Da, wo es um strukturelle Nachteile geht,
die keine andere Wahl lassen, ist die Wahlfreiheit nicht
gewährleistet. Wir sind sicherlich alle der Meinung, dass
hier die Rahmenbedingungen verbessert werden müssen.
Zweitens müssen wir die unberechtigten Nachteile, die
sich aus Teilzeitarbeit ergeben, abbauen. Teilzeitarbeit
darf keinen Knick in der Karriere bedeuten. Man muss
auch dann noch Karrierechancen haben, wenn man sich
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ie können eine Brückenfunktion haben; dann haben sie
hre Berechtigung. Wenn wir aber ernsthaft über eine
usweitung und Dynamisierung von Minijobs diskutie-
en wollen, müssen wir zum Prüfkriterium machen, ob
ie für Frauen wirklich eine Brückenfunktion haben oder
b sie nicht doch eine Sackgasse sind.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktionen der CDU/CSU und der FDP auf Druck-
ache 17/901 mit dem Titel Internationaler Frauentag
leichstellung national und international durchsetzen.
er stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen?
er enthält sich? Damit ist der Antrag mit der Mehr-
eit der Stimmen des Hauses angenommen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 3 b bis 3 e.
nterfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 17/821, 17/891, 17/797 und 16/10500 an
ie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
chlagen. Die Vorlage auf Drucksache 17/797 soll feder-
ührend beim Rechtsausschuss beraten werden. Sind Sie
amit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall.
ann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
uf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Paritätische Finanzierung in der gesetzlichen
Krankenversicherung wiederherstellen
Drucksache 17/879
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Birgitt Bender, Markus Kurth, weiterer
2342 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Keine Zusatzbeiträge für Bezieherinnen und
Bezieher von Arbeitslosengeld II
Drucksache 17/674
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Lauterbach für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Ge-
sundheitspolitik der Regierungskoalition ist zurzeit eine
sehenswerte Mischung aus Stillstand in der Sache und
heftigem, hektischem Streit jeder gegen jeden zu be-
obachten. Der Streit ist so würzig, dass man als Opposi-
tionspartei kaum zu Wort kommt. Auch ich habe es in
diesen Tagen daher nicht leicht.
Kein noch so hässlicher Vorwurf gegen die Regierung
würde nicht auch von der Regierung selbst gegen die ei-
genen Kollegen öffentlich vorgetragen. So wirft Minister
Söder Minister Rösler völlig zu Recht vor, dass er umge-
hend Vorschläge zur Kostensenkung machen soll, statt
überflüssige Kommissionen mit in der Sache nicht kom-
petenten Kabinettskollegen zu organisieren. In der Berli-
ner Zeitung stellt er fest, dass der Pharmagipfel von
Herrn Rösler keine Ergebnisse gebracht hat. Nun ja, man
muss schon völlig neu im Geschäft sein, um zu glauben,
dass ausgerechnet die Pharmaindustrie mit Sparvor-
schlägen ins Ministerium spaziert.
Das ist uns in zehn Jahren nicht passiert und ich sage
Ihnen: Das wäre mir in Erinnerung geblieben.
Wir haben die Pharmaindustrie immer gemieden.
Auch hat Herr Söder natürlich recht, genauso wie sein
Chef Seehofer, dass die Kopfpauschale, die die FDP
einführen will, unsozial, ungerecht und unbezahlbar ist.
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elbst 75 Prozent der FPD-Wähler sind gegen diese
berwitzige Idee. Aber der Minister hält stur an dem
orschlag fest.
Mit Blick auf die NRW-Wahl kann ich nur sagen:
eiter so, Herr Rösler! Sie sind unser bester Wahlkämp-
er, neben Ministerpräsident Rüttgers, und für Sie müs-
en wir wenigstens nicht bezahlen. Wir bekommen Sie
ratis; wir müssen nicht 6 000 Euro auf den Tisch legen.
ngst vor dem Wähler kann man Ihnen, Herr Rösler,
icht zum Vorwurf machen.
Wenn die Regierung die Oppositionsarbeit so wir-
ungsvoll leistet, dann müssen wir als Opposition die
egierungsarbeit übernehmen
wir kommen Ihnen zu Hilfe, ja und konkrete Vor-
chläge zur Lösung der immer stärker drängenden Pro-
leme bringen. Heute will die SPD einen Vorschlag für
ie Finanzierung des Gesundheitssystems einbringen. Er
st das Gegenteil dessen, Herr Zöller, was Teile der
nion und die FDP planen.
Union und FDP haben sich zumindest in einem Punkt
eeinigt das ist die einzige Einigung, die ich sehen
ann : Sie wollen, dass die Arbeitgeber bei der Finan-
ierung des Gesundheitssystems entlastet werden. Das
edeutet natürlich im Umkehrschluss, dass die Arbeit-
ehmer zusätzlich belastet werden sollen, denn nur so
ann es ja gehen.
ber weshalb sollen die zusätzlichen Kosten im Gesund-
eitssystem gerade in der heutigen Zeit von den Arbeit-
ehmern und nicht von den Arbeitgebern bezahlt wer-
en? Weshalb sollen wir ausgerechnet in der heutigen
eit die Arbeitgeber entlasten? Welchen Sinn macht
as? Das will doch niemand. Weshalb sollen Ausbeuter-
irmen wie Schlecker und andere ausgerechnet bei den
esundheitskosten entlastet werden, und dies zulasten
er Bürger, Herr Singhammer? Das ist auch für die CSU
ine untragbare Position. Sie wollen nicht den Bürger
ntlasten, sondern die Arbeitgeber, und dies zulasten der
rbeitnehmer. Damit ist die Kritik von Herrn Seehofer
nd Herrn Söder in diesem Punkt ohne Wenn und Aber
erechtigt und richtig.
Herr Westerwelle, wenn Sie wirklich wollen, dass
ich die Arbeit für den Geringverdiener wieder lohnt,
ann setzen Sie die Pläne zur Kopfpauschale aus,
odurch Reiche entlastet und Geringverdiener belastet
ürden, und hetzen Sie nicht die Geringverdiener gegen
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2343
)
)
Dr. Karl Lauterbach
die Arbeitslosen auf. Fangen Sie bei der eigenen Ge-
sundheitsreform, die Sie vorhaben, an; denn das ist die
Reform, die die Geringverdiener am stärksten belasten
wird!
Herr Lanfermann, die FDP beschimpft den Staat als
teuren Schwächling, aber treibt gleichzeitig 20 Millio-
nen Leute als Bittsteller für einen Sozialausgleich zum
selben Staat, den sie bisher nicht nötig hatten.
Sehen Sie diesen Widerspruch nicht,
oder wollen Sie den Bürger verschaukeln?
Wir brauchen eine einfache, unbürokratische und ge-
rechte Finanzierung des Gesundheitssystems. Kurzfris-
tig schlägt die SPD daher vor, den Beitrag wieder paritä-
tisch zu erheben ohne kleine Kopfpauschalen, ohne
Sonderbeiträge , sodass sich auch die Arbeitgeber wie-
der zur Hälfte beteiligen.
Wenn die Löhne sinken oder stagnieren, ist es nicht ge-
recht, die steigenden Gesundheitskosten, wie Sie, meine
Kollegen von der Union und von der FDP, es für richtig
halten, allein dem Arbeitnehmer aufzubürden. Sie wol-
len keine Mindestlöhne, akzeptieren aber höhere Ge-
sundheitskosten für die Geringverdiener. Wir als SPD
wollen genau das Gegenteil.
Sie werden jetzt höhnen ich höre es schon , die
SPD verabschiede sich von alten Positionen.
Wissen Sie was? Damit haben Sie zum Teil sogar recht.
Wir sind es dem Bürger schuldig als SPD. Wir sind ein
lernfähiges System.
Sie wissen genau wie ich, dass die kleinen Kopfpauscha-
len, die Zusatzprämien, der SPD von der CDU/CSU aufs
Auge gedrückt worden sind.
Das ist die Wahrheit; stellen Sie sich doch nicht
dumm! Nur aus diesem Grunde, Herr Rösler, haben
Sie bisher noch nichts unternommen, um diese kleinen
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arin haben weder Ihre kleinen noch Ihre großen Kopf-
auschalen Platz.
Lassen Sie mich schließen mit der Ankündigung, dass
ie SPD Sie in den nächsten Wochen mit konkreten Ge-
etzentwürfen zur Senkung der Arzneimittelkosten un-
erstützen wird.
on der Regierungskoalition erwarten wir diesbezüglich
enauso wenig wie Herr Söder, nämlich nichts. Sie wer-
en nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen im
undesrat ohnedies auf unsere Hilfe und Zuarbeit ange-
iesen sein.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Max Straubinger ist der nächste Redner für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es
st schon bedeutsam, dass sich bei der Einbringung des
PD-Antrags der gesundheitspolitische Sprecher der
2344 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Max Straubinger
SPD zuerst beklagt hat, dass er nicht mehr wahrgenom-
men wird in der Öffentlichkeit.
Das zeigt, worum es letztendlich geht: Es geht um Wahl-
kampf. Die gesamte Rede war davon durchtränkt.
Nur, Herr Kollege Lauterbach, wenn Sie vom Bezah-
len reden: Ich glaube, Sie sind einer der bestbezahlten
Gesundheitspolitiker in diesem Plenum. Ihre Vorträge
mögen zwar umsonst sein; aber es gibt sie nicht um-
sonst.
Die Lenkung aus dem Rhön-Klinikum-Konzern direkt
spricht Bände, Herr Kollege Lauterbach. Das nur zu
dem, was Sie hier vorhin ausgeführt haben.
Schön ist, dass ich nicht feststellen kann, dass die
ehemalige Bundesgesundheitsministerin bei dieser De-
batte anwesend ist.
Ich kann das verstehen; denn dieser Antrag der SPD ist
eine knallharte Abrechnung mit der Gesundheitspolitik
von Ulla Schmidt.
Hier wird alles, was unter Rot-Grün und in der Großen
Koalition beschlossen worden ist, zur Disposition ge-
stellt und letztendlich eine rückwärtsgewandte Politik
eingeleitet.
Es ist bemerkenswert, dass von der SPD fünf Monate,
nachdem sie die Regierungsämter verloren hat, Vor-
schläge kommen, die von Bismarck kommen könnten.
Auf einmal soll der Zusatzbeitrag von 0,9 Prozentpunk-
ten, den Rot-Grün eingeführt hat, wieder abgeschafft
werden. Ich möchte zu bedenken geben, dass es für die
Einführung dieses Zusatzbeitrages gute Gründe gab. Zu-
dem liefern Sie natürlich keinen Vorschlag, wie dies fi-
nanziert werden soll.
Das Schönste ist, dass Sie den kassenindividuellen
Zusatzbeitrag, das Lieblingskind der ehemaligen Bun-
desgesundheitsministerin, ebenfalls abschaffen wollen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat hier im
Plenum ständig darauf hingewiesen,
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Nein, Frau Kollegin Ferner, das stört mich überhaupt
icht. Ich frage mich nur, ob Sie bei diesem Vorschlag
atsächlich richtig nachgedacht haben.
Ich habe den Eindruck, dass Sie das nicht getan haben.
ch habe in Ihrem Antrag gelesen, dass Sie einen Fi-
anzausgleich entsprechend der Morbidität einführen
ollen. Die Ausgabenentwicklung, in der sich die Mor-
idität letztendlich widergespiegelt, war bei der privaten
rankenversicherung in der Vergangenheit doppelt so
och wie bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich
eiß nicht, ob ein solcher Finanzausgleich in Ihrem ei-
enen Sinne ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen der
PD.
Dies wird noch dadurch untermauert, dass gerade bei
er privaten Krankenversicherung eine Überalterung des
ersichertenbestandes festzustellen ist. Deshalb kann bei
er Pflegeversicherung mittlerweile festgestellt wer-
en, dass die Zahl der Einstufungen in die Pflegestufe II
ei den Versicherten in der PKV prozentual gesehen hö-
er ist als bei den gesetzlich Krankenversicherten. Un-
erstützen Sie also mit die gute PKV! Das wäre ehren-
ert. Ich habe aber den Eindruck, Sie haben eigentlich
twas anderes im Sinn.
Schön ist auch, dass die Bundesregierung in diesem
ntrag aufgefordert wird, ein eigenes Konzept der Bür-
erversicherung vorzulegen.
ie Erarbeitung eines Konzepts der Bürgerversicherung
berlassen wir Ihnen.
iermit haben Sie in der Vergangenheit nicht unbedingt
ie besten Erfahrungen gemacht. Ich bin davon über-
eugt, dass sich die Leute darauf freuen, wenn sie auf
inseinnahmen, auf Mieteinnahmen und auf weitere au-
erordentliche Einkünfte Beiträge zahlen dürfen. Das ist
hre Angelegenheit; das sollten Sie den Bürgerinnen und
ürgern auch im nordrhein-westfälischen Wahlkampf
arlegen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2345
)
)
Max Straubinger
Ich stelle fest: Das ist eine Politik, die rückwärtsge-
wandt ist und mit der die Herausforderungen der Zu-
kunft in keiner Weise bewältigt werden.
Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Heil?
Ich kann dem Herrn Kollegen Heil den Wunsch nicht
verwehren.
Bitte schön.
Lieber geschätzter Herr Kollege Straubinger, ich habe
nur eine Frage: Hat Herr Söder mit seiner Kritik an der
Kopfpauschale, die Ihre Regierungskoalition plant,
recht oder nicht? Ja oder nein?
Die Regierung plant keine Kopfpauschale in diesem
Sinne. Wir sagen sehr deutlich ich komme später noch
darauf; aber ich bin dankbar, dass Sie dies hier anspre-
chen : Wir haben eine Regierungskommission einge-
setzt. Dies steht auch im Koalitionsvertrag.
Diese Regierungskommission wird sich mit den zukünf-
tigen Herausforderungen bei der Finanzierung eines ge-
rechten und auf Solidarität beruhenden Gesundheitssys-
tems auseinandersetzen. Im Gegensatz zu manchen, die
sich aus der Landespolitik dazu äußern, ist die CSU-
Landesgruppe bereit,
dies offensiv zu begleiten.
Herr Kollege Heil, für die Gesamtpartei CSU gilt: Die
CSU stand der Kopfpauschale in der Vergangenheit und
steht ihr auch in der Zukunft sehr kritisch gegenüber
ganz einfach.
Kollege Straubinger, auch Kollegin Hendricks würde
gern eine Frage stellen.
Ja.
Bitte sehr.
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um Beispiel als wir mit dem Wachstumsbeschleuni-
ungsgesetz die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts-
tandorts Deutschland gestärkt haben, was letztendlich
ie Grundlage dafür ist, dass in unserem Land Arbeits-
lätze entstehen. Arbeitsplätze sind die beste Grundlage
ür die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssys-
eme.
s ist mit entscheidend, dass die Wirtschaft wieder Kraft
ewinnt, damit mehr Arbeitsplätze entstehen und damit
iele Beitragszahler die gesetzlichen Sicherungssys-
eme, also die Renten-, die Kranken-, die Pflege- und die
rbeitslosenversicherung, tragen. Das ist das Primat der
olitik dieser Großen Koalition ,
dieser christlich-liberalen Koalition. Dafür legen wir
ie Grundlagen.
Diese Bundesregierung hat kurzfristig reagiert wir
erden es morgen im Sozialversicherungs-Stabilisie-
ungsgesetz und nächste Woche im Bundeshaushalt fest-
egen : Wir stehen den Versicherten mit einem Auf-
uchs der Steuerzuschüsse um 3,9 Milliarden Euro bei.
Frau Kollegin Ferner, wir machen es nicht wie in Zei-
en von Rot-Grün. Damals hieß es: Rauchen für die Ge-
undheit. Die Steuer auf Tabakerzeugnisse wurde ange-
oben; und schon ein Jahr später wurde von der
leichen, der rot-grünen Bundesregierung der Bundeszu-
chuss für die gesetzlichen Krankenversicherungen ge-
ürzt.
2346 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Max Straubinger
Wir sind für eine beständige und nachhaltige Finan-
zierung unseres Krankenversicherungssystems. Frau
Kollegin Bender hätte eine Zwischenfrage.
Ja, ich glaube es. Ich lasse sie aber nicht zu; denn
nach Ablauf der Redezeit kann ich nicht zur Verlänge-
rung derselben Zusatzfragen zulassen. Ich sage dies, ob-
wohl ich um die Großzügigkeit der Kollegen weiß, ge-
rade in solchen Fällen Zusatzfragen besonders gerne
zuzulassen. Also: Ein schöner Schlusssatz krönt die
Übung.
Diese christlich-liberale Regierung ist angetreten,
eine der demografischen Entwicklung angepasste, gene-
rationengerechte und solidarische Finanzierung des
Krankenversicherungssystems in der Zukunft zu ge-
währleisten, mit Bundesminister Rösler an der Spitze
und mit tatkräftiger Begleitung der Bundestagsfraktio-
nen von CDU/CSU und FDP.
Das Wort erhält nun der Kollege Harald Weinberg für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Straubinger hat natürlich in einem Punkt recht; an einer
Stelle war uns die Regierung in der Tat zu schnell: bei
der Entlastung der Hotels.
Der Antrag der SPD hat mich zugegebenerweise et-
was verwirrt. Früher galt die SPD als Partei, die sich für
soziale Gerechtigkeit einsetzt. Dann kam Schröder und
ab 2003 seine Agendapolitik. Diese Wende hat die Posi-
tionen der SPD verwechselbar mit denen der Union und
der FDP gemacht. Jetzt will die SPD Teile dessen, was
sie mit der Agendapolitik eingeführt hat, wieder ab-
schaffen.
Aufgrund der Agenda 2010 mussten sich die Kran-
kenversicherten mit Leistungskürzungen, höheren Zu-
zahlungen und der Einführung der Praxisgebühr abfin-
den. Die regierenden Parteien, SPD und Grüne, einigten
sich mit der Union auf das größte Kürzungsprogramm in
der Geschichte der Krankenversicherung. Zu dieser Poli-
tik gehörte auch die Entlastung der Arbeitgeber auf Kos-
ten der Beschäftigten durch den Sonderbeitrag von
0,9 Prozentpunkten. Die Linke war damals die einzige
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erwähnt mittlerweile in jedem Interview, dass alles nur
schrittweise eingeführt werden soll und deswegen gar
nicht so schlimm würde. Aber egal, ob Sie die Kopfpau-
schale sofort oder schrittweise in einer Salamitaktik ein-
führen wollen: Im Endergebnis bleibt sie unsozial und
unfinanzierbar.
Im Gegensatz zur FDP versteht die große Mehrheit
der Bevölkerung dies und will deshalb keine Kopfpau-
schale. Sogar über 70 Prozent der FDP-Anhänger lehnen
sie ab. Diesen FDP-Anhängern kann man eigentlich nur
raten, bei den nächsten Wahlen diejenigen zu wählen,
die ihre Interessen tatsächlich vertreten.
Ein weiterer Trick von Minister Rösler ist, die Verant-
wortung für sein aktuelles Nichthandeln der Vorgänger-
regierung und ihrem Gesundheitsfonds in die Schuhe zu
schieben. Um die Kopfpauschale scheibchenweise ein-
zuführen, sind ihm die Zusatzbeiträge sogar sehr will-
kommen. Rösler gibt zwar vor, mit den Versicherten mit-
zuleiden, wenn jetzt eine Kasse nach der anderen
Zusatzbeiträge einführen muss.
Es läge jedoch in seiner Macht, diese Zusatzbeiträge zu
verhindern. Er müsste nur die Vorschläge der Linken zur
Finanzierung der Sozialversicherungssysteme aufgrei-
fen, die morgen hier debattiert werden.
Der FDP-Minister zieht es aber vor, sich einfach zu-
rückzulehnen und zuzuschauen, wie durch die Zusatz-
beiträge sein Herzenswunsch teilweise zur harten Reali-
tät wird: Zusatzbeiträge sind nichts anderes als kleine
Kopfpauschalen. Rösler hat schon vor gut drei Wochen
im Weser-Kurier durchblicken lassen, dass er den Aus-
bau der Zusatzbeiträge für eine Möglichkeit hält, die
Kopfpauschale ohne großen gesetzgeberischen Aufwand
einzuführen. Genau deswegen müssen die Zusatzbei-
träge weg.
Um eine weitere Nebelbombe zu werfen, ruft die
Bundesregierung nun fast unisono nach dem Kartellamt,
das die Krankenkassen kontrollieren soll, wenn sie Zu-
satzbeiträge einführen. Das ist populär, bringt aber über-
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ier wird nämlich tatsächlich ein Monopol zum Schaden
er Demokratie ausgenutzt.
Zurück zur Kopfpauschale und zu den Zusatzbeiträ-
en. Nun wurde eine Regierungskommission zur Kopf-
auschale einberufen, deren alleiniger Zweck es ist, die
ffentlichkeit zu täuschen. Diese Kommission kann
ichts Neues mehr herausfinden. Seit vielen Jahren wird
onstop öffentlich über die Kopfpauschale debattiert.
gal welche Modelle im Detail ersonnen wurden, immer
ehen diese Modelle vor, dass die Geringverdienenden
raufzahlen, damit die Wohlhabenden weniger in die
rankenkassen zahlen. Das wollen die Menschen nicht.
er ganze Terminplan dieser Verschleierungskommis-
ion ist darauf aus, die Wählerinnen und Wähler bis zur
ahl in Nordrhein-Westfalen über die wahren Absichten
er Regierung im Unklaren zu lassen;
enn diese Wahl ist auch eine Abstimmung über die
opfpauschale. Wenn Schwarz-Gelb in Nordrhein-
estfalen keine Mehrheit bekommt, hat Schwarz-Gelb
uch im Bundesrat die Mehrheit verloren. Dann kann die
opfpauschale nicht durchgesetzt werden.
er also mit seiner Stimme die Kopfpauschale verhin-
ern will, darf in Nordrhein-Westfalen nicht CDU oder
DP wählen.
Die kann man in Nordrhein-Westfalen zum Glück
icht wählen.
Zum Schluss ein Ausflug in die Geschichte. Kopfpau-
chalen waren noch nie beliebt. Als 1380 der englische
önig Richard II. Krieg gegen Frankreich führte, ging
hm das Geld aus. Er schuf eine Kopfsteuer und ver-
angte von jedem, egal ob armer Bauer oder wohlhaben-
er Händler, den gleichen Betrag.
2348 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Harald Weinberg
Ergebnis war die Peasants Revolt, ein gewaltsamer
Aufstand der Bauern, die sich dies nicht bieten lassen
wollten. Aber auch aus der jüngeren Vergangenheit gibt
es ein Beispiel, wieder aus England. Ende der 80er-Jahre
ersetzte Margaret Thatcher eine vermögensabhängige
Steuer durch eine Kopfsteuer. Millionenfach weigerten
sich die Menschen, diese Steuer zu zahlen. Es gab ge-
walttätige Proteste. Die eiserne Lady musste zurück-
treten und ihr Nachfolger John Major die Kopfsteuer
wieder abschaffen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist nicht so, dass
Sie, Herr Rösler, mein Wunschminister sind. Wenn Sie
aber länger im Amt bleiben wollen, ist Ihnen dringend
zu raten, auf solche Kopfpauschalenabenteuer zu ver-
zichten und endlich auch gegen die kleine Variante der
Kopfpauschale, die Zusatzbeiträge, vorzugehen.
Vielen Dank.
Die nächste Rednerin ist Ulrike Flach für die Fraktion
der FDP.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Weinberg, das trifft auf Sie genauso wie auf
Herrn Lauterbach zu: Wenn Sie hier von der Kopfpau-
schale reden, verschwenden Sie Ihre Redezeit. Diese Re-
gierung plant keine Kopfpauschale.
Ich kann Ihnen genau sagen, warum wir sie nicht wollen.
Sie ist eben nicht sozial ausgeglichen
und erfüllt nicht die Grundvoraussetzungen, die nach un-
serer Meinung für eine Gesundheitsreform gelten soll-
ten. Wir wollen eine einkommensunabhängige Ge-
sundheitsprämie plus Sozialausgleich.
Das kann man nicht oft genug sagen.
Lieber Herr Lauterbach, ich war heute optimistisch
hierhergekommen und hatte gedacht, dass Sie das getan
haben, was Sie uns versprochen haben, nämlich einen
durchgerechneten Antrag zu Ihrer Bürgerversicherung
vorzulegen.
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ie tun in Ihrem vorliegenden Antrag so, als hätten in
en letzten elf Jahren nicht Sie, sondern wir regiert. Die
usatzbeiträge sind aber nicht das Ergebnis einer von Ih-
en behaupteten Untätigkeit des Ministers Rösler, son-
ern das Ergebnis der Tätigkeit von Ulla Schmidt.
o einfach ist das.
s ist Ihr Gesetz. Es ist Ihr Gesundheitsfonds.
Frau Flach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
egen Oppermann?
Aber natürlich.
Frau Kollegin Flach, Sie reden hier für die FDP-Bun-
estagsfraktion. Können Sie uns mal erklären, warum
undesgesundheitsminister Rösler in dieser Debatte
icht das Wort ergreift? Hat er uns in dieser Diskussion
ichts zu sagen, oder müssen Sie ihn verstecken?
Lieber Kollege Oppermann, ich kenne und schätze
ie seit vielen Jahren als konstruktiven Gegner. Aber
ich hier zur Nanny von Herrn Rösler zu machen, ist si-
herlich völlig neben der Kappe.
ch möchte Sie darauf hinweisen, dass unsere Fraktion
chon Leute hat, die reden können. Herr Lanfermann
nd ich machen das heute.
s spricht heute auch nicht Ihr Fraktionsvorsitzender. Es
ätte mich gefreut, wenn wir Herrn Steinmeier dazu ge-
ört hätten.
nabhängig davon darf ich Ihnen mit großer Freude be-
ichten, dass in der nächsten Haushaltswoche selbstver-
tändlich Herr Rösler sprechen wird. Freuen Sie sich da-
auf!
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2349
)
)
Ulrike Flach
Also, es ist Ihr Gesetz, es ist Ihr Gesundheitsfonds,
und es sind natürlich auch Ihre Zusatzbeiträge.
Sie haben die Möglichkeit für die Krankenkassen ge-
schaffen, 8 Euro mehr zu nehmen, eine Regelung, die
Sie mit einer Überforderungsklausel versehen haben.
Lieber Herr Lauterbach, wir beide sind doch lange ge-
nug im Geschäft. Wenn Sie mit der Regelung so unzu-
frieden waren, warum haben Sie die Koalition nicht ver-
lassen?
Wer etwas als unsozial empfindet und das nicht will,
hätte das tun sollen. Das hätte ich von Ihnen erwartet.
Dann wäre das, was Sie uns jetzt erzählen, ehrlich.
Ich habe gestern in alten Protokollen des Gesund-
heitsausschusses nachgeschaut. Darin preisen Sie den
Gesundheitsfonds, den Sie jetzt angreifen,
weil er die Solidarität und den Wettbewerb zum Wohle
des Patienten stärke.
Jetzt frage ich mich: Was ist denn daraus geworden? Ha-
ben Sie das vergessen? Sie sind damals mit diesem Ge-
setz zum Wohle des Patienten auf den Markt gegangen,
und heute versuchen Sie, dem Patienten klarzumachen,
dass das alles nicht mehr wahr sei. Das ist politische
Amnesie, Vergesslichkeit in hohem Grade. Etwas ande-
res ist das nicht.
Das Gleiche gilt übrigens für die Entkoppelung der
Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sie
sind damals zusammen mit den Grünen den ersten
Schritt gegangen. Sie haben jetzt also eine Kampagne
gestartet, die sich gegen alles richtet, was Sie uns in den
letzten elf Jahren auf den Tisch gelegt haben.
Eigentlich müsste die Kampagne Nein zu den Auswir-
kungen der SPD-Gesundheitspolitik! heißen; dann wäre
sie nämlich ehrlich.
Sie kritisieren uns in diesen Tagen in Ihrer Kampagne
und auch in Ihrem Antrag für angebliche Geschenke für
die Ärzte. Jetzt frage ich mich: Wer hat denn die beson-
deren Arzthonorarsteigerungen des letzten Jahres zu
verantworten? Doch nicht die FDP oder Herr Rösler.
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nd es waren Ihre fehlgeschlagenen Versuche einer
leichzeitigen Kostendämpfung.
Frau Flach, der Kollege Lauterbach würde Ihnen
erne eine Zwischenfrage stellen.
Aber natürlich.
Frau Flach, Sie kritisieren, dass wir in der letzten Le-
islaturperiode die Arzthonorare, also auch die Honorare
ür Fachärzte und Hausärzte, angehoben haben. Verstehe
ch Sie richtig, dass Sie diese Anhebung für falsch halten
nd daher die Arzthonorare wieder kürzen wollen?
Lieber Herr Lauterbach, ich kritisiere nicht, dass Sie
afür gesorgt haben, dass auch Ärzte in diesem Lande
as bekommen, was sie verdienen, und zwar leistungs-
erecht und ordentlich.
ch kritisiere aber Sie, lieber Herr Lauterbach, weil Sie
o tun, als ob Sie das nicht selbst auf den Weg gebracht
ätten.
ie versuchen, uns etwas in die Schuhe zu schieben, was
u der Zeit geschah, als wir noch auf den Oppositions-
änken saßen. Das nenne ich noch einmal politische
ergesslichkeit.
Jetzt kommen Sie mit einem Gegenmodell, von dem
ch gehofft hätte, dass wir heute ordentlich darüber reden
önnen: die Bürgerversicherung. Sie sollten den Leuten
uch sagen, dass der Großmutter, die für ihren Enkel ein
parkonto angelegt hat und deren Zinseinkünfte dann für
ie Finanzierung der Kassen herangezogen werden, eine
usätzliche Belastung ins Haus steht.
2350 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Ulrike Flach
Sie sollten das auch der Familie sagen, die in ihrem
Hause eine Einliegerwohnung vermietet und deren Miet-
einnahmen mitberechnet werden. All dies verschweigen
Sie den Leuten. Sie tun mit Ihrer Kampagne so, als ob in
diesem Land nur Menschen lebten, die sich an nichts
mehr erinnern können.
Frau Flach, möchten Sie noch eine letzte Zwischen-
frage des Kollegen Weinberg von der Linksfraktion zu-
lassen?
Aber sicher, Herr Weinberg.
Reden Sie doch nicht dauernd dazwischen.
Frau Kollegin Flach, meine Frage lautet ganz simpel:
Haben Sie schon einmal von Freibeträgen im Zusam-
menhang mit Zins- und Kapitaleinkünften gehört?
Lieber Herr Weinberg, selbstverständlich habe ich
von Freibeträgen gehört, aber ehrlich gesagt können wir
heute über Freibeträge überhaupt nicht reden, weil Herr
Lauterbach sein Versprechen nicht gehalten hat. Läge
uns ein durchgerechnetes Modell vor, dann könnten wir
über Freibeträge reden. Wir tun das gerne. Aber jetzt
sind wir noch nicht so weit. Insofern sind wir beide in
dieser Frage unwissend, weil Herr Lauterbach uns un-
wissend gelassen hat.
Meine lieben Kollegen, wir haben in diesen Tagen
eine Kommission eingesetzt, die dazu beitragen wird,
dass wir dieses Gesundheitssystem auf wirklich stabile
finanzielle Füße stellen werden.
Wir werden es demografiefest machen. Wir werden in
den nächsten Tagen die Ausgabenseite angehen. Sie
können sicher sein, dass wir am Ende dieser vier Jahre
eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht haben,
mit der zumindest die eine Seite dieses Hauses und die
Menschen in diesem Lande äußerst zufrieden sein wer-
den. Das ist das Wichtigste.
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Die nächste Rednerin ist Biggi Bender für die Frak-
ion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ist
igentlich mit der CSU los?
st das wichtig? Ja, Herr Kollege Zöller, es ist wichtig,
as mit der CSU los ist, wenn einem der Zustand des öf-
entlichen Gesundheitswesens am Herzen liegt.
Der Kollege Straubinger hat vorhin vorgeführt, dass
n der CSU etliche ein schlechtes Gedächtnis haben. Sie
aben uns vorgehalten, den Steuerzuschuss an die ge-
etzliche Krankenversicherung gekürzt zu haben. Es
st genau umgekehrt: Rot-Grün hat ihn aufwachsend ein-
eführt. Es war die erste Amtshandlung der Großen
oalition, Herr Straubinger, mit der dieser Steuerzu-
chuss auch mit Ihrer Stimme wieder heruntergesetzt
urde.
Genauso ist es mit dem Koalitionsvertrag. Da hat
err Seehofer einen Vertrag unterschrieben, in dem die
ede von einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbei-
rägen ist, also von Kopfpauschalen,
ie man langfristig in das bestehende Ausgleichssystem
berführen wolle. Herr Lanfermann, eigentlich sollten
ie sich mit der CSU direkt streiten. Jetzt weiß Herr
eehofer nichts mehr davon. Seehofer und Söder ziehen
u Felde und sagen: Die Kommission muss erst gar nicht
rbeiten, die ist mit ihrer Arbeit ganz schnell fertig.
araufhin keilt der Landesgruppenvorsitzende zurück.
as wiederum garantiert dem Herrn Söder das nächste
nterview.
Das alles hat einen hohen Unterhaltungswert. Man
önnte geneigt sein zu sagen: Ist doch schön, wenn die
SU das Geschäft der Opposition gleich mit besorgt.
ann sind wir entlastet.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2351
)
)
Birgitt Bender
Ich fürchte nur, Herr Kollege Zöller, es ist eben nicht so.
Dieser Widerstand ist inszeniert.
So wie zu jedem Komödienstadl eine ordentliche Wirts-
hausschlägerei gehört, so ist auch diese Auseinanderset-
zung nichts anderes als Theaterdonner.
Schauen wir uns mal an, worin Sie sich einig sind. Sie
sind sich doch völlig einig das stellt überhaupt nie-
mand infrage , dass Sie den Arbeitgeberbeitrag ein-
frieren wollen. Jetzt gucken wir einmal auf die Kosten-
steigerungen der letzten Jahre in der gesetzlichen
Krankenversicherung zurück. In den letzten 20 Jahren
sind die Beiträge in der GKV um 2,5 Prozentpunkte ge-
stiegen. Das würde für einen durchschnittlich verdienen-
den Menschen, der das in dieser Zeit alleine ohne den
Arbeitgeberanteil tragen müsste, bedeuten, dass er heute
30 Euro mehr im Monat zahlen müsste. Für einen Men-
schen, der nahe an der Beitragsbemessungsgrenze ver-
dient, wären das 45 Euro mehr im Monat.
Sie glauben doch wohl nicht, dass in den nächsten
Jahren angesichts der demografischen Entwicklung und
des medizinischen Fortschritts die Gesundheitskosten
nicht mehr ansteigen werden. Also bedeutet das Einfrie-
ren des Arbeitgeberbeitrages, dass das die Versicherten
teuer zu stehen kommt. Diese werden einseitig belastet.
Dagegen haben die Bayern nicht das Geringste einzu-
wenden.
Hier geht es doch nur darum, dass sich die CSU als
das inszeniert, was sie eigentlich ist, nämlich eine baye-
rische Regionalpartei mit bayerischen Sonderinteressen.
Da geht es nämlich um das, was Herr Söder regionale
Differenzierungsmöglichkeiten nennt. Auf Deutsch: Es
soll mehr Geld nach Bayern kommen, damit die CSU
ihre teuren Wahlversprechen gegenüber der bayerischen
Ärzteschaft finanzieren kann.
Das ist doch der Casus knacktus. Das ist gar keine
gute Nachricht.
Spätestens seit der Kollege Kauder sich für die CDU
an die Seite des Bundesgesundheitsministers gestellt hat,
wissen wir doch, dass Sie im Grundsatz bereit sind, die-
ses Kopfpauschalenmodell einzuführen.
Schließlich, Herr Kollege Spahn, steht das auch im
Grundsatzprogramm der CDU aus dem Dezember 2007.
Da heißt es, die einkommensabhängigen Beiträge sollen
durch Prämienelemente
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Es ist also folgendermaßen: Erstens sind CDU und
DP sich darin einig, die Kopfpauschale einzuführen.
erhandeln werden sie über das Reformtempo; das ist
hre Intention.
Zweitens. Wer darauf hofft, dass die CSU die Kopf-
auschale verhindert, wird bitter enttäuscht sein. Denn
hr geht es nur darum, die Klientel im eigenen Bundes-
and zu bedienen.
Drittens. Wer die Kopfpauschale nicht will und die
rünen wollen sie nicht ,
er darf hinsichtlich der Zusatzbeiträge nicht schwei-
en. Denn die Zusatzbeiträge sind der Türöffner für die-
es Prämiensystem.
s gibt doch zu denken, dass es bereits Forderungen aus
er CDU gibt, die Belastungsgrenze von 1 Prozent bei
en Zusatzbeiträgen an- oder gleich aufzuheben.
Vor diesem Hintergrund freue ich mich, dass die SPD
euerdings auch gegen Zusatzbeiträge ist. Sie wird aller-
ings ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem haben,
enn immerhin ist das entsprechende Gesetz von der
roßen Koalition verabschiedet worden.
Zusatzbeiträge sind für alle Versicherten eine Belas-
ung, und zwar eine einseitige. Deswegen lehnen wir sie
b. Aber es gibt eine Gruppe von Menschen, für die
iese Zusatzbeiträge nicht nur eine Belastung, sondern
ereits heute eine soziale Bedrohung sind. Ich rede von
en Hartz-IV-Empfängern. Sie müssen die Zusatzbei-
räge aufgrund der Gesetzeslage nämlich aus eigener Ta-
che bezahlen.
Gerade erst gab es eine Entscheidung des Bundesver-
assungsgerichts, mit der der Politik ins Stammbuch ge-
chrieben wurde, dass aus dem Grundsatz der Achtung
er Menschenwürde ein Recht auf Existenzsicherung
olgt und dass zwar ein monatlicher Festbetrag ausge-
iesen werden kann, aber unabweisbare zusätzliche Be-
arfe auch zusätzlich finanziert werden müssen.
2352 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Birgitt Bender
Die einzige Alternative zur Zahlung eines Zusatzbei-
trages ist für einen Menschen, der ALG II bezieht, Kran-
kenkassenhopping,
und zwar so lange, bis es keine Kasse mehr gibt, die ei-
nen Zusatzbeitrag erhebt. Das war bisher in allen Ant-
worten auf unsere parlamentarischen Initiativen die
Empfehlung der letzten wie der jetzigen Regierung.
Meine Damen und Herren, das darf doch wohl nicht
wahr sein!
Wir wollen, dass der Zusatzbeitrag, solange es ihn
gibt, genauso behandelt wird wie der Krankenkassenbei-
trag selbst, der ja von den Jobcentern übernommen wird.
Wir wollen ALG-II-Empfänger nicht zwingen, die Kran-
kenkasse in einem Hase-und-Igel-Spiel ständig zu wech-
seln.
Wenn man den Presseberichten der letzten Tage glau-
ben darf, dann soll es jetzt eine Liste von Ausnahmen
geben, in denen das Jobcenter den Zusatzbeitrag viel-
leicht doch übernimmt, zum Beispiel wenn jemand
schon eine Zahnbehandlung beantragt hat oder derglei-
chen.
Es geht jedoch gerade nicht darum, dass Menschen, die
von Hartz IV leben, Einzelverhandlungen mit dem Amt
führen müssen, sondern es geht um eine generelle Rege-
lung, nach der diese Zusatzbeiträge übernommen wer-
den.
Da sollten Sie wirklich in sich gehen. Anders lässt sich
das ohnehin nicht halten. Ich verspreche Ihnen für die
Grünen, dass wir gegen die Zusatzbeiträge als Türöffner
für das Prämiensystem
kämpfen werden. Bei uns ist das kein Theaterdonner,
Herr Zöller!
Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Jens
Spahn.
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enn die Substanz Ihres Antrags ist mehr als überschau-
ar.
Die eigentliche Aussage Ihres Antrages ist, dass Sie
ich von elf Jahren Regierungspolitik verabschieden und
it der Arbeit der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
brechnen,
ls schämten Sie sich dessen, was wir auch zum Teil ge-
einsam beschlossen haben. Sie fallen zurück auf den
tand von vor 1998, in den Populismus, den Sie in den
0er- und 90er-Jahren an den Tag gelegt haben. Das
ringt Sie vielleicht näher zu den Linken; aber das bringt
ie nicht näher zur Regierungsbeteiligung in diesem
and, und das ist auch richtig so.
Sie wollen zurücknehmen, dass der Arbeitnehmer ei-
en Beitrag von 0,9 Prozent allein tragen muss.
as ist im Übrigen etwas, was unter der rot-grünen Bun-
esregierung in diesem Land eingeführt worden ist. Ich
arf einmal zitieren, was Frau Ministerin Schmidt 2003
esagt hat ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich
inisterin Schmidt gleich mehrfach in einer Rede zitiere;
ber es scheint nötig zu sein, um Sie an das zu erinnern,
as auch Sie einmal für richtig gehalten haben : Ziel
st es, die Lohnnebenkosten zu senken. Die Alternative
äre gewesen, die Zuzahlungen weiter zu erhöhen. Wer
ie Lohnzusatzkosten senken will, um die Rahmenbedin-
ungen für Wachstum und Arbeitsplätze zu verbessern,
uss die paritätisch finanzierten Ausgaben verringern.
as sagte Ulla Schmidt 2003. Was gilt denn nun? Das,
as die ehemalige Gesundheitsministerin gesagt hat,
der das, was Karl Lauterbach heute erzählt? Diese Frage
üssen Sie uns einmal beantworten, liebe Kolleginnen
nd Kollegen von der SPD.
Ich möchte ein zweites Thema behandeln es ist ge-
ade schon angesprochen worden : Sie wollen den Ge-
undheitsfonds wieder abschaffen. Wir haben gemein-
am für den Gesundheitsfonds gekämpft und ihn auch
urchgesetzt.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2353
)
)
Jens Spahn
Natürlich. Lesen Sie einmal genau, was in Ihrem An-
trag steht. Wir haben gesagt: Das, was sich mit der
Einführung des Gesundheitsfonds ändert, ist, dass sich
die Einnahmen der Krankenkassen nicht mehr nach der
Einkommensstruktur ihrer Versicherten richten, sondern
nach der Risiko-, also der Krankheitsstruktur ihrer Versi-
cherten.
Das haben wir gemeinsam mit der Einführung des Ge-
sundheitsfonds beschlossen. Das stellen Sie jetzt wieder
infrage.
Ich möchte gerne einmal hören, wie Sie das insbeson-
dere den chronisch Kranken in diesem Land erklären
wollen.
Ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen, Frau Kolle-
gin Ferner.
Ich komme auf einen dritten Punkt zu sprechen er
ist ebenfalls schon angesprochen worden : Sie wollen
die Zusatzbeiträge wieder abschaffen, die wir ich muss
es noch einmal sagen; ich kann es gar nicht oft genug
wiederholen gemeinsam in der Großen Koalition be-
schlossen haben.
Stellen Sie Ihr Lichtlein doch nicht so sehr unter den
Scheffel, als wenn Sie in der Großen Koalition irgendet-
was hätten machen müssen. Sie haben oft genug den Bo-
ckigen gespielt und Dinge nicht mitgemacht.
Da muss man die Frage stellen, warum Sie an dieser
Stelle mitgemacht haben. Sie haben bei diesen Zusatz-
beiträgen zugestimmt. Wenn man das tut, dann vertritt
man das auch gemeinsam politisch nach außen. Das ist
zumindest mein Verständnis von politischer Rechtschaf-
fenheit an dieser Stelle.
Stichwort Zusatzbeitrag von 8 Euro. Schauen wir
einmal, wie es früher war: Jemand mit einem Bruttoein-
kommen von 1 000 Euro musste früher bis zu 32 Euro
im Monat mehr als andere zahlen; denn es gab Kranken-
kassen mit einem Beitragssatz von 13,5 Prozent und an-
dere mit einem Beitragssatz von 16,7 Prozent. Bei einem
Bruttoeinkommen von 3 000 Euro konnte der Unter-
schied bis zu 96 Euro im Monat betragen. Es hat nie-
manden in diesem Land, im Übrigen auch nicht die Grü-
nen, gestört, dass man bei der AOK Berlin im Monat
viel mehr zahlen musste, als man bei anderen Kassen
zahlen musste. Dennoch rufen Sie heute bei einem Un-
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2354 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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)
Jens Spahn
Bei den Forderungen der Kollegen von der SPD han-
delt es sich nicht um einen Lernprozess, sondern damit
geben sie ihrer Sehnsucht nach der guten alten Opposi-
tionszeit in den 80er-Jahren mit der entsprechenden Rhe-
torik Ausdruck. Es handelt sich um den Versuch, über
populistische Politik vielleicht etwas mehr Prozent-
punkte als bei der letzten Bundestagswahl zu erreichen.
Das ist doch der einzige Grund für die Debatte, die wir
an dieser Stelle führen.
Herr Spahn, jetzt gäbe es eine Zwischenfrage von
Herrn Lauterbach.
Bitte schön.
Bitte schön.
Herr Spahn, leuchtet Ihnen denn das Argument nicht
ein, dass wir es deswegen, weil die Löhne verfallen Sie
tun ja nichts zur Einführung von Mindestlöhnen , für
falsch halten, ausgerechnet die Arbeitgeber von den stei-
genden Belastungen durch die Gesundheitskosten auszu-
nehmen? Das ist doch eine Begründung. Die Situation
ist doch anders als 2003, als es die Finanzkrise noch
nicht gab
und die Löhne noch höher waren. Damals brauchten wir
im Gegensatz zu heute, wo Sie das blockieren, keine
Mindestlöhne. Das müssen Sie doch zumindest als Ar-
gument verstehen, auch wenn Sie es nicht nachvollzie-
hen oder mittragen.
Zum Ersten ist zu sagen: Dieses Argument hört man
in dieser Debatte zum ersten Mal. In Ihrem Antrag findet
es sich nicht.
Sie sollten vielleicht einmal ein wenig über die Inhalte
Ihrer Anträge diskutieren.
Zum Zweiten bleibe ich dabei das ist unsere politi-
sche Auffassung , dass das, was 2003 richtig war,
gerade jetzt in Zeiten der Krise richtig ist, nämlich die
Begrenzung von Lohnnebenkosten. Wenn diese die Ar-
beit in Deutschland noch teurer machen, befördert das
im Zweifel die Flucht in die Schwarzarbeit. Somit ist
dieses Vorgehen in der Krise noch viel richtiger, als es
2003 war. Auch um diese Frage geht es an dieser Stelle.
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Wir haben zudem im Zusammenhang mit den Zusatz-
eiträgen immer gesagt auch hier möchte ich noch ein-
al ein Zitat bringen :
Deshalb können sich die Versicherten entscheiden,
ob ihnen ihre Kasse einen Zusatzbeitrag wert ist
oder ob sie in eine andere Kasse wechseln, in der
sie keinen Zusatzbeitrag zahlen müssen. So funk-
tioniert das. Ich glaube, das ist notwendig, damit
von den Versicherten Druck auf die Kassen ausge-
übt wird, vernünftig mit den Geldern umzugehen.
itat von Ulla Schmidt in diesem schönen Hause bei der
ebatte um die Einführung von Zusatzbeiträgen!
Auch mit diesem Argument müssen Sie sich inhalt-
ich auseinandersetzen, statt die Uhr einfach nur zurück-
udrehen. Jetzt gibt es nämlich eine bessere Preistrans-
arenz für die Versicherten. Die Versicherten müssen
icht mehr wie ehedem per Dreisatz mühsam errechnen,
elche unterschiedlichen Kostenstrukturen sich in den
eitragssätzen der Krankenkassen verstecken, was man
ann im Zweifel in der Lohnabrechnung gar nicht immer
anz nachvollziehen konnte. Das war alles sehr unüber-
ichtlich. Heute gibt es dadurch, dass ein fester Eurobe-
rag erhoben wird, ein ganz anderes Preissignal. Ich als
ersicherter kann ganz individuell entscheiden, ob mir
eine Krankenkasse diesen Zusatzbeitrag wert ist oder
icht. Auch das war damals unsere gemeinsame Begrün-
ung dafür, die Möglichkeit zur Erhebung von Zusatz-
eiträgen einzuführen. Ich halte sie inhaltlich nach wie
or für vollkommen richtig, liebe Kolleginnen und Kol-
egen.
Wir haben im Übrigen gesagt, dass es uns nicht um
ine Kopfpauschale geht, wie die Kollegin Flach schon
eutlich gemacht hat, auch wenn Sie diesen Kampfbe-
riff immer weiter munter verwenden.
arum geht es uns nicht.
ns geht es um die Weiterentwicklung des heutigen Sys-
ems, und zwar nicht um einen Totalumbau, sondern um
inen schrittweisen Umbau: Evolution statt Revolution.
Sie haben recht: Wir haben gesagt, die 1-Prozent-Re-
el, wie sie heute gilt, funktioniert nicht. Warum funk-
ioniert sie nicht? Weil heute, wenn der Versicherte mehr
ls 1 Prozent seines Einkommens als Zusatzbeitrag zah-
en müsste, die Zahlung einfach gekappt wird, die Kasse
ber die Differenz zwischen dem Betrag, der eigentlich
ezahlt werden müsste, und dem auf 1 Prozent des Ein-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2355
)
)
Jens Spahn
kommens begrenzten Betrag nicht bekommt. Diese Dif-
ferenz fehlt der Kasse einfach. Es findet kein Ausgleich
statt. Genau dieses Problem wollen wir über einen sozia-
len Ausgleich aus Steuermitteln lösen. Diesen würden
im Übrigen all die, die nicht in der GKV versichert sind,
mitfinanzieren, und auch all diejenigen, deren Beitrag
aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze gekappt ist,
würden dieses anteilig mitfinanzieren.
Deswegen sagen wir, es ist gerechter, die Zusatzbei-
träge weiterzuentwickeln und noch mehr Elemente ein-
kommensunabhängiger Prämien in der gesetzlichen
Krankenversicherung einzuführen, aber, und das sagt je-
der in dieser Koalition, Schritt für Schritt. Deswegen
sollten Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, egal wo
Sie in Deutschland ansässig sind, damit aufhören, etwas
anderes zu behaupten.
Herr Spahn, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
der Kollegin Bender?
Bitte schön.
Herr Kollege Spahn, ich habe Sie so verstanden, dass
Sie an den Zusatzbeiträgen festhalten, aber die 1-prozen-
tige Überforderungsklausel abschaffen und stattdessen
einen Sozialausgleich einführen wollen. Bedeutet das
dann, dass in Zukunft jeder, der den Bescheid von der
Krankenkasse bekommt, dass ein Zusatzbeitrag erhoben
wird, anschließend zum Amt gehen und dort einen Sozial-
ausgleich beantragen soll, und halten Sie das für ein bü-
rokratiearmes Verfahren?
Liebe Frau Kollegin Bender, hätten Sie mir die
Chance gegeben, meine Rede fortzusetzen, wäre ich auf
diesen Punkt zu sprechen gekommen. Wir wissen natür-
lich um die Herausforderungen, die sich aus dem, wie
ich finde, wunderbaren theoretischen Konzept in der
praktischen Umsetzung noch ergeben. Da ist zum einen
die Frage der Haushaltsmittel: Wie viele Euro stehen tat-
sächlich zur Verfügung, um diesen sozialen Ausgleich
herzustellen? Die Antwort darauf wird unter anderem
die Größe der Schritte bemessen müssen. Zum anderen
sprechen Sie die noch grundsätzlicher zu lösende Frage
an, wie wir den sozialen Ausgleich so organisieren, dass
es nicht zu millionenfachen zusätzlichen Einkommens-
prüfungen für die Betroffenen kommt. Genau damit wird
sich die Regierungskommission in den nächsten Wo-
chen und Monaten in aller Ruhe beschäftigen.
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nd wenn wir nicht jede Woche mit irgendwelchen Show-
nträgen die gleichen Debatten führen?
Im Übrigen will ich darauf hinweisen, welches Ziel
inter unserem Konzept steckt. Es ist kein Fetisch ir-
endeiner Fraktion oder irgendeiner Partei,
ber einkommensunabhängige Prämien zu reden. Da-
inter steckt ja auch eine Idee, nämlich die, dass wir die
ntwicklung der steigenden Gesundheitskosten dazu
ird es in einer älter werdenden Gesellschaft und auf-
rund des medizinisch-technischen Fortschritts automa-
isch kommen; bei der Steigerung der Arzneimittelaus-
aben geht es ja nicht um Hustensaft, sondern in aller
egel um Krebsmedikation und andere Medikamente,
ie mit hohen Innovationskosten verbunden sind nicht
mmer eins zu eins zulasten der Arbeitskosten in
eutschland ausgleichen und dadurch Arbeit in
eutschland teurer machen. Die eigentliche Frage, um
ie es geht, ist, wie einerseits die Dynamik, nämlich stei-
ende Ausgaben, möglich gemacht wird, ohne anderer-
eits gleichzeitig die Arbeitskosten in Deutschland zu
elasten. Ich finde, es ist es inhaltlich und jenseits von
berschriften wert, darum zu ringen, was die richtige
ösung sein kann. An diese Arbeit sollten wir uns alle
emeinsam machen.
Im Übrigen reicht es nicht, einfach zu sagen: Wir
ollen zurück und all das abschaffen, was wir gemein-
am in welcher Konstellation auch immer irgend-
ann einmal beschlossen haben.
ie müssen vielmehr eine Frage beantworten: Am
. Januar 2011 werden wir wahrscheinlich ein Defizit
on 11 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenver-
icherung haben, Tendenz steigend.
020 wird es 15 Prozent mehr Rentner in Deutschland
nd 20 Prozent weniger Beitragszahler geben.
ie demografische Entwicklung wird dazu führen, dass
er Beitragssatz, wenn wir nichts tun, in Richtung
2356 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Jens Spahn
20 bzw. 25 Prozent geht. Derjenige, der nichts tut und al-
les zurückdrehen will, muss zumindest die Frage beant-
worten, wie er mit diesen Herausforderungen klarkom-
men will.
Der Kollege Lauterbach Frau Kollegin Flach hat
schon darauf hingewiesen hat im Dezember letzten
Jahres, glaube ich, angekündigt, die SPD werde das
durchgerechnete Konzept zur Bürgerversicherung, auf
das wir seit Jahren warten,
bald präsentieren. Wir hatten eigentlich gehofft, dass es
Bestandteil der heutigen Debatte wird; denn Sie werden
ein paar Fragen beantworten müssen: Wo soll denn dann
die Beitragsbemessungsgrenze liegen?
Sollen Zinsen, Kapitaleinkünfte, Mieten berücksichtigt
werden und, wenn ja, wie? Sie werden vor allem den
Facharbeitern und den Angestellten in diesem Land er-
klären müssen, warum es wieder sie sind, die alles be-
zahlen sollen, und warum die Kosten allein auf deren
Schultern abgeladen werden und warum nicht, etwa über
das Steuersystem, insbesondere die ganz starken Schul-
tern in diesem Land,
deren Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze
und der Versicherungspflichtgrenze liegt, mit einbezo-
gen werden.
Sie wissen ganz genau, warum Sie hier keine Zahlen
vorlegen. Dann würden die Menschen nämlich merken,
was Sie eigentlich vorhaben und dass es für viele in die-
sem Land teurer wird.
So bleibt es am Ende dabei: Sie präsentieren auch
heute keine konkreten Zahlen. Sie bleiben bei Über-
schriften. Es ist eine Showveranstaltung, wie wir sie
schon in den letzten Sitzungswochen diese Debatte er-
folgt ja inzwischen wöchentlich erlebt haben.
Es wurde bereits angekündigt, auch in den nächsten Sit-
zungswochen ähnliche Debatten führen zu wollen. Mit
jeder Woche heißer Luft
helfen wir den Menschen in diesem Land nicht weiter.
Wir wollen in der Regierungskommission gemeinsam an
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Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Edgar Franke für
ie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Herr Bundesminister Rösler, als
erson sind Sie nicht nur im Ausschuss, sondern auch
ier im Bundestag sehr sympathisch aufgetreten.
ber Ihre Politik, Herr Minister, ist alles andere als sym-
athisch. Ihre Politik geht in die völlig falsche Richtung,
eil sie nur eine Klientel bedient, nämlich Ihre Wähler.
Dem Antrag, den die SPD heute vorlegt, könnten Sie
igentlich wenn ich Frau Flach richtig verstanden
abe zumindest in Teilen zustimmen; denn ob man es
opfpauschale das ist, glaube ich, kein Kampfbegriff
der Gesundheitsprämie nennt:
opfpauschalen bzw. Gesundheitsprämien haben im-
er einen Sozialausgleich. Aber der Zusatzbeitrag von
Euro hat diesen Sozialausgleich nicht. Insofern ist es
ur konsequent, diesen Zusatzbeitrag abzuschaffen.
Aber das werden Sie nicht machen, Herr Rösler. Sie
ersuchen vielmehr, die Kosten der Arbeitgeber zu mini-
ieren. Sie versuchen, die private Versicherungswirt-
chaft zu begünstigen. Sie wollen vor allen Dingen die
esserverdienenden finanziell entlasten. Dafür haben
ir aber kein Geld. Am Dienstag habe ich mit Herrn
ürup, der als Erfinder der Kopfpauschale gilt, disku-
iert. Er hat mir gesagt: Man kann nicht die Gesundheits-
rämie einführen und gleichzeitig die Steuern senken.
as Konzept wird nicht aufgehen.
Herr Rösler, Ihre Politik führt in eine Dreiklassenme-
izin. Es wird die Holzklasse für Arme geben. Eine gute
ersorgung wird es nur für diejenigen geben, die sich ei-
en privaten Aufschlag finanziell leisten können. Für
eiche wird es eine Luxusklasse geben. Das kann keine
olitik für die Mehrheit der Menschen sein.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2357
)
)
Dr. Edgar Franke
Wir haben Herr Spahn hat es angedeutet durch
medizinischen Fortschritt und durch eine älter werdende
Gesellschaft steigende Kosten. Diese Kosten müssen wir
gerecht verteilen. Herr Spahn, es ist richtig, dass 2006
die Zusatzbeiträge eingeführt worden sind. Die Zusatz-
beiträge sind aber nur auf Druck von CDU/CSU einge-
führt worden; das muss man klar sehen.
Sie haben damals gesagt: Den Gesundheitsfonds gibt es
nur, wenn Zusatzbeiträge eingeführt werden. Das ist die
Wahrheit.
Sie brauchen sich also nicht darüber aufzuregen.
Zu dem, was wir eben diskutiert haben und wozu Herr
Kuhn auch noch einmal nachgefragt hat: Wir haben vor
der Finanz- und Wirtschaftskrise beschlossen, einen
Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent des Einkommens
zu erheben. Momentan befinden wir uns wirtschaftlich
in einer ganz anderen Situation. Wenn sich die SPD da-
für ausspricht, zur paritätisch finanzierten Kranken-
versicherung zurückzukehren, weil wirtschaftlich gese-
hen andere Bedingungen herrschen, dann muss man das
zur Kenntnis nehmen.
Wir brauchen keine Kopfpauschale. Vielmehr brau-
chen wir eine solidarische Politik und eine solidarische
Krankenversicherung. Eine solidarische Krankenversi-
cherung ist das, was die Bevölkerung will. Es gibt eine
aktuelle Umfrage von Infratest. Darin steht, dass über
70 Prozent der Befragten an einer solidarischen Kran-
kenversicherung festhalten. Über 70 Prozent sagen: Wir
brauchen eine paritätisch finanzierte Krankenversiche-
rung.
Das ist eine ganze Menge. Das sind auch Wähler. In
Nordrhein-Westfalen werden Sie sehen, dass sie Wahlen
entscheiden können.
Wir brauchen eine funktionierende Krankenversiche-
rung. Wir brauchen eine moderne Krankenversicherung.
Eine moderne Krankenversicherung ist die Bürgerver-
sicherung. Helmut Schmidt hat gesagt: Ein Sozialstaat
ist eine Kulturleistung. Solidarität gehört zum Sozial-
staat dazu. Wenn sich gerade die Gutverdienenden dem
Solidaritätsgedanken entziehen können, dann ist das
nicht richtig. Welche Situation haben wir momentan in
der Krankenversicherung? Momentan ist es so, dass die
wirtschaftlich Leistungsstärksten und die im Durch-
schnitt Gesündesten privat versichert sind und sich somit
dem Solidarprinzip entziehen.
Die Bürgerversicherung hat zwei Vorteile. Erstens.
Die Einnahmebasis wird verbreitert, weil auch die Gut-
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Dann hätte man ein System, das sozial gerecht wäre;
ann hätte man ein System, das die Wettbewerbsfähig-
eit steigern würde; dann hätte man ein System, das die
innahmesituation der Krankenkassen stabilisieren
ürde. Die Probleme bei der Finanzierung eines moder-
en Krankenversicherungssystems können nicht mit Zu-
atzbeiträgen, Kopfpauschalen oder Gesundheitsprä-
ien, wie Sie das bezeichnet haben, gelöst werden. Es
ibt nur eine Lösung für die dringenden Probleme. Diese
ösung heißt: Bürgerversicherung.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Franke, das war Ihre erste Rede hier im
eutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht
erzlich und wünschen alles Gute für Ihre Arbeit.
Jetzt hat der Kollege Heinz Lanfermann für die FDP-
raktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Der Kollege Lauterbach hat aus gu-
en Gründen kaum über den eigenen Antrag gesprochen.
as ist schon allein deshalb verständlich, weil er sich zu
er Behauptung verstiegen hat, die Opposition müsse
etzt schon die Arbeit der Regierung mitmachen. Tat-
ächlich ist es umgekehrt. In dem Antrag steht lapidar in
inem Satz, man solle bitte einsehen, dass eine Bürger-
ersicherung das Richtige sei. Es wird aber überhaupt
icht erklärt, was darunter zu verstehen ist.
anz zum Schluss heißt es dann:
fordert die Bundes-
egierung
auf, bis Ende 2010 ein Konzept zur Einfüh-
ung einer
Bürgerversicherung vorzulegen. Also soll
och wohl eher die Regierung die Arbeit der SPD
2358 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Heinz Lanfermann
machen. Herr Kollege Lauterbach, ich gebe zu, dass Ihre
Fraktion sehr geschrumpft ist, aber trotzdem muss man
in der Opposition selber arbeiten als Sprecher werden
Sie das noch merken , wenn man hier Konzepte vorle-
gen will.
Sie haben versprochen, hier ein durchgerechnetes
Modell vorzulegen. Das sollte die Mutter aller Anträge
werden, was die Gesundheitspolitik angeht. In Wirklich-
keit haben Sie hier heute ein äußerst dürftiges, schmales
Papier vorgelegt, aus dem nur hervorgeht, dass Sie sehr
vergesslich sind. Den Namen Ulla Schmidt erwähnen
Sie schon gar nicht mehr.
Dann haben Sie gesagt, die Pharmaindustrie sei völ-
lig unnachgiebig gewesen, mit ihr sei überhaupt nicht zu
reden gewesen, elf Jahre lang hätten Sie das sozusagen
ertragen. Aber gleichzeitig schreiben Sie in Ihrem An-
trag es ist bemerkenswert, dass gleich der erste Satz
mit einer Unwahrheit beginnt :
Seit seinem Amtsantritt
hat der Bundesgesund-
heitsminister
keinerlei Initiativen ergriffen,
Effizienzreserven
zu nutzen und insbesondere
die überproportional steigenden Arzneimittelausga-
ben zu begrenzen.
Zur Lektüre habe ich Ihnen Überschriften aus der
Presse der letzten Wochen mitgebracht,
aus denen hervorgeht, was der Minister gefordert hat
und mit wem er gesprochen hat. Das waren die Kranken-
kassenvertreter. Das waren die Pharmaverbände. Wenn
Ihnen die eine Überschrift Pharmakonzerne lenken ein
aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht gefällt,
haben Sie vielleicht mehr Spaß an der Süddeutschen Zei-
tung: Pharmalobby bietet Hilfe an.
Lassen Sie sich vom Minister doch einmal informieren.
Er ist in den Gesprächen mit der Pharmaindustrie nach
drei Monaten weiter als Frau Schmidt nach neun Jahren.
Das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, um mit diesem Hirnge-
spinst gleich aufzuräumen: Es gibt keine Kopfpauschale.
Niemand will eine Kopfpauschale.
Das ist ein unsinniger Begriff. Der Kollege Weinberg hat
uns dankenswerterweise ein paar historische Beispiele
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Diese Prämie ist nicht eine Prämie,
ondern ein System, in dem ein Teil des Arbeitnehmer-
eitrages in einem ersten Schritt in eine einkommensun-
bhängige Prämie überführt wird, die jede einzelne
rankenkasse kalkulieren und festsetzen kann. Abhän-
ig von ihren Bedingungen, von dem, was sie in Verträ-
en erwirtschaftet, je nachdem, wie wirtschaftlich und
nbürokratisch sie arbeitet usw., setzt jede Krankenkasse
inen anderen Betrag fest. Das ist das Erste, das zeigt,
ass nicht alle den gleichen Betrag zahlen.
Zweitens behaupten Sie das sind Halbwahrheiten,
it denen Sie die Öffentlichkeit täuschen, insbesondere
etzt bei Ihrer Kampagne, bei der Sie Unterschriften ge-
en den Weltuntergang sammeln , jeder zahle den glei-
hen Betrag,
nd verschweigen, dass ein Großteil am Ende darauf
ommt es doch wohl an
inen Sozialausgleich bekommt. Dieser Sozialausgleich
acht es für den Einzelnen auch die Sekretärin und die
erkäuferin, die Sie immer wieder anführen billiger als
ür den von Ihnen zitierten Manager,
er diesen Teilbeitrag zahlt und nichts erstattet be-
ommt. Auch wenn Sie diese einfache Subtraktion nicht
inbekommen, sollten Sie zumindest nicht die Öffent-
ichkeit darüber täuschen.
eswegen sage ich Ihnen noch einmal: Der Begriff
Kopfpauschale ist ein Hirngespinst und dient nur der
äuschung der Öffentlichkeit.
Die Kollegin Hendricks würde Ihnen gern eine Zwi-
chenfrage stellen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2359
)
)
Bitte schön.
Herr Kollege Lanfermann, wollen Sie mit mir viel-
leicht einmal die Anzahl der Worte zählen, die Sie ge-
rade gebraucht haben, um zu begründen, dass die Kopf-
pauschale keine Kopfpauschale sei?
Ich empfehle Ihnen, das Protokoll zu lesen. Dann ha-
ben Sie es ganz genau, sogar per Wortzählung am Com-
puter; das macht es einfacher. Ich könnte es einfacher er-
klären, aber da Sie es immer so kompliziert darstellen,
wollte ich den Kollegen die Möglichkeit geben, alle As-
pekte kennenzulernen. Ich hoffe, das ist mir gelungen,
und wir werden unsachliche Argumente wie das, alle
müssten den gleichen Betrag zahlen, in Zukunft nicht
mehr hören. Ich lade Sie jedenfalls ein, einmal über die
Sache selbst zu diskutieren und eigene Modelle vorzule-
gen.
Im Übrigen haben Sie auch nicht gemerkt, dass es
eine seltsame Argumentation ist, wenn Sie hier gegen
Ihre eigene frühere Politik gerichtet kritisieren, die Bei-
träge seien nicht paritätisch.
Soweit wir wissen, soll bei Ihrer Bürgerversiche-
rung die Bemessungsgrundlage verbreitert werden,
nicht nur bezüglich der Personen, sondern auch bezüg-
lich der Einkommen. Die Zinsen aus Bausparverträgen,
das, was die Oma für die Enkel anlegt, die Mieteinnah-
men und anderes werden dazugerechnet.
Sie sagen, dadurch sinke der Beitrag, das sei ganz toll.
Ja, dann sinkt aber auch der Arbeitgeberbeitrag, und
dann entlasten Sie die Arbeitgeber. Vielleicht möchten
Sie einmal mit denen darüber diskutieren; die freuen sich
darüber.
Wir laden Sie zu einer fairen und sachlichen Diskus-
sion ein. Eines muss klar sein: Die Zusatzbeiträge, die
Sie eingeführt haben und die, weil sie keinen Sozialaus-
gleich haben,
unsozialer sind als das, was wir vorhaben, dürfen Sie
nicht mit einer einkommensunabhängigen Prämie ver-
wechseln. Um es mit einem Satz zu erläutern: Die ein-
kommensunabhängige Prämie ersetzt zu einem Teil den
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Zu der Frage: Wer hat die paritätische Finanzierung
ufgegeben? Dazu wurde schon einiges gesagt. Während
er rot-grünen Regierung im Jahr 2003 wurden die Las-
en um 0,9 Prozent einseitig verschoben,
s wurde die Praxisgebühr eingeführt und anderes mehr,
nd während der Großen Koalition wurde der Arbeitge-
erbeitrag bei 7 Prozent eingefroren alles unter einer
PD-Ministerin. Die CDU/CSU hat dem zugestimmt,
eil diese Maßnahmen im Kern richtig waren und sind.
ir halten Kurs. Sie aber distanzieren sich von Ihren ei-
enen Entscheidungen, die Sie selbst einmal als notwen-
ig erachtet haben, ausgerechnet in der jetzigen Krise, in
er es mehr denn je darum geht, Arbeitsplätze zu sichern
nd international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Was die Finanzsituation der GKV betrifft, kann
an vieles behaupten; es gibt in der Tat sehr viele Bau-
tellen. Aber zu behaupten, die Finanzierungslücke sei
on der Regierung verursacht, das ist schlicht absurd.
rsache der Finanzierungslücke ist die Kostenentwick-
ung.
2360 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Lothar Riebsamen
Die Kosten steigen viel stärker als die Lohnsumme. Die-
ses Delta schließen wir mit 11,8 Milliarden Euro; das ist
so viel wie noch nie. Wir verursachen keine Lücken,
sondern wir schließen sie, und das mit großen Anstren-
gungen.
Fakt ist, dass die Beiträge im Jahr 2003 noch ausge-
reicht haben, um die GKV zu finanzieren. 2004 wurden
zu Recht die versicherungsfremden Leistungen über-
nommen. 2008 waren wir bei 2,5 Milliarden Euro, 2009
bei 7,2 Milliarden Euro, und nun sind wir bei 11,8 Mil-
liarden Euro. Sie haben offensichtlich vergessen, wer
diese Steigerungen mit zu verantworten hat. Das waren
nämlich unsere gemeinsamen Entscheidungen. Ich erin-
nere daran: Die Krankenhäuser Stichwort Pflege-
dienste haben 3 Milliarden Euro mehr bekommen,
und der ambulante Bereich, also die niedergelassenen
Ärzte, in etwa die gleiche Summe. Eines ist klar: Es
kann so nicht weitergehen.
Aber anstatt den Menschen die Wahrheit, die sie ohnehin
schon kennen, zu sagen, streuen Sie ihnen weiter Sand in
die Augen. Das ist falsch.
Im Antrag der Grünen werden die Zusatzbeiträge als
unsozial bezeichnet. Der Zusatzbeitrag von 8 Euro wäre
doppelt so hoch er würde 16 Euro betragen , hätten
wir nicht über die 11,8 Milliarden Euro hinaus einen
Schutzschirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer bzw. für die Geringverdiener in Höhe von 3,9 Mil-
liarden Euro gespannt,
um die krisenbedingten Ausfälle auszugleichen.
Ich sage Ihnen, was unsozial ist: Mit knappen Res-
sourcen unwirtschaftlich umzugehen, das ist unsozial.
Das Gesundheitswesen unseres Landes, das nach wie
vor eines der besten der Welt ist, durch ein stures Weiter-
so! an die Wand zu fahren, das wäre unsozial. So weit
lassen wir es nicht kommen, meine Damen und Herren.
Wir brauchen in diesem System in der Tat mehr
Transparenz und mehr Wettbewerb; die Zusatzbeiträge
machen dies deutlich. Die ALG-II-Empfänger sind in
der gleichen Situation wie alle anderen. Sie können und
müssen die Kasse wechseln, und in Härtefällen wird der
Zusatzbeitrag vom Staat übernommen.
Ausgehend von einem Monatseinkommen in Höhe
von 800 Euro sind 8 Euro 1 Prozent. Das liegt im Rah-
men der üblichen Preissteigerungen. Wer fragt denn, ge-
rade in diesen Tagen, da die Benzinkosten steigen, da-
nach, wie viel die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
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Der Kollege eben sagte, wir hätten 11,8 Milliarden
uro zusätzlich im System; zusätzlich kämen 3,9 Mil-
iarden Euro hinzu. Von den 11,8 Milliarden Euro sind
ber 6,2 Milliarden Euro gar nicht zusätzlich im System.
ielmehr ersetzen sie Beiträge in Höhe von 0,6 Beitrags-
atzpunkten, um die abgesenkt worden ist. Insofern
ollte man nicht nur die Höhe, die Quantität, sondern
uch die Qualität heranziehen.
Der zweite Punkt: Die Kopfpauschale bleibt eine
opfpauschale. Der Ausdruck mag Ihnen nicht gefallen,
ber es verhält sich so.
enn Sie den gleichen Beitrag pro Versichertem neh-
en, dann heißt das, der Chef zahlt zumindest für den
inen Teil so viel wie seine Sekretärin.
ann bedeutet das, dass die Sekretärin, weil sie gerade
o über der Grenze für den Sozialausgleich liegt, aber
eine Steuern zahlt, den gleichen Betrag zahlt, während
hr Chef nicht nur weniger Krankenkassenbeitrag zahlt
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2361
)
)
Elke Ferner
als vorher, sondern auch noch, wenn Sie die Steuern re-
duzieren, weniger Steuern zahlt und zusätzlich durch die
steuerliche Absetzbarkeit des Beitrages stärker entlastet
wird, weil er einen höheren Grenzsteuersatz als seine Se-
kretärin hat.
Wer jetzt behauptet, dies sei gerechter, der kann entwe-
der nicht rechnen oder
hat ein höchst merkwürdiges Verständnis von Gerechtig-
keit.
Natürlich, Herr Lanfermann. Dafür müssen Sie aber
zusätzlich mehr Steuermittel in die Hand nehmen, um ei-
nen sogenannten Sozialausgleich überhaupt finanzieren
zu können. Wir reden immerhin über die Kleinigkeit von
fast 10 Milliarden Euro, wie man so hört. Da muss man
auch sagen, woher das Geld kommen soll.
Wenn Sie jetzt beabsichtigen, eine zusätzliche Steuer
einzuführen, um das zu finanzieren, dann sagen Sie das
doch.
Sie aber setzen eine Kommission ein, die keine ist. Für
das, was früher eine Ministerin gemacht hat, muss jetzt
gleich ein halbes Kabinett herhalten. Weiter wird ver-
sucht, das, was wirklich Sache ist, das, was die Leute er-
wartet, wenn Sie Ihr Kopfpauschalenkonzept umsetzen,
bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai
zu verschweigen. Das ist keine verantwortliche Politik,
sondern Wegducken vor den Problemen.
Ich sage Ihnen eines, Herr Rösler: Sie sind hier nicht
Chefarzt in der Schwarzwaldklinik, sondern Sie sind
Bundesgesundheitsminister.
Der dritte Punkt betrifft das Thema Zusatzbeiträge.
Die Zusatzbeiträge sind nach dem Gesetz möglich. Aber
wenn man nicht bereit ist, bei den Ausgaben schnell zu
handeln,
und gleichzeitig nicht dafür sorgt, dass die Einnahmen
die Ausgaben zu 100 Prozent decken, dann sind die Zu-
satzbeiträge zwangsläufig. Derjenige, der jetzt handeln
könnte das ist der Bundesgesundheitsminister , hat in
den viereinhalb Monaten seiner Amtszeit nichts, aber
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er sich auch nur ein kleines bisschen im System aus-
ennt, weiß, dass Ausgabenbegrenzungen bei den Arz-
eimitteln nicht mit dem Umlegen eines Schalters zu er-
eichen sind, sondern dass es Monate, teilweise Jahre
auert, bis ergriffene Maßnahmen sich tatsächlich in ge-
ingeren Kosten ausdrücken.
Frau Ferner, Herr Lanfermann würde gern Ihre Rede-
eit durch eine Zwischenfrage bereichern.
Ja, gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin Ferner, nachdem Sie gerade hier die
ermutung geäußert hatten, den Bürgern werde irgendet-
as vor der Landtagswahl nicht bekannt, darf ich Sie
ragen: Sind Sie denn bereit, nachdem Sie hier diesen
ntrag vorgelegt haben, in dem nur der eine Satz steht,
ie wollten eine solidarische Bürgerversicherung, uns
inmal rechtzeitig vor der Wahl am 9. Mai in Nordrhein-
estfalen im Einzelnen zu erklären, wie die Verbreite-
ung der Bemessungsgrundlage aussehen soll? Welche
lemente außer dem Prozentsatz vom Lohn der Arbeit-
ehmer sollen, um diese Bürgerversicherung zu finan-
ieren, von allen Bürgern erhoben werden? Was ist ins-
esondere mit Einkommen aus Zinsen oder Mieten?
Herr Kollege Lanfermann, da Sie nicht erst seit ges-
ern im Gesundheitswesen unterwegs sind, dürfte Ihnen
as Konzept der SPD zur Bürgerversicherung bekannt
ein.
s gibt dazu eine Veröffentlichung des SPD-Parteivor-
tandes, und zwar aus dem Jahr 2005, wenn ich mich
ichtig erinnere.
Mit Zahlen, werter Herr Spahn.
Wir reden jetzt über das Jahr 2005. Erstens soll für
onstige Einkünfte zunächst einmal ein Freibetrag gel-
en, nämlich unten. Der Sparerfreibetrag, der damals
2362 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Elke Ferner
gegolten hat, war schon recht hoch. Bei den jetzigen
Zinssätzen muss man schon ordentlich Vermögen haben,
um Zinsen zu generieren, mit denen man über die Frei-
beträge kommt, sprich: dass man überhaupt etwas zahlen
muss.
Wenn Sie sich richtig erinnern ich weiß nicht, ob
Sie das können, Herr Lanfermann , werden Sie mir
recht geben, dass das Thema Mieteinkünfte in unserem
Konzept keine Rolle gespielt hat.
Das Thema Mieteinnahmen hat in der Diskussion eine
Rolle gespielt, im endgültigen Konzept und in dem Be-
schluss dazu aber nicht mehr.
Jetzt wollen wir einmal sehen, was es bedeutet, wenn
Sie Ihr Konzept durchsetzen.
Ihr Konzept heißt: Der Arbeitgeberbeitrag wird dauer-
haft festgeschrieben. Das heißt, die Arbeitgeber sollen
auch in Zukunft nicht mehr als 7 Prozent zahlen.
Sie müssen schon mir überlassen, wie ich auf Ihre Frage
antworte, Herr Lanfermann. So viel Freiheit würde ich
von einem Liberalen doch erwarten.
Der zweite Punkt. Sie wollen, dass alle zusätzlichen
Kosten Kosten, die durch die Demografie bedingt sind,
aber auch Kosten, die durch Nichtstun dieser Regierung
bedingt sind allein auf die Versicherten abgewälzt wer-
den. Das wird dazu führen, dass die Kopfpauschale jedes
Jahr steigt und dass der Bedarf an Steuerzuschüssen grö-
ßer wird. Vor allen Dingen wird die Anzahl derer, die auf
einen Sozialausgleich angewiesen sind, steigen.
Als wir uns damals das niederländische Modell an-
geschaut haben, haben wir hochgerechnet, wie viel Steu-
ermittel man bräuchte, um dieses Modell auf eine Bevöl-
kerung von 82 Millionen auszudehnen. Das ist nicht zu
finanzieren. Selbst die Kollegen und Kolleginnen von
der Union haben angesichts der Zahlen Fracksausen be-
kommen.
Genauso wenig ist Ihre Kopfpauschale finanzierbar,
Herr Rösler.
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Es ist keine andere Ausgangslage.
Jetzt möchte ich noch etwas zu den Zusatzbeiträgen
agen. Sie werden in keinem Protokoll eine Rede von
ir zur Gesundheitspolitik finden, in der ich erklärt
ätte: Zusatzbeiträge sind klasse.
Frau Ferner, möchten Sie eine Zwischenfrage von
errn Spahn zulassen?
Gerne.
Liebe Frau Kollegin Ferner, ich habe eine ganz einfa-
he Frage sie lässt sich mit einem Satz beantworten,
nd der braucht nicht einmal ein Verb : Wann werden
ie das vom Kollegen Lauterbach er ist, wenn mich
icht alles täuscht, gesundheitspolitischer Sprecher Ihrer
raktion, spricht also für Ihre Fraktion angekündigte,
urchgerechnete Konzept für eine Bürgerversiche-
ung vorlegen? Wenn Sie sich nicht auf ein Datum eini-
en können: Wird das vor oder nach der Landtagswahl
n Nordrhein-Westfalen sein?
Wir werden unser Konzept vorlegen, wann wir das
ür richtig halten.
uf alle Fälle werden wir ein Konzept vorlegen, das ge-
echt finanziert ist, das solidarisch finanziert ist, wo die
tarken Schultern mehr tragen als die schwachen und wo
or allen Dingen die Arbeitgeber nicht aus der Verant-
ortung entlassen werden.
ir werden kein Modell für eine Kopfpauschale vorle-
en, sondern ein Modell für eine Bürgerversicherung.
as Modell, das wir vorlegen,
ird durchgerechnet sein.
Ich möchte noch ein Wort zum Sozialausgleich und
u den Zusatzbeiträgen sagen. Die Zusatzbeiträge sind
uf Druck der Union in das Gesetz aufgenommen wor-
en.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2363
)
)
Elke Ferner
Hier wurde eben eine Falschaussage gemacht. Mit
keinem Wort stellen wir im Antrag den Verteilungsme-
chanismus des Gesundheitsfonds infrage nirgendwo.
Falsch gelaufen ist damals allerdings das haben uns
sowohl Professor Fiedler, der von uns benannt worden
ist, als auch Professor Rürup, der von der Union benannt
worden ist, übereinstimmend gesagt , dass der Sozial-
ausgleich, der für den Zusatzbeitrag auch noch erforder-
lich ist, von der Union verweigert wurde.
Wo das hinführt, wenn die Union Gesundheitspolitik
macht insbesondere die CSU , möchte ich Ihnen
gerne einmal an folgendem Beispiel abschließend darle-
gen: Die Eingeweihten werden sich an die sogenannte
Bayern-Klausel erinnern, die der Herr Stoiber durchge-
setzt hat. Sie hat dazu geführt, dass Bayerns Kassen
vorab 324 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds
bekommen haben, weil ja angeblich so groß umverteilt
wird.
Man hat nun festgestellt, dass es gar keine Umvertei-
lung gab. Das Geld müsste jetzt zurückgezahlt werden.
Die Kassen haben das aber schon ausgegeben. Warum
haben sie das ausgegeben? Ich will einmal zitieren: Was
meinen Sie, was los gewesen wäre, wenn wir denen
den Ärzten gesagt hätten, wir müssten 90 Millionen
Euro auf die hohe Kante legen? Das heißt: Sie betrei-
ben Klientelpolitik. Es ist wieder einmal bewiesen. Ge-
nau so eine Klientelpolitik ist Ihre Kopfpauschale, die
hoffentlich niemals kommen wird.
Eines ist aber schon jetzt sicher: Einer wird bei dem
Thema auf alle Fälle umfallen müssen, entweder die
FDP, die CDU/CSU-Fraktion, Herr Seehofer oder wer
auch immer. Ohne Umfaller wird es das Ding nicht ge-
ben.
Schönen Dank.
Der Kollege Erwin Rüddel hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Gesundheitsminister gehört bekanntlich
nicht meiner Fraktion an, aber ich will es dennoch ein-
gangs sagen: Es befremdet mich, wie die SPD hier im
Haus in Versammlungen, Veranstaltungen, Verlautbarun-
gen mit dem Minister umgeht.
Man kann es nicht häufig genug sagen: Herr Minister
Rösler hat den Gesundheitsfonds und damit die Zusatz-
beiträge nicht beschlossen. Das waren Sie zusammen
mit uns und unter Federführung der zuständigen Minis-
terin.
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tatt andere Leute für die Folgen dessen zu attackieren,
as ohne Sie niemals Gesetz geworden wäre?
Stattdessen legen Sie heute einen Antrag vor, der sich
or allem dadurch auszeichnet, dass Sie damit die Reali-
äten, wie die demografische Entwicklung, die Folgen
es medizinischen Fortschritts und die Lebensfähigkeit
er Betriebe, souverän außen vor lassen.
Warum wollen Sie die Arbeitskosten denn schon
ieder in die Höhe treiben? Außerdem: Unternehmen,
ie mehr Sozialabgaben zahlen, zahlen weniger Steuern.
arum versuchen Sie seit Wochen, die im Koalitions-
ertrag vorgesehene Gesundheitsreform geradezu zu dä-
onisieren, als ob Union und FDP nichts Besseres zu
un hätten, als die Bürgerinnen und Bürger leichtfertig
it überflüssigen Lasten zu beschweren?
ch will es Ihnen sagen: Sie tun das, weil Sie jede ratio-
ale Diskussion über die zukünftige Finanzierung der
esundheitspolitik verhindern wollen und weil Sie die-
es sensible Thema benutzen, um die Menschen zu ver-
nsichern und ihnen Angst zu machen.
Lassen Sie die Bundesregierung und ihre Regie-
ungskommission doch arbeiten!
ir werden sehen, dass ordentliche Ergebnisse heraus-
ommen. Wer sagt Ihnen denn, dass die Kommission
icht zu Ergebnissen kommt,
ie für Geringverdiener und sozial Benachteiligte sogar
ünstiger ausfallen als die gegenwärtige Rechtslage?
Tun Sie nicht so, als ob Sie ein Patentrezept hätten!
hre sogenannte solidarische Bürgerversicherung ist
och in erster Linie eine Wortgirlande, ein Paradebei-
piel für die verbalen Wattebäusche, mit denen Sie den
enschen auch auf anderen Feldern eine Wohlfühlwelt
orgaukeln,
2364 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Erwin Rüddel
in der im Zweifel immer die anderen für die von Ihnen
versprochenen Wohltaten aufkommen müssen.
Dabei enthält Ihr Konzept in Wahrheit eine ganze
Reihe schwerwiegender Pferdefüße, von denen ich nur
einige aufzählen will: Ihr Konzept treibt die Arbeitskos-
ten in die Höhe, verschärft die demografischen Probleme,
verhindert Transparenz und Wettbewerb, verhindert da-
mit Strukturreformen und verschüttet Einsparpotenziale,
schreibt Mängel des vorhandenen Systems fort, weil ein-
kommensschwächere Versicherte den Krankenversiche-
rungsschutz einkommensstärkerer beitragsfrei versicher-
ter Ehepartner mitbezahlen müssen.
Was soll eigentlich aus der bisherigen Quersubven-
tionierung der GKV durch die Privatversicherten wer-
den, wenn Sie das entspricht offenbar Ihrer Wunsch-
vorstellung die Privaten endlich kleingekriegt haben?
Sollen die Milliarden, die jetzt aufgrund höherer Ab-
rechnungssätze in der ambulanten Behandlung und bei
Wahlleistungen im Krankenhaus aufgebraucht werden
können, also die Beiträge, ohne die viele Praxen gar
nicht existieren könnten, auf die Abrechnungssätze der
gesetzlichen Kassen aufgeschlagen werden? Nein, so
einfach ist die Sache nicht. Lassen Sie die Kommission
in Ruhe arbeiten und hören Sie auf, die Menschen zu
verunsichern!
Ich sage das auch mit Blick auf die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen. Was den Antrag der grünen Fraktion
zu den Zusatzbeiträgen angeht, so bin ich im Übrigen
sicher, dass die Bundesregierung und die Bundesagentur
für Arbeit hier vernünftige und sozialverträgliche Lösun-
gen finden. Wir werden uns jedenfalls von niemandem
in unserer sozialen Verantwortung für die Versicherten
übertreffen lassen.
Wir stehen auch künftig für ein Gesundheitssystem ein,
in dem alle Bürgerinnen und Bürger Anspruch darauf
haben, auf der Höhe des medizinischen Fortschritts ver-
sorgt zu werden, unabhängig von ihrem Alter, ihrer Her-
kunft, ihrem Einkommen und ihrem gesundheitlichen
Risiko, und zwar ohne dabei finanziell überfordert zu
werden.
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagen
auf den Drucksachen 17/879 und 17/674 an die Aus-
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gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Än-
derungsurkunden vom 24. November 2006 zur
Konstitution und zur Konvention der Interna-
tionalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember
1992
Drucksache 17/760
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur
Änderung des Bundes-Immissionsschutzgeset-
zes
Drucksache 17/800
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Sascha Raabe, Klaus Barthel, Lothar Binding
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Zukunft für Haiti Nachhaltigen Wiederauf-
bau unterstützen
Drucksache 17/885
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van
Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperr-
vertrages durch atomare Abrüstung stärken
Drucksache 17/886
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kinderspielzeug Risiko für kleine Verbrau-
cher
Drucksache 17/656
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2365
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
f) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die größten
Emissionsreduktionspotentiale in Schwellen-
und Entwicklungsländern und Sektoren
Drucksache 16/13771
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
g) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Achtzehnter Bericht nach § 35 des Bundesaus-
bildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung
der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhun-
dertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Absatz 2
Drucksache 17/485
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Es handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-
einfachten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu einer Überweisung, bei der
die Federführung strittig ist.
Tagesordnungspunkt 25 e: Interfraktionell wird die
Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel Kinderspielzeug Risiko für
kleine Verbraucher auf Drucksache 17/656 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht
Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Federführung beim
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz abstimmen. Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? Enthal-
tungen? Die Überweisung ist damit bei Zustimmung
durch Bündnis 90/Die Grünen und SPD abgelehnt; die
übrigen Fraktionen haben sich dagegen entschieden.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie abstimmen.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Ge-
genstimmen? Enthaltungen? Der Überweisungsvor-
schlag ist bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktio-
nen und die Fraktion Die Linke angenommen; SPD und
Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.
Wir kommen jetzt zu den unstrittigen Überweisun-
gen.
Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 d sowie 25 f bis
25 g: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
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Wir lernen derzeit an der Saar, dass man sogar ganze
Regierungen zusammenkaufen kann.
Wir lernen mittlerweile auch den Marktwert der Grünen
an der Saar kennen. Der beläuft sich nach den heutigen
Aussagen von Herrn Ulrich auf 38 000 Euro plus X.
Dabei hat er seine persönlichen Apanagen, die er vom
sogenannten Paten von der Saar bezogen hat, noch nicht
mitgezählt. Wie weit sind wir eigentlich gekommen,
wenn sich ein einziger Unternehmer durch Parteispen-
den und Bezahlung von Parteifunktionären Regierungen
zusammenkaufen kann?
Für die Grünen gilt natürlich dasselbe, was ich über die
CDU in Sachsen gesagt habe. Sie begleiten alles, was
dort abläuft, mit Stillschweigen. Das ist ein unvorstellba-
rer Vorgang. Fühlen Sie sich für Ihren saarländischen
Landesverband unzuständig? Tolerieren Sie das durch
Schweigen, oder was hat man davon eigentlich zu hal-
ten? Wir kennen seit längerem auch den Marktwert des
Kollegen Westerwelle, jedenfalls vor seiner Amtszeit als
Außenminister.
Der Kern der Debatte ist, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von FDP und CDU/CSU: Wir haben heute schon
einen so breiten Graben zwischen den Wählenden und
den Gewählten. Wenn Sie nicht kapieren wollen, dass
das Prinzip der Demokratie darauf basiert, dass die Wäh-
lerinnen und Wähler darauf bauen können, dass ihre
Stimme über die Geschicke des Staates entscheidet und
nicht die Höhe eines ausgestellten Schecks und nicht ein
in Aussicht gestellter Vorstands- oder Aufsichtsratspos-
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nd wenn das Vertrauen weiter zerstört wird, dann wer-
en ganz andere Leute die Oberhand gewinnen, nämlich
ie von rechts außen, die Rattenfänger, die es schon seit
eher in dieser Republik gibt. Sie machen sich mit dem
umpf, den Sie hier anrichten, an der deutschen Demo-
ratie schuldig.
Zurück zu diesem sogenannten Sponsoring. Man fragt
ich, warum eigentlich die Staatsanwaltschaften nicht tä-
ig werden; denn es handelt sich um Vorteilsannahmen,
ie an Personen geknüpft sind. Diese Frage stellt sich,
nd ich stelle sie in diesem Plenum. Das verwundert
ich übrigens genauso wie die Einstellung von fünf Er-
ittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen Herrn
stermann an der Saar. Aber lassen wir das einmal au-
en vor. Ich will es nur erwähnt haben. Es gibt ein ganz
chlichtes Ergebnis dieser Debatte, das ich Ihnen nahe-
ege das ist das Mindeste : Raffen Sie sich dazu auf,
ieses sogenannte Parteiensponsoring durch das Partei-
ngesetz zu verbieten!
Ich entnehme der heutigen Zeitung, dass das schon
ie Zustimmung des SPD-Vorsitzenden Gabriel findet.
nsofern sind wir der Wahrheitsfindung wieder etwas nä-
er. Ich hoffe, dass auch Sie von der FDP, auch wenn es
ie möglicherweise schwer trifft, sich zu diesen Verlus-
en für Ihre Parteikasse zum Wohle des Staatsganzen be-
ennen können.
Ingo Wellenreuther hat das Wort für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Allein der Titel dieser Aktuellen
tunde zeigt, dass es Ihnen von den Linken weder um
ine seriöse Aufklärung der Sachverhalte in Nordrhein-
estfalen oder in Sachsen geht noch um eine ernsthafte
iskussion über das Parteienrecht, das sich in den letz-
en Jahren sehr gut bewährt hat, weil es Transparenz ge-
chaffen hat. Ihnen geht es um etwas ganz anderes: Sie
ollen die Parteienfinanzierung in Deutschland diskre-
itieren, Sie wollen Spender verunsichern, und Sie wol-
en sich mit einer gezielten politischen Skandalisierung
orteile im Landtagswahlkampf verschaffen und den
olitischen Gegner verunglimpfen.
2368 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Ingo Wellenreuther
Dass es Ihnen nicht um die Aufklärung geht, ergibt
sich auch daraus, dass Sie die Prüfung der Sachverhalte
durch die Bundestagsverwaltung, die im Gange ist, nicht
abwarten können. Ich sage Ihnen ganz offen: Es ist uner-
träglich, dass Sie wieder einmal bei den Bürgerinnen
und Bürgern in Deutschland bewusst den Eindruck er-
wecken, man könne in unserem Land politische Ent-
scheidungen kaufen. Sie wissen genau: Das ist abwegig
und trifft nicht zu. Es ist selbstverständlich, dass ein Mi-
nisterpräsident nicht vermietet werden kann. Das wider-
spricht dem öffentlichen Amt, das er innehat. Die Kanz-
lerin hat dazu bereits das Entsprechende gesagt. Mit der
Käuflichkeit politischer Entscheidungen hat das nichts,
aber auch gar nichts zu tun.
Was Sie treiben, ist schäbig und schadet in hohem Maße
unserer Demokratie und der Politik im Gesamten. Vor
allem weiß die Staatsanwaltschaft in Deutschland ganz
genau, ob und wann sie tätig wird, und bedarf dazu kei-
ner anmaßenden Aufforderung von Ihnen, Herr Maurer.
Die konkreten Fälle werfen aber die grundsätzliche
Frage auf, wie mit Parteienfinanzierung und insbeson-
dere mit Parteiensponsoring rechtlich umzugehen ist. Sie
wissen, dass die Parteien nach dem Grundgesetz den
Auftrag, aber auch den Anspruch haben, an der politi-
schen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Um das
tun zu können, haben sie einen berechtigten Finanzie-
rungsbedarf. Wir haben uns in Deutschland ganz be-
wusst gegen eine rein staatliche Alimentierung entschie-
den und die gesellschaftliche Verankerung als
Wesenselement politischer Parteien definiert.
Im Wesentlichen wird dieser Bedarf durch Mitgliedsbei-
träge, durch staatliche Zuwendungen und durch Spenden
gedeckt.
Hören Sie zu, dann verstehen Sie es vielleicht.
Im Gegenzug ergibt sich die grundgesetzliche Verpflich-
tung, dass die Parteien über die Herkunft und über die
Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öf-
fentlich Rechenschaft ablegen. Das ist im Parteiengesetz
geregelt und auch gut so. Wir wissen, dass Spenden über
10 000 Euro im Rechenschaftsbericht angegeben und
Spenden über 50 000 Euro dem Bundestagspräsidenten
gemeldet werden müssen, der sie unverzüglich im Inter-
net veröffentlicht. Diese Transparenz hat sich bei den
Parteispenden ausdrücklich bewährt.
Jetzt stellt sich die Frage, wie es sich beim Sponsoring
verhält. Im Parteiengesetz gibt es dafür keine ausdrückli-
che Regelung. Nach dem sogenannten Sponsoringerlass
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eshalb ist der Vorwurf der Käuflichkeit geradezu ab-
egig. Solche Geldzuflüsse müssen bereits jetzt nach
em Parteiengesetz als Einnahmen aus Veranstaltungen
ngegeben werden, allerdings nicht gesondert und nicht
nter dem Stichwort Sponsoring.
m es noch einmal zu sagen: Der Leistungsaustausch
eim Sponsoring ist der entscheidende Unterschied zur
pende, für die es keine Gegenleistung gibt. So eindeu-
ig Parteispenden zulässig und erwünscht sind, so wenig
st Sponsoring in dem genannten Sinne unzulässig oder
nrüchig.
n beiden Fällen, Herr Poß, geht es um eine wünschens-
erte Unterstützung einer Partei, wobei im Falle des
ponsorings dem Unterstützenden noch die Möglichkeit
ur Werbung und zur Öffentlichkeitsarbeit gegeben
ird.
Auch das kann er. Wenn Sie betriebswirtschaftliche
enntnisse hätten, wüssten Sie, warum. Um es klar zu
agen: Sponsoring ist eine zulässige Form der Finanzie-
ung politischer Veranstaltungen, wie zum Beispiel bei
arteitagen oder Kongressen, bei denen es in der Regel
m die Vermietung von Standflächen mit der Gelegen-
eit zum politischen Meinungsaustausch geht. Das ist
ängige Praxis bei allen Parteien. Wenn trotz der Recht-
äßigkeit des Sponsorings der Eindruck entsteht, dass
ponsoringmaßnahmen in einer rechtlichen Grauzone
iegen, so könnte es förderlich sein, Sponsoring klarer im
arteiengesetz zu verankern, um es noch transparenter
u machen.
Meine Damen und Herren von der Linken, wir haben
ein Problem mit der Transparenz.
ransparenz ist bei politischen Entscheidungen unver-
ichtbar. Aber dass Sie damit große Probleme haben, hat
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2369
)
)
Ingo Wellenreuther
gerade das Verwaltungsgericht in Berlin im Januar fest-
gestellt. Ausgerechnet die Linke hat gegen das Transpa-
renzgebot des Parteiengesetzes verstoßen, indem sie eine
Spende in Höhe von 146 000 Euro im Landtagswahl-
kampf Rheinland-Pfalz in ihrem Rechenschaftsbericht
nicht angegeben hat.
In dieser Aktuellen Stunde wollten Sie die Glaubwür-
digkeit der Politik durch Spenden und Sponsoring in-
frage stellen. Das Beispiel, das ich gerade genannt habe,
zeigt aber, dass Sie die Einzigen sind, die mit der Glaub-
würdigkeit ein Problem haben und selbst nicht glaub-
würdig sind.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion der SPD hat die Kollegin Gabriele
Fograscher das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Schon seit einigen Wochen steht die Finanzierung
von Parteien im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei geht es
um ganz unterschiedliche Sachverhalte.
Der eine Sachverhalt war die fragwürdige Millionen-
spende des Mövenpick-Besitzers an FDP und CSU, die
in zeitlicher Nähe zu der Entscheidung stand, den Mehr-
wertsteuersatz für Hotelübernachtungen zu senken. Da-
rüber haben wir bereits diskutiert. Wir haben dazu Vor-
schläge unterbreitet, mit denen mehr Transparenz
ermöglicht würde, zum Beispiel die Begrenzung der
Höhe von Parteispenden, die unverzügliche Veröffentli-
chung großer Spenden durch den Bundestagspräsidenten
und das Verbot von Verbandsspenden. Leider lehnen Sie
diese Vorschläge ab und verweisen auf das geltende Par-
teiengesetz. Dass diese Spenden ein Geschmäckle ha-
ben, sehen Sie bis heute nicht ein.
Heute geht es aber um einen anderen Sachverhalt,
nämlich um das sogenannte Sponsoring. Dass sich Un-
ternehmen auf Parteitagen oder Parteiveranstaltungen
gegen eine Standmiete präsentieren oder Sachspenden
leisten, ist ein öffentlicher und transparenter Vorgang.
Wenn Einnahmen erzielt werden, werden diese entspre-
chend im Rechenschaftsbericht der Parteien als Einnah-
men aus Veranstaltungen ausgewiesen und selbstver-
ständlich auch versteuert. Bei der SPD machen diese
Einnahmen unter 1 Prozent der Gesamteinnahmen aus.
Selbstverständlich und nicht anrüchig ist es, wenn die
Organisatoren oder Verantwortlichen einen Rundgang
machen und sich bei den Sponsoren für ihr Engagement
bedanken.
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Anders aber verhält es sich, wenn der Vertrag über ei-
en Werbestand auf einer Parteiveranstaltung mit einem
esprächstermin mit dem Ministerpräsidenten oder mit
nderen Amtsträgern verknüpft wird
nd dafür auch noch zusätzlich Geld verlangt wird. Ein
olcher Vertrag ist eben kein Sponsoring mehr. Die öf-
entlich gewordenen Vorgänge um die Ministerpräsiden-
en Rüttgers und Tillich sind kein Sponsoring mehr. Gel-
er für Gesprächstermine sind Zweckspenden, die schon
eute im Parteiengesetz verboten sind.
Ich will aus dem Gesetz zitieren. In § 25 Abs. 2 des
arteiengesetzes heißt es:
Von der Befugnis der Parteien, Spenden anzuneh-
men, ausgeschlossen sind:
nd dort steht unter Nr. 7:
Spenden, die der Partei erkennbar in Erwartung
oder als Gegenleistung eines bestimmten wirt-
schaftlichen oder politischen Vorteils gewährt wer-
den;
aneben ist es Amtsträgern sowieso verboten, Geld für
espräche zu verlangen oder anzunehmen. Eine solche
raxis ist von vornherein sittenwidrig und hat mit Spon-
oring nichts zu tun.
Dass das alles nicht in Ordnung ist, sagt auch Rüttgers
nd feuert seinen Generalsekretär, will aber als Partei-
orsitzender nichts von der Rent-a-Rüttgers-Praxis ge-
usst haben.
ntweder hat Rüttgers diese besonderen vertraglichen
egelungen gebilligt und die bezahlten Termine absol-
iert, oder er hat keinen Überblick darüber, was in seiner
artei geschieht, um die Finanzen aufzubessern. Beides
st nicht akzeptabel.
Nun fordert also der Bundestagspräsident, der be-
anntlich CDU-Mitglied ist und aus NRW stammt, Än-
erungen im Parteiengesetz, da es sich das haben Sie
erade dargestellt nach Meinung der CDU um einen
ngeregelten Bereich handelt. Nein, es ist nichts ungere-
elt. Die Handlungsweise der CDU ist bereits verboten.
2370 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Gabriele Fograscher
Weil es sich bei diesen Sachverhalten um verbotene
Zweckspenden handelt, fordern wir den Bundestagsprä-
sidenten auf, Strafzahlungen gegen die CDU zu verhän-
gen,
und zwar unverzüglich und nicht erst nach der Wahl in
Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob
es sich nicht um Vorteilsnahme handelt.
Wählerinnen und Wähler haben das Recht, vor der Wahl
zu erfahren, wie diese Praxis zu bewerten ist.
Was sollen wir Ihrer Meinung nach eigentlich ins Par-
teiengesetz schreiben? Vielleicht: Gespräche mit Minis-
terpräsidenten sind manchmal umsonst, aber auf jeden
Fall kostenlos? Das ist doch absurd. Immer wenn Sie
bei unsauberen Praktiken erwischt werden, rufen Sie
lautstark nach Gesetzesänderungen, statt den Rechts-
bruch zuzugeben und die Praxis abzustellen.
Glaubwürdig und verantwortungsvoll ist es, wenn Sie
sich an die Gesetze, die Sie ja selbst mit beschlossen ha-
ben, auch halten. In einer Demokratie muss jeder Zu-
gang zu Amts- und Mandatsträgern haben können. Ein
solches Gespräch darf nicht denjenigen vorbehalten sein,
die dafür bezahlen können.
Parteien haben nach Art. 21 Grundgesetz eine beson-
dere Stellung im Staat. Daraus ergibt sich auch eine be-
sondere Verantwortung, und dieser, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, werden Sie nicht
gerecht.
Danke schön.
Marco Buschmann ist der nächste Redner für die
Fraktion der FDP.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir debattieren heute über die Finanzie-
rung der politischen Parteien.
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ie sind Zwitter des Staatslebens, und das macht den
mgang mit ihnen bisweilen komplex. Die Parteien ste-
en zwischen den beiden Sphären, die das liberale
taatsverständnis prägen, nämlich zwischen Staat und
esellschaft. Als Transmissionsriemen transportieren sie
en gesellschaftlichen Diskurs in die Sphäre des Staates
inein.
Das Wesen der Parteien als Mittler zwischen Staat
nd Gesellschaft gebietet es, dass sie auf keinen Fall
ollständig staatlich finanziert werden dürfen. Vielmehr
oll durch das Angewiesensein auf Mitgliedsbeiträge,
ber auch auf Zuwendungen wie Spenden die Anbin-
ung an die Sphäre der Gesellschaft durch die Finanz-
erfassung der Parteien stipuliert werden. Das heißt ganz
onkret: Spenden einzuwerben ist nichts Ehrenrühriges.
er etwas anderes behauptet, steht nicht im Einklang
it der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Natürlich darf es nicht dazu kommen, dass durch Zu-
endungen gesellschaftliche Finanzkraft in staatspoliti-
che Macht umgewandelt wird. Natürlich darf niemand
en Eindruck erwecken, dass man Repräsentanten unse-
es Staates oder eines Bundesstaates kaufen oder mieten
önnte.
as ist gar keine Frage. Aber um dieser Gefahr vorzu-
eugen, setzt das Grundgesetz auf finanzielle Transpa-
enz. Art. 21 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz setzt klar auf
ransparente Rechenschaft der politischen Parteien. Die-
em Gebot kommt jedenfalls meine Partei stets und mit
roßer Sorgfalt bei allen Sachverhalten, die immer wie-
er ins Feld geführt werden, nach.
Was das verfassungsrechtliche Gebot der finanziellen
ransparenz angeht, sind die Oppositionsfraktionen die-
es Hauses bestimmt nicht dazu berufen, irgendjeman-
em Nachhilfe zu erteilen.
Ich frage die Kollegen von der SPD: Warum hat denn
er SPD-eigene Vorwärts-Verlag bis heute immer noch
icht aufgeklärt, wie viel für die Vermarktung von Peer
teinbrück kassiert wurde?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2371
)
)
Marco Buschmann
Wie viel ist denn geflossen, als auf der Höhe der Finanz-
krise über milliardenschwere Programme entschieden
worden ist? Warum hat denn Ihr Parteivorsitzender
Sigmar Gabriel die Zahlungen des VW-Konzerns an die
CoNeS GmbH verantwortet? Warum sollte dieses Geld
dahin fließen? Es handelt sich um eine Gesellschaft ohne
Anschrift im Telefonbuch oder im Internet. Es ging doch
nur darum, den gesellschaftsrechtlichen Schleier einer
GmbH über den Geldfluss zu legen, sodass die Spur
nicht direkt zu ihm führt.
Die geringste Glaubwürdigkeit, was Transparenz an-
geht, besitzen nun wahrlich die Linken, also die Initiato-
ren dieser Aktuellen Stunde.
Eigentlich müsste man in dieser Debatte nur das Stich-
wort Operation Putnik nennen; mehr müsste man nicht
sagen. Es ist eigentlich zu unappetitlich für dieses Haus,
was Sie da zu verantworten haben. Aber weil dieser Vor-
gang noch nicht transparent genug ist,
erlaube ich mir, ein paar Worte darüber zu verlieren. Ihre
Partei, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat erwiese-
nermaßen dreistellige Millionenbeträge aus dem SED-
Altvermögen auf Schwarzgeldkonten zu schaffen ver-
sucht.
Dazu wurden Altschulden der Moskauer Firma Putnik
mit falschen Belegen vorgetäuscht und Schwarzkonten
eingerichtet.
Nicht nur wegen dieser, sondern auch wegen vieler wei-
terer Transaktionen kam die unabhängige Untersu-
chungskommission des Deutschen Bundestages in ihrem
Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass Ihre Partei Zi-
tat eine Strategie der Vermögensverschleierung ver-
folgt habe.
Weil Herr Maurer die strafrechtliche Verfolgung an-
gesprochen hat, möchte ich ihn gerne auf Folgendes hin-
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o viel zur strafrechtlichen Aufklärung.
Wer so mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der fi-
anziellen Transparenz umgeht, der besitzt keinerlei
laubwürdigkeit, um hier über irgendjemanden Anklä-
er oder Richter zu sein.
Hören Sie gut zu! Zur Glaubwürdigkeit gehört im-
er auch, sich an die eigene Nase zu fassen, und die ist
ei Ihnen länger als bei Pinocchio.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt hat das Wort der Kollege Volker Beck für Bünd-
is 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da
aben Sie ja schön die Backen aufgeblasen, Herr
uschmann.
önnen Sie mir eigentlich sagen, wie sehr die FDP in
RW noch an den Möllemann-Strafzahlungen zu tragen
at?
er so austeilt, der sollte klarstellen, wie sehr die eigene
andespartei unter dieser Bürde heute noch leidet, auch
nter der Bürde der mangelnden Glaubwürdigkeit in die-
en Debatten.
Das politische Versagen damals bestand nicht einfach
ur darin, dass ein ganzer Landesvorstand zu falsch ver-
uchten Spenden geschwiegen hat, sondern es bestand
or allen Dingen in der politischen Substanz dessen, was
err Möllemann mit diesen ergaunerten Mitteln im
ahlkampf gegen den Zentralrat der Juden und gegen
srael gemacht hat.
2372 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Volker Beck
Auch daran darf man in dieser Debatte noch einmal erin-
nern.
Die parlamentarische Demokratie in unserem Land ist
gegenwärtig in keiner guten Situation: Mövenpick-Spen-
den, Ministerpräsidenten-Flatrates bei Herrn Rüttgers,
Staatskanzlei-Sparabo bei Herrn Tillich. Bei den Bürge-
rinnen und Bürgern entsteht der Eindruck ich will gar
nicht behaupten, dass es so ist; aber wir müssen uns mit
diesem Problem ernsthaft auseinandersetzen , dass
Politik in diesem Land käuflich ist,
dass man die entscheidenden Gesprächstermine be-
kommt, wenn man Geld auf den Tisch legt. Zumindest
Letzteres ist in der Tat Gegenstand von Vereinbarungen
der CDU Sachsen und der CDU Nordrhein-Westfalen
mit Sponsoren gewesen.
Um Schaden von uns allen abzuwenden, von Ihrer
Partei wie von der Legitimität aller politischen Parteien
hier im Deutschen Bundestag, ist es dringend erforder-
lich, dass diese Vorgänge unverzüglich von der Bundes-
tagsverwaltung aufgeklärt werden und die entsprechen-
den Sanktionen ergehen.
Ach, Sie bestreiten, dass es so war?
Warum ist denn Herr Wüst zurückgetreten? Weil nichts
war? Bei Ihnen tritt man offensichtlich zurück, obwohl
nichts vorgefallen ist.
Es ist ja so gewesen: Sie haben Sponsorenverträge ge-
macht, die mit der Möglichkeit eines Gesprächstermins
beim Ministerpräsidenten verbunden waren.
Wer diese Möglichkeit wahrnehmen wollte, musste et-
was mehr zahlen,
als wenn er nur einen Stand auf der Messe gebucht hätte.
Das ist eindeutig kein Gegenstand von Sponsoring. Es
handelt sich auch nicht um eine Werbemaßnahme,
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eshalb ist es eine unzulässige Spende. Sie ist nach dem
arteiengesetz sanktioniert.
Ich erwarte vom Bundestagspräsidenten, auch wenn
r Ihrer Partei angehört, auch wenn er aus Nordrhein-
estfalen kommt,
ass die entsprechenden Verfahren bis spätestens Mitte
pril abgeschlossen sind. Die Wählerinnen und Wähler
aben einen Anspruch darauf, vor der Landtagswahl in
ordrhein-Westfalen zu erfahren, wie diese Dinge nach
em Parteiengesetz zu bewerten sind.
ch bin sicher, dass der Bundestagspräsident so kenne
ch ihn so unabhängig sein wird und dafür sorgen wird,
ass die Verwaltung zügig arbeitet und das zu einem Ab-
chluss bringt.
Meine Damen und Herren, wir haben hier schon vor
inigen Wochen über einen Antrag unserer Fraktion zur
eform des Parteiengesetzes diskutiert, damals aus An-
ass der Mövenpick-Spenden an die FDP und der damit
usammenhängenden Mehrwertsteuersenkung. Ich denke,
ir sollten jetzt schleunigst im Innenausschuss eine An-
örung machen und dabei auch über die Probleme des
ponsorings reden.
Es gibt nämlich eine Unwucht im Parteiengesetz: Wir
aben zwar auf der einen Seite relativ klar reguliert, was
n Spenden möglich ist. Wir meinen, man sollte die
pendenhöhe auf 100 000 Euro pro Spender und pro
ahr begrenzen. Das ist eine klare Grenze. Das führt nie-
anden, auch nicht die Schwächsten von uns hier im
ause, in Versuchung, durch Spenden politisch beein-
lusst zu werden. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass
uf der anderen Seite über das Sponsoring all das um-
angen werden kann, was wir für Spenden minutiös im
arteiengesetz geregelt haben.
ir brauchen beim Sponsoring die gleiche Transparenz.
ir müssen auch darüber reden, ob man es begrenzen
oll, und über die Frage diskutieren, ob es weiterhin
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2373
)
)
Volker Beck
steuerlich in vollem Umfang absetzbar sein soll. Wenn
es dabei wie heute um Beträge unbegrenzter Größenord-
nung gehen kann, dann läuft die Begrenzung der steuer-
lichen Absetzbarkeit, die es im Spendenbereich gibt,
faktisch ins Leere; denn Unternehmen und andere wirt-
schaftliche Subjekte können diese Begrenzung durch
entsprechend hohes Sponsoring, das faktisch steuerlich
begünstigt ist, kompensieren. Das ist eine Unwucht. Das
ist vom Gesetzgeber so auch nicht gewollt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Deshalb lassen Sie uns unverzüglich an dieses Thema
herangehen. Ich glaube, es trägt erheblich zur Legitimi-
tät der Parteien und der parlamentarischen Demokratie
bei, wenn wir dafür sorgen, dass hier absolute Transpa-
renz herrscht. Transparenz ist immer noch die beste Kor-
ruptionsprophylaxe und die beste Prophylaxe vor Be-
schädigungen der Legitimität der parlamentarischen
Demokratie.
Thomas Strobl ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Beck, das war weniger ein Beitrag zur par-
lamentarischen Demokratie als mehr ein Beitrag zum
nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf. Deswe-
gen möchte ich wieder zur Sache zurückkommen.
Die Parteien wirken bei der politischen Willensbil-
dung des Volkes mit, so heißt es in Art. 21 des Grund-
gesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Ich
glaube, wir sind mit dieser Parteiendemokratie in den
über 60 Jahren der Bundesrepublik Deutschland gut ge-
fahren,
auch wenn die Feinde der Demokratie, etwa die extre-
mistische Linke, keine Gelegenheit auslassen, dieses de-
mokratische System verächtlich zu machen.
Jedenfalls läuft es dort, wo es diesen Wettbewerb der
Parteien nicht gibt, nicht besser.
Klar ist auch: Parteien brauchen, um ihre Aufgaben
zu erfüllen, finanzielle Mittel. Dafür gibt es Staatszu-
schüsse, aber aus gutem Grund nicht nur staatliches
Geld, weil wir keine Staatsparteien wollen. Parteien fi-
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err Gabriel möchte die Immunität von Kollegen aufhe-
en und die Staatsanwaltschaften einschalten. Keine ver-
ale Kraftmeierei ist also zu schade, um in Nordrhein-
estfalen beim Wahlkampf ein paar läppische Punkte zu
achen.
Verehrte Kollegen von den Grünen, sehr gerne sage ich
hnen etwas zur Sache. Zunächst möchte ich Ihnen zuru-
en: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
as kann schiefgehen.
Zum Sponsoring beim Bündnis 90/Die Grünen.
aniel Holefleisch, der Vorstandsreferent der Grünen für
nternehmenskontakte/Fundraising, schreibt auf seiner
ontaktseite im Internet nachzulesen beim Business
etwork XING :
Ich suche
Sponsoren für Parteitage und andere
Parteiveranstaltungen.
o weit, so gut. Und weiter:
Ich biete direkten Zugang zu Gesprächspartnern in
Parteispitze und Bundestagsfraktion von BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
2374 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Thomas Strobl
Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet, heißt
es in der Bergpredigt, Kollege Winkler.
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokrati-
schen Partei Deutschlands, auch Ihnen wäre zu empfeh-
len, sich etwas sachlicher und ruhiger zu verhalten. Die
SPD in Sachsen schreibt für jedermann nachlesbar:
Unser Angebot an Sie: Als Sponsor der SPD Sach-
sen möchten wir Ihnen die Gelegenheit geben, in
direkter und gezielter Weise mit Ihrer Ziel- und
Kundengruppe in Kontakt zu treten. Machen Sie
auf sich aufmerksam! Leistungen und Sponsormög-
lichkeiten im Überblick:
Und dann heißt es unter einem der vielen Punkte:
Vermittlung exklusiver Gesprächspartner auf Ver-
anstaltungen
Die Beteiligung für Sie als Sponsor richten wir
ganz individuell nach Ihren Wünschen aus.
Gustav Heinemann war Mitglied der SPD. Er hat ge-
sagt: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, vergisst
meist, dass drei Finger derselben Hand auf ihn selber
zeigen.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ob und
welche Regeln wir brauchen, lassen Sie uns das sine ira
et studio miteinander besprechen. Aber lassen Sie uns
keinen billigen Jakob für den Landtagswahlkampf in
Nordrhein-Westfalen daraus machen,
sondern folgen wir dem Rat des Bundestagspräsidenten,
mit zeitlichem Abstand ganz nüchtern miteinander zu
schauen, ob wir gesetzgeberischen Änderungsbedarf ha-
ben und welche gegebenenfalls neuen Regeln wir brau-
chen.
Danke fürs Zuhören.
Der Kollege Michael Groschek spricht jetzt für die
SPD-Fraktion.
Sie hätten es wohl gern, meine Kolleginnen und Kol-
legen von Union und FDP, dass wir mit Ihnen durch den
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on Ihnen war kein Wort zur Sache zu hören.
Worum geht es? Es geht darum, dass die Menschen
raußen im Lande den Eindruck haben, es sei politischer
interschlussverkauf in Dresden, Düsseldorf und Ber-
in, und zwar durch Sie verursacht.
unächst der Ratenkauf bei der Mövenpickerei und dann
er Mietkauf von Politikern und Staatsämtern bei der
DU in Nordrhein-Westfalen. Immerhin ist der Landes-
orsitzende der Stellvertreter von Frau Merkel. Dazu ist
on Ihnen kein Wort zu hören.
Ich finde, man muss deutlich machen, welches Sys-
em hinter all dem steckt. Die geistig-moralische Hal-
ung bei dem Verkauf von Politik und Ämtern ist, dass
er Staat als Beute begriffen wird. Sie wollen den Staat
ur Beute machen.
ie verwechseln den Besitz politischer Macht auf Zeit,
egitimiert durch Wahlen, mit dem Recht auf Missbrauch
olitischer Macht. Das ist der große Unterschied.
hre Denke ist: Willkommen im Klub.
an kennt sich, man gönnt sich etwas; uns kann keiner,
ir können alles. Das ist der Geist, durch den aus bloßer
lientelpolitik knallharte Günstlingswirtschaft wird. Da-
über wollen wir jetzt im Einzelnen sprechen.
Willkommen im Klub Platin-Club, so nannte das
ie CDU in Nordhrein-Westfalen. Damit war systemati-
che Abzocke gemeint. Pakete wurden geschnürt. Das
abeisein bei Veranstaltungen gab es schon für
6 000 Euro.
der man konnte de luxe den Platin-Club buchen.
ort gab es für 4 000 Euro den Oppositionsführer und
ür 6 000 Euro den Ministerpräsidenten, das Schoßsitzen
ei Dr. Rüttgers und die erste Reihe bei Fernsehauftrit-
en. Diese Haltung verurteilen wir, weil das nach Politi-
erkauf riecht. Das sagen wir ganz deutlich.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2375
)
)
Michael Groschek
Sie müssten nicht das Grundgesetz zitieren das ist
keine Rezitierstunde ,
sondern Sie müssten gemeinsam mit uns anerkennen,
dass immer gewiss sein muss, dass der Wert der Politik
in einer Demokratie keinen Preis hat. Der Wert von Poli-
tik darf keinen Preis haben.
Das ist der Punkt. Deshalb haben Sie die politische Kul-
tur ins Abseits geschoben und durch politische Deka-
denz ersetzt. In diesem Zusammenhang ist Dekadenz der
richtige Begriff.
Herr Strobl, ich habe das Gefühl, dass Sie sonst nicht
zuhören.
Sie haben nämlich einen Baden-Württemberger ver-
gessen, dessen Person höchstspannend ist. Er spielt im-
mer wieder nach dem Motto Willkommen im Klub
eine unrühmliche juristische Rolle. Es ist der hochge-
schätzte Professor Lenz, einer der Ihren. Den kennen wir
schon aus der Kohlschen Spendensumpfpraxis.
Schon damals hat er versucht, den Bundestagspräsiden-
ten Wolfgang Thierse mundtot zu machen. Er hat sich
bei jeder gerichtlichen Auseinandersetzung eine Nieder-
lage abgeholt. Heute ist ausgerechnet dieser Professor
Lenz der angebliche Kronzeuge und Gutachter dafür,
dass die Vorgänge in der CDU in Nordrhein-Westfalen
nicht zu beanstanden sind. Ein Freibrief dieses Mannes
ist das beste Vorverurteilungsinstrument, das man sich
nur vorstellen kann. So sieht es doch aus.
Zu einem anderen Thema: Aus den Opfern Täter ma-
chen, mit diesem System versuchen Sie, durchzukom-
men. Das war in Nordrhein-Westfalen wieder zu besich-
tigen. Nach der Videoüberwachungsaffäre wurde nicht
etwa untersucht, wer in der Arbeitsteilung Staatskanzlei/
Parteizentrale CDU dafür verantwortlich ist,
sondern das Landeskriminalamt wurde dafür miss-
braucht, die Gewissensnöte des Informanten zu krimina-
lisieren. Das war Ihr Ansatz. Auch aktuell geht es nicht
darum, dass Sie per Selbstanzeige bekennen, beim Miet-
kauf von Dr. Rüttgers gefehlt zu haben. Im Gegenteil:
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Herr Strobl, Sie werden mich nicht mundtot machen.
ie Perspektive ist, dass Sie einen Überschwappeffekt
rganisieren wollen, nach dem Motto: Wenn die Staats-
nwaltschaft ermittelt, muss etwas schiefgelaufen sein.
iejenigen, die sich dann noch trauen, einen Skandal
uch einen Skandal zu nennen, sollen kriminalisiert und
eichgekocht werden. Auch das werden wir nicht mit
ns machen lassen.
Eine letzte Anmerkung: Dr. Rüttgers verfährt als Chef
es Rüttgers-Klubs nach dem Prinzip Er duckt sich, er
rückt sich, er opfert die Lämmer und schweigt. Das ist
ines Ministerpräsidenten, eines Landes- und stellvertre-
enden Bundesvorsitzenden unwürdig.
ir erwarten, dass er sich stellt und aufklärt und dass er
icht andere vorschiebt, die die Suppe auslöffeln sollen.
as ist der Maßstab für einen Ministerpräsidenten.
Auch Bundestagspräsident Lammert ist in besonderer
eise gefordert. Er hat mit Blick auf die NRW-CDU-
raxis gesagt: Selten dämlich. Das ist richtig, aber das
eicht nicht als Beurteilung. Warum? Gerade er, der oft
ast und Teilnehmer dieser dubiosen Verkaufsveranstal-
ungen war, müsste das größte Interesse an schnellst-
öglicher Aufklärung haben. Deshalb appellieren wir an
ie Politiker- und Parlamentarierehre von Norbert
ammert: Sorgen Sie dafür, dass schnellstmöglich auf-
eklärt wird. Die Dunkelmänner in Düsseldorf müssen
nttarnt werden. Das ist das Gebot der Stunde.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Stefan Ruppert von
er FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
elch gesteigertes Interesse Sie an einer sachlichen Ar-
umentation haben, zeigt schon die Auswahl Ihrer Red-
er. Sie stellen den Generalsekretär der im Wahlkampf
2376 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Stefan Ruppert
befindlichen SPD NRW hier auf, der mit großer Laut-
stärke fleißig auf die an den Vorgängen der vergangenen
Wochen Beteiligten einhackt, ohne eine einzige sachli-
che Äußerung zu dem Thema zu machen, die uns in der
Sache irgendwie weiterbringen könnte.
Uns ist eine sachliche Diskussion wichtig manch
heuchlerisches Wort ist hier schon gefallen , die dazu
führen könnte, dass wir die Transparenz als oberstes Ge-
bot der Parteienfinanzierung weiter stärken. Eine sachli-
che Diskussion ist notwendig und nicht solch billige und
kleine Münze im Vorfeld von Wahlen, die uns am Ende
alle in unserer demokratischen Legitimation beschädi-
gen wird.
Warum warten Sie denn nicht ab, was Herr Lammert
zu dem Vorgang sagt? Er hat eine Prüfung angekündigt.
Frau Merkel hat sich ebenfalls geäußert. Am Ende dieser
Prüfung wird ein ganz sachliches Ergebnis stehen. Die-
ses Vertrauen habe ich. Dann können wir uns darüber
unterhalten, was wir damit machen.
Wir als FDP würden gerne mit Ihnen ins Gespräch
kommen, aber, wie gesagt, in einer anderen Tonlage.
Eine so aufgeheizte Atmosphäre erschwert das. Was Sie
machen wollen, ist, pure Symbolpolitik an die Stelle von
sachlichen Lösungen zu setzen.
Die Parteienfinanzierung in Deutschland ist im inter-
nationalen Vergleich rigide. Wir wollen das hat Herr
Buschmann richtigerweise gesagt keine Staatsparteien,
sondern die klassischen, gesellschaftlich getragenen Par-
teien als Mittler von politischer Willensbildung aus der
Mitte der Gesellschaft.
Nur durch solche Parteien das möchte ich Ihnen noch
einmal sagen sind breite Bevölkerungskreise hier ver-
treten. Sie schaffen es, die Verbindung zwischen Staat
und Gesellschaft herzustellen.
Wenn wir uns nun fragen, wie wir mit Sponsoring
umgehen wollen, dann müssen wir auch einmal klarstel-
len: Das steht heute schon in jedem Rechenschaftsbe-
richt einer Partei. Tun Sie bitte nicht so, als ob wir die
Dinge nicht aufführen würden. Das macht jeder: die
Grünen, die SPD, die Linken, die FDP und die CDU ge-
nauso.
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as kosten denn Anzeigen in der WAZ? Wer schaltet
ie? Welche politischen Unterstützer werden so indirekt,
nstelle von Mieten und Ständen auf Parteitagen, an der
arteienfinanzierung beteiligt? Es ist doch so: Sie erzie-
en aus den Unternehmensbeteiligungen mehr Einnah-
en als die FDP an Spenden.
Ich habe Herrn Hunzinger und den damaligen Schatz-
eister der Grünen gefragt, warum Joschka Fischer da-
als nicht 20 000 Mark annahm. Herr Hunzinger sagte:
9 999 Mark sollten es sein, damit es unterhalb der
renze ist. Der Schatzmeister der Grünen hat das indi-
ekt bestätigt. Hören Sie also auf, im Glashaus sitzend
it Steinen auf andere zu werfen.
Seien Sie beruhigt, Sie waren in dieser Frage gar nicht
ngesprochen; bei Ihnen war ich vorhin.
Es wäre aber auch interessant zu wissen, wie etwa die
bwrackprämie mit Parteispenden von Automobilkon-
ernen an Sie zusammenhängt. Diese Punkte werfen Sie
ns immer vor, stehen aber bei Ihnen genauso im Raum.
enn der Pulverdampf etwas verraucht ist, sollten wir
ur sachlichen Diskussion zurückkommen.
Am Ende meiner Rede noch etwas zu den Linken.
err Buschmann hat zum SED-Parteivermögen schon
as Nötige gesagt.
ie legen solch eine Intransparenz an den Tag, dass Sie
ich ja noch nicht einmal trauen, ein Programm aufzu-
chreiben.
er soll für diesen Irrsinn spenden, von dem keiner et-
as Genaues weiß? Alle denken, dass die Maske fällt,
enn man ein Programm aufschreibt.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2377
)
)
Dr. Stefan Ruppert
Ein Letztes. Wer, wie am Freitag letzter Woche, den
kalkulierten Rechtsbruch hier im Parlament plant Frau
Enkelmann, Sie haben gesagt: Ja, wir wissen, das dürfen
wir nicht, aber manchmal muss man eben zu anderen
Mitteln greifen ,
der sollte etwas stiller sein, wenn es um Fragen von Mo-
ral im Umgang von Parteien und Fraktionen untereinan-
der geht.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Halina Wawzyniak
von der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Als ich vor einem halben Jahr in den Bundestag ge-
wählt wurde, hätte ich nicht gedacht, dass ich hier so
häufig reden muss,
und das nur, weil ältere Herren zu blöd sind, mit Geld
umzugehen.
Herr Wellenreuther, man sollte vielleicht etwas mehr
lesen als Überschriften. Ich verstehe ja, dass Sie ein Pro-
blem mit der Gründung der neuen Linken haben.
Das, was Sie angesprochen haben, war eine Unterstüt-
zung des Wahlkampfes der WASG, weil die Linke nicht
angetreten ist. Dies war im Rechenschaftsbericht der
WASG nicht aufgeschrieben worden. Machen Sie daraus
keinen Skandal.
Nun will ich aber nicht ich bin ja ein freundlicher
Mensch mit gleicher Münze zurückzahlen. Deswegen
will ich der in Verruf geratenen CDU jetzt nicht voller
Misstrauen unterstellen, sie setze das Sponsoring zur
Umgehung des Parteiengesetzes absichtsvoll ein. Nie-
mals. Es wäre ja absurd, anzunehmen, dass ausgerechnet
Sie so handeln würden wie Kohl, Koch und Kanther.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es hat
a schon postpubertäre Züge, wie Sie hier auf die Linke
eagieren.
ch habe Ihnen das letzte Mal gesagt das wüssten Sie,
ürden Sie zuhören , was mit dem SED-Vermögen ge-
chehen ist. Ich nenne zwei Daten: 31. August 1991,
ämtliche Konten gesperrt; 18. Juli 1995, Vergleich mit
er Kommission zur Überprüfung des Vermögens der
arteien.
Was unser Programm angeht, da zweifle ich an Ihren
esefähigkeiten; denn wir haben eines. Im Übrigen hat
iviler Ungehorsam diesem Parlament noch nie gescha-
et.
Nun kommen wir noch einmal zum Sponsoring. Die-
es ist im Parteiengesetz mit seinen Publikationspflich-
en tatsächlich nicht vollständig geregelt. Dennoch sind
ie Leistungen des Sponsors steuerlich absetzbar und für
hn aufgrund der Werbewirksamkeit durchaus attraktiv.
Sponsoring ist, so hat Professor Martin Morlok formu-
iert, eine praktisch bedeutsame Form der Parteien-
inanzierung. Es ist aus Sicht der CDU eine durchaus
auberhafte Variante, ihre politisch fragwürdigen Ma-
henschaften zu betreiben, ohne die in Verruf geratenen
arteispenden zu nutzen. Im Übrigen ist es mir völlig
urscht, ob die Ministerpräsidenten von NRW und Sach-
en, Rüttgers und Tillich, käuflich und daher als Landes-
äter nicht tragbar sind oder ob sie nicht wissen, was ihre
artei hinter ihrem Rücken veranstaltet. Am Ende gilt nur
ines der Bundestagspräsident hat recht : Es ist selten
ämlich.
Diese Art der Parteienfinanzierung ist nur ein Teil des
uzzles aus Geld, Macht und Politik. Abgeordnetenbe-
techung und Lobbyismus, Sponsoringleistungen an die
undestagsverwaltung, die Entsendung von Mitarbeite-
innen und Mitarbeitern großer Unternehmen und Ver-
ände in die Ministerien das alles macht das Puzzle
omplett.
Es ist genau dieses Puzzle, das zu Parteienverdrossen-
eit, Politikverdrossenheit und letztendlich zu Demokra-
ieverdrossenheit führt.
2378 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Halina Wawzyniak
Die Menschen haben nämlich das Gefühl: Nicht die Ab-
gabe der Stimme bei der Wahl ist entscheidend. Viel-
mehr ist es so: Wer Geld hat, kommt an die Mächtigen in
Politik und Staat heran und kauft sich die entsprechen-
den politischen Entscheidungen einfach.
Der Gedanke der Repräsentation in unserem politischen
System wird damit ad absurdum geführt. Aber Sie stel-
len sich hierhin und beklagen ernsthaft, dass die Leute
nicht mehr zur Wahl gehen. Meinen Sie denn im Ernst,
die lassen sich von Ihnen an der Nase herumführen? Für
wie dumm halten Sie die Menschen eigentlich?
Die Linke hat in der letzten Legislaturperiode einen
Gesetzentwurf eingebracht, mit dem der Tatbestand der
Abgeordnetenbestechung an das internationale Niveau
angeglichen werden sollte.
Abgelehnt! Die Linke hat in der letzten Legislaturperiode
einen Antrag eingebracht, um ein Lobbyistenregister
einzuführen.
Abgelehnt! Wenn Sie das, was Sie sagen, ernst meinen,
dann stimmen Sie diesem Gesetzentwurf bzw. Antrag,
die wir erneut einbringen werden, einfach zu.
Meine Damen und Herren, Repräsentation bedeutet
nicht nur Stellvertretung, sondern auch das Sichtbarma-
chen von Unsichtbarem, also Transparenz. Wir brauchen
ein System der öffentlichen Finanzierung mit vollständi-
ger Transparenz. Wir brauchen eine Kontrollinstanz, die
durch gesetzliche Sanktionsmöglichkeiten gestützt wird.
Transparenz verlangt auch eine systematische Berichter-
stattung und Rechnungsprüfung. Kontrolle erfordert eine
starke Instanz, ausgestattet mit ausreichenden gesetzli-
chen Vollmachten, um zu überwachen und gegebenen-
falls auch einen Staatsanwalt einschalten zu können.
Wenn wir das alles machen, dann sind wir einen Schritt
weiter. Alles, was dahinter zurückbleibt, führt weiterhin
zu Politikverdrossenheit und damit auch zu einer gerin-
geren Wahlbeteiligung.
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer, den ich
bitte, erst dann ans Podium zu kommen, wenn er aufge-
rufen ist. Bitte schön, Sie haben das Wort.
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ch glaube, es ist durchaus sachgerecht, darauf zu ach-
en, dass unsere Debatten, auch wenn sie dadurch quali-
ativ teilweise vielleicht nicht sehr hochwertig sind, zü-
ig durchgeführt werden.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
laube, es wäre zunächst einmal ratsam, in dieser Ange-
egenheit die politische Dimension von der rechtlichen
imension zu trennen. Was die politische Dimension an-
elangt, möchte ich gar nicht verhehlen, dass die Schrei-
en der CDU-Landesgeschäftsstellen in Nordrhein-
estfalen und Sachsen, um die es geht, durchaus un-
lücklich formuliert sind.
Allerdings möchte ich auch deutlich zum Ausdruck
ringen, dass man sich gerade angesichts der heutigen
ebatte des Eindrucks nicht erwehren kann, dass es Ih-
en von den Oppositionsfraktionen nicht darum geht,
oralischen Grundsätzen in der Politik zum Durchbruch
u verhelfen
der die politische Kultur in Deutschland zu verbessern,
ondern dass es Ihnen in heuchlerischer und pharisäi-
cher Art und Weise
m genau das Gegenteil geht.
ie haben das Ziel, den Eindruck zu erwecken, dass die
olitische Klasse in Deutschland insgesamt korrupt, be-
techlich und käuflich ist.
amit erweisen Sie der politischen Kultur in Deutsch-
and einen Bärendienst.
ndem Sie vom Mieten eines Ministerpräsidenten und
on korrupten Politikern sprechen, versuchen Sie genau
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2379
)
)
Stephan Mayer
das Gegenteil dessen, was, wie ich glaube, das Ziel in
diesem Hause sein sollte. Wir sollten nämlich versuchen,
den Eindruck zu vermeiden, wir seien wirklich käuflich.
Das Gegenteil ist nämlich der Fall.
Die meisten Abgeordneten ich kann dies zumindest
für die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion bestätigen
nehmen sich tagein, tagaus in kleinteiliger und teilweise
mühevoller Arbeit der Sorgen und Nöten der Bevölke-
rung an. Sie nehmen an Veranstaltungen teil, ob hier in
Berlin oder in ihrem Wahlkreis,
hören sich die Nöte an,
seien es die Nöte der Bürgerinnen und Bürger, seien es
die Nöte der Wirtschaft,
und all das um auch das zum Ausdruck zu bringen
ohne Geld von den Bürgern zu nehmen.
Wir werden ordentlich bezahlt; über unsere Bezahlung
dürfen wir uns nicht beschweren. Diese kleinteilige, mü-
hevolle und sehr redselige Arbeit vieler Politiker auf
Bundes- und Landesebene wird durch die pauschale Kri-
tik, die Sie zum Ausdruck bringen, eindeutig diskredi-
tiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, den CDU-
Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen und Sach-
sen, dem Kollegen Rüttgers und dem Kollegen Tillich,
ist hoher Respekt zu zollen,
und zwar dafür, dass sie umgehend und unverzüglich ge-
handelt, die Angebote des Sponsorings sofort zurückge-
nommen und diese Vorgehensweise eingestellt haben.
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Ich stelle auch in aller Deutlichkeit fest: Weder Minis-
erpräsident Rüttgers noch Ministerpräsident Tillich ist
äuflich.
benso ist aus dieser Rücknahme der Sponsoringange-
ote kein wie auch immer geartetes Schuldeingeständnis
u konstruieren. Es wäre, meine sehr verehrten Kollegin-
en und Kollegen, auch rundweg naiv, anzunehmen,
ass große politische Weichenstellungen, dass politische
rundentscheidungen durch ein kurzes Gespräch mit
em Ministerpräsidenten an einem Stand eines Parteita-
es oder am Rande einer Parteiveranstaltung beeinflusst
ürden.
Ich möchte aber insbesondere noch auf die rechtliche
imension dieser Angelegenheit eingehen. Der Bundes-
agspräsident prüft jetzt, ob ein Verstoß gegen das Partei-
ngesetz vorliegt. Die dafür nötige Zeit sollte er sich
eines Erachtens auch nehmen. Ich weise auch, lieber
err Maurer, in aller Deutlichkeit darauf hin: Hier geht
ualität ganz klar vor Eilbedürftigkeit.
s ist vollkommen verfehlt, anzunehmen, es ginge hier
arum, die Zeit bis zur Nordrhein-Westfalen-Wahl am
. Mai abzuwarten. Wir setzen hier auf Qualität, auf eine
orgfältige und intensive Prüfung.
m Ende dieser Prüfung werden wir mit Sicherheit auch
diesem Haus darüber zu debattieren haben, ob es not-
endig ist, das Parteiengesetz zu novellieren. Vor ei-
em warne ich in aller Offenheit, nämlich vor falschem
ktionismus in der Form, jetzt vorschnell etwa das Par-
eiengesetz novellieren zu wollen und die Regelungen
er Parteienfinanzierung, die sich aus meiner Sicht in
en letzten Jahren wirklich bewährt haben, über Bord
erfen und diese auf neue Beine stellen zu wollen.
Wir sind in den letzten 60 Jahren gut damit gefahren,
ass wir in Deutschland keine staatsfinanzierten Parteien
atten, und ich möchte dies beileibe auch nicht. Meine
ehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Links-
artei, das gab es ja leider in der DDR, dass alle Parteien
m Tropf des Staates hingen.
2380 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Stephan Mayer
Ich möchte nicht, dass die Parteien am Tropf des Staates
hängen. Es ist wichtig auch das Bundesverfassungsge-
richt hat in vielen Entscheidungen darauf hingewiesen ,
dass es eine Staatsfreiheit der Parteien gibt, dass die Par-
teien, indem sie sich um Spenden und Unterstützung be-
mühen müssen, sich natürlich auch attraktiv gestalten
und das Band zwischen sich und der Bevölkerung erhal-
ten müssen.
Der Erhalt dieses Bandes ist ganz entscheidend, und des-
wegen warne ich in aller Deutlichkeit davor, jetzt auf-
grund dieses Sachverhalts, der bisher in keiner Weise als
irgendwie rechtswidrig deklariert wurde,
die Regelungen unserer Parteienfinanzierung komplett
über Bord werfen zu wollen.
Deswegen sollten wir die Überprüfung durch den Bun-
destagspräsidenten in aller Ruhe abwarten und dann,
wenn wieder Sachlichkeit und Nüchternheit eingekehrt
sind, die Angelegenheit bei Lichte betrachten,
wenn sich der gesamte Rauch verzogen hat.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Union, wenn ich Sie
heute hier so von redseliger Arbeit und Transparenz
reden höre, dann kommen Sie mir so vor wie der Verein
Gib Gummi, der sich auf einmal für Tempo-30-Zonen
einsetzt, nur weil es den Vereinsvorsitzenden aus der
Kurve getragen hat.
Sie haben hier einen Haufen Nebelkerzen gezündet. Ich
sage einmal als Neuling hier im Deutschen Bundestag:
In diesen fünf Monaten habe ich wirklich vieles lernen
müssen: über Hotellobbyisten, über Mövenpick-Spen-
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ber Geld, das manchmal eben doch gewaltig zum Him-
el stinkt. Vieles davon hat sich mittlerweile auch in
en Köpfen der Bevölkerung festgesetzt, so etwa der
orwurf der schamlosen Klientelpolitik. Viele Bürgerin-
en und Bürger meinen seit den Mövenpick-Spenden
atsächlich, dass Politik in diesem Land käuflich ist. Das
st ein fataler Eindruck; er schadet unserer Demokratie.
ber dafür trägt Schwarz-Gelb die Verantwortung.
Das, was wir seit den Mövenpick-Spenden erlebt ha-
en, ist noch nicht genug gewesen. Wir haben außerdem
rlebt, dass sehr viel mehr zwischen Himmel und Erde
zw. zwischen Ruhr und Elbe zum Himmel stinkt: Mi-
isterpräsidenten werden durch ihre Parteiapparate zum
eldanschaffen geschickt Rent a Rüttgers, Politik am
ühltisch , und das alles interessanterweise auch noch
u Ost-West-Regelsätzen: In Sachsen kostet ein
chwätzchen mit dem Ministerpräsidenten 4 000 Euro,
ährend Sie im reicheren Nordrhein-Westfalen mindes-
ens 6 000 Euro berappen müssen. Rüttgers und Tillich
ind begehrte Mietobjekte und nur im Nebenberuf Mi-
isterpräsident, denken viele Menschen in diesem Land
nzwischen.
Das muss bei all den Nebelkerzen, die heute gezündet
urden, deutlich als das benannt werden, was es ist: Das
st politisch katastrophal, das ist moralisch verwerflich,
nd das ist ein Verstoß gegen das Parteiengesetz. Es ist
eshalb schlicht und einfach illegal.
Eines hat Schwarz-Gelb in den ersten Monaten dieser
undesregierung geschafft: Das Thema Parteienfinan-
ierung hat wieder Hochkonjunktur wie zum Ende der
ohl-Ära mit schwarzen Kassen und dem bösen Begriff
er gekauften Republik. Meine Damen und Herren von
en Regierungsfraktionen, ich frage Sie: Wollen Sie al-
en Ernstes da nahtlos anschließen, wo Sie Ende der
0er-Jahre aufgehört haben? Das wäre eine ganz selt-
ame Kontinuität.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist nichts Anrü-
higes dabei, wenn jemand einer Partei etwas spendet.
as tun viele Menschen erfreulicherweise, und das ist
ollkommen in Ordnung. Es wäre falsch, wie der Kol-
ege Maurer das gefordert hat, Sponsoring generell zu
erdammen. Wer das tut, verfehlt den Kern des Themas.
s ist überhaupt nichts dagegen zu sagen, wenn der hei-
ische Bäckermeister zum Sommerfest der Linken oder
er CDU oder der SPD Brötchen mitbringt oder Grill-
ohle sponsert.
Mit dem Täuschen und Tricksen, damit muss Schluss
ein.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2381
)
)
Burkhard Lischka
Und es muss Schluss sein mit Kopplungsgeschäften, die
nach dem Motto laufen: Zahl was, dann leiht dir der ge-
wählte Ministerpräsident sein Ohr. Solche Kopplungsge-
schäfte sollte man in der Politik nicht einmal mit spitzen
Fingern anfassen.
Es geht um nicht weniger als um die Grundregeln der
Demokratie: dass jeder Bürger, unabhängig von Status
oder Geldbeutel, die gleiche Chance auf Einfluss und
Mitsprache hat; dass der gewählte Landesvater auch dem
sein Ohr leiht, der nicht mit einem dicken Bündel Geld-
scheine kommt.
Gespräche gegen Geld sind nur der Anfang. Wer Geld
zahlt, erwartet eine Gegenleistung. Meine Damen und
Herren von den Regierungsfraktionen, ich glaube, Sie
haben noch nicht verstanden, dass es in einer Demokra-
tie keine Grauzone zwischen Geldzuwendung und Ein-
flussnahme geben darf; dass gewählte Ministerpräsiden-
ten ihre Zeit nicht verscherbeln und damit den Eindruck
erwecken dürfen, dass Politik in diesem Land käuflich
wäre.
Ich habe den Eindruck, dass nach fünf Monaten
Schwarz-Gelb die politischen Sitten wieder einmal ver-
lottern, zumindest an Rhein, Ruhr und Elbe. Das werden
wir Sozialdemokraten Ihnen nicht durchgehen lassen.
Wir begrüßen nachdrücklich, dass der Bundestagsprä-
sident in diesen Vorgängen ermitteln will. Ich sage aber:
Er muss schnell ermitteln, er darf das nicht auf die Zeit
nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ver-
schieben.
Dieses Thema darf man nicht auf die lange Bank schie-
ben.
Dadurch würde man die Politikverdrossenheit vergrö-
ßern. Irgendwann werden die Bürger uns dann sagen,
dass wir den Bundesadler besser durch eine Möwe erset-
zen das wäre der Anfang vom Ende.
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der
Kollege Helmut Brandt von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
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Ich persönlich ich denke, die meisten Redner haben
iese Auffassung bestätigt halte die Spenden- und
ponsoringpraxis der Parteien generell für angemessen.
ie ist erforderlich, und sie entspricht im Übrigen den
orschriften des Parteiengesetzes.
ach § 24 Abs. 4 Herr Ströbele, Sie schütteln den
opf; es ist dennoch so müssen Spenden von Personen
nd Firmen ausgewiesen und Einnahmen aus Veranstal-
ungen im Rechenschaftsbericht dargestellt werden.
ichts wird verschleiert. Es gibt auch nichts zu ver-
chleiern.
Sie können gerne unsere Parteitage besuchen,
as viele Leute, auch unabhängige, gerne tun. Dann
önnen Sie sehen, wer da als Sponsor auftritt. Die
tände sind genau zu erkennen, und sie sind im Pro-
ramm auch alle benannt. Es gibt keine Heimlichtuerei
der Verschleierung.
Ich gebe zu: Es gibt einen Punkt, bei dem die Grenze
berschritten ist.
as ist nämlich zweifellos dann der Fall, wenn ein Mi-
isterpräsident oder ein Minister gegen Bezahlung sozu-
agen angeboten wird; das ist ganz klar.
Herr Ströbele, Sie müssen mich zu Ende reden lassen.
as haben Sie doch auch für sich immer in Anspruch ge-
ommen.
2382 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Helmut Brandt
Das stimmt zwar auch, aber ich möchte ihm doch wei-
terhelfen. Ich bin ja bei der Resozialisierung.
Nachdem dieses Tun bekannt geworden ist, ist es sofort
eingestellt worden. Ich muss ganz offen zugeben das ist
auch unstreitig : Eine solche Vermischung zwischen
Parteiinteressen und Regierungsämtern darf es nicht ge-
ben, wird es nicht geben und hat es auch nicht gegeben.
Das ist nämlich das, was Sie suggerieren wollen.
Der Ministerpräsident hat solche Gespräche nie ge-
führt, und ich muss Ihnen ganz offen und ehrlich sagen
ich komme ja zum Glück aus Nordrhein-Westfalen :
Ich kenne keinen Ministerpräsidenten in diesem Land
wie Jürgen Rüttgers, der täglich das Gespräch mit Bür-
gern, Betriebsräten, Unternehmen und Verbandsvertre-
tern sucht, um unser Land in diesen schwierigen Zeiten
nach vorne zu bringen.
Wenn man über die Glaubwürdigkeit in der Politik
diskutiert, was Sie ja gerne möchten, dann muss man
auch die Frage stellen, ob die staatliche Parteienfinanzie-
rung nicht generell einmal überprüft werden sollte und
entsprechend geändert werden müsste. Für mich ist es
unerträglich, dass vom Verfassungsschutz überwachte
links- und rechtsextreme Parteien vom Staat Geld erhal-
ten, solange sie nicht verboten werden.
Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit würde es im Üb-
rigen auch beitragen das ist heute ja mehrfach gesagt
worden; damit wende ich mich einmal an die Linke ,
endlich einmal offenzulegen, was aus dem aus DDR-
Zeiten stammenden Vermögen Ihrer Vorgängerorganisa-
tion, der SED, geworden ist.
Einmal abgesehen davon, dass bei Ihrer politischen Pro-
grammatik in einem freiheitlich-demokratischen Land
wahrscheinlich kein Sponsor gefunden wird, kommen
Sie aufgrund dieses Hintergrundes offensichtlich auch
ohne Sponsoren gut aus.
Mein Appell an SPD und Grüne geht allerdings auch
dahin, die eigene Praxis einmal zu betrachten und dann
öffentlich darzulegen, wie es dort aussieht.
Herr Ströbele, zu den Grünen. Ich erinnere einmal
beispielhaft an den Parteitag 2004 in Kiel, den die Deut-
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Ich will jetzt aber einmal auf den Vorwärts kommen,
er ja bekanntlich Kamingespräche organisiert. Ehren-
äste, Redner und Gesprächspartner waren die Granden
er SPD. Ich darf aus einem Artikel in Spiegel Online
om 23. Februar 2010 zitieren, in dem ein regelmäßiger
eilnehmer dieser Kamingespräche zu Wort gekommen
st und gesagt hat, dass das eben keine sogenannten Kun-
enbindungsgespräche sind, sondern dass er das ganz
nders erlebt hat: Man wird nur eingeladen, wenn man
twas geleistet hat.
Bevor man also mit dem Finger auf andere zeigt das
at der Herr Kollege Strobl eben schon zu Recht gesagt ,
ollte man wirklich bedenken, dass dann immer auch
rei Finger auf einen selbst gerichtet sind.
Lassen Sie mich am Ende dieser Aktuellen Stunde
um Schluss noch Folgendes zusammenfassend ausfüh-
en: Die Spenden- und Sponsorenpraxis der Parteien ist
ich habe es zu Beginn gesagt wegen der Offenheit
nd aufgrund der Vorschriften des Parteiengesetzes nach
einer Auffassung kein Grund für eine Diskussion, son-
ern damit wird im Grunde genommen die Glaubwür-
igkeit der Politik untermauert. Allerdings sehe ich
chon Fehlentwicklungen, die auf einer Amerikanisie-
ung der Partei- und Wahlkampffinanzierung basieren.
iese sollten wir frühzeitig erkennen und auch abstellen.
nsofern mag diese Debatte doch einen Sinn gehabt ha-
en.
Ich danke Ihnen.
Der Kollege Strobl hat einen Zwischenruf gemacht:
Lassen Sie sich doch von dem Straftäter nicht un-
terbrechen!
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2383
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Das entspricht nicht dem parlamentarischen Sprachge-
brauch. Sie treten dort dem Kollegen persönlich zu nahe.
Ich rüge diesen Zwischenruf.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung einer Enquete-Kommission Inter-
net und digitale Gesellschaft
Drucksache 17/950
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Michael Kretschmer von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine En-
quete-Kommission soll für die Gesellschaft bedeutende
Entwicklungen unabhängig vom Alltagsgeschäft beleuch-
ten und analysieren. Deswegen ist es wichtig, dass bereits
bei der Einsetzung ein breiter Konsens der politischen
Parteien hier im Parlament herrscht. Das ist der Fall. Das
wird für den Erfolg der Arbeit eine große Bedeutung ha-
ben. Ich freue mich sehr darüber, dass es uns von der
CDU/CSU gelungen ist, mit den anderen Parteien nicht
nur mit dem Koalitionspartner Einigkeit darüber zu er-
zielen, dass eine Enquete-Kommission zum Thema In-
ternet und digitale Gesellschaft notwendig ist, weil sich
in unserer heutigen Zeit in der Tat sehr vieles verändert.
Wir sollten zu den 17 Sachverständigen, die in Zu-
kunft in dieser Enquete-Kommission mitarbeiten wer-
den, einen 18. Sachverständigen gedanklich hinzuneh-
men: den sachverständigen Bürger.
Wir wollen bei dieser Enquete-Kommission eine breite
Partizipation. Ich halte es auch im Hinblick auf die Ak-
zeptanz und das Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kom-
mission für ganz wichtig, dass die Bürger mitgestalten
können. Wir wünschen uns, dass die Bundestagsverwal-
tung diesen Gedanken offensiv aufgreift, dass es eine
breite Diskussion in Blogs, Foren und auf andere Art
und Weise geben kann, sodass die Arbeit von all jenen,
die mitarbeiten wollen, im Netz verfolgt werden kann.
Es ist schon ein erster Erfolg, dass wir nicht übereinan-
der, sondern miteinander sprechen. Ich glaube, auch das
ist ein wichtiges Signal für diejenigen, die sich für das
Internet besonders interessieren.
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Wir wissen, dass Suchmaschinen immer intelligenter
erden und gewaltige Sammlungen privater Daten orga-
isieren. Auch hier brauchen wir besondere internatio-
ale Regeln für den Datenschutz. Ich wünsche mir, dass
ir dies zu einem zentralen Thema der Enquete-Kom-
ission machen.
Hinzu kommt, dass jeder Mensch selbst für die Daten
erantwortlich ist, die er ins Netz einstellt und anderen
ur Verfügung stellt. Aus diesem Grund muss die Me-
ienkompetenz ein großes Thema sein. Wir müssen früh
nd intensiv schulen, wie man mit diesem Medium um-
eht. Wir können die Komplexität des Internets nicht
erändern, aber wir müssen vermitteln und lehren, wie
an mit dieser Komplexität umgeht, damit man sich im
nternet genauso sicher bewegen kann wie auf unseren
traßen. Das muss zumindest unser Ziel sein.
Ich kann unseren Bundesinnenminister nur unterstüt-
en, wenn er sagt ich zitiere :
2384 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Michael Kretschmer
Jeder Einzelne muss die Wahl haben, wie er im In-
ternet kommuniziert, ob er seine Identität preisgibt
oder nicht. Es ist legitim und schützenswert, be-
stimmte Kommunikationsformen im Internet ano-
nym oder unter einem Pseudonym zu nutzen.
Das Internet ist eine große Chance für die Freiheit
und die Demokratiebewegung in der Welt. Denken Sie
daran, welche Bedeutung das Internet in autoritären
Staaten wie dem Iran hat. Auch hier gilt es, diese Frei-
heit zu erhalten und zu fördern.
Wir wünschen der Enquete-Kommission, dass sie in-
tensiv arbeitet und regelmäßig Zwischenberichte ver-
fasst und dass wir darüber auch in diesem Hause debat-
tieren. Ich glaube, es ist notwendig, das digitale Zeitalter
mit dieser Enquete-Kommission noch einmal neu zu be-
arbeiten und neue Antworten zu finden. Ich wünsche da-
bei viel Erfolg.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Lars Klingbeil von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Dass wir heute im Bundestag die Einset-
zung einer Enquete-Kommission Internet und digitale
Gesellschaft beschließen, zeigt, dass die netzpolitische
Debatte kein Nischenthema mehr ist. Netzpolitik und die
Herausforderung, die digitale Welt zu gestalten, sind
mitten in der politischen Debatte angekommen. Ich habe
die Hoffnung, dass mit der Einsetzung der Enquete-
Kommission diese Debatte auch endlich im Deutschen
Bundestag ankommt.
Der Grund für die Einsetzung der Enquete-Kommis-
sion ist sicherlich das persönliche Engagement einiger
hier im Haus, und zwar parteiübergreifend. Der haupt-
sächliche Grund für diese Enquete-Kommission auch
das gehört zur Wahrheit dazu ist allerdings, dass uns
als Parlamentariern gerade im letzten Jahr vielfach ver-
deutlicht wurde, dass wir mit unseren Debatten nicht
mehr auf der Höhe der Zeit waren,
dass sich gerade junge Menschen von dem abgewandt
haben, was wir hier machen, und dass wir auch gemerkt
haben, dass wir gerade die junge Generation mit vielen
Entscheidungen nicht mehr erreicht haben.
Wir haben diese Enquete-Kommission also vor allem
denjenigen zu verdanken, die zu Zigtausenden eine On-
linepetition gegen die Netzsperren unterzeichnet haben.
Wir haben sie denjenigen zu verdanken, die auf die
Straße gegangen sind, um für Bürgerrechte im Netz zu
kämpfen, und denjenigen, die sich jenseits der politi-
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Die Politik hat Fehler gemacht. Lassen Sie mich zu-
indest für meine Partei sagen: Wir haben aus diesen
ehlern gelernt. Das Internet ist nicht ein Raum der Be-
rohung, sondern der Chance. Auch die Aussage vom
nternet als rechtsfreier Raum wird nicht durch Wieder-
olung richtig: Das Internet war nie ein rechtsfreier
aum, und genauso wenig darf es ein bürgerrechtsfreier
aum sein. Wir haben begriffen, dass der kompetente
mgang mit neuen Medien einen Mehrwert für die Ge-
ellschaft darstellt, und wir haben verstanden, dass sich
esellschaft und Öffentlichkeit durch das Internet im-
er stärker online manifestieren und die Politik ihren
estaltungsanspruch wahrnehmen muss.
Ich betone: Netzpolitik ist keine Politik für eine dif-
use Klientel, die wir Politiker gern als Community be-
eichnen. Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik. Bei der
rbeit der Enquete-Kommission wird es darauf ankom-
en, genau das deutlich zu machen.
In den vergangenen Monaten wurden von allen Parteien
iele Hände in die Richtung derjenigen ausgestreckt, die
ich lautstark gegen politische Fehlentscheidungen in der
etzpolitik gewehrt haben. Eine ausgestreckte Hand und
in kulturelles Bekenntnis zum Web 2.0 reichen aber
och lange nicht aus, um Vertrauen zu schaffen oder zu-
ückzugewinnen. Ein funktionierender Twitter-Account
acht noch keinen guten Netzpolitiker.
Wenn die FDP-Fraktion in einer Pressemitteilung zur
insetzung des Unterausschusses Neue Medien
chreibt: Parlament unterstreicht seine Web-2.0-Kom-
etenz, dann klingt das für mich eher bemüht als kom-
etent.
Es reicht eben nicht aus, die Hand auszustrecken und
in Smartphone bedienen zu können. Es kommt darauf
n, dass wir hier im Parlament substanzielle Lösungen
rarbeiten. Es kommt darauf an, dass wir Rahmenbedin-
ungen setzen, die das Leben, Arbeiten und Wirtschaf-
en in der digitalen Gesellschaft ermöglichen. Das wird
n den nächsten zwei Jahren unsere Aufgabe sein.
Die Zeit der Symbolpolitik muss vorbei sein. Natür-
ich werden wir kontrovers diskutieren. Natürlich wird
s Widersprüche geben. Natürlich haben wir viele unter-
chiedliche Interessen zusammenzubringen. Klar ist
chon jetzt: Es wird keine einfachen Lösungen geben. Es
uss aber vor allem darum gehen, dass wir als Enquete-
ommission deutlich machen: Es gibt im Internet andere
ogiken als in der Offlinewelt. Wir werden die Wert-
chöpfungsmechanismen aus der Offlinewelt nicht eins
u eins in die Onlinewelt übertragen können. Gleiches
ilt für die Balance zwischen Bürger- und Freiheitsrech-
en. Diese neuen Logiken und neuen gesellschaftlichen
ntwicklungen zu begreifen, zu erklären und umzuset-
en, wird Aufgabe der Enquete-Kommission sein.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2385
)
)
Lars Klingbeil
Die SPD-Fraktion unterstützt den interfraktionellen
Antrag zur Einrichtung der Enquete-Kommission gerade
deshalb, weil alle aus unserer Sicht relevanten Themen
aufgegriffen wurden. Die SPD-Fraktion hat in der Ver-
handlung darauf gedrängt, dass im Vergleich zum Ur-
sprungsentwurf der gesamte Bereich der sozialen Absi-
cherung einer digital geprägten Arbeitswelt mit auf die
Agenda kommt. Es gibt wohl kaum ein Politikfeld, das
sich durch Digitalisierung so verändert hat wie der Be-
reich der Arbeitswelt. Wir haben völlig veränderte Er-
werbsbiografien und Erwerbsformen. Genau hierauf
muss die Politik Antworten finden. Ich bin froh, dass es
meiner Partei zusammen mit den Grünen gelungen ist,
diesen Bereich in die Enquete-Kommission aufzuneh-
men.
Ich halte es für einen Fortschritt, dass wir in der En-
quete-Kommission Themen wie Open Data oder Open-
Government-Strategien diskutieren. Der Versuch von
Barack Obama, in den USA mehr Transparenz und Of-
fenheit in Bezug auf staatliches Wissen herzustellen,
sollte auch uns beschäftigen. Seine Ansätze in den USA
stehen für ein Staatsverständnis, das von Offenheit und
Transparenz geprägt ist. Ich wünsche mir, dass wir die-
sen Weg auch in Deutschland gehen und dadurch mehr
Offenheit und Transparenz schaffen.
Ich habe einige Themenschwerpunkte skizziert und
halte es für sinnvoll, dass wir in den nächsten zwei Jah-
ren über all diese Fragen grundsätzlich diskutieren. Ich
sage aber auch: Diese Enquete-Kommission darf nicht
zur Ausrede werden, um drängende politische Fragestel-
lungen auf die lange Bank zu schieben. Wir als SPD
werden in den verschiedenen Ausschüssen, vor allem im
Unterausschuss Neue Medien, die Debatten zu einer
gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität, zu Me-
dienkompetenz, zu Grundrechtsschutz und zur Wahrung
von Medienfreiheit und Medienvielfalt vorantreiben,
weil der Handlungsbedarf im Hier und Jetzt besteht und
wir uns nicht auf Vorschläge einer Kommission verlas-
sen können, die erst in zwei Jahren vorliegen. Diese En-
quete-Kommission darf nicht zum Ruhekissen der Re-
gierung werden und so ermöglichen, dass drängende
Sachverhalte der Netzpolitik um zwei Jahre vertagt wer-
den.
Ohnehin erwarte ich mir von der Regierung eine stär-
kere Koordination ihrer netzpolitischen Arbeit. Chaos
scheint der rote Faden dieser Regierung zu sein, auch in
der Netzpolitik.
Von Ressort zu Ressort gibt es völlig unterschiedliche
Richtungen. Auch wenn ich vielleicht die Forderungen
der Internetwirtschaft nach einem Internetminister für zu
hochgesteckt halte, so ist das Ansinnen hinter dieser For-
derung doch berechtigt. Weil Netzpolitik Gesellschafts-
politik ist, sind unterschiedliche Ressorts, Ministerien
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Die Verbraucherschutzministerin ist damit beschäf-
igt, Google zu beschimpfen. Auch der regierungsinterne
treit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
ur Vorratsdatenspeicherung zeigt: Diese Regierung hat
eine Linie in der Netzpolitik.
Wir brauchen ganzheitliche gesellschaftspolitische
nsätze, weil es uns nur dann gelingt, die Potenziale des
nternets völlig auszuschöpfen. Wir alle reden von einer
onvergenz der Medien. Wir sehen aber auch, dass wir
ine Konvergenz der Politik oder auch eine Konvergenz
es Rechts noch nicht haben. Wenn man sich die Debatte
m die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsver-
rages anschaut, sieht man auch da: Wir streiten über Zu-
tändigkeiten, erledigen aber nicht die eigentlichen Auf-
aben, die uns die digitale Gesellschaft mit auf den Weg
ibt.
Lassen Sie mich zu meinem letzten Punkt kommen:
u den Chancen für eine demokratische und politische
artizipation. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zei-
en einer hohen Politikverdrossenheit und katastrophalen
ahlbeteiligung das Internet durch diese Enquete-Kom-
ission stärker aufstellen können, um Menschen an
olitischen Prozessen zu beteiligen. Ich bin fest davon
berzeugt, dass wir durch eine intensive Nutzung des In-
ernets für eine Revitalisierung der Demokratie sorgen
önnen. Die ersten Ansätze, beispielsweise die Online-
etition, hat es bereits gegeben. Ich plädiere dafür, dass
ir auch im Rahmen dieser Enquete-Kommission neue
deen ausprobieren, indem wir zum Beispiel Gesetzent-
ürfe und Papiere online zur Verfügung stellen und um
ommentierung bitten. Der Kollege Kretschmer hat ge-
ade vom 18. Sachverständigen geredet. Ich plädiere
usdrücklich dafür, dass wir nicht nur die Sachverständi-
en und die Abgeordneten einbeziehen, sondern dass wir
iese Enquete auch für die Bevölkerung öffnen und
iese mitdiskutieren lassen.
assen Sie uns diesen Weg gehen. Lassen Sie uns unse-
em Auftrag gerecht werden. Lassen Sie uns die Erwar-
ungen erfüllen, die in uns gesetzt werden. Lassen Sie
ns vor allem dafür sorgen, dass diese Enquete-Kom-
ission kein netzpolitisches Feigenblatt des Deutschen
undestages ist. Wir haben viel zu tun. Ich bin optimis-
isch, dass wir das schaffen können.
Herzlichen Dank für das Zuhören.
2386 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel Höferlin von
der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Mit der Einsetzung der Enquete-
Kommission Internet und digitale Gesellschaft schla-
gen wir ein neues Kapitel in der Netzpolitik auf. Als
selbstständiges Gremium ist die Enquete-Kommission
bewusst als Querschnittskommission ausgelegt. Das ist
ein ganz wichtiger Punkt; denn die Enquete-Kommis-
sion soll gerade nicht Tagespolitik machen. Sie entwi-
ckelt vielmehr langfristige Perspektiven in der Netzpoli-
tik. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Sie ist gerade
nicht dazu gedacht, tagespolitische Themen zu behan-
deln, sondern es handelt sich um ein langfristig angeleg-
tes Projekt, in dem Netzpolitik in ihrer Gesamtheit be-
handelt wird. Die Enquete-Kommission unterscheidet
sich damit grundsätzlich von den regulären Ausschüs-
sen. Netzpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die in je-
dem Politikbereich ressortiert ist.
Das politische Debakel der Vorgängerregierungen
dabei richte ich mich gerade an Ihre Seite bei den
Themen Netzsperren oder Vorratsdatenspeicherung zeigt
uns, dass kein Ministerium allein die Antwort auf die
Herausforderungen finden kann. Netzpolitik ist nicht nur
Innenpolitik, nicht nur Rechtspolitik und nicht nur Wirt-
schaftspolitik, sondern eine Querschnittsaufgabe. Es ist
gut, dass wir so viele kompetente Herren und Damen in
den Ministerien haben, die sich dazu äußern können und
wollen.
Wir werden in der Enquete-Kommission Fachpoliti-
ker und Sachverständige aus den verschiedensten Berei-
chen haben. Sie werden gemeinsam die Antworten auf
die Herausforderungen geben. Entscheidend ist aber
auch die neue Transparenz, die wir in dieser Enquete-
Kommission installieren möchten. Der Deutsche Bun-
destag wird die Arbeit der Kommission auf einer Web-
seite begleiten und für Transparenz und Bürgernähe sor-
gen. Die einen reden, die anderen machen. Wir von der
FDP-Bundestagsfraktion haben bereits eine Webseite
online gestellt: open-enquete.de. Wir möchten die Com-
munity gerne einbinden, wir möchten sie befragen. Herr
Kretschmer hat es schön gesagt: Der 18. Sachverstän-
dige kann bei uns teilhaben. Wir möchten deswegen auf
dieser Internetpräsenz alle Interessierten zum Dialog
einladen. Wir wollen die Menschen, die uns einen Input
geben können, daran beteiligen.
Die Seite open-enquete.de wird von uns so begleitet,
dass unsere Mitglieder in der Enquete-Kommission be-
fragt werden können. Sie werden sich dort äußern kön-
nen, und wir werden die Möglichkeit haben, Input von
außen in die Enquete-Kommission aufzunehmen. Das ist
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Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck:
chon bevor die erste Sitzung der Enquete-Kommission
tattgefunden hat, findet eine parteipolitische Profilie-
ung statt.
as spiegelt sich in dem Punkt wider, wie mit diesem
ntrag umgegangen worden ist. Dieser Antrag wird von
ier Fraktionen dieses Hauses eingebracht, nämlich von
er CDU/CSU, von der SPD, von der FDP und von den
rünen. Man hat es trotz aller breiten Konsensbeschwö-
ungen in den Einführungen, trotz der versprochenen
artizipation als Grundlage für diesen Auftrag und trotz
er Zusage, die Community einzubeziehen, nicht für
otwendig erachtet, auch die fünfte Fraktion hier im
ause einzubeziehen, um diesen breiten Konsens wirk-
ich von vornherein zu demonstrieren.
Einige Bemerkungen zur inhaltlichen Herangehens-
eise an die Enquete-Kommission. Die Linke steht in
er Enquete-Kommission Internet und digitale Gesell-
chaft an der Seite der Nutzerinnen und Nutzer. Viel-
eicht ist das der Grund, dass man sich uns gegenüber et-
as spröde verhält.
iele der Nutzerinnen und Nutzer werden uns zurzeit
ber Livestream zuhören oder unsere Beiträge über
etzpolitik.org oder auch in Twitter-Feeds nachvollzie-
en und verfolgen, was wir dazu zu sagen haben. Uns
eht es zudem bei der Mitarbeit in dieser Kommission
m ein modernes Urheberrecht, um einen verbesserten
atenschutz. Uns geht es insbesondere auch um die hier
iel beschworene Transparenz, die aber offenbar nicht so
lltäglich zu sein scheint. Es geht um demokratische
eilhabe im Netz.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2387
)
)
Herbert Behrens
Es ist für uns selbstverständlich, dass niemand unse-
rer Meinung sein muss. Wir akzeptieren abweichende
Einschätzungen und Positionen. Wir kämpfen aber mit
der Kraft des Arguments für unsere Positionen und hö-
ren dabei auf die klugen Ratschläge aus der Netzwelt:
von Profis und auch von Gelegenheitsnutzern aus dem
Netz.
Sie, werte Abgeordnete von CDU/CSU, SPD, FDP
und den Grünen, haben die Anzahl der Sitze in der En-
quete-Kommission erhöht. Alle Fraktionen haben mehr
Sitze bekommen, alle, außer der Linken.
Sie verweigern sich den einfachsten demokratischen
Spielregeln, so mein Eindruck. Sie wollen nicht einmal
unseren Namen auf Ihrem Antrag zur Einsetzung der
Kommission sehen. Das ist eine ziemlich kleinkarierte
Entscheidung von Ihnen und auch keine schlaue. Es geht
darum, sehr sorgfältig zu arbeiten, den Expertinnen und
Experten zuzuhören, Argumente abzuwägen, bestehende
Gesetze auf den Prüfstand zu stellen
und über den Tellerrand des Parlaments und über den
Tellerrand der eigenen Erfahrungen zu sehen. Jeder von
uns kann lernen, jeder von uns muss lernen, dass eine
Politik der Ausgrenzung hier fehl am Platz ist. Das ist
ein Fehlstart der Kommission.
Nehmen wir die Nutzerinnen und Nutzer einfach ein-
mal ernst: die Onlineunternehmer; diejenigen, die Ab-
mahnungen im Briefkasten haben; diejenigen, die nicht
wissen, wie sie ihr Forum rechtssicher gestalten müssen;
diejenigen, die diese Gesellschaft von einer analogen in
die digitale überführen wollen; die Nerds, die Hacker,
die Strategen und die vielen unbezahlten und aus Lei-
denschaft handelnden Netzpolitikerinnen und Netzpoliti-
ker. Mit Letzteren sind nicht jene gemeint, die sich hier
im Bundestag als solche bezeichnen, sondern das sind
die wirklichen, die echten, die Betreiber und Nutzer von
Blogs und Websites, die Nachrichten generieren, die In-
formationen über Wikileaks transparent machen, die dis-
kutieren und sich kontroverse Debatten liefern.
Die Linke begrüßt das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts zur Vorratsdatenspeicherung. Es ist ein erster
kleiner Schritt auf dem Weg zu ihrer Abschaffung. Alles
ständig im Netz zu überwachen, halten wir für mit dem
Grundgesetz unvereinbar. Wir halten es auch für einen
notwendigen Schutz der Nutzerinnen und Nutzer, dieses
Abschöpfen von Daten zu verhindern.
Je stärker unser Leben digital geprägt wird, je mehr
Daten gespeichert werden, desto mehr muss auch der
Gesetzgeber darauf achten, die Privatsphäre der Bürge-
rinnen und Bürger zu schützen. Die Linke ist nicht nur
gegen eine Aufweichung des Datenschutzes, sondern
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In der Kommission kommen wir sicherlich auch dazu,
en Begriff der Clouds, der Ihnen heute noch nicht be-
annt ist, aufzuklären.
Die Antragsteller haben sich geweigert, in den An-
rag, der heute beraten wird, den Komplex aufzunehmen,
n dem es um Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und die
erbesserung des Datenschutzes geht. Auch das ist
iemlich peinlich, meine Damen und Herren von den an-
ragstellenden Fraktionen.
Die Linke setzt sich für ein modernes Urheberrecht
in. Die Regelungen, die wir haben, taugen nicht für die
igitale Welt. Es funktioniert nicht, einfach die Regelun-
en für analoge Medien zu übertragen und zu sagen, da-
it seien wir in der digitalen Welt angekommen. Das
rheberrecht ist aus dem Lot geraten, es verliert an Ak-
eptanz. Wir müssen uns dagegen wehren, dass das Ur-
eberrecht zulasten der Urheber missbraucht werden
ann. Wir müssen sicherstellen, dass Urheber abgesi-
hert werden. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen,
ass die Nutzerinnen und Nutzer gesetzlich garantierte
reiheiten haben.
Am Ende der Arbeit der Enquete-Kommission wird
s einen Bericht mit Hunderten von Seiten geben. Die
enigsten von Ihnen werden diesen lesen. Lassen Sie
ns deshalb parallel andere Kommunikationsmöglich-
eiten nutzen; das ist schon angesprochen worden. Wir
rauchen Transparenz, aber wir brauchen auch die Ex-
ertinnen und Experten sowie die Nutzerinnen und Nut-
er. Wir wollen eine aktive Begleitung durch die Nutze-
innen und Nutzer in dieser Kommission, und zwar nicht
ur als Konsumenten, sondern auch als Akteure; wir
rauchen ihre Kommentare und ihre Kritik.
2388 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Herbert Behrens
Es geht einzig und allein darum, Antworten darauf zu
finden, wie das Netz der Zukunft gestaltet werden soll,
welche Leitplanken wir brauchen und welche schon
heute nicht mehr taugen. Die Linke stellt die Nutzerin-
nen und Nutzer in den Vordergrund. Für sie gehen wir in
die Kommission.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man spricht
bei der Aufgabe, die wir jetzt zu bewältigen haben, näm-
lich der Digitalisierung, auch von der vierten Revolu-
tion. Nach der Entwicklung der Sprache, der Schrift und
der Erfindung des Buchdrucks ist die Digitalisierung der
vierte große gesellschaftliche Umbruch in diesem Be-
reich.
Das sagt sich so leicht dahin, und man kann sicherlich
in Nuancen von der Bewertung, ob der Digitalisierung
diese Bedeutung beizumessen ist oder nicht, abweichen.
Aber dass die Digitalisierung, also die Möglichkeit, digi-
tale Inhalte in Sekundenschnelle unendlich oft und ohne
Qualitätsverlust zu vervielfältigen, einen gesellschaftli-
chen Umbruch bewirken wird, sollte allen klar sein.
Dass wir heute diese Enquete-Kommission gründen, ist
Ausdruck dieser Erkenntnis.
Die Digitalisierung und das Internet haben fundamen-
tale soziologische und ökonomische Auswirkungen auf
unsere Gesellschaft, und zwar in praktisch allen Lebens-
bereichen. Die bisherige Politik in diesen Bereichen war
Stückwerk; da brauchen wir uns nichts vorzumachen.
Wo auch immer ein Problem aufgetreten ist, hat man
versucht, schnell irgendwie zu reagieren. Entsprechend
unnachhaltig war leider auch die Netzpolitik dieses Hau-
ses. Wir Grünen versprechen uns von dieser Enquete-
Kommission, dass dicke inhaltliche Bretter gebohrt wer-
den. Deshalb glauben wir, dass sich heute ein Neustart in
diesem Bereich vollzieht.
Netzpolitik ist kein Modethema, das in irgendwelchen
Kaffeerunden bei Ministerien abgehandelt werden kann,
sondern es ist eine der zentralen Arbeitsaufgaben der
Politik im Jahre 2010. Deswegen ist die heutige Einset-
zung der Enquete-Kommission richtig und wichtig.
Wir brauchen konkrete Antworten das ist schon
vielfach angesprochen worden , aber auch große Li-
nien. Wir brauchen konkrete Antworten im Urheber-
recht, wo sich drängende Fragen des Ausgleichs zwi-
schen Urhebern, Verwertern und Nutzern stellen. Wie
man aber zum Beispiel an der Diskussion über Compu-
tersucht feststellen kann, brauchen wir auch in anderen
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aran kann man erkennen, wie radikal und schnell diese
mbrüche sind. Die reale und die digitale Welt verwe-
en sich; es gibt im Grunde keine Unterschiede mehr
wischen ihnen. Dieser Wirklichkeit muss die Politik in
iesem Land endlich gerecht werden.
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten: Das Internet
st eben kein rechtsfreier Raum. Es ist aber auch kein
rundrechtsfreier Raum. Mit dem jüngsten Urteil des
undesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung
urde festgestellt: Die Politik hat hier zu kurz gegriffen.
ir haben über Verbote diskutiert, nicht über die Grund-
echte auf informationelle Selbstbestimmung, über die
rivatsphäre, über die Menschenwürde. Es ist eine ganz
onkrete Aufgabe dieser Enquete-Kommission, sich der
erwirklichung der Grundrechte im Internet anzuneh-
en.
Für uns Grüne war wichtig, folgende Punkte in den
uftrag für die Enquete-Kommission hineinzuverhan-
eln:
Die Fortentwicklung des Urheberrechts: Wer glaubt,
n diesem Bereich in alten Mustern verharren zu können,
er irrt; denn eine Revolution, also auch die digitale Re-
olution, ist immer mit Umbrüchen und Veränderungen
erbunden. Diesen Herausforderungen müssen wir in
er Enquete-Kommission und hier im Hohen Haus ge-
echt werden.
Die Diskussion der Bedeutung und der Förderung
reier Software und offener Standards: Gerade interna-
ionale Ansätze sind erforderlich; denn das Internet ist
in internationales Medium. Es gibt keine Landesgren-
en im Internet. Das muss die Politik begreifen, und das
uss auch Grundlage dieser Enquete-Kommission und
nseres Arbeitsansatzes sein.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2389
)
)
Dr. Konstantin von Notz
Gleichzeitig brauchen wir Barrierefreiheit für Men-
schen mit Behinderungen auch sie müssen das Internet
nutzen können und Zugangsgerechtigkeit. Wir fordern
die E-Partizipation. Dafür ist diese Kommission in der
Tat ein guter Anfang. Wie wir da kommunizieren, darf
keine Einbahnstraße schicke Presseerklärungen und
Berichte darüber, was die Enquete-Kommission am je-
weiligen Tage verhandelt hat sein, sondern wir müssen
in diese Kommission auch hineintragen, was draußen
diskutiert wird. Dazu gibt es einige interessante Ansätze,
die wir hoffentlich so umsetzen werden, wie wir sie auf-
geschrieben haben, also in Form von Foren und Ähnli-
chem.
Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass es gelun-
gen ist, hier einen gemeinsamen Antrag zustande zu
bringen. Ich möchte auf den Umstand eingehen, dass die
Linke diesen Antrag nicht mit eingebracht hat. Ich darf
für meine Fraktion sagen: Wir bedauern das. Es war
Conditio sine qua non, über die Dinge zu diskutieren. Ich
glaube, uns wäre kein Zacken aus der Krone gefallen,
wenn wir die Linke einbezogen hätten. Gerade ange-
sichts des Änderungsantrages, der minimale Änderun-
gen an dem Programm für die Enquete-Kommission be-
inhaltet wir werden ihm zustimmen , sehe ich nicht,
warum man dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen
kann.
Ich hoffe, dass wir in der Arbeit in der Tat einen gemein-
samen Weg finden.
Mit Blick auf die nächsten zwei Jahre halte ich für
absolut notwendig, dass wir eine offene, progressive
Diskussion über die digitale Revolution und ihre Aus-
wirkungen führen. Wenn es nach uns Grünen geht, dann
wird diese Enquete-Kommission der transparente und
kreative Arbeitsspeicher des deutschen Parlaments.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste
Informations- und Kommunikationsforum der Welt
und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globa-
len Gemeinschaft bei.
Das ist schlicht und ergreifend der erste Satz in unserem
Einbringungsantrag und auch der maßgeblichste. In der
Tat, das Internet bietet eine Vielzahl von persönlichen
Entfaltungsmöglichkeiten, informelle Selbstbestimmung
und auch wirtschaftliche Betätigung. Das Netz ist nicht
nur eine technische Plattform, sondern ist ein wichtiger
Bestandteil des alltäglichen gesellschaftlichen Lebens
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Der Zugang zu freiem Wissen und freier Informa-
on das ist das kostbarste Gut, das wir haben. Es ist für
ns teilweise schon so selbstverständlich geworden, dass
ir oftmals nicht mehr in der Lage sind, es wertzuschät-
en und zu verteidigen und zu schützen. Vor mir wurde
a schon angesprochen, dass zum Beispiel die Opposi-
ion im Iran ohne das Internet keine Möglichkeit hätte,
uf ihre Lage aufmerksam zu machen, keine Möglich-
eit hätte, die Familienmitglieder und die Freunde im
usland zu benachrichtigen, keine Möglichkeit hätte,
ie Machenschaften dieser Diktatur öffentlich zu ma-
hen.
Wir brauchen aber gar nicht so weit weg zu gehen.
ch bin im Osten dieser Republik aufgewachsen, und ich
in 1989 für Pressefreiheit auf die Straße gegangen. Für
ns war es natürlich sehr wichtig, Zugang zu freier In-
ormation und freiem Wissen sowie, banalerweise, zu
uter Musik zu erhalten. Das ging nur über grenzüber-
chreitende Medien wie Rundfunk und Fernsehen. Des-
egen sehe ich das neue Medium Internet als eine
nverzichtbare Bereicherung unserer globalen Gemein-
chaft an.
Meine Damen und Herren, die digitale Welt kann man
uch nicht binär nur in Null und Eins, in Schwarz und
eiß, in Falsch und Wahr auseinanderdividieren. Es ist
uch kein Selbstzweck für trockene Verarbeitung von di-
italer Information, sondern diese digitale Welt ist viel
ehr. Sie ist bunt, sie ist vielfältig, sie ist informativ, sie
st voller Wissen und voller Unterhaltung. Unsere Auf-
abe ist es nun erstens, dieses wertvolle Gut zu schützen
nd weiterzuentwickeln bzw. dafür zu sorgen, dass es
eiterentwickelt werden kann, zweitens, Antworten auf
ie Herausforderungen zu finden, die dieses Medium mit
ich bringt, und drittens, klare, nachvollziehbare und ak-
eptable Lösungen und Regeln zu finden.
ch persönlich wünsche mir dabei mehr Technologie-
ffenheit, mehr Innovationsfreundlichkeit, Sachlichkeit,
2390 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Jens Koeppen
gute technische und rechtliche Lösungen. Das ist besser
als Verteufelung und Gängelei.
In einer funktionierenden Gesellschaft das ist ganz
klar braucht man Leitplanken. Diese Leitplanken müs-
sen aber so ausgestaltet sein, dass man sich darin sicher
und frei bewegen kann. Der Nutzer muss frei sein und
sich sicher bewegen können, und zwar unabhängig von
sozialer Herkunft, unabhängig von regionaler Herkunft
und vor allen Dingen auch unabhängig von Fragen der
Technik und von Fragen der Infrastruktur. Das Internet
ist für mich ein Teil der Daseinsvorsorge.
Was haben wir als Gesetzgeber nun zu tun? Wie soll
die Bestandsaufnahme ausgestaltet werden? Ich bin der
Meinung, wir sollten die Enquete-Kommission nicht
überfrachten. Wir können in ein, zwei oder drei Jahren
nicht das lösen, was auf der Agenda steht. Wir wollen
mit den Experten zusammen Denkansätze finden und
aufnehmen. Wir wollen aufklären. Wir wollen informie-
ren, und vor allen Dingen wollen wir Transparenz schaf-
fen. Wir wollen kommunizieren, offen sein für Argu-
mente und ohne Vorurteile und Scheuklappen vorgehen.
Wir wollen das in gelassener Ernsthaftigkeit sowie mit
Offenheit und Sachverstand tun.
Wenn uns das gelingt, dann haben wir am Ende etwas
Gutes erreicht. Ich wünsche uns für die Enquete-Kom-
mission alles Gute und lade alle ein, dort konstruktiv
mitzuarbeiten.
Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Aydan Özoğuz von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich freue mich über die Einsetzung einer
Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft.
Es ist schon einiges dazu gesagt worden; das alles muss
man nicht wiederholen.
Als Familienpolitikerin möchte ich heute gleich zu
Beginn unserer Arbeit den Blick auf den Bereich Kinder,
Jugendliche und ihre Eltern, aber auch auf unser Bil-
dungssystem im Umgang mit digitalen Medien richten.
Denn wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten Eltern
von heute wahrscheinlich sind auch einige hier nicht
von klein auf mit PC und Computerspielen groß gewor-
den sind, Großeltern schon gar nicht. Für manche ich
weiß nicht, ob sich der eine oder andere daran erinnern
wird war durchaus schon die Einführung eines Anruf-
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Auf eine, wie ich finde, etwas widersprüchliche Art
immt die Schule Einfluss auf das Onlineverhalten. Die
weithäufigste Tätigkeit der regelmäßig ausgeübten In-
ernetaktivitäten der Kinder ist die Suche nach Informa-
ionen für den Unterricht. Gleichzeitig aber schneidet
eutschland beim Einsatz digitaler Medien in den Schu-
en äußerst schlecht ab. Das hat eine repräsentative Um-
rage der Initiative D 21 und von TNS Infratest belegt.
Zurück zu den Kindern und Jugendlichen. Je älter diese
erden, desto regelmäßiger und länger wird dann auch
ie Nutzung von Computer und Internet. Laut der JIM-
tudie 2009 verfügen immerhin drei Viertel der 12- bis
9-Jährigen über einen eigenen Computer oder Laptop,
nd mehr als die Hälfte, also 54 Prozent, kann vom eige-
en Zimmer aus ins Internet gehen. Was bedeutet das
ber für unsere Arbeit? Wir dürfen bei aller Kompetenz
nd aller Begeisterung, die wir haben, nicht vergessen,
ass es viele Menschen, darunter viele Eltern, gibt und
eiterhin geben wird, die über keine große Medienkom-
etenz verfügen ich habe schon zu Beginn meiner
ede versucht, dies deutlich zu machen und die zum
eil recht hilflos den eigenen Kindern gegenüberstehen.
ie Nutzung findet längst nicht nur zu Hause statt, wie
ir wissen. Wie können Eltern beispielsweise internet-
ähige Handys noch kontrollieren? Wie können sie da
och auf Gefahren hinweisen? Mit Verboten das wurde
ier angedeutet werden wir da ganz sicher nicht wei-
erkommen.
Unbestritten bietet das Internet viele positive Mög-
ichkeiten für Kinder und Jugendliche. Aber es kann nur
er von der Informationsfülle des Internets profitieren,
er auch die Fähigkeit hat, aus dem Angebot sinnvoll
uszuwählen und verantwortungsvoll mit den eigenen
aten umzugehen. Es ist schon erschreckend, wie viele
ersönliche Informationen gerade Jugendliche im Inter-
et über sich selbst preisgeben. Ein gängiges Beispiel
das werden viele von Ihnen schon kennen ist das
orstellungsgespräch. Es ist möglich, dass der Personal-
hef gegoogelt und eine Menge über den Jugendlichen
m Internet gefunden hat, was er vielleicht gar nicht wis-
en sollte oder wissen muss. Und nicht zu vergessen:
as Internet vergisst nichts!
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2391
)
)
Aydan ÖzoðuzAydan Özoğuz
Gefahren drohen auch von anderen Seiten, zum Bei-
spiel beim sogenannten Grooming, also wenn sich ein
erwachsener Täter in Chatrooms eine kindliche Identität
gibt und getarnt Kontakt zu seinen Opfern aufnimmt,
oder beim Cyber-Mobbing, das heißt, dass Einzelne im
Internet ungeschützt an den Pranger gestellt werden. Ich
finde es daher besonders wichtig wie auch im Antrag
formuliert wird : Der Schutz der Persönlichkeit und des
Rechts auf informationelle Selbstbestimmung muss auch
im Netz gelten.
Das sind nur einige Aspekte. Ich habe leider nicht die
Zeit, auf alles einzugehen. Aber es ist klar, dass wir auf
die bestehenden Fragen schlüssige Antworten finden
müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass schon die Kinder
lernen, welche Konsequenzen es haben kann, Privates
im Netz preiszugeben. Wir müssen dieses Bewusstsein
und einen sparsamen Umgang mit den eigenen Daten
fördern. Und wir müssen Eltern und Lehrer das Wort
Lehrer möchte ich besonders unterstreichen für die
Gefahren sensibilisieren und die Vermittlung von Me-
dienkompetenz bereits in Grundschulen zum Thema ma-
chen.
Alle bereits in diese Richtung steuernden Initiativen soll-
ten von uns berücksichtigt werden; denn am Ende soll
ein stringentes Gesamtkonzept stehen.
Ich war mit einigen von Ihnen letzte Woche bei der
Präsentation von fragFINN.de; das ist ein von der Bun-
desregierung gefördertes Angebot eines geschützten
Surfraumes, der speziell für Kinder geschaffen wurde
und in dem sich die Kinder frei im Internet bewegen
können, ohne auf ungeeignete Inhalte zu stoßen. Diese
Initiative hat bundesweit Schulen Kooperation und In-
formation angeboten, aber nur in drei Bundesländern
kam man auf das Angebot zurück. Drei von 16: Das ist
eindeutig zu wenig.
fragFINN.de muss nicht das einzige Programm sein,
aber ich finde, dass das fehlende Interesse eine gewisse
Tendenz zur bislang mangelnden Sensibilität für das
Thema aufzeigt. Wir brauchen kompetente Lehrerinnen
und Lehrer und kompetente Eltern, dann haben wir auch
kompetente Kinder und Jugendliche im Umgang mit den
Medien unserer Zeit.
Zum Schluss möchte ich noch an ein Schreiben erin-
nern, das die Minderheitenverbände Anfang des Jahres
an die Fraktionsvorsitzenden richteten. Sie fordern darin
die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, bei
der Einsetzung dieser Enquete-Kommission auch dem
Schutz vor und der Verfolgung von Hasspropaganda im
Internet Aufmerksamkeit zu schenken. Ich denke, dieser
Aufforderung sollten wir unbedingt nachkommen. Ich
freue mich auf die gemeinsame Arbeit.
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Frau Kollegin Özoğuz, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
rsten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen
lückwunsch!
Das Wort hat jetzt der Kollege Sebastian Blumenthal
on der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
err Kollege Behrens, Sie haben uns von der Regie-
ungskoalition in einer Art und Weise angesprochen, so-
ass ich jetzt etwas von meinem Redeskript abweichen
öchte; das mache ich aber gern.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Als ich eben ge-
ört habe, wie Sie uns in einer losen Aneinanderreihung
on Fachbegriffen Sachverhalte dargelegt haben, hatte
ch, offen gestanden, nicht den Eindruck, dass sie über-
aupt durchdringen, was Sie uns vortragen. Wenn wir
ber Medienkompetenz und Fachkompetenz sprechen,
ann muss man feststellen: Das war schon einmal nicht
er beste Beitrag. Uns als Koalition einen Fehlstart zu
nterstellen, bevor wir begonnen haben, ist sicherlich
uch nicht produktiv und tut der Sache nicht gut. Darauf
önnen wir gerne verzichten.
Wir beraten heute über die Einsetzung einer Enquete-
ommission Internet und digitale Gesellschaft. Wir
ls FDP-Fraktion haben dieses Vorhaben von Anfang an
usdrücklich unterstützt; denn wir sind der Meinung,
ass diese Enquete längst überfällig ist.
Sie ist deshalb überfällig, weil das Internet in der poli-
ischen Diskussion oftmals nur als Hort für illegale In-
alte oder als Hilfsmittel für kriminelle Handlungen
iskreditiert wurde. Etwas mehr Sachverstand in der poli-
ischen Debatte hätte ich mir, offen gestanden, bereits in
er Vergangenheit oft gewünscht.
ch bin mir aber sicher, dass wir mit den neuen Kollegen
us allen Fraktionen, die zu uns gestoßen sind, in Zu-
unft einen besseren Kurs fahren können.
Wichtig ist uns von der FDP eine grundsätzliche Fest-
tellung: Es sind und bleiben Menschen, die als Nutzer
n Einzelfällen kriminell oder illegal handeln, und dieser
mstand kann nicht zu einem Generalverdacht gegen-
ber dem Medium oder den Nutzern führen.
ie FDP möchte den Fokus und den Blickwinkel erwei-
ern und auch darüber sprechen, welchen Nutzen das In-
2392 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Sebastian Blumenthal
ternet jedem einzelnen Mitglied unserer Gesellschaft zu
bieten hat. Das bezieht sich auf den privaten Bereich ge-
nauso wie auf das berufliche Umfeld. Aus Sicht der
FDP-Fraktion muss es darum gehen, die Chancen und
die Potenziale des Internets in den Mittelpunkt zu stellen
und die entsprechenden politischen Rahmenbedingun-
gen zu schaffen. Auch dazu brauchen wir diese Enquete-
Kommission.
Den vorliegenden Einsetzungsantrag brauchen wir
vor allem, um sicherzustellen, dass wir uns folgenden
konkreten Themen stellen: Wichtig ist, dass die Men-
schen sich ihrer Rechte und ihrer Verantwortung bei der
Nutzung des Mediums Internet bewusst sind, aber sie
müssen auch ihr Bewusstsein dafür schärfen, dass der
Freiheitsgedanke dort zum Tragen kommt.
Wichtig ist ferner, dass wir im Bereich Medienkompe-
tenz dafür Sorge tragen da möchte ich gerne an die
Ausführungen der Kollegin von der SPD anschließen ,
dass die Nutzer eigenverantwortlich, bewusst und frei
entscheiden können, wo sie welche Daten publizieren.
Wir müssen aber auch das Bewusstsein dafür schärfen,
welche Gefahren im Internet vorhanden sind, dass an-
dere mit diesen Daten Missbrauch treiben können. An
dieser Stelle stimme ich der Kollegin von der SPD völlig
zu. Diesbezüglich treffen Sie die Linie der Freien Demo-
kraten: Die Schaffung von Medienkompetenz ist eine
wichtige Aufgabe, der wir uns in der Enquete-Kommis-
sion widmen möchten. Ich freue mich insofern auf die
Zusammenarbeit mit den Kollegen in der Enquete-Kom-
mission.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das Internet hat in den vergangenen 15 Jahren unsere
Welt und unsere Gesellschaft verändert. Bis vor wenigen
Jahren haben auch in der Politik viele eher skeptisch auf
die Entwicklungen in der sogenannten virtuellen Welt
geschaut. Heute ist klar: Es gibt keine Trennung mehr
zwischen virtueller und realer Welt. Für fast 60 Prozent
der Deutschen ist ein Leben ohne Internet nicht mehr
vorstellbar. Es ist zum festen Bestandteil ihres realen Le-
bens geworden.
Das Netz hat dabei einen grundlegenden Wandel hin-
ter sich. Es ist gestartet als eine eher technische Informa-
tions- und Kommunikationsplattform. Heute ist es eine
Lebensplattform, auf der grenzüberschreitend Menschen
zusammenfinden. Im Internet, auf dieser Plattform, wer-
den Freundschaften gepflegt und geschlossen, Interes-
sengemeinschaften bilden und organisieren sich dort,
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ch begrüße daher ausdrücklich den fraktionsübergrei-
enden Antrag zur Bildung dieser Enquete-Kommission.
ir werden darin natürlich auch die Debatten der letzten
ochen weiterführen. Das Internet ist ein freies Me-
ium. Es lebt von der Freiheit. Wir wollen diese Freiheit
uch bewahren. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen:
ur Freiheit gehört untrennbar ein Mindestmaß an Si-
herheit.
as Internet ist kein rechtsfreier Raum.
er Staat muss auch in der Informationsgesellschaft
ittel und Wege haben, wirkungsvoll gegen Kriminali-
ät vorzugehen. Das sind wir unseren Bürgerinnen und
ürgern schuldig.
Dabei haben Fragen des Datenschutzes für mich
berste Priorität. Nicht der Staat, nicht ein Unternehmen,
ondern der Bürger selbst ist Eigentümer seiner persönli-
hen Daten.
uch im Internet gilt das Grundrecht der informationel-
en Selbstbestimmung. Wir müssen die Bürger rechtlich,
echnisch und bezüglich ihres Kenntnisstands in die
age versetzen, dort dieses Recht durchzusetzen. An
ieser Stelle ist nach meiner Ansicht der Unterschied
wischen offline und online, dass der Bürger online, um
berhaupt teilhaben zu können, oftmals gezwungen ist,
eine persönlichen Daten preiszugeben. Es gibt Bürger,
ie hier sehr freigiebig sind; das liegt primär in ihrer ei-
enen Verantwortung. Sie müssen aber auch über mögli-
he Konsequenzen ihres Tuns informiert werden. Auf
er anderen Seite gibt es Bürger, die übervorsichtig sind
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2393
)
)
Dr. Reinhard Brandl
und sich zum Beispiel nicht trauen, online ein Buch zu
kaufen.
Hier sind Staat und Wirtschaft gefordert, Vertrauen in
die Sicherheit des Netzes zu schaffen. Denn nicht nur an
dieser Stelle droht uns eine digitale Spaltung. Während
das Internet für viele zur Lebensplattform geworden ist,
sind es in der Gesamtschau nur 71 Prozent, die das Inter-
net tatsächlich nutzen. Wir dürfen die anderen 29 Pro-
zent nicht vergessen oder gar von gesellschaftlicher Teil-
habe ausschließen.
Sie sehen: Es gibt viel zu tun. Wir werden den Auf-
trag des Deutschen Bundestages ernst nehmen und in
den kommenden zwei Jahren mit Experten und der inte-
ressierten Öffentlichkeit intensiv daran arbeiten. Ich
wende mich an dieser Stelle auch explizit an die Bürge-
rinnen und Bürger, die diesen Debattenbeitrag nicht live,
wie die Kollegen oder die vielen Besucher hier, verfol-
gen, sondern ihn online über das Internet, zum Beispiel
auf bundestag.de, abrufen. Dort wird in wenigen Wo-
chen auch diese Enquete-Kommission mit einem Ange-
bot vertreten sein.
Dort haben Sie die Möglichkeit, sich aktiv in unsere Ar-
beit einzubringen. Nutzen Sie auch diese Möglichkeit
des Internets und der politischen Beteiligung. Wir freuen
uns über jeden Beitrag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Jimmy Schulz von der
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Einsetzung dieser Enquete-
Kommission ist ein Meilenstein für dieses Haus und für
die Politik in Deutschland. Dort wird über sehr viele der
gesellschaftlichen Herausforderungen auf dem Weg in
die Kommunikationsgesellschaft des digitalen Zeitalters
diskutiert werden. Gerade im Bereich Medienkonver-
genz tritt dies besonders deutlich zutage.
Medienkonvergenz ist ein eher dröges Wort für die
dominierende Entwicklung in unserem Alltag. Es geht
um Fragen wie: Was ist Fernsehen? Was ist Rundfunk?
Was ist Telefonie? Ist YouTube ein Fernsehsender? Ist
die Tagesschau eine Internetplattform? Das gilt ge-
nauso für uns in diesem Haus; denn fast alle Kollegen
sind mittlerweile im Internet aktiv. Sie sind tätig als He-
rausgeber und Redakteure von Texten auf der eigenen
Homepage, als Reporter auf Twitter oder als Regisseure
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ie Funktionen von heute noch getrennten Geräten wie
elefon oder Radio werden sich annähern und ver-
chmelzen.
Die Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten
nd der bessere Zugang zu Informationen werden auch
inen positiven Einfluss auf unsere Demokratie haben.
s wird eine deutlich größere Teilhabe der Bürgerinnen
nd Bürger am politischen Geschehen geben. Die Inter-
ktion zwischen Politikern und Bürgern und auch zwi-
chen Herstellern und Verbrauchern ändert sich gerade
uf fundamentale Weise. Deshalb kann die Einsetzung
ieser Enquete-Kommission nur ein Startschuss für die
ringend notwendige politische Begleitung dieser The-
en sein.
Ich freue mich ganz besonders, dass diesem Bundes-
ag eine ganze Reihe neuer junger Abgeordneter mit
ompetenz angehört. Herr Kollege Klingbeil, Kompe-
enz beweist man jedenfalls nicht, indem man bei der
esetzung der Enquete-Kommission auf die Generation
ünzfernsprecher setzt. Wir setzen auf Abgeordnete,
ie aus der Branche und der Community kommen.
Wir werden uns Gedanken machen, wie wir als Ge-
ellschaft und als Gesetzgeber den technologischen Fort-
chritt und seine Auswirkungen dauerhaft beobachten
nd, falls erforderlich, regelnd eingreifen. Wir brauchen
angfristig brauchbare Erkenntnisse und Positionen. Wir
önnen diese Enquete-Kommission schließlich nicht in
eder Legislaturperiode neu einsetzen. Dieses Quer-
chnittsthema verdient auch in diesem Haus seinen eige-
en Platz.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
nternet ist eine Kommunikations- und Informations-
lattform, die in der Geschichte der Menschheit bisher
ein Vorbild kennt. Deshalb ist vieles, wie so oft bei
euen Entwicklungen, für erfreulich viele Menschen erst
2394 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Marco Wanderwitz
einmal sehr positiv. Sie gehen unvoreingenommen und
positiv an die Dinge heran. Das ist, wie ich glaube, eine
gute Sache. Aber neben dem Positiven und all den
Potenzialen gibt es im Zusammenhang mit dieser neuen
Informations- und Kommunikationsplattform auch Risi-
ken und Gefahren. Diese will ich, wollen wir als Union
nicht in den Vordergrund stellen, aber wir wollen sie
auch nicht ausblenden.
Der Kollege Koeppen hat vorhin davon gesprochen, dass
wir Leitplanken brauchen; das ist ein richtiges und schö-
nes Bild. Wir brauchen ein Leitbild ich hoffe, wir kön-
nen uns möglichst einvernehmlich darauf verständigen ,
und wir müssen hier und da gewisse Leitplanken setzen.
Mehr oder weniger freiwillig die Kollegin hat da-
rauf schon hingewiesen werden heute im Internet von
vielen Leuten viele Informationen preisgegeben: beim
Onlinebanking, beim Einkaufen oder wenn sie Fotos ins
Netz stellen. Sie tun das manches Mal sicherlich auch,
ohne zu wissen, was alles mit ihren Daten passieren
kann. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei der Vermitt-
lung von Medienkompetenz vorankommen, einerseits
bei den jungen Leuten, andererseits aber natürlich auch
bei denen, die nicht mit dem Internet groß geworden
sind.
Als Sie, Herr Kollege, gerade die Generation Münz-
fernsprecher erwähnt haben, klang das für mich ein
bisschen negativ. So war es sicherlich nicht gemeint.
Aber Spaß beiseite: Bei vielen neuen technischen Ent-
wicklungen ging es immer darum, auch die vielen mitzu-
nehmen, die nicht mit dem Internet groß geworden sind.
Deswegen ist mir einerseits wichtig, junge Leute mit
Medienkompetenz auszustatten, aber andererseits eben
auch, diejenigen, die für sich bis jetzt noch nicht den
richtigen Zugang gefunden haben, mit Angeboten zu
versehen, damit sie den Einstieg finden und zumindest
teilweise die Chancen des Internets nutzen können.
Es wurde bereits angesprochen, dass wir im Bereich
Jugendmedienschutz eine ziemlich große Baustelle ha-
ben. Es gibt allerdings einige erfreuliche Entwicklungen.
fragFINN ist schon genannt worden. Ich halte dies für
ein tolles Projekt, auf dem man aufbauen kann und das
durch die Bundesregierung entsprechend vorangetrieben
wird. Aber da müssen wir eine ganze Menge mehr tun.
Deshalb will ich diesen Bereich der Enquete-Kommis-
sion bei ihrer Arbeit mit auf den Weg geben.
Ein Punkt, der bisher noch keine so große Rolle ge-
spielt hat, obwohl ihn einige Kolleginnen und Kollegen
angesprochen haben, ist der Schutz des geistigen Eigen-
tums. Wir haben aufgrund vieler Debatten in diesem
Hause gesehen, dass es hier durchaus eine Bandbreite an
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Ein weiteres Thema, das wir in diesem Hause durch-
us kontrovers diskutieren ich will der Debatte hier
icht aus dem Wege gehen, sondern sie im Gegenteil of-
ensiv ansprechen , ist die Aussage, die Kollege
retschmer vorhin traf: Im Internet gelten die gleichen
echte. Ich will es etwas anders formulieren: Es gilt das
leiche Recht. Wir müssen uns mit der Frage beschäfti-
en, wie wir mit Kinderpornografie, Extremismusdar-
tellungen, Gewaltverherrlichung und dergleichen mehr
mgehen, und hier zu ernsthaften Lösungen kommen.
isher ist es uns noch nicht gelungen, im Internet auch
ur ansatzweise einen vergleichbaren Schutz sicherzu-
tellen wie außerhalb dieses Mediums. Das ist ein wich-
iges Thema, bei dem wir meines Erachtens ein Stück
eiterkommen müssen. Die Position, gegen alles zu
ein, die so manch einer vertritt, ist mir jedenfalls etwas
u einfach.
Der Arbeitsauftrag an die Enquete-Kommission, wie
ch ihn einmal definieren will, könnte lauten: Wie schaf-
en wir es, auf der einen Seite die Chancen zu nutzen,
hne übermäßig einzuschränken und zu gängeln, aber
uf der anderen Seite auch die schützenswerten Rechte
icht völlig außer Acht zu lassen?
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des
ündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/950 mit
em Titel Einsetzung einer Enquete-Kommission In-
ernet und digitale Gesellschaft. Hierzu liegt ein Ände-
ungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir zu-
ächst abstimmen.
Wer stimmt dem Änderungsantrag der Fraktion Die
inke auf Drucksache 17/951 zu? Gegenstimmen?
nthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
en der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-
raktion und Zustimmung der Fraktionen Die Linke und
ündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Jetzt kommen wir zum Einsetzungsantrag auf Druck-
ache 17/950. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dage-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2395
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
gen? Enthaltungen? Der Antrag ist einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Folgen der Krise für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer abmildern ALG I befristet auf
24 Monate verlängern
Drucksachen 17/22, 17/269
Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Mast
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Heike Brehmer von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir behandeln heute einen Antrag
der Linken, in dem formuliert wird, dass der
Einbruch am Arbeitsmarkt geringer ist, als befürch-
tet.
Meine Damen und Herren von der Linken, worüber
diskutieren wir dann heute?
Unsere Maßnahmen zur Bewältigung der Krise haben
Wirkung gezeigt. Der große Einbruch am Arbeitsmarkt,
den einige Experten in düstersten Prognosen ausgemalt
haben, hat bisher nicht stattgefunden. Dies belegen die
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Saisonbereinigt
sind die Zahlen angesichts der Krise sogar positiv zu be-
werten. In Ostdeutschland liegt die Arbeitslosenquote
gegenwärtig bei 13,7 Prozent. Insgesamt sind 3,6 Millio-
nen Menschen arbeitslos. Dies ist Ausdruck einer Ar-
beitsmarktpolitik mit Augenmaß, an der vor allem die
unionsgeführte Bundesregierung einen großen Anteil
hatte und hat.
Unsere Arbeitsmarktreformen haben gewirkt. Vor der
Krise nahm die Zahl der Arbeitslosen von über 5 Millio-
nen auf knapp 3,2 Millionen ab. Im Februar 2010 sank
die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern gegen-
über dem Vorjahresmonat sogar um 3,5 Prozent. Das
sind Erfolge, die Sie nicht wegdiskutieren können.
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iese Zahlen zeigen, dass wir in den zurückliegenden
onaten durch die Einführung der Kurzarbeiterrege-
ung, durch die Absenkung des Arbeitslosenversiche-
ungsbeitrages auf 2,8 Prozent und durch die Verlänge-
ung der Arbeitslosengeld-I-Bezugsdauer für ältere
rbeitnehmer die richtigen Maßnahmen getroffen ha-
en, um in der Krise Arbeitsplätze zu erhalten.
Ein Wort zur Kurzarbeiterregelung. Mit den Konjunk-
urpaketen I und II hat die unionsgeführte Bundesregie-
ung die Weichen richtig gestellt. Daran haben Sie von
er SPD mitgewirkt.
ie christlich-liberale Koalition hat im November letz-
en Jahres die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld verlän-
ert. Diese Maßnahme finanzieren wir aus dem Bundes-
aushalt mit circa 1,5 bis 2 Milliarden Euro. Dadurch
nterstützen wir in der Krise Arbeitnehmer und mittel-
tändische Betriebe dort, wo Hilfe gebraucht wird.
Die Bundesagentur für Arbeit hat jüngst mitgeteilt,
ass gerade kleine und mittelständische Betriebe die
urzarbeiterregelung nutzen. 15 Prozent der Unterneh-
en, die weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigen, nutzen
ie Kurzarbeiterregelung. Die Hälfte der Betriebe, die
wischen 20 und 500 Mitarbeiter beschäftigen, nutzt die
urzarbeiterregelung. Von den großen Unternehmen
utzt nur ein Drittel die Kurzarbeiterregelung. Die
hristlich-liberale Koalition wird die Rahmenbedingun-
en dafür schaffen, dass die Arbeitsplätze der Arbeitneh-
er in den mittelständischen Unternehmen erhalten blei-
en.
Eine Verlängerung der Arbeitslosengeld-I-Bezugs-
auer würde die schon zu hohen Lohnnebenkosten wei-
er ansteigen lassen. Die Linke macht in ihrem Antrag
einen einzigen Vorschlag, wie diese Maßnahme gegen-
inanziert werden soll. Eine Anhebung des Arbeitslosen-
ersicherungsbeitrages und somit die Gefährdung von
underttausenden sozialversicherungspflichtigen Be-
chäftigungsverhältnissen wären die Folge.
Im letzten Wahlkampf hat die Linke mit dem Slogan
Reichtum für alle geworben.
2396 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Heike Brehmer
Im Gegensatz zu Ihnen müssen wir verantwortungsvoll
handeln. Wir können keine leeren Versprechungen abge-
ben.
Mit der Verabschiedung des morgen auf der Tages-
ordnung stehenden Entwurfs eines Sozialversicherungs-
Stabilisierungsgesetzes werden wir Folgendes tun: Ers-
tens. Die Beitragssätze und damit die Lohnnebenkosten
werden stabilisiert. Zweitens. Die Bundesagentur erhält
einen Bundeszuschuss, um ihre Mindereinnahmen aus-
zugleichen. Drittens. Wir werden die Freibeträge für das
Altersvorsorgevermögen von 250 Euro auf 750 Euro je
vollendetem Lebensjahr erhöhen. Viertens. Außerdem
stärken wir die private Altersvorsorge.
Im Vergleich zu den Maßnahmen in anderen EU-Län-
dern haben unsere Maßnahmen zur Bekämpfung der
Krise Wirkung gezeigt. Darauf können und werden wir
uns nicht ausruhen. Viele Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer konnten sehr schnell wieder in den Arbeits-
markt vermittelt werden. Ein Grund dafür ist die aktive
Arbeitsvermittlung. Ich möchte diese Gelegenheit heute
nutzen und mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern der BA und allen privaten Arbeitsvermittlern bedan-
ken, welche mit großem persönlichen Einsatz tagtäglich
Menschen wieder in Arbeit bringen.
Mit Blick auf die demografische Entwicklung in den
nächsten Jahren können wir es uns nicht leisten, jüngere
Arbeitnehmer zu Hause zu lassen. Wir brauchen drin-
gend Fachkräfte, vor allem in technischen und naturwis-
senschaftlichen Berufen. Wir werden alles daransetzen
und entsprechend dem Bedarf auf unserem Arbeitsmarkt
verstärkt qualifizieren und ausbilden. Als nächste
schwierige Aufgabe steht die Neuordnung der Jobcenter
im SGB II vor uns. Dies ist eine große, wichtige und be-
deutende Aufgabe. Die Betroffenen sollen ihre Leistun-
gen ab dem 1. Januar 2011 in gewohnter Weise erhalten.
Wir lehnen den Antrag der Linken ab.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Kurzarbeit als breitere
und längere Beschäftigungsbrücke ist ein Erfolg. Ich
sage das, weil das schnell in Vergessenheit gerät, und
will auch daran erinnern, dass Gelb-Schwarz schlecht
beraten war, sie vorschnell zurückzubauen. Und wer hat
diese breite Beschäftigungsbrücke erfunden ich frage
einmal wie in der Werbung , Frau Brehmer, die uns in
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)
ch glaube, das ist eine gute Sache. Wenn Sie die Bera-
ungen im Ausschuss verfolgt hätten, dann hätten Sie
itbekommen, dass selbst der Chef der Bundesagentur,
2398 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Johannes Vogel
Herr Weise, gesagt hat, dass das Darlehen grundsätzlich
die sinnvollere Lösung ist,
weil es dazu anhält, sinn- und maßvoll mit den Mitteln
umzugehen. Das hat er so gesagt.
In einer Jahrhundertkrise, wie wir sie gerade erlebt
haben, in der durch das Kurzarbeitergeld zwangsläufig
höhere Kosten auf die BA zukommen, muss man Son-
derlösungen finden. Das haben wir als Regierung mit
dem Sonderzuschuss getan. Darüber werden wir morgen
im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungs-Stabi-
lisierungsgesetz nochmals beraten. Das ist der Ausdruck
dessen, dass wir in der Krise bereit sind, zu agieren.
Aber der BA langfristig einen Freifahrtschein auszustel-
len und zu signalisieren, dass es egal ist, ob das Darlehen
zurückgezahlt wird, weil der Bund für das Defizit haftet,
ist ein völlig falscher Weg, der selbst von der Bundes-
agentur abgelehnt wird.
Ein weiterer Punkt neben den falschen Voraussetzun-
gen ist, dass wir es für besser halten, die Folgen der
Krise zu verhindern, statt sie abzumildern. Ziel muss
doch sein, Arbeitsplätze zu schaffen.
Ja, Frau Pothmer, lassen Sie mich doch ausführen, was
wir tun. Sie signalisieren, dass die Arbeitslosigkeit
nicht mehr so schlimm wäre, wenn wir die Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes verlängern. Ich halte das für ein
völlig falsches Signal. Wir müssen vielmehr die beste-
henden Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, indem
wir Wachstum fördern. Das ist allemal sinnvoller, als die
Arbeitslosigkeit komfortabler zu gestalten.
Der dritte Grund, den Antrag abzulehnen, ist, dass er
neue Ungerechtigkeiten produziert. Mit welcher Begrün-
dung wollen Sie, wenn die Arbeitslosigkeit alle Men-
schen gleich hart trifft, heute ein Jahr Arbeitslosengeld,
morgen zwei Jahre und übermorgen wieder drei Jahre
Arbeitslosengeld gewähren? Das nimmt Ihnen niemand
ab. Das kann man auch niemandem vermitteln. Die
Menschen würden das zu Recht als ungerecht empfin-
den; insofern kann man das nicht machen. Man kann
niemandem vermitteln, warum jemand, wenn er zufällig
in einem bestimmten Zeitkorridor arbeitslos wird, anders
behandelt wird als derjenige, den dieses Schicksal davor
oder danach ereilt hat.
Der vierte Grund ist, dass wir meines Erachtens die
Mittel der Bundesagentur besser einsetzen müssen,
zum Beispiel für die Qualifikation. Sie haben selber aus-
geführt, dass wir den Menschen Qualifikationsangebote
machen sollten.
Ich frage Sie: Woher wollen wir das Geld für die Qua-
lifikation nehmen, wenn Sie den Beitrag für die Verlän-
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as ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Wachstum und auf
em Weg aus dieser Krise.
Wir wollen außerdem die Abgabenbelastung und die
teuerbelastung der Menschen niedrig halten; darüber
achen wir uns Gedanken. Wir wollen die Steuern wei-
er senken und den Sozialstaat so ausgestalten, dass sich
er Weg in den Arbeitsmarkt durch bessere Zuverdienst-
öglichkeiten lohnt und dass nicht der Verbleib in der
rbeitslosigkeit befördert wird.
Ich finde, Ihr Antrag ist für Ihre Verhältnisse insgesamt
ngewöhnlich konsistent; das muss man sagen. Gewöhn-
ich ist allerdings in meinen Augen die vollkommen ver-
ehlte Zielsetzung. Sie verschlimmern die Situation und
ollen dies konsequenterweise durch die Wiedereinfüh-
ung der Defizithaftung finanzieren. Der Unterschied ist:
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2399
)
)
Johannes Vogel
Sie wollen die Arbeitslosigkeit verwalten. Wir wollen sie
bekämpfen. Anstatt an den vermeintlichen Folgen herum-
zudoktern, nehmen wir die Herausforderung ernst und
schaffen neue Perspektiven und neue Arbeitsplätze für
die Menschen. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Sabine Zimmermann für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Vogel, welche Arbeitsplätze wollen Sie
schaffen? Welche Arbeitsplätze haben Sie geschaffen?
Das waren nur Arbeitsplätze im Minijobbereich und im
Midijobbereich, also im Bereich der prekären Beschäfti-
gungsverhältnisse. Das ist Ihr Slogan. Wir hatten beim
Arbeitslosengeld I einst eine Bezugsdauer von 32 Mona-
ten. Das ist mein erster Punkt.
Nun zu meinem zweiten Punkt. Frau Brehmer, wenn
man Ihnen so zuhört, dann denkt man, die Welt sei in
Ordnung. Ich muss Ihnen aber sagen, dass die Realität
wesentlich anders aussieht. Sie müssen einmal in einen
Betrieb gehen und sich sachkundig machen, wie es den
Menschen geht. Ihr Slogan ist nicht Reichtum für alle,
sondern Mehr Armut in diesem Land. Das ist bedenk-
lich.
Was wir hier im Moment erleben, ist eine unerträgli-
che und verlogene Sozialhetze durch die FDP und ganz
konkret durch Herrn Westerwelle. Daran sind auch Sie
beteiligt, Herr Vogel.
Es werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ei-
nem niedrigen Lohn gegen Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer mit einem guten Tarif ausgespielt. Arbeits-
platzbesitzer werden gegen Erwerbslose aufgehetzt; das
kann es einfach nicht sein. Der Grund ist aus meiner
Sicht, dass Sie offensichtlich einen weiteren Sozialabbau
vorbereiten.
Unser Antrag, der heute zur Abstimmung steht ich
gehe davon aus, dass Sie ihm alle zustimmen ,
geht natürlich in die andere Richtung. Wir wollen den
Sozialstaat und die Arbeitslosenversicherung stärken,
und das im Interesse von Millionen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern. Worum geht es? Im Zuge der Wirt-
schaftskrise verlieren Hunderttausende ihren Job. Nicht
wenige rutschen wegen fehlender Jobs nach einem Jahr
vom Arbeitslosengeld I in Hartz IV. Das ist eine Politik,
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ie Arbeitslosenzahlen steigen, und sie werden in den
ächsten Monaten noch weiter ansteigen. Das wahre
usmaß der Unterbeschäftigung ist deutlich größer, als
2400 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Brigitte Pothmer
es die offiziellen Arbeitslosenzahlen vermuten lassen. In
Deutschland fehlen im Moment mehr als 5 Millionen
Vollzeitarbeitsplätze. In dieser zugespitzten Situation
müsste eine Regierung alles, aber auch alles tun, um vor-
handene Arbeitsplätze zu sichern und die Entstehung
neuer Arbeitsplätze anzuregen.
In dieser Situation müssten Sie alles, aber auch alles tun,
um vor allen Dingen diejenigen bestmöglich zu unterstüt-
zen, die einen Arbeitsplatz suchen. Das heißt vor allem
langfristige Qualifizierung. Was tut Ihr Außenminister,
Herr Vogel? In dieser arbeitsmarktpolitisch schwierigen
Situation bricht er eine Hetzkampagne gegen Arbeitslose
vom Zaun.
Ich persönlich hätte eigentlich erwartet, dass die Kanzle-
rin wirklich mehr als eine Stilkritik äußert, dass sie sich
ohne Wenn und Aber von ihrem Außenminister abgrenzt
und sich vor die Geringqualifizierten und die Arbeitslo-
sen stellt. Das hat sie nicht getan.
Ich kann daher nur sagen: Shame on you!
Was Sie in dieser Krise, die auch eine Strukturkrise
ist, tun sollten, wäre, Konzepte für Innovationen und zu-
kunftstaugliche Arbeitsplätze vorzulegen. Wir brauchten
von Ihnen Konzepte für Aus- und Weiterbildung. Der
letzte Tag der Krise damit haben Sie, Herr Vogel, aus-
nahmsweise recht ist der erste Tag des Fachkräfteman-
gels. Aber, lieber Herr Vogel, wo bleiben denn Ihre Kon-
zepte, um Fachkräfte tatsächlich vorzuhalten?
Frau Zimmermann, Sie liegen mit der Beschreibung
der Arbeitslosenproblematik nicht ganz falsch. Aber Sie
können doch nicht allen Ernstes glauben, dass bei einer
Problembeschreibung dieser Kategorie, der Sie nicht wi-
dersprechen, die einfache Verlängerung der Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes I eine richtige und angemessene
Lösung ist. Die reine Verlängerung der Bezugsdauer
passiver Leistungen ist keine hinreichende Antwort.
Ich frage Sie: Was ändert sich qualitativ tatsächlich
für einen 55-jährigen Arbeitslosen, wenn er sechs Mo-
nate länger Arbeitslosengeld I erhält? Das bringt ihn ei-
nem Arbeitsplatz keinen Millimeter näher. Was wir ihm
anbieten müssen, ist Qualifizierung. Sie wissen genauso
gut wie ich, wie schnell Arbeitslosigkeit dequalifiziert.
Ich finde es wirklich schade, dass Sie außer der Ver-
längerung der Bezugsdauer von Transferleistungen we-
nig anzubieten haben.
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rau Zimmermann, die Anstrengungen, die wir unter-
ehmen müssen, bestehen darin, Menschen wieder in
rbeit zu bringen. Die Umsetzung Ihres Vorschlages
ürde unglaublich viel Geld verschlingen und brächte
ns einer qualitativen Lösung keinen Millimeter näher.
eswegen müssen unsere Anstrengungen in eine andere
ichtung gehen, Frau Zimmermann. Das denke ich da-
über.
Was ich an Ihrem Antrag übrigens auch problema-
isch finde, ist die Tatsache, dass die Grundsicherungs-
mpfänger davon überhaupt nicht profitieren. Die wahre
erausforderung, der wir uns zu stellen haben, ist, Men-
chen nicht in Dauerarbeitslosigkeit zu entlassen. Was
ir machen müssen, ist, sie für die Umsetzung neuer, in-
ovativer Produktideen und eine ökologisch ausgerich-
ete Wirtschaft zu gewinnen.
Ich will Ihnen sagen, worauf wir setzen. Wir Grüne
etzen auf regionale und weiterbildungsorientierte
ransfergesellschaften. Transfergesellschaften geben
en Menschen eine finanzielle Absicherung und bieten
hnen Qualifizierung und Beschäftigung. Kurzarbeit und
ransfergesellschaften sind arbeitsmarktpolitische Kon-
epte, die Beschäftigungsfähigkeit erhalten und wirksam
or einem Abgleiten in die Grundsicherung schützen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2401
)
)
Brigitte Pothmer
Die reine Ausweitung passiver Leistungen eröffnet über-
haupt keine Perspektive. Das ist der Grund, warum wir
Ihren Antrag ablehnen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Paul Lehrieder.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!
Werte Kollegen! Wir haben vor einigen Wochen hier im
Plenum über einen Antrag der Linkspartei zu der Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts beraten und
diskutiert. Dieser Antrag datiert vom 10. Februar; das
Urteil ist vom 9. Februar 2010. Man hatte den Eindruck:
Die Tinte war noch nicht trocken, da haben Sie Ihren
Antrag schon geschrieben, oder er war schon vorgefer-
tigt.
Heute ist es genau umgekehrt. Wir stimmen über ei-
nen Antrag vom 10. November 2009 ab, in welchem Sie
ausführen:
Der Einbruch am Arbeitsmarkt ist geringer, als be-
fürchtet wurde. Dies ist auf die stabilisierende Wir-
kung des verlängerten Kurzarbeitergeldes zurück-
zuführen.
Frau Kollegin Lösekrug-Möller hat bereits auf die Vo-
raussetzungen dafür, die wir seinerzeit noch in der Gro-
ßen Koalition schaffen konnten, hingewiesen. Nicht nur
Olaf Scholz, sondern auch wir haben daran mitgewirkt.
Viele der derzeit von Kurzarbeit Betroffenen sind
aktuell von Arbeitslosigkeit bedroht, haben Sie am
10. November 2009 geschrieben.
Mittlerweile dürfen wir feststellen, dass zum Glück
dafür gebührt den kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen ein ganz besonderes Lob sehr viele Unterneh-
men das Instrument der Kurzarbeit länger und ausgiebi-
ger nutzen, als wir es uns bei seiner Einführung vorstellen
konnten. Allen Unternehmen gebührt Respekt, die uns
trotz Auftragsflaute geholfen haben, das Tal nicht so tief
werden zu lassen, wie es uns noch vor Jahresfrist alle
Wirtschaftsinstitute prognostiziert haben.
Der eine oder andere ist vielleicht noch im Besitz alter
Tageszeitungen von Januar und Februar 2009. Wenn
man sich die damaligen Prognosen für die heutige Zeit
anschaut, sieht man, dass uns kein einziges Institut unter
4 Millionen Arbeitslose gesehen hat. Durch die Verlän-
gerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes haben
wir eine viel geringere Delle in der Wirtschaft und im
Arbeitsmarkt erlitten, als wir es noch vor einem Jahr be-
fürchtet haben.
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eshalb können, wollen und werden wir Ihrem Antrag
icht zustimmen.
Die nächsten Monate werden zeigen, dass wir gerade
ie Facharbeiterqualifikation von älteren Menschen ganz
nders zu betrachten haben, als es in den letzten Jahr-
ehnten der Fall war. Wir werden froh sein, wenn auch
ltere Menschen in Lohn und Brot bleiben und weiterhin
ur Verfügung stehen.
Für jüngere Arbeitnehmer, also diejenigen unter
0 Jahren, beträgt die Anspruchsdauer tatsächlich zwölf
onate, allerdings bereits seit Inkrafttreten des Arbeits-
örderungsgesetzes man höre und staune am 1. Juli
969. Ihr Antrag geht irrtümlicherweise davon aus, dass
in möglichst langer Arbeitslosengeldbezug ein Garant
ür sozialen Frieden ist. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn
emand bereits im zweiten Jahr ALG I bezieht, kann er
avon ausgehen, dass er noch weniger vermittelbar ist
ls im ersten Jahr. Wir sind sehr froh, dass es uns gelingt,
inen Großteil der ALG-I-Bezieher wieder in eine so-
ialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bekommen.
uch dafür gebührt den Agenturen für Arbeit sowie den
rgen, die im Bereich des ALG II dafür zuständig sind,
2402 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Paul Lehrieder
ein ausdrückliches Wort des Dankes. Sie bemühen sich,
Arbeitsplätze zu schaffen und ihrer Vermittlungsaufgabe
nachzukommen.
Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Zimmermann zu?
Ja, Frau Zimmermann, bitte.
Verehrter Herr Kollege Lehrieder, ich habe eine ganz
kurze Frage: Wo, bitte schön, sind die Millionen von Ar-
beitsplätzen, die wir für unsere hohe Zahl von arbeitslo-
sen Menschen brauchen?
Anders als die Linkspartei glaubt, sind Millionen von
Arbeitsplätzen keineswegs staatlich zu garantieren. Sie
fordern letztendlich einen öffentlichen Arbeitsmarkt, der
steuerfinanziert aufgebaut werden müsste.
Wir müssen den Unternehmen die Möglichkeit geben,
diese Arbeitsplätze hier zu schaffen, und zwar für alle
Lohngruppen. Es geht hier eben nicht nur um den Be-
reich der Hochqualifizierten. Unsere Kanzlerin hat die
Aussage getroffen: Die Krise bietet die Chance, aus ihr
besser aufgestellt herauszukommen, als wir in sie hi-
neingegangen sind, wenn wir die richtigen Bereiche för-
dern. Ich denke an Elektromobilität und die regenerati-
ven Energien; da haben die Grünen in den letzten Jahren
gut mitgewirkt. Wir haben schon die Chance, der Welt
auch in Zukunft Produkte anzubieten und so wieder zu
dem Exportweltmeister zu werden, der wir in den letzten
Jahren waren. Ob wir das mit dem Export großkalibriger
Autos erreichen werden, das mag dahingestellt sein.
Natürlich müssen wir auch Arbeitsplätze schaffen.
Wir haben in diesem Haushalt das, Frau Zimmermann,
haben Sie sicherlich gemerkt den Bereich Bildung,
Entwicklung und Forschung ausgeweitet, ganz einfach
deshalb, weil wir, wenn wir im internationalen Wettbe-
werb konkurrenzfähig bleiben wollen, auch in Zukunft
gute, unserem Lebensstandard entsprechende, hochwer-
tige Produkte herstellen müssen, die wir weltweit ex-
portieren können. In dieser Hinsicht müssen wir die Un-
ternehmen unterstützen. Da können wir einiges tun. Da
entstehen die Arbeitsplätze der Zukunft. Unsere Ziele er-
reichen wir nicht mit staatlichem Dirigismus und VEBs,
wie es sie früher einmal gegeben hat.
Die Arbeitslosenversicherung ist eine Risikoversiche-
rung und keine Ansparversicherung. Das Ziel muss sein,
Arbeitsplätze zu schaffen; ich habe bereits darauf hinge-
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, weiterer Abgeordneter und der Frak-
und der Fraktion der FDP
Bologna-Prozess vollenden Länder und
Hochschulen weiter unterstützen
Drucksache 17/905
Es ist vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debat-
ieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das
o beschlossen.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär
homas Rachel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
erren! Gemeinsame Ziele, vergleichbare Strukturen in
uropa, aufeinander aufbauende Hochschulabschlüsse,
emeinsame Instrumente der Qualitätssicherung, dies al-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2403
)
)
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
les beschreibt den europäischen Hochschulraum. Mit
dem Bologna-Prozess sind wir dieser Vision ein gutes
Stück nähergekommen.
Viele junge Menschen profitieren davon. Wir sehen
aber auch, dass es an vielen Stellen hakt und die Umset-
zung nicht überall so problemlos verläuft, wie wir uns
das erhoffen. Bei der Bologna-Jubiläumskonferenz in
Budapest und Wien wird es deshalb neben der Zufrie-
denheit mit bereits Erreichtem um eine kritische Aus-
einandersetzung mit offenbar gewordenen Defiziten in
der konkreten Umsetzung gehen müssen. Grundlage für
die Bewertung werden die Ergebnisse einer unabhängi-
gen Evaluation durch ein internationales Konsortium
von Hochschulforschern sein sowie Studien der am Bo-
logna-Prozess beteiligten Studierenden und Hochschul-
organisationen.
Wo stehen wir? Der überwiegende Teil der 46 Bolo-
gna-Länder hat die notwendigen rechtlichen Rahmenbe-
dingungen geschaffen. Es wurden in allen Ländern ge-
stufte Studienstrukturen eingeführt, mit einem ersten
Abschluss nach drei oder vier Jahren und einem zweiten
nach einem oder zwei weiteren Jahren. Hier in Deutsch-
land wurden bereits 79 Prozent aller Studiengänge auf
Bachelor und Master umgestellt. Zwischen den Staaten
gibt es noch Unterschiede in der Umsetzung. Bisher hat
es noch kein Land geschafft, alle Vorgaben zu erfüllen.
Ich denke, eine so tiefgreifende Reform braucht auch ein
wenig Zeit.
Ich habe in den vielen Gesprächen in den letzten Mo-
naten vor allem zwei Dinge gelernt:
Erstens. Ich habe mit vielen Studierenden gesprochen.
Dabei hat sich mein Eindruck bestätigt, dass die ganz
überwiegende Mehrheit die Ziele der Bologna-Reformen
unterstützt. Das zeigen auch die aktuellen Umfragen:
Drei Viertel der Studierenden unterstützen die Ziele der
Bologna-Reformen.
Zweitens. Die Umsetzung der Reformen kann und
muss verbessert werden. Als Allererstes nenne ich die
Frage der Studierbarkeit. Hier muss es Verbesserungen
geben. Außerdem müssen Mobilitätshindernisse, natio-
nal wie international, ausgeräumt werden. Schließlich
müssen wir für eine noch breitere Akzeptanz des Bache-
lors sorgen. Es geht also um konkrete Maßnahmen vor
Ort, an der einzelnen Hochschule, die den Studienalltag
der Studierenden unmittelbar betreffen.
Ich bin sehr froh, dass die Kultusministerkonferenz
und die Hochschulrektorenkonferenz erste Schritte un-
ternommen haben, um die konkreten Studienbedingun-
gen vor Ort zu verbessern. Ich nenne die Neufassung der
Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkredi-
tierung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Wir
als Bundesregierung unterstützen diesen Veränderungs-
prozess. In dieser Legislaturperiode wird der Bund
12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und For-
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ir alle spüren doch: Die deutsche Hochschullandschaft
st so in Bewegung wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
rstmalig haben wir eine Studienanfängerquote von
3 Prozent. Das ist Rekord in der deutschen Geschichte.
ch finde, das ist positiv.
Der schon von der vorherigen Bundesregierung auf
en Weg gebrachte, aber jetzt von den Koalitionsfraktio-
en und der Bundesregierung verstärkte Hochschulpakt
eigt sehr viel schneller Wirkung, als wir erwartet haben.
ereits über 100 000 zusätzliche Studienplätze sind ge-
chaffen worden; das sind mehr, als für den jetzigen
eitpunkt vorgesehen war.
as zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass
ir die Chancen der auszubildenden jungen Menschen
rnst nehmen. Wir möchten, dass sie am Hochschul-
2404 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
standort Deutschland beste Ausgangsbedingungen be-
kommen. Wir sehen auch mit Freude, dass unsere Hoch-
schulstandorte für Studierende aus der ganzen Welt
attraktiv sind. Die Bundesrepublik Deutschland steht
hinter den USA und Großbritannien an dritter Stelle hin-
sichtlich der Zahl ausländischer Studierender.
Nur das, was sich verändert, kann langfristig Bestand
haben. Das sage ich auch denen an den Hochschulen, die
sich noch schwertun, weil sich manches eben gegenüber
dem, wie es in den letzten 20 bis 30 Jahren war, ändert.
Aber die deutschen Hochschulen haben auch eine
Chance, nämlich die Chance, sich als Teil des europäi-
schen Hochschulraums zu verstehen. Das heißt, sie müs-
sen die internationalen Ansprüche und Erwartungen
auch erfüllen. Die Partner in anderen am Bologna-Pro-
zess beteiligten Ländern achten darauf. Die Hochschulen
müssen sicherstellen, dass die Studierenden in unserem
Lande auf der Basis einer guten Lehre und unter den
richtigen Studienbedingungen hervorragend ausgebildet
werden. Das muss das gemeinsame Anliegen von uns al-
len sein.
Meine Damen und Herren, uns verbindet in der christ-
lich-liberalen Koalition,
dass wir gemeinsam dafür arbeiten möchten, dass noch
mehr junge Menschen auf dem beruflichen Sektor, aber
auch in der Hochschullandschaft insgesamt qualifiziert
ausgebildet werden. Deutschland braucht mehr gut aus-
gebildete Menschen. Gemeinsam mit den Bundeslän-
dern, den Studierenden und den Hochschulen wollen wir
diesen Hochschulstandort noch attraktiver und leistungs-
fähiger machen.
Herzlichen Dank.
Jetzt hat der Kollege Swen Schulz das Wort für die
Fraktion der SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im
Hochschulbereich eine ganze Menge Probleme; das ha-
ben die Studierendenproteste gezeigt. Aber auch unser
Fachgespräch zur Umsetzung des Bologna-Prozesses,
das wir neulich im Ausschuss geführt haben, hat deutlich
gemacht, dass wir einen erheblichen Handlungsbedarf
haben. Alle Experten haben das gesagt. Und so erwarten
die Bürgerinnen und Bürger, die Studierenden und die
Lehrenden eine kraftvolle Initiative der Regierungsko-
alition.
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Dann begrüßen Sie umfangreich unterschiedliche an-
ebliche Aktivitäten der Bundesregierung:
Der Deutsche Bundestag begrüßt
das Bekenntnis
der Bundesregierung,
die Bereitschaft der
Bundesregierung,
die Absicht der Bundesregie-
rung,
was haben wir hier noch? Noch einmal:
die Absicht der Bundesregierung,
die Einladung
der Bundesbildungsministerin
An einer Stelle werden Sie allerdings konkret und
orsch. Sie sprechen nämlich von dem Bologna-Ge-
präch am 12. April 2010. Es ist dumm gelaufen: Das
espräch ist am 17. Mai. Sogar Sie sind also von der
chlafmützigkeit Ihrer Ministerin überrascht worden.
Wenn ich mir den Katalog dessen ansehe, was Sie an
er Bundesregierung begrüßen, dann stelle ich fest, dass
och fehlt, dass Sie die Ministerin dafür abfeiern, dass
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2405
)
)
Swen Schulz
sie morgens ins Büro geht und dem Pförtner Guten Mor-
gen wünscht.
Es schließen sich dann Aufforderungen vollkommen
ohne Belang und noch viel länger und ausführlicher
Appelle an die Länder, die Hochschulen und die Wirt-
schaft, also an die Adresse von anderen, an. Meine sehr
verehrten Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, das ist ideenlos, harmlos, folgenlos. Das bringt uns
nicht weiter.
Dass Ihnen das selbst ein bisschen peinlich ist, merkt
man schon daran, dass Sie über diesen Antrag hier direkt
abstimmen lassen wollen und ihn nicht erst, wie das nor-
malerweise der Fall ist, in die Ausschussberatung über-
weisen und dann noch einmal im Plenum über ihn disku-
tieren lassen wollen. Das Ding soll vielmehr schnell weg
in die Rundablage. Das ist keine ernsthafte parlamentari-
sche Arbeit, sondern ein Witz. Das geht so nicht.
Es wäre aber alles nicht so schlimm, wenn Sie nicht
noch die guten Anträge und die guten Initiativen von uns
ablehnen würden. Das fing bei der CDU/CSU schon in
der Großen Koalition an. Da haben Sie unseren Vor-
schlag zur Einführung eines Studienpakts blockiert.
Unseren Antrag zur Förderung guter Lehre haben Sie
ebenfalls abgelehnt. Nach vielen Protesten und Diskus-
sionen kommt Bildungsministerin Schavan um die Ecke
geschlichen und spricht von einem Qualitätspakt
Lehre, für den 2 Milliarden Euro innerhalb von zehn
Jahren vorgesehen sind. Aber was passiert konkret?
Nichts. Im Haushaltsplan für 2010 sind im entsprechen-
den Titel 2 Millionen Euro vorgesehen. So viel zu den
2 Milliarden Euro. Unseren Antrag im Ausschuss, die-
sen Titel deutlich aufzustocken, haben Sie auch noch ab-
gelehnt. Das ist wirklich schwach von der Regierungs-
koalition.
Wir wollen erreichen, dass jährlich 1 Milliarde Euro
mehr in gute Lehre und in die Hochschulen investiert
wird. Machen Sie das, stimmen Sie dem zu, anstatt hier
so eine Wischiwaschi-Nummer abzuziehen.
Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Professor
Dr. Martin Neumann.
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assen Sie mich aus eigener beruflicher Erfahrung da-
über reden, an welchen Punkten Sie oberflächlich über
inge hinweggehen und Verunsicherung schüren, die im
olk vorhanden ist. Ich sage Ihnen: Wir sind auf dem
ichtigen Weg. Sie waren bei der Anhörung des Aus-
chusses dabei. Dort hat Frau Professor Wintermantel,
ie Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz vieles
esagt, was Sie offensichtlich nicht hören wollten.
Ich werde auf einige Dinge eingehen. Sie hat unter
nderem gesagt, dass wir mit dem Bologna-Prozess eine
er tiefgreifendsten Reformen im deutschen Hochschul-
ystem seit 200 Jahren vorangebracht haben.
ologna ist gut für Studierende. Bologna ist gut für
eutschland und auch für Europa.
Wir werden es ordentlich machen. Sie haben elf Jahre
ang Zeit gehabt, etwas zu tun. Sie haben nichts getan.
ie haben das Geld in Autos gesteckt und nicht in die
ildung.
Meine Damen und Herren, wir reden über die Qualität
er Vermittlung von Wissenschaft in Lehre und For-
chung. Wir sprechen auch über Qualitätsansprüche. Es
ibt eine ganze Menge dazu zu sagen, wie man die Qua-
ität an bestimmten Stellen erhöhen kann. Mit Ihren
orten verunsichern Sie wieder nur die Diskussion. Ei-
es muss klar sein: Bologna ist und bleibt ein Prozess
ur Verbesserung von Organisation und Zusammenarbeit
n Forschung und Lehre in unterschiedlichen wissen-
chaftlichen Bereichen.
Der Antrag von Union und FDP hat deshalb die Ziel-
tellung, den Bologna-Prozess zu qualifizieren und wei-
erzuentwickeln, und zwar gemeinsam mit den Ländern
nd den Hochschulen. Sie erwecken den Eindruck, als
b der Bund in die Autonomie der Hochschulen eingrei-
en will. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Gestal-
ungskraft der Hochschulen fördern und begleiten.
ie Proteste der Studierenden Ende letzten Jahres haben
ie Notwendigkeit deutlich gemacht.
2406 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Martin Neumann
Ihr Kollege Zöllmer war gestern bei einem Forum
ich war auch Gast, Sie waren nicht dort und hat er-
zählt, dass er Studentenproteste beobachtet hat, bei de-
nen im Hörsaal sieben Studierende anwesend waren.
Man hat sie nicht weggetrieben, sondern man hat ver-
sucht, eine Diskussion zu führen. Reden Sie mit Ihren
Kollegen.
Ich auch. Ich bin jede Woche an der Hochschule. Ja, so
ist das.
Wir müssen neben den kritischen Punkten, die ich
nicht unterschlagen möchte, das Positive hervorheben.
Das mache ich an dieser Stelle und sage Ihnen um die
Verunsicherung abzubauen : 80 Prozent der Studien-
gänge an deutschen Universitäten und Fachhochschulen
sind auf Master und Bachelor umgestellt.
Die Arbeitsmarktakzeptanz der ersten Bachelorabsol-
venten ist überwiegend gut, die Zahl der Studienabbrü-
che geht seit den Bologna-Reformen signifikant zurück.
Die Verkürzung der Studienzeit auf durchschnittlich
9,6 Fachsemester ist ein guter Anfang.
Deutlich wird aber auch das sage ich aus beruflicher
Erfahrung : Wir leiden unter der jahrelangen Unter-
finanzierung des Hochschulsystems. Das ist kein Pro-
blem, das erst im Zuge des Bologna-Prozesses entstan-
den ist, sondern das war auch schon vorher da.
Wir haben zu geringe Investitionen in Personal- und
Sachausstattung. Die Reform wurde damals von Rot-
Grün beschlossen, aber auch schon damals nicht mit aus-
reichend finanziellen Mitteln ausgestattet.
Darin begründet sich eine Vielzahl von Kritikpunkten,
liebe Frau Burchardt, Sie wissen es besser. Ich habe Lis-
ten von Studierendenräten bekommen, die mir das bestä-
tigt haben. Genau das sind die Punkte, über die wir hier
sprechen. Wir brauchen das sage ich deutlich eine
bessere Lehre und mehr Personal für die Betreuung der
Studierenden,
zum Beispiel Professuren mit Schwerpunkt auf Lehre
usw.
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Darüber werden wir reden. Es gibt entsprechende An-
räge. Das wissen Sie.
Wir brauchen auch eine verbesserte Studienberatung.
ier gilt es das ist ganz wichtig , Verunsicherung ab-
ubauen.
Wir werden darüber reden. Lassen Sie uns das doch
anz konkret besprechen.
Die HIS-Studie befasst sich auch mit dem Thema Sti-
endien, über das Sie gerne diskutieren. Sie haben gese-
en, dass an den Hochschulen mit Studiengebühren die
ulassungszahlen und die Studienqualität steigen. Es ist
ichtig, das einmal hervorzuheben.
Ich glaube nicht, dass wir das verwechseln.
Wir brauchen weniger verschulte Studienordnungen;
as haben wir schon gesagt. Das ist aber eine Aufgabe
er Hochschulen.
Überlegenswert das sage ich auch aus eigener Er-
ahrung ist ein bundesweites Tutorenprogramm zur
esseren Betreuung der Studierenden. Warum? Weil Stu-
ierende eine Anlaufstelle in der Hochschule brauchen;
as muss nicht immer der Professor sein. Das kann man
icherlich gut organisieren, und das kostet vielleicht gar
icht so viel Geld.
Wir brauchen eine verbesserte Mobilität. Wir errei-
hen dies durch eine größere Vergleichbarkeit der Stu-
iengänge. Deshalb beziehen wir die Hochschulen ein
das kann und muss man den Hochschulen zugestehen
nd fordern von ihnen eine bessere Nutzung der vorhan-
enen Spielräume hinsichtlich der Dauer von Studien-
ängen usw.
Wir brauchen regelmäßige Bewertungen der Qualität
er Lehre und eine Veröffentlichung der Ergebnisse der
ualitätseinschätzungen.
Wir werden das in dem Programm umsetzen; das habe
ch gerade gesagt.
Weil meine Redezeit zu Ende geht, sage ich:
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2407
)
)
Dr. Martin Neumann
Im Bund und in den Ländern werden wir uns um den
Aufbau und die Finanzierung zusätzlicher Studienplätze
kümmern. Wir werden uns um den Bologna-Qualitäts-
und Mobilitätspakt kümmern und die Qualität des Stu-
diums sowie die Mobilität der Studierenden verbessern.
Das nationale Stipendienprogramm hat zum Ziel
lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal sagen ,
10 Prozent der Studierenden ein Stipendium zu geben
und das BAföG zu novellieren, um letztendlich ein ge-
samtes Paket zur Studienfinanzierung zu haben.
Meine Damen und Herren, wir stecken nicht Geld in
alte Autos, sondern in mehr Bildung.
Wir machen unsere Hausaufgaben. Wir gehen fest davon
aus, dass die Länder wie die Hochschulen ihren Beitrag
leisten werden, damit der Bologna-Prozess ein Erfolg
wird. Der Bologna-Prozess ist ein Baustein der Bil-
dungspolitik. Die nächsten Schritte gehen wir gemein-
sam mit den Verantwortlichen am 17. Mai 2010 beim
Bologna-Gipfel.
Ich bedanke mich.
Für die Fraktion Die Linke hat Nicole Gohlke das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren im Zu-
sammenhang mit dem Bologna-Prozess in der Tat über
den radikalen Umbau der Hochschulen. Im Zuge dieser
Reform wurde natürlich auch über viele positive Ziele
diskutiert, unter anderem über das schon genannte Ziel
der internationalen Mobilität. Dass wir heute über Fra-
gen der sozialen Durchlässigkeit oder über Demokrati-
sierung diskutieren können, haben wir vor allem den
Protesten der Studierenden und der Gewerkschaften zu
verdanken.
Wenn man sich die Umsetzung der Bologna-Reform
ansieht, muss man feststellen, dass es der Regierung,
dass es Ihnen vor allem um zwei Ziele geht. Mit Ihren
Worten gesagt, sind das internationale Wettbewerbsfä-
higkeit und die sogenannte Beschäftigungsfähigkeit,
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ie Verwirklichung dieser Ziele musste für Studierende,
orschende und Lehrende zum Albtraum werden.
Sparzwang bedeutet mehr Geld für die einen und
wangsläufig weniger Geld für die anderen. Die bevor-
ugte Ausstattung weniger ausgewählter Hochschulen
m Zuge der Exzellenzinitiative ist mit der Deklassie-
ung der meisten anderen Hochschulen verbunden. Es
andelt sich um einen Selektionsprozess zwischen den
ochschulen. Um diesen in Gang zu bringen, wurden
ie Forschenden entmachtet: in den Hochschulgremien
nd über die Abhängigkeit von Drittmitteln. Der Wettbe-
erb der Hochschulen untereinander in Form von Ran-
ings, Ausschreibungen und Akkreditierungen absor-
iert inzwischen weitgehend deren Leistungsfähigkeit.
Es trifft genauso die Lehre. Bachelorstudiengänge
ollen große Mengen von Studierenden möglichst
chnell durch voll ausgelastete Hörsäle schleusen und
ind so konzipiert, dass den Studierenden genau so viel
issen vermittelt werden soll, wie für ihre spätere Ver-
ertbarkeit benötigt wird. Anwesenheits- und Leis-
ungskontrollen sollen die Studierenden dabei auf Trab
ringen. Ganze Wissensgebiete wurden dafür in kleine,
ut abrufbare Bildungshäppchen zerlegt.
enau deshalb bietet der Bachelor entgegen Ihren Be-
auptungen keine guten Berufschancen. Er hat nicht
ur ein Imageproblem, das man mit einer Marketing-
ampagne beheben könnte, er ist de facto eine Bildungs-
ürzung. Bachelorabsolventinnen und -absolventen
ünschen sich etwas anderes als billige und einseitige
ualifizierung.
Solche Institutionen sind keine Hochschulen, sind
eine Universitäten mehr. Für selbstbestimmtes Lernen
nd kritisches Reflektieren, für die Entfaltung der Per-
önlichkeit und für die Einbeziehung in die Forschung
st kein Platz mehr. Die Regierungen der letzten Jahre
aben letztendlich daran mitgewirkt, dass der Bildungs-
egriff auf wirtschaftliche Bedürfnisse verengt wurde
2408 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Nicole Gohlke
und dass anstelle des Allgemeinwohls die Interessen von
Unternehmen zum Maßstab für die Umgestaltung der
Hochschule gemacht wurden. Das ist ein politischer
Skandal.
Wir fordern das Recht auf eine gute wissenschaftliche
Bildung für alle Studierenden, und zwar an einer Hoch-
schule, in der sowohl die Lernenden als auch die Lehren-
den zugleich Forschende sind und an der die Lehrenden
gesicherte Arbeitsverträge haben. Sie aber wollen viele
Studierende zu einem Studienabbruch in Form eines Ba-
chelors zwingen.
Durch amtliche Vorgaben, durch eine Quote soll vorab
festgelegt werden, wie viel Prozent eines Jahrgangs als
begabt genug gelten, um zum Masterstudiengang zuge-
lassen zu werden. Einen absurderen Begabungsbegriff
kann man sich nicht vorstellen.
Die Linke unterstützt die Studierenden in ihrer Forde-
rung nach einem Recht nicht der Pflicht auf einen an-
schließenden Masterstudiengang für alle. Wir hoffen,
dass wenigstens SPD und Grüne sich dieser Forderung
anschließen können.
Vielen Dank.
Kai Gehring hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Hochschulbereich steckt definitiv voller Baustellen;
das ist in der bisherigen Debatte sehr deutlich geworden.
Da helfen auch keine Schönwetterreden von Herrn
Rachel und auch keine Schmalspuranträge der Koalition,
wobei man ja schon fast anerkennen muss, dass Sie sich
überhaupt auf einen gemeinsamen Antrag haben verstän-
digen können.
Die Zwischenbilanz der Bologna-Reform lässt sich
kurz zusammenfassen: Ziele weitgehend gut, Umset-
zung vielerorts schlecht. Das muss man so deutlich sa-
gen. Die Vision eines europäischen Hochschulraumes
muss man verwirklichen, statt sich davon zu verabschie-
den, wie es zum Beispiel die Linke offensichtlich tut.
Man muss jetzt die Probleme der Studierenden und der
Hochschulen konkret lösen; das ist das Entscheidende.
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ach dem Motto: Das ist gestrig oder sie als eine Ge-
ahr für die innere Sicherheit darstellen, wie Sie es im
arlament getan haben. Dazu kann man nur sagen: Das
eckt ein bisschen Hoffnung, dass Sie nach einer mehr-
ährigen Phase des Schönredens vielleicht endlich in der
ologna-Realität ankommen. Dazu wird es im zehnten
ologna-Jahr höchste Zeit.
Das war mein erstes Gefühl, als ich den Antrag gele-
en habe. Dann habe ich weitergelesen
nd gemerkt: Das ist ein Dokument der Unverbindlich-
eit und der Konzeptionslosigkeit. Sie drücken sich in
hrem Antrag völlig um die Frage herum, wie die
ologna-Reform künftig gegenfinanziert werden soll.
ns allen ist klar, dass die Reform unterfinanziert ist.
etzt werden 12 Milliarden Euro für Bildung und Wis-
enschaft in dieser Legislatur versprochen. Dann hätten
ie mindestens 3 Milliarden Euro im Haushalt 2010 ein-
tellen müssen. Davon sind Sie sehr weit entfernt. Sie
angeln sich von einem Schwarzer-Peter-Spiel zum
ächsten Sperrvermerk, dann gibt es wieder Vorbehalte
insichtlich des Bologna-Gipfels und des Bildungsgip-
els. Man fragt sich: Was sagen eigentlich die Länder
azu? Wollen die Länder zustimmen? Gehen sie mit
der nicht?
Sie schreiben in Ihrem Antrag, bei Arbeitgebern herr-
che Skepsis gegenüber den neuen Bachelor-Abschlüs-
en. Es ist schön, dass Sie das feststellen. Aber was ist
hre Lösung? Was wollen Sie dagegen tun? Wie ist Ihre
trategie, das zu ändern?
ieser Fakt ist extrem wichtig.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2409
)
)
Kai Gehring
An einer anderen Stelle Ihres Antrags habe ich zuerst
ein bisschen geschmunzelt, aber dann habe ich mich er-
schrocken. Sie schreiben: Wir fordern die Bundesregie-
rung auf, die deutschen Erfahrungen mit der Umsetzung
des Bologna-Prozesses auf europäischer Ebene einzu-
bringen, um den Bologna-Prozess weiterzuentwickeln.
Das ist Kabarett. Dazu kann ich nur sagen: Bloß nicht!
Ihre Aufgabe wäre, die Best-Practice-Erfahrungen ande-
rer Bologna-Länder zu studieren, anstatt sich mit dem,
was Sie in Deutschland tun, auf europäischer Ebene zu
blamieren.
In Deutschland ist die Anerkennungsquote katastro-
phal. Nur 41 Prozent der im Ausland erworbenen Studi-
enleistungen werden hierzulande anerkannt. Das ist ein
ganz konkretes Problem der Studierenden. Die Koalition
sagt dazu kein Wort und hat auch keine Lösung. Wir ha-
ben mehrfach gefordert: Prüfen Sie doch endlich, ob
man eine Mobilitäts- und Anerkennungsgarantie einfüh-
ren kann,
damit man die derzeitige Praxis umkehrt und sagt: Jeder,
der im Ausland etwas geleistet hat, kann danach in
Deutschland weiterstudieren. Damit würde man eine
große Mobilitätshürde nehmen.
Dazu, dass Universitäten mittlerweile untereinander Ver-
einbarungen treffen, mit dem Ziel, wechselseitig ihre
Abschlüsse anzuerkennen, kann ich nur sagen: Hier wird
die Bologna-Idee ad absurdum geführt. Für dieses Pro-
blem müssen Sie eine Lösung finden.
Wir wollen mehr Freiräume für die Studierenden:
mehr Freiräume für Auslandsaufenthalte, Praktika, stu-
dentische Nebenjobs und für Engagement. Dabei muss
man ganz konkrete Zeit- und Mobilitätsfenster im Stu-
dium einbauen und festschreiben. Außerdem muss man
die vorhandene Überstrukturierung abbauen: durch Ent-
frachtung der Studienordnungen an den Universitäten,
weniger Prüfungen und weniger Anwesenheitspflichten.
Der Workload muss also runter, und die Studierbarkeit
muss rauf. Das muss die Maßgabe sein, auch bei KMK-
Verabredungen.
Wir wollen, dass diese Studienstrukturreform endlich
in eine Qualitäts- und Lehrreform mündet. Die Ankündi-
gungen von Frau Schavan klingen ganz gut. Ich bin ge-
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Was all die Baustellen, auf denen Sie nicht handeln,
etrifft, werden wir nicht lockerlassen. Dazu gehört auch
ie soziale Dimension von Bologna. Die haben Sie in Ih-
em Antrag nicht einmal erwähnt. Außerdem müssen Sie
ür eine größere Durchlässigkeit beim Übergang vom
achelor zum Master sorgen.
Herr Kollege.
Sie dürfen diesen Übergang nicht durch Quote und
ote zum Nadelöhr machen, sondern müssen Studien-
lätze und damit mehr Bildungschancen für die junge
eneration schaffen.
Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion spricht Tankred Schipanski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser
ntrag mit dem Titel Bologna-Prozess vollenden
änder und Hochschulen weiter unterstützen ist ein be-
leitender Antrag zur internationalen Bologna-Konfe-
enz, die in Kürze in Wien und Budapest stattfindet, und
um Bologna-Gespräch am 17. Mai dieses Jahres; das
atum wurde in unserem Antrag in der Tat noch nicht
usgetauscht. Da es sich um einen begleitenden Antrag
andelt, muss man ihn auch nicht extra im Ausschuss
ehandeln. Zudem ist er nicht schmal. Ich habe die
reude, Ihnen jetzt in sechs Minuten zu erklären, was in
iesem Antrag steht, weil Sie das anscheinend noch im-
er nicht verstanden haben.
Unser Antrag ist eine Zwischenbilanz der Bologna-
eform, und zwar eine reale Zwischenbilanz, im Gegen-
atz zu dem, was die Kollegin von der Linkspartei aus-
eführt hat. Ich weiß nicht, wo Sie studiert haben und
o Sie leben. Die Bilder, die Sie gezeichnet haben, habe
ch allerdings überhaupt nicht verstanden. Das war völ-
ig utopisch.
2410 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Tankred Schipanski
Unsere Zwischenbilanz, die Sie in unserem Antrag lesen
können, wurde in der jüngsten EFI-Studie und in der Bo-
logna-Studie der Universität Konstanz bestätigt. Der
Grundtenor ist: Wir sind mit Bologna auf dem richtigen
Weg in die Bildungsrepublik Deutschland.
Es gilt aber, in der Feinsteuerung gewisse Herausforde-
rungen zu bewältigen.
Für uns sind Bund, Länder und Kommunen Bildungs-
partner, genauso wie Studenten, Professoren und Hoch-
schulleitungen Bildungspartner sind. Für Bildungspart-
nerschaften braucht man ein konstruktives gemeinsames
Wirken.
Bologna hat zu einem neuen Hochschulsystem ge-
führt, Bologna bedeutet strukturiertes Lernen in der
Hochschule. Wir wollen mit diesem Antrag den Geist
von Bologna in der Gesellschaft festigen, wir wollen
Verständnis wecken, an die Beteiligten appellieren, wir
wollen die Botschaft von Bologna stärker vermitteln und
in das Bewusstsein der Beteiligten bringen, und wir wol-
len in der Öffentlichkeit über unser neues Hochschulsys-
tem richtig informieren.
Die Expertenkommission Forschung und Innova-
tion bescheinigt uns in der jüngsten Studie: Wir sind auf
einem guten Weg. Das betrifft die Geisteswissenschaf-
ten, bei denen wir große Erfolge bezüglich der Struktu-
rierung und der geringen Abbrecherquote haben.
Das betrifft die Verkürzung der Studienzeit, das betrifft
die Akzeptanz der Abschlüsse in der Wirtschaft, und das
betrifft die hohe Studierendenzahl.
Aber wir haben auch Korrekturbedarf; dies bestreitet
überhaupt niemand von uns. In den MINT-Fächern ha-
ben wir Nachholbedarf, und wir haben Nachholbedarf
bei der Selektion. Man muss die Selektionsprozesse frü-
her ansetzen bzw. frühere Leistungskontrollen einführen.
Die EFI-Studie, aus der ich zitiere, nennt die Kernpro-
bleme beim Namen: Die Lerninhalte sind im Zuge der
Reform kaum verändert worden. Das ist ein Kritik-
punkt, der im Verantwortungsbereich jeder Hochschule
liegt, und zwar dort im Verantwortungsbereich der Leh-
renden.
Bologna ist ein neues Hochschulsystem und umfasst
neue Hochschulabschlüsse. Viele Hochschulen, speziell
die Lehrenden, haben die Lehrinhalte bzw. die Stoffmen-
gen in zu geringem Maße geändert. Auf dieses Dilemma
haben uns die Studenten bei ihren Protesten zu Recht
hingewiesen, nicht die zuständigen Akkreditierungs-
agenturen.
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Meine Damen und Herren, vielleicht darf ich fortfah-
en: Wir erweitern unseren Hochschulpakt um eine dritte
äule, nämlich das Qualitätspaket für gute Lehre ge-
au, wie es im Koalitionsvertrag steht. Wir arbeiten da-
ei an zwei Handlungslinien, nämlich einem gemeinsa-
en Programm für eine bessere Betreuung für
tudierende. Stichworte hierfür sind Tutoren, Mentoren,
eratung und Anerkennung guter Lehrleistungen. Zu-
em schaffen wir Didaktikzentren, so wie es der Wissen-
chaftsrat vorgeschlagen hat. Hierbei geht es um die Ent-
icklung von Lehrstandards und um Schulungen.
Entgegen den Behauptungen, die hier aufkamen, stellt
er Bund ab 2010 bis 2020 dafür 2 Milliarden Euro zur
erfügung. Selbstverständlich erwartet er auch eine an-
emessene Beteiligung der Länder. Gespräche hierüber
aufen bereits; Staatssekretär Rachel hat darauf hinge-
iesen.
Meine Damen und Herren, Ziel des Bologna-Prozes-
es ist ein gemeinsamer europäischer Hochschulrahmen;
ie Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse wurde hier
ngesprochen. Somit ist es also Ziel, Mobilität zu schaf-
en und die Beschäftigungsfähigkeit der europäischen
ürgerinnen und Bürger zu verbessern. Insbesondere die
tudenten wollen Vergleichbarkeit der Abschlüsse, Mo-
ilität und ein grenzüberschreitendes Ausbilden. So sagt
s das Grünbuch der Europäischen Union. Daher hat die
hristlich-liberale Koalition im Koalitionsvertrag ein
obilitätspaket angekündigt. Dazu zählen zwei Maß-
ahmen, an denen wir zurzeit arbeiten, zum einen daran,
tudien- und Prüfungsleistungen konsequent anzuerken-
en, und zum anderen daran, die finanzielle Ausstattung
er Studenten zu verbessern, und dies mit unserem Drei-
lang von BAföG-Erhöhung, nationalem Stipendiensys-
em und Bildungssparen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2411
)
)
Tankred Schipanski
Meine Damen und Herren, unser heutiger Bologna-
Antrag benennt drei Handlungsfelder hätten Sie den
Antrag richtig gelesen, dann hätten Sie das auch verstan-
den , drei Punkte, an denen wir Bologna erfolgreich
weiterentwickeln müssen. Das sind erstens die Lehrqua-
lität, zweitens die Mobilität und drittens die Akkreditie-
rungen, also das Qualitätsmanagement.
Gegenwärtig sind die Akkreditierungsagenturen so
ausgestaltet, dass sie nur den Istzustand erfassen, aber
die Universitäten nicht begleiten, nicht verbessern, nicht
evaluieren. Eine ganz zentrale Forderung unsererseits in
diesen Bologna-Gesprächen lautet: Wir brauchen ein-
heitliche, bundesweite Kriterien für die Akkreditierungs-
agenturen, eine kontinuierliche Begleitung und ein Qua-
litätsmanagement an unseren Hochschulen.
Abschließend darf ich feststellen: Der Bologna-Pro-
zess ist, wie das EFI-Gutachten sagt, auf einem guten
Weg. Wir setzen auf Weiterentwicklung, und zwar genau
auf diesen drei Handlungsfeldern Lehrqualität, Mobilität
und Qualitätsmanagement. Mit diesem Dreiklang wird
die christlich-liberale Koalition den Bologna-Prozess er-
folgreich weiterentwickeln.
Vielen Dank.
Das Wort hat Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal: Ich freue mich, dass auch die Regie-
rungsfraktionen auf der Tagesordnung des Deutschen
Bundestages mit eigenen Anträgen vertreten sind, zumal
bei einem solch wichtigen Thema, wie es die Umsetzung
des Bologna-Prozesses zweifellos ist.
Die SPD bekennt sich zu den Zielen der Bologna-Re-
form. Vergleichbarkeit und Mobilität in einem europäi-
schen Hochschulraum sind und bleiben die richtigen
Vorhaben. Dahinter gibt es kein Zurück.
Gleichzeitig verändert diese Reform die Studienreali-
tät der knapp 2 Millionen Studierenden in Deutschland
und der Lehrkräfte an den Hochschulen ganz erheblich.
Gerade weil diese Reform so tiefgreifend ist, lohnt es
sich, genau hinzuschauen. Nicht zuletzt die Proteste Tau-
sender Studierender haben deutlich gemacht, dass dies
dringend nötig ist.
Die Probleme liegen auf der Hand: Neben der mangel-
haften Vergleichbarkeit der Studiengänge selbst zwi-
schen einzelnen Bundesländern , neben der zum Teil
schlechten Umsetzung der Bologna-Reformen, neben
der Überfrachtung von Studiengängen und neben Pro-
blemen bei der Lehramtsausbildung tritt eines immer
wieder zutage: Die Hochschulen im ganzen Land sind
unterfinanziert und können erstklassige Lehre, wie sie
die Bachelor-/Master-Studiengänge benötigen, nicht leis-
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Im Haushalt steht im Moment: 2 Millionen Euro.
chauen Sie Ihren eigenen Haushalt noch einmal an!
ir können uns gern im Ausschuss noch einmal darüber
nterhalten.
Wer will, dass Menschen ohne Ansehen ihres finan-
iellen Hintergrunds ein Studium aufnehmen, kommt zu-
em nicht umhin, sich um die allgemeine Studienfinan-
ierung Gedanken zu machen. Die mehrfach zitierte
FI-Kommission hat in ihrem aktuellen Bericht deutlich
emacht, dass die Lieblingsinstrumente der schwarz-gel-
en Koalition Stipendiensysteme und Bildungssparen
orrangig Gruppen erreichen, die bereits einen akademi-
chen Hintergrund haben.
Die SPD bleibt deshalb dabei: Wer beste Bildung für
lle erreichen will, muss das BAföG ausweiten.
2412 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Daniela Kolbe
Wir fordern eine umfassende Ausweitung der Freibe-
träge. Wir wollen, dass mehr junge Menschen aus der
Mittelschicht vom BAföG profitieren. Die 300 Millio-
nen Euro wären beim BAföG sicherlich besser angelegt
als bei Ihrem Stipendienprogramm.
Es bleibt viel zu tun in unserem Hochschulsystem.
Das vernünftig anzugehen, sind wir den jungen Men-
schen in unserem Land schuldig. Schöne Worte und Auf-
forderungen wie in Ihrem Antrag werden allerdings
nicht reichen. Das weiß nicht nur die Opposition, das er-
kennen darauf können Sie sich verlassen auch die
Studierenden.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Druck-
sache 17/905 mit dem Titel Bologna-Prozess vollenden
Länder und Hochschulen weiter unterstützen. Wer
stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? Ent-
haltungen? Damit ist der Antrag bei Zustimmung
durch die Koalition und Ablehnung durch die Opposi-
tionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Brigitte Pothmer, Markus Kurth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Mehr Netto für Geringverdienende
Drucksache 17/896
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen.
Wieso fragst du eigentlich nicht mehr, was die Wähle-
rinnen und Wähler dazu sagen?
Das sehen wir gerade an den Umfragewerten.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer ar-
eitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbei-
et. Mit dieser Binsenweisheit hat FDP-Vorsitzender
esterwelle versucht, die Ärmsten gegen die Armen
uszuspielen und auf billige Weisen Stimmen zu fangen.
Aber noch während Herr Westerwelle versucht hat,
ich als Sozialterminator zu profilieren,
aben die Leute schon einmal damit angefangen, zu fra-
en: Was haben der und die FDP außer Sprüchen eigent-
ich noch auf der Tasche?
ann wurde es plötzlich doch ziemlich einsilbig; denn
m Angebot war nichts anderes als ein gigantischer
iedriglohnsektor.
Der eigentliche Skandal ist, dass wir einen anderen
atz nicht gehört haben:
er arbeitet, muss auch davon leben können. Diesen
atz haben wir von Herrn Westerwelle nicht gehört. Das
st der eigentliche Skandal.
Wir haben in Deutschland derzeitig den größten Nied-
iglohnsektor in ganz Europa.
,5 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor
nd 2 Millionen davon zu Löhnen von unter 5 Euro die
tunde. Allein in den ersten neun Monaten im Jahr 2009
at der Bund 8 Milliarden Euro für Aufstocker ausgege-
en.
ch bin mir wirklich sicher, dass wir diese Steuermilliar-
en für etwas anderes und für etwas Besseres als für die
ubventionierung von Lohndumping ausgegeben hätten.
Wir haben Ihnen mit diesem Antrag vielleicht lesen
ie ihn einfach einmal einen sehr passgenauen Drei-
chritt vorgeschlagen, mit dem man Leuten im Niedrig-
ohnbereich und mit kleinem Einkommen tatsächlich
elfen und zugleich die Anzahl der SGB-II-Bezieher
eutlich absenken kann.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2413
)
)
Brigitte Pothmer
Erstens gehört der Mindestlohn dazu. Wir werden
morgen ausführlich dazu reden. Deswegen an dieser
Stelle nur eines: Wenn Sie den Mindestlohn weiter blo-
ckieren und gleichzeitig an der Zuverdienstschraube dre-
hen, dann werden Sie die Zahl der SGB-II-Bezieher
exorbitant erhöhen, und dann wird der Niedriglohnsek-
tor immense Ausmaße annehmen.
Zweitens gehört dazu: Wenn Sie, wie wir es Ihnen in
unserem Antrag mit unserem Progressivmodell vor-
schlagen, die Lohnnebenkosten im unteren Einkom-
mensbereich radikal absenken und dann langsam, wie
wir es von der Steuer her kennen und im Übrigen auch
als gerecht empfinden, progressiv ansteigen lassen, dann
reduzieren Sie die Zahl der SGB-II-Bezieher und der
Aufstocker um ungefähr 500 000. Das liegt einfach da-
ran, dass diese Leute dann tatsächlich mehr Netto vom
Brutto in der Tasche haben. In diesem Zusammenhang
können wir die Minijobs in diesem Progressivmodell
aufgehen lassen. Die Minijobs haben in der Vergangen-
heit das muss man an dieser Stelle deutlich sagen zur
Erosion am Arbeitsmarkt beigetragen.
Drittens. Meine Damen und Herren insbesondere von
der FDP, wer Menschen in Arbeit bringen will, der muss
sie fördern und unterstützen. Das gilt insbesondere für
Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte. Wer diese
Menschen in Arbeit bringen will, darf sie nicht bedrohen
und nicht gegen sie hetzen, sondern muss sie qualifizie-
ren und die Wünsche der Betroffenen respektieren.
Man muss an dieser Stelle sagen: Diese Leute sind in al-
ler Regel sowieso motiviert. Die größte Motivation ist
aber eine Arbeit, von der man leben kann. Solche Arbeit
erreichen wir durch Mindestlöhne, unser Progressivmo-
dell und gut ausgebildete Arbeitsuchende. Ich fordere
Sie auf: Unterstützen Sie uns in diesem Anliegen!
Ich danke Ihnen.
Für die Unionsfraktion spricht Dr. Matthias Zimmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir
am Dienstag davon gehört haben, dass die Fraktion der
Grünen einen Antrag mit dem Titel Mehr Netto für Ge-
ringverdienende einbringen will heute diskutieren wir
darüber , habe ich mich zunächst darüber gefreut; denn
es ist ein wichtiges und richtiges Thema. Ich hatte ledig-
lich ein wenig Bedenken der Antrag lag noch nicht
vor; er kam erst gestern , dass ich nicht genügend Zeit
finden könnte, die Tiefe der Gedanken und der differen-
zierten Vorschläge, die zu erwarten waren, ausreichend
zu würdigen.
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ls dann der Antrag gestern kam, hatte ich den Ein-
ruck: Diese Befürchtung war unbegründet.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
ch bin sehr für Recycling; aber was Sie hier an munte-
em Allerlei recycelt haben und durch keinen stringenten
edanken zusammenhalten, ist schon verblüffend.
ch will Ihnen an einem kleinen Beispiel demonstrieren,
ie wenig Mühe Sie sich gegeben haben. Sie schreiben:
Wer mehr soziale Gerechtigkeit will, muss auch be-
reit sein, mehr Mittel dafür zur Verfügung zu stel-
len.
ach Ihrer Logik bedeutet das: Wer ganz viel Gerechtig-
eit will, muss ganz viel Mittel zur Verfügung stellen;
er soziale Gerechtigkeit umfassend verwirklichen will,
uss umfassend Mittel zur Verfügung stellen. Das ist
hre Logik,
ie vollkommen übersieht, dass Gerechtigkeit ein regu-
atives Prinzip ist, das zwischen Freiheit und Gleichheit
ermittelt; es ist aber kein Ziel, das es mit noch so vielen
itteln zu erreichen gilt.
Frau Pothmer, in Ihrem Antrag findet sich Weiteres
us der Abteilung Wiederverwertung, zum Beispiel die
DP-Schelte. Man hat hier fast schon den Eindruck, Sie
eien vergnügungssüchtig: Anstatt eine vernünftige De-
atte zu führen, schlagen Sie immer wieder auf die FDP
in.
Aus der Hartz-IV-Diskussion der letzten Woche ist
ie Forderung nach einem Regelsatz von 420 Euro übrig
eblieben; das steht nicht im Antrag, aber in dessen Be-
ründung. Ich frage mich schon: Woher kommt dieser
etrag von 420 Euro eigentlich? Das Verfassungsgericht
at uns doch aufgegeben, die Sache transparent und
achvollziehbar zu gestalten.
2414 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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)
Dr. Matthias Zimmer
Davon ist bei Ihnen nichts zu sehen. Es reicht Ihnen als
Begründung völlig aus, dass es die Sozialverbände ge-
fordert haben. Das erinnert mich ein wenig an John
Lockes Mahnung, andere nicht zum Vormund eigener
Einfalt zu machen. Es ist doch besser wir haben das
vor , die Regelsätze nachvollziehbar und transparent zu
berechnen, anstatt sich auf den Zuruf anderer zu verlas-
sen.
Frau Pothmer, Sie schlagen außerdem ein Sanktions-
moratorium im SGB-II-Bereich vor. Ich halte das für un-
sinnig. Die Linken wollen die Sanktionen ganz abschaf-
fen.
Sie folgen der Spur der Linken und wollen die Sanktio-
nen ebenfalls aussetzen. Ich kann das ein wenig nach-
vollziehen: Sanktionen und Zwang sind auch bei den
Grünen unpopulär.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
hat sich der Frage angenommen, ob Sanktionen über-
haupt wirken. Ich darf das Fazit zitieren:
Eine Leistungskürzung erhöht die Wahrscheinlich-
keit, innerhalb von acht Monaten nach der Sanktion
aus dem Leistungsbezug abzugehen, um etwa 70 Pro-
zentpunkte. Ebenso steigt die Wahrscheinlichkeit,
eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
zu finden, um mehr als 50 Prozentpunkte. Ein ver-
stärkter Einsatz von Sanktionen im Rahmen der ge-
setzlichen Vorgaben würde somit zu einer effektive-
ren Aktivierung der Hilfebedürftigen beitragen und
die Übergangsraten aus der Hilfebedürftigkeit hi-
naus in Beschäftigung deutlich erhöhen.
Kommen wir zum Antrag selbst. Bei dem von Ihnen
geforderten Mindestlohn von 7,50 Euro muss man schon
dankbar sein, dass Sie den Mindestlohnwettlauf von
7,50 Euro auf 8,20 Euro, 9,40 Euro und 10 Euro nicht
mitmachen und an dieser Stelle etwas bescheidener sind.
Wir sagen allerdings: Flächendeckende gesetzliche Min-
destlöhne waren falsch, sind falsch und bleiben falsch.
Im Übrigen wundert es mich, Frau Pothmer, dass die
Grünen, die sonst einen etwas differenzierteren Gerech-
tigkeitsbegriff haben, hier einfach mit flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlöhnen arbeiten. Da bleiben selbst
Sie hinter Ihren Möglichkeiten zurück.
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Heute ist ein besonderer Tag. Darum habe ich das so
formuliert.
Der Niedriglohnsektor hat sich seit Mitte der 90er-
Jahre rasant ausgeweitet. Wachsende Lohnspreizung hat
zu erheblichen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Pro-
blemen geführt. Der Druck auf das Lohnniveau nahm
immer mehr zu. Laut einer Studie der IAQ der Uni Essen
arbeitet inzwischen jeder fünfte abhängig Beschäftigte
für einen Niedriglohn. Das sind 6,5 Millionen Beschäf-
tigte. Viele davon beziehen zusätzlich Hartz-IV-Leistun-
gen. Es gibt 1,3 Millionen Aufstocker, also Geringver-
diener, die ihr Einkommen aus der Erwerbstätigkeit mit
Regelleistungen aufbessern müssen. Das kostet die BA
viel Geld; zuletzt waren es 9,3 Milliarden Euro.
Darum ist die Forderung in Ihrem Antrag mehr
Netto für Geringverdiener vollkommen richtig. Die
Frage ist nur, wie wir das erreichen können. Wer muss
was tun? Die Verantwortung allein den Tarifpartnern zu
übertragen und auf die Tarifautonomie zu vertrauen,
kann nicht die Lösung sein. Die Realität zeigt: Es sind
nicht die produzierenden oder exportierenden Gewerbe
im industriellen Bereich, in denen Niedriglöhne gezahlt
werden. Denn da sind noch kräftige Gewerkschaften, die
ausreichend Organisationskraft haben. In meinem Wahl-
kreis gibt es zum Beispiel ein Stahlwerk, die Hennigs-
dorfer Elektrostahlwerke. Dank eines engagierten Be-
triebsrats und einer guten Geschäftsführung findet man
dort keine Leiharbeit, und es werden ordentliche Löhne
gezahlt. Niedriglöhne findet man im Handwerk, vor al-
lem im Dienstleistungsgewerbe und im Einzelhandel.
Betriebsräte sind dort eher die Ausnahme. Hier ist der
Gesetzgeber gefragt.
In den letzten Wochen haben wir über das Lohnab-
standsgebot von unserer Seite besser noch: das Lohn-
anstandsgebot diskutiert. Wir haben auch darüber dis-
kutiert, dass Leistung sich wieder lohnen muss. All das
ist richtig, wenn man es richtig interpretiert, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen der FDP. Zu den Geboten unserer
sozialen Marktwirtschaft zählt nach wie vor: Wer hart
arbeitet, muss davon leben können. Wer Leistung bringt,
muss sein Leben verbessern können. Dazu gehört eben-
falls: Niemand darf am Wegesrand zurückbleiben. Ich
werde das Gefühl nicht los, dass einige in der Regie-
rungskoalition dies aus den Augen verloren haben. Statt-
dessen gilt an dieser Stelle das Matthäus-Prinzip: Wer
hat, dem wird gegeben. Eine solche Politik darf in die-
sem Land nicht mehrheitsfähig bleiben. Wir müssen et-
was tun, damit Leistung sich lohnt und damit die Men-
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Mit Blick auf den Koalitionsvertrag erfahren wir: Der
iedriglohnsektor soll weiter ausgebaut werden. Die
chwarz-gelbe Zauberformel heißt: Erleichterung befris-
eter Beschäftigung und Ausweitung der Minijobs. Die
usweitung des Niedriglohnsektors ist kein wirkungs-
olles Konzept zur Beschäftigungsförderung. Vor allen
ingen ist es nicht wirkungsvoll gegen Lohndumping
nd Armut in diesem Land. Um Brücken zu bauen, die
en Hilfebedürftigen Wege aus ihrer prekären Situation
eisen, brauchen wir eine umfassende Strategie. Der ge-
etzliche Mindestlohn ist dabei eine unabweisbare Maß-
ahme. In diesem Punkt sind wir uns mit den Grünen ei-
ig. Einig sind wir uns mit ihnen auch in puncto Bildung
nd Qualifizierung. Da müssen wir weitere Maßnahmen
uf den Weg bringen.
Eingangs erwähnte ich auch die Chancengleichheit.
arauf will ich nun zurückkommen. Oberstes Ziel muss
s sein, allen Kindern die gleichen Chancen auf die beste
ildung zu ermöglichen. Familienarmut darf sich nicht
ererben. Langzeitarbeitslose brauchen Perspektiven.
ie brauchen Qualifizierungs- und Weiterbildungsange-
ote, um am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Deswe-
en brauchen wir eine Arbeitsmarktpolitik, die unter an-
erem die individuelle Förderung und die Integration in
rbeit verbessert. Mit einer restriktiven aktiven Arbeits-
arktpolitik würden wir die Betroffenen aufgeben und
lleinlassen. Das ist ein fatales Zeichen. Heute ist wieder
o ein fatales, scheinheiliges Zeichen gesetzt worden.
ch weiß nicht, ob alle davon wissen. Im Haushaltsaus-
chuss, der gerade berät, hat die FDP-Fraktion einen
ntrag auf Änderung des Bundeshaushalts gestellt. Es
ollen 900 Millionen Euro für die aktive Arbeitsmarkt-
olitik gesperrt werden. Was das vor Ort bedeutet, kann
ich jeder ausdenken. Ab Herbst können keine weiteren
aßnahmen geplant werden. Den Hilfebedürftigen, die
ine Antwort darauf haben wollen, wie wir ihnen helfen,
ann keine Antwort gegeben werden.
Herr Kolb, Sie können diese Scheinheiligkeit Ihres
andelns in Ihrer Rede aufklären. Ich denke, wir dür-
en dieser Regierungskoalition so etwas nicht durchge-
en lassen.
2416 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Angelika Krüger-Leißner
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nen-Fraktion, wir stimmen in vielen Punkten überein.
Wir sind uns einig beim Thema Mindestlohn, auch was
die Höhe und die Festlegung durch eine Kommission be-
trifft. Wir sind uns einig, dass Bildung, Weiterbildung
und Qualifikation Maßnahmen sind, um Armut wir-
kungsvoll zu bekämpfen, und wir sind uns in dem Punkt
einig, dass auch die Senkung der Sozialversicherungs-
beiträge ein wichtiger Schritt ist. Allerdings gehen wir
dabei unterschiedliche Wege. Der Weg, den Frau
Pothmer mit dem Progressivmodell beschrieben hat, ist
für mich die falsche Lösung.
Ich habe zu wenig Zeit, um das genau auszuführen. Sie,
Frau Pothmer, bleiben nämlich beim Kombilohnmodell.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja. Ich sage noch einen Satz, wenn ich darf.
Schauen Sie sich unser Modell an, das auch in die Rich-
tung geht, die Sozialversicherungsbeiträge gerade im
Niedriglohnbereich zu senken. Wir wollen unser Modell
Bonus für Arbeit wir haben es schon einmal vorge-
stellt weiterentwickeln, und wir verbinden es mit dem
Mindestlohn, der ein notwendiger Bestandteil dieses
Modells ist.
Frau Kollegin.
Es lohnt sich also, gemeinsam auf diesem Weg zu
streiten.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Von Konrad Adenauer stammt der Satz: Was kümmert
mich mein Geschwätz von gestern.
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Dabei will ich hier anerkennend feststellen: Die Über-
chrift und der erste Satz Ihres Antrags könnten auch
on uns sein. Die Überschrift Mehr Netto für Gering-
erdienende und den Satz Arbeit und Leistung sollen
ich lohnen,
kann ich voll und ganz unterstützen. So
eit sind wir immerhin einer Meinung. Der Antrag fängt
ut an, lässt dann aber stark nach. Zum Ende hin findet
ich in Ihrem Antrag relativ wenig. Spätestens die For-
erung nach einem generellen Mindestlohn macht es uns
nmöglich, Ihnen zuzustimmen. Darüber brauchen wir
icht zu reden. Ich bin eigentlich auch nicht davon über-
eugt, wenn ich Ihre Beiträge im Ausschuss höre, dass
ie, Frau Kollegin Pothmer, selbst daran glauben.
hre Ausführungen und Ihre Überlegungen dort sind viel
u differenziert, als dass Sie die absurde Idee von einem
enerellen Mindestlohn ernsthaft verfolgen könnten. Sie
andeln nach dem Motto doppelt gemoppelt: Erst for-
ern Sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro,
nd dann fordern Sie darüber hinaus flächendeckend
ach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz Branchenmin-
estlöhne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das
irklich wollen.
Herr Kolb, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
en Kuhn zu?
Aber gern.
Bitte schön.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2417
)
)
Herr Kolb, ich habe die Bitte, sich nicht an uns abzu-
arbeiten nach dem Motto Da haben Sie doch regiert!.
Das langweilt mich.
Mich nicht.
Ich will nur ein emotionales Feedback geben.
Ich möchte Sie nach einem Punkt fragen, der mich in-
teressiert. Ich lese in der Zeitung, das liberale Bürger-
geld sei eine großartige Alternative zu den Sozialtrans-
ferleistungen. Ich möchte gerne von Ihnen erklärt haben,
wie Sie sich das genau vorstellen. Da zum Beispiel
Wohngeld hinzugerechnet werden soll, würde mich inte-
ressieren, wie Sie zwischen Regionen wie beispielsweise
München, Heidelberg und Sachsen-Anhalt differenzie-
ren wollen und wie das bürokratiefrei gehen soll. Sagen
Sie einfach einmal, was Sie wollen, anstatt immer die
anderen anzukoffern.
Frau Präsidentin, wenn wir uns auf eine Verlängerung
der Redezeit um 30 Minuten verständigen könnten, dann
könnte ich dem Kollegen Kuhn unser Modell erklären.
Neulich hat Präsident Lammert allerdings bei einer ähn-
lichen Gelegenheit darauf hingewiesen, dass die Zeit für
Frage und Antwort in einem angemessenen Verhältnis
zur Redezeit stehen muss.
Genau das ist die Herausforderung an Sie.
Es gibt Dinge, die man ausführlicher erläutern muss.
Sie lassen sich nicht auf die Schlagzeile einer großen
deutschen Tageszeitung reduzieren.
Herr Kuhn, ich bin aber gern bereit,
Ihnen das in einem Privatissimum zu erläutern.
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Wie wäre es mit einer Minute?
Gut.
Wir sind der Meinung, dass wir nicht über Mindest-
öhne, sondern über ein Mindesteinkommen reden soll-
en. Das Bürgergeld stellt ein bedarfsgerechtes Min-
esteinkommen sicher. Für jede Bedarfsgemeinschaft
ird ermittelt, welche Aufwendungen zu decken sind.
ies wird mit dem Nettoeinkommen dieses Haushalts
erglichen. Was nicht selbst erwirtschaftet werden kann,
ird im Wege einer negativen Einkommensteuer dem
inzelnen Haushalt zur Verfügung gestellt. An der Stelle,
o der Bedarf gedeckt ist, fängt die Steuerzahlung des
inzelnen Bürgers bzw. des Haushalts an. Damit wird si-
hergestellt, dass wir ein durchgängiges Erwerbsinte-
esse in allen Bedarfsgemeinschaften haben. Das ist, wie
ch finde, ein sehr moderner und zukunftsträchtiger Vor-
chlag. Nähere Einzelheiten sage ich Ihnen, wenn Sie
ollen, persönlich.
Ich bin der Meinung, dass wir mit dem Thema Min-
estlohn und vor allen Dingen mit der Kombination von
indestlohn und Branchenmindestlohn, die Sie, Frau
ollegin Pothmer, vorschlagen, wirklich vorsichtig um-
ehen müssen. Wir werden am Ende nicht mehr Be-
chäftigung schaffen, wenn wir in Deutschland Mindest-
öhne einführen.
Wir fragen uns bei jeder Maßnahme, die wir im Be-
eich der Sozialversicherung verabschieden, wie sie sich
uf die sogenannten Lohnnebenkosten auswirkt und ob
adurch die Arbeit verteuert wird. Dass ausgerechnet
eim Lohn selbst, also beim größten Kostenblock, diese
rundüberlegung nicht mehr gelten soll, vermag ich
irklich nicht nachzuvollziehen. Wenn, wie manche
lauben, Mindestlöhne mehr Arbeit schaffen, dann frage
ch Sie, wie hoch der optimale Mindestlohn ist. Sie ha-
en sich jetzt auf 7,50 Euro Mindestlohn festgelegt. Sie
inken damit der Karawane etwas hinterher.
er DGB wird demnächst 8,50 Euro fordern. Die Lin-
en, Avantgarde wie immer Kompliment, Frau Kolle-
in Krellmann, Herr Kollege Birkwald , sind schon bei
0 Euro. Da sieht man genau die Gefahr einer politi-
chen Lohnsetzung. In den letzten zwei Jahren sind Sie
iemlich flott von vormals ebenfalls 7,50 Euro auf
0 Euro, die Sie heute fordern, durchgaloppiert.
2418 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
Frau Präsidentin, die Kollegin Pothmer möchte eine
Zwischenfrage stellen.
Bitte schön, Frau Pothmer.
Herr Kollege Kolb, da Sie sich an dem Mindestlohn
so festgebissen haben, befürchte ich, dass Sie Ihre ge-
samte Redezeit darauf verwenden, obwohl der entspre-
chende Tagesordnungspunkt morgen aufgerufen wird.
Ich möchte daher von Ihnen zu gerne etwas zu dem Pro-
gressivmodell hören. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass
der jetzige Bundesgesundheitsminister Rösler damals in
Niedersachsen ein Mini-Progressivmodell nach dem
Modell der Grünen vorgeschlagen hat, das beinhaltet, bis
zu einem Verdienst von 1 000 Euro die Lohnnebenkos-
ten radikal abzusenken? Mich würde einmal interessie-
ren, ob Rösler da allein auf weiter Flur steht oder ob die
FDP hier im Bund ihm da folgt.
Gut, das gibt mir Gelegenheit, einige Anmerkungen
zu dem Progressivmodell zu machen; das hatte ich so-
wieso vor. Sie haben das Modell jetzt wieder aus der
Versenkung geholt. 2006 haben Sie es entwickelt, und
zwischendurch hat man nicht viel davon gehört, Frau
Kollegin Pothmer. Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass
das Modell bei einer breiten Öffentlichkeit angekommen
ist. Immerhin ist es aber offensichtlich bei einer Fach-
öffentlichkeit angekommen, wenn Philipp Rösler sich
schon damit befasst hat.
Dieses Progressivmodell ist für mich so etwas wie die
eierlegende Wollmilchsau der Sozialpolitik. Ich will
Ihnen das auch anhand der Begründung Ihres Antrags
belegen. Dort heißt es: Dieses Modell schafft eine Absi-
cherung bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslo-
sigkeit und im Alter. Es erhöht das Nettoeinkommen der
Geringverdiener, entlastet die Betriebe, schafft neue Ar-
beitsplätze und macht die Schwarzarbeit unattraktiv. Au-
ßerdem ist es anscheinend kostenlos; darüber schweigen
Sie sich in Ihrem Antrag vornehm aus, Frau Kollegin
Pothmer. Wenn es wirklich so einfach wäre! Aber es ist
nicht so einfach. Man sieht ja an Ihrem Geeiere, Ihrem
damaligen Regierungshandeln und Ihren heutigen Ein-
lassungen, dass Sie überhaupt nicht so recht wissen, wo-
hin Sie eigentlich wollen.
Wenn man einen 400-Euro-Job sozialversicherungs-
pflichtig macht und mit Beiträgen in Höhe von 20 Prozent
belastet, wovon die Hälfte auf die Rentenversicherung
entfällt, dann zahlt man einen Rentenversicherungsbei-
trag von 40 Euro. Das ist ein sechstel Entgeltpunkt und
entspricht mithin einer Rente von 4 Euro im Jahr. Das ist
doch pervers. Das soll eine vernünftige Absicherung im
Alter sein, Frau Kollegin Pothmer? Das ist doch voll-
kommen lebensfremd!
Möglicherweise findet jemand wie Sie, der den Lang-
zeitarbeitslosen in seiner Regierungszeit einen Renten-
anspruch pro Jahr Langzeitarbeitslosigkeit von heute
noch 2,09 Euro verordnet hat, es auch gut, wenn man mit
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Wir haben hier eine klare Regel: Sie fragen, ich ant-
orte. Sie finden manches nicht spannend, und ich finde
anches spannend, was Sie langweilt. Damit müssen
ir leben.
Was kostet Ihr Progressivmodell denn jetzt wirklich?
006 haben Sie, glaube ich, einmal etwas von 13 Milliar-
en Euro gesagt.
ch finde es schon erstaunlich, wenn Sie ein Projekt in
ieser Größenordnung in die Debatte werfen, obwohl
ie uns vor wenigen Wochen noch dafür beschimpft ha-
en, dass wir Entlastungen in Höhe von 4,6 Milliarden
uro für Familien mit Kindern in das Wachstumsbe-
chleunigungsgesetz hineingeschrieben haben, die am
. Januar 2010 wirksam geworden sind.
as halte ich für progressiv. Das, was Sie hier vorschla-
en, ist alles andere als progressiv.
Sie schreiben in Ihrem Antrag außerdem, die Rechte
on Hilfsbedürftigen und ihren Angehörigen im SGB II
ollten gestärkt werden. Es herrscht Einigkeit hinsicht-
ich der Wichtigkeit der Förderung und der Eröffnung
on Bildungsangeboten. Aber man hat schon ein biss-
hen den Eindruck, dass Ihren Referenten am Ende des
ntrags die ohnehin schon recht dünne Tinte endgültig
usgegangen ist. Sie arbeiten sich da nur noch bei ver-
rehter Wahrnehmung und Umdeutungen der Wirklich-
eit an der FDP ab. Das ist wirklich unter Ihrem Niveau;
ie können es besser.
Hört mir eigentlich noch jemand zu bei den Grünen?
s wäre vielleicht ganz sinnvoll, wenn Sie sich einmal
it konstruktiver Kritik an Ihrem Antrag auseinander-
etzen.
Dann versteigen Sie sich sogar noch dazu, unmittel-
ar nach dem Karlsruher Urteil einen neuen und, wie Sie
agen, richtigen Regelsatz von 420 Euro zu nennen; die
inken waren sogar schon bei 500 Euro. Ich finde das
eswegen bemerkenswert, weil Karlsruhe Ihnen Ihnen
urde mit dem Urteil das Gesetz um die Ohren geschla-
en gesagt hat, dass man Regelsätze nicht einfach ins
laue hinein politisch definieren darf, sondern dass es
arauf ankommt, den Regelsatz Bedarf für Bedarf wer-
ungsmäßig festzulegen. Sie drücken sich erneut darum
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2419
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
herum. Das ist eine Missachtung des Karlsruher Gerich-
tes. Das finde ich wirklich empörend. Wir sollten Karls-
ruhe ernst nehmen und das tun, was uns vorgegeben ist,
nämlich nicht prozentual irgendetwas ableiten, sondern
in jedem Einzelfall sagen: Diesen Bedarf sehen wir als
zur Abdeckung des physischen Existenzminimums und
darüber hinaus als für die gesellschaftliche, politische
und kulturelle Teilhabe erforderlich an und jenen nicht.
Herr Kollege Kolb!
Dann bestimmt man einen Regelsatz; das werden wir
in diesem Hause noch tun.
Ich bedanke mich für die Zwischenfragen, Herr Kol-
lege Kuhn, Frau Kollegin Pothmer. Ich bin gerne bereit,
in nächster Zeit vielleicht morgen früh wieder Rede
und Antwort zu stehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Jutta Krellmann hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
Guten Tag, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
immer ganz begeistert, wenn ich mitbekomme, dass Herr
Kolb immer ganz genau weiß, was die Linke will. Er hat
das mit den 10 Euro Mindestlohn und mit der Millionärs-
steuer verstanden.
Herr Kolb, es macht wirklich Spaß, mit Ihnen zusam-
menzuarbeiten.
Wissen Sie, auch ich kann lesen. Ich bin jedes Mal hin
und her gerissen, wenn ich bestimmte Sachen lese. Wir
können gerne noch einmal darüber reden, aber nicht
jetzt.
Im Grunde muss ich leider Herrn Zimmer recht ge-
ben.
Mir ging es genauso wie Ihnen: Auch ich war völlig irri-
tiert, als ich diesen Antrag gelesen habe, weil ich irgend-
wie nicht wusste, wann die Forderung nach einem Min-
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Trotzdem finde ich es löblich, dass sich die Grünen
m den Ausstieg aus den Niedriglohnsubventionen be-
ühen. Aber ich persönlich halte das Modell, das Sie
orgelegt haben, für nicht besonders weitsichtig. Als be-
onders neu kann man es auch nicht bezeichnen.
Wie bisher profitieren insbesondere Arbeitgeber von
en niedrigen Löhnen. Die Betroffenen müssen auch
eiterhin von staatlichen Zuschüssen leben, die uns an
nderen Ecken fehlen werden. Was mit dem Niedriglohn
eschaffen wurde, sind neue Formen der Ausbeutung.
ch persönlich halte es für eine riesige Katastrophe, dass
n einem der reichsten Länder auf dieser Erde, nämlich
n Deutschland, geschaut werden muss, ob man eine
öglichkeit findet, dass Menschen von ihrer Arbeit le-
en können. Ich finde, es ist eine Katastrophe, dass man
arüber überhaupt nachdenken muss.
Dabei sind die Vorschläge der Grünen eine bunte Ten-
elmann-Mischung. Das Problem ist: Dadurch werden
ie Niedriglöhne nicht abgeschafft. Im Gegenteil: Sie
erden auch noch zementiert. Es ist also dasselbe in
rün, nur irgendwie anders formuliert. Deshalb lehnt die
inke diesen Antrag ab. Mit der Einführung eines Min-
estlohns von 10 Euro, wie die Linke sie fordert Herr
olb hat das vorhin schon einmal gesagt , wäre Ihr gan-
es Modell überflüssig und hätten die Menschen Arbeit,
nd zwar solche, von der sie leben könnten.
Die Rechnung ist ganz einfach: Bisher müssen
,4 Millionen Menschen ergänzend zu ihrer Arbeit
artz IV beantragen, um über die Runden zu kommen;
ie können von den gezahlten Hungerlöhnen ihrer Ar-
eitgeber nicht leben. Das ist ein absoluter Skandal.
s kostet die Steuerzahler jetzt bitte ich Sie alle, ganz
enau hinzuhören 9,3 Milliarden Euro. Noch einmal,
nders ausgedrückt: 9,3 Milliarden Euro sind 9 300 Mil-
ionen Euro. So viel muss dafür verwandt werden.
Nach dem Modell der Grünen soll die staatliche Auf-
tockung abgeschafft werden. Die Grünen planen dafür
ie Entlastung durch niedrigere Sozialabgaben. Das so
rzeugte Loch in den Sozialkassen soll dann der Steuer-
ahler übernehmen. Der Niedriglohnsektor bliebe also
2420 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Jutta Krellmann
erhalten, die Förderung von Dumpinglöhnen auch.
Geiz bliebe folglich für die Arbeitgeber geil, und die
6,5 Millionen betroffenen Beschäftigten würden trotz
Arbeit arm bleiben.
Niedriglöhne egal wie sie bezuschusst werden
schaffen keine Arbeitsplätze, wohl aber verdrängen sie
gute Löhne und reguläre Beschäftigung. Sie setzen eine
Lohnspirale nach unten in Gang. Das kann man auch be-
legen; das findet auch momentan statt.
Dumpinglöhne werden mit geringeren Sozialabgaben
noch belohnt. Arbeitgeber werden regelrecht dazu ver-
leitet, die Löhne weiter zu reduzieren. Die Grünen be-
haupten, die Höhe der Sozialabgaben verhindere die
Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese Behauptung ist alt
und der Ausgangspunkt der Niedriglohnpolitik. Arbeits-
plätze geschaffen hat das nicht. Die Senkung der Sozial-
abgaben für Geringverdiener entlastet die Unternehmer
weiter in erheblichem Maße.
Mehr Netto ohne mehr Brutto geht zulasten von uns
allen.
Das Solidarsystem ist nicht die Melkkuh der Nation, die
dazu dient, ständig sinkende Löhne auszugleichen. We-
niger Sozialabgaben führen zu drastisch geringeren Ein-
nahmen der Sozialkassen. Es besteht die Gefahr, dass
das Loch in den Sozialversicherungen dann wieder als
Begründung für den Abbau von Sozialleistungen herhal-
ten muss.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Okay. Die Linke fordert deshalb mehr Beschäfti-
gungsmöglichkeiten für die Menschen hier in Deutsch-
land. Wir fordern einen Mindestlohn. Wir werden uns
am Freitag noch einmal ganz explizit in Person meines
Kollegen Klaus Ernst mit der Frage beschäftigen.
Vielen Dank.
Paul Lehrieder spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Mir geht es ähnlich wie dem Kollegen
Kolb. In unserer christlich-liberalen Koalition passt ers-
tens zwischen die Partner kein Blatt Papier. Zweitens
denken wir in vielen Bereichen ähnlich.
Ich habe mir den Antrag voller Vorfreude durchgele-
sen. Der Titel Mehr Netto für Geringverdienende ist ja
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Ihr Progressivmodell klingt gut. Natürlich kann man
agen, wir entlasten im unteren Einkommensbereich,
lso die Geringverdiener da haben wir im Übrigen
ehr gemacht als die rot-grüne Koalition seinerzeit; aber
arauf komme ich nachher noch zu sprechen , aber
ann müssen Sie auch sagen, wie Sie es finanzieren wol-
en. Durch Bundeszuschüsse? Das wäre systemwidrig.
Dazu, ob sich das durch Einsparungen bei den Aufsto-
kern finanzieren lässt, findet sich überhaupt nichts in
hrem Antrag. Wollen Sie es etwa durch Erhöhung der
ohnzusatzkosten im oberen Bereich finanzieren, das
eißt also, dass wir qualifizierte Arbeit verteuern? Das
offe ich nicht.
Darüber müssen wir aber reden, Frau Pothmer.
Ich finde ja die Idee grundsätzlich nicht a priori
chlecht und möchte sie nicht sofort und ohne Hinterge-
anken zurückweisen.
Stellen Sie mir doch eine Frage, Frau Pothmer, statt
ur dazwischenzurufen. Dann hätte ich auch Zeit für
ine Antwort.
Meine Damen und Herren, der Antrag klingt ja nicht
chlecht; aber er ist so, wie er vorliegt, absolut nicht be-
andelbar und nicht zustimmungsfähig. Wir werden ihn
uf jeden Fall ablehnen. Das Ganze könnte zwar zu ei-
em interessanten Debattenbeitrag werden, aber nicht in
ieser unausgereiften Form. Künftig sollten Sie keinen
chnellschuss aus der Hüfte mehr machen, liebe Frau
ollegin.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2421
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)
Paul Lehrieder
Wer hat denn nun die Sozialversicherungsbeiträge in
den letzten Jahren gesenkt? Das war nicht Rot-Grün.
Auch das muss für die Zuschauer auf der Tribüne und
die Fernsehzuschauer hier einmal ausdrücklich gesagt
werden. 1998 lag der Sozialversicherungsanteil immer-
hin bei 42,1 Prozent, heute liegt er bei sage und schreibe
38,65 Prozent. Das heißt, Sie schmücken sich mit frem-
den Federn. Wir ich räume ein, dass die Kolleginnen
und Kollegen von der SPD auch ein bisschen dazu bei-
getragen haben haben die Sozialversicherungsbeiträge
senken können. Und das ist gut so, meine Damen und
Herren.
Wir haben den Eingangssteuersatz vor einem guten
Jahr von 15 auf 14 Prozent gesenkt. Dazu kann man sa-
gen, dass man mehr erwartet hätte. Wir prüfen nach Vor-
liegen der Steuerschätzung, ob hier noch mehr Steuer-
entlastung möglich ist. Zur Entlastung gehört aber auch
die Erhöhung des Kinderfreibetrages, den wir Anfang
des Jahres immerhin von 6 000 auf 7 008 Euro erhöhen
konnten. Wir prüfen auch, ob darüber hinaus im Sozial-
versicherungsbereich Entlastungen möglich sind.
Meine Damen und Herren, der Antrag lässt nicht er-
kennen, wie man dem Nettofinanzierungsbedarf von
6,5 Milliarden Euro gerecht werden will. Das Bundes-
verfassungsgericht hat uns bestätigt, dass der Gesetzge-
ber bei Einführung der SGB-II-Regeln 2004 und 2005
zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzmini-
mums feste Regelsätze schaffen durfte. Wenn Sie jetzt,
Frau Pothmer, ähnlich wie die Linke pauschal, Pi mal
Daumen, einen Regelsatz von 420 Euro verlangen, dann
verstoßen Sie doch, genauso wie die Linken, gegen das,
was uns das Verfassungsgericht aufgegeben hat.
Schauen Sie sich doch einmal das Urteil an, Frau
Krellmann. Ich habe letzte Woche Ihrem Kollegen Ernst
gesagt, er solle das Urteil einmal lesen. Entweder hat er
es nicht gelesen oder er hat es nicht verstanden. Bei Ih-
nen muss ich dasselbe vermuten. Schauen Sie sich das
Urteil einmal an. Da steht, man muss ermitteln, weshalb
welche Bedarfe erforderlich sind. Lassen Sie uns in den
nächsten Wochen und Monaten im Ausschuss konstruk-
tiv darauf hinarbeiten, wie man das zusammen machen
kann, Frau Pothmer. Von daher ist eine Pauschale von
420 Euro leider ebenfalls nicht konsensual.
Zu den Mindestlöhnen. Wir reden morgen früh aus-
führlich darüber. Ich habe dankenswerterweise die Mög-
lichkeit, morgen früh zwei, drei Sätze dazu zu sagen; da-
her kann ich es jetzt kurz machen. Gefordert wird ein
genereller Mindestlohn von 7,50 Euro.
Klar, Sie fordern 10 Euro. In einem halben Jahr sind
Sie bei 12 oder 13 Euro.
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Dann verlangen Sie doch einen Mindestlohn von
2 Euro. Dann haben wir Sie noch mehr demaskiert.
Meine Damen und Herren, wir können keine Min-
estlöhne nach dem Familienstand einführen. Das ist
ber unser Sozialsystem geregelt; dazu werden wir mor-
en einiges ausführen. Deshalb sind alle drei Unter-
unkte in Ihrem Antrag, zumindest jetzt, leider vollum-
änglich abzuweisen. Es gebietet sich eigentlich, dass
an dazu nicht noch mehr ausführt. Über den Mindest-
ohn wird morgen früh diskutiert.
Frau Pothmer, lassen Sie uns über das Progressivmo-
ell ohne Scheuklappen und über die Parteigrenzen hin-
eg nachdenken und sehen, ob es eine Lösung ist und
as diese kostet. Dann können wir versuchen, Teile der
DP, die vielleicht Sympathie dafür haben, zu beatmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/896 an die Ausschüsse vorgeschlagen,
ie Sie in der Tagesordnung finden. Damit sind Sie ein-
erstanden? Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Marie-Luise Dött, Peter Altmaier, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Angelika Brunkhorst,
Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
11. Trilaterale Wattenmeerkonferenz: UNESCO-
Weltnaturerbe würdigt Schutz des Watten-
meeres
Drucksache 17/903
Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, hierzu
ine halbe Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen
iderspruch. Dann ist das so beschlossen.
2422 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Als Erstes gebe ich das Wort der Parlamentarischen
Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser.
Ur
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Es freut mich sehr, dass wir heute, nur einen Tag
nach dem Internationalen Tag des Artenschutzes, einen
Antrag debattieren, den mein Kollege Ingbert Liebing
initiiert hat. Es freut mich auch, dass wir, Frau Präsiden-
tin, zu einer solchen Zeit über ein wichtiges Natur-
schutzthema in diesem Haus diskutieren können und
nicht wie sonst auf die späteren Uhrzeiten verwiesen
werden. Erst einmal herzlichen Dank an Ingbert Liebing
und alle Kolleginnen und Kollegen, die diesen Antrag
zur internationalen Wattenmeerkonferenz, die Mitte
März auf der Insel Sylt stattfinden wird, verfasst haben.
Es waren ganz schön große Anstrengungen notwen-
dig, um dorthin zu kommen, wo wir heute beim Thema
Wattenmeer stehen, nämlich dass es das erfüllt uns mit
Stolz geschafft wurde, UNESCO-Weltnaturerbe zu
werden und dass damit das Ökosystem Wattenmeer in
einer Reihe steht mit Weltnaturerben wie dem Grand
Canyon, dem Amazonas-Gebiet in Brasilien oder Ähnli-
chem. Das ist schon eine tolle Leistung, die vor allen
Dingen die Bevölkerung vor Ort mit ihren Initiativen er-
bracht hat.
Kollege Liebing, ich kann Ihnen und den Kollegen
vor Ort bestätigen: Wir, das Bundesumweltministerium,
unterstützen Sie gerne dabei, weiter voranzukommen
und noch mehr zu erreichen als das, was Sie schon er-
reicht haben; denn die Liste ist noch lang, was wir im
Antrag nachlesen können.
Um es ganz klar zu sagen: Die allergrößte Bedrohung
des Wattenmeeres geht vom Klimawandel aus. Die Al-
pen und das Wattenmeer sind die Gebiete in Deutsch-
land, die vom Klimawandel am meisten betroffen sein
werden. In der Wattenmeerregion werden wir es gleich
doppelt zu spüren bekommen. Zum einen ändert sich
durch die höheren Luft- und Wassertemperaturen die Zu-
sammensetzung der Arten massiv. Das kann das Ökosys-
tem in seiner Funktionsfähigkeit bedrohen. Zum anderen
bringt der rasche Anstieg des Meeresspiegels Bedrohun-
gen für Mensch und Natur mit sich. Die Lösung wird
sicherlich nicht darin liegen, Superdeiche zu bauen; die
trockenfallenden Wattflächen sind unverzichtbar.
Grenzüberschreitende Aufgaben, wie sie beim Wat-
tenmeer anfallen, können nur gemeinsam bewältigt wer-
den. Seit über 30 Jahren besteht die deutsch-dänisch-nie-
derländische Wattenmeerkooperation, die uns die
nötigen Strukturen und Instrumente für künftige Heraus-
forderungen gibt. Das Wattenmeer ist fast flächende-
ckend und umfassend in nationale, europäische und in-
ternationale Schutzgebietsnetze eingebettet.
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Wir haben ein großes Interesse an der Wattenmeer-
onferenz. Sehr viele internationale Besucher, die daran
eilnehmen werden, möchten sich darüber informieren,
ie wir das Abkommen zum Schutz des Wattenmeeres
oranbringen wollen. Ich denke, dass wir einiges vorle-
en werden.
2010 ist das Internationale Jahr der biologischen Viel-
alt. Wir sind verpflichtet, uns mit aller Kraft dafür ein-
usetzen, die biologische Vielfalt in diesem Jahr noch
esser in der öffentlichen Aufmerksamkeit und in der
olitischen Agenda zu verankern. Diese Debatte hilft
ns dabei, ebenso wie die Sylter Wattenmeerkonferenz
inen Beitrag dazu leisten wird. Dabei sollen die interna-
ionalen Kontakte insbesondere zu Dänemark und den
iederlanden weiter gestärkt werden. Die Zusammenar-
eit mit dem Wattenmeerforum soll fortgeführt werden.
Wichtige Themen auf Grundlage des bisher Erreich-
en sind die Entwicklung von Strategien und Projekten
ür die Anpassung an den Klimawandel, der Umgang
it nicht einheimischen Tier- und Pflanzenarten, die
eitere Gestaltung der Nutzung des Wattenmeeres wie
ischerei, Schifffahrt, Energiegewinnung und Touris-
us, der bei aller Freude über viele Besucher, gerade als
olge des Welterbestatus, so naturverträglich wie mög-
ich gestaltet werden muss.
Ich freue mich auf diese Konferenz. Ich danke mei-
em Kollegen Ingbert Liebing für die Arbeit vor Ort,
nd den Kolleginnen und Kollegen hier danke ich für die
ufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Frank Schwabe für
ie SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Nir-
endwo auf der Welt gibt es ein Küstengebiet mit ver-
leichbarer ökologischer Bedeutung, Schönheit, Dyna-
ik und Größe. Das Wattenmeer, dieser einzigartige
ereich des Lebens zwischen Land und Meer mit seinen
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2423
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)
Frank Schwabe
Salzwiesen und Muschelbänken, ist ein weltweit einma-
liger Lebensraum für viele bedrohte Tiere und Pflanzen
sowie die Drehscheibe für Millionen von Zugvögeln wie
Ringelgänsen, Eiderenten und Alpenstrandläufern. Hier
leben Tausende Seevögel, darunter auch europaweit be-
drohte Arten wie Brandseeschwalbe und Seeregenpfeifer
sowie Schweinswale, Seehunde und Kegelrobben.
Gleichzeitig werden Küste und Meer fast nirgends auf
der Welt so intensiv vom Menschen geprägt wie in den
Niederlanden, Deutschland und Dänemark.
Doch das Wattenmeer ist nicht nur eine europäische
Großlandschaft von höchster Bedeutung, sondern es ist
zugleich hochgradig gefährdet. So werden über 75 Pro-
zent der im Wattenmeer vorkommenden Biotoptypen
und Biotopkomplexe zumindest als gefährdet eingestuft.
Betroffen ist das Wattenmeer in dramatischer Form das
ist gerade schon angesprochen worden vom Klima-
wandel, insbesondere vom Anstieg des Meeresspiegels,
der diesen Raum, der sich über einen Zeitraum von mehr
als 7 000 Jahren dort gebildet hat, massiv gefährdet.
Neben der Bekämpfung der Ursachen des Klimawan-
dels ist die Anpassung der Wattenmeerregion an die
möglichen Auswirkungen nötig. Die Herausforderun-
gen sind groß. Nach Aussagen des Alfred-Wegener-In-
stituts stehen der Region durch den Anstieg des Meeres-
spiegels Zitat fast unglaubliche Veränderungen be-
vor. Bis Ende des Jahrhunderts könne der Meeresspiegel
um bis zu 1 Meter ansteigen, erklären die Meeresfor-
scher. Mit dem Verlust des Wattenmeeres wäre die Küste
insgesamt bedroht.
Vor dem Hintergrund all dieser Herausforderungen
und zunehmender Gefährdungspotenziale für die Natur,
zum Beispiel durch die Fischerei, den Tourismus, teil-
weise aber auch durch den technischen Küstenschutz,
haben die drei Wattenmeeranrainerstaaten Dänemark,
die Niederlande und Deutschland koordinierte Schutz-
und Managementmaßnahmen ergriffen. Mit beiden
Nachbarstaaten arbeitet Deutschland für den Schutz des
Wattenmeeres seit vielen Jahren gut und eng zusammen.
Die trilaterale, sprich: Dreiländerzusammenarbeit zum
Schutz des Wattenmeeres ist eine Erfolgsgeschichte und
ein Musterbeispiel für den grenzüberschreitenden Schutz
der biologischen Vielfalt.
Im Wattenmeer funktioniert seit Jahrzehnten, worum
die Staatengemeinschaft in anderen Fragen derzeit ringt.
Gemeinsam ist es möglich, den Verlust der Artenvielfalt
aufzuhalten, das Gleichgewicht eines Ökosystems zu er-
halten und gleichzeitig eine nachhaltige Nutzung zuzu-
lassen und die Menschen vor Ort für den Schutz ihrer
Heimat zu gewinnen, auch wenn das ein durchaus langer
Weg war und ist, wie diejenigen, die an der Küste leben
oder dort gelegentlich Urlaub machen, wissen.
Die Überarbeitung der grundlegenden Dokumente und
Strukturen der Zusammenarbeit ist notwendig geworden,
weil die bisherigen Vereinbarungen fast 30 Jahre alt sind.
Auf der Konferenz auf Sylt in wenigen Tagen wird es
auch darum gehen, wie wir die Empfehlungen des Welt-
erbekomitees umsetzen. Zum Glück ist das Wattenmeer
nach langem Kampf seit dem 26. Juni des letzten Jahres
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das wird noch zu würdigen sein und mit der Ketten-
äge an die Finanzierung wichtiger Projekte gehen. So
öchte Schleswig-Holstein die Zuschüsse zum Freiwil-
igen Ökologischen Jahr kürzen, und zwar um eine halbe
illion Euro im Jahr.
irchen und Verbände in Schleswig-Holstein fürchten,
ass von den 150 Plätzen, die für die Arbeit der Natur-
chutzverbände existenziell wichtig sind, nur noch
00 Plätze übrig bleiben. Das ist nicht hinnehmbar, und
iese Kritik müssen wir dann hier auch formulieren.
Was passiert in Niedersachsen? Das Land Nieder-
achsen ist dabei, die Förderung der Nationalparkhäuser
rotz steigender Besucherzahlen zu kürzen, obwohl es so
ern den Naturschutz mit den Menschen predigt, wie
achzulesen ist. Das ist ein wirklicher Rückschlag für
as Weltnaturerbe. Das darf man international eigentlich
iemandem erzählen. In den letzten Jahren wurden die
ittel gekürzt, und mehr Geld für die Ausstattung der
ationalparkhäuser im Wattenmeer wird es so ist zu
ören bis 2013 nicht geben. Offensichtlich müssen die
ationalparkhäuser selber sehen, wie sie mit den gestie-
enen Anforderungen für die Informations- und Bil-
2424 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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Frank Schwabe
dungsarbeit zurechtkommen, die gerade jetzt mit der
Anerkennung als Weltnaturerbe auf sie zukommen. Ich
jedenfalls sehe die Entwicklung der 14 Nationalparkhäu-
ser und -zentren in Niedersachsen mit Sorge. Seit dem
Antritt der schwarz-gelben Landesregierung ist die Fi-
nanzierung zurückgefahren worden. Auch für das Jahr
2010 gibt es keine Besserung.
Kommen wir zu den PSSAs; ich nenne jetzt nicht den
langen englischen Begriff. Das sind die Schutzzonen der
Internationalen Schifffahrtsorganisation. Seit 2001 ist
das Wattenmeer eine solche Schutzzone. Das ist schön;
aber im Wattenmehr gibt es kaum Schiffe. Die Schiffe
kann man nur sehen, wenn man abends zum Beispiel in
Juist am Strand steht; man sieht sie im Dunkeln als helle
Punkte am Horizont. Sie befinden sich vor der Schutz-
zone. In diesen Bereichen und in den Bereichen der ge-
fährdeten Hafeneinfahrten gibt es Schiffe.
Sie haben recht mit Ihrem Hinweis auf mögliche
Wettbewerbsverzerrungen gegenüber niederländischen
Häfen, wenn man diesen Bereich ohne Weiteres in den
Schutz einbeziehen würde. Deshalb wäre es notwendig,
in einen konstruktiven Dialog darüber einzutreten, wie
die Seeschifffahrt in Abstimmung der Umweltschutz-
behörden mit den Verkehrsbehörden sicherer gemacht
werden kann, ohne dass Wettbewerbsverzerrungen ein-
treten. Dies ist zum Beispiel der Wunsch bzw. die Bitte
vieler Naturschutz- und Umweltschutzverbände, deren
Position wir nachhaltig unterstützen. Eine solche Per-
spektive zeigen Sie in Ihrem Antrag nicht auf.
Der Antrag der Koalition macht deutlich, dass es in
diesem Haus eine hohe Übereinkunft bei der Einschät-
zung der Bedeutung des Wattenmeeres und der Zusam-
menarbeit der drei Länder gibt; das ist gut so. Ihr Antrag
allerdings hat wenig Substanz, bringt uns zu wenig nach
vorn und schont die falsche Politik Ihrer Landesregie-
rungen. Deshalb wird sich die SPD bei der Abstimmung
über den Antrag enthalten.
Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin
Angelika Brunkhorst.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben gerade bei uns in der Fraktion einen neuen
Slogan entworfen: Würmer, Watt und Weltnaturerbe.
Das klingt doch gut. Diese Debatte hört sich auch eher
an wie eine große Schwärmerei für das, was hier gelun-
gen ist. Die Aufnahme der deutsch-niederländischen
Wattenmeerregion in die Liste der UNESCO-Weltnatur-
erbestätten stellt sie auf eine Ebene das wurde schon
gesagt mit anderen großen Naturstätten wie dem Grand
Canyon in den USA und dem Great Barrier Reef vor der
Küste Australiens.
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Ebenso wurde Sie haben die Konkurrenz bei der
chifffahrt angesprochen von der Internationalen
chifffahrtsbehörde anerkannt, dass das Wattenmeer
urchaus ein bedeutsames und ökologisch empfindsa-
es Gebiet darstellt. Die trilaterale Wattenmeerzusam-
enarbeit basiert auf der gemeinsamen Erklärung der
rei Wattenmeeranrainerstaaten Dänemark, Niederlande
nd Deutschland. Die Trilaterale Wattenmeerkonferenz
indet vom 17. bis 19. März 2010 unter deutscher Präsi-
entschaft, die Deutschland seit 2006 ausübt, auf Sylt
tatt. Auf dieser Konferenz soll eine gemeinsame Minis-
ererklärung verabschiedet werden, in der die Schwer-
unkte für die nächste Präsidentschaft festgelegt werden,
nd es sollen auch modernere Organisationsstrukturen
estgelegt werden.
Das Leitbild der drei Anrainerstaaten bei der Ent-
icklung gemeinsamer Maßnahmen ist, so weit wie
öglich ein natürliches und sich selbst erhaltendes Öko-
ystem zu erreichen, in dem natürliche Prozesse unge-
tört ablaufen können. Um dies zu schaffen, wurde im
ahre 2001 das Wattenmeerforum eingerichtet. Es ist ein
orum, welches soziale, aber auch wirtschaftlich und
kologisch ausgerichtete Maßnahmen entwickeln soll,
ie im Rahmen einer Gesamtvision wirken sollen. Hier
ind Vertreter aus dem staatlichen Bereich, Vertreter von
ichtregierungsorganisationen, aber auch die Bürger vor
rt mit eingebunden; das ist selbstverständlich. Es ist
ichtig, dass das Wattenmeerforum seine Arbeit auch in
ukunft fortsetzen kann. Viele Probleme lassen sich nur
n Kooperation mit anderen Staaten lösen; allein sind sie
icht lösbar.
Das Prädikat UNESCO-Weltnaturerbe ist ich
abe es schon gesagt wertvoll. Es ist auch ein wirksa-
es Marketinginstrument. Die Wattenmeerregion kann
ich eine gute Marktposition auf dem Gebiet des natur-
ahen Tourismus verschaffen. Damit ist das für den Tou-
ismus wertvolle Prädikat Weltnaturerbe sicherlich ein
tandortvorteil für die deutsche Küstenregion. Wir be-
rüßen, dass auch der dänische Teil des Wattenmeeres
etzt als Nationalpark eingestuft werden soll, und hoffen,
ass in der Folge auch dieser Teil als UNESCO-Weltna-
urerbe anerkannt wird.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2425
)
)
Angelika Brunkhorst
Zudem hat die Stadt Hamburg sozusagen auf der Ziel-
geraden gerade noch den Antrag gestellt, auch ihre Watten-
meerflächen als UNESCO-Weltnaturerbe anzuerkennen.
Dem Vorhaben, die sogenannten PSSAs, die Particularly
Sensitive Sea Areas, auszuweiten dass dies geschieht,
war eine Sorge der maritimen Wirtschaft , haben die zu-
ständigen Bundesressorts eine Absage erteilt. Man er-
achte die gültigen Schutz- und Sorgfaltspflichten als an-
gemessen.
Unser Wattenmeer muss für die jetzige Generation
und für künftige Generationen erhalten bleiben. Die Ma-
nagementmaßnahmen im Rahmen der Trilateralen Wat-
tenmeerkonferenz sind insbesondere darauf ausgerichtet,
den Anforderungen an die Erhaltung der Biodiversität in
dem natürlichen und dynamischen Wattenmeerökosys-
tem gerecht zu werden.
Die ersten Bemühungen zeigen bereits Erfolge. Bei-
spielsweise waren die Kegelrobben stark dezimiert; sie
wären fast ausgestorben. Jetzt gibt es wieder große Po-
pulationen, die insbesondere in einer Kolonie auf der
Kachelotplate zu finden sind. Dort können sie sich völlig
ungestört entwickeln und haben Ruhe und Wurfplätze.
Es ist gut, zu sehen, dass bestimmte Tierarten, wenn man
sie vor Verfolgung schützt und ihnen Ruhe gewährt und
Rückzugszonen einräumt, sich wieder vermehren und
sich dort heimisch fühlen.
Die FDP verfolgte schon immer eine Naturschutz-
politik es sei mir zum Schluss gestattet, darauf hinzu-
weisen , die Naturschutz mit den Menschen prokla-
miert. Für bestimmte Maßnahmen brauchen wir die
Akzeptanz der Menschen vor Ort. Ich glaube, die Nomi-
nierung des Wattenmeeres als UNESCO-Weltnaturerbe
ist dafür ein Paradebeispiel. Denn die Menschen vor Ort
sind auf breiter Basis für die Anmeldung und Durchset-
zung dieser langjährigen Bemühungen eingetreten und
haben sie mitgetragen. Dafür danke ich den Menschen
vor Ort.
Ich danke auch für Ihre Aufmerksamkeit und bitte,
dem Antrag zuzustimmen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Stüber für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Das Wattenmeer im Gezeitenwechsel der Nord-
see mal Land, mal Meer ist mit 10 000 Quadratkilome-
tern das größte Küstenfeuchtgebiet Europas. Sie, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
würdigen in Ihrem Antrag den einzigartigen Naturwert
mit seiner enormen Artenvielfalt. Zu Recht benennen
Sie Erfolge, auf die wir stolz sein können. Seit 1982 ar-
beiten Dänemark, Deutschland und die Niederlande zu-
sammen, um diesen Naturraum zu schützen.
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Was bitte wollen Sie mit diesem deklaratorischen Antrag
eigentlich erreichen? Wenn Sie wirklich etwas für das
Wattenmeer tun wollen, müssen Sie an größeren Rädern
drehen. Oder ist Ihnen das zu anstrengend?
Da wäre zum Beispiel die zunehmende Vermüllung
der Meere. Inzwischen gehört die Deutsche Bucht zu
den am meisten verschmutzten Gewässern. Das Watten-
meer und unsere Küsten leiden unter all den bekannten
negativen Auswirkungen, auch auf Natur und Touris-
mus. Hier erwarten wir von Ihnen Vorschläge. Davon ist
nichts zu sehen, Sie drücken sich.
Das Wattenmeer gehört zwar inzwischen zum
UNESCO-Weltnaturerbe und ist damit geschützt; aber
was kann dagegen getan werden, dass Schiffe ihren Ab-
fall auf offener See einfach verklappen? Was irgendwo
da draußen in die Nordsee gekippt wird, landet früher
oder später im Watt. Vögel und Meerestiere fressen
kleine Plastikteile und verenden daran. Schauen Sie sich
einmal den Film Plastic Planet an! Er ist sehr interes-
sant.
Der Rest steckt im Schlick oder wird an den Strand ge-
spült. Das ist die Realität, mit der das Wattenmeer heute
zu kämpfen hat. Auch davon findet sich in Ihrem Antrag
nichts.
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ir werden das Wattenmeer in seiner Einzigartigkeit nur
ewahren können, wenn wir für die gesamte Nordsee
nd den Atlantik etwas tun und zum Beispiel die zuneh-
ende Vermüllung stoppen. Werden Sie dazu auf euro-
äischer und globaler Ebene aktiv! Dazu bietet sich
iese Regierungskonferenz geradezu an, wenn Sie die
eitlinien für die nächste Präsidentschaft bestimmen
ollen.
Es ist schade, dass Sie über dieses wichtige Thema
ofort abstimmen wollen. Wir hätten gerne im Aus-
chuss Verbesserungen eingebracht, damit auch die Na-
urschutzverbände voll hinter Ihnen stehen. Ein Stich-
ort wäre, dass Sie die Ausweitung des Schutzstatus
SSA ablehnen. Schon vor diesem geringen Schutzsta-
us schrecken Sie zurück, obwohl hiervon keinerlei ne-
ative Auswirkungen auf die Wirtschaft zu erwarten
ind. Das ist mehr als enttäuschend.
Bei etwas so Wichtigem wie dem Wattenmeer hätte
an bei gutem Willen durchaus zu einem Antrag des
anzen Hauses finden können. Das war offensichtlich
icht Ihr Wunsch. Für eine Regierungskoalition, die
aßstäbe setzen will, hat Ihr Antrag leider zu wenig In-
alt. Sie werden unsere Stimmen nicht brauchen und
uch nicht bekommen. Ich empfehle meiner Fraktion
ine Enthaltung.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2427
)
)
Frau Kollegin Dr. Wilms, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu sehr
herzlich und verbinde das mit den besten Wünschen für
die weitere Arbeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Ingbert Liebing für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte über das Wattenmeer hat gezeigt,
dass wir alle miteinander in diesem Hause stolz darauf
sind, dass die UNESCO diesen einzigartigen Naturraum
im vergangenen Jahr als Weltnaturerbe ausgezeichnet
hat.
Nach Ihrem Beitrag, Frau Dr. Wilms, sage ich bei al-
ler persönlichen Wertschätzung ganz offen: Ich hätte
mich gefreut, wenn Sie bei diesem Thema das, was uns
verbindet, in den Vordergrund gestellt hätten.
Ich habe ausdrücklich darauf verzichtet, nun alles
Mögliche aus den Unterlagen der Konferenz abzuschrei-
ben Ministererklärung, Wattenmeerplan und Ähnliches ,
in denen all die Dinge, die Sie hier einfordern, sehr wohl
angesprochen werden: von der Sicherheit auf See über
den Seeverkehr bis hin zum Klimawandel. Wenn Sie
sich die Mühe gemacht hätten, einmal in diese Konfe-
renzunterlagen hineinzusehen, dann hätten Sie feststel-
len können, dass dies alles auf der Konferenz behandelt
wird. Wir brauchen das alles aber nicht noch einmal in
unserem Antrag abzuschreiben.
Es ist gut, dass wir uns heute im Deutschen Bundes-
tag mit diesem Thema beschäftigen, weil das auch eine
Würdigung der Anerkennung des Wattenmeeres als
Weltnaturerbe darstellt. Dabei war das wahrlich keine
Selbstverständlichkeit. 18 Jahre hat es gedauert, bis
diese Auszeichnung erreicht werden konnte. Es war ein
schwieriger Diskussionsprozess, den ich selber vor Ort
erlebt habe.
Schließlich gibt es auch einen wesentlichen Unter-
schied zwischen dem Naturraum Wattenmeer und den
vielfach zitierten Vergleichsregionen wie Grand Canyon
und Great Barrier Reef. Das Wattenmeer ist schließlich
auch ein Raum, in dem Zehntausende Menschen auf den
Inseln und Halligen mitten im Wattenmeer leben und ar-
beiten. Wenn wir die Küstenregionen dazunehmen, kom-
men weitere Millionen Menschen hinzu.
Es ist ein Raum, in dem jährlich Millionen von Men-
schen Urlaub machen. Die Menschen auf den Inseln und
Halligen sind von der Schifffahrt und vom Küstenschutz
abhängig, mit dem sie über Jahrhunderte hinweg ihren
Lebensraum gesichert haben. Hafen- und Energiewirt-
schaft hängen eng mit dem Wattenmeer zusammen. Das
gilt genauso für die Fischerei und die Landwirtschaft.
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Das ist aber auch das Ergebnis einer geänderten Vor-
ehensweise gewesen. Ich habe erlebt, wie umweltpoliti-
che Ziele von Rot-Grün von oben und von außen vorge-
eben worden sind. Dadurch wurde eher Widerstand
ervorgerufen. Es sind dann andere, Unionspolitiker,
nd andere Landesregierungen, christlich-liberale Lan-
esregierungen, gewesen, die dann anders damit umge-
angen sind, die die Menschen mitgenommen und Über-
eugungsarbeit geleistet haben.
eswegen ist es gelungen, dass die Menschen in der Re-
ion zu diesem Welterbe jetzt Ja sagen.
Herr Kollege Liebing, ich darf Sie kurz unterbrechen.
er Herr Kollege Schwabe möchte gerne eine Zwi-
chenfrage stellen.
Ja, gerne.
Herr Kollege Liebing, ich will Ihr Engagement durch-
us würdigen, und Sie haben zu Recht angesprochen,
ie schwierig die Situation vor Ort ist und wie schwierig
s ist, Akzeptanz bei den Menschen vor Ort zu erreichen.
Trotzdem will ich Sie an dieser Stelle doch noch ein-
al fragen: Wie kann es sein, dass gerade die Landesre-
ierungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die
ie ja gerade, denke ich, ein Stück weit gelobt haben, die
ittel für die Infrastruktur, für die Nationalparkhäuser
nd für das Personal kürzen, obwohl sie ja gerade dafür
a sind, Akzeptanz zu schaffen, eine Nachhaltigkeit bei
er touristischen Nutzung zu erreichen und Überzeu-
ungsarbeit zu leisten? Wie kann es also sein, dass diese
ittel gekürzt werden?
Ich sehe keineswegs, dass die niedersächsische Lan-
esregierung ihrer Verantwortung für das Wattenmeer
etzt nicht nachkommt, sondern ganz im Gegenteil: Die
iedersächsische Landesregierung investiert im Rahmen
2428 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Ingbert Liebing
eines Interreg-Programms gemeinsam mit den Nachbarn
in den Niederlanden 300 000 Euro für zusätzliche Maß-
nahmen im Wattenmeer.
Zum FÖJ in Schleswig-Holstein. Es geht ausschließ-
lich darum, dass die Finanzierung auf den Level der an-
deren Bundesländer abgesenkt wird, nachdem Ihre Kol-
legen in Kiel in roter und rot-grüner Regierungszeit das
Land über 18 Jahre hinweg ruiniert haben. Das Land ist
jetzt pleite, und jetzt kann man sich nicht mehr erlauben
als andere Länder.
Herr Kelber, ich schlage vor, dass wir jetzt zum Thema
zurückkommen. Kommen wir zurück zum Wattenmeer.
Das ist nicht unangenehm, aber beschäftigen wir uns
lieber mit unserem Thema.
Wir sind stolz auf die Anerkennung als Weltnatur-
erbe, und es ist gut, dass jetzt auch der Hamburger Senat
das klare Bekenntnis dazu abgegeben hat, die dortigen
Flächen nachzumelden. Auch Dänemark wird diese Dis-
kussion jetzt aufnehmen können, nachdem die Anerken-
nung als Nationalpark auf den Weg gebracht wurde. Das
alles sind gute Perspektiven für das Wattenmeer.
Wir müssen aber auch die Chancen nutzen, vor allem
auch für den Tourismus. Hier sehe ich eine nationale
Verantwortung. Ich freue mich, dass das Bundesumwelt-
ministerium dieses Thema aufgegriffen hat, und möchte
Staatssekretärin Heinen-Esser ausdrücklich ermuntern,
diesen Weg weiterzugehen; die Unterstützung der Koali-
tion ist hier sicher.
Seit über 30 Jahren arbeiten die Niederlande, Däne-
mark und Deutschland in der Trilateralen Wattenmeer-
kooperation zusammen. Diese Kooperation bildet die
Grundlage für das hochrangige Schutzniveau, das wie-
derum die Voraussetzung für die Anerkennung als Welt-
naturerbe gewesen ist. Im Rahmen der Kooperation fin-
den alle vier Jahre Regierungskonferenzen statt, so auch
in zwei Wochen auf Sylt. Die Konferenz auf Sylt bildet
den Abschluss einer erfolgreichen deutschen Präsident-
schaft in der Trilateralen Wattenmeerkooperation. Wir
können diese Präsidentschaft wegen der erfolgreichen
Anmeldung des Weltnaturerbes, wegen des überarbeite-
ten Wattenmeerplans, wegen des erneuerten Gründungs-
dokuments der Kooperation, wegen der neu entwickel-
ten Organisationsstruktur und wegen des Entwurfs einer
Ministererklärung ausdrücklich würdigen.
Ich will gerne zwei der Themen aufgreifen, die auf
der Konferenz verhandelt werden sollen. Das Thema
PSSA ist mehrfach kritisch angesprochen worden. Um
es ausdrücklich zu sagen: Das Thema der Sicherheit auf
See ist für die Wattenmeerkonferenz von entscheidender
Bedeutung. Es spielt, wie man den Unterlagen entneh-
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Beim Thema PSSA geht es um mehr: In erster Linie
eht es nicht um den Schutz des Wattenmeeres. Es
laube doch bitte keiner, dass diejenigen in Holland, die
ie Ausdehnung der PSSA vorantreiben, dies ausdrück-
ich mit Blick auf den Schutz des Wattenmeeres tun! Sie
un es mit Blick darauf, dass die deutschen Seehäfen
ach einer Ausdehnung in das Schutzgebiet einbezogen
ären und damit die Zufahrt zu ihnen erschwert würde,
ährend Rotterdam auch Antwerpen außen vor blei-
en würde. Natürlich hat dies Folgen für die Wettbe-
erbsfähigkeit der Häfen, die wir nicht akzeptieren kön-
en. Beschäftigen wir uns lieber mit den konkreten
aßnahmen, die tatsächlich für mehr Sicherheit im See-
erkehr sorgen, anstatt nur pauschal über das Thema der
SSA zu sprechen!
Im Übrigen darf ich daran erinnern: Ehemalige Mi-
ister sowohl Herr Tiefensee von der SPD als auch
err Trittin von den Grünen haben die Ausdehnung
er PSSA über das eigentliche Schutzgebiet des Watten-
eeres hinaus nicht betrieben. Da das Stichwort Pallas
efallen ist, möchte ich hervorheben: Das Unglück der
allas wäre auch durch eine Ausdehnung der PSSA nicht
erhindert worden; denn ein PSSA-Gebiet schützt nicht
avor, dass ein Havarist von draußen in das Wattenmeer
ineintreibt. Es handelte sich um einen Holzfrachter, der
urch jedes PSSA-Gebiet hätte fahren dürfen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, ist das
attenmeerforum. Es ist ein sehr gutes Instrument, das
ie Interessenorganisationen in der Wattenmeerregion
ündelt und in die Wattenmeerkooperation mit einbringt.
ieses Wattenmeerforum bekommt mit dieser Regie-
ungskonferenz einen neuen, gestärkten Status als Bera-
er des neuen Wattenmeervorstandes. Wenn man dies tut,
ann muss man auch dafür sorgen, dass die Arbeit konti-
uierlich fortgesetzt werden kann. Deswegen setzen wir
ns mit unserem Antrag auch dafür ein, dass diese Ar-
eit fortgesetzt werden kann, auch in finanzieller Hin-
icht. Ich bin sicher: Dies stärkt das Vertrauen in der Re-
ion und dient dem gemeinsamen Interesse des
attenmeerschutzes.
Die beiden Ereignisse Listung des Wattenmeeres als
eltnaturerbe sowie die Trilaterale Wattenmeerkonfe-
enz auf Sylt zum Abschluss der deutschen Präsident-
chaft sind es wert, vom Deutschen Bundestag gewür-
igt zu werden. Dies tun wir, die Fraktionen der
hristlich-liberalen Koalition, mit unserem Antrag. Ich
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2429
)
)
Ingbert Liebing
werbe für ein deutliches Signal des Deutschen Bundesta-
ges, den Wert dieses Naturraums zu würdigen, die Leis-
tung der deutschen Präsidentschaft in der Wattenmeer-
kooperation anzuerkennen und die Chancen, die dieser
Raum bietet, beherzt zu nutzen. Darum bitte ich Sie
heute um Unterstützung für unseren Antrag.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache
17/903 mit dem Titel 11. Trilaterale Wattenmeerkon-
ferenz UNESCO-Weltnaturerbe würdigt Schutz des
Wattenmeeres. Wer stimmt für den Antrag? Wer ist
dagegen? Enthaltungen? Der Antrag ist damit ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthal-
tung der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid
Arndt-Brauer, Rainer Arnold, Sabine Bätzing und
weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD,
sowie der Abgeordneten Jan van Aken, Agnes
Alpers, Dr. Dietmar Bartsch und weiterer Abge-
ordneter der Fraktion DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Kerstin Andreae,
Marieluise Beck , Volker Beck (Köln)
und weiterer Abgeordneter der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
Drucksache 17/888
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Matthias Miersch von der SPD-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Recht, einen Untersuchungsausschuss zu verlangen,
ist ein Urrecht und ein wichtiges Recht, das meistens die
Minderheit im Parlament wahrnimmt. Wir meinen, dies
ist ein Mittel, das sehr sorgfältig eingesetzt werden
muss; aber es muss eingesetzt werden, wenn es um zen-
trale Fragen geht.
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Worum es im Einzelnen gehen wird, wird meine Kol-
egin Ute Vogt, die für uns die Obfrau in diesem Aus-
chuss sein wird, näher erläutern. Ich will nur kurz den
ern skizzieren. Es geht darum, zu klären, ob es unter
er Regierung von Helmut Kohl, unter der schwarz-gel-
en Bundesregierung im Jahr 1983 zur Festlegung auf
en Untersuchungsstandort Gorleben gekommen ist, ob-
ohl man es hätte besser wissen müssen.
Die Frage, die sich stellt, ist, ob Zweifel, die von
achleuten angemeldet wurden, unberücksichtigt geblie-
en sind. Die Frage ist, ob die Politik dergestalt Einfluss
enommen hat, dass Fachleute und Gutachten nicht
ehr die entscheidende Rolle gespielt haben. Die Frage
st, ob Zweifel, die frühzeitig geäußert wurden, unter-
rückt wurden.
Wir haben Hinweise darauf, dass Gutachten manipu-
iert wurden und die Fakten bewusst nicht zur Kenntnis
enommen worden sind. Darum wird es in diesem Un-
ersuchungsausschuss gehen.
Die Diskussion über das Endlager findet in einem
ochaktuellen Kontext statt. Sie streiten sich als
chwarz-gelbe Koalition wie die Kesselflicker um die
rage, wie Sie mit der Atomtechnologie weiter umge-
en.
arallel dazu kürzen Sie bei den erneuerbaren Energien.
as wir heute aus den Haushaltsberatungen hören, ist
ehr als alarmierend. Sie scheinen wirklich weit in die
ergangenheit zurückzufallen.
Gleichzeitig formiert sich der Widerstand in der Öf-
entlichkeit. Am 24. April 2010 werden viele Menschen
us den unterschiedlichsten Gruppen ihre Interessen da-
urch vertreten, dass sie zwischen Brunsbüttel und
rümmel eine Menschenkette bilden werden. Gleichzei-
ig will Bundesminister Röttgen jetzt plötzlich in Gor-
eben die Öffentlichkeit beteiligen.
Wenn Herr Röttgen etwas sagt, dann muss man sehr
enau aufpassen, wie Worte und Taten zusammenzubrin-
en sind. Auch hier zeigt sich, dass die Beteiligung der
ffentlichkeit vieles offenbar kaschieren soll und dass es
igentlich nur eine Pseudobeteiligung ist. Denn worum
eht es? Sie haben vor, das Ganze weiterhin nach dem
ergrecht zu regeln, mit der Folge, dass es gerade keine
2430 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Matthias Miersch
richtigen Möglichkeiten zu Einwendungen und Klagen
der Bevölkerung gibt.
Führen Sie die Leute nicht vor! Wir haben drei ele-
mentare Forderungen: Erstens. Beteiligen Sie die Öffent-
lichkeit richtig, statt sie vorzuführen!
Zweitens. Stellen Sie, solange dieser Untersuchungs-
ausschuss tagt, alle Tätigkeiten der weiteren Erkundung
von Gorleben ein! Alles andere wäre unverantwortlich.
Drittens. Führen Sie keine einseitige Erkundung
durch! Denn wir wissen schon heute, dass es eigentlich
um viel mehr geht. Sie wissen, dass Sie in Gorleben
enorme Probleme bekommen werden. Denn die Verträge
mit den Grundstückseigentümern laufen 2015 aus. Wer
seriös an die Sache herangeht, weiß, dass man für die Er-
kundung viel länger braucht. Sie wissen eigentlich heute
schon, dass Sie bei Gorleben gar nichts gewinnen kön-
nen. Insofern ist der Schritt, den der Bundesminister jetzt
scheinbar vorhat, ein unverantwortlicher.
Jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, weiß, dass
neben Salz inzwischen ganz andere Gesteinsarten bei-
spielsweise Ton und Granit infrage kommen. Wer sich
heutzutage einseitig auf Gorleben festlegt, produziert ei-
gentlich den nächsten Skandal. Denn wer in die Schweiz
oder in andere Länder schaut, weiß, dass man sich nicht
einseitig festlegen darf. Das ist unverantwortlich.
Sie werden genau überlegen müssen, wie Sie mit den
Menschen vor Ort umgehen. Wenn sich herausstellen
sollte, dass hier manipuliert worden ist, oder sich heraus-
stellen sollte, dass fachliche Stellungnahmen nur unzu-
reichend zur Kenntnis genommen worden sind, dann
können Sie doch nicht in einem so gefährlichen Gebiet
nach dem Motto handeln: Augen zu und durch. Wir wer-
den Ihnen das nicht durchgehen lassen. Sie werden hier
mit dem geballten Widerstand der Opposition zu rech-
nen haben. Deswegen sage ich zum Abschluss noch ein-
mal: Lassen Sie augenblicklich die Finger von Gorleben!
Nehmen Sie Ihre Kraft mit in den Untersuchungsaus-
schuss! Klären Sie das gemeinsam mit uns auf, und un-
terlassen Sie, solange der Untersuchungsausschuss tagt,
jegliche Vorhaben, diese Erkundung weiter durchzufüh-
ren!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion.
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Das Bundesumweltministerium hat dasselbe gemacht.
eide Berichte sind nicht ganz gleichlautend.
Auch das wird sicherlich Gegenstand der Arbeit in
nserem Ausschuss sein.
Die Nutzung von Kernenergie ist seit den 70er-Jahren
ine wichtige Ressource zur Produktion von Strom in
er Bundesrepublik Deutschland. Dabei fällt hochradio-
ktiver Abfall an. Es ist eine ethische Verpflichtung, eine
rage der politischen Redlichkeit und der Übernahme
on Verantwortung für einmal getroffene Entscheidun-
en, dass der Deutsche Bundestag sich der Lösung der
ntsorgungsfrage tatsächlich annimmt.
s ist eine Frage der nationalen Entsorgung, natürlich
ach unseren Sicherheitsstandards hier in Deutschland.
s ist außerdem eine Frage der Generationengerechtig-
eit, um den kommenden Generationen nicht den Müll
on heute vor die Füße zu werfen.
Kurz zur Geschichte Gorlebens: 1977 beschließt die
egierung Schmidt, nach Abstimmung mit dem Kabi-
ett Albrecht in Niedersachsen, Gorleben als Endlager-
tandort zu erkunden. Vorausgegangen waren ein für die
amalige Zeit umfangreiches Auswahlverfahren vonsei-
en der Bundesregierung, die 26 verschiedene Standorte
n Betracht zog, und eine Untersuchung von mehr als
40 Salzstöcken in Niedersachsen durch die Landesre-
ierung. Es gab 1979 ein umfangreiches Gorleben-Hea-
ing, eine einwöchige Expertenanhörung unter Hinzuzie-
ung des niedersächsischen Landtags. Ab 1979 wurde
er Salzstock oberirdisch und ab 1986 auch unterirdisch
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2431
)
)
Dr. Maria Flachsbarth
untersucht. Seit 2000 wird nichts mehr gemacht. Es gilt
ein Moratorium.
Ich bin froh, dass die jetzige Bundesregierung und
Bundesumweltminister Röttgen keinen Zweifel daran
lassen, dass die Lösung der Endlagerfrage für hochradio-
aktiven Abfall ganz oben auf der Agenda der neuen Bun-
desregierung steht. Ganz anders war es bei den Vorgän-
gerregierungen und seinen Vorgängern im Amt, den
Herren Trittin und Gabriel. Das Ganze soll in einem of-
fenen und transparenten Verfahren erfolgen, das der Ko-
alitionsvertrag vorsieht.
Bundesumweltminister Röttgen hat am vergangenen
Dienstag am Rande der CeBIT in einer Sitzung des nie-
dersächsischen Kabinetts gesagt, dass diese Untersu-
chung ergebnisoffen mit Beteiligung der Bevölkerung,
der Bürgerinitiativen und auch der Kommunalpolitiker
vor Ort, ähnlich wie bei der Asse-Begleitgruppe, erfol-
gen soll.
Die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ist für uns
entscheidend, so Röttgen. Darüber hinaus wird es eine
Peer Review geben, das heißt, wir wollen internationale
Experten zurate ziehen, um alle Befunde, die es bislang
in Gorleben gegeben hat, untersuchen zu lassen und ih-
rem Rat bezüglich der Eignung dieses Salzstocks zur
Endlagerung in Anspruch zu nehmen. Dieses Verfahren
hatten wir übrigens in der letzten Legislaturperiode Ih-
nen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ange-
boten, leider Gottes vergeblich.
Frau Kollegin, Entschuldigung, dass ich Sie unterbre-
che. Herr Kollege Kelber möchte gerne eine Zwischen-
frage stellen.
Gerne.
Bitte.
Frau Kollegin, vielen Dank für die Möglichkeit, eine
Frage zu stellen. Sie hatten gerade nach den Erläuterun-
gen meines Kollegen Miersch das Thema der Beteili-
gung der Bürgerinnen und Bürger angesprochen. Unter
Bürgerbeteiligung versteht man ein Verfahren, in dem
die Bürgerinnen und Bürger per Verordnung oder Gesetz
festgelegte Rechte der Beteiligung haben. Können Sie
mir bestätigen, dass das von Herrn Minister Röttgen ge-
wählte Verfahren keine Rechte für die Bürgerinnen und
Bürger vorsieht, sondern ein reines Informationsverfah-
ren ist?
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nd eine Bestätigung dieses Urteils von 1995 nicht mehr
n Erinnerung. Darin wurde eben diese Frage höchstrich-
erlich dahin gehend entschieden, dass die Erkundung im
orfeld des Planfeststellungsverfahrens sowohl ange-
essen als auch rechtens ist. Diese Frage ist höchstrich-
erlich zweimal entschieden worden. Genau auf diesen
ntscheid gründet sich unser weiteres Vorgehen.
Nach diesen Voruntersuchungen, die stattfinden müs-
en, damit das Planfeststellungsverfahren überhaupt aufge-
ommen werden kann, wird natürlich ein atomrechtliches
erfahren eingeleitet. Das heißt, das Planfeststellungs-
erfahren läuft selbstverständlich nach Atomrecht ab, mit
en entsprechenden Beteiligungen aller interessierten
ruppen.
Das geht gar nicht anders, Sie haben völlig recht. Es
rgibt Sinn, dass man weit im Vorfeld dessen intensiven
ontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort sucht
nd zudem die Suche nach internationalen Standards be-
leitet. Nach dem Planfeststellungsverfahren auch das
issen Sie ist es natürlich möglich, gegen den Plan-
eststellungsbeschluss, sollte er positiv ausgefallen sein,
u klagen. Damit ist auch klar, dass ein Endlager vor
em Jahr 2030 vermutlich nicht zur Verfügung stehen
ird.
Die Bundesregierung strebt dieses Verfahren auf der
rundlage der zwei Urteile des Bundesverwaltungsge-
ichts von 1990 und 1995 an. Darüber hinaus hat die rot-
rüne Regierung, als sie 2000 den Ausstiegsvertrag mit
en EVUs gemeinsam vereinbart hat, in dem Ausstiegs-
eschluss festgeschrieben, dass nichts gegen die Eig-
ungshöffigkeit dieses Salzstocks spreche. Daher muss
r weiter untersucht werden. Das Bundesamt für Strah-
enschutz hat in seinem Synthesebericht von 2005, der
ie Zweifelsfragen abgearbeitet und die Ergebnisse zu-
ammengefasst hat, gesagt, dass es ein Nachweiskonzept
ür die Langzeitsicherheit von Endlagern gebe und dass
ie Sicherheit eines möglichen Standorts nur mit stand-
rt- und anlagenspezifischen Sicherheitsanalysen ermit-
elt werden könne, sprich: Man muss tatsächlich vor Ort
achschauen, und das heißt weiter erkunden.
Als Letztes möchte ich das Urteil zum Schacht Konrad
nführen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg führte
März 2006 aus, dass es eben keiner alternativen Stand-
rterkundung bedürfe und dass ein Mangel im Verfahren
2432 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Maria Flachsbarth
nicht darin bestehe, dass alternative Standorte nicht um-
fassend und vergleichend untersucht worden seien.
Diese Bundesregierung mit dem Bundesumweltminis-
ter Röttgen stellt sich endlich nach so vielen Jahren des
Wegschauens, des Wegtauchens und des Verantwortung-
von-sich-Schiebens ihrer Verantwortung für die Entsor-
gung in einem ergebnisoffenen und transparenten Verfah-
ren mit internationalen Standards. Nun müssen wir tat-
sächlich ergebnisorientiert auch im Hinblick auf die
zahlreichen oberirdischen Zwischenlager überall in
Deutschland handeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur Vergan-
genheit aufarbeiten, sondern Zukunft gestalten, das ist
der Auftrag, den dieses Haus hat. Ich hoffe, dass in die-
sem Sinne auch der Parlamentarische Untersuchungs-
ausschuss arbeiten wird.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort die Kol-
legin Dorothée Menzner.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Eben wurde schon ge-
sagt, ein Untersuchungsausschuss sei eine der schärfsten
Waffen der Opposition und keine Fraktion werde sie
leichtfertig benutzen.
In den letzten Wochen und Monaten sind uns aber in
mindestens fünf Komplexen Zusammenhänge deutlich
geworden und bekannt geworden, die diesen Untersu-
chungsausschuss rechtfertigen.
Ohne dass der Untersuchungsausschuss seine Arbeit
überhaupt begonnen hätte, gibt es ernstzunehmende Hin-
weise auf folgende Missstände:
Erstens. Die Entscheidungen wurden seinerzeit nicht
nach fachlichen Kriterien und nach Stand von Wissen-
schaft und Technik gefällt, sondern nach politischer Op-
portunität und Durchsetzbarkeit. Man beschränkte sich
in den 70er-Jahren lediglich auf Salz als mögliches Ein-
lagerungsmedium und untersuchte über 100 Salzstöcke.
Dabei wurde nicht nur bewertet, ob sie geologisch geeig-
net sind, sondern es wurde beispielsweise auch bewertet,
ob die örtliche Bevölkerung besonders aufmüpfig ist
oder ob man Entscheidungen dort leicht durchsetzen
kann.
Wissenschaftler sagen bis heute, es sei in weiten Tei-
len eine politische und nicht eine sachlich-wissenschaft-
liche Entscheidung gewesen. Auch die Zweifel, die seit
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Die sture Fixierung auf Gorleben entgegen den War-
ungen zahlreicher Wissenschaftler und gegen den Wi-
erstand der örtlichen Bevölkerung ist sehr bezeichnend.
ls ob das Desaster mit der Asse, bei dem wir im Mo-
ent alle gemeinsam überlegen, wie wir es möglichst
nschädlich machen können, noch nicht reicht, wollen
ie weiter vollendete Tatsachen schaffen. Das ist mit der
inken nicht zu machen. Wir werden auf Transparenz
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2433
)
)
Dorothée Menzner
achten und sehr genau hinschauen, vielleicht auch, weil
wir nicht genötigt sind, an irgendeiner Stelle eine inner-
parteiliche Schonhaltung einzunehmen.
Die kriminelle Müllkippe Asse und Gorleben reichten
seinerzeit gerichtlich als Entsorgungsnachweis für die
AKWs Brokdorf, Stade, Grohnde, Biblis A und Biblis B.
In dem Zusammenhang halte ich es für fahrlässig, über
Laufzeitverlängerungen zu diskutieren. Ich komme zu
dem Schluss, dass nicht die Menschen vor Ort, die Angst
haben, und nicht die seit 30 Jahren aktive Bürgerbewe-
gung die Atomchaoten, als die sie so oft bezeichnet wur-
den, sind,
sondern offensichtlich die Betreiber der AKWs und ei-
nige, die das in der Politik unterstützen.
Ich danke.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika
Brunkhorst für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, werden die Einsetzung des Gorleben-Ausschusses
bekommen, und die FDP wird sehr sachgerecht, ambitio-
niert und konstruktiv darin mitarbeiten; das können wir
Ihnen zusagen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-
sition aber auch um Wahrhaftigkeit sowie darum, diesen
Untersuchungsausschuss nicht als politisches Instrument
zu verbiegen
und bei den Bürgern und Bürgerinnen keine Angst zu
schüren. Denn Gorleben ist nicht festgelegt, sondern die
Erkundung ist weiterhin offen.
Der gesamte Prozess wird öffentlich und transparent
gestaltet. Bundesumweltminister Norbert Röttgen und
der niedersächsische Umweltminister Sander haben in
dieser Woche bekundet, dass sie eine Einbindung der
Bürgerinnen und Bürger wenn auch nicht nach Ihrem
Maßstab in Form eines Begleitkreises wollen, wie er
sich bei der Asse durchaus bewährt hat.
In der Sache erheben sie den Vorwurf, es habe eine
rein politische Vorfestlegung auf den Standort Gorleben
gegeben. Ich bin mir sicher, dass der Untersuchungsaus-
schuss zu anderen Ergebnissen kommen wird und dass
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ie können es wohl gar nicht abwarten. Lassen Sie uns
och erst einmal den Untersuchungsausschuss einsetzen.
ann gehen wir in die Details.
Ja, vielleicht auch das.
Sie haben in der Begründung des Antrags auf Einset-
ung dieses Untersuchungsausschusses zu Recht ge-
chrieben, dass wir eine Lösung zur Endlagerung hoch-
adioaktiver Abfälle brauchen. Das stimmt. Ich muss an
ieser Stelle einfach einmal sagen, dass wir in dieser
rage seit zehn Jahren Stillstand zu verzeichnen haben,
bwohl in dieser Zeit die SPD und eine Zeit lang auch
ie Grünen an der Regierung beteiligt waren. Weder un-
er Umweltminister Trittin noch unter Umweltminister
2434 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Angelika Brunkhorst
Gabriel waren in dieser Frage irgendwelche Fortschritte
zu verzeichnen. Da wundere ich mich dann schon.
Ich möchte auf Folgendes zurückkommen: Umwelt-
minister Trittin ich konnte ihn im Umweltausschuss
kennenlernen; er hat damals den AK End einberufen
hat den Auftrag vergeben, ein Ein-Endlager-Konzept zu
entwickeln. Die Empfehlungen lagen auf dem Tisch. Der
AK-End-Bericht verstaubt irgendwo in den Regalen des
BMU. So geht es nicht weiter. Wir müssen jetzt endlich
einmal vorankommen, auch im Hinblick darauf, dass wir
den kommenden Generationen solch eine Bürde einfach
nicht aufhalsen können.
In Anlage 4 des sogenannten Atomkonsenses steht
auch darauf möchte ich hier verweisen , dass die bis-
her gewonnenen geologischen Befunde nicht gegen die
Eignung des Salzstockes Gorleben sprechen. Das haben
der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und der
damalige Bundesumweltminister Trittin unterzeichnet.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen: Sie
grenzen Ihren Untersuchungsauftrag auf die Umstände
der Kabinettsentscheidung von 1983 ein. Ich möchte da-
rauf hinweisen das müssen die Bürger ebenfalls wis-
sen , dass bereits in den 1970er-Jahren gewisse Pro-
zesse der Endlagersuche abgelaufen sind. Ich habe das
schon gesagt: Es gab Hearings usw. Das ist ja nicht mit
der Kabinettsentscheidung 1983 losgegangen.
Ich möchte hier noch eine Erklärung abgeben: Mir
persönlich und der FDP liegt am Herzen, dass wir end-
lich die Frage beantworten, wie es mit der Suche nach
einem geeigneten Endlagerstandort weitergehen soll.
Dass sich diese Frage heute immer noch stellt, dass wir
von Ihnen die Frage Wie soll ein Endlager aussehen,
das den internationalen Standards von Wissenschaft und
Technik entspricht? gestellt bekommen, dass es so ge-
kommen ist, dafür tragen Sie doch selbst seit langem die
Verantwortung. Wenn wir das Moratorium von zehn Jah-
ren nicht gehabt hätten, dann wären wir mit der Beant-
wortung dieser Frage wahrscheinlich schon viel weiter.
Selbst Experten, die eigentlich eher auf Ihrer Seite ste-
hen, sagen: Das Moratorium hat nichts gebracht außer
Zeitvergeudung.
Damit muss jetzt Schluss sein. Deswegen sehen wir die-
sem Untersuchungsausschuss durchaus erwartungsvoll
entgegen.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Kelber.
Frau Kollegin Brunkhorst, Sie haben die Aussage ge-
macht, dass 1973 die Regierung unter dem Sozialdemo-
kraten Helmut Schmidt eine Festlegung auf Gorleben
getroffen habe. Mir ist übrigens bekannt, dass Helmut
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Sie selbst machen einen Schnitt und sagen: Der Un-
rsuchungsauftrag soll bei den Umständen der Kabinetts-
ntscheidung von 1983 ansetzen. Gleichzeitig wollen
ie Vorgänge vor dieser Zeit heranziehen. Wenn das,
as vorher geschehen ist, so bedeutend ist, dann erwei-
ern Sie doch den Untersuchungsauftrag!
Sie wissen doch sehr genau, Herr Kelber, dass in der
egierungszeit Schmidt in den 1970er-Jahren eine ganz
ndere Auffassung bestanden hat, dass Herr Schmidt an-
esichts der Ölkrise eigentlich 50 Atomkraftwerke bauen
ollte.
Nein, ich habe von einer vorläufigen Entscheidung ge-
prochen.
Nein, es war 1977.
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Es ist so, dass die damalige Regierung die Vorauswahl
für den Standort Gorleben akzeptiert hat, und zwar am
5. Juli 1977. Darüber gibt es auch einen Vermerk. Den
kann ich Ihnen auch gerne zur Verfügung stellen.
Herr Kelber, bleiben Sie ganz ruhig, bleiben Sie ganz
sinnig! Wir werden ja noch viel Freude miteinander ha-
ben. Dann werden wir das alles detailgenau aufarbeiten.
Wir fahren in der Debatte nun fort. Das Wort hat die
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
Frau Brunkhorst, manche lernen Gott sei Dank im Laufe
der Jahrzehnte dazu. Kompliment! Andere tun das nicht.
Der von uns beantragte Untersuchungsauftrag geht vom
Jahr 1983 aus, als in der Tat eine fatale Lenkungsent-
scheidung getroffen wurde. Das heißt aber nicht, dass
wir uns nur diese Entscheidung vom Juli 1983 an-
schauen. Wir schauen sehr wohl in die Zeit davor und
auch in die Zeit danach.
Lesen Sie sich die im heute vorgelegten Antrag enthal-
tenen Fragen einfach einmal durch! Dann werden Sie
feststellen, dass sie auch die Jahre 1997/1998 mit einbe-
ziehen und durchaus auch die Zeit danach.
Meine Damen und Herren, Gorleben ist nicht der Ort
für gute Nachrichten. Ich will noch einmal auf die neueste
Nachricht eingehen sie hat hier ja schon eine Rolle ge-
spielt : Gorleben braucht einen neuen Rahmenbetriebs-
plan, denn der alte von 1983 läuft im September aus. Es
gibt drei Möglichkeiten, wie man nun verfahren kann:
Erstens. Man kann nach Atomrecht weiterverfahren.
Zweitens. Man kann einen Rahmenbetriebsplan nach
dem novellierten Bergrecht aufstellen. Seit 20 Jahren ist
dabei nämlich eine Öffentlichkeitsbeteiligung möglich
bzw. bei einer UVP auch vorgesehen.
Oder man kann drittens, wenn man es so möchte, die
Geltungsdauer des alten Rahmenbetriebsplans verlän-
gern. Genau das ist die Idee, die der neuen Bundesregie-
rung eingefallen ist: Wir verlängern die Geltungsdauer
des alten Rahmenbetriebsplans, und statt der eigentlich
vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligung wird eine Be-
gleitgruppe eingesetzt wie bei der Asse.
Was das mit dem Untersuchungsausschuss zu tun hat,
kann ich Ihnen sagen: Das würde der schlechten Historie
von Gorleben noch eins obendrauf setzen.
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ählen Sie doch ein Verfahren, bei dem die Öffentlich-
eit eingebunden wird.
Ich habe übrigens aufgrund meiner Erfahrung des
orgehens bei der Asse durchaus noch eine Frage in die-
em Zusammenhang zu stellen. Wenn die Öffentlich-
eitsbeteiligung tatsächlich in Form einer Begleitgruppe
tattfinden soll, wird dann Herr Hennenhöfer wieder die
mpfehlungen aussprechen, welche Informationen diese
egleitgruppe bekommt und welche nicht? Warum im-
er wieder diese Intransparenz? Warum immer wieder
iese Angst vor der Öffentlichkeit, wenn es um die Ge-
ahren der Atomkraft geht?
Mit Fehlentscheidungen, liebe Kolleginnen und Kol-
egen, ist es so eine Sache. Manchmal kann man sie revi-
ieren. Bei der Asse geht es nicht mehr. Da kann man in
iner katastrophalen Situation nur noch die beste unter
chlechten Möglichkeiten wählen und mit immensem
ufwand und viel Steuergeld versuchen, so viel Sicher-
eit wie möglich für die Bevölkerung zu generieren.
Wir wissen nicht, ob uns Gorleben in Jahrzehnten
der Jahrhunderten ein ähnliches Desaster bescheren
önnte wie die Asse. Aber der Verdacht liegt nahe,
ass der Standort Gorleben ähnlich leichtfertig ausge-
ählt wurde wie das Endlager Asse.
er Verdacht liegt nahe, dass Gorleben mehr aufgrund
olitischer Eignung denn geologischer Eignung als ein-
iger Standort den Sprung in das Erkundungsverfahren
chaffte. Die vielen geologischen Defizite, angefangen
on der Gorlebener Rinne bis zum Kalisalz, lassen nun
irklich nicht plausibel erscheinen, dass ausgerechnet
ieser Standort der bestgeeignete für die Endlagerung
ochradioaktiven Mülls in ganz Deutschland sein soll.
Der Verdacht der politischen Einflussnahme wiegt
chwer. Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen
on den Regierungsfraktionen, erwarte ich, dass Sie die-
en Untersuchungsausschuss begrüßen. Sie müssen doch
in Interesse daran haben, die ungeheuerlichen Vorwürfe
2436 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Sylvia Kotting-Uhl
der politischen Manipulation entscheidender Gutachten
aus der Welt zu räumen, wenn Sie Gorleben in Betrieb
nehmen wollen. Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass
die Vorwürfe nicht aus der Welt zu räumen sind, und sie
in diesem Untersuchungsausschuss tatsächlich bestätigt
werden, dann können Sie doch nicht wirklich ernsthaft
erwägen, der Bevölkerung Gorleben als Endlager zuzu-
muten.
Ich muss Sie nicht daran erinnern, dass wir bei hoch-
radioaktivem Müll von einer Langzeitsicherheit von
1 Million Jahre reden. Im Vergleich dazu ist ein Morato-
rium von zehn Jahren übrigens relativ klein. Wir leben
heute, im Jahr 2010, in einer Kultur, die wenig bis nichts
mit der Kultur des Jahres null unserer Zeitrechnung in
unseren Breiten zu tun hat. Von damals bis heute sind
gerade einmal 0,2 Prozent des Zeitraums vergangen, für
den wir den Atommüll sicher vor der Biosphäre ab-
schließen müssen. Angesichts solcher Zahlen sollten wir
uns bei der Frage eines geeigneten Endlagerstandortes
keine Fehler und keine Leichtfertigkeit erlauben.
Ich fordere Sie auf, mit uns gemeinsam Ja zur Aufklä-
rung dubioser Vorgänge um die Auswahl des Endlager-
standortes Gorleben zu sagen. Die Aufklärung bestätigt
entweder Ihre Sicht der Dinge oder unsere. Aber die
Menschen müssen wissen, woran sie sind.
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Wenn
Sie wirklich an das glauben würden, was Sie als skanda-
löse Vorgänge gegeißelt haben, wenn Sie wirklich glau-
ben würden, dass Sie das, was Sigmar Gabriel als einen
genauso großen Skandal wie die Parteispendenaffäre be-
zeichnet hat, im Untersuchungsausschuss beweisen
könnten, dann würden Sie die Einsetzung des Untersu-
chungsausschusses doch ganz anders aufziehen. Dann
würde ich das morgens um 9 Uhr machen, nach dem
Motto: Kernkraft zur Kernzeit, dann, wenn die Kame-
ras an sind und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
da ist. Stattdessen reden wir jetzt in der Abendsonne da-
rüber, dann, wenn schon alle Redaktionsstuben ge-
schlossen sind.
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as zeigt doch Ihr mangelndes Zutrauen zu dem Erfolg
ieses Untersuchungsausschusses in der Sache selber.
Herr Kelber, ich frage mich natürlich: Wo ist eigent-
ich Herr Gabriel?
er hat uns das doch alles eingebrockt. Herr Gabriel hat
enige Tage vor der Bundestagswahl ein Gutachten der
hysikalisch-Technischen Bundesanstalt aufgefunden
nd hat daraufhin eine Wahlkampfattacke geritten. Tat-
ächlich hatte die taz schon am 18. April 2009 über den
esamten Sachverhalt berichtet. Die Bundestagsfraktion
er Grünen hatte eine Kleine Anfrage zu diesem Sach-
erhalt eingebracht. Diese ist am 14. Juni 2009 vom
undesumweltministerium beantwortet worden. Spätes-
ens seit dem 14. Juni hatte Herr Gabriel volle Kenntnis.
r hat diese Angelegenheit mal eben für die heiße Wahl-
ampfphase zurückgelegt. Nur um diese Blamage nicht
ffenzulegen, fordern Sie diesen Untersuchungsaus-
chuss.
n Wahrheit ist hier nichts anderes passiert, als dass Sie
m Wahlkampf mit den Ängsten der Menschen gespielt
aben. Das versuchen Sie mit der Einsetzung dieses Un-
ersuchungsausschusses fortzusetzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Haßelmann?
Herzlich gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Grindel. Sie haben ge-
ade als Argument angeführt, dass die späte Uhrzeit der
efassung mit diesem Thema hier im Plenum deutlich
acht, dass die Grünen und auch die anderen Antrag-
teller kein Interesse daran haben, dieses Thema wirk-
ich zu verfolgen. Dem Kürschner das ist das Parla-
entshandbuch habe ich entnommen, dass dies Ihre
ritte Legislaturperiode im Deutschen Bundestag ist.
eshalb frage ich mich, ob Sie immer noch nicht wissen,
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2437
)
)
Britta Haßelmann
wie eine Tagesordnung zustande kommt. Ich kann Ihnen
sagen, dass wir versucht haben, diesen Tagesordnungs-
punkt auf einen früheren Zeitpunkt zu setzen. Wir hätten
ihn gerne heute Morgen um neun diskutiert.
Ich würde Sie gerne fragen, ob Ihnen nicht klar ist
bzw. ob Sie in der Fraktion nicht darüber informiert wor-
den sind, dass CDU/CSU und FDP darauf bestanden ha-
ben, dass dieser so wichtige Tagesordnungspunkt zu
Gorleben heute Abend diskutiert wird.
Frau Kollegin Haßelmann, soweit ich weiß, wird in
den Geschäftsführerrunden festgelegt, ob und wann die
Debatten stattfinden. Natürlich legt nicht nur eine Frak-
tion oder die Mehrheit fest, wann welcher Tagesord-
nungspunkt stattfindet; vielmehr hat jeder einen Zugriff.
Wenn Ihnen das so wichtig ist, Frau Haßelmann, dann
frage ich mich angesichts der Forderung nach einem
Untersuchungsausschuss, die es unmittelbar nach der
Attacke von Gabriel im Bundestagswahlkampf gegeben
hat wo Vertreter Ihrer Fraktion, insbesondere Frau
Künast, feststellten: Das sind ungeheuerliche Vorgänge,
wir müssen sofort oder aber spätestens unmittelbar nach
der Wahl mit einem Untersuchungsausschuss beginnen :
Warum kommen Sie nach sechs Monaten mit diesem
Untersuchungsausschuss? Wenn Ihnen das so wichtig ist
und wenn Sie tatsächlich daran glauben würden, dass
wir es mit einem ernsthaften Skandal zu tun haben, dann
hätten Sie es doch viel schneller umgesetzt.
Herzlich gerne. Den Zwischenruf hätten Sie besser
nicht gemacht; denn das ist genau das, was Herr Gabriel
angesprochen hat. Herr Gabriel hat einen konkreten Vor-
gang, ein Gutachten der Physikalisch-Technischen Bun-
desanstalt, skandalisiert.
Darauf hat die Kanzlerin im Wahlkampf angekündigt:
Wir gründen unmittelbar eine Arbeitsgruppe, analysie-
ren die Aktenlage und versuchen herauszufinden, ob die
Vorwürfe berechtigt sind. Das dauerte Herrn Gabriel
zu lange, weil er seinen Punkt noch vor der Wahl ma-
chen wollte. Daraufhin hat er selber einen Bericht vorge-
legt und am 24. September 2009 eine schöne Pressemit-
teilung herausgegeben.
In der hat er darauf hingewiesen ich zitiere :
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Herr Kelber, in Wahrheit ergibt sich aus den Quellen,
ie uns schon jetzt zugänglich sind,
ass es mit dem vermeintlichen Skandal nicht so weit
er sein kann; denn die frühere rot-grüne Bundesregie-
ung hat in der Anlage 4 zum sogenannten Ausstiegsver-
rag mit den Energieversorgungsunternehmen selbst er-
lärt ich zitiere :
Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Ge-
birge und damit die Barrierefunktion des Salzes
wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher
gewonnenen geologischen Befunde einer Eig-
nungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben nicht
entgegen.
as war der Originalton Rot-Grün im Jahre 2000.
Wie kann man da behaupten, die Kohl-Regierung
abe 1983 Gutachter zu falschen Aussagen über die Ge-
ignetheit des Salzstockes Gorleben bewogen? Sie ha-
en aus rein wahlkampftaktischen Gründen versucht,
as Thema Gorleben zu skandalisieren. Das soll nun mit
nderen Mitteln im Untersuchungsausschuss fortgesetzt
erden.
err Kelber, das ist kein guter politischer Stil.
Sie verschweigen auch, dass die eigentlichen Zeugen
er Anklage sich gerade nicht von Rot-Grün vereinnah-
en lassen wollen. Der Abteilungsleiter der Physika-
isch-Technischen Bundesanstalt, Helmut Röthemeyer,
er für das angeblich verfälschte Gutachten verantwort-
2438 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Reinhard Grindel
lich war, hat bereits am 17. September 2009 im Stern
klipp und klar erklärt Zitat :
Wir hatten dem Endlager Gorleben grundsätzlich
Eignungshöffigkeit zugeschrieben, was bedeutet,
dass wir Gorleben als Endlager grundsätzlich für
geeignet hielten. Insofern kann ich überhaupt nicht
nachvollziehen, wieso ich heute als Gorleben-Geg-
ner gelten soll.
Der Spiegel zitierte Herrn Röthemeyer schon am
14. September mit den Worten:
Wenn Gorleben nicht Endlager wird, wäre das für
mich eine große Enttäuschung.
Das sind die Worte des Mannes, dem Beamte der Kohl-
Regierung laut Gabriel angeblich ins Handwerk ge-
pfuscht haben.
Der ehemalige Chef der Physikalisch-Technischen
Bundesanstalt, Herr Kind, hat vor dem Asse-Untersu-
chungsausschuss des niedersächsischen Landtages in-
zwischen ausgesagt, das 1983 erstellte Gutachten sei in
seiner wissenschaftlichen Aussage nicht verändert und
keineswegs in Richtung Gorleben umgeschrieben wor-
den. Klar ist: Herr Gabriel hat seine Autorität als Um-
weltminister missbraucht, um seine Autorität als SPD-
Wahlkämpfer ein bisschen aufzupolieren. Das ist der
Sachverhalt, und das werden wir Ihnen im Untersu-
chungsausschuss nachweisen.
Herr Kelber, es ist auch so, dass Vertreter der Physi-
kalisch-Technischen Bundesanstalt am 20. Juni 1984 im
Innenausschuss des Bundestages erklärt haben, dass sie
überhaupt nicht aufgefordert waren, bezüglich der Frage
eines zweiten Standortes eine Stellungnahme abzugeben,
weil dies eine Frage der Politik und der Finanzen sei,
dass es vielmehr ausschließlich um die Eignungshöffig-
keit des Standortes Gorleben und um die Frage ging, ob
man dort in die untertägige Erkundung einsteigen solle.
Dazu hat man sich klar geäußert. Es ist mehrfach zu-
rückgewiesen worden, dass hier eine Beeinflussung
stattgefunden hat.
Sie können zwar zu Recht das nur am Rande über
die Regierung Kohl reden, aber ich will darauf hinwei-
sen: Die Vorgänge ereigneten sich im Mai 1983. Wir hat-
ten einen Regierungswechsel im Oktober 1982 und eine
Bundestagswahl im März 1983. Die Beamten, die bei
der Besprechung in Hannover, um die es ging, dabei wa-
ren, waren alle schon unter der Regierung Schmidt be-
schäftigt.
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Die Frage, ob man Gorleben zuerst einmal zu Ende
rkundet, bevor man einen weiteren Standort untersucht,
st auch in den Reihen der Sozialdemokraten ja nicht un-
mstritten. Peter Struck hat im April 2001 den Vorschlag
emacht, Standorte in Bayern und Baden-Württemberg
u erkunden.
ch kann Ihnen dazu vortragen, was Herr Hoderlein, der
amalige Vorsitzende der SPD in Bayern, dazu gesagt
at:
Zuerst muss festgestellt werden, ob Gorleben ge-
eignet ist oder nicht.
Wesentlich schärfer reagierte Strucks Kollege Franz
aget in der Welt am Sonntag:
Das ist leichtfertiges, einfältiges Gerede, das man
besser unterlassen sollte, sonst braucht Struck noch
selbst ein Endlager.
eiter sagte Franz Maget:
Noch sei nicht geklärt, ob der Salzstock in Gorle-
ben für ein Endlager überhaupt geeignet sei.
ann sagte er:
Solange man das nicht weiß, sollte man auch keine
anderen Bundesländer ins Spiel bringen. Wenn
Struck Baden-Württemberg und Bayern nennt, hat
das gleich einen parteipolitischen Touch.
o Herr Maget recht hat, hat er recht.
Sie wissen ganz genau, dass die politische Entschei-
ung, die untertägige Erkundung in Gorleben fortzuset-
en und nicht eine weitere an einem zweiten Standort zu
eginnen, politisch motiviert war, Frau Kotting-Uhl.
an wollte in der Bevölkerung nicht den Eindruck er-
ecken, dass man als Bundesregierung davon ausgeht,
ass Gorleben nicht geeignet ist, und man hat vor dem
intergrund der vielen Auseinandersetzungen im Wend-
and auch keinen Sinn darin gesehen, bevor die Erkun-
ung in Gorleben abgeschlossen ist, an einem zweiten
tandort ähnliche Auseinandersetzungen heraufzube-
chwören. Ich habe dafür volles Verständnis.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2439
)
)
Reinhard Grindel
Ich freue mich auf die Arbeit im Untersuchungsaus-
schuss. Ich sage noch einmal: Aus den bisher öffentlich
zugänglichen Quellen einige von Ihnen wissen, dass
ich mich im Visa-Untersuchungsausschuss mit der Quel-
lenlage und der Recherche von Quellen sehr intensiv be-
schäftigt habe
geht ein irgendwie geartetes Fehlverhalten nicht hervor.
Ich weiß, dass dieser Untersuchungsausschuss auch in
den Reihen der SPD sehr umstritten ist. Es gab viele, die
abgeraten haben, das zu machen.
Am Ende hat Herr Gabriel sich durchgesetzt, weil er vor
der Wahl diesen Untersuchungsausschuss gefordert hat.
Er wurde nicht hängen gelassen. Es wäre ja eine ziemli-
che Blamage, wenn es ihn nach der Wahl nicht geben
würde.
Ich sage Ihnen: Ich habe große Zweifel, dass wir,
wenn wir spätabends im Untersuchungsausschuss sitzen,
die Besuchertribüne schon lange leer sein wird und die
Pförtner und vielleicht auch wir gegen die Müdigkeit an-
kämpfen, Neues oder gar Skandalöses über Gorleben he-
rausfinden werden. Aber dass Herr Gabriel im Wahl-
kampf ein unglaublicher Dampfplauderer war, werden
wir dann in den Akten haben. Insofern ist die Sache et-
was wert.
Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Vogt für die
SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Grindel, es ist ja bekannt, dass Sie einen Hang zur Pole-
mik haben. Wir kennen auch Ihre Neigung, Sachverhalte
zu vereinfachen. Nicht anders ist es zu erklären, dass Sie
hier Zitate aus Zusammenhängen reißen.
Darin das muss ich sagen liegt der Vorteil dieses Un-
tersuchungsausschusses. Sie werden in einem Untersu-
chungsausschuss nicht damit durchkommen, polemische
Plattheiten von sich zu geben, sondern Sie werden die
Akten studieren müssen.
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Schauen wir einmal einige Jahrzehnte zurück. Im Jahr
969
ieß es zum Thema Atommüll ich darf mit Erlaubnis
er Präsidentin zitieren :
Wenn man das gut versiegelt und verschließt und in
ein Bergwerk steckt, dann wird man hoffen können,
dass man damit dieses Problem gelöst hat.
So dachte damals Carl Friedrich von Weizsäcker, und
it ihm das muss man zugeben dachten 1969 durch-
us viele so. Aber wir haben heute das Jahr 2010. Im
ahr 1983 waren wir hinsichtlich der wissenschaftlichen
rkenntnisse auch schon wesentlich weiter. Ich wundere
ich, dass diese Koalition offenbar immer noch genauso
lauäugig wie 1969 mit dem Thema Atommüll und sei-
er sicheren Endlagerung umgeht.
Anders kann man nicht erklären, dass Sie nach wie
or keine neue atomrechtliche Genehmigung anstreben,
ondern auch in Gorleben die Rahmenbetriebsplanung
infach wie bisher fortführen wollen, ungeachtet der
akten und auch, Frau Kollegin Flachsbarth, ungeachtet
er ethischen Verpflichtung, von der Sie gesprochen ha-
en. Es wundert mich, dass Sie selbst sich bei dem
hema der genaueren Untersuchungen und der Frage,
ie Entscheidungen für ein Endlager zustande kommen,
o zurückhalten wollen. Denn einerseits betonen Sie, die
thische Verpflichtung für die sichere Endlagerung hät-
en Sie sich vorgenommen und sogar in Ihrem Koali-
ionsvertrag werde das festgehalten. Andererseits sorgen
ie dafür, dass jedes Jahr, mit jeder Laufzeitverlänge-
ung, die Sie beschließen, 450 Tonnen mehr an strahlen-
2440 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Ute Vogt
dem Atommüll in eine Endlagerung kommen, die wir bis
heute nicht gelöst haben.
Bei diesen Punkten muss ich sagen, dass ich nicht
verstehe, dass Sie selbst kein Interesse daran haben, dass
das Thema Endlager Gorleben so untersucht wird, dass
nicht einmal ein Hauch eines Verdachts hängen bleibt,
dass diese Entscheidung nicht sachgerecht und wissen-
schaftlich fundiert, sondern möglicherweise politisch er-
folgt ist.
Herr Kollege Grindel, wir können gerne tagsüber ta-
gen; wenn es lange dauert, auch gerne noch abends. Ich
wünsche mir aber, dass wir uns diesem Thema mit der
notwendigen Ernsthaftigkeit zuwenden
und uns die Sachverhalte anschauen. Schon heute ist im
Internet einiges zu diesem Thema zu finden, auch von-
seiten der Regierung. Es gibt einen Bericht, in dem man
Erstaunliches nachlesen kann. Offenbar bestand im Mai
1983 Konsens darüber, einen Zwischenbericht zu Gorle-
ben vorzulegen. Außerdem bestand Konsens darüber,
dass es notwendig und sinnvoll ist, zusätzliche Lager-
standorte zu suchen und zu erkunden. Interessanterweise
befasste sich das Bundeskabinett schon einen Monat
später mit einer Vorlage, in der darauf hingewiesen
wurde, dass es im Hinblick auf die Außenwirkung pro-
blematisch sei und Zweifel am Standort Gorleben schü-
ren könnte, wenn man zusätzliche Standorte untersucht.
Welche Anhaltspunkte braucht man noch, wenn schon
das Kabinett sagt: Wir interessieren uns gar nicht dafür,
wie die Fakten sind, und untersuchen erst gar keine an-
deren Standorte, weil wir Angst haben, dass die intern
getroffene Entscheidung angezweifelt werden könnte?
Das kann nicht Sinn von Regierungspolitik und vernünf-
tiger Lagerstandortsuche sein, die den ethischen Grund-
sätzen entspricht, die man bei einem solch gefährlichen
Stoff einhalten muss.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
ichael Kauch für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war
amals zwar erst in der zehnten Klasse, aber ich erinnere
ich noch sehr gut, wie zwischen dem Jahr 1977, als
on der damaligen Bundesregierung die Vorauswahl be-
tätigt wurde,
nd dem Jahr 1982 der deutsche Bundeskanzler hieß. Er
ieß Helmut Schmidt und war von der SPD. Auch der
orschungsminister, der in diesen fünf Jahren im Amt
ar, gehörte der SPD an.
ie SPD sollte sich fragen, ob sie sich durch die Art und
eise, wie sie hier argumentiert, nicht von ihrer histori-
chen Verantwortung verabschiedet. Wir stehen zu unse-
er historischen Verantwortung, die aus der Beteiligung
n der sozialliberalen Koalition resultiert. Die SPD tut es
eider nicht.
Verantwortung war für SPD und Grüne auch in den
etzten zehn Jahren ein Fremdwort. Ihre Umweltpolitik
ar, was die Endlagerfrage betrifft, organisierte Verant-
ortungslosigkeit. Das muss man deutlich aussprechen.
ie haben zehn Jahre lang die Hände in den Schoß ge-
egt. Sie haben zehn Jahre lang nichts getan. Warum? Sie
aben nichts getan, weil Sie sich erstens nicht mit Ihrer
lientel anlegen wollten und weil es Ihnen zweitens in
en Kram passt, wenn die Endlagerfrage nicht gelöst
ird. Dann würde Ihnen nämlich ein Argument gegen
ie Kernenergie abhanden kommen.
ußerdem würde Ihnen ein Argument abhandenkom-
en, warum man die Politik denunzieren kann. Es ist Ihr
olitisches Interesse, dafür zu sorgen, dass die Endlager-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2441
)
)
Michael Kauch
frage nicht gelöst wird. Das werden wir Ihnen allerdings
nicht durchgehen lassen.
Herr Miersch sagte ganz klar, auch wir sollten wäh-
rend des Untersuchungsausschusses die Hände in den
Schoß legen. Das entlarvt Ihre Strategie. Ihnen geht es
darum, Sand ins Getriebe zu streuen. Wir werden diesen
Sand aber nicht ins Getriebe kommen lassen, sondern
unsere Verantwortung wahrnehmen. Dazu gehört bei-
spielsweise, mit dem Peer-Review zu beginnen, um
nicht noch mehr Jahre verstreichen zu lassen. Es ist
keine verantwortungsvolle Politik, den strahlenden Müll
über Jahrzehnte in oberirdischen Zwischenlagern an den
Kernkraftwerken stehen zu lassen, wie Sie es in den letz-
ten zehn Jahren gemacht haben.
Man muss sich auch fragen, ob man nicht einmal ei-
nen Untersuchungsgegenstand Gabriel in diesem Haus
einführen sollte.
Was hat eigentlich Herr Gabriel gewusst? Er war vier
Jahre lang im Amt und hat drei Jahre lang gesagt, wir
müssten mit einer alternativen Standortsuche beginnen.
Im Hinblick auf diese Standortsuche glaube ich Herrn
Gabriel nicht, dass er drei Jahre lang nicht in die Akten
geschaut hat, aber drei Wochen vor der Bundestagswahl
plötzlich interessante Dinge hervorkommen.
Entweder hat Herr Gabriel drei Jahre lang geschlafen,
oder Herr Gabriel hat das Wissen, das er hatte, unter-
drückt und so seine Amtspflichten verletzt. Auch dies
sollte der Deutsche Bundestag einmal diskutieren und
untersuchen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/888 an den Ausschuss für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschla-
gen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 auf:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013
Drucksache 16/13601
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
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Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
en Damen und Herren!
nlässlich der Einbringung des Haushaltsplanentwurfes
010 hat der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
ier im Deutschen Bundestag von diesem Pult aus darge-
egt,
ass die Konjunkturlage noch unübersichtlich sei, dass
er wirtschaftliche Erholungsprozess anfällig für Rück-
chläge sei, dass uns deswegen gar nichts anderes übrig
leibe, als bis auf Weiteres auf Sicht zu fahren, und dass
ir diesen Haushalt brauchen und diese hohe Neuver-
chuldung in Kauf nehmen müssen, um die konjunktu-
elle Erholung abzusichern.
Heute, zwei Monate später, erweist sich die damalige
inschätzung aus dem Bundesfinanzministerium weiter-
in als richtig; denn die deutsche Wirtschaft hat im vier-
en Quartal 2009 im Vergleich zum Vorquartal eine
achstumspause eingelegt. Die Deutsche Bundesbank
ieht dies ist bei aller Vorsicht eine gute Nachricht
ie Hauptursache für das Stocken der konjunkturellen
rholung vor allem in temporären, also vorübergehen-
en Faktoren begründet. Dazu zählen in erster Linie das
uslaufen steuerlicher Fördermaßnahmen, aber auch die
egen Ende vergangenen Jahres einsetzenden ungünsti-
en Witterungsbedingungen,
ie sich negativ auf die gesamtwirtschaftliche Entwick-
ung auswirken. Während der private Konsum im
chlussquartal des vergangenen Jahres einen deutlichen
ämpfer erhalten hat, konnten die deutschen Unterneh-
en ihr Auslandsgeschäft gerade mit den südostasiati-
chen Schwellenländern, aber auch mit den OPEC-Län-
ern deutlich ausbauen. Der deutsche Außenhandel hat
2442 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
im vierten Quartal um rund 3 Prozent zugelegt. Das ist
eine gute Nachricht.
Diese Beschreibung der Konjunktur belegt im Übrigen,
warum das, was die Vertreter der Opposition gleich for-
dern werden, nämlich die Vorlage einer aus dem letzten
Jahr stammenden Finanzplanung, weder rechtlich gebo-
ten noch sachlich richtig ist.
Wir haben unser deutliches Bekenntnis sowohl zum
europäischen Stabilitätspakt als auch zu den Stabilisie-
rungsmaßnahmen im G-20-Verbund im Januar hier er-
läutert. Wir laufen in diesen Stunden in die Zielgerade
der Beratung des Haushaltes 2010 ein. Schon jetzt ist er-
kennbar, dass die Nettokreditaufnahme im laufenden
Jahr deutlich niedriger sein wird, als im Regierungsent-
wurf steht, aber auch deutlich niedriger als im letzten
Regierungsentwurf der Großen Koalition.
Außerdem ist deutlich erkennbar, dass die strukturelle
Verbesserung bei der Nettokreditaufnahme nicht auf der
Einnahmeseite, sondern durch die Absenkung von Aus-
gaben in allen Einzeletats wird erreicht werden können.
Die Beratungen des Haushaltsplans 2010 machen
auch deutlich, dass wir diese staatliche Gestaltungsauf-
gabe mit einem sinkenden Personalbestand bei den Bun-
desministerien erfüllen wollen.
Wir tragen damit der Notwendigkeit Rechnung, dass,
wer will, dass gespart wird, zuvörderst bei sich selbst
sparen muss.
Der Etat 2010 wird ein guter Einstieg in das Regime
der Schuldenbremse,
das uns ab dem Jahre 2011 begleiten wird. Eines ist doch
klar: Die Konsolidierungsanstrengungen müssen ab dem
nächsten Etat erheblich gesteigert werden. Die neue
Schuldenregel verlangt von uns, dass wir das strukturelle
Defizit im Bundeshaushalt in den nächsten Jahren in
gleichmäßigen Schritten abbauen.
Das ist eine Konsolidierungsaufgabe, die bedeutet, dass
man jedes Jahr gegenüber dem Vorjahr 10 Milliarden
Euro einsparen muss.
Zugleich gilt es, die weiteren politischen Reform-
pläne sowohl im Bereich der Steuer- und Abgabenpolitik
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Wenn sich, was nationaler wie internationaler An-
ahme entspricht, die Erholungstendenzen verstärken
nd die Krise in diesem Jahr zu Ende geht, dann werden
ir die Neuverschuldung ab 2011 im Rahmen der Schul-
enbremse des Grundgesetzes ohne Zweifel erfolgreich
urückführen können. Das wird ein schwieriger Balan-
eakt und eine Bewährungsprobe, nicht nur für die Fi-
anzpolitik, sondern für alle Politikbereiche.
onsolidierung lässt sich nämlich nicht auf den Haus-
altsausschuss beschränken. Konsolidierung fängt beim
inzelplan 01 an und hört beim Einzelplan 60 auf und
etrifft alle Damen und Herren, die Mitglieder dieses
ohen Hauses sind.
Dieser Konsolidierungsaufgabe stellen wir uns. Mit
eschäftsordnungsmätzchen, wie sie Bündnis 90/Die
rünen heute vorgeführt haben, zeigt die Opposition,
ass sie zu Recht in der Opposition ist, während diejeni-
en, die bereit sind, Verantwortung zu tragen, nicht ins
isterzienserkloster flüchten,
ondern im Haushaltsausschuss an den notwendigen
ufgaben arbeiten. Die Bundesregierung wird Sie dabei
Herr Staatssekretär,
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unterstützen.
Herzlichen Dank.
Herr Staatssekretär, der Kollege Kuhn hätte noch eine
rage gehabt. Aber Ihre Redezeit ist auch abgelaufen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2443
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs für
die SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege
Kampeter, Steffen, wenn du in der Opposition gewesen
wärst und ein Staatssekretär eine solche Rede gehalten
hätte, du hättest gebrüllt vor Lachen.
Immerhin hast du selber leicht geschmunzelt. Du weißt
natürlich, dass das alles nicht ganz so ist, wie du es dar-
gestellt hast.
Was haben wir vorliegen? Uns liegt der Finanzplan
der Großen Koalition vor; also muss das schon einmal
viel mit Qualität zu tun haben. Allerdings muss man sich
fragen: Warum liegt kein neuer Finanzplan vor? Was ist
ein Finanzplan? Ein Finanzplan ist ein in Zahlen gegos-
senes Regierungsprogramm für eine Wahlperiode und
beinhaltet der Kollege Kampeter hat das eben ange-
deutet all die schönen Dinge, die Sie machen wollen.
Wenn der Finanzplan ein in Zahlen gegossenes Regie-
rungsprogramm ist, dann fragt man sich, warum es Ihnen
nicht gelingen will, aus dem eben so gelobten Koali-
tionsvertrag einen Finanzplan zu machen. Die Frage ist
ein bisschen theoretisch, weil jeder Bürger in diesem
Land die Antwort kennt.
Steffen, willkommen unter den Abgeordneten.
Wenn man sich das genau anschaut, dann sieht man:
Hier liegt kein in Zahlen gegossenes Regierungspro-
gramm vor, sondern nur ein Koalitionsvertrag.
Die Frage, die sich uns stellt, lautet: Warum ist das
so? Die Antwort kennt jeder Bürger in Deutschland.
Diese Koalition ist sich in fast gar nichts einig. Darin
sind sie sich aber einig.
Wenn man das weiß, dann wird die Sache relativ ein-
fach. Das heißt, wir haben hier keinen Finanzplan vorlie-
gen, weil die CDU nach der Wahl aus dem Finanzminis-
terium heraus den Versuch unternommen hat,
die Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag gemeinsam
beschlossen wurden, zu boykottieren und schlechtzuma-
chen. Die CDU/CSU hat es in zwei Monaten geschafft,
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Ganz ruhig bleiben. Nur getroffene Hunde bellen. In
er Ruhe liegt die Kraft, Kollegen. Zuhören, lernen und
erstehen! Danach können Sie antworten. Sie haben
ämlich noch eigene Redezeit.
Die FDP, die sich von ihrem Koalitionspartner CDU/
SU gebeutelt, geschlagen und getriezt fühlte, hat also
ine Sozialstaatsdebatte angestoßen. Ich glaube nicht,
ass es Ihnen ernsthaft um die Beantwortung der Fragen
eht; denn es gibt nur relativ wenige Antworten. Die So-
ialstaatsdebatte wurde geführt, um die CDU/CSU vor-
uführen; denn inhaltlich ist da mit der CDU/CSU nur
elativ wenig zu machen.
Welche Möglichkeiten im Rahmen einer Sozialstaats-
ebatte gäbe es? Auf der einen Seite könnte man
artz IV senken. Das macht aber keiner mit. Auf der an-
eren Seite gäbe es Mindestlöhne und höhere Tariflöhne.
uch das ist schwierig. Daneben gibt es kaum noch Va-
ianten. Also führt man die Sozialstaatsdebatte weiter.
an kommt nicht zur Einigung. Die FDP schafft es aber,
iese Regierung und diese Kanzlerin vorzuführen und
m Ende dafür zu sorgen, dass sich Frau Merkel distan-
iert im Duktus, aber nicht inhaltlich. Wir haben also
as Problem, dass wir eine Regierung haben, die eine
achstandsbeschreibung, aber keine Lösung abgeliefert
at.
Wenn Mängel beklagt werden, erwartet man, dass
ier ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, über den man
iskutieren kann. Aber dazu gehört, dass man sich auf
twas einigt. Diese Einigung findet in der Koalition
icht statt, und deswegen werden wir schlecht regiert.
ir warten alle die Wahl in Nordrhein-Westfalen ab.
roße Entscheidungen, seien sie richtig oder falsch,
erden verschoben. In diesem Land herrscht Stillstand.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Tiefe Ein-
chnitte bei den Staatsfinanzen sind unausweichlich. Der
räsident des Bundesrechnungshofes, Herr Engels, hat
hnliches gesagt. Zurzeit finden Haushaltsausschusssit-
ungen und die Bereinigungssitzung statt. Die Koalition
treicht im Bereich der Verteidigung Pi mal Daumen
50 Millionen Euro.
2444 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Johannes Kahrs
Alle Abgeordneten der Opposition sind überrascht, weil
es überhaupt kein Berichterstattergespräch, keine vorhe-
rige Information und keine inhaltliche Diskussion gege-
ben hat,
was natürlich dazu führt, dass sich der Minister nicht in
der Lage sah, diese Kürzung mit einer Einschätzung zu
versehen.
Er war ratlos.
Man kann das natürlich tun. Das Problem aber ist,
dass man dem Sparbemühen der Haushälter jede Wir-
kung nimmt, wenn man fachlich Unsinn macht.
Zum Beispiel werden im Einzelplan 12 im Bereich des
kombinierten Verkehrs über 60 Millionen Euro gestri-
chen. Ein gutes und richtiges Vorgehen findet nicht statt.
Wir haben also das Problem,
Herr Fricke, Sie sind doch gleich dran. Ganz ruhig
bleiben! dass Sie kein in Zahlen gegossenes Regie-
rungsprogramm vorlegen. Sie haben das Problem, dass
Sie sich in den großen Fragen nicht einigen können. Sie
haben in Ihrem Koalitionsvertrag wilde Versprechungen
gemacht.
Was soll eine Steuersenkung kosten? Die einen sagen:
20 Milliarden Euro. Andere sagen, es werde ein bisschen
mehr oder ein bisschen weniger sein. Nur wird es nicht
zu dieser Steuersenkung kommen. Herr Kampeter, Sie
sagen, dass man hier in den einzelnen Etats insgesamt
10 Milliarden Euro pro Jahr sparen muss.
Dann muss man natürlich auch sagen, wo man die
20 Milliarden Euro für die Steuersenkung einsparen will.
Des Weiteren gibt es das Problem, dass Sie sich hier-
hin stellen und eine Kopfpauschale fordern. Darüber
wird gerade in diesem Land diskutiert. Wir Sozialdemo-
kraten haben 2005 schon mit der CDU darüber disku-
tiert. Inzwischen hat die CDU eine geänderte Meinung;
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ie Sachlage ist also folgende: Die Diskussion in diesem
and zeigt, dass man am Ende staatliche Zuschüsse
raucht, um die Kopfpauschale umzusetzen. Jetzt wird
efragt, wie viel das kosten soll. Der Bundesgesund-
eitsminister sagt: 10 Milliarden Euro per annum. Das
st ungefähr die Summe, die Sie sowieso streichen müs-
en. Sie müssen also 10 Milliarden Euro draufpacken,
usätzlich zu den Kosten für die Steuerreform und zu
en 10 Milliarden Euro, die Sie darüber hinaus einsparen
üssen. Dann sind wir schon bei 40 Milliarden Euro, die
ie jährlich einsparen müssen. Das wird eine fröhliche
eranstaltung. Jetzt kommt aber die Antwort des Bun-
esfinanzministeriums,
ie Einführung der Kopfpauschale koste nicht 10, nicht 20,
ondern 40 Milliarden Euro jährlich. Diese 40 Milliar-
en Euro müssen eingespart werden.
Unter dem Strich heißt das: Diese Koalition ist sich in
esentlichen Punkten nicht einig. Sie hat zwar einen
oalitionsvertrag, schafft es aber nicht, diesen Koali-
ionsvertrag in ein in Zahlen gegossenes Regierungspro-
ramm, in einen Finanzplan, zu überführen. Das ist nicht
ur schändlich, sondern behindert die Entwicklung unse-
es Landes,
eil die Wirtschaft und die Menschen nicht wissen, wo-
an sie sind, weil man nicht weiß, wie es in diesem Land
eitergehen soll.
Jetzt haben Sie die Mehrheit. Nutzen Sie sie! Wir
erden in der Sache hart kritisieren; aber dazu müssen
ie sich erst einmal einigen. Darauf warten wir. Glück
uf!
Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-
raktion.
Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolle-
innen und Kollegen! Kollege Kahrs, es wäre schön ge-
esen, wenn Sie auch zur Sache geredet hätten und ge-
agt hätten, worum es Ihnen eigentlich geht. Es geht um
en Finanzplan und um die Frage, ob man einen neuen
inanzplan vorlegen muss, wenn es schon einen alten
ibt. Im ersten Augenblick könnte man sagen: Formal
pricht vieles dafür.
Kollege Bonde, ich würde jetzt vorsichtig sein.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2445
)
)
Otto Fricke
Kollege Kahrs, Sie sagen, dass diese Regierung, dass
jede Regierung einen solchen Finanzplan haben müsse.
Sie meinen, ein neuer Plan müsse her, weil Neuwahlen
stattgefunden haben. Würden Sie das, wenn Sie an der
Regierung wären, so machen?
Sie würden es so machen; das möchte ich für das Pro-
tokoll festhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, jetzt darf ich Ihnen sagen: Diese beiden
Parteien, einstmals an der Regierung, damals hier in weit
größerer Zahl vertreten vor allem die SPD , haben im
Jahre 2003, als sie nach der gerade noch gewonnenen
Wahl 2002 wieder an der Regierung waren, die Möglich-
keit gehabt, einen neuen Finanzplan vorzulegen.
Die Rahmendaten hatten sich damals in vielen Berei-
chen geändert. Ich darf an Schröder und die Agenda
2010 erinnern. Haben Sie damals einen neuen Finanz-
plan vorgelegt? Nein.
Sie meinen, wenn es die gleiche Koalition ist, muss
man das nicht machen? Müssen wir dann einen halben
Finanzplan vorlegen, weil einer der Koalitionspartner an
der Regierung geblieben ist?
Entschuldigung, auf der einen Seite ist es zwar formal
in Ordnung, wie Sie mit dem Recht umgehen; aber auf
der anderen Seite sollte jemand, der sich so verhalten
hat, vorsichtig sein, wenn er etwas fordert, das er selbst
nicht für richtig gehalten hat.
Ich kann dem Kollegen Kampeter nur zustimmen: Sie
sollten einmal ins Zisterzienserkloster gehen, lesen, ler-
nen und, wie ich finde, vielleicht auch ein bisschen be-
ten, dass all das Unheil, das Sie hier provozieren, irgend-
wie an Ihnen vorbeigeht.
Nun zur Sache selbst: Wir wollen einen möglichst
präzisen Finanzplan. Gibt es einen präzisen Finanzplan?
Jetzt sagen Sie, der Finanzplan von Herrn Steinbrück sei
präzise gewesen. Haben Sie sich einmal angeschaut, wie
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r ist nicht präzise und kann dies auch nicht sein, weil
ir bei der Gestaltung des Finanzplans immer versu-
hen, uns ein Bild von der Zukunft zu machen. Unser
ild von der Zukunft bedeutet darin sind wir uns doch
lle einig : Wir halten die Verfassung ein. Das heißt,
ir halten den Stabilitätspakt ein. Es heißt auch, dass wir
paren müssen.
Der Kollege Kahrs hat kurz aus dem Haushaltsaus-
chuss berichtet. Sie haben festgestellt, wie schlimm es
st, dass wir sparen. Für Sie ist es schlimm. 200 Millio-
en Euro im Verteidigungsbereich einzusparen ist etwas,
em Sie nicht zustimmen können. Aber dumm oder un-
erantwortlich kann das nicht sein;
enn selbst Grüne und Linke haben dem zugestimmt.
eswegen sage ich in Richtung SPD: Sie sind überrascht
avon, dass die Koalition ich bin froh, wie das mit dem
ollegen Barthle und den Haushältern funktioniert das
paren gemeinsam angeht. Sie sind völlig platt. Sie sind
berrascht. Sie lehnen jeden Sparvorschlag ab. Die Grü-
en verhalten sich zwar kritisch, aber konstruktiv. Die
inken fahren ihre Linie. Aber Sie sagen einfach nur:
icht sparen! Das zeigt doch, worum es Ihnen eigentlich
eht. Es geht Ihnen allein um eine Politik nach dem
otto Die anderen sparen nicht, und wir wollen das be-
eisen. Es ist genau umgekehrt: Sie wollen nicht spa-
en, und wir werden es beweisen.
Wäre denn ein Finanzplan, den wir heute aufstellen
ürden, über das Jahr 2010 hinaus präzise zu machen,
enn Sie alleine in der Regierung wären? So, wie die
egenwärtige wirtschaftliche Situation aussieht, befin-
en wir uns zurzeit am entscheidenden Dreh- und Angel-
unkt, ob wir aus der Krise herauskommen. Es geht
icht mehr um die Frage, ob es weiter hinuntergeht. Wir
ind jetzt an der Stelle angelangt, an der sich in unserem
inanzsystem, Steuersystem, Haushaltssystem und So-
ialsystem in einer alternden Gesellschaft die Frage
tellt, wie wir wieder hochkommen. Wir wissen genau,
ass das, was wir heute noch für richtig halten, mögli-
herweise in einem Vierteljahr schon anders ist.
2446 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
Otto Fricke
Ich wünsche mir in der Frage nach dem weiteren Vor-
gehen im Laufe des Halbjahrs einen neuen Finanzplan
und eine neue Steuerschätzung. Das erwarte ich vom
Finanzministerium. Alles geht den Weg, den es immer
gegangen ist, wie es zu Zeiten von Rot-Grün der Fall
war, wie wir für das Jahr 2003 gehört haben, und wie es
bei der Steuerschätzung war. Zuverlässigkeit, Klarheit
und vor allen Dingen Berechenbarkeit das zeichnet uns
aus.
Das mag Ihnen nicht passen. Es mag Sie überraschen.
Sie können versuchen, irgendwelche Streitinterpretatio-
nen aus der Sesamstraße zu bringen. Es wird Ihnen nicht
gelingen.
Ich will kurz sagen, wo wir als FDP und unser Koali-
tionspartner in Zukunft noch Imponderabilien sehen.
Sie wissen genauso wenig wie wir, wie sich die Spekula-
tionsversuche, die sich gegenwärtig am Finanzmarkt
darstellen, auswirken werden. Wir alle hoffen, dass die
Griechen es schaffen, sich selbst aus dem Sumpf heraus-
zuziehen, in den sie sich begeben haben. Wir alle hoffen,
dass wir keine weiteren größeren Schlaglöcher finden,
aber wir wissen es derzeit noch nicht.
Ich sage Ihnen klar und deutlich: Wir werden genau
beobachten, was kommt. Wir werden weiterhin den Weg
beschreiten, der im Koalitionsvertrag vereinbart worden
ist.
Sie mögen zwar sagen, dass das nicht geht. Sie haben
aber auch bestritten, dass wir es schaffen, die Steuern zu
senken. Wir haben damit angefangen. Sie haben bestrit-
ten, dass wir es schaffen, die Ausgaben und die Neuver-
schuldung zu reduzieren. Wir sind dabei. Wir werden
auch beim Finanzplan ordentlich und zuverlässig vorge-
hen.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Schulden-
bremse: Wir als FDP werden uns das sage ich beson-
ders an die SPD gewandt genau ansehen, wie die
Schuldenbremse bei Ihnen ausgefallen wäre und wie
Ihre Anträge, Ihre Nichtbereitschaft zum Sparen und der
fehlende Wille, bestimmte Dinge anzugehen, zustande
gekommen sind.
Wenn fiktive Vorschläge kommen, wie sie schon zu hö-
ren waren, alte Ausgabenreste zu streichen, und Sie dann
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Ja, warten wir es ab. Ich habe damit komme ich zum
chluss heute schon den ganzen Tag mit den Kollegen
m Haushaltsausschuss erlebt, wie sich die SPD bisher
em Sparen verweigert, während die Koalition den Kurs
es Sparens verfolgt und nicht nur einen Finanzplan,
ondern auch einen politischen Plan dafür hat. Den wer-
en Sie vier Jahre vor Augen haben.
ch freue mich weiterhin darauf.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
r. Gesine Lötzsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Ich frage mich seit Beginn dieser Debatte, ob
nsere Zuschauer auf den Zuschauerrängen überhaupt
erstehen, worüber hier diskutiert wird.
aher noch einmal: Das Thema ist die Finanzplanung
es Bundes 2009 bis 2013. Der Kollege Staatssekretär
ampeter hat alles Mögliche getan, um das, worüber wir
igentlich reden sollten, herumzureden.
r hat zwar über den Haushalt, aber nicht über die Fi-
anzplanung gesprochen.
Nun ist es so, dass dies wirklich eine ziemlich absurde
ebatte ist; denn im Herbst haben, wie wir alle wissen,
ahlen stattgefunden. Seit den Wahlen gibt es eine neue
oalition. Diese neue Koalition hat erklärt, dass sie alles
nders machen wolle. Sie hat aber versäumt, einen neuen
inanzplan vorzulegen. Nun haben wir sowohl vom Kol-
egen Kampeter als auch vom Kollegen Fricke von der
DP noch einmal die Ausreden und fadenscheinigen Ar-
umente gehört. Sie erklären, dass sie erst einmal die
teuerschätzungen abwarten wollen. Ich halte das für
rbeitsverweigerung und für unehrliche Politik.
Wir alle wissen doch, dass Sie gebannt auf einen Ter-
in starren, nämlich auf einen Termin im Mai. Dann fin-
et die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen statt.
)
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2447
)
)
Dr. Gesine Lötzsch
Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bun-
desland. Nicht zu Unrecht können, glaube ich, alle da-
von ausgehen, dass die schwarz-gelbe Koalition dort ab-
gewählt wird, da sie mit Sponsoringaffären das
Vertrauen in die Politik in hohem Maße beschädigt hat.
Ich finde, Sie sollten wenigstens so ehrlich sein und zu-
geben, dass Sie sich nicht trauen, der Bevölkerung in
diesem Land vor dem Wahltermin die Wahrheit über die
Richtung Ihrer Politik zu sagen.
Die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen
haben es in der Hand, zu entscheiden, ob die schwarz-
gelbe Koalition abgemahnt wird. Ich finde, eine Abmah-
nung ist überfällig.
Darin stimme ich Ihnen zu, Kollege Kuhn. Eine Ab-
mahnung reicht nicht. Die Abmahnung muss die Abwahl
sein.
Darin sollten wir uns einig sein.
Wenn diese Koalition in Nordrhein-Westfalen nicht
abgewählt wird, macht die Bundesregierung weiter wie
bisher: Klientelpolitik, Steuersenkungen für Großunter-
nehmen, Großspender und Sponsoren bedienen sowie
reihenweise Parteifreunde in den Ministerien unterbrin-
gen. So erleben wir es seit langer Zeit. Wir haben festge-
stellt, dass insbesondere die FDP dabei besonders aktiv
ist. Wir brauchen uns nur anschauen, wen alles der Kol-
lege Niebel in seinem Ministerium, das die FDP eigent-
lich abwickeln wollte, untergebracht hat.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fricke?
Ja, sehr gerne.
Frau Kollegin Lötzsch, würden Sie mir bestätigen,
dass die Steuerschätzung im Mai vor der Landtagswahl
kommt?
Lieber Kollege Fricke, erstens weiß ich, wann die
Steuerschätzung kommt. Zweitens können wir gerne
wetten, dass Sie den Finanzplan vor der Wahl nicht vor-
legen werden und sich weiter verstecken.
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Sie haben über die Schuldenbremse gesprochen.
Bleiben Sie ruhig stehen, Herr Fricke. Dann kann ich
hnen das erklären.
a Sie sitzen bleiben, kann ich nur sagen: Das ist feige.
ber das sind wir von der FDP gewohnt. Ich habe aber
och Redezeit und kann Ihnen das erklären.
Sie sagen, Sie könnten keine Finanzplanung machen,
eil Sie die Ergebnisse der Steuerschätzung noch nicht
ätten. Aber im gleichen Atemzug sagen Sie, dass die
orgaben der Schuldenbremse gelten müssen. Diese
ieht vor, dass pro Jahr 10 Milliarden Euro im Haushalt
icht gespart, wie es immer irreführend heißt, sondern
estrichen werden sollen. Sie können 10 Milliarden Euro
ber nicht streichen, indem Sie auf Bleistiftanspitzer
der Ärmelschoner in den Bundesministerien verzich-
en.
Ich komme zum Schluss. Herr Kollege Kampeter, es
st keine vernünftige Politik, in allen Ressorts zu sparen,
hne eine Schwerpunktsetzung zu formulieren. Wir wol-
en, dass im Verteidigungsbereich gespart wird, und
war deutlich. Wir wollen keine unsinnigen Rüstungs-
rojekte. Wir werden uns mit aller Kraft dagegen wen-
en, dass Sie Ihren Plan, auf dem Rücken der Ärmsten in
iesem Land zu sparen, umsetzen können. Wir brauchen
ndlich eine vernünftige Politik, eine andere Wirt-
chafts- und Steuerpolitik. Wir müssen die Verursacher
er Finanzkrise zur Verantwortung ziehen
nd endlich Schluss mit dem Niedriglohnsektor, Hartz IV
nd lächerlich niedrigen Steuersätzen für Konzerne ma-
hen. Außerdem müssen wir, um dieses Land voranzu-
ringen, endlich die Agenda 2010 abwickeln. Dann ist
ieder eine solide Finanzpolitik möglich.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Alexander Bonde für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
etzige Tagesordnungspunkt ist ein Novum in der deut-
chen Haushaltsgeschichte; denn zeitgleich zur Bereini-
ungssitzung des Haushaltsausschusses, also in dem
oment, in dem der Haushalt endgültig aufgestellt wird,
ringt die Regierung last minute einen Finanzplan in
ie Haushaltsberatungen ein. Jetzt hat die Koalition hier
2448 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Alexander Bonde
erstaunlich viel darum herumgeredet. Immer wenn sie
darum herumredet, lohnt es sich, genau hinzuschauen.
Sie sind nach § 9 des Stabilitätsgesetzes verpflichtet,
der Haushaltswirtschaft eine fünfjährige Finanzplanung
zugrunde zu legen, in der Zitat :
Umfang und Zusammensetzung der voraussichtli-
chen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten in
ihren Wechselbeziehungen zu der mutmaßlichen
Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Leistungs-
vermögens darzustellen
sind. Nach § 50 des Haushaltsgrundsätzegesetzes sind
Sie verpflichtet, den Finanzplan spätestens im Zusam-
menhang mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes vorzu-
legen. Das, was heute passiert, ist schlicht rechtswidrige
Haushaltspolitik dieser Koalition.
Sie entziehen sich der Aufgabe, mit einem Finanzplan
klar darzustellen, was Sie in den nächsten Jahren vorha-
ben, mit welchen volkswirtschaftlichen Eckdaten Sie als
schwarz-gelbe Koalition rechnen und wie Sie dem be-
rechtigten Interesse der Bevölkerung nach einer Voraus-
schau in der Situation der Rekordverschuldung entspre-
chen wollen. Dazu sind Sie aber von Gesetz wegen
verpflichtet. Dieses Gesetz ignorieren Sie, seit Sie zu
Beginn Ihrer Amtszeit einen Haushaltsentwurf vorgelegt
haben, dem keine Finanzplanung zugrunde lag.
Sie haben in dieser rechtlichen Auseinandersetzung
immer behauptet, Sie könnten den alten Finanzplan von
Herrn Steinbrück aus dem Sommer 2009 weiter verwen-
den. Ich sage Ihnen einmal, was in diesem alten Finanz-
plan steht. Darin steht eine Wachstumserwartung von
0,5 Prozent für das Jahr 2010. Sie passen gerade die
Wachstumserwartung auf 1,4 Prozent an. Hat das etwas
miteinander zu tun? Nein, das hat es nicht.
Im Finanzplan 2009, den Sie nun einbringen, rechnen
Sie überhaupt nicht mit einem Zuschuss in Höhe von
über 10 Milliarden Euro für die Bundesagentur für Ar-
beit. Dieser Betrag lässt sich dort nicht finden. Was hat
das mit Wahrheit und Klarheit sowie einer ehrlichen An-
sage zu tun, die die Bürgerinnen und Bürger brauchen?
Kommen wir zur Steuerseite. Ihr alter Finanzplan kennt
Ihr Wachstumstrullalagesetz, Ihre Geschenke an Ho-
telbesitzer und die 10 Milliarden Euro, die Sie als Koali-
tion bereits verbraten haben, nicht.
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as hat das mit Wahrheit und Klarheit, was hat das mit
iner ehrlichen Haushaltspolitik zu tun?
Wenn man sich den Haushaltsplan anschaut, den Sie
erabschieden, dann sieht man, dass es reihenweise Pro-
rammtitel gibt. Da ist das, was Sie an Geld in der Ver-
flichtungsermächtigung für 2011 zuweisen, höher als
er Baransatz Ihres Finanzplans für das Jahr 2011. Der
inanzplan, den Sie heute einbringen, hat so viel mit der
ealität zu tun wie Hertha BSC mit der Spitze der Fuß-
all-Bundesliga. Es ist Pfusch, was Sie hier vorgelegt
aben, und Sie wissen, dass es Pfusch ist.
ines setzt dem Ganzen die Krone auf: Sie haben nicht
inmal daran gedacht, dass Sie einen Finanzplan brau-
hen. Sie haben bis Ende letzter Woche nicht einmal ge-
erkt, dass Sie keinen im Haushaltsverfahren haben.
eshalb müssen Sie jetzt eine solche peinliche Veranstal-
ng aufführen und Reden wie aus einem Zisterzienser-
loster halten. Was Sie machen, ist nichts anderes als
fusch. Sie beherrschen Ihr Handwerkszeug nicht. Eine
äuberbande geht verantwortungsvoller mit dem Geld
er Bürgerinnen und Bürger um.
eshalb sage ich Ihnen: Stampfen Sie diesen Unfug ein!
as haben die Menschen nicht verdient.
Das Wort hat nun Norbert Barthle für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Nach diesem Auftritt des Kollegen
onde, dessen Kompetenz als Haushaltspolitiker ich
ehr schätze,
ann ich nur sagen: Diese Debatte ist wirklich kabarett-
eif; denn was hier versucht wird, ist nichts anderes, als
em Finanzminister Wolfgang Schäuble ein Versäumnis
nterzujubeln und damit Kritik an ihm zu üben. Über
ieses formale Versäumnis kann man sehr wohl streitig
iskutieren. Das werde ich gleich noch tun.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2449
)
)
Norbert Barthle
Ich kann nur sagen: Die Tatsache, dass den Grünen
nichts Besseres einfällt, um am Finanzminister Kritik zu
üben, zeigt, wie die Grünen aufgestellt sind. So etwas
tropft am Finanzminister relativ unbeschadet ab.
Worum geht es denn? Es war wunderschön, vorhin zu
erleben, dass die Kolleginnen und Kollegen von der SPD
begeistert mitgeklatscht haben, als der Kollege Bonde
von den Grünen im Zusammenhang mit dem Finanzplan
2009 bis 2013 von Pfusch geredet hat. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, das ist der Finanzplan des Finanzmi-
nisters Peer Steinbrück, SPD.
Das zeigt die Qualität dieser Debatte, die uns die Grünen
aufgedrängt haben.
Tatsächlich gibt es nun sind wir bei dem von dem
Kollegen Bonde angesprochenen Gesetz ein Gesetz
zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der
Wirtschaft vom 8. Juni 1967.
Dieses Gesetz sieht Folgendes vor:
Der Finanzplan ist vom Bundesministerium der Fi-
nanzen aufzustellen und zu begründen. Er wird von
der Bundesregierung beschlossen und Bundestag
und Bundesrat vorgelegt.
Weiter heißt es:
Der Finanzplan ist jährlich der Entwicklung anzu-
passen und fortzuführen.
Peer Steinbrück hatte einen Finanzplan 2009 bis 2013
aufgestellt, der im Kabinett verabschiedet und dem Par-
lament übergeben wurde. Dieser Finanzplan ist tatsäch-
lich überholt. Der Finanzminister Wolfgang Schäuble
hat in der Woche, als der Haushalt eingebracht wurde, an
dieser Stelle klipp und klar gesagt, er sehe es als seine
Verantwortung an, im Jahre 2010 einen neuen Finanz-
plan gemeinsam mit dem Bundeshaushalt 2011 vorzule-
gen. Denn der Finanzplan ist, wie gesagt, nur jährlich
fortzuschreiben. Wie Sie alle wissen, werden wir im Jahr
2010 zwei Haushalte beraten, nämlich nicht nur den für
2010, sondern auch den für 2011. Deshalb können Sie
beruhigt darauf warten, bis der Finanzminister zu gege-
bener Zeit den Finanzplan anpassen wird, und zwar auf
der Grundlage korrekter Daten und Fakten, die aus der
Steuerschätzung resultieren, deren Ergebnisse wir noch
vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen bekom-
men werden.
Das ist aus meiner Sicht die richtige und verantwor-
tungsbewusste Vorgehensweise des Finanzministers. Er
wird die deutsche Öffentlichkeit nicht mit einem schnell
zusammengeschusterten Zahlenwerk überraschen, son-
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eil die wesentlichen Eckdaten sowohl bei den Einnah-
en als auch bei den Ausgaben der alten Finanzplanung
ntsprochen haben. Das ist der Unterschied zu damals.
Wie erklären Sie also das, was Herr Schäuble vor we-
igen Wochen gesagt hat und was jetzt hektisch von der
egierung und von Herrn Kampeter vertreten wird? Je-
er, der Herrn Kampeter persönlich kennt, weiß, dass er
it heißen Füßen in den Socken dastand, als er hier et-
as ganz anderes erzählt hat.
2450 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Herr Kollege Kuhn, wir wollen zuerst eines festhal-
ten: Im Gesetz steht, dass ein jährlich anzupassender Fi-
nanzplan vorzulegen ist. Es steht aber nicht im Gesetz,
dass er vorzulegen ist, wenn sich die Rahmenbedingun-
gen geändert haben. Darüber steht überhaupt nichts im
Gesetz. Vielmehr haben Sie, die Grünen, diese Debatte
mit dem Argument angestoßen, es gebe einen formalen
Verstoß. Dieser formale Verstoß kann sich nie und nim-
mer auf eine Änderung der Rahmendaten beziehen.
Tatsächlich haben sich die Rahmendaten geändert.
Wir haben dank der erfolgreichen Politik dieser neuen
Koalition erreicht,
dass die Arbeitslosigkeit deutlich weniger angewachsen
ist, als Herr Steinbrück es noch angenommen hat. Wir
haben dank der erfolgreichen Politik dieser neuen Koali-
tion erreicht,
dass die Steuereinnahmen weniger eingebrochen sind,
als Herr Steinbrück es noch angenommen hat. Wir haben
erreicht, dass es wieder ein ordentliches Wirtschafts-
wachstum gibt. Deshalb sind die Rahmendaten besser.
Aber von den Rahmendaten steht in dem Gesetz über-
haupt nichts.
Wenn Sie sich auf die Änderungen der Rahmendaten
als Begründung dafür berufen, dass ein Finanzplan ein-
gebracht werden muss, dann täuschen Sie sich über die
Gesetzeslage; da müssen Sie noch einmal nachschauen.
Deshalb kann ich Ihnen nur sagen, dass Ihre formale Be-
gründung an den Haaren herbeigezogen ist. Der Finanz-
minister hat klipp und klar gesagt, dass er seiner Pflicht
nachkommt.
Ich antworte Ihnen noch. Danke. Er wird den Fi-
nanzplan dann vorlegen, wenn er gesicherte Daten als
Grundlage hat; das geschieht jährlich. Dieser Pflicht
wird er nachkommen; da können Sie ganz beruhigt sein.
Herzlichen Dank für die Zwischenfrage.
Der Kollege Kuhn will Ihnen noch einmal die Chance
auf weitere Ausführungen geben.
Wunderbar! Ich genieße meine Redezeit.
Ich will das wirklich sachlich klären. Im Gesetz steht,
welchen Sinn eine Finanzplanung hat. Sie soll Auf-
schluss über die wesentlichen Elemente von Einnahmen
und Ausgaben geben. Wenn diese sich durch Ihren Haus-
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Sie haben richtig aus dem Gesetz zitiert. Da steht zur
ünfjährigen Finanzplanung:
In ihr sind Umfang und Zusammensetzung der vor-
aussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmög-
lichkeiten in ihren Wechselbeziehungen zu der mut-
maßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen
Leistungsvermögens darzustellen
as gesamtwirtschaftliche Leistungsvermögen kann der
inanzminister dann abschätzen, wenn er wieder fun-
ierte Informationen über die Entwicklung der Steuer-
innahmen hat. Diese Datenlage steht uns in wenigen
ochen zur Verfügung. Dann werden sich die Beamten
es Finanzministeriums daranmachen, den Finanzplan
ortzuschreiben, und zwar auf gesicherter Datenbasis.
lles andere wäre ein Beschäftigungsprogramm ohne
and und Fuß für zahllose Beamte. So etwas lehnen wir
b.
Es muss noch gesagt werden, dass das Parlament den
etzigen Finanzplan gar nicht beraten muss. Es muss ihn
ur zur Kenntnis nehmen.
Natürlich muss er vorgelegt werden. Aber er muss
icht beraten, sondern nur zur Kenntnisnahme vorgelegt
erden. Das ist alles, was das Gesetz vorschreibt.
Ich halte daher diese Debatte für an den Haaren her-
eigezogen. Sie dient nur dem Zweck, den Finanzminis-
er an einer Stelle zu kritisieren, an der man ihn über-
aupt nicht kritisieren kann, und das kam in der Rede
er Kollegin Lötzsch ganz klar zum Ausdruck einen
usammenhang mit der Landtagswahl in Nordrhein-
estfalen zu konstruieren, der überhaupt nicht besteht;
enn wir stellen Finanzpläne nicht in Abhängigkeit von
nstehenden Terminen für Landtagswahlen auf. Das ist
ine Vermutung, die weit hergeholt ist; ich weise sie klar
urück. Wir stellen Finanzpläne nach richtiger Datenlage
nd sorgfältiger Prüfung so auf, dass sie der tatsächlich
ingetretenen Entwicklung entsprechen und eine kor-
ekte Perspektive für die Zukunft darstellen.
Eines muss doch klar sein: Der Finanzplan, den die
undesregierung aufstellt und den der Finanzminister
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2451
)
)
Norbert Barthle
hier vorlegt, dient nicht nur der Unterrichtung des Parla-
ments, sondern auch der Öffentlichkeit. Er hat eine Wir-
kung auf zahlreiche Bereiche in unserer Wirtschaft. Des-
halb muss dieser Finanzplan ordentlich fortgeschrieben
werden, und zwar jährlich.
Das tun wir. Warten Sie ab! Gedulden Sie sich! Es wird
Ihnen nicht gelingen, uns dazu zu bewegen, diesen Fi-
nanzplan hopplahopp und holterdiepolter vorzulegen;
vielmehr werden wir ihn sorgfältig aufstellen. So ma-
chen wir das.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/13601 an den Haushaltsausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Anette Kramme, Iris Gleicke, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur
Bemessung der Regelsätze umsetzen Die Ur-
sachen von Armut bekämpfen
Drucksache 17/880
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Hiller-Ohm von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, dass wir auch in dieser Woche Gelegenheit
haben, über das so wichtige Thema der Grundsicherung
zu debattieren. Schade, dass heute wieder nicht allzu
viele anwesend sind.
Leider hat Herr Minister Westerwelle seine Haltung
gegenüber den Arbeitslosengeld-II-Beziehern nicht revi-
diert; auch hat er sich bei den Langzeitarbeitslosen für
die Unterstellung spätrömischer Dekadenz nicht ent-
schuldigt. Das ist bedauerlich, wirft aber ein bezeichnen-
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enauso sieht es mit der CDU/CSU in der Regierungs-
erantwortung aus. Wo sind ihre Lösungsvorschläge?
uch hier gilt: Außer Thesen nichts gewesen. Aber
eine Sorge: Wir werden Sie nicht im Regen stehen las-
en und geben Ihnen deshalb mit unserem Antrag Orien-
ierung.
Bereits unter Schwarz-Rot in der letzten Legislaturpe-
iode hat die SPD richtige Schritte im Sinne des Bundes-
erfassungsgerichtsurteils bei den Regelsätzen erwirkt:
ir haben durch eine Sonderauswertung der Einkom-
ens- und Verbrauchsstichprobe die Bedarfe von Kin-
ern genauer erfasst. Mit dem Schulbedarfspaket von
00 Euro pro Kind und Schuljahr haben wir die Teilhabe
n Bildung für Kinder im Sozialgeldbezug verbessert.
as haben die obersten Richter auch anerkannt.
Das haben sie anerkannt. Sie verlangen aber bis Ende
es Jahres eine ganz neue verfassungsfeste Auswer-
ungsmethodik, die auch die Bedarfe von Kindern eigen-
tändig erfasst keine leichte Aufgabe. Das Ministerium
llein wird mit dieser Aufgabe überfordert sein. Deshalb,
eine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,
ehmen Sie sich den Sachverstand von Wissenschaftlern
nd Sozialverbänden bei der Entwicklung dieser neuen
uswertungsmethode für die Regelsätze zur Hilfe. Wir
ordern die Einsetzung einer Kommission, die Grünen
brigens auch.
Um die Regelsätze besser an Preissteigerungsraten
nzupassen, schlagen wir eine Verkürzung der Zeit-
äume zwischen den Einkommens- und Verbrauchsstich-
roben vor. Fünf Jahre sind entschieden zu lang. Es
ollte außerdem die jährlich durchgeführte Laufende
irtschaftsrechnung des Statistischen Bundesamtes als
rgänzende Datengrundlage einbezogen werden. Damit
ie Regelsätze nicht unter das Existenzminimum rut-
chen, ist es notwendig, eine Einkommensuntergrenze
ei der Erhebung der Daten für die Einkommens- und
erbrauchsstichprobe festzulegen.
Die Regelsätze sind das eine. Die obersten Richter
ordern außerdem eine Berücksichtigung individueller
onderbedarfe, und dies ab sofort. Ich habe es in der
etzten Debatte schon gesagt, und ich wiederhole an die-
er Stelle noch einmal: Ihre Vier-Punkte-Liste, die Sie
ber die Agenturen an die Argen verschickt haben, ist in
einer Weise ausreichend. Fummeln Sie nicht alleine an
iner Regelung für Härtefälle herum! Beziehen Sie uns
achpolitikerinnen und Fachpolitiker und die Experten
us Vereinen und Verbänden ein! Auch hier brauchen
ir eine Expertenkommission.
2452 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Gabriele Hiller-Ohm
Wenn man über Grundsicherung spricht, darf man das
Thema Armut nicht ausklammern. Wir fordern deshalb
eine umfassende Strategie zur Armutsbekämpfung. Ar-
beitslosigkeit und schlecht bezahlte Jobs sind das größte
Armutsrisiko. Wir fordern deshalb eine Abkehr von
Niedriglohnbeschäftigung.
Sie ist ökonomisch kontraproduktiv und haushaltspoli-
tisch fatal. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse
sind eben keine Brücke in reguläre Beschäftigung. Das
hat die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gezeigt.
Schlimm ist auch die Geschlechterdiskriminierung,
die gerade im Niedriglohnsektor passiert. Rund zwei
Drittel der Betroffenen sind Frauen, die hier zu miesen
Löhnen und unter schlechten Bedingungen arbeiten. Das
müssen wir ändern.
Frau Ministerin von der Leyen hat erklärt, dass sie sich
für Frauen und insbesondere für Alleinerziehende stark-
machen will. Tun Sie das endlich! Rund 650 000 Allein-
erziehende erhalten Arbeitslosengeld II oder aufsto-
ckende Leistungen, weil sie langzeitarbeitslos sind oder
zu wenig verdienen, um davon leben zu können.
Auch hier weisen wir Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU und FDP, mit unserem Antrag
den Weg.
Bauen Sie die Betreuungsangebote weiter aus! Wir ha-
ben in unserer Regierungszeit gute Vorarbeit geleistet.
Führen Sie endlich einen flächendeckenden Mindestlohn
ein! Das hilft auch den Frauen. Setzen Sie eine unabhän-
gige Kommission ein, die Kriterien für die richtige Höhe
des Mindestlohns entwickelt!
Das Bundesverfassungsgericht fordert in seinem Ur-
teil eine gerechtere Verteilung von Bildungschancen.
Wenn man an der Regierung ist, reicht es nicht, nur über
Bildungsgerechtigkeit zu reden. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Regierungsfraktionen, das haben Sie
alle lauthals getan. Jetzt wollen wir endlich Taten sehen.
Noch haben Sie die politischen Mehrheiten, um durch-
zusetzen, dass es in Deutschland endlich vernünftige
Strukturen für frühe Förderung, Bildung und Ausbildung
gibt. Auch hier haben wir während der Zeit unserer Re-
gierungsverantwortung zum Beispiel mit dem Ausbau
von Ganztagsschulen, Krippen und Kitas die richtigen
Pflöcke eingeschlagen. Wir fordern eine nationale Bil-
dungsinitiative, um endlich zu verbindlichen Vereinba-
rungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu
kommen, die dafür sorgen, dass allen Kindern gute und
faire Bildungs- und Entwicklungschancen geboten wer-
den.
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n meinem wunderschönen, aber leider auch sehr armen
chleswig-Holstein zwingen Sie sogar Ihre schwarz-gelben
arteifreunde durch Ihre kurzsichtige und klientelbehaf-
ete Politik dazu, das gerade erst durchgesetzte beitrags-
reie Kita-Jahr wieder infrage zu stellen. Rückwärtsge-
andter kann Politik gar nicht sein.
Helfen Sie den Familien und helfen Sie den Kommu-
en! Wir fordern zur Tätigung der so notwendigen In-
estitionen für Familien und Kinder einen Rettungs-
chirm für die Kommunen in Höhe von 4 Milliarden
uro für die nächsten zwei Jahre.
Verzichten Sie auf die gesetzliche Umsetzung des Be-
reuungsgeldes, und stecken Sie diese Mittel konsequent
n Investitionen zur Förderung der frühkindlichen Bil-
ung. Damit und nicht mit Ihrem Betreuungsgeld helfen
ie den Kindern und Familien. Herdprämien vergrößern
ildungsungerechtigkeiten. Kostenfreie Kitas und Ganz-
agsbetreuung an Schulen sind hingegen der richtige
eg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion
at ein weitreichendes Konzept vorgelegt. Folgen Sie
nseren Vorschlägen, Regelsätze rechtssicher zu bemes-
en und für gute Arbeit und gegen Armut zu kämpfen.
Das Wort hat nun Carsten Linnemann für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir spre-
hen heute Abend über das wichtige Urteil aus Karls-
uhe. Als ich mir den Antrag der SPD-Fraktion gestern
ich glaube, gestern ist er erst eingetroffen durchgele-
en habe, Frau Hiller-Ohm, musste ich zunächst einmal
eststellen, dass wir in der Analyse des Urteils, also in
em, was Sie auf den ersten beiden Seiten schreiben, ei-
entlich im Grundsatz keine unterschiedliche Meinung
aben. Das sollte man in diesem Hause einfach einmal
nsprechen. Bei den Konsequenzen gibt es allerdings
nterschiede; darüber werden wir im Ausschuss reden
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2453
)
)
Dr. Carsten Linnemann
müssen. Aber, wie gesagt, in der Analyse gibt es keine
unterschiedliche Meinung.
Dazu zählen zwei Kernpunkte:
Erstens. Das Verfahren der Einkommens- und Ver-
brauchsstichprobe, der EVS, ist nicht als verfassungs-
widrig eingestuft worden.
Zweitens. Es wurde Frau Hiller-Ohm, das haben Sie
richtig gesagt
die fehlende Ermittlung der Bedarfe von Kindern kriti-
siert. Hier kann es nicht einfach eine pauschale Ablei-
tung geben. Dafür brauchen wir ein transparentes Sys-
tem, ein System, das nachvollziehbar und sachgerecht
ist. Dabei müssen wir das Thema Bildung mit einfließen
lassen.
Das ist der Sachstand. Jetzt müssen wir schauen, dass
wir uns die Schablone vornehmen und an dieser Schab-
lone arbeiten. Im Herbst liegen die Zahlen des Statisti-
schen Bundesamtes vor. Die Schablone müssen wir im
Sinne des Urteils aus Karlsruhe neu justieren und dann
mit den Zahlen füllen.
Was man schon heute sagen muss und sagen kann, ist,
dass für unsere Fraktion die Frage im Mittelpunkt steht:
Wie gehen wir mit den bedürftigen Kindern um? Die be-
dürftigen Kinder stehen ganz klar im Vordergrund. Mitt-
lerweile sind es, schlimm genug, knapp 2 Millionen Kin-
der, die von den Regelsätzen des SGB II leben. Das ist
die Frage, die im Vordergrund steht: Wir müssen die
Kinder aus dem SGB-II-Bezug herausholen. Es gibt im-
mer noch Familien, die von Generation zu Generation
von der Sozialhilfe leben. Auch diese Kinder müssen wir
herausholen. Sie brauchen eine Perspektive. Ich bin froh,
dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat der Prä-
sident hat dies übrigens am Wochenende noch einmal
eindrucksvoll in der Welt am Sonntag dargestellt ,
dass es nicht nur um Geldleistungen geht, sondern auch
um Sachleistungen und/oder Dienstleistungen.
Die jungen Menschen brauchen eine Perspektive, um
Eigenverantwortung zu übernehmen. Diese Eigenverant-
wortung ist nichts anderes als das Prinzip der Subsidiari-
tät, eingebettet in die soziale Marktwirtschaft. Die
Marktwirtschaft, gepaart mit dem Sozialstaat, ist trotz al-
ler Krise noch intakt. Das sehen wir beispielsweise bezo-
gen auf die Arbeitslosenquote. Schauen wir uns diese
einmal im Vergleich zum Ausland an: Spanien hat im
Moment eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent; bei den
jungen Menschen liegt sie bei 40 Prozent. Zum Glück
liegt die Arbeitslosenquote bei uns weit unter der 10-Pro-
zent-Marke. Für den Fall, dass Sie sagen, die Arbeits-
losenquote könne man manipulieren, nehmen Sie die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Diese Zahl kann man nicht manipulieren. Auch diese
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eil das Ganze noch in diesem Jahr über die Bühne ge-
en muss, aber auch mit der nötigen Sorgfalt.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Diana Golze für die Fraktion Die
inke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! In den vergangenen Wochen sind unerträglich
iffamierende Debatten auf dem Rücken von Millionen
enschen in diesem Land geführt worden. Menschen,
ie Ausgrenzung von der Gesellschaft durch Erwerbslo-
igkeit am eigenen Leib erleben, wurden an den Pranger
estellt, und das nur, um davon abzulenken, dass Millio-
en anderer Menschen von Löhnen leben müssen, für
ie die Erfinder dieser Hetzkampagne nicht einmal den
aptop aufklappen würden. Hier werden die Ärmsten
er Gesellschaft gegeneinander ausgespielt: diejenigen,
ie von Sozialleistungen leben müssen, und diejenigen,
ie so geringe Löhne haben, dass diese nur knapp über
en Sozialleistungen liegen.
Nun kommt mit dem Antrag der SPD endlich erneut
in Vorschlag von der Opposition, in dem versucht wird,
en Stammtischparolen der Regierung etwas Sachlich-
eit entgegenzusetzen. Der Antrag leistet in weiten Tei-
en das, was ich mir von einer Arbeitsministerin oder
on der Bundeskanzlerin selbst wünschen würde. Doch
iese setzen entweder auf ihre bewährte Ankündigungs-
ethodik, oder sie hüllen sich lieber ganz in Schweigen.
Viele der im SPD-Antrag vorgeschlagenen Maßnah-
en unterstütze ich. Besonders begrüßenswert finde ich
ie Darstellung, dass sich das Lohnabstandsgebot nicht
n der Höhe der Sozialleistungen, sondern an der Höhe
er Löhne bemessen soll.
inen gesetzlichen Mindestlohn fordert die Linke be-
anntermaßen schon seit langem.
Anderes in dem Antrag bleibt etwas verschwommen
nd unzureichend formuliert. Ich frage mich beispiels-
eise, was die SPD mit der vorgeschlagenen Wahlfrei-
eit zwischen Kinderzuschlag und ALG-II-Bezug für
amilien mit geringem Einkommen meint; denn nur,
enn der Kinderzuschlag und das Wohngeld als vor-
2454 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Diana Golze
rangige Leistungen so ausgestaltet werden, dass die Fa-
milien dadurch mehr haben, liegt wirklich Wahlfreiheit
vor. Wenn es aber wie jetzt in vielen Fällen dazu führt,
dass der Kinderzuschlag sogar noch geringer ausfällt als
der ALG-II-Bezug, dann ist das nicht Wahlfreiheit, son-
dern Erpressung mit einem menschenentwürdigenden
Grundsicherungsmodell.
Die Linke hat schon diverse Male Anträge für eine so-
zialere Ausgestaltung des Kinderzuschlages vorgelegt.
Dass die SPD die Berechnung der Regelsätze und
auch die sogenannte Härtefallregelung nicht allein in die
Hände der Bundesregierung legen will, kann ich nach-
vollziehen. Der Vorstoß, dies durch eine Expertenkom-
mission zu unterstützen, kommt einer Forderung der
Linken nahe. Fraglich bleibt für mich allerdings, warum
Sie eine Gruppe von Experten, die dort mitwirken sollen,
außen vor lassen: die Vertreter der Menschen, die am
stärksten davon betroffen sind und um deren Bedarfe es
geht, nämlich die Vertreter von Erwerbsloseninitiativen.
Vielleicht liegt es daran, dass diese Sie daran erinnern
könnten, dass die verkorkste Arbeitsmarktreform von
Rot-Grün erfunden und von Schwarz-Gelb im Bundesrat
noch verschärft wurde.
Alles, was das Bundesverfassungsgericht der Regie-
rung am 9. Februar ins Hausaufgabenheft geschrieben
hat, ist ihnen prophezeit worden, nicht nur von uns, son-
dern von vielen Sachverständigen und Initiativen. Einen
Punkt möchte ich besonders hervorheben: Es geht um
die Debatte über die Frage von Gutscheinen bzw. Sach-
leistungen, die durch die Bundesarbeitsministerin ange-
stoßen wurde. Um diese Frage ging es auch in einer An-
hörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Hier
war aber die Rede von gebührenfreiem Schulessen,
Lernmittelfreiheit und beitragsfreien Ganztagsbildungs-
angeboten und nicht davon, die Kinder von ALG-II-Be-
ziehern durch Gutscheine zu Kunden zu machen, um da-
durch die Privatisierung dieser Angebote noch weiter
voranzutreiben. Ich bitte Sie, Lösungen zu finden, die
die Teilhabe aller Kinder an Bildung in ihrer ganzen
Breite sichern, und nicht eine Verstärkung für den privat-
gewerblichen Markt zu organisieren.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Exis-
tenzminimum von Menschen ist keine Verhandlungs-
masse. Das Gericht hat genau festgelegt, was ein
Mensch braucht, um Mensch zu sein. Er braucht eben
mehr als die Sicherung seiner physischen Existenz. Er
hat ein Recht auf Teilhabe. Lassen Sie uns also in diesem
Haus nach politischen Lösungen für die Teilhabe aller
Menschen am gesellschaftlichen Leben suchen.
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elchen Zusammenhang lassen Sie durch die Verwen-
ung eines Gedankenstrichs unausgesprochen? Welchen
usammenhang zwischen Hartz-IV-Regelsätzen, Urteil
es Bundesverfassungsgerichts und Armut möchten Sie
urch die Verwendung eines Gedankenstrichs vielleicht
aschieren?
Vielleicht meinen Sie es ja so: Indem Sie das Urteil
es Bundesverfassungsgerichts umsetzen, bekämpfen
ie Armut. Das würde aber bedeuten, dass Sie meinen,
ass durch die Umsetzung des Urteils des Bundesverfas-
ungsgerichts in unserem Land Armut bekämpft wird.
a das Bundesverfassungsgericht Ihre Politik, Ihre
artz-IV-Gesetze kritisiert hat, frage ich Sie: Soll ich Ih-
en Antrag so verstehen, dass man Armut in diesem
and dadurch bekämpft, dass man Ihre Hartz-IV-Politik
us dem Jahr 2005 verändert?
Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass Sie sich
amit nicht nur von Ihren eigenen Überzeugungen lösen,
ondern sich zugleich in die Nähe Ihrer heftigsten Kriti-
er begeben, in die Nähe der Kolleginnen und Kollegen
er Linken, die immer betonen, dass Hartz IV Armut per
esetz sei. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen
er SPD, Sie sollten sich entscheiden:
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2455
)
)
Pascal Kober
Ist Hartz IV mit allem, was damit zusammenhängt, ein
Gesetz gewesen, das Armut verhindern sollte und soll,
oder ist das Hartz-IV-Gesetz ein Gesetz, das Armut be-
wirkt?
Wir von der FDP sind mit Ihnen einig, dass von Ihnen
im Jahr 2005 manches in Gesetzesform gegossen wurde,
das im Sinne der betroffenen Menschen dringend refor-
miert gehörte, das gerechter und fairer ausgestaltet wer-
den sollte.
Wenn ich Ihren Antrag aber lese, stelle ich fest das
muss ich Ihnen sagen , dass Sie an der ganz falschen
Stelle ansetzen, nämlich an vielen Punkten, die das Bun-
desverfassungsgericht überhaupt nicht beanstandet hat.
Jetzt wollen Sie unter anderem dort Veränderungen vor-
nehmen, wo Ihnen das Bundesverfassungsgericht im
Grunde attestiert hat: Gut gemacht.
Zum Beispiel kritisieren Sie das bestehende System
der Regelsatzbemessung anhand der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe. Statt nur alle fünf Jahre soll die
Stichprobe nun alle drei Jahre erfolgen. Dass Sie das im
Jahr 2005 noch nicht so gesehen haben, will ich gar nicht
kritisieren.
Dass Sie, namentlich der SPD-Bundesarbeits- und So-
zialminister Olaf Scholz, es aber auch in den letzten vier
Jahren nicht so gesehen haben, macht Ihre Forderung
zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehr glaubwürdig.
Es wurde von Ihrem Bundesarbeitsminister blockiert.
Das habe ich mir von den Kollegen schon erläutern las-
sen.
Das mit dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsge-
richts vom 9. Februar dieses Jahres in Beziehung zu set-
zen, ist nicht sehr glaubwürdig; denn gerade diesen
Punkt hat das Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht
kritisiert. Seien Sie doch froh, dass Sie offensichtlich
auch etwas richtig gemacht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daher
stellen wir uns schützend vor Sie, Ihre Geschichte und
Ihre kleinen Erfolge und werden Ihrem Antrag nicht zu-
stimmen.
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ir werden Ihren Antrag ablehnen und eine seriöse,
ransparente Politik im Sinne und zum Wohl der Betrof-
enen machen, und zwar ganz im Sinne des Urteils des
undesverfassungsgerichtes.
arauf können Sie sich verlassen. Sie werden gut re-
iert. Wir machen das schon.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Markus Kurth für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
olleginnen und Kollegen von der FDP, es ist interes-
ant, wie Sie in letzter Zeit versuchen, ehemalige Regie-
ungsparteien zu Geiseln der Vergangenheit zu machen.
ber wir werden uns nicht davon abbringen lassen, da-
uzulernen ganz im Gegensatz zu Ihnen , Folgen un-
eres Handelns zu beobachten und die notwendigen
chlussfolgerungen zu ziehen.
Auch ich bedauere es, dass die Fraktion der SPD es
och nicht in der letzten Legislatur getan hat. Wenn sie,
ies nun tut,
2456 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Markus Kurth
dann erkennen wir das durchaus an. Der vorgelegte An-
trag der SPD ist in weiten Teilen übereinstimmend mit
dem, was die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits
heute vor einer Woche vorgelegt und seit mehreren Jah-
ren sehr sorgfältig entwickelt hat.
Die Frage ist, ob im Verlauf der letzten Woche, seit
der Regelsatzdebatte, gewisse Lerneffekte zu beobach-
ten sind. Bei Ihnen von den Regierungsparteien ist dies
ganz offensichtlich leider nicht der Fall. Wenn ich zum
Beispiel vom Kollegen Linnemann höre, dass Sie jetzt
erst einmal wieder die Zahlen abwarten wollen und dann
erst die Methodik, die Schablone, wie Sie das nennen,
entwickeln wollen, dann habe ich die Befürchtung, dass
Sie den Fehler wiederholen werden, der zum Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes geführt hat. Auch da hat
man erst die Zahlen genommen, dann einen fiskalischen
Zielwert angegeben und daraufhin die Regelsätze be-
rechnet. Entwickeln Sie doch zuerst die Methodik, wie
Sie eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus-
werten wollen, und warten wir die Zahlen ab; denn dann
kann das Ergebnis auch nicht manipuliert werden.
Ich sage Ihnen: Im Verlauf der letzten Woche sind
noch einige interessante Erkenntnisse zu den von Ihnen
gern diskutierten Fragen des Lohnabstandsgebots und
der Arbeitsanreize hinzugekommen.
Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lindner von der FDP-Fraktion?
Ja, gerne.
Herr Kollege, Sie sprachen gerade von den Lerneffek-
ten, die bei Ihnen eingetreten sind. Stimmen Sie mir zu,
dass diese Lerneffekte sowohl bei Ihnen als auch bei der
SPD immer nur dann eingetreten sind, wenn Sie aus der
Regierung ausgeschieden sind?
Keineswegs. Ich will ein Beispiel nennen. Als wir das
Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits-
markt hier im Bundestag im Sommer 2003 verabschiedet
haben, stand darin der Satz, dass zumutbare Arbeit sich
an den Tariflöhnen oder, wenn es keine Tarife gibt, an
den ortsüblichen Löhnen orientieren soll, weil wir das
Entstehen eines Niedriglohnsektors verhindern wollten.
Das heißt, vieles, was wir jetzt in den Anträgen zum
Mindestlohn fordern, haben wir im Prinzip bereits da-
mals in diesem Gesetz verankern wollen.
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Bleiben Sie bitte stehen; ich bin mit meiner Antwort
och nicht fertig. Es ist so, dass der Bundesrat mit den
timmen von CDU/CSU und FDP unsere damaligen
insichten wieder gekippt und beispielsweise diesen
atz gestrichen hat.
atürlich greifen wir dann in der Opposition wieder auf,
as Sie damals zerstört haben.
Es ist so, dass wir ich fahre mit meiner Rede fort
eue Erkenntnisse zum Lohnabstandsgebot haben. Der
aritätische Wohlfahrtsverband hat dank Fleißarbeit eine
anze Reihe von Berechnungen, Lohnabstandsbeispiele,
orgelegt, wo sehr deutlich wird, dass diejenigen, die ar-
eiten, letztlich mehr im Portemonnaie haben. Das
urde jetzt sogar durch das Bundesministerium für Ar-
eit und Soziales bestätigt, das auf eine Kleine Anfrage
er Linken geantwortet hat: Wer arbeitet, werde immer
ehr Mittel zur Verfügung haben als ein Nichterwerbs-
ätiger. Das sollten wir in unsere Debatte einbeziehen.
Den Punkt Arbeitsanreize sollte man sich einmal
orgfältiger anschauen. Als zum Beispiel vor etwa zwei
ochen die Berliner Stadtreinigung gegen Ende des
inters endlich erkannt hatte, das eisverkrustete Berlin
üsse jetzt vom Eis befreit werden, wurden 650 Arbeits-
ose angefordert es haben sich Tausende gemeldet.
nnerhalb einer halben Stunde war die Hotline der Agen-
ur für Arbeit überlastet, weil sie den Ansturm der Ar-
eitsuchenden nicht bewältigen konnte. Das heißt, dass
ie Realität bei den Arbeitsanreizen ganz anderes aus-
ieht, als insbesondere Sie von der FDP ständig behaup-
en.
ngesichts dessen frage ich mich, wie man immer wie-
er von einer konsequenten Anwendung von Sanktionen
ls vordringlichem Mittel reden kann.
eht es nicht vielmehr darum, diesen Tausenden, die
elbst bei bescheidenen Hinzuverdienstmöglichkeiten
infach mal wieder gebraucht werden wollen, vernünf-
ige Angebote zu bieten?
)
)
Erst heute hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Be-
rufsforschung der BA ebenfalls in einer Studie bestätigt,
dass sich Hartz-IV-Beziehende um Arbeit bemühen und
es vielmehr an maßgeschneiderten Fortbildungsange-
boten und an fallbezogener Ausrichtung der Hilfegewäh-
rung mangelt.
Das heißt, es mangelt an einer vernünftigen materiellen
und inhaltlichen Hinterlegung der Förderpolitik.
Ich sage Ihnen: Auch das Problem des sogenannten
Lohnabstands bekommen wir selbst bei erhöhten Regel-
sätzen sehr gut in den Griff, wenn wir eine Progression
bei den Sozialabgaben und einen Mindestlohn einführen,
wie Bündnis 90/Die Grünen es vorschlägt. Dadurch
schaffen wir Anreize und mobilisieren Wachstumspoten-
ziale und menschliche Potenziale, die Sie zu ersticken
drohen.
Danke schön.
Das Wort hat nun Mechthild Heil für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich begrüße, dass eine breite öffentliche Dis-
kussion darüber geführt wird, welche sozialen Leistun-
gen, aber auch welche steuerlichen Leistungen wir alle
zu erbringen bereit sind. Vor allem begrüße ich, dass sich
diese Diskussion wenn auch sehr langsam erkennbar
versachlicht, zumindest in der Öffentlichkeit.
In der Vergangenheit sind Emotionen hochgekocht,
Randerscheinungen bestimmten die Diskussion, Fakten
spielten so gut wie keine Rolle mehr. Ich finde es unver-
antwortlich, dass einige, insbesondere von der Linken,
auch heute in diesem Hause den Versuch unternehmen,
Misstrauen zu säen und gesellschaftliche Gruppen ge-
geneinander aufzuhetzen.
Das ist mit der Union nicht zu machen.
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ie Zeiten sind schwierig genug.
CDU und CSU tragen das C in ihren Namen. Auch
ch bin, wie manch anderer in diesem Hause, Christ. Wir
issen: Unsere christliche Überzeugung ist uns Ver-
flichtung und Antrieb.
DU und CSU werden deshalb mit Tatkraft, Leiden-
chaft und Klugheit für eine Gesellschaftsordnung
ämpfen, in der Leistung gefördert wird, in der Schwa-
he beschützt werden und in der Verantwortungslosig-
eit geahndet wird.
Leistungsgerechtigkeit und soziale Verantwortung ge-
ören für uns von der Union untrennbar zusammen. Ein
opulistischer Wettbewerb nach dem Motto: Wer ist nä-
er dran an den Hartz-IV-Empfängern? oder: Wer ver-
pricht die größeren Geschenke? ist mit uns nicht zu
achen.
Wir stellen uns den Aufgaben, die vor uns liegen: Wie
ekommt man die Menschen, Eltern und Kinder, aus der
bhängigkeit vom Staat? Was müssen wir tun, um die
irtschaft so zu stärken, dass neue, gute Arbeitsplätze
eschaffen werden? An dieser Stelle seien nur die Stich-
orte Wachstum und Haushaltskonsolidierung genannt.
as müssen wir für die Kinder aus Hartz-IV-Familien
un, damit sie nicht in die Spirale der Abhängigkeit vom
taat geraten? Hier sei nur das Stichwort Bildungschan-
en genannt.
In der Analyse sind wir uns mit der SPD größtenteils
inig. Verglichen mit den Anträgen von den Grünen und
en Linken, die uns in der letzten Sitzungswoche vorge-
egen haben, ist der jetzt von der SPD eingebrachte An-
rag wirklich eine Wohltat. Die Analyse ist okay. Was die
onsequenzen, die wir ziehen, betrifft, unterscheiden
ir uns allerdings erheblich von Ihnen. Deshalb stim-
en wir dem Antrag der SPD heute nicht zu.
Sie fordern zum Beispiel, die Mehrbedarfe nach dem
GB XII entsprechend dem Urteil des Bundesverfas-
ungsgerichts zu ändern, und zwar ähnlich wie im
2458 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Mechthild Heil
SGB II. In § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
sind abweichende Mehrbedarfe allerdings bereits gere-
gelt. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
Die Bedarfe werden abweichend festgelegt, wenn
im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise ander-
weitig gedeckt ist oder
jetzt kommt die entscheidende Aussage
unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem
durchschnittlichen Bedarf abweicht.
Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts ist in die-
sem Gesetz also schon längst verankert.
Eine Gesetzesänderung brauchen wir an dieser Stelle
nicht. Die Forderung der SPD geht ins Leere.
Zu Ihrem Maßnahmenkatalog gegen die Niedriglohn-
beschäftigung haben wir heute von dieser Stelle aus
schon einiges gehört. Die von Ihnen immer wieder ge-
forderten gesetzlichen Mindestlöhne sind keine Lösung.
Wir sind uns einig, dass Arbeitnehmer einen auskömmli-
chen Lohn für ihre Arbeit erhalten sollen. Aber ich sage:
Dieser Lohn sollte nicht vom Staat diktiert werden. Wir
werden jedenfalls die Tarifautonomie in unserem Land
nicht kippen.
Sie fordern des Weiteren, die Koalition solle sich erst
gar nicht damit auseinandersetzen, sozialversicherungs-
freie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu erhö-
hen oder zu dynamisieren,
weil Sie davon ausgehen, dass Vollzeitjobs in mehrere
Minijobs aufgesplittet wurden. Ich weiß wirklich nicht,
woher Sie diese Erkenntnis haben. Meine Informationen
sind völlig andere:
Es gibt also keinen eindeutigen Beleg für Ihre Behaup-
tung, dass allein die Zulassung von Minijobs die Um-
wandlung von Vollzeitstellen in Minijobs gefördert hat.
Deshalb sollten Sie Ihren Widerstand gegen die Mini-
jobs aufgeben.
Ein Weiteres kommt hinzu, was heute allerdings
eicht in Vergessenheit geraten ist: Wie Auswertungen
es Instituts der deutschen Wirtschaft Köln auf Basis der
ozioökonomischen Erhebungen zeigen, ist die Zufrie-
enheit von Menschen mit Niedriglohnarbeit größer als
ie Zufriedenheit von Menschen in Arbeitslosigkeit im
runde eine Binsenweisheit.
rbeit an sich ist eben auch ein Wert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
innen und Kollegen, sorgen Sie mit uns dafür, dass
eistungsstarke sagen können: Ich helfe denen, die zu
chwach sind, sich selber zu helfen, und dass Leis-
ungsempfänger sagen können: Ich tue, was mir mög-
ich ist, um auf eigenen Beinen stehen zu können. Ein
olches Klima wünsche ich mir für Deutschland, weil
ir nur im Miteinander aller gesellschaftlichen Gruppen
ie Chance haben, die Probleme zu bewältigen. Es liegt
n uns.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/880 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Axel Troost, Karin Binder, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Finanziellen Verbraucherschutz stärken Fi-
nanzmärkte verbrauchergerecht regulieren
Drucksache 17/887
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Caren Lay für
ie Fraktion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Die meisten Menschen, die ihr mühsam erspar-
es Geld zur Bank bringen, wollen ihr Geld sicher anle-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2459
)
)
Caren Lay
gen. Mit den Lehman-Zertifikaten, um nur ein Beispiel
zu nennen, wurden Risiken jedoch verschwiegen, und
das Geld von Kleinanlegern wurde in windigen Geschäf-
ten verwettet. Die Pleite der Lehman-Bank ist nun an-
derthalb Jahre her. Seitdem hat die Bundesregierung
keine wesentlichen Schritte unternommen, um Verbrau-
cherinnen und Verbraucher auf den Finanzmärkten bes-
ser zu schützen.
Zwar gibt es zum Beispiel die Protokolle von Bera-
tungsgesprächen. Sie dienen aber dies hat eine Studie
der Verbraucherzentrale NRW erst in der vergangenen
Woche bewiesen eher dem Schutz der Unternehmen
als dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Ministerin Aigner setzt hier auf Produktinformations-
blätter. Wir als Linke sagen ganz eindeutig: Mit diesem
Beipackzettel alleine ist es nicht getan,
schon gar nicht, wenn dieser Beipackzettel nicht einheit-
lich, wohl aber unverbindlich ist.
Untaugliche Finanzprodukte gehören überhaupt nicht
auf den Markt.
Deshalb fordern wir als Linke einen europäischen Fi-
nanz-TÜV. Er ist längst überfällig, damit hochriskante
Produkte erst gar nicht zugelassen werden.
Für die Produkte, die dann auf dem Markt sind, wollen
wir wir eine klare Kennzeichnung haben.
Verbraucherschutz greift aber zu kurz, wenn er die
Verantwortung allein bei den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern ablädt. Die Realität ist doch: Die Finanz-
märkte sind schnelllebig, und die Verbraucherinnen und
Verbraucher sind häufig überfordert und einem undurch-
sichtigen Dschungel von Produkten ausgeliefert. Deswe-
gen sagen wir als Linke ganz klar: Die Finanzmärkte
müssen reguliert werden, nicht zuletzt im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher.
Wir wollen den Verbraucherschutz institutionell und
organisatorisch stärken. Auch Deutschland braucht end-
lich eine Verbraucherbehörde.
Es kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland eine Fi-
nanzaufsicht haben, diese beim Ausüben ihrer Aufsicht
aber nicht auf die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher achten muss. Auch der Verbraucherschutz
Sie wissen, dass das seit langem gefordert wird muss
eine Aufgabe der Finanzaufsicht werden.
Die Linke fordert mit diesem Antrag einiges mehr:
Wir wollen die demokratische Vertretung der Verbrau-
cherinteressen stärken. Wir wollen die Verbraucherzen-
tralen in ihrer Marktwächterfunktion unterstützen. Sie
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as BMELV beziffert den Schaden, der Verbraucherin-
en und Verbrauchern durch schlechte Anlageberatung
ntsteht, auf 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr. Deswe-
en wollen wir die Provisionsberatung überwinden und
tattdessen eine Honorarberatung einführen, und wir
ollen unabhängige Beratung durch die Verbraucher-
entralen stärken.
Die Linke hat die Debatte zur Verbesserung des Anle-
erschutzes heute eröffnet. Wir haben die Initiative er-
riffen, um die Ersparnisse der Menschen vor wilden
pekulationen zu schützen.
Ich habe die Pläne von Verbraucherschutzministerin
igner als viel zu zaghaft kritisiert; aber sie sind immer-
in ein Versuch.
Womit sich allerdings Herr Schäuble die Federfüh-
ung bei diesem Thema verdient hat, bleibt mir schleier-
aft; denn bislang hat er sich bei der Verbesserung des
inanziellen Verbraucherschutzes durch keinerlei Aktivi-
äten hervorgetan. Kaum lag unser Antrag vorgestern auf
em Tisch, hat auch er einen Gesetzentwurf zur Verbes-
erung des Anlegerschutzes angekündigt. Sie sehen also:
ie Linke wirkt.
Kolleginnen und Kollegen, es wird Zeit, dass wir den
erbraucherschutz endlich ernst nehmen. Wir bitten da-
er um Überweisung an den Verbraucherschutzaus-
chuss.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Lay, dies war Ihre erste Rede im Deut-
chen Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten
ünsche!
Stimmt nicht? Das ist mir extra aufgeschrieben wor-
en. Dann haben Sie die Freude, eine zweite Gratulation
rlebt zu haben.
Das Wort hat nun Klaus-Peter Flosbach, CDU/CSU-
raktion.
2460 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dem Antrag der Linken sind durchaus einige Sätze, die
ich unterschreiben würde. Diesen Antrag durchzieht
aber der Gedanke: Wir brauchen in Deutschland eine
neue Behörde, eine neue Verbraucherschutzbehörde, und
wenn wir diese Behörde haben, geht es allen besser.
Wir brauchen keine neue Behörde. Wenn wir den
Verbraucherschutz verbessern wollen, brauchen wir
Transparenz in den Märkten, brauchen wir Wettbewerb,
brauchen wir Haftung und brauchen wir mehr Verant-
wortlichkeit in den Finanzmärkten.
Minister Schäuble hat gestern deutlich gemacht, dass
er bis zum Sommer ein Gesetz zum Schutz der Privatan-
leger vorlegen wird. Damit erfüllen wir ein Stück unse-
res Koalitionsvertrages. Wir haben deutlich gemacht,
dass es in Deutschland keinen Finanzmarkt, kein Finanz-
produkt und keinen Finanzakteur mehr geben soll, der
nicht reguliert und kontrolliert wird. Wir erfüllen unse-
ren Koalitionsvertrag.
Es ist kein Geheimnis, dass es einen Unterschied im
Wissen um Finanzprodukte zwischen Anbietern und
Nachfragern, den Verbrauchern, gibt. Das hat sich ge-
rade in der Finanzkrise gezeigt.
Es gibt zahlreiche Kleinanleger, es gibt zahlreiche
Anleger, die sicherheitsorientiert sind. Viele wollen für
ihre Altersvorsorge sparen. Sie haben ein Anrecht auf
Schutz und darauf, dass sie nur Produkte bekommen, die
auch ihren Wünschen entsprechen.
Deshalb sollten wir uns, wenn wir an die Lösung den-
ken, nur drei Jahre zurückversetzen, in die Zeit, als die
EU-Versicherungsvermittler-Richtlinie umgesetzt wur-
de.
Für die Verbraucher ist es wichtig, zu wissen, wer ih-
nen im Gespräch gegenübersteht. Ist der Verkäufer der
Angestellte einer Versicherungsgesellschaft oder einer
Bank, ist es ein Mehrfachagent, ist es ein Makler, oder
ist es ein Berater, der auf Honorarbasis berät? Das ist mit
das Wichtigste, was der Verbraucher zuerst einmal wis-
sen muss.
Er muss auch wissen, welche Qualifikation der auf
der anderen Seite hat, und er muss wissen, ob er regis-
triert ist und ob er eine Haftpflichtversicherung besitzt,
ob ihm eine Versicherungsgesellschaft also eine Haft-
pflichtversicherung angeboten hat, damit er überhaupt
Risiken eingehen kann.
Das alles sind die ersten und wichtigsten Informatio-
nen für den Verbraucher.
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Aber in diesen Produktinformationsblättern muss
uch deutlich beschrieben werden, welches Produkt das
st und ob dieses Produkt beispielsweise der Einlagensi-
herung unterliegt. Auch das war bei den Lehman-Pro-
ukten ein Problem. Es hat auch Anlagen bei Kaupthing
egeben. Wichtig ist, dass die Deutschen, die sicher-
eitsorientiert anlegen, wissen, dass es der deutschen
inlagensicherung unterliegt.
Ich halte es auch für ganz natürlich, dass bei den Fi-
anzprodukten festgehalten wird, wie hoch der Kosten-
nteil bei dem Produkt ist, beispielsweise der Vertriebs-
nteil und die Verwaltungskostenquote. Der Einzelne
uss wissen, was von seiner Anlage in die Investition
ließt.
Wir sollten aber auch keine falsche Sicherheit darstel-
en. Wir alle kennen das gerade die Leute aus dem Fi-
anzbereich : Es gibt die Entschädigungseinrichtung
ür Wertpapierhandelsunternehmen. Nach wie vor sind
ier Produkte mit einer Garantie für eine Einlage von bis
u 20 000 Euro verkauft worden. Es ist ein Schaden von
00 Millionen Euro entstanden. Bis heute gibt es hier
eine Regelung, weil die Entschädigungseinrichtung
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2461
)
)
Klaus-Peter Flosbach
überhaupt nicht in der Lage ist, den Schaden zu beglei-
chen.
Sie haben davon gesprochen, dass Provisionen grund-
sätzlich abgeschafft werden müssen. Betrachten Sie ein-
mal den Markt der betrieblichen Altersversorgung. Hier
laufen alle Systeme parallel. Wenn Sie zu einem mittle-
ren Betrieb gehen, dann sehen Sie zum Beispiel: Er hat
Berater, die auf Honorarbasis arbeiten. Es gibt auch
Makler, die auf Courtagebasis arbeiten, für die also lau-
fend Provisionen pro Vermittlung gezahlt werden, und es
gibt Abschlussprovisionen bei Versicherungsgesell-
schaften. Hier gibt es einen fairen Wettbewerb, der völ-
lig unabhängig von der Vergütung ist.
Sie werden in gewissen Marktsegmenten auch über-
haupt nicht auf die Provisionsvermittlung verzichten
können. Versuchen Sie einmal, einen geschlossenen
Fonds von 100 Millionen Euro in einem halben Jahr auf
Honorarbasis zu platzieren.
Es gibt im Versicherungssektor in Deutschland 170 Be-
rater, aber mehrere Hunderttausend Vermittler. Glauben
Sie doch nicht, dass Sie über diesen Weg den gesamten
Finanzmarkt entsprechend gestalten können.
Verbraucherzentralen sind wichtige Informationszen-
tren, aber wir erwarten, dass die gleichen Qualitätsanfor-
derungen auch an die Verbraucherzentralen gestellt wer-
den. Auch sie müssen sich einer Prüfung unterwerfen,
wenn sie im Markt beraten.
Wir sollten natürlich auch den grauen Kapitalmarkt
einbeziehen; das ist zwingend notwendig. Die Anhörung
im letzten Jahr hat aber gezeigt, dass wir am grauen Ka-
pitalmarkt Ungleiches nicht gleich behandeln sollten. In
Deutschland gibt es am grauen Kapitalmarkt Hedge-
fonds, aber auch geschlossene Fonds ein deutsches
Spezifikum , beispielsweise im Bereich der Immobilien
oder der Windkraftanlagen. Es ist wichtig, dass diese ge-
schlossenen Fonds nicht kaputtgemacht werden.
Derzeit liegt uns der Entwurf der europäischen
AIFM-Richtlinie vor. Hier wird alles in einen Topf ge-
worfen. Bei der Sachverständigenanhörung wurde ge-
sagt: Macht nicht die geschlossenen Fonds in Deutsch-
land kaputt! Die haben mit der AIFM-Richtlinie nichts
zu tun.
Im Grunde ist es für die Anleger wichtig, dass sie bei der
Anlage Sicherheit haben. Die BaFin hat deutlich ge-
macht, dass sie nicht in der Lage ist, die Kontrolle
durchzuführen. Seriöse Anbieter sind aber heute in der
Lage, durch ein Wirtschaftsprüfergutachten die Plausibi-
lität der Anlage darzustellen. Deswegen fordern wir bei-
spielsweise ein IDW-Gutachten für entsprechende Anla-
gen.
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Jetzt liest man gute Sachen über den Vorschlag von
errn Minister Schäuble: Verbot von Leerverkäufen und
hnliches. Das freut mich besonders. Wenn ich nämlich
ie Koalitionsfraktionen und den Staatssekretär im Fi-
anzministerium anschaue, muss ich an die Sitzung des
2462 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Carsten Sieling
Finanzausschusses gestern Morgen denken, in der man
noch beim Thema des Verbots von Leerverkäufen gezö-
gert und sich seitens der Koalitionsfraktionen sehr kri-
tisch geäußert hat. Da ist offensichtlich einiges passiert.
Der Minister scheint ein Machtwort gesprochen zu ha-
ben; da kann man sich freuen.
Kollege Poß ruft es richtigerweise herein: Man darf
sich fragen, ob sich Herr Schäuble am Ende durchsetzen
wird oder ob es wie beim Ankauf der CDs mit den Daten
zu Steuerbetrügern sein wird, dass hinterher Herr Kauder
und die Fraktion kommen und so etwas unterbinden wol-
len.
Ich bin gespannt, wie weit der Minister wirklich kommt.
Ich darf an dieser Stelle auch sagen wir müssen das
so diskutieren , dass bei diesen Vorschlägen nicht nur
die Fraktionen von CDU/CSU und FDP ein Problem
sein werden, sondern parallel
Das fragt man sich. Er hört gar nicht zu, damit er sich
hinterher nicht auf irgendetwas beziehen muss. Dieses
Mal hat die FDP wieder parallel einen Vorschlag ge-
macht, dieses Mal in Form von Herrn Brüderle: Parallel
zu den Vorschlägen von Herrn Schäuble hat er eigene
Vorstellungen vorgelegt.
Handelsblatt Online hat das sofort richtig eingeordnet:
Brüderle will in Schäubles Ressort wildern.
Das ist die Wahrheit.
Jetzt müssten Sie kommen und entsprechend der Sprach-
regelung des Finanzministeriums sagen: Nein, nein, das
ist nur ein Stück Ideenwettbewerb.
Das ist kein Ideenwettbewerb; das ist das Tollhaus Bun-
desregierung, das wir immer wieder erleben. Die eine
Hand weiß nicht, was die andere Hand will.
Da muss man sich keinen Mut machen, Kollege
Michelbach. Die Angelegenheit ist traurig, weil es auch
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as macht Bundeswirtschaftsminister Brüderle? Er re-
et auch über die Frage der Leerverkäufe,
hematisiert mangelnde Transparenz, ruft nach der EU
nd fordert eine Ausweitung der EU-Meldepflicht.
Wir wissen um die Situation bei den Leerverkäufen.
arüber muss man nicht reden; man muss das Verbot an-
ehen.
ch habe die Sorge, mit diesem Wirtschaftsminister und
er FDP bleibt das Zockerkasino geöffnet. In dieser
undesregierung geht es weiter jeder gegen jeden.
Es geht um ungedeckte Leerverkäufe. Ich konnte nicht
ntnehmen, dass Minister Brüderle nicht auch diese un-
edeckten Leerverkäufe mit seinen Vorschlägen meint.
ielleicht wird uns gleich der Kollege von der FDP auf-
lären können, wenn er schon darüber informiert ist. Ich
in gespannt, was sich dort entwickelt.
Es geht hier um ein Thema, bei dem wir in der Tat
eine Zeit haben. Damit kommen wir zum nächsten
unkt. Bundesfinanzminister Schäuble kündigt Vor-
chläge an, die er im Sommer in einer Kabinettsvorlage
orlegen will. Ich finde, das ist zu spät. Es dauert zu
ange, bis das kommt. Es ist zwar typisch, dass Sie die
ahl in Nordrhein-Westfalen abwarten, aber das muss
icht sein.
Meines Erachtens muss man Druck machen. Es sind
ber nicht nur der Bundeswirtschaftsminister und der
undesfinanzminister, die sich hierzu äußern, sondern
uch das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner
chon gesagt Ministerin Aigner. Sie ist die Dritte im
unde dieser Chaosregierung, wo jeder das sagt, was
hm gerade einfällt.
Das ist nicht falsch. Frau Aigner tut mir allerdings in
er Tat leid; denn sie arbeitet seit fast einem Jahr an die-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2463
)
)
Dr. Carsten Sieling
sem Thema und versucht, Vorschläge zu machen. Sie
macht eine Verbraucherkonferenz nach der anderen, aber
es kommt nichts dabei heraus. Es kommt nichts Vernünf-
tiges auf den Tisch, sondern es werden nur Vorschläge
zu Produktinformationsblättern und Ähnlichem ge-
macht, die mit fachlichen Fehlern versehen sind man
denke nur an die Berichterstattung der letzten Tage und
von den Banken nicht übernommen werden. Nur zwei
Institute, die Deutsche Bank und ING-DiBa, haben das
aufgegriffen. Das ist nichts als heiße Luft.
Frau Staatssekretärin, legen Sie einen Gesetzentwurf
vor, statt nur Tagungen zu machen und Konzepte zu er-
stellen. Wir brauchen eine Reihe von Maßnahmen, die
wir wirksam umsetzen können.
Zum Antrag der Linken hat Kollege Flosbach gesagt,
er könne mehreres darin unterschreiben. Dem kann ich
mich anschließen. Der Antrag enthält viele Punkte, die,
glaube ich, in der jetzigen Debatte allgemeingültig sind.
In dem Antrag ist ein Katalog von Maßnahmen, wie sie
die Verbraucherverbände richtigerweise fordern, zusam-
mengeschrieben worden. Darin finden sich viele richtige
Punkte.
Ich glaube aber, es wird jetzt darauf ankommen, dass
wir uns auf die wirklich wichtigen und zentralen Dinge
konzentrieren. Das sind aus meiner Sicht vier Punkte,
die man beachten muss.
Wir brauchen erstens eine klare Regulierung in den
entsprechenden Bereichen. Dazu liegen, wie gesagt, ent-
sprechende Vorschläge vor. Der graue Kapitalmarkt
muss eingeschränkt werden. Wir brauchen klare Bera-
tungsprotokolle. Die Finanzaufsicht muss verbessert
werden.
Dazu muss ich übrigens sagen, Kollege Flosbach:
Schauen Sie sich an, was Minister Schäuble vorgelegt
hat! Sie haben gesagt, die BaFin komme dafür nicht in-
frage. Der Minister hat ausweislich der Berichterstattung
über den Vorschlag durchaus verschiedene Verstärkun-
gen durch die Finanzaufsicht bzw. die BaFin formuliert.
Das geht ziemlich ins Detail.
Es sollen sogar die Anlageberater durch die BaFin kon-
trolliert werden.
Machen Sie sich erst einmal klug, was im Ministe-
rium angedacht wird, und bringen Sie es mit dem zusam-
men, was Sie hier sagen. Das ist an dieser Stelle notwen-
dig.
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Gehen wir einmal darauf ein. Kollegin Lay, Sie haben
orhin behauptet, in Bezug auf die Regulierung der
inanzmärkte seien von der Bundesregierung keine
urchgreifenden Schritte unternommen worden. Ich
uss darauf hinweisen: Das entspricht nicht der Realität.
itte nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Verbraucher-
chutz in der christlich-liberalen Koalition sehr wohl
ine Vorreiterrolle spielt, und zwar die Vorreiterrolle, die
er Verbraucherschutz in den letzten elf Jahren nicht in-
ehatte.
Wir waren es, die bereits Anfang 2007 gefordert ha-
en, die Zersplitterung der europäischen Bankenaufsicht
u beenden.
2464 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Erik Schweickert
Ja, so ist es. Die Wahrheit tut manchmal weh, auch
der SPD. Wir haben durchgesetzt, dass wir die einheitli-
che Finanzaufsicht jetzt in Deutschland umsetzen wer-
den. Die Zersplitterung, die zu dem Chaos geführt hat,
wird also jetzt von uns beseitigt, nicht von Ihnen, die Sie
immer so tun, als ob Sie in den letzten Jahren nicht an
der Regierung gewesen seien.
Im Antrag steht außerdem, dass wir einheitliche Risi-
koklassen wollen. Ich muss sagen: In diesem Punkt ist
der Antrag gut. Das gilt für alle Punkte, die Sie von der
FDP abgeschrieben haben. Wir fordern das nämlich
schon länger.
Von daher muss ich sagen: Schauen wir uns doch einmal
an, was Sie tun. Was Sie vergessen, ist: Für uns ist Ver-
braucherschutz ein Bürgerrecht. Die FDP ist die Bürger-
rechtspartei in Deutschland, und deswegen setzen wir
uns dafür ein.
Jeden Tag? Ich merke es jede Stunde, Frau Tackmann.
Ich gestehe, dass auch in dieser Bundesregierung
noch nicht alles paletti ist.
Ich weiß, dass wir noch etwas tun müssen. Aber wir ha-
ben in vier Monaten mehr getan, als Sie in elf Jahren je-
mals hinbekommen haben.
Es geht um einen effizienten Verbraucherschutz. Das
heißt, wir wollen nicht mehr Auflagen und nur Beweis-
pflichten einführen, die den Verbrauchern nichts brin-
gen. Ich möchte keine 20-seitigen Protokolle haben, in
denen sich die Banken dann absichern.
Ich habe lieber ein Blatt, eine Seite im Sinne des Ver-
brauchers. Das ist besser als viel Bürokratie, die von der
einen Seite gefordert wird.
Beipackzettel sind effizient, wenn wir branchenweit
einheitliche Risikoklassen haben. Dann haben wir Ver-
gleichbarkeit und Transparenz. Das macht dann auch
eine gesetzliche Regelung überflüssig. Lassen Sie uns
nun einen Schritt nach vorne machen, um in diesem Be-
reich etwas zu erreichen.
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Hören Sie bitte zu, Herr Sieling. Ich sage auch das
eine ich vollkommen ernst : Ich glaube, die Banken
aben immer noch nicht verstanden, was sie vielen Ver-
rauchern und dem Steuerzahler angetan haben.
ei vielen ist diese Erkenntnis noch nicht reif. Das heißt,
ir Politiker müssen dafür sorgen, dass die Banken den
erbraucher nicht zum Spielball machen und dass sich
o ein Desaster wie mit den Lehman-Zertifikaten nicht
iederholt.
Wir brauchen gute Regelungen. Zu guten Regelungen
ehört aber auch, dass wir schlechte Beratung nicht zu-
assen dürfen. Es kann doch nicht sein, dass ich zum Ba-
ken von Brötchen einen Meisterbrief brauche, für den
ertrieb von Finanzprodukten ist das aber vollkommen
gal. Aus diesem Grund sagen wir: Qualifikation, Regis-
rierung und Berufshaftpflicht für die Branche sind ein
austein, den wir für mehr Verbraucherschutz einbrin-
en wollen.
Wir werden die Ausweitung des Verbraucherinforma-
ionsgesetzes auf den Bereich der Finanzaufsicht unter-
tützen.
Zum Antrag der Linken sage ich Ihnen aber: Sie be-
ehen einen Denkfehler, und zwar einen gravierenden.
eswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
enn Sie nämlich eine Verlängerung der Verjährungs-
risten für Falschberatung auf 30 Jahre fordern, dann
rage ich mich, welche Maßstäbe Sie für Falschberatung
nsetzen. Wer kann denn die Dividende einer Aktie oder
en Kurs einer Anleihe in 30 Jahren voraussagen? Das
eht nicht.
as können Sie vielleicht für Altersvorsorgemodelle
achen. Es wäre kontraproduktiv, dem Verbraucher vor-
ugaukeln, dass er 30 Jahre Sicherheit hat.
esonders problematisch ist, dass Sie das Ganze mit der
eweislastumkehr koppeln. Was würde denn dann pas-
ieren? Die Banken würden alle ihre Finanzprodukte in
ie höchste Risikoklasse einordnen. Das müssen sie,
enn sie ordentlich wirtschaften wollen, weil sie keine
0 Jahre vorausschauen können. Aus diesem Grund ist
ie Kombination dieser beiden Maßnahmen absolut un-
ealistisch. Damit tun Sie dem Verbraucherschutz nichts
utes.
Unsere Vorschläge gehen weiter. Wir wollen transpa-
ente und verständliche Produktinformationen, einheitli-
he Beipackzettel und Informationen für den Verbrau-
her über Provisionen. Gleichzeitig wollen wir mehr
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2465
)
)
Dr. Erik Schweickert
Wettbewerb zwischen den Ratingagenturen. Ein doppel-
tes Rating sollte dazu führen, dass man unabhängig von
nur einer Ratingagentur wird. Das sind unsere Punkte,
um im Verbraucherschutz voranzukommen. Nach unse-
rem Modell soll der Verbraucher frei entscheiden, wie er
sein Geld anlegt. Nicht der Staat sollte vorgeben, wel-
ches Produkt gut oder schlecht ist. Wir wollen diese An-
gebotsvielfalt, und dafür werden wir uns auch einsetzen.
Wir wollen keine Bevormundung, wie Sie es wollen,
sondern wir wollen Transparenz. Wir wollen keine
Schaufensterpolitik, wie sie in Ihrem Antrag zum Aus-
druck kommt, sondern effizienten Verbraucherschutz,
der die Verbraucher in die Lage versetzt, ihre Anlageent-
scheidung auf der Basis umfassender Informationen zu
treffen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es gibt keinen Zweifel in diesem Haus, dass
beim Thema Anlegerschutz Handlungsbedarf besteht.
Da genügt ein Blick in die Presse der letzten Wochen:
Bankentest der Stiftung Warentest, Verbraucherzentrale
NRW stellt den Banken ein mieses Zeugnis beim Bera-
tungsprotokoll aus. Die aktuelle Wirtschaftswoche titelt:
Legt die Banken an die Kette! Wir alle kennen die
volkswirtschaftlichen Schäden, die Falschberatung und
spektakuläre Pleiten wie die von Lehman, Göttinger
Gruppe oder Phönix ausgelöst haben. Diese Debatte ist
also überfällig, und bei allen Zweifeln, die man an ein-
zelnen Forderungen im Antrag der Linken haben kann
ich nenne den Produkt-TÜV oder die Verbraucher-
schutzbehörde , benennen sie doch die richtigen Pro-
bleme: unregulierter grauer Kapitalmarkt, Provisions-
system, Verkaufsdruck, mangelnde Regulierung bei
bestimmten Produkten. Das heißt, die Themen sind be-
nannt, aber wie so oft von der Opposition und nicht von
den Fraktionen, die hier im Haus die Mehrheit haben,
oder gar von der Regierung.
Die Regierung zieht es vor, mit dem Gesetzgeber über
Pressemitteilungen zu kommunizieren. Das kann ich gut
verstehen; denn Pressemitteilungen müssen nicht durch
das Kabinett und nicht durch den Koalitionsausschuss.
Sie wollen uns mit Überschriften abspeisen, wohingegen
die Bürger und auch die betroffene Branche Konzepte
erwarten. Ich bin sehr gespannt auf den Ideenwettbe-
werb, den Herr Brüderle, Herr Schäuble und vielleicht
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Sie sprechen von Ideen. Normalerweise sind Ideen et-
as Neues. Aber die Ideen, die uns Herr Schäuble in der
resse mitgeteilt hat, sind eigentlich schon lange auf
em Ideenmarkt. 2008 hat die grüne Fraktion auf Initia-
ive meines Kollegen Gerhard Schick eine strengere Re-
ulierung des grauen Kapitalmarkts gefordert. Abge-
ehnt von FDP, CDU/CSU und SPD.
chon 2007 haben wir in den Debatten zur MiFID eine
tärkere Regulierung der geschlossenen Fonds gefordert.
bgelehnt von eben diesen drei Fraktionen. Das finden
ir sehr schade. Ich glaube, wenn man vom Ideenwett-
ewerb spricht, dann sollte man sich auch ehrlich ma-
hen und sagen, welche Initiativen in dieser Richtung
an in der Vergangenheit abgelehnt hat. Ich finde, die
undesregierung muss jetzt zeigen, ob sie mehr als gute
ressearbeit kann. Sie müssen zeigen, ob Sie die Kon-
likte mit der Branche beim Thema Provisionen, beim
hema Beweislastumkehr und beim Thema Kostentrans-
arenz aushalten. Die Frage ist doch: Was geben Insti-
ute wie die Commerzbank, die wir mit Steuermilliarden
nd mit Kapitalhilfegarantien gestützt haben, eigentlich
er Gesellschaft zurück? Ich bin sehr gespannt, wie Sie
m Ideenwettbewerb zwischen Union und FDP über das
hema Abgabe diskutieren werden.
Wenn Frau Aigner große Ankündigungen zum Thema
inanzieller Verbraucherschutz macht, dann frage ich
ich, warum man im Haushaltsentwurf diese großen Ini-
iativen mit der Lupe suchen muss.
enn man so viel Verbraucherschutz machen will, dann
üsste sich das im Haushalt wiederfinden.
Beim Thema Regulierung ist eine nüchterne Debatte
ngebracht. Im Antrag der Linken wird sehr sachlich
nalysiert. Die Union ist leider nicht so sachlich. Herr
ltmaier von der CDU/CSU spricht davon, dass wir den
ollektiven Rinderwahnsinn im Bankensektor beenden
ollen. Wenn Sie glauben, dass man Rinderwahnsinn
it Pressemitteilungen beenden kann, dann ist die Re-
ierungsbank für Schwarz-Gelb der falsche Sitzplatz.
Ich bedanke mich.
2466 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Das Wort hat nun Lucia Puttrich für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Las-
sen Sie mich zunächst eines feststellen: Es gibt einen
wesentlichen Unterschied zwischen der Opposition und
der Regierung. Die Opposition redet, die Regierung han-
delt.
Der heutige Antrag der Linken ist betitelt mit Finan-
ziellen Verbraucherschutz stärken Finanzmärkte ver-
brauchergerecht regulieren. Das klingt erst einmal sehr
vielversprechend, enttäuscht ist man dann aber umso
mehr. Einzelne Forderungen Ihres Antrags, werte Kolle-
ginnen und Kollegen, sind durchaus diskussionswürdig.
Aber in der Gesamtheit regulieren Sie nicht, sondern Sie
strangulieren.
Deutlich wird jedenfalls, dass sich unser Bild des Ver-
brauchers von Ihrem erheblich unterscheidet.
Wir setzen auf die Stärkung des Verbrauchers. Dabei
steht der gut informierte und zu selbstbestimmtem Han-
deln befähigte und mündige Verbraucher im Zentrum
unserer Politik. Sie hingegen neigen dazu, eine Vollkas-
komentalität aufzubauen.
Eine Anlage mit hoher Rendite birgt häufig ein hohes
Risiko. Die Entscheidung, ob ein Verbraucher dieses Ri-
siko eingehen will, trifft letztendlich er selbst.
Deshalb gilt: Der beste Schutz vor Fehlanlagen ist Infor-
mation. Was man nicht versteht, das sollte man auch
nicht kaufen.
Vollkommen unhaltbar ist Ihre Behauptung, dass die
Bundesregierung bis heute keine durchgreifenden Schritte
zur Ordnung der Finanzmärkte unternommen habe. Ich
darf Sie hier allein an die Finanzmarktstabilisierungsge-
setze erinnern. Genauso wenig ist es zutreffend, dass
keine bessere Regulierung für Verbraucherinnen und Ver-
braucher stattgefunden habe. Ich kann nur sagen: Sie ha-
ben hier offensichtlich eine sehr selektive Wahrnehmung.
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nd die Verjährungsfristen verlängert.
erade das Beratungsprotokoll, das seit Anfang dieses
ahres Pflicht ist, stärkt den Verbraucher, da sich damit
ehler in der Beratung konkret nachweisen lassen. Wenn
unden erklären, risikoarm anlegen zu wollen, kann am
nde der Beratung nicht der Abschluss einer hochriskan-
en Anlageform stehen. Einige Banken haben dieses Be-
atungsprotokoll als Chance und als Wettbewerbsvorteil
egriffen.
Leider gibt es darauf sind Sie eingegangen auch
issbräuche. Bei der telefonischen Anlageberatung
urden die gesetzlichen Vorgaben umgangen, indem Be-
ater zwei Anrufe tätigten. Beim ersten Telefonat gab der
erater Empfehlungen, beim zweiten Telefonat kam es
ann zur Order. In anderen Fällen ließen sich die Berater
urch Unterschrift des Kunden von der Haftung freistel-
en. Diese Entwicklung, die auch Gegenstand der Unter-
uchung der Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-West-
alen war, werden wir im Auge behalten. Wir werden
issbräuche nicht tolerieren und gegebenenfalls darauf
eagieren.
Eine weitere Verbesserung ist das Produktinforma-
ionsblatt, das den Verbraucher über die entscheidenden
erkmale eines Finanzproduktes informiert: Kosten, Ri-
iken, Laufzeit, Funktionsweise und Renditen. Der Bun-
esverband deutscher Banken hat mit der Vorstellung ei-
es einheitlichen Informationsblattes einen wichtigen
chritt getan.
er Bundesverband der Deutschen Volksbanken und
aiffeisenbanken zog am vergangenen Freitag mit der
nkündigung nach, im Frühjahr ebenfalls ein standardi-
iertes Produktinformationsblatt anzubieten.
Regen Sie sich doch nicht auf, sondern hören Sie ein-
ach einmal bis zum Ende zu! Zu Recht mahnt Bun-
esministerin Aigner jedoch ein bundesweit einheitli-
hes Produktinformationsblatt an. Ein Flickenteppich
utzt niemandem, weder dem Kunden noch dem Berater.
Deshalb werden wir auch genau beobachten, was sich
a tut. Wenn die Banken nicht mitziehen, müssen wir
otfalls gesetzlich regeln.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2467
)
)
Lucia Puttrich
Wir sind uns doch alle einig, dass wir die Finanzaufsicht
verbessern müssen. Dafür haben wir konkrete Vor-
schläge.
Der Verbraucherschutz muss als Aufsichtsziel gesetzlich
verankert werden.
Verbraucherverbände und das Bundesverbraucher-
schutzministerium sollen in die Gremien bei der Finanz-
aufsicht einbezogen werden. Verbraucherverbände sollen
die Möglichkeit eines Beschwerdeverfahrens bekommen,
mit dem die Finanzaufsicht in konkreten Fällen zum
schnellen Einschreiten aufgefordert werden kann. Das
hilft Verbrauchern sofort und effektiv. Sammelklagen
hingegen lehnen wir ab. Diese eröffnen in erster Linie ei-
nen lukrativen Markt für Anwaltskanzleien.
Die Finanzaufsicht muss die Möglichkeit haben, vor
unseriösen Produkten und Anbietern zu warnen. Im Le-
bensmittelsektor ist dies gängige Praxis. Dies muss auch
für den Finanzsektor gelten und im Wertpapierhandels-
gesetz entsprechend geregelt werden. Ein EU-Finanz-
TÜV für alle Finanzprodukte, wie die Linken ihn for-
dern, ist vollkommen unrealistisch.
Eine seriöse Bewertung von circa 800 000 Finanzpro-
dukten davon sind circa 350 000 Zertifikate allein
auf dem deutschen Markt ist überhaupt nicht zu leisten.
Hinzu kommt, dass Bewertungen von heute aufgrund
sich verändernder wirtschaftlicher und politischer Rah-
menbedingungen schon morgen falsch sein können.
Stichproben hingegen sind selbstverständlich sinnvoll.
Wichtig ist für uns außerdem, dass freie Finanzver-
mittler ihre Qualifikation künftig nachweisen, sich regis-
trieren lassen und eine Haftpflichtversicherung abschlie-
ßen müssen.
Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zum
grauen Kapitalmarkt sagen. Der graue Kapitalmarkt darf
keine Grauzone sein. Deshalb begrüßen wir, dass Fi-
nanzminister Schäuble im April einen Gesetzentwurf
vorlegen wird, der sich konkret mit der Verschärfung der
Anforderungen an die Beratung und Vermittlung beim
Vertrieb von Produkten des grauen Kapitalmarkts be-
fasst.
Beratungsprotokolle werden dann auch dort Pflicht. Die
Regelung für Wertpapiere war ein guter Anfang, reicht
aber nicht aus. Wir begrüßen, dass in dem Gesetzentwurf
auch mehr Transparenz bei Provisionen vorgesehen ist.
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o viele Regeln wie möglich und so wenig Eigenverant-
ortung wie nötig das scheint dabei die Devise zu
ein. Damit helfen Sie den Verbrauchern nicht, sondern
amit entmündigen Sie sie.
eshalb lehnen wir den Antrag ab.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/887 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
edoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP
ünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
raktion Die Linke wünscht Federführung beim Aus-
chuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
chutz.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
raktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim
usschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
herschutz. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
chlag der Linken? Wer stimmt dagegen? Enthaltun-
en? Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
on CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von
inken und Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
chlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, also
ederführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für
iesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen?
nthaltung? Der Überweisungsvorschlag ist mit den
leichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenom-
en.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Beate Müller-Gemmeke,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ELENA aussetzen und Datenübermittlung
strikt begrenzen
Drucksache 17/658
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Federführung strittig
2468 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Konstantin von Notz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit dem 1. Januar 2010 werden mit dem so-
genannten elektronischen Entgeltnachweis, kurz: ELENA,
die Daten von über 30 Millionen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern zentral gespeichert und verwaltet.
Wir sprechen hier heute Abend über den Antrag meiner
Fraktion, ELENA umgehend auszusetzen und ganz
grundlegend zu überarbeiten. Das ist auch zwingend not-
wendig;
denn in der vorliegenden Form ist ELENA zu bürokra-
tisch und intransparent und erhebt zu viele Daten ohne
ausreichende Sicherheitsvorkehrungen. Das Fazit:
ELENA ist auch in der Fastenzeit zu datenhungrig und
muss ordentlich abspecken.
Es stimmt: ELENA selbst gingen rot-grüne Überle-
gungen zur sogenannten Jobkarte voraus. Ziel war es,
Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung zu er-
langen. Aber man kann eben auch gute Ideen schlecht
umsetzen. Genau so ist es mit diesem Gesetz: ELENA
ist gut gemeint, aber schlecht gemacht.
Dass das so ist, werden Sie alle, die hier zu dieser späten
Abendstunde sitzen, selbst erfahren; denn es kommen
viele kritische Briefe und Beschwerden von Bürgerinnen
und Bürgern, von kleinen und mittleren Betrieben. Es
besteht eine große Unsicherheit bei Arbeitnehmern, aber
auch bei Arbeitgebern.
Zugleich hat die sogenannte ELENA-Petition, die die
sofortige Aufhebung fordert, 27 500 Zeichnerinnen und
Zeichner gefunden. Diese teilen ihre Sorge bezüglich
dieses Datenmonsters mit Datenschützern, Gewerk-
schaften und Arbeitgeberverbänden, die alle sofortige
Nachbesserungen fordern.
Die Grundprobleme sind trotz einiger kleiner kosme-
tischer Überarbeitungen im Dezember, also kurz vor In-
krafttreten von ELENA, nicht gelöst:
Daten von Millionen von Menschen werden anlasslos
erhoben. Ob und wie all die erhobenen Daten jemals
Verwendung finden, ist im Einzelfall völlig offen.
ELENA ist intransparent. Im Gesetz selbst ist nicht
eindeutig festgelegt, was nach den Grundsätzen der
Zweckbindung, der Erforderlichkeit und der Datenspar-
samkeit gespeichert werden darf. Das allein ist ein Ver-
stoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und ist deswe-
gen inakzeptabel.
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Nach den vielen Skandalen mit Beschäftigtendaten in
er jüngsten Vergangenheit steht es uns wirklich gut an,
ei dieser zentralen Datensammlung kritisch innezuhal-
en, das Gesetz zurückzunehmen, ELENA zurückzuho-
en und das große Missbrauchspotenzial, das bei dieser
entralen Datenspeicherung gegeben ist, zu beseitigen.
ir fordern deswegen eine Stärkung des informationel-
en Selbstbestimmungsrechts. Es ist erforderlich, dass
ich die Betroffenen jederzeit über die Daten über sie,
ie weitergegeben werden, informieren können. Gegen
alsche oder negative Informationen, die weitergegeben
erden, müssen sich die Betroffenen rechtlich effektiv
ur Wehr setzen können. Außerdem brauchen wir eine
onkrete Einschätzung der Kosten, die durch ELENA
ntstehen. Auch dort bestehen große Verunsicherungen.
LENA erfüllt all diese Anforderungen heute nicht, und
eswegen brauchen wir die umgehende Aussetzung.
Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen folgenden Gedan-
en mitgeben das jüngste Bundesverfassungsgerichts-
rteil hat sich zur anlasslosen Datenspeicherung geäu-
ert; ich darf Ihnen diese zwei Sätze noch vorlesen :
Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit einer
vorsorglich anlasslosen Speicherung der Telekom-
munikationsverkehrsdaten setzt voraus, dass diese
eine Ausnahme bleibt.
Durch eine vorsorgliche
Speicherung der Telekommunikationsverkehrsda-
ten wird der Spielraum für weitere anlasslose Da-
tensammlungen
wie ELENA
auch über den Weg der Europäischen Union erheb-
lich geringer.
Sie hören also, meine Damen und Herren: Für anlass-
ose Datenerhebungen sind die Spielräume sehr eng, zu
ng für ein so unausgegorenes Gesetz.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kai Wegner für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
r. Notz, wir beraten heute in der Tat einen Antrag Ihrer
raktion zum sogenannten ELENA-Verfahren. Ich bin
ehr froh, dass Sie diesen Antrag gestellt haben, weil ich
ie nächsten Minuten nutzen möchte, Fakten darzulegen
nd auch auf einige Kritikpunkte, die Sie in Ihrem An-
rag formuliert haben, einzugehen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2469
)
)
Kai Wegner
Bürokratie kostet Zeit, und Bürokratie kostet Geld. Es
kostet Zeit und Geld für die Bürgerinnen und Bürger,
aber es kostet auch Zeit für die Unternehmerinnen und
Unternehmer und natürlich auch für die öffentliche Ver-
waltung selbst. Wir wissen alle: Unnötige Formalien
bremsen jegliche wirtschaftliche Betätigung.
Deshalb wird die christlich-liberale Bundesregierung
Bürokratie abbauen und die Bürokratiekosten deutlich
senken. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg bleibt
auch weiterhin die Einführung des elektronischen Ent-
geltnachweises, kurz: ELENA. Das Gesetz über das Ver-
fahren des elektronischen Entgeltnachweises ist und
bleibt ein wichtiger Meilenstein zum Abbau bestehender
Bürokratie und ist gleichzeitig ein deutliches Signal für
ein Mehr an Innovationen.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Bürgerin-
nen und Bürger sowie die Unternehmen in unserem
Land Anspruch darauf haben, dass staatliche Aufgaben
in hoher Qualität, serviceorientiert und effizient erfüllt
werden. Daher müssen wir sukzessive bestehende Inno-
vationspotenziale für eine bessere Verwaltung nutzen.
Genau das, meine Damen und Herren, ist das Anliegen
von ELENA.
Rund 3 Millionen Arbeitgeber stellen Jahr für Jahr
etwa 60 Millionen Bescheinigungen in Papierform aus.
Diese Nachweise benötigen die Beschäftigten, um ge-
genüber öffentlichen Stellen die Voraussetzungen für
den Bezug einer bestimmten Leistung nachweisen zu
können. Zwischen der elektronischen Personalverwal-
tung des Arbeitgebers und der elektronischen Sachbear-
beitung in den Behörden klafft eine Riesenlücke, die
weiterhin durch den traditionellen Informationsträger
Papier überbrückt wird. Dieser Medienbruch wird durch
das ELENA-Verfahren beseitigt. Mit dem ELENA-
Verfahren werden die heute schon in Papierform not-
wendigen Bescheinigungen der Arbeitgeber für die Be-
antragung von Sozialleistungen durch elektronische
Meldungen an die Deutsche Rentenversicherung Bund
ersetzt.
Mit der erstmaligen Meldung der Beschäftigtendaten
durch die Arbeitgeber, die mit dem 1. Januar dieses Jah-
res begann, werden zunächst nur Daten elektronisch er-
hoben und eingepflegt. Ab 2012 sollen dann insgesamt
fünf Bescheinigungen, die für die Beantragung von drei
Sozialleistungen, nämlich Elterngeld, Wohngeld und
Arbeitslosengeld I, erforderlich sind, elektronisch ersetzt
werden. Das hat zur Folge, dass Anträge auf Sozialleis-
tungen zukünftig wesentlich einfacher und schneller be-
arbeitet werden können, und das, meine sehr verehrten
Damen und Herren, ist unser Ziel.
Die Ermittlungen des Normenkontrollrats haben erge-
ben, dass alleine durch das papiergebundene Verfahren
für die Beantragung und Berechnung der circa 6,5 Mil-
lionen Arbeitsbescheinigungen, die allein für das
Arbeitslosengeld I erforderlich sind, der Wirtschaft jähr-
lich Bürokratiekosten in Höhe von rund 100 Millionen
Euro entstehen. Insbesondere die kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen sind durch das Ausstellen dieser
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Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Doris Barnett für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
st schon erstaunlich: Vor knapp acht Jahren es wurde
chon darauf hingewiesen haben wir während der rot-
rünen Regierungszeit den Grundstein für ELENA ge-
egt; damals hieß sie allerdings noch Jobcard. Wir woll-
en Arbeitsabläufe vereinfachen und haben uns, wie ich
inde, behutsam auf den Weg gemacht. In Projektphasen
aben wir einzelne Schritte der Datenerfassung und -ver-
rbeitung für Verdienst- und Arbeitsbescheinigungen ge-
estet, Fehler eliminiert und das Verfahren optimiert, bis
ir uns sicher waren, wie wir das Verfahren endgültig
estalten wollen. Ziel war und ist nach wie vor, Büro-
ratie abzubauen und Kosten einzusparen, aber auch,
ass der Arbeitnehmer schneller zu seinen Leistungen
ommt.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man ein gu-
es Gesetz immer noch besser machen kann. Aber wir
lle wissen: Warten wir darauf, bis ein Gesetz absolut
erfekt ist, dann warten wir auf den Sankt Nimmerleins-
ag. Aber nach acht Jahren war letztes Jahr der Zeitpunkt
ekommen, um das Gesetz in Kraft treten zu lassen. Ih-
en Optimierungsbemühungen blicken wir nun gespannt
ntgegen.
Dennoch verlangen jetzt die Grünen, das ELENA-
erfahren 40 Tage nach dem Start auszusetzen. Vor dem
tart von ELENA war bekannt geworden, dass in dem
om Arbeitgeber auszufüllenden Erfassungsbogen ne-
en bisher üblichen Angaben auch Zeiten angegeben
erden sollten, in denen gestreikt oder ausgesperrt
urde. Das war neu und so nicht vorgesehen. Wir Abge-
rdnete hatten das seinerzeit weder bei der Jobcard noch
ei ELENA auch nur angedacht. Deshalb wurden diese
atensätze bereits am 15. Dezember letzten Jahres vom
rbeitskreis ELENA zu Recht aus dem Verfahren ent-
ernt. Ich halte deshalb fest: Die Angabe von Streik- und
ussperrungstagen ist nicht mehr vorgesehen und wird
uch ab dem Start von ELENA nicht mehr erhoben.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es das Verfahren,
nlasslose Daten für längere Zeit zu speichern, auch bei
nderen Verfahren in der Sozialversicherung gibt. In die-
er Hinsicht ist ELENA nicht einzigartig.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2471
)
)
Doris Barnett
Die Grünen haben zwar in ihrer Begründung nochmals
ausdrücklich auf die Speicherung der Streikdaten hinge-
wiesen; aber das ist aufgrund der Tatsache, dass der An-
trag erst am 9. Februar gestellt wurde, populistisch und
baut einen Popanz auf.
So wird verlangt, dass der Beschäftigte auf Wunsch mit-
geteilt bekommt, welche Informationen der Betrieb an
die zentrale Speicherstelle übermittelt.
Andersherum gesagt: Die Grünen unterstellen, dass die
Beschäftigten im Dunkeln gelassen werden. Ein Blick
ins Gesetz hätte aber genügt, um festzustellen, dass ein
solcher Anspruch längst besteht und garantiert ist, näm-
lich in § 103 SGB IV. Jeder Teilnehmer des ELENA-
Verfahrens hat selbstverständlich Anspruch, Auskunft
über die über ihn gespeicherten Daten zu erhalten. Viel-
leicht würde auch ein Blick auf die vom Arbeitgeber re-
gelmäßig ausgestellte Gehaltsbescheinigung reichen;
denn dort wird darauf hingewiesen, dass die in der Ge-
haltsabrechnung angegebenen Daten an die zentrale
Speicherstelle weitergegeben werden.
Es trifft zu, dass der Arbeitgeber nach dem bisherigen
Papierverfahren erst zu dem Zeitpunkt eine Arbeitsbe-
scheinigung ausstellt, die für einen Wohnberechtigungs-
schein, für Wohngeld, Arbeitslosengeld usw. benötigt
wird, wenn der Arbeitnehmer zu ihm kommt und einen
solchen Entgeltnachweis verlangt. Für ELENA sind mo-
natlich vom Arbeitgeber weiterzuleitende Daten vorge-
sehen, die zum großen Teil identisch sind mit denen, die
auch an die Sozialversicherungsträger gehen. Das regelt
unter anderem der § 97 SGB IV. Aufgrund der gespei-
cherten Daten benötigt der Arbeitnehmer zukünftig nicht
mehr den Gang zum Arbeitgeber, wenn er eine Arbeits-
bescheinigung braucht. Er muss also keine Gründe mehr
angeben, wofür er die Bescheinigung braucht, weil er di-
rekt zur entsprechenden Stelle gehen kann und dort nach
dem Vieraugenprinzip die Bescheinigung erstellt wird.
Im Sinne der Wahrung des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung ist das ein großer Fortschritt.
Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
braucht der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin nicht
mehr als Bittsteller aufzutreten und für eine Entgeltbe-
scheinigung anzustehen. Das heißt aber nicht, dass keine
Angaben mehr zum Kündigungsgrund zu machen sind.
Eine Kündigung aus in der Person liegenden Gründen ist
regelmäßig wertend. Sie war und bleibt Grundlage für
mögliche Sperrzeiten, die von der Arbeitsagentur ver-
hängt werden. Insoweit kann auf diese Daten gar nicht
verzichtet werden, außer man will zukünftig ganz auf
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nd deshalb keine Papierbescheinigungen mehr ausge-
tellt werden können, könnte man im ersten Augenblick
einen, dass diese Forderung nützlich ist. Aber der Au-
enblick verfliegt, und man weiß, dass seit 2006, also
etzt im fünften Jahr, alle Betriebe verpflichtet sind, den
ozialversicherungen die Daten ihrer Beschäftigten
lektronisch zu melden.
Bis zum Beginn dieses Jahres haben die Krankenkas-
en bei schätzungsweise 1 500 kleinen Betrieben von
en über 3 Millionen in unserem Land, die die Daten
um Teil über ihre Steuerberater oder ihre Lohnsteuerbü-
os weitergeleitet haben, die Weiterleitung in Papierform
ontra legem zugelassen. Mit dieser Ausnahme ist jetzt
llerdings Schluss. Mit dem Beginn von ELENA, die
eil der sv.net-Datenmaske ist, müssen jetzt alle Be-
riebe elektronisch weiterleiten. Wer glaubt, sich unter
inweis auf Kosten und Arbeitsbelastung im Zusam-
enhang mit der Erfassung der ELENA-Daten weiterhin
uch der elektronischen Erfassung der Daten für Kran-
enkassen und Rentenversicherungen entziehen zu kön-
en, wird recht schnell merken, dass es dafür kein
erständnis mehr gibt. Ausnahmen ziehen weitere Aus-
ahmen und immer auch Kosten nach sich. Deshalb Vor-
icht bei Ausnahmen!
Ich frage an dieser Stelle die Grünen, ob sie allen
rnstes Klientelpolitik für 1 500 Betriebe betreiben wol-
en, da das doch eigentlich eine FDP-Spielwiese ist.
Die Betriebe bzw. deren Steuerberater und Lohnsteu-
rbüros bekommen das Meldeprogramm für die Daten
ostenlos vom sv.net zur Verfügung gestellt. In diesem
ostenlosen Meldeprogramm für die Sozialversicherun-
en ist auch der Datensatz für ELENA enthalten. Hier
at die Ersterfassung der Daten zu erfolgen. Das ist zwar
mmer mühsam, aber wir erfinden das Rad doch nicht
tändig neu.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Urteil
es Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeiche-
ung zum Schluss noch einen wichtigen Hinweis geben.
ort wurde festgestellt, welche Instrumente zur Gewähr-
eistung der Datensicherheit gegeben sein sollten. Das
ind: getrennte Speicherung, asymmetrische Verschlüs-
elung, Vieraugenprinzip verbunden mit einem fort-
2472 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Doris Barnett
schrittlichen Verfahren zur Authentifizierung für den
Zugang zu den Schlüsseln und revisionssichere Proto-
kollierung von Zugriff und Löschung. Alle diese Vorga-
ben beachtet ELENA. Sie ist also auf der Höhe der Zeit
und deshalb ein Vorbild für andere Verfahren. Aus die-
sem Gunde darf ELENA nicht ausgebremst werden. Das
Verfahren ist anzuwenden, nicht zuletzt im Interesse der
Beschäftigten. Deshalb lehnen wir den Antrag der Grü-
nen ab.
Das Wort hat nun die Kollegin Claudia Bögel für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Griechischen bedeutet Helena: die Strah-
lende, die Leuchtende. Man könnte meinen, der Name
ELENA sei davon abgeleitet; doch weit gefehlt. ELENA
bedeutet elektronischer Entgeltnachweis, was die Sache
entmystifiziert. Dennoch, Helena war eine maßgebliche
und nicht unbedingt positiv besetzte Figur in der Ge-
schichte des Trojanischen Krieges. Was könnte das für
ELENA bedeuten? Licht und Schatten zugleich? Eines
ist klar: ELENA, die erst vor knapp zwei Monaten auf
den Laufsteg geschickt wurde, kann noch nicht jeden
Schritt richtig machen und alle Zuschauer und Beteilig-
ten im Lande restlos entzücken.
Die Bundesregierung verfolgt mit dem Verfahren das
Ziel, die Kosten der Unternehmen für Bürokratie deut-
lich zu senken. Bis Ende 2011 sollen sie eine Entlastung
um 25 Prozent erfahren.
Das ist ein hehres Ziel, und ELENA, um im Bild zu blei-
ben, soll eine Lichtgestalt dieses Vorhabens werden.
Seit dem 1. Januar 2010, seit Inkrafttreten der ersten
Stufe des Gesetzes, sind die Arbeitgeber verpflichtet, die
Entgeltdaten ihrer Beschäftigten monatlich in Form ei-
nes elektronischen Datensatzes zu übermitteln. Ziel ist
es, die Arbeitgeber nachhaltig von der Ausstellung der
unterschiedlichen Bescheinigungen in Papierform zu
entlasten. Im ersten Schritt gilt das für die Leistungsab-
rechnungen bei Arbeitslosen-, Wohn- und Elterngeld.
Ab 2015 ist eine vollständige Abdeckung aller Arbeitge-
berbescheinigungen geplant. ELENA soll die Beantra-
gung und Bewilligung von Sozialleistungen und das Be-
scheinigungswesen vereinfachen und beschleunigen.
Seit zwei Monaten sind 600 000 Arbeitgebersendungen
gezählt worden, von denen bereits 85 Prozent verarbeitet
wurden. So viel zur Lichtgestalt ELENA.
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ier möchte ich ansetzen. Die Kritik an ELENA, die in
em vorliegenden Antrag der Kollegen von Bündnis 90/
ie Grünen vorgebracht wird, geht im Wesentlichen in
ie gleiche Richtung: Datenschutz und Belastung der
leinen und mittelständischen Unternehmen. Der Daten-
chutz ist ein hochsensibles Thema. Gerade meine Partei
at immer ein besonderes Augenmerk darauf.
aher möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hin-
eisen, dass auf das Drängen der FDP die zuständige
undesministerin den Umfang der zu erhebenden Daten
wischenzeitlich korrigiert hat.
eine Fraktion hat sich gegenüber der Bundesregierung
uch dafür stark gemacht, die Erforderlichkeit der erho-
enen Daten weiterhin strengstens zu prüfen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang deutlich
arauf hinweisen, dass wir mit der Entscheidung des
undesverfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeiche-
ung sehr zufrieden sind.
ch möchte sagen: Ein sozialistischer Unrechtsstaat wie
ie DDR mit einer Partei wie der SED hätte über die
öglichkeiten, wie sie heute gegeben sind, sicherlich
rohlockt. Speicherungen von intimsten Daten, ja sogar
eruchsproben waren, wie wir wissen, an der Tagesord-
ung. Sozialismus macht eben nicht nur arm, sondern
uch unfrei. Dieses Kapitel haben wir, Gott sei Dank, für
nser Land abgeschlossen.
Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie. Seien
ie sicher: Meine Fraktion wird sich vehement gegen
edwede Freiheitsbeschränkung auflehnen.
enau daher sehe ich es als eine Selbstverständlichkeit
n, dass der Arbeitnehmer ein vollständiges Recht auf
elbstauskunft hat. Technische Schwierigkeiten, die dies
urzeit noch verhindern, gilt es sofort zu überwinden.
Als Beauftragte für den Mittelstand im Wirtschafts-
usschuss möchte ich den Fokus neben dem Thema Da-
enschutz vor allem auf die Reaktionen der kleinen und
ittelständischen Unternehmen lenken. Erst gestern
abe ich mit einem münsterländischen Unternehmer te-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2473
)
)
Claudia Bögel
lefoniert und ihn nach seinen Erfahrungen mit ELENA
gefragt. Seine Erfahrungen mit ELENA waren eher düs-
ter als lichterfüllt.
Die mittelständischen Unternehmen bilden das Rück-
grat der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres
Landes. Wir dürfen sie nicht durch ELENA belasten. Im
Gegenteil, in meinen Augen muss alles darangesetzt
werden, kleine und mittelständische Betriebe von Büro-
kratie zu entlasten.
Die bürokratischen Hürden für die mittelständischen Un-
ternehmen haben in den vergangenen elf Jahren mons-
tröse Formen angenommen. Unser Staat ächzt unter un-
nötiger Bürokratie, die dazu geführt hat, dass der Mittel-
stand immer weiter schrumpft. Das muss sich ändern.
Ein Schüler hat bereits vor einigen Jahren in einem
Schulaufsatz mit unfreiwilligem Humor geschrieben:
Zuerst hatten wir das Matriarchat, dann hatten wir das
Patriarchat, und heute haben wir das Sekretariat.
Leider hat er recht behalten.
Deshalb werden wir Maßnahmen ergreifen, ELENA
hübsch schlank werden zu lassen, damit sie auch für ei-
nen kleinen und mittleren Betrieb die richtige Figur ab-
gibt. Mit dem ELENA-Verfahrensgesetz sind wir auf
dem richtigen Weg. Wir haben erste Reparaturen vorge-
nommen und werden damit zu einer echten Entbürokra-
tisierung beitragen.
Lassen Sie uns ELENA weiter aufhübschen, damit sie
zur begehrten Lichtgestalt Helena wird. So können alle
Beteiligten zum Schluss rufen: Heureka!
Danke.
Frau Kollegin Bögel, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu sehr
herzlich und wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit viel
Erfolg.
Nun hat die Kollegin Petra Pau für die Fraktion Die
Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich beginne mit einem historischen Exkurs. Als geistiger
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ELENA ist ein elektronisches System, mit dem per-
önliche Daten unbekannter Menge von zig Millionen
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zentral und auf
orrat erfasst werden sollen. Ähnlichkeiten mit der Vor-
atsdatenspeicherung sind nicht zufällig. Das Bundes-
erfassungsgericht hat am 2. März 2010 geurteilt: Unbe-
timmte Vorratsspeicherungen sind verfassungswidrig.
ie Linke hält die ausufernde Speicherung von Arbeit-
ehmerdaten für verfassungswidrig. Ich muss ehrlich ge-
tehen: Ich wünsche ELENA lieber einen schnellen Ab-
esang im Bundestag als einen üblen Nachruf in
arlsruhe. Viel zu oft musste dort in letzter Zeit repariert
erden.
Es stimmt man sieht es an der langen Geschichte :
LENA führte lange ein Schattendasein, bis offenbar
urde, dass nicht nur Gehalts- und Steuerdaten zentral
espeichert werden sollen, sondern auch Daten über
rankheiten, Streikteilnahmen, Kündigungen und ande-
es mehr. Das war vor drei Monaten. Die Empörung
chwoll an, und flugs schwor die Regierung Besserung.
Ich habe nachgefragt. Ich wollte wissen: Welche Da-
en werden denn nun wirklich erhoben und zentral ge-
peichert? Vor 14 Tagen erhielt ich eine schriftliche Ant-
ort aus dem Bundesministerium für Arbeit und
oziales. Der Verfasser dieser Antwort ist jetzt leider
ier nicht anwesend. Die Antwort ist nichtssagend und
ine Missachtung des Bundestages. Außerdem ist sie
ine Irreführung der Bevölkerung. Wie die Bundesregie-
ung mit ELENA und dem Nachbesserungsbedarf um-
eht, den sie angeblich selbst erkannt hat, spricht Bände.
Nun hat heute die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
eantragt, das Vorhaben ELENA auszusetzen und die
orgesehene Datenübermittlung strikt zu begrenzen.
em wird die Fraktion Die Linke zustimmen. Aber un-
ere Forderung geht weiter. Wir wollen ein Moratorium
ür alle elektronischen Großprojekte, die datenschutzre-
evant sind.
ir wollen, dass die Bundesregierung auf den Boden
es Grundgesetzes zurückkehrt. Ein solches Moratorium
üsste ELENA betreffen, ebenso das SWIFT-Abkom-
en zur Weitergabe von Bankdaten, auch die elektroni-
che Gesundheitskarte und die Passagierdaten, die auf
immerwiedersehen in die USA verschwinden.
2474 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Petra Pau
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch
eine Rechnung: ELENA soll einen finanziellen Nutzen
von netto 85 Millionen Euro erbringen. Dafür sollen Da-
ten von 40 Millionen Bürgerinnen und Bürgern erfasst
und auf Vorrat gespeichert werden: Daten, die sich
fortan jedweder Kontrolle der Beschäftigten entziehen,
Daten, die, einmal angehäuft, große Begehrlichkeiten
wecken werden, Daten, die laut Grundgesetz einen be-
sonderen Schutz genießen. Für lumpige 2 Euro Gewinn
je Datensatz sollen also verbriefte Bürgerrechte von Mil-
lionen Bürgerinnen und Bürgern aufs Spiel gesetzt wer-
den. Wir sehen: ELENA ist ein Stiefkind des Schicksals.
Lassen wir es doch endlich ruhen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/658 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
allerdings strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen die Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen beim Innenausschuss.
Zunächst stimmen wir deshalb über den Überwei-
sungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab,
Federführung beim Innenausschuss. Wer ist für diesen
Überweisungsvorschlag? Wer ist dagegen? Enthal-
tungen? Dieser Überweisungsvorschlag ist damit abge-
lehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Wer ist für diesen Vorschlag? Wer ist dagegen?
Enthaltungen? Damit ist dieser Überweisungsvor-
schlag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-
genommen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 15 a
bis 15 c:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Europa 2020 Strategie für ein nachhaltiges
Europa
Gleichklang von sozialer, ökologischer und
wirtschaftlicher Entwicklung
Drucksache 17/882
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
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Sarrazin, Marieluise Beck , Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
EU 2020 Für ein ökologisches und soziales
Europa
Drucksache 17/898
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich sehe,
ie sind damit einverstanden. Dann werden wir so ver-
ahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin erteile
ch das Wort der Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
u sehr später Stunde diskutieren wir heute Abend über
ie Zukunft Europas.
Es ist nie zu spät, aber es wäre auch schön, wenn man
ieses Thema zu einer früheren Stunde behandeln
önnte; es wäre es jedenfalls wert.
Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geht
s jetzt um die zentralen Inhalte, um die zentrale Strate-
ie, die Europa in den nächsten zehn Jahren verfolgen
ird. Vor zehn Jahren haben wir uns mit der Lissabon-
trategie vorgenommen, Europa zum wettbewerbsfä-
igsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschafts-
aum der Welt zu machen. Heute steckt Europa in einer
irtschafts- und Finanzkrise, und wir müssen leider fest-
tellen, dass wir die Ziele der Lissabon-Strategie nicht in
ollem Umfang erreicht haben.
Dies hat viele verschiedene Ursachen. Ich nenne drei,
ie ich für wesentlich halte:
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2475
)
)
Dr. Eva Högl
Erstens. Die Lissabon-Strategie war viel zu unver-
bindlich. Die Mitgliedstaaten haben sich zwar auf Ziele
verständigt; sie haben aber diese Ziele nicht konsequent
verfolgt. Die jeweilige Politik, die sie betrieben haben
die einen haben Steuern gesenkt, die anderen haben
Steuern erhöht , haben sie am Ende mit der Lissabon-
Strategie gerechtfertigt, ohne ein einheitliches Konzept
zu haben.
Zweitens müssen wir feststellen, dass die Lissabon-
Strategie viel zu schwer verständlich und zu umständlich
war und auch aus den Berichtspflichten nicht wirklich
etwas folgte.
Das Dritte, was ich für wesentlich halte deswegen
hoffe ich, dass möglichst viele diese Debatte verfolgen ,
ist: Auch die Einbeziehung der Öffentlichkeit ist uns
nicht gelungen. Weder waren die Parlamente einbezogen
noch die interessierte Öffentlichkeit noch Wirtschafts-
verbände, Sozialpartner oder Zivilgesellschaft.
Wir müssen aus diesen Fehlern lernen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen. Deswegen fordern wir als SPD
eine neue, eine intelligente Strategie für ein nachhaltiges
und soziales Europa.
Diese Strategie muss zweierlei leisten: Sie muss helfen,
die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwin-
den, vor allem aber muss sie Perspektiven für Europa
2020 aufzeigen, und sie muss Antworten geben auf die
Herausforderungen, vor denen wir stehen. Die SPD hat
mit ihrem umfassenden Antrag ein gutes Konzept vorge-
legt. Es ist der SPD zu verdanken, dass wir heute Abend
hier hoffentlich engagiert über Europas Zukunft dis-
kutieren.
Was macht die schwarz-gelbe Bundesregierung? Die
schwarz-gelbe Bundesregierung kümmert sich nicht um
das Thema Europa. Sie war von Anfang an nicht enga-
giert und hat keine eigenen Vorstellungen in die Debatte
eingebracht. Sie reagiert nur. Wenn andere Vorschläge
machen etwa die Kommission gestern oder vorher die
spanische Ratspräsidentschaft , werden diese Vor-
schläge das können wir beobachten von der Bundes-
regierung ablehnt. Es wird immer nur reagiert. Ich
komme zum Ergebnis: Die Bundesregierung hat weder
eine Vision noch eine Strategie. Sie zeigt kein Engage-
ment und keine Verantwortung für Europa.
Die Bundesregierung verspielt damit das müssen wir
an dieser Stelle deutlich kritisieren die einmalige
Chance, dass Deutschland als größter Mitgliedstaat der
Europäischen Union die Entwicklung mitbestimmt.
Wir dagegen legen einen umfassenden Vorschlag mit
einer ganzheitlichen Strategie vor. Ich will ein paar
Punkte herauspicken: Wir wollen zurückkehren zu ei-
nem Gleichklang aus wirtschaftlicher Entwicklung,
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Deswegen sollten wir uns darauf verständigen, die Parla-
mente ernst zu nehmen und auch zu stärken.
Wir haben gute Chancen, eine neue Strategie auf den
Weg zu bringen. Wir haben eine engagierte spanische
Ratspräsidentschaft, und wir haben sogar gute Grundla-
gen durch die Kommission, auch wenn ich den Vor-
schlag im Detail kritisiere.
Die SPD zeigt mit ihrem Antrag den Weg auf, wie es
gehen kann, und macht gute Vorschläge. Die Bundesre-
gierung behindert und beteiligt uns nicht. Deswegen
sage ich: Nehmen Sie den Antrag der SPD an, nehmen
Sie das zur Richtschnur für unsere Politik in Europa!
Frau Merkel, nehmen Sie den Deutschen Bundestag
ernster und nehmen Sie Europa ernst!
Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Johann Wadephul das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es besteht in der Tat Anlass, den Oppositions-
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er Herr Staatssekretär Hintze ist im Ausschuss für die
ngelegenheiten der Europäischen Union gewesen. Be-
erkenswert ist Ihre Schweigsamkeit dort gewesen. Sie
aben nur wenige Fragen gestellt.
ie haben sich an der Diskussion im Ausschuss nicht be-
eiligt. Sich trotzdem hier im Plenum hinzustellen und zu
agen, es gebe keine Gelegenheit, mit der Bundesregie-
ung zu reden, ist schlichtweg unlauter; das muss ich zu-
ückweisen.
Zweitens. Dass Sie sich hier hinstellen und nun der
hristlich-liberalen Bundesregierung vorwerfen, dass sie
uf europäischer Ebene zu wenige Impulse gegeben hat,
inde ich in der Tat bemerkenswert.
Die Europäische Union hat nun wirklich gerade unter
er Achsenpolitik Gerhard Schröders zu leiden gehabt.
ie Europäische Union wäre nicht da, wo sie jetzt ist,
enn Helmut Kohl die Europäische Union und den euro-
äischen Gedanken in den 80er-Jahren, in einer Phase
er Lethargie, nicht wieder nach vorne gebracht hätte,
enn er nicht den Euro gemeinsam mit Theo Waigel ge-
en viele Widerstände von links durchgesetzt hätte und
enn Angela Merkel nicht diejenige gewesen wäre, die
urch viele Gespräche auf europäischer Ebene dafür ge-
orgt hat, dass der Lissabon-Vertrag letzten Endes Wirk-
ichkeit geworden ist.
Der Motor Europas sitzt also hier in der Koalition,
nd die christlich-liberale Regierung setzt ihre Europa-
olitik jetzt ganz im Sinne von Helmut Kohl fort. Dessen
ollten Sie sich besinnen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2477
)
)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schäfer?
Ja, gerne.
Herr Kollege Dr. Wadephul, sind Sie mit mir bei all
dem, was uns als Demokraten verbindet, der Meinung
hören Sie erst einmal zu , dass die einzige Achse in
der Politik des 20. Jahrhunderts die Achse Rom-Berlin-
Tokio war,
Na ja.
dass es die zentrale Absicht der Achse gewesen ist,
Krieg zu führen, und dass insbesondere die Zusammen-
arbeit von Gerhard Schröder mit dem französischen Prä-
sidenten dazu geführt hat, dass sich die Europäische
Union weitestgehend nicht an diesem illegalen Irakkrieg
beteiligt hat?
Herr Kollege Schäfer, der zweite Teil Ihrer Frage
zeigt mir, dass Sie es richtig verstanden haben: Es gehört
zu den Grundprinzipien deutscher Politik nach dem
Zweiten Weltkrieg, ein ausgezeichnetes Verhältnis zu
Frankreich zu haben. Das ist auch Politik der jetzigen
Regierung. Es war allerdings ein zentraler europapoliti-
scher Fehler der Regierung Schröder, die europäische
Politik unter Vernachlässigung kleiner Partner nur auf
diesen einen großen Partner zu verengen.
Ich halte an dieser Kritik fest.
Es war Balsam für die Seelen vieler kleinerer Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union, dass Außenminis-
ter Guido Westerwelle gleich zu Beginn nicht nur Polen,
sondern auch die Niederlande besucht hat und somit ein
Zeichen für die kleinen Länder gesetzt hat. Deutschland
ist gut beraten, kleinere Staaten mit einzubeziehen und
nicht auf jene Art Politik zu machen, wie es Gerhard
Schröder fälschlicherweise getan hat.
Herr Kollege Schäfer, ich würde gerne auf das Thema
unserer Diskussion zurückkommen. In der Tat ist es
vollkommen richtig, dass wir anfangen müssen, eine kri-
tische Analyse und Auswertung der Lissabon-Strategie
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Ich möchte zu dem, was Sie jetzt hier vorschlagen,
onkret sagen: Wenn wir feststellen, dass wir zu eupho-
isch waren, muss man die Anstrengungen in der Tat ma-
imieren und sehen, was man mehr tun kann. Frau Kol-
egin Högl, es hilft nur nichts, sich jetzt wenn ich Sie
ichtig verstanden habe noch höhere Ziele zu setzen
nd noch detaillierter aufzuschreiben, was man machen
ill. So steht beispielsweise im Barroso-Papier, dass
an die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-Jährigen
on 69 auf 75 Prozent steigern will usw. Ich glaube, man
ollte sich hier nicht zu sehr auf Zahlen fixieren und
icht meinen, dass man hier mit arithmetischer Exaktheit
orgehen kann. Vielmehr müssen wir lernen, dass zu eu-
horische und detaillierte Ziele nicht geholfen haben; am
nde bringen sie mehr Frust als Belebung in die Debatte.
Auch aus Sicht meiner Fraktion bleibt richtig, dass
ir im Bildungsbereich vorangehen. Hier geht die Bun-
esregierung voran: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat
ie Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen und zum
lück alle Länder dazu überreden können, mitzuwirken.
s ist eine zentrale Frage für den Wohlstand in Europa,
ass wir im Bildungsbereich alle Schätze heben, die un-
er Land bietet. Deswegen müssen wir hier eindeutig vo-
angehen.
Ein zweiter, etwas neuerer Schwerpunkt: Energie und
limawandel. Ich glaube, nach der Kopenhagener Kon-
erenz hat jeder gemerkt, dass hier auch innerhalb Euro-
as einige Anstrengungen nötig sind. Bundesumweltmi-
ister Norbert Röttgen ist hier gemeinsam mit der
esamten Bundesregierung Schrittmacher; Europa ist
ier Schrittmacher in der Welt. Wir müssen beim Thema
limaschutz vorangehen; das muss auch unsere Energie-
olitik in Deutschland bestimmen. Der Weg ist richtig;
ir sollten ihn weitergehen.
2478 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Dr. Johann Wadephul
In anderen Bereichen müssen wir lernen und nicht
glauben, dass allein wir in Deutschland immer die richti-
gen Rezepte haben.
Wenn Sie etwas verengend meinen, die gesamte deut-
sche Sozial- und Arbeitsmarktpolitik müsse in ganz Eu-
ropa übernommen werden, dann ist das, glaube ich, der
falsche Ansatz. Nicht alles, was wir machen, ist das Op-
timum; auch andere haben Modelle, die richtig sind. Das
Flexicurity-Konzept, das aus dem skandinavischen
Raum kommt und von der Europäischen Union über-
nommen wurde und sowohl Sicherheit als auch Flexibi-
lität am Arbeitsmarkt bedeutet, ist ein Modell, das Zu-
kunft hat. Dieses Konzept sollten wir auch in
Deutschland offener miteinander diskutieren. Dafür soll-
ten Sie vielleicht einigen ideologischen Ballast abwer-
fen. Hier ist mehr Flexibilität im Denken verankert als in
dem, was seit 20 oder 30 Jahren in Ihrem Parteipro-
gramm steht. Es bringt optimale Beschäftigungschancen
für die Menschen. Ich glaube, das ist der entscheidende
Punkt.
Wenn wir über die Anträge diskutieren, muss man
auch in aller Kürze auf das eingehen, was die Linkspar-
tei vorgelegt hat. Den Eindruck zu erwecken, als wäre
gerade Europa im Vergleich zu Asien, zu den Zuständen
auf dem indischen Subkontinent oder in China, oder
auch zu den USA sozusagen ein Kontinent der sozialen
Ausgrenzung, ist geradezu ungeheuerlich. Mehr soziale
Rechte als in Europa gibt es eigentlich nirgendwo.
Wenn Sie mit Ihrem Antrag beabsichtigen, dass man
nur noch dann weiterverhandeln kann, wenn man Ihre
Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnimmt,
dann zeigt das, dass Sie Europa letztlich lähmen wollen.
Sie sind immer noch nicht in Europa angekommen.
Das ist eine traurige Bilanz, die wir heute ziehen. Ich
hoffe, dass das Haus insgesamt das anders sieht, und
freue mich noch auf zahlreiche Diskussionen zum Kon-
zept Europa 2020.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, wir können feststellen das haben auch die
Vorredner mehr oder weniger bestätigt , dass die Lissa-
bon-Strategie gescheitert ist. Vom wettbewerbsfähigsten
Wirtschaftsraum können wir, glaube ich, nicht reden.
Das Ziel von 3 Prozent Wachstum, das ursprünglich ver-
folgt wurde, wurde nur in zwei von den zehn Jahren
knapp erreicht. 2009 schrumpfte die Wirtschaft um
4 Prozent, wie wir wissen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
spät, aber nicht zu spät, als dass man nicht noch wach
genug sein könnte, um Sie, Frau Dr. Högl, zu fragen, wo
Sie von der SPD mit Ihrem Außenminister eigentlich die
letzten elf Jahre gewesen sind. Sie hätten alle Möglich-
keiten gehabt, die Europapolitik auf die Erfolgsspur zu
führen.
Ich möchte einen Aspekt in die Diskussion einbrin-
gen, der mir bei der Zeitungslektüre aufgefallen ist:
Wenn Europa gegenüber den Vereinigten Staaten und
China eine globale Kraft werden will, dann muss es auf-
hören, sich wie eine Sammlung von reichen einzelnen
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er Grundsatz der Balance zwischen Erwirtschaften und
erteilen gilt nicht nur im Inland, sondern auch auf euro-
äischer Ebene.
Vielmehr müssen wir der neuen Strategie die richti-
en Prioritäten geben. Als Lehre aus der Wirtschafts-
rise müssen die EU-Mitglieder noch intensiver zusam-
enarbeiten und Mechanismen entwickeln, die zeigen,
ass jeder Krise auch Chancen zur Veränderung inne-
ohnen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, neue
achstumsquellen zu erschließen, um krisenbedingte
rbeitsplatzverluste wettzumachen. Wissensbasiertes
achstum, die aktive Teilhabe an integrativen Gesell-
chaften und Rahmenbedingungen für eine wettbewerbs-
ähige und vernetzte Wirtschaft müssen im Vordergrund
tehen. Hinzu kommt die Förderung internationaler Ko-
perationen mit fairen und geregelten internationalen
andels- und Finanzsystemen. All diese neuen Maßnah-
en müssen sowohl zur Bekämpfung der Arbeitslosig-
eit beitragen als auch leistungsfähige Arbeitsmärkte ge-
ährleisten. Wir müssen uns die Globalisierung und die
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2480 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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Gabriele Molitor
wechselseitige Abhängigkeit zunutze machen. Kein Mit-
gliedstaat allein kann hier erfolgreich sein.
Die EU-Kommission hat gestern ihr Konzept für eine
Nachfolgestrategie der Lissabon-Strategie vorgestellt. Das
Arbeitspapier enthält ehrgeizige Formulierungen zur
Ausgestaltung einer nachhaltigen europäischen Markt-
wirtschaft. Wir Liberale begrüßen diese Überlegungen.
Allerdings fehlt auch diesem Papier die notwendige Fo-
kussierung auf wichtige Kernbereiche. Damit läuft das
Konzept Gefahr, ähnlich wie die Lissabon-Strategie zu-
vor, zu viel auf einmal zu wollen und am Ende mit leeren
Händen dazustehen.
Im Einklang mit der Arbeits- und Sozialministerkon-
ferenz warne ich die Kommission davor, erneut Versu-
che zu unternehmen, die arbeitsrechtlichen Vorschriften
der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Un-
ter Berücksichtigung der unterschiedlichen nationalen
Gegebenheiten und im Hinblick auf die Wahrung der
Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit darf es hier keine
Vereinheitlichung geben.
Stattdessen sollte sich die Kommission auf die Förde-
rung von nachhaltigem Wachstum und Beschäftigung
konzentrieren. So haben wir es in der Koalitionsverein-
barung festgehalten. Das hat die Arbeits- und Sozial-
ministerkonferenz bekräftigt. So wird es auch von vielen
anderen Mitgliedstaaten gesehen. Wir können die in dem
Entwurf formulierten Ziele nur dann unterstützen, wenn
sie die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen
gewährleisten; denn nur mit wettbewerbsfähigen und er-
folgreichen Unternehmen können wir das Niveau unse-
rer Beschäftigungs- und Sozialmodelle aufrechterhal-
ten. Die globalisierte Wirtschaft verdeutlicht uns jeden
Tag aufs Neue, dass wir nur durch ständige Weiterent-
wicklung Wachstum und Wohlstand erreichen können.
Ein Arbeitsplatz ist nun einmal der beste Schutz ge-
gen Armut und Ausgrenzung. Zusätzlich brauchen wir
moderne und finanzierbare Sozialsysteme, die krisenfest
sind und der Alterung der europäischen Bevölkerung
Rechnung tragen. Dabei muss klar sein, dass ein Sozial-
staat, der Armut bekämpfen will, auch das Prinzip des
Forderns und Förderns berücksichtigen muss. Es muss
uns um die Qualität und nicht um die Benennung mög-
lichst vieler Themengebiete gehen. Nur auf diese Weise
wird Europa eine wichtige Rolle in der globalisierten
Welt des 21. Jahrhunderts spielen.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich
das Wort dem Kollegen Manuel Sarrazin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
muss in meiner kurzen Redezeit eines klarstellen: Es gibt
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s steht im Koalitionsvertrag ausdrücklich, dass Sie kein
oziales Europa wollen. Da helfen auch Schönwetterre-
en nicht. Sie, Frau Molitor, sprechen davon, dass wir
ine engere Zusammenarbeit brauchen. Das finde ich
ut.
Wir hatten in der letzten Woche eine tolle Ausschuss-
itzung. In dieser Sitzung habe ich das Auswärtige Amt
efragt, ob die Handschrift der Bundesregierung in der
itteilung der Kommission zu erkennen ist. Der kompe-
ente Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes hat daraufhin
esagt, er könne beim besten Willen nicht wissen, was in
er Kommissionsmitteilung enthalten sei. Zwei Tage
päter und noch vor der Veröffentlichung erfahren wir
on einem Brief, den die Bundeskanzlerin Merkel an
arroso geschrieben hat, in dem sie davon spricht, die
ngere Koordinierung, die vorhin Frau Molitor ange-
prochen hat, gehe nicht und sei mit ihr nicht abgespro-
hen gewesen. Da frage ich mich wirklich, ob Sie das,
as Sie uns hier erzählen, selber glauben.
Mit Blick auf die Strategie EU 2020 ich verweise
a auf unseren Antrag müssen wir das Versprechen für
in sozialeres Europa tatsächlich ernst nehmen und dür-
en nicht mit leeren Worthülsen reagieren. Die Grund-
echte dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden,
ndem beispielsweise das Grundrecht auf Freizügigkeit
ür einen einfachen Arbeitnehmer plötzlich durch ir-
endeine Sozialklausel beschränkt werden soll. Es darf
uch keine Einschränkungen bei den anderen Grund-
echten aus der Grundrechtscharta geben. Wir brauchen
atsächlich konkrete Aussagen und konkrete Handlun-
en, die wir und auch die SPD beschrieben haben.
Wenn wir wissen wollen, was die Handschrift der
undesregierung ist, dann schauen wir doch einmal in
ie Zeitung, wie Frau Molitor es getan hat. Es wird von
Madame No gesprochen. Die Financial Times
eutschland schreibt, es bestehe die Gefahr, dass
eutschland die Debatte erstickt. Das ist der Eindruck,
er von der Bundesregierung nach Europa transportiert
ird. Sie haben nur eine Handschrift: Sie dementieren,
ie diskutieren nicht, sondern Sie ducken sich weg. Am
nde versuchen Sie nur noch, zu verhindern, und sagen:
ch finde das doof. Das ist kein europäischer Stil, wie
r sich gehört. Sie bringen sich nicht proaktiv ein.
Wir führen seit einigen Monaten die Debatte über die-
es Vorhaben der EU. Es gab dazu auch eine Stellung-
ahme des Wirtschaftsministeriums. Ich muss sagen,
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2481
)
)
Manuel Sarrazin
eine solche dünne Stellungnahme habe ich selten gele-
sen. Die Stellungnahme des Bundesrates hatte deutlich
mehr Inhalt.
Die Konsultationsfrist wurde von Ihnen verschnarcht.
Auf unsere Bitte, diese Frist etwas großzügiger zu ge-
stalten und sich dafür bei Herrn Barroso einzusetzen, da-
mit die Parlamente beteiligt werden können, hat Frau
Merkel antworten lassen, das verstehe sie schon, aber es
gehe leider nicht. Jetzt heißt es plötzlich, was die Kom-
mission vorschlägt, gehe nicht, weil man die nationalen
Parlamente einbinden müsse. Entscheiden Sie sich ein-
mal! Sie wollen doch nur verhindern, dass endlich nach
vorne gegangen wird.
Wir sagen nicht, dass uns das, was die Kommission
aufschreibt, genug ist. Natürlich muss man Nachhaltig-
keit viel genauer definieren. Natürlich muss Artenviel-
falt viel ausführlicher besprochen werden. Natürlich
muss das soziale Europa konkreter ausgestaltet werden.
Natürlich müssen Sie energischer an Themen wie Kli-
maschutz und erneuerbare Energien herangehen. Aber
eines kann ich Ihnen sagen: Wer sich in Europa nicht
proaktiv mit Gestaltungswillen einbringt, sondern nur
mit bösen Briefen, der agiert nicht im Sinne einer stärke-
ren Integration und im Sinne einer Lösung der Probleme,
die wir jetzt haben. Er agiert letztendlich nicht euro-
päisch.
Ich kann ja verstehen, dass sich die Bundesregierung
im Rat manchmal wie auf einer Insel fühlt. Aber wer bei
der derzeitigen Debatte gleichzeitig sagt, man solle die
Berichte zur EU 2020 und zum Stabilitätspakt nicht ge-
meinsam im Sinne von zeitgleich evaluieren, der hat
nicht die grundlegenden Lehren aus der Krise von Grie-
chenland gezogen.
Die EU-2020-Strategie wird wesentliche Weichen-
stellungen vornehmen. Sie ist dabei noch nicht so kon-
kret, dass man sie nicht weiter gestalten könnte. Ich habe
leider nicht die Hoffnung, dass Sie sie positiv gestalten
werden. Ihnen bleibt nur ein Ausweg: Nehmen Sie den
Antrag der Grünen und meinetwegen auch den Antrag
der SPD an.
Herzlichen Dank.
Nun hat das Wort der Kollege Karl Holmeier für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Als neu gewählter Abgeordneter sehe ich
viele politische Entscheidungen noch stark mit den Au-
gen der Bürgerinnen und Bürger. Und das ist gut so.
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Mit diesen Augen habe ich gestern die von der Kom-
ission beschlossene Mitteilung zur neuen Wachstums-
trategie Europa 2020 gelesen. Diese neue Strategie
oll die gescheiterte Lissabon-Strategie aus dem Jahre
002 ablösen. Sie war damals von Rot-Grün verhandelt
orden, als Rot-Grün noch Regierungsverantwortung in
eutschland trug. Herr Sarrazin, ich glaube, ein Grüner
ar damals Außenminister.
Damals hieß es: Wir wollen innerhalb der nächsten
ehn Jahre zum wettbewerbsfähigsten und dynamischs-
en wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt werden.
as war ein hochgestecktes und ehrgeiziges Ziel, bei
em sich viele Menschen gefragt haben, ob und wie das
u erreichen ist.
Was ist eigentlich die Kernaufgabe der Europäischen
nion, und was soll die Europäische Union leisten?
ir alle, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
en, sollten verhindern, dass wir uns in Europa noch ein-
al solche realitätsfernen Ziele setzen. Europa muss
ürgernäher werden; das ist das Hauptziel in den nächs-
en Jahren.
Das erreichen wir jedoch nicht mit Zielen, die fernab
eder Realität sind. Damit machen wir uns unglaubwür-
ig und erweisen dem europäischen Gedanken einen Bä-
endienst. Lassen Sie mich kurz in drei Punkten erläu-
ern, was ich von der Europäischen Union erwarte.
Erstens. Konzentration auf Kernziele. Die Europäi-
che Union soll sich auf ihre Kernziele konzentrieren.
ie soll das machen, was wir nicht mindestens genauso
ut oder gar besser in den Mitgliedstaaten erreichen kön-
en. Hierzu gehört, vernünftige Rahmenbedingungen für
irtschaftliches Wachstum in der gesamten Europäi-
chen Union zu schaffen und internationale Wettbe-
erbsfähigkeit herzustellen.
as heißt aber auch, dass wir keine Sozialpolitik aus
rüssel wollen und brauchen, wie die Damen und Her-
en von der Opposition sie gerne sehen würden.
Zweitens. Bürgernähe und Glaubwürdigkeit. Bei der
rreichung dieser Ziele müssen wir darauf achten, dass
ir nicht an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei ent-
cheiden. Unsere Ziele müssen nachvollziehbar und
ealistisch sein, und die Mehrheit der Menschen muss
ich damit identifizieren können. Häufig können sie das
icht. Ich kann daher auch den Europaverdruss gut ver-
tehen. Die Menschen haben es satt, sich von der Euro-
äischen Union ihre Lebensführung vorschreiben zu las-
2482 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Karl Holmeier
sen. Das fängt beim Glühbirnenverbot an und hört bei
der Festlegung des Salzgehaltes auf der Brezen oder im
Brot auf.
Wir können Europa nur weiterentwickeln, wenn wir die
Menschen mitnehmen.
Drittens. Bessere Abstimmung mit den Mitgliedstaa-
ten und mehr Geschlossenheit. Wir brauchen in Europa
eine bessere Abstimmung der Institutionen mit den Mit-
gliedstaaten. Die Europäische Kommission kocht noch
viel zu häufig ihr eigenes Süppchen, ohne Rücksicht auf
die Interessen der Mitgliedstaaten zu nehmen. Ich erin-
nere in diesem Zusammenhang daran, dass die Europäi-
sche Kommission kein gewähltes Gremium, sondern ein
Beamtenapparat ist.
Wir wollen eine leistungsfähige und selbstbewusste
Europäische Union, die mit einer Stimme spricht und
entschlossen für die Sicherung von Frieden, Freiheit und
Wohlstand eintritt. Nur durch ein einiges Europa können
wir unsere Werte und Interessen erfolgreich in der Welt
vertreten.
Werden mit dem Kommissionsvorschlag zur Strategie
2020 die Erwartungen erfüllt? Wenn ich mir das Papier
der EU-Kommission von gestern ansehe, kommen mir
erhebliche Zweifel, ob meine und unsere Erwartungen
erfüllt werden und ob die Kommission ihre Lehren aus
der gescheiterten Lissabon-Strategie gezogen hat. Zwar
sehe ich auch gute Ansätze. Das gilt vor allem für die
Akzente, die die Kommission mit der Strategie 2020 set-
zen möchte. Eine wissens- und innovationsbasierte, eine
nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaft, die die
natürlichen Ressourcen schont, sowie eine hohe Be-
schäftigungsquote und sozialer Zusammenhalt: Dies al-
les sind Punkte, die ich selbstverständlich teile und mit
mir sicherlich auch viele andere Menschen in unserem
Land.
Problematisch wird es allerdings bei den konkret be-
schriebenen Zielen. Die Kommission nennt sechs Kern-
ziele, die bis 2020 erreicht sein sollen, und sie verbindet
diese Kernziele mit konkreten Zahlen.
Erstens. Die Erhöhung der Beschäftigungsquote auf
75 Prozent. Die Beschäftigungsquote für die 20- bis 64-Jäh-
rigen soll bis 2020 auf 75 Prozent steigen. Dieses Ziel ist
wenn auch mit anderen Zahlen bereits aus der Lissa-
bon-Strategie bekannt.
Angesichts der aktuellen Beschäftigungsquote von
69 Prozent kann man mit diesen Zielen durchaus leben.
Ich will dennoch betonen, dass der Einfluss der Politik
auf die Erreichung dieses Ziels begrenzt ist. Nicht die
Politik schafft Arbeitsplätze, sondern die Wirtschaft.
Wir können lediglich die Rahmenbedingungen setzen.
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Jawohl.
Zum anderen dies ist noch viel wichtiger : Diese
ielvorgabe lässt eine große Errungenschaft Deutsch-
ands vollkommen außer Betracht unser duales Bil-
ungssystem. Wir brauchen in Deutschland nicht nur
ochschulabsolventen, sondern vor allem qualifizierte
acharbeiter. Es kann nicht sein, dass wir mehr Archi-
ekturstudenten als Maurerlehrlinge haben. Eine solche
ielvorgabe wird unsere Zustimmung sicherlich nicht
rhalten.
Fünftens: Armutsreduzierung. Letztes Kernziel der
ommission ist, dass 20 Millionen Menschen, die zur-
eit unterhalb der Armutsgrenze leben, aus der Armut
efreit werden.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2483
)
)
Karl Holmeier
Ich frage mich, wer die Erreichung dieses sozialistischen
Zieles steuern will. Die Armutsgrenze orientiert sich am
Durchschnittseinkommen der Europäischen Union, und
die verschiebt sich bekanntlich hin und wieder. Kaufen
zum Beispiel europäische Fußballklubs wieder ein paar
teure brasilianische Spieler, so steigt das Durchschnitts-
einkommen in der Europäischen Union, und schon fallen
wieder ein paar Menschen unter die Armutsgrenze, ob-
wohl sich ihr Einkommen nicht verändert. Umgekehrt
kann das Ziel schon dadurch erreicht werden, dass die
Einkommen oberhalb des EU-Durchschnittswertes sin-
ken. Damit sinkt auch der Gesamtdurchschnitt. Die Si-
tuation der in der Armut lebenden Menschen hat sich da-
mit nicht verbessert.
Sechstens. Europa braucht das ist das wichtigste
Ziel einen Bürokratieabbau. Das ist vor allem für un-
sere Wirtschaft wichtig.
Lassen Sie mich abschließend noch auf den einen
oder anderen Aspekt der Mitteilung der EU-Kommission
eingehen, der mir persönlich sehr am Herzen liegt. Die
Europäische Kommission ist in dieser Mitteilung der
Versuchung erlegen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt
aufzuweichen. Dieser Pakt ist eine Errungenschaft
Deutschlands für die gesamte Europäische Union. Die
unbedingte Einhaltung der Stabilitätskriterien verdanken
wir unserem ehemaligen Finanzminister Dr. Theo
Waigel, Mitglied der Regierung von Helmut Kohl. Er
hat damit ein maßgebendes Instrument für eine starke
D-Mark auf den Euro übertragen. Damit sind wir gut ge-
fahren, und das werden wir in Europa trotz aller Krisen
auch weiter tun. Die EU-Kommission will nun ihre wirt-
schaftspolitischen Ziele mit den Vorgaben des Stabili-
täts- und Wachstumspaktes verknüpfen, wie dies von
verschiedenen Akteuren der Europäischen Union schon
seit langem mehr oder weniger offen gefordert wird.
Hiergegen lege ich ein klares Veto ein.
Ich habe mich daher gefreut, dass unsere Bundeskanzle-
rin gegenüber dem Kommissionspräsidenten bereits klar
zum Ausdruck gebracht hat, dass sie hierzu keine Zu-
stimmung geben wird.
Herr Kollege, ich muss jetzt wirklich auf die Redezeit
achten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen,
es besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf.
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as wollen wir alle nicht und brauchen wir vor allem
icht. Der Regierung kann ich für die Verhandlungen in
rüssel nur auf den Weg geben: keine überstürzten Be-
chlüsse, keine unrealistischen Ziele und keine Aufwei-
hung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Ich habe jetzt ein bisschen überzogen, aber es ist ja
ie letzte Rede.
Ich sage einen herzlichen Dank und wünsche einen
ngenehmen Abend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, dass ich
icht immer so großzügig bei der Bemessung der Rede-
eit bin.
ollege Holmeier hat seine erste Rede hier gehalten, und
s ist gleichzeitig die letzte Rede in der heutigen De-
atte.
eshalb bitte ich, die Großzügigkeit einfach so zu ak-
eptieren und nicht davon auszugehen, dass sich dieses
äufig wiederholt.
Ihnen, lieber Kollege Holmeier, darf ich also herzlich
u Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag gratulie-
en, verbunden mit den besten Wünschen für die weitere
rbeit.
Nun schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 17/882, 17/902 und 17/898 an die in
er Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
en. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann sind
ie Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt noch zu einigen Abstimmungen,
ie wir, denke ich, zügig über die Bühne bringen kön-
en.
2484 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Zunächst rufe ich die Tagesordnungspunkte 16 a und
16 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gunkel, Lothar Binding ,
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Menschenrechtsschutz im Handelsabkommen
der Europäischen Union mit Kolumbien und
Peru verankern
Drucksache 17/883
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck
, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsame menschenrechtliche Positionie-
rung der EU gegenüber den Ländern Latein-
amerikas und der Karibik einfordern
Drucksachen 17/157, 17/925, 17/936
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Christoph Strässer
Pascal Kober
Annette Groth
Tom Koenigs
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.
Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Es handelt
sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Michael Frieser, Frank Heinrich, Wolfgang Gunkel,
Pascal Kober, Heike Hänsel und Tom Koenigs.1)
Wir kommen nun zu den Überweisungen:
Tagesordnungspunkt 16 a. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 17/883 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Damit sind Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 16 b. Hier geht es um die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung das sind die Drucksachen
17/925 und 17/936 , den Antrag auf Drucksache 17/157
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? Wer ist dagegen? Enthaltungen? Dann ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
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f1) Anlage 2
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Protokoll gegeben werden.
Kindern gute Entwicklungschancen geben das ist
sicherlich eine der bedeutendsten Aufgaben einer Ge-
sellschaft. Dazu gehört, dass Kinder spielen dürfen. Da-
her ist es auch sinnvoll, an den Lärm von spielenden
Kindern einen anderen Maßstab anzulegen als an den
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1) Der Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu
einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
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ärm aus einer Industrieanlage. Niemand kann ernst-
aft gegen dieses Ziel sein, und auch wir sind es nicht.
as haben die Fraktionen des letzten Bundestages im
brigen auch schon übereinstimmend bekräftigt.
Falsch ist es aber, dort schwarz-weiß zu malen, wo
ine bunte Palette an unterschiedlichen Interessen be-
teht. Und an dieser Stelle zeigt der Antrag der SPD-
raktion zum Kinderlärm Schwächen. Die Kolleginnen
nd Kollegen von der SPD haben es sich ja auch einfach
emacht und den Bundesratsantrag von Rheinland-
falz abgeschrieben. Nur der letzte Punkt ist hinzuge-
ügt.
Selbstverständlich hat die Entfaltung der Kinder als
esentlicher Faktor für die Zukunft unseres Landes ei-
en besonders zu berücksichtigenden Stellenwert. Aber
as ändert nichts daran, dass der von Kindern erzeugte
ärm und in diesem Punkt ist offensichtlich auch die
PD-Fraktion keiner anderen Meinung auch als Lärm
ezeichnet werden muss. Und ebenso selbstverständlich
st, dass auch Kinderlärm in der Umgebung seiner Ent-
tehung als Lärm wahrgenommen wird.
Daher ist es schon denklogisch der falsche Weg wie
urch den SPD-Antrag geschehen Kinderlärm gene-
ell nicht mehr als Lärm bezeichnen zu wollen. Den zu
erücksichtigenden Interessen, also der besonderen
tellung der Kinder einerseits und dem Ruhebedürfnis
er in der Umgebung lebenden Menschen andererseits,
ann doch nicht durch eine solch starre Regelung begeg-
et werden. Das würde, basierend auf den Bevölke-
ungszahlen des Jahres 2008, bedeuten, dass die Inte-
essen von 11,13 Millionen Kindern im Alter zwischen
und 15 Jahren ohne jede Ausnahme über die Interes-
en der übrigen 70,8 Millionen Bürger in Deutschland
estellt würden. Das kann schon deshalb nicht richtig
ein, weil auch die Kranken und die Menschen, die auf
ärm empfindlich reagieren, schützenswert sind. Daher
ann hier nur ein Ansatz gewählt werden, der zwar die
esondere Bedeutung der Entwicklung von Kindern und
ugendlichen für die Zukunft unseres Landes angemes-
en berücksichtigt, nicht aber die Rechte der übrigen
evölkerung ausschließt.
Ein solcher Ansatz muss auch berücksichtigen, dass
ich, gerade im Fall von Lärmemissionen, eine pau-
chale Beurteilung der Umgebungsbeeinträchtigung
erbietet. Die Störungsintensität hängt vielmehr
ntscheidend von der Lautstärke, der Bebauung, der
requenz und dem Wiederholungstakt ab. Es ist daher
wingend notwendig, dass auch in Zukunft Einzelfall-
berprüfungen möglich sind. Das ist im Übrigen auch
in Gebot der Rechtsstaatlichkeit, einen Rechtsweg vor-
uhalten. Natürlich muss bei dieser Abwägung den be-
onderen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen da-
urch Rechnung getragen werden, dass für den von
hnen erzeugten Lärm ein höherer Toleranzmaßstab ent-
ickelt wird. Die große Zahl von Gerichtsurteilen, in de-
en den Interessen der Kinder der Vorrang gegeben
ird, zeigt, dass dies auch bisher die gängige Praxis ist.
Bei den weiteren Beratungen müssen wir daher eine
ösung finden, die nicht nur rechtsstaatskonform ist,
ondern auch Einzelfallentscheidungen zulässt, klare
)
)
Vorgaben für die Verwaltung enthält, um einen Vollzug
der rechtlichen Regelungen zu ermöglichen, und den In-
teressen der spielenden Kinder Rechnung trägt. Ich
freue mich deshalb auf die weiteren Beratungen.
Alleine der Begriff, über den wir heute hier diskutie-
ren, ist ein Widerspruch in sich: Kinder-Lärm! Das un-
terstellt, dass Lärm entsteht, wenn Kinder spielen,
toben, lachen, schreien, weinen, Bälle kicken. Wenn Kin-
der spielen, tun sie das mit lautstarker Begleitung, teilen
sich einander mit das ist der Sinn der Sache; wenn sie
weinen, hört man das gut, wenn sie sich freuen, lachen
sie fröhlich. Dass diese vitalen Lebensäußerungen von
Kindern, ihr unüberhörbares Sich-in-der-Gemeinschaft-
einander-Mitteilen und Aneinander-Messen als Lärm
empfunden werden und an den zulässigen Werten für
Gewerbelärm gemessen werden kann, sagt viel über un-
sere Gesellschaft aus: Wir sind kinderentwöhnt! Die Ge-
burtenzahl geht zurück, die Menschen werden immer äl-
ter und leben oft ohne eigene Kinder und Enkel. Viele
kennen es nicht mehr, Kinder um sich zu haben, mit Kin-
dern zusammen in einem Haus zu wohnen oder einen
Kinderspielplatz oder eine Kita in unmittelbarer Nach-
barschaft zu haben. Viele Menschen wohnen am liebsten
in einer kinderlosen Umgebung, viele Vermieter privile-
gieren Mieter ohne Kinder. So kommt es, dass viele von
uns sich an eine Welt ohne Kinder gewöhnt haben, ohne
zu merken, wie arm wir dadurch werden.
Kinder sind leider keine Selbstverständlichkeit mehr.
Sie werden nicht mehr als Bereicherung empfunden,
sondern als Störenfriede. Daher kommt es immer wieder
zu Klagen von Anwohnern gegen Kindertageseinrich-
tungen oder auch gegen erteilte Baugenehmigungen, in
Einzelfällen sogar zur Schließung dieser Einrichtungen,
besonders dann, wenn diese in Wohngebieten liegen. Die
Gerichtsentscheidungen geben weniger Anlass zur Rich-
terschelte, sondern werden durch die Bestimmungen im
Wohnungseigentums- und Mietrecht, im öffentlichen
Baurecht und im Immissionsschutzrecht selbst veran-
lasst.
Das wollen wir ändern! Denn Kinder sind ein Segen
für ihre Eltern und auch für die Gesellschaft, in der sie
leben. Ohne Kinder hat unser Land keine Zukunft!
Union und FDP haben daher im Koalitionsvertrag ver-
einbart, dass Spielen, Toben, Lachen und Weinen von
Kindern kein Anlass für gerichtliche Auseinanderset-
zungen mehr sein dürfen. Wir haben versprochen, die
Gesetzeslage entsprechend zu ändern.
Dennoch werden wir dem vorliegenden Antrag nicht
zustimmen, weil es sich um eine hochkomplexe Materie
handelt, die nicht einfach zu lösen ist: Beteiligt sind
mehrere Bundesministerien und auch Länder und Kom-
munen: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau, und
Stadtentwicklung ist zuständig für das Baugesetzbuch,
das Bundesumweltministerium für das Immissions-
schutzrecht und das Bundesjustizministerium für die Re-
gelungen des zivilen Nachbarschutzrechts. In der Ge-
setzgebungskompetenz der Länder liegt der Schutz von
verhaltensbezogenem Lärm. Dazu gehört das Rufen,
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Zu Protokoll ge
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oben und laute Lachen der Kinder. Die kommunale
bene ist für das Bauplanungsrecht zuständig. So wich-
ig und richtig das Anliegen auch ist: Es darf keinen gut
emeinten Schnellschuss geben, sondern nur eine gut
urchdachte Lösung.
Dabei sind wir uns sicherlich einig, dass wir mit
echtlichen Regelungen allein das Grundproblem nicht
ösen können. Wir müssen neue Wege suchen, wie unsere
esellschaft kinderfreundlicher werden kann. Doch
urch eine Gesetzesänderung können wir als Gesetzge-
er ein Signal senden: Eine kinderfreundliche Gesell-
chaft sind wir nur dann, wenn Kinder überall willkom-
en sind, wenn sie sich frei entfalten können und ihr
ufen und Lachen nicht als Lärm, sondern als Zu-
unftsmusik gesehen wird.
Eine Gesetzesänderung in diesem Sinne bedeutet na-
ürlich keinen Anspruch auf Rücksichtslosigkeit weder
ür die Planer von Kinderspielplätzen und von Bolzplät-
en noch für die Eltern und Erzieherinnen und Erzieher
n der Kita. Es muss gelingen, die berechtigten Wünsche
nd Bedürfnisse auch der Anlieger und Mitbewohner
it denen der Kinder in Einklang zu bringen. Gegensei-
ige Rücksichtnahme ist das Gebot allen gemeinschaftli-
hen Miteinanders, denn Rücksichtnahme ist keine Ein-
ahnstraße. Wir brauchen ein Klima der Toleranz, in
em Jung und Alt, Kinderlose und Familien mit Kindern
emeinsam zusammenleben können. So wie Anwohner
nd Mitbewohner offenbar wieder neu lernen müssen,
inder als selbstverständlichen Bestandteil der Lebens-
irklichkeit und zugleich die Lebenswirklichkeit von
indern selbst zu akzeptieren ebenso wie den unverän-
erlichen Umstand, dass Kinder nun einmal laut sein
önnen, so sollten Eltern und Erzieher das Ruhebedürf-
is anderer im Blick behalten und dafür Sorge tragen,
ass die Freude über die Nachbarschaft der Kinder er-
alten bleibt.
Deutschland soll und will ein familienfreundliches
and sein. Wer ein Herz für Kinder hat, der soll sich an
hnen erfreuen können. Aber leider nicht jeder denkt
o. Wenn Kinder toben, wenn Kinder laut rufen, dann
orgt das gelegentlich auch für Ärger. Nachbarn fühlen
ich gestört und erheben Klagen, zum Beispiel gegen
indertageseinrichtungen. Wenn wir in einem familien-
reundlichen Land leben wollen, dann müssen wir auch
n diesem Punkt Toleranz üben. Auch wenn mein kleiner
ohn Alexander zu mir ins Büro kommt, tollt er herum.
as ist ganz natürlich, das gehört zum Leben deshalb
ürde ich ihn nicht aus dem Büro schicken. Das muss
uch für Kindertageseinrichtungen in Wohngebieten
elten. Kinder gehören in unser Leben, Kindereinrich-
ungen in unser Wohnumfeld.
Wiederholt gab es in der Vergangenheit Klagen gegen
en Betrieb von Kindereinrichtungen oder gegen erteilte
augenehmigungen. In einigen Fällen führte dies sogar
u Schließungen von Einrichtungen. Wo sollen unsere
inder künftig spielen in Stadtrandgebieten, in beson-
ers ausgewiesenen Zonen? Die Kinder gehören zu uns,
nd sie gehören damit auch in Wohngebiete. Dass dies
2492 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
Dr. Michael Paul
gebene Reden
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auch rechtlich abgesichert ist, wollen wir als SPD-Bun-
destagsfraktion mit unserem Antrag erreichen. In der
vergangenen Legislaturperiode hatte der Bundestag be-
reits einen entsprechenden Antrag der Großen Koalition
beschlossen. Wir haben bewusst noch vor der Sommer-
pause 2009 in diesem Hohen Hause einen entsprechen-
den Beschluss gefasst. Dem müssen jetzt konkrete Taten
folgen. Kinderlärm darf rechtlich nicht mehr mit hupen-
den Autos oder dröhnenden Maschinen in Fabriken
gleichgesetzt werden.
Noch im November letzten Jahres behaupteten hoch-
rangige Koalitionspolitiker unter Bezugnahme auf den
Koalitionsvertrag, schon in wenigen Wochen würden ge-
setzliche Regeln auf den Weg gebracht, die es ermögli-
chen, die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für
Kindereinrichtungen zu verbessern. Darauf warten wir
bis heute aus Wochen wurden nun schon Monate, bei
dem Tempo der Bundesregierung können Jahre ver-
gehen, bis ein Gesetzentwurf vorgelegt wird. Im Januar
2010 fragte ich die Bundesregierung, wann die Koali-
tion beabsichtigt, entsprechende Maßnahmen zu ergrei-
fen. Auch hier Fehlanzeige. Statt eines Gesetzentwurfes
in wenigen Wochen wird eine Änderung irgendwann in
dieser Legislaturperiode in Aussicht gestellt. Ich frage
mich, warum seit dem letzten Beschluss des Bundestages
zu diesem Thema inzwischen ein Dreivierteljahr nichts
getan wurde und wir immer noch auf dem Stand vom
Sommer 2009 sind.
Wir zeigen der Bundesregierung deshalb mit unserem
Antrag einen konkreten Weg auf. Erstens soll das Bun-
des-Immissionsschutzgesetz ergänzt werden, um klarzu-
stellen, dass Kinderlärm in der Regel keine schädliche
Umwelteinwirkung ist. Kinderlärm muss in Wohngebie-
ten toleriert werden. Zweitens wollen wir eine Klarstel-
lung im Bürgerlichen Gesetzbuch. Auch dort soll festge-
legt werden, dass Kinderlärm keine schädliche
Umwelteinwirkung darstellt. Und drittens verlangen
wir, die Baunutzungsverordnung so zu ändern, dass Kin-
dertageseinrichtungen in Wohngebieten generell für zu-
lässig erklärt werden. In einem weiteren Punkt regen wir
an, zu prüfen, wie durch präventiv wirkende Maßnah-
men im Bereich der Städteplanung Klagen gegen Kin-
derlärm vermieden werden können.
Wir wollen Kinder und Kindereinrichtungen nicht
hinter meterhohen Lärmschutzwänden verstecken oder
in Randlagen drängen. Der Gesetzgeber ist gefordert,
endlich Klarheit zu schaffen, damit die Vorstellungen
von frühzeitiger Förderung der Kinder umgesetzt wer-
den und die natürlichen Lebensäußerungen der Kinder
Rechtsschutz bekommen.
Dass es gangbare Wege gibt, zeigt das Land Berlin.
Hier wurde vor kurzem das Landes-Immissionsschutzge-
setz geändert und Kindern ausdrücklich Schutz einge-
räumt. Jedoch reichen landesspezifische Regelungen in
Teilbereichen nicht. Wir brauchen bundeseinheitliche
Normen, damit Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ge-
schaffen werden. Der Antrag der SPD-Bundestagsfrak-
tion unterbreitet dazu konkrete Vorschläge. Wir werden
den Antrag im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung und den mitberatenden Ausschüssen debattie-
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Zu Protokoll ge
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en. Ich bitte Sie im Sinne unserer Kinder und im Inte-
esse einer modernen Familienpolitik um Unterstützung
nd Zustimmung. Es gibt keinen Grund, die Frage wei-
er aufzuschieben. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam zu
iner Lösung kommen und beweisen, dass wir ein Herz
ür Kinder haben.
Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass die SPD nicht
ur dem FDP-Parteiprogramm folgen kann, sondern
uch Forderungen stellt, die im Koalitionsvertrag be-
eits vereinbart wurden. Ein wenig traurig stimmt mich
agegen, dass die SPD sich dabei nicht mehr Mühe
acht, als den Bundesratsantrag des Landes Rheinland-
falz vom 16. November 2009 zu übernehmen. Morgen,
m 5. März, wird der rheinland-pfälzische Antrag im
lenum des Bundesrates abgestimmt. Die zuständigen
usschüsse haben zum Teil Änderungen empfohlen.
Nun zum SPD-Antrag:
Erstens. Der Antrag fordert in einer Ergänzung des
3 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes die
larstellung, dass Kinderlärm in der Regel keine schäd-
iche Umwelteinwirkung im Sinne dieses Gesetzes dar-
tellt.
Für mich stellt sich jedoch die Frage, ob Kinderge-
äusche nie und in keinem denkbaren aktuellen und
ünftigen Fall als Lärm einer Anlage denn nur für
iese gilt das Bundes-Immissionsschutzgesetz gewer-
et werden können. Bei genereller und pauschaler He-
ausnahme wäre eine Abwägung mit anderen Belangen
icht mehr möglich, da die soziale Adäquanz der kindli-
hen Geräusche die Annahme von Lärm ausschließen
ürde eine aus meiner Sicht zu weitreichende Ände-
ung.
Zweitens. Der Antrag fordert weiter eine Klarstellung
m Bürgerlichen Gesetzbuch in dem Sinne, dass Kinder-
ärm keine wesentliche Beeinträchtigung des Eigentums
der der Mietsache mehr ist.
Das ist eine sehr umfassende Klarstellung. Die Frage
st: Wollen wir, dass jeglicher Kinderlärm im häuslichen
ereich von Dritten hinzunehmen ist? Damit würde das
ächtliche Schreien eines Säuglings dem nächtlichen
ärm eines randalierenden Fünfjährigen gleichgestellt.
uf das Verhalten des Säuglings haben Eltern keinen
influss dieser ist damit automatisch sozial adäquat.
m Falle des Fünfjährigen können die Eltern durch Er-
iehung darauf hinwirken, dass nächtlicher Lärm ver-
ieden wird. Daher sehe ich Kinderlärm durchaus diffe-
enziert. Was wäre denn die Folge einer solch
eitreichenden Regelung? Wenn wir Kinderlärm recht-
ich unantastbar machen, könnten Nachbarn und andere
nwohner nicht mehr rechtlich gegen diesen vorgehen.
nfolgedessen würden Vermieter aus Gründen der Vor-
icht nicht mehr oder weniger an Familien vermieten.
er Schutz, den wir eigentlich Familien mit Kindern ge-
ähren wollen, würde sich durch eine solche Regelung
ns Gegenteil verkehren.
Drittens. Es wird die Änderung der Baunutzungsver-
rdnung BauNVO gefordert.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2493
Hans-Joachim Hacker
gebene Reden
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Dass Kindergärten in Wohngebiete gehören, ist und
war nie strittig. Kommunalpolitiker aller Parteien wis-
sen das seit Jahren. Die FDP hatte diese Forderung in
die Koalitionsvereinbarung eingebracht und wird da-
rauf achten, dass das federführende Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung diesen Punkt bei
der Änderung der BauNVO zügig umsetzt. Der Antrag
enthält hier also keine neuen Erkenntnisse oder gar
originelle Forderungen.
Natürlich ist es auch unser Anliegen, dass unsere
Kinder genügenden Freiraum haben, sich geistig und
körperlich optimal zu entwickeln. Man muss einen Aus-
gleich finden, der allen Interessen im privaten Bereich
gerecht wird. Das grundsätzliche Problem in unserer
heutigen Gesellschaft ist doch, dass es an ausreichender
Akzeptanz und Toleranz für Kinder fehlt. Kinderfreund-
lichkeit wird zwar gepredigt. Dennoch häufen sich Be-
schwerden über Kinderlärm. Die heutige Toleranz für
Kinder reicht leider nur so weit, wie der Lärm spielen-
der Kinder einen selbst nicht stört.
Kinderlärm soll möglich sein, solange er sozial-
adäquat ist. Die Grenze der sozialen Adäquanz wird
aber von Person zu Person anders wahrgenommen. Was
der eine erst gar nicht als Störung wahrnimmt, über-
steigt beim anderen die Schmerzgrenze. Dies gilt umso
mehr, als wir in einer immer älter werdenden Gesell-
schaft leben. Ältere Menschen haben mehr Bedürfnis
nach Ruhe und Rückzug. Dieser demografische Wandel
stellt uns vor neue Herausforderungen. Wir müssen ne-
ben den Bedürfnissen der Kinder auch auf die Bedürf-
nisse der älter werdenden Gesellschaft eingehen. Wir
müssen also im Sinne der Generationengerechtigkeit
eine Lösung finden. Wir wollen, dass unsere Kinder in
einer kinderfreundlichen Gesellschaft aufwachsen. Da-
bei müssen wir verhindern, dass wir die Ablehnung ge-
genüber Kindern bestärken. Stattdessen müssen wir viel-
mehr versuchen, die Gesellschaft zu harmonisieren und
damit den Freiraum schaffen, den Kinder für eine ge-
sunde Entwicklung benötigen.
Viertens. In diesem Sinne begrüßen wir einen Prüf-
auftrag, der zum Ziel hat, städtebaulich Konfliktzonen
aufzuzeigen. Im Wege sinnvoller Maßnahmen sollten
diese Konfliktzonen entschärft werden, damit künftig
keine Klagen wegen kindlichen Lärms mehr eingereicht
werden.
Fakt ist: Wir müssen Kinder schützen. Wir dürfen sie
aber nicht über alle anderen Generationen hinweg privi-
legieren. Denn dadurch würden wir vielmehr eine stei-
gende Ablehnung gegenüber Kindern hervorrufen. Und
das will keiner. Deutschland muss insgesamt familien-
freundlicher werden. Deswegen ist es uns wichtig, eine
bundeseinheitliche Regelung zu treffen.
Ich muss gestehen, es fällt mir schwer, über das La-
chen und Lärmen spielender Kinder hier so zu befinden
wie über das krank machende Getöse einer Stadtauto-
bahn oder den penetranten Gestank einer undichten
Kläranlage. Wir reden hier im Deutschen Bundestag
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Zu Protokoll ge
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ber unsere Kinder und Enkel im Zusammenhang mit
auordnungs- und Immissionsschutzrecht, in Kriterien
ie anlagebezogenem oder verhaltensbezogenem
ärm, in technischen Normen und juristischen Katego-
ien! Da kann ich nur hoffen, dass die das nicht mit-
ekommen und eines nicht allzu fernen Tages hier auf
nseren Plätzen sitzend in gleicher Weise, wie wir das
etzt tun, über alte, gebrechliche oder Menschen mit Be-
inderungen debattieren, feilschen und über sie hinweg
ntscheiden. Schon aus Selbstschutzgründen bin ich da-
ür, Kinderrechte lieber jetzt als später in die Verfassung
pardon ins Grundgesetz zu schreiben.
Immerhin ist es ja löblich und durchaus anerkennens-
ert, dass die Antragsteller nun dem Beispiel der rot-
oten brandenburgischen Koalition folgen und auch auf
undesebene längst überfällige Regelungen auf den
eg bringen wollen, die wenigstens die rechtlichen
rundlagen dafür schaffen, dass man Kinder nicht ein-
ach wegklagen kann. Wir unterstützen das ausdrück-
ich, wollen aber das werden Sie nicht anders von uns
rwarten an der einen Stelle weniger, dafür an anderer
telle deutlich mehr. Was wir nicht wollen, ist eine ge-
etzliche Regelung, die lediglich als Reaktion auf an-
ängige Gerichtsverfahren zeitweilig eine Lücke
chließt und andere, ebenfalls reformbedürftige Geset-
esteile unberücksichtigt lässt, bis neue Klagen wie-
erum dazu zwingen, neue Anpassungen auf den Weg zu
ringen. Was wir deutlich mehr und sehr viel gründli-
her wollen, ist eine Novellierung des Bauordnungs-
nd auch des Immissionsschutzrechtes, das den gegen-
ärtigen und den künftigen Herausforderungen einer
enschenfreundlichen Stadtentwicklung nicht hinter-
erläuft oder sie gar ignoriert und konterkariert, son-
ern sie aktiv und vorausschauend mitgestaltet. Dazu
ehört zum Beispiel, Bauordnungsrecht nicht reaktiv
nd selektiv wie im vorliegenden Fall anzupassen,
ondern aus der Prognose der Bedürfnisse künftiger Ge-
erationen demokratisch neuzugestalten; absehbare,
issenschaftlich gestützte ökonomische, ökologische
nd demografische Entwicklungen und Tendenzen zur
rundlage von Gesetzgebungsprozessen zu machen und
ffensichtliche städtebauliche Missstände und Fehlent-
icklungen auch mit Mitteln des Bau- und des Immis-
ionsschutzrechtes beheben zu helfen.
Das alles und sicher noch einiges mehr wird notwen-
ig sein, um der voranschreitenden und sich verstetigen-
en Tendenz der Segregation in unseren Städten entge-
enzuwirken, um Integration und Solidarisierung von
indern und Erwachsenen unterschiedlicher sozialer,
thnischer und religiöser Herkunft und Prägung zu för-
ern, um den Forderungen und materiellen Vorausset-
ungen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen
m Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht
u werden.
Wir werden, das sei Ihnen, meine Damen und Herren,
ersprochen, in diesem Sinne initiativ werden. Fürs
rste allerdings wollen wir uns mit dem, was hier vor-
iegt, bescheiden und das als einen Schritt in die richtige
ichtung nicht mehr und nicht weniger unterstützen.
2494 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
Judith Skudelny
gebene Reden
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2495
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/881 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit liegen soll. Sind Sie damit einverstan-
den? Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Dann kommen wir zum Tagesordnungspunkt 19:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine Verstetigung der Kommunalfinan-
zen Die Gewerbesteuer zur Gemeindewirt-
schaftsteuer weiterentwickeln
Drucksache 17/783
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Auch hier wurde schon in der Tagesordnung ausge-
wiesen, dass die Reden von den Kolleginnen und Kolle-
gen Antje Tillmann, Bernd Scheelen, Dr. Birgit
Reinemund, Katrin Kunert und Britta Haßelmann zu
Protokoll gegeben werden.
Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit,
und dazu gehört zu Beginn eine Darstellung der finan-
ziellen Situation von Bund, Ländern und Kommunen. Zu
dem vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke
möchte ich daher eingangs gerne noch einmal vor
Augen führen, wie sich die finanzielle Situation von
Bund, Ländern und Kommunen im Augenblick darstellt.
Der öffentliche Schuldenstand beläuft sich aktuell auf
insgesamt 1,68 Billionen Euro. Hiervon entfallen
62 Prozent auf den Bund. Er ist also bereits mit über
1 000 Milliarden verschuldet. Auf die Länder entfallen
32 Prozent der Schulden und auf die Kommunen 6 Pro-
zent. Der Bund muss alleine in diesem Jahr neue Schul-
den in Höhe von 85,8 Milliarden Euro aufnehmen. Ich
möchte Sie einfach der Fairness halber darauf hinwei-
sen: Dem Bund geht es finanziell sehr viel schlechter als
Ländern und Kommunen!
In den Jahren 2006 bis 2008 übrigens wuchsen die
Einnahmen der Gemeinden aus der Gewerbesteuer steil
an, und zwar bis auf 34,3 Milliarden Euro. Für die Kom-
munen war es das beste Jahr seit Bestehen der Bundes-
republik. In diesen guten Jahren haben viele Städte
und Gemeinden die Gelegenheit genutzt, Schulden abzu-
bauen und Rücklagen zu bilden. Unter der rot-grünen
Vorgängerregierung war daran nicht zu denken.
Die derzeitige prekäre Situation der Haushaltslage
des Bundes, der Länder wie auch der Gemeindefinanzen
ist unmittelbar eine Folge der weltweiten Wirtschafts-
und Finanzkrise. Der Bund aber trägt die Hauptlasten
für alle seit Ausbruch der Krise in Angriff genommenen
Programme zur Stützung und Förderung der Konjunk-
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ur. In der Großen Koalition haben wir bereits erste
aßnahmen ergriffen, um das Wachstum zu stärken und
nsbesondere den Kommunen unter die Arme zu greifen.
chon im Rahmen der Unternehmensteuerreform haben
ir die Gewerbesteuereinnahmen auf gesündere Beine
estellt, indem wir die Hinzurechnung von Miet- und
achtzinsen beschlossen und damit eine gleichmäßigere
innahmensituation hergestellt haben.
Mit dem Konjunkturpaket I haben wir strukturschwa-
he Kommunen über KfW-Zinszuschüsse von 300 Millio-
en Euro unterstützt. Kommunen in besonders schwieri-
er Haushaltslage wird über den Investitionspakt Bund-
änder-Gemeinden eine klimagerechte Modernisierung
on Gebäuden der sozialen Infrastruktur wie Schulen,
indergärten und Turnhallen ermöglicht. Hier wurde
er Bundesanteil für die Jahre 2009 bis 2011 um jeweils
00 Millionen Euro erhöht.
Im Konjunkturpaket II haben wir für zusätzliche In-
estitionen von Ländern und Gemeinden Bundesmittel in
öhe von 10 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
5 Prozent davon sind für Investitionen in die Bildungs-
nfrastruktur reserviert. Hierzu gehören zum Beispiel
nvestitionen zur energetischen Sanierung von Schulen,
ochschulen sowie kommunalen oder gemeinnützigen
inrichtungen der Weiterbildung, Investitionen in Ein-
ichtungen der frühkindlichen Infrastruktur wie Kinder-
agesstätten oder in die Forschung. Dies verbessert die
ildungsinfrastruktur vor Ort erheblich und legt den
rundstein für die Wachstumspotenziale von morgen.
iese Aufträge tragen nicht nur zum Erhalt lokaler Ar-
eitsplätze und zum Gewerbesteueraufkommen bei, son-
ern führen darüber hinaus in den kommenden Jahren
ufgrund niedrigerer Betriebskosten zu Einsparungen in
en kommunalen Haushalten. Ebenso werden weitere
nvestitionen in Krankenhäuser ermöglicht wie auch in
oderne Breitbandnetze, um auch ländliche Kommunen
n die Kommunikation der Zukunft anzubinden.
Der Bund investiert zusätzlich weitere 4 Milliarden
uro in die Infrastruktur wie Bundesverkehrswege und
auten. Auch hiervon profitieren die Kommunen über
ine verbesserte Infrastruktur nachhaltig. Mit den Län-
ern und Kommunen hat der Bund darüber hinaus ein
esamtpaket zum bedarfsgerechten Ausbau der Betreu-
ngsinfrastruktur für Kinder unter drei Jahren beschlos-
en. Ab 2014 sollen bundesweit 750 000 Plätze in der
indertagesbetreuung zur Verfügung stehen. Dafür
tellt der Bund 4 Milliarden Euro bereit. Ab 2014 betei-
igt sich der Bund auch weiterhin mit 770 Millionen
uro jährlich an diesen Kosten, die ganz vorrangig kom-
unale Aufgaben und Kosten wären. Abgesehen von den
undesverkehrswegen sind dies alles Aufgaben, für die
er Bund nach unserem Grundgesetz finanziell nicht zu-
tändig ist, die er aber trotzdem finanziert, weil er die
ommunen um diese Kosten entlasten will.
Schon die Eingangsbehauptung zu Ihrem Antrag
timmt einfach nicht: Mit dem Bürgerentlastungsgesetz
owie dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben wir
amilien massiv entlastet und dafür gesorgt, dass Ar-
eitnehmer am Ende des Monats über mehr Netto vom
rutto verfügen können. Vor allem den Mittelstand ha-
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ben wir dadurch entlastet, dass wir die 2008 eingeführ-
ten Hinzurechnungen bei Mieten und Pachten von
65 Prozent auf 50 Prozent abgesenkt haben. Diese Sen-
kung führt bei der Gewerbesteuer zu geringfügigen Min-
dereinnahmen von 0,3 Prozent. Am Ende dieses Prozes-
ses profitieren die Kommunen über einen vermehrten
privaten Konsum und unzählige gesicherte Arbeitsplätze
und damit ein erhöhtes Gewerbesteueraufkommen be-
trächtlich.
Aber nun im Einzelnen zu Ihrem Antrag:
In allen Debatten geißeln Sie uns mit der Behaup-
tung, wir wollten die Gewerbesteuer abschaffen. Das
wollen wir aber nur dann, wenn wir gemeinsam mit den
Kommunen eine bessere Einnahmequelle, die nicht so
konjunkturabhängig wie die Gewerbesteuer ist, finden.
Die Linke fordert, die Gewerbesteuer in eine allgemeine
Gemeindewirtschaftsteuer umzuwandeln. Nach ihren
Plänen sollen der Bemessungsgrundlage alle Schuldzin-
sen hinzugerechnet werden. Außerdem sollen die Finan-
zierungsanteile von Mieten, Pachten, Leasingraten und
Lizenzgebühren in voller Höhe bei der Ermittlung der
Steuerbasis berücksichtigt werden. Ich kann Ihnen ganz
genau sagen, wohin Ihre Pläne führen würden, werte
Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion. Sie
würden den Mittelstand, der die tragende Säule unserer
sozialen Marktwirtschaft darstellt und ein Garant für
stabile Arbeitsplätze ist, mit einer solchen maßlosen
Ausweitung der Substanzbesteuerung völlig ausbluten
lassen. Ihr Antrag ist ein Schuss vor den Bug des kleinen
Einzelhändlers an der Ecke. Die Folge ist eine Verringe-
rung des Gewerbesteueraufkommens aufgrund vermehr-
ter Pleiten keine Erhöhung!
Der Antrag sieht außerdem vor, die Gewerbesteuer-
umlage an den Bund sofort und an die Länder schritt-
weise bis 2015 abzuschaffen. Lassen Sie mich vorweg
vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen, wie es zu ei-
ner Gewerbesteuerumlage überhaupt kommen konnte.
Die Umlage war Teil der 1970 durchgeführten Gemein-
definanzreform. Zentral war hier die Einrichtung eines
Steueraustausches zwischen Bund, Ländern und Kom-
munen. Die Gemeinden wurden an dem Aufkommen der
Einkommensteuer beteiligt, Bund und Länder erhielten
einen Anteil am Gewerbesteueraufkommen. Dies ge-
schah nicht zuletzt auf Wunsch der Kommunen, weil die
Gewerbesteuer Konjunkturschwankungen eher unter-
liegt als die Einkommensteuer.
Ich frage ganz direkt: Warum beantragt die Fraktion
Die Linke nicht gleich die Abschaffung dieser Vereinba-
rung? Aus folgendem Grund: Die Abschaffung der Ge-
werbesteuerumlage würde zu einer weiteren Verschär-
fung der bereits bestehenden Ungleichgewichte
zwischen den einzelnen kommunalen Verbänden führen.
Die Städte Coburg und Frankfurt am Main beispiels-
weise hatten im Jahr 2008 ein Gewerbesteueraufkom-
men pro Einwohner von 2 668 Euro bzw. 2 473 Euro.
Weimar und Delmenhorst hatten mit 191 Euro und
192 Euro nicht einmal ein Zehntel dessen zur Verfügung.
Eine Abschaffung der Gewerbesteuerumlage würde
aber dazu führen, dass Kommunen, die eine geringe
Wirtschaftskraft, wie die beiden letztgenannten, besit-
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en, nicht von der Abschaffung einer solchen Umlage
rofitieren. Denjenigen Kommunen und Städten, die re-
ativ hohe Gewerbesteuereinnahmen erzielen und ent-
prechend auch eine höhere Umlage leisten, würden wir
ei Abschaffung der Umlage diesen hohen Anteil wieder
urückgeben. Diejenigen, die nur geringe Einnahmen
us der Gewerbesteuer haben, hätten bei Umsetzung Ih-
es Antrags aber überhaupt keinen Vorteil. Mit anderen
orten: Diejenigen Kommunen, die es am wenigsten nö-
ig haben, würden, wenn es nach der Fraktion Die Linke
inge, am meisten profitieren. Klamme Gemeinden da-
egen hätten nichts von dem Vorschlag.
Es kommt aber noch Folgendes hinzu: Wenn Sie die
ewerbesteuerumlage an den Bund sofort und an die
änder schrittweise abschaffen wollen, müssen Sie auch
rklären, wie Sie dieses Vorhaben gegenfinanzieren wol-
en. In der heutigen Bereinigungssitzung zum Haushalt
010 haben Sie ja Gelegenheit, diesen Antrag nachzu-
eichen.
Da ist dann erstmals Licht am Ende des Tunnels Ihres
ntrags: bei einer Gemeindewirtschaftsteuer. Unserer
erantwortung für unsere Städte und Kommunen sind
ir uns absolut bewusst. Genau zu diesem Zweck ist die
eute erstmals zusammengetretene Regierungskommis-
ion zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung unter
er Leitung von Bundesfinanzminister Dr. Schäuble ins
eben gerufen worden. Wir versuchen stets, einen ange-
essenen Ausgleich zwischen den Interessen des Bundes
ie auch der Kommunen zu finden. Deshalb liegt auch
eit Jahren ein Vier-Säulen-Modell zur Neuordnung des
emeindesteuersystems auf dem Tisch, das bereits 2006
ufkommensneutral hätte eingeführt werden können. Im
ahmen der Debatte sollte zum Beispiel auch die Re-
orm der Grundsteuer auf die Frage hin überprüft wer-
en, ob sie als eine Säule des Ersatzes der Gewerbe-
teuer in Betracht kommt. All dies werden wir mit den
ommunalen Vertretern sehr intensiv besprechen.
Es kann aber nicht nur darum gehen, zusätzliche
teuereinnahmen zu generieren und damit Bürgerinnen
nd Bürger zusätzlich zu belasten, sondern wir werden
uch sehr intensiv auf der Ausgabenseite nachprüfen
üssen, ob wir alle bisherigen Aufgaben tatsächlich
och brauchen, ob wir über eine Veränderung von Stan-
ards ein hohes Niveau halten können und ob es durch
ffizienzsteigerungen nicht zu verminderten Ausgaben
ommen kann.
Darüber hinaus werden wir uns selbstverständlich im
ermittlungsausschuss noch einmal sehr intensiv mit
en Kosten der Unterkunft befassen. Dabei dürfen die
ommunen allerdings nicht vergessen, dass sie sich im
ahre 2006 an der Schaffung einer Berechnungsgrund-
age, die sich an der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften
rientiert, beteiligt haben.
Keine Lösung ist jedenfalls Ihr Antrag, verehrte Kol-
eginnen und Kollegen von der Linksfraktion, in dem Sie
ordern, zur Hilfe einer staatlichen Ebene, die finan-
ielle Sorgen hat, eine andere staatliche Ebene in eine
eitere Schuldenaufnahme zu zwingen oder Bürgerin-
en und Bürger zusätzlich zu belasten. Es ist nicht zu-
etzt eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass wir
2496 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
Antje Tillmann
gebene Reden
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die gegen Ihre Stimmen beschlossene Schuldenregelung
jetzt auch einhalten. Die Menschen in unserem Land ha-
ben ein Recht darauf, dass die heute beginnende Kom-
mission gute Lösungen sowohl für die Kommunen als
auch für den Bund findet. Wir sind bereit, diesen Weg
mitzugehen.
Den Kommunen geht es schlecht. Überall wird vor
Ort angesichts der desolaten Finanzsituation über die
Schließung von Theatern, Bädern und Stadtteilbibliothe-
ken gesprochen. Aus einem positiven Finanzierungs-
saldo von 7,6 Milliarden Euro im Jahr 2008 ist ein Mi-
nus von 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2009 geworden. Im
Jahr 2010 rechnen die kommunalen Spitzenverbände
mit einer Unterdeckung von 12 Milliarden Euro. Die Lö-
cher in den kommunalen Haushalten vergrößern sich
durch Gesetze von Schwarz-Gelb um weitere 2 bis 3 Mil-
liarden Euro.
Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz,
das eher ein Schuldenbeschleunigungsgesetz ist, hat un-
mittelbare Ausfälle von 1,6 Milliarden Euro zur Folge.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass
die Länder einen Teil ihrer eigenen Steuerausfälle an die
Kommunen weiterreichen werden. Seriöse Schätzungen
gehen dabei von mindestens einer halben Milliarde Euro
aus.
Morgen möchte die schwarz-gelbe Koalition ein
weiteres Kommunalbelastungsgesetz verabschieden.
Es kommt unter dem eher harmlos klingenden Namen
Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben so-
wie zur Änderung steuerlicher Vorschriften daher.
Doch es enthält von der Koalition nachgeschobene Re-
gelungen zur Funktionsverlagerung und zu Leasing und
Factoring, die sich zur Zeitbombe für die Kommunen
entwickeln werden. Ausfälle für die Kommunalfinanzen
von 650 Millionen Euro müssen bei Regelungen zur
Funktionsverlagerung und ein knapp dreistelliger Mil-
lionenbetrag bei Leasing und Factoring erwartet wer-
den. Das ist unvertretbar in der aktuellen Situation, in
der sich krisen- und konjunkturell bedingt viele Kommu-
nen in finanzieller Schieflage befinden. Die angemes-
sene Reaktion wäre, auf die angesprochenen Gesetze zu
verzichten, die Einnahmesituation der Kommunen zu
verbessern und über Wege der Entlastung bei den So-
zialausgaben, die sich der 40-Milliarden-Euro-Marke
annähern, nachzudenken.
Dass die heute vom BMF erstmalig eingeladene Ge-
meindefinanzkommission richtige Antworten liefern
wird, darf mit gutem Grund bezweifelt werden. Ziel soll
ja offenbar sein, die Gewerbesteuer abzuschaffen und
durch untaugliche Instrumente der Gegenfinanzierung
zu ersetzen. Die Folgen der angedachten Änderung: weg
von der Gewerbesteuer, hin zu Zuschlagsrechten bei
Einkommen- und Körperschaftsteuer bedeuten: erlah-
mendes Interesse der Kommunen an der Ansiedlung von
Unternehmen. Wollen wir das? Verlagerung der Steuer-
belastung von der Wirtschaft hin zu Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern. Wollen wir das? Verschärfung der
Stadt-Umland-Problematik. Wollen wir das? Nein, das
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ann niemand ernsthaft wollen, der es gut mit Städten
nd Gemeinden meint.
Umso merkwürdiger mutet an, dass auch die Linke in
hrem Antrag vom Ersatz der Gewerbesteuer spricht.
rsatz ist der falsche Weg. Weiterentwicklung und Stabi-
isierung der Gewerbesteuer sind der richtige Weg, hin
u dem, was wir im Jahr 2003 als Ergebnis der Gemein-
efinanzreformkommission unter Hans Eichel das
Kommunalmodell genannt haben. Dazu gehört die
inbeziehung aller Finanzierungsformen in die Bemes-
ungsgrundlage der Gewerbesteuer und die Einbezie-
ung der Freiberufler in die Gewerbesteuerpflicht. Die
msetzung des Kommunalmodells ist bedauerlicher-
eise damals am schwarz-gelb dominierten Bundesrat
escheitert.
Mit der Unternehmensteuerreform 2008 waren wir
uf einem guten Weg. Schwarz-Gelb verlässt jetzt diesen
fad der Tugend wieder und kehrt zur Einrichtung neuer
teuerschlupflöcher zurück, mit katastrophalen Folgen
ür die Kommunalhaushalte.
Der Antrag der Fraktion Die Linke ist aber auch in
nderen Punkten unklar. Bedeutet die geforderte Ab-
chaffung der Gewerbesteuerumlage, dass auch auf die
nteile an der Einkommensteuer seitens der Kommunen
erzichtet werden soll? Immerhin gewährleistet die Um-
age seit 1969, als die Kommunen in Höhe von 15 Pro-
ent am Aufkommen der Einkommensteuer beteiligt wur-
en, einen gewissen Ausgleich für die Verluste von Bund
nd Ländern. Hätten Bund und Länder bei Wegfall der
mlage überhaupt noch ein Interesse an der Gewerbe-
teuer? Die kommunalen Spitzenverbände haben jeden-
alls im Gegensatz zur Linken die Gefahr erkannt und
lädieren deshalb für eine Absenkung und nicht für die
bschaffung.
Der Antrag der Fraktion Die Linke wirft mehr Fra-
en auf, als er beantwortet. Er ist unpräzise formuliert
nd in sich nicht konsistent. Deshalb findet er nicht die
ustimmung der SPD-Fraktion.
Einer Feststellung im Antrag der Fraktion Die Linke
ann ich vorbehaltlos zustimmen: Viele Städte, Gemein-
en und Landkreise befinden sich in einer dramatischen
aushaltslage. Da haben Sie völlig recht. Nur: Sie zie-
en die falschen Schlüsse daraus! In typischer Manier
inker Ideologie sehen Sie die einzige Lösung in zusätz-
ichem Abkassieren von Steuerzahlern hier Unterneh-
ern und Freiberuflern, indem Sie einfach die Be-
essungsgrundlage für die Gewerbesteuer verbreitern
nd weitere Berufsgruppen gewerbesteuerpflichtig stel-
en. Das bedeutet für viele Unternehmen schlicht eine
teuererhöhung und dies mitten in der schwersten
irtschaftskrise der Nachkriegszeit. Damit werfen Sie
ediglich frisches Geld in ein unzuverlässiges System
nd entziehen so den Betrieben Kapital, welches diese
ringend für Investitionen benötigen, die letztlich auch
en Kommunen zugute kämen.
Die im Grundgesetz Art. 18 Abs. 2 gesicherte kommu-
ale Selbstverwaltung müssen wir auf eine stabile, ver-
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2497
Antje Tillmann
gebene Reden
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lässliche finanzielle Grundlage stellen. In der Krise hat
sich erneut gezeigt, dass die extrem konjunkturab-
hängige Gewerbesteuer dazu nicht geeignet ist. Zur
Verdeutlichung: in Deutschland schwankte das Gewer-
besteueraufkommen im Zeitraum von 1999 bis 2008 zwi-
schen 27,06 Milliarden Euro und 41,037 Milliarden
Euro mit einem Einbruch auf 23,49 Milliarden Euro im
Jahr 2002. 2009 erlebten wir einen Konjunktureinbruch
von 5 Prozent. Der Deutsche Städtetag schätzt gleichzei-
tig einen Rückgang bei der Gewerbesteuer 2009 von
durchschnittlich 18,3 Prozent brutto, 17,4 Prozent netto,
wobei die einzelnen Kommunen sehr unterschiedlich be-
troffen sind mit teilweise über 40 Prozent Gewerbe-
steuermindereinnahmen zum Beispiel in der VW-Stadt
Wolfsburg. Diese Zahlen sind eineindeutig, die Schwan-
kungsbreite ist enorm und unkalkulierbar für die Kom-
munen.
Neben den konjunkturbedingten Steuermindereinnah-
men ist eine der Hauptursachen für die Finanznot der
Kommunen auf der Ausgabenseite zu suchen. In den letz-
ten Jahren wurden ihnen vor allem unter Rot-Grün
zunehmend Aufgaben vom Bund übertragen, ohne aus-
reichende Kostenübernahme zu gewährleisten. Kosten
für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern, Eingliede-
rungshilfe, Grundsicherung im Alter und das Tagesbe-
treuungsausbaugesetz verursachen enorme Kosten für
die Kommunen. Wir brauchen eine stärkere Berücksich-
tigung des Konnexitätsprinzips auf der Ausgabenseite,
damit wieder gilt: Wer bestellt, bezahlt.
Angesichts dieser Tatsache sollten wir uns über eine
grundsätzliche Strukturreform der kommunalen Steuer-
einnahmen Gedanken machen, anstatt ein marodes, la-
biles System weiter aufzublähen. Das Herumdoktern an
einem kranken System bringt den Kommunen keine Lin-
derung. Ich begrüße daher, dass die Gemeindefinanz-
reform jetzt auf die Tagesordnung gesetzt wird. Das
erste Treffen der Kommission aus Bund, Ländern und
kommunalen Spitzenverbänden am heutigen 4. März
2010 ist ein erster wichtiger Schritt. Dabei erwarte ich,
dass alle Beteiligten vorurteilsfrei, ergebnisoffen und
zielorientiert in die Diskussion eintreten.
Ich erinnere daran, dass die FDP seit Jahren fordert,
die Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der
Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die
Einkommen- und Körperschaftsteuer zu ersetzen, mit ei-
genem Hebesatzrecht für die Kommunen. Dieses
Hebesatzrecht schafft echten Wettbewerb zwischen den
Gemeinden und Transparenz und Entscheidungsfreiheit
für Bürgerinnen und Bürger. Es sorgt so für Kostenbe-
wusstsein und eine effiziente Mittelverwendung. Mittels
eines Zuschlags auf die Einkommen- und Körperschaft-
steuer werden alle Bürger und Unternehmen entspre-
chend ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung
ihrer Gemeinde beteiligt. Einkommensteuer, Körper-
schaftsteuer und Umsatzsteuer sind weniger konjunktur-
abhängig und schwankungsanfällig. So ist die Umsatz-
steuer im Gegensatz zu allen anderen Steuerarten selbst
im Krisenjahr 2009 sogar leicht gestiegen. Hätten Sie
früher auf die FDP gehört, sähe es heute bei den Ge-
meindefinanzen anders aus.
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Nicht zu vergessen: Grundlage jeder Steuereinnahme
st wirtschaftlicher Erfolg, sind Arbeitsplätze und
achstum. Wir haben mit dem Wachstumsbeschleuni-
ungsgesetz einen ersten Schritt unternommen, um die
onjunktur zu stärken. Jede verhinderte Insolvenz, jeder
rhaltene Arbeitsplatz kommt direkt auch den Kommu-
en zugute und spült Steuern in die leeren Kassen. Das
ergessen unsere Kritiker oft. In diese Richtung muss es
eiter gehen. Erwirtschaften statt abkassieren und um-
erteilen ist die Devise!
Heute konstituiert sich die Regierungskommission
ur Zukunft der Kommunalfinanzen. Damit wird die
ängst überfällige Diskussion zu den Kommunalfinanzen
röffnet. Die Linke erwartet, dass die Kommission nicht
inter verschlossenen Türen tagt, sondern dass eine
reite öffentliche Debatte über die Zukunft der Kommu-
alfinanzen zugelassen wird. Alle relevanten Akteure
üssen die Möglichkeit haben, ihre Interessen zu artiku-
ieren und sich in den Diskussionsprozess einbringen zu
önnen. Alle Ideen, Vorschläge aus möglichst vielen
ommunen, Verbänden und Gewerkschaften müssen
ingang finden. Denn diese Frage ist für Städte, Ge-
einden und Landkreise existenziell. Schließlich steht
ie Zukunft der Kommunen auf dem Spiel. Existenziell
ür die Kommunen ist in diesem Zusammenhang auch
ie Frage der Verstetigung und Verbreiterung der
ewerbesteuer, mithin ihre Entwicklung hin zu einer
emeindewirtschaftsteuer. Insofern hat die Linke heute
anz bewusst ihren Antrag eingebracht.
Die Haushaltssituation vieler Gemeinden hat sich ge-
ade in jüngster Zeit dermaßen verschlechtert, dass
iese vielerorts kaum noch handlungsfähig sind. Für das
aufende Jahr rechnet der Deutsche Städtetag mit einem
ekorddefizit in Höhe von insgesamt 12 Milliarden
uro, das nach Schätzungen von Bund, Ländern und Ge-
einden bis zum Jahr 2013 auf deutlich über 40 Milliar-
en Euro ansteigen wird.
Unstreitig dürfte sein, dass die Kommunen in der Re-
el unverschuldet in diese prekäre Lage geraten sind.
ie Kommunen vollziehen schon seit Jahren gezwunge-
ermaßen Entscheidungen des Landes-, des Bundes-
nd des europäischen Gesetzgebers, die einerseits zu
öheren Ausgaben und andererseits zu sinkenden Ein-
ahmen führen. Fehlentscheidungen der Bundesregie-
ung unter Rot-Schwarz und Schwarz-Gelb haben dazu
eführt, dass die Sozialausgaben explodieren. Die Kos-
en hierfür tragen zu einem großen Teil die Kommunen.
leichzeitig zieht sich der Bund immer mehr aus der Fi-
anzierung der Sozialleistungen zurück. So hat bei-
pielsweise der Bundestagsbeschluss zur Bundesbeteili-
ung zu einem Anstieg der bundesweiten kommunalen
elastungen mit Unterkunftskosten in Höhe von
1 Milliarden Euro geführt, was einer Steigerung von
7 Prozent seit Einführung von Hartz IV entspricht. So
eit zur Ausgabenseite.
Zur Einnahmenseite: Sowohl unter Rot-Schwarz als
uch unter Schwarz-Gelb hat die Bundesregierung Ge-
etzesvorhaben zur Steuerentlastung auf den Weg ge-
2498 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
Dr. Birgit Reinemund
gebene Reden
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bracht, die gerade die kommunalen Steuereinnahmen
empfindlich treffen. Allein im Zeitraum von November
2008 bis zum Sommer 2009 wurden im Bundestag mit
den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP Gesetze an-
genommen, die bis zum Jahr 2013 für die Kommunen zu
einer Belastung in Höhe von 19 Milliarden Euro führen.
Einnahmeausfälle und Ausgabensteigerungen, dieser
Spagat ist auf Dauer nicht zu verkraften und es droht be-
reits jetzt vielen Gemeinden der finanzielle Kollaps. Die-
ser Entwicklung kann und darf der Gesetzgeber nicht
weiter tatenlos zusehen. Die grundgesetzlich garantierte
kommunale Selbstverwaltung, die durch verschiedene
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes in ih-
rem Gehalt immer wieder bekräftigt und erweitert
wurde, darf nicht weiter ausgehöhlt werden.
Zu den strukturellen Finanzproblemen kommen jetzt
als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise noch enorme
Einbrüche bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer
hinzu. Im Durchschnitt sind diese Einnahmen im Jahr
2009 um 17,4 Prozent zurückgegangen, wobei in vielen
Städten deutlich dramatischere Verluste in Höhe von
zum Teil mehr als 40 Prozent zu verzeichnen waren. Ins-
gesamt mussten die Kommunen im Jahr 2009 Steuermin-
dereinnahmen in Höhe von 7,1 Milliarden Euro verkraf-
ten.
Der Rückgang der Gewerbesteuer ist aber für die
Linke im Unterschied zur FDP keinesfalls ein Grund,
die Abschaffung der Gewerbesteuer zu fordern. Im Ge-
genteil, unserer Auffassung nach sind die massiven
Gewerbesteuereinbrüche darauf zurückzuführen, dass
diese Steuer in der Vergangenheit nur unzureichend sta-
bilisiert wurde. Wir möchten in diesem Zusammenhang
auch an das von der Bundeskanzlerin im Mai 2009 auf
dem Städtetag in Bochum abgegebene Versprechen erin-
nern, wonach an der Gewerbesteuer nicht gerüttelt wer-
den soll.
Wir als Fraktion Die Linke schlagen zur Herbeifüh-
rung der notwendigen Verstetigung der Kommunalfi-
nanzen vor, die bestehende Gewerbesteuer zu einer Ge-
meindewirtschaftsteuer weiterzuentwickeln. So sollen
zukünftig alle unternehmerisch Tätigen in die Steuer
einbezogen werden. Die Last der bisherigen Gewerbe-
steuer soll auf mehr Schultern verteilt werden. Zudem
soll eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die
auch vom Städtetag sowie vom Städte- und Gemeinde-
bund gefordert wird, dazu beitragen, die derzeitige Ein-
nahmesituation der Gemeinden zu verstetigen, das heißt
sie konjunkturunabhängig zu gestalten.
Selbstverständlich ist uns klar, dass eine derartige
Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen an dieser
Stelle für kleinere Unternehmen und Existenzgründer
eine unangemessene wirtschaftliche Belastung darstel-
len kann. Unser Antrag sieht daher entsprechende Frei-
beträge vor, die im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage
sogar zu einer Steuererleichterung führen und damit ent-
sprechend mehr Kaufkraft generieren.
Zur Schließung von bisher bestehenden Steuer-
schlupflöchern und zur damit verbundenen Herstellung
von mehr Steuergerechtigkeit soll für die von uns vorge-
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chlagene Gemeindewirtschaftsteuer die Bemessungs-
rundlage im Vergleich zur aktuellen Gesetzeslage ver-
reitert werden, indem alle Schuldzinsen hinzugerechnet
nd die Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten,
easingraten und die Lizenzgebühren in voller Höhe bei
er Ermittlung der Steuerbasis Berücksichtigung finden.
ir möchten mit dieser Maßnahme jedoch nicht dahin-
ehend missverstanden werden, dass in Zukunft nicht
ehr die Möglichkeit bestehen soll, tatsächliche Ver-
uste steuerlich geltend zu machen. Wir möchten durch
ine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung von Gewin-
en und Verlusten in der jeweiligen Entstehungsphase
icherstellen, dass vorhandene Gewinne nicht im Nach-
inein kleingerechnet werden, und so dieses mögliche
teuerschlupfloch schließen. Im Ergebnis würde auch
ierdurch ein Plus an Steuergerechtigkeit geschaffen
erden.
Gerade in der Krise müssen wir sicherstellen, dass
ie Gemeinden über die finanziellen Mittel verfügen, die
ufgaben der Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und
ürger in guter Qualität zu erfüllen.
Die Linke schlägt in ihrem Antrag eine Umwandlung
er Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer
or. Dabei sollen auch freie Berufe mit in die Gewerbe-
teuerpflicht einbezogen werden und die gewinnunab-
ängigen Elemente voll hinzugezogen werden. Dazu
ann ich nur sagen: Bravo! Für eine solche Lösung wer-
en wir Grüne schon seit 2003.
Wenn heute nur rund ein Drittel aller umsatzsteuer-
flichtigen Unternehmen Gewerbesteuer zahlen, dann
st das nicht gerecht. Leider lassen Sie, sehr verehrte
olleginnen und Kollegen von den Linken, zentrale Er-
enntnisse der schon im Jahre 2002 eingesetzten Ge-
eindefinanzkommission unter den Tisch fallen. Wir
rüne wollen in unserem Konzept der kommunalen
irtschaftssteuer wie Sie die gewinnunabhängigen
lemente stärken und die freien Berufe einbeziehen. Wir
olgen jedoch dem Vorschlag der Kommission und wol-
en nicht nur die Steuerlast auf mehrere Schultern vertei-
en, sondern auch zugleich die Steuern senken.
Wir Grüne wollen es auch vermeiden, Unternehmen
urch die Einbeziehung gewinnunabhängiger Elemente
n der Substanz zu besteuern. Ich bin mir nicht sicher, ob
hre Fraktion dies im Blick hat. So fehlt in Ihrem Antrag
in zentraler Punkt: Sie müssen Unternehmen die Ver-
echnung von Verlusten ermöglichen und so die Steuer
ür wirtschaftlich schwierige Zeiten flexibler gestalten.
Außerdem müssen Sie deutlich machen, in welchem
usmaß Sie Freiberufler und Personenunternehmen mit
er Gewerbesteuer belasten wollen. Wir Grüne wollen
ie volle Anrechnung auf die Einkommensteuer, sodass
ie freien Berufe unter dem Strich nicht mehr belastet
erden, wohl aber ihren Beitrag für die kommunale
nfrastruktur leisten müssen, da die Gewerbesteuer in
rster Linie den Kommunen zufließt. Leider ist Ihr im
rundsatz richtiger Antrag an den entscheidenden Stel-
en zu unausgewogen.
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010 2499
Katrin Kunert
gebene Reden
2500 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 27. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2010
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Britta Haßelmann
Während die Linke zu kurz springt, sind die Forde-
rungen von Union und FDP, die Sie in der heute konsti-
tuierten Gemeindefinanzkommission prüfen lassen
wollen, geradezu abenteuerlich. Ihr Ansatz, die Gewer-
besteuer abzuschaffen und durch Umsatzsteueranteile
und Hebesätze auf die Einkommensteuer und die Kör-
perschaftsteuer zu ersetzen, ist schon 2003 in der Ge-
meindefinanzkommission aus guten Gründen verworfen
worden. Die Kommunen brauchen jetzt Entscheidungen,
die ihre strukturelle Unterfinanzierung durch Bund und
Länder substanziell verbessern. Statt Entscheidungen zu
treffen, vertagen Sie die Problemlösung in eine Kommis-
sion, die schon heute zum Scheitern verurteilt ist. Sie
schicken die Kommunen auf die Reservebank, um in al-
ler Seelenruhe weiter Steuersenkungen zu beschließen,
die den Kommunen weitere Milliarden an Einnahmen
entziehen. Wohin bei Ihnen die Reise geht, haben Sie be-
reits im Dezember kurz nach Regierungsantritt deut-
lich gemacht: Durch die Kürzung des Bundesanteils an
den Kosten der Unterkunft für ALG-II-Beziehende und
das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben Sie den
Kommunen mal eben 3,5 Milliarden Euro entzogen. Es
macht mich sprachlos, wenn Sie, sehr verehrte Kollegin-
nen und Kollegen von der Union und der FDP, bereits in
der morgigen Sitzung des Bundestages einen Beschluss
zur Unternehmensbesteuerung auf den Weg bringen
wollen, der den Kommunen weitere 650 Millionen Euro
jährlich entzieht. Das ist schon verwegen, einen Tag
nach der konstituierenden Sitzung der Gemeindefinanz-
kommission, unverdrossen weiter den Kommunen das
Wasser abzugraben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,
seien Sie ehrlich: Verraten Sie den Bürgerinnen und
Bürgern, wer künftig die 35 Milliarden Euro für die Ge-
werbesteuer aufbringen muss. Treffen wird es vor allem
die Bürgerinnen und Bürger in den Städten über erhöhte
Einkommensteuersätze oder sogar die Verbraucherin-
nen und Verbraucher über höhere Umsatzsteuerpunkte.
Seien Sie ehrlich und legen Sie offen, was es bedeutet,
die Gewerbesteuer abzuschaffen! Nur für die Unterneh-
men gehen Sie mit den Steuern runter. Für die Bürgerin-
nen und Bürger gehen die Steuern rauf. Das ist Ihre
Botschaft nach fünf Monaten schwarz-gelbem Regie-
rungschaos.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/783 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch damit sind Sie
einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich danke Ihnen, dass Sie so lange ausgehalten haben,
und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 5. März 2010, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.