Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu neh-
men, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf und Verord-
nung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf
dem Gebiet des Umweltrechts.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
Frau Ursula Heinen-Esser. Bitte schön.
Ur
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Wir haben heute den Gesetzentwurf und die Ver-ordnung zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie aufdem Gebiet des Umweltrechts beschlossen. Im Klartextgeht es dabei um die Arbeit von Sachverständigen imUmweltrecht. Es werden verschiedene Rechtsänderun-Redegen eingeführt: die Möglichkeit optionaler Abwicklun-gen von Verfahren über einheitliche Ansprechpartner,die Möglichkeit einer elektronischen Verfahrensabwick-lung und die Regelung über die bundesweite Geltungvon Bekanntgaben bzw. Anerkennung ausländischer Do-kumente von Sachverständigen.Lassen Sie mich zwei wesentliche Punkte ansprechen.Erstens. Im Umweltrecht werden – das ist auch auf ande-ren Rechtsgebieten üblich – Sachverständige eingesetzt,die zum Beispiel für Behörden Überprüfungen in Unter-nehmen vornehmen. Besonders wichtig sind etwa Emis-sionsmessungen in Industrieanlagen, aber auch die Über-prüfung und Kontrolle von Solarien. Die auf Grundlagedieser Überprüfungen gesammelten Erkenntvon den Unternehmen an die Behörden weiteIn Deutschland sind insgesamt rund 2 0ständige im Bereich des Umweltrechts tätig. Wir sindzungn 24. Februar 20103.00 Uhrdavon überzeugt, dass wir mit dieser Dienstleistungs-richtlinie – es geht nicht nur darum, dass in Zukunft EU-Ausländer als Sachverständige in Deutschland arbeitenkönnen, sondern auch darum, dass die deutschen Sach-verständigen für Umweltrecht im EU-Ausland arbeitenkönnen – ein großes wirtschaftliches Potenzial für un-sere Sachverständigen erschließen.Vergleichbares haben wir mittels spezieller europäi-scher Regelungen im Bereich der Umweltgutachter imJahr 1995 erreicht. Unsere Umweltgutachter sind imeuropäischen Ausland sehr gefragt. Wir gehen davonaus, dass es bei den Sachverständigen für Umweltrechtähnlich sein wird. Selbstverständlich muss gelten: Wennunsere Sachverständigen im europäischen Ausland tätigsind, dann müssen wir EU-ausländische Sachverständigebei uns zulassen.Bei der Erstellung der Richtlinie ist vielfach darüberdiskutiert worden, ob das zu einer Absenkung von Um-weltstandards führen kann. Nein, das ist nicht der Fall;denn wir haben besondere Regelungen in die Richtlinieaufgenommen. Sachverständige, egal ob Inländer oderAusländer, müssen über entsprechende Qualifikationenverfügen und die Nachweise erbringen, dass sie ihre Tä-tigkeit ausüben können. Ansonsten werden sie weder inDeutschland noch in anderen Ländern bekannt gegeben.textDas hat etwas damit zu tun, dass der Sachverständigestellvertretend für den Staat die Letztverantwortung fürden Schutz der Umwelt trägt.Zweitens. Mit der Einsetzung dieser Richtlinie gibt eseine Vereinfachung im deutschen Recht, weil eine Be-kanntgabe der Sachverständigen künftig bundesweitmöglich ist. Zurzeit ist es so, dass Sachverständige ihreZulassung bei einer Landesbehörde eines Bundeslandesbeantragen können. Wenn sie Glück haben, gilt die Zu-lassung auch in einem anderen Bundesland. In der Regelist das aber nicht der Fall. Mit der Umsetzung derDienstleistungsrichtlinie im Bereich des Umweltrechtserreichen wir, dass die Sachverständigen zukünftig bun-Zulassung erhalten können. Das bedeutete Vereinfachung für die Sachverständigen.pp auszudrücken: Wir haben zwei Fliegennisse werdenrgegeben.00 Sachver-desweit eineeine erheblichUm es salomit einer Klappe geschlagen. Wir haben zwei Ziele
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1960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Essererreicht, nämlich erstens die gegenseitige Anerkennungder Sachverständigen in Deutschland und im europäi-schen Ausland sowie zweitens die Vereinfachung derVerfahren bei uns in Deutschland.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Zur ersten Frage hat
der Kollege Gebhart das Wort.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Gefahr einer
Abschwächung deutscher Umweltschutzstandards auf-
grund der Dienstleistungsrichtlinie, die jetzt umzusetzen
ist?
Ur
Kollege Gebhart, wie ich eingangs schon gesagt habe,
müssen die Sachverständigen, die bei uns zugelassen
werden wollen, ihre Qualifikationen nachweisen. Das
muss nachprüfbar sein. Im Einzelfall kann das sogar so
weit gehen, dass man die Vorlage beglaubigter Überset-
zungen der Dokumente verlangt. Allerdings muss auch
klar sein, dass die Bekanntgabe bzw. Zulassung von
Sachverständigen nicht zu Diskriminierungen führen
darf. Das müssen wir im Auge behalten.
Wir haben dafür gesorgt – auch das ist ein Erfolg der
deutschen Verhandlungsstrategie –, dass wegen der be-
sonderen Verantwortung der Umweltrechtssachverständi-
gen für den Schutz der Umwelt – ich nenne noch einmal
das Stichwort „Emissionsmessungen in Industrieanla-
gen“ – besondere Regelungen in der Dienstleistungsricht-
linie enthalten sind. Es wird nicht einfach genehmigt oder
zugelassen. Die entsprechenden Anforderungen müssen
erfüllt werden.
Zu einer nächsten Frage hat der Kollege Sensburg das
Wort.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Frage, die sich
um den Anwendungsbereich der Richtlinie dreht. Es gibt
im Gemeinschaftsrecht spezielle Rechtsakte, die mögli-
cherweise vorgehen. Meine Frage ist: Fallen bestimmte
Bereiche des Umweltrechts aus dem Anwendungsbe-
reich der Dienstleistungsrichtlinie heraus?
Ur
Die Frage lässt sich sehr eindeutig beantworten. Es
handelt sich um die Tätigkeiten, die in speziellen Ge-
meinschaftsrechtsakten geregelt sind. Darauf haben Sie
schon in Ihrer Frage hingewiesen. Ich habe in meiner
Einführung auf die Umweltgutachter hingewiesen, deren
Tätigkeit im Jahr 1995 auf europäischer Ebene geson-
dert eingeführt worden ist. Das gilt aber auch allgemein
für die Anerkennung von Berufsqualifikationen, bei-
spielsweise wenn die Berufsanerkennungsrichtlinie An-
wendung findet. Aber es sind auch nicht spezifisch
dienstleistungsbezogene Anforderungen ausgenommen.
Das gilt zum Beispiel, wenn es sich um anlagenbezo-
gene Genehmigungsregelungen handelt, etwa um Ab-
wasserbehandlungsanlagen oder Ähnliches. Auch dies
ist nicht Teil der Richtlinie.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Kudla.
Frau Staatssekretärin, können deutsche Unternehmen,
denen Dienstleistungen hier angeboten werden, sicher
sein, dass ausländische Sachverständige dieselbe Quali-
fikation haben wie ihre Kollegen im Inland?
Ur
Ja, da können sie sicher sein, sofern es sich um offi-
ziell bekannt gegebene, zugelassene Sachverständige
handelt. Ich habe eben schon ausgeführt, dass es ent-
scheidend ist, dass die Qualifikationen nachgewiesen
und der zuständigen Landesbehörde angezeigt werden,
die die Erfüllung der Anforderungen überprüft. Wenn
dies alles erfolgt ist, der Sachverständige also offiziell
bekannt gegeben ist, dann können deutsche Unterneh-
men sicher sein, dass diese Sachverständigen aus dem
EU-Ausland die erforderlichen Qualifikationen besitzen.
Der Kollege Liebing hat das Wort für eine weitere
Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, wir haben jetzt darüber gesprochen, dass ausländi-
sche Sachverständige in Deutschland tätig werden kön-
nen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass natürlich auch
deutsche Sachverständige im EU-Ausland tätig werden
können. Gibt es dafür besondere Anforderungen? Wie
kann ein Sachverständiger diesen sich entwickelnden
Markt aktiv nutzen? Muss er warten, bis ihn andere Un-
ternehmen von sich aus anfordern?
Ur
Um Ihre letzte Frage zuerst zu beantworten, KollegeLiebing: Nein, ein deutscher Sachverständiger mussnicht darauf warten, dass er angefordert wird. Es gibteine Plattform über die Europäische Union, bei der ersich informieren kann. Er kann somit selber aktiv wer-den, um in anderen Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion zu arbeiten.Wir haben innerhalb der Europäischen Union das Ver-fahren der einheitlichen Ansprechpartner gewählt. Das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1961
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Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esserheißt, in jedem Mitgliedstaat muss es diesen sogenann-ten einheitlichen Ansprechpartner geben. An diesenwendet sich der Sachverständige. Dieser wird ihn an diezuständigen Behörden des jeweiligen Landes weiterver-mitteln. Dort kann er zugelassen werden und dann ent-sprechend tätig werden.Ich denke, das wird für unsere wirklich guten Sach-verständigen im Umweltrecht, die über eine ganzeMenge Erfahrungen und Know-how verfügen, eineMöglichkeit sein, zusätzlich im Ausland tätig zu werden,wie das auch bei den Umweltgutachtern der Fall ist.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Bericht liegen mir
nicht vor. Danke, Frau Staatssekretärin.
Die Kollegin Dr. Enkelmann hat eine Frage zu weite-
ren Themen der heutigen Kabinettssitzung. Bitte.
Genau. Zumindest will ich nachfragen, ob sich das
Kabinett mit der folgenden Angelegenheit befasst hat.
Wie jetzt bekannt wurde, hat der Außenminister vor eini-
ger Zeit einen bezahlten Vortrag bei einer Liechtenstei-
ner Bank gehalten, die inzwischen im Zusammenhang
mit Schwarzgeldkonten deutscher Steuerhinterzieher be-
kannt geworden ist. Hat sich das Kabinett mit dieser
Frage beschäftigt?
Das Wort hat der Staatsminister von Klaeden.
E
Nein.
Kann ich noch eine Nachfrage stellen?
Sie dürfen.
Bei den veröffentlichungspflichtigen Angaben aus der
letzten Wahlperiode tauchen bei dem Außenminister
mehrere Funktionen in Unternehmen auf, etwa Versiche-
rungen, Deutsche Vermögensberatung, Hamburg-Mann-
heimer, Consulting-Firmen usw. Hat sich das Kabinett
damit befasst, ob diese Funktionen möglicherweise im-
mer noch ausgeübt werden? Sanktioniert das Kabinett
diese Funktionen?
E
Nein, das Kabinett hat sich damit nicht befasst. Frau
Kollegin Enkelmann, ich halte das für eine unzulässige
Frage, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Kollege
Westerwelle der Bundesregierung nicht angehört. Sie
versuchen, hier eine Auskunft der Bundesregierung über
die Nebentätigkeiten von Herrn Westerwelle aus seiner
Zeit als Abgeordneter in der letzten Legislaturperiode zu
erlangen. Das ist eine klassische Dreiecksfrage. Ich ver-
weise Sie daher auf die entsprechenden Entscheidungen
zu unserer Geschäftsordnung.
Wenn Sie eine weitere Nachfrage haben, Kollegin
Enkelmann, dann stellen Sie sie jetzt bitte.
Danke. – Schließen Sie aus, dass es diese Funktionen
heute noch gibt?
E
Frau Kollegin Enkelmann, ich habe Ihre Frage er-
schöpfend beantwortet.
Zu einer weiteren Frage hat die Kollegin Dr. Bunge
das Wort.
Ich habe eine Frage bezüglich der Kommission zur
künftigen Finanzierung des Gesundheitswesens, die sich
nach meiner Kenntnis heute konstituiert hat. Ich weiß
jetzt nicht, ob die Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz
oder Sie, Herr Staatsminister, die Frage beantworten
wollen. Ich stelle erst einmal die Frage.
E
Das ist eine gute Idee.
Der Kommission, auf deren Einsetzung sich die Re-
gierung heute verständigt hat, gehören bekanntlich acht
Ministerinnen bzw. Minister an. Auf Nachfrage, auch im
Ausschuss, wissen wir, dass Expertinnen und Experten
eingeladen werden können. Mich interessiert, nach wel-
chen Kriterien die Experten und Wissenschaftler ausge-
wählt werden und wie die Transparenz dieser Kommis-
sion gewährleistet wird. Schließlich geht es hier um ein
Anliegen, das für breite Kreise der Bevölkerung von
großem Interesse ist.
E
Die Auswahl der Experten richtet sich nach ihremSachverstand. – Die weiteren Fragen kann meine Kolle-gin Staatssekretärin Widmann-Mauz beantworten.
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1962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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A
Frau Abgeordnete Bunge, wie wir bereits heute Vor-
mittag im Ausschuss besprochen haben und wie die
Bundesregierung Auskunft erteilt hat, wird die Auswahl
der Experten, die berufen werden, von der Regierungs-
kommission in eigener Zuständigkeit getroffen. Da sich
die Regierungskommission noch nicht zu ihrer ersten
Sitzung zusammengefunden hat, können zum jetzigen
Zeitpunkt darüber noch keine Aussagen getroffen wer-
den.
Die Transparenz der Beratungen und vor allen Dingen
der Entscheidungen der Regierungskommission wird da-
durch gewährleistet, dass die Bundesregierung, wenn
entsprechende Beschlüsse gefasst werden, das Parlament
umfassend darüber informieren wird. Denn aus den Er-
gebnissen der Regierungskommission sollen ja voraus-
sichtlich gesetzgeberische Maßnahmen resultieren.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, ich habe eine Nachfrage. – Ist darunter zu verste-
hen, dass der Bericht, der im Sommer oder wann auch
immer vorgelegt wird, das Charakteristikum der Trans-
parenz erfüllen wird?
A
Über die Ergebnisse, die die Regierungskommission
zeitigen wird, wird im parlamentarischen und im politi-
schen Raum intensiv diskutiert werden. Es steht dem
Parlament selbstverständlich frei, die entsprechenden
Befassungen dazu hier im Plenum und in den Ausschüs-
sen zu beantragen.
Gibt es weitere Fragen zur heutigen Kabinettssitzung
oder darüber hinaus? – Das ist nicht der Fall. Dann be-
ende ich die Befragung der Bundesregierung.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Fra-
gestunde um 13.30 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 17/756, 17/771 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dring-
lichen Fragen auf Drucksache 17/771 auf. Die ersten
beiden Fragen beziehen sich auf den Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwor-
tung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut
Koschyk zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Christian
Lange auf:
Gab es aufgrund des Rechtsgutachtens, das das Justizmi-
nisterium Baden-Württemberg in Auftrag gegeben hat, nach
dem sich Beamte, die illegal gewonnene Steuersünderdaten
zur Strafverfolgung nutzen, selbst strafbar machen würden,
Gespräche zwischen der Bundesregierung und der baden-
württembergischen Landesregierung, insbesondere hinsicht-
lich der Anwendung einer einheitlichen Rechtsauffassung,
und hat die Bundesregierung das Land Baden-Württemberg
dazu ermuntert, die angebotenen CDs zu kaufen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
H
Herr Kollege Lange, ich darf Ihnen sagen, dass es
zwischen der Bundesregierung und der baden-württem-
bergischen Landesregierung keine Gespräche hinsicht-
lich des von Ihnen angesprochenen Rechtsgutachtens
gegeben hat. Unabhängig hiervon hat aber das Bundes-
ministerium der Finanzen dem Finanzministerium des
Landes Baden-Württemberg bereits mitgeteilt, dass es
den Datenankauf in dem vorgetragenen Fall für rechtlich
zulässig hält. Die Entscheidung über den Datenankauf
liegt aber letztendlich beim Land Baden-Württemberg.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Darf ich nachfra-gen, ob die Bundesregierung die Auffassung des baden-württembergischen Landesjustizministers Goll teilt, dasssich Beamte, die illegal erworbene Daten zur Strafver-folgung nutzen – damit meint er die Daten auf entspre-chenden Steuer-CDs –, selbst strafbar machen?Hierzu möchte ich nur zur Illustration aus einer aktu-ellen Meldung der Stuttgarter Nachrichten zitieren:Sollte das Land die Daten kaufen, würden sich diebearbeitenden Beamten, die dann auf die Suchenach den Steuerflüchtigen gehen, strafbar machen.„Schon der Ankauf der Daten wäre strafbar“, sagtdazu ein erfahrener Jurist.So eine Expertise des baden-württembergischen Jus-tizministeriums. Darüber hinaus vertritt der Jurist dieAuffassung, es könne zu der Situation kommen,… dass baden-württembergische Staatsanwälte ge-gen baden-württembergische Finanzbeamte ermit-teln müssen. „Wir würden die Staatsanwaltschaftennicht daran hindern“, heißt es dazu aus Justizkrei-sen.Um Sie bei dieser Frage auf den aktuellen Stand zubringen, weise ich darauf hin, dass angeblich auch derPräsident des Staatsgerichtshofs von Baden-Württem-berg von einem Ankauf abrät.Kurzum – ich wiederhole es –: Teilt die Bundesregie-rung die Auffassung des Landesjustizministers, dass sichdie Beamten bei einer Verwendung der Daten strafbarmachen würden?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1963
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(D)
H
Herr Kollege Lange, die Bundesregierung ist der Auf-
fassung, dass im Rahmen des rechtlich Zulässigen alles
Mögliche getan werden muss, um Steuerhinterziehern
das Handwerk zu legen, um die Gleichmäßigkeit der
Besteuerung und die Steuergerechtigkeit auch bei Aus-
landssachverhalten herzustellen. Dies sind wir vor allem
den ehrlichen Steuerzahlern in unserem Land schuldig.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger
Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt, dass der
gleichmäßigen Durchsetzung der Steuerpflicht gegen-
über allen Bürgern nach dem Gleichheitssatz des Grund-
gesetzes ein herausragender Wert zukommt.
Bei Sachverhalten im Ausland stoßen die deutschen
Finanzbehörden hinsichtlich ihrer Ermittlungsmöglich-
keiten aber an ihre Grenzen. Wenn kein automatischer
Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden
der beiden Staaten erfolgt und die ausländischen Finanz-
behörden der deutschen Finanzverwaltung auch ander-
weitig keine Auskünfte über steuererhebliche Sachver-
halte erteilen, können unvollständige oder falsche
Angaben des deutschen Kapitalanlegers regelmäßig
nicht aufgedeckt werden. Der Ankauf von Daten ist in
diesen Fällen die Ultima Ratio, um Steuerhinterziehung
durch Kapitalanlagen in nicht auskunftsbereiten Län-
dern, wie zum Beispiel der Schweiz, aufdecken zu kön-
nen.
Ich weise noch einmal darauf hin, dass das Bundesmi-
nisterium der Finanzen dem zuständigen Finanzministe-
rium von Baden-Württemberg mitgeteilt hat, dass es den
Datenankauf im vorgetragenen Fall für rechtlich zulässig
hält.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte darauf hinweisen,
dass das nicht meine Frage war. Meine Frage war, ob Sie
die Auffassung teilen, dass sich – das ist die Position, die
das Landesjustizministerium von Baden-Württemberg
einnimmt – die Beamten, insbesondere die Finanzbeam-
ten, strafbar machen würden, wenn sie auf der Grund-
lage dieser Daten ermitteln, und dass das in der Tat die
Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns gefährden
würde.
H
Herr Kollege Lange, ich möchte an einen vorgelager-
ten Fall erinnern, und zwar an den LGT-Komplex,
Liechtenstein, wo es bereits einmal zum Ankauf solcher
Daten gekommen ist. Bislang sind in keiner Weise
Rechtsfolgen eingetreten, die der Bundesregierung An-
lass geben würden, davon auszugehen, dass sich in den
Fall LGT, Liechtenstein, involvierte Beamte in irgendei-
ner Weise strafbar gemacht hätten. Deshalb gehen wir
davon aus, dass das, was sich aus der Entscheidung im
Fall LGT, Liechtenstein, an Rechtsfolgen ergeben hat,
auch für gegenwärtig entschiedene oder in der Diskus-
sion befindliche Fälle gilt.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Dr. Lötzsch das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
es ist nicht das erste Mal, dass wir im Deutschen Bun-
destag darüber sprechen, dass die Steuerbehörden der
einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich handeln.
Zum Beispiel sind unter der Verantwortung des hessi-
schen Ministerpräsidenten Roland Koch – in Klammern:
CDU – sehr erfolgreiche, sehr engagierte Steuerfahnder
ins Aus gedrängt worden. Sollte die Bundesregierung
daher diese Vorfälle nicht zum Anlass nehmen, endlich
dafür zu sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland
eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung bekommt?
H
Verehrte Frau Kollegin Lötzsch, der Föderalismus ist
ein hohes Gut. Die Bundesregierung ist nicht der Auffas-
sung, dass bewährte Grundsätze des Föderalismus in
Deutschland aufgrund aktueller politischer Ereignisse
infrage gestellt werden sollten.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Mast
das Wort.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre bisherigen
Ausführungen.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mit den
rechtlichen Beurteilungen, die Sie als Staatssekretär im
Bundesfinanzministerium vornehmen, für die gesamte
Regierung und damit auch für das Bundesjustizministe-
rium sprechen?
H
Frau Kollegin, im Falle der Anfrage aus Baden-
Württemberg, aber auch in dem vorangegangenen Fall
– Nordrhein-Westfalen – und bei früheren Fällen ist der
Ablauf so, dass sich das betreffende Land an das Bun-
desfinanzministerium wendet. Das Bundesfinanzminis-
terium prüft dann und teilt dem Land gegebenenfalls
sein Einverständnis mit. Insofern handelt es sich um eine
Prüfung des Bundesfinanzministeriums.
Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege
Dr. Wiefelspütz.
Herr Staatssekretär, ich teile Ihre Auffassung, dass derAnkauf oder der Erwerb dieser Steuer-CD rechtlich un-bedenklich ist.
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1964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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(D)
Dr. Dieter WiefelspützIch will aber noch einmal nachhaken: Haben wir Sierichtig verstanden, dass die Bundesregierung der Auffas-sung ist, dass das Verhalten der handelnden Beamten inBaden-Württemberg dienstrechtlich rechtmäßig ist undsie bei ihrer Tätigkeit keinerlei strafrechtliches Risikoeingehen?H
Herr Kollege Wiefelspütz, diese Prüfung und Ent-
scheidung muss das Land Baden-Württemberg vorneh-
men. Wir als Bundesregierung prüfen, wenn uns ein
Land mit einem solchen Auslandssachverhalt konfron-
tiert, in jedem Einzelfall konkret, ob aus unserer Sicht
rechtliche Bedenken bestehen. Im Fall der Anfrage des
Finanzministeriums Baden-Württemberg haben wir mit-
geteilt, dass solche Bedenken aus unserer Sicht nicht be-
stehen. Die Entscheidung über den Ankauf und rechtli-
che Implikationen trifft letztendlich aber das zuständige
Bundesland.
Mir liegen zur dringlichen Frage 1 noch zwei Wort-
meldungen vor. Diese beiden Wortmeldungen lasse ich
noch zu. Danach kommen wir zur dringlichen Frage 2.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Höll.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, Sie
haben in Ihrer ersten Antwort ja auf den fehlenden auto-
matischen Informationsaustausch hingewiesen.
Erstens würde mich interessieren: Mit wie vielen
Staaten fehlt dieser automatische Informationsaustausch
noch?
Zweitens. Ist sichergestellt, dass der automatische In-
formationsaustausch – wenn es ihn gibt – nicht ins Leere
läuft? Denn um ihn verwirklichen zu können, sind ja je-
weils innerstaatliche Voraussetzungen notwendig, unter
anderem eine Registrierung der entsprechenden Banken
und Institutionen. Das ist ein wesentlicher Fakt, der
durch das OECD-Musterabkommen bisher auch nicht
gedeckt ist.
H
Frau Kollegin Höll, die Bundesregierung sieht in
Doppelbesteuerungsabkommen oder in bilateralen Ab-
kommen über den Datenaustausch in der Tat den richti-
gen Weg, um nicht auf den Ankauf von Daten angewie-
sen zu sein, wie das jetzt im Fall Baden-Württembergs
oder im nach unseren Prüfungen abgeschlossenen Fall
Nordrhein-Westfalens der Fall war.
Wir streben ein solches Doppelbesteuerungsabkom-
men mit automatisiertem Informationsaustausch mit der
Schweiz an. Die Verhandlungen laufen. Mit Liechten-
stein haben wir bereits ein Abkommen über den Aus-
tausch von Daten abgeschlossen – nicht in Form eines
Doppelbesteuerungsabkommens, sondern in Form eines
Abkommens, bei dem es um den Daten- und Informa-
tionsaustausch geht. Das muss noch ratifiziert werden.
Ich reiche Ihnen gerne nach, mit welchen Ländern wir
uns in entsprechenden Verhandlungen befinden und wie
der jeweilige Verhandlungsstand ist.
Die letzte Nachfrage zur dringlichen Frage 1 stellt die
Kollegin Zypries.
He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Ankauf dieser Steuer-CD ist rechtmäßig und
aufseiten des Landes – –
– Ja, okay, in diesem Fall. – Ich habe Sie aber so verstan-
den, dass das BMF im Fall Baden-Württembergs sagt:
„Ja, der Ankauf ist rechtmäßig“,
während das zuständige Ministerium in Baden-Württem-
berg sagt: „Es gibt hier doch erhebliche Bedenken“, um
nicht zu sagen: „Wir machen das nicht, weil wir das für
rechtswidrig halten.“
Ich frage mich jetzt, welche Überlegungen es im Bun-
desministerium der Finanzen dahin gehend gibt, die Ein-
heitlichkeit der Verwaltung sowie der Verfolgung von
Straftätern in Deutschland generell durchzusetzen. Er-
wägen Sie, hierzu einmal Gespräche zu führen, bei-
spielsweise auf dem Wege von Amtscheftreffen? Gibt es
irgendeinen Versuch, klarzumachen, dass das, was in
diesem Lande Recht ist, und die Verfolgung von Straftä-
tern nicht dem Gutdünken eines einzelnen Landesminis-
teriums ausgesetzt werden können?
H
Frau Kollegin, gemäß der föderalen Ordnung ist vor-gesehen, dass das betroffene Land am Schluss selberentscheidet. Sie wissen, dass die Rechtmäßigkeit dieserEntscheidung in bestimmten früheren Fällen – ich nennenoch einmal LGT, Liechtenstein, oder auch die Anfragedes Landes Nordrhein-Westfalen, hinsichtlich der dieBundesregierung ebenfalls positiv entschieden hat –nicht bezweifelt und auch gerichtlich nicht angezweifeltworden ist.Man muss allerdings auch sagen: Hierzu liegt nochkeine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Im Rah-men des Falles LGT, Liechtenstein, stellt sich jetzt dieFrage, ob das Bundesverfassungsgericht eine bestimmteBeschwerde annehmen wird. Das alles ist noch offen.Es gibt sicher die entsprechende Auffassung des Bun-desministeriums der Finanzen, die auch von einzelnenLändern – zum Beispiel vom Land Nordrhein-Westfa-len; siehe den Fall Liechtenstein und auch den jüngsten
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1965
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hartmut KoschykFall – geteilt wird. Selbstverständlich wird die Bundes-regierung bemüht sein – auch durch entsprechende Ge-spräche –, dieses Thema zum Beispiel im Rahmen vonFinanzministerkonferenzen aufzugreifen. Ich glaubezum Beispiel, dass auch die Finanzminister in Deutsch-land selbst ein Interesse daran haben, dass es bei solchenAuslandssachverhalten zu einer einheitlichen Praxis inDeutschland kommt.
Wir kommen jetzt zur dringlichen Frage 2 des Kolle-
gen Lange:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch das
zögerliche Verhalten der Landesregierung Baden-Württemberg
und durch eine eventuelle Uneinheitlichkeit des Verwaltungs-
handelns hinsichtlich des Ankaufs sogenannter Steuersünder-
CDs der Anspruch auf Durchsetzung von Steuergerechtigkeit
erheblich beschädigt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
H
Herr Kollege Lange, es muss im Rahmen des recht-
lich Zulässigen alles getan werden, um Steuerhinter-
ziehung zu bekämpfen und die Gleichmäßigkeit der
Besteuerung und die Steuergerechtigkeit auch bei Aus-
landssachverhalten herzustellen. Das Bundesministe-
rium der Finanzen steht deshalb in der Frage eines An-
kaufs sogenannter Steuersünder-CDs in engem Kontakt
mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass jeder Fall aufgrund seiner
individuellen Umstände eingehend zu prüfen ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Wiederho-
lung dieser Aussage. Deshalb frage ich nach: Wie würde
sich das Bundesfinanzministerium verhalten, falls das
Land Baden-Württemberg negativ entscheiden, also die
CD nicht ankaufen würde? Würden Sie dann intervenie-
ren? Falls ja, in welcher Form? Können Sie uns das dar-
stellen? Oder würden Sie gar selbst ankaufen?
H
Zum einen ist es, wie ich bereits gesagt habe, auch
nach unserer föderalen Ordnung Sache des jeweiligen
Bundeslandes, ob es sich für einen Ankauf entscheidet.
Das ist eine souveräne Entscheidung des Landes, die wir
zur Kenntnis zu nehmen haben. Zum anderen habe ich
schon ausgeführt, dass sich die Frage des einheitlichen
Vorgehens der Länderfinanzverwaltungen auch aus Sicht
der Bundesregierung stellt und dass wir deshalb auch in
diesen Fragen in ständigem Kontakt mit den Finanzbe-
hörden der Länder stehen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie kein Druckmit-
tel gegenüber den Landesverwaltungen haben oder ein-
setzen wollen, falls sie zu einem anderen Ergebnis kom-
men. Das heißt, Sie würden billigend in Kauf nehmen,
dass es eine unterschiedliche Verwaltungspraxis gibt und
im konkreten Fall in Baden-Württemberg im Gegensatz
zum Beispiel zu Nordrhein-Westfalen Steuersünder nicht
verfolgt würden.
H
Herr Lange, dass die Hoheitsrechte der Länder in
Deutschland unterschiedlich angewendet werden, hängt
auch mit dem Föderalismus zusammen. Ich sage noch
einmal: Die Entscheidung trifft jedes Land selbst. Es ist
eine souveräne Entscheidung, die jedes Land zu treffen
hat.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Friedrich das Wort.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie Berichte, dass
die CD, die in Baden-Württemberg in Rede steht, wohl
schon seit über einem Jahr dem Finanzministerium zur
Prüfung vorlag, und entsteht nicht allein durch diese
Zeiträume, von denen man ausgehen muss, eine Un-
gleichbehandlung in der Frage, wie schnell derartige
Prüfungen vorangetrieben werden?
H
Ich bitte Sie um Verständnis, dass die Bundesregie-
rung zu Medienberichten, die sie nicht bestätigen kann,
keine Stellung nimmt.
Der Kollege Dr. Wiefelspütz stellt die nächste Nach-
frage.
Li
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Von Flensburg bis zum Bodensee habenwir eine einheitliche Rechtsordnung. Wie man mit Steu-ersündern bzw. Steuerverbrechern umgeht, ist keineFrage des Föderalismus, sondern des geltenden Rechtsin Deutschland.Es ist einzuräumen und anzuerkennen, dass die Bun-desregierung in der Kontinuität eine, wie ich finde, über-zeugende Rechtsauffassung hat, was den Erwerb einersolchen Informations-CD angeht. Es kann aber nicht an-gehen, dass es in Deutschland unterschiedliche Prakti-ken gibt. Das ist ein elementares Problem für die Fragedes Rechtsfriedens in Deutschland und kann nicht mitVerweis auf den Föderalismus wegdiskutiert werden,Herr Staatssekretär.Die Bundesregierung muss dazu eine Auffassung ha-ben und hat, wie ich finde, an dieser Stelle auch die
Metadaten/Kopzeile:
1966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Dr. Dieter WiefelspützPflicht, für die einheitliche Anwendung von geltendemRecht einzutreten. Was tun Sie vor diesem Hintergrund?Bringen Sie bitteschön keine Ausreden mit Verweis aufden Föderalismus vor. Das ist nicht das Problem. Föde-ralismus heißt schließlich nicht, dass wir in Deutschlandmehrere Arten von Strafrecht und Steuerstrafrecht ha-ben.H
Herr Kollege Wiefelspütz, die Entscheidung, ob der-
artige Daten angekauft werden, muss jedes Bundesland
in jedem Einzelfall für sich treffen. Darauf hat die Bun-
desregierung keinen Einfluss.
Bevor ich für die nächste Nachfrage das Wort erteile,
weise ich darauf hin, dass ich es begrüße, wenn der Aus-
kunftsbedarf befriedigt wird. Das heißt aber, dass wir
uns in unseren Fragen zu konzentrieren versuchen, um
nachfolgenden Fragestellern auch die Möglichkeit zu ge-
ben, zu Wort zu kommen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Höll.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben geantwortet, dass
es sich um souveräne Entscheidungen der einzelnen
Bundesländer handelt, die das Bundesfinanzministe-
rium zur Kenntnis zu nehmen hat. Wie viele CDs insge-
samt wurden in den letzten zwei Jahren den einzelnen
Bundesländern angeboten? Ich gehe davon aus, dass,
wie Sie es erläutert haben, jeweils eine Anfrage an das
Finanzministerium gerichtet wurde. Wie viele von den
angebotenen CDs wurden bisher gekauft? Wie viele
Fälle von Steuerhinterziehung betrifft das? Kann man
sagen – ich weiß, die Bearbeitung der Fälle dauert eine
Weile –, welches Finanzvolumen den deutschen Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahlern zurücküberwiesen wird?
H
Verehrte Frau Kollegin, Sie werden verstehen, dass
ich diese umfassenden Fragen nicht in der Fragestunde
beantworten kann. Ich darf auf Folgendes hinweisen:
Die Bundesregierung erlangt erst dann Kenntnis von sol-
chen auslandsbezogenen Steuersachverhalten, wenn ein
Bundesland auf das Bundesfinanzministerium zukommt
und den Fall dem Bundesfinanzministerium zur Prüfung
vorlegt. Ich erinnere an den Fall LGT, Liechtenstein, ich
erinnere an den Fall in Nordrhein-Westfalen, den die
Bundesregierung vor kurzem positiv beantwortet hat,
und ich erinnere an den Fall, über den wir jetzt gerade
diskutieren. Über weitere Fälle kann ich hier keine Aus-
kunft geben, weil mir weitere Fälle nicht bekannt sind.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Schäfer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Staats-
sekretär Koschyk, hat die Bundesregierung eine zumin-
dest grobe Vorstellung davon, um welche Gesamtsumme
an Steuerhinterziehung es sich bei der angebotenen Steu-
ersünder-CD handelt?
H
Auch hierzu kann ich Ihnen keine Auskunft geben,
weil wir nicht die Gesamtauswertung der möglichen re-
levanten Daten von den Ländern bekommen; vielmehr
fragen uns die Länder, ob aus unserer Sicht das Vorge-
hen rechtlich in Ordnung ist. Um wie viele Auslands-
sachverhalte es sich jeweils handelt, wird von den
Ländern erhoben. Diese Erhebungen sind uns nicht zu-
gänglich.
Die vorletzte Nachfrage zur dringlichen Frage 2 stellt
die Kollegin Mast.
Herr Staatssekretär, ich würde gerne auf meine Frage
von vorhin zurückkommen, um herauszufinden, ob die
Position, die Sie heute darstellen, auch die Position des
Bundesjustizministeriums – Ihr Kollege sitzt neben Ih-
nen – ist. Ich möchte gerne wissen, ob beide Ministerien
die Position teilen, dass es sich um einen legalen Ankauf
der CD in Baden-Württemberg handelt und deshalb ei-
nem Kauf formaljuristisch nichts im Wege steht.
H
Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass das
Bundesfinanzministerium in eigener Zuständigkeit im
Benehmen mit dem jeweiligen Landesfinanzministerium
für sich prüft, ob in dem jeweiligen Einzelfall aus Sicht
der Bundesregierung rechtliche Bedenken bestehen oder
nicht. In dem betreffenden Fall von Baden-Württemberg
ist das Bundesfinanzministerium zur Auffassung gekom-
men, dass es keine rechtlichen Bedenken gibt.
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Reichenbach.
Wäre das Bundesfinanzministerium, da es selbst da-
von ausgeht, dass ein Ankauf rechtmäßig ist, denn im
Falle einer negativen Entscheidung des Landes Baden-
Württemberg seinerseits bereit, die CD zu kaufen, um
eine Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns herzustel-
len, zumal nicht von vornherein davon auszugehen ist,
dass sich alle auf der CD befindlichen Daten nur auf
Steuerstraftaten von Einwohnern des Landes Baden-
Württemberg beziehen?
H
Gemäß unserer föderalen Ordnung ist es nicht mög-lich, dass der Bund in diesem Fall losgelöst von einer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1967
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hartmut KoschykLandesfinanzverwaltung tätig wird. Das ist nur möglich,wenn eine Landesfinanzverwaltung tätig wird, auf denBund zugeht und mit dem Bund Einvernehmen über dierechtliche Beurteilung erzielt. Eine unmittelbare Bun-deszuständigkeit und operative Möglichkeiten des Bun-des sehe ich nicht.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die dritte dringliche Frage betrifft den Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beant-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen
Dr. Dieter Wiefelspütz auf:
Welche Eignungsfeststellungen haben dazu geführt, dass
die Leitung der Abteilung „Migration, Integration, Flücht-
linge, Europäische Harmonisierung“ im Bundesministerium
des Innern nach einem Bericht der Berliner Zeitung vom
22. Februar 2010 einer bisherigen Landesbeamtin übertragen
werden soll, die offenbar fast ausschließlich in der Zivil- und
Strafjustiz sowie der Justizverwaltung tätig war?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Wiefelspütz, ihre Qualifikation und Befähigung
hat Frau Hauser in langjähriger Verwaltungspraxis, zu-
letzt in ihrer Tätigkeit als Staatssekretärin im sächsi-
schen Justizministerium, unter Beweis gestellt. Bundes-
minister de Maizière ist von ihrer Eignung, Befähigung
und fachlichen Leistungsfähigkeit in hohem Maße über-
zeugt.
Lassen Sie mich etwas Persönliches hinzufügen: Ich
habe Ihren Lebenslauf vor mir liegen. Er ist dem Le-
benslauf der neuen Abteilungsleiterin ähnlich. Sie sind
ehemaliger Richter. Auch die neue Abteilungsleiterin
war Richterin. Insofern gehe ich davon aus, dass Ihre
Qualifikation und auch die Qualifikation von Frau
Hauser über jeglichen Zweifel erhaben sind.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bin beeindruckt von dieser Parallelität, Herr
Staatssekretär. Ich sehe nicht den geringsten Sachzusam-
menhang. Gleichwohl herzlichen Dank für die Beant-
wortung.
Es handelt sich ja um eine politische Beamtin kraft ih-
rer Einstufung als Abteilungsleiterin. Da auch für solche
Beamte der Grundsatz der Bestenauslese gilt und die
Stelle offensichtlich nicht ausgeschrieben wurde, frage
ich Sie, welcher Personenkreis in die Bestenauslese ein-
bezogen wurde. Ich gehe aber davon aus, dass ich nicht
zu denjenigen gehöre, die da einbezogen worden sind.
Also, Wiefelspütz können Sie gerne außen vor lassen.
D
Der Fachminister hat im Rahmen seiner Ressort-
hoheit auch die Personalhoheit und ist deshalb berech-
tigt, über eine solche Personalie, gerade bei politischen
Beamten, zu entscheiden.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Daran zweifelt ja niemand. Das war auch nicht meine
Frage, Herr Staatssekretär.
Finden Sie es nicht eigenartig, dass ausgerechnet eine
Person ohne migrationspolitische Fachkenntnisse besser
geeignet sein soll als die zahlreichen sehr befähigten
Fachleute für Migration und Integration im Bundes-
ministerium des Innern, wenn es um die Auswahl für
eine solch wichtige Stelle geht?
D
Es handelt sich hier um eine Führungsaufgabe. Es ist
absolut üblich, dass Führungskräfte in unterschiedlichen
Bereichen eingesetzt werden. Es muss Führungskräften
zugebilligt werden, sich in andere Fachbereiche einzuar-
beiten. Auch uns im Parlament ist es möglich, in anderen
Ausschüssen tätig zu sein als in den Ausschüssen, in de-
nen man vorher tätig gewesen ist. Gerade für eine ehe-
malige Richterin, die an unterschiedlichen Gerichten tä-
tig war, ist es eine Selbstverständlichkeit, fachlich dazu
in der Lage zu sein. Ich kann überhaupt nicht nachvoll-
ziehen, Herr Wiefelspütz, dass Sie, der Sie die gleiche
Qualifizierung haben, infrage stellen, dass jemand, der
eine solche Befähigung hat, in der Lage ist, eine solche
Position auszufüllen.
Eine Nachfrage stellt nun der Kollege Reichenbach.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben auf die Füh-
rungsfähigkeit als Qualifizierungsmerkmal und als Aus-
wahlmerkmal abgehoben. Finden Sie es nicht eigenartig,
dass diese Person in ihrer vormaligen Dienststelle in
Sachsen wegen ihres autoritären Führungsstils und der
vielfältigen Konflikte, die sie in ihrem Führungsbereich
hervorgerufen hat, infrage gestellt und heftig kritisiert
worden ist?
D
Lieber Herr Reichenbach, es ist hier nicht der richtigeOrt, um sich darüber auseinanderzusetzen, ob Vorwürfe,die in der Presse bezüglich einer Beamtin geäußert wur-den, wahr sind oder nicht. Die Öffentlichkeit, das Ple-num ist hierfür mit Sicherheit nicht der richtige Ort. Damüssten wir die Person der Fairness halber schon selbstbefragen. Ich glaube, dass Sie da sozialdemokratischeFairness walten lassen sollten. Sie sollten nicht über eine
Metadaten/Kopzeile:
1968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole SchröderPerson urteilen, die Sie persönlich nicht kennen. Auchkennen wir die Sachverhalte nicht. Natürlich ist es üb-lich, dass eine Führungsperson aneckt, dass es Kritik anihr gibt. Das ist alles eine Selbstverständlichkeit. Bisherwar es üblich, dass solche Personalien nicht hier im Ple-num diskutiert werden. Eine solche Diskussion ist nichtsinnvoll, wenn wir der Person einigermaßen gerechtwerden wollen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hofmann.
Se
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesinnen-
minister, der früher in Sachsen Minister war, hilft jetzt
der sächsischen Landesregierung, indem er in seinem
Haus eine ehemalige sächsische Staatssekretärin be-
schäftigt, die bisher dem sächsischen Haushalt auf der
Tasche lag. Diese Frau bekommt im Bundesinnenminis-
terium sozusagen einen Ausbildungsplatz, da sie etwas
völlig Fachfremdes macht.
Ist es nicht einfach so?
D
Diese Spekulation weise ich zurück. Das kann wirk-
lich nicht ernst gemeint sein. Es handelt sich um eine
wichtige Position innerhalb des Ministeriums. Sie ist mit
einer qualifizierten Person besetzt worden. Es ist absolut
üblich, dass Personen aus dem Landesdienst in den Bun-
desdienst wechseln.
Das Wort für eine weitere Nachfrage hat der Kollege
Hartmann.
Herr Staatssekretär, wir bleiben beim selben Sachver-
halt.
Ich stelle meine Frage bewusst abstrakt: Halten Sie es
grundsätzlich für richtig, eine Person zur Abteilungslei-
terin im Innenministerium zu machen, die erheblichen
Vorwürfen ausgesetzt ist, in anderer Funktion, als Staats-
sekretärin, Einfluss auf Verfahren ausgeübt zu haben?
D
Lieber Kollege Hartmann, Sie erwecken hier den Ein-
druck, dass die Person, die jetzt Abteilungsleiterin ge-
worden ist, etwas Unrechtes getan hat. Was Sie hier ma-
chen – solche Spekulationen hier im Plenum zu äußern –,
ist absolut unfair. Auch die Beamten haben ein Recht da-
rauf, fair behandelt zu werden. Ich bitte Sie, das zu be-
rücksichtigen.
Noch einmal: Diese Person ist absolut qualifiziert.
Das ist für jeden, mit bloßem Blick auf ihren Lebenslauf,
erkennbar. Wir sollten hier wirklich Fairness wahren und
keine Spekulationen gegenüber einer Person äußern, die
sich dagegen nicht wehren kann.
Zur letzten Nachfrage zu dieser Frage hat der Kollege
Beck das Wort.
Herr Staatssekretär, ich habe einem Zwischenruf der
SPD entnommen – das ist auch aus der Fragestellung er-
sichtlich –, dass es sich um eine bisherige Landesbeam-
tin handelt. Ist diese Person noch im Landesdienst?
Wenn sie nicht mehr im Landesdienst tätig gewesen ist,
bevor das Bundesinnenministerium sie bestellt hat, stellt
sich die Frage, aus welchen Gründen sie nicht mehr im
Landesdienst tätig war.
D
Lieber Herr Kollege Beck, noch einmal: Ich bin nicht
bereit, hier eine Personaldebatte über eine Beamtin zu
führen.
Diese Ernennung fällt in den Kompetenzbereich des
Bundesinnenministers. Es obliegt allein dem Innenmi-
nister, diese Position zu besetzen.
Es ist nicht Sache des Plenums, über eine Person zu spe-
kulieren, die sich gegen diese Spekulationen nicht weh-
ren kann.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und be-antwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen aufDrucksache 17/756 in der üblichen Reihenfolge auf.Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums des Innern. Zur Beantwortung steht uns weiter-hin der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder zurVerfügung.Die Frage 1 des Kollegen Martin Burkert wird schrift-lich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1969
(C)
(D)
Vizepräsidentin Petra PauIch rufe die Frage 2 der Kollegin Halina Wawzyniakauf:Ist der Bundesregierung bekannt, ob und, wenn ja, welcheEinheiten der Bundes- oder Landespolizeien bei den Blocka-den am 13. Februar 2010 in Dresden sogenannte Pepperball-Waffen mit sich führten und einsetzten?Bitte, Herr Staatssekretär.D
Es geht bei dieser Frage ganz konkret darum, welche
Einheiten der Bundes- oder Landespolizei solche „Waf-
fen“ – ich setze das Wort in Anführungsstriche, denn es
handelt sich hierbei nicht um Waffen, es sind Hilfsmittel
der körperlichen Gewalt – mitgeführt haben.
Die Bundesregierung nimmt zu polizeilichen Einsät-
zen im Verantwortungsbereich eines Landes keine Stel-
lung. Ebenso erteilt die Bundesregierung auch keine
Auskünfte über Ausstattungen der Länderpolizeien, die
von den Ländern beschafft werden. Ich kann Ihnen aber
mitteilen, dass die Bereitschaftspolizeien der Länder sei-
tens des Bundesministeriums des Innern nicht mit der in
Rede stehenden Technik ausgestattet wurden. Die Bun-
despolizei verfügt nicht über eine derartige Ausrüstung.
Keine Nachfragen?
Dann kommen wir zur Frage 3 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele. Die Beantwortung dieser Frage
wurde vom Bundesministerium des Innern an das Aus-
wärtige Amt übertragen. Deshalb kommen wir später da-
rauf zurück.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Axel Schäfer auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung die im Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und FDP verankerten Kriterien für
das SWIFT-Abkommen durchzusetzen, insbesondere den dort
festgeschriebenen Ratifizierungsvorbehalt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Falls es zu neuerlichen Verhandlungen zwischen der
EU und den USA kommt, wird sich die Bundesregierung
für die im Koalitionsvertrag aufgeführten Ziele einset-
zen. Ein solches Abkommen würde wie das bereits
gescheiterte Interimsabkommen einen zweiphasigen
Vertragsschluss vorsehen, nach dem nicht bereits Unter-
zeichnung zum Abkommensschluss führt. Bei der Unter-
zeichnung bliebe die bindende Annahme, also die Ratifi-
zierung, durch eine nachfolgende Erklärung vorbehalten.
Für diese Ratifizierung wären die internen Verfahren
durchzuführen. Insbesondere wäre wiederum die Zu-
stimmung des Europäischen Parlaments einzuholen. Ob
auch eine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erfor-
derlich sein wird, hängt von der konkreten inhaltlichen
Ausgestaltung des auszuhandelnden Abkommens ab.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Lieber Kollege Schröder, Herr Staatssekretär, wird
die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erneut
Einfluss auf Mitglieder des Europäischen Parlamentes
nehmen, damit man zu einer entsprechenden Entschei-
dung kommt?
D
Zunächst einmal haben die Mitglieder des Europäi-
schen Parlaments absolut autark abgestimmt. Wie Sie
wissen, hat das Europäische Parlament ja gegen dieses
Abkommen gestimmt. Insofern kann hier nicht von einer
Einflussnahme der Bundesregierung ausgegangen wer-
den.
Vielmehr haben sie absolut autark abgestimmt. Insofern
weise ich diese Spekulation zurück.
Ihre zweite Nachfrage, bitte. – Sie verzichten. Dann
hat der Kollege Montag das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich
habe den Beginn Ihrer Antwort auf die schriftliche Frage
so verstanden, dass Sie sie unter den Vorbehalt gestellt
haben: falls es zu neuen Verhandlungen über ein neues
Abkommen zwischen der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten von Amerika über die SWIFT-Daten
komme. Ist das so zu verstehen, dass diese Verhandlun-
gen noch gar nicht begonnen haben bzw. noch nicht in
Aussicht gestellt wurden, dass die Bundesregierung von
neuen Verhandlungen noch gar nichts weiß? Nach unse-
rem Kenntnisstand war von vornherein beabsichtigt, den
jetzigen Zustand vorbehaltlich der Parlamentsabstim-
mung, die dann anders ausgegangen ist, sowieso nur vor-
läufig zu händeln und unmittelbar und sofort mit den
Verhandlungen für das nächste Abkommen zu beginnen.
Noch einmal konkret meine Frage: Weiß die Bundes-
regierung nichts von solchen neuen Verhandlungen?
Sind sie noch nicht begonnen worden? Welche Position
vertreten Sie dazu?
D
Die Präsidentschaft und die Kommission sind ja da-von ausgegangen, dass das Interimsabkommen in Krafttritt, dass das Interimsabkommen nach sechs Monatenevaluiert wird und dass dann auf Grundlage dieser Eva-luation ein endgültiges Abkommen abgeschlossen wird,das heißt, dass während der Laufzeit des Interimsabkom-mens über ein endgültiges Abkommen verhandelt wird.Jetzt ist das Interimsabkommen gescheitert. Dem Bun-
Metadaten/Kopzeile:
1970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröderdesministerium des Innern war es extrem wichtig, dassdas Europäische Parlament selbst darüber entscheidetund auch die Möglichkeit bekommt,
dieses Interimsabkommen zu stoppen. Der Bundes-innenminister war derjenige, der in der Ratssitzung ex-plizit darauf aufmerksam gemacht hat, dass schon beidiesem Abkommen sozusagen in Vorwirkung der Ver-trag von Lissabon Anwendung findet. Das heißt, dassder Vorwurf, der hier immer im Raum stand, dass derRat das Abkommen so abgeschlossen habe, dass das Eu-ropäische Parlament gerade nicht mehr zustimmen muss,absolut haltlos ist. Denn der Rat hat, auf Drängen desBundesinnenministers, letztendlich dafür gesorgt, dassdas Europäische Parlament die Möglichkeit hat, diesesInterimsabkommen zu stoppen.
Nun haben wir, wie gesagt, eine völlig neue Situation.Die Europäische Kommission muss jetzt ein neues Ver-handlungsmandat präsentieren. Dieses war ursprünglichfür heute vorgesehen; es ist aber nicht erfolgt. Morgensteht das SWIFT-Abkommen in Brüssel im Rat auf derTagesordnung. Dort geht es zunächst einmal darum, dasssich der Rat eine Meinung bildet. Es kann also nochnicht die Rede davon sein, dass es schon zu einem neuenVerhandlungsmandat kommt. Nach dem Rat wird sichauch die Kommission eine Meinung bilden. Dann kannein Verhandlungsmandat erteilt werden.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege
Reichenbach.
Ich nehme Bezug auf Ihre Antwort auf die Frage des
Kollegen Montag. Bei der Debatte im Deutschen Bun-
destag zu SWIFT haben sowohl die FDP-Fraktion, of-
fensichtlich auch für ihre Justizministerin, als auch der
Minister selbst erklärt, dass man umgehend in Verhand-
lungen treten werde, um die in dem jetzigen Abkommen
nicht vorhandenen Datenschutzstandards bei der Verlän-
gerung des Abkommens, die in einem halben Jahr an-
steht, implementieren zu können. Entnehme ich Ihrer
Aussage richtig, dass dies zwar erklärt wurde, dass aber
anschließend nichts geschehen ist?
D
Das Interimsabkommen ist nicht in Kraft getreten.
Seitdem das Europäische Parlament dieses Abkommen
abgelehnt hat, gab es keinen offiziellen Rat mehr. Der
Europäische Rat der Innen- und Justizminister tritt mor-
gen das erste Mal wieder zusammen und wird über das
Thema beraten und sich eine Meinung bilden. Insofern
kann von einem Zeitverzug, wie Sie ihn hier behaupten,
überhaupt nicht die Rede sein.
Die vorletzte Nachfrage stellt der Kollege Sarrazin.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Staatssekre-
tär, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit. Ich
habe dazu heute Morgen auf der Titelseite der Bunten ein
wunderschönes Bild gesehen. Das freut uns natürlich
alle.
Man sollte jedoch – um im Bild zu bleiben – die Art
von Ehrlichkeit, die man vor dem Standesbeamten hat,
auch hier walten lassen. Wir wissen schließlich alle, dass
der Rat seinen Beschluss vor dem Inkrafttreten des Ver-
trags von Lissabon gefasst hat und erst, nachdem der
Zeitplan längst klar war, deutlich wurde, dass jetzt doch
das EP zustimmen muss. Wollen Sie diesen Ablauf in-
frage stellen – so haben Sie es hier dargestellt –, oder
würden Sie mir bezüglich dieser Tatsachen zustimmen?
Meine zweite Frage ist – –
Kollege Sarrazin, Sie dürfen nur eine Frage stellen.
Okay. Dann frage ich jetzt noch ganz kurz: Sie haben
dargestellt, dass die Bundesregierung bisher keine Mei-
nung habe. Herr Schäfer hat zu Recht gesagt, dass die
Europaabgeordneten von der Bundesregierung in Einzel-
gesprächen beeinflusst worden seien. In welche Rich-
tung wurden sie denn beeinflusst: Ging das in Richtung
Enthaltung, Ablehnung oder Zustimmung? Vielleicht
können wir daraus schließen, was Sie morgen vorhaben.
D
Lieber Herr Kollege, ich muss Ihre Behauptung, dassdas Bundesinnenministerium das Europäische Parlamentvon der Mitbestimmung ausschließen wollte, noch ein-mal zurückweisen. Das Gegenteil war der Fall. Ich warbeim Rat der Justiz- und Innenminister in Brüssel anwe-send, und da war es der Bundesminister des Innern, derexplizit darauf gedrungen hat, dass das Europäische Par-lament nach dem neuen Vertrag von Lissabon die Mög-lichkeit erhalten muss, über das Interimsabkommen ab-zustimmen. Der Justizdienst der Kommission hat dazuStellung genommen und deutlich gemacht, dass das Eu-ropäische Parlament auch nach Meinung des Rates dieMöglichkeit der Mitbestimmung haben muss. Insofernist Ihre Behauptung schlichtweg falsch, dass wir als Re-gierung das Europäische Parlament in irgendeiner Artund Weise ausschließen wollen.Zu Ihrer nächsten Frage, die auch in eine Behauptunggekleidet war, wir wüssten nicht, in welche Richtung wirüberhaupt verhandeln: Wir haben immer darauf gedrun-gen, dass der Datenschutzstandard möglichst hoch ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1971
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole SchröderLetztendlich haben wir uns beim SWIFT-Abkommenenthalten, weil wir gesagt haben: Der Datenschutzstan-dard entspricht nicht dem Standard, den wir auf bundes-deutscher Ebene gewohnt sind; wir wollen einen höhe-ren Standard. Wir haben uns in Abwägung, dass wir,falls das SWIFT-Abkommen gar nicht in Kraft tritt, beider Abfrage von Daten in den Vereinigten Staaten über-haupt keinen Datenschutz haben, dazu entschieden. Wirhalten den Zustand ohne SWIFT-Abkommen fürschlechter als den Zustand mit SWIFT-Abkommen undsind der Meinung, dass dieses Abkommen einen höherenDatenschutz für europäische Daten in den VereinigtenStaaten sicherstellt.
Die letzte Nachfrage zur Frage 4 stellt der Kollege
Dr. Wiefelspütz.
Wir hatten es mit einem bemerkenswerten Vorgang zu
tun, Herr Staatssekretär: Die Justizministerin war gegen
SWIFT,
der Bundesinnenminister hat sich im Ministerrat kraft-
voll enthalten, und jetzt ist kraft der parlamentarischen
Entscheidung in Brüssel SWIFT zunächst einmal ge-
scheitert. Nun darf man vermuten, dass es bald erneute
Verhandlungen geben wird. Was ist denn jetzt die Posi-
tion der Bundesregierung? Gibt es eine Präzisierung der
datenschutzrechtlichen Position der Bundesregierung in
Sachen SWIFT? Gibt es eine zwischen Ihrem Haus und
dem Hause Leutheusser-Schnarrenberger abgestimmte
Haltung? Wird es wieder Chaos geben? Wie ist die da-
tenschutzrechtliche Position der Bundesregierung in Sa-
chen SWIFT, wenn es in Brüssel zur Sache geht?
D
Lieber Herr Kollege, zunächst einmal stelle ich fest,
dass von SPD-Finanzminister Steinbrück eine einseitige
Zusicherung der Vereinigten Staaten von Amerika, dass
die SWIFT-Daten in Amerika sicher seien und es zu kei-
nen datenschutzrechtlichen Problemen komme, begrüßt
und diese einseitige Zusicherung als großer datenschutz-
rechtlicher Erfolg angesehen wurde. Eine einseitige Er-
klärung der Vereinigten Staaten von Amerika hat dem
SPD-Finanzminister ausgereicht.
Die neue Bundesregierung, insbesondere mit der
kraftvollen Unterstützung der Justizministerin, hat in
den wenigen Wochen, die uns noch zur Verfügung stan-
den, weil sich die Regierung erst vor sehr kurzer Zeit
überhaupt etabliert hatte und verhandeln konnte, enorm
viel herausverhandelt, insbesondere, dass die SEPA-Da-
ten herausgenommen wurden und noch einmal die Rege-
lungen zum Rechtsschutz verbessert wurden.
Natürlich werden wir bei den neuen Verhandlungen,
wenn es denn zu solchen Verhandlungen kommt – wir
wissen überhaupt nicht, ob die Amerikaner jetzt an
neuen Verhandlungen interessiert sind –, die Interessen,
die wir als Regierung schon bei den ersten Verhandlun-
gen verfolgt haben, wiederum verfolgen. Dies ist ein
möglichst umfassender Datenschutz für die Bürgerinnen
und Bürger. Das bedeutet, dass wir nach Möglichkeit in-
dividuellen Rechtsschutz brauchen. Es bedeutet bei-
spielsweise, dass die Möglichkeit, die Daten an Dritte
weiterzuleiten, eingeschränkt werden muss, und es be-
deutet natürlich auch, dass die Auswahl, wann denn Da-
ten aus Europa vom SWIFT-Server nach Amerika wei-
tergeleitet werden, nach möglichst engen Kriterien
getroffen wird.
Diese Ziele haben wir immer verfolgt, und sie werden
wir natürlich auch bei weiteren Verhandlungen verfol-
gen. Das Problem ist nur, dass die Bundesregierung die
Verhandlungen nicht führt. Vielmehr werden diese Ver-
handlungen von der Kommission zusammen mit der
Ratspräsidentschaft geführt, und wir sind auch nicht al-
lein, sondern wir sind 27 Mitgliedstaaten. Deshalb ist die
Auffassung der Bundesregierung nicht allein maßgeb-
lich. Nichtsdestotrotz werden wir selbstverständlich
auch bei den Vorbereitungen zu diesen Verhandlungen
das Ziel, ein möglichst hohes datenschutzrechtliches Ni-
veau zu erreichen, weiterverfolgen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass sich die nachfol-
genden Fragen 5 bis 11 ebenfalls mit dem SWIFT-Ab-
kommen beschäftigen, also eventuell bestehender Nach-
fragebedarf sicherlich auch entsprechend aufgelöst
werden kann.
Ich rufe nun die Frage 5 des Kollegen Axel Schäfer
auf:
Inwiefern wird die Bundesregierung darauf hinwirken,
dass die Ablehnung des SWIFT-Abkommens im Europäi-
schen Parlament nicht durch bilaterale Abkommen umgangen
wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments istfür die Willensbildung der Europäischen Union von Be-deutung. Das Europäische Parlament wirkt nicht an dermitgliedstaatlichen Willensbildung mit. Falls ein Mit-gliedstaat im Bereich geteilter Zuständigkeit zu einemvom Europäischen Parlament abweichenden Ergebnisgelangt und seine nationalen Kompetenzen ausübt, liegtkeine Umgehung der Kompetenzen des EuropäischenParlaments vor. Auch dem Deutschen Bundestag bliebees frei, ein Gesetz zu einer Materie zu erlassen, zu derein Rechtsakt der EU mangels Zustimmung des Europäi-schen Parlaments nicht zustande gekommen ist. Dies giltebenso für die Vertragskompetenz der hier betroffenenMitgliedstaaten Belgien und die Niederlande.Der Bundesregierung liegen allerdings keine Hin-weise vor, dass Belgien oder die Niederlande bilateraleSWIFT-Abkommen mit den USA planen. Dabei würdees sich um souveräne Entscheidungen dieser Staatenhandeln, auf die die Bundesregierung keinen Einflusshat. Die Bundesregierung geht allerdings davon aus,
Metadaten/Kopzeile:
1972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröderdass Belgien und die Niederlande ihrerseits vorrangig aneiner europäischen Lösung interessiert sind.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Herr Kollege Schröder, Herr Staatssekretär, ist es zu-
treffend, dass Sie in Ihrer ersten Antwort ausgeführt ha-
ben, dass die Bundesregierung keinen Einfluss auf die
Meinungsbildung des Europäischen Parlaments genom-
men hat? Mir haben Kollegen aus dem Europäischen
Parlament, MdEPs der CDU/CSU-Gruppe, gesagt – na-
türlich vertraulich, deshalb werde ich das auch nicht
wiederholen, sonst kann man nicht mehr vertraulich mit-
einander reden –, dass es eine Reihe von persönlichen
Gesprächen seitens der Bundesregierung gegeben hat,
um sicherzustellen, dass es im Europäischen Parlament
– am vorletzten Donnerstag – nicht zu einer ablehnenden
Haltung kommt.
D
Natürlich kommt es zu Gesprächen zwischen Mitglie-
dern des Europäischen Parlamentes und Mitgliedern der
Bundesregierung. Das ist bei einem so wichtigen Thema
selbstverständlich, schon allein, um sich fachlich auszu-
tauschen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Beden-
ken Sie, dass das Europäische Parlament dem SWIFT-
Abkommen nicht zugestimmt hat.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Um das zu präzisieren, Herr Kollege Schröder, Herr
Staatssekretär: Hat sich die Bundesregierung erfolglos
dahin gehend bemüht, zumindest die mir bekannten Kol-
legen der CDU/CSU-Gruppe in der EVP-Fraktion des
Europäischen Parlaments dazu zu bewegen, dass sie im
Europäischen Parlament dem Abkommen zustimmen
und es nicht, wie dann geschehen, ablehnen?
D
Diese Frage kann ich mit Nein beantworten. Es wäre
interessant, zu wissen, welche Personen Sie überhaupt
meinen.
Ihre Äußerungen sind reine Spekulation. Natürlich
kommt es zu Gesprächen, das ist doch selbstverständ-
lich. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments wen-
den sich im Übrigen auch an das Bundesministerium des
Innern, um fachliche Expertisen zu erhalten, die wir
selbstverständlich auch herausgeben.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Ihre Antworten auf die Fragen ergeben meines Erach-
tens kein schlüssiges Bild. Deshalb möchte ich nach der
Verhandlungsstrategie der Bundesregierung im Falle
neuerlicher Verhandlungen fragen. Sie haben deutlich
gemacht, dass Sie einerseits höhere datenschutzrechtli-
che Standards durchsetzen wollen, andererseits haben
Sie sich in Brüssel anders verhalten. Durch Ihre Enthal-
tung haben Sie signalisiert, dass es nicht so schlimm ist,
wenn die Standards nicht eingehalten werden.
Mit welcher Strategie wollen Sie deutlich machen,
dass für Sie als Bundesregierung die Forderungen eine
Voraussetzung dafür sind, dass Sie neuerlich zustim-
men? Gibt es klare Kriterien, die die Bundesregierung
für die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kom-
mission und den Vereinigten Staaten von Amerika mit
auf den Weg gibt? Unter welchen Bedingungen ist die
Bundesregierung bereit, im Ministerrat zuzustimmen?
Unter welchen Bedingungen kann sie ihre Zustimmung
nicht in Aussicht stellen? Nachdem Sie sich schon ein-
mal enthalten haben, ist es völlig unglaubwürdig, wenn
Sie jetzt, ohne das klar zu formulieren, sagen, dass Sie
das ernsthaft voranbringen wollen. Dann ist das nur
weiße Salbe, damit Ihnen Max Stadler, der neben Ihnen
sitzt, nicht vom Stuhl springt.
D
Lieber Herr Kollege Beck, Sie machen den Fehler,dass Sie davon ausgehen, dass das Rechtsschutzniveauhinsichtlich des Datenschutzes höher ist, wenn dasSWIFT-Abkommen nicht zustande kommt. Wir sind an-derer Auffassung. Das SWIFT-Abkommen ist nicht dieRechtsgrundlage für die Übermittlung der Daten, son-dern das Rechtshilfeabkommen. Das SWIFT-Abkom-men hebt das datenschutzrechtliche Niveau in den Verei-nigten Staaten von Amerika und verbessert denbisherigen Rechtszustand, der nur eine einseitige Erklä-rung der Amerikaner, dass die Daten sicher sind, zurGrundlage hat.Sie gehen von einer falschen Prämisse aus. Ihrer Mei-nung nach ist es ohne SWIFT-Abkommen besser als mitSWIFT-Abkommen. Wir sind zu der Auffassung gekom-men, dass es mit SWIFT-Abkommen ein höheres daten-schutzrechtliches Niveau gibt, auch wenn das daten-schutzrechtliche Niveau letztendlich hätte höher seinmüssen. Das Problem ist aber, dass wir in den Vereinig-ten Staaten von Amerika eine völlig andere Rechts-ordnung und ein anderes Rechtssystem bezüglich desDatenschutzes haben. Für die amerikanische Rechtsord-nung stellt es keinen Eingriff in das Recht auf informa-tionelle Selbstbestimmung dar, wenn ein Datum elektro-nisch weitergeleitet oder elektronisch abgespeichert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1973
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröderwird. Das ist anders als in unserer Rechtsordnung. Dieamerikanische Rechtsordnung kennt einen ausgeprägtenindividuellen Rechtsschutz, wie wir ihn kennen, ebennicht. Deshalb gehen wir von völlig unterschiedlichendatenschutzrechtlichen Niveaus aus. Wenn wir mit denAmerikanern zusammenarbeiten wollen, müssen wir na-türlich verhandeln und uns in der Mitte treffen.Die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung istklar: Wir sprechen uns dafür aus, dass es zu einem be-reichsspezifischen Datenschutz kommt. Darüber sindwir uns mit dem Bundesministerium der Justiz völlig ei-nig. In diese Richtung zielen wir auch, wenn wir versu-chen, unseren Einfluss auf europäischer Ebene geltendzu machen. Wir setzen uns dafür ein, dass der Rat bzw.die Präsidentschaft des Rates und die Kommission ent-sprechend verhandeln.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Dr. Eva Högl auf:
Wann ist mit der Vorlage eines Entwurfes für das nun neu
zu verhandelnde sogenannte SWIFT-Abkommen zu rechnen,
und bis wann soll dieses abgeschlossen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Frage bezieht sich auf das, was wir eben schon
besprochen haben. Die Antwort lautet: Der Bundesregie-
rung liegen hierzu keine Informationen vor. Wie ich be-
reits gesagt habe, geht es nicht um einen Entwurf – in
dieser Phase sind wir noch lange nicht –, sondern es geht
zunächst einmal um ein Verhandlungsmandat. Darüber
wird in den nächsten Wochen auf europäischer Ebene
diskutiert werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Es geht natür-
lich um genau dieses Verhandlungsmandat. Sie haben
eben gesagt, dass Sie darüber zunächst im Rat beraten.
Nach unserer Information entwirft die Kommission ein
solches Verhandlungsmandat und legt es dann dem Rat
vor. Deshalb meine Nachfrage: Wer legt vor? Beraten
Sie zunächst im Rat, oder legt die Kommission vor? Ich
kombiniere das mit der Frage: Wird sich das neue Man-
dat, der neue Entwurf der Kommission inhaltlich we-
sentlich von dem unterscheiden, was bisher in dem Ab-
kommen stand?
D
Die Kommission legt einen Vorschlag für ein solches
Mandat vor. Der Rat kann das natürlich auch tun. Wir
sind jetzt in der Phase der Meinungsbildung. Insofern ist
es reine Spekulation, wenn man darüber spricht, was für
ein Mandat am Ende dabei herauskommt. An solchen
Spekulationen kann ich mich wirklich nicht beteiligen.
Ich möchte die Verhandlungen morgen abwarten.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich glaube, das ist alles andere als
Spekulation. Sie haben eben vorgetragen, welche Posi-
tionen die Bundesregierung verankert sehen möchte.
Das kann man auch dem Koalitionsvertrag entnehmen.
Wenn ich jetzt frage: „Was erwarten Sie, was in diesem
Mandat stehen wird?“, dann frage ich natürlich auch da-
nach, wie Sie gewährleisten wollen, dass sich Ihre Posi-
tion, die Sie hier vorgetragen haben – besseren Daten-
schutz verankern –, in einem neuen Mandatsentwurf
widerspiegelt. Ich darf daran erinnern, dass sich diese
Position der Bundesregierung bei der Beratung des Rates
vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages gerade nicht im
Mandat und im Entwurf für ein Abkommen wiederge-
funden hat. Deswegen wollen wir jetzt – ich knüpfe an
die Fragen meiner Kolleginnen und Kollegen an – wis-
sen, wie Sie das sicherstellen.
D
Wie wir das sicherstellen, ist klar, nämlich indem wir
gut verhandeln. Das Mandat ist das eine, aber das Ver-
handlungsergebnis ist viel wichtiger. Das Mandat muss
natürlich auch mit dem Europäischen Parlament abge-
stimmt werden. Danach kommt es zu Verhandlungen.
Ob die Amerikaner neu verhandeln wollen, ist völlig of-
fen. Wir sind wirklich in einer frühen Phase. Jetzt schon
zu wissen, was am Ende herauskommt, ist schlichtweg
nicht möglich.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Volker
Beck das Wort.
Ich frage die Bundesregierung, ob auch das Bundes-
justizministerium der Auffassung ist, dass jedes SWIFT-
Abkommen eine Verbesserung des Datenschutzes dar-
stellt und deshalb von der Bundesregierung in Aussicht
gestellt wird, faktisch jedem Entwurf für ein SWIFT-Ab-
kommen zuzustimmen, da dies ja einen Fortschritt für
den Datenschutz darstellen würde. Oder hat das Bundes-
justizministerium hierzu eine andere Auffassung als die,
die uns der Staatssekretär des Innenministeriums eben
deutlich gemacht hat? Ich wäre auch einverstanden,
wenn der Staatssekretär des Justizministeriums darauf
antwortet.
D
Lieber Herr Kollege Beck, selbstverständlich werdenwir nicht jedem SWIFT-Abkommen zustimmen. DasSWIFT-Abkommen, das ausverhandelt war und vom Eu-ropäischen Parlament abgelehnt wurde, hätte die Rechts-sicherheit erhöht. Deshalb wäre dadurch auch der Daten-schutz verbessert worden. Aber nicht jedes Abkommenerhöht automatisch den Datenschutz. Entscheidend ist,
Metadaten/Kopzeile:
1974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröderdass man sich das Verhandlungsergebnis am Ende genauansieht.
Die Bundesregierung entscheidet – Kollege Beck, Sie
sind doch ein erfahrener Parlamentarier –, wer auf die
Fragen antwortet.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Dr. Eva Högl auf:
Wann und wie plant die Bundesregierung das Europäische
Parlament und den Deutschen Bundestag in ihre Positionie-
rung zur Neuverhandlung einzubeziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Antwort hierzu lautet: Der Deutsche Bundestag
wird gemäß dem Gesetz über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union beteiligt, sobald die
EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Verhandlungs-
mandat vorgelegt hat. Der Rat hat diesen Vorschlag von
der Kommission noch für Februar erbeten. Das Europäi-
sche Parlament wird nicht durch die Bundesregierung,
sondern auf EU-Ebene, also durch den Rat, beteiligt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank. – Ich stelle zu-
nächst eine Nachfrage zur Beteiligung des Deutschen
Bundestags. Sie sagten, die Sitzung des Rates in Brüssel
stehe unmittelbar bevor. Da es dort einen ersten Mei-
nungsaustausch geben wird, möchte ich darauf hinwei-
sen: Es hätte bereits Gelegenheit gegeben, den Bundes-
tag frühzeitig zu beteiligen. Ich möchte daher gerne ein
paar mehr Informationen darüber haben, wie Sie sich das
Ganze von der Zeitschiene her vorstellen, und möchte
keine unverbindliche Auskunft mit Verweis auf das Ge-
setz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und
Bundestag, das mir selbstverständlich sehr gut bekannt
ist.
D
Ich habe bereits heute Morgen im Innenausschuss er-
klärt, dass die Kommission ein neues Vertragsmandat
vorgelegt hat. Ich habe im Zusammenhang mit dem Vor-
bericht für die Sitzung des Rates, die morgen stattfindet,
erläutert, dass die Verhandlungen über das SWIFT-Ab-
kommen auf der Tagesordnung stehen. Insofern haben
wir alles dafür getan, dass der Bundestag möglichst früh-
zeitig informiert ist.
Ansonsten verhält es sich eben genauso, wie es in
§§ 6 und 7 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Bundestag vorgesehen ist, dass
nämlich der Bundestag entsprechend informiert wird,
wenn die Dokumente bei der Bundesregierung ankom-
men.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsse-
kretär, ich stelle noch eine Frage zum Europäischen Par-
lament, die nicht ganz unwesentlich ist. Der Rat hat den
Beschluss zum SWIFT-Abkommen einen Tag vor dem
Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages gefasst – dieser
Umstand ist bekannt – und damit verhindert – das wider-
spricht Ihrer Darstellung –, dass das Europäische Parla-
ment im Vorfeld der Verhandlungen zu diesem Abkom-
men umfassend einbezogen werden konnte. Das führte
dazu, dass das Parlament nur noch Ja oder Nein sagen
konnte. Insofern weicht Ihre Darstellung von dem tat-
sächlichen Sachverhalt etwas ab.
Deswegen stelle ich jetzt noch einmal die Frage: Wie
sorgen Sie als Bundesregierung dafür – darauf haben Sie
im Rat ganz maßgeblich Einfluss; das haben wir Ende
November 2009 gesehen –, dass das Europäische Parla-
ment frühzeitig und umfassend in die Beratungen einbe-
zogen wird? Denn das Parlament hat ja klar Position be-
zogen: Es hat das Abkommen nicht nur abgelehnt,
sondern auch gesagt, was es sich inhaltlich wünscht, was
in einem neuen Abkommen stehen soll.
D
Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, das Euro-
päische Parlament zu informieren. Die Bundesregierung
informiert den Bundestag, und die europäischen Gre-
mien informieren sich untereinander. Natürlich können
wir darauf hinweisen – das ist eine Selbstverständlich-
keit –, dass der Rat und die Kommission das Europäi-
sche Parlament mit einbeziehen. Es gab vorher keine
Möglichkeit, das Europäische Parlament entsprechend
mit einzubeziehen, weil der Vertrag von Lissabon noch
nicht in Kraft war. Wir haben bereits alles dafür getan,
dass das Europäische Parlament überhaupt darüber ab-
stimmen konnte. Das war nicht selbstverständlich, weil,
wie gesagt, der Ratsbeschluss einen Tag vor Inkrafttre-
ten des Vertrages von Lissabon erging.
Insofern sage ich noch einmal: Es ist dem Nachdruck
des Bundesministeriums des Innern zu verdanken, dass
das Europäische Parlament darüber abstimmen konnte.
Natürlich wird ein Parlament nicht unmittelbar an den
Verhandlungen beteiligt, sondern an der Formulierung
des Verhandlungsmandats. Es wird verhandelt, und dann
wird auf nationaler bzw. auf europäischer Ebene entspre-
chend umgesetzt.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege ManuelSarrazin.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1975
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Herr Kollege Schröder, jetzt habe
ich gerade über den Ticker die Meldung gelesen, dass
die Kommission tatsächlich einen Entwurf vorgelegt hat.
Sie haben ja gerade gesagt, dass, sobald die Kommission
einen Entwurf vorgelegt hat, der Bundestag unterrichtet
wird. Wenn Sie sich jetzt noch nicht imstande sehen, hier
mit uns einzelne Details dessen zu besprechen, worauf
die Bundesregierung Einfluss nehmen möchte – das
fände ich gut, weil Sie gesagt haben, dass Sie inhaltlich
durchaus Einfluss nehmen wollen –: Können Sie viel-
leicht zumindest schon etwas zum Verfahren sagen, wie
wir jetzt unterrichtet werden, wann wir als Parlament die
Position der Bundesregierung erfahren, um daraufhin
gegebenenfalls als Parlament eine Stellungnahme vorzu-
bereiten?
D
Unmittelbar, das heißt in der Regel einen Tag nach-
dem der Rat ein EU-Dokument in der ZEUS-Datenbank
veröffentlicht hat, übersendet das Bundesministerium für
Wirtschaft das Dokument elektronisch im Rahmen der
förmlichen Zuleitung mit einem formalisierten Zulei-
tungsschreiben an den Deutschen Bundestag. Das Zulei-
tungsschreiben enthält, wie Sie wissen, unter anderem
Angaben zum wesentlichen Inhalt des Dokuments, zur
Rechtsgrundlage, zum Erscheinungsdatum in deutscher
Sprache sowie zum zuständigen Ressort. Gleichzeitig,
das heißt am selben Tag, wird das zuständige Ressort
vom BMWi aufgefordert, gemäß § 7 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deut-
schem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen
Union binnen zwei Wochen nach förmlicher Zuleitung
einen Bericht an das BMWi zu senden.
Nach Vorlage des Berichts erfolgt von dort unverzüg-
lich die Weiterleitung an das Europa-Büro des Bundesta-
ges. Der Berichtsbogen enthält Angaben zur Subsidiari-
täts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung, zur Zielsetzung,
zu inhaltlichen Schwerpunkten, zur politischen Bedeu-
tung, zu deutschen Interessen und, sofern bekannt, zu
den Positionen des Bundestages, des Bundesrates, des
Europäischen Parlaments, zum Meinungs- und Verfah-
rensstand im Rat sowie zu den finanziellen Auswirkun-
gen.
Handelt es sich bei dem Ratsdokument um einen Vor-
schlag für einen Rechtsgebungsakt der EU, hat die Bun-
desregierung dem Bundestag in der Regel nach Überwei-
sung an die Ausschüsse eine umfassende Bewertung zu
übermitteln. Die Aufforderung an die Ressorts ergeht
wieder durch das BMWi, nachdem der Bundestag mitge-
teilt hat, dass das betreffende Dokument als beratungsre-
levant eingestuft worden ist. Auch hier gilt eine Zweiwo-
chenfrist. Die umfassende Bewertung enthält Angaben
zur Prüfung der Zuständigkeit der EU, zur Subsidiaritäts-
und Verhältnismäßigkeitsprüfung und eine umfassende
Folgenabschätzung, insbesondere in rechtlicher, wirt-
schaftlicher und finanzieller Hinsicht. Das ist das Verfah-
ren, das dann zur Anwendung kommt. Habe ich Ihre
Frage damit ausreichend beantwortet?
Diesen Austausch müssen Sie dann an anderer Stelle
fortführen. Allerdings habe ich schon darauf aufmerk-
sam gemacht, dass wir bis zur Frage 11 immer wieder
auf dieses Thema zurückkommen. Auch der Kollege
Sarrazin hat dann die Möglichkeit, gegebenenfalls noch
einmal nachzufragen.
Wir kommen jetzt zur Frage 8 des Kollegen Gerold
Reichenbach:
In welcher Form und auf welcher Grundlage gibt es gege-
benenfalls seit dem 11. Februar 2010 eine Übermittlung von
Finanzdaten an die USA?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
In der Frage 8 des Kollegen Reichenbach ist das Da-
tum genannt, zu dem das Europäische Parlament das
SWIFT-Abkommen abgelehnt hat und somit auch das
Interimsabkommen außer Kraft getreten ist. Das Ab-
kommen zwischen der Europäischen Union und den Ver-
einigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von
Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der
Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die
Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzie-
rung des Terrorismus, das sogenannte SWIFT-Abkom-
men, vom 30. November 2009 wurde vom Europäischen
Parlament am 11. Februar 2010 abgelehnt. Seine vorläu-
fige Anwendbarkeit ist daher zu beenden.
Dies betrifft die Grundlage der völkerrechtlichen Zu-
sammenarbeit, speziell die Übermittlungspflichten von
Belgien, Sitzstaat von SWIFT, und den Niederlanden,
Sitz eines SWIFT-Servers.
Die innerstaatlichen Befugnisgrundlagen zur Übermitt-
lung personenbezogener Daten bleiben davon unberührt.
Der Bundesregierung liegen keine näheren Informationen
über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse be-
züglich der Übermittlung von Finanzdaten aus Belgien
und den Niederlanden an die USA vor.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Warum hat sich die Bundesregierung bei den betroffe-
nen Staaten nicht erkundigt, ob, unabhängig von der Ab-
lehnung des Europäischen Parlaments, Daten auf natio-
naler Rechtsgrundlage übertragen werden?
D
Wir haben das natürlich diskutiert. Den Niederländernund den Belgiern war es aber besonders wichtig, dass eszu einem europäischen Abkommen kommt und die
Metadaten/Kopzeile:
1976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole SchröderEuropäische Union darüber entscheiden kann, weil essich um Daten aus ganz Europa handelt.Inwieweit das Rechtshilfeabkommen zwischen denVereinigten Staaten und der EU in der nationalen Umset-zung dazu genutzt wird, bilateral Daten zwischen denNiederlanden und den Vereinigten Staaten oder Belgienund den Vereinigten Staaten zu übermitteln, bleibt natür-lich abzuwarten. Das bedeutet, dass wir uns derzeit in ei-nem Zustand der Rechtsunsicherheit befinden. Inwie-weit es jetzt bilateral zu solchen Datenübermittlungenkommt, wissen wir nicht.Genau diese Problematik haben wir immer gesehen.Wir wollten, dass es zu einer EU-weiten Regelungkommt, weil es sich auch um EU-weite Daten handelt.Inwieweit bilateral solche Datenübermittlungen erfol-gen werden, bleibt abzuwarten. Das ist jetzt alleine Sa-che der Amerikaner, der Belgier und der Niederländer.
Ich versuche meine Nachfrage noch einmal zu präzi-
sieren. Es geht hier ja nicht um die Übermittlung von
Daten im Rahmen eines Rechtshilfeabkommens, also in
Fällen, in denen ein konkreter Tatverdacht oder ein kon-
kreter Anhaltspunkt vorliegt und spezielle Daten abge-
fragt werden. Nach meiner Einschätzung geht das auch
bei der Frage des Datenschutzes bei Ihnen immer etwas
durcheinander. Vielmehr geht es um folgende Frage:
Findet seit dem 11. Februar 2010 eine Regelübermitt-
lung, so wie sie im SWIFT-Abkommen vorgesehen war,
unter den genannten Bedingungen statt und, wenn dies
der Fall ist, auf welcher Rechtsgrundlage?
D
Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung wäre
auch mit dem SWIFT-Abkommen das Rechtshilfeab-
kommen gewesen, weil das SWIFT-Abkommen auf das
Rechtshilfeabkommen Bezug nimmt. Das SWIFT-Ab-
kommen hat keine eigenständige Rechtsgrundlage, son-
dern die Daten werden nur in Zusammenhang mit dem
Rechtshilfeabkommen übermittelt. Inwieweit es jetzt zu
bilateralen Datenübermittlungen kommt, liegt außerhalb
unserer Sphäre. Darauf haben wir keinen Einfluss. Das
ist auch genau die Problematik, die wir immer gesehen
haben.
Ich mache nur vorsorglich darauf aufmerksam: Zu
diesem gesamten Komplex wird – entgegen meinen bis-
herigen Ankündigungen – jetzt nur noch die Frage 9 des
Kollegen Gerold Reichenbach aufgerufen. Das heißt,
eventuelle Nachfragen von Kolleginnen und Kollegen
aus den Fraktionen müssten während des Disputes
zwischen dem Staatssekretär und dem Kollegen
Reichenbach angemeldet werden, da die Fragen 10
und 11 schriftlich beantwortet werden.
Jetzt rufe ich die Frage 9 des Kollegen Gerold
Reichenbach auf:
Welches sind für die Bundesregierung die Mindeststan-
dards im Daten- und Rechtsschutz, deren Einhaltung im Rah-
men der Neuverhandlung des sogenannten SWIFT-Abkom-
mens nach Äußerung von der Bundesministerin der Justiz,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, gewährleistet werden
muss?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Verhandlungsziel der Bundesregierung ist nicht ein
Abkommen, das lediglich Mindeststandards genügt, son-
dern ein Abkommen mit einem hohen Datenschutz-
niveau und einem effektiven Rechtsschutz; die Koalitions-
vereinbarung enthält hierzu bereits Vorgaben. Diesem
Ziel würde nicht gedient, wenn die Bundesregierung ihre
Mindestposition öffentlich bekannt gäbe. Die Bundes-
regierung wird nach Abschluss der Verhandlungen wür-
digen, ob sie dem erzielten Ergebnis zustimmt.
Bitte, Ihre erste Nachfrage.
Dann hake ich bei der Frage des Rechtsschutzes ein-
mal nach. Ist die Frage des Rechtsschutzes für europäi-
sche Betroffene innerhalb der USA für die Bundesregie-
rung verhandelbar oder nicht verhandelbar?
D
Rechtsschutz ist auf unterschiedliche Art und Weise
möglich. Wir kennen es auf europäischer Ebene so, dass
im Bereich des Datenschutzes jeder Bürger individuellen
Rechtsschutz hat. Das heißt, jeder Bürger hat ein Aus-
kunftsrecht, und jeder hat, wenn die Voraussetzungen er-
füllt sind, auch ein Löschungsrecht. Das sieht das ameri-
kanische Rechtssystem so nicht vor. Dort gibt es diese
Form des individuellen Rechtsschutzes nicht. Deshalb
haben wir hier völlig unterschiedliche datenschutzrecht-
liche Niveaus.
Unser Ziel ist natürlich, dass wir nach Möglichkeit ei-
nen individuellen Datenschutz für die europäischen Bür-
ger sicherstellen. Das würde aber bedeuten, dass die
Amerikaner ihr Rechtssystem ändern müssten. Eine an-
dere Möglichkeit, die dem Ziel nahekommt, ist, dass
deutsche Behörden für die europäischen Bürger einen
solchen Rechtsschutz sicherstellen. Eine weitere Mög-
lichkeit ist, dass man Gremien schafft, die diesen
Rechtsschutz sicherstellen.
Wir sind für ein möglichst hohes Niveau beim
Rechtsschutz, das dem individuellen Rechtsschutz der
Bürger, den sie in Europa genießen, möglichst nahe-
kommt. Ob das am Ende gelingt, das ist eine Frage der
Verhandlungen, und ob uns das ausreicht, das ist eine
Frage, die am Ende der Verhandlungen beantwortet wer-
den muss.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1977
(C)
(D)
Gibt es dazu schon eine abgestimmte Position zwi-
schen dem Justiz- und dem Innenministerium?
D
Die Position gibt es. Es ist in der Protokollerklärung
zum Ratsbeschluss zur Unterzeichnung des Interimsab-
kommens nachzulesen, dass wir auch hinsichtlich des
bisherigen SWIFT-Abkommens beklagt haben, dass es
nicht zu einem individuellen Rechtsschutz auf unserem
Niveau gekommen ist.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Michael
Hartmann sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums des Innern. Ich rufe die Frage 12 des Kollegen
Andrej Hunko auf:
Seit wann liegt der Bundesregierung der Entwurf der
„Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“ vor, und
wann wird dieser dem Bundestag zugeleitet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Spanien hat das Projekt, während seiner EU-Rats-
präsidentschaft eine Sicherheitsstrategie zu entwerfen,
schon frühzeitig angekündigt, nämlich am Rande des
G-6-Treffens am 15. März 2009; hierzu fand ein Brief-
wechsel der Minister statt. Es gab aber erst am
3. Dezember 2009 einen tatsächlich belastbaren Entwurf
der „Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“
im Sinne eines Non-Papers.
Dieser Entwurf wurde der Bundesregierung am
3. Dezember 2009 als Non-Paper zur Vorbereitung des
informellen Ministertreffens in Toledo vom 20. bis
22. Januar 2010 zugeleitet. Der Bundestag ist am
20. Januar 2010 im Rahmen des Vorberichts zum infor-
mellen Ministertreffen in Toledo über den spanischen
Entwurf zur Sicherheitsstrategie unterrichtet worden.
Das nunmehr vorliegende offizielle Ratsdokument
zur „Europäischen Strategie für die innere Sicherheit“
vom 2. Februar 2010 ist in den Dokumentenserver
ZEUS eingestellt und unterliegt damit dem allgemeinen
Zuleitungsverfahren über das BMWi nach § 6 Abs. 2 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregie-
rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Schröder, Sie ha-
ben vorhin auf die Nachfrage des Kollegen Sarrazin er-
läutert, wie das übliche Prozedere ist. Bei der „Europäi-
schen Strategie für die innere Sicherheit“ handelt es sich
um ein sehr relevantes Dokument. Deswegen frage ich:
Warum liegt die „Europäische Strategie für die innere
Sicherheit“ bis jetzt nur in Englisch, Französisch und
Spanisch vor? Wie soll unter diesen Umständen und an-
gesichts der kurzen Zeitspanne – vor der morgigen Be-
schlussfassung im Ministerrat – eine ernsthafte parla-
mentarische Befassung möglich sein?
D
Die fehlende Übersetzung ins Deutsche – da stimme
ich Ihnen vollkommen zu – ist ein Ärgernis. Wir müssen
auf europäischer Ebene immer wieder daran arbeiten,
dass die Übersetzung rechtzeitig zur Verfügung gestellt
wird. Ich kann Ihnen aber berichten, dass wir heute Vor-
mittag im Innenausschuss über diese Sicherheitsstrategie
der spanischen Ratspräsidentschaft gesprochen haben.
Insofern wurde in diesem Rahmen eine Beteiligung si-
chergestellt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
In der „Europäischen Strategie für die innere Sicher-
heit“ wird festgehalten, dass ihre Weiterentwicklung
eine der wichtigsten Aufgaben des Ständigen Ausschus-
ses werden muss. Wer kann von deutscher Seite in die-
sen Ständigen Ausschuss entsandt werden? Wie soll die
parlamentarische Kontrolle der Weiterentwicklung der
Strategie sowie der deutschen Vertretung im Ständigen
Ausschuss sichergestellt werden?
D
In dieser spanischen Sicherheitsstrategie steht nichts
Neues. Es geht hier lediglich um die Umsetzung des
Stockholmer Programms, über das bereits hier im Bun-
destag diskutiert wurde. Es wird jetzt, auch morgen im
Rat, darüber diskutiert, wie dieser neue Ausschuss
– COSI – ausgestaltet wird. Uns ist wichtig, dass es nicht
zu Doppelstrukturen kommt, dass dieser neue Ausschuss
nicht ein strategischer Ausschuss wird, der politische
Entscheidungen vorbereitet, sondern ein Ausschuss der
Koordinierung. Insofern ist wichtig, dass hier vor allen
Dingen Personen aus der Fachebene vertreten sind.
Wir kommen zur Frage 13 des Kollegen Andrej
Hunko:
Wann soll die „Europäische Strategie für die innere
Sicherheit“ voraussichtlich verabschiedet werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Der spanische Vorsitz beabsichtigt, den JI-Rat am25. und 26. Februar, also ab morgen, mit der Strategie zubefassen. Die formelle Annahme der Ratsschlussfolge-
Metadaten/Kopzeile:
1978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröderrung erfolgt dann beim Europäischen Rat am 25. und26. März 2010.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Sie haben eben das Stockholmer Pro-
gramm erwähnt. Halten Sie die in der „Europäischen
Strategie für die innere Sicherheit“ dargelegten Vorha-
ben und Ziele für weitergehender als das Stockholmer
Programm? Handelt es sich also um eine Weiterentwick-
lung des Stockholmer Programms?
D
Wie bereits eben von mir gesagt, handelt es sich bei
der Sicherheitsstrategie um keine Weiterentwicklung,
um nichts Neues. Die Strategie sieht lediglich eine Kon-
kretisierung und Umsetzung des Stockholmer Pro-
gramms vor.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich komme zu meiner letzten Frage. Der Ständige
Ausschuss, der sich ja jetzt damit befassen wird, wurde
mit dem Vertrag von Lissabon in Art. 71 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen Union primär-
rechtlich verankert. Auf welcher sekundärrechtlichen
Grundlage wird der Ständige Ausschuss beruhen, wenn
er sich schon am 11. März zum ersten Mal trifft?
D
Die Antwort auf diese sehr juristische Frage würde
ich, wenn Ihnen das recht ist, gerne schriftlich nachlie-
fern. Es ist eine Frage, die sich auf spezielles Europa-
recht bezieht und die ich Ihnen hier nicht aus der La-
mäng beantworten kann.
Der Staatssekretär hat die schriftliche Beantwortung
zugesichert.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Dr. Konstantin
von Notz werden entsprechend unserer Festlegungen un-
ter Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde
schriftlich beantwortet. Das heißt, wir befassen uns an
anderer Stelle noch einmal mit dem Thema der Erschwe-
rung des Zugangs zu Internetseiten mit kinderpornogra-
fischen Inhalten.
Herr Staatssekretär Dr. Schröder, herzlichen Dank für
die Beantwortung der Fragen zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Steffen-Claudio
Lemme auf:
In welchem Zeithorizont plant die Bundesregierung den
bestehenden Fonds für die Opfer rechtsextremistischer Ge-
walt auf der Grundlage ihrer strittigen Extremismusauffas-
sung umzugestalten, und wird es in diesem Zusammenhang
zu Budgetkürzungen speziell zulasten der Rechtsextremis-
musbekämpfung kommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Lemme, es ist allgemein von einem
Fonds für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt die
Rede. Präzise gesagt handelt es sich dabei um einen
Haushaltstitel, der im Jahr 2000 angesichts des Anstiegs
der Zahl rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und
antisemitischer Straftaten eingerichtet worden ist; erst-
mals wurde er im Bundeshaushalt 2001 ausgewiesen.
Damit besteht die Möglichkeit, Opfern rechtsextre-
mistischer Gewalt unbürokratisch Härtefallleistungen
zukommen zu lassen. Damit wird das System der allge-
meinen Opferentschädigung ergänzt. Eine vergleichbare
humanitäre Hilfe ist im Bundeshaushalt auch für die Op-
fer terroristischer Gewalt vorgesehen. Die Möglichkei-
ten, einmal den Opfern rechtsextremistischer und zum
anderen denen terroristischer Gewalt Härtefallleistungen
zukommen zu lassen, haben sich in der Vergangenheit
sehr bewährt. Deswegen wird der Haushaltstitel für den
sogenannten Fonds nunmehr nicht etwa umgestaltet,
sondern in der Weise ergänzt, dass eine Erweiterung die-
ses Titels um Härtefallleistungen für Opfer jeglicher ex-
tremistischer Übergriffe vorgesehen wird.
Zur näheren Ausgestaltung – Ihre Frage bezog sich ja
auf den Zeitrahmen – ist bereits am 18. Dezember 2009
eine Richtlinie zur Zahlung von Härtefallleistungen aus
dem Bundeshaushalt an die Opfer extremistischer Über-
griffe erlassen worden. Diese Richtlinie wird zeitgleich
mit dem Haushaltsgesetz 2010 in Kraft treten, nach der-
zeitiger Planung Mitte April 2010.
Sie haben darüber hinaus gefragt, ob befürchtet wer-
den müsse, dass es zu Kürzungen zulasten der Opfer
rechtsextremistischer Gewalt kommt. Diese Befürchtung
ist nicht begründet; denn der bisherige Haushaltsansatz
für Opfer rechtsextremistischer Gewalt in Höhe von
300 000 Euro wird mit dem Bundeshaushalt 2010 erheb-
lich aufgestockt, nämlich auf insgesamt 1 Million Euro.
Demgemäß ist eine Budgetkürzung, soweit es um Leis-
tungen an Opfer rechtsextremistischer Gewalt geht,
nicht zu befürchten.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Zunächst einmal vielen Dank, Herr Staatssekretär. –Meine Frage bezieht sich auf Fallzahlen. Ist Ihnen be-kannt, wie viele Opfer rechtsextremistischer Gewalt esin unserem Lande gibt? Wie viele Opfer terroristischerGewalt gibt es im Vergleich dazu?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1979
(C)
(D)
D
Herr Abgeordneter, diese Zahlen können natürlich
nachgeliefert werden.
Aus Ihrer Frage spricht, glaube ich, die Besorgnis,
dass aus dem neuen Haushaltstitel so viele andere Fälle
zu bedienen sind, dass den Opfern rechtsextremistischer
Gewalt die bisherigen Härtefallleistungen nicht mehr
oder nicht mehr in voller Höhe gewährt werden können.
Diese Befürchtung halte ich für ungerechtfertigt. In den
Richtlinien, die am 18. Dezember 2009 erlassen worden
sind und Mitte April dieses Jahres in Kraft treten wer-
den, sind keine anderen Voraussetzungen für Zahlungen
vorgesehen, sodass aufgrund dieser Richtlinien Kürzun-
gen im Einzelfall nicht zu befürchten sind.
Die zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, befürchten Sie nicht auch, dass es
zu einer inhaltlich nicht vertretbaren Vermischung
kommt, wenn sich eine Richtlinie auf Opfer unterschied-
licher ideologisch geprägter Gewalt bezieht, und dass
man im Nachgang kein differenziertes Bild mehr von der
politisch-ideologisch geprägten Landschaft erhält?
D
Herr Abgeordneter, eine Relativierung der rechts-
extremistischen Übergriffe ist damit in keiner Weise ver-
bunden.
Die Bundesregierung betrachtet das Problem gewis-
sermaßen aus der Opferperspektive. Es ist unsere Auf-
fassung in der Koalition, dass die Opfer jeglicher extre-
mistischer Gewalt in gleicher Weise einen Anspruch auf
unbürokratische humanitäre Hilfe haben. Mit „An-
spruch“ meine ich keinen einklagbaren Rechtsanspruch,
vielmehr meine ich, dass Geldleistungen vorgesehen
werden sollen.
Den Opfern rechtsextremistischer Gewalt wird damit
in keiner Weise irgendein Unrecht angetan, und ihre Si-
tuation wird nicht etwa relativiert. Denn noch einmal:
Die Haushaltsmittel werden sogar erheblich aufgestockt.
Die Befürchtung, dass es durch zusätzliche Aufgaben zu
Kürzungen bei diesem Haushaltstitel kommt, wäre allen-
falls gerechtfertigt, wenn der Titel in der alten Höhe be-
stehen bliebe. Er wird aber von 300 000 Euro auf
1 Million Euro aufgestockt, sodass gerade für die Opfer
rechtsextremistischer Gewalt auch in der Zukunft hinrei-
chend Mittel zur Verfügung stehen. Irgendeine Relativie-
rung sehe ich darin nicht.
Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Volker
Beck.
Es geht
um Opfer jeglicher extremistischer Gewalt. Könnten Sie
diesen Begriff für das Parlament bitte näher erläutern?
Das ist sicher auch für die Öffentlichkeit interessant.
Geht es um jegliche Form extremistischer politischer
Gewalt, geht es auch um jede Form religiös motivierter
extremistischer Gewalt, und welche anderen denkbaren
Konstellationen oder Konnotationen sind bei Ihrem
Haushaltsansatz noch angedacht?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Beck, mit Ihrer Frage geben Sie mir Ge-
legenheit, dies zu präzisieren und Ihnen vorzutragen, wie
dies – in Ausführung des Koalitionsvertrages – in der
Präambel der Richtlinie formuliert ist. Hier heißt es – ich
darf daraus zitieren; sie wird in Bälde in Kraft treten –:
Es ist ein Grundwert der pluralen Gesellschaft und eine
zentrale Aufgabe des Staates, die Freiheit jedes Einzel-
nen vor Extremismen jeder Art – seien es Links- oder
Rechtextremismus, Antisemitismus oder Islamismus –
zu schützen und zu verteidigen. – Das ist die Umschrei-
bung der Aufgabe, die mit dem sogenannten Fonds bzw.
Haushaltstitel zu erfüllen ist.
– Da Sie das Mikrofon nicht benutzt haben, konnte ich
Sie nicht verstehen.
– Ich habe aus der Richtlinie vorgetragen. Nach dieser
Richtlinie, die sich am Koalitionsvertrag orientiert, wer-
den diese humanitären Mittel künftig nach Prüfung jedes
Einzelfalls ausgereicht werden.
Die Frage 17 des Kollegen Christian Lange wurde zu-rückgezogen.Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.Herr Staatssekretär Dr. Stadler, ich danke Ihnen für dieBeantwortung der Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums der Finanzen. Für die Beantwortung der Fra-gen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär HartmutKoschyk zur Verfügung.Die Frage 18 des Kollegen Christian Lange wurdeebenfalls zurückgezogen.Damit rufe ich die Frage 19 der Kollegin Dr. BarbaraHöll auf:
Metadaten/Kopzeile:
1980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Vizepräsidentin Gerda HasselfeldtWarum ergreift die Bundesregierung keine wie die vonFrankreich unter Beachtung der grauen Liste der OECD un-ternommene Initiative, um Steuerparadiese zu ächten, undwelche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus derfranzösischen Initiative?Herr Staatssekretär, bitte sehr.H
Frau Präsidentin! Verehrte Frau Kollegin Höll! Mit den
angekündigten Maßnahmen verfolgt der französische Ge-
setzgeber das gleiche Ziel wie die deutsche Seite mit ihren
Maßnahmen, die mit dem Steuerhinterziehungsbekämp-
fungsgesetz vom 29. Juli 2009 und der Steuerhinterzie-
hungsbekämpfungsverordnung vom 18. September 2009
bereits vollzogen worden sind. Beide Initiativen, die
französische und die deutsche, sind darauf gerichtet,
Steuerpflichtigen mit Geschäftsbeziehungen zu Staaten
und Gebieten, die den OECD-Standard zur Transparenz
und zum effektiven Informationsaustausch nicht imple-
mentieren, zusätzliche Pflichten aufzuerlegen bzw. Steu-
ervorteile zu entziehen. Dies entspricht den Empfehlun-
gen der OECD und der G 20, zu deren Unterstützung
Frankreich und Deutschland im Rahmen einer Initiative
2008 und 2009 gemeinsam internationale Konferenzen
zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbe-
trug in Paris und Berlin ausgerichtet hatten. Die Bundes-
regierung wird die Durchsetzung und Umsetzung des
OECD-Standards gemeinsam mit Frankreich weiter vo-
rantreiben.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
Danke, Frau Präsidentin. – Die Zielstellung ist die-
selbe, die Mittel sind allerdings verschieden. Ich weise
darauf hin, dass Frankreich jetzt gewillt ist, die Quellen-
steuer von 15 auf 50 Prozent zu erhöhen. Das ist ein
maßgebliches, ganz konkretes Instrument. Wie steht die
Bundesregierung zu einer Besteuerung, die etwas emp-
findlicher wirksam würde?
H
Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keinen An-
lass, von den Regelungen, die erst im letzten Jahr gesetz-
geberisch und verordnungsmäßig auf den Weg gebracht
wurden, abzugehen.
Weil Sie die Unterschiedlichkeit der beiden Maßnah-
men hervorgehoben haben, Frau Kollegin, ist darauf hin-
zuweisen, dass Frankreich, vor allem was die betroffe-
nen Staaten anbelangt, einen etwas anderen Ansatz
verfolgt. Frankreich hat in dem Zusammenhang den Be-
griff der nichtkooperativen Jurisdiktionen geprägt. Das
heißt, Frankreich geht es um einen Staat, der nicht der
EU angehört und Gegenstand des OECD-Monitorings
von Transparenz und Auskunftsaustausch ist, der nicht
bis 2010 die OECD-Grundsätze zu Transparenz und
Auskunftsaustausch im Verhältnis zu zwölf Staaten um-
gesetzt und kein Steuerinformationsabkommen mit
Frankreich geschlossen hat.
Wir verfolgen einen etwas anders gerichteten Ansatz.
Nach dem deutschen Steuerhinterziehungsbekämpfungs-
gesetz können Staaten und Gebiete nur dann als unko-
operativ bezeichnet werden, wenn sie es ablehnen, mit
Deutschland etwa durch entsprechende bilaterale Verein-
barungen die Grundlage für einen Auskunftsaustausch
nach dem Standard der OECD zu schaffen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage dazu?
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für den Hinweis,
dass es einen Unterschied in der Einschätzung der Ko-
operation von Staaten gibt, die als Steuerparadiese be-
trachtet werden. Fakt ist, dass aus französischer Sicht
eine Reihe von Staaten durchaus als Steuerparadiese
fungieren, bei denen deshalb harte Maßnahmen ergriffen
werden müssen, während sich aus deutscher Sicht kein
Staat auf der schwarzen Liste befindet, also scheinbar
alle Staaten kooperativ sind. Das heißt, Sie schätzen
Staaten, die unsere Nachbarn als Steuerparadiese ein-
schätzen, nicht als Steuerparadiese ein. Das finde ich
aufklärungsbedürftig.
H
Frau Kollegin, das Interessante in dem Zusammen-
hang ist nicht die schwarze Liste, sondern der graue Teil
der OECD-Liste und die sogenannte weiße OECD-Liste.
Die französischen Maßnahmen – ich glaube, dabei sind
wir auf deutscher Seite besser aufgestellt – finden näm-
lich nur Anwendung auf die Staaten des grauen Teiles
der OECD-Liste, das heißt auf diejenigen Staaten, die
den OECD-Standard in weniger als zwölf Abkommen
implementiert und kein Steuerinformationsabkommen
mit Frankreich geschlossen haben.
Demgegenüber können unsere deutschen Maßnah-
men grundsätzlich auch auf Staaten und Gebiete der wei-
ßen OECD-Liste Anwendung finden, sofern diese die
weiteren Voraussetzungen des Steuerhinterziehungsbe-
kämpfungsgesetzes erfüllen, das heißt gegenüber
Deutschland nicht zur Kooperation bereit sind. Sie sind
daher unabhängig von der OECD-Einstufung und haben
einen potenziell weiteren geografischen Anwendungsbe-
reich.
Wir kommen damit zur Frage 20 der KolleginDr. Höll:Mit welchen der von Frankreich gelisteten Steuerparadiesehat die Bundesregierung Abkommen zur Erteilung von Aus-kunft über Besteuerungszwecke nach OECD-Standard ge-schlossen, und welche diesbezüglichen Informationen oderDaten können diese zur Verfügung stellen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1981
(C)
(D)
H
Frau Kollegin Dr. Höll, Deutschland steht mit mehre-
ren Staaten und Gebieten, die in der von der französi-
schen Presse veröffentlichten Liste genannt sind, in
Kontakt. Mit der Unterzeichnung mehrerer Abkommen
zur Ermöglichung von Informationsaustausch in Steuer-
sachen nach dem OECD-Standard ist demnächst zu
rechnen. Andere Staaten sind zum Abschluss entspre-
chender Vereinbarungen aufgefordert worden bzw. wer-
den aufgefordert, sofern ein Bedürfnis besteht. Mit den
Philippinen beispielsweise besteht ein Doppelbesteue-
rungsabkommen, wonach steuerrelevante Informatio-
nen ausgetauscht werden können. Darüber hinaus haben
die Philippinen den OECD-Standard formal anerkannt.
Gegenstand des OECD-Standards ist der Informa-
tionsaustausch auf Ersuchen. Das heißt, auf Ersuchen ei-
ner Finanzbehörde haben die Finanzbehörden des er-
suchten Staates oder Gebietes alle für die Besteuerung
relevanten Informationen einzuholen und zur Verfügung
zu stellen.
Ihre Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wir haben das Steuerhinterzie-
hungsbekämpfungsgesetz im vergangenen Jahr hier im
Bundestag verabschiedet. Wie ist jetzt der Stand? Sie
verweisen auf Verhandlungen. Die Verhandlungen zie-
hen sich schon über Monate hin. Letztendlich reichte es
aus, dass Staaten erklärt haben, dass sie zu Verhandlun-
gen bereit sind. Ich frage die Bundesregierung, wie lange
sie diesen Prozess noch ausdehnen möchte, bis tatsäch-
lich entweder ein Informationsaustausch stattfinden
kann oder das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz
greift.
H
Ich kann Ihnen, Frau Kollegin, versichern, dass die
Bundesregierung die Verhandlungen mit den in Rede
stehenden Staaten mit allem Nachdruck betreibt.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja. – Herr Staatssekretär, ich fragte Sie bereits, ob Sie
der Meinung sind, dass das OECD-Musterabkommen
ausreichend ist, Steuerhinterziehung tatsächlich zu
bekämpfen. Ist es nicht so, dass der im Rahmen des
Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes eingefügte
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f des Einkommensteuerge-
setzes faktisch ins Leere laufen muss, da eine verstärkte
Besteuerung natürlich nicht von einer reinen Absichtser-
klärung und von der Verpflichtung des automatischen In-
formationsaustauschs abhängt, sondern davon, ob in den
entsprechenden anderen Staaten diese Auskünfte tat-
sächlich erteilt werden können, das heißt, dass eine Er-
fassung dort auch stattfindet?
H
Der OECD-Standard ist nun einmal vorgegeben, und
wir müssen auf der Grundlage des OECD-Standards sol-
che Verhandlungen führen. Wir haben natürlich auch die
Möglichkeit, in Doppelbesteuerungsabkommen oder in
Austauschabkommen individuell über den OECD-Stan-
dard hinauszugehen. Das richtet sich aber nach dem je-
weiligen Verhandlungsstand.
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Dr. Carsten
Sieling werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Thilo Hoppe auf:
Wie wird das Bundesministerium der Finanzen gewähr-
leisten, dass Deutschland die internationale Zusage einhält,
bis 2015 die Mittel, die für die Entwicklungszusammenarbeit
und die humanitäre Hilfe – ODA – verwendet werden, auf
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens anwachsen zu las-
sen, und wie soll dies finanziert werden?
H
Herr Kollege Hoppe, die Bundesregierung steht zu
dem vereinbarten Ziel einer ODA-Quote von 0,7 Prozent
des Bruttonationaleinkommens in 2015 und hat mit der
deutlichen Erhöhung der ODA-Haushaltsmittel in den
letzten zwei Jahren um rund 1,55 Milliarden Euro unter
Beweis gestellt, dass sie entsprechend handelt. Darauf
aufbauend beabsichtigt die Bundesregierung, natürlich
vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments, 2010
weitere Steigerungen zu erreichen, auch um Bedarfe für
Klimawandel, Ernährungssicherung und den Wiederauf-
bau von Afghanistan zu decken. Darüber hinaus hat
Deutschland bei der Zusage eine Protokollerklärung ab-
gegeben, wonach zur Erreichung der ODA-Ziele neben
allgemeinen Haushaltsmitteln und Schuldenerlassen
auch innovative Finanzierungsinstrumente einen Beitrag
leisten müssen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär Koschyk, vielen
Dank für die Antwort. Sie haben schon die innovativen
Finanzierungsinstrumente angesprochen. Nun gibt es
eine Diskussion in der Bundesregierung zwischen Ver-
tretern der Union und der FDP bezüglich der Finanz-
transaktionsteuer. Ist da die Positionierung schon weiter
vorangeschritten? An welche innovativen Finanzie-
rungsinstrumente denken Sie?
H
Herr Kollege Hoppe, innovative Finanzierungsmög-lichkeiten können, wie zum Beispiel von Deutschlandpraktiziert, Einnahmen aus dem Emissionshandel sein.
Metadaten/Kopzeile:
1982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hartmut KoschykDaneben existiert als ein weiteres innovatives Finanzie-rungsinstrument die Schuldenumwandlung im Rahmender Debt-to-Health-Initiative. Bei diesem Instrumentverpflichtet sich das Partnerland, einen Teil der erlasse-nen Schulden dem Globalen Fonds zur Bekämpfung vonHIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zur Verfügung zustellen, der damit Gesundheitsmaßnahmen im Schuld-nerland durchführt.Was Ihre Frage zur Diskussion über eine internatio-nale Finanztransaktionsteuer anbelangt, so geht die Dis-kussion innerhalb der Bundesregierung, internationaleng abgestimmt, eher in die Richtung, wie der Finanz-sektor international, aber auch in Deutschland an denKosten zur Bewältigung der vom Finanzsektor ausge-henden Finanzmarktkrise beteiligt werden soll.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, gerne. – Im Zusammenhang mit dem 0,7-Prozent-
Ziel gab es bereits die Zusage der Bundesregierung im
Rahmen der Europäischen Union, bis zu diesem Jahr,
also bis 2010, als Zwischenziel eine ODA-Quote von
0,51 Prozent zu erreichen. Jetzt hat die OECD ermittelt,
dass im Haushalt 2010, über den zurzeit diskutiert wird,
dieses Zwischenziel auf keinen Fall erreicht wird. Wie
geht die Bundesregierung mit der Kritik seitens der
OECD um?
H
Die Bundesregierung wird ihre Zusagen erfüllen; ich
habe das bereits in meiner ersten Antwort auf Ihre Frage
gesagt. In diesem Zusammenhang wird immer wieder
über nationale Stufenpläne zur Erreichung des 0,7-Pro-
zent-Ziels diskutiert. Wenn Sie gestatten, dann greife ich
bereits die Frage 24, Ihre Folgefrage, auf.
Dann rufe ich die Frage 24 des Kollegen Thilo Hoppe
auf:
Bis wann wird die Bundesregierung einen nationalen Stu-
fenplan zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels vorlegen, und
wie begründet sie es, falls ein solcher Stufenplan nicht vorge-
sehen ist?
H
Die Einführung bindender Zeitpläne ist aus Sicht der
Bundesregierung nicht zielführend, da sie dem Budget-
recht des Parlaments vorgreifen würden.
Zu einer Zusatzfrage hat nun die Kollegin Koczy das
Wort.
Herr Staatssekretär Koschyk, sind Sie mit mir der
Auffassung, dass bei der Erreichung des Zwischenziels
von 0,51 Prozent im Rahmen der ODA-Quote im Jahr
2010 eine Lücke von 2,2 Milliarden Euro besteht und die
Bundesregierung noch keinen Plan hat, wie diese Lücke
im Jahre 2010 gefüllt werden soll?
H
Die Bundesregierung arbeitet energisch an dem Ziel,
ihre Verpflichtungen aus internationalen Vorgaben zu er-
füllen.
Der Kollege Hoppe hat noch die Möglichkeit, zwei
Nachfragen zur Frage 24 zu stellen.
Herr Staatssekretär Koschyk, die Kollegin hat darauf
hingewiesen, dass die Diskrepanz zwischen dem, was
zugesagt worden war, und dem, was tatsächlich einge-
stellt worden ist, 2,2 Milliarden Euro beträgt. Das kann
man errechnen; das ist unstrittig. Wenn man das 0,7-Pro-
zent-Ziel 2015 erreichen will, dann müsste einerseits
diese Lücke rückwirkend geschlossen werden, und ande-
rerseits müsste jedes Jahr eine weitere Milliarde hinzu-
kommen. Werden in der mittelfristigen Finanzplanung
der Bundesregierung diese Aufwüchse mitberücksich-
tigt? Anderenfalls wäre es sehr schwierig, glaubhaft zu
versichern, dass man 2015 das 0,7-Prozent-Ziel tatsäch-
lich erreicht.
H
Herr Kollege Hoppe, ich darf darauf hinweisen: Im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wird
das Ziel der ODA-Quote von 0,7 Prozent ohne Angabe
einer Jahreszahl genannt. Allerdings hat die Bundes-
kanzlerin in ihrer Regierungserklärung im November
2009 einen zeitlichen Bezug zu 2015 hergestellt.
Frau Kollegin Koczy.
Herr Staatssekretär, ich denke, es wird Sie nicht wun-
dern, dass man daran, dass das 0,51-Prozent-Ziel jetzt
nicht erreicht werden kann, erkennen kann, dass die
Bundesregierung nicht vorhat, das Versprechen von
Kanzlerin Merkel in Heiligendamm, dafür zu sorgen,
dass wir das 0,7-Prozent-Ziel erreichen, zu erfüllen, und
dass die Enttäuschung über die Bundesregierung dazu
führt, dass das Vertrauen in die Bundesregierung unter
Merkel schweren Schaden nimmt.
H
Verehrte Frau Kollegin, ich erlaube mir den Hinweisdarauf, dass Deutschland im internationalen Vergleich,zuletzt 2008, in absoluten Zahlen gemessen, mit rund
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1983
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk13,98 Milliarden US-Dollar nach den USA der zweit-größte Geber in diesem Bereich gewesen ist. Wer sich soim internationalen Bereich auszeichnet, dem bringt manauch das Vertrauen entgegen, dass er seinen internatio-nalen Verpflichtungen nachkommt.
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Manuel Sarrazin
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 27
und 28 der Kollegin Nicole Maisch. Der Kollege
Dr. Gerhard Schick, der die Frage 29 gestellt hat, ist
nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäfts-
ordnung vorgesehen. Die Frage 30 des Kollegen Dr. Ilja
Seifert wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen. Herr Staatssekretär,
ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Frage 31 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet.
Die Kollegin Bärbel Höhn, die die Frage 32 gestellt
hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der
Geschäftsordnung vorgesehen.
Bei den Fragen 33 und 34 der Kollegin Brigitte
Zypries wird um schriftliche Beantwortung gebeten.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales.
Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamenta-
rischer Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfü-
gung.
Die Frage 35 des Kollegen Volker Beck wird gemäß
Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schrift-
lich beantwortet.
Damit rufe ich Frage 36 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Festlegung, dass
die Kosten für Nachhilfeunterricht nur dann als Hartz-IV-Här-
tefall anerkannt werden sollen, wenn es zum Beispiel eine
langfristige Erkrankung oder einen Todesfall in der Familie
gegeben hat, und sieht die Bundesregierung mit dieser Vor-
gabe die Chancengleichheit von Kindern, die in Familien mit
Arbeitslosengeldbezug – ALG – leben, bei der Bildung ge-
wahrt?
Herr Staatssekretär, bitte.
H
Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Enkelmann, Ihre
Frage darf ich wie folgt beantworten: Urteile des Bun-
desverfassungsgerichtes werden stets vollständig und in
allen Belangen umzusetzen sein. Deswegen hat die Bun-
desregierung das Urteil sehr genau analysiert. Ich
möchte aus diesem Urteil einige Passagen zitieren, die
zur Beantwortung Ihrer Frage wichtig sind. Dort heißt
es, „einmalige oder kurzfristige Spitzen im Bedarf“ kön-
nen „durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II ausge-
glichen werden“. Dieser Fall dürfte hier weniger eine
Rolle spielen.
Ein zweiter Punkt ist sehr wichtig: Der Härtefall-
anspruch
entsteht erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass
die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen ge-
währten Leistungen – einschließlich der Leistungen
Dritter und unter Berücksichtigung von Einspar-
möglichkeiten des Hilfebedürftigen – das men-
schenwürdige Existenzminimum nicht mehr ge-
währleistet.
Das ist immer noch keine Wertung. Ich gehe deswegen
so gründlich vor, weil dies in sehr vielen Fragen, die in
diesem Zusammenhang gestellt werden, eine Rolle
spielt.
Weiter heißt es:
Dieser zusätzliche Anspruch dürfte angesichts sei-
ner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen
nur in seltenen Fällen entstehen.
So viel zu diesem Zitat.
In diesem Lichte ist die Geschäftsanweisung 08/2010
entwickelt worden. Daher ist nur in ganz besonderen
Situationen die Übernahme der Kosten für Nachhilfe ge-
rechtfertigt. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Län-
der in ihren Schulen vielfach Förderkurse zum Aus-
gleich von Defiziten anbieten. Insoweit ist Chancen-
gleichheit gewahrt. Auch sind die Erfahrungen mit der
abweichenden Bedarfsbemessung im SGB XII berück-
sichtigt worden. Dies hat zu dieser Geschäftsanweisung
geführt.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.
Der Chef des Stuttgarter Jobcenters sagt voraus, dass
es in Zukunft einen hohen Beratungsbedarf geben wird,
wenn die Frage beantwortet werden muss, warum in
dem einen Fall der Finanzierung von Nachhilfe zuge-
stimmt wird, während sie in dem anderen abgelehnt
wird. Er sagt wortwörtlich: „Hier wird ein neues Feld für
die Sozialgerichte eröffnet.“ Das heißt, er sagt voraus,
dass weitere Klagen auf die Sozialgerichte zukommen.
Ist es – gerade mit Blick auf das Wohl der Kinder – nicht
wichtiger, für eine eindeutige Regelung zu sorgen? Das
würde in diesem Fall heißen, Nachhilfe grundsätzlich zu
finanzieren, wenn Bedarf besteht.
H
Es ist dieser Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts immanent, dass es in einer Reihe von Fragen auf-grund der stärkeren Ausrichtung auf den Einzelfall zumehr Beratungen kommen wird. Das ist hier nicht aus-
Metadaten/Kopzeile:
1984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtelzuschließen. Diese Beratungen müssen dann auch ent-sprechend stattfinden.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja. – Die Beratungen bedürfen aber einer konkreten
und, wie ich glaube, sehr eindeutigen Grundlage, die
hier nicht gegeben ist. Das war jetzt aber keine Frage,
sondern nur eine Wertung.
Das Bundessozialgericht hat vor kurzem darauf auf-
merksam gemacht, dass dieser Sonderbedarf auch rück-
wirkend geltend gemacht werden kann. Das ist, wie ich
finde, eine wichtige Information, die man an dieser
Stelle einmal loswerden kann. Vor allem hat das Bundes-
sozialgericht aber gefordert, dass die derzeitige Aufstel-
lung, die von der Bundesagentur vorgelegt worden ist,
nicht als abschließend anzusehen ist. Wie bewertet die
Bundesregierung diesen deutlichen Hinweis des Bundes-
sozialgerichts?
H
Auch das Verfassungsgericht hat erklärt, dass man
Einzelfälle immer wieder neu prüfen muss. Genau dieser
Gesichtspunkt wurde auch in der Geschäftsanweisung,
die in Abstimmung zwischen dem Bundesministerium
für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur ergangen
ist, aufgegriffen. Es wurde deutlich gemacht, dass die
Aufzählung mit den konkret genannten Punkten wie
Nachhilfeunterricht nicht als abschließend anzusehen ist
und es Einzelfälle geben kann, die im Lichte der Ent-
scheidung des Verfassungsgerichts zu Ansprüchen füh-
ren können.
Sie haben nur zwei Zusatzfragen, Frau Kollegin. Sie
kennen die Geschäftsordnung.
Die Frage 37 der Kollegin Dr. Enkelmann wird auf-
grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Frage-
stunde schriftlich beantwortet. Die Frage 38 der Kolle-
gin Katja Dörner wird ebenfalls schriftlich beantwortet,
genauso wie die Frage 39 des Kollegen Dr. Ilja Seifert
und die Fragen 40 und 41 der Kollegin Sabine
Zimmermann.
Damit kommen wir zur Frage 42 der Kollegin Silvia
Schmidt:
Wird die Bundesagentur für Arbeit aufgrund der nunmehr
durch ein neues Verfahren möglichen Identifizierung bisher
nicht zur Schwerbehindertenausgleichsabgabe zahlungsver-
pflichteter Arbeitgeber bei bisher nicht erfassten Arbeitgebern
die Schwerbehindertenausgleichsabgabe nacherheben, und für
wie viele Jahre wird die Nacherhebung festgesetzt?
H
Die Frage darf ich wie folgt beantworten: Arbeitgeber
mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, auf
wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehin-
derte Menschen zu beschäftigen. Wer seiner Beschäfti-
gungspflicht nicht nachkommt, hat pro unbesetztem
Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten.
Wie Ihnen die Bundesregierung bereits auf Ihre schriftli-
che Frage 53 auf Bundestagsdrucksache 17/639 mitge-
teilt hat, schreibt die Bundesagentur für Arbeit jährlich
die Arbeitgeber an, bei denen eine Beschäftigungspflicht
vorliegen könnte. Auch die Integrationsämter der Länder
können dabei potenziell beschäftigungspflichtige Arbeit-
geber benennen, die nach der Datenlage der Bundes-
agentur für Arbeit nicht als solche identifiziert wurden.
Auch diese werden dann von der Bundesagentur ange-
schrieben. Zurzeit läuft das Anzeigeverfahren für das
Jahr 2009. Die Verfahren für die früheren Jahre sind ab-
geschlossen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Sehr verehrter Kollege, Herr Staatssekretär, das ist
mir bekannt. Ich hatte darüber hinaus gefragt, wie damit
in Zukunft umgegangen wird.
Es gibt einen Antrag des Landes Baden-Württemberg,
der auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, also
auf der ASMK, im November einstimmig angenommen
wurde, in dem das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales aufgefordert wird, unverzüglich festzustellen,
wie viele Arbeitgeber in den vergangenen drei Jahren ih-
rer Anzeigepflicht nicht nachgekommen sind und um
welche Beträge es sich handelt, die im Rahmen der Aus-
gleichsabgabe noch nachgefordert werden können. Dazu
ist noch einmal darzulegen, auf welcher rechtlichen
Grundlage eine nachträgliche Beschäftigungsanzeige
bzw. eine Nachforderung wegen der fälligen Ausgleichs-
abgabe erfolgen kann und ob darauf verzichtet werden
kann. Außerdem ist mitzuteilen, welche Maßnahmen un-
ternommen werden, damit die Arbeitgeber künftig frist-
gerecht und entsprechend den gesetzlichen Bestimmun-
gen ihrer Anzeige- und Zahlungspflicht nachkommen.
Als Termin für die Stellungnahme der BA wurde der
31. Dezember 2009 genannt. Ist das geschehen und,
wenn ja, in welcher Art?
H
Eine Pflicht des Arbeitgebers, der Bundesagentur fürArbeit die im Zusammenhang mit Beschäftigungspflichtund Ausgleichsabgabe erforderlichen Daten anzuzei-gen, besteht nach geltender Gesetzeslage – § 80 Abs. 2Satz 1 SGB IX – jeweils jährlich zum 31. März nur fürdas vorangegangene Kalenderjahr. So ist die momentaneRechtslage. Ziel ist, möglichst alle beschäftigungspflich-tigen Arbeitgeber zu erfassen, nicht zuletzt aus Gerech-tigkeitserwägungen. Das ist sicher richtig. Die Aus-gleichsabgabe dient aber nicht der Erzielung von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1985
(C)
(D)
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim FuchtelEinnahmen, sondern hat im Kern die Funktion, Arbeit-geber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschenzu bewegen. Diesem Hauptziel wird entgegengewirkt,wenn neu als beschäftigungspflichtig ermittelte Arbeit-geber gleich mit Nachzahlungen konfrontiert würden;denn dies würde ihre Bereitschaft, in Zukunft schwerbe-hinderte Menschen zu beschäftigen, eher mindern als he-ben.Eventuelle Mehreinnahmen dürften sich in Grenzenhalten, weil es sich häufig um Kleinbetriebe knapp überder Grenze von 20 Beschäftigten handeln dürfte. Diesezahlen ohnehin nur sehr geringe Abgaben. Teilweisewerden sie auch einen schwerbehinderten Menschen be-schäftigen, sodass gar keine Abgabe anfällt. Auch dieMöglichkeit, Aufträge an Werkstätten für behinderteMenschen auf die Abgabeschuld anzurechnen, wirdeventuelle Mehreinnahmen mindern. Auch ist nicht je-der neu ermittelte Arbeitgeber wirklich neu. Grund fürdie erneute Ermittlung bereits in der Vergangenheit er-fasster Arbeitgeber sind häufig Ausgliederung, Namens-änderung oder Sitzverlegung. Schließlich wird mannicht davon ausgehen können, dass ausschließlich Fällevon Böswilligkeit oder Verschweigen vorliegen. Invielen Fällen ist es so, dass die Grenze von 20 Beschäf-tigten überschritten wurde. Das ist zwar keine Entschul-digung für den Arbeitgeber, sollte aber nicht unberück-sichtigt bleiben, wenn man eine positive Einstellung derArbeitgeber zur Beschäftigung behinderter Menschenanstrebt.Deshalb hält es die Bundesregierung für wesentlicheffektiver, wenn die Integrationsämter der Länder aufneue beschäftigungspflichtige Arbeitgeber zugehen, siemit den Fördermöglichkeiten vertraut machen und es ih-nen dadurch erleichtern, ihre Beschäftigungspflicht zuerfüllen. Von einer solchen Vorgehensweise würden vorallem schwerbehinderte Menschen profitieren, die einenArbeitsplatz suchen.So viel zur grundsätzlichen Einstellung des Ministe-riums zu diesem Fragenkomplex.Die konkrete Frage, was aufgrund der Beschlüsse, dieSie hier zitiert haben, geschehen ist, muss ich Ihnenschriftlich beantworten; denn dazu liegen mir gegenwär-tig keine eigenen Erkenntnisse vor.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Er kann meine Frage ja nicht beantworten. Deshalb
würde ich mich freuen, eine schriftliche Antwort vom
Staatssekretär zu bekommen.
Wir kommen damit zur Frage 43 der Kollegin Silvia
Schmidt:
In wessen Verantwortung wird die Rehabilitation schwer-
behinderter Menschen im Rahmen der geplanten getrennten
Aufgabenwahrnehmung im SGB II künftig stehen, und wie
werden die Verantwortungsbereiche des Rehaverfahrens künf-
tig unter den Trägern der Grundsicherung und der Bundes-
agentur aufgeteilt?
H
Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Für die ge-
setzliche Regelung der Neuorganisation der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende hat die Bundesministerin für
Arbeit und Soziales in Form der Arbeitsentwürfe eines
Gesetzes zur Einführung der eigenverantwortlichen und
kooperativen Aufgabenwahrnehmung in der Grund-
sicherung für Arbeitsuchende und eines Gesetzes zur
Verstetigung der Option einen Vorschlag unterbreitet,
der eine Gestaltung im Rahmen der bestehenden staatli-
chen Ordnung, also ohne Änderung des Grundgesetzes
und ohne Verschiebungen der Finanzierungslasten zwi-
schen Bund, Ländern und Kommunen, vorsah. Derzeit
werden, wie das Haus weiß, Gespräche geführt, die zum
Ziel haben, eine Grundgesetzänderung als Basis für die
Neuorganisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende
vorzuschlagen. Je nach Erfolg dieser Gespräche werden
die vorgelegten Arbeitsentwürfe nicht weiterverfolgt.
Ich weise darauf hin, dass die Zuständigkeit für die
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für schwerbe-
hinderte erwerbsfähige Hilfebedürftige von der Frage
der Rehazuständigkeit nach dem SGB IX zu trennen ist.
Die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe schwerbe-
hinderter Menschen am Arbeitsleben ist alleinige Auf-
gabe der zuständigen Leistungsträger nach dem SGB II,
sofern es sich um erwerbsfähige Hilfebedürftige handelt.
Erst wenn eine Behinderung nach dem SGB IX festge-
stellt wurde, stellt sich die Frage nach dem verantwortli-
chen Rehabilitationsträger. Zuständig zur Erbringung
von Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen sind
die zuständigen Leistungsträger nach dem SGB IX. In-
wieweit aufgrund der Neuorganisation der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende Anpassungen notwendig sind,
ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu ent-
scheiden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, ich habe eine Nachfrage. – Bis jetzt war es immer
so gewesen: Wenn jemand im Rechtskreis SGB II war
und Behinderter bzw. Rehabilitand war, wurde gemäß
SGB III das Arbeitsamt beauftragt, hierzu einige Fest-
stellungen zu treffen, wie stark die Behinderung und wie
groß der Rehabedarf ist und wie man die Eingliederung
mit dem jeweiligen Betroffenen vorantreibt. Die BA hat
dann die Aufgabe der jeweiligen Optionskommune oder
des Eigenbetriebes mit übernommen; der Eigenbetrieb
hat das höchstens kontrolliert und es auch finanziert.
Wie soll das jetzt in Zukunft aussehen? Das konnte ich
jetzt nicht nachvollziehen; die schwerbehinderten Men-
schen haben selbstverständlich einen Anspruch darauf,
auch in Zukunft zu wissen, an wen sie sich zu wenden
haben, egal in welchem Rechtskreis.
H
Ich habe mit meinem letzten Satz der Antwort auf dieFrage zu erklären versucht, dass dies wohl von der Ge-
Metadaten/Kopzeile:
1986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtelsetzesgestaltung und davon abhängt, wie sie für die Zu-kunft ausgeformt wird. Wie wir wissen, ist diese Sachevoll in Verhandlungen. Diesen Verhandlungen kann manmit Sicherheit an dieser Stelle hier am heutigen Tagnicht vorgreifen.Ich weise aber darauf hin: Nach den Erkenntnissender Bundesregierung läuft das Verfahren bislang weitge-hend reibungslos. Die Bundesagentur für Arbeit unter-richtet die zuständige Arbeitsgemeinschaft oder denzugelassenen kommunalen Träger und den Hilfebedürf-tigen zunächst einmal schriftlich über den festgestelltenRehabilitationsbedarf und die demgemäß ergehendenEingliederungsvorschläge. Der Grundsicherungsträgerentscheidet über den Eingliederungsvorschlag im Rah-men seiner Leistungsverantwortung innerhalb von dreiWochen. Die durch die Schnittstellen im Rahmen diesesVerfahrens gegebenen Schwierigkeiten, insbesonderebei der Identifizierung des Rehabilitationsbedarfs, konn-ten in den letzten Jahren deutlich verringert werden. Soist die Situation.Sicherlich ist es das Ziel jeder weiteren Gesetzge-bung, dass dieser Zustand so erhalten bleibt und dassdiese Gesetzesformulierungen so gefasst werden, dasssie den entsprechenden Zwecken Rechnung tragen.
Wollen Sie noch einmal nachfragen? – Ich weise aber
darauf hin, dass wir am Ende der Zeit für die Frage-
stunde sind.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Wir sind am
Ende der Fragestunde. Die noch offenen Fragen werden
schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Schweigen der Bundeskanzlerin zur Sozial-
politik der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin erteile
ich das Wort der Kollegin Renate Künast für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieseAktuelle Stunde ist notwendig, weil die Bundeskanzlerinschweigt
und damit die Bundesregierung schweigt: Was ist eigent-lich die Linie bei der sozialen Gerechtigkeit?Ich meine, dass der Bundestag, dass die Öffentlichkeitdas Recht hat, hier und jetzt zu erfahren, wohin die Reiseeigentlich gehen soll. Frau Merkel lässt manchmal ganzgnädig über ihren Pressesprecher mitteilen, dass derDuktus des wahlkämpfenden Vizekanzlers nicht ihrersei. Das hätten wir auch gar nicht gedacht.Aber es geht gar nicht um die sprachliche Note. Wirsind ja hier nicht in Vancouver, bei der A- und B-Note,bei der Frage, ob sozusagen die Art der künstlerischenVorführung ein besonders guter Duktus gewesen sei.Nein, es geht an dieser Stelle um die Frage: Wohin solldie Reise gehen? Wie sieht im 21. Jahrhundert inDeutschland soziale Gerechtigkeit aus?
Dazu kann ich nur sagen: Schauen Sie auf die Bänke derRegierung! Das ist der Hinweis auf Führungslosigkeit.
Frau Merkel lässt die Dinge treiben, statt von ihrerRichtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. SchauenSie auf die beiden Stühle von Kanzlerin und Vizekanz-ler! Sie haben es nicht nötig, zu kommen, und das in ei-ner Zeit, in der in diesem Land 5 Millionen MenschenArbeit suchen und sich Millionen Menschen fragen, wiedie Zukunft ihrer Kinder aussieht, in der 1,8 MillionenKinder Leistungen nach Hartz IV beziehen, in der dieZeitungen mit diesem Klamauk, mit dieser Riesenwellevon einem Westerwelle gefüllt sind. Herr Westerwellesagt: Führen wir doch eine Generaldebatte im DeutschenBundestag! Aber der Mann hat es nicht nötig, sich hierhinzusetzen, geschweige denn, eine Generaldebatte zuinitiieren.
Wahrscheinlich kann Herr Westerwelle nicht hier sein,weil der Vizekanzler auf einer Riesenwelle aus wildemPopulismus irgendwie versucht, den 9. Mai in Nord-rhein-Westfalen zu erreichen.An dieser Stelle räume ich einen Fehler der Grünenein.
– Gut, dass gerade die FDP klatscht. – Wissen Sie, wasder Fehler war? Der Fehler war: Wir haben immer ge-dacht, mit Herrn Kinkel sei der außenpolitische Tief-stand in der Tradition einer Genscher-FDP erreicht.
Wir haben uns geirrt. Das gestehe ich ein. Es geht nochtiefer.
Vielleicht könnte sich Herr Westerwelle mit Friedenstif-ten und anderen Aufgaben beschäftigen, statt den inne-ren Frieden zu gefährden.Das Bundesverfassungsgericht hat ein weitreichendesUrteil gefällt. Wenn Karlsruhe ein solches Urteil fällt,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1987
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Renate Künastwäre es angemessen, zu sagen, wohin die Reise gehensoll.
Stattdessen lässt es die Bundeskanzlerin zu, dass derVizekanzler in niederträchtigster Art und Weise die Ar-men gegen die Ärmsten ausspielt.
Herr Westerwelle spaltet. Er hat keinen einzigen neuenJob geschaffen.
Er hat in dieser Regierung durch keine einzige Maß-nahme für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Dann sagt erauch noch: Wir können auch anders. Herr Westerwelle,ich frage mich nicht, ob Sie anders können, sondern ichfrage mich, ob Sie überhaupt können, und ich habe Mil-lionen Deutsche hinter mir.
Soziale Gerechtigkeit: Wie wäre es mit dem beherz-ten Kauf von Steuer-CDs, wenn Sie sich schon sozialeGerechtigkeit auf die Fahne schreiben?
Stattdessen werden von FDP und CDU/CSU als Aller-erstes die Hoteliers bedient. Die finanzstarke Wirtschaftdarf sich für nur 6 000 Euro – ein echtes Schnäppchen –ein Gespräch mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsi-denten Herrn Rüttgers kaufen.
Es gibt viele andere Dinge, für die man noch mehr Geldausgibt. Ist das Gerechtigkeit oder vielleicht eher spätrö-mische Dekadenz, um bei diesem Begriff zu bleiben?
Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, Sie habenein Problem mit der politischen Hygiene, und diesesLand hat zurzeit das Problem, dass es ohne Kanzlerinund ohne Vizekanzler ist.
Die zentrale Frage lautet: Was ist Gerechtigkeit, undwie stellen wir Gerechtigkeit her? Gerechtigkeit hängteng mit Freiheit zusammen. Das gehört zueinander.
– Das braucht man Ihnen nicht sagen. Trotzdem tun Siedas Gegenteil. Guten Morgen, FDP! – Gerechtigkeitheißt Freiheit für alle. Dafür muss man die sozialen Blo-ckaden in der Gesellschaft aufheben. Dafür muss manfür Teilhabe an Bildung, Arbeit und Gesundheit und fürdie entsprechenden Einkommen sorgen. Dafür muss mannicht im Sinne des Freiheitsbegriffs die Steuern für dieReichen senken, sondern man muss allen Menschen indieser Gesellschaft durch gute, finanzstarke Kommunendie Möglichkeit geben, teilzuhaben und sich zu entwi-ckeln. Man muss funktionierende Jobcenter aufbauen.Das tun Sie nicht.
Man muss die Alleinerziehenden in dieser Gesell-schaft unterstützen. Man muss nicht sagen, Gerechtig-keit wird durch Schneeschippen gewährleistet, um damitandere Geringverdiener rauszukicken. Vielmehr mussman erstens für ein soziokulturelles Existenzminimumsorgen und zweitens eine gute Infrastruktur aufbauen,von der auch die Mitte dieser Gesellschaft profitierenwürde. Ich sage Ihnen in Abwandlung eines Satzes vonIhnen ganz klar: Gerechtigkeit heißt gute Löhne, damitsich Arbeit wieder lohnt.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.
Mein letzter Satz. – Gerechtigkeit heißt Lohnneben-
kosten von Geringverdienern übernehmen, einen Bil-
dungssoli für den Aufbau einer besseren Bildung, den
Einstieg in die Kindergrundsicherung und die systemati-
sche Qualifikation Erwerbsloser.
Ich hätte es für richtiger befunden, wenn wir hier über
diese Konzepte diskutiert hätten, statt auf Ihre Eck-
punkte zu warten.
Ich sage Ihnen eines: Dass es nur um Wahlkampfkla-
mauk geht, sieht man an der Abwesenheit der Kanzlerin
und des Vizekanzlers. Die Antwort darauf wird es am
9. Mai geben.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. CarstenLinnemann für die CDU/CSU-Fraktion.
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1988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deutsch-
land befindet sich mitten in einer strukturellen Wirt-
schaftskrise, das Ausland schaut, ausgestattet mit viel
Neid, auf unser Sozialsystem, darauf, dass wir das So-
zialsystem in der Krise nachhaltig auf hohem Niveau
halten, und Sie haben nichts anderes im Kopf, als eine
Aktuelle Stunde über eine angeblich schweigende Kanz-
lerin einzuberufen. Nichts anderes haben Sie im Kopf.
Ich will es auf den Punkt bringen: Wir brauchen in der
Krise nicht Menschen, die alles besser wissen, sondern
die es besser machen.
Wir brauchen in der Krise keine Flut von Wortmeldun-
gen, sondern wir brauchen eine Flut von klaren Ent-
scheidungen.
Dafür steht die Kanzlerin, und dafür steht die Regierung.
Wir haben die Verlängerung der Kurzarbeitergeldrege-
lung auf den Weg gebracht, und wir nehmen jetzt Geld
in die Hand, um das Sozialsystem in Deutschland nach-
haltig zu stärken. So sieht es aus und nicht anders.
Sie sollten sich einfach einmal über die Dimension
der Krise bewusst werden, wenn Sie hier so leichtfertig
reden.
Wir reden über eine Schrumpfung in Höhe von 5 Prozent
des Sozialprodukts im letzten Jahr. Das hat es in der Ge-
schichte dieser Republik noch nie gegeben, selbst in den
letzten fünf, sechs Krisen nicht.
Herr Kolb hat das heute im Ausschuss angesprochen.
Das gab es 1965 nicht, nach den Wirtschaftswunderjah-
ren. Das gab es 1975 und 1982 nicht, nach den Erdölkri-
sen. Das gab es 1993 nicht, nach dem Wiedervereini-
gungsboom. Selbst 2003, nach dem Zusammenbruch des
neuen Marktes und den Terroranschlägen von New
York,
hat es eine solche Krise mit minus 5 Prozent nicht gege-
ben. Von all dem, worüber Sie jetzt sprechen und womit
Sie Ihren Wahlkampf titulieren – soziale Kälte, sozialer
Kahlschlag – fehlt in diesen Tagen, in diesen Wochen
und in diesen Monaten jede Spur.
Da Sie in diesen Tagen und Wochen die Entscheidung
aus Karlsruhe ansprechen, sagen wir ganz offen: Wir be-
grüßen das Urteil. Wir freuen uns über die Klarheit. Wir
werden Transparenz und Stringenz schaffen. Wir werden
die Dinge auf den Weg bringen. Da Sie diese Debatte
nutzen – das konnte man in den letzten Tagen in den Zei-
tungen lesen –, um das System des SGB II infrage zu
stellen und zu sagen: „Das ist von gestern“,
empfehle ich Ihnen einfach einmal einen Vergleich zwi-
schen dem jetzigen und dem alten System.
Dabei werden Sie feststellen, dass jetzt erstens 1 Million
erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger im System sind und
an den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten dieses Lan-
des partizipieren können, was vorher nicht ging.
Zweitens werden Sie feststellen, dass es jetzt Hinzuver-
dienstmöglichkeiten gibt, die es damals nicht gab. Drit-
tens werden Sie feststellen, dass wir jetzt signifikant
mehr Geld für die Förderung und Unterstützung von
Langzeitarbeitslosen in Deutschland in die Hand neh-
men. Das ist Fakt.
Natürlich ist das SGB II ein lernendes System. Das ist
doch klar. Wir werden es auch weiterentwickeln.
In dieser Weiterentwicklungsdebatte darf aber nicht
ein Überbietungswettbewerb bei den Regelsätzen im
Mittelpunkt stehen, sondern die Frage, wie wir die Men-
schen in Beschäftigung bekommen. Dafür steht die
CDU/CSU-Fraktion, und dafür steht die Kanzlerin.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat das Wort der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leis-tung soll sich wirklich lohnen. Dieser Satz ist in
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1989
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Hubertus Heil
Deutschland unstrittig. Also lassen Sie uns in dieser De-batte heute einmal über die Leistungsträger in diesemLand sprechen. Ich meine die tatsächlichen Leistungsträ-ger und nicht diejenigen, die sich eine Partei wie dieFDP leisten, um ihre Klientelinteressen auf Kosten derGemeinschaft rücksichtslos durchzusetzen.
– Hören Sie gut zu! – Ich rede vielmehr von der Verkäu-ferin, von der Krankenschwester, dem Erzieher, demFacharbeiter und dem Handwerksgesellen, also von denMenschen in Deutschland, die täglich hart arbeiten, dieSteuern und Abgaben zahlen und die sich an Recht undGesetz halten.
Aber was tut die schwarz-gelbe Koalition für diese wirk-lichen Leistungsträger dieser Gesellschaft? Sie machtaus vielen Leistungsträgern in diesem Land Leistungs-empfänger und – so will ich es sagen – Leistungsbedürf-tige. Das will ich Ihnen an einigen Beispielen deutlichmachen.Ein Beispiel ist die Gesundheitspolitik. Sie wollen dieunsoziale Kopfpauschale einführen, die sich viele Men-schen nicht leisten können. Sie zwingen die Menschengeradezu dazu, sich anschließend vom Staat Steuergeldabholen zu müssen. Das nenne ich leistungsfeindlichund entwürdigend. Das ist Ihre Politik.
Ein anderes Beispiel ist die Arbeitsmarktpolitik. Sieverweigern den Menschen in diesem Land, die hart undin Vollzeit arbeiten, den Mindestlohn.
Auch hier machen Sie Leistungsträger letztendlich zuLeistungsbedürftigen. Schließlich verdienen heute1,3 Millionen Menschen durch ihre Arbeit so wenig,dass sie sich ergänzendes Arbeitslosengeld II abholenmüssen.
Sie sind die Leistungsfeinde, meine Damen und Herrenvon Schwarz-Gelb.
Es sind also nicht die Menschen in unserem Land, dieleistungsfeindlich sind. Es ist die Politik dieser schwarz-gelben Bundesregierung, die leistungsfeindlich ist unddie Leistung bestraft.Auch die Menschen, die derzeit arbeitslos sind, wol-len in ihrer überwiegenden Mehrzahl arbeiten und vonihrer eigenen Hände Arbeit leben. Wie muss es in denOhren dieser Menschen klingen, wenn sie sich die wil-den Reden von Guido Westerwelle anhören? Es muss inden Ohren von arbeitslosen Menschen, die etwas leistenwollen, wie Hohn und Spott klingen, wenn sie sich sol-che Sprüche anhören müssen.
Ich hätte das Herrn Westerwelle gerne direkt gesagt,aber da er nicht da ist, bitte ich darum, ihm das zu über-mitteln. Ich sage es deutlich: Ich finde diese Art der De-batte zu führen feige und zynisch.
Es ist feige, angesichts der sinkenden Umfragewerte derFDP Menschen ohne Arbeit gegen Menschen mit Ar-mutslöhnen auszuspielen. Es ist zynisch, dass im Zusam-menhang mit arbeitslosen Menschen in diesem Land von„spätrömischer Dekadenz“ gesprochen wird.
Ich frage Sie ganz ernsthaft, ob es nicht eher ein Zei-chen von politischer Dekadenz ist, wenn der VorsitzendeIhrer Partei, der FDP, sich von Hotelketten und Liechten-steiner Banken Vorträge fürstlich honorieren lässt,
um sich in diesen Reden über den demokratischenRechtsstaat zu mokieren, der Steuerehrlichkeit verlangt.Ich kann nur sagen: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Herr Kolb, ich habe noch eine Frage, die Sie mir viel-leicht beantworten können. Ist es nicht auch ein Zeichenvon politischer Dekadenz, wenn sich ein FDP-Vorsitzen-der kurz vor der letzten Bundestagswahl mit einem vor-bestraften Steuerhinterzieher in einem Kasseler Restau-rant in der Erwartung einer großen Spende für die FDPtrifft? Das ist politische Dekadenz, nicht das Verhaltenlangzeitarbeitsloser Menschen in diesem Land.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der ei-gentliche Skandal in dieser Debatte ist aber das dröh-nende Schweigen von Angela Merkel. Es ist nicht Auf-gabe der Bundesregierung, dieses Land zu spalten. Aberes ist zumindest Aufgabe einer Bundeskanzlerin, einemKabinettsmitglied, das diese Gesellschaft spaltet, Einhaltzu gebieten. Hier schweigt Frau Merkel.
Frau Merkel hat gesagt, sie wolle die Kanzlerin allerDeutschen sein. Das ist für eine Bundeskanzlerin eigent-lich eine Selbstverständlichkeit, aber es musste noch ein-mal gesagt werden. Wenn sie diesen Anspruch erfüllen
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1990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Hubertus Heil
will, dann muss sie auch die Kanzlerin der arbeitendenMenschen sein, die zu wenig verdienen, und auch der ar-beitslosen Menschen in diesem Lande. Ihre Stimmefehlt. Auch das ist feige und zynisch.
Es ist Frau Merkel, die schweigt, wenn es um Dum-pinglöhne geht. Es ist Frau Merkel, die in der Debatteum die Kopfpauschale schweigt. Es ist Frau Merkel, dieschweigt, wenn es um tatsächliche Beschäftigungschan-cen für langzeitarbeitslose Menschen geht. Wo ist siedenn heute? Wo ist denn Herr Westerwelle?
Ich kann Ihnen sagen: Leistung muss sich wirklichlohnen! Aber es sind gerade die Leistungsträger in die-sem Land, die sich die Politik der schwarz-grünen – Ent-schuldigung –, der schwarz-gelben Regierung nicht leis-ten können.
– Sorry, ihr wart nicht gemeint. Renate, dann musst duaber klar sagen, dass es mit denen nicht geht.Wenn Frau Merkel weiter schweigt, handelt sieebenso feige und zynisch wie ihr Vizekanzler. Ich binmir sicher, das werden sich die Menschen in diesemLand nicht länger gefallen lassen. Ich finde es abscheu-lich, in dieser Situation in Deutschland, in der arbeitsloseMenschen etwas leisten wollen, in der viele Menschennur geringe Verdienstmöglichkeiten haben,
von „spätrömischer Dekadenz“ zu schwafeln. Das ist üb-rigens auch unhistorisch. Es waren nicht die Plebejer, dieim alten Rom dekadent waren. Das war diejenigen, diesich in einer Parallelgesellschaft über dem Rest der Men-schen gesehen haben. Das sind Leute, die eher Sie ken-nen, meine Damen und Herren von der FDP.
Kümmern Sie sich einmal darum, damit sich Leistungfür die Mehrheit in diesem Land lohnt, für die solidari-sche Mehrheit, für die Menschen, die hart arbeiten undsich an die Regeln halten. Die vertreten Sie nicht. Daswerden Sie zu spüren bekommen, spätestens am 9. Mai.Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Lächeln der Mona Lisa bewegt die Menschen seitmehr als fünf Jahrhunderten, denn das berühmte Ge-mälde von Leonardo da Vinci ist voller Geheimnisse, dieder einfache Betrachter ebenso wie die Kunstexperten zuentschlüsseln versuchen.
Das Schweigen der Angela Merkel beschäftigt die Grü-nen seit vorgestern und, wie wir eben gehört haben,Herrn Heil seit heute. Es gibt keine Geheimnisse auf;denn es ist vollkommen normal, Herr Heil, dass eine Re-gierungschefin, die die Sozialpolitik ihrer Regierungträgt und prägt, natürlich mit guten Gründen dazuschweigen darf und nicht ständig betonen muss, dass siediese ihre Politik selbst wirklich gut findet.
Qui tacet, consentire videtur, sagen die Lateiner: Werschweigt, scheint zuzustimmen. Für eine solche Zustim-mung gibt es gute Gründe.
Denn die Politik der christlich-liberalen Regierung istsozial, sie ist im Interesse der Menschen. Um es auf denPunkt zu bringen: Die letzte Bundesregierung, Herr Heil,Ihre Regierung, hat nach der Wahl die Steuern erhöht.Wir haben nach der Wahl das Kindergeld erhöht. Das istder Unterschied. Das ist gerecht. Das ist eine gute So-zialpolitik. Wir haben allen Grund, stolz darauf zu sein.
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen und Herr Heil, gar nicht die Sozialpolitik derBundesregierung im Allgemeinen gemeint haben soll-ten, sondern die Äußerungen von Guido Westerwelle ausAnlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zuden Hartz-IV-Regelsätzen im Besonderen, dann mussich Ihnen sagen: Die Kanzlerin hat doch gar nicht ge-schwiegen. Sie hat dem Vizekanzler in der Sache rechtgegeben. Das hängt damit zusammen, dass er damit imGrunde genommen gar nichts anderes als die Umsetzungdes Koalitionsvertrages angekündigt hat.
Sie hat mitteilen lassen, das sei nicht ihr Sprachstil. Dasmag so sein.Wenn aber die Bild-Zeitung heute schreibt, die Bun-deskanzlerin habe sich darüber hinaus enttäuscht ge-zeigt, dass sich der Vizekanzler und FDP-Vorsitzende alsReformmotor der Koalition darstelle, dann muss ich Ih-nen sagen: Mit dieser Enttäuschung kann ich gut leben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1991
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Dr. Heinrich L. KolbFür die FDP-Fraktion ist es jedenfalls alles andere alsehrenrührig, wenn Guido Westerwelle, der Vizekanzler,diese Regierung auf Reformen drängt. Denn viele Men-schen in Deutschland haben bei der letzten Bundestags-wahl die FDP gewählt, weil sie Veränderungen wollten.Wir treten nun nach der Wahl dafür ein, dass es genaudiese Veränderungen gibt.
Denn, Herr Heil, Frau Künast, wenn wir nichts ändern,wird nichts so bleiben, wie es ist.
– Sie lachen. Das zeigt, dass Sie den Ernst der Situationüberhaupt nicht verstanden haben.
Das gilt zumal für den Bereich der Sozialpolitik, wowir natürlich die Balance halten müssen zwischen denLeistungen für diejenigen, die unverschuldet in Not ge-raten sind und Hartz IV beziehen, und denen, die arbei-ten und mit ihren Steuern und Sozialbeiträgen genaudiese Leistungen für Bedürftige finanzieren müssen.
Diese Balance dürfen wir nicht aus den Augen verlie-ren. Wir dürfen die, die arbeiten gehen und für unser Ge-meinwesen auch finanziell einstehen, nicht vergessen.Sie sind die Mitte unserer Gesellschaft.
Wir müssen auch darauf achten – ich komme nocheinmal auf dieses Wort von Guido Westerwelle mit derspätrömischen Dekadenz zurück –, dass unser Staat, un-sere Gesellschaft, unser Sozialsystem auch Widerstands-kraft hat, widerständig bleibt. Denn das alte Rom istdaran zugrunde gegangen, dass die Tugenden verlorengegangen sind,
dass die Balance aus den Fugen geraten ist. Das dürfenwir nicht zulassen. Wir alle sind aufgefordert, da hinzu-sehen, wo es Missbrauch gibt, denjenigen, die bedürftigsind, die Leistungen zu gewähren, die sie brauchen, aberdenjenigen, die die Leistungen des Sozialstaates in An-spruch nehmen wollen, obwohl sie sie nicht brauchen,ein ganz klares Stoppschild vorzuhalten. Dieser Auftraggeht aus dieser Diskussion hervor.
Meine Damen und Herren, jetzt gibt es diejenigen– das war auch der Hintergrund der Äußerungen vonHerrn Westerwelle –, die sofort nach dem Urteil ausKarlsruhe genau wussten, wie die Regelsätze denn nunaussehen müssen. Die Linken haben heute Morgen imAusschuss einen Betrag von 500 Euro genannt.
Das ist jetzt das Maß der Dinge.
Liebe Kollegen von den Linken, damit tun Sie genaudas, was das Bundesverfassungsgericht kritisiert hat.Wir dürfen nämlich nicht ins Blaue hinein schätzen, son-dern müssen den Bedarf von arbeitslosen Menschen inunserem Lande begründet darlegen. Wir müssen Wer-tungsentscheidungen treffen. Das hat uns das KarlsruherGericht aufgegeben – und nicht, ins Blaue hinein Zahlenzu nennen, wie es einer politischen Klientel möglicher-weise gefallen mag.
Das wäre falsch. Das wäre verkehrt. Das sollten wir aufkeinen Fall tun.
Zum Schluss: Ich wundere mich, Frau Künast. Ichwundere mich aber auch bei Ihnen, Herr Heil, ein Stückweit darüber – das muss ich sagen –, wie weit der politi-sche Gedächtnisverlust schon fortgeschritten ist.
Bei der Regelung, die in der vorletzten Woche in Karls-ruhe gescheitert ist, handelt es sich um die Normen Ihrerrot-grünen Bundesregierung. Es sind Ihre Ableitungeneines Bedarfs gewesen, die Karlsruhe für verfassungs-widrig erklärt hat.
Und Sie stellen sich heute hierhin und wollen uns weis-machen, wir seien diejenigen, die schuld seien. Das trifftnicht zu.Wir werden diese Herausforderung aber annehmen.Parallel zur Optimierung der Jobcenter werden wir auchdie Regelsätze für bedürftige Langzeitarbeitslose inDeutschland neu definieren – unter hohem Zeitdruck,der auch darauf zurückzuführen ist, Herr Scholz, dassandere zu lange nichts zustande gebracht haben. Wirwerden das tun. Ich bin sicher, dass wir auch ein gutesErgebnis erreichen werden.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Maurer für dieFraktion Die Linke.
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1992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich binan einem einzigen Punkt derselben Meinung wie derKollege Kolb. Die Frau Bundeskanzlerin hat nicht ge-schwiegen, sondern sie hat den Duktus des Herrn Vize-kanzlers gegeißelt. Das heißt im Klartext: Sie hat sichwie eine Richterin verhalten, die den KollegenWesterwelle nicht wegen seiner Tat, sondern wegenmangelnder Eleganz bei der Tatausführung verurteilt.
Das kann man schon so deuten, wie es der Kollege Kolbunter dem betretenen Schweigen der CDU/CSU-Frak-tion gerade getan hat, nämlich als Zustimmung in derSache.Bei Ihnen geht es wirr durcheinander. Ich will Ihneneinmal sagen, was uns – und mit uns Millionen vonMenschen – an dieser ganzen Debatte zutiefst empört:Was Sie und Herr Westerwelle hier versuchen, ist, mittenin der schwersten Nachkriegskrise Deutschlands den be-rechtigten Zorn der Menschen, die hart arbeiten und da-für zu wenig Geld bekommen, auf die Arbeitslosen zulenken, um von denen abzulenken, die ihnen die Kriseeingebrockt haben. Dieser Versuch wird hier unternom-men.
Es passiert ja nicht zum ersten Mal in der deutschenGeschichte, dass man auf diese Art und Weise Krisenverarbeitet. Ich höre auch schon die Stimmen derjenigen,die sagen, es seien besonders viele Migrantinnen undMigranten unter den Leistungsverweigerern. Das istdann der nächste Zug ins Rassistische.
– Das können Sie alles nachlesen.
– Lesen Sie keine Zeitung? Das können Sie in den Zei-tungen alles nachlesen.
Das sind dann die unabhängigen Institute und weiß derTeufel wer.Wir kennen das alles. Ich sage Ihnen: Damit betreibenSie ein gefährliches Spiel. Wer in einer schweren Wirt-schaftskrise versucht, die Menschen, die am härtestenbetroffen sind, gegeneinander aufzubringen und Hassgegen Minderheiten, gegen angebliche Faulenzer etc.um des gesunden Volksempfindens willen zu erzeugen,der hat aus der deutschen Geschichte nichts gelernt – garnichts.
Wer das deswegen macht, weil er sich davon verspricht,dass seine Umfragewerte steigen, womit er offensicht-lich keinen allzu großen Erfolg hat, dessen Handelnkann man nur noch als schäbig bezeichnen. Das ist schä-big, um es in aller Deutlichkeit zu sagen. Das war einestrategische Entscheidung, die wir Ihnen aber nichtdurchgehen lassen.Wir sind Ihnen an einem Punkt sogar dankbar fürdiese Leistungsdebatte. Erinnern Sie sich bitte an Fol-gendes: Das alte Rom ist an der Käuflichkeit und Kor-ruption der Politik zugrunde gegangen. Pontius Pilatusist wegen Steuerhinterziehung nach Judäa strafversetztworden.
Wer sich für Politik bezahlen lässt, der bewegt sich inder Tat auf den Pfaden der spätrömischen Dekadenz.
Wo ist in der Krise der Beitrag derer, die diese Kriseverursacht haben? Wo ist der Beitrag der Investmentban-ker? Wo ist der Beitrag der Boniempfänger? Wo ist de-ren Beitrag? Anstatt darüber zu reden, reden Sie überArbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Das ist schäbig,lieber Kollege Kolb.
Frau Kollegin Künast, es gab während Ihrer Rede ei-nen Moment, in dem ich dachte: Jetzt kommt etwaswirklich Wichtiges. Sie wollten nämlich einen Fehler derGrünen eingestehen. Das kam dann aber nicht.
Das Problem in Deutschland ist, dass die Löhne ge-drückt wurden, dass ein System von Niedriglöhnen undein System von Sklavenarbeit, das sich Leiharbeit nennt,eingeführt wurden. Die davon betroffenen Menschen ha-ben einen Anspruch, vertreten zu werden. Wer, wie dieFDP, über Arbeitslose redet, aber Mindestlöhne verwei-gert, der steht in dieser politischen Debatte auf der fal-schen Seite. Wenn man allerdings, wie Sie, Frau Künast,diese Situation anprangert, ohne wenigstens auch zu er-wähnen, dass Sie selbst einen guten Anteil daran hatten,dass dieses System der Niedriglöhne, der 1-Euro-Jobs,der Aufstockerei und der Leiharbeit eingeführt wurde,ist das kein guter Einstieg in diese Debatte.
Wir sagen: Wir werden uns für alleinerziehende Müt-ter einsetzen. Wir werden uns für die Kinder, die in die-sem Hartz-System menschenunwürdig behandelt wer-den, einsetzen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1993
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Ulrich MaurerWir werden uns allerdings mit dem gleichen Nachdruckauch für die Menschen einsetzen, die hart arbeiten, abernicht einmal das Existenzminimum verdienen
und die nicht etwa für 7 000 Euro plus immer denselbenVortrag halten. Denen sollten Sie sich zuwenden, nichtdenen, die an Ihre Partei spenden.
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Die Aufgeregtheit, die in der heutigen Aktuellen Stundezur Sozialpolitik der Bundesregierung wieder einmalzum Ausdruck gebracht wird, ist in keiner Weise begrün-det. Die Opposition hat dargelegt, dass sie eigentlichüberhaupt nichts zu kritisieren hat, sondern hier nur Po-lemik betreiben möchte.
Das muss man allen drei bisherigen Rednern der Opposi-tion bescheinigen.Gerade Frau Kollegin Künast, die diese AktuelleStunde als Fraktionsvorsitzende mit beantragt hat, hat ei-gentlich überhaupt nicht über das Thema gesprochen,
sondern hat versucht, eine etwas missglückte Wahl-kampfrede zu halten und Schuldzuweisungen an dieFDP und die CDU/CSU zu erheben. Davon haben dieBürgerinnen und Bürger nichts, liebe Frau Künast. DieBürger sind darauf angewiesen, dass hier gute Entschei-dungen gefällt werden.
Die Koalition von CDU, CSU und FDP, die bürgerli-che christlich-liberale Koalition, steht an der Seite derer,die unseren Sozialstaat letztendlich begründen und ihntagtäglich erarbeiten. Gleichzeitig steht sie aber auch ander Seite der Menschen, die auf soziale Leistungen ange-wiesen sind, und sorgt dafür, dass diese Menschen dienötige Unterstützung erhalten. Dafür stehen wir.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies haben wir inder Vergangenheit bewiesen. Die Union war der Reform-anschieber, und zwar nach christlich-sozialem undchristlich-demokratischem Verständnis. Ich glaube, dasswir dies gerade in der vergangenen Legislaturperiodeunter Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in der So-zialgesetzgebung deutlich gemacht haben. Auch in derjetzigen Bundesregierung sind wir in diesem Bereich derReformmotor.
Auch für die Öffentlichkeit ist es wichtig, darzulegen,welche sozialen Leistungen wir für die Menschen erbrin-gen. Diese sozialen Leistungen werden tagtäglich harterarbeitet, und zwar von Menschen, die morgens frühaufstehen und den ganzen Tag lang arbeiten. Damit leis-ten sie einen Beitrag zum Bruttosozialprodukt und tra-gen dazu bei, dass die soziale Sicherung aller Bürger ge-währleistet werden kann.Ein Ausdruck dessen ist der Bundeshaushalt 2010,den wir in der übernächsten Sitzungswoche verabschie-den werden. Über 54 Prozent des Bundeshaushaltes flie-ßen in die soziale Sicherung der Menschen in unseremLand. Das ist ein beredtes Beispiel für unseren Beistandfür die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft.
Natürlich ist es richtig: Der beste soziale Schutz fürdie Menschen ist, wenn Arbeitsplätze geschaffen wer-den. Herr Kollege Maurer – das gilt auch für den Kolle-gen Heil –, deshalb haben wir zum 1. Januar dieses Jah-res kräftige Entlastungen für die Menschen durchgesetzt,die tagtäglich zur Arbeit gehen, nämlich für die Fachar-beiterinnen und Facharbeiter; diese wollen Sie aber zu-sätzlich belasten.
Jetzt ist ein neuer Antrag für den SPD-Bundespartei-tag in Vorbereitung: Es soll versprochen werden, denBezug von Arbeitslosengeld I zukünftig auf zwei Jahrezu verlängern. Vielleicht wird später, weil bei der SPDoffensichtlich ein Überbietungswettbewerb ausgebro-chen ist, eine Verlängerung auf drei Jahre beschlossen.Sie wollen also alles zurückschrauben, was Sie im Rah-men der Agenda 2010 beschlossen haben.
– Natürlich ist das so. – Wer bezahlt dann diese Maßnah-men? Das bezahlt letztendlich der Facharbeiter mit sei-nen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Wir stehenfür eine Entlastung der Facharbeiter, der Bürgerinnenund Bürger; Sie von der versammelten Opposition ste-hen für die Belastung unserer Bürgerinnen und Bürger.
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1994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Max StraubingerFrau Kollegin Künast hat gesagt, Gerechtigkeit werdenicht durch Schneeschippen gewährleistet.
Ich möchte aber schon darlegen, dass unter der rot-grü-nen Bundesregierung, natürlich mit dem Zutun vonCDU und CSU im Bundesrat, das Prinzip „Fordern undFördern“ durchgesetzt worden ist. Ich glaube, es mussein entscheidendes Merkmal des Sozialstaates sein, dassder, der arbeiten kann, auch tatsächlich arbeitet. Es warunmöglich, was in den vergangenen Wochen in dieserschönen Stadt Berlin passiert ist: Die alten Leute warenletztendlich richtiggehend kaserniert, weil sie nicht aufdie Gehwege hinausgehen konnten,
weil der Berliner Senat, der Bürgermeister und die rot-rote Stadtregierung nicht imstande waren, den Schneevon den Gehwegen zu räumen.
Hier hätten die Arbeitslosen in dieser Stadt aufgefordertwerden können, und zwar sehr frühzeitig, einen Beitragzu leisten.
Wenn sie soziale Unterstützung erhalten, dann ist esrichtig, einen Beitrag für die Allgemeinheit und für diealten Leute in unserem Land zu leisten. Frau KolleginKünast, deshalb wäre es gut gewesen, wenn sie richtigSchnee geschippt hätten.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Herr Straubinger, wenn man Sie so hört, dann könnteman wirklich meinen, die tollen Tage würden fortge-setzt. Allerdings wäre das wirklich eine Beleidigung fürjeden Karnevalisten.
Das, was Sie hier machen, ist genauso purer und blankerPopulismus wie das, was der FDP-Vorsitzende und Bun-desaußenminister gemacht hat. Das ist allerdings keinWunder; denn Herr Westerwelle hat hier von einer „geis-tig-politischen Wende“ gesprochen. Wir hatten schoneinmal so etwas Ähnliches: Damals hieß es „geistig-mo-ralische Wende“. Am Ende der Regierungszeit von Bun-deskanzler Helmut Kohl hatten wir eine Bimbesrepublikmit schwarzen Koffern, mit Vermächtnissen usw.
Wir sind zu Beginn dieser Regierung, der erneuten Auf-lage von Schwarz-Gelb, genau da, wo es 1998 aufgehörthat. Das heißt jetzt eben nur „geistig-politische Wende“.Das, was Sie tun, ist nichts anderes als schwarz-gelbeKlientelpolitik.
Man erkennt das auch daran, dass sich die Großspen-den von Hotelketten und Pharmaindustrie sofort ausge-zahlt haben: Die Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtun-gen wurde gesenkt. Sicherlich hat es überhaupt nichtsdamit zu tun, dass Herr Westerwelle auch noch für imSchnitt 7 000 Euro Vorträge hält.
Auch wenn das in Zeiten war, als er noch Vorsitzendereiner Oppositionsfraktion war, muss man sich fragen:Welche Geisteshaltung steckt dahinter, wenn man vonder Tochtergesellschaft einer Bank, die für deutscheSteuerzahler bzw. -nichtzahler Beihilfe zur Steuerhinter-ziehung leistet, Geld annimmt und für sie Vorträge hält?
Das ist dekadent, Herr Kolb.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick aufMenschen, die am Existenzminimum leben, ein gutes,sehr mutiges Urteil gesprochen, mit dem es den Sozial-staat klar gestärkt hat. Wie kann man die Verfassungs-richter dafür schelten?
Man muss stattdessen darüber diskutieren, wie dasExistenzminimum gesichert werden kann. Dieser De-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1995
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Elke Fernerbatte verweigern Sie sich. Herr Westerwelle hat letzteWoche gefordert, dass im Deutschen Bundestag einegroße Debatte geführt wird. „Wo ist er denn?“, kann mannur fragen.
Offenbar kneift er, weil er vor dieser Debatte Angst hat.Sie werden in dieser Debatte nämlich nicht bestehen.
Sie verweigern der Öffentlichkeit die Information da-rüber, was auf sie zukommt. Nach dem 9. Mai wird es inbewährter Manier weitergehen: Man verteilt um, von un-ten nach oben. Sie widersprechen sich auch: Ihr General-sekretär, der den Staat als „teuren Schwächling“ be-zeichnet hat, obwohl er, wie ich dem AmtlichenHandbuch des Deutschen Bundestages entnehme, bisherfast ausschließlich vom Staat alimentiert worden ist,
sagt: Man darf die Menschen nicht dauerhaft auf Trans-ferleistungen verweisen. Damit hat er recht; ich fragemich dann nur, warum Sie durch die Einführung einerKopfpauschale in der Krankenversicherung eine wach-sende Zahl von Menschen von Sozialtransfers abhängigmachen wollen. Was Sie da machen, ist absurd, und eshilft nicht weiter.
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte. VonFrau Merkel ist bisher, außer dass sie zugibt, dass dieWortwahl vielleicht nicht besonders gut war, nichts zuhören. Frau Merkel sitzt wie die Prinzessin auf der Erbseund wartet darauf, dass sich alles in Wohlgefallen auf-löst. Damit wird diese Koalition von Schwarz-Gelb abernicht durchkommen.
In Nordrhein-Westfalen geht alles nach dem Motto:Rent a Ministerpräsident! Ich bin gespannt, was in dennächsten Wochen noch alles herauskommen wird. Dashat mit Dekadenz mit Sicherheit mehr zu tun, als wennsich jemand mit der Frage beschäftigt, wie man denen,die unverschuldet arbeitslos sind und in der überwiegen-den Mehrzahl arbeiten wollen, zu einer Arbeit verhelfenkann, die existenzsichernd ist.Was die FDP und ihr Vorsitzender mit plumpem Po-pulismus propagieren, bedeutet doch nichts anderes, alszu sagen: Der niedrigste Hungerlohn ist der Maßstab fürdas Existenzminimum. Das Bundesverfassungsgerichthat jetzt deutlich gemacht: Das Existenzminimum stehtnicht zur Disposition.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir brauchen einLohnanstandsgebot, ein Gebot, existenzsichernde Löhnezu zahlen, damit diejenigen, die jeden Morgen aufste-hen, am Monatsende so viel Geld in der Lohntüte haben,dass sie von ihrer Hände und ihres Kopfes Arbeit lebenkönnen.
Eine Ausweitung von Kombilöhnen und eine Auswei-tung des Niedriglohnsektors sind das Letzte, was wirbrauchen. Diese Auffassung unterscheidet uns von Ih-nen. Am 9. Mai werden die Menschen in Nordrhein-Westfalen auch darüber zu entscheiden haben, ob sie So-zialabbau und -kahlschlag haben wollen oder ob es indieser Republik wieder gerecht zugehen soll.
Nächster Redner ist der Kollege Pascal Kober für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ferner, man kann Vorwürfe erheben, undman kann versuchen, Zusammenhänge zu suggerieren.Wussten Sie, Frau Ferner, dass Sigmar Gabriel privat imJahr 2004 vom VW-Konzern 130 000 Euro bekommenhat,
und das als einer, der doch zu den überzeugteren Vertre-tern des VW-Gesetzes zählt?
Lieber Herr Heil, das „dröhnende Schweigen“ derKanzlerin hören Sie wahrscheinlich besonders intensiv,wenn Sie um gerade Kurven fahren. Liebe Kollegen,
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1996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Pascal KoberNachdenken hilft nicht nur beim Finden von Begriffen,Nachdenken hilft auch bei der Lösung der Probleme die-ser Gesellschaft.
Deshalb möchte ich Sie hiermit einladen, ein Stück aufdem Weg des gemeinsamen Nachdenkens mit uns zu ge-hen, auf dem Weg, den jedenfalls die FDP beschreitetund der nichts anderes als vernünftig, angemessen undverantwortungsvoll ist.
Worum geht es überhaupt? Der Kern unserer Debatteist zunächst das angemessene Verhältnis von Bedarfsge-rechtigkeit auf der einen Seite sowie Leistungs- und Ver-teilungsgerechtigkeit auf der anderen Seite. Niemand inder FDP – schon gar nicht Guido Westerwelle – leugnet,
dass es Lebenssituationen gibt, in denen Menschen aufdie Unterstützung der anderen, der Solidargemeinschaft,angewiesen sind. Niemand leugnet, dass dieseMenschen, wie jeder andere Mensch auch, Bedürfnissehaben – zum Beispiel muss das Bedürfnis eines würdi-gen Auskommens befriedigt werden, und nach Maßgabedes Möglichen wird es in diesem Land auch befriedigt.
Wahr ist aber eben auch, dass diese Mittel, die dieje-nigen, die arbeiten, mit ihren Leistungen erwirtschaften,zielgerichtet, effizient und sparsam eingesetzt werdenmüssen – im Sinne der Leistungsgerechtigkeit und derVerteilungsgerechtigkeit, aber auch im Sinne der Funk-tionstüchtigkeit des Sozial- und Wirtschaftssystems.Ganz bestimmt muss dies auch im Sinne derjenigen ge-schehen, die sich überhaupt nicht selbst zu helfen wis-sen, das nicht können und die wohl auch dauerhaft aufUnterstützung und Betreuung angewiesen sind. Es istdeshalb auch gerecht, dass wir erwarten, dass jeder indieser Gesellschaft nach seinen Kräften das für sichMögliche beiträgt; denn das bedeutet eine aktive Unter-stützung für die Schwächsten in dieser Gesellschaft.Wir von der FDP verstehen Bedarfsgerechtigkeitnicht nur im Sinne notwendiger Alimentation. JederMensch in dieser Gesellschaft hat das Recht auf Teil-habe. Deshalb ist die Bedarfsgerechtigkeit nach unseremMenschen- und Gesellschaftsbild gleichbedeutend mitChancengerechtigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als FDP kämp-fen dafür und lassen uns darin auch nicht durch opposi-tionelles reflexhaftes Skandalisieren beirren, dass derSozialstaat als Erstes Chancen der Teilhabe vermittelnmuss. Genau darin ist der Sozialstaat bisheriger Prägungin unverantwortlicher Weise gescheitert. Viel zu langehaben wir uns damit begnügt, die Menschen zu alimen-tieren und den Sozialstaat als ein Auffangnetz statt alsein Sprungbrett zu begreifen, mit dem den betroffenenMenschen der Sprung oder das Sich-wieder-Aufrichtenin die Selbstständigkeit und die aktive Teilhabe ermög-licht wird.
Der Sozialstaat bisheriger Prägung ist noch an eineranderen Stelle gescheitert. Es wurde viel zu lange ver-säumt, die soziale Verantwortung auch im Lichte der Ge-rechtigkeit gegenüber künftigen Generationen zu begrei-fen.
Viel zu lange ist diese Gesellschaft dem Konflikt zwi-schen Bedarfsgerechtigkeit auf der einen Seite sowieLeistungsgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit aufder anderen Seite ausgewichen, indem sie ihn mit unge-deckten Wechseln auf die Zukunft, einer gigantischenStaatsverschuldung, zugedeckt hat.
Wir werden nun zügig die Grundlagen für eine neueBerechnung der Hartz-IV-Bezüge auf den Weg bringen.Ob dabei ein höherer oder niedrigerer Satz heraus-kommt, kann ich jetzt noch nicht sagen.
Aussagen in jede der beiden Richtungen sind daher ver-früht.Wir werden das Ausgeschlossensein von Menschenbeenden und für eine bessere Möglichkeit ihrer gesell-schaftlichen Teilhabe sorgen, indem wir die Zuverdienst-möglichkeiten verbessern,
und wir werden insbesondere unsere Aufmerksamkeitauf das Wohl der Kinder legen. Dass eine Gesellschaftihren Kindern nicht alle Chancen eröffnet, sie aber auch– das sage ich mit Blick auf die Staatsverschuldung –nicht offenhält, ist unerträglich.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wenn man sich einmal mit einer gewissenRuhe anschaut, was in der Causa Westerwelle eigentlichlos ist, dann stellt man fest: Der Kollege hat elf Jahrelang politisch davon gelebt, dass er erzählt hat, die FDPwerde die Steuern senken.
Um diesen Satz hat er elf Jahre lang seine Reden aufge-baut. Er kam in die Regierung und
man stellt fest: Wegen der Staatsverschuldung und ver-schiedener anderer Faktoren geht es nicht mit den FDP-Modellen, mit denen Sie in den Wahlkampf gezogensind.Nun kam ein Urteil aus Karlsruhe, das besagt: Die Ar-beitslosengeld-II-Bezüge, die Transferleistungen, müs-sen auf eine andere Art berechnet werden, und vor allemmuss die Existenz der Menschen durch diese Leistungenwürdeorientiert gesichert werden.
– Beruhigen Sie sich, Herr Kolb. Für Ihr Problem gibt esin der Apotheke Beruhigungsmittel.Die FDP spürt natürlich, dass mit Steuersenkungen inder nächsten Zeit noch weniger los sein wird. Dannschaut sie sich die Umfragewerte an: freier Fall nach un-ten; , physikalisch gesprochen.
Auf welche Idee kommen Sie also bei Ihrem Strategie-treffen am vergangenen Wochenende? Sie kommen aufdie Idee, einen Angriff auf die Arbeitslosengeld-II-Emp-fänger zu starten, und zwar mit der Pauschalität, mit derWesterwelle dies getan hat.
Ich nenne für meine Fraktion das Verfahren, zur Opti-mierung der eigenen Umfragewerte insgesamt 6,4 Mil-lionen Menschen, die in Deutschland Arbeitslosengeld IIbeziehen, pauschal zu diskriminieren, schäbig, unanstän-dig und der deutschen Politik nicht würdig.
g2--- t2•Damit müssen Sie sich auseinandersetzen. Nach demUrteil in Karlsruhe und der Diskussion über die Frage,ob sich Arbeit lohnt, können Sie das angehen. Dabei giltübrigens: In allen Fällen, in denen Kinder da sind undKindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld hinzuge-rechnet werden, sind die Einkünfte höher, wenn man ar-beitet, als wenn man nicht erwerbstätig ist. Auch da wirdmit falschen Zahlen operiert.
– Ja, es ist wichtig, darzulegen, wie die Verhältnissewirklich sind.Wer aber glaubt, es lohne sich, zu wenig zu arbeiten,der hat verschiedene Möglichkeiten. Die FDP wählt dieMöglichkeit, dass das Arbeitslosengeld II gesenkt wird.
Wir sagen: Wir brauchen Mindestlöhne, damit sich Ar-beit im Niedriglohnbereich wieder lohnt,
und wir müssen die Lohnnebenkosten nach unseremProgressivmodell so gestalten, dass sie im Niedriglohn-bereich sinken, sodass mehr Netto vom Brutto bleibt.Denn die Steuersenkungen kommen vielen zugute, nurnicht den Geringstverdienenden. Das müsste die FDPmeines Erachtens endlich kapieren.
Ich finde das richtig unverschämt von der FDP und vonHerrn Westerwelle.
Der ehemalige Bundeskanzler Schmidt hat übrigens ineiner Fernsehsendung diese Woche zu Recht gesagt, ersei ein Wichtigtuer, kein Wichtiger. Ich war selten beiHelmut Schmidt, aber an dieser Stelle hat er absolutrecht.
Wir hatten in Deutschland im Hartz-System 2009 eineMissbrauchsquote von 1,9 Prozent. Das betrifft etwa129 000 Menschen.
Wer wegen dieser Missbrauchsquote in der Lage ist,6,4 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu diskri-minieren, der handelt schäbig und muss in diesem Hauspolitisch gestellt werden.
Das ist der Punkt, um den es uns in dieser Debattegeht, die wir beantragt haben – das richte ich jetzt an die
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1998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Fritz KuhnCDU/CSU –: Wir können nicht verstehen, dass die Bun-deskanzlerin und Vorsitzende einer christlichen Parteifür dieses Manöver von Herrn Westerwelle nichts ande-res übrig hat als Stilkritik. Ich fordere Sie von der CDU/CSU auf: Distanzieren Sie sich von diesen widerlichenSozialspaltern, mit denen Sie in der Koalition sind!
Kehren Sie zu dem Grundprinzip christlicher Politik zu-rück, dass denen, die arm und schlecht dran sind, gehol-fen werden muss, sowohl materiell als auch durch ver-besserte Zugangschancen!Lassen Sie uns deshalb diskutieren, wie man die Zu-verdienstmöglichkeiten verbessern kann, aber in derWeise, dass nicht auf breiter Front ein Kombilohn ent-steht, bei dem die Unternehmer darauf spekulieren kön-nen, dass der Staat schon aushilft, wenn sie geringeLöhne zahlen.
Deswegen müssen Zuverdienst und Mindestlohn ge-meinsam kommen; sie dürfen nicht gegeneinander aus-gespielt werden. Ich hoffe an dieser Stelle auf die CDU/CSU.
– Meine Hoffnung liegt im Rahmen des parteipolitischMöglichen.
Aber ich meine es sehr ernst: Wenn die CDU/CSU die-sem widerlichen Politikstil und diesen widerlichen In-halten jenseits von Stilkritik nicht Einhalt gebietet,
dann haben Sie den Anspruch verloren, in diesem Hausefür christliche Politik zu stehen.Danke.
Nun hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen!Wir finden uns mit Arbeitslosigkeit nicht ab. Wirwollen und glauben auch, dass es möglich ist, imnächsten Jahrzehnt Vollbeschäftigung zu erreichen.Wir wollen jedem eine Chance geben, weil sich diefreiheitliche Entfaltung des Menschen durch selbst-verdientes Geld viel besser vollziehen kann. Daswollen wir erreichen.So Angela Merkel vor wenigen Wochen, am 20. Januar2010, von dieser Stelle aus in der Haushaltsdebatte desDeutschen Bundestages. Das ist ein klares arbeitsmarkt-und sozialpolitisches Programm einer Kanzlerin, diesich zu Recht christliche Kanzlerin nennen kann.
Weil einige unbedingt wissen wollen, was unsere Bun-deskanzlerin zu Arbeitslosengeld II oder, wie viele sa-gen, Hartz IV meint, auch dazu die notwendigen Zitateaus der Rede vom 20. Januar. Angela Merkel erklärte:Ich glaube, dass die rechtlichen Rahmenbedingun-gen, was den Zwang, die Aufgabe oder die Notwen-digkeit der Arbeitsaufnahme anbelangt, eindeutigausreichend sind.
Wer eine zumutbare Arbeit nicht annimmt, hatheute Sanktionen zu befürchten. … Die Frage, obdie Umsetzung unserer rechtlichen Regelungenüberall ausreichend erfolgt, muss man sich immerwieder anschauen.Sie hat zu Recht gesagt, dass uns das vor allem deswe-gen schwerfällt, weil das Prinzip, dass wir jedem, derArbeit sucht, wirklich eine Arbeit anbieten können, bis-lang nur unzureichend erreicht ist.Ich finde, was unsere Bundeskanzlerin zum ThemaArbeitslosengeld II am 20. Januar in der Haushaltsde-batte vorgetragen hat, ist klar und eindeutig und beant-wortet alle Fragen, die die Opposition heute gestellt hat.
Deswegen erlaube ich mir noch eine Anmerkung. Zuwirklich guter Politik gehört auch, gut zuhören zu kön-nen.
Wenn die Opposition dies beherzigen und nicht schonunter Gedächtnisschwund leiden würde, dann hätte siedie heutige Aktuelle Stunde gar nicht zu beantragenbrauchen.
Entscheidend ist übrigens nicht, ob die Bundeskanzlerinjeden Tag etwas sagt,
sondern entscheidend ist,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 1999
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Peter Weiß
ob die Regierungschefin handelt. Das ist die entschei-dende Frage.
Nachdem ich für diesen Satz den gesammelten Beifallder verehrten Opposition erhalten habe, möchte ichgerne ihrem Gedächtnisschwund etwas aufhelfen:
Jetzt, da wir die Auswirkungen der schwersten Wirt-schaftskrise der Bundesrepublik Deutschland seit demZweiten Weltkrieg erleben, handelt diese Regierung mitihrer Kanzlerin entschlossen, um unsere Sozialversiche-rungssysteme zu stabilisieren – das haben wir schon mitOlaf Scholz begonnen, der nach mir reden wird –, umden Arbeitsmarkt zum Beispiel durch die Verlängerungder Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu stabilisierenund um die Auswirkung auf die Unternehmen und dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzumildern.Der Staat wendet mit dem Bundeshaushalt 2010, dendiese Kanzlerin zu verantworten hat, mehr als es je inder Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mög-lich war, Steuergelder auf, um den Sozialstaat zu stabili-sieren.
Ich zähle die Einzelsummen auf: 80,7 Milliarden Eurofür die Rente, 23,9 Milliarden Euro für die Bundesagen-tur für Arbeit, zum Beispiel um das Kurzarbeitergeldmitzufinanzieren, 38,7 Milliarden Euro für das Arbeits-losengeld II, 15 Milliarden Euro für die gesetzlicheKrankenversicherung.Diese große solidarische Leistung des Staates zur Kri-senbewältigung findet Gott sei Dank ihre Entsprechungim Handeln der Tarifvertragsparteien. Der neue Metall-tarifvertrag gibt der Beschäftigungssicherung den ein-deutigen Vorrang vor der Lohnpolitik. Ich finde, damiterleben wir gerade jetzt in der Krise ein großartiges Bei-spiel dafür, dass das deutsche Modell der Sozialpartner-schaft funktioniert. Darauf sollten wir stolz sein, und dassollten wir auch nicht kaputtreden.
Es ist im Übrigen der Mindestlohn angesprochenworden. Gestern hat die Koalition den Weg dafür frei ge-macht, dass für Gebäudereiniger und Dachdecker dieneue Regelung zum Mindestlohn in Kraft treten kann.Dies zeigt: Wir setzen das Instrumentarium, das wir inder Großen Koalition im Rahmen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes beschlossen haben, um. Da, wo es dieTarifpartner vorschlagen und beschließen, haben inDeutschland branchenbezogene Mindestlöhne eineChance, auch und gerade mit Angela Merkel.
Wir, die neue Koalition aus CDU/CSU und FDP mitAngela Merkel an der Spitze, haben ein klares Ziel: Wirwollen
bis zum Ende dieses Jahrzehnts die wichtigste sozial-politische Leistung und Notwendigkeit, nämlich Voll-beschäftigung in Deutschland, wieder erreichen. Klarepolitische Ziele, zielgerichtetes und entschiedenes Han-deln und nicht Geschwätzigkeit führen zum Erfolg. Fürdiesen Erfolg steht Angela Merkel.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Olaf Scholz für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Der FDP-Vorsitzende hat sich geäußert; viele habendazu etwas gesagt. Ich will dem vielen nichts hinzufü-gen; denn alle wissen, wie man das verstehen kann.
Es war unanständig, es war nicht in Ordnung, und allesind sehr aufgeregt.
Ich verstehe sehr genau – gestatten Sie mir diesenernsten Ton –, warum er das gemacht hat; ich finde, dasmuss hier erörtert werden. Das Bundesverfassungsge-richt hat in seinem Urteil mehr zu den Regelsätzen ge-sagt als nur, wie die Regelsätze bemessen werden sollen.Es hat – daran kann es gar keinen politischen Zweifel ge-ben – eine Kernvorstellung der arbeitsmarktpolitischenStrategien, die die FDP und mancher in der Union ha-ben, für mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Das istdie Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
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2000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Olaf ScholzDas Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Die Regel-sätze müssen sich ausschließlich nach dem Bedarf rich-ten. Es ist verboten – wie die FDP oder Herr Koch vonder CDU immer wieder mal gefordert haben –, die Re-gelsätze zu senken mit der Idee: Dann gehen die Leuteschon arbeiten. – Das ist die Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts.
– Herr Kolb, wenn Sie zuhören würden, dann wäre dasfür Sie eine Weiterbildung:Deshalb noch einmal: Es geht darum, wie die Regel-sätze dauerhaft bemessen werden. Es geht nicht umSanktionen. Das bedeutet: Ihre Vorstellung, man müssedie Sätze senken, damit die Integration in den Arbeits-markt klappt, ist mit der Verfassung nicht vereinbar.
Wenn man das Urteil genau liest – das tun nicht alle;denn viele haben schon eine Meinung, bevor sie es sichangeschaut haben –, dann kommt man zu dem Ergebnis,dass es nur so auszulegen ist, dass es zu einer Erhöhungder Regelsätze kommen wird. All das, was in den letztenTagen gesagt worden ist, ist mit dem, was im Urteil zulesen ist, nicht vereinbar. Das heißt, die Klärung derFrage, was wir angesichts so vieler Millionen Arbeitslo-ser tun, um sicherzustellen, dass möglichst viele auf demArbeitsmarkt eine Chance haben, wird immer dringli-cher. Was bleibt, sind – so sage ich das einmal – sozial-demokratische Arbeitsmarktstrategien. Man kann Min-destlöhne schaffen und sie erhöhen. Das kann dazubeitragen, dass sich Arbeit lohnt.
Man kann etwas dafür tun, dass genügend Arbeitsver-mittler vorhanden sind
und dass diejenigen, die ohne Arbeit sind, bei der Ar-beitssuche und mit Qualifizierungsmaßnahmen unter-stützt werden.
Aber genau diese Dinge lehnen Sie ab. Im LiberalenSparbuch steht, dass man Arbeitsvermittler einsparensoll, weil das angeblich zu Bürokratie führt, und dassman die Fördermaßnahmen für die Arbeitslosen beendensoll. All das ist falsch. Sie sind gegen das, was man rich-tigerweise tun könnte, um die Arbeitslosigkeit in diesemLande zu bekämpfen.
Ich habe im letzten Jahr gegen Ihren hysterischen Wi-derstand mit der freundlichen Unterstützung der CDU/CSU die Zahl der Stellen für die Arbeitsvermittler umviele Tausend ausgeweitet. Dieser Weg muss weiterge-gangen werden und nicht zurück.
Die Antworten von Herrn Westerwelle sind aber nichtnur deswegen so aufgeregt, weil seine Politik für nichtmit der Verfassung vereinbar erklärt worden ist,
sondern auch deshalb, weil er jetzt sieht, dass seine poli-tischen Vorstellungen nicht realisierbar sind. Er liefertetwas, was einem Liberalen den Magen umdrehen muss.„Ressentiments statt ordentlicher Löhne“, das ist die Lo-sung von Herrn Westerwelle.
Ich will Ihnen auch sagen, dass es dafür Vorbilder inder politischen Landschaft Europas gibt, Vorbilder, dieman sich nicht nehmen sollte.
Ich verweise auf die Lega Nord in Italien. Was Sie ma-chen, ist Politik à la Lega FDP.
Sie sagen nicht „Nord gegen Süd“, sondern „geringver-dienende Arbeitnehmer gegen Arbeitslose“. Das ist nichtin Ordnung, und das ist zynisch.
Natürlich gibt es ein Problem mit den Findigen, vondenen Herr Westerwelle gesprochen hat. Über sie hat ergesagt: Sie dürfen nicht besser wegkommen als diejeni-gen, die arbeiten. Ja, die Findigen gibt es. Das sind zumBeispiel die Menschen, die Konten in der Schweiz ha-ben, die die anderen Steuerzahler betrügen und ihreSteuern nicht abführen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010 2001
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Olaf ScholzFindig sind aber nicht nur diejenigen, die Konten inder Schweiz haben und FDP wählen. Findig sind auchbestimmte Hartz-IV-Empfänger, zum Beispiel Arbeits-lose, die bei der Arbeitssuche nicht so engagiert sind.Die könnten die FDP wählen; denn wenn die FDP-Kür-zungspläne hinsichtlich Arbeitsvermittlung und enga-gierter Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt werden, dannkönnen sich all die Leute, die in den RTL-Shows auftre-ten und sich damit rühmen, seit 30 Jahren ohne Arbeit zusein, freuen. Die FDP ist ihr Freund, und das muss ver-hindert werden.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Frank
Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!Kennen Sie das Spiel „Stille Post“? Am Anfang flüstertjemand einem anderen etwas ins Ohr; dann wird es wei-tergegeben, und am Schluss kommt etwas heraus, wasganz anders ist als das, was zu Beginn erzählt wordenist.Rufen wir uns doch einmal kurz ins Gedächtnis, wasam Anfang dieser Kette von wem geflüstert wurde. Dasind nicht in erster Linie die Namen Merkel undWesterwelle im Spiel; vielmehr hat das Bundesverfas-sungsgericht vor zwei Wochen zwei wichtige Feststel-lungen zu Hartz IV getroffen,
und es hat uns mit der Bewältigung der damit verbunde-nen Schwierigkeiten beauftragt.
Ich halte dieses Urteil für ein richtiges und wichtigesSignal – ich habe sehr viel mit Kindern am Rande derGesellschaft zu tun –, weil gerade Kinder und Jugendli-che bei der Neuberechnung ganz besonders in den Blickzu nehmen sind.
Es gilt jetzt, bedürftige Kinder zielgerichtet zu unterstüt-zen, und zwar insbesondere im Bereich Bildung. Für allein unserem Land lebenden Kinder sollen gleiche Bil-dungschancen geschaffen werden.
Das ist uns sehr wichtig. Wir haben das im Koalitions-vertrag niedergeschrieben.
Die Kanzlerin hat in ihrem Kabinett mit Ursula vonder Leyen eine hochkompetente Arbeits- und Sozial-ministerin, der sie vertraut und der sie den Rücken stärkt.
Dazu hat sie guten Grund. Die Regierungskoalition wirddiesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zügig ent-sprechen. Trotzdem bedingt dieser Auftrag aus Karls-ruhe ein wenig Geduld; ich erinnere an die Zahlen, diewir zur Berechnung der neuen Hartz-IV-Sätze brauchen.Der Bundeskanzlerin geht es in der Öffentlichkeit, alsonach außen – offensichtlich geht es heute genau darum –,eben nicht um „husch, husch!“ und „schnell, schnell!“,genauso wie es ihr nach innen nicht um „basta!“ geht.
Karlsruhe hat Mängel aufgedeckt – das wissen wiralle –; aber das ist kein Grund zur Panik. Es geht hiernicht um Todesgefahr. Auch wenn es viele vorausgesagthaben, wurde Hartz IV nicht in Bausch und Bogen ver-dammt. Es geht darum, etwas besser zu machen, was voreinigen Jahren schlampig und überhastet begonnen wor-den ist und deshalb am Ziel vorbeiging.
Halten wir uns das Bild der Biathleten von Vancouvervor Augen: Wie oft wurde uns in den Reportagen erklärt,dass der Puls eines Athleten erst deutlich sinken mussund dass es ihm nichts hilft, überhastet draufloszuschie-ßen! Jetzt kommt es darauf an, eben keine Schnell-schüsse abzufeuern, sondern zügig sein Programmdurchzuziehen, also das umzusetzen, was man immerwieder trainiert hat. Natürlich gilt es dann auch, zuschießen und nicht stecken zu bleiben, aber erst, wennder Puls stimmt und die Bedingungen ebenfalls. Genaudas mahne ich auch in diesem Hohen Hause an; wiewichtig das ist, wurde ja an der heutigen Debatte deut-lich.Dass Sie von der Opposition uns jetzt so wie dieBiathleten ihre Gegner im Schießstand kirre machenwollen, ist parteipolitisch absolut selbstverständlich,
aber es ist nicht der Sache dienlich, für die wir hier anden Start gehen.
Bei diesem Thema geht es uns nämlich nicht in erster Li-nie – darin müssten wir uns einig sein – um macht- und
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2002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Februar 2010
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Frank Heinrichparteipolitische Interessen, sondern vielmehr um dasWohl von vielen Millionen deutschen Mitbürgern.
Wir sind angetreten, ich bin angetreten, um das Bestefür die Menschen herauszuholen. Das Ziel dabei ist,möglichst vielen Menschen einen Übergang in geregelteBeschäftigung zu ermöglichen und den Kindern in unse-rem Lande sowohl hinsichtlich Bildung als auch hin-sichtlich Versorgung gerecht zu werden. Genau deshalbwerden wir nicht den gleichen Fehler begehen, der denMachern von Hartz IV vor zwei Wochen attestiert wor-den ist, nämlich zu hastig gearbeitet zu haben.zum anderen eine Sozialpolitik, die die schwächstenGlieder unserer Gesellschaft nicht stigmatisiert, sondernes ihnen ermöglicht, ihre Rechte, die im Grundgesetzverankert sind, auch wahrzunehmen.Im Zusammenhang mit dem Schweigen der Kanzlerin– das ist ja das Thema der Debatte; ich habe mich wirk-lich gewundert, wie viele heute das im Raum stehendeThema verfehlt haben; „Ungenügend“ muss man dazusagen –
möchte ich noch einmal auf Vancouver zurückkommen.
Das Problem soll – hier zitiere ich die Kanzlerin vongestern –
von Grund auf gelöst werden. Um eine Lösung dieserGrößenordnung zu schmieden, die zugleich auch denMenschen in unserem Land gerecht wird, braucht manZeit und Augenmaß.In unserem Koalitionsvertrag steht:Alle Menschen in unserem Land sollen die Chanceauf wirtschaftlichen Erfolg, sozialen Zusammenhaltund ein Leben in Freiheit und Sicherheit haben.
Deswegen steht der Mensch im Mittelpunkt unsererPolitik.
Dazu brauchen wir in Deutschland zum einen eineSteuer-, Wachstums- und Beschäftigungspolitik, die denMenschen Anreize bietet, Leistung zu erbringen. Darinwar und ist sich die Koalition einig. Dazu braucht esAuch Sie, Frau Künast, haben ja ganz am Anfang auf dieOlympischen Spiele Bezug genommen. Wie lautet dochder schöne olympische Gedanke? Dabei sein ist alles.
Im Sinne unserer Bürger reicht mir und uns das abereben nicht aus. Die Medaillen vor Augen, handeln wirlieber nach dem Motto:
Reden ist Silber, Schweigen und Handeln ist Gold.Ich danke Ihnen.
Nun ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 25. Februar 2010,
9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch ei-
nen schönen Abend.