Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie recht herz-
lich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nehmen Sie bitte
Platz.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: 13. Bericht zur Auswärtigen
Kulturpolitik.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr
Dr. Werner Hoyer. Bitte, Herr Staatsminister.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sie haben bereits da-rauf hingewiesen: Zum 13. Mal trägt die Bundesregie-rung dem Bundestag den Bericht über die AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik vor. Das Bundeskabinett hatsich heute Morgen mit diesem Thema befasst. Bundes-minister Westerwelle ist heute Nachmittag beim Men-schenrechtsrat in Genf, und er bittet zu entschuldigen,dass er diesem Termin den Vorrang geben muss. Deswe-Redegen habe ich die Ehre, zu dem Bericht vorzutragen.Der Bericht bezieht sich auf den Zeitraum von Juli2008 bis Juni 2009, also auf die Zeit der Vorgängerregie-rung. Das hält mich nicht davon ab, ausdrücklich festzu-halten, dass auch die neue Bundesregierung das enormeEngagement, mit dem die AKBP, die Auswärtige Kultur-und Bildungspolitik, in den letzten Jahren betrieben undweiterentwickelt wurde, zu schätzen und zu würdigenweiß. Wir wollen daran anknüpfen und bestimmte Berei-che weiter ausbauen.In der Bundesregierung – ich denke, auch über alleParteigrenzen hinweg – gibt es Konsens darüber, dassdie Auswärtige Kultur- und Bildungspolitikkunftsinvestitionen gehört, auf die unser Later der Globalisierung so dringend angewiewärtige Kultur- und Bildungspolitik ist mVisitenkarte für unser Land und mehr als ein Förderin-zungden 3. März 20103.00 Uhrstrument für bei uns beheimatete Künstler. In der Aus-wärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt jener An-satz hervorragend zum Ausdruck, den wir für unsereauswärtigen Beziehungen gerne als den Gleichklang vonWerten und Interessen beschreiben.Dass heute mehr als 120 000 Kinder an deutschenSchulen ausgebildet werden, ist nicht nur ein Indiz fürdie hohe Qualität unserer Ausbildung. Vielmehr wach-sen Multiplikatoren heran, die für unser Land von großerWichtigkeit sind. Das Gleiche gilt für die mehr als14 Millionen Menschen, die heutzutage im AuslandDeutsch als Fremdsprache lernen, für die 35 000 auslän-dischen Stipendiaten, die durch den DAAD gefördertwerden, das Alumni-Netzwerk der Humboldt-Stiftungmit mehr als 23 000 Personen und die vielen anderenMaßnahmen, die von Trägern der Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik oder in Einzelförderung erreichtwerden.Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns so-mit in der langfristigen Perspektive, wichtige außenpoli-tische Ziele zu verwirklichen. Hierzu zählen Krisenprä-vention durch das Schlagen von Brücken zwischenKulturen und Zivilisationen, die Stärkung der Menschen-rechte, die Förderung von Freiheit und Rechtsstaat sowietexteine erfolgreiche Außenwirtschaftspolitik. Dies verfol-gen wir mit einem bescheidenen finanziellen Ansatz. DieAusgaben des federführenden Auswärtigen Amtes fürden Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitikentsprechen einem Anteil von 0,24 Prozent des Bundes-haushalts.Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dieAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den kommen-den Jahren auf drei Gebieten voranzutreiben: Bildung,Dialog zwischen den Kulturen und Kommunikation.Lassen Sie mich kurz Beispiele dazu geben. Zunächstzum Bereich Bildung und Wissenschaft: Die Außenwis-itik zielt darauf ab, Deutschland eine füh- globalen wissenschaftlichen Netzwerk zuenschaftshäuser in São Paulo, Tokio, Neww York und Exzellenzzentren stärken die zu den Zu-nd im Zeital-sen ist. Aus-ehr als einesenschaftspolrende Rolle imsichern. WissDelhi und NeKooperation mit internationalen Partnern. Durch attrak-
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Staatsminister Dr. Werner Hoyertive Stipendien gewinnen wir die besten Studierendenund Wissenschaftler.Bereits die letzte Bundesregierung hat sich mit ihrerPartnerschulinitiative, kurz PASCH genannt, darum be-müht, das Interesse junger Menschen in der ganzen Weltfür Deutschland und die deutsche Sprache zu wecken.Wir haben auf diesem Gebiet erste deutliche Erfolge zuregistrieren. Beides sind wichtige Schritte zur Sicherungdes Wirtschafts-, Wissenschafts- und StudienstandortesDeutschland.Das Gleiche gilt für das Thema „Deutsch als Fremd-sprache“. Sie haben vor wenigen Tagen möglicherweisedie Eröffnung der Kampagne „Deutsch – Sprache derIdeen“ durch Bundesminister Westerwelle im Radialsys-tem in Berlin miterlebt. In diesem Zusammenhang wol-len wir uns übrigens auch für das Thema „Die Stellungdes Deutschen in der Europäischen Union“ bei dem sichherausbildenden Europäischen Auswärtigen Dienst ein-setzen. Außerdem ist es wichtig, dass die EuropäischeKommission rasch eine neue Übersetzungsstrategie vor-legt. Für die Arbeit der Bundesregierung, aber vor allemfür Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag ist es, insbeson-dere wenn es um EU-Gesetzgebung oder den Nachvoll-zug von EU-Gesetzgebung geht, unverzichtbar, dass alleDokumente in deutscher Sprache vorliegen.Zum Bereich Kulturdialog: Der Einsatz für Men-schenrechte, für Krisenprävention sowie für die Förde-rung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit spielt natürlicheine zentrale Rolle. Das Dialogangebot der AuswärtigenKultur- und Bildungspolitik trägt zur Stärkung von Zi-vilgesellschaften bei. Nehmen Sie nur dieses wirklichbemerkenswerte Beispiel der Ausstellung „Die Kunstder Aufklärung“, die bald in China gezeigt wird. Leidergibt es eine kurze zeitliche Verzögerung; aber, immer-hin, Anfang 2011 wird die Eröffnung möglich sein. Diestaatlichen Museen in Berlin, Dresden und Münchenwerden diese Ausstellung ausrichten. Das Thema Auf-klärung wird künftig einen thematischen Schwerpunktunserer Kulturarbeit in China ausmachen. Sie könnensich vorstellen, was das bedeutet.Ich möchte nicht ausführlich auf die dialogförderndeWirkung des Sports eingehen. Wir werden unsere Akti-vitäten im Bereich der Initiative „Sport und Außenpoli-tik“ konsequent fortsetzen.Schließlich ein Wort zum Thema „Deutschland-Jahre“ in Vietnam und Indien. Hier sind weitere guteBeispiele vorzutragen. Veranstaltungszyklen dieser Artumfassen Beiträge zu allen Aspekten der bilateralen Be-ziehungen und fördern damit die Herausbildung einesaktuellen Deutschland-Bildes.Um weltweit junge Menschen zu erreichen, muss manauf moderne Medien setzen. So tragen wir zu einer akti-ven Gestaltung der Globalisierung bei, insbesondere beiZukunftsthemen wie Klima, Umwelt und Entwicklung.Im Stimmengewirr der Globalisierung sollte Deutschlandals Akteur deutlich wahrnehmbar sein. Deswegen wollenwir die mediale Präsenz Deutschlands in der Welt verstär-ken. Dabei spielt die Deutsche Welle gewissermaßen alsmediale Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschlandweiterhin eine zentrale Rolle.Vielen Dank.
Danke, Herr Staatsminister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. – Zur ersten
Frage hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort.
Danke, Herr Hoyer, danke, Frau Präsidentin. – Meine
Frage bezieht sich auf die Problematik der fünf Wissen-
schaftshäuser, deren Standorte Sie schon benannt haben.
Ich frage vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zu
der strategischen Ausrichtung Ihrer Ziele, Wertevermitt-
lung etc.
Wir haben für uns immer das kooperative Herangehen
ausdrücklich betont, das heißt auch die Leistung, die
Deutschland in diesen Ländern anbietet, beispielsweise
um Ungleichheiten zu reduzieren. Sie haben vor dem
Hintergrund der Zielstellung dieser Wissenschaftshäuser
jetzt gesagt, es gehe Ihnen um die Gewinnung der Bes-
ten und die Stärkung Deutschlands als Wirtschafts-, Wis-
senschafts- und Studienstandort. Insofern frage ich: Was
ist das kooperative Moment für die Länder, in denen
diese Häuser stehen? Vor dem Hintergrund der Aus-
landshochschulen frage ich: Welche Beziehungen bzw.
Ausrichtungen ergeben sich dort? Die Orte sind ja unter-
schiedlich. Wie hoch sind die eingesetzten Mittel, und
wer sind die Partner in Deutschland und vor Ort?
D
Frau Kollegin Sitte, das Konzept der Wissenschafts-zentren hat natürlich etwas mit Netzwerkbildung zu tun.Deswegen ist das auf jeden Fall – insofern haben Sievöllig recht – eine Zweibahnstraße. Natürlich geht es da-rum, dass wir versuchen, besonders engagierte und inte-ressierte junge Leute nach Deutschland zu holen. Es gehtaber umgekehrt auch darum, in die entsprechenden Län-der auszustrahlen und Dinge von dort aufzunehmen. In-sofern stellen wir uns das nicht als Einbahnstraße vor.Wir sehen in der Frage der Wissenschaftshäuser ersteinen Beginn. Wir haben die Standorte, die ich eben ge-nannt habe, festgelegt. Das heißt, sie waren bereits fest-gelegt, als wir das Projekt übernommen haben, aber wirwerden das fortführen. Wir hoffen auf Erfolg. Ich kannmir vorstellen, dass in diesem Projekt in den nächstenJahren noch sehr viel mehr Musik sein wird.Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen jetzt die aktuellen Haus-haltszahlen dazu nicht nennen – ich werde das schnells-tens nachliefern –, weil ich den Haushaltsplan nicht mit-gebracht habe. Aber das ist natürlich ein Schwerpunktunserer auswärtigen Wissenschaftspolitik. Deswegen wer-den wir diese Ansätze nicht in Zweifel ziehen.
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Die nächste Frage stellt die Kollegin Krüger-Leißner.
Sie
sprachen eben von Auswärtiger Kultur- und Bildungs-
politik. Der Bericht, den ich gerade aus dem Internet he-
runtergeladen habe, enthielt nur den Begriff Kulturpoli-
tik. Ich glaube, da ist etwas vergessen worden.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich löse das gleich auf.
In dem Bericht wird deutlich, wie erfolgreich diese
Arbeit ist. In den Jahren 2008 und 2009 hat der damalige
Außenminister Steinmeier die Offensive für die Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik energisch begonnen.
Die ersten Erfolge werden in dem Bericht ausgeführt.
Ich hoffe sehr stark, dass die Arbeit unter neuer Führung
in diesem Sinne fortgesetzt wird.
Sie haben von der Ausstellung „Kunst der Aufklä-
rung“ in China berichtet, die verschoben wurde. Ist es
richtig, dass die Eröffnung der Ausstellung verschoben
wurde, weil dieses öffentlich-private Projekt wegen ei-
nes fehlenden Großsponsors noch nicht zustande kam?
Halten Sie daran fest, das Projekt in dieser Weise zu ent-
wickeln, oder wie soll die Finanzierung dafür aufge-
bracht werden, wenn es denn 2011 zur Eröffnung der
Ausstellung kommt?
D
Vielen Dank. – Zunächst einmal zum ersten Punkt. Sie
haben genau aufgepasst: Wir haben in dem Bericht in der
Tat von „Auswärtiger Kulturpolitik“ gesprochen. Das ist
dem Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag ge-
schuldet; denn dieser hat uns vor 13 Jahren beauftragt,
jedes Jahr einen Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik
vorzulegen. Wir selber haben aber mittlerweile das Ge-
biet ausgeweitet und gesagt: Wir dürfen nicht mehr nur
von Kulturpolitik in engerem Sinne sprechen – das
könnte falsch verstanden werden –, sondern wir wollen
ausdrücklich auch über Bildungspolitik und Wissen-
schaftspolitik reden. Deswegen haben wir uns erlaubt,
den Bericht etwas auszuweiten, sind dabei aber bei dem
uns vom Bundestag vorgegebenen Terminus geblieben.
Auch da sind wir in der Kontinuität der bisherigen Regie-
rung.
Sie haben zu Recht die Initiativen des ehemaligen Bun-
desministers Steinmeier angesprochen und auf sein Enga-
gement in dieser Frage in der letzten Legislaturperiode
hingewiesen. Ich glaube, Sie können zu jeder Haushalts-
debatte eine Rede von mir zu diesem Thema nachlesen,
die ich damals als Oppositionssprecher für Außenpolitik
gehalten habe. Bei allen Gefechten, die wir uns hier über
Fehler oder vermeintliche Fehler in der Außenpolitik ge-
liefert haben: Bei dem Thema Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik haben wir die Initiativen der alten Bun-
desregierung und von Minister Steinmeier ausdrücklich
unterstützt und gelobt. Gerade die Ausweitung der aus-
wärtigen Schulpolitik ist ein großes Erfolgsprojekt gewe-
sen. Das wollen wir fortsetzen. Sie wissen, dass sich
meine Kollegin Cornelia Pieper gerade dieser Themen
mit enormem Engagement annimmt und sich insofern in
einer Kontinuität der letzten Jahre sieht.
Danke, Herr Staatsminister. Ich nehme an, das Parla-
ment nimmt Ihre Anregungen zur Erweiterung der Be-
richtspflicht dankbar auf.
– Was fehlte?
D
Ach so, die Ausstellung. Da das mein Herzensanlie-
gen ist, hätte ich das niemals vergessen dürfen. Diese
Ausstellung, die allein aufgrund des Inhaltes ein ganz
großes außenpolitisches Gewicht hat, wird leider nicht
rechtzeitig eröffnet werden können. Wir hatten uns vor-
gestellt, vielleicht im September eine große Eröffnung
auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor-
nehmen zu können. Aber das neue, große Nationalmu-
seum wird nicht fertig. Hier steht zunächst einmal eine
bauliche Frage im Vordergrund. Wir bedauern das sehr.
Aber das Projekt an sich und auch das Finanzierungs-
konzept bleiben bestehen. Das Finanzierungskonzept
wird auch umsetzbar sein, aber eben mit einer Verzöge-
rung von, so schätze ich, vier oder fünf Monaten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Undine Kurth.Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Dr. Hoyer, wir alle hier im Hause sind uns sichereinig, dass Auswärtige Kulturpolitik eine Visitenkarte fürdas Land ist. Das sehen nicht nur wir in Deutschland so,sondern auch andere Länder. Man hat zum Beispiel beiGroßbritannien oder Frankreich den Eindruck, dass sieihre Künstler und Kreativen im Ausland wesentlich in-tensiver unterstützen, etwa in der Filmbranche oder inder Modebranche.Von deutschen Kreativen oder Künstlern, die sich imAusland bewegen, ob bei der Oscar-Verleihung oder woauch immer, hört man oft, dass sie sich relativ allein ge-lassen fühlen und entweder auf die Aktivitäten der Bot-schaften vor Ort oder andere Aktivitäten vor Ort ange-wiesen sind. Gibt es – auch rückblickend auf das, was inden letzten vier Jahren passiert ist – ein Konzept, um dieKreativen und Künstler im Ausland, die quasi unsere Vi-sitenkarte im Ausland mitzeichnen, deutlicher und bes-ser zu unterstützen?
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Zunächst einmal habe ich Ihnen das Konzept der
Bundesregierung, das heute auch rückblickend auf das
Jahr 2008/2009 im Bundeskabinett eine Rolle gespielt
hat, schriftlich vorgelegt und damit die konzeptionellen
Grundlagen dargelegt. Ich kann Ihnen versichern, dass
das, was Sie angesprochen haben, für uns ein ganz wich-
tiger Punkt ist. Wenn es Fälle gibt, wo sich jemand von
der Bundesregierung, egal ob von der alten oder neuen,
allein gelassen fühlt, dann sollten wir darüber reden und
versuchen, das zu korrigieren.
Wir können nicht bei jedem Event irgendwo in der
Welt, das kulturell bedeutsam ist, mit den Mitteln der Di-
plomatie und des Auswärtigen Amtes präsent sein. Dazu
ist, Gott sei Dank, zu viel Kreativität in der Welt zu be-
obachten, an der auch Deutsche beteiligt sind. Aber wir
bemühen uns nach Kräften darum. Es ist gut, wenn sich
die Generalkonsulate und Botschaften vor Ort darum
kümmern; dies geschieht häufig genug in Abstimmung
mit dem Mutterhaus. Wenn Sie konkrete Fälle kennen,
wo wir noch besser werden können oder sollen, dann
bitte ich Sie, uns diese zu zeigen. Wir werden Ihre Anre-
gungen dann aufgreifen.
Ich glaube, dass wir das auch gar nicht auf die Prä-
senz im Ausland beschränken können. Die Auswärtige
Kulturpolitik muss auch im Inland einiges tun. Deswe-
gen versuchen wir – auch wenn es mit geringen Mitteln
ist –, bei wichtigen Veranstaltungen wie dem Kurzfilm-
festival in Oberhausen – das ist eine wichtige internatio-
nale Veranstaltung – präsent zu sein und unseren eigenen
Kreativen zur Seite zu stehen.
Ohne Mikro gibt es keine Chance, durchzudringen.
Ich kann Sie gern noch einmal auf die Liste für weitere
Nachfragen setzen.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Da dieses Mikro offensichtlich selbstständig darüber
entscheidet, ob es arbeiten will oder nicht, muss ich mich
erst mit dem Mikro einigen. Kann ich jetzt noch eine
Nachfrage stellen? – Ich kann Ihrer Antwort also entneh-
men, dass Sie es als Aufgabe der Auswärtigen Kultur-
politik ansehen, unsere Künstler und Kreativen im
Ausland auch in Einzelprojekten, wo möglich, zu unter-
stützen?
D
Ja. Wir arbeiten natürlich sehr stark über Mittlerorga-
nisationen; das ist klar. Wir brauchen jetzt nicht darüber
zu reden, ob es sich um das Goethe-Institut, den DAAD,
die AvH-Stiftung oder andere handelt. Es gibt auch im-
mer wieder Einzelprojekte, die uns am Herzen liegen.
Wir müssen aufpassen, dass in Zeiten knapper Kassen
nicht ausgerechnet diese Einzelprojekte unter die Räder
kommen; denn diese verfolgen häufig äußerst wichtige
Anliegen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulla Schmidt.
Herr Staatsminister Hoyer, ich glaube, wir alle sind
uns einig – ich bin selten mit der FDP so einig wie in
diesem Punkt –, –
D
Das sollten wir verstärken.
– dass die Auswärtige Kulturpolitik ein wichtiger Pfeiler
in der auf zivile Krisenprävention angelegten auswärti-
gen Politik ist und dass die Auswärtige Kulturpolitik vor
allen Dingen durch das Bemühen und den enormen Ein-
satz von Frank-Walter Steinmeier wieder einen sehr ho-
hen Stellenwert erhalten hat.
Ich habe heute Morgen ein Interview mit Frau Staats-
ministerin Pieper gehört, in dem sie sagte, sie wolle na-
türlich auch eigene Schwerpunkte setzen und vor allen
Dingen im Bereich der Außenwissenschaftsförderung
weitere Akzente setzen. Wir haben in den Haushaltsbe-
ratungen darüber geredet, dass gerade in diesem Bereich
– dies betrifft auch die Ausgaben für Stipendien und an-
deres – eine Kürzung vorgesehen ist. Haben Sie heute
Morgen während der Beratungen im Kabinett darüber
beraten, wie die Finanzierung für einen Ausbau in die-
sem Bereich – so etwas hat ja auch immer finanzielle
Konsequenzen; Stipendien und Angebote müssen finan-
ziert werden – gesichert werden kann oder wie hier über-
haupt ein Ausbau stattfinden kann? Ist darüber geredet
worden, dass vielleicht aus dem Programm im Bildungs-
ministerium, durch das Mittel für die Finanzierung von
Projekten in anderen Bereichen zur Verfügung gestellt
werden, Mittel gesondert bereitgestellt werden können
und wo dann an anderer Stelle gekürzt wird? Ich frage
das, weil Aussagen über den Ausbau gerade in diesem
Bereich immer durch Titel im Haushalt abgedeckt wer-
den müssen; sonst bleiben sie Makulatur und werden im
Grunde genommen zurückgefahren.
D
Ich stehe bei der Beantwortung dieser Frage untergrößter Spannung, weil die Bereinigungssitzung hin-sichtlich des Haushalts 2010 morgen stattfindet und ichselber gerne wissen würde, was dabei herauskommt. Wirhoffen natürlich in der Tat, dass wir im Rahmen desHaushaltsverfahrens noch zu einer Umschichtung zu-gunsten von Mitteln, die im Einzelplan 05, also dem desAuswärtigen Amtes, für diesen Zweck verbucht werdenkönnen, kommen. Bezüglich der Mittel, die für das Bun-desministerium für Bildung und Forschung insgesamt
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Staatsminister Dr. Werner Hoyerzur Verfügung gestellt werden sollen, sehe ich hier in derTat noch eine Chance.Da ich die Bundesregierung insgesamt vertrete, sageich: Ich anerkenne das Anliegen. Wir wollen diese Mittelin der Tat weiter steigern und sind im Gespräch. Ichhoffe, dass das auch bei den Haushältern auf fruchtbarenBoden fällt. Bisher habe ich diesen Eindruck. Ich binaber ganz vorsichtig, weil der Haushalt jetzt in der Handdes Parlaments liegt.Dieser Haushaltsansatz ist für das Jahr 2010, wennich mich recht erinnere, um 9 Millionen Euro höher alsder Haushaltsansatz, den die alte Bundesregierung fürdas Jahr 2009 beantragt hatte. Das Parlament hat damalsim Haushaltsverfahren 10 Millionen Euro draufgelegt.Wenn ich eine unbescheidene Bitte äußern darf: Es wäreschön, wenn das Parlament dies wieder tun würde. Dannmüssten wir diese Mittel nicht um 1 Million Euro sen-ken, sondern könnten sie deutlich erhöhen.
– Das tue ich bzw. das tut Frau Pieper. Ich muss insge-samt sagen, dass Frau Pieper hier außerordentlich aktivist.
Die nächste Frage stellt der Kollege Manfred Grund.
In diesem Jahr findet in Kasachstan ein Deutsches
Jahr statt, in dessen Rahmen sich Deutschland mit
Kunst, Kultur, Wissenschaft und Sport präsentiert. In
Kasachstan lebt heute noch eine nennenswerte deutsche
Minderheit; es sind 250 000 bis 300 000 Deutsche. Wird
dieses Deutsche Jahr in Kasachstan mit Mitteln der Aus-
wärtigen Kulturpolitik unterstützt, wenn ja, welche Pro-
jekte, und sind es auch Projekte, an denen die deutsche
Minderheit beteiligt wird?
D
Sie haben die Grundstruktur des Projektes selber be-
nannt; das ist so zutreffend. Ich habe keine Kenntnis von
der Art und Weise der Einbindung. Ich finde allerdings, es
ist selbstverständlich, diesen Versuch zu unternehmen.
Insgesamt ist das Thema Kasachstan in diesem Jahr ganz
besonders wichtig, auch aufgrund der Verknüpfung von
allgemeiner Außenpolitik und Auswärtiger Kultur- und
Bildungspolitik.
Kasachstan übernimmt in diesem Jahr im Rahmen der
OSZE eine sehr bedeutende Rolle. Vor diesem Hinter-
grund ist es wichtig, dass Deutschland dort nicht nur mit
Interessen, sondern auch mit Werten präsent ist. Auch
die in Kasachstan befindlichen Deutschen zu motivieren,
sich bei der Vermittlung unserer Werte zu engagieren, ist
ausgesprochen sinnvoll.
Ich reiche Ihnen eine präzisere schriftliche Beantwor-
tung dieser Frage nach, weil ich die genauen Details der
Einbindung der deutschen Minderheit nicht kenne.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.
Ich habe eine Frage zur strategischen Ausrichtung Ih-
rer Arbeit. Frau Pieper hat heute Morgen im Deutsch-
landfunk – das Interview wurde schon zitiert – von der
Stabilisierung der Situation in Krisenländern gesprochen
und als Beispiel die Bildungsleistung für Afghanistan in
Höhe von 10 Millionen Euro genannt. Die jüngsten Er-
eignisse, beispielsweise in Haiti, veranlassen mich, Sie
zu fragen, ob es heute Morgen schon erste Verständigun-
gen darüber gegeben hat, wie man Haiti nach dem Erd-
beben helfen kann.
D
Ich muss Ihnen gestehen, Frau Kollegin Sitte, dass
wir bei unserer in der Tat ernsthaften Beratung des The-
mas Haiti am heutigen Morgen nicht in allererster Linie
an die Kultur gedacht haben. Was Haiti betrifft, sind jetzt
ganz konkrete humanitäre Notaktionen fällig. Daran an-
schließend ist im internationalen Kontext eine giganti-
sche Aufbauleistung zu erbringen.
Ich glaube, wenn wir sozusagen das erste Geröll ab-
geräumt haben, wieder einigermaßen frei im Kopf sind
und die Aufbauarbeit in Angriff nehmen können, ist es
richtig, auch die kulturelle Dimension zu thematisieren.
Gegenwärtig sind wir aber noch nicht so weit. Es wäre
unrealistisch, zu behaupten, wir würden im Zusammen-
hang mit Haiti jetzt schon über konkrete Kulturprojekte
sprechen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass wir auch
dieses Thema ernst nehmen.
– Ja, okay. Auf diesem Gebiet passiert gegenwärtig
enorm viel. Wir befinden uns in der internationalen Ab-
stimmung. Die Bundesrepublik Deutschland sollte aber
keine Einzelaktionen unternehmen. Das Vorgehen wird
im Rahmen der Vereinten Nationen abgestimmt. Es ist
natürlich ganz wichtig, dafür zu sorgen, dass den Kin-
dern unabhängig von den drängenden Fragen der Infra-
struktur so schnell wie möglich wieder ein breites Bil-
dungsangebot gemacht werden kann. Das ist eines der
zentralen Themen, mit denen sich die Vereinten Natio-
nen befassen; daran werden wir uns beteiligen. Aber an
dieser Stelle kann ich noch keine konkreten eigenen, na-
tionalen Projekte beisteuern.
Das Wort zu einer weiteren Frage hat der Kollege
Dr. Hermann Ott.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister, alsWuppertaler Abgeordneter nutze ich ganz schamlosmeine Kenntnis der Tatsache, dass Sie gebürtig ausWuppertal sind, zu einer Frage aus, die das Globale mitWuppertal verbindet. Sie wissen, dass Pina Bausch, die
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Dr. Hermann Ottsicherlich als eine der Kulturbotschafterinnen Deutsch-lands bezeichnet werden kann, vor kurzem gestorben ist.Sie wissen auch, dass es Bestrebungen gibt, eine Stiftungzu Ehren von Pina Bausch einzurichten, vielleicht sogarim Schauspielhaus, das akut von Schließung bedroht ist.Könnte sich die Bundesregierung, konkret das Auswär-tige Amt und Sie oder Ihre Kollegin Frau Pieper, dafüreinsetzen, dass eine solche Stiftung mit Mitteln des Bun-des gefördert wird, um weiterhin in die Welt auszustrah-len?D
Herr Kollege Ott, Sie wissen, dass ich jetzt hier in die
schwere Versuchung gerate, nicht nur als Wuppertaler,
sondern auch als Bewunderer des Lebenswerks von Pina
Bausch zu sagen: Ja, da steigen wir richtig ein. Haushäl-
terisch wäre eine solche Aussage natürlich einigermaßen
unseriös. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir die
große Leistung dieser Künstlerin für unsere Nation zu
würdigen wissen und dass wir es begrüßen, wenn diese
Erinnerung in Wuppertal hochgehalten wird.
Eine konkrete Antwort und Zusage im Hinblick auf
das Thema Schauspielhaus in Wuppertal wäre ange-
sichts der Tatsache, dass in Nordrhein-Westfalen gegen-
wärtig viele große Schauspielprojekte auf der Tagesord-
nung stehen, etwas Verwegenes. Aber dass ich große
Sympathie für dieses Projekt habe, können Sie sich vor-
stellen. Darüber sprachen wir ja bereits.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Edelgard
Bulmahn.
Herr Staatsminister, es ist sicherlich für uns alle sehr
erfreulich, dass Sie in Ihrer Politik der Auswärtigen Kul-
turpolitik einen so hohen Stellenwert zumessen. Damit
stoßen Sie auf sehr große Zustimmung.
Meine Frage bezieht sich auf das Programm des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes, ganz kon-
kret auf die Studienangebote im Ausland. Sie werden
verstehen, dass ich mich selber sehr darüber gefreut
habe, dass das Auswärtige Amt seit Frank-Walter
Steinmeier gerade der wissenschaftlichen Zusammen-
arbeit einen größeren Stellenwert zumisst. Vor vielen
Jahren haben wir das Programm „Studienangebote deut-
scher Hochschulen im Ausland“ gestartet, das zu sehr er-
folgreichen Gründungen von Hochschulen im Ausland
in Kooperation mit deutschen Hochschulen geführt hat.
Ich nenne nur die Hochschulen in Kairo und in Amman.
Meine Frage geht dahin, ob die Finanzierung dieser
Hochschulen gesichert ist, und zwar nicht nur für dieses
Jahr, sondern auch für das nächste und übernächste Jahr;
denn der Erfolg dieser Ausgründungen, die wir getätigt
haben, hängt auch von der Verlässlichkeit und Stabilität
der Finanzierung für einen bestimmten Zeitraum ab. Es
ist völlig klar – das füge ich hinzu, um nicht missver-
standen zu werden –, dass es nicht um eine Dauerfinan-
zierung geht; aber wir müssen die Finanzierungssicher-
heit für den Zeitraum haben, in dem sich die
Hochschulen noch im Aufbau befinden.
Deshalb wäre es sehr schön, wenn Sie meine Frage
positiv beantworten könnten. Wenn Sie es im Moment
nicht können, weil die Finanzierung über das BMBF er-
folgt, dann bitte ich Sie, diese Frage schriftlich zu beant-
worten.
D
Letzteres werde ich in Zusammenwirken mit dem
BMBW sehr gerne tun.
– Heute BMBF. – Trotzdem ist es natürlich ein Thema,
das für uns enorm wichtig ist. Wir haben diese Projekte
auch als außenpolitische Projekte auf den Weg gebracht,
und für uns ist Nachhaltigkeit ein Grundprinzip. Wenn
man so etwas auf den Weg bringt, muss man das Kind so
lange begleiten, bis es selber laufen kann. Die Projekte,
die wir auf den Weg gebracht haben, sind meines Wis-
sens in trockenen Tüchern; aber ich werde dies gemein-
sam mit dem BMBF noch einmal mit Zahlen zu belegen
versuchen. Ich halte es für wichtiger, diese Dinge mit
Nachhaltigkeit auszustatten, als hektisch zu viele neue
Sachen anzufangen. Deswegen bin ich in diesem Punkt
sympathisierend auf Ihrer Seite.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Krüger-
Leißner das Wort.
Herr Staatsminister, ich würde Sie gerne etwas zu un-seren Auslandsschulen fragen. Mit der Entwicklung undder PASCH-Initiative können wir alle ganz zufriedensein. Wir können stolz sein auf das, was sich da getanhat.Sie haben vorhin gesagt, dass der Haushaltsansatz fürdie Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhöht wor-den ist. Das trifft auf den ersten Blick zwar auch auf denBereich der Auslandsschulen zu; aber es steigen ledig-lich die Aufwendungen für die Lehrkräfte. Die Zuwen-dungen an die Auslandsschulen selbst gehen zurück, unddas angesichts dessen, dass die Zahl der Auslandsschu-len, die Zahl der Sprachdiplome und die Kosten für dieLebensführung insgesamt gestiegen sind. Mir macht dasgroße Sorgen.Gleichzeitig wollen Sie, dass die deutschen Auslands-schulen Qualitätsstandards einhalten bzw. erreichen.Dazu haben Sie mit der ZfA bestimmte Qualitäts- undEntwicklungsziele vereinbart. Sie wollen das auch mes-sen: Alle drei bis fünf Jahre, habe ich nachgelesen, wol-len Sie auswerten, ob die Instrumente geeignet sind. Gibtes da konkrete Vorstellungen? Wann können wir mit derersten Auswertung der Daten hinsichtlich der Qualitäts-steigerung in den deutschen Auslandsschulen rechnen?
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D
Mit dieser Frage bin ich überfordert. Ich vermute,
dass wir 2011 so weit sein werden – das würde in der
Logik des Aufbaus der Schulen Sinn machen –, ich habe
mir den genauen Zeitplan der einzelnen Schritte aller-
dings nicht geben lassen.
Dass wir uns nicht missverstehen: Ich teile Ihre
Sorge. Im Etat sind 54,7 Millionen Euro vorgesehen; das
ist gleich viel wie für 2009. Angesichts der Gesamtent-
wicklung ist das natürlich nicht erfreulich. Das gilt aller-
dings für viele Bereiche dieses Bundeshaushalts.
Auswärtige Kulturpolitik ist – wie Kulturpolitik über-
haupt – immer Kampf um die Mittel. Man hat es dabei
mit starken Gegnern zu tun. Damit meine ich nicht nur
den Finanzminister – das liegt in der Natur der Sache –,
sondern auch andere Bereiche der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik. Deswegen ist es, finde ich, ein Er-
folg, dass es gelungen ist, den Etatansatz zu stabilisieren.
Angesichts der Tatsache, dass in der Aufbauphase für
viele neue Partnerschulen oder Schulen, die zu Partner-
schulen gemacht worden sind, sozusagen die Grund-
investitionen getätigt sind, erscheint mir die Situation
vergleichbar. Ich gehe aber wie Sie davon aus, dass wir
für diesen Bereich in den nächsten Jahren mehr Geld
brauchen. An diesem Partnerschaftsprogramm nehmen
jetzt 1 400 Schulen teil. Wir können uns vorstellen – in
Linie mit dem, was die alte Bundesregierung und Herr
Steinmeier in diesem Punkt gemacht haben –, auf
1 500 Schulen zu kommen. Dazu braucht es aber ein
bisschen mehr Geld.
Weitere Fragen zu dem Bericht des Herrn Staats-
ministers? – Frau Kurth hat das Wort zu einer Nachfrage
zu dem Bericht des Herrn Staatsministers.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Noch eine Frage zu den Finanzen. Sie haben vorhin
erfreulicherweise gesagt, dass die Ausstellung „Kunst
der Aufklärung“ Ihnen ein Herzensanliegen sei. Auch
wir begrüßen außerordentlich, dass diese Ausstellung
zustande kommen wird.
Sie haben vorhin aber auch gesagt, dass es wichtig ist,
kleinere Vorhaben weiterhin finanziell zu unterstützen,
zum Beispiel zu helfen, dass finanzschwache Länder
ihre Filmemacher zu den Internationalen Kurzfilmtagen
Oberhausen schicken können. Auch die Berliner Litera-
turtage zählen zu den kleineren Vorhaben, die ausfinan-
ziert werden müssen. Ich frage sie daher, ob es stimmt,
dass die Ausstellung in Peking nicht, wie das im Haus-
haltsansatz für 2010 ursprünglich vorgesehen war, zulas-
ten anderer Kulturvorhaben in Ihrem Bereich gehen
wird. Das ist meines Wissens zurückgenommen worden.
Wird diese Ausstellung, die wir alle sehr begrüßen, auch
2011 auf keinen Fall zulasten anderer kultureller Vorha-
ben gehen?
D
Ich persönlich gehe davon aus – ich glaube, die Bun-
desregierung insgesamt geht davon aus –; denn durch die
in der Sache bedauerliche Verzögerung beim Bau des
Museums in Peking findet eine Entzerrung statt, sodass
sich die vorgesehenen Mittel auf die Haushaltsjahre
2010 und 2011 verteilen. Dadurch ist wieder ein biss-
chen Bewegungsspielraum entstanden. Die Weiterfinan-
zierung der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen
oder die Weiterfinanzierung der Literaturwerkstatt Ber-
lin, des Deutschen Übersetzerfonds oder der Präsenz auf
der Leipziger Buchmesse, das war alles noch nicht in
trockenen Tüchern. Wir haben es mittlerweile in trocke-
nen Tüchern, und darüber bin ich sehr glücklich.
Weitere Nachfragen zum Bericht des Herrn Staats-
ministers liegen mir nicht vor.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka-
binettssitzung? – Kollege Fell, bitte.
Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie mir noch die
Gelegenheit dazu geben. – Meine Frage bezieht sich auf
den heutigen Beschluss des Bundeskabinetts zur Solar-
vergütung. Frau Staatssekretärin Reiche, ich nehme an,
dass Sie sie mir beantworten werden.
Ich frage die Bundesregierung: Was ist die wissen-
schaftliche Basis für die Absenkung der Vergütung um
16 Prozent ab Juli 2010, und was ist die wissenschaftli-
che Basis für den Ausschluss der Agrarflächen von der
EEG-Vergütung?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Frau Präsidentin! Herr Kollege Fell, Sie geben mirmit Ihrer Frage die Gelegenheit, den Beschluss der Bun-desregierung hinsichtlich einer Formulierungshilfe fürden Deutschen Bundestag zur Neuregelung der Fotovol-taik umfassend vorzustellen, weil ich der Auffassungbin, dass Sie mit Ihren Fragen darauf zielen, dass dieVermutung angestellt wird, wir könnten es mit dem Aus-bau der erneuerbaren Energien oder gar der Fotovoltaiknicht ernst meinen.Die Geschichte der Fotovoltaik in Deutschland ist eineErfolgsgeschichte: Unsere Unternehmen und unsere For-schung sind weltweit technologisch führend, die Branchehat einen hohen Exportanteil, und die Anzahl der in derSolarbranche Beschäftigten einschließlich Handwerkernbeträgt mittlerweile über 60 000. Für uns ist die Solar-energie sehr wohl ein zentraler Zukunftsmarkt.
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2262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Katherina ReicheHerr Kollege Fell, allein im Jahre 2009 wurden aller-dings neue Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistungvon 3 000 Megawatt installiert. Die Prognose lag bei1 700 bis 1 800 Megawatt. Damit sind Anlagen mit einerGesamtleistung von mittlerweile rund 9 000 Megawattin Betrieb. Obwohl wir unsere Zubauprognose mit einerZielmarke von jährlich 3 500 Megawatt verdoppeln wol-len, war und ist eine Korrektur der Vergütung zwingendgeboten.Die Solarenergie hat im Vergleich zu anderen erneu-erbaren Energien ohne Frage das größte Ausbaupoten-zial, aber im vergangenen Jahr gab es an den Märkten ei-nen Preisverfall von bis zu 30 Prozent. Auch in diesemJahr wird ein Preisverfall von bis zu 15 Prozent prognos-tiziert. Deshalb haben wir ein sehr differenziertes Sys-tem der Korrektur vorgeschlagen, das die Elemente ent-hält, die Sie eben beschrieben haben, aber eben auchnoch sehr viel mehr.Wir schlagen vor, die Subventionen für Dachanlagenum 16 Prozent und für Anlagen auf Konversionsflächennur um 11 Prozent abzusenken. Die Förderung von An-lagen auf Freiflächen und auf sonstigen Flächen wird um15 Prozent abgesenkt. Das heißt, das Thema Freiflächeist und bleibt für uns wichtig. Die jährliche Absenkungder Vergütung, das heißt, die Degression, wird stärker andas Marktwachstum angepasst.Das Wichtigste ist aber, dass wir die Zielmarke ver-größern. Sie lag bislang in den von den Experten schonals sehr ambitioniert eingeschätzten Prognosen bei1 700 Megawatt. Wir vergrößern diese auf 3 500 Mega-watt und tun damit das, worum wir von den Unterneh-men gebeten worden sind, nämlich dafür Sorge zu tra-gen, dass das Volumen in Deutschland erhöht werdenkann.Die Absenkung soll zum 1. Juli 2010 erfolgen. Wirsorgen damit für die notwendige Rechtssicherheit vonPlanungen, sagen aber gleichzeitig, dass es in der Ge-samtbetrachtung der Differenzkosten, bei der die Solar-energie schon heute den größten Anteil hat, nicht zu Un-wuchten kommt.Freiflächen werden nach wie vor genutzt, Herr Kol-lege Fell; das ist uns wichtig. In den Ackerflächen sehenwir aber eben eine Konkurrenz, die auch für die Akzep-tanz der Solarenergie nicht ganz ungefährlich ist; dennwir können nicht ignorieren, dass es in DeutschlandGebiete gibt, wie den Osten, die sich sehr um eine An-siedlung auf Freiflächen bemühen und wo es ja aucherfolgreiche Ansiedlungen gab. Der Widerstand – ins-besondere in südlichen Teilen unseres Landes – gegeneinen großflächigen Zubau von Solaranlagen auf wert-vollen Ackerflächen kann aber dazu führen, dass die Ak-zeptanz der von uns gewollten Solarförderung abnimmt.Deswegen werden wir an dieser Stelle korrigieren.Der Zubau auf Ackerflächen wird nicht mehr geneh-migt und in Zukunft verboten werden. Ausgenommensind allerdings Flächen, auf denen schon jetzt Anlagengeplant sind, um hier nicht in laufende Prozesse einzu-greifen. Der Zubau auf Konversionsflächen oder bei-spielsweise auf Flächen entlang von Straßen wird abernach wie vor gefördert.
Nach unserer Geschäftsordnung ist es vorgesehen,
dass die Befragung der Bundesregierung bei Bedarf ver-
längert werden kann. Bisher hatten wir allerdings noch
nicht den Fall, dass wir gleich zwei gut vorbereitete Be-
richte der Bundesregierung gehört haben. Ich bitte die
zwei Nachfragenden, die ich deshalb jetzt noch zulasse,
um kurze und damit auch kurz zu beantwortende Fragen,
sodass wir dann in die Fragestunde übergehen können.
Kollege Fell, Sie können eine Nachfrage stellen; nach
der Beantwortung hat der Kollege Michael Roth das
Wort.
Frau Kollegin Reiche, vielen Dank für die Informatio-
nen, die uns bekannt sind. Da Sie auf meine Frage, wel-
che wissenschaftliche Basis diese Beschlüsse haben,
nicht eingegangen sind, nehme ich nun zur Kenntnis,
dass es offensichtlich keine wissenschaftliche Basis gibt.
Ich möchte Ihnen dennoch Gelegenheit geben, eine
zweite Frage zu beantworten.
Sie wissen, dass ein Großteil der deutschen Solarpro-
duzenten bereits im Jahr 2009 rote Zahlen geschrieben
hat. Ich würde gern wissen, welche Erwartung die Bun-
desregierung für die Ertragssituation der deutschen
Solarindustrie in den Jahren 2010 und 2011 – nach der
drastischen Vergütungssenkung – hat.
Ka
Kollege Fell, der Preisverfall im vergangenen Jahr hatstattgefunden, obwohl es eine sehr auskömmliche Vergü-tung gab. Das EEG ist ausdrücklich nicht darauf ange-legt, den Produzenten als solches zu fördern, sondern diegesamte Wertschöpfungskette, die Installation von Leis-tung. Wir können mit dem EEG nicht regeln, wo Ge-winne anfallen, wo die meisten Gewinne realisiert wer-den. In der Tat ist es so, dass es bei den Installateuren diegrößte Gewinnschöpfungsspanne gab.Bei der neuen EEG-Förderung achten wir darauf, dassder Eigenverbrauch gestärkt wird, dass also diejenigen,die eine Solaranlage auf dem Dach installieren und diegewonnene Leistung für sich selbst verbrauchen, in Zu-kunft nicht mehr durchschnittlich 3 Cent, sondern 8 CentFörderung pro Kilowattstunde erhalten, und das nichtnur bis zu einem Volumen von 30 Kilowatt, sondern biszu einem Volumen von 800 Kilowatt Leistung. Deshalbgehen wir davon aus, dass wir den Anreiz auch für pri-vate Personen stärken, in die Solarförderung zu investie-ren. Damit geben wir unseren Unternehmen eineChance, sich weiter am Markt zu etablieren; das habensie bisher schon getan. Wir gehen davon aus, dass diemoderaten Korrekturen dazu führen, dass sich die Unter-nehmen in Deutschland weiter gut entwickeln können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2263
(C)
(D)
Zu einer letzten Nachfrage hat der Kollege Roth das
Wort.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich frage die Bun-
desregierung, ob es heute in der Kabinettssitzung schon
eine Diskussion über die Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung gab.
Wenn ja, gibt es hierzu schon einen Zeitplan für ein et-
waiges Gesetzgebungsverfahren?
E
Herr Kollege Roth, die Entscheidung des Verfas-
sungsgerichts ist selbstverständlich angesprochen wor-
den; einen Zeitplan gibt es noch nicht.
Ich beende die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/839 –
Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/839 in der üb-
lichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwor-
tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekre-
tär Dr. Gerd Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Friedrich Ostendorff
auf:
Warum hat die Bundesregierung den Weltagrarbericht des
IAASTD – International Assessment of Agricultural Know-
ledge, Science and Technology for Development – anders als
zum Beispiel Frankreich und Großbritannien bis heute nicht
unterzeichnet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
In diesem sogenannten Weltagrarbericht sind überwie-
gend bekannte Fakten zusammengefasst. Wir schätzen
diese Arbeit. Die Kernbotschaft dieses Agrarberichts,
dass Armut und Hunger am effektivsten durch die Stei-
gerung der Produktivität der kleinbäuerlichen Betriebe
im Rahmen einer multifunktionalen ländlichen Entwick-
lung bekämpft werden können, ist internationaler Kon-
sens.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Präsidentin, schönen Dank. – Herr Staatssekre-
tär, der Weltagrarbericht wurde von der Weltbank und
den Vereinten Nationen initiiert. Er wurde von 500 Wis-
senschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft in ei-
nem vierjährigen Prozess erarbeitet. Es stellt sich die
Frage, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse die Bun-
desregierung dazu veranlasst haben, den Bericht nicht zu
unterzeichnen, wie es mit Einschränkungen selbst die
USA, Kanada und Australien getan haben.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Herr Kollege, ich habe Ihnen eben dargelegt, dass wir
den Bericht zur Kenntnis genommen haben und in we-
sentlichen Teilen die Botschaften mittragen. Dass es
auch Bereiche gibt, über die man diskutieren kann, ist
völlig klar. Aber im Wesentlichen sind darin Kernbot-
schaften zusammengefasst, die sich auch in vielen ande-
ren internationalen Dokumenten wiederfinden.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, hat die ablehnende Haltung der
Bundesregierung zum Weltagrarbericht mit den kriti-
schen Aussagen dieses Berichtes – und wenn, mit wel-
chen – zu tun? Ist die Bundesregierung deshalb nicht be-
reit, den Bericht zu unterzeichnen?
Dr
Nein, ich habe dargestellt, dass wir den Bericht zur
Kenntnis nehmen und auch damit arbeiten, aber nicht die
Notwendigkeit gegeben ist, dieses Dokument jetzt zu
unterzeichnen.
Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Ostendorff:
Sieht die Bundesregierung die Belastung durch Wirt-
schaftsdünger, insbesondere aus der nicht flächengebundenen
Tierhaltung und auf Standorten konzentrierter Tierhaltung wie
in Nordrhein-Westfalen, als Problem für Trinkwasser und
Umwelt an, und, wenn ja, welche Lösungen schlägt die Bun-
desregierung auch im Hinblick auf Gülle-Importe vor, nach-
dem sie mehr Transparenz durch die Verbringungsverordnung
für Wirtschaftsdünger ablehnt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Bei der Frage 2 geht es um das Thema Düngeverord-nung. Ich freue mich, dass wir heute die Agrarthemenumfassend behandeln können.Die Düngeverordnung vom Januar 2006 konkretisiertdie Regeln der guten fachlichen Praxis beim Düngen undträgt dem Gewässerschutz in besonderer Weise Rech-nung. Diese Verordnung dient auch der Umsetzung der
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2264 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd MüllerEG-Richtlinie zum Schutz der Gewässer vor Verunreini-gung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen. DieEinhaltung dieser Regeln stellt auch in Gebieten mitkonzentrierter Tierhaltung, wie wir sie in NRW, wie inIhrer Frage angesprochen, und in Niedersachsen haben,einen umfassenden Gewässer- und Umweltschutz sicher.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben mit Recht darauf hin-
gewiesen, dass besonders in Niedersachsen, aber auch in
Nordrhein-Westfalen das Problem verschärft auftritt,
weil es hier auch um den Import von Gülle und Gär-
substraten aus den Niederlanden geht. Sie wissen auch,
dass der Steuerzahler den Export von Gülle subventio-
niert. Das muss man einmal nachvollziehen, wie weit
eine Zivilgesellschaft gekommen ist, wenn sie den Ex-
port von Gülle mit Steuermitteln finanziert. Aber gut,
das ist nicht meine Frage.
Dieser Zustand hat das Bundesland Nordrhein-West-
falen veranlasst, tätig zu werden. Sie haben das zu erklä-
ren versucht. Es bleibt aber die Frage, warum die Bun-
desregierung hier keinen Handlungsbedarf sieht.
Wir haben mindestens die Nachfrage, um welche
Mengen es sich Ihrer Kenntnis nach handelt, die hier im-
portiert aus den Niederlanden in unsere Bundesländer
einsickern.
Dr
Herr Kollege Ostendorff, entscheidend ist sicherlich,
dass die Regelungen zum Gewässer- und Umweltschutz
eingehalten werden. Das möchte ich auch in Richtung
der angesprochenen Bundesländer sagen. Wir haben hier
keine Probleme. Der Anteil der Messstellen, bei denen
eine Nitratbelastung festzustellen ist, geht zurück.
Die von Ihnen angesprochene Problematik des Voll-
zugs der Düngeverordnung wird ebenso wie die Kon-
trolle der Verbringung auf Fachebene mit den Bundes-
ländern diskutiert. Es wird ein Entwurf erstellt, der über
den Bundesrat eingebracht wird und den wir dann mit
den Bundesländern prüfen und diskutieren.
Eine weitere Nachfrage, bitte.
Das bringt uns sofort zu der nächsten Frage nach der
bisherigen Praxis. Sind Sie der Meinung, dass die Doku-
mentationspflichten, die heute beim Import von Gülle
und Gärsubstraten aus den Niederlanden gelten, ausrei-
chend sind?
Dr
Nach der Düngeverordnung muss aufgezeichnet wer-
den, wer Wirtschaftsdünger abgibt oder aufnimmt. Die
von Ihnen angesprochene Frage der grenzüberschreiten-
den Verbringung ist Gegenstand der Diskussion, die wir
mit den Bundesländern führen.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Waltraud
Wolff:
Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die
zu der Neubewertung des Beitrages der Landwirtschaft an der
Emission von Treibhausgasen durch die Parlamentarischen
Staatssekretäre bei der Bundesministerin für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Julia Klöckner und
Dr. Gerd Müller, in ihrer Pressemitteilung vom 24. Februar
2010 zu einer gemeinsamen Anhörung des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu „Landwirtschaft und Klimaschutz“ im Vergleich zum Na-
tionalen Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für
die Entwicklung ländlicher Räume 2007 bis 2013 des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz von 2006 geführt haben, in dem der Anteil der Land-
wirtschaft an den Treibhausgasemissionen mit insgesamt rund
128 Megatonnen jährlich bzw. 13 Prozent angegeben wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
wichtige Thema „Landwirtschaft, Forstwirtschaft und
Klimaschutz“ ist Gegenstand dieser umfassenden Frage
von Frau Wolff. Der in die Berichterstattung zur Klima-
konvention eingehende Anteil der Landwirtschaft an den
gesamten deutschen Treibhausgasemissionen wurde von
meiner Kollegin Klöckner und mir im Nachgang zu
unserer Anhörung im Ausschuss dem Nationalen
Inventarbericht Zum Deutschen Treibhausgasinventar
1990–2008 des Umweltbundesamtes mit Stand
15. Januar 2010 entnommen, der gemäß den Verpflich-
tungen nach der Klimarahmenkonvention der Vereinten
Nationen jährlich erstellt wird. In diesem Bericht wird
der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten deut-
schen Treibhausgasemissionen mit 6,9 Prozent angege-
ben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen Dank für dieBeantwortung. – Sie werden aber verstehen, dass wir ge-rade vor dem Hintergrund, dass wir am Montag vergan-gener Woche eine Anhörung zu Klimaschutz und Land-wirtschaft hatten und darüber ausführlich gesprochenhaben, schon sehr verwundert sind, dass Sie den Anteilder Landwirtschaft an den gesamten deutschen Treib-hausgasemissionen auf 6 oder 7 Prozent beziffern. Nachdem aus Ihrem Hause kommenden Nationalen Strategie-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2265
(C)
(D)
Waltraud Wolff
plan liegt der Anteil der Landwirtschaft an den gesamtendeutschen Treibhausgasemissionen bei 13 Prozent; die-ser Bericht stammt von 2006. Nun frage ich, ob die Bun-desregierung nicht mehr die Position bezieht, wie sie inder vergangenen Legislaturperiode deutlich gemachtwurde, und welche neuen Erkenntnisse Sie dazu bewo-gen haben, jetzt die Landwirtschaft von ihrer Beteili-gung quasi freizusprechen.Dr
Frau Kollegin Wolff, dies ist nicht erfolgt. Ich möchte
für mein Ministerium präzise bleiben und darf deshalb
wiederholen: Der Anteil von 6,9 Prozent der Landwirt-
schaft an den gesamten deutschen Treibhausgasemissio-
nen ist nicht meine Aussage, sondern die Basis des
Nationalen Inventarberichts Zum Deutschen Treibhaus-
gasinventar des Umweltbundesamtes. Entscheidend ist
immer die Frage – das ist auch in anderen Bereichen
nicht unüblich –, was zugrunde gelegt wird und wo die
Systemgrenze gezogen wird. Deshalb möchte ich gerne
auf das eingehen, was Sie angesprochen haben. Der Na-
tionale Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland
für die Entwicklung ländlicher Räume kommt in der Tat
zu einer anderen Prozentzahl, weil die Aktivitäten der
Landwirtschaft anders abgegrenzt werden. Dort wird
also eine andere Abgrenzung getroffen. Beim Nationalen
Strategieplan werden beispielsweise die Herstellung von
Mineralöldünger, der Kraftstoffverbrauch der landwirt-
schaftlichen Maschinen und die Emissionen aus land-
wirtschaftlichen Böden einbezogen, über die gemäß
internationaler Vorgaben im Sektor Landnutzung, Land-
nutzungsänderung und Forstwirtschaft berichtet wird,
die jedoch zur Erfüllung der Klimaschutzverpflichtun-
gen nach dem Kioto-Protokoll in Deutschland im Zeit-
raum von 2008 bis 2012 nicht anzurechnen sind. Man
muss also, wenn man von Prozentzahlen spricht, immer
die Basis sehen und berücksichtigen, was einbezogen
wird und was nicht.
Die Landwirtschaft ist sich jedenfalls der Bedeutung
dieses Themas bewusst und geht verantwortlich damit
um. Die Klimabilanz der deutschen Landwirtschaft ist
positiv. Ich möchte dies wie folgt darstellen: Seit 1990
haben wir im Bereich der Methanemissionen einen
Rückgang um 22 Prozent und bei Lachgasemissionen
aus der Stickstoffdüngung einen Rückgang um 10 Pro-
zent zu verzeichnen. Wir setzen aktuell und in Zukunft
auf Ökoeffizienz in der Landwirtschaft. Das heißt, The-
men wie Kraftstoffeinsparung und Optimierung des
Stickstoffmanagements stehen auf der Tagesordnung.
Ich erlaube mir, an der Stelle darauf hinzuweisen,
dass wir ohne die agrarische Produktion bei der CO2-
Bilanz ganz anders dastehen würden; denn jede Kultur-
pflanze bindet CO2. Je nach Kulturpflanze sind es 14 bis
20 Tonnen CO2 pro Hektar, die aus der Atmosphäre
durch Pflanzen unserer Landwirtschaft gebunden wer-
den. Nicht zu unterschätzen sind die deutschen Wälder,
die 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid speichern.
Allein der Holzzuwachs führt dazu, dass jedes Jahr
17 Millionen Tonnen CO2 mehr aus der Atmosphäre ge-
bunden werden. Ebenso wäre der Bereich der Bioenergie
zu nennen. Sie sehen, wir sind uns der Bedeutung dieses
Themas bewusst. Die deutsche Landwirtschaft ist sehr
verantwortungsvoll auf diesem Sektor. Wir haben die
Forschung ausgeweitet. Ich kann mit Fug und Recht sa-
gen: Deutschland ist hier in Europa führend.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, dass Methan- und Lachgasemis-
sionen in der Landwirtschaft nicht alles sind, wissen
auch die anderen, nicht nur die Fachpolitiker und Fach-
politikerinnen. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie
nach Ihren Äußerungen in der Presse und den Korrektu-
ren aller von der Koalition für die Anhörung benannten
Experten, die Sie auch öffentlich in der Presse korrigiert
haben, den Experten recht geben, dass alle Emissionen,
die in der Landwirtschaft entstehen, einzubeziehen sind,
damit man eine objektive Bilanz wie in anderen Wirt-
schaftsbereichen auch erzielt. Ich denke, nur auf diese
Art und Weise bekommen wir die Landwirtschaft aus
der Kritik.
Dr
Ich habe auf die großen Anstrengungen der deutschen
Landwirtschaft zur Reduzierung der Treibhausgase hin-
gewiesen. Es kommt uns sicherlich nicht darauf an, nun
eine Prozentdiskussion zu führen. Wir sehen den gesam-
ten Bereich und nehmen nichts aus. Deshalb habe ich be-
wusst die Quellen genannt. Das ist wichtig. Bei einem
Blick auf den Nationalen Strategieplan sehen Sie, dass
wir keine enge Abgrenzung vornehmen, sondern das
weite Feld der agrarischen Produktion sehen. Dazu ge-
hören für uns auch der Kraftstoffverbrauch landwirt-
schaftlicher Maschinen und andere Bereiche.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich bin der KolleginWolff sehr dankbar dafür, dass sie die Ergebnisse der ge-meinsamen Anhörung der Ausschüsse für Landwirt-schaft und Umwelt hier in die Fragestunde eingebrachthat. Ich bin dem Staatssekretär sehr dankbar, dass errichtiggestellt hat, was auch das Ergebnis der Anhörungwar, nämlich dass die Emissionen aus der Landwirt-schaft eben nicht zu vernachlässigen sind, wie es dieGröße von 6 bis 7 Prozent nahelegt, sondern dass im Ge-genteil 13 bis 15 Prozent der deutschen Emissionen derLandwirtschaft zuzurechnen sind. Die Frage ist nun, wasdas Ministerium und die Bundesregierung mit diesen Er-kenntnissen machen.Auch Ihnen ist bekannt, dass physikalisch bedingt dieProduktion von Fleisch zu den größten Emissionenführt, weil das Sechs- bis Zehnfache der Energie, die
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2266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Dr. Hermann Ottman aus dem Fleisch bekommt, durch pflanzliche Roh-stoffe eingesetzt werden muss. Die Ministerin hat an-lässlich der Grünen Woche darauf hingewiesen, dassnicht geplant sei, den Fleischkonsum in Deutschland imZusammenhang mit der Klimadiskussion und den Emis-sionen in irgendeiner Weise zum Thema zu machen.Meine Frage an Sie lautet: Hat in Bezug auf diesesThema ein Umdenkprozess innerhalb des Ministeriumseingesetzt, um der Rolle des Fleischkonsums in der Kli-madebatte endlich gerecht zu werden?Dr
Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, dass es uns
um den umfassenden Ansatz der Diskussion geht, und
deshalb habe ich beispielsweise die Bedeutung des Fors-
tes durch die Bindung von CO2 im Pflanzenbau und da-
mit die herausragende Rolle der Landwirtschaft für den
Klimaschutz nicht nur in Deutschland, sondern weltweit
hervorgehoben.
Die Landwirtschaft kann aber nicht nur durch innova-
tive Methoden zum Klimaschutz beitragen, sondern sie
ist natürlich auch Opfer des Klimawandels – dafür
herrscht ein ganz starkes Bewusstsein –, insbesondere in
anderen Regionen. Ich nenne nur die Stichworte Über-
schwemmungen, Versteppung, Dürre und Ausbreitung
der Wüsten.
Gehen Sie davon aus, dass wir einen Ansatz haben,
der weit darüber hinausgeht. Deshalb war dies auch ein
Schwerpunkthema der Ministerin auf unserem – in An-
führungszeichen – Weltagrargipfel, also unserem Agrar-
gipfel im Rahmen der Grünen Woche. Wir haben die
Problematik eines koordinierten Vorgehens mit Agrar-
ministern aus über 50 Ländern besprochen.
Bei der Fleischproduktion – auch darauf habe ich
schon hingewiesen – geht es um das Methan. Wir kön-
nen natürlich nicht die Kuh als Wiederkäuer abschaffen.
Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die
Methanreduzierung um 22 Prozent seit 1990 ein wesent-
licher Beitrag und Erfolg ist.
Die letzte Nachfrage zur Frage 3 stellt der Kollege
Ostendorff.
Herr Staatssekretär, wir sind jetzt an einem entschei-
denden Punkt der Diskussion. Die Ministerin hat auf der
Grünen Woche sehr deutlich gemacht, dass die Fleischex-
portstrategie, die Fleischproduktionsstrategie der Schwer-
punkt ihrer Politik ist. Sie hat auch sehr deutlich gemacht,
dass der Klimaschutz jetzt hinten anstehen muss.
Sind Sie nach den Erfahrungen aus der Anhörung und
im Hinblick auf den heutigen Diskussionsstand mit uns
der Meinung, dass man diese Strategie korrigieren
muss?
Dr
Herr Ostendorff, Sie sind ein sehr geschätzter Kol-
lege, der sich aber sehr stark durch eine selektive Wahr-
nehmung auszeichnet und nur das hört, was er hören
möchte. Aber selbst das habe ich nicht gehört.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Waltraud Wolff auf:
Wie berücksichtigt die Bundesregierung in ihrer Politik
zur nachhaltigen Landbewirtschaftung alle mit der landwirt-
schaftlichen Produktion verbundenen klimarelevanten Emis-
sionen, also auch die energiebedingten Emissionen der Land-
wirtschaft, die Kohlenstoffvorratsänderungen in der Biomasse
und in Böden unter landwirtschaftlicher Nutzung und durch
Landnutzungsänderung, und die Emissionen, die mit dem
Einsatz von Importfuttermitteln verbunden sind, auf die die
Experten des Johann Heinrich von Thünen-Instituts in ihrer
Stellungnahme zu dieser Anhörung hingewiesen haben und
die in der jährlichen nationalen Emissionsberichterstattung im
Kapitel Landwirtschaft fehlen, in der nur Emissionen von CH4
und N2O aus Tierhaltung, Stickstoffdüngung und atmosphäri-
schem Stickstoffeintrag – vor allem von NH3 – berichtet wer-
den?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Meine Antwort ist: In der Umwelt- und Agrarpolitik
der Bundesregierung und der EU werden die in der
Frage genannten Treibhausgasemissionen der Landwirt-
schaft berücksichtigt.
Ich möchte konkrete Beispiele nennen: die ange-
strebte Rückführung des Stickstoffüberschusses gemäß
der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Begrenzung
der Ammoniakemissionen auf 550 000 Tonnen pro Jahr
gemäß der Richtlinie über nationale Emissionshöchst-
mengen – dies geschieht beispielsweise in großen Stal-
lungen, in modernen Betrieben durch den Einbau von
Ammoniakfiltern –, die Einschränkung des Grünlandum-
bruches, die Förderung des Klimaschutzes im Rahmen
der Gemeinschaftsaufgabe, die Einsparung von Energie
durch das Bundesprogramm, die Ausrichtung der Agrar-
forschung auf mehr Klimaschutz und die Einrichtung ei-
nes Instituts für Agrarrelevante Klimaforschung.
Wir kommen den Forderungen der Kollegin Wolff
und der Opposition schon weitgehend nach. Das ist auch
kein Wunder, denn wir haben vier Jahre sehr erfolgreich
miteinander regiert, und da haben auch Sie einiges mit
auf den Weg gebracht.
Kollegin Wolff hat das Wort zur ersten Nachfrage.
Ja, Herr Staatssekretär, wir haben zwar vier Jahre mit-einander regiert, aber das reicht noch lange nicht aus. Ichbeziehe mich auch bei meiner zweiten Frage auf die An-hörung, die wir am vergangenen Montag hatten. Es gehtmir noch einmal um die Landnutzungsänderungen, sprich
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2267
(C)
(D)
Waltraud Wolff
den Grünlandumbruch. Sie haben gesagt, wir würden denGrünlandumbruch schon sehr weitgehend verbieten.Ganz so ist es aber nicht. Auch Sie wissen, dass wir invier Bundesländern über der 5-Prozent-Grenze liegen.Das liegt auch daran, dass es kein generelles Verbot gibt,sondern dass man die Flächen saldieren kann. Das heißt,dass man gute Moorböden gegen schlechte Böden tau-schen kann. All das wollen wir eigentlich nicht.In der Anhörung ist ganz deutlich geworden, dass30 Prozent der CO2-Emissionen in Mooren durch Grün-landumbruch erfolgen. Moore umfassen nur 8 Prozentder gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Deutsch-land. Hat sich die Bundesregierung angesichts desseneine Strategie zur Vermeidung von CO2-Emissionenüberlegt? Hat sich die Bundesregierung schon andere Er-werbsmöglichkeiten für die dortigen Bauern überlegt?Dr
Sie haben zu Recht auf den ganz wichtigen Bereich
der Moore aufmerksam gemacht. Dieser Bereich steht
nicht so im Fokus der öffentlichen Diskussion. Er war
Teil der Anhörung. Natürlich haben wir das, wonach Sie
gefragt haben, in unsere aktuellen Überlegungen aufge-
nommen. Für unsere Experten auf dem Gebiet der
Agrarforschung waren dies natürlich keine neuen Er-
kenntnisse; an einer Lösung der Probleme wird seit Jah-
ren gearbeitet.
Wir sehen den Grünlandumbruch genauso kritisch wie
Sie. In der Tat gibt es die eine oder andere Region, in der
dieses Thema vielleicht mit einem stärkeren Bewusstsein
behandelt werden muss. Das Grünland hat einen hohen
Stellenwert. Auch durch die Cross-Compliance-Regelun-
gen wird dies deutlich gemacht. Wir versuchen, nicht zu-
letzt durch besondere Förderansätze, zum Erhalt des
Grünlandes, auch was seinen jetzigen prozentualen An-
teil angeht, beizutragen.
Kollegin Wolff, Sie haben die Möglichkeit zu einer
zweiten Nachfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, gerade beim Umbruch
von Mooren ein strengeres Regime anzulegen, sprich:
zieht sie ein generelles Grünlandumbruchverbot in Er-
wägung?
Dr
Den Umbruch von Mooren werden wir auf dem Hin-
tergrund der Darlegungen der Anhörung im Ausschuss
einer gezielten Überprüfung unterziehen.
Ich bitte, Nachfragebedürfnisse in Zukunft etwas frü-
her zu signalisieren. Ich lasse die beiden angemeldeten
Nachfragen noch zu, mit der Bitte, wirklich Fragen zu
stellen und darauf Rücksicht zu nehmen, dass auch die
nachfolgenden Kollegen Antworten auf ihre Fragen be-
kommen sollen.
Kollege Ott, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich weiß das zu schät-
zen. – Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Fragen der
Kollegin Wolff und übrigens auch auf meine, was Grün-
landumbruch und Fleischkonsum betraf, sehr auswei-
chend geantwortet.
Für die Emissionen der Landwirtschaft gibt es einen
dritten zentralen Grund: den Einsatz von Düngemitteln.
Plant die Bundesregierung, planen Sie, plant Ihr Ministe-
rium eine stärkere Einschränkung des Stickstoffgehalts
der Böden durch eine restriktivere Düngemittelverord-
nung?
Dr
Ihre Frage suggeriert, dass wir darauf in den letzten
Jahren nicht streng genug geachtet haben. Die von mir
genannten Zahlen bezüglich der Reduzierung von Lach-
gasemissionen beweisen das Gegenteil.
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Ostendorff.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass die
landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetriebe mit Ammoniak-
filtern ausgerüstet seien. Ist Ihnen bekannt, dass das bei
der großen Mehrheit der landwirtschaftlichen Bauvorha-
ben nicht zwingend vorgeschrieben ist? Der landwirt-
schaftliche Hähnchenmäster mit 39 900 Hähnchen macht,
wenn es gut geht, 8 Cent Gewinn pro Hähnchen. Eine Am-
moniakfilteranlage kostet pro Hähnchen 10 Cent. Wo ist
dieser Ammoniakfilter Ihrer Erkenntnis nach eingebaut
worden?
Dr
Für Ammoniakemissionen gibt es eine Obergrenze
von 550 000 Tonnen pro Jahr – wie Sie wissen, gibt es
dazu eine neue Richtlinie –; die Höchstgrenze darf nicht
überschritten werden. Wir müssen jetzt eine neue Imple-
mentierung umsetzen. Positive Auswirkungen durch den
Einbau solcher Ammoniakfilter in größeren und moder-
nen Ställen gibt es schon heute.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael Roth auf:Welchen Einfluss hat das Bundesministerium für Ernäh-rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf die High Le-vel Group Milk, die den Ausstieg aus der Milchquote 2015vorbereitet, und welche Überlegungen gibt es für möglicheneue Marktinstrumente nach 2015?Bitte, Herr Staatssekretär.
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2268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Dr
Frau Präsidentin! Herr Roth, ich freue mich, dass ich
von Ihnen als Außenpolitiker eine umfassende Frage zur
Zukunft der EU-Milchpolitik bekomme. Ich würde dazu
gerne ein 30-minütiges Spontanreferat halten. Darf ich,
Frau Präsidentin?
Dürfen Sie nicht. Dazu müssten Sie sich mit dem Kol-
legen Roth und den anderen Fachpolitikern in einer an-
deren Veranstaltung verabreden.
Dr
Ich bitte dann aber den Fragesteller, auch mit kurzen
Hinweisen einverstanden zu sein. Es handelt sich näm-
lich wirklich bei der Frage zur High Level Group Milk
um eine globale Frage. Diese Gruppe berät ja derzeit in
Brüssel die gesamten mittel- und langfristigen Aspekte
einer zukünftigen EU-Milchpolitik. Die Bundesregie-
rung wird nun gefragt, wie sie dazu stehe.
Meine Damen und Herren, die Milcherzeuger in Eu-
ropa sind in einer Krise. Das wissen wir alle. Die High
Level Group hat vonseiten der Kommission den Auftrag,
für die Kommission und dann für den Rat Vorschläge zu
erarbeiten, wie wir nach dem Auslaufen der Milchquote
2014 weiter vorgehen können. Ich möchte es einmal fol-
gendermaßen zusammenfassen:
Erstens. Es besteht ein breiter Konsens unter den Mit-
gliedstaaten hinsichtlich der Marktinstrumente. Wir brau-
chen auch zukünftig ein wirksames Sicherheitsnetz.
Zweitens. Eines der Hauptprobleme ist die Preisvola-
tilität. Die Ausschläge bei den Milchpreisen ähneln de-
nen am Neuen Markt. Das gab es 40 Jahre lang nicht auf
dem Milchmarkt, dass erst wie im Jahr 2007 die von den
Erzeugern zu erlösenden Preise auf 40 Cent und darüber
steigen und dann innerhalb von einem Jahr auf 20 Cent
fallen. Wie reagiert man darauf? Ein Vorschlag der High
Level Group Milk lautet, auch für Milchprodukte einen
Warenterminmarkt einzuführen. Das ist in der Landwirt-
schaft, bei den Produzenten und bei den Verarbeitern,
umstritten. Wir müssen uns dazu zusammen mit der
Branche eine Meinung bilden.
Drittens. Grundkonsens mit der Branche und mit dem
Kartellamt besteht darin, dass es darum gehen muss, die
Verhandlungsmacht der Milcherzeuger zu stärken, nicht
nur national, sondern europaweit. Derzeit ist die Situa-
tion so, dass der Preis von oben gebildet wird. Das heißt,
die große Nachfragemacht der deutschen Discounter
setzt Preissignale bei den zu verarbeitenden Produkten
der weißen Linie, und diese werden über die Molkereien
an die Erzeuger weitergegeben. Derjenige, der dabei
ganz vorn im Boot sitzt, nämlich der Milcherzeuger,
muss mit Preisen zurechtkommen, die keine langfristige
Produktionsperspektive eröffnen. Deshalb steht im Mit-
telpunkt eine Stärkung der Verhandlungsmacht der Mil-
cherzeuger.
Es gibt insgesamt drei bis vier Ansätze, bei denen
Übereinkommen in der High Level Group besteht. Die
Gruppe setzt ihre Arbeit fort. Wir werden dem Parlament
natürlich im Ausschuss und, wenn es gewünscht ist,
auch hier detailliert Auskunft darüber geben, wie wir uns
positionieren.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Mit Verlaub, Herr
Staatssekretär, ich habe Ihnen als Europapolitiker eine
ganz konkrete Frage gestellt. Sie haben sie mir aber
nicht so konkret beantwortet, wie ich es mir gewünscht
hätte. Insofern stelle ich gerne noch eine Nachfrage:
Spielt bei den Diskussionen in der High Level Group
Milk auch eine Regulierung der Milchmengen, wie sie
von einigen Beteiligten immer wieder gefordert wird,
eine entsprechende Rolle?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Lieber europapolitischer Kollege Michael Roth, was
heißt Regulierung? Wenn Sie damit eine Fortgeltung der
Quote meinen, dann kann ich diese Frage mit Nein be-
antworten.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sehen Sie denn neben einer Quotenregelung, die – das
ist ja allen bekannt – 2015 ausläuft, weitere Möglichkei-
ten einer Regulierung? Wenn ja, wie könnten diese aus
Sicht der Bundesregierung aussehen?
Dr
Wir gehen davon aus, dass die Quote ausläuft. Daraufmüssen sich die Betriebe in Deutschland einstellen, in-dem sie leistungsfähiger werden. Zugleich aber müssenwir sie auf der Kostenseite entlasten. Das ist ein Punkt.Wir müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass dieWertschätzung und die Wertschöpfung von Milch undMilchprodukten insgesamt im Rahmen der agrarischenErzeugung gestärkt werden. Es kommt zu wenig beimLandwirt an. Das betrifft die gesamte Wertschöpfungs-kette. Hier gibt es nur wenige Möglichkeiten, regulie-rend in die Märkte einzugreifen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2269
(C)
(D)
Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Michael Roth:
Wie ist der Stand der Simulation bezüglich der acht bio-
physikalischen Kriterien für die Neuabgrenzung der benach-
teiligten Gebiete, die von der Europäischen Kommission vor-
geschlagen worden sind, und wann ist mit den Ergebnissen zu
rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Dies ist ein spannendes Thema für Insider der Agrar-
politik. Deutschlands gesamte Agrarfläche ist in nicht
benachteiligte und in benachteiligte Agrarzonen aufge-
teilt. Daraus resultieren entsprechende Fördermöglich-
keiten über Programme der Europäischen Union, aber
auch über nationale Programme.
Nunmehr soll es zu einer Neuabgrenzung der benach-
teiligten Agrarregionen kommen. Dazu hat die Kommis-
sion in einer Mitteilung das neue Konzept sogenannter
biophysikalischer Indikatoren vorgelegt. Wir haben
diese angewandt und simuliert, was dies für Deutschland
bedeuten würde. Die Anwendung dieser Indikatoren
würde vom Ergebnis her zu einer erheblichen Verschie-
bung der Gebietskulisse führen. Das heißt, 2,7 Millionen
Hektar bzw. fast ein Drittel der bisherigen Gebiets-
kulisse von 8,9 Millionen Hektar fielen heraus und circa
1,8 Millionen Hektar kämen neu hinzu. Die neue Ge-
bietskulisse würde circa 8 Millionen Hektar umfassen.
Nun müsste man für alle betroffenen Regionen über-
prüfen – ich lade Sie gerne dazu ein, dies im Fachaus-
schuss ganz konkret darzustellen –, welche Flächen he-
rausfallen. Es ist zum Beispiel zu fragen, ob die Schwä-
bische Alb oder Flächen in Mecklenburg-Vorpommern
darin noch enthalten sind und welche Konsequenzen
dies hätte.
Wir sehen sehr kritisch, was vonseiten der Kommis-
sion hier vorgeschlagen wurde. Ich kann zusammenfas-
sen: Wir lehnen den Vorschlag der Kommission zur Neu-
abgrenzung ab und haben dies dem zuständigen
Kommissar in dieser Woche in einem persönlichen Ge-
spräch auch dargelegt. Denn wir bezweifeln, dass wir
damit einen Zuwachs an Einheitlichkeit, Kohärenz oder
Transparenz bekämen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie vor dem
Hintergrund der Simulationsergebnisse der EU-Kom-
mission vorschlagen werden, dass alles beim Alten
bleibt?
Dr
Nein. Die Bundesregierung lehnt die Neuabgrenzung
auf der Basis des Kommissionsmodells ab. Wir müssen
aber davon ausgehen, dass es eine modifizierte Fortfüh-
rung gibt. Deshalb haben wir eigene weitere Vorschläge
eingebracht. Wir setzen uns für eine Modifizierung der
Gebietsabgrenzung auf Basis des deutschen Indexsys-
tems, das von der Ertragsmesszahl ausgeht, ein. Sie wis-
sen, da mit der ELER-Verordnung beschlossen wurde,
dass naturbedingte Nachteile maßgeblich sind, kann die
Abgrenzung auf Basis der landwirtschaftlichen Ver-
gleichszahl nicht mehr fortgesetzt werden. Das ist das
Problem.
Auch mit der Anwendung der EMZ, der neuen Er-
tragsmesszahl, ist eine Neuabgrenzung verbunden, deren
Ergebnis aber näher am heutigen Status quo als an dem
Ergebnis, zu dem der Kommissionsvorschlag führen
würde, liegen dürfte. Wir halten das Bewertungssystem
auf Basis der EMZ generell für sachgerechter als das auf
biophysikalischen Indikatoren beruhende Konzept der
Kommission.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Gerne, Frau Präsidentin. – Sehen Sie, Herr Staatsse-
kretär, auf EU-Ebene Bündnispartner für die Position der
Bundesregierung?
Dr
Die Bundesregierung hat immer Bündnispartner.
Die Frage ist, ob wir die entscheidende Mehrheit haben.
Das Gespräch mit dem zuständigen Kommissar hat ge-
zeigt, dass die Kommission unseren Positionen gegen-
über aufgeschlossen und offen ist. Ich gehe davon aus,
dass sich unsere Ministerin wie in vielen anderen Punk-
ten erfolgreich durchsetzen wird.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Elvira Drobinski-
Weiß auf:
Wann genau hat das Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit, BVL, dem Ruhen des Verfahrens
zugestimmt, und wann genau wurde Bundesministerin Ilse
Aigner darüber informiert, dass das Verwaltungsgericht
Braunschweig das Ruhen des Verfahrens in Sachen Monsanto
gegen das BVL angeordnet hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieFrage ist in Fortsetzung zur Fragestunde vom 24. Fe-bruar zu sehen. Ich möchte sie wie folgt beantworten: Dasbeklagte BVL hat auf Anfrage des VerwaltungsgerichtsBraunschweig dem Begehren des Klägers, dem Biotech-nologieunternehmen Monsanto, das Verfahren ruhen zulassen, mit Schreiben vom 5. Februar 2010 zugestimmt.
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2270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd MüllerDie gerichtliche Ruhensanordnung ist dem BVL amDienstag, dem 16. Februar 2010, zugestellt worden. FrauBundesministerin Aigner wurde am Donnerstag, dem18. Februar 2010, darüber informiert, dass das Verwal-tungsgericht Braunschweig das Ruhen des Verfahrens inSachen Monsanto gegen BVL angeordnet hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Firma Monsanto
möchte ihre Neuzulassung irgendwann beschieden ha-
ben. Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang inte-
ressiert mich, wie sich die Bundesregierung bei der Ab-
stimmung zu der Neuzulassung von MON 810 in
Brüssel verhalten wird.
Dr
Wir warten den Antrag ab.
Ihre zweite Nachfrage?
Ich bin von Ihrer Antwort etwas überrascht. Im Koali-
tionsvertrag steht, dass Sie aufgrund der Entscheidung
des Gerichts Ihre Haltung dazu darlegen würden. Ich
wundere mich schon etwas, dass Sie ein Verfahren, das
Sie eindeutig gewinnen würden, nicht weiter verfolgen
und damit auch nicht zur Grundlage für eine Entschei-
dung in Brüssel machen.
Dr
Wie wir es mit Ihnen in der vormaligen Regierung ge-
tan haben, werden wir diese Frage, sobald sie zu beant-
worten ist, auf der Basis des Koalitionsvertrages mit un-
serem Koalitionspartner diskutieren und anschließend
entscheiden.
Die Fragen 8 bis 11 beschäftigen sich mit der Kenn-
zeichnung von Lebensmittelnährwerten.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Elvira Drobinski-
Weiß auf:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Er-
gebnissen der Studie der Food Standards Agency, FSA, über
die Verständlichkeit verschiedener Nährwertkennzeichnungs-
systeme, nach denen Nährwertinformationen, die mit den
Ampelfarben Rot, Gelb und Grün kombiniert sind, am besten
verstanden werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Ich antworte wie folgt: Wir kommen zu dem Schluss,
dass die Verbraucher in Großbritannien das Darstel-
lungssystem zur Nährwertinformation verstehen. Uns
liegen Untersuchungen vor, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland unser vorgeschlagenes
System ebenfalls verstehen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Ich wünschte, es wäre so, dass sie es
tatsächlich verstünden. Nur glaube ich, dass wir dann die
Kosten für medizinische Behandlungen, gerade für die
Folgen von Übergewicht, die sich im zweistelligen Mil-
liardenbereich bewegen, nicht hätten.
He
Ist es die Lebens-
mittelwirtschaft oder sind es die entsprechenden Ver-
bände, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugend-
ärzte, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen
oder auch die Bundesärztekammer?
Dr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, die Themen Ernährung, Nährwert-kennzeichnung, Verbraucherinformation, Ernährungsbil-dung und Aufklärung haben einen hohen Stellenwert beider Bundesregierung. Wir sollten diesen Themen auch inder Gesellschaft eine viel größere Aufmerksamkeit bei-messen.Wir sehen mit großer Sorge die von Ihnen angespro-chene Problematik. Wenn wir die Nationale Verzehrstu-die und die Folgen einer falschen Ernährung für die Ge-sundheit von Kindern und Jugendlichen, eigentlich fürdie Gesundheit von uns allen betrachten, dann stellenwir fest, dass ganz entschieden gegengesteuert werdenmuss. Es ist wichtig, Ernährungswissen und Ernährungs-bewusstsein zu schaffen, und zwar in vielfältiger Weise.Im Laufe eines Lebens nehmen wir circa 100 000 Mahl-zeiten zu uns. Die Verbraucherinnen und Verbraucherkönnen aus circa 250 000 verschiedenen Produkten wäh-len, wenn sie einkaufen gehen. Die Frage ist nun: Wel-che Entscheidung, welche Wahl trifft der Einzelne fürsich? Daraus ergeben sich Folgen für Entwicklung undGesundheit.Deshalb sind Information, Erziehung und Aufklärungwichtig. Das beginnt bereits bei der Schwangeren, beiVater und Mutter, beim Baby, geht über das Kleinkind,und endet im hohen Alter. Gesunde Ernährung und Be-wegung sind die zwei Grundkomponenten für ein gesun-des Leben und Altern. Dem messen wir einen sehr hohenStellenwert bei.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2271
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd MüllerNun wissen Sie, dass nach geltendem EU-Recht eineNährwertkennzeichnung grundsätzlich freiwillig ist. DieEuropäische Union berät derzeit über einen Verord-nungsvorschlag, der in wenigen Wochen dem Europäi-schen Parlament zur ersten Lesung vorgelegt wird. Daringeht es darum, wie dieses Nährwertkennzeichnungssys-tem europaweit verständlich, nachvollziehbar, nicht zukompliziert, aber doch ein Stück weit einheitlich gestal-tet werden könnte. Das von uns vorgeschlagene undbereits getestete System „1 plus 4“, ein Modell für er-weiterte Nährwertinformationen auf Lebensmittelver-packungen, scheint sich – darüber sind wir sehr froh –als Basis, als Modell durchzusetzen. Das ist doch einschöner Erfolg, an dem auch Sie, Frau Drobinski-Weiß,einen Anteil haben. Wir haben daran etwa zwei Jahre ge-arbeitet.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Kathrin Vogler
das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Mich würde inte-
ressieren, auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen
oder Studien Ihre Einschätzung beruht, dass die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in Deutschland das von Ih-
nen präferierte System der Lebensmittelkennzeichnung
ebenso gut verstehen – vielleicht sogar besser – wie die
Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien
das Ampelsystem.
Dr
Wir haben den Verbraucherinnen und Verbrauchern
unser „1 plus 4“-Modell vorgestellt und im März 2008
eine repräsentative Meinungsbefragung durchgeführt.
Das Ergebnis war, dass über 80 Prozent der Befragten
dieses Modell als informativ, verständlich und übersicht-
lich bewerteten. Das ist ein sehr gutes Ergebnis.
Wir kommen damit zur Frage 9 der Kollegin Kerstin
Tack:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für
die Kennzeichnung von Lebensmittelnährwerten mithilfe von
Ampelfarben aufgrund der Tatsache, dass bei der Kennzeich-
nung der Energieeffizienzstandards für Elektrogeräte eine
Ampelkennzeichnung – rot: hoch, gelb: mittel, grün: niedrig –
bereits eingeführt und akzeptiert ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Ich habe schon dargelegt, dass die Briten ihren Weg
gehen, ihr System anwenden. Sie haben getestet, ob die
Ampel dort verstanden wird. Dazu haben sie ihre Ergeb-
nisse vorliegen. Wir gehen einen anderen Weg. Die Am-
pel verpflichtend vorzuschreiben, ist nicht das Modell,
das wir in Deutschland anwenden wollen. Im Übrigen
wird dieser Vorschlag auch in der Europäischen Union
von keinem Mitgliesstaat eingebracht.
Dann kommen wir zur Frage 10 der Kollegin Tack:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass in
Großbritannien eine Auswertung britischer Supermarktketten
ergab, dass der Absatz ausgewogener Produkte seit Einfüh-
rung der Ampelkennzeichnung signifikant gestiegen ist im
Vergleich zu gehaltvolleren Produkten wie zum Beispiel
Sandwiches?
Dr
Sie fragen nach den Konsequenzen. Ihre Frage lautet:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand,
dass in Großbritannien eine Auswertung britischer
Supermarktketten ergab, dass der Absatz ausgewo-
gener Produkte seit Einführung der Ampelkenn-
zeichnung signifikant gestiegen ist im Vergleich zu
gehaltvolleren Produkten …?
Ich habe die Frage bewusst vorgelesen, damit Sie verste-
hen, dass sich aus der Frage schon die Antwort ergibt.
Meine Damen und Herren, soll der Staat eine Vorgabe
machen, welche der 240 000 möglichen Produkte, aus
denen der Verbraucher oder die Verbraucherin auswäh-
len kann, ausgewogene Produkte und welche gehaltvolle
Produkte sind? Das kann er sicher nicht.
Das werden wir auch nicht machen. Vielmehr werden
wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der
Nährwertkennzeichnung einen Schlüssel an die Hand
geben, der es ihnen ein Stück weit erleichtert, ihre Ent-
scheidung eigenverantwortlich zu treffen.
Jetzt haben Sie, Frau Tack, das Recht, vier Nachfra-
gen zu den Antworten zu stellen, die Sie eben bekom-
men haben. Dann kommen wir zu den Nachfragen wei-
terer Kolleginnen und Kollegen. Bitte, Kollegin Tack.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekre-tär, ich nehme zur Kenntnis, dass Sie meine erste Fragenicht beantwortet haben, obwohl Sie das eben fälschli-cherweise behauptet haben. Aber ich fange mit denNachfragen zu der Antwort auf meine zweite Frage an.Dabei geht es um die Untersuchung in Großbritannien.Nicht etwa die Politik, sondern die Supermärkte sel-ber haben festgestellt, dass sich die sehr gute Transpa-renz und Offenlegung ausgezahlt haben. Das ist auch imSinne der Supermärkte gewesen, die gesagt haben, siewollen eine verständliche und transparente Kennzeich-nung. Es scheint – das ergibt zumindest die Untersu-chung in Großbritannien – für die Verbraucherinnen undVerbraucher sehr einfach gewesen zu sein, durch dieAmpelkennzeichnung herauszubekommen, welches Pro-
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2272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Kerstin Tackdukt oder Präparat unbedenklich ist. Das Beispiel mitdem Sandwich ist deswegen nur eine mögliche Form derErnährung.Die Frage war, welche Erkenntnisse Sie daraus ge-winnen, dass es so zu sein scheint, dass die Verbrauche-rinnen und Verbraucher in Großbritannien aufgrund die-ser Ampelkennzeichnung ihr Kaufverhalten geänderthaben. Hat das einen Einfluss auf die Meinung der Bun-desregierung zur Frage der Ampelkennzeichnung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Es hat aus der Sicht der Bundesregierung keinen Ein-
fluss auf die Beurteilung der Ampelkennzeichnung. Wir
werden die Ampelkennzeichnung in Deutschland nicht
verpflichtend zur Grundlage machen. Wir sehen darin
nach den Ergebnissen der britischen Studie und nach
dem Marktverhalten keinen für uns nachvollziehbaren
Weg.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage. Die EU – das hatten Sie ge-
rade angesprochen – beschäftigt sich derzeit mit der
Frage, wie man EU-weit die Rechte von Verbraucherin-
nen und Verbrauchern schützen und Produkte transpa-
rent machen kann. Meine Frage ist, inwieweit das Sys-
tem der Ampel in Großbritannien und die Erfahrungen
damit auch bei den Verhandlungen in der EU eine Rolle
gespielt haben oder ob sie noch eine Rolle spielen wer-
den.
Dr
Nach derzeitigem Stand, soweit ich informiert bin,
wurde das britische Modell von keinem der 27 EU-Mit-
gliedstaaten als Grundlage für die Beratung des EU-Ver-
ordnungsentwurfs in Brüssel eingebracht.
Sie haben das Wort zu einer dritten Nachfrage.
Meine dritte Nachfrage bezieht sich auf die Frage, die
noch nicht angesprochen wurde. Das ist der Umstand,
dass wir in Deutschland schon eine Ampelkennzeich-
nung haben, nämlich im Bereich der Elektrogeräte. Dort
ist es heute schon so, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher beim Kauf einer neuen Waschmaschine, ei-
nes Kühlschrankes – oder was auch immer – an den Ge-
räten eine Ampelkennzeichnung mit Grün, Gelb oder
Rot vorfinden, die ihnen einen Anhaltspunkt über den
Verbrauch gibt.
Deswegen war meine Frage, welche Schlussfolgerun-
gen die Bundesregierung daraus zieht, dass wir in Teil-
bereichen unserer Wirtschaft schon eine Ampelkenn-
zeichnung haben, die bei den Verbraucherinnen und
Verbrauchern große Akzeptanz findet.
Dr
Ich glaube, Waschmaschinen und Lebensmittel sind
zwei Paar Stiefel. Es ist ein Unterschied, ob wir die Am-
pelkennzeichnung bei einer Waschmaschine oder einer
Weißwurst anwenden; das kann man sicher nicht als Ba-
sis nehmen.
Ich möchte Ihnen noch Folgendes konkret sagen: Kein
Mitgliedstaat der EU – wenn dieses System in Großbri-
tannien so erfolgreich wäre, würden auch andere Staaten
es zur Grundlage machen – hat das britische Modell als
Vorschlag in Brüssel eingebracht. Wir sind vielmehr der
Meinung – ich möchte das noch einmal sagen –, dass es
wichtig ist, den Verbraucherinnen und Verbrauchern die
grundlegenden Informationen über eine nachvollzieh-
bare, simple Kennzeichnung auf jedem Produkt zu geben.
Wenn Sie einen Mars-Riegel kaufen – jetzt mache ich
vielleicht Werbung; ich nehme dieses Beispiel, weil auf
der Besuchertribüne auch junge Menschen sitzen –, dann
muss der Kalorienwert erkennbar sein; denn der Brenn-
wert ist ein ganz entscheidender Punkt bei einem Produkt.
Den Gehalt an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydra-
ten, Zucker und Salz werden wir auch angeben. Dies ist
das „1 plus 4“-Modell.
Entscheidend ist, ob die Grundbotschaften nachvoll-
ziehbar sind. Ein Jugendlicher soll wissen: Wenn ich am
Tag beispielsweise eine Flasche Apfelsaft trinke, dann
nehme ich 25 Prozent meines Tagesbedarfs an Zucker
auf. Dies kann er in Zukunft durch eine kurze, klare
Kennzeichnung erkennen. Er kann auch erkennen, dass
beispielsweise eine Flasche Cola ein Drittel des Zucker-
bedarfes abdeckt
und welchen Prozentsatz des Kalorienbedarfes fünf Fla-
schen Cola abdecken.
Ich glaube, dieses Modell, das es bereits gibt – die Er-
nährungswirtschaft hat es schon zum Teil aufgegriffen –,
ist für den Verbraucher nachvollziehbar. Das hat die re-
präsentative Umfrage ergeben. Deshalb ist es auch Basis
der Diskussionen über den Vorschlag für eine neue Ver-
ordnung der EU mit dem Ziel, dies für alle 27 Mitglied-
staaten der EU – selbstverständlich mit Modifikationen –
zur Grundlage zu machen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer vierten Nachfrage.
Ja, gerne. – Nun liegen uns diverse Studien und auchEmpfehlungen sämtlicher Verbraucherzentralen, ein-schließlich der Bundeszentrale, und sämtlicher medizini-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2273
(C)
(D)
Kerstin Tackscher Organisationen vor, die sich sehr stark für eineklare und transparente Kennzeichnung aussprechen unddie Politik auffordern, die Ampelkennzeichnung, da siedas beste Instrument für Transparenz und niedrigschwel-lige Information ist, einzuführen. Deshalb ist es nochweniger verständlich, warum wir bei Elektrogeräten dieAmpelkennzeichnung in Ordnung finden, in anderen Be-reichen aber nicht.Meine Frage ist, wie Sie auf all diese Empfehlungenund Wünsche, insbesondere der Verbraucherzentralenund der Medizin, reagieren, die vorschlagen, auch imBereich der Lebensmittel die Ampelkennzeichnung ein-zuführen.Dr
Das alles wird selbstverständlich ernst genommen.
Ich kann Ihnen aber genauso die Gegenpositionen dar-
stellen. Das Schöne an der Wissenschaft ist ja, dass man
immer die gesamte Breite des Meinungsspektrums doku-
mentiert bekommt. Das setzt sich dann auch in den Ver-
bänden fort. Das darf hier keine ideologische Entschei-
dung sein. Ich sehe, dass beispielsweise die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung das Fehlen einer wissen-
schaftlichen Grundlage für die Ampelkennzeichnung be-
klagt.
Wir bauen bei unserer Politik stark auf die Aussagen
eigener unabhängiger Institute. Wir haben in Karlsruhe
eine Bundesanstalt, die sich mit den zentralen Fragen der
Ernährung beschäftigt. Wir wollen ein System, das für
Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar, das
einfach und verständlich ist, so wie das „1 plus 4“-Mo-
dell; das findet Akzeptanz.
Ich möchte sagen: Mit der Kennzeichnung allein ist
es nicht getan. Wir müssen hier einen viel umfassende-
ren Ansatz wählen. Dazu zählt ganz bewusst das Thema
Bildung in der gesamten Breite. Die Bundesländer sind
in der Schul- und Bildungspolitik gefordert. Sie sollten
die Ernährungsbildung in den Schulplänen verankern.
Schule ist für das Leben, und Ernährung ist die Grund-
frage des Lebens. Deshalb gehört diese Grundfrage in
alle unsere Schulen, aber auch weit darüber hinaus. Je-
dem von uns tut es gut, wenn er sich mit diesem Thema
stärker beschäftigt.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Vogler das Wort.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich finde es ganz
interessant, dass Sie die Bildung erwähnt haben. Meine
Tochter ist vor zwei Jahren aus der Grundschule mit Ma-
terialien nach Hause gekommen, in denen die Lebens-
mittelpyramide dargestellt wurde: Was man viel essen
soll, was man wenig essen soll und was man nach Mög-
lichkeit meiden soll. Das war ganz interessant: Unten
war diese Pyramide grün, in der Mitte gelb und oben
– dort, wo aufgeführt war, was man nur ganz wenig es-
sen sollte, zum Beispiel Süßigkeiten – rot. Das hat meine
Tochter schon in der zweiten und dritten Klasse ganz
hervorragend verstanden.
Mich würde, rekurrierend auf Ihre Antwort von vor-
hin, interessieren, ob die von Ihnen durchgeführte Ver-
braucherbefragung, die Sie gerade angesprochen haben,
eine vergleichende Studie war, in der die Verbraucherin-
nen und Verbraucher verschiedene Modelle hinsichtlich
ihrer Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit bewerten
konnten, oder ob es sich um eine Studie gehandelt hat, in
der Sie nur Ihr eigenes Modell haben bewerten lassen.
Denn die Fragestellungen solcher Studien beeinflussen
das Ergebnis immer wieder ganz maßgeblich.
Dr
Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, wir alle, mit der derzeitigen
Nährwertkennzeichnung häufig nicht zurechtkommen
und überfordert sind; wenn Sie sich einzelne Produkte
einmal bewusst ansehen, werden Sie das feststellen. Da-
rauf muss man reagieren. Natürlich ist die Angabe von
Inhaltsstoffen, von Zusatzstoffen usw. absolut notwen-
dig. Hier wird es im Sinne der Betroffenen – es gibt viele
Menschen, zum Beispiel Diabetiker und Allergiker, die
ganz bewusst und gezielt bestimmte Produkte einkaufen
müssen – noch zu Quantensprüngen kommen, auch auf-
grund technischer Möglichkeiten, zum Beispiel durch
den Einsatz von Scannern.
Für die große Masse der Verbraucherinnen und Ver-
braucher ist das heutige System kaum verständlich und
nachvollziehbar und zu kompliziert. Deshalb haben wir
das „1 plus 4“-Modell entwickelt und es am Markt er-
probt; das war die Grundlage. Das Ergebnis war, dass
80 Prozent der Befragten gesagt haben: Das ist für uns
eine Basis. Das verstehen wir. Dieses Modell ist einfach.
Damit könnten wir unser Einkaufsverhalten und unser
Ernährungsverhalten korrigieren und neu ausrichten.
Wir kommen zu Frage 11 der Kollegin Petra Crone,
der letzten Frage zu diesem Themenkomplex:
Wie bewertet das Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Aufforderung ei-
nes breiten Bündnisses von Verbänden wie dem AOK-Bun-
desverband, der Bundesärztekammer, dem diabetesDE, dem
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands, der
Deutschen Herzstiftung, dem GKV-Spitzenverband und dem
Verbraucherzentrale Bundesverband, sich im Rahmen der
Verhandlungen der EU-Lebensmittelinformationsverordnung
für eine EU-weite Ampelkennzeichnung einzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Die Bundesregierung hält die Ampelkennzeichnungnicht für ein Darstellungssystem – ich sage es noch ein-mal –, mit dem Verbraucherinnen und Verbraucher ange-messen über die Nährwerte von Lebensmitteln infor-miert werden. Ich verweise erneut auf die Deutsche
Metadaten/Kopzeile:
2274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Gerd MüllerGesellschaft für Ernährung, die in einer entsprechendenPressemeldung vom 25. September 2009 auf das Fehleneiner wissenschaftlichen Grundlage für die Farbkodie-rung hingewiesen hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
es hat im Juli 2009 eine Emnid-Umfrage gegeben, in der
sich 69 Prozent der Verbraucher für eine Ampelkenn-
zeichnung ausgesprochen haben. Wie steht die Bundes-
regierung dazu, dass die Menschen eine sehr einfache
Kennzeichnung wünschen? Ich denke dabei auch an äl-
tere Menschen, die vielleicht einmal ihre Brille verges-
sen haben, an kleine Kinder, die noch nicht so gut lesen
können, und an Menschen, die es – vielleicht anders als
Sie – beim Einkaufen eilig haben.
Dr
Frau Kollegin, die Frage ist in der Tat, was man den
Menschen vorlegt. Jetzt gehe ich ein bisschen ins Detail
und erläutere, was hinter der Ampelkennzeichnung nach
dem britischen Modell steckt.
Nach dem britischen Ampelmodell wird nicht das Le-
bensmittel mit einer Ampelfarbe gekennzeichnet, son-
dern die vier Nährstoffe Zucker, Fett, gesättigte Fettsäu-
ren und Salz. Wir geben sie nach unserem „1 plus 4“-
Modell in Zukunft mit einem Prozentsatz, bezogen auf
den Tagesbedarf, an, wie ich es vorhin beschrieben habe.
Es steht auf einer Flasche zum Beispiel bei „Zucker“:
25 Prozent. Dann weiß ein Jugendlicher nach dem Sport:
Wenn ich zwei Flaschen dieses Getränks trinke, habe ich
50 Prozent meines täglichen Zuckerbedarfs gedeckt. –
Das ist sowohl für Junge als auch für Ältere nachvoll-
ziehbar.
Die Briten machen das anders. Sie kennzeichnen die
vier Nährstoffe Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren und
Salz und verwenden die Farben Rot, Grün und Gelb mit
verschiedenen Punkten. Der Energiegehalt hingegen wird
nicht farbkodiert.
Wenn ich beispielsweise ein Produkt wie Nüsse he-
rausgreife: Die Ampelkennzeichnung – sie bezieht sich
in Großbritannien auf 100 Gramm – führt in dem Fall
dazu, dass diese 100 Gramm Nüsse mit Rot klassifiziert
werden. Es ist aber unstrittig, dass Nüsse durchaus ge-
sund sind; gleichwohl wäre nach dem britischen System
ein roter Punkt auf der Verpackung.
Daran sehen Sie: Wenn wir ins Detail gehen, wird al-
les schwierig, kompliziert und nicht so einfach durch-
schaubar. Man kann den Menschen mit Rot, Gelb, Grün
nicht suggerieren, dass sie, wenn sie sich mit „grünen“
Lebensmitteln ernähren, gesund bleiben. Es wird ja mit
Ihrem Ampelmodell suggeriert, dass sich das Problem
damit schnell lösen lässt. Wenn es so einfach wäre, dass
man nur noch „Grün“ zu essen brauchte und dann hun-
dert Jahre alt würde, dann würde man das sofort machen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. – Sie
verzichten.
Die Frage 12 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 13 des Kollegen
Dr. Wilhelm Priesmeier:
Hält die Bundesregierung nach der letzten Ratssitzung
– 22. Februar 2010 – weiterhin an ihrer Position fest, die das
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz in seinem Papier vom 22. Dezember 2009 ver-
ankert hat, und wie kann das Bestreben Frankreichs nach grö-
ßerer Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf die interne
Mittelverteilung bei den Direktzahlungen mit dieser Position
verbunden werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Der Kollege Priesmeier spricht damit eine der zentra-len Fragen der deutschen Europapolitik an. In den nächs-ten Monaten wird darüber verhandelt werden, wie sichder europäische Haushalt für die nächste Finanzperiodezusammensetzen wird. Vielen Dank, Herr Kollege, dassich hier die Möglichkeit habe, einem Vorurteil entgegen-zutreten. Die Diskussion hat gezeigt, dass die Agrarpoli-tik und die ländliche Entwicklung keine Politik vongestern sind, wie Außen- und Europapolitiker, Bildungs-politiker sowie Forschungs- und Innovationspolitikerhäufig behaupten. Vielmehr ist dies eine Schlüsselbran-che, eine Zukunftsbranche für die Menschheit. Deshalbsind die Gelder im europäischen Topf auch sinnvoll an-gesetzt.Die europäische Agrarpolitik und die ländliche Ent-wicklung sind darüber hinaus der einzige voll integrierteeuropäische Politikbereich. Deshalb ist sein Anteil amEU-Haushalt größer als der anderer Politikbereiche. Seit1990 ist er allerdings von 48 Prozent auf 40 Prozent redu-ziert worden. Das müssen uns in Europa die Landwirt-schaft, der Klimaschutz, die nachhaltige Entwicklung,der Natur-, Wasser- und Ressourcenschutz sowie gesundeLebensmittel auch in Zukunft wert sein. Darum danke ichfür diese Frage.Wir sind bei der Vorbereitung dieser Finanzbe-schlüsse und bei der Umsetzung der Reformen, HerrPriesmeier. Wir haben uns für die Entkopplung einge-setzt, und wir in Deutschland sind bei dieser letztenAgrarreform in der Endphase der Umsetzung. AndereLänder sind noch nicht so weit. Es kommt darauf an,dass 2014 alle denselben Level haben und in Deutsch-land nicht schon weitere Schritte vorangegangen wer-den. Hier setzen wir auf den Erhalt der ersten und zwei-ten Säule. Wie wir die Ausgestaltung in Deutschlandschwerpunktmäßig umsetzen werden, werden wir hierim Ausschuss, mit den Bundesländern und bei vielensich bietenden Gelegenheiten diskutieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2275
(C)
(D)
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für Ihren ersten
Teil der Antwort. Wir hatten gestern ein Gespräch mit
dem neuen Agrarkommissar Ciolos. Herr Ciolos hat da-
rauf verwiesen, dass er eine breite öffentliche Diskus-
sion für notwendig erachtet. In welcher Weise wird sich
die Bundesregierung an dieser breiten öffentlichen Dis-
kussion beteiligen, und inwieweit ist die Bundesregie-
rung bereit, über die Struktur der ersten und der zweiten
Säule in absehbarer Zeit oder kurzfristig Auskunft zu ge-
ben?
Dr
Wir sind immer bereit, Auskunft zu geben. Ich habe
damit im Ausschuss begonnen. Die Ministerin stellt sich
jeder Diskussion in der Öffentlichkeit, im Parlament und
in Brüssel.
Die Diskussion über die zukünftige Gestaltung der
Gemeinsamen Agrarpolitik ist transparent und vollkom-
men offen. Wir diskutieren dies mit den Bundesländern.
Die Fachblätter sind voll davon. Unsere Konzepte liegen
vor. Da gibt es überhaupt kein Geheimnis; denn wir
brauchen die Zustimmung des deutschen Parlamentes.
Wir werben, was die Zukunft der Gemeinsamen Agrar-
politik angeht, aber auch, was die deutsche Haltung zur
zukünftigen Finanzierung der europäischen Politik an-
geht, für einen breiten Konsens im deutschen Parlament.
Wir sollten mit einem Konsens unseres Parlamentes in
die Verhandlungen in Brüssel gehen; nur dann können wir
erreichen, was wir uns vorgenommen haben.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
In einem Papier zur Weiterentwicklung der Gemein-
samen Agrarpolitik nach 2013, Stand Dezember 2009,
sprechen Sie von nationalen Plafonds. Inwieweit erach-
ten Sie nationale Plafonds, die den einzelnen Mitglied-
staaten zugewiesen werden, als sinnvolles Instrumenta-
rium zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik?
Welche Vorteile hätten solche Plafonds? Wie groß
müsste der nationale Plafond sein, der Deutschland zu-
gewiesen wird?
Dr
Das ist jetzt eine Spezialfrage. Ich könnte auf diese
Frage antworten; nötig wäre aber eine differenzierte Dis-
kussion. Die Frage ist: Wie teilen wir den europäischen
Kuchen in Zukunft auf: mit einem neuen System oder
aufbauend auf dem jetzigen System?
Dafür sind derzeit viele Ansätze in der Diskussion.
Die einen sagen mit Blick auf die erste Säule: Jedes
Land soll dieselben Direktzahlungen, gewissermaßen
eine Flatrate, bekommen. Die anderen sagen: Geben wir
den einzelnen Mitgliedstaaten einen nationalen Plafond,
lassen wir ihnen damit Spielraum, wie sie das Ganze ma-
chen. – Es gibt noch weitere interessante Vorschläge. Sie
sehen: Das Feld ist offen.
Wichtig ist nur, dass wir in Richtung der Produzenten
– der Landwirtschaft, der Investoren – deutlich machen:
Wir wollen das System nicht komplett auf den Kopf
stellen. Wir brauchen keine neue Revolution der euro-
päischen Agrarpolitik. Wir haben zwei grundlegende
Reformen hinter uns. Deutschland hat die letzte Reform
– Stichwort: Entkopplung – erfolgreich umgesetzt.
Ich führe nachher ein Gespräch mit Bauern, die Stär-
kekartoffeln anbauen. Sie sind in Existenznöten, weil
wir entkoppeln. Wie gesagt, wir sind noch dabei, die
letzten Phasen der letzten Reform umzusetzen. Tragen
wir also nicht zu einer Totalverunsicherung der deut-
schen Landwirtschaft bei! Wir wollen uns deshalb dafür
einsetzen, dass, was den Haushaltsansatz betrifft, Ver-
lässlichkeit für die Zukunft herrscht. Wir wollen den
Rahmen erhalten, wir wollen Stabilität im System. Das
heißt, wir wollen die erste und die zweite Säule als
Grundlage erhalten. Wie wir in der Verteilung der Mittel
feinjustieren – bei der zweiten Säule oder bei der ersten
Säule –, darüber diskutieren wir miteinander, und da
werden Sie umfassend beteiligt.
Wir sind damit am Ende der Fragen zu Ihrem Ge-
schäftsbereich. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Frage 14 des Kollegen Peter Friedrich und die
Frage 15 des Kollegen Tom Koenigs – beide beziehen
sich auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung – werden schriftlich beantwortet. Zur
Beantwortung der folgenden Fragen zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Verteidigung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Katja Keul auf:
Warum hat die Bundesregierung die Ausbildung guinei-
scher Soldaten durch die Bundeswehr in Deutschland nicht
unverzüglich ausgesetzt, nachdem das von der Regierung
Guineas verübte Massaker im September 2009 bekannt
wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
C
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich beantworte IhreFrage wie folgt: Militärische Ausbildungshilfe – um einesolche handelt es sich –, nicht nur spezifisch für Guinea,sondern für eine ganze Reihe von Ländern, denen manbeim Aufbau stabiler demokratischer Strukturen helfenwill, wirkt langfristig. Sie unterstützt die Entwicklungdemokratisch orientierter Streitkräfte in Staaten und Re-gionen, deren Stabilität im deutschen Interesse liegt.Durch militärische Ausbildungshilfe können mittel- bis
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2276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Christian Schmidtlangfristig positive Multiplikatoren in den unterstütztenStaaten gewonnen werden, über die demokratische Wert-vorstellungen Eingang in die Kultur der jeweiligenStreitkräfte finden können. Das gilt insbesondere für dieErfahrungen, die im Ausbildungsgang in unserem Landeim Hinblick auf demokratische Wertvorstellungen mitvermittelt werden.Darüber hinaus wird durch die militärische Ausbil-dungshilfe ein Beitrag zur Förderung der regionalen Ei-genständigkeit – so übersetze ich jetzt den gemeinhin ge-nutzten Begriff „regional ownership“ – geleistet. Es gehtalso um die Befähigung zur Übernahme von Eigenver-antwortung in den jeweiligen Regionen.Vor dem Hintergrund, dass am 28. September 2009eine Großdemonstration von Sicherheitskräften blutigniedergeschlagen wurde und dass das Militärregime un-ter Dadis Camara vom international gegebenen Verspre-chen Abstand genommen hatte, demokratische Wahlendurchführen zu lassen, sich also selbst nicht zur Wahlstellen wollte, haben das Auswärtige Amt und das Bun-desministerium der Verteidigung im Oktober 2009 zeit-gleich mit der Einführung der von der EuropäischenUnion beschlossenen Sanktionen entschieden, die mili-tärische Ausstattungshilfe für Guinea bis auf Weiteresauszusetzen, laufende Maßnahmen und in Guinea statt-findende Sprachausbildungen in Deutsch jedoch zu Endezu führen.Dadis Camara hat Guinea im Dezember 2009 infolgeeines auf ihn verübten Anschlags zur medizinischen Be-handlung verlassen. Der seit 26. Januar 2010 fungie-rende Interimspräsident Sékouba Konaté hat als Ergeb-nis eines Vermittlungsprozesses im Januar 2010 denOppositionspolitiker Jean-Marie Doré als Premierminis-ter eingesetzt und am 15. Februar 2010 eine neue Über-gangsregierung ernannt. Zudem hat er noch für 2010 dieDurchführung von demokratischen Wahlen angekündigt.Die unabhängige Wahlkommission hat als Termin fürdie Präsidentschaftswahlen den 27. Juni 2010 vorge-schlagen.Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium derVerteidigung beabsichtigen, zu gegebener Zeit zu prüfen,ob und in welcher Form die militärische Ausstattungs-hilfe nach der Durchführung demokratischer Wahlen wie-der gewährt werden kann. Mit den jetzt stattfindendenMaßnahmen wird also nur das beendet, was bereits vor-her vereinbart worden war.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
verstehe ich Sie richtig, dass die militärische Ausbildung
diesbezüglich vollständig beendet worden ist? Wenn
dort noch Bundeswehrsoldaten involviert sind, dann
würde mich auch interessieren, wie viele Bundeswehr-
soldaten das sind und in welcher Funktion sie tätig sind.
C
Frau Kollegin, im Rahmen der Ausbildungshilfe be-
finden sich noch sieben guineische Soldaten zur Ausbil-
dung in unserem Land. Voraussichtlich Ende März 2010
werden vier ihre Ausbildung beenden. Ein weiterer
schließt die Ausbildung Ende Juni 2010 ab. Die letzten
beiden beenden sie im Herbst 2010.
Hinsichtlich Ihrer Frage, wie viele und welche Aus-
bildungsmaßnahmen im Lande stattfinden, bitte ich da-
rum, dass ich Ihnen die Zahlen und die Daten schriftlich
nachreichen kann. Sie sind noch zu recherchieren.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nach-
frage.
Ich wüsste dann noch gerne, ob dieser Vorfall im Sep-
tember 2009 für die Bundesregierung Anlass war, auch
hinsichtlich weiterer Länder zu prüfen, ob die militäri-
sche Ausrüstungsbeihilfe wirklich demokratischen Struk-
turen zugutekommt.
C
Was sich am Beispiel Guineas zeigt, ist natürlich eine
immanente Problematik. Wir haben das Vertrauen und
wollen darauf hinwirken, dass demokratische Strukturen,
so sie vorhanden sind, stabilisiert und gefestigt werden
und dass sie sich in die richtige Richtung entwickeln. Die-
ser Prozess ist aber immer wieder von Rückschlägen ge-
prägt. Aufgrund der unterschiedlichen örtlichen, regiona-
len und staatlichen Verhältnisse lässt sich nur sehr schwer
eine Messlatte, die allgemein gelten kann, finden.
Die Bundesregierung überprüft laufend Entwicklun-
gen in den Ländern, mit denen militärische Ausstattungs-
hilfe stattfindet. In diesem Bereich ist das Auswärtige
Amt federführend. Es stimmt sich nach einer Reflexion
darüber ab, wie man im Bereich der militärischen Aus-
stattungshilfe kontraproduktiven Entwicklungen – so ver-
stehe ich nichtdemokratische Entwicklungen – Rechnung
tragen kann.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Hans-ChristianStröbele das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Ausbildungder Bundeswehr wirke langfristig. Nun wissen wir, dassHerr Camara, der dort geputscht hat und dann Militär-diktator in Guinea geworden ist – möglicherweise ist erderzeit im Krankenhaus –, nicht nur lange in Deutsch-land gelebt hat, sondern auch lange Zeit von der Bundes-wehr ausgebildet worden ist. Wie erklären Sie sich ange-sichts der langen Ausbildung, dass sich Herr Camara,nachdem er nach Guinea zurückgekehrt ist, an die Spitzeeines Militärputsches gestellt hat und er, wie anhand des
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2277
(C)
(D)
Hans-Christian StröbeleMassakers deutlich geworden ist, offenbar keinerleimenschenrechtliche Überlegungen anstellt, sondern dasGegenteil praktiziert?C
Herr Kollege, dieser Herr hat das Klassenziel offen-
sichtlich verfehlt.
Das kann nur Anlass sein, die einzelnen Persönlichkeiten
mit einem entsprechend kritischen Auge zu betrachten;
dies findet auch statt. Allerdings ist es ein außerordent-
lich schwieriges Unterfangen, verlässliche Prognosen
über die zukünftige mentale Entwicklung der Einzelnen
zu machen. Insofern müssen wir darauf setzen, dass un-
sere Hoffnungen und Erwartungen erfüllt werden und
wir – wenn Sie das Wort gestatten – eine Trefferquote
von 100 Prozent erreichen. Allerdings werden wir im-
mer wieder damit konfrontiert, dass sich die Dinge an-
ders entwickeln.
Es verbietet sich die Frage, was wäre, wenn Staaten
wie Deutschland ihre Bemühungen einstellen würden.
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht der einzige
demokratische Staat, der sich bemüht, in diesen Ländern
Menschen zu finden und sie dabei zu unterstützen – auch
über solche Programme wie die militärische Ausstat-
tungshilfe –, die Gedanken der Demokratie und Toleranz
stärker zu verankern. Das ist nicht immer von Erfolg ge-
prägt. Allerdings würde eine prozentuale Gegenüberstel-
lung der Erfolge und Misserfolge – ich möchte sie nicht
anstellen – sicherlich belegen: Wir sammeln in vielen
Fällen positive Erfahrungen.
Wir kommen damit zur Frage 17 der Kollegin Katja
Keul:
Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des
Oberkommandierenden der EU-Operation Atalanta, Konter-
admiral Peter Hudson, AWACS-Aufklärungsflugzeuge zum
Erkennen von Mutterschiffen einzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
C
Frau Kollegin, das vom Kommandeur der Operation
„EU NAVFOR Atalanta“ aufgestellte Streitkräftedis-
positiv sieht den Bedarf zur Seeraumüberwachung aus
der Luft mit bis zu sechs Luftfahrzeugen vor. Um diesen
Bedarf zu decken, wurden in der Vergangenheit ver-
schiedene Luftfahrzeugtypen eingesetzt, wobei neben
klassischen Seeraumüberwachungsflugzeugen in einem
Fall ein französisches AWACS-Aufklärungsflugzeug
zum Einsatz gekommen ist.
Die Europäische Union, die Trägerin der Mission
„Atalanta“ ist, verfügt selbst über keine AWACS-Auf-
klärungsflugzeuge. Deswegen kann ein solcher Einsatz
nur durch Truppensteller mit entsprechenden Fähigkei-
ten erfolgen. Im Rahmen der Europäischen Union sind
dies Frankreich und Großbritannien. Wie Sie wissen, ist
der deutsche Anteil an Überwachungskapazitäten im
NATO-Verbund mit eingebunden und somit nicht natio-
nal verfügbar.
Obwohl sich dieser Luftfahrzeugtyp insbesondere in
Zusammenarbeit mit anderen Luftfahrzeugen in der See-
raumüberwachung sehr großer Gebiete bewährt hat,
beabsichtigt nach Kenntnis der Bundesregierung gegen-
wärtig keine Teilnehmernation, „EU NAVFOR Atalanta“
AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Verfügung zu stel-
len. Eine Anregung des Operationskommandeurs an die
Nationen, zur Vermeidung einer möglichen Fähigkeits-
lücke bei der Seeraumüberwachung auch AWACS-Auf-
klärungsflugzeuge in Betracht zu ziehen, erfolgte ledig-
lich im Hinblick auf die positiven Erfahrungen mit dem
französischen Beitrag in dieser Funktion und beinhaltet
keine Änderung der bisherigen Vorgehensweise.
Nachrichtlich darf ich darauf hinweisen, dass sich die
Fähigkeiten überwiegend auf Seeraumüberwachungs-
flugzeuge kleineren Typs beziehen. So hat die Bundesre-
gierung in einer benachbarten Mission das Flugzeug
vom Typ PC-3 Orion für einige Zeit zur Verfügung ge-
stellt und zum Einsatz gebracht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Ich hätte noch eine Nachfrage. Wenn
dies nicht in Bezug auf „Atalanta“ geplant ist: Gibt es
auch keine weiteren Pläne, beispielsweise in Bezug auf
den NATO-Einsatz „Ocean Shield“?
C
Ich will die Frage wie folgt beantworten: Die NATOuntersucht gegenwärtig den Einsatz von AWACS-Auf-klärungsflugzeugen zur Unterstützung der OperationISAF über Afghanistan. Dieses Haus hat sich schon mitdieser Fragestellung beschäftigt. Die Bundesregierungwird dies aber erst dann national erwägen und gegebe-nenfalls zur Beschlussfassung vorlegen, wenn es sichkonkretisiert. Dies ist allein aus der Tatsache heraus,dass wir solche Schritte noch nicht unternommen haben,erkennbar nicht der Fall.Es wird eine Stationierung von NATO-AWACS-Flug-zeugen im Bereich der arabischen Halbinsel in Betrachtgezogen. Eine Diskussion, ob die dort stationierten Luft-fahrzeuge gelegentlich zur Unterstützung der von Ihnengenannten Operation „Ocean Shield“ – das ist dieNATO-Mission, die am Horn von Afrika in der Piraterie-bekämpfung mit tätig ist – herangezogen werden kön-nen, würde vom NATO-Oberbefehlshaber in Europa,dem SACEUR, im Rahmen einer Debatte um die Zu-kunft von OOS, also Operation „Ocean Shield“, angesto-ßen. Eine Empfehlung des Militärausschusses der NATOliegt jedoch noch nicht vor.Die Seeraumüberwachung durch NATO-AWACS-Flugzeuge wurde durch technische Anpassungen bzw.
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2278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Christian Schmidtdie Einrüstung eines neuen Systems zur Erfassung auto-matisch erzeugter Schiffsdaten von Handelsschiffenmöglich und konnte entsprechend zertifiziert werden. ImRahmen der Operation Active Endeavour im Mittelmeerkonnte diese Fähigkeit auch unter Einsatzbedingungennachgewiesen werden. Ob und inwieweit allerdings dieBeobachtung kleiner und nicht an diesem System betei-ligter Piratenschiffe – einschließlich des Begriffs derMutterschiffe, den wir in diesem Zusammenhang ver-wenden – möglich ist, ist sehr offen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wenn das sehr offen ist, frage ich an dieser Stelle
nach, wann Sie damit rechnen, dass eine entsprechende
Empfehlung oder Nichtempfehlung vorliegen wird.
C
Der Militärausschuss hat noch nicht darüber entschie-
den. Der Fokus für den Einsatz von AWACS-Flugzeugen
auf NATO-Ebene liegt bei ISAF. Es gäbe allenfalls die
Möglichkeit einer Verknüpfung, wenn dieser Einsatz
möglich wäre. Das wäre sozusagen ein Nebenprodukt.
Zu der Operation „Atalanta“ selbst, der europäischen
Mission, gilt das, was ich auf Ihre Ausgangsfrage erwi-
dert habe.
Der Kollege Hans-Christian Ströbele hat die Möglich-
keit zu einer weiteren Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben geschildert, welche
Luftraumüberwachung dort stattfindet und mit welchem
Ziel. Ich frage Sie: Findet auch vor der Küste Somalias,
die sehr lang ist, eine Luftraumüberwachung hinsichtlich
in somalische Gewässer eindringender Fischereifabriken
statt, also großer Schiffe, die dort die Fischgründe leerfi-
schen und damit der fischenden einheimischen Bevölke-
rung die Grundlage entziehen?
C
Kollege Ströbele, die Europäische Union ist noch da-
bei, sich mit der weiteren Entwicklung der Antipiraterie-
mission, das heißt mit der Frage, wie es um die Piraterie
und deren Ursachen bestellt ist, intensiv zu befassen.
Wir hatten in der Sitzung des Verteidigungsministerrats
der Europäischen Union in der letzten Woche einen Be-
richt von Admiral Hudson vorliegen, der die Operation
„Atalanta“ kommandiert. Ich erlaube mir, darauf hinzu-
weisen, dass eine Sachverständigengruppe der Europäi-
schen Union, die sich seit einiger Zeit mit den Ursachen
und dem Begegnen der Piraterie befasst und der von
deutscher Seite Vizeadmiral a. D. Feldt angehört, einen
Bericht vorlegen wird. Soweit wir gehört haben – das ist
ein Zwischenstand –, wird sich allerdings eine monokau-
sale Begründung für Piraterie nicht finden lassen.
Ich erlaube mir aber auch, zu sagen, dass es überra-
schend bzw. beeindruckend ist, wie viele verschiedene
Nationen, die sich dem Fischfang widmen, sich in die-
sem Gebiet aufhalten. Ich denke, die Antwort besteht
auch in der notwendigen Unterstützung der Ausbildung
der Küstenwache sowie dem Aufbau somalischer Staat-
lichkeit und Autorität, um solchen Dingen begegnen zu
können.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Nouripour wer-
den schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts des Beschlusses
des … einzelnen Abgeordneten … grundsätzlich eine Ant-
wortpflicht der Bundesregierung“ besteht, nun – entgegen ih-
rem bisherigen Verweis auf ersatzweise vertrauliche Unter-
richtung nur von Fraktionsvorsitzenden etc. – meine Frage 90
vom 11. Februar 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/702 so-
der Bundes-„Task Force 47“ in Afghanistan sowie deren Fol-
gen zu beantworten, und inwieweit wirkte diese Einheit mit
an der Benennung verdächtiger Personen zur Tötung oder
Festnahme ?
Bitte, Herr Staatssekretär.
C
Ich erlaube mir, folgendermaßen zu antworten: DieBundesregierung folgt ihrer Pflicht und beantwortet inder Regel alle Fragen von Abgeordneten offen, um sie indie Lage zu versetzen, ihre Aufgabe der parlamentari-schen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahr-zunehmen. Die Antwortpflicht ist nur dann ausnahms-weise begrenzt, wenn dies aus verfassungsrechtlichenGründen geboten ist. Sie haben in Ihrer Frage auf einenBeschluss des Bundesverfassungsgerichts, dessen Ge-nese Ihnen, Herr Kollege, nicht unbekannt ist, hingewie-sen.In diesen Ausnahmefällen, in denen die Bundesregie-rung entscheidet, eine Frage nicht zu beantworten oderin vertraulicher Form Informationen weiterzugeben,wird dies, außer in offenkundig – das Bundesverfas-sungsgericht spricht von „evident“ – geheimhaltungsbe-dürftigen Fällen, nachvollziehbar und plausibel begrün-det.Darüber hinaus wird auch im Einzelfall geprüft, obFormen der vertraulichen Beantwortung möglich sind,die dem Informationsanspruch des Parlaments und ei-nem berechtigten Diskretionsinteresse der Regierungoder Dritter gleichermaßen Rechnung tragen. Den Ent-scheidungen des Bundesverfassungsgerichts in beidenBeschlüssen, zum BND-Untersuchungsausschuss und zuden Kleinen Anfragen, wird damit Rechnung getragen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2279
(C)
(D)
Parl. S
Der Deutsche Bundestag hat mit einem Be-
schluss vom 3. Dezember 2008 im Hinblick auf Sensibi-
litäten und schutzwürdige Kernbereiche ein Verfahren
zur Unterrichtung über den Einsatz aufgestellt und der
Bundesregierung gegenüber die Bitte geäußert, man
möge sich dieser Verfahrensweise entsprechend verhal-
ten. Wichtig für uns ist im Zusammenhang mit dem Be-
schluss des Deutschen Bundestages das Verständnis der
Konkretisierung der Informationen, die geliefert werden
müssen. Dementsprechend werden über den Einsatz von
Spezialkräften der Bundeswehr die Vorsitzenden, die
stellvertretenden Vorsitzenden sowie die Obleute des
Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Aus-
schusses unverändert regelmäßig auf vertraulicher Basis
informiert. Sie wissen, dass ein halbjährlicher Turnus
vereinbart ist, der auch eingehalten wird. Darüber hinaus
wird nicht nur über abgeschlossene, sondern auch über
bevorstehende Operationen informiert.
Die parlamentsfreundliche Information ist aus den gu-
ten Gründen, die im Entschließungsantrag auf Druck-
sache 16/11230 vom 3. Dezember 2008 seitens des Deut-
schen Bundestages festgehalten worden sind, und wegen
der Schutzbedürftigkeit in Form einer Unterrichtung in
geschlossenen Ausschüssen des Deutschen Bundestags
erfolgt. Das war zum letzten Mal der Fall in der
16. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen
Bundestages am 24. Februar dieses Jahres durch meinen
Kollegen, den Parlamentarischen Staatssekretär Kossendey.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in der Antwort der Bundesregie-
rung steht auch, dass die Vorsitzenden und die stellvertre-
tenden Vorsitzenden der Fraktionen unterrichtet werden
können. Können Sie sagen, wann eine solche Unterrich-
tung über die Tätigkeit der Task Force 47 stattgefunden
hat?
C
Zur Konkretisierung darf ich auf Ihren Hinweis Ab-
schnitt II. Nr. 1 des Entschließungsantrags zitieren:
Die Obleute sind ermächtigt, diese Informationen
vertraulich an die Fraktionsvorsitzenden weiterzu-
geben.
Es gibt also eine Informationskette bis hin zu Fraktions-
vorsitzenden.
Die Unterrichtung über die Maßnahmen von Spezial-
kräften, die sich in Einsatzländern befinden, ist nach
meiner Kenntnis nicht sehr lange vor dem 24. Februar
erfolgt. Ich bitte aber darum, dass ich Ihnen das genaue
Datum und die Bestätigung über das, was der Kollege
Kossendey im Verteidigungsausschuss vorgetragen hat
– er hat über die Tätigkeit einzelner Task Forces, auch
der Task Force 47, berichtet –, nachliefern kann.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, gibt die Bundesregierung mir da-
rin recht, dass hier eine Lücke in der Kontrolle durch den
Deutschen Bundestag entsteht, da es sich bei der Task
Force 47 ganz offensichtlich um eine Einheit handelt,
der sowohl Angehörige der Bundeswehr als auch Ange-
hörige des Bundesnachrichtendienstes, also eines Ge-
heimdienstes, angehören? Denn auf der einen Seite sagt
man in dem Kontrollgremium für die Geheimdienste, es
könne nicht über die Tätigkeit der Bundeswehr infor-
miert werden. Auf der anderen Seite sagt man im Vertei-
digungsausschuss hinsichtlich der Bundeswehr, man
könne nicht darüber informieren, was Mitarbeiter oder
Zuarbeiter der Geheimdienste machen. Aufgrund der
Zusammensetzung solcher Einheiten gibt es also kein
Gremium, das sich mit beiden Teilen beschäftigen kann,
und dadurch entsteht eine Informationslücke.
C
Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen zwar grund-
sätzlich gerne recht, aber nicht immer.
Ich meine, dass für beide Elemente eine entsprechende
Unterrichtung stattfindet, und zwar hinsichtlich der
nachrichtendienstlichen Tätigkeit in dem Gremium, dem
meiner Kenntnis nach auch Sie angehören. Hinsichtlich
der Spezialkräfte der Bundeswehr sind, soweit es sich
um Operationen handelt, die in den militärischen Be-
reich gehören, andere Wege zu gehen.
Der Bundesregierung ist sehr an der Information des
Parlaments gelegen. Das ist keine Nebensache, sondern
eine zentrale Verpflichtung der Bundesregierung. Ich
nehme an, dass die Initiative aus den Kreisen des Bun-
destages kommen wird; denn der Bundestag konkreti-
siert in wesentlichen Teilen – siehe die Beschlussfassung
vom 3. Dezember 2008 –, wie er die Informationspflicht
erledigt haben will; dies gilt auch im Hinblick auf das
Parlamentsbeteiligungsgesetz. Sofern es eine Informa-
tionslücke, die dem Grundsatz der Informationsbereit-
schaft widerspricht, geben sollte, muss man über geeig-
nete Wege der Abhilfe nachdenken.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs.Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Metadaten/Kopzeile:
2280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
(C)
(D)
Vizepräsidentin Petra PauZur Beantwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Steffen-ClaudioLemme werden schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Aydan Özoğuz auf:Wie ist der derzeitige Umsetzungsstand des Programms„Schulverweigerung – Die 2. Chance“, und inwieweit ist esbislang mit diesem Programm gelungen, schulverweigerndejunge Menschen wieder in die Schule – bitte Zahlen und Fak-ten benennen – zu reintegrieren?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr
Frau Kollegin, das Schulprogramm „Schulverweige-
rung – Die 2. Chance“ ist Bestandteil der Initiative „Ju-
gend stärken“, mit der wir in der vergangenen Legisla-
turperiode angefangen haben, die Programme für
benachteiligte junge Menschen und Jugendliche mit Mi-
grationshintergrund zu bündeln, sie stärker aufeinander
abzustimmen und zum Teil auch erheblich auszubauen.
Mittlerweile gibt es 194 Projektstandorte. Das Pro-
gramm zielt darauf ab, Schülerinnen und Schülern vor
allem von Hauptschulen, die ihren Schulabschluss über
eine sogenannte harte Schulverweigerungshaltung ge-
fährden, in den Regelschulbetrieb zu integrieren.
Das Programm erhöht infolgedessen die Chancen der
jungen Menschen auf einen Schulabschluss und ist auch
ein zentraler Bestandteil der Maßnahmen des Bundes zur
Halbierung der Zahl der Schulabbrecher bis zum
Jahr 2013.
Wir haben die Zahlen vorliegen: 2007 haben über
70 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlas-
sen; das entspricht einem Anteil von 7,5 Prozent. Unter
den ausländischen Jugendlichen waren es 16 Prozent,
also etwa das Doppelte. Schätzungen gehen von 300 000
Schulschwänzern und von 10 000 Totalverweigerern
aus. Das zeigt, wie groß das Problem ist und dass es not-
wendig ist, das Bemühen um diejenigen, die nicht klar-
kommen, über diese Projekte hinaus in den ganz norma-
len Schulablauf zu integrieren.
Das Programm „Schulverweigerung“ wurde in der
aktuellen ESF-Förderperiode bis zum Januar 2009 von
75 auf 194 Standorte aufgestockt. Neben der Einführung
von Verfahren zum sogenannten Case-Management und
der Bestimmung von Schulstandorten, an denen man tä-
tig ist, wurden weitere Dinge entwickelt, die es möglich
machen, die Entwicklungsverläufe der Jugendlichen zu
erfassen und sie mit entsprechenden Schulungen für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu begleiten. Das Pro-
gramm ist fachlich um die Aufnahme von Schülerinnen
und Schülern, die ihren Schulabschluss durch eine stark
passive Schulverweigerung gefährden, erweitert worden.
Was die Gesamtzahlen angeht: Im letzten Förderjahr
hatte das Programm rund 5 000 junge Menschen erfasst,
davon circa 1 950 junge Migrantinnen und Migranten,
also 39 Prozent. Man kann generell sagen: Bei allen Ju-
gendprojekten geht es in der Regel um einen erheblichen
Teil von Migrantinnen und Migranten. Von denen, die in
diesem Zeitraum das Case-Management regulär beendet
haben, konnte weit mehr als jeder zweite Schulverwei-
gerer erfolgreich in die Schule reintegriert werden. Die
anderen Jugendlichen konnten zwar nicht vollständig re-
integriert werden, aber es gab auch dort Erfolge zu ver-
zeichnen. Es ist so, dass ein Teil von ihnen zumindest
wieder regelmäßig die Schule besucht oder in der Schule
aktiver mitarbeitet. Andere sind in berufsvorbereitende
Maßnahmen mit nachholendem Schulabschluss einge-
gliedert worden. Sie haben eine Ausbildung oder eine
Arbeit aufgenommen. Ein Teil von ihnen ist durch Um-
zug usw., wie es bei solchen Programmen immer der Fall
ist, ausgeschieden.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Sie haben auf
5 000 Jugendliche und besonders auf die Jugendlichen
mit Migrationshintergrund hingewiesen. Ganz wesent-
lich in diesem Programm scheint zu sein, dass es An-
sprechpartner für die Jugendlichen gibt, die mit ihnen ar-
beiten und dafür sorgen, dass sie den Weg in die Schule
wiederfinden. In diesem Zusammenhang wird auch er-
wähnt, dass es wichtig ist, dass Eltern, Schülerinnen,
Schüler und die Ansprechpartner zusammenarbeiten.
Mich interessiert, nach welchen Kriterien diese An-
sprechpartner ausgewählt werden und welche Erkennt-
nisse Sie im Hinblick auf die Elternarbeit haben.
Dr
Frau Kollegin, Sie haben sich sicherlich bereits einen
Standort konkret angesehen. Diese Standorte zeichnen
sich dadurch aus, dass dort die kommunale Ebene, die
Landesebene, der Bereich der Sozialarbeit und das spe-
zielle Angebot des Jugendministeriums zusammenge-
führt werden, weil das Ganze nur dadurch Sinn macht.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich der Erfolg
dann einstellt, wenn die verantwortlichen Projektmitar-
beiter – sie sind häufig bei freien Trägern angestellt – auf
die einzelnen Jugendlichen eingehen und auch die Eltern
zu Hause aufsuchen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Damit haben Sie meine Frage nach den Kriteriennoch nicht beantwortet.Mich interessiert aber noch Folgendes: Sie sagen,dass gut die Hälfte der Jugendlichen mit diesem Pro-gramm nicht erreicht wird. Wir haben insgesamt einesehr hohe Zahl von jungen Menschen, die keinen Ab-schluss haben, älter als 22 sind und ihren bisherigen Wegbereuen. Sie suchen durchaus nach Möglichkeiten, einenAbschluss zu bekommen oder irgendwie reintegriert zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2281
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(D)
Aydan ÖzoðuzAydan Özoğuzwerden. Inwiefern plant die Bundesregierung ein ähnli-ches Programm oder eine Fortführung dieses Programmsfür die Älteren?Dr
Die Bundesregierung plant dies nicht. Ich habe darauf
hingewiesen, dass das, was wir hier mit Unterstützung
des Europäischen Sozialfonds machen, im Grunde ge-
nommen Maßnahmen sind, bei denen es darum geht, die
regulären Abläufe zu ergänzen, zu bereichern und auch
zu verändern. Das muss im Endeffekt von der jeweiligen
Landesebene geleistet werden.
Vielleicht sollte ich noch etwas zu den Kriterien sa-
gen. In der Praxis sieht das so aus, dass dann, wenn
wahrgenommen wird, dass ein Jugendlicher den Schul-
unterricht verweigert, indem er gar nicht mehr kommt
– passive Schulverweigerung dagegen wäre, dass er zur
Schule geht, aber eigentlich nichts mehr macht –, die
Schule tätig wird. Im engen Kontakt zwischen den Pro-
jektmitarbeitern und der Schule wird dann im Einzelfall
entschieden, ob jemand für die Reintegration infrage
kommt. Es gibt keine formalen Kriterien, die man be-
nennen könnte. Man muss da vielmehr sehr stark auf den
Einzelfall abheben, ob solch ein Versuch erfolgreich sein
kann. Da spielen die Lehrer mit hinein, da spielt die
Schulleitung mit hinein, und da spielen die Eltern mit hi-
nein sowie die jeweiligen Spezialisten aus dem Projekt-
management.
Ich rufe nun die Frage 24 der Kollegin Özoğuz auf:
Welche Überlegungen und Maßnahmen werden in der an-
gekündigten Fortführung und Erweiterung des Projekts „Neue
Wege für Jungs“ insbesondere für junge Migranten berück-
sichtigt?
D
Ich will darauf gerne antworten, Frau Kollegin. Die-
ses Netzwerkprojekt „Neue Wege für Jungs“ wendet
sich an Jungen und hat damit zuallererst die Ge-
schlechtszugehörigkeit im Blick und nicht die Frage, ob
jemand Migrant ist oder nicht. Die zahlreichen Projekte
– es gibt insgesamt 150 Netzwerkpartner – richten sich
an Jungen mit und ohne Migrationshintergrund. Gleich-
zeitig werden Jungen aus allen Schulformen beteiligt.
Der Schwerpunkt liegt allerdings auch hier auf Haupt-
und Realschulen, in denen der Anteil von Schülern mit
Migrationshintergrund besonders groß ist.
Die Initiative „Neue Wege für Jungs“ ist ja das Pen-
dant zum sogenannten Girls’ Day und verfolgt das Ziel,
das Berufswahlspektrum entsprechend zu erweitern.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass vorgesehen
ist, diese Initiative auszuweiten. So steht es im Koali-
tionsvertrag. Wir gehen davon aus, dass wir das in der
nächsten Projektphase – dieses Projekt war ja auf drei
Jahre begrenzt – durch entsprechend erhöhte Mittel auch
wieder unter Einbeziehung von ESF-Mitteln schaffen.
Haben Sie eine Nachfrage?
Ja. – Mich würde interessieren, wie sich die Ziel-
gruppe zusammensetzt. Geht es nach Altersstufen, geht
es nach Regionen, Ost bzw. West? Wonach wird da ge-
nau geschaut?
D
Das kann ich Ihnen so aus dem Stand nicht beantwor-
ten. Auf die Ausschreibung solcher Projekte bewerben
sich unterschiedliche Träger, unterschiedliche Initiativen
sowie außerschulische Bildungseinrichtungen. Bei die-
sen schauen wir ganz allgemein, inwieweit sie dazu bei-
tragen können, dass Jugendliche in ihrer Lebensplanung
begleitet werden und neue Anregungen bekommen. Da-
raus ergeben sich auch gewisse Kriterien. Ich kann Ihnen
jetzt nicht genau die Kriterien nennen, die formal zu-
grunde gelegt werden. Ich will Ihnen das aber gerne ein-
mal im Ausschuss beantworten.
Keine weitere Nachfrage? – Dann rufe ich die Frage
25 der Kollegin Marlene Rupprecht auf:
Wie viele Familien und wie viele Kinder werden aktuell
mit dem Kinderzuschlag – bitte Datenquelle nennen – er-
reicht?
Dr
Nach Schätzungen der Bundesregierung von Dezem-
ber 2009 gab es insgesamt 116 000 Berechtigte mit ins-
gesamt rund 292 000 Kindern, an die bzw. für die Kin-
derzuschlag bezahlt wurde.
Frau Kollegin Rupprecht, die zu diesem Thema auch
eine schriftliche Anfrage gestellt hat, hat nach der Da-
tenquelle gefragt. Wenn man sich mit dieser Frage be-
schäftigt, lässt sich erklären, weshalb es unterschiedliche
Zahlen gibt. Die Bundesagentur für Arbeit ermittelt
nämlich nur die Zahl derjenigen, die sogenannte lau-
fende Zahlungen Monat für Monat erhalten, ermittelt
aber nicht die Zahl derjenigen, die einmalig Zahlungen
erhalten, oder derjenigen, die herausfallen oder neu auf-
genommen werden, weil sich beispielsweise das Ein-
kommen verändert hat. In diesen Fällen können wir nur
Hochrechnungen anstellen, indem wir die Gesamtausga-
ben für den Kinderzuschlag in Beziehung setzen zu den
Durchschnittsbeträgen für laufende Zahlungen. Nur so
ist es möglich, zu einer Bewertung zu kommen und die
zukünftige Höhe des Kinderzuschlags festzulegen. Das
hatten wir in unserer Antwort auf die schriftliche An-
frage auch im Einzelnen beantwortet.
Ihre Nachfrage, bitte.
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2282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
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Herr Staatssekretär, mich interessiert, ob man etwas
zur Zahl der gestellten Anträge, zur Zahl der abgelehn-
ten Anträge und zu den Begründungen für die Ablehnun-
gen sagen kann. In der letzten Wahlperiode hatten wir ja
versucht, nachzusteuern, um zielgenau handeln zu kön-
nen. Das war unsere Absicht. Dabei sollte auch geklärt
werden, inwieweit es offensichtliche Gründe für Ableh-
nungen gibt. Wird das erfasst? Gibt es dazu Daten oder
Fallzahlen? Das wäre meine erste Frage.
Da Sie meine zweite schriftlich eingereichte Frage
schon beantwortet haben, habe ich eine weitere Nach-
frage. Heute hat im Ausschuss Ihr Kollege, Staatssekre-
tär Hecken, dargelegt, dass seitens der Bundesregierung
eventuell eine Differenzierung nach Altersstufen, um die
Zielgenauigkeit zu erhöhen, beabsichtigt ist. Für mich
wäre wichtig, zu erfahren, ob man Näheres über die Fa-
milienstrukturen der jetzt den Kinderzuschlag Beziehen-
den weiß. Weiß man, ob überwiegend Familien mit klei-
neren Kindern oder mit mehreren Kindern usw. den
Kinderzuschlag erhalten? Vielleicht sollte es eine bes-
sere Datenlage geben, um den Kinderzuschlag wirklich
dort ankommen zu lassen, wo er ankommen soll, näm-
lich bei denen, die in „prekärem Wohlstand“ sind und
immer knapp über der Grenze zur Armut liegen. Gibt es
dazu Erkenntnisse?
D
Das Anliegen Ihrer Frage kann ich sehr gut nachvoll-
ziehen. Mir liegen diese Erkenntnisse nicht vor. Ich
glaube, diese gibt es auch nicht. Ich will mich aber gerne
noch einmal erkundigen.
Es wäre in der Tat wichtig, dass wir den Sachverhalt
im Einzelnen kennen, bevor wir etwas ändern. Wir wer-
den in Verbindung mit dem gesamten Niedriglohnbe-
reich, mit dem sich das Parlament und die Bundesregie-
rung zu beschäftigen haben, auch darüber nachdenken
müssen, wo der spezielle Platz für den Kinderzuschlag
sein kann, der, wie Sie richtig sagen, für diejenigen vor-
gesehen sein soll, die den Lebensunterhalt für sich
durchaus verdienen können, aber aufgrund ihrer Kinder
in eine SGB-II-Abhängigkeit geraten. Das ist der Perso-
nenkreis, den wir erfassen wollen. Immerhin gibt es ja
Zahlen, wie sich das im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Die Zahl ist gewaltig gestiegen. Dem liegen Schätzun-
gen zugrunde: Im September 2008 waren es 120 000.
Ende 2009 waren es schon 300 000. Das heißt, die Zahl
derjenigen, die den Kinderzuschlag in Anspruch genom-
men haben, ist gestiegen.
Das zeigt ganz offenkundig, dass die Vereinfachung
der Beantragung des Kinderzuschlages letztlich erfolg-
reich gewesen ist. Ich glaube auch, dass eine Rolle
spielt, dass sich dieses Instrument langsam im Bewusst-
sein der Menschen verankert hat, dass sie nun wissen,
dass es so etwas gibt, wie sie damit umgehen können
und weshalb es ein sinnvoller Ansatz ist, zu sagen: Du
kannst den Lebensunterhalt für dich selbst verdienen;
aber wir helfen dir dabei, dass du aufgrund deiner Kin-
der nicht in Abhängigkeit gerätst.
Ich sage aber ausdrücklich: Ich werde mich erkundi-
gen, welche strukturellen Daten es bezüglich der Zusam-
mensetzung des Personenkreises noch gibt – mir sind
solche nicht geläufig –, damit wir eine gemeinsame
Grundlage für künftige Entscheidungen haben.
Haben Sie eine Nachfrage dazu?
Ja, ich habe noch eine Nachfrage dazu. Gestern gab es
hinsichtlich der ALG-II-Aufstocker die Pressemeldung,
dass Stundenlöhne unter 3 Euro als sittenwidrig gelten.
Die Bundesagentur für Arbeit hat den Jobcentern auf-
erlegt, zu überprüfen, dass von denen, die ALG-II-Auf-
stocker sind, keiner einen Stundenlohn von unter 3 Euro
erhält.
Für mich stellt sich nun die Frage: Wird bei den Per-
sonen, die den Kinderzuschlag beantragen, erfasst, in
welcher Höhe sich ihr Stundenlohn bewegt? Denn ich
könnte mir gut vorstellen, dass man, wenn es genauere
Zahlen gäbe, darauf hinarbeitet, dass angemessene
Löhne gezahlt werden, damit Eltern aus der staatlichen
Hilfe herauskommen, auch wenn der Kinderzuschlag si-
cherlich ein gutes Instrument ist. Noch besser aber ist es,
wenn die Eltern ihr Leben ohne Kinderzuschlag bewälti-
gen können. Gibt es irgendwelche Erfassungen im Zu-
sammenhang mit den Stundenlöhnen?
Dr
Meines Wissens nicht. Ich schließe es aus, dass bei
der Prüfung auch erfasst wird, wie hoch der jeweilige
Stundenlohn ist. Das wäre sicherlich interessant und in-
formativ, weil das ein anderes Kriterium für die Geneh-
migung darstellen könnte. Das ist in der gesetzlichen Re-
gelung nicht vorgesehen.
Darüber kann man sicherlich politisch diskutieren. Denn
der Kinderzuschlag ist nicht dafür gedacht, dass niedrige
Löhne gezahlt werden und man dann an staatliche Mittel
herankommt, um auf diese Art und Weise zu einem an-
gemessenen Einkommen zu kommen.
Zum selben Sachverhalt rufe ich die Frage 26 derKollegin Marlene Rupprecht auf:Wie erklärt sich das Bundesministerium für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend die stark voneinander abweichen-den Fallzahlen zum Kinderzuschlag der Bundesregierung– zum Beispiel April 2009: 259 150 erreichte Kinder – undder Familienkasse – zum Beispiel April 2009: 183 000 er-reichte Kinder –, und welche Maßnahmen werden zur Präzi-sierung der statistischen Erhebung der Fallzahlen getroffen?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2283
(C)
(D)
Vizepräsidentin Gerda HasselfeldtDiese Frage ist noch zu beantworten; es sei denn, derStaatssekretär ist schon bei der Beantwortung derFrage 25 darauf befriedigend eingegangen.Dr
Letztlich müsste die Kollegin entscheiden, ob das be-
friedigend gewesen ist.
Frau Kollegin? – Es ist erledigt.
Dr
Ist in Ordnung?
Ja.
D
Bei der ersten schriftlichen Frage wurde nach Quellen
usw. gefragt. Da musste ich das, was in Frage 26 an-
stand, schon einmal erwähnen.
Der Kollege Sönke Rix, der die Frage 27 gestellt hat,
ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Ge-
schäftsordnung vorgesehen.
Damit rufe ich die Frage 28 der Kollegin Dagmar
Ziegler auf:
Welche konkreten Maßnahmen plant das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für das Jahr 2010,
um den zusätzlichen Bedarf von rund 35 000 bis 40 000 Voll-
zeitstellen in Tageseinrichtungen und von rund 25 000 Tages-
Dr
Frau Kollegin Ziegler, wir sind uns alle einig, dass
wir qualifiziertes Personal brauchen, um den Ausbau der
Kindertagesbetreuung nicht nur quantitativ vorzuneh-
men, sondern auch eine Betreuung in guter Qualität leis-
ten zu können. Es geht um frühkindliche Bildung und
nicht nur um Aufbewahrung. Deswegen ist es, glaube
ich, nicht überraschend, dass gewaltige Zahlen im
Raume stehen, die es zu bewältigen gilt, wenn es um das
Thema Personalgewinn usw. geht.
Ich habe in der Kleinen Anfrage, auf die Sie Bezug
nehmen, Prognosen genannt, die im Oktober 2008 in ei-
ner Qualifizierungsinitiative für Deutschland festgelegt
worden sind. Man hat sie dort gemeinsam vereinbart, weil
man sie für realistisch gehalten hat. Damals haben wir
über 50 000 Erzieherinnen und Erzieher und 30 000 Tages-
mütter gesprochen. Insofern kann man die aktuellen Zah-
len von 35 000 bis 40 000 Erzieherinnen und Erziehern,
die jetzt genannt worden sind, als eine Bewegung nach
vorne deuten. Offenkundig ist ein Teil der Probleme ge-
löst worden.
Ich sage ausdrücklich: Einen Teil des zusätzlichen
Bedarfs werden wir mit den bestehenden Ausbildungs-
kapazitäten decken können. Aber es wird nicht ganz
ausreichen. Wir wissen, dass dieses Problem vom Bund,
der koordiniert, und von den Ländern, die für die Ausbil-
dungskapazität zuständig sind, gelöst werden muss. Wir
werden uns darum kümmern müssen, dass diese auch
tatsächlich ausreichen. Es ist völlig klar, dass die Rah-
menbedingungen des Berufs so gestaltet sein müssen,
dass sich Absolventinnen und Absolventen entschließen,
in der frühkindlichen Bildung tätig zu werden.
Wir denken auch an die Aktivierung von derzeit be-
schäftigungslosen Fachkräften. Wir denken an bessere
Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und haben dazu
auch Vorschläge gemacht. Ich gehe davon aus, dass letz-
ten Endes Ausbildungskapazitäten gegebenenfalls er-
weitert werden müssen. Das muss jedes Bundesland für
sich entscheiden bzw. die Bundesländer gemeinsam. Wir
– Bund, Länder und Gemeinden – müssen dafür sorgen,
dass ausreichend viele Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Das ist eine gemeinsame Anstrengung.
Wir haben einiges dafür getan, damit wir vorankommen.
Ich erinnere an das Aktionsprogramm „Kindertages-
pflege“. In diesem Segment haben wir Qualitätskriterien
entwickelt, aber auch versucht, die Professionalisierung
voranzubringen. Das ist ein mühsames Geschäft, weil es
auch immer mit der steuerlichen Behandlung der Ein-
kommen und der Rahmenbedingungen zu tun hat. Ich er-
innere an die Eckpunkte der frühkindlichen Bildung, die
uns der Koalitionsvertrag vorgibt. Letztlich geht es im-
mer um das Ziel, zu einer verlässlichen Betreuungsquali-
tät zu gelangen. Sie kennen das Forum „Frühkindliche
Bildung“, bei dem es darum geht, diese verschiedenen
Fakten und Kriterien aufzugreifen. Wir gehen davon aus,
dass die Evaluation des Kinderförderungsgesetzes dazu
beiträgt, dass wir solides Datenmaterial bekommen.
Es gibt viele andere Punkte, die in Verbindung mit der
Qualitätsinitiative von Bund und Ländern zu sehen sind.
Ein Qualifizierungspaket für Erzieherinnen und Erzieher
ist aufgelegt worden. Wir haben beispielsweise auch das
Zweite Gesetz zur Änderung der Aufstiegsfortbildungs-
förderung, das sogenannte Meister-BAföG, auf den Weg
gebracht, durch das seit Juli 2009 bundesweit die Auf-
stiegsfortbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin staat-
lich gefördert wird. Ich könnte Ihnen weitere Bereiche
nennen, beispielsweise das Programm „Perspektive Wie-
dereinstieg“, weil wir glauben, dass es viele Männer und
Frauen gibt, die gerade in der Familienphase Qualifika-
tionen entwickelt bzw. sich angeeignet haben und die
dadurch im Prinzip infrage kommen, in diesem Bereich
tätig zu werden.
Ihre Nachfrage, Frau Kollegin Ziegler.
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2284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Über das Ziel sind
wir uns, glaube ich, alle einig. Mir ging es bei der Frage-
stellung darum, welche Strategien des Bundesministe-
riums für 2010 konkret vorliegen, um das, was Sie be-
nannt haben, umsetzen zu können. Welche Initiativen
sieht das Haus konkret vor? Mit den Kommunen und den
Ländern muss debattiert werden, damit die „Jahres-
scheibe“ 2010 erreicht werden kann; denn drei Jahre
sind nicht sehr viel Zeit.
Dr
Ich habe Ihnen die verschiedenen Bereiche genannt,
bei denen wir mit den Ländern zusammensitzen, etwa
das Forum „Frühkindliche Bildung“. Sie kennen sich
aufgrund Ihres politischen Hintergrundes sehr gut damit
aus und wissen, dass der Bund hier nur eine koordinie-
rende Funktion wahrnimmt. Da sitzen Bund und Länder
an einem Tisch. Ziel ist es, etwa beim Forum „Frühkind-
liche Bildung“, Kriterien zu entwickeln.
Bezüglich der anderen Bereiche, die ich genannt
habe, bei denen es um personelle Fragestellungen geht,
wird jedes einzelne Bundesland überprüfen müssen, was
es an Fachkräften benötigt. Das wird ganz unterschied-
lich entschieden. Wenn ein Bundesland zum Beispiel
stärker auf Tagespflege setzt, werden die Konsequenzen
entsprechend aussehen müssen. In diesem Fall müssen
wir auch die Ausbildungskapazitäten in den Blick neh-
men. Das ist je nach Bundesland unterschiedlich. Hier
kann es nur um eine gemeinsame Anstrengung gehen.
Ganz konkret: Die Strukturen und die Foren, die wir
geschaffen haben, aber auch die Abstimmungsrunden,
die kontinuierlich tagen, werden wir dazu nutzen, diese
Punkte Schritt für Schritt anzugehen. Die Länder werden
dabei selbstverständlich einbezogen, auch das Land
Brandenburg.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Nein? – Dann
stelle ich fest, dass wir den zeitlichen Rahmen für die
Fragestunde voll ausgeschöpft haben. Die restlichen Fra-
gen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Notwendigkeit einer einheitlichen Praxis beim
Kauf von Steuer-CDs
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das beständige Hin und Her in der baden-württembergi-schen Landesregierung und das Hin und Her zwischenStuttgart und dem Bundesfinanzministerium zu denSteuer-CDs müssen endlich aufhören. Das alles dauertjetzt schon zu lange.Nach neuesten Meldungen sei der Bund jetzt doch be-reit, den Kauf der CD für Baden-Württemberg zu organi-sieren. Wenn das stimmt, Herr Koschyk – ich warte ersteinmal ab –, dann ist es aber auch allerhöchste Zeit, dassKlarheit in dieser Frage geschaffen wird.
Alle Beteiligten müssen sich jetzt nämlich auf das besin-nen, was ihre Aufgabe ist. Das ist die gleichmäßigeDurchsetzung der Steuerpflicht hier in Deutschland.
Schwarz-Gelb in Stuttgart und Schwarz-Gelb imBund sorgen so, wie sie agieren, im Ergebnis dafür, dassdieser Verfassungsauftrag nicht realisiert werden kann.Solange nicht allen klar ist, wie es mit den Steuer-CDsweitergeht und dass gekauft werden kann, haben wir ei-nen Fall von krassem Staatsversagen.
Dieses Versagen untergräbt das Vertrauen der Bürgerin-nen und Bürger in Rechtsstaat und Demokratie. Dafürsind Sie verantwortlich. Schwarz-Gelb ist dafür verant-wortlich, dass dieses Vertrauen weiter untergraben wird.
Das ist auch ein zusätzlicher Beleg für die Richtigkeitdes Vorwurfs der Klientelpolitik. Durch Ihr Verhaltenkönnen die Steuerhinterzieher in Deutschland wiederHoffnung schöpfen, davonzukommen.
Den vielen ehrlichen Steuerzahlern in Deutschland wirdwieder einmal vorgeführt, dass sie weiterhin zu denDummen gehören sollen.Es zeigt sich an diesen Vorgängen erneut: Schwarz-Gelb scheitert an der Praxis. Schwarz-Gelb kann esnicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Wunschkombination Merkel-Westerwelle-Seehoferist nicht realitäts- und nicht regierungstauglich. Das istdie Bilanz, die wir am heutigen Tag ziehen können.
Der neue baden-württembergische MinisterpräsidentMappus entpuppt sich schon in seinen ersten Amtstagenals politisches Leichtgewicht.Wir brauchen dringend und möglichst sofort ein kla-res und einheitliches Verfahren, wie die Länder mit den
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2285
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(D)
Joachim Poßangebotenen Steuer-CDs umzugehen haben, jetzt und inallen zukünftigen Fällen.
Das kann nur der Bundesfinanzminister koordinieren,niemand sonst. Doch der hält sich, wie auch in anderenFragen, vornehm zurück. Das kann man bei der Finanz-marktregulierung feststellen. Das kann man auch bei derFrage der Haushaltskonsolidierung – wie geht es mit denSchulden in Deutschland weiter? – feststellen.
Überall hält sich der vielfach gerühmte Herr Schäublezurück. Es erfolgt faktisch kein Handeln im Interesse un-seres Landes. Auch das müssen wir hier einmal klar fest-stellen.
Wir fordern den Bundesfinanzminister auf: ZeigenSie Führung! Sorgen Sie dafür, dass das Chaos um dieSteuer-CDs beendet wird! Geben Sie Ihre bemerkens-werte Zurückhaltung endlich auf!Auch in dieser Frage geht es im Kern darum, wer inden schwarz-gelben Regierungen den Takt vorgibt. Of-fensichtlich lässt Herr Mappus zu, dass ihm die FDP aufder Nase herumtanzt.
Was ist mit Frau Merkel? Was ist mit HerrnSchäuble? Frau Homburger hat heute ihre baden-württembergischen Parteifreunde in deren Ablehnungdes CD-Kaufs noch einmal vehement verteidigt. Wo istFrau Homburger eigentlich? Das ist der ewige Konfliktzwischen der schwäbischen Hausfrau Merkel auf der ei-nen Seite und der badischen Drossel Homburger auf deranderen Seite, den wir heute hier erleben können.
Wenn Frau Merkel und Herr Schäuble wirklich wollen,dass die Steuer-CDs angekauft werden, dann müssen sieauch dafür sorgen, dass das geschieht.
Zu Zeiten der Großen Koalition hat die SPD durch ih-ren Einsatz und ihre Initiative die Handlungsschwächeder Union und die auch bei der Union vorliegende Klien-telorientierung übertüncht. Jetzt ist das anders. Jetzt wer-den die Entscheidungs- und Durchsetzungsdefizite vonFrau Merkel für alle spürbar, und zwar in einer Situation,in der unser Land noch immer viele Probleme hat. Wirhaben eigentlich keine richtige Regierung; da hat SigmarGabriel schon recht. Wir haben eine nicht funktionie-rende Koalition. Sorgen Sie dafür, dass aus dem, was wirhier erleben, einer permanenten Koalitionskrise, nichtein Staatsversagen resultiert, wie das jedenfalls bis jetztso war.
Nächster Redner ist der Kollege Leo Dautzenberg für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Poß, wenn Sieheute etwas früher in der Sitzung des Finanzausschussesgewesen wären, in der Sie nachher waren, und die Aus-führungen des Staatssekretärs Koschyk zu diesemThema gehört hätten oder sich von Ihren Kollegen hätteninformieren lassen, dann hätten wir uns heute diese Ak-tuelle Stunde und vor allen Dingen Ihren Beitrag, der inkeiner Weise sachgerecht war, sondern nur Szenarien ineinem klassenkämpferischen Stil an die Wand gemalthat, die jeder Grundlage entbehren, sparen können.
Sie haben schon darauf hingewiesen, dass wir dasThema Steuerbetrugsbekämpfung gemeinsam in derGroßen Koalition auf den Weg gebracht haben. All dieseInstrumentarien haben zum Erfolg geführt.
Lassen Sie uns das doch weiter ausbauen.
Das, was jetzt im Zusammenhang mit den Steuer-CDs zusagen ist, ist heute Morgen wirklich ausführlich darge-legt worden.
Da gibt es keinen Dissens. Einen Teil Ihres Beitrageshätten Sie vielleicht Ihrem Oppositionsführer in Baden-Württemberg überlassen können, aber nicht hier im Bun-destag zum Gegenstand der Diskussion machen sollen.
Wir haben einiges erreicht. Schauen Sie sich docheinmal die Situation in Nordrhein-Westfalen an, wiediese Sache gemeinsam mit dem Bund bisher abgearbei-tet worden ist. Es gibt eine Vereinbarung der Steuerab-teilungsleiter der Länder mit dem Bund, wie man mitsolchen Vorgängen, Angebote zum Kauf von Daten-CDs, umgeht. Es ist doch in jedem Einzelfall zu prüfen
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2286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
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Leo Dautzenberg– auch das wurde heute deutlich –, wie man im Grundeverfährt.Wir wissen auch um das Dilemma, das nach wie vorbesteht, dass in der Föderalismusreform II Regelungenzu eindeutigen Zuständigkeiten, die der Bund in diesemBereich haben wollte, nicht gegen die Länder durchge-setzt werden konnten.
Hier geht es um die Zuordnung der Zuständigkeiten. Da-ran waren Sie doch beteiligt, als das beschlossen wordenist. Deshalb ist jeder Sachverhalt in diesem Zusammen-hang immer auf den einzelnen, speziellen Fall anzuwen-den.So ist es auch in Nordrhein-Westfalen passiert, wodiese Entscheidung im Endeffekt in der Zuständigkeitder Landesfinanzverwaltung liegt. Sie können dochnicht bei jedem Angebot sofort Ja sagen, ohne vorher dieStichhaltigkeit der Daten zu prüfen:
Sind das neue Tatbestände? Sind das vielleicht Tatbe-stände, die schon von der Finanzverwaltung begleitetwerden? Zunächst einmal müssen die Fakten erhobenund der Sachverhalt aufgeklärt werden, ehe sie denSchritt vollziehen können.
– Verehrte Frau Kressl, Sie als Parlamentarische Staats-sekretärin müssten eigentlich aufgrund Ihrer Sachkennt-nis wissen
– ja, als ehemalige Staatssekretärin –, wie kompliziertmanche Steuersachverhalte in den Beziehungen sind;dann können Ermittlungen manchmal ein Jahr lang dau-ern.Aber man sollte hier nicht das Gespenst an die Wandmalen, damit sei der Rechtsstaat gefährdet. Wir als Poli-tiker müssen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunktenehrlich zugeben, dass wir bei der Frage des Ankaufs indem rechtlichen Dilemma sind, nach wie vor die Gel-tung des Rechtsstaats zu gewährleisten, aber auch derDurchsetzung des Steueranspruchs gerecht zu werden.Da kann man doch nicht sagen: Das wischen wir einfachweg. Vielmehr muss man das immer wieder neu erör-tern.
Da ist die alte Regierung in der Großen Koalition zu ei-nem Ergebnis gekommen.
– Was heißt „schneller gewesen“? Da waren die Faktendann vielleicht eindeutig zuzuordnen.
Nehmen wir das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Nord-rhein-Westfalen hat jetzt berichtet – Herr Staatssekretär,ich glaube, der 26. Februar 2010 war das Datum –, dieLandessteuerverwaltung NRW habe die CD gegen Ent-gelt erworben. Jetzt geht es darum, das umzusetzen.
Was haben wir bisher alles erreicht? Wir haben durchdiese Maßnahmen des Staates, der Landesfinanzbehör-den in Abstimmung mit dem Bund, mehr Selbstanzeigenbekommen; darüber werden die Bürger in die Steuerehr-lichkeit geführt.
Damit ist auch erreicht worden, dass die Schweiz eherbereit ist, das Doppelbesteuerungsabkommen zum Ab-schluss zu bringen, wodurch wir vielleicht auch mit die-sem Land zum gegenseitigen Informationsaustauschkommen. Also, dramatisieren Sie das nicht alles,
sondern lassen Sie den jeweiligen Stellen den zeitlichenRahmen, der angemessen ist, richtungsweisende undsachlich richtige Entscheidungen zu treffen.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin
Dr. Barbara Höll.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Dautzenberg, hier dramatisiert niemand.
Die Situation ist dramatisch.
Wenn der Staat auf Machenschaften von Dieben zurück-greifen muss, wenn wir darauf angewiesen sind, dass unsDiebesgut angeboten wird, was Herr Koschyk als UltimaRatio, als letzte Möglichkeit, darstellt, um einen gerech-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2287
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Dr. Barbara Höllten Steuervollzug zu realisieren, so sage ich Ihnen: Es istinzwischen die einzige Möglichkeit, hier überhaupt ge-rechten Steuervollzug durchzusetzen.
Recht wird zunehmend ökonomisiert. Die Durchset-zung von Recht hängt von Kosten und Nutzen ab: Wieviel kostet die angebotene CD? Was bringt sie ein? Wieviel kostet die Bundesländer ein ordentlicher Steuervoll-zug? Was nimmt man dadurch ein? Das ist doch keineRechtsstaatlichkeit mehr, sondern eine Verhöhnung desRechtsstaates.
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sondernkriminell und bringt einen immensen Schaden für dieGesellschaft.
Steuerhinterziehung zerstört den Gerechtigkeitsgrund-satz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit. Steuerhinterziehung ist sozial ungerechtund verschärft die Kluft zwischen Arm und Reich. Steu-erhinterziehung lohnt sich nur für die, die eh schonhaben. Jeder Hartz-IV-Empfänger und jede Hartz-IV-Empfängerin soll sich gläsern machen. Reiche und Ver-mögende dagegen werden mit Samthandschuhen ange-fasst und können daher in großem Stil Steuern hinterzie-hen. Selbst wenn sie nachweislich kriminell gehandelthaben, bleiben sie bei rechtzeitiger Selbstanzeige straf-frei. Das ist ein zum Himmel schreiender Skandal.
Die Umgehung der Steuergesetze über Anlagen inSteuerparadiesen ist uns allen seit Jahren bekannt. Außerhilflosen Versuchen haben die verschiedenen Bundes-regierungen in den letzten Jahren nichts gemacht.
Ich erinnere an das Fiasko von Finanzminister Eichel mitseiner Steueramnestie. Ich erinnere auch an den legendä-ren Satz von Finanzminister Steinbrück, der die Abgel-tungsteuer verteidigte, indem er sagte: Lieber 25 Prozentvon x als 45 von nix. Das ist die Akzeptanz des fakti-schen Zustandes, dass diejenigen, die den Höchststeuer-satz zahlen müssten, diesen gar nicht mehr zahlen, weilsie Steuern hinterziehen. Das ist einfach ein Skandal.
Wie haben Sie darauf reagiert? Mit Steuersenkungen!Sie haben die Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozenteingeführt. Das, was ich zusätzlich einnehme, weil ichso viel Geld übrig habe, dass ich es anlegen kann undZinsen bekomme, wird jetzt nicht mehr nach meinempersönlichen Steuersatz besteuert – hier findet das Ge-rechtigkeitsprinzip keine Anwendung mehr –, sondernes wird allgemein nur noch mit 25 Prozent besteuert.
Im Gegensatz zur vergangenen Woche – das ist wich-tig –, als Herr Koschyk im Finanzausschuss sagte, dieEntscheidung über den Ankauf der CDs sei allein dieEntscheidung der Bundesländer,
sagte er in der heutigen Sitzung des Finanzausschusses,auf die Herr Dautzenberg schon hingewiesen hat:
Der Bund prüft, ob die CD, gegebenenfalls unter Mitwir-kung einiger Länder bzw. der Länder, gekauft werdenkann. Das hat er wirklich sehr kryptisch ausgedrückt.
Ich frage mich: Was prüft der Bund hier? Der Bund hatdie Verantwortung für den bundeseinheitlichen Steuer-vollzug;
das ist eine ganz wesentliche Angelegenheit. Dieser Ver-antwortung werden Sie nicht gerecht.Herr Dautzenberg, Sie haben auf das Steuerhinterzie-hungsbekämpfungsgesetz der Großen Koalition verwie-sen. Toll! Im Januar haben Sie selber ausgeführt: Nachden Kriterien dieses Gesetzes gibt es derzeit gar keineSteueroasen und Steuerparadiese. Es befindet sich keinLand mehr auf den sogenannten Schwarzen Listen. InFrankreich sieht man das anders. Frankreich hat jetztfestgestellt, dass 18 Länder sehr wohl als Steuerpara-diese fungieren, und hat deshalb mit sofortiger Wirkungdie Quellensteuer von 15 auf 50 Prozent erhöht.
Hinzu kommt: Selbst wenn wir schon ein Doppelbesteu-erungsabkommen mit der Schweiz hätten, sodass dieAuskunft geregelt wäre, wäre auch dieses Abkommennach dem OECD-Maßstab wirkungslos, weil es keinenautomatischen Auskunftsmechanismus gibt.Nehmen Sie das Beispiel der aktuellen Steuer-CDs.Nur weil auf der CD Namen genannt sind, haben diedeutschen Steuerbehörden überhaupt eine Chance, ziel-gerichtet nachzuprüfen und nachzufragen.
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Dr. Barbara HöllAber was, wenn man keine Namen kennt? Bei Grenzkon-trollen gilt die Regelung: Wenn jemand mehr als10 000 Euro mit über die Grenze nimmt, ist das anzeige-pflichtig. Natürlich könnte man parallel dazu sagen: Ka-pitalbewegungen ins Ausland in Höhe von mehr als100 000 Euro pro Jahr sind automatisch anzeigepflichtig.Warum machen wir nicht endlich wirkungsvolle Gesetze?Warum sorgen Sie nicht endlich auf internationaler Ebenefür eine Verbesserung des OECD-Musterabkommens, so-dass es dann tatsächlich Wirkung entfalten kann?
Hier haben Sie über Jahre nichts getan.An dieser Stelle muss ich leider auch die grüne Frak-tion und auch die SPD in die Pflicht nehmen.
Dieses Trauerspiel, das Sie jetzt aufführen – wenn Ih-nen schon keine andere Möglichkeit bleibt –, signalisiertden Steuerhinterzieherinnen und -hinterziehern doch nur,dass sie ruhig weitermachen können. Die „schönste“Meldung, die wir heute im Finanzausschuss erhalten ha-ben, war, dass von den 800 Fällen, die auf der aus Liech-tenstein stammenden Steuer-CD enthalten waren, die janicht erst gestern gekauft wurde, mehrere 100 Fälle – wieviele 100 Fälle, wurde uns nicht gesagt – bis heute nichtabschließend bearbeitet sind.
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit?
Steuersünder und Steuersünderinnen können sich in
Deutschland also weiter wohlfühlen.
Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing
für die FDP-Fraktion.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Das Thema,über das wir in der heutigen Aktuellen Stunde diskutie-ren, sollte nach der ausführlichen Diskussion im Finanz-ausschuss am heutigen Morgen eigentlich erledigt sein.
Aber offensichtlich hat die SPD es noch nicht verstan-den. Reden wir also ruhig darüber.Das Problem fängt schon mit dem Titel der AktuellenStunde an; ich weiß nicht, wer von Ihnen ihn sich ausge-dacht hat. Sie wollen, dass wir über Steuer-CDs und de-ren Ankauf reden. Für mich war eine Steuer-CD bisherimmer eine CD, auf der ein Programm ist, mit dem maneine Steuererklärung abgeben kann.
Sie verstehen darunter offensichtlich etwas anderes. Je-denfalls wirft dieser Begriff mehr Fragen auf, als er be-antwortet. Reden wir nur über Steuer-CDs oder auchüber Steuer-DVDs, USB-Sticks oder Speicherkarten,vielleicht auch über ausgedruckte Geschäftsunterlagen?
Sei es drum, der Kern des Problems ist nicht die sprach-liche Nachlässigkeit der SPD.
Der Kern des Problems ist, dass Sie eine einheitlichePraxis für Dinge fordern, die nicht einheitlich sind. Es istein Unterschied, ob man dem Finanzamt Daten anbietet,die einen kriminellen Hintergrund haben, oder ob über-wiegend persönliche Angaben von Bürgerinnen undBürgern enthalten sind.
Nicht alles, was gleich erscheint, ist auch gleich. Ichfinde es gut, dass sich der Staat ein angemessenes Min-destmaß an Differenzierung erlaubt.
Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung ist zweifel-los ein wichtiges Anliegen, und dass die Bundesregie-rung hier sehr entschlossen vorgeht, hat sie unter Beweisgestellt. Aber ebenso wichtig ist es, dass der Staat dabeirechtsstaatlich einwandfrei handelt. In einem Rechtsstaatheiligt der Zweck nicht die Mittel.
Deshalb kommt es immer auf den Einzelfall an, und des-halb darf man, ja, muss man jeden Einzelfall gesondertbewerten. Was Sie fordern, ist doch nichts anderes, alsdass der Staat in einem verfassungsrechtlich und rechts-staatlich relevanten Bereich die Fälle holzschnittartig ab-arbeitet. Genau dies machen wir nicht mit.
Wenn man Ihnen zuhört, meint man, sämtliche Daten-träger, über die wir diskutieren, seien der SPD in Kopie
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Dr. Volker Wissingangeboten worden. Die SPD weiß alles darüber. Sie re-den, als hätten Sie alle Informationen persönlich vorlie-gen. Sie wissen genau, dass es sich hier nur um Datenvon Steuerhinterziehern und nicht etwa auch um persön-liche, schützenswerte Daten von Unternehmen oder Pri-vatpersonen handelt. All dies wissen Sie. Wenn Sie dieseAktuelle Stunde nicht aus reinem Populismus beantragthaben, gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Ent-weder reden Sie von Dingen, von denen Sie im Detailkeine Ahnung haben, oder Sie sind mit der internationa-len Datenhehlerszene besser vernetzt als jeder anderehier im Raum.
Sie verlangen von der Bundesregierung, dass sie er-klärt, grundsätzlich alle Daten über Steuerhinterziehungohne genaue Prüfung des Einzelfalls anzukaufen. HabenSie das einmal zu Ende gedacht, Herr Kollege Poß?
Nehmen wir einmal an, eine Terrororganisation – sagenwir, al-Qaida – verkauft eine Daten-CD. Dürfen wirdann die SPD mit den Worten „Kaufen um jeden Preis“zitieren?
Sie können doch genauso wenig wissen, wer im Einzel-fall welche Daten anbietet und woher sie stammen.Trotzdem fordern Sie hier ernsthaft Blankoschecks.
Sie lehnen sich ganz schön weit aus dem Fenster.
Deswegen werden wir hier mit den Stimmen der FDPauch nicht beschließen, dass der Staat jeden Datenträgerankauft, der ihm von wem und woher auch immer ange-boten wird. Das machen wir nicht mit.
Der Staat muss Steuerhinterziehung konsequent be-kämpfen. Es ist auch überhaupt nichts Verwunderlichesoder Problematisches dabei, dass zwischen einzelnenBundesländern unterschiedliche Datenkäufe unterschied-lich beurteilt werden. Ich verstehe nicht, wo Sie ein Pro-blem haben.
In der Föderalismuskommission haben wir über zweiJahre lang darüber diskutiert, ob wir eine stärkere Ver-einheitlichung der Steuerverwaltung wollen.
In dieser Kommission gab es dafür erkennbar keineMehrheit. Sie kennen die Rechtslage ganz genau. Wirhaben einen kooperativen Föderalismus. Trotzdem stel-len Sie sich hier hin und tun gegenüber der Öffentlich-keit so, als wären unterschiedliche Meinungen zwischeneinzelnen Ländern und dem Bund in Steuerfragen einaktuelles Problem dieser Bundesregierung.
Herr Poß, das ist absurder Unsinn und sonst gar nichts.
Was werfen Sie denn dieser Bundesregierung eigent-lich vor?
Dass sie Steuerhinterziehung konsequent verfolgt unddabei unsere Verfassung fest im Blick hat? Stört Sie daswirklich? Uns stört es nicht.
Ginge es Ihnen wirklich um den engagierten Kampf ge-gen Steuerhinterziehung, hätten Sie uns an Ihrer Seite.
Was Sie machen, ist blanker Populismus. Um es nocheinmal klar zu sagen: Unterschiedliche Entscheidungenin verschiedenen Bundesländern sind kein Problem, son-dern Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaates,
eines Staates, der sorgfältig prüft, wo es etwas zu prüfengibt, und der sich auch traut, Nein zu sagen, wenn esrechtsstaatlich nicht anders vertretbar ist.
Ihnen mag ein solcher Rechtsstaat eine Last sein. Für Siemag es eine Freude sein, die eigentlichen Stärken unse-res Staates als vermeintliche Schwächen darzustellen.
Für uns bleibt ein Staat trotzdem stärker, wenn er denAufwand auf sich nimmt, jeden problematischen Falleinzeln präzise zu bewerten. Dafür stellen wir uns auchausgesprochen gerne der öffentlichen Diskussion mit Ih-nen.
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Dr. Volker WissingVielleicht stellen am Ende dann auch Sie fest, dass IhreForderung nach einer standardisierten Praxis beim Kaufvon Steuer-CDs
keine wirklich durchdachte Idee ist. Zumindest dannhätte sich diese Aktuelle Stunde irgendwie gelohnt.Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gerhard Schick für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Interessant ist, was die Redner der Koalition alles nichtgesagt haben.
Sie haben nicht erwähnt, dass es bei Ihnen eine heftigeDiskussion darüber gibt, ob der Rechtsstaat solche Datenankaufen soll oder nicht.
Da gab es durchaus ein paar gute, nachdenkliche Bei-träge. An einer Stelle – dazu gab es auch Beiträge ausIhren Reihen – wird die Sache aber verlogen: BeimSWIFT-Abkommen, bei der Kronzeugenregelung, beider Vorratsdatenspeicherung geht man über Daten-schutzbedenken locker hinweg. Wenn es aber um denweißen Kragen bei der Kriminalität geht, kommen plötz-lich Rechtsstaatsbedenken. Das machen wir nicht mit.
Interessant war auch, was wir heute im Finanzaus-schuss gehört haben. Herr Koschyk hat gesagt: Im Er-gebnis wird es auch bei der CD, um die es in Baden-Württemberg geht, so ausgehen wie bei der CD, um diees in Nordrhein-Westfalen ging.Das heißt, die Position des neuen Ministerpräsidentenvon Baden-Württemberg ist irrelevant. Herr Mappus hatlaut gekläfft, aber nichts erreicht.
Das ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, dassHerr Mappus wegen seiner häufig bissigen Art – er hatseine machtpolitischen Interessen in seiner Partei durch-aus mit Verve vorangetrieben – von vielen in Baden-Württemberg „Mappi-Schnappi, das Krokodil“ genanntwird. Ich würde mir wünschen, dass er diese Bissigkeitnicht nur dann zeigt, wenn es um seine Machtinteressengeht, sondern auch dann, wenn es um die Bekämpfungvon Steuerkriminalität in Baden-Württemberg und imBund geht.
– Herr Dautzenberg, ich komme sehr gerne auf denBund zu sprechen. Ich finde, das Wichtigste ist, dass wirjetzt nicht allein über die 10 Prozent zusätzlicher Steuer-erträge, die wir aus der Schweiz bekommen, reden, son-dern über die 90 Prozent nichterklärter Steuererträge, diewir nicht bekommen. Da muss die Bundesregierung han-deln.
Angesichts der immensen Summe Schwarzgeld, diein der Schweiz liegt – Schätzungen gehen von 131 Mil-liarden Euro aus –, frage ich: Wie kann es sein, dass dieBundesregierung zum 1. Januar 2010 erklärt hat: „Esgibt keine Steueroase, auf die wir das Steuerhinterzie-hungsbekämpfungsgesetz anwenden sollten“? Das findeich skandalös.
Natürlich gibt es nach wie vor Steueroasen; ich könnte rei-henweise Länder aufzählen. Unser Nachbarland Frank-reich hat 18 Länder als Steueroasen deklariert und ist da-bei, Maßnahmen zu ergreifen. Hier ist in den letztenMonaten etwas kaputtgegangen. Bislang waren Deutsch-land und Frankreich bei dem Thema „Kampf gegen Steu-erflucht und Steuerhinterziehung“ immer gemeinsam un-terwegs.
Das war wichtig für das gemeinsame Vorankommen inEuropa.Jetzt verlassen Union und FDP diesen Weg. Sie tunjetzt so, als würden Sie die Steuerflucht bekämpfen,wenn Sie Daten, die Ihnen angeboten werden, kaufen.Dass Sie passiv warten, bis Ihnen Daten angeboten wer-den, ist nicht das, was wir von Ihnen erwarten. Wir er-warten, dass Sie aktiv gegen Steuerhinterziehung vorge-hen, unter Nutzung der gesetzlichen und rechtlichenMöglichkeiten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2291
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Dr. Gerhard Schick
Ich fordere Schwarz-Gelb auf, in Baden-Württembergwie im Bund, von der Bremse zu gehen und aktiv zuwerden im Kampf für Steuergerechtigkeit in Deutsch-land.
Es kamen einige hochnäsige Bemerkungen über Grie-chenland, darüber, wie die Steuergerechtigkeit in Grie-chenland durchgesetzt wird und wie die Steuerverwal-tung dort aufgesetzt wird. Aus diesem Grunde möchteich in Erinnerung rufen, was der Bundesrechnungshofgeschrieben hat: Die Gleichmäßigkeit der Besteuerungin Deutschland ist nicht gewährleistet.
Ich finde, das zeigt, dass wir auch in unserem Land et-was tun müssen. Nichts tun, passiv zuschauen, so solltenSie nicht weitermachen! Gehen Sie runter von derBremse! Tun Sie endlich aktiv etwas gegen Steuerflucht!
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Michelbach
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen undKollegen! Die CDU/CSU-Fraktion ist den Zielen ver-pflichtet, Steuergerechtigkeit zu erreichen, Steuerhinter-ziehung zu bekämpfen, die Gleichmäßigkeit der Besteu-erung bundesweit herzustellen, die Einheitlichkeit desVerwaltungshandelns zu prüfen und die Zusammenarbeitder Steuerverwaltungen der Länder im föderalen Systemzu garantieren. Diese Grundsätze wurden durch denBundesfinanzminister auch beim Kauf von Steuer-CDsaus der Schweiz in der aktuellen Praxis beachtet; das istFakt.
Dass wir heute hier in dieser Aktuellen Stunde gera-dezu einen Popanz an die Wand gemalt bekommen, esgäbe ein Staatsversagen, ist der durchsichtige Versuch,mit der Steuerhinterziehung ein politisches Geschäft zumachen. Das ist unanständig,
weil wir die Steuerhinterziehung aktiv bekämpfen. Dadies ausgerechnet von der SPD getan wird – hier mussman der Frau Dr. Höll von den Linken ausnahmsweiseeinmal recht geben –, frage ich: Was haben Sie eigent-lich in den letzten elf Jahren gemacht, in denen Sie denBundesfinanzminister gestellt haben?
Sie haben über die Schweiz debattiert und ihr angedroht,die Kavallerie dorthin zu schicken. Getan und erreichthaben Sie aber nichts; das ist eine Tatsache.
Es bleibt festzuhalten: Die Bundesländer entscheidenin Verbindung mit dem Bundesfinanzministerium überden Kauf. So hat Nordrhein-Westfalen am 26. Februar2010 im Einvernehmen geprüft und gekauft. Im so-genannten Fall Baden-Württemberg ist das Ankaufsan-gebot zunächst – das muss man festhalten – beim Bun-deszentralamt, also beim Bund, angekommen, und dasBundesfinanzministerium hat die Steuerverwaltung desLandes Baden-Württemberg daraufhin um Prüfung ge-beten; denn nur so funktioniert natürlich die Aufklärungunbekannter Steuerfälle. Baden-Württemberg hat gelie-fert.Sie können sich jetzt doch nicht hier hinstellen undsagen, es gebe eine Strafvereitelung im Amt, wie Sie dasdem Herrn Mappus vorwerfen. Das, was Sie hier ma-chen, ist unanständig.
Deswegen ist ganz klar: Der Ankauf durch den Bun-desfinanzminister in Verbindung mit einem betroffenenBundesland ist jederzeit gesichert. Damit gibt es eineBekämpfung der Steuerhinterziehung in diesem Land.Das führt zum gleichen Ergebnis wie in dem Fall, als dasBundesland Nordrhein-Westfalen diese Dinge gekaufthat. Wir haben das gleiche Ergebnis erzielt. Der Vorwurfder SPD, Baden-Württemberg würde sich zu einerSteueroase entwickeln, ist geradezu absurd; denn die In-formationen wurden ja von der Steuerverwaltung desLandes Baden-Württemberg geliefert. Fakt ist: Es gibtkeine Pflichtverletzung in Deutschland.
Es gibt natürlich einen Handlungsbedarf in derSchweiz; das muss man hier klar feststellen. Die Schweizdarf kein Schwarzgeld mehr ins Land lassen. DieSchweiz muss auch ausländische Steuerbehörden zu ih-rem Recht kommen lassen. Die Schweiz sollte die inter-nationalen OECD-Regeln umsetzen. Die Schweiz solltejetzt die Steuerhinterziehung mit einem Doppelbesteue-rungsabkommen austrocknen. Damit wäre jeder Kauf
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2292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
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Dr. h. c. Hans Michelbacheiner Schweizer CD mit Steuerdaten natürlich ohnehinobsolet.Es kommt natürlich immer wieder zu sehr zweifelhaf-ten Trittbrettfahrten. Deswegen muss insgesamt auch ge-prüft werden, ob hier inhaltlich wirklich etwas vorhan-den ist. Man kann hier nicht von vornherein pauschalvon einer Steuerhinterziehung ausgehen,
sondern man muss das im Detail sehr intensiv prüfen,und das geschieht.
Die Schweiz und der Schweizer Finanzminister Merzhaben signalisiert, dass sich etwas bewegt. Es geht letz-ten Endes darum, legale Verhältnisse zu schaffen und ei-nen Steuerfrieden in Europa zu erreichen. Lassen Sie unsgemeinsam dafür arbeiten, anstatt in einer solchen Aktu-ellen Stunde durch Krakeelerei letzten Endes nur Politik-verdrossenheit herstellen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Hier ist fachliche, sachlicheArbeit gefragt. Das, was Sie hier veranstalten, dientnicht diesem Ziel.
Lassen Sie uns konkret daran arbeiten! Der Versuch, mitSteuerhinterziehung ein politisches Geschäft zu machen,ist völlig absurd. Deswegen lassen wir uns dies nicht ge-fallen. Auch wenn Sie jeden Tag sagen, hier werdeKlientelpolitik betrieben,
ist das nur Ihre politische Agitation.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange für
die SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-men und Herren! Mein Gott, was für ein Durcheinanderbei mir zu Hause in Baden-Württemberg! Unser neuerMinisterpräsident hat bei seiner ersten Entscheidung vonGewicht – vorgeführt von der FDP – eine Fehlentschei-dung getroffen.
Überlegen Sie sich einmal: Was bedeutet das wohl fürdie Steuermoral derjenigen, die hart arbeiten und jedenMonat ihre Steuern zahlen? Was denken die wohl von ei-ner solchen Haltung?
Hinzu kommt der Vorschlag des stellvertretenden Mi-nisterpräsidenten, Herrn Goll, die Hartz-IV-Sätze zu kür-zen, während man die Steuerbetrüger laufen lässt. Wasist das eigentlich für eine Politik?
Sie ist weder christlich noch liberal. Herr Mappus lässtsich nicht nur vorführen; er handelt auch nicht selbst: Erversteckt sich. Wer hätte das gedacht?
Er versteckt sich vor dem Bund und vor den Bundeslän-dern, die gegebenenfalls einspringen.Lieber Herr Kollege Koschyk, ich frage Sie: Was ha-ben Sie eigentlich mit dem Ministerpräsidenten von Ba-den-Württemberg gemacht? Da lese ich in der FTD:Ich bin seit meiner Bundeswehrzeit noch nie so ar-rogant behandelt worden wie von den Vertreterndes Bundesfinanzministeriums …
Ja, meine Güte, was haben Sie mit ihm gemacht?Zahlt Baden-Württemberg jetzt wenigstens seinen An-teil? Ich möchte gleich die Antwort auf diese Frage vonIhnen hören:
Stellt sich das Land seiner Verantwortung? Ja oder nein?Herr Koschyk, wenn wir schon bei Ihnen sind: Diemeisten von uns waren auch letzte Woche hier. Es gingum dasselbe Thema, allerdings nicht in einer AktuellenStunde, sondern in der Fragestunde. Es ist schon interes-sant, wie Sie sich gewendet haben. Am Mittwoch, dem24. Februar, haben Sie doch gesagt:Unabhängig hiervon hat aber das Bundesministe-rium der Finanzen dem Finanzministerium des Lan-des Baden-Württemberg bereits mitgeteilt, dass esden Datenankauf in dem vorgetragenen Fall fürrechtlich zulässig hält. Die Entscheidung über denDatenankauf liegt aber letztendlich beim Land Ba-den-Württemberg.Am Nachmittag des 24. Februar hörte man, dass derMinisterpräsident mit dem Herrn Bundesfinanzministertelefoniert habe. Da sei verabredet worden, dass derBund kaufen wird. Laut Stuttgarter Zeitung vom 1. Märzdementiert das Bundesfinanzministerium am 26. Februardiese Vereinbarung. Am Sonntag, dem 28. Februar, er-klärt Schäubles Sprecher Michael Offer, der Bund sei
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Christian Lange
bereit, die dem Land angebotenen Daten „zum Ankaufentgegenzunehmen“. Zwar sei die Steuerverwaltungnach dem Grundgesetz grundsätzlich Sache der Länder;bei den Gemeinschaftssteuern würden die Länder jedochim Auftrag des Bundes handeln. Schließlich haben wireben die allerletzte Wendung aus dem Ausschuss für Fi-nanzen gehört: Unter bestimmten Umständen kauft derBund vielleicht doch noch.Ich freue mich, wenn es am Ende zum Ankaufkommt; das ist das Ziel der ganzen Aktion. Es kann abervon einer Stringenz dieser Bundesregierung überhauptkeine Rede sein.
Nur wenn der öffentliche Druck gerade groß ist, handelnSie, und zwar nur wegen dieses Drucks.Ich möchte schon von Ihnen wissen – auch danachhatten wir gefragt –: Was ist eigentlich mit den Beamten,die das durchsetzen müssen, auch in Baden-Württem-berg? Dazu haben Sie vor einer Woche hier erklärt, dasssich diese Beamten nicht strafbar machen; das war diePosition des Landes Baden-Württemberg. Das BMJ ant-wortet auf diese Frage allerdings etwas kryptischer. Daheißt es nämlich in der Antwort des BMJ auf Frage 77:Das Bundesministerium der Finanzen ist für denVorgang zuständig. Ihm liegen daher die erforderli-chen Informationen vor. Letztlich überprüfen undentscheiden diese Frage die Staatsanwaltschaftenund Gerichte.Das entspricht nicht Ihrer Rechtsauffassung, dass sichdiese Beamten nicht strafbar machen würden, die Sieletzte Woche noch vertreten haben. Ich frage mich, wiesie das eigentlich umsetzen sollen.
Das ist doch keine Politik, was Sie hier machen; es istein einziges Durcheinander.Zu Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hes-sen und Bayern sage ich Ihnen: Bringen Sie die FDP aufKurs! Der liebe Kollege Stadler lächelt wieder zu allem.
In einem Interview hat er gesagt, das sei alles rechtlichbedenklich. Das war’s dann.Bringen Sie die FDP auf Kurs! Handeln Sie einheit-lich als Bundesregierung, verehrter Herr Koschyk, undzwar FDP und CDU/CSU gemeinsam! Überprüfen Sie,von mir aus auch ein Jahr! Aber wenn Sie geprüft habenund der Auffassung sind, dass das Angebotene valide ist,dann kaufen Sie auch! Kaufen Sie bei uns in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bay-ern! Kaufen Sie im gesamten Bundesgebiet!Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerStaat ist in einem klassischen Zielkonflikt: Einerseits istes Aufgabe des Staates, die Steuern einzufordern, dieihm zustehen, und Steuerstraftäter zu verfolgen. Ande-rerseits ist auch der Verrat von Betriebs- und Geschäfts-geheimnissen eine Straftat. Ich empfehle allen, die hierso laut tönen, einen Blick in § 17 Abs. 2 UWG zu wer-fen. Darin ist es geregelt.Es gibt im Übrigen auch eine Entscheidung des Land-gerichts Bochum vom 22. April 2008, in der aus-drücklich offengelassen worden ist, ob beim Ankauf derSteuerdaten aus Liechtenstein durch den BND die Straf-barkeit nach § 17 Abs. 2 UWG gegeben ist. Es ist aucheine Verfassungsbeschwerde anhängig, die abzuwartenist. Wir sollten uns nicht unbedingt in Eile bringen lassenund in schwebende Verfahren eingreifen.
Die vorliegenden Fälle werfen viele Fragezeichenauf. Über die Herkunft der Daten ist uns wenig bis fastnichts bekannt. Eine sorgfältige Prüfung in allen Einzel-fällen ist dringend anzuraten und notwendig.
Eine solche Prüfung kann in einem Fall so und im ande-ren Fall anders ausgehen. Deswegen ist eine einheitlichePraxis, wie sie heute von Ihnen verlangt wird, nicht nötigund nicht einmal möglich.Nicht alle Fälle lassen sich über einen Kamm scheren.Wir müssen abwägen. Einerseits geht es um die Erhal-tung des Grundsatzes der einheitlichen Besteuerung undum das staatliche Strafverfolgungsinteresse bei Steuer-straftaten. Andererseits bleibt aber ein rechtsstaatlichesUnbehagen. Wir können die Strafbarkeit, um die es hiergeht, nicht völlig ausschließen. Der Rechtsstaat sollteuns viel wert sein.
Wir können doch Straftaten nicht durch neue Strafta-ten bekämpfen. Der Staat darf nicht den Datendieb er-muntern, indem er ihn straffrei stellt oder sogar eine Be-lohnung verspricht, wenn er ihn nur an der Beutebeteiligt. Der Rechtsstaat darf Straftätern nicht Absolu-tion erteilen, nur weil der Dieb den Staat zum Nutznie-ßer und somit am Ende gar zum Komplizen seiner Tatmacht.
Niemand, der fair diskutiert und rechtsstaatlicheGrundsätze ernst nimmt – Herr Poß ist leider schon weg-
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Stephan Thomaegegangen –, wird uns vorwerfen wollen, wir wolltenSteuerstraftäter schützen. Der Unterschied ist nicht etwa,dass Sie Straftäter bestrafen wollen und wir nicht. DerUnterschied ist, dass wir es mit rechtsstaatlichen Grund-sätzen etwas genauer nehmen als manch anderer, derschnell aus der Hüfte schießt und gleich die Kavallerieschicken will.
Die Rechtslage bleibt schwierig. Deswegen solltenwir unser Augenmerk auf zwei Dinge richten. Das eineist, dass wir deutlich machen sollten, dass wir es alsStaat nicht als freundschaftliche Geste empfinden kön-nen, wenn Nachbarländer durch eine Unterscheidungzwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug denen,die unserem Staat Geld schuldig bleiben, Schutz undDeckung bieten.
Hier ist der Bundesfinanzminister gefordert. Jetztgeht es darum, die im März weiterlaufende Runde zurAushandlung eines Doppelbesteuerungsabkommens mitder Schweiz zügig fortzusetzen und einen vernünftigenDatenaustausch mit hineinzuverhandeln, damit wir inZukunft nicht mehr darauf angewiesen sind, auf dubio-sen Wegen zu unseren Steuern zu kommen. Das sindDinge, die in der Vergangenheit hätten längst geschehenkönnen. Aber Sie haben das versäumt. Das werfen Sieuns nun vor.
Das Zweite ist, dass wir eine höhere Akzeptanz fürunser Steuersystem brauchen. Es geht nicht nur um Steu-erflucht ins Ausland, sondern auch um Steuerhinterzie-hung zum Beispiel durch Schwarzarbeit. Das wird esauch immer geben. Aber wir müssen die Anreizschwellefür Steuerstraftatbestände senken. Hier haben wir großesVertrauen in Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonunserem Koalitionspartner, und in das Bundesfinanz-ministerium. Wir wissen sehr wohl um die Bedenken,Einwände und Vorbehalte. Aber wir vertrauen sehr da-rauf, dass das gemeinsam Beschlossene weiterhin dasgemeinsam von uns allen Gewollte ist. Es bedarf sicher-lich großer Kraftanstrengungen. Aber wir wollen dieseehrgeizige Aufgabe schultern, und zwar mit Ihnen ge-meinsam.Vielen Dank.
Herr Kollege Thomae, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich
dazu und wünsche Ihnen für die weitere Arbeit alles
Gute.
Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will mit einer hoffentlich – davon gehe ich aus – ge-meinsamen Überzeugung beginnen: Steuerhinterziehungist keine lässliche Sünde. Steuerhinterziehung ist eineStraftat und muss entsprechend hart und deutlich ver-folgt werden.
– Herr Michelbach sagt, das sei nichts Neues. – Ja, daskann hier sicherlich jeder unterschreiben. Aber es nutztden Bürgerinnen und Bürgern nichts, wenn das nur inWorten formuliert wird. Es müssen immer konkrete Ta-ten folgen. Daran werden wir alle gemessen, übrigens inganz Deutschland; das ist doch der entscheidende Punkt.In jedem Bundesland müssen den Worten auch entspre-chende Taten folgen.
Denn wer als Bundesland sagt, man wolle die Verant-wortung für den Steuervollzug übernehmen, muss dieseVerantwortung dann auch wahrnehmen. Genau dies erle-ben wir zum Beispiel in Baden-Württemberg geradenicht.Ich will Ihnen deutlich machen, warum es so wichtigist, dass der Steuervollzug überall gleich ist. Der Bundhat nicht nur formal die Verpflichtung, überall für einengleichmäßigen Steuervollzug zu sorgen. Es geht auchdarum, dass die Menschen den Eindruck haben müssen:Überall in Deutschland wird mit der gleichen Vehemenzdafür gesorgt, dass hinterzogene Steuern eingetriebenwerden. Wenn dies nicht der Fall ist, dann müssen dieSteuerehrlichen wegen der Steuerunehrlichen höhereLasten tragen.Was ist in den letzten Tagen passiert? Es gab ein klei-nes Wechselspiel – oder sollen wir es „Wechselkampf“oder „Ringkampf“ nennen? – zwischen Baden-Württem-berg und dem Bund.
Es hilft ein Blick in die Zeitungen; der Kollege Langehat gerade etwas vorgelesen. Zuerst hat Baden-Württem-berg gesagt: Wir bieten es dem Bund an, weil wir nichtkaufen. – Dann hat Baden-Württemberg – noch gestern –gesagt: Es gibt für uns überhaupt keinen Grund, demBund die Daten zu übermitteln. – Nun hören wir heute,dass der Bund die Daten prüft. Also müssen die Datendoch übermittelt worden sein. Jetzt soll einer noch sagen,hier handele es sich um eine ernst zu nehmende, klareLinie. Das ist genau das Hickhack, das schon mehrfachbeschrieben wurde. Daran gibt es nichts zu deuteln.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2295
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Nicolette Kressl
Der entscheidende Punkt ist: Bei diesem Hickhackgeht unter, dass es eine gemeinsame Verantwortung ge-ben muss. Ich erlebe als Baden-Württembergerin, dassdie FDP in Baden-Württemberg plötzlich einen großenSchutzschirm über die Steuerhinterzieher ausklappt.
– So ist es. – Wenn ich höre und lese, was FrauHomburger dazu sagt, dann muss ich fest davon ausge-hen, dass dieser Schutzschirm noch erweitert wird. Of-fensichtlich gibt es auch immer noch keine Klarheit inder Bundesregierung, was die rechtliche Bewertung an-geht. Das alles sind Punkte, die die Steuerzahlerinnenund Steuerzahler verunsichern und ihnen nicht das Ge-fühl geben, dass hier eine klare Kante entwickelt wird.
Wir haben also gehört: Offensichtlich hat Baden-Württemberg Daten übermittelt, offensichtlich wird jetztgekauft, wenn die Daten stichhaltig sind. Ich sage dazu:Es ist völlig abstrus, zu glauben, die stichprobenhafteÜberprüfung der Daten könnte ein Jahr dauern und dassei keine politische Verzögerung, sondern der Komplexi-tät geschuldet.
Das ist vorne und hinten nicht realistisch.Es ist, wie gesagt, die Verpflichtung des Bundes, füreinen einheitlichen Steuervollzug zu sorgen. Offenbarwurde es dem BMF zu bunt mit Baden-Württemberg.Ich habe eine Vermutung bezüglich der Daten, die nunplötzlich übermittelt worden sind. Man weiß es nicht,aber sollte es eine Einzelweisung geben, da HerrMappus jetzt plötzlich doch Daten schickt? Ich persön-lich habe damit kein Problem. Ich halte das für eine Ver-pflichtung. Aber dieses Spiel kann man den Menschendoch nicht zumuten.
Deshalb sagen wir – Herr Wissing, Ihre Rede war eineeinzige Ablenkung –: Selbstverständlich muss es eineneinheitlichen Rahmen der Kriterien für derartige Abläufegeben. Es geht doch nicht darum, dass alles über einenKamm geschoren wird.
Aber wenn in Zukunft ein solch unwürdiges Hickhackvermieden werden soll, dann ist völlig klar, dass derBund die Initiative ergreifen und deutlich machen muss,dass es gleiche Regeln für die Prüfung gibt. Diese kön-nen eine Einzelfallprüfung beinhalten, aber ich will nichtdieses Theater mit dem ständigen Hin und Her.
Ich will, dass sich alle Länder an bestimmte Regeln hal-ten. Dann braucht Herr Mappus auch keine Kehrtwen-dungen zu machen, sondern kann sich an Regeln undKriterien halten.
Das ist der Weg, den wir einschlagen sollten. Sollte eseine erkennbare Initiative des Bundes geben, solche Re-geln aufzustellen, dann können Sie, wenn die Initiativein Ordnung ist, mit unserer Unterstützung rechnen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die Steuerverwaltungshoheit wird in Bezug auf dieGemeinschaftssteuern im Auftrag des Bundes von denLänderfinanzbehörden wahrgenommen. Der Ankauf derSteuerdaten ist somit ebenso wie die Strafverfolgungvon Steuersündern eigentlich Sache der Länder, und da-mit könnten wir die Diskussion heute beenden.Aber es wäre schwerlich nachzuvollziehen, wenn an-gebotene Daten in einem Bundesland zur Strafverfol-gung führten, in anderen Ländern aber nicht.
Deshalb muss der Bund mit dem Bundeszentralamt imRahmen der Möglichkeiten darauf hinwirken, dass eshier zu einem einheitlichen Vorgehen kommt.
Das ist zweckmäßig, es ist aus Gerechtigkeitsgründengeboten, und deswegen wird es auch so gemacht.
Deswegen ist die Aktuelle Stunde heute schlicht unnö-tig; das ist Kasperletheater der Opposition.
Im Prinzip gibt es zwei grundsätzliche Fragen zu klä-ren, zum einen die ethisch-moralische Frage und zumanderen die rechtliche Frage. Ethisch-moralisch halte ichden Ankauf der angebotenen Steuerdaten und die Ver-mittlung dieser Daten an verwertungswillige Landesbe-hörden für richtig. Eine effiziente Strafverfolgung vonSteuersündern ist im Interesse des Staates und damit derAllgemeinheit. Dieser Anspruch ist jedenfalls höher zubewerten als ein zweifelhaftes Interesse von einzelnenSteuersündern am Datenschutz.
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2296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
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Olav GuttingWir als gesetzestreue Steuerzahler haben alle einenAnspruch darauf, dass der Staat Steuersünder zur Kassebittet.
Geschätzte 30 Milliarden Euro werden jedes Jahr amFinanzamt vorbeigeschleust. Nicht alles davon geht indie Schweiz, und beileibe ist nicht alles davon von denGroßverdienern. Auch die Kleinen tragen ihren Teil zurSteuerhinterziehung bei, auch wenn es nur im Zusam-menhang mit der Pendlerpauschale die Kilometerangabein der Steuererklärung ist, wenn einige Kilometer mehrangesetzt werden. Dazu gehört auch die Erschleichungvon Sozialleistungen. Dieses Geld fehlt uns allen für dieBildung, für die Infrastruktur, für den Verkehr und fürdie innere Sicherheit. Deswegen können wir bei solchenStraftaten nicht tatenlos zusehen.
Das Zweite ist die rechtliche Seite. Es ist festzuhalten,dass die angekauften Informationen keine Hehlerwaresind.
Daten kann man im Gegensatz zu Sachen nach demdeutschen Strafgesetzbuch nicht stehlen. Damit gibt esauch den Tatbestand der Datenhehlerei schlicht nicht.
Eine Beteiligung des Staates in Form einer Beihilfeoder Anstiftung ist ebenfalls ausgeschlossen. Wenn mansieht, dass die im Ausland möglicherweise begangenenTaten in Form eines Geheimnisverrats oder eines Aus-spähens von Daten schon abgeschlossen sind, dann istklar, dass es keine Beihilfe oder Anstiftung von deut-scher Seite geben kann.Auch was die Datenverwertung anbelangt, ist nachdem Ankauf der Liechtensteiner Daten im Jahr 2007 imPrinzip schon einiges geklärt.
Ein Beweisverwertungsverbot ist jedenfalls regelmäßignicht zu erkennen.Allerdings bleibt beim Ankauf dieser Steuerdaten einfader Geschmack zurück. Trotzdem ist der Ankauf rich-tig. Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, wieman Steuerhinterziehung und Steuerverkürzung zurück-drängen und überhaupt vermeiden kann. Das ist doch derKönigsweg: Wir brauchen ein einfacheres und gerechte-res Steuersystem sowie eine transparentere Haushalts-und Ausgabenpolitik, damit die Menschen in diesemLand wissen, warum und wofür sie ihre Steuern bezah-len.
Darüber hinaus müssen wir unser Bestreben fortset-zen, mit den betreffenden Steueroasen Abkommen zuschließen, damit wir Amtshilfe in Steuersachen von ih-nen bekommen. Da sind wir auf einem guten Weg; dahaben wir gemeinsam gerade in den letzten zwei Jahrenvieles erreicht. Ich will aber auch sagen, dass der Kampfgegen die Steueroasen noch lange nicht abgeschlossenist.
Aber wir sind in diesem Bereich vorangekommen undsind auf dem richtigen Weg.
Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamenta-
rische Staatssekretär Hartmut Koschyk.
H
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Für die Bundesregierung besteht kein Zweifel da-ran, dass Bund und Länder alles tun müssen, um Steuer-hinterziehern das Handwerk zu legen. Damit sichern wirdie Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dienen derSteuergerechtigkeit in Deutschland.
Dies gilt auch und besonders bei Auslandssachverhal-ten. Deshalb muss alles rechtlich Zulässige getan wer-den, um an steuererhebliche Informationen zu gelangen.Auch der Ankauf von Daten wird davon umfasst. Dasschulden wir den ehrlichen Steuerzahlern in unseremLand.
Aktuell – die Debatte hat es deutlich gemacht – ste-hen zwei Ankaufsfälle im Licht der öffentlichen Diskus-sion, einmal aus Nordrhein-Westfalen und einmal ausBaden-Württemberg. In beiden Fällen hat der Bundes-finanzminister deutlich gemacht, dass wir auf derGrundlage der konkreten und uns vorgetragenen Sach-verhalte den Ankauf der Daten für rechtlich zulässig er-achten und zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Be-steuerung auch für geboten halten. Diese Einschätzungist das Ergebnis einer eingehenden Prüfung der Sach-und Rechtslage in den konkreten Fällen.Denn bei Sachverhalten im Ausland stoßen die Er-mittlungsbehörden an Grenzen.
Wenn kein automatischer Informationsaustausch zwi-schen beiden Staaten erfolgt und die ausländischen
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Parl. Staatssekretär Hartmut KoschykFinanzbehörden der deutschen Finanzverwaltung auchanderweitig keine Auskünfte über steuererheblicheSachverhalte erteilen, können unvollständige oder fal-sche Angaben des deutschen Kapitalanlegers nicht auf-gedeckt werden. Der Ankauf von Daten ist in diesen Fäl-len das einzige Mittel, um Steuerhinterziehung durchKapitalanlagen in nicht auskunftsbereiten Ländern auf-decken zu können.Aber – auch davon ist in dieser Debatte gesprochenworden – wir müssen bei den Ursachen ansetzen. Wirmüssen die internationale Zusammenarbeit bei der Be-kämpfung von Steuerhinterziehung verstärken. Deshalbist es aus unserer Sicht notwendig, die Finanzbehördenin die Lage zu versetzen, Steuern auch bei Auslands-sachverhalten richtig festsetzen zu können.Der beste Weg dahin ist es, die internationale Zusam-menarbeit so zu gestalten, dass die Verhandlungen überDoppelbesteuerungsabkommen, beispielsweise mit derSchweiz und anderen Staaten, zu einem erfolgreichenErgebnis gebracht werden.
Auch die Schweizer Regierung scheint diese Notwen-digkeit zu erkennen. Deshalb setzen wir im Kampf ge-gen Steuerflucht auf eine rasche Einigung mit derSchweiz.
Dies hat die Bundeskanzlerin, dies hat unser Bundes-finanzminister in seinen Gesprächen mit der SchweizerRegierung deutlich gemacht. Es ist auch im SchweizerInteresse, dass wir bald zu einem positiven Ergebnisüber ein Doppelbesteuerungsabkommen, verbunden mitdem notwendigen Datenaustausch, kommen. Dann istnämlich der Ankauf solcher Daten nicht mehr erforder-lich.
Es darf aber kein Zweifel daran bestehen: Solange wirdiese Abkommen nicht haben, muss die Finanzverwal-tung im Rahmen des rechtlich Zulässigen alle Möglich-keiten ausschöpfen, auch Auslandssachverhalte auf ihreSteuererheblichkeit hin zu überprüfen.
Die bisherige Bewertung des Handelns der Finanz-verwaltung durch Staatsanwaltschaften und Gerichtezeigt, dass dabei die Grenzen des Zulässigen nicht über-schritten, sondern eingehalten worden sind. So hat zumBeispiel die Staatsanwaltschaft Berlin Verfahren gegenhandelnde Amtsträger eingestellt, ohne überhaupt in Er-mittlungen einzutreten. Bemerkenswert sind in diesemZusammenhang auch zwei rechtskräftige Beschlüsse desLandgerichts Bochum, die in Bezug auf die sogenanntenLiechtenstein-Fälle ebenfalls zu dem Ergebnis gelangen,dass die Daten verwertbar sind. Gegen eine Entschei-dung – auch davon ist gesprochen worden – ist Verfas-sungsbeschwerde eingelegt worden, über deren Behand-lung das Bundesverfassungsgericht aber noch nichtentschieden hat.Der Umstand einer Verfassungsbeschwerde ändertaber nichts an der Beurteilung der Rechtmäßigkeit desDatenankaufs in den genannten Fällen. Die Verfassungs-beschwerde zeigt vielmehr, dass die bisher ergangenenGerichtsentscheidungen Zweifel an der Verwertungsbe-fugnis der im Liechtenstein-Fall angekauften Daten nichtbestätigt haben.
Bei diesem Fall handelt es sich um den einzigen mit Ver-fassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbe-schluss in einer Reihe von 100, die nicht angegriffenwurden. Sowohl die Staatsanwaltschaften wie auch dieentscheidenden Gerichte haben bislang in keinem Fallein Verwertungsverbot gesehen. Selbstverständlich isteine Klärung der Rechtslage in derartigen Fällen durchdas Bundesverfassungsgericht zu begrüßen.Aufgabe der Finanzverwaltung ist es aber, die Steuergleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Diese Auf-gabe hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts einen hohen Stellenwert. Dies hat dasBundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung überden steuerlichen Kontenabruf, der politisch ebenfallshöchst umstritten war, eindrucksvoll unterstrichen. Ichfinde, Roman Herzog, der frühere Präsident des Bundes-verfassungsgerichts und Bundespräsident, hat es in ei-nem Interview mit dem Südwestrundfunk auf einen gu-ten Nenner gebracht – ich zitiere –:Ich würde mich mit dem Kauf schwer tun, aberwürde es im Endeffekt tun. … Steuergerechtigkeit[ist mir] wichtiger als ein Bankgeheimnis, das inkeiner Verfassung und auch sonst nirgends steht.
Steht eine abschließende rechtliche Bewertung derSachverhalte durch die Rechtsprechung aus, darf dies fürdie dem Legalitätsprinzip unterliegende Finanzverwal-tung kein Grund sein, notwendige Entscheidungen nichtzu treffen. Dieser Entscheidung kann in dieser Situationnur die eigene juristische Bewertung der handelnden Be-hörden zugrunde gelegt werden. Der Umgang mit Infor-manten, die Informationen gegen Geld anbieten, die aufSteuerhinterziehung im großen Ausmaß hindeuten, stelltdeshalb die Finanzverwaltung des Bundes und der Ländervor neue Aufgaben. Aufgabe des Bundesministeriumsder Finanzen ist es dabei, auf eine einheitliche Rechtsan-wendungspraxis bei der Auftragsverwaltung zu achten.Die Komplexität der Sachverhalte und der sich stel-lenden Rechtsfragen muss aufgearbeitet werden, bevorEntscheidungen getroffen werden können. Deswegengab es und wird es unterschiedliche Entscheidungen da-rüber geben, wie im Einzelfall mit einem konkreten An-gebot umgegangen wird. Daraus kann keinesfalls aufeine unterschiedliche Verwaltungspraxis geschlossenwerden. Mir ist jedenfalls kein Bundesland bekannt, indem Hinweisen auf Steuerhinterziehung, auch wenn sie
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Parl. Staatssekretär Hartmut Koschykvon einem Informanten stammen, der Geld verlangt,nicht nachgegangen worden ist.Der Bund hat bei der Behandlung dieser Fälle mitge-wirkt; und dem Bundeszentralamt für Steuern wurde imRahmen der ersten Föderalismuskommission sogar aus-drücklich eine unterstützende Aufgabe bei der Verhü-tung und Verfolgung von Steuerstraftaten mit länder-übergreifender, internationaler und erheblicher Bedeutungzugewiesen. Wir haben inzwischen mit den Ländern eingut funktionierendes Verfahren vereinbart. Dadurchwurde sichergestellt, dass in den größten Fällen, mit de-nen bislang die Finanzverwaltung konfrontiert war, imLiechtenstein-Fall und im aktuellen nordrhein-westfäli-schen Fall, die Zusammenarbeit gut funktioniert hat.Das Land Nordrhein-Westfalen hat uns inzwischenmitgeteilt, dass die Daten angekauft und der Justiz über-geben wurden. Mit der Generalstaatsanwaltschaft Düs-seldorf ist das weitere Vorgehen in Bezug auf die anste-henden Ermittlungen abgestimmt worden.Mit dem Land Baden-Württemberg haben wir eben-falls eine gemeinsame Verfahrensweise abgesprochen.Auch mit dem Baden-Württemberg vorliegenden Ange-bot wird im Ergebnis so verfahren wie mit anderen An-geboten, die belastbare Hinweise auf Steuerhinterzie-hung im großen Ausmaß enthalten. Der Bundesministerder Finanzen hat sich mit Baden-Württemberg auf eineBehandlung des Falles geeinigt, die zu keinem anderenErgebnis führen wird als zu dem, das auch bei Behand-lung anderer gleichgelagerter Fälle herauskäme.
Gemäß dieser Einigung wird der Bund die Steuer-CDankaufen, gegebenenfalls auch unter Mitwirkung einesbetroffenen Landes. Dabei wird sich der Bund selbstver-ständlich an das geltende Recht halten.
Damit der Bund entsprechend verfahren kann, wird dasLand Baden-Württemberg dem Bund die im Land vor-handenen Informationen zu dem Fall umfassend zur Ver-fügung stellen.
Ich bin sehr davon überzeugt, dass sich auch im FallBaden-Württemberg
die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Bundes-finanzministerium und den Steuerverwaltungen der Län-der bewähren wird.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Friedrich für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
H
Ich bitte Sie, Ihre Rede komplett dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten und dem baden-württembergischen Justizminister zu schicken und beidezu bitten, sie zu lesen. Denn was Sie gerade eben gesagthaben, ist eine schallende Ohrfeige für das Land Baden-Württemberg.
Was Sie eben gesagt haben, heißt doch in der Konse-quenz nichts anderes: Weil Baden-Württemberg sichselbst blockiert hat, weil Baden-Württemberg vor derVerantwortung geflohen ist, müssen Sie jetzt über denBund die Steuer-CD an ein anderes Land weitervermit-teln, damit dieses für Baden-Württemberg jene kauft.Damit ist klar, dass Baden-Württemberg versagt hat.
Das belegt den Vorwurf von uns, dass in Baden-Württemberg offensichtlich mit Steuerhinterziehern an-ders umgegangen werden soll als in anderen Bundeslän-dern,
dass Baden-Württemberg geradezu zu einem Eldoradofür diejenigen gemacht werden soll, die den Fiskus flie-hen. Dafür trägt Schwarz-Gelb in Baden-Württembergdie Verantwortung. Dass Sie eine Notoperation durch-führen müssen, tut mir für Sie persönlich leid. Es ist abereine Schande für die Praxis der Einheitlichkeit der Steu-erverwaltung in Deutschland.
Ich fand es – wir hatten letzte Woche schon kurz da-von gehört – schon skandalös, dass Baden-Württembergüber ein Jahr lang herumgeprüft hat, ob es diese CDkauft. Man kann sich ja schon unter diesem Gesichts-punkt einmal die Frage stellen, wie es hier mit der Ein-heitlichkeit des Umgangs bestellt ist. Baden-Württem-berg hat ein Jahr lang geprüft. Ich weiß gar nicht, ob,wenn nicht der nordrhein-westfälische Fall hochgekom-men wäre, wir heute immer noch nichts davon wüsstenund Baden-Württemberg noch weiter prüfen würde.
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Peter FriedrichDas ist nur hochgekommen, weil das Thema in Nord-rhein-Westfalen aufgekommen ist. Es handelte sich nichtum eine Initiative aus Baden-Württemberg. Im Gegen-teil, man hat dem Landtag dort ja noch in einer Debatteverschwiegen, dass eine Steuer-CD vorliegt.
Man hat es erst im Nachhinein eingeräumt. Deswegen istes sehr wohl ein Bundesthema, wenn offensichtlich sounterschiedlich vorgegangen wird.
Die Kollegen von FDP und CDU haben hier immervon der Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung gespro-chen. Dazu sage ich: Es war nicht das Ergebnis einerEinzelfallprüfung, die zu dem Entschluss in Baden-Württemberg geführt hat. Man ist bei der Prüfung nichtzu dem Ergebnis gekommen, dass es unzulässig wäre,diese CD zu kaufen. Baden-Württemberg hat nur be-schlossen, es nicht zu tun, weil der FDP-Justizministersein Veto eingelegt hat. Das war der einzige wirklicheGrund.
Das beruhte, mit Verlaub, auf vorgeschobenen Argumen-ten. Das Argument war nämlich: Vielleicht könnten un-sere Mitarbeiter – in diesem Fall die der Verwaltung – an-schließend strafrechtlich belangt werden. – Das gleicheLand sagt aber: Lieber Bund, kauf doch du. – Also, ent-weder macht man sich strafbar, wenn man die CD kauft– das wäre dann das Ergebnis dieser Prüfung gewesen –,oder nicht. Wenn dies aber der Fall ist, dann kann mannicht sagen: „Lieber Bund, kauf doch du“, sondern manmuss sagen: Man kann sie prinzipiell nicht kaufen. – Manhat sich schlicht und ergreifend vor der Verantwortungweggeduckt. Das ist das Ergebnis der Einzelfallprüfung.
Herr Staatssekretär Stadler, ich fände es interessant– Kollege Lange hat schon darauf hingewiesen –, einmalzu erfahren, was eigentlich das Bundesjustizministeriumdazu meint.
Machen Sie sich denn eigentlich die Bedenken des baden-württembergischen Justizministers zu eigen? Offenkun-dig bis jetzt nicht. Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlichpeinlich für eine Partei, die für sich in Anspruch nimmt– wir haben es heute wieder gehört –, eine Rechtsstaats-partei zu sein,
Gründe vorzuschieben, die dazu führen, dass man imBereich der Steuergerechtigkeit ganz bewusst daraufverzichtet, das Rechtsstaatsprinzip durchzusetzen.
Es hat übrigens ein kleines Geschmäckle – darauf willich der Vollständigkeit halber hinweisen –, dass der Lan-desjustizminister am gleichen Tag ankündigt: Wir prakti-zieren Datenschutz für Steuerhinterzieher, weiten aberdie Videoüberwachung bei Bagatelldelikten aus. – Dashat die FDP in Baden-Württemberg gemacht. Das hatmehr als nur ein Geschmäckle; denn wer Steuern hinter-zieht, der begeht Diebstahl an uns allen: Der klaut Bü-cher aus unseren Bibliotheken, der reißt Löcher in un-sere Straßen, der begeht Vandalismus an öffentlichemEigentum. Auch darum geht es bei Steuerhinterziehung.Deswegen muss sie mit dem gleichen und, da es sichmeistens um größere Straftatbestände handelt, mit nochhärterem Interesse durch den Staat verfolgt werden. Mankann nicht sagen: Die Kleinen packe ich an, aber dieGroßen lasse ich laufen. – Das aber ist das Ergebnis derPrüfung in Baden-Württemberg.
Videoüberwachung für das Volk und Datenschutz fürSteuerdiebe, das ist wohl die Position von Ihnen.
Es zeigt sich hier eine durchgängige Linie. Es fängtbei der verbalen Rechtfertigung von Steuerflucht auf-grund eines angeblich zu gierigen Staates an, wie diesFrau Homburger oder auch Herr Westerwelle offensicht-lich in den Honorarvorträgen bei der LGT dargestellt ha-ben.
Es geht weiter über die hessischen Vorgänge, bei denen zuerfolgreiche Steuerprüfer erst gemobbt, dann zwangsver-setzt und zwangspensioniert und im Nachhinein wahr-scheinlich rehabilitiert werden, zumindest im Rahmendes Whistleblower-Preises. Es zeigt sich weiter bei demnegativen Wettlauf der Bundesländer um möglichst we-nige Betriebsprüfungen, und es erreicht seinen vorläufi-gen Höhepunkt bei den Umtrieben in Baden-Württem-berg mit den genannten Ergebnissen.Es gibt keine einheitliche Linie bei CDU/CSU undFDP, bei Schwarz-Gelb. Es gibt kein gemeinsames hartesVorgehen gegen Steuersünder. Insofern: Baden-Württem-berg wird jetzt zum Schlupfloch gemacht. Sorgen Sie da-für, dass es bundesweit eine einheitliche Linie gibt, damitdies nicht passiert. Diese Form von Steuerhinterziehungs-wettbewerb ist schädlich für das Gemeinwohl, und des-wegen müssen Sie sie unterbinden. Dies ist Aufgabe derBundesregierung und der sie tragenden Parteien, übrigensauch Ihres Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der of-fensichtlich nach wie vor das ablehnt, was Sie hier ebenverkündet haben.
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2300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich wiederhole das, was viele Vorredner gesagt haben:Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. MeineFraktion, die CDU/CSU, aber auch die Koalition insge-samt bekämpfen die Steuerhinterziehung, nicht nur mitWorten, sondern auch mit Taten.
Zunächst darf ich an das erinnern, was seit 2005 inder Bundesregierung unter Bundeskanzlerin AngelaMerkel passiert ist:Wir haben den verfassungsrechtlich problematischen§ 370 a Abgabenordnung gestrichen und ihn durch einenneuen verfassungsfesten § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AOersetzt und können jetzt die bandenmäßige Hinterzie-hung von Umsatz- und Verbrauchsteuern wieder wirk-sam bekämpfen.Wir haben mit dem Gesetz zur Neuregelung der Tele-kommunikationsüberwachung vom 21. Dezember 2007erstmals diesen qualifizierten Steuerhinterziehungstatbe-stand in den Katalog des § 100 a StPO aufgenommen,ermöglichen hier also erstmals im Strafprozessrecht eineTelekommunikationsüberwachung bei Steuerhinterzie-hungsdelikten. Das hat es vorher nicht gegeben. Auchunter Rot-Grün hat es dies nicht gegeben, Herr Schickund Herr Wieland.
Das ist eine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterzie-hung und beruht auf einer sachgemäßen Abwägung.
Wir haben mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom19. Dezember 2008 die Verjährungsfrist für besondersschwere Fälle der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre er-höht.Schließlich haben wir mit dem Koalitionsantrag „Steu-erhinterziehung bekämpfen“ beschlossen, eine Reihe voninternationalen Maßnahmen einzuleiten. Wir wollen dieeuropäische Zinsrichtlinie verbessern, um gewisse Schlupf-löcher zu beseitigen. Wir wollen vor allen Dingen den In-formationsaustausch nach Art. 26 des OECD-Musterab-kommens in Europa durchsetzen. In den letzten zweiJahren ist so viel erreicht worden wie nie zuvor.Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung – auch teil-weise die Große Koalition, Herr Poß, das haben wir ge-meinsam erreicht; aber es war eine CDU/CSU-geführteBundesregierung – hat das alles erreicht.
Wenn nun manches nicht umgesetzt wird – etwa das EU-Abkommen mit Liechtenstein kann auf europäischerEbene nicht ratifiziert werden, Herr Poß –, dann liegt dasdaran, dass das sozialdemokratisch geführte Österreichdie Umsetzung blockiert. Vielleicht telefonieren Sie ein-mal über die Sozialistische Internationale. Es ist uns un-verständlich, warum das blockiert wird.
– Der Bundeskanzler hat in Österreich nichts zu sagen?
Ich sage Ihnen auch, was wir als Union nicht machen:Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung nicht mit verba-ler Kraftmeierei.
– Auch nicht mit der Kavallerie. Wir beleidigen nicht dievöllig unschuldigen Indianer. Wir beleidigen auch nichtdas völlig unschuldige Burkina Faso mit der HauptstadtOuagadougou.
Das tun wir in der Tat nicht, und das werden wir auch inZukunft nicht tun.
Wir werden auch kein rot-grünes Steueramnestiegesetzauflegen wie Bundesfinanzminister Eichel 2001.
Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung. Das habenwir auch in jüngster Zeit getan.
Gerade die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzmi-nister haben sofort energisch gehandelt und entschieden.Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gleich zu Be-ginn,
am Montag, dem 1. Februar, gesagt – ich zitiere sie –:Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevantsind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünf-tige Mensch weiß, dass Steuerhinterziehung geahn-det werden muss.So Angela Merkel am Montag, als manches noch durch-aus in der Diskussion war.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 26. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2010 2301
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Manfred Kolbe
– Sind Sie etwa anderer Meinung als die Bundeskanzle-rin, Herr Poß? Nein. Deshalb vielen Dank für die Aktu-elle Stunde und dafür, dass wir dies noch einmal heraus-stellen können.Die Bundeskanzlerin hat übrigens schnell entschie-den.ben nur den § 136 a Abs. 3 Satz 2 Strafprozessordnung,der besagt, dass unzulässige Vernehmungsmethoden
zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Alles andereunterliegt der Abwägung.
Wir müssen zwischen der Straftat einerseits und der Er-langung der Beweise andererseits abwägen.
Mancher wirft ihr vor, sie moderiere nur, sie warte nurab usw. Hier hat sie entschieden und Führungsstärke be-wiesen.Aber ich sage auch: Die Frage, ob fehlerhaft gewon-nene Beweise verwertet werden dürfen, ist durchaus einrechtlich schwieriges Gebiet. Die sich ergebenden Fra-gen gehören mit zu den schwierigsten des Strafrechtsund des Strafprozessrechts und bedeuten eine Gratwan-derung zwischen einerseits formeller Rechtmäßigkeitund andererseits materieller Wahrheit.
Dieser Konflikt durchzieht seit Jahrtausenden das ge-samte Strafrecht.
– Herr Wieland, damals wurde es teilweise brutal gelöst.So würden wir das heute nicht mehr lösen wollen. DenKonflikt gab es aber schon damals. – Eine der zentralenFragen des Strafprozessrechts ist: Inwieweit sind Be-weise, die fehlerhaft oder rechtswidrig beispielsweisedurch Diebstahl erhoben worden sind, verwertbar? Un-sere Strafprozessordnung regelt diesen Fall nicht aus-drücklich. Hier gibt es, obwohl wir manchmal eineÜberregulierung beklagen, kaum Regulierung. Wir ha-
Je schwerer die Straftat ist, desto eher kann ein Fehlerbei der Beweiserhebung geduldet werden. Das ist derAbwägungsprozess, der stattfinden muss, und dieser hatin der Bundesregierung stattgefunden.
Sie können deshalb der Bundesregierung nicht vorwer-fen, dass sie rechtsstaatliche Grundsätze wahrt.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich sage deshalb zum Schluss: Wir sind die Koalition,
die die Steuerhinterziehung energisch verfolgt. Wir sind
aber auch die Koalition, die den Rechtsstaat wahrt.
Danke.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, 4. März 2010, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.